Übersetzung und Linguistik [Reprint 2021 ed.]
 9783112484708, 9783112484692

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SVEJCER Ü B E R S E T Z U N G UND L I N G U I S T I K

SAMMLUNG

47

SPRACHE

AKADEMIE-VERLAG

A L E K S A N D R D. SVEJCER

ÜBERSETZUNG UND LINGUISTIK

AKADEMIE-VERLAG 1987

BERLIN

Titel der Originalausgabe: IlepeBOH h jiHHrBHCTHKa O ra3eTHo—HHijiopMaiiHOHHOM h BoeHHO—nyÖJiwmicTHHöCKOM nepeBOffe Übersetzung aus dem Russischen: Claus Cartellieri, Manfred Heine In deutscher Sprache herausgegeben und bearbeitet von Albrecht Neubert unter Mitarbeit von Brigitta Schrade

I S B N 3-05-000418-5 I S S N 0138-550X Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 , Berlin, D D R - 1086 © der deutschsprachigen Ausgabe Akademie-Verlag Berlin 1986 Lizenznummer: 202 • 100/113/87 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 4450 Gräfenhainichen • 6581 L e k t o r : Dr. Gisela Leiste L S V 0805 Bestellnummer: 753 124 7 (7547) 01800

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung des Autors

7

V o r w o r t zur deutschen Ausgabe

10

I . Allgemeine linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie . . . . 1. Übersetzen schaften

als TJntersuchungsgegenstand

verschiedener

13

Wissen-

2. Die Entwicklung der zeitgenössischen Sprachwissenschaft und die Grundrichtungen der Übersetzungstheorie — Die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen — Übersetzungstheorie und strukturelle Sprachwissenschaft — Generative G r a m m a t i k und Übersetzen — Die Komponentenanalyse — D a s semantische Modell — Das Situationsmodell

13 24 24 34 40 48 51 57

. . .

3. Übersetzung und Textlinguistik

63

4. Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

70

I I . Semantische Probleme der Übersetzung

89

1. Zur Anwendung der grammatischen Transformation

89

2. Zur lexikalischen und syntaktischen Paraphrasierung

101

3. Zur Anwendung des situativen Modells

119

I I I . Stilistische Probleme der Übersetzung 1. Die Übertragung der funktionellen Eigenschaften der Äußerung

137 .

138

2. Die Übertragung einiger Besonderheitendes Stils der Presse und der Publizistik beim Übersetzen

151

— Zeitungsüberschriften — Die S t r u k t u r der Pressemeldung — Unterschiede in der Häufigkeit lexikalischer Einheiten — Die Übersetzung von Klischees

151 158 166 169

6

Inhaltsverzeichnis — Stilistische Modifizierungen — Kompression des Textes 3. Die Übertragung einiger Besonderheiten der Militärpublizistik

. .

173 177 182

IV. Pragmatische Aspekte der Übersetzung

202

Zusammenfassung

219

Literatur

225

Personenregister

230

Vorbemerkung des Autors

Der Beruf des Übersetzers und Dolmetschers gehört zu den ältesten der Welt, seine Ausübung hat jedoch zu keiner Zeit im Verlaufe der vielhundertjährigen Geschichte ein so großes Ausmaß angenommen, wie das in den letzten Jahrzehnten der Fall ist. Von der immer umfangreicher werdenden Literatur entfällt ein beträchtlicher Teil auf Übersetzungen. Übersetzer und Dolmetscher spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der internationalen Beziehungen auf dem Gebiet des wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austauschs, denn sie helfen den Sprechern verschiedener Sprachen, die Sprachbarrieren zu überwinden. Es ist deshalb auch keineswegs verwunderlich, wenn sich gerade heute die Notwendigkeit einer theoretischen Verallgemeinerung der praktischen Erfahrungen beim Übersetzen und Dolmetschen dringlicher als je zuvor ergibt. Die Übersetzungstheorie, die gegenwärtig eine stürmische Entwicklung durchläuft, ist eines der jüngsten Gebiete der Sprachforschung. In den letzten Jahren sind im Rahmen dieser Disziplin zahlreiche neue Richtungen entstanden, die sich auf verschiedene Strömungen der zeitgenössischen Sprachwissenschaft stützen. Sie interpretieren den Übersetzungsvorgang und seine Ergebnisse von ihrem jeweiligen Standpunkt aus. Wenn es sich dabei zuweilen lediglich um Bestrebungen handelt, bereits Geläufiges in neue Begriffe zu kleiden, so gibt es doch auch neue Auffassungen zu praktischen und theoretischen Fragen des Übersetzens. Die Arbeit verfolgt zwei Zielstellungen: Erstens will sie den Leser in die Problematik der linguistischen Theorie des Übersetzens einführen und ihn in einer leicht faßlichen Art mit den grundlegenden theoretischen Modellen für den Übersetzungsvorgang vertraut machen, und sie will zweitens aufzeigen, auf welche Weise diese Modelle bei der Übersetzung von publizistischen Texten Anwendung finden. Mit der Darstellung des Beispielmaterials zum Übersetzen von Texten aus Zeitungen und anderen publizistischen Quellen sollen nicht nur allgemeine theoretische Aussagen belegt werden; vielmehr geht es um eine systematische Beschreibung der spezifischen Aspekte solcher Texte.

8

Vorbemerkung des Autors

Die Arbeit umfaßt vier Kapitel. Das erste Kapitel enthält eine knappe Darstellung des gegenwärtigen Standes der linguistischen Theorie für das nichtmaschinelle, traditionelle Übersetzen. Es wird der Versuch unternommen anzudeuten, welche Möglichkeiten aus den Resultaten der gegenwärtigen Sprachwissenschaft für die Ausarbeitung einer Theorie des Übersetzens erwachsen. Vor allem wird dabei auf die Richtungen eingegangen, die die Besonderheiten der natürlichen Sprachen und den Prozeß der Redetätigkeit in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen. Dieses Kapitel will auch die Frage des Verhältnisses der linguistischen zur literaturwissenschaftlichen Übersetzungstheorie beleuchten. Weiterhin wird der Übersetzungsprozeß in Begriffen der Kommunikationstheorie dargestellt, und die Ausgangsbegriffe werden definiert. Das zweite Kapitel will zeigen, wie die denotative Bedeutung einer Äußerung wiedergegeben werden kann. Daneben erfolgt eine Bewertung der für Theorie und Praxis des Übersetzens möglichen Anwendung einiger Verfahren der Komponentenanalyse in Verbindung mit Modellen der Transformationsgrammatik, der semantischen Synthese und der „situativen Grammatik". Das dritte Kapitel ist dem Problemkreis „Übersetzen und Stilistik" gewidmet. Es behandelt Fragen, die sich auf die Wiedergabe solcher Funktionen eines Sprechaktes beziehen, die gelegentlich in eine „Stilistik der Rede" verwiesen werden. Unsere besondere Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf eine Gegenüberstellung der Rolle dieser Funktionen in Quellen- und Zielsprache und der in ihnen dafür aufgewendeten sprachlichen Mittel. Insbesondere wird ein Vergleich der expressiven Funktion und der Mittel für ihre Verwirklichung im Englischen und Deutschen angestellt; es werden die Ergebnisse der vergleichenden Stilistik herangezogen und entsprechende Schlußfolgerungen für die Theorie und Praxis des Übersetzens abgeleitet. Dazu gehört auch die Feststellung, daß beim Übersetzen funktionalstilistische Besonderheiten zu berücksichtigen sind, wie sie unter anderem in publizistischen Texten des verglichenen Sprachenpaares beobachtet werden können. Diese Vergleiche und entsprechende Schlußfolgerungen werden nicht nur für den in dieser Arbeit betrachteten Funktionalstil, sondern auch für seine genrespezifischen Einzelfälle präzisiert; den funktionalen genrespezifischen Unterschieden, die in das Gebiet der Struktur des Textes (discourse structure) gehören, wird dabei gebührende Beachtung zuteil. Thema des vierten Kapitels sind die pragmatischen Aspekte des Übersetzens. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, daß bei der Übersetzung die unterschiedliche Aufnahme eines gegebenen Textes oder einer Mitteilung durch die Teilnehmer des Kommunikationsaktes berücksichtigt werden muß. Das entspricht einem Fragekomplex, der in der Praxis normalerweise mit der Aussage „der Leserkreis muß berücksichtigt werden" charakterisiert wird.

Vorbemerkung des Autors

9

Die wesentlichen Schlußfolgerungen aus den Darlegungen der vier Kapitel erscheinen in einer „Zusammenfassung". Die vorliegende Arbeit ist für einen breiten Leserkreis bestimmt — für den Übersetzer in der Praxis, für Studenten an sprachausbildenden Hochschulen und für alle, die sich für die theoretischen und praktischen Probleme des Übersetzens interessieren. Der Verfasser möchte den Herren Professoren L. S. Barchudarov, V. G. Gak und L. L. Neljubin seinen herzlichen Dank für ihre wertvollen Ratschläge und Hinweise aussprechen, die ihm bei seiner Arbeit am Manuskript eine wesentliche Hilfe bedeuteten.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Wie die Menschen, so werden auch Bücher älter, und die in einem Buch dargelegten Auffassungen sind nicht unbedingt identisch mit denen, die der Autor gegenwärtig vertritt, sondern entsprechen seinen Auffassungen aus der Zeit, in der das Buch geschrieben wurde. Dies trifft besonders auf Bücher zu, die übersetzt werden: Die Zeit, die nötig ist, um das Original zu publizieren, die Übersetzung anzufertigen, zu bearbeiten und herauszugeben, ist zu lang angesichts der sich rasch ändernden wissenschaftlichen Denkweisen. Zu Beginn der 70er Jahre geschrieben, ist dieses Buch 1973 erschienen. Würde ich es jetzt schreiben, so könnte ich von einigen neueren Untersuchungen auf dem Gebiet der Semantik, der Text-, Sozio- und kontrastiven Linguistik profitieren, ganz abgesehen von Untersuchungen auf dem Gebiet der eigentlichen Übersetzungstheorie. Beim erneuten Lesen meines Buches habe ich jedoch zu meiner Überraschung entdeckt, daß sein etwas verspätetes Erscheinen in deutscher Sprache auch sein Gutes hat. Zum einen konnte ich entgegen meinen Befürchtungen glücklicherweise feststellen, daß sich die grundlegenden Gedanken und Begriffe dem natürlichen Alterungsprozeß gegenüber als genügend widerstandsfähig erwiesen haben. Zum anderen wurde mir beim nochmaligen Lesen des Buches klar, daß im Original etwas fehlt. Wenn dort die Betonung auf den dynamischen Aspekten der Äquivalenz liegt, so werden deren statische Aspekte, die für einige Linguisten gerade das zentrale Problem der Übersetzungstheorie darstellen, etwas vernachlässigt. Es handelt sich hierbei um eine Typologie und Hierarchie von Beziehungen zwischen dem Originaltext und seiner zielsprachlichen Entsprechung. Ich möchte deshalb nicht nur meine Auffassungen zu diesem Problem darlegen, sondern gleichzeitig versuchen, die Berührungspunkte zwischen den dynamischen bzw. operativen und den statischen Aspekten der Übersetzung oder, anders ausgedrückt, zwischen der Übersetzung als Prozeß und der Übersetzung als Produkt bzw. Resultat aufzuzeigen. Ein Bereich, wo die statischen und die dynamischen Aspekte der Übersetzung sich eng berühren, ist die Äquivalenz. Es handelt sich dabei um ein Problem, über das die Linguisten sich eingestandenermaßen nicht einigen können.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

11

Der Grund liegt auf der Hand. Die Auffassung von der Äquivalenz hängt wesentlich davon ab, wie das Übersetzen selbst und sein Verhältnis zur Sprache und der außersprachlichen Realität verstanden werden. I m Ergebnis dessen gibt es so viele Definitionen von der Übersetzung, wie es verschiedene Auffassungen vom Übersetzen gibt. Deshalb wurde in den Abschnitt „Übersetzen als Kommunikationsakt" neues Material aufgenommen, das die Frage des Niveaus und der Typen von Äquivalenz, ihrer Beziehungen zu Übersetzungstransformationen und das Verhältnis zwischen dynamischer und statischer Äquivalenz beleuchtet. Die Periode nach dem Erscheinen der russischen Ausgabe meines Buches war durch bedeutende Erfolge auf einem eng mit der Übersetzungstheorie verbundenen neuen Gebiet der Sprachwissenschaft — der Textlinguistik — gekennzeichnet. Fragen der Textlinguistik fanden ihren Niederschlag auch in der Originalausgabe (vgl. z. B. die Abschnitte, die dem Zeitungstext und den Problemen, die mit seiner Übersetzung zusammenhängen, gewidmet sind). In der deutschen Ausgabe wird die Frage der Beziehung zwischen der Übersetzungstheorie und der Textlinguistik in einem besonderen Abschnitt behandelt, der in Kapitel I eingefügt wurde. Die Vorbereitung der deutschen Variante des Buches hat folglich erhebliche Mühe gekostet, was die Durchsicht des Materials und seine „Modernisierung" betrifft. Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeit der Lektorin Dr. Gisela Leiste hervorheben. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Albrecht Neubert und Brigitta Schrade, in deren Hand die Arbeiten zur Übertragung meines Buches ins Deutsche sowie die redaktionelle Betreuung dieses Manuskripts lagen. Sie haben die schwierige Aufgabe bewältigt, deutsche Illustrationsbeispiele zu finden, was dem deutschsprachigen Leser die Lektüre Werkes zweifellos erleichtern wird. A. D. Svejcer

I Allgemeine linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie 1.

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand, verschiedener Wissenschaften

Als eine spezifische Form der sprachlichen Tätigkeit ist das Übersetzen ein kompliziertes und vielseitiges Phänomen, dessen unterschiedliche Aspekte das Interesse von Literaturwissenschaftlern, Psychologen, Ethnographen und Sprachwissenschaftlern auf sich ziehen. Für die Psychologie gehören etwa Besonderheiten der Aufnahme und des Verstehens im Translationsprozeß oder spezielle Aspekte von Aufmerksamkeit, Zielvorstellung und Wissen beim Übersetzen sowie die Rolle des Lernens und des Vorgriffes beim Übersetzen zu wesentlichen Fragestellungen (KRUPNOV 1968). Den Ethnographen interessiert die Übersetzung als ein Gegenstand, der die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet lenkt, das gemeinhin als „ethnographische Semantik" bezeichnet wird (SMITH, FISCHEB 1970). Es schließt den großen Kreis all der Fragen ein, die sich auf kulturelle Unterschiede und auf Verschiedenheiten im System der Vorstellungen von der Umwelt beziehen. Für den Literaturwissenschaftler ist das Problem des Übersetzens eine Frage der künstlerischen Meisterschaft des Übersetzers. Ihn interessiert die Kunst, wie der individuelle Stil eines Autors wiedergegeben und dabei die Bildstruktur des Werkes erhalten bleiben kann. Worin sieht nun der Sprachwissenschaftler die Bedeutung des Übersetzens? Zunächst darin, daß das Übersetzen eine außerordentlich einflußreiche Quelle von Belegen f ü r die allgemeine Sprachwissenschaft und in noch größerem Maße f ü r die konfrontative Linguistik darstellt (BAECHUDABOV 1962, NIDA 1969). Hierbei hat aber die Sprachwissenschaft gegenüber dem Übersetzen keine dienende Funktion, sondern das Übersetzen dient seinerseits der Sprachwissenschaft, indem es ihren Blickwinkel erweitert und ihr damit hilft, sowohl die spezifischen Merkmale einzelner Sprachen als auch ihre allgemeinsten Wesenszüge, die Universalien aufzudecken. Daneben sind zahlreiche Sprachwissenschaftler jedoch schon lange zu der Schlußfolgerung gekommen, daß die Translation selbst zum Gegenstand sprachwissenschaftlicher Beschreibung werden kann. Ziel einer derartigen Beschreibung muß dabei sein, eine linguistische Theorie der Translation zu schaffen. Die Notwendigkeit einer solchen Theorie wurde jedoch nicht immer an-

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

erkannt. So hat R E F O R M A T S K I J seinerzeit bestritten, daß es möglich sei, eine Wissenschaft vom Übersetzen zu begründen. Als Argument führte er ins Feld, daß das praktische Übersetzen die Ergebnisse vieler Wissenschaften nutze und somit keine eigenständige Theorie haben könne. Seine Behauptung traf auf den entschiedenen Widerspruch der Theoretiker des Übersetzens. Und in der T a t widerlegt der Umstand, daß die eine oder andere Disziplin Ergebnisse angrenzender Wissensgebiete nutzt, noch nicht ihre Existenzberechtigung. Ohnehin wird es heute kaum möglich sein, auch nur eine Disziplin zu benennen, die nicht Ergebnisse aus anderen Wissenschaftsgebieten anwendet. Für die Entwicklung jeder einzelnen wissenschaftlichen Disziplin ist es darüber hinaus außerordentlich bedeutungsvoll, ihren Standort gegenüber den anderen Wissenschaften exakt abzugrenzen und den Gegenstand der eigenen Untersuchungen zu bestimmen. Zu den wichtigsten Problemen gehört hierbei die Frage nach der Stellung der Übersetzungstheorie zur Sprach- und Literaturwissenschaft. In einigen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der künstlerischen Übersetzung wurden die Versuche, eine linguistische Theorie des Übersetzens zu schaffen, zu einer „formalistischen Irrlehre" erklärt, die mit den Gesetzen des künstlerischen Schaffens unvereinbar sei. Von diesen Positionen aus beurteilten Anhänger der literaturwissenschaftlichen Schule die linguistische Übersetzungstheorie und warfen zum Beispiel F E D O B O V eine übermäßig linguistische Ausrichtung vor. Gleichzeitig erhoben andere auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft arbeitende Wissenschaftler, die sich an den Postulaten der strukturellen Linguistik orientieren, ihm gegenüber den Einwand, daß in seiner Arbeit formale Kriterien ungenügend berücksichtigt seien ( F E D O B O V 1 9 6 8 ) . Es kann hier nicht darum gehen, eine umfassende Bewertung der grundlegenden Arbeit von F E D O B O V vorzunehmen. Es soll daher nur erfragt werden, ob es möglich ist, eine umfassende Theorie der Translation zu schaffen, die jeweils entweder ausschließlich formale und strukturelle oder künstlerische und ästhetische Kriterien berücksichtigt. Dabei stößt man auf ein Problem, das nunmehr wieder in der Frage formuliert wird: Ist das Übersetzen Wissenschaft oder Kunst ? Unserer Auffassung nach ist dem amerikanischen Linguisten N I D A zuzustimmen, der darauf verweist, daß sich das Übersetzen gerade hierin prinzipiell nicht von jeder anderen sprachlichen Tätigkeit unterscheidet. Auch der Vorgang der einsprachigen Kommunikation kann als schöpferischer Akt betrachtet werden. Nicht umsonst spricht man davon, daß es eine Kunst ist, eine Rede zu halten, oder daß es eine Meisterschaft der künstlerischen Prosa und der Publizistik gibt ( N I D A 1 9 6 9 ) . Niemand wird daran zweifeln, daß die Formen dieser Genres Gegenstand sowohl der literaturwissenschaftlichen als auch der linguistischen Verallgemeinerung sein können. Dies gilt gleichermaßen f ü r das Übersetzen als eine besondere Art der sprachlichen Tätigkeit.

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

15

Wenn auch das Übersetzen durch spezifische Wesensmerkmale bestimmt wird, die es von anderen kommunikativen Akten unterscheiden (wovon später noch zu sprechen sein wird), so kann man auf Grund dieser Merkmale doch keineswegs von einer größeren Freiheit des Schaffens beim Übersetzen — verglichen mit anderen Arten sprachlicher Tätigkeit — sprechen. Nach der etwas vereinfachten, aber im großen und ganzen zutreffenden Definition des bulgarischen Linguisten L J U D S K A N O V (1970) ist der schöpferische Prozeß dadurch gekennzeichnet, daß es in ihm eine oder mehrere nicht durch Regeln erfaßte Auswahlmöglichkeiten gibt. Hierbei darf aber nicht übersehen werden, daß beim Übersetzen die Freiheit der Entscheidung für die eine oder andere sprachliche Form immer in einem gewissen Grade beschränkt ist, obwohl sie andererseits keiner hinreichend exakten Regelung unterliegt. Die Übersetzung wird in jedem Falle durch den Text des Originals bestimmt, folglich letztendlich durch die Beziehungen zwischen Quellen- und Zielsprache. Selbstverständlich ist damit das Wesentliche des Übersetzungsprozesses durchaus nicht vollständig erfaßt, doch kann kein Übersetzer diese Beziehungen außer acht lassen. Schöpferisches und Nichtschöpferisches sind in jeder Art des Übersetzens in enger Verflechtung gegeben, obwohl die Beziehungen zwischen diesen beiden Größen — in Abhängigkeit vom Übersetzungsgenre — variabel sind. Dabei reicht die Skala etwa von der Übersetzung offizieller Sachtexte und technischer Dokumentationen, für die eine Regelung deutlicher zu erkennen ist, bis zur künstlerischen Übersetzung, bei der der Anteil der keiner strengen Regelung unterliegenden Entscheidungen ungleich größer ist. Wollte man annehmen, daß das Gebiet des künstlerischen Übersetzens eine Domäne des „ausschließlich Schöpferischen" ist, in dem die linguistischen Gesetzmäßigkeiten des Übersetzens nicht gelten, dann müßte man zu der Schlußfolgerung kommen, daß es keine allgemeine Theorie des Übersetzens geben kann; denn eine Theorie, die nur für einzelne Ubersetzungsarten zuträfe, könnte keine Allgemeingültigkeit haben. Wie aber die Sprachwissenschaft in ähnlicher Weise beliebige sprachliche Erscheinungen untersucht — und zwar unabhängig von der Umgebung, in der sie auftreten —, so erfaßt die allgemeine Übersetzungstheorie alle Varianten der Translation. Dabei sollen die Gesetzmäßigkeiten aufgedeckt werden, die der Translation insgesamt eigen sind, und zwar ungeachtet der spezifischen Merkmale, die dem einen oder anderen Genre zukommen. Bei der Untersuchung dieser Gesetzmäßigkeiten hat der Sprachwissenschaftler sprachliche Erscheinungen oder Texte in zwei verschiedenen Sprachen vor sich. Es handelt sich dabei um die Quellensprache, die Sprache des Originals, und die Zielsprache, die Sprache der Übersetzung. I n seinen Überlegungen vollzieht er den Weg nach, den der Übersetzer von der Aufnahme

16

Linguistische G r u n d l a g e n der Übersetzungstheorie

des quellensprachlichen Textes bis zur Nachschaffung des Textes in der Zielsprache zurückgelegt hat. Dabei kann sich jeder einzelne Text durch individuelle Vielfalt auszeichnen. Die Wiedergabe dieses Eigenwertes erfordert ein vertieftes Eindringen in die schöpferische Tätigkeit des Autors. Gerade hier handelt es sich um eines der Hauptprobleme der Theorie des künstlerischen Übersetzens. Diese Aufgabe gilt jedoch mit bestimmten Abstrichen auch für alle anderen Übersetzungsgenres. Auf der anderen Seite liefert ein Vergleich mehrerer Übersetzungen den überzeugenden Beweis dafür, daß die Erfahrungen der übersetzerischen Tätigkeit sehr wohl verallgemeinert werden können. Viele Entscheidungen von Übersetzern sind zwar nicht deckungsgleich, sie können aber auf jeden Fall dem gleichen Typ zugeordnet werden. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß dem Übersetzungsprozeß in all seiner Vielfalt bestimmte allgemeine Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, deren Aufdeckung gerade die linguistische Theorie des Übersetzens zum Ziel hat. Untersuchen wir nunmehr die Frage des Verhältnisses der linguistischen Ubersetzungstheorie zu den anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen wie Grammatik, Lexikologie und Stilistik. Uns interessiert dabei in erster Linie, in welcher Relation Forschungen auf dem Gebiet der Übersetzungstheorie zu Arbeiten über den Sprachvergleich stehen. Solche Arbeiten sind in der letzten Zeit in größerem Umfang entstanden, und aus ihnen hat sich eine besondere Richtung (contrastive linguistics), die als kontrastive Linguistik oder Charakterologie bezeichnet wird, entwickelt. In der sowjetischen Sprachwissenschaft wird sie etwa durch Arbeiten von FEDOBOV (1961), KBTTSEI'NICKAJA (1961), STEPANOV (1965), GAK, ROJZENBLIT (1965), GAK (1975) u n d JABCEVA (1981) v e r t r e t e n .

Der Fortschritt auf diesem Teilgebiet der Sprachwissenschaft ist eng verbunden mit der Untersuchung zum Problem der Zweisprachigkeit, zu Beziehungen der Sprachmischung sowie der strukturellen Interferenz, die sich im' Verlaufe sprachlicher Kontakte herausbildet. Die Konfrontation von sprachlichen Systemen kann übrigens von nur einer wie auch von beiden Seiten aus erfolgen. Im ersten Fall wird eine der Sprachen durch die Brille der anderen Sprache betrachtet, die gleichzeitig letzterer auch die Kriterien des Vergleichs liefert. Es werden dabei lediglich die Schwierigkeiten erfaßt, die ein Sprecher der jeweils als Ausgangspunkt dienenden Sprache beim Erlernen der anderen Sprache hat. So treten zum Beispiel bei einem Engländer, der Deutsch lernt, Probleme beim richtigen Gebrauch des männlichen, weiblichen und sächlichen Artikels auf; das trifft aber nicht für einen Deutschen zu, der Englisch lernt. Daraus ergibt sich, daß dieses Problem nur dann zum Gegenstand der konfrontativen Analyse von Erscheinungen in einer bestimmten Richtung werden kann, wenn das Englische mit dem Deutschen konfrontiert werden soll. Als Beispiel für eine solche Gegenüberstellung

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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in einer Richtung sei auf die Arbeit der amerikanischen Linguisten STOCKWELL und B O W E N verwiesen. Sie stellt eine konfrontative Untersuchung des Lautsystems im Englischen und Spanischen dar (STOCKWELL, B O W E N 1 9 6 5 ) . Daneben sind jedoch auch Arbeiten entstanden, bei denen die Gegenüberstellung der Sprachen in beiden Richtungen erfolgt, wo dann also beide verglichenen Sprachen jeweils einmal als Kriterium für die Konfrontation gewählt werden. Hierher gehört in erster Linie die Arbeit der kanadischen Sprachwissenschaftler VUSTAY und DAKBELNET, in der Erscheinungen des Französischen und des Englischen einer konfrontativen stilistischen Analyse unterzogen werden (VINAY, DARBELNET 1 9 5 8 ) . Aus dem bisher Gesagten läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß die kontrastive Linguistik in engem Zusammenhang mit der Lösung der praktischen Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts steht. SPALATIN, einer der Vertreter dieser Richtung, stellt dazu fest, die Konfrontationslinguistik verfolge in erster Linie eine praktische Zielstellung — sie wolle das Erlernen einer zweiten (d. h. einer fremden) Sprache erleichtern (SPALATIN 1967). Dabei ist vielen auf diesem Gebiet Tätigen klar, daß die konfrontative Analyse nicht nur direkte Ergebnisse für die Methodik des Fremdsprachenunterrichts, sondern auch für die Theorie des Übersetzens erbringt. In einigen Arbeiten finden sich auch direkte Verweise darauf, daß die Übersetzungstheorie als ein Bestandteil der kontrastiven Linguistik anzusehen sei. Das wird insbesondere von N I D A hervorgehoben ( N I D A 1 9 6 9 ) . Auch CATFORD vertritt diesen Standpunkt, wenn er die Auffassung äußert, daß die Übersetzungstheorie ein Teilgebiet der konfrontativen Sprachwissenschaft sei, da sie sich mit einer bestimmten Art von Beziehungen zwischen Sprachen b e f a ß t (CATFOBD 1965).

Gegen eine solche Auffassung vom Wesen der Übersetzungstheorie treten einige Theoretiker der künstlerischen Übersetzung auf. Sie sind der Ansicht, ein rein linguistisches Herangehen an die belletristische Übersetzung sei nicht tragbar, und schlagen statt dessen eine „wissenschaftlich-linguistische Analyse" vor, die „die Grenzen des Linguistischen überschreitet" und nach ästhetischen Gesichtspunkten verlangt (ETKIND 1970). „Das hier Gesagte" — so erklärt E T K I N D — „bezieht sich selbstverständlich nur auf das künstlerische Übersetzen, das ein Problem f ü r sich darstellt. Mit der Übersetzung von wissenschaftlichen Sachtexten gibt es fast keine Gemeinsamkeiten, wenn einmal die rein linguistischen Grundlagen des Übersetzungsvorgangs außer acht gelassen werden. I n einem Kunstwerk gehört jedes Wort in ein besonderes System, in dem eigene und in jedem Fall andere Gesetzmäßigkeiten gelten. Ohne Linguistik kommt man natürlich hier nicht aus, aber sie dient lediglich zur Erläuterung der untersten Ebene des übersetzerischen Schaffens, derjenigen nämlich, auf der der Unterschied zwischen verschiedenen Texttypen — 2 Übersetzung

18

Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

etwa einer Zeitung und einem Roman, einem Lehrbuch für Physik und der ,Göttlichen Komödie', zwischen einem diplomatischen Dokument und der Bibel — weggefallen ist." Nach den Auffassungen von E t k i n d ist eine linguistische Übersetzungstheorie also nicht mehr als eine Gegenüberstellung sprachlicher Formen. Es bleibt jedoch unklar, warum bei einer linguistischen Analyse des Übersetzens der Unterschied zwischen Texten unterschiedlicher funktionaler Genres verwischt werden soll, etwa der zwischen einem Kunstwerk und einem Sachtext usw. Befaßt sich die linguistische Stilistik nicht gerade mit der Untersuchung derartiger Unterschiede ? Denn per definitionem ist ja die linguistische Stilistik das Teilgebiet der Sprachwissenschaft, das sich mit der Untersuchung der Stile, der stilistischen Gewohnheiten und der expressiven Mittel einer Sprache im Verhältnis zum ausgedrückten Inhalt befaßt ( G a l ' p e r i n 1958). Offensichtlich engt E t k i n d die linguistische Übersetzungstheorie viel zu sehr ein, wenn er sie auf den elementaren Vergleich von Formen reduziert. Den Ausweg aus diesem scheinbaren Widerspruch zwischen einem sprachwissenschaftlich und einem literaturwissenschaftlich orientierten Herangehen an die Untersuchung der Ubersetzung sieht E t k i n d in einer Erforschung der Gesetzmäßigkeiten des Ubersetzungsprozesses. Dies soll innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin geschehen, die über den von der Linguistik gesteckten Rahmen hinausreicht und vergleichende Stilistik genannt wird. An späterer Stelle folgt der Hinweis, daß der Begriff „vergleichende Stilistik" sehr weit verstanden und ihm ein besonderer Inhalt zugeordnet .wird. Nach den Vorstellungen Etkends umfaßt diese Disziplin die folgenden Vergleichsebenen: 1. Systemvergleich beider Sprachen (grammatischer Aufbau, Lexik, Phraseologie u. a.); 2. Vergleich der stilistischen Systeme des Sprachenpaares (z. B. der Bildungsgesetze für die funktionalen Sprachstile, des Verhältnisses der literatursprachlichen Norm zu Dialekten, Jargons und Volkssprache; 3. Vergleich der traditionellen literatursprachlichen Stile innerhalb beider Sprachen (z. B. der sprachlichen Stile des Klassizismus, des Sentimentalismus und der Romantik, oder einiger konkreter genrespezifischer Stile, wie der von Oden, Elegien, Fabeln usw.); 4. Vergleich der beiden spezifischen, nationalen prosodischen Systeme (zum Beispiel des ausschließlich von der Silbenzahl abhängigen Systems im Französischen mit dem durch Wechsel der Silbenbetonung bestimmten im Russischen, der metrischen Prosodie des Altertums mit der auf dem reinen Betonungswechsel beruhenden im Deutschen und Russischen); 5. Vergleich der historisch-kulturellen Traditionen zweier Nationen, die in einer bestimmten nationalen Tradition für das Übersetzen von Gedichten deutlich werden; 6. Vergleich der individuellen künstlerischen Stilsysteme: des Systems des Autors des Originals mit dem des Übersetzers.

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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Die erste Vergleichsebene gehört demnach in den Zuständigkeitsbereich der konfrontativen Grammatik und Lexikologie, die zweite in den Bereich der linguistischen Stilistik sowie zu bestimmten Teilen in die Dialektologie und die Soziolinguistik. Bei der fünften Ebene gehört die Widerspiegelung historischer und kultureller Traditionen in der Sprache, in konkreten sprachlichen Äußerungen zu den Aufgaben der vergleichenden Ethnolinguistik. Die unter Punkt drei, vier und sechs aufgeführten Probleme werden tatsächlich in erster Linie von der literaturwissenschaftlich ausgerichteten Stilistik untersucht, obgleich es auch eine Reihe interessanter sprachwissenschaftlicher Arbeiten zu diesen Fragen gibt. Aus dem Gesagten folgt keineswegs, daß die Probleme der künstlerischen Übersetzung keine besondere Spezifik hätten. Die Erforschung dieser Spezifik überschreitet tatsächlich den Rahmen der Linguistik. Dennoch kann man die Behauptung, die linguistische Theorie könne lediglich die „unterste Ebene" der übersetzerischen Tätigkeit erklären, nur als offensichtliche Unterschätzung dieser Theorie bezeichnen. Es liegt auf der Hand, daß eine derart enge Auffassung von der linguistischen Übersetzungstheorie, die auf der Voraussetzung basiert, daß sie sich lediglich mit einem Vergleich der Formen in verschiedenen Sprachen befaßt, auch die Begründung für den gegen die theoretische Sprachwissenschaft erhobenen Vorwurf einer „formalistischen Irrlehre" liefert. Gleichzeitig läßt sich der Einspruch ETKINDS gegen Versuche, den Gegenstand des Übersetzens in die konfrontative Sprachwissenschaft einzugliedern, nicht von der Hand weisen, denn letztere hat ihre eigenen Aufgaben, die nicht mit den Aufgaben der Übersetzungstheorie übereinstimmen. Selbstverständlich gibt es eine direkte Beziehung zum Übersetzen, aber diese reicht nicht über Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts hinaus. Gegenstand der kontrastiven Linguistik ist häufig die Gegenüberstellung konkreter sprachlicher Systeme (auf grammatikalischem, lexikalisch-semantischem und stilistischem Gebiet). Man möchte meinen, COSERITT hat recht, wenn er feststellt, die kontrastive Linguistik, die sich lediglich mit einer Gegenüberstellung der Strukturen konkreter Sprachen befaßt und „typologischen" Charakter besitzt, könne nur eine Hilfswissenschaft für die Übersetzungstheorie sein. In dem Falle jedoch, wenn die kontrastive Linguistik die faktische Anwendung inhaltlicher und materieller Strukturen erforscht, nähert sie sich seiner Meinung nach stark der auf Einzelsprachen orientierten Übersetzungstheorie. Für eine derartige kontrastive Linguistik bzw. für eine derartige Komponente der kontrastiven Linguistik stellt die Übersetzung eine s t ä n d i g e Quelle dar (siehe z. B . GAK, ROJZENBLIT 1965, FEDOROV, K U Z N E COVÄ, MOBOZOVA, CYGANOVA 1961), w e i l die E r a r b e i t u n g v o n B e z e i c h n u n g s -

äquivalenten zumindest die Übersetzung impliziert, sie voraussetzt. Die 2*

20

Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Materialien einer solchen kontrastiven Linguistik könnten die Grundlage einer Übersetzungsgrammatik und eines Ubersetzungswörterbuchs bilden. Leider aber, so bemerkt C O S B B I U , gibt es vorläufig keine solche kontrastive Linguistik (COSERITJ 1 9 8 1 ) . Und selbst wenn es sie gäbe, so könnte sie doch die Übersetzungstheorie nicht vollständig ersetzen, hat diese doch eine besondere Aufgabe, die im Rahmen der kontrastiven Linguistik ganz einfach nicht zu lösen ist: nämlich den Mechanismus des Übersetzungsprozesses selbst zu erforschen, alle die Faktoren zu definieren, die auf die übersetzerischen Lösungen Einfluß haben, die Logik dieser Lösungen aufzudecken. Es ist völlig richtig, daß eine wissenschaftliche Analyse des Übersetzungsprozesses eine Orientierung auf Ästhetik und Psychologie erfordert (das gilt übrigens nicht nur f ü r die künstlerische Übersetzung, sondern ebenso für andere Übersetzungsgenres), eine Orientierung auch auf die Ethnographie und andere angrenzende Wissenschaften. Diese Aufgabe wird jedoch zu einem großen Teil dadurch erleichtert, daß die zeitgenössische Sprachwissenschaft eng mit diesen Disziplinen verbunden ist, wodurch der Aktionsradius der Forschungsarbeiten in diesen interdisziplinären Richtungen wesentlich vergrößert wurde. Zu den angesprochenen Disziplinen gehören die Soziolinguistik und die eng mit ihr verbundene Ethnolinguistik. Die Berücksichtigung ethnolinguistischer und soziolinguistischer Sachverhalte ist speziell dann von besonderer Bedeutung, wenn in Sprachen und für Völker übersetzt wird, die sich in unterschiedlichen Etappen der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung befinden. Übersetzen ist schließlich nicht nur ein Zusammenführen von sprachlichen Systemen, sondern es ergibt sich auch ein Kontakt zwischen verschiedenen Kulturen. Beim Übersetzen kommt der sozialen Schichtung einer Sprache große Bedeutung zu. I n diesem Zusammenhang könnten die Ergebnisse einiger soziolinguistischer Untersuchungen f ü r die Übersetzungstheorie überaus nützlich sein. So hat die Soziolinguistik die allgemeine Semantiktheorie durch den Begriff „soziale Bedeutung" (social meaning) bereichert, der eine bestimmte soziale Wertigkeit darstellt, die mit der Benutzung einer Wendung in diesem oder jenem Kontext zusammenhängt. Wie GTJMPEBZ feststellt, erfolgt die Einstufung der Wertigkeit f ü r diese oder jene Gegenstände oder Handlungen ebenso willkürlich wie die referentielle Nominierung der Gegenstände. Ein und dieselbe Einheit kann in dem einen Kollektiv territoriale Unterschiede und in einem anderen soziale Unterschiede ausdrücken. Die soziale Bedeutung unterscheidet sich von der territorialen durch die Art und Weise der Kodierung : Wird die Referenz vorwiegend mit Hilfe von Wörtern kodiert, so wird die soziale Bedeutung nicht nur durch akustische Zeichen, sondern auch durch die Situation, in der die Mitteilung erfolgt, durch die Einheiten der Hinter-

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

grundinformation (Gumpebz 1972).

sowie durch eine bestimmte Wortfolge

21 ausgedrückt

Wesentlich für die Wiedergabe der sozialen Bedeutung ist die Eingrenzung der Stratifikations- und der situativen Variabilität der Sprache ( S v e j c e r 1976). Die Stratifikationsvariabilität der Sprache hängt mit der sozialen Gliederung der Gesellschaft zusammen, mit ihrer Aufspaltung in Klassen, soziale Schichten, Gruppen usw. Führen wir als Beispiel den folgenden Auszug aus der Komödie „Lysistrate" von Aristophanes an: Herold: Wo ist der groß' Rat hie z' Athen ? D' Prytanen, wo sy sie de ? I sött nen öppis säge ! Ratsherr: Bist du ein Mensch, du ? Oder ein Priap ? Herold: E Herold bin i, Herr, bim Donner, ja, vo Sparta chumen i vo wegem Friede. Ratsherr: Was trägst du denn den Spieß da unterm Arm? Herold: I trage nüt bi Gott! Ratsherr: Du drehst dich um ? Was ziehst du so den Mantel vor ? Hast du 'nen Wolf vom Marsch ? Herold: Bim Hell, dem Cheubel fehlt's im Ghopf! (Aufbau-Verlag 1979; Übersetzer Ludwig Seeger.) I m Original spricht der Bote aus Sparta einen dorischen Dialekt, der ihn als „Provinzlehrer", als „Dorftölpel" ausweist. Der Ubersetzer der deutschen Ausgabe wählt Schweizerdeutsch, um sprachliche und damit zugleich soziale Unterschiede transparent zu machen. In der russischen Übersetzung von 1934 bedient sich A. Piotrowski, um die entsprechenden sozialen Merkmale wiederzugeben, einfacher umgangssprachlicher Formen. Einen anderen Weg haben die englischen Übersetzer eingeschlagen. So spricht der Bote in der Übersetzung D. Parkers, die in den USA veröffentlicht wurde, einen betont südlichen Dialekt: HERALD: "This Athens? Where-all kin I find the Council of Eiders or eise the Executive Board? I brung some news." Der englische Übersetzer B . Rodgers (London, 1911) hat den Boten aus Sparta zu einem Schotten gemacht, indem er ihn mit klar ausgeprägtem schottischem Akzent sprechen läßt: HERALD: " Whaur sali a body fin' the Athanian Senate, or the gran' lairds ? Ha' gotten news to teil." In Nigeria spricht der Bote aus Sparta Pidgin, einen Dialekt, der ein sehr niedriges soziales Prestige besitzt: MEESENOER: " Wusa ah go find una Chiefs or wetin una de call dem leaders ? Ah bring important news for dem!" (Ibadan, 1966). Auf der Suche nach funktionalen Entsprechungen bemüht sich der Übersetzer also, Formen der Zielsprache zu finden, die der allgemeinen sprach-

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

liehen Norm widersprechen, mit einer ähnlichen sozialen Bewertung assoziiert werden und einen ähnlichen Rang in der Struktur der sozialen Stratifikation der Sprache einnehmen wie im Original. Es versteht sich von selbst, daß eine solche Lösung den Text seines nationalen Kolorits beraubt, und in dieser Beziehung erscheint die Lösung, die A. Piotrowski gefunden hat, eher gerechtfertigt. Er nutzt neutralere, umgangssprachlichere Elemente. Die situative Variabilität hängt mit der Widerspiegelung der Parameter der sozialen Situation in der Sprache zusammen, mit den Rollenbeziehungen, den allgemeinen Umständen (setting) und anderem. In einer Arbeit von Eevui-Teipp (1972) wird folgende Straßenszene vorgestellt: — What's your name, boy. . . ? — Dr. Poussaint. I'm an physician. . . — What's your first name, boy. . . ? — Älvin.

Der beschriebene Vorfall stellt einen bewußten Verstoß gegen die situationsbedingten Normen der Anrede eines unbekannten erwachsenen Menschen dar. Mit der Art und Weise, wie der amerikanische Polizist einen Farbigen anspricht, beleidigt er ihn öffentlich, indem er sein Alter und seinen sozialen Status ignoriert. Die Anrede, die einem Kind gegenüber annehmbar ist, wirkt beleidigend bei Vorliegen anderer Rollenbeziehungen. (Vgl. das oben Gesagte über die Abhängigkeit der „sozialen Bedeutung" von der Situation. Die funktionale Entsprechung einer solchen Form im Deutschen ist etwa die Anrede mit „du" und „Jungchen".) U m den Ubersetzungsvorgang richtig verstehen zu können, muß weiterhin

der Einfluß psychologischer Faktoren berücksichtigt werden. Der Einfluß dieser Faktoren, die gelegentlich „subjektive Faktoren" genannt werden, erstreckt sich sowohl auf den Übersetzungsprozeß als auch auf sein Ergebnis, und er kann durchaus mit den Begriffen der Psycholinguistik bestimmt werden. Im Herangehen an ihr Material unterscheiden sich die kontrastive Linguistik und die Übersetzungstheorie gerade dadurch, daß erstere Übersetzungen als Gegenstand von Verallgemeinerungen verwendet und dabei alle in ihnen auftretenden subjektiven Elemente unberücksichtigt läßt und statt dessen die Aufmerksamkeit primär auf diejenigen objektiven Gesetzmäßigkeiten richtet, die das Wesen der Beziehungen zwischen den gegenübergestellten Systemen charakterisieren (Filipoviö 1967). Eine Übersetzungstheorie kann demgegenüber nicht völlig von den subjektiven Elementen abstrahieren, die die Teilnehmer des zweisprachigen Kommunikationsaktes — der Verfasser des Quellentextes, der Übersetzer und der Leser der Übersetzung — in den Übersetzungsvorgang einbringen. Für den Übersetzer ist es weiterhin von großer Wichtigkeit, die territoriale Vielfalt einer Sprache zu beachten. Hier können die Ergebnisse der Dialekt-

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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forschung und der Sprachgeographie — sie erforschen die Besonderheiten der Dialekte und der sprachlichen Varianten — bedeutenden Nutzen für die Übersetzungstheorie erbringen. Beim Übersetzen ins Englische wird zum Beispiel die Auswahl der entsprechenden Variante manchmal in Abhängigkeit davon bestimmt, ob sich der vorliegende Text an britische oder amerikanische Leser wendet. So ist es charakteristisch, daß englische Leser häufig gegen die Verwendung von Amerikanismen in Übersetzungen Einspruch erheben, wie etwa instructor (in der Bedeutung „Lehrer an einer Hochschule"), graduate (in der Bedeutung „Oberschulabsolvent"), diapers („Windeln"), apartment house („Wohnblock"). An ihrer Stelle werden die folgenden britischen Varianten empfohlen: lecturer, school-leaver, nappies, block of flats. Amerikanische Leser wiederum betrachten die in den für sie bestimmten Übersetzungen auftretenden britischen Varianten als nicht akzeptabel. Der Einfluß von künstlerischen und ästhetischen Faktoren auf den Übersetzungsvorgang ist natürlich bei der Übersetzung von Belletristik besonders groß, obgleich er auch bei der Übersetzung von publizistischen Texten und sogar bei einigen Genres der wissenschaftlichen Literatur einen bestimmten Wert annehmen kann. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß eben diese Faktoren in einer Theorie der künstlerischen Übersetzung Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit sind, sie müssen jedoch auch f ü r die anderen Bereiche der Übersetzungstheorie in Betracht gezogen werden. Aus alledem ziehen wir den Schluß, daß die allgemeine Translationstheorie eine. interdisziplinäre Forschungsrichtung ist. Sie baut auf linguistische Grundlagen auf und lehnt sich eng an die konfrontative Sprachwissenschaft, die Psycholinguistik, die Soziolinguistik, die Ethnolinguistik und die Sprachgeographie an. Dem Wesen nach handelt es sich um eine Anwendung der Theorie der Linguistik auf das Übersetzen als einen konkreten T y p von sprachlicher Tätigkeit. Mithin kann eine allgemeine linguistische Theorie des Übersetzens als Zweig der angewandten Sprachwissenschaft charakterisiert werden, wenn unter der letzteren nicht ausschließlich die Komputerlinguistik (computational linguistics) verstanden wird, sondern darüber hinaus jeder Bereich der Anwendung der sprachwissenschaftlichen Theorie bei der Lösung konkreter Aufgaben. Die allgemeine Übersetzungstheorie hat ihren klar abgegrenzten Gegenstand — nämlich den Prozeß der Translation in seiner Gesamtheit und der ihm eigenen Vielfalt unter gebührender Berücksichtigung aller auf ihn einwirkenden Faktoren. Dabei versteht es sich, daß jeder einzelne Zweig der Übersetzungstheorie (so zum Beispiel die Theorie der künstlerischen Übersetzung oder die der Übersetzung publizistischer Texte) seinerseits die allgemeinen theoretischen Aussagen dieser Theorie konkretisiert und vertieft. Das ist auch deshalb richtig, weil die allgemeine Übersetzungstheorie die Gesamtheit dessen ein-

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

schließt, was allen Translationsarten gemeinsam ist. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe der einzelnen Teiltheorien des Übersetzens, die Spezifik des jeweiligen Übersetzungsgenres widerzuspiegeln. I m vorliegenden Buch soll sowohl auf die allgemeinen linguistischen Grundlagen der Übersetzungstheorie (bezogen auf die angeführten Beispiele) wie auch auf die speziellen Gesetzmäßigkeiten eingegangen werden, die sich auf die besonderen Merkmale des zu untersuchenden funktionalstilistischen Genres beziehen.

2.

Die Entwicklung der zeitgenössischen Sprachwissenschaft und die Grundrichtungen der Ubersetzungstheorie

Sowjetische Sprachwissenschaftler haben bei der Erarbeitung der Grundlagen für eine linguistische Theorie des Übersetzens eine bedeutende Rolle gespielt. Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die Initiative zur Schaffung einer allgemeinen Theorie der Translation auf sprachwissenschaftlichem Fundament von sowjetischen Sprachwissenschaftlern ausging. Sie haben nicht nur die grundlegenden Prinzipien dieser Theorie ausgearbeitet, sondern auch zum ersten Male ein geschlossenes System von Auffassungen zum Übersetzen erarbeitet, in dem die wesentlichen Ergebnisse der sowjetischen Übersetzerschule berücksichtigt wurden. (Es ist zu bedauern, daß diese grundlegenden Arbeiten sowjetischer Übersetzungstheoretiker in der ausländischen Literatur nicht immer beachtet worden sind. Das geht sogar so weit, daß in einigen bedeutend später veröffentlichten ausländischen Arbeiten zur Theorie des Übersetzens mehrfach etwas als eine „Entdeckung" ausgegeben wurde, was erstmalig in der sowjetischen sprachwissenschaftlichen Fachliteratur aufgegriffen und wissenschaftlich analysiert worden war.) Aus Raumgründen können hier nicht alle Arbeiten erwähnt werden, die von den Begründern der allgemeinen Translationstheorie verfaßt worden sind. Es soll lediglich auf diejenigen eingegangen werden, die auf linguistischen Prinzipien aufbauen. Dabei sind viele Arbeiten, die im wesentlichen von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt ausgehen — angefangen etwa mit ÖUKOVSKIJS „Vysokoe iskusstvo" („Die hohe Kunst") — für eine linguistische Theorie des Übersetzens von großem Interesse (ÖTJKOVSKIJ 1968).

Die Theorie der gesetzmäßigen E n t s p r e c h u n g e n Bei einer Betrachtung der verschiedenen Schulen und Richtungen, die es in der linguistischen Übersetzungstheorie gibt, sollte in erster Linie die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen erwähnt werden, die erstmalig von

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

schließt, was allen Translationsarten gemeinsam ist. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe der einzelnen Teiltheorien des Übersetzens, die Spezifik des jeweiligen Übersetzungsgenres widerzuspiegeln. I m vorliegenden Buch soll sowohl auf die allgemeinen linguistischen Grundlagen der Übersetzungstheorie (bezogen auf die angeführten Beispiele) wie auch auf die speziellen Gesetzmäßigkeiten eingegangen werden, die sich auf die besonderen Merkmale des zu untersuchenden funktionalstilistischen Genres beziehen.

2.

Die Entwicklung der zeitgenössischen Sprachwissenschaft und die Grundrichtungen der Ubersetzungstheorie

Sowjetische Sprachwissenschaftler haben bei der Erarbeitung der Grundlagen für eine linguistische Theorie des Übersetzens eine bedeutende Rolle gespielt. Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die Initiative zur Schaffung einer allgemeinen Theorie der Translation auf sprachwissenschaftlichem Fundament von sowjetischen Sprachwissenschaftlern ausging. Sie haben nicht nur die grundlegenden Prinzipien dieser Theorie ausgearbeitet, sondern auch zum ersten Male ein geschlossenes System von Auffassungen zum Übersetzen erarbeitet, in dem die wesentlichen Ergebnisse der sowjetischen Übersetzerschule berücksichtigt wurden. (Es ist zu bedauern, daß diese grundlegenden Arbeiten sowjetischer Übersetzungstheoretiker in der ausländischen Literatur nicht immer beachtet worden sind. Das geht sogar so weit, daß in einigen bedeutend später veröffentlichten ausländischen Arbeiten zur Theorie des Übersetzens mehrfach etwas als eine „Entdeckung" ausgegeben wurde, was erstmalig in der sowjetischen sprachwissenschaftlichen Fachliteratur aufgegriffen und wissenschaftlich analysiert worden war.) Aus Raumgründen können hier nicht alle Arbeiten erwähnt werden, die von den Begründern der allgemeinen Translationstheorie verfaßt worden sind. Es soll lediglich auf diejenigen eingegangen werden, die auf linguistischen Prinzipien aufbauen. Dabei sind viele Arbeiten, die im wesentlichen von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt ausgehen — angefangen etwa mit ÖUKOVSKIJS „Vysokoe iskusstvo" („Die hohe Kunst") — für eine linguistische Theorie des Übersetzens von großem Interesse (ÖTJKOVSKIJ 1968).

Die Theorie der gesetzmäßigen E n t s p r e c h u n g e n Bei einer Betrachtung der verschiedenen Schulen und Richtungen, die es in der linguistischen Übersetzungstheorie gibt, sollte in erster Linie die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen erwähnt werden, die erstmalig von

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R E C K E B vorgelegt wurde ( R E C K E B 1 9 5 0 ) . Verwandte Auffassungen zum Wesen des Übersetzungsprozesses fanden auch Eingang in die Arbeiten von FEDOROV. Seine im Jahre 1 9 5 3 veröffentlichte Arbeit „Vvedenie v teoriju perevoda" („Einführung in die Übersetzungstheorie") stellt — soweit uns bekannt ist — das erste grundlegende Werk zu einer linguistischen Theorie des Übersetzens dar. Dieses Werk ist bereits in drei Auflagen erschienen; die wesentlich erweiterte und überarbeitete letzte Auflage erschien im Jahre 1983 und trägt den Titel „Osnovy obsöej teorii perevoda" („Grundlagen einer allgemeinen Übersetzungstheorie"). Die von den Vertretern der sowjetischen Übersetzerschule erarbeitete Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen erweist sich nach wie vor als besonders einflußreich sowohl bei der Schaffung einer linguistischen Übersetzungstheorie als auch im Übersetzungsunterricht, der als sprachliche Disziplin betrieben wird. Auf dieser Theorie fußt auch die Mehrzahl der in der Sowjetunion erschienenen Lehrbücher und praktischen Übungsbücher zum Übersetzen. Das Positive dieser Theorie kann vor allem in der Tatsache gesehen werden, daß sie erstmalig anstelle unklarer und häufig subjektiver Äußerungen zur Adäquatheit beim Übersetzen ein auf linguistischen Prinzipien beruhendes und abgesichertes Herangehen an den Problemkreis des Übersetzens ermöglicht. Weiterhin — und hier handelt es sich um ein nicht geringer zu bewertendes Verdienst ebendieser Theorie — stützt sie sich auf den reichen Erfahrungsschatz der Übersetzungspraxis. Sie unterscheidet sich insofern von einigen der jüngeren, rein deduktiv aufgebauten Theorien, als sie die praktischen Errungenschaften der Übersetzungstätigkeit verallgemeinert. Somit erhält sie besonderes Gewicht als einer der ersten Versuche zur schöpferischen Durchdringung des Übersetzens. Der Gedanke, eine linguistische Übersetzungstheorie zu schaffen, die auf einer Analyse der gesetzmäßigen Entsprechungen zwischen den Mitteln der Quellensprache und denen der Zielsprache beruht, wurde erstmalig von R E C K E B in seinem im Jahre 1950 erschienenen Artikel „ 0 zakonomernych sootvetstvijach pri perevode na rodnoj jazyk" („Über gesetzmäßige Entsprechungen bei der Übersetzung in die Muttersprache") formuliert. „Das Übersetzen", so wurde dort postuliert, „ist ohne eine solide linguistische Grundlage gar nicht denkbar. Diese muß geschaffen werden durch eine vergleichende Untersuchung sprachlicher Erscheinungen und durch die Ermittlung von bestimmten Entsprechungen zwischen der Sprache des Originals und der Zielsprache der Übersetzung. Diese finden sich in der Lexik, der Phraseologie, der Syntax und im Stil, und sie stellen die linguistische Grundlage der Übersetzungstheorie dar." R E C K E B hat diesen Gedanken weiterentwickelt und für die gesetzmäßigen Entsprechungen eine eigene Klassifizierung vorgelegt. Das von ihm ausgear-

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

beitete Schema teilt diese in drei Gruppen: 1. Äquivalente; 2. Analogie (hierfür wird in späteren Arbeiten der Terminus „Entsprechungsvarianten" verwendet ; 3. adäquate Ersetzungen. Zur ersten Gruppe gehören die konstant bedeutungsgleichen Entsprechungen, die nicht vom Kontext abhängen. Sie umfassen vor allem bestimmte Fachtermini. Nach den angegebenen Beispielen zu urteilen, handelt es sich dabei um solche Termini, die in beiden Sprachen monosem sind. So sind zum Beispiel frz. Société des Nations, engl. League of Nations, dt. Völkerbund und russ. Liga nacij Äquivalente, da es zwischen ihnen eine vorgegebene und strenge Entsprechung gibt, die durch das Wörterbuch und nicht vom Kontext bestimmt wird. In gleicher Weise können engl, surplus value dt. Mehrwert und russ. pribavoènaja stoimosf sowie dt. Luftabwehr und russ.protivovozduënaja oborona als Äquivalente aufgefaßt werden. In die linguistische Fachsprache von heute, in der die mathematische Formulierung eines Sachverhalts bevorzugt wird, übersetzt, heißt das, daß man nur dann von Äquivalenten sprechen kann, wenn zwischen den untersuchten Einheiten in verschiedenen Sprachen die Beziehung der Eineindeutigkeit ( 1 : 1 ) gegeben ist, d. h., wenn a = b, dann b = a. Jedoch handelt es sich bei der Monosemie sprachlicher Einheiten — und das gilt in besonderem Maße für die Lexik — meist um eine Ausnahme von der Regel. Deshalb ist eine zweite Gruppe von Entsprechungen vorgesehen: sie umfaßfodie Fälle, wo für eine mehrdeutige Einheit in einer Sprache verschiedene Einheiten in einer anderen Sprache stehen. Dieser Entsprechungstyp heißt Analogie oder Entsprechungsvariante. (Die Analogie ist das Ergebnis einer Übersetzung „per Analogie", d. h., indem eines von mehreren möglichen Synonymen ausgewählt wird.) Zum Unterschied von den Äquivalenten werden somit die Analogien durch den Kontext festgelegt. So werden für das frz. Substantiv importance im Wörterbuch drei Synonyme angegeben : Wichtigkeit, Bedeutsamkeit, Bedeutung. Im Englischen kann das Adjektiv bad sowohl schlecht wie auch schlimm bedeuten, bad illness jedoch ist natürlich eine „schlimme" und nicht eine „schlechte Krankheit". Das vorliegende Klassifizierungsschema bedarf nach unserer Auffassung aber einiger Korrekturen. Spricht man von Äquivalenten, so sollte man auf jeden Fall zwischen der Äquivalenz in einer Richtung und der in zwei Richtungen unterscheiden. Die oben angeführten Beispiele standen für Äquivalenz in zwei Richtungen. League of Nations wird also in jedem Falle als Liga nacij ins Russische übersetzt und Liga nacij unabhängig vom Kontext in jedem Falle mit League of Nations ins Englische. Somit gilt ebenfalls, daß eine monoseme Interpretation einer sprachlichen Einheit mit Mitteln einer anderen Sprache nur in einer Richtung erfolgen kann (vgl. hierzu die entsprechenden Richtungen der konfrontativen Sprachwissenschaft). Es ist

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deshalb kein Zufall, daß die Autoren einer der bereits erwähnten Arbeiten zur konfrontativen Sprachwissenschaft den Übergang von einer Sprache in eine andere als „Fahrt auf einer Einbahnstraße" beschrieben haben (STOCKWELL, BOWEN 1965).

So wird zum Beispiel engl, betatron nur als betatron ins Russische übersetzt. Demgegenüber wird der russ. Terminus betatron ins Englische entweder mit betatron oder mit induction electron accelerator übersetzt. Der russ. Fachbegriff echorezonator kann nur mit echo box ins Englische übersetzt werden, im Gegensatz dazu gibt es für den engl. Fachbegriff mindestens zwei Entsprechungen im Russischen, nämlich echo-kamera und echo-rezonator. Was nun die Analogien oder Entsprechungsvarianten betrifft, so sind hier einige unterschiedliche Typen zu unterscheiden. Bei den angeführten Beispielen befanden sich die Entsprechungen in der Relation der Synonymität (vgl. „Wichtigkeit", „Bedeutsamkeit", „Bedeutung"). Das trifft gewöhnlich für die Fälle zu, wo im Wörterbuch jeweils eine Bedeutung eines fremdsprachlichen Wortes durch eine Synonymreihe umschrieben wird. Neben den inhaltlichen Synonymen, die sich in bestimmten Nuancierungen dem Sinn nach unterscheiden (für diesen Typ sind bereits Beispiele angeführt worden) und den stilistischen Synonymen vom Typ slander — Verleumdung, üble Nachrede, Klatsch, Tratsch(erei), deren Auswahl vom Kontext bestimmt wird, können jedoch auch noch Fälle auftreten, in denen die Entsprechungsvarianten echte Synonyme sind, deren Auswahl nicht vom Kontext abhängig ist. Der engl. Ausdruck Grand Jury wird ins Russische als bol'Soe zjuri oder bol'Soj sovet prisjaznych und ins Deutsche als Anklagekammer oder Großes Geschworenengericht übersetzt. Diese beiden Varianten unterscheiden sich weder im Sinn noch im Stil, und demnach spielt der Kontext der Äußerung bei der Wahl zwischen einer von beiden keine Rolle. Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß die bei dem von uns untersuchten Klassifizierungsschema angewendeten Merkmale — nämlich Monosemie bzw. Nichtmonosemie der Entsprechung auf der einen Seite und die Kontextabhängigkeit auf der anderen Seite — durchaus nicht immer zusammenfallen müssen. Schließlich kommen auch solche Fälle vor, in denen einem polysemen Wort in der einen Sprache mehrere Wörter in der anderen Sprache entsprechen, wobei diese untereinander keineswegs als Synonyme aufgefaßt werden können. Bei einem Vergleich der dt. Wörterbucheintragungen für das engl. confidence 1) Vertrauen, 2) vertrauliche Mitteilung, 3) Sicherheit, 4) Selbstvertrauen, Zuversicht fällt auf, daß die Beziehung der Synonymität zwischen den Varianten nur für eine der angeführten Bedeutungen zutrifft (Selbstvertrauen, Zuversicht); sie gilt aber nicht für diejenigen dt. Wörter, die für die verschiedenen Bedeutungen des engl. Wortes stehen. Dem Wesen nach stellt die Auswahl unter den Synonymen eine zusätzliche Etappe beim Übersetzen

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dar. Sie erfolgt, nachdem der Übersetzer sich f ü r eine der im Wörterbuch verzeichneten Bedeutungsvarianten entschieden hat. Relationen vom Typ confidence — Vertrauen und confidence — Sicherheit, bei denen es sich um Beziehungen der Monosemie zwischen einem Wort der Quellensprache (in seinen unterschiedlichen Bedeutungen) und den verschiedenen dafür in der Zielsprache aufgewendeten Wörtern handelt, die selbst untereinander keine Synonyme sind, werden in der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen unter der Rubrik „partielle Äquivalenz" erfaßt. Zur dritten Gruppe von Entsprechungen gehören die adäquaten Ersetzungen, die man dann wählt, wenn bei der genauen Wiedergabe eines Gedankens „der Übersetzer sich vom Buchstaben des Originals und den im Wörterbuch verzeichneten Entsprechungen und Ausdrücken lösen muß und vom Ganzen auszugehen hat, um zu einer Lösung zu gelangen". Hier liegt offensichtlich ein Widerspruch vor, der später von R E C K E R in dem von ihm gemeinsam mit B A R C H U D A R O V verfaßten „Kurs lekcij po teorii perevoda" („Vorlesungsreihe zur Übersetzungstheorie") ausgemerzt wurde ( B A R C H U D A R O V , R E C K E R 1968). I n dieser Arbeit werden lediglich zwei Typen von gesetzmäßigen Entsprechungen angeführt, nämlich Äquivalente und Entsprechungsvarianten, die Analogien. Was nun die adäquaten Ersetzungen anbelangt, so werden die damit umrissenen Fragen nunmehr unter der Rubrik „Übersetzungsverfahren" abgehandelt. Das ist nur logisch, denn wenn Äquivalente und Analogien wirklich Typen von Entsprechungen darstellen, dann gehören die adäquaten Ersetzungen längst nicht mehr zu einer bestimmten Gruppe von Entsprechungen zwischen Erscheinungen verschiedener Sprachen, sondern in die Technik des Übersetzens. Dem Wesen nach wird hier bereits der Versuch unternommen, den Prozeß des Übersetzens als solchen zu beschreiben, und es findet sich eine Reihe von interessanten und zutreffenden Beobachtungen, die aus einer Verallgemeinerung der übersetzerischen Praxis abgeleitet sind. R E C K E R untersucht die folgenden Verfahren, die beim Übersetzen Anwendung finden, wenn die Adäquatheit garantiert werden soll: a) Konkretisierung von undifferenzierten und abstrakten Begriffen; b) logische Ableitung von Begriffen; c) antonymische Übersetzung und d) die Kompensation. Zur Erläuterung sollen einige Beispiele angeführt werden. Die Einheiten in jeder Sprache sind bekanntlich eine spezifische Art der Widerspiegelung der uns umgebenden Wirklichkeit, wie etwa das Beispiel der Lexik deutlich zeigt. So gibt das dt. Wort Geschwister die verallgemeinerte Form eines Begriffes wieder, f ü r die im Russischen keine entsprechenden Wörterbucheintragungen zur Verfügung stehen. I n den deutsch-russischen Wörterbüchern wird die Form brat'ja i sestry (Brüder und Schwestern) angegeben, dabei ist der allgemeinere Begriff konkretisiert und differenziert worden. Das gilt auch für das engl. Wort sibling (brat üi sestra; Bruder oder Schwester), das den weiten

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Begriff umschreibt: „der dieselben Eltern hat". Bei einer Wiedergabe im Russischen und im Deutschen ist eine Geschlechtsangabe notwendig, es muß also konkretisiert werden. Hierbei ist jedoch zu ergänzen, daß beim Übersetzen auch der entgegengesetzte Fall eintreten kann, nämlich eine Erweiterung des von der einen sprachlichen Einheit bezeichneten Begriffs. Das liegt darin begründet, daß die Unterschiede in der inneren Form bei Einheiten verschiedener Sprachen sich nicht nur auf den Grad der Allgemeinheit oder der Abstraktheit bestimmter Begriffe erstrecken, sondern daß diese Einheiten die Begriffe auch in unterschiedlichem Maße detaillieren oder konkretisieren. Das „EnglischRussische Militärwörterbuch" ( S U D Z I L O V S K I J 1968) f ü h r t zum Beispiel für die Form summary court martial (einfaches Militärgericht) die Entsprechung disciplinarnyj sud (disziplinarisches Gericht) an und fügt in Klammern die Erklärung bei: „welches kleinere Disziplinarvergehen untersucht". Zur näheren Bestimmung dieses Terminus gibt „Webster's New World Dictionary" eine Reihe zusätzlicher Kriterien a n : „the least formal court, consisting of one officer for judging minor offences". Bei dieser Bestimmung wird demnach darauf verwiesen, daß dieses Gericht „the least formal", sein Verfahren also vereinfacht ist und daß es aus einem Offizier besteht. Diese Merkmale fehlen bei der russ. Übersetzung, obwohl sie zu dem Begriff gehören, für den diese Form steht. Dabei erhebt sich natürlich die Frage, inwieweit eine solche Übersetzung gerechtfertigt ist. Wir meinen, daß die im „Englisch-Russischen Militärwörterbuch" gegebene Entsprechung deshalb völlig adäquat ist, weil sie die wesentlichen Kennzeichnungen des Begriffes enthält. Es können unmöglich alle Merkmale dieses Begriffes aufgeführt werden, weil es sich dann nicht mehr um eine Übersetzung, sondern um eine umfangreiche Definition handeln würde. Somit ist es als gerechtfertigt anzusehen, wenn der Übersetzer einige Merkmale eines Begriffes wegfallen läßt bzw. verallgemeinert und erweitert. Unter der logischen Ableitung von Begriffen versteht man, daß ein Begriff an die Stelle eines anderen tritt, der zu ihm in der logischen Relation Ursache— Wirkung oder deren Umkehrung steht. So kann f ü r den engl. Satz: The workers insist on higher wages, better living conditions and shorter working hours. folgende Übersetzung gegeben werden: Die Arbeiter fordern höhere Löhne, bessere Lebensbedingungen und eine Senkung der Arbeitszeit. Die Wortgruppen Senkung der Arbeitszeit und shorter working hours bezeichnen hier im ersten Falle einen Vorgang und im zweiten sein Ergebnis, d. h. im ersten Falle wird die Ursache und im zweiten das Ergebnis angesprochen. Oder man vergleiche die Übersetzung des folgenden dt. Satzes ins Englische: Die Urheber des Marshallplanes bezogen die Teilung Europas bewußt in ihre Überlegungen ein. The authors of the Marshall plan deliberately counted on a divided Europe. Was auffällt, ist die Wiedergabe des Verbalsubstantivs Teilung, das für einen

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Prozeß steht, durch das Partizip divided, das sein Ergebnis oder eine Folge bezeichnet. Die Relation Ursache — Folge ist nur ein spezifischer Fall einer logischen Ableitung von Begriffen, wie sie beim Übersetzen häufig a u f t r i t t . GAK hat völlig zu Recht darauf verwiesen, daß es sich hierbei u m eine metonymische Umformung handelt (GAK 1971 2 ). Diese bekannte sprachliche Erscheinung bedeutet, daß eine sprachliche Einheit f ü r eine andere eingesetzt wird, und zwar auf der Grundlage der Assoziation zwischen beiden verwandten Bedeutungen. Dazu die folgenden Beispiele : The British worker's take-home pay was severely hit by inflation. Die Nettolöhne der britischen Arbeiter wurden von der Inflation hart getroffen. F ü r take-home pay, „der Lohn, der mit nach Hause genommen wird", steht Nettolohn, also f ü r die Art und Weise der E n t l o h n u n g steht das Verhältnismaß. The Company carried heavy metal. Die Kompanie war mit schweren Waffen ausgerüstet. Hier wird nach dem Prinzip „Material — Erzeugnis aus diesem Material" assoziiert. Ein ähnliches Beispiel stellt das Wort silk dar, das in der Umgangssprache der Soldaten f ü r Fallschirm steht. The pilot had no time to hit the silk. Dem Pilot gelang es nicht, mit dem Fallschirm abzuspringen. Mit dem Begriff der antonymischen Übersetzung wird eine ganze Reihe von Erscheinungen zusammengefaßt. Darunter fallen in erster Linie die Fälle, bei denen f ü r ein Wort sein A n t o n y m gesetzt wird, wobei d a n n das Verb verneint werden muß. The railroad unions have been a hotbed of Jim Grow — even the American Railroad Union headed by Eugene V. Debs, excluded Negroes from its membership. Die amerikanischen Eisenbahnergewerkschaften waren schon immer eine Hochburg des Rassismus, selbst die American Railroad Union mit ihrem Führer Eugene V. Debs nahm keine Neger als Mitglieder auf. Zu dieser Gruppe gehören auch jene Fälle, in denen der Ersatz eines Wortes durch ein A n t o n y m nicht gleichzeitig zu einer Negierung des Verbs f ü h r t , sondern in denen die Wörter ausgetauscht Werden, die die Person bezeichnen, auf die sich die H a n d l u n g bezieht oder f ü r die ein Merkmal zutrifft. Dazu gehören Übersetzungen des T y p s the inferiority of the enemy — „die Überlegenheit unserer Streitkräfte". Gelegentlich werden f ü r die antonymische Übersetzung darüber hinaus Beispiele angeführt, bei denen es überhaupt nicht zu einer Gegenüberstellung von Antonymen k o m m t . I n solchen Fällen wird f ü r eine stehende Redewendung der einen Sprache ein Ausdruck der anderen Sprache eingesetzt, dessen Äquivalenz sich jedoch erst durch Verneinung ergibt.

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Relax. Nicht aufregen! Take it easy. Reg dich wicht auf! To sit up. Nicht zu Bett gehen. Mind your own business. Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten. (Vgl. dazu auch den frz. Ausdruck Melez-vous de vos affaires.) Die Wörter mind und sich einmischen kann man auf keinen Fall als Antonyme betrachten. Noch viel weniger trifft das auf certainly und ohne weiteres zu, etwa in Übersetzungen wie: You can certainly do that für das kannst du ohne weiteres machen. Oder: Do you think I can still catch the train? — Certainly. Für: Glaubst du, daß ich den Zug noch erreiche ? — Ohne weiteres. Hier handelt es sich eher um eine Assoziation verwandter Bedeutungen, wie wir sie bereits erwähnt haben. Dieser Einwand bezieht sich aber lediglich auf die Exaktheit und die Eindeutigkeit des Klassifikationsschemas. Was die eigentlichen Übersetzungsverfahren anlangt, so sind diese hier durchaus richtig beschrieben worden. Als weiteres Übersetzungsverfahren wurde von den Begründern der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen schließlich die Methode der Kompensation angeführt. Sie haben damit eine überaus interessante Gesetzmäßigkeit des Übersetzens aufgedeckt. Diese besteht darin, daß ein Übersetzer nicht die gesamte Information einer bestimmten sprachlichen Einheit übertragen kann, wobei der dadurch eintretende Informationsverlust durch andere sprachliche Mittel kompensiert wird, die oft in ganz anderen Textabschnitten zu finden sind. In Scholochows Roman „Neuland unterm Pflug" haben z. B . die Dialektismen in der Rede der handelnden Personen die Aufgabe, ganz bestimmte zusätzliche Informationen zu vermitteln, indem sie der Rede soziales und lokales Kolorit verleihen. Zumeist wird der Übersetzer bei einer Übertragung ins Deutsche keine deutschen Dialektismen gebrauchen. Es bleibt ihm demnach nur der Weg, dafür umgangssprachliche Wendungen zu benutzen. Vorotts' zaraz ze, atov ambar zapru. Komm hierher, sag ich, sonst sperr' ich dich in den Speicher. Sama s soboj uz naöala ja gutorit'. Ich fange schon an, Mensch, mit mir selber zu reden. A vy seete melkim rjadkom, napolovinu reze, 6em zavsegda. . . . ihr sät sie nicht dicht, sondern etwa um die Hälfte weiter voneinander entfernt, versteht ihr ? No vase delo riskovoe. Aber Ihre Sache ist verdammt gefährlich (FLEISCHMANN 1 9 6 8 ) . Dadurch, daß der Übersetzer im Text die für die deutsche Umgangssprache charakteristischen Wendungen sag ich, Mensch, versteht ihr, verdammt gebraucht, wird die Informationslücke kompensiert, die aus der Nichtverwen-

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dung deutscher Dialektausdrücke, z. B . aus dem Plattdeutschen, als Äquivalente für die russ. Formen (zaraz, gutorit' usw.) resultiert. Diese Kompensation ist jedoch unvollständig, denn der russische Leser erhält trotzdem ein größeres Maß an Information als der deutsche. Das ist auch der Grund dafür, daß wir in einer Reihe von Fällen lediglich eine partielle Kompensation vor uns haben. Der Begriff der Kompensation selbst bedarf aber noch einer genaueren Präzisierung. Wenn nämlich unter Kompensation verstanden wird, daß ein sprachliches Mittel beliebig durch ein anderes ersetzt werden kann, muß wohl davon ausgegangen werden, daß jede Übersetzung im wesentlichen aus Fällen von Kompensation besteht. Da nämlich solche Sprachenpaare wie Englisch und Russisch, Französisch und Russisch sowie Deutsch und Russisch wesentliche strukturelle Unterschiede aufweisen, kann etwas, wozu in einer Sprache grammatische Mittel aufgewendet werden, in einer anderen Sprache lexikalisch ausgedrückt werden. Mit vollem Recht führte B A R C H U D A B O V hierzu einmal an: „Für die Übersetzungstheorie spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Einheiten, die einander gegenübergestellt werden, identischen Typs sind bzw. in die gleiche Ebene des sprachlichen Systems gehören (z. B. zur Lexik oder Grammatik)" (BAJRCHUDAEOV 1962). Daraus wäre zu folgern, daß die Kompensation — für den Fall, daß man sie im Sinne der angeführten Definition versteht — eine so allgemein wirkende Gesetzmäßigkeit ist, daß es eigentlich nicht angebracht erscheint, sie als ein spezifisches Verfahren des Übersetzens noch hervorzuheben. Es ist deshalb wohl zweckmäßig, unsere oben angeführte Definition etwas enger zu fassen und unter Kompensation nur solche Fälle zu verstehen, bei denen ein Teil der Information einer Einheit des Ausgangstextes in eine andere Einheit des übersetzten Textes aufgenommen wird. Wir werden im weiteren noch auf dieses Verfahren zu sprechen kommen. In der Folge wurde eine weitere Realisationsform des Ubersetzens beschrieben. Dabei handelt es sich um die sogenannte ganzheitliche Sinnumwandlung. Davon spricht man in den Fällen, in denen der Übersetzer seinen Text unabhängig von den Bedeutungen einzelner Elemente der betreffenden Äußerung allein auf der Grundlage des Sinngehaltes der gesamten Äußerung gestaltet, indem er den Inhalt in anderen Worten wiedergibt, die sich zuweilen von denen des Originals beträchtlich unterscheiden. Hierfür werden in erster Linie Beispiele angeführt, die beim Übersetzen idiomatischer Wendungen entstehen, also solcher Ausdrücke, deren Gesamtsinn nicht einfach eine Summe der Bedeutungen der einzelnen Wörter ist. Help yourself! Langen Sie zu! A good riddance ! Fort mit Schaden !

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To put a wet blanket (ort). Einen Dämpfer aufsetzen. To be like a wet blanket. Wie eine kalte Dusche wirken. Pork-barrel. Geldzuwendung. Birds of a feather flock together. Gleich und gleich gesellt sich gem. In for a penny, in for a pound. Wer A sagt, muß auch B sagen. Der Terminus „ganzheitliche Sinnumwandlung" ist nicht besonders glücklich gewählt, denn der Sinn wird durchaus nicBt umgewandelt. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Der Sinn der Äußerung wird beim Übersetzen voll und ganz erhalten. Es handelt sich eher um eine Paraphrase — der Ausgangstext wird neu ausgedrückt bzw. neu umschrieben. Als Beispiel für eine derartige „Umschreibung" ist das Übersetzen von phraseologischen Einheiten durch seine Anschaulichkeit und Einfachheit besonders geeignet, weil hier vom Sinngehalt einer Äußerung als Ganzheit ausgegangen wird. Jedoch ist dieses auf die Ganzheit gerichtete Verfahren, bei dem eine Paraphrase des ganzen Satzes oder der ganzen Wendung notwendig wird, nicht nur beim Übersetzen von Wortgruppen wichtig. Es finden sich auch Elemente dieses Verfahrens bei einigen bereits analysierten Übersetzungsverfahren, so z. B. bei der logischen Ableitung von Begriffen. Wir werden an späterer Stelle noch ausführlicher zu einigen Gesetzmäßigkeiten kommen, die den Paraphrasen beim Dolmetschen zugrunde liegen. Sie werden nicht durch die Bedeutungen der einzelnen Bestandteile einer Äußerung bestimmt, sondern sowohl durch Inhalt und Funktion der gesamten Äußerung als auch durch die strukturelle und inhaltliche Organisation des Gesamttextes. Zusammenfassend ist hinzuzufügen, daß die Bedeutung der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen weit über den Rahmen einer einfachen Konstatierung bestimmter regelhafter, wiederholt auftretender Relationen zwischen Einheiten einander gegenübergestellter Sprachen hinausgeht. Eigentlich trifft auch die Bezeichnung „gesetzmäßige Entsprechungen" nicht ganz den Kern der Sache, denn es geht hierbei sowohl um die Typen gesetzmäßiger Entsprechungen zwischen den Einheiten eines Sprachenpaares (Äquivalente, Entsprechungsvarianten) als auch um solche Gesetzmäßigkeiten, die sich direkt auf den Prozeß des Übersetzens beziehen. Es trifft dabei allerdings zu, daß die Gesetzmäßigkeiten des Übersetzungsprozesses meistens aus der Sicht der Beziehungen zwischen verschiedenen Einheiten des Textes betrachtet werden (wenn man hier einmal die antonymische Übersetzung unberücksichtigt läßt, bei der eine Kombination von lexikalischen und syntaktischen Umformungen erfolgt). Aber es wäre ungerechtfertigt, den Begründern der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen einen Vorwurf zu machen. Schließlich muß berücksichtigt werden, daß ihre Konzeption auf einer linguistischen Grundlage entstand, die noch keine 3

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gründlichere Durchdringung der Gesetzmäßigkeiten des wechselseitigen Zusammenhangs von Lexik und Grammatik im Prozeß der Erzeugung einer sprachlichen Äußerung zuließ. Deshalb konzentriert sich die Aufmerksamkeit sowohl in der allgemeinen Übersetzungstheorie als auch in den speziellen Theorien für ein spezielles Sprachenpaar, die auf dieser Konzeption aufbauen, im wesentlichen auf die Beziehungen zwischen einzelnen lexikalischen Einheiten, morphologischen Kategorien und syntaktischen Konstruktionen. In einer Reihe von Fällen geht die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen trotzdem über den Rahmen eines Vergleichs einzelner Einheiten hinaus und bewegt sich in Richtung auf eine, wie RECKER es ausdrückte, „komplexe Lösung" der beim Übersetzen zu bewältigenden Probleme.

Übersetzungstheorie und strukturelle Sprachwissenschaft Der Einfluß der strukturellen Sprachwissenschaft auf die weitere Entwicklung der Übersetzungstheorie war erheblich. So wurden innerhalb des von ihr gesteckten Rahmens zahlreiche Anstrengungen unternommen, um der Lösung der Probleme einer Automatisierung der Übersetzung näherzukommen. Für eine gewisse Zeit führte das Interesse an den Problemen des maschinellen Übersetzens sogar dazu, daß die Zielstellungen einer linguistischen Übersetzungstheorie für das traditionelle, vom Menschen ausgeführte Übersetzen vernachlässigt wurden. Eine Einschätzung der Arbeiten zum maschinellen Übersetzen gehört zwar nicht zu unseren Aufgaben, es muß jedoch an dieser Stelle angemerkt werden, daß auch diese Arbeiten in letzter Konsequenz einen unbestreitbaren Nutzen für die allgemeine Übersetzungstheorie erbrachten, indem sie bei den Sprachwissenschaftlern das Interesse an der Untersuchung linguistischer Aspekte der übersetzerischen Tätigkeit geweckt haben. Die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sich den Theoretikern der automatischen Übersetzung in den Weg stellten, haben deshalb unzweifelhaft auch eine positive Bedeutung, denn um mit ihnen fertig zu werden, bedurfte es einer noch gründlicheren Analyse des Prozesses, der vom Menschen beim Übersetzen von der einen in eine andere natürliche Sprache bewältigt wird. Unter den in dieser Richtung liegenden Arbeiten kommt dem Buch von REVZEST und ROZENCVEJG „Osnovy obsöego i masinnogo perevoda" („Grundlagen der herkömmlichen und der maschinellen Übersetzung") große Bedeutung zu ( R E V Z I N , ROZENCVEJG 1963). Diese Arbeit verdient schon allein deshalb besonderes Interesse, weil ihre Autoren sich die Aufgabe gestellt hatten, eine Brücke von der Theorie des maschinellen Übersetzens zur „traditionellen" Übersetzungstheorie zu schlagen, als deren Variante insbesondere die

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weiter oben behandelte Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen anzusehen ist. Hervorgehoben werden muß auch, daß im Unterschied zu einer Reihe von anderen Arbeiten zum Übersetzen, die von den Positionen der strukturellen Linguistik aus verfaßt wurden, das Werk von R E V Z I N und R O Z E N C V E J G von einer positiven Beurteilung der traditionellen Übersetzungstheorie ausgeht, die für die Autoren „eine Reihe wertvoller und sehr leicht formalisierbarer Begriffe" enthält. Es ist das Ziel der Autoren, die Probleme der traditionellen Übersetzungstheorie mit den Termini der strukturellen Sprachwissenschaft zu beschreiben. Doch die Bedeutung dieses Buches erschöpft sich nicht in einer einfachen Neuformulierung einer traditionellen Theorie, denn die Verfasser führen auch eine Reihe neuer Begriffe in die Übersetzungstheorie ein. In einigen Fällen nehmen sie sogar wesentliche Änderungen in der Behandlung der Probleme des Übersetzens vor. Ihr größtes Verdienst ist jedoch, daß sie zu den ersten gehören, die die Übersetzungstheorie in die Entwicklungslinie der zeitgenössischen Sprachwissenschaft eingeordnet haben. Der Gegenstand der Übersetzungstheorie wird in ihrem Buch genau definiert. Nach den Worten der Verfasser besteht dieser Gegenstand im eigentlichen Prozeß des Übersetzens (translating), bei dem der Übergang von einem Zeichensystem in ein anderes vollzogen wird. Er kann mit semiotischen Termini, also unter dem Aspekt der Semiotik — der Wissenschaft von den allgemeinen Eigenschaften der Zeichensysteme, zu denen auch die sprachlichen Systeme zu rechnen sind —, beschrieben werden. R E V Z I N und R O Z E N C V E J G vertreten die Auffassung, daß die Übersetzungstheorie vorwiegend deduktiv aufgebaut werden muß, da sie sonst in Stilistik, Grammatik und Lexikologie zerfällt und somit ihren spezifischen Gegenstand aus den Augen verliert. Doch kann man für das Übersetzen kein deduktives Modell aufbauen, ohne sich bei der Schaffung dieses idealisierten Modells auf spezifische Beispiele zu stützen. Im übrigen erscheint die Möglichkeit des Aufbaus einer solchen Theorie auf dem Wege der reinen Deduktion recht wenig wahrscheinlich. Man muß daher K A D E beipflichten, wenn dieser die Auffassung vertritt, daß es die reine Deduktion in dem Sinne, wie sie in der Mathematik auftritt, in den empirischen Wissenschaften, zu denen auch die Übersetzungstheorie zu rechnen ist, nicht geben kann (KADE 1968). In ihrem Buch werfen die Verfasser eine weitere Frage auf, die für die Übersetzungstheorie von prinzipieller Bedeutung ist —" nämlich die nach den Zusammenhängen zwischen innersprachlichen und außersprachlichen Gegebenheiten und danach, wie diese Zusammenhänge in theoretischen Verallgemeinerungen erfaßt werden können. Dabei gehen sie davon aus, daß „der Gegenstand der Übersetzungstheorie dem Gegenstand der strukturellen 3*

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Sprachanalyse selbst sehr nahe steht, denn die strukturelle Erforschung der Sprache verfolgt das Ziel, die Regeln bzw. Gesetzmäßigkeiten für die Organisation sprachlicher Äußerungen durch das sprachliche System zu erfassen" ( R E V Z T N , R O Z E N C V E J G 1963, S. 22). Mit dieser Feststellung wird sichtbar, daß sich die Verfasser auf eine linguistische Theorie orientieren, die auf der Beschreibung und Interpretation sprachlicher Erscheinungen im Rahmen der innersprachlichen Beziehungen fußt und keine Analyse zuläßt, die die Grenzen der Struktur der Sprache überschreitet. Unbestreitbar ist ein derartiges Vorgehen bei der Lösung der Probleme des maschinellen Übersetzens wichtig, denn die Übersetzungsmaschine kann ja nur die Information erfassen, die im Text formal ausgedrückt ist. Das Grundproblem besteht dabei darin, die sprachlich kodierte Information in die formalisierte Komputersprache umzukodieren. Die vorbehaltlose Ausdehnung eines solchen Vorgehens auf das Humanübersetzen dürfte jedoch kaum in der Lage sein, den Ablauf der übersetzerischen Tätigkeit voll zu durchdringen und die dabei auftretenden Gesetzmäßigkeiten herauszufinden. Es ist jedem in der Praxis tätigen Übersetzer und Dolmetscher geläufig, daß das Wissen um die konkrete Situation, in der ein bestimmter zweisprachiger Kommunikationsakt abläuft, sowie um den Sachverhalt, der in der zu übersetzenden Mitteilung geschildert wird, von der gleichen Bedeutung ist, wie die Beherrschung der übersetzerischen Routine in bezug auf ein bestimmtes Sprachenpaar. Wie läßt sich das nun mit der Forderung, den Rahmen der innersprachlichen Beziehungen nicht zu sprengen, unter einen Hut bringen ? Zur Lösung dieses Problems wird der Vorschlag unterbreitet, die übersetzerische Tätigkeit in zwei Komponenten aufzuspalten. Es sind dies das eigentliche Übersetzen, das nach vorgegebenen Regeln abläuft und bei dem die außersprachliche Realität unberücksichtigt bleibt, und die I n t e r p r e t a t i o n , bei der außersprachliche Gegebenheiten Berücksichtigung finden können. An dieser Stelle sei der Hinweis angebracht, daß den Verfechtern dieser Konzeption bewußt daran gelegen ist, einen komplizierten und in sich widersprüchlichen Prozeß zu vereinfachen. Sie gehen dabei davon aus, daß sich eine solche Vereinfachung in völliger Übereinstimmung mit dem Prinzip befindet, wonach vom Einfachen zum Komplizierten vorgegangen wird. Dazu muß aber auch festgestellt werden, daß jede Vereinfachung nur innerhalb bestimmter Grenzen zulässig ist. Wenn es auf einer bestimmten Stufe der wissenschaftlichen Analyse völlig gesetzmäßig und zuverlässig ist, eine komplizierte und vielseitige Erscheinung auf ihre einfachsten Elementarformen zu reduzieren, so kann man einer Vereinfachung dann nicht mehr zustimmen, wenn wesentliche Faktoren dieser Erscheinung unberücksichtigt bleiben.

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Ein Modell des Übersetzungsprozesses, das auf ein so wichtiges Moment verzichtet, wie es der Bezug auf die Wirklichkeit, auf die reale Situation ist, kann deshalb in keiner Weise zur Erhellung der Probleme beitragen. Die Vorstellung, daß der Mensch übersetzt, indem er einen Text der Quellensprache (QS) in die Zielsprache (ZS) allein nach vorgegebenen Entsprechungen überträgt, ohne dabei einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen oder auf bisherige Erfahrungen zurückzugreifen, widerspricht ganz eindeutig allem, was uns über die tatsächlich ablaufenden Prozesse beim normalen, d. h. beim Humanübersetzen bekannt ist. Selbst beim Simultandolmetschen, wo nach Auffassung der Anhänger der hier diskutierten Konzeption die Übertragung der Information fast ohne Rückbezug auf die Realität erfolgt, kann es doch wohl kaum eine Umsetzung ohne das geben, was im Alltag Vertrautheit mit dem Gegenstand genannt wird. Ohne sie ist der Simultandolmetscher gar nicht in der Lage, die bei dieser Art der Sprachmittlung notwendige Kompression der Information vorzunehmen, d. h. unwesentliche und zweitrangige Einzelheiten wegzulassen (CüBirov 1958). Gerade die Abgrenzung von Wichtigem gegenüber Unwichtigem setzt voraus, daß der Dolmetscher mit dem Gegenstand ausreichend vertraut ist. Die Einbeziehung der außersprachlichen Information ist vor allem dann von entscheidender Bedeutung für die Auswahl einer bestimmten Variante, wenn bei der ausschließlich auf linguistischen Kriterien beruhenden Analyse des Sinns einer Äußerung kein eindeutiges Ergebnis zustande kommt. Das liegt daran, daß in keinem Produkt der menschlichen Rede alles eindeutig ausgedrückt wird, bzw., wie es der Linguist nennt, explizit ist. Vieles bleibt normalerweise unausgedrückt, wird assoziiert bzw. ist implizit, denn jede Äußerung richtet sich an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Kreis von Empfängern. Der Verfasser einer Äußerung geht generell davon aus, daß seine Hörer oder Leser über ausreichende Kenntnisse verfügen, um eine bestimmte Mitteilung ohne erläuternde Details interpretieren zu können. Wir werden im weiteren noch ausführlich auf diesen Aspekt von Kommunikationsakten und seine Relevanz für das Dolmetschen und Übersetzen zu sprechen kommen. An dieser Stelle wollen wir uns auf ein Beispiel aus dem Militärwesen beschränken. Es zeigt, wie wichtig die außersprachliche Information für das Verstehen des Originals und die Auswahl der Übersetzungsvapiante ist. A rifle Company is extre.me.ly light when moving on foot, too light probably for unsupported action under normal battle conditions. Hält man sich hier ausschließlich an die linguistischen Merkmale, dann kann dieser Satz zwei verschiedene Lesarten haben. Das Adjektiv light (leicht) kann im vorliegenden Kontext mit leicht ausgerüstet und, etwas konkreter, mit leicht bewaffnet wiedergegeben werden. Auch die Doppelausdeutung unsupported — ohne materialtechnische Versorgung und ohne Artille-

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neunter Stützung — ist möglich. Stellen wir die beiden Varianten einmal gegenüber: 1) Beim Vorrücken fuhrt eine Schützenkompanie nur sehr leichte Ausrüstung, die wahrscheinlich für den Einsatz unter normalen Gefechtsbedingungen ohne material-technische Versorgung nicht ausreicht. 2) Beim Vorrücken führt eine Schützenkompanie nur sehr leichte Waffen, die wahrscheinlich für den Einsatz unter normalen Gefechtsbedingungen ohne Artillerieunterstützung nicht ausreicht. Ein mit dem Gegenstand vertrauter Übersetzer wird die erste Variante verwerfen, denn eine Schützenkompanie muß immer materialtechnisch versorgt werden, ganz gleich, wie sie ausgerüstet ist. Gleichzeitig kann er reale Situationen einkalkulieren, in denen die Kompanie entweder selbständig handeln und dabei mit der eigenen Feuerkraft auskommen muß oder von anderen Einheiten Artillerieunterstützung erhält. Diese ganze Kombinationskette, die bei der Auswahl der endgültigen Variante von entscheidender Bedeutung ist, resultiert aus der Berücksichtigung der außersprachlichen Information. In der Praxis des Dolmetschens und Ubersetzens kommt es immer wieder zu groben Fehlern, die sich mit unzureichender Sachkenntnis erklären lassen. Es ist deshalb kein Zufall, daß die künstliche Gegenüberstellung von Übersetzung und Interpretation in das Blickfeld von Übersetzungsexperten geraten ist, die zu bedenken geben, daß ein Bezug auf die Wirklichkeit in allen Fällen der vom Menschen ausgeübten Übersetzungs- und Dolmetscherpraxis notwendig ist (KUZ'MTN 1968; FEDOBOV 1968). Charakteristisch für diese Art des Übersetzens und Dolmetschens ist eben eine untrennbare Verbindung der eigentlich linguistischen und der extralinguistischen Faktoren. Deshalb kann eine Methodik, die auf der Analyse allein der formalen und strukturellen Gesetzmäßigkeiten aufbaut, nicht dazu beitragen, die Wechselbeziehungen zwischen linguistischen und außerlinguistischen Faktoren zu erhellen, die im Prozeß des Humanübersetzens wirken und seine Spezifik bestimmen. Dabei wollen wir keineswegs die Rolle einer formalen und strukturellen Analyse in der Übersetzungstheorie leugnen. Wir wollen lediglich hervorheben, daß diese Analyse einhergehen muß mit der Erfassung nichtlinguistischer Gegebenheiten, die im Übersetzungsprozeß eine Rolle spielen. Gleichzeitig steht aber auch fest, daß die Ergebnisse der strukturellen Sprachwissenschaft von großer Bedeutung für die Ausarbeitung der wesentlichen Grundlagen der Übersetzungstheorie waren. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang der in dem Buch von REVZIN und ROZENCVEJG verwendete und erläuterte Terminus „Mittlersprache". Dieser Gedanke war erstmalig im Zusammenhang mit dem Maschinenübersetzen aufgetaucht. In ihren Arbeiten versuchen REVZM und ROZENCVEJG,

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diesen Begriff auf das vom Mensehen praktizierte normale Übersetzen zu übertragen. Dem Wesen nach handelt es sich hier um das Problem einer Metasprache der Übersetzungstheorie. Einerseits wird unter einer Metasprache in der Linguistik eine „Sprache zweiter Ordnung" verstanden, also eine Sprache, in der Urteile über die natürliche Sprache gefällt werden. Hierbei kann es sich um eine Reihe linguistischer Fachausdrücke handeln, die einem bestimmten System von Begriffen entsprechen, die ihrerseits wesentliche Merkmale von Sprachen widerspiegeln und die somit die Möglichkeit bieten, die formale, äußere, wie auch die innere, die inhaltliche Seite zu beschreiben. Andererseits versteht man unter einer Metasprache in der Sprachwissenschaft gelegentlich eine abstraktere Art von Sprachbeschreibung. Bezogen auf den Übersetzungsprozeß, gehören dazu: a) eine Anzahl elementarer sinntragender Einheiten; b) eine Beschreibung der Generierung des entsprechenden Abschnittes im Text; c) die entsprechende stilistische Beschreibung. Somit ist die Metasprache oder „Mittlersprache" des Übersetzens ein Komplex struktureller und linguistischer Beschreibungen, die es — nach Auffassung der Verfasser — gestatten, den Übersetzungsprozeß mit dem notwendigen Grad an Vollständigkeit zu beschreiben. Die sprachwissenschaftliche theoretische Grundlage ist demnach einerseits die generative Grammatik, in deren Terminologie die grammatischen Aspekte des Übersetzungsprozesses beschrieben werden, sowie andererseits die Theorie der Komponentenanalyse, mit deren Hilfe einige lexikalische Aspekte dieses Prozesses durchdrungen werden können. Dadurch wird es möglich, ein „Netz von Entsprechungen" zwischen den QS- und ZS-Einheiten zu schaffen und die Gesetzmäßigkeiten des Übersetzungsprozesses aufzudecken. Obwohl die verwendete Terminologie „Netz Von Entsprechungen" den Eindruck entstehen lassen könnte, daß es sich um ein statisches System handelt, das sich nur geringfügig von dem in der konfrontativen Grammatik gebräuchlichen unterscheidet, haben die Autoren aber einen der ersten Versuche zur Schaffung eines dynamischen Modells des Übersetzungsprozesses unternommen. In dieser Beziehung kommen ihre Ergebnisse denen von N I D A sehr nahe, obwohl sie den grundlegenden Ablauf des Übersetzens anders sehen als er ( N I D A 1969). Wie N I D A konzentrieren auch sie ihre Aufmerksamkeit auf das Übersetzen als Prozeß, wobei sie sich weitgehend auf den theoretischen Apparat der generativen Grammatik und den der lexikalischen Komponentenanalyse stützen.

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Generative Grammatik und Übersetzen Eingangs sollen einige der Aussagen dieser linguistischen Theorie daraufhin untersucht werden, ob sie für das Übersetzen genutzt werden können. In den weiteren Abschnitten werden wir dann ausführlicher darauf eingehen, auf welche Weise sie für einige konkrete Aufgaben des Übersetzens anwendbar sind. Betrachten wir zunächst die in dieser Theorie postulierten Prinzipien über das Herangehen an sprachliche Erscheinungen, soweit sie uns für die Theorie des Übersetzens als wesentlich erscheinen. Die Idee zur Schaffung einer generativen Grammatik geht auf CHOMSKY zurück (CHOMSKY 1965). Den Gedanken CHOMSKYS liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Sprache als ein wirkender Mechanismus angesehen werden muß, der mit Hilfe eines Katalogs von Regeln in der Lage ist, aus einer begrenzten Anzahl von elementaren Kernsätzen eine endlose Anzahl grammatisch richtiger Aussagen zu generieren. Diese Kernsätze sind die einfachsten syntaktischen Modelle für die gegebene Sprache, von ihnen werden durch eine Reihe von Transformationen (Umformungen) die sogenannten Oberflächenstrukturen abgeleitet. Das sind die in der realen Sprachpraxis vorkommenden syntaktischen Konstruktionen, deren Aufbau mehr oder weniger kompliziert ist. Es folgt eine Aufstellung von Kernsätzen der englischen Sprache, wobei es natürlich nicht um die konkreten Sätze, sondern um die durch sie repräsentierten Strukturtypen geht: 1. John ran quickly. 2. John hit Bill. 3. John gave Bill a ball. 4. John is sick. 5. John is a boy. 6. John is my father. ( N I D A , T A B E R 1 9 6 9 ) . Aus jedem dieser Kernsätze kann nunmehr eine ganze Reihe abgeleiteter Strukturen (Transforme) gebildet werden. Als Beispiel wollen wir die Transforme des Kernsatzes John hit Bill anführen: 1. John hit Bill. 2. Bill was hit by John. 3. John's hitting Bill. 4. Bill's being hit by John. 5. The hitting of Bill by John. 6. It was John who hit Bill. 7. It was Bill who was hit by John. Es wird deutlich, daß die grammatischen Transformationen Paraphrasierungen sind. Sie stellen verschiedene Verfahren dar, eine bestimmte Äußerung

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sprachlich umzuformulieren. Betrachten wir nunmehr die Grundtypen dieser Transformationen, ohne dabei jedoch den gesamten umfassenden Apparat der transformationeilen Analyse zu benutzen, weil dies für unseren Zusammenhang zu weit führen würde. Gewöhnlich werden zwei Grundtypen von Transformationen unterschieden: Transformationen, die mit einer Umformung der syntaktischen Struktur von Kernsätzen verbunden sind, und Transformationen, die durch eine Kombination mehrerer Kernsätze zu einem einheitlichen Ganzen entstanden sind. Zu den ersteren gehören die Umformungen von Aktiv- in Passivkonstruktionen (John hit Bill — Bill was hit by John), von Bejahung in Verneinung (John hit Bill — John did not hit Bill) und von Bejahung in eine Frage (John hit Bill — Did John hit Bill?). Zur zweiten Gruppe gehören die Fälle einer Kombination von Kernsätzen mit Hilfe von Konjunktionen (Some people worked while others watched; He went home because he was tired; He said that he was ill) oder Relativpronomen (The car which I drove broke down; I met the man whom I had known) sowie unter Verwendung konjunktionsloser Konstruktionen mit Kernsatzcharakter (z. B. We saw him leave the room — We saw him; He left the room oder: His leaving the room surprised me — He left the room, [this] surprised me). Daneben schließen die Transformationsregeln auch die Fälle ein, bei denen die Kombinationen von Kernsätzen zu einer Oberflächenstruktur mit der Tilgung eines Elements der Tiefenstruktur verbunden ist, welches vom Kontext ohne weiteres kompensiert wird (z.B. He was in New York und He was ill kann umgebildet werden in: While in New York, he was ill); sowie die Fälle, in denen bestimmte Elemente des Kernsatzes in der Oberflächenstruktur durch lexikalische Mittel ersetzt werden (z. B. ist der Satz I went home and so did he ein Transform aus zwei Kernsätzen — I went home und He went home). Da die Umformung sprachlicher Äußerungen den wesentlichen Inhalt des Übersetzens darstellt, stieß die Transformationsgrammatik verständlicherweise bei den Wissenschaftlern auf Interesse, die ein dynamisches Modell für das Übersetzen schaffen wollten. Dabei ergaben sich jedoch wesentliche Auffassungsunterschiede. Dieee betrafen einmal die Einschätzung der erklärenden Kraft des vorliegenden Modells in bezug auf das Übersetzen, zum anderen ergaben sie sich im Zusammenhang mit der Rolle, die den Transformationen im Übersetzungsprozeß eingeräumt wurde (KOMISSAROV 1 9 7 0 ) . Wir werden uns im folgenden ausführlicher mit dem Transformationsschema befassen, das NIDA in seinen Arbeiten verwendet. Nach dem von ihm vorgelegten Modell kann der Übersetzungsprozeß auf zweierlei Weise beschrieben werden. Meist stellt man sich diesen Prozeß als geradlinige Verbindung zwischen QS und ZS vor, wobei die Verbindung entweder über eine

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Mittlersprache (natürliche oder künstliche Sprache) oder direkt hergestellt werden kann. A

(x)

B

I n diesem Schema steht A f ü r die QS, B für die ZS und (x) f ü r die Mittlersprache, deren Vorhandensein in der Darstellung — nach N I D A — am Wesen der Sache nichts verändert, da im einen wie im anderen Falle die Übersetzungsregeln auf Oberflächenstrukturen angewendet werden. S t a t t dieses vereinfachten Modells schlägt N I D A ein komplizierteres Modell vor, wonach der Übersetzungsprozeß in drei Etappen zerfällt: Analyse, Übertragung und Neuaufbau ( N I D A 1969). Unter Analyse (analysis) wird die Aufnahme oder die Durchdringung der zu übersetzenden Mitteilung verstanden, unter Neuaufbau (restructuring) die Synthese oder Generierung der entsprechenden Äußerung in der Zielsprache. Der Begriff der Übertragung (transfer) erfordert ein tieferes Eindringen in das Wesen des vorgeschlagenen dreistufigen Modells.

A (Ausgang)

B (Endergebnis)

Analyse

Neuaufbau

l

Übertragung

*-y

Hier wird der Übersetzer mit einem Wanderer verglichen, der an das andere Flußufer übersetzen will. Er t u t dies aber nicht an einer Stelle, an der der Fluß tobt oder sehr tief ist, sondern er geht solange stromaufwärts oder stromabwärts am Ufer entlang, bis er eine gefahrlose Stelle f ü r die Überquerung gefunden hat. So erreicht er den vorgegebenen P u n k t am anderen Ufer auf einem Umweg. Bezogen auf die grammatischen Strukturen, sieht ein solches „Umgehungsmanöver" beim Übersetzen wie folgt aus: Der Übersetzer bemüht sich nicht lange, unmittelbare Entsprechungen für die Oberflächenstrukturen verschiedener Sprachen zu finden, zwischen denen es keine umkehrbar eindeutigen Beziehungen gibt. Statt dessen analysiert er die Oberflächenstruktur in der Quellensprache mittels Umkehrtransformationen (d. h., er verwandelt die Oberflächenstrukturen in Kernsätze) und findet dann eine zielsprachliche Entsprechung f ü r den Kernsatz aus der Quellensprache (das entspricht der von uns oben erwähnten Etappe der Übertragung). Diese ZS-Entsprechung

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wird dann durch direkte Transformationen in eine Oberflächenstruktur der Zielsprache verwandelt (Etappe des Neuaufbaus). Da die in jeder Sprache mögliche Anzahl von Transformationen mehrere Varianten für die Paraphrasierung einer Äußerung zuläßt, zwischen denen stilistische Unterschiede bestehen, wird in der Etappe des Neuaufbaus die Verwandlung des Kernsatzes der Zielsprache in eine Oberflächenstruktur unter Berücksichtigung stilistischer Kriterien vorgenommen. Doch warum ist dieses „Umgehungsmanöver" überhaupt nötig, und was berechtigt zu der Annahme, daß es sich hierbei nicht um ein einmaliges und besonderes Verfahren handelt, sondern um eine objektive Gesetzmäßigkeit, die als Charakteristikum für jede gute Übersetzung gelten kann? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns von den allgemeinen Prinzipien der semantischen Analyse grammatischer Konstruktionen beim Übersetzen leiten lassen. Es ist vorteilhafter, bei der Analyse des Sinngehaltes grammatischer Konstruktionen in der QS und bei der Suche nach Entsprechungen in der Z S mit semantischen und nicht mit grammatischen Kategorien zu arbeiten, denn die grammatischen Kategorien unterscheiden sich von Sprache zu Sprache. Stellt man Formen verschiedener Sprachen einander gegenüber, müssen sie erst auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Dazu eignen sich aber die Kategorien der Grammatik nicht, weil sie dem Wesen nach Kategorien für die Oberflächenstrukturen sind. Die Kategorien der Semantik dagegen sind verschiedenen Sprachen gemeinsam. In der Grammatik werden so z. B. Kategorien wie Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb, Präposition und Konjunktion verwendet. Der wahre Gehalt dieser Kategorien wird jedoch durch die formale Struktur einer jeden Sprache festgelegt. An anderer Stelle konnten wir bereits feststellen, daß die Zugehörigkeit von miteinander verglichenen Einheiten zu einer bestimmten grammatischen Kategorie keine wesentliche Bedeutung für das Übersetzen hat. Die Aufmerksamkeit des Ubersetzers gilt dem Sinn des Textes und seiner Komponenten. Was die Wiedergabe des Sinns der Redeteile anbelangt, so gibt es dabei keine klar markierten Abgrenzungen. Ihre Bedeutungen überkreuzen sich vielmehr häufig. So kann die Handlungs- oder die Verlaufsbedeutung, die gewöhnlich einem Verb zugeschrieben wird, in einer Reihe von Sprachen mit Hilfe eines Substantivs wiedergegeben werden (z. B. im Englischen the signing of a treaty, a long walk, a lightning). Deshalb ist es bei der Sinnanalyse der Oberflächenstrukturen des Ausgangstextes zweckmäßig, vor allem dessen Inhalt in die Sprache der semantischen Kategorie zu übertragen. N I D A führt vier semantische Kategorien ein, die universell in allen Sprachen anzutreffen sind: Gegenstand (object), Ereignis oder Prozeß (event), Abstraktum (abstract) und Beziehung (relation). Die Relation dieser Kategorien zu bestimmten grammatischen Klassen

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unterscheidet sich dabei von Sprache zu Sprache. Die Klasse der Gegenstände umfaßt eine recht breite semantische Kategorie, zu der die Dinge oder Lebewesen gehören, die an Prozessen beteiligt sind (z. B. Haus, Hund, Mensch, Tisch). Meistens sind die Glieder dieser Klasse Substantive. Der Prozeß ist eine semantische Kategorie, die Handlungen, Ereignisse und Vorkommnisse umfaßt. Charakteristische Vertreter dieser Kategorie — aber durchaus nicht die einzigen — sind die Verben (laufen, springen, erscheinen, ersetzen u. a.). Zu den Abstrakta gehören die verschiedensten Elemente der Oberflächenstruktur, die Qualität, Quantität und Intensität von Gegenständen, Prozessen und anderen Abstrakta betreffen (z. B. rot, schnell, zwei, zweimal, viel, selten, wenig, sehr, allzu). Adjektive, Adverbien und Numerale sind typische Vertreter dieser Kategorie. In die Klasse der Beziehungen gehören die semantischen Elemente, die die inhaltlichen Beziehungen zwischen Gegenständen, Prozessen und Abstrakta herstellen. Für ihre grammatische Realisierung stehen die Wortfolge, die Flexion, Präpositionen, Konjunktionen und die Kopula zur Verfügung. Weiterhin werden innerhalb dieser semantischen Klassen Unterklassen vorgesehen. So zum Beispiel können die Gegenstände sowohl als Subjekt oder Agens (agent) auftreten, d. h. als jemand, der eine Handlung ausführt bzw. einen Prozeß oder eine Handlung auslöst, oder auch als Objekt (goal), auf das die Handlung gerichtet ist. Dabei dürfen Subjekt oder Agens nicht mit dem grammatischen Subjekt und das Objekt nicht mit dem grammatischen Objekt verwechselt werden. Agens kann zum Beispiel nicht nur he in dem Satz He left Moscow sein, sondern auch his in His leaving Moscow. Objekt ist nicht nur Peter im Satz Paul reprimanded Peter, sondern auch Peter's im Syntagma Peter's reprimand by Paul. Die Abstrakta können ihrerseits unterteilt werden in solche der Qualität (schnell), der Quantität (zwei, zweimal, viel, häufig) und des Grades (allzu, sehr). Die hier dargelegte semantische Klassifizierung ist für die Durchdringung des Übersetzungsprozesses von wesentlicher Bedeutung. Auf der Grundlage der Gemeinsamkeiten in ebendiesen semantischen Kategorien werden Äquivalenzbeziehungen gerade zwischen Einheiten hergestellt, die zu ganz unterschiedlichen formalen Kategorien gehören können und sogar in verschiedene Ebenen einzuordnen sind. So wird die gleiche Verknüpfung des Sinns im Russischen und Deutschen mit Hilfe der Kasusflexion und im Englischen mit einer Präposition dargestellt: The Taming of the Shrew; Ukrosienie stroptivoj; Der Widerspenstigen Zähmung. Wichtiger aber noch ist für uns die Tatsache, daß es zwischen semantischen und grammatischen Kategorien keine umkehrbar eindeutigen Beziehungen gibt. Darüber hinaus kann dieselbe sprachliche Einheit in Abhängigkeit vom Kontext in verschiedene semantische Kategorien einzugliedern

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sein. Die grammatische Charakteristik eines Wortes, etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wortart, liegt ein für allemal fest. Das engl. Wort foundation ist immer ein Substantiv; in den Fällen, in denen es die Bedeutung „Gründung" hat, bezeichnet es jedoch einen Prozeß und in der Bedeutung „Fundament" einen Gegenstand. Solche Mehrdeutigkeiten bei der Interpretation des Sinns werden nicht immer durch den Kontext der umgebenden Wörter ausgeschlossen. Was zum Beispiel bezeichnet das Syntagma the foundation of the schooU Es kann sich sowohl um „die Gründung der Schule" als auch um „das Fundament der Schule" handeln. Wenn es der Kontext erlaubt, können wir die Umkehrtransformation ansetzen: the foundation of the school mit partizipialer Einleitung aufgelöst werden: Vom Weißen Haus unter Druck gesetzt oder im Stil des offiziellen Verkehrs: Zum Zwecke der Uberprüfung seiner Entscheidung. Wir werden im folgenden noch ausführlich auf die Möglichkeiten der Anwendung von grammatischen Transformationen bei semantischen und stilistischen Problemen des Übersetzens zu sprechen kommen. Vorerst steht aber noch die Frage, ob die grammatischen Transformationen als universelles Übersetzungsverfahren betrachtet werden können.

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Die Schlußfolgerung, daß das dargelegte Transformationsschema ein universelles Modell des Übersetzungsprozesses darstellt, erscheint uns rein spekulativ. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens kann es zwischen den Strukturen verschiedener Sprachen (insbesondere bei verwandten Sprachen) durchaus direkte Entsprechungen geben, und zwar nicht erst auf der Ebene von Kern- oder kernnahen Sätzen, sondern auch auf der Ebene der Oberflächenstrukturen. Unter Verwendung des Nidaschen Bildes kann man sagen, daß es kaum sinnvoll erscheint, dort nach Umwegen zu suchen, wo man auf dem kürzesten W e g an das andere Flußufer übersetzen kann. Wenn wir noch einmal zu dem angeführten Beispiel mit dem Wort foundation zurückkehren, so erscheint es kaum notwendig, das Syntagma the foundation of the house in den Kernsatz the house has the foundation umzuwandeln, wie das die Regeln der Transformationsgrammatik vorschreiben. Besonders dann nicht, wenn es im Deutschen auf der Ebene der Oberflächenstrukturen den analogen Ausdruck das Fundament des Hauses gibt. Zum zweiten ist es nicht möglich, innerhalb der engen Grenzen des Nidaschen Modells die zahlreichen Fälle von lexikalischen und syntaktischen Paraphrasen einzuordnen, die beim Übersetzen auftreten. Mit Hilfe dieses Modells könnten z. B. kaum jene oben beschriebenen Fälle der „antonymischen Ubersetzung" erklärt werden. Bei der getrennten Betrachtung von lexikalischen und grammatischen Problemen des Übersetzens (erstere werden hauptsächlich in der Terminologie der Komponentenanalyse behandelt) haben die Vertreter dieser Konzeption gerade einen für das Übersetzen sehr bedeutsamen Aspekt außer acht gelassen, und zwar die gegenseitige Beeinflussung, die lexikalische und grammatische Mittel bei der Analyse und der Generierung von sprachlichen Äußerungen aufeinander ausüben (SVEJCER 1970). Wenn hier gegen die Behauptung, daß das transformationelle Übersetzungsmodell universell sei, polemisiert wird, dann soll damit durchaus nicht das angezweifelt werden, was wir in bezug auf die semantische Analyse von grammatischen Konstruktionen festgestellt haben. Die Vorstellung, daß während des Übersetzens sprachliche Fakten aus den unterschiedlichen Systemen vom Gesichtspunkt universeller semantischer Kategorien aus analysiert werden, erscheint uns voll und ganz abgesichert und entspricht der übersetzerischen Praxis. Jeder Ubersetzer führt diese Analyse — bewußt oder unbewußt — durch. Doch dazu ist die Transformation der jeweiligen Äußerung in einen Kernsatz nicht absolut notwendig. In unserem Beispiel entscheiden wir anhand des Kontextes, ob foundation einen Gegenstand oder einen Prozeß bezeichnet, ohne erst das Syntagma the foundation of the house in einen Kernsatz zu transformieren. Aus dem Gesagten können wir die Schlußfolgerung ziehen, daß das transformationeile Modell als Methode der Beschreibung und der Erklärung des Übersetzungsprozesses in manchen

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Fällen den realen Sachverhalt verkompliziert und in anderen Fällen offensichtlich nicht ausreicht bzw. wesentlicher Ergänzungen bedarf. Gerechterweise soll aber noch hinzugefügt werden, daß von den hier referierten Arbeiten, die das Modell der transformationellen Grammatik verwenden, das Buch von REVznsr und ROZENCVEJG von einer realistischeren Vorstellung vom Übersetzen ausgeht, da dort die Transformation nicht als universelles Modell, sondern nur als eine der Möglichkeiten beim Übersetzen angesehen wird.

Die Komponentenanalyse Es wurde bereits festgestellt, daß in den von uns besprochenen Arbeiten die Verfahren der Komponentenanalyse weitgehende Anwendung finden. Da bei den weiteren Darlegungen einige Begriffe verwendet werden sollen, die auf der Grundlage der Komponentenanalyse von sprachlichen Einheiten erarbeitet wurden, erscheint eine knappe Darlegung dessen angebracht, was Komponentenanalyse ist und welche Bedeutung sie für Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens hat. Unter Komponentenanalyse versteht man heute in der linguistischen Fachliteratur eine Methode der Textanalyse, bei der es um die Aufdeckung der Bestandteile der Wortbedeutungen geht. Sie dient also der Ermittlung der semantischen Komponenten, die in anderer Terminologie auch Seme oder semantische Multiplikatoren genannt werden. Außerdem handelt es sich bei dieser Methode um die Erfassung der Prinzipien der Kombination und der strukturellen Gliederung der semantischen Komponenten. Mit Hilfe der Komponentenanalyse wird es möglich, die Sinnstruktur eines Wortes exakter zu analysieren, die Beziehungen zwischen den einzelnen Bedeutungen eines Wortes zu durchdringen und die Merkmale zu bestimmen, auf Grund derer sich Wörter in Synonymgruppen oder semantische Felder einordnen lassen. Man unterscheidet drei Arten von semantischen Komponenten : allgemeine, différentielle und zusätzliche. Allgemeine Komponenten sind diejenigen, die den verschiedenen Bedeutungen desselben Wortes oder den Bedeutungen verschiedener Wörter, soweit sie zur selben Synonymreihe oder zu demselben semantischen Feld gehören, gemeinsam sind. Wenn wir einmal alle Bedeutungen des englischen Verbs give zusammenstellen, finden wir als gemeinsame Komponente „haben lassen" oder „veranlassen, daß X etw. hat". Es handelt sich also um die Summe aus zwei Komponenten (give — let + have). Dazu hat give in der Bedeutung „schenken" noch die Komponente „unentgeltlich" und in der Bedeutung „bezahlen" noch die Komponente „Geld". Hier handelt es sich um die differentiellen (oder diagnostischen) Komponenten der ent-

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sprechenden Bedeutungen des Verbs give. In diesen Bedeutungen ist das Verb give in verschiedenen Synonymreihen vertreten. Im ersten Fall wäre das give, confer, grant, present und im zweiten pay, remunerate, reward, recompense. Wenn wir die inhaltlichen Relationen in der ersten Reihe analysieren, sehen wir, daß die semantischen Komponenten von give auch für alle anderen Wörter gelten, die in dieser Reihe vertreten sind. Bei diesen Wörtern treten dazu noch differentielle semantische Komponenten auf, die sich ihrer Bedeutung nach von der von give unterscheiden. So liegt zum Beispiel in der Bedeutung confer noch die differentielle Komponente „Auszeichnung" vor (to confer a degree), bei grant ist es „auf Bitten oder Ersuchen" (to grant permission) und bei present „feierlich oder offiziell" (to present a citation to a regiment). In dieser Synonymreihe finden wir bestimmte hierarchische Relationen zwischen den Bedeutungen der einzelnen Wörter. Das Wort give mit der allgemeinen oder Grundbedeutung umfaßt den größten semantischen Raum. Das zeigt auch seine Verwendung: Es kann an der Stelle der anderen Wörter in den obigen Beispielen stehen — to give a degree, to give permission, to give a citation. Das ist auch der Grund für die Feststellung, daß in dieser Reihe confer, grant und present in der Hierarchie unter give zu stehen kommen. Unser Beispiel belegt eine wichtige Gesetzmäßigkeit: Je weniger semantische Komponenten ein Verb hat, das zu einer semantischen Reihe oder zu einem semantischen Feld gehört, desto umfassender ist seine Bedeutung, und desto breiter ist sein Anwendungsbereich. Außer den differentiellen und den allgemeinen Komponenten enthalten die Wortbedeutungen noch zusätzliche Komponenten. Sie können bei der Ermittlung von Relationen zwischen der direkten und der übertragenen Bedeutung eines Wortes eine entscheidende Rolle spielen. So ist zum Beispiel die semantische Komponente „schlau, listig" zusätzlich oder zweitrangig in der inhaltlichen Struktur des engl. Wortes fox. Aber gerade diese Komponente ist für die Bestimmung des Platzes der übertragenen Bedeutung „listenreicher Mensch" in der inhaltlichen Struktur dieses Wortes wesentlich. Damit hat die Komponentenanalyse sehr unmittelbare Relevanz sowohl für den konfrontativen Sprachvergleich als auch für die Übersetzungstheorie. Bekanntlich unterscheiden sich die Komponentenstruktur der Wortbedeutungen und die Anordnung der semantischen Felder von Sprache zu Sprache. Häufig teilt der Übersetzer und Dolmetscher das Schicksal aller Bilingueten — das heißt der Menschen, die zwei Sprachen beherrschen —, indem er hin und wieder die Komponentenstruktur der Wörter einer Sprache mit der der anderen gleichsetzt. Nachdem er eine Beziehung zwischen engl, give und dt. geben festgestellt hat, könnte er dabei aber die wesentliche Tatsache außer acht lassen, daß im Unterschied zum dt. geben das engl, give potentiell auch 4

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die semantischen Komponenten „unentgeltlich", „für immer" einschließt. Daher könnte der Satz This is the watch my grandfather gave me in der einen Bedeutung Das ist die Uhr, die mir mein Großvater gegeben hat ins Deutsche übertragen werden, wobei nicht berücksichtigt ist, daß give hier auch „geschenkt" bedeuten kann und nicht nur „zeitweilig übergeben". Die Gesetzmäßigkeiten der Anwendung von Verfahren der Generalisierung und der Konkretisierung werden mit Hilfe der Komponentenanalyse voll und ganz erklärbar. So ist beim Übersetzen des engl. Wortes sibling ins Deutsche eine Konkretisierung notwendig, vor allem bedingt durch die Strukturunterschiede in den semantischen Feldern der Verwandtschaftsbezeichnungen (kinship terms), die es zwischen dem Deutschen und dem Englischen gibt. In den meisten dieser semantischen Felder spielen die differentiellen Merkmale wie Generation, Geschlecht, direkte Verwandtschaft oder Seitenlinie eine wesentliche Rolle. Beim Terminus sibling fehlt die semantische Komponente des Geschlechts, und darum hat dieses Wort eine allgemeinere Bedeutung als die hierarchisch untergeordneten Wörter brother und sister. Im Deutschen ist das Vorhandensein einer solchen Komponente obligatorisch, es gibt deshalb keine direkte Entsprechung für diesen Terminus. Beim Übersetzen ins Deutsche muß folglich konkretisiert werden, d. h., das eine oder andere semantische Merkmal muß, bedingt durch den Kontext, hinzutreten: my sibling kann übersetzt werden als mein Bruder oder meine Schwester. Dagegen gibt es für den Plural They were siblings die dt. Entsprechung Sie waren Geschwister. Es ist äußerst wichtig, die Differenzen in der Konfiguration und der Komponentenstruktur der semantischen Felder bei der Auswahl der entsprechenden Mittel in der ZS zu berücksichtigen. Bei der Übersetzung des dt. Terminus Regisseur ins Englische erweist es sich als notwendig, einen von den beiden engl. Termini, nämlich director oder producer zu wählen. Die beiden Wörtern gemeinsamen Komponenten „Person, die für eine Inszenierung verantwortlich ist" bringen sie dem dt. Regisseur nahe. Trotzdem gibt es aber zwischen director und prodwxr bestimmte Unterschiede. Im britischen Englisch ist director ein Filmregisseur und producer ein Theaterregisseur. Die ihnen eigenen differentiellen Komponenten (Film bzw. Theater) bestimmen die Anwendungsunterschiede. Ein producer beim Film ist kein Regisseur, sondern der für die Finanzierung Verantwortliche, der Produzent. Im amerikanischen Englisch fehlt diese Gegenüberstellung der differentiellen Komponenten Film/Theater. Dort ist der director immer der Regisseur und der producer immer der Produzent. Um einen noch komplizierteren Fall handelt es sich bei den semantischen Feldern für Farbbezeichnungen. Die Unterschiede in den differentiellen Komponenten eines bestimmten Wortes hängen oft mit einer mehr oder

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weniger detaillierten Hervorhebung bestimmter Teile des Farbspektrums oder der Abgrenzung von Farbschattierungen nach Helligkeit oder Intensität zusammen. So kann zum Beispiel das engl. Adjektiv purple im Deutschen als purpurn, purpurrot und als (dunkel)violett wiedergegeben werden. In engl. Wörterbüchern wird purple definiert als „deep red, crimson" (purpurrot, hochrot) und als „any colour intermediate between red and blue"; dagegen wird violet (violett) definiert als „bluish-purple". So umfaßt purple nicht nur die Farbe Violett, sondern noch einen breiteren Ausschnitt aus dem Spektrum, der den dt. Farben Dunkellila, Fliederfarben entspricht. In der inhaltlichen Struktur dieses Wortes fehlen die differentiellen Komponenten, die die dt. Äquivalente haben; deshalb ist bei der Übersetzung stets eine Konkretisierung erforderlich. Trotz der großen Bedeutung der Komponentenanalyse für das Übersetzen reicht ihre Anwendung zusammen mit der Transformationsanalyse noch nicht aus, um das Übersetzen adäquat zu beschreiben. Das liegt wohl daran, daß das transformationelle Modell, wie die angeführten Beispiele gezeigt haben, lediglich solche Umformungen vorsieht, die das grammatische Gerüst einer Äußerung erfassen, wohingegen deren lexikalische Füllung unverändert bleibt. Auf der anderen Seite kann auch die Komponentenanalyse, die in erster Linie zur Differenzierung und zum Vergleich von Bedeutungen dient, den Mechanismus der lexikalischen und syntaktischen Paraphrasen nicht aufdecken, die, komplizierter als grammatische Transformationen, charakteristisch sind für die sprachliche Tätigkeit generell und für das Übersetzen im besonderen ( S v e j c e r 1963).

D a s semantische Modell Von besonderem Interesse für die Theorie des Übersetzens sind die sprachwissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Erarbeitung eines semantischen Modells für die Analyse und Generierung von sprachlichen Äußerungen befassen. Hier müssen einmal die Arbeiten der Chomskyschüler hervorgehoben werden, die zur Richtung der „generativen Semantik" gezählt werden ( K a t z 1970; F i l l m o r e 1968), sowie die Arbeiten der sowjetischen Linguisten, die das generative Modell „Sinn-^-Text" für die Analyse des Übersetzungsprozesses erarbeitet haben ( U b i n 1 9 6 9 ; S a l j a p i n a 1969). Auf einige Besonderheiten dieses Modells, das für die Übersetzungstheorie unmittelbar relevant ist, soll hier eingegangen werden. Im Unterschied zum Modell der generativen Grammatik verfolgt dieses Modell das Ziel, die Gesetzmäßigkeiten bei der Umformung von Sinn zu T e x t und umgekehrt zu ermitteln bzw., anders ausgedrückt, es geht um die 4*

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Gesetzmäßigkeiten des Prozesses, wie er nach Auffassung der Anhänger dieser Theorie der sprachlichen Tätigkeit zugrunde liegt. Dabei handelt es sich einerseits um den Vorgang des Textaufbaus durch einen Sprecher auf der Grundlage eines konkreten Sinns (das heißt um die Synthese einer sprachlichen Äußerung) und andererseits um die Erschließung dieses Sinns aus dem Text durch einen Hörer (also die Analyse). Daraus kann geschlußfolgert werden, daß ein solches Modell per definitionem auch ein Modell des Übersetzungsprozesses sein muß. Die Begründer dieser Theorie verwiesen auch direkt darauf, daß sie nicht an einer einfachen Textgenerierung ohne Bezug auf einen bestimmten Sinn interessiert sind, sondern an der „Übersetzung", die sie als weiter gefaßten Begriff verstehen, indem sie darin auch innersprachliche Paraphrasierungen mit einschließen. Der Vorzug des Modells „Sinn-"-Text" besteht darin, daß es den Mechanismus der Analyse und der Generierung von sprachlichen Äußerungen unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung von lexikalischen und syntaktischen Faktoren aufdeckt. Ähnlich der generativen Grammatik differenziert auch dieses Modell zwischen Oberflächen- und Tiefenstrukturen. Letztere unterscheiden sich von ersteren durch einen hohen Grad an Abstraktheit gegenüber dem konkreten sprachlichen Ausdruck. Die Tiefenstruktur gliedert sich dabei nach zwei Aspekten: in eine Tiefensyntax und eine Tiefenlexik. Für die Syntax der Tiefenstruktur ist typisch, daß in ihr lediglich die Inhaltsbeziehungen, der Sinnzusammenhang, zwischen den Elementen der Äußerung Ausdruck finden. Deshalb werden in die Betrachtung auch nur vier verschiedene Prädikatsrelationen einbezogen, nämlich die zum Subjekt, zu den Objekten, die attributiven (im weitesten Sinne des Wortes) und die koordinativen. Zu beachten ist dabei, daß die Termini Subjekt, Objekt usw. hier nicht grammatische, sondern semantische Kategorien bezeichnen (vgl. dazu die Verwendung ähnlicher Kategorien in der generativen Grammatik). Die Tiefenlexik stellt im Modell „Sinn-—Text" ebenfalls eine bestimmte Ebene der Abstraktion vom konkreten sprachlichen Material dar. Zu ihr gehören lediglich die unabhängigen oder selbständigen Wörter der gegebenen Sprache und die Symbole für die sogenannten lexikalischen Funktionen. Doch dazu ist eine entsprechende Erklärung notwendig. Die lexikalische Funktion wird im Modell „Sinn-«-«-Text" als eine bestimmte semantische Verbindung aufgefaßt, die zwischen einem Schlüsselwort und einem anderen Wort oder einer Wortverbindung besteht. Es gibt zwei Kategorien von lexikalischen Funktionen. Hierher gehören in erster Linie die sogenannten äquivalenten Substitute, das sind Wörter, die bei einer Paraphrasierung der Äußerung an Stelle des Schlüsselwortes eingesetzt werden können. Zu dieser Gruppe gehören die Synonyme (schicken — senden, Linguistik — Sprach-

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Wissenschaft), die Konversive oder Kon verse, d. h. solche Wörter, die die umgekehrte oder konversive Relation zum Subjekt der Äußerung haben (fürchten — schrecken, geben — bekommen) sowie die sogenannten syntaktischen Derivate (sich irren — irrtümlich, falsch; anfangen — anfangs; sich freuen [etw. zu tun] — [etw.] immer gern [tun]). Zu den lexikalischen Funktionen gehören weiter die semantischen Parameter, unter denen der Ausdruck einiger elementarer Inhalte verstanden wird, die im Satz zum Sinn des gegebenen Wortes hinzutreten. Sie werden durch das Schlüsselwort ausgedrückt. Dem Wesen nach handelt es sich dabei um Gesetzmäßigkeiten der lexikalischen Kompatibilität, die von den Sinnstrukturen der „Tiefe" bestimmt werden und die Verknüpfung der Wörter charakterisieren. So bestimmt beispielsweise der Parameter Oper 1 (Operationstyp, der dem Subjekt die Rolle des grammatischen Subjekts zuordnet) die Verwendung des Verbs durchführen bei dem Schlüsselwort Maßnahme, des Verbs stellen beim Schlüsselwort Frage und die Verwendung von machen beim Schlüsselwort Zugeständnisse. Die Verwendung von verbüßen zusammen mit Strafe, von haben mit Schwierigkeiten, von Ausgesetztsein mit Angriff wird durch den Parameter Oper 2 bestimmt (Operationstyp, der dem Objekt die Rolle des grammatischen Subjekts zuordnet). Wir wollen an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, daß es sich dabei immer um semantische Subjekte und Objekte handelt (z. B. in dem Satz Er hat Schwierigkeiten ist „er" das grammatische Subjekt, das als ein semantisches Objekt fungiert). Die Verbindung zwischen fällt und Regen, zwischen scheint und Sonne wird durch den Parameter Func 0 bestimmt (Funktionstyp, Grundverb beim grammatischen Subjekt). Der semantische Parameter Labor („Einwirkung", wobei das Subjekt als grammatisches Subjekt mit dem Objekt und dem grammatischen Grundobjekt korreliert) bestimmt die Verwendung des Verbs unterziehen beim Schlüsselwort Kritik und von aussprechen bei Tadel. Wenn wir den Parameter Incep („Anfangen") mit Sturm kombinieren, erhalten wir setzt ein, mit Konflikt erhalten wir bricht aus, mit Diskussion ergibt sich entbrennt. Der Parameter Fin („Aufhören"), bezogen auf das Wort Wind, ergibt ebbt ab, bezogen auf Durcheinander, ergibt legt sich, bezogen auf Mode, vergeht. Der Parameter Caus („Veranlassen, daß . . .", „verursachen") wird in den Wortverbänden zum Weinen bringen, zu einer Straftat verleiten, zum Mord anstiften realisiert u n d L i q u („einen Zustand liquidieren", etw.„ beseitigen") in einen Fleck entfernen, die Atmosphäre entspannen, Schmerz nehmen. Der Parameter Magn („hoher Grad") liegt den Verbindungen grenzenloser Haß, unreifer'Jüngling und grober Fehler zugrunde. Diese Aufzählung umfaßt bei weitem nicht alle lexikalischen Funktionen, die im Modell „Sinn->->-Text" vorgesehen sind. I m Zusammenhang mit den ver-

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schiedenen Aspekten des Übersetzungsprozesses wollen wir einige davon noch ausführlicher betrachten. An dieser Stelle soll lediglich noch vermerkt werden, daß diese Funktionen die Grundlage f ü r die lexikalischen Paraphrasierungsregeln bilden, die zu Äquivalenzrelationen zwischen verschiedenen Formulierungen gleichen Sinns führen. Wie sehen nun diese Regeln aus? Die einfachste ist die Ersetzung eines Wortes durch sein Synonym. Als Beispiel für die Substitution durch ein Synonym möge die folgende Äußerung dienen: Ich habe den Brief gestern geschickt — Ich habe den Brief gestern abgesandt. Hier wird nicht nur die syntaktische Struktur des ursprünglichen Satzes erhalten, sondern auch die Lexik. Lediglich für eine Komponente ist ein Synonym eingesetzt worden. Komplizierte Fälle stellen dagegen die konversiven Umformungen dar: Der AFT-CPP ist ein bedeutender Teil der kanadischen Gewerkschaften beigetreten. -«- Die AFT-CPP zählt einen großen Teil der kanadischen Gewerkschaften zu ihren Mitgliedern. An diesem Beispiel sehen wir, daß zusammen mit der lexikalischen Umformung (an die Stelle eines Wortes tritt seine Konverse) auch eine syntaktische notwendig wird. Semantisches Subjekt und Objekt verändern ihre syntaktischen Funktionen, das letztere wird zum grammatischen Subjekt. Ohne diese syntaktische Angleichung könnte die Identität des Sinns nicht erhalten werden. Die Paraphrasierung kann auch nach den folgenden Regeln ablaufen: Unsere Truppen bereiten sich auf den Einsatz vor. ** Unsere Truppen treffen Vorbereitungen für den Einsatz. Die Wirtschaftsreform stimuliert das Wachstum der Arbeitsproduktivität.+~Die Wirtschaftsreform ist ein Stimulus für das Wachstum der Arbeitsproduktivität. I n den angeführten Beispielen wird das Schlüsselwort, ein Verb, ersetzt durch eine Kombination von Verb und Substantiv. I m ersten Beispiel wird das Substantiv, das vom gegebenen Verb abgeleitet ist, mit einem Verb kombiniert, das durch den Parameter Oper^ charakterisiert werden kann, und so ergibt sich „Vorbereitungen treffen"; im zweiten Beispiel wird das Substantiv mit der Bedeutung des Subjekts der Handlung durch eine Kopula verbunden, und es ergibt sich „ist ein Stimulus". Neben der lexikalischen Substitution wird also auch noch eine partielle syntaktische Veränderung vorgenommen. Eine ähnliche Umformung findet statt, wenn das Verb durch ein entsprechendes deverbatives Substantiv ersetzt wird, das dann mit einem Verb in der Bedeutung Labor kombiniert wird: Die Batterie beschoß die gegnerischen Stellungen. •**• Die Batterie nahm die gegnerischen Stellungen unter Beschuß.

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In anderen Fällen ergeben sich bei der lexikalischen Substitution wesentliche Veränderungen in der syntaktischen Struktur einer Äußerung: Er unterzog die Kranken einer Untersuchung. Die Kranken ließen sich von ihm untersuchen. In diesem Falle erfordert die lexikalische Substitution Oper1«-»Oper2 eine Umstellung der Bestandteile der Äußerung, die an der Verbhandlung beteiligt sind (Aktanten). Dabei wird das semantische Objekt Kranke zum grammatischen Subjekt. Bei dem folgenden Beispiel ist die Umformung kaum weniger gravierend: Die Kompanie führte den Befehl aus, in Frontstellung zu gehen. -«-» In Übereinstimmung mit dem Befehl ging die Kompanie in Frontstellung. Die Kombination des Substantivs Befehl mit dem Verb, das durch den Parameter Real („ausführen") charakterisiert werden kann, ergibt eine adverbial gebrauchte präpositionale Nominalkonstruktion, nämlich „In Übereinstimmung mit dem Befehl", in der die semantische Komponente „Ausführung" erhalten bleibt. Gleichzeitig wird der Prozeß, der in der einen Äußerung mit Hilfe des Infinitivs bezeichnet wird, in der anderen mit einer finiten Verbform bezeichnet. Im Ergebnis der Umstellung der Aktanten wird die Kongruenz des Inhalts auch zwischen den Ausdrücken erhalten, in denen ein Wort mit der lexikalischen Funktion Oper! durch ein Wort mit der lexikalischen Bedeutung Funcj ersetzt wird: Hans ergriff die Initiative. -«->- Die Initiative ging von Hans äus. Die angeführten Beispiele erschöpfen bei weitem nicht alle Möglichkeiten der lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierung. Im Modell „Sinn-—Text" sind etwa 50 lexikalische und 22 syntaktische Regeln vorgesehen, die die verschieden kombinierten Umformungen von Lexik und Syntax erfassen, wobei die inhaltliche Kongruenz der Äußerung stets erhalten bleibt. Für unsere Untersuchungen ist es nicht notwendig, auf die allgemeine linguistische Bedeutung dieses Modells einzugehen. Wichtig jedoch ist, daß es das Übersetzen unmittelbar berührt und daß dieser Umstand die Aufmerksamkeit der Theoretiker auf sich gezogen hat (GAK, 1969; S T A J E R 1970). Beim Übersetzen von einer Sprache in die andere paraphrasiert der Übersetzer häufig die ursprüngliche Äußerung und verwendet dabei Verfahren, die den eben beschriebenen analog sind. Wir wollen dazu die folgenden, sich an S T A J E R anlehnenden Beispiele anführen. Sie zeigen, wie die konversive Umformung in der Übersetzungspraxis mit dem Sprachenpaar Deutsch — Französisch angewendet wird ( S T A J E R 1970): Das Streben, nach Möglichkeit mehr und Besseres für die Oesellschaft zu leisten, findet seinen deutlichen Ausdruck in der Bewegung für die kommunistische Arbeit, die viele Millionen Arbeiter, Bauern und Angehörige der Intelligenz erfaßt.

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Le désir de faire mieux et plus pour la société trouve une expression remarquable dans le mouvement pour le travail communiste auquel participent des dizaines de millions d'ouvriers, de paysans, d'intellectuels. In der Praxis des Lebens erfahren sie (die Massen) jetzt die Vorzüge des Sozialismus. C'est une pratique vivante qui leur démontre désormais les avantages du socialisme. Für das Übersetzen hat noch eine weitere Komponente des Paraphrasierungssystems große Bedeutung — der sogenannte Selektor. Seine Funktion besteht darin, bei der Realisierung eines Textes nur einen bestimmten Teil der zahlreichen Phrasen passieren zu lassen, die vom Generator, also von den lexikalischen und syntaktischen Regeln für die Paraphrasierung erzeugt werden. Der Selektor besteht aus einer Anzahl von Filtern — d. h. Beschränkungen, Verboten und Normen —, die einen Teil der potentiell möglichen Varianten verwerfen. Diese Varianten können abgelehnt werden, weil sie nicht den Normen der syntaktischen und lexikalischen Kombinierbarkeit in einer bestimmten Sprache entsprechen oder weil sie die stilistische Norm verletzen. So können bei einem Wort bestimmte grammatische Formen fehlen, oder es ist nicht möglich, ein anderes Wort von ihm abzuleiten. Dabei funktionieren diese Filter nicht in jedem Falle nach dem absoluten Ja/NeinPrinzip, sondern lassen auch quantitative Abstufungen zu. Das heißt, diese Filter können berücksichtigen, ob die im Ergebnis der Umformungen entstandenen Phrasen mehr oder weniger gebräuchlich sind. Der Gedanke, einen Selektor einzuführen, erweist sich für das Übersetzen als außerordentlich fruchtbar. Man kann nämlich unter einem Selektor hier alles das verstehen, was die Auswahl unter den lexikalisch-semantischen Strukturen, in die die quellensprachliche Äußerung potentiell während des Übersetzungsprozesses umgewandelt werden kann, einschränkt. Wir haben schon von der Bedeutung gesprochen, die die Beziehungen zwischen einander gegenübergestellten sprachlichen Strukturen für das Übersetzen haben. Hier bleibt anzumerken, daß im Rahmen der Beziehungen zwischen den Strukturen der QS und der ZS die Korrelation zwischen den jeweiligen Normen beider Sprachen einen der Filter darstellt, aus denen sich dieser Selektor zusammensetzt. Weiterhin wird die Auswahl unter den Varianten auch noch durch die Struktur des Textes und durch eine Anzahl von psycholinguistischen und soziolinguistischen Faktoren bestimmt, von denen später noch die Rede sein wird. Natürlich können nicht alle diese Faktoren formalisiert, d. h. in eine für den Komputer geeignete logisch-mathematische Sprache übersetzt werden. Für uns ist aber etwas anderes wesentlich. Da der Übersetzer bei der Auswahl einer bestimmten Variante nicht nur von intralinguistischen, sondern auch von einer Reihe extralinguistischer Kriterien ausgeht, müssen

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unbedingt auch beide Faktoren ihren Platz in einem Modell finden, das den Anspruch erhebt, eine realistische Widerspiegelung des Übersetzungsprozesses zu sein. Wir können nunmehr die Schlußfolgerung ziehen, daß das beschriebene System der Paraphrasierung durchaus für die Schaffung eines dynamischen Modells für den Übersetzungsprozeß verwendet werden kann. Dabei erhebt sich jedoch die Frage, inwieweit dieses Modell alle Textumformungen widerspiegelt, die während des Übersetzens tatsächlich vorgenommen werden. Unserer Auffassung nach erfaßt das dargestellte Paraphrasierungssystem viele, aber durchaus nicht alle Fälle von lexikalisch-semantischen Strukturveränderungen im Text, die beim praktischen Übersetzen auftreten. Das liegt wohl daran, daß die Schöpfer des Modells die „Sinngleichheit" als unabdingbare Forderung für die Paraphrasierung festgehalten haben. I n der Übersetzungspraxis gibt es aber auch solche Beispiele, wo sich durch die Paraphrasierung des Ausgangstextes Verschiebungen des Sinngehaltes ergeben: Einige semantische Komponenten fallen weg, andere werden hinzugefügt, wieder andere werden durch völlig neue substituiert. Dies bedeutet, daß dem Modell „Sinn-^Text" für die Erklärung derartiger Fälle ein theoretisches Modell hinzugefügt werden muß, das die Möglichkeit solcher Umformungen berücksichtigt.

D a s Situationsmodell Ein solches Modell ist das Situationsmodell der sprachlichen Synthese, das man auch als Modell „Situation-Text" bezeichnen kann. Die Arbeit CATFORDS „A Linguistik Theory of Translation" stellt einen der ersten Versuche dar, dieses Modell auf die Übersetzungstheorie zu beziehen (CATFORD 1 9 6 5 ) . Bei der Einführung seiner theoretischen Konzeption, die unter dem Einfluß von Auffassungen der englischen Sprachwissenschaftler FIKTH und HALLIDAY steht, geht CATFORD davon aus, daß Zielsprache und Quellensprache ihr eigenes Bedeutungssystem haben. Diese Bedeutungen werden als Relationsnetze verstanden, in die eine bestimmte sprachliche Einheit gegliedert ist. Daraus folgt, daß diese Systeme sich von Sprache zu Sprache unterscheiden und ein Spezifikum der jeweiligen Sprache darstellen. Deshalb darf der Übersetzungsprozeß auch nicht einfach als eine Überführung von Bedeutungen verstanden werden, denn bei der Beschreibung identischer Situationen verwenden die Sprachen häufig eine unterschiedliche Kombination von semantischen Komponenten. Zur Illustration dieser Aussage f ü h r t CATFORD zwei Beispiele an, das russische Ja priSla und das engl. I have arrived, und unterzieht deren morphologische Struktur der Komponentenanalyse.

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Bei der Analyse des engl. Satzes werden die folgenden semantischen Komponenten ermittelt: a) eine handelnde Person — I — wird we, they usw. gegenübergestellt; b) Der Prozeß arrive wird anderen Prozessen gegenübergestellt, wie etwa eat, leave u. ä . ; c) Der Prozeß fand in der Vergangenheit statt und ist gleichzeitig mit der Situation in der Gegenwart verbunden (vgl. have arrived, arrive, arrived). Demgegenüber ist die äquivalente russ. Entsprechung durch die folgenden Komponenten gekennzeichnet: a) Eine handelnde Person — ja — steht my, oni und anderen gegenüber; b) weibliches Geschlecht (vgl. die Gegenüberstellung priSla — priiel); c) der Prozeß prichodit' steht vychodit', uchodit' u. a. gegenüber; d) Prozeß in der Vergangenheit (vgl. priSla — prichozu); e) Die Handlung ist beendet, abgeschlossen (vgl. prisla — prichodila). E s zeigt sich, daß die semantischen Komponenten im russ. und im engl. Satz nicht übereinstimmen. Trotzdem stellen wir intuitiv eine Äquivalenzrelation zwischen beiden Äußerungen her. Der Grund dafür ist — nach C A T F O R D — in der Identität der beschriebenen Situation zu suchen. I n der sowjetischen linguistischen Fachliteratur hat das Modell „Situation — T e x t " eine explizite und wohlbegründete Beschreibung in den Arbeiten von GAK gefunden (GAK 1969; 1 9 7 1 1 9 7 1 2 ) . Der Begriff der Situation wird von ihm als „gegenständliche Begründung" definiert, d. h. als Gegenstände mit ihren Beziehungen zueinander, wie sie in der Äußerung beschrieben werden. Somit geht es hier nicht um die Sprechsituation, in der ein kommunikativer Akt abläuft, sondern um eine gegenständliche Situation, die in den sprachlichen Äußerungen oder Texten widergespiegelt wird. Das Situationsmodell basiert auf der Vorstellung, daß die gleiche gegenständliche Situation unterschiedlich beschrieben werden kann, und zwar mittels unterschiedlicher Kombinationen von semantischen Komponenten, die die unterschiedlichen Perspektiven bei der Betrachtung der Beziehungen und Verbindungen zwischen den Gegenständen widerspiegeln. Die im situativen Modell vorgesehenen Varianten der Umformulierung von Äußerungen erfahren noch eine wesentliche Ergänzung durch den Komplex von Paraphrasen, die das Modell „Sinn«-»Text" vorsieht. Dazu einige der von GAK angeführten Beispiele: Wird die Bewegung von einem Ort an einen anderen beschrieben, so können semantische Komponenten vertreten sein, die auf die Art und Weise und die Richtung der Bewegung verweisen, z. B . : chodit'/echat' — gehen/fahren, uiti/ujechat' — weggehen/wegfahren, prijti/ prijechat' — herkommen (zu Fuß/per Bahn usw.). Bei der Beschreibung einer bestimmten Situation können sich solche Be-

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deutungen wie Zustand, Bewegung, Wahrnehmung, aktive Handlung überkreuzen, und in einigen Fällen sind sie untereinander austauschbar. So zum Beispiel: Das Buch liegt auf dem Tisch (Zustand), Ich sehe das Buch auf dem Tisch (Wahrnehmung) und Man legte das Buch auf den Tisch (aktive Handlung). Dazu gehören auch Er kommt nicht hierher (Bewegung) und Er pflegt hier nicht zu sein (Zustand). Eine Analyse von Übersetzungen beweist, daß in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Verfahren zur Wiedergabe der gegenständlichen Situationen bevorzugt werden. Das heißt, daß meist bestimmte Merkmale dieser Situationen hervorgehoben und andere nicht ausgedrückt werden. I m Normalfall können dabei die nicht explizit ausgedrückten Merkmale leicht aus der Situation oder dem Kontext ergänzt werden. So haben zum Beispiel die engl. Verben come, go und leave keine semantischen Komponenten, die auf die Art und Weise der Bewegung schließen lassen. I m Deutschen betrifft dies ebenso die Verben kommen und weggehen, während gehen und fahren sich unterscheiden. Bei der Übersetzung ins Russische werden Verben gebraucht, die eine entsprechende semantische Komponente enthalten. When did he come to town ? Wann kam er in die Stadt ? Kogda on priechal v gorod? Why not come and have supper with us tonight ? Warum kommen Sie heute abend nicht zu uns zum Essen ? Poöemu by vam ne prijti segodnja k nam pouzinat' ? I am going to leave Moscow in a month. In einem Monat werde ich von Moskau weggehen. Ja sobirajus' uechat' iz Moskvy öerez mesjac. He has just left the room. Er hat eben den Raum verlassen; Er ist soeben aus dem Zimmer gegangen. On tol'ko ito vySel iz komnaty. GAK hat fünf Grundarten von semantischen Veränderungen einer Benennung (semantische Transformationen) 1 erarbeitet, denen die in der Logik unterschiedenen Beziehungen zwischen Begriffen zugrunde liegen (GAK 19712). Dazu gehören die synonymen Substitutionen, von denen bereits die Rede war. Hier liegt zwischen den Begriffen, die dürch bestimmte Wörter bezeichnet werden, die Relation der Bedeutungsgleichheit vor. Die logische Beziehung der Exklusion bestimmt das Wesen der sogenannten Bedeutungsverschiebung, wo für die Bezeichnung eines bestimmten Begriffes die Bezeichnung eines verwandten gattungsgleichen Begriffes benutzt wird. Dieses 1

In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe „Transformation" und „transformatives Modell" nur in bezug auf syntaktische Veränderungen des Textes verwendet.

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Verfahren findet auch im Übersetzungsprozeß Anwendung. Bei der Übersetzung eines Gedichtes von Heine „Ein Fichtenbaum steht einsam" ins Russische ist zum Beispiel die allegorische Gegenüberstellung von (männl.) Fichtenbaum und (weibl.) Palme („. . . Er träumt von einer Palme . . .") erhalten worden, indem das weibliche Substantiv sosna („Fichte") durch das männliche kedr („Zeder") oder dub („Eiche") ersetzt wurde (FEDOROV 1968).

Weiterhin werden aufgeführt: antonymische Umformungen, die auf kontradiktorischen Beziehungen zwischen den Begriffen beruhen, (vgl. dazu die antonymische Ubersetzung, die wir bereits im Zusammenhang mit der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen dargelegt haben), die semantischen Prozesse der Begriffserweiterung und der Begriffsverengung, denen die Prozesse der logischen Subordination zugrunde liegen (vgl. dazu die entsprechenden Vorgänge der Generalisierung und der Konkretisierung beim Übersetzen), und der Prozeß der Bedeutungsübertragung, dessen logische Grundlage die Beziehung der Bedeutungsüberschneidung ist (vgl. die entsprechende Erscheinung beim Übersetzen, die in der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen als „logische Ableitung von Begriffen" bezeichnet worden ist). Zu diesen semantischen Transformationen, die sich auf Einzelwörter beziehen, kommen noch einige Arten der semantischen Umformung von Äußerungen, unter ihnen die Umverteilung von semantischen Komponenten innerhalb einer Äußerung, wobei etwa ein Wort durch eine Wortverbindung oder eine Wortverbindung durch ein Wort ersetzt wird. Als Beispiel möge der folgende Übersetzungsfall vom Deutschen ins Französische dienen: Das Volk verelendet. Le peuple tombe dans la mishre. Eine andere Möglichkeit für die semantische Umformung der Äußerung ist die Reduzierung oder die Wiederholung von semantischen Komponenten. So wird zum Beispiel beim Übersetzen des frz. Satzes II sort de la chambre ins Deutsche oder Englische Er verläßt den Raum; He leaves the room. die semantische Komponente „Bewegungsrichtung" in dem frz. Satz zweimal — mit Hilfe der Präposition de und durch das Verb der Bewegung sortir — ausgedrückt, im Deutschen und Englischen dagegen nur einmal, und zwar mit Hilfe des Verbs. Manchmal kann eine semantische Komponente wegfallen, wenn die Situation geläufig ist; vgl. etwa das dt. Es weht ein starker Wind, mit dem engl. It is blowing hard. (Hier wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es sich um den Wind handelt.) Die Ersetzung einer semantischen Kategorie durch eine andere ist unter die oben beschriebene semantische Umformung zu fassen, nach der verschiedene Aspekte der gleichen Situation hervorgehoben werden (vgl. die Übersetzungsbeispiele für einige Verben der Bewegung).

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Die Aufzählung der Umformungen wird abgeschlossen durch die sogenannten vektoriellen Substitutionen, eine beim Ubersetzen häufig anzutreffende Erscheinung, bei der die gleiche Situation gewissermaßen von entgegengesetzten Endpunkten aus verfolgt wird. Ein Beispiel ist das engl, to go while the going is good gegenüber dem dt. sich davonmachen, bevor etwas schiefgeht, oder das frz. la tête en bas gegenüber dem russ. vverch nogami. Hierher gehören auch einige vom Modell „Sinn->-Text" vorgesehene Paraphrasierungsfälle, die auf einer Umstellung der semantischen Subjekte und Objekte beruhen, etwa: A verkauft etwas an B — B kauft etwas bei A (konversive Umformung), A ist größer als B — B ist kleiner als A (antonymische Substitution). Das bisher Gesagte läßt deutlich werden, daß sich das situative Modell in gewisser Weise mit dem Modell „Sinn-«-Text" überschneidet. Zweifellos hat es aber in bezug auf die Beschreibung des Übersetzungsprozesses einen Vorteil — es ist weniger starr, und damit können viele von den Umformungen beschrieben werden, die über den Rahmen der Beziehungen „Sinn-«-Text" hinausgehen. Bei letzterem Modell ist die Sinnstruktur invariant, variabel sind dagegen die lexikalischen Mittel und die syntaktische Struktur. Auch das Situationsmodell benötigt einen Selektor, der die Auswahl der für die gegebene Sprache und für den gegebenen Kontext geeignetsten Varianten erlaubt. Wahrscheinlich sind die von diesem Selektor vorgesehenen Beschränkungen noch seltener als beim Modell „Sinn-«-»-Text" nach dem Ja/NeinPrinzip aufgebaut, sondern gehen weitaus häufiger von quantitativen Kriterien aus. Berücksichtigt werden muß außerdem, daß bestimmte Gesetzmäßigkeiten für den Aufbau von Äußerungen, die die gleiche Situation in der Wirklichkeit beschreiben, auch zwischen verschiedenen funktionalstilistischen Genres variieren können. Das heißt, der im situativen Modell vorgesehene Selektor muß auch einen stilistischen Filter einschließen, der es erlaubt, gerade die Art von Situationsbeschreibung auszuwählen, die am besten den Forderungen des betreffenden Genres gerecht wird. Ähnlich dem Modell „Sinn-«—Text" erfaßt auch das Situationsmodell nicht alle Seiten des Übersetzungsprozesses, denn dieses Modell ist nur auf eine (wenn auch sehr wesentliche) Funktion des Sprechaktes orientiert, auf die sogenannte denotative Funktion. Diese ist verbunden mit der Beschreibung von realen, gegenständlichen Situationen. Daneben gibt es aber noch eine ganze Reihe anderer funktioneller Charakteristika von Produkten der Redetätigkeit, von denen später noch zu sprechen sein wird. Die Erfassung gerade dieser Merkmale ist beim Übersetzen äußerst wichtig. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß alle drei Modelle der sprachlichen Analyse und Synthese — das Transformationsmodell, das semantische und

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

das situative Modell — auf die Entwicklung der Übersetzungstheorie einen bestimmten Einfluß ausgeübt haben. Unserer Meinung nach sind sie unzweifelhaft einem statischen Schema der zwischensprachlichen Beziehungen überlegen, da sie es vermögen, die Dynamik des Übersetzungsprozesses aufzuzeigen. Welchem dieser Modelle ist nun der Vorzug zu geben ? In bezug auf die Gesetzmäßigkeiten des Übersetzens hat jedes von ihnen neben unbestreitbaren Vorzügen auch einige Mängel, die es in seiner Anwendung einschränken. Dies wird deutlich, wenn man sich einmal vorzustellen versucht, wie der Übersetzungsprozeß in der Realität abläuft. Bis zu einem gewissen Grade gelten für diesen Prozeß die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie für die Redetätigkeit im allgemeinen. „Der Sprechakt", so heißt es in einer Arbeit von H O C K E T T , „ist normalerweise ein in zwei Stufen ablaufender Vorgang. Es gibt in ihm ein ,internalisiertes' Stadium, das ich als ursprüngliche Generierung bezeichnen möchte . . . Das ist das in ,Worte gekleidete Denken', das einen faktisch ununterbrochenen ,internalisierten' Redestrom darstellt, aus dem wir bestimmte Varianten auswählen, die laut ausgesprochen werden." Weiter heißt es: „Der internalisierte Redefluß erzeugt sich selbst: er entsteht nach der Devise richtig oder falsch und ist von den veränderlichen äußeren Bedingungen abhängig" ( H O C K E T T 1968, S. 98). Etwas Ähnliches können wir auch beim Übersetzen beobachten. Aus eigener Erfahrung wie auch aus den Erfahrungen anderer Übersetzer können wir sagen, daß der Prozeß der Suche nach der optimalen Variante beim Übersetzen nicht nur aus einem Schritt besteht — wenn man hier das Simultandolmetschen einmal außer acht läßt. Diese Suche erfolgt normalerweise nach der Trial-and-errorMethode, die aus einer allmählichen Annäherung an die optimale Variante durch Überprüfung einiger möglicher Varianten besteht. Dabei werden diejenigen Varianten verworfen, die den entsprechenden funktionellen Kriterien nicht entsprechen. Eine solche Auffassung vom Übersetzen stimmt voll und ganz mit der in der heutigen Psychologie und Psycholinguistik verbreiteten Vorstellung von der Wahrscheinlichkeitsprognose überein. Nach dieser Auffassung besteht „die Entscheidung für eine bestimmte Art der Tätigkeit wenigstens teilweise im Ausgehen von den möglichen Auswegen aus einer gegebenen Situation und der sukzessiven Aussonderung dieser möglichen Auswege unter dem Gesichtspunkt bestimmter Auswahlkriterien" ( L E O N T ' E V 1 9 7 5 , S. 264). Bei einer Charakterisierung der psycholinguistischen Aspekte der sprachlichen Tätigkeit gelangt L E O N T ' E V ZU der unserer Auffassung nach völlig richtigen Schlußfolgerung, daß „in Abhängigkeit von der konkreten experimentellen Situation das Subjekt denjenigen Weg der psycholinguistischen Erzeugung einer Äußerung wählen kann, der sich unter den gegebenen Umständen als optimal erweist" ( L E O N T ' E V 1 9 7 5 , S. 3 0 0 ) . Dadurch erklärt

Grundrichtungen der Übersetzungstheorie

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sich auch der anscheinend paradoxe Umstand, daß psycholinguistische Modelle, die sich ganz offenkundig widersprechen, in gleicher Weise durch Experimente nachgewiesen werden. Eine Übersetzungsanalyse zeigt, daß, wie jede andere sprachliche Tätigkeit, auch das Übersetzen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nach einem einzigen Modell abläuft. Beim Übersetzen werden sowohl grammatische Transformationen als auch lexikalisch-syntaktische Paraphrasierungen und semantische Umformungen, die dem Modell „Situation — T e x t " entsprechen, benutzt. Dabei wird die Auswahl der optimalen Methode für die Analyse des Ausgangstextes und die Schaffung eines entsprechenden Textes in der Zielsprache von den konkreten Bedingungen des zwischensprachlichen Kommunikationsaktes diktiert. Wir halten es für denkbar, daß neben einer vorherigen Bearbeitung des Ausgangstextes mittels grammatischer Transformationen oder lexikalisch-syntaktischer Paraphrasierung auch die Möglichkeit besteht, direkte Entsprechungen zwischen Äußerungen in der QS und entsprechenden Äußerungen in der Fremdsprache herzustellen, wobei letztere später in der Zielsprache (ZS) der Übersetzung noch einer Bearbeitung unterliegen (SVEJCEB 1 9 7 0 , S . 4 1 - 4 2 ) .

Abschließend sei festgestellt, daß die dargestellten Modelle der Redetätigkeit eine Beschreibung der Methoden zur Realisierung des Übersetzungsprozesses ermöglichen. Ihr Vorhandensein allein legt jedoch noch keineswegs die Auswahl einer bestimmten, konkreten Methode fest. I m folgenden wollen wir anhand von Beispielen aus dem Bereich der Publizistik aufzuzeigen versuchen, wodurch diese Auswahl bei Übersetzungen von publizistischen Texten bestimmt wird. Doch dazu müssen wir erst einmal auf die Charakteristik des Übersetzens als eines zweisprachigen Kommunikationsaktes eingehen und einige Ausgangsbegriffe bestimmen.

3.

Übersetzung und Textlinguistik

Die Textlinguistik, ein neuer, sich stürmisch entwickelnder Zweig der Sprachwissenschaft, der die strukturelle und inhaltliche Seite ganzer, über einzelne Sätze hinausgehender Einheiten untersucht, steht in unmittelbarer Beziehung zur Übersetzungstheorie. Tatsächlich operiert ja die Übersetzungstheorie, wie schon gesagt, nicht mit zwei Sprachsystemen, sondern mit den Texten zweier Sprachen, wenn sie die Gesetzmäßigkeiten der Wiedergabe des Ausgangstextes in der Zielsprache erforscht. Solche Kardinalprobleme der Textlinguistik wie die funktionale Perspektive der Aussage, der enge Zusammenhang des Textes, die Pragmatik des Textes usw. finden ihre unmittelbare Widerspiegelung im Prozeß des Übersetzens und in seiner theoretischen Durchdringung.

Grundrichtungen der Übersetzungstheorie

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sich auch der anscheinend paradoxe Umstand, daß psycholinguistische Modelle, die sich ganz offenkundig widersprechen, in gleicher Weise durch Experimente nachgewiesen werden. Eine Übersetzungsanalyse zeigt, daß, wie jede andere sprachliche Tätigkeit, auch das Übersetzen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nach einem einzigen Modell abläuft. Beim Übersetzen werden sowohl grammatische Transformationen als auch lexikalisch-syntaktische Paraphrasierungen und semantische Umformungen, die dem Modell „Situation — T e x t " entsprechen, benutzt. Dabei wird die Auswahl der optimalen Methode für die Analyse des Ausgangstextes und die Schaffung eines entsprechenden Textes in der Zielsprache von den konkreten Bedingungen des zwischensprachlichen Kommunikationsaktes diktiert. Wir halten es für denkbar, daß neben einer vorherigen Bearbeitung des Ausgangstextes mittels grammatischer Transformationen oder lexikalisch-syntaktischer Paraphrasierung auch die Möglichkeit besteht, direkte Entsprechungen zwischen Äußerungen in der QS und entsprechenden Äußerungen in der Fremdsprache herzustellen, wobei letztere später in der Zielsprache (ZS) der Übersetzung noch einer Bearbeitung unterliegen (SVEJCEB 1 9 7 0 , S . 4 1 - 4 2 ) .

Abschließend sei festgestellt, daß die dargestellten Modelle der Redetätigkeit eine Beschreibung der Methoden zur Realisierung des Übersetzungsprozesses ermöglichen. Ihr Vorhandensein allein legt jedoch noch keineswegs die Auswahl einer bestimmten, konkreten Methode fest. I m folgenden wollen wir anhand von Beispielen aus dem Bereich der Publizistik aufzuzeigen versuchen, wodurch diese Auswahl bei Übersetzungen von publizistischen Texten bestimmt wird. Doch dazu müssen wir erst einmal auf die Charakteristik des Übersetzens als eines zweisprachigen Kommunikationsaktes eingehen und einige Ausgangsbegriffe bestimmen.

3.

Übersetzung und Textlinguistik

Die Textlinguistik, ein neuer, sich stürmisch entwickelnder Zweig der Sprachwissenschaft, der die strukturelle und inhaltliche Seite ganzer, über einzelne Sätze hinausgehender Einheiten untersucht, steht in unmittelbarer Beziehung zur Übersetzungstheorie. Tatsächlich operiert ja die Übersetzungstheorie, wie schon gesagt, nicht mit zwei Sprachsystemen, sondern mit den Texten zweier Sprachen, wenn sie die Gesetzmäßigkeiten der Wiedergabe des Ausgangstextes in der Zielsprache erforscht. Solche Kardinalprobleme der Textlinguistik wie die funktionale Perspektive der Aussage, der enge Zusammenhang des Textes, die Pragmatik des Textes usw. finden ihre unmittelbare Widerspiegelung im Prozeß des Übersetzens und in seiner theoretischen Durchdringung.

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Als einer der ersten hat NIDA (1969) die Perspektiven der T e x t u n t e r s u c h u n g

mittels der Termini der Textlinguistik erkannt. Er hat grundsätzliche Übersetzungsschranken formuliert, die den Textaufbau bestimmen. Diese Schranken oder, wie es NIDA formuliert, „Diskursuniversalien" (discourse universals) können sich auf den Text insgesamt beziehen und 1. verschiedene, mitunter feststehende Markierungen des Beginns und des Schlusses eines Textes, 2. Markierungen der Übergänge von einem grundlegenden Kompositionsabschnitt des Textes zu einem anderen einschließen. Sie können sich hauptsächlich auf die im Text beschriebenen Ereignisse beziehen und 3. temporale Beziehungen widerspiegeln, die durch Zeitformen, eine Kongruenz der Zeiten, besondere Partikeln und verschiedene temporale Modifikatoren markiert werden. Sie können 4. räumliche und 5. logische Beziehungen — z. B. Kausalzusammenhänge — einschließen oder sich auf die beschriebenen Objekte beziehen. Sie können 6. zur Identifikation der Diskursteilnehmer und 7. zur Hervorhebung dieser oder jener Elemente oder, im Gegenteil, zu ihrer Verdrängung in den Hintergrund (highlighting oder backgrounding) dienen. (Hierher gehört die Benutzung von Nomina und Nominalausdrücken, von Ersatzwörtern wie Pronomen sowie die Markierung der vorhergehenden Referenzen: im Englischen beispielsweise the im Unterschied zu a und anderes mehr.) Und 8. schließlich gehören zu den Textuniversalien solche Markierungen, die mit der Position des Autors im Zusammenhang stehen, mit seinem Mitbeteiligtsein (author involvement), die seine Positionen und seinen Standpunkt zu den im Text beschriebenen Ereignissen ausdrücken. Sehen wir uns diese Eigenschaften des Textes genauer an. Die Markierung des Satzanfanges und Satzendes In einigen Genres figurieren diese Markierungen in Form von „fertigen Formeln". So treten beispielsweise im russ. Märchen Zili-byli, im engl. Once upon a time und im dt. Märchen Es war einmal häufig als Markierungen des Anfangs und Stall oni zit'-poZivat', dobra nazivat' und, entsprechend, They lived happily thereafter, Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute als Markierungen des Endes auf. Häufig beginnt die Erzählung mit den Worten Eines Nachts, Eines schönen Morgens usw. Vgl. den Beginn einer Erzählung von Salinger: One night some twenty years ago, during a siege of mumps in our enormous family, my youngest sister Franny was moved, crib and all, into the ostensibly germ-free room I shared with my eldest brother Seymour (J. Salinger, Raise High the Roof Beam, Carpenters, and Seymour: An Introduction). Die deutsche Version des Werkes (Titel: Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute und Seymour wird vorgestellt, Übersetzer A. und H. Boll) beginnt: „Eines Nachts vor etwa zwanzig Jahren während eines Überfalls von Mumps

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auf unsere riesige Familie wurde meine jüngste Schwester Franny mit Bettchen und allem Drumherum in das offenbar bazillenfreie Zimmer geschoben, das ich mit meinem ältesten Bruder Seymour teilte." Die Markierung innerer Übergänge Hierher gehören solche Standardindikatoren kompositioneller Textaufteilungen wie z. B.erstens, zweitens, drittens (vo-pervych, vo-vtorych, v-tret'ich; firstly, secondly, thirdly), einerseits und andererseits (s odnoj storony, s drugoj storony; on the one hand, on the other hand), mehr noch, außerdem (bolee togo; moreover, besides). Bei der Wahl eines entsprechenden Äquivalents muß die allgemeine Stilebene des Textes berücksichtigt werden. So können anstelle von on the one hand, on the other hand in einem weniger offiziellen Text die Wendungen for one thing, for another thing und anstelle von moreover — another thing is figurieren. Die Markierung der temporalen Beziehungen Sie kann wiedergegeben werden durch temporale Konnektoren vom Typ in der Zeit, da(vto vremja kak; while, as), nachdem (posle; after), durch temporale Phrasen wie vor drei Jahren (tri goda tomu nazad; three years ago), am nächsten Morgen (na drugoe utro; the next morning), durch relative Tempusformen wie z. B. die Bildung der Vergangenheit im Russischen mit Hilfe des Adverbialpartizips, im Englischen durch Past Perfect usw., durch die Kongruenz der Zeiten sowie durch eine lineare Aufeinanderfolge der Ereignisse, die ihre chronologische Abfolge widerspiegelt. Bei der Übersetzung erfolgt nicht selten ein Austausch der einen temporalen Markierungen durch andere. So benutzt der Übersetzer bei der Wiedergabe des folgenden Auszugs aus „Wer die Nachtigall stört" (Lee Harper, „To kill a Mockingbird") im Russischen wie im Deutschen anstelle des Past Perfect, das im Englischen das Vorausgehen des einen Ereignisses gegenüber einem anderen markiert, die lineare Aufeinanderfolge der Sätze, die die reale Abfolge der Ereignisse widerspielt: My podoSli k ee zaboru. — Vy v sud pojdete? — sprosil Jem. Wir schlenderten zu ihr hinüber. ,Gehen Sie heute zur Verhandlung?' erkundigte sich Jem. Die Markierung räumlicher Beziehungen Hierher gehören Präpositionen, Adverbien, Verben der Bewegung usw., mit deren Hilfe Lokalbestimmungen ausgedrückt werden. Im Prozeß des Übersetzens erfolgt auch hier häufig ein Austausch der einen Markierungen durch andere: She walked for about a quarter of a mile and then suddenly broke into an oblique run up the soft part of the beach. She stopped short when she reached the place where a young man was lying on his back (J. D. Salinger, A Perfect Day for Bananafish). 5 Übersetzung

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Projdja s öetvert' mili, ona vdrug pobezala v storonu po rychlomu pesku. U togo mesta, gde na spine lezal molodoj ielovek, devoöka ostanovilas' kak vkopannaja. Hier wird die Fortbewegung im Raum, die im englischen Text mit der Verbform walked wiedergegeben wird, im Russischen durch das Adverbialpartizip projdja ersetzt, und die Fixierung im Raum, die mit Hilfe der temporalen Phrase when she reached . . . erfolgt, wird mit der präpositional-nominalen Phrase u togo mesta ausgedrückt. (Vgl. die deutsche Variante in der Übersetzung von Elisabeth Schnack: Sie wanderte etwa eine Viertelmeile weiter und lief plötzlich schräg den weichen Strand hinan. Sie stand still, sowie sie die Stelle erreicht hatte, wo ein junger Mann auf dem Rücken lag. Die Markierung der logischen Beziehungen Sie schließen solche sentence adverbs ein wie z. B. thus — takim öbrazom, auf diese Art und Weise, therefore — poetomu, deshalb, so — tak, itak, so, also: So she had to get married to a man she did not like. So mußte sie einen Mann heiraten, der ihr nicht gefiel. Manchmal werden Sachverhalte mit Hilfe von Konstruktionen ausgedrückt, die spezifisch sind für die Syntax der einen oder anderen Sprache, so zum Beispiel im Englischen: Peoples cannot be atombombed into submission. Die Übersetzung solcher Konstruktionen ins Russische oder Deutsche erfordert einen syntaktischen Umbau und die Verwendung des entsprechenden Kasus: Auch mit Atombomben können die Völker nicht in die Knie gezwungen werden. Markierungen zur Identifikation Von Subjekten Zur Identifikation ein und desselben Subjekts können Pronomen (er — he, on; sie — she, ona; sie — they, oni), deiktische Mittel (wie dieser — this, etot; jener — that, tot, der bestimmte Artikel), Kontextäquivalente vom Typ Iwan, ein junger Mann, der Bruder usw. eingesetzt werden. Bei der Ubersetzung muß berücksichtigt werden, daß es in einzelnen Sprachen bestimmte Einschränkungen gibt, die auf die Benutzung dieser Markierungen einen Einfluß ausüben. So ist es z. B. in einem englischen Text durchaus zulässig, mehrmals hintereinander ein und dasselbe Identifikationsmittel einzusetzen (z. B. Pronomen). I n der oben zitierten Erzählung von Salinger beispielsweise wird dreimal hintereinander she verwendet: . . . Sybil immediately ran down to the flat part of the beach. . . She was soon out of the area reserved for hotel guests. She walked for about a quarter of a mile... She stopped short... Die Normen der russischen, aber auch der deutschen Sprache verlangen eine größere Vielfalt bei der Wahl der Identifikationsmittel. So wird z. B. She stopped short in der russischen Übersetzung wiedergegeben mit Devoöka ostanovilas'' kak vkopannaja (Das Mädchen blieb wie angewurzelt stehen).

Übersetzung und Textlinguistik

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Die Markierung der emphatischen Hervorhebung Inversion, emphatische Konstruktionen und Partikeln, lexikalische Mittel der emphatischen Hervorhebung usw. variieren ebenfalls von Sprache zu Sprache. Vgl.: It was the Soviet Army that bore (he brunt of fighting in World War II. Die Hauptlast der Kampfhandlungen während des zweiten Weltkrieges hatte die Sowjetarmee zu tragen. Es war die Sowjetarmee, die die Hauptlast der Kampfhandlungen während des zweiten Weltkrieges zu tragen hatte. Die Markierung des Autorenstandpunktes Sie ist ebenfalls durch eine weite Fächerung der zwischensprachlichen Variativität gekennzeichnet. So verlangen beispielsweise die stilistischen Regeln des Aufbaus einer Zeitungsinformation im Englischen ein rein äußerlich neutrales stilistisches Register, das Fehlen expliziter Markierungen einer Einschätzung durch den Textautor. Und dennoch findet die Beziehung des Autors zu den geschilderten Ereignissen mitunter ihren impliziten Ausdruck in der tendenziösen Zitatauswahl, der Verwendung bestimmter Mittel der Aktualisierung des implizierten emotionalen Untertextes der Meldung; z. B . : When nonstriking workers report to the plant tomorrow, they will face a challenging line of pickets. Wenn die Arbeiter, die sich nicht am Streik beteiligen, morgen im Werk erscheinen, werden sie von einem Trupp herausfordernder Streikposten empfangen (werden). De Gaulle sent his military Commander a blistering cable. De Gaulle sandte seinem Truppenkommandeur ein zynisches Telegramm. Die negative Konnotation wird hier durch die Verwendung der E p i t h e t a challenging (drohend, herausfordernd) und blistering (giftig, zynisch) erreicht. Eine besondere Bedeutung f ü r die Übersetzungstheorie gewinnt die kontrastive Texttheorie (contrastive textology), die sich a n der Nahtstelle zwischen der kontrastiven Linguistik und der Textlinguistik entwickelt. HARTMANN (1981) schlägt ein Schema vor, u m den Platz der kontrastiven Texttheorie unter den anderen Disziplinen zu bestimmen (siehe S. 68). Was das phonologische und das grammatische Niveau der K o n t r a s t a n a l y s e angeht, so existiert hier ein ziemlich genau ausgearbeitetes Modell, mit dessen Hilfe sich die Übereinstimmungen und die Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen aufdecken lassen. Weniger gut bestellt ist es u m die kontrastive Lexikologie, und auf dem Gebiet der k o n t r a s t i v e n Texttheorie sind überhaupt die ersten Schritte gemacht worden (siehe die Arbeiten v o n K A P L A N 1 9 7 7 , SPILLNEK 1 9 7 7 u n d ENQUIST 1 9 7 7 ) .

I n dem angeführten Schema schließt die paradigmatische K o m p o n e n t e Fragen der Semantik ein, die mit der Verteilung der referent iellen I n f o r m a 5*

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Kontrastive Texttheorie Kontrastive Grammatik Kontrastive Lexikologie Kontrastive Phonologie

Linguistische Grundlagen, der Übersetzungstheorie Pragmatik

Syntagmatik

Paradigmatik

Pragmatik/Stilistik Textrhetorik Kommunikative Grammatik Funktionale (useroriented) Lexikografie Pragmaphonologie

Textsyntax

Textsemantik

Syntax

Morphologie

Semiotik

Lexikalische Semantik Segmentphonologie

Phonotaktik

tion verknüpft sind; die syntagmatische Komponente schließt die Kombinatorik oder Arten der Vereinigung von Diskursteilen ein und die pragmatische Komponente kommunikative Beziehungen oder die Korrelation des Diskurses mit der Variativität der kommunikativen Funktionen. Als Beispiel für die Schwierigkeiten, die während des Übersetzungsprozesses auf dem Referentialgebiet der kontrastiven Texttheorie entstehen, möge das korrelative Paar the House — das Hohe Haus dienen. Vergleiche das von HabtMANN angeführte Beispiel aus einer Rede Churchills vor dem Unterhaus: I consider it in the public interest to suggest that the House should he summoned today. Um eine entsprechende deutsche Variante für the House zu finden, muß man beachten, daß es im vorliegenden Text um eine streng reglementierte Form der Anrede des Auditoriums in einer Parlamentsdebatte geht. Eben deshalb ist hier als deutsches Äquivalent die Form das Hohe Haus zu bevorzugen. Zum Gebiet der Kombinatorik gehören sowohl die schon untersuchten Zeichen der Textkohäsion (text-cohesion signals) — so z. B . die Zeichen für die wiederholte Identifikation eines Subjekts — als auch der große Kreis von Fragen, die sich auf die „funktionale Perspektive der Aussage" beziehen. Den pragmatischen Aspekt der kontrastiven Textlinguistik kann man an sogenannten „parallelen Texten" illustrieren; vgl. z. B . die in dem Aufsatz von S p i l l n e e (1981) angeführten Beispiele von Heiratsannoncen aus deutschen und französischen Zeitungen. Der deutsche Text ist nach folgendem Muster aufgebaut: Wir wurden am, 24. 5.1977 getraut. Dr. Hans F. .. . Marianne F. .. geb. T. Duisburg, im Mai 1977 Außerdem sind einige zusätzliche oder fakultative Varianten der Realisierung dieses Schemas zulässig: Wir teilen unsere Vermählung mit; Wir beehren uns, unsere Vermählung anzuzeigen . . . usw.

"Übersetzung und Textlinguistik

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Bei den französischsprachigen Völkern werden die Anzeigen im Namen der Eltern der Jungvermählten in die Zeitung gesetzt: Monsieur et Madame Luden D sont heureux de vous faire part du mariage de leur fille, Marie-Glaire, avec Monsieur Jean-Roger B. . . Ingenieur H. E. I. Monsieur und Madame Luden D. . . . geben sich die Ehre, die Eheschließung ihrer Tochter Marie-Claire mit Monsieur Jean-Roger B.. . Ingenieur H. E. /., bekanntzugeben. (Man vergleiche auch die Gegenüberstellung russischer und englischer Zeitungstexte in den entsprechenden Abschnitten dieses Buches.) Aufmerksamkeit verdient H A R T M A N N S Vorschlag, „eine genetische kontrastive Texttheorie" auszuarbeiten, die es gestattet, die Genesis der E n d variante nachzuvollziehen. Die Übersetzung wird dabei als lebendiger Prozeß der Schaffung eines Textes verstanden, die einer bestimmten Strategie unterworfen ist, die mit Hilfe der Methode der „dynamischen Approximation" verwirklicht wird und in einer Situation des „kommunikativen Konflikts" vor sich geht, d. h. in einer Situation, die die kommunikativen Fähigkeiten, des zweisprachigen Übersetzers vermindern. Der „kommunikative Konflikt" resultiert aus der komplizierten Aufgabenstellung: der Approximation der Texttypen bei gleichzeitiger Umkodierung. Als Beispiel f ü r die „Textapproximation" f ü h r t H A K T M A N N den ersten Entwurf des von A. Wheen ins Englische übersetzten Romans von Remarque „Im Westen nichts Neues" an, den er in den Archiven der australischen Nationalbibliothek entdeckte. Auf diese Weise können wir die Genesis dieser Übersetzung — in gekürzter Form — miterleben. Der Originaltext bei Remarque lautet: Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir abgelöst; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen und Rindfleisch und sind satt •und zufrieden. Sogar für abends hat jeder noch ein Kochgeschirr voll fassen können; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst- und Brotportionen — das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr gewesen. Die englische Variante Wheens entwickelt sich folgendermaßen: We now lie Today we are lying six miles behind the front. Yesterday we were relieved; now with a belly stomachs full of harioeto and boof beans pork and beano bully-beef and beans we are stuffed replete and at peace. Tonights every man is to have another dixie full Each man has M» another dixie filled against for the evening; there is besides a double ration of sausage and bread. Such things It's such things that make a man, but such things do not happen every day ("No News in the West"). We are resting at rest five miles behind the front. Yesterday we were relieved; now wo have now our stomachs bellies are full of bully beef and beans haricot hash and we are satisfied and at peace. Each man has another dixie full mess-tin full for the evening; and, what is more, there is besides a double ration of sausage

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

and bread. It'e auch thing» that make a man; but That puts a man in fine trim. Such things a thing as this do not happen has not happened every day for a long time ("All Quiet in the West"). We are at rest five miles behind the front. Yesterday we were reliefed; new, and now our bellies are full of beef and haricot beans and wo. We are satisfied and at peace. Each man has another mess-tin full for the evening; and, what is more, there is a double ration of sausage and bread. That puts a man in fine trim. We have not had such luck as this for a long time ("All Quiet on the Western Front"). Hartmanns Material bestätigt in anschaulicher Weise die bereits 1970 (SVEJCEE) geäußerte Vermutung, daß die Suche nach einer optimalen Übersetzungslösung in der Regel kein einmaliger Akt ist (ausgenommen natürlich die Simultanübersetzung). Diese Suche wird gewöhnlich mit der „Trialand-error-Methode" verwirklicht, die in der konsequenten Annäherung an die optimale Variante durch das Ausprobieren einiger möglicher Varianten und die Aussonderung all jener Varianten besteht, die ganz bestimmten funktionalen Kriterien nicht gerecht werden. Die angeführten Übersetzungsvarianten zeugen davon, daß der Prozeß der übersetzerischen Entscheidungsfindung auf ein Überwinden von Buchstabentreue und auf eine Annäherung an eine adäquate Übersetzung über semantische, stilistische und pragmatische Ausfilterung hinausläuft. Vgl. beispielsweise : . . . das schafft it's such things that make a man -*that puts a man in fine satisfied trim; satt und zufrieden -*• stuffed and at peace -* replete and at peace and at peace; No News in the West -* All Quiet on the Western Front. Die semantischen, stilistischen und pragmatischen Aspekte der Übersetzung werden ausführlicher in den entsprechenden Abschnitten behandelt.

4.

Übersetzen als Kommunikationsakt

Das Problem des Übersetzens als Kommunikationsakt würde schon vielfach in der wissenschaftlichen Literatur beleuchtet. Es gibt eine ganze Reihe von Darstellungen, die einzelne Besonderheiten des Übersetzens als eines zweisprachigen Kommunikationsaktes erfassen (VON H O O F 1 9 7 1 ) . Uns erscheint es zweckmäßig, die von K A D E unterbreitete Darstellung des Übersetzens als eines kommunikativen Prozesses zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zu machen ( K A D E 1 9 6 8 ) . In dieser Darstellung wird der Versuch unternommen, den Übersetzungsprozeß in der Terminologie der Kommunikationstheorie zu fassen. Diese Theorie beschreibt bekanntlich jeden kommunikativen Akt auf der Ebene einer Wechselwirkung zwischen

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and bread. It'e auch thing» that make a man; but That puts a man in fine trim. Such things a thing as this do not happen has not happened every day for a long time ("All Quiet in the West"). We are at rest five miles behind the front. Yesterday we were reliefed; new, and now our bellies are full of beef and haricot beans and wo. We are satisfied and at peace. Each man has another mess-tin full for the evening; and, what is more, there is a double ration of sausage and bread. That puts a man in fine trim. We have not had such luck as this for a long time ("All Quiet on the Western Front"). Hartmanns Material bestätigt in anschaulicher Weise die bereits 1970 (SVEJCEE) geäußerte Vermutung, daß die Suche nach einer optimalen Übersetzungslösung in der Regel kein einmaliger Akt ist (ausgenommen natürlich die Simultanübersetzung). Diese Suche wird gewöhnlich mit der „Trialand-error-Methode" verwirklicht, die in der konsequenten Annäherung an die optimale Variante durch das Ausprobieren einiger möglicher Varianten und die Aussonderung all jener Varianten besteht, die ganz bestimmten funktionalen Kriterien nicht gerecht werden. Die angeführten Übersetzungsvarianten zeugen davon, daß der Prozeß der übersetzerischen Entscheidungsfindung auf ein Überwinden von Buchstabentreue und auf eine Annäherung an eine adäquate Übersetzung über semantische, stilistische und pragmatische Ausfilterung hinausläuft. Vgl. beispielsweise : . . . das schafft it's such things that make a man -*that puts a man in fine satisfied trim; satt und zufrieden -*• stuffed and at peace -* replete and at peace and at peace; No News in the West -* All Quiet on the Western Front. Die semantischen, stilistischen und pragmatischen Aspekte der Übersetzung werden ausführlicher in den entsprechenden Abschnitten behandelt.

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Übersetzen als Kommunikationsakt

Das Problem des Übersetzens als Kommunikationsakt würde schon vielfach in der wissenschaftlichen Literatur beleuchtet. Es gibt eine ganze Reihe von Darstellungen, die einzelne Besonderheiten des Übersetzens als eines zweisprachigen Kommunikationsaktes erfassen (VON H O O F 1 9 7 1 ) . Uns erscheint es zweckmäßig, die von K A D E unterbreitete Darstellung des Übersetzens als eines kommunikativen Prozesses zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zu machen ( K A D E 1 9 6 8 ) . In dieser Darstellung wird der Versuch unternommen, den Übersetzungsprozeß in der Terminologie der Kommunikationstheorie zu fassen. Diese Theorie beschreibt bekanntlich jeden kommunikativen Akt auf der Ebene einer Wechselwirkung zwischen

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den Teilnehmern (Sender und Empfänger) vermittels eines Nachrichtenkanals. Der Sender bedient sich dabei eines bestimmten Kodes, um die von ihm verfaßte Mitteilung über einen Nachrichtenkanal an den Empfänger weiterzuleiten, der seinerseits über einen Kode verfügt, mit dessen Hilfe er die Mitteilung dekodiert und damit erfaßt. Bezogen auf die einsprachige Kommunikation, läuft dieses Schema wie folgt a b : Sender und Empfänger sind die Teilnehmer am Prozeß der sprachlichen Kommunikation, es kann sich dabei um einen Sprecher und einen (Zu-)Hörer oder den Verfasser eines schriftlich fixierten Textes und dessen Leser handeln. Der Nachrichtenkanal entspricht der Art und Weise der sprachlichen Kommunikation, also mündliche oder schriftliche Form der Rede oder eine ihrer genrespezifischen Darstellungsarten (die Ansprache eines Redners, die Rede in den journalistischen Publikationsmitteln Presse, Funk und Fernsehen usw.). Unter einer Mitteilung wird eine sprachliche Äußerung oder ein Text verstanden. Der Kode setzt sich zusammen aus der Summe der Regeln f ü r eine bestimmte natürliche Sprache. Das Schema von K A D E enthält einige spezifische Besonderheiten des Übersetzens, das als Sonderfall der menschlichen Kommunikation aufgefaßt wird: E, 1

2

3

I n diesem Schema der zweisprachigen Kommunikation lassen sich drei Phasen unterscheiden: I. Die Phase der Kommunikation zwischen dem Sender (S) und dem Übersetzer, der hier als Empfänger (E) des Ausgangstextes fungiert. Prinzipiell gibt es hier keinen Unterschied zum normalen Ablauf der Verständigung innerhalb einer Sprache. Diese Übersetzungsphase entspricht der Analyse, wie sie im vorherigen Abschnitt eingeführt wurde. I I . Die Phase des Kodierungswechsels von der QS in die ZS. Realisiert wird sie durch den Übersetzer, der hier als „Umschlüsseler" fungiert (U). I n dieser für den Übersetzungsprozeß spezifischen Phase wird der Ausgangstext dekodiert; er wird mit Hilfe der f ü r die QS gültigen Regeln, dem ersten Kode, analysiert, und der Übersetzer faßt die dabei gewonnene Information mit den Zeichen des anderen Kodes (der ZS). Es entsteht die endgültige Mitteilung. I I I . Die Phase der Kommunikation zwischen dem Übersetzer, der als Sender (S t ) auftritt und die endgültige Mitteilung an den Empfänger ( E j weiterleitet. Bei der Betrachtung dieser Darstellung muß davon ausgegangen werden,

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daß die Begriffe „Kode" und „Umschlüsselung" hier nicht im streng terminologischen, sondern eher im metaphorischen Sinne benutzt werden. Im Unterschied zur einfachen Umkodierung, wo zwischen den Zeichen zweier Kode relativ einfache und stets eindeutige Entsprechungen gegeben sind, ist die Verwandlung von sprachlichen Äußerungen (Texten) der QS in Äußerungen (Texte) der ZS für den Übersetzer ein weitaus komplizierteres Problem (§VEJCBB 1970; 1971). Die Komplexität und die Verschiedenartigkeit im System der natürlichen Sprachen, die Redundanz und die Differenzierung ihrer Strukturen, die Ambiguität und die Synonymie von sprachlichen Einheiten, das Nichtvorhandensein von eineindeutigen Beziehungen zwischen der formalen und der inhaltlichen Seite von sprachlichen Einheiten, d. h. zwischen der Inhaltsebene und der Ausdrucksebene, sowie die fast unbegrenzten Möglichkeiten der kontextuellen Synonyme — alle diese Faktoren bedingen, daß der Übersetzer nicht einfach die Zeichen von einem Kode in einen anderen transponieren kann, sondern eine weitaus kompliziertere Aufgabe bewältigen muß. Er hat die optimale Variante aus einer Vielzahl von potentiell möglichen Varianten auszuwählen. Noch ein weiterer Faktor ist von Bedeutung. Wenn Phase I und II wirklich hintereinander ablaufen, so laufen Phase II und III zeitlich parallel ab. Es handelt sich also weniger um zwei voneinander getrennte Abschnitte der zweisprachigen Kommunikation, sondern um die gleiche Phase (Synthese der endgültigen Mitteilung), bei der zwei Teilabschnitte zu beobachten sind. Im ersten geht es darum, eine Übersetzungsvariante zu finden, die im Inhalt dem Ausgangstext entspricht und die gleichzeitig die Normen der ZS respektiert ; im zweiten müssen die Zuhörer oder Adressaten entsprechend berücksichtigt werden. Doch dazu an späterer Stelle. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß in der vorliegenden Darstellung die folgenden wesentlichen Seiten des Übersetzens richtig hervorgehoben werden: 1. Das eigentliche Übersetzen zerfällt dem Wesen nach in zwei miteinander verbundene Kommunikationsakte — die Kommunikation zwischen Sender und Übersetzer und die zwischen Übersetzer und Empfänger. 2. Der Übersetzer als Teilnehmer des Kommunikationsaktes tritt dabei als Empfänger und als Sender in Erscheinung. Dieser Rollenwechsel ist von entscheidender Bedeutung für den Übersetzungsprozeß. Das Übersetzen wird häufig als die Wiedergabe des Inhalts des Originals mit den Mitteln einer zweiten Sprache definiert. Doch wir wollen etwas genauer bestimmen, aus welchen Elementen sich der Inhalt der ursprünglichen Mitteilung zusammensetzt und welche davon beim Übersetzen in eine andere Sprache unbedingt wiedergegeben werden müssen. Die Semiotik (als die Wissenschaft von den allgemeinen Eigenschaften der Zeichensysteme, darunter auch denen der Sprache) unterscheidet drei Arten von Beziehungen.

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Die syntaktischen Beziehungen sind diejenigen zwischen den Zeichen, die semantischen Beziehungen bestehen zwischen den Zeichen und den von ihnen bezeichneten Gegenständen und die pragmatischen zwischen den Zeichen und den Zeichenbenutzern. Bei der Untersuchung der Inhaltsebene von sprachlichen Äußerungen ist in der Linguistik der Begriff der sogenannten denotativen Bedeutung üblich. Sie ergibt sich aus der Bezeichnung konkreter gegenständlicher Beziehungen. Der dt. Satz Er tut mir leid und der engl. I feel sorry for him schildern dieselbe Situation; anders ausgedrückt, haben sie dasselbe Denotat. In ihrer syntaktischen Bedeutung, die sich aus der Art der syntaktischen Verbindungen zwischen den Elementen der Äußerung, der syntaktischen Struktur also, ergibt, unterscheiden sie sich dagegen voneinander. Für das Übersetzen sind beide Bedeutungsarten wichtig, sie spielen jedoch eine unterschiedliche Rolle. Wenn die denotative Bedeutung im konkreten Fall erhalten werden soll, wird die syntaktische Bedeutung durch die Spezifik des grammatischen Aufbaus einer Sprache bestimmt. Folglich stellt sie beim Übersetzen eine veränderliche Größe dar. Daraus darf nun aber nicht die Schlußfolgerung abgeleitet werden, daß die syntaktischen Bedeutungen des Ausgangstextes und der Übersetzung überhaupt nicht übereinstimmen könnten. Solche syntaktischen Parallelen werden durch einige ähnliche Merkmale, die die syntaktischen Strukturen verschiedener Sprachen aufweisen, ermöglicht. Ein Beispiel dafür sind die Sätze He reads newspapers und Er liest Zeitungen. Jedoch ist die Erhaltung der syntaktischen Bedeutung einer Äußerung nicht die Aufgabe des Übersetzers und kann es auch nicht sein. Die syntaktischen Bedeutungen werden beim Übersetzen natürlich berücksichtigt, denn der Übersetzer stützt sich auf sie, wenn er den Sinn der ursprünglichen Mitteilung analysiert, und er wird eine syntaktische Entsprechung in der Zielsprache suchen. Für das Übersetzen ist neben der denotativen Bedeutung noch eine andere Komponente des Inhalts wichtig, und zwar die konnotative Bedeutung. Es handelt sich dabei um den Aspekt der Bedeutung, der durch die funktionalstilistische und die expressive Färbung eines sprachlichen Ausdrucks bestimmt wird. Bekanntlich können Äußerungen mit der gleichen denotativen Bedeutung völlig unterschiedliche stilistische und expressive Abstufungen aufweisen. Ein Beispiel im Englischen ist etwa: She looks beautiful. She looks gorgeous. She looks like a million dollars. She looks a knock-out. Eine nicht minder wichtige Bedeutungskomponente des Inhalts stellt die pragmatische Bedeutung dar. Sie ergibt sich aus der Beziehung zwischen einem sprachlichen Ausdruck und den Teilnehmern eines Kommunikationsaktes. Bezogen auf das Übersetzen, wird die Rolle der pragmatischen Komponente durch die Unterschiede in der gesellschaftlichen Realität sowie in den

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kulturellen und historischen Traditionen der verschiedenen Sprachgemeinschaften bestimmt. Beim Übersetzen einer QS-Mitteilung in eine andere Sprache wägt der Übersetzer die zu erwartende außersprachliche Reaktion auf die übersetzte Mitteilung seitens des Empfängers in der ZS gegenüber der Reaktion eines Empfängers ab, der die ursprüngliche Mitteilung in der Quellensprache als seiner eigenen Sprache empfangen hat. Ein Satz wie beispielsweise Perkins ma.de a fifteen-yard end run ist einem amerikanischen Leser durchaus verständlich. Dieser assoziiert ihn mit einer ganz bestimmten Situation im amerikanischen Fußball. Wenn wir diesen Satz ins Deutsche übersetzen Perkins tat einen Satz zur Seite und legte lo Yards zurück, dann wird er für einen deutschen Leser, der mit diesem Spiel nicht vertraut ist, kaum ohne eine entsprechende Erklärung zu verstehen sein. Es muß also notwendigerweise in den T e x t (oder in eine entsprechende Anmerkung) ein Hinweis aufgenommen werden, der dem Leser erklärt, daß hier ein angreifender Spieler versucht, mit dem Ball in der Hand den hinteren Verteidiger zu umlaufen. Häufig beeinflußt die Berücksichtigung der pragmatischen Bedeutung einer Äußerung die Wiedergabe ihrer anderen Bedeutungen. Das ist nicht abwegig, denn die oben aufgeführten inhaltlichen Komponenten sind eng miteinander verflochten. Doch wenden wir uns wieder der schematischen Darstellung des Übersetzungsprozesses als Kommunikationsakt zu. Unter den konkreten Bedingungen des Sprechaktes hängt vieles von der Zielrichtung einer bestimmten Äußerung ab. Jede Äußerung hat ein spezifisches Ziel; es kann darin bestehen, einfach Fakten mitzuteilen, den Gesprächspartner zu überzeugen oder ihn zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Damit haben wir ein äußerst wichtiges Element bei der Planung oder Programmierung jeglicher Tätigkeit, die sprachliche Aktivität inbegriffen, vor uns. Es geht um die Bestimmung dessen, wie die Situation nach einer Aktivität aussehen wird. U m in der Sprache der Psychologen zu sprechen, geht es um ein „Modell des Künftigen" (LEONT'EV 1975, S. 33). Diese Zielvorstellung bestimmt sowohl die Auswahl der sprachlichen Mittel als auch ihr spezifisches Gewicht im Rahmen einer gegebenen Äußerung. Wird der Sprechakt unter dem Blickwinkel seiner Zielrichtung betrachtet, so können wir in ihm eine Reihe funktioneller Merkmale bestimmen, die beim Übersetzen unbedingt berücksichtigt werden müssen. Diese charakteristischen Merkmale wurden von JAKOBSON in seiner Arbeit „ L i n guistics and Poetics" zusammengestellt (JAKOBSON 1966). I m folgenden sollen die für das Übersetzen wichtigsten Merkmale beleuchtet werden. An erster Stelle steht die sogenannte referentielle oder denotative Funktion,

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sie liefert eine Beschreibung der Objekte und Objektbeziehungen (der „Denotate der Mitteilung"). Die sogenannte expressive Funktion, die das Verhältnis des Sprechers zu einer Äußerung erfaßt, ist auch eines der wesentlichen Merkmale des Sprechaktes, die sowohl bei der Analyse wie auch bei der Synthese Berücksichtigung finden. Der Übersetzer wägt dabei die Expressivität der übersetzten und der ursprünglichen Mitteilung gegeneinander ab. Er muß berücksichtigen, daß äußerlich dem gleichen Typ zuzuordnende Mittel einer Sprache sich manchmal wesentlich durch den Grad ihrer Expressivität unterscheiden. Wird das übersehen, sind Sinnentstellungen möglich, ähnlich etwa denen, die R E C K E R in frühen Übersetzungen des Romans „Ein Adelsnest" von Turgenjew ins Englische gefunden hat (R 1950): Deneg u nego bylo malo. Of money he had not much. Den'garni ego snabdil sosed. Money he was provided with by a neighbour. Hier wurde der russischen Inversion genau die gleiche Ausdrucksstärke zugeschrieben, wie sie die im Englischen wesentlich seltener verwendete Form hat. Die poetische Funktion des Sprechaktes umfaßt die eigentliche Form der sprachlichen Äußerung. Da in diesen Fällen die sprachliche Form selbst kommunikative Relevanz erlangt und diese Form nicht mechanisch in eine andere Sprache übertragen werden kann, wird die Suche nach funktionellen Äquivalenten Modifikationen der denotativen Bedeutungen mit sich bringen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Wortspiele übersetzt werden sollen: „Can you herd sheep?" („Können Sie Schafe hüten?") „Do you mean have I heard sheep?" („Sie meinen, ob ich Schafe gehört habe?") „A ne mozete Ii vy pasti ovec?" („Können Sie Schafe hüten?") „Nemogulija spasti ovec?" („Ob ich Schafe retten kann?") — ( K O M I S S A R O V , R E C K E R , TARCHOV 1 9 6 0 ;

1965).

In wieder anderen Fällen geht es um den Kode selbst, also um die im Kommunikationsakt verwendete Sprache. Diese funktionelle Charakterisierung der Sprache wird mit dem Begriff metalinguistisch erfaßt. I n manchen Fällen kann die metalinguistische Funktion über alle anderen Merkmale einer Äußerung dominieren. Vgl. dazu das folgende Beispiel aus dem Roman „Little Dorrit" von Charles Dickens mit der dt. Übersetzung: „'Papa' is a preferable form of address", observed Mrs. General. „'Father' is rather vulgar, my dear. The word 'Papa', besides, gives a pretty form to the lips. Papa, potatoes, poultry, prunes and prisms are all very good words for the lips, especially prunes and prisms." „'Papa' ist als Anrede vorzuziehen", bemerkte Mrs. General.

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„'Vater' klingt etwas gewöhnlich, meine Liebe. Das Wort 'Papa' verleiht außerdem, den Lippen eine schöne Form. Papa, Porree, Pute, Prünellen und Prisma sind alles sehr gute Worte für die Lippen; besonders Prünellen und Prisma." Oder auch das folgende Beispiel aus „Alice in Wonderland" von Lewis Carroll: "That's the reason they 're called'lessons'," the Gryphon remarked: "Because they lesson from day to day." „Daher kommt doch der Name 'unterrichten'", bemerkte der Greif. „Weil die Stunden Tag für Tag ,unter richtigen' Stundenplänen liegen." An diesen Beispielen wird deutlich, daß die Wiedergabe der metalinguistischen Funktion wichtiger ist als die Erhaltung der denotativen Bedeutung der im Ausgangstext erscheinenden Wörter. Ganz anders liegen die Probleme, mit denen der Übersetzer bei der Wiedergabe der „phatischen Funktion" einer Äußerung konfrontiert wird, wo es um die Weiterführung des Kontaktes zwischen den Teilnehmern am Kommunikationsakt geht. Die Aufrechterhaltung dieses Kontaktes erfordert spezielle Sprachsignale, die anzeigen, daß der Empfänger auch weiterhin der Mitteilung folgt. I n jeder Sprache gibt es für diesen Zweck bestimmte Signale (vgl. im Deutschen Aha!, Ach so!, Ach wirklich?, Interessant! und im Englischen I see, Is that so?, Oh, yes!). Für den Ubersetzer sind vor allem die Fälle von Homonymie interessant, wo solche Wendungen in der denotativen und phatischen Bedeutung auftreten. Vgl. dazu die Übersetzung von zwei Beispielen aus dem Englischen ins Deutsche, in denen die Phrase you know vorkommt. I m ersten Beispiel wird der Ausdruck in seiner eigentlichen Bedeutung verwendet, im zweiten dagegen ist er lediglich „Füllstoff". "Do you know him?" „Kennen Sie ihn?" "Why aren't there any more people from Oxford?" "Oh, you know, they're all abroad or working, or can't afford the train fare, I suppose." „ Warum ist weiter niemand aus Oxford da ?" „Ja, was soll ich sagen? Wahrscheinlich sind sie jetzt alle im Ausland oder auf Arbeit, oder sie können das Fahrgeld nicht aufbringen." Die angeführten Beispiele zeigen, daß die funktionellen Dominanten eines Textes, d. h. die funktionellen Merkmale, die in ihm — dem Ziel der Kommunikation entsprechend -r- die dominierende Rolle spielen, die Prinzipien der Analyse und der Synthese von sprachlichen Mitteln im Übersetzungsprozeß bestimmen. Das Textgenre und die damit verbundene Ziel Vorstellung können unter bestimmten Bedingungen die denotative Funktion sogar in den Hintergrund drängen, obwohl diese im Normalfall die wichtigste Rolle spielt. Da die funktionellen Dominanten eines Textes per definitionem variable Größen darstellen, erhebt sich die Frage: Was ist nun die Invariante der

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Übersetzung, was bleibt beim Übergang eines Textes der Sprache A in einen Text der Sprache B unverändert? Für diese Invariante existieren bereits zahlreiche Definitionen ( B A B C H U D A B O V 1962; 1964; L E O N T ' E V 1969). I n den meisten Fällen wird sie als das dem Sinngehalt verschiedensprachiger Texte Gemeinsame oder als die Konstanz der Inhaltsebene bei der Ablösung eines Textes in der Sprache A durch einen Text in der Sprache B definiert. Eine solche Bestimmung erfaßt jedoch nicht alle Fälle, die wir bereits einer Analyse unterzogen haben. Denn offensichtlich geht sie davon aus, daß der gesamte Umfang der im Original enthaltenen Information beim Übersetzen erhalten werden muß. Wir konnten jedoch bereits feststellen, daß es sich in Wirklichkeit anders verhält. Das situative Modell hat gezeigt, daß beim Übersetzen einige semantische Komponenten weggelassen oder eingefügt werden können. Oft erfordert die Wiedergabe der pragmatischen Bedeutung — wir haben das an einem Beispiel gesehen — eine Erweiterung des Textes durch die Einführung zusätzlicher Informationen. Manchmal muß aber auch eine Information, die für den Empfänger in der Zielsprache redundant ist, weggelassen werden. Doch dazu an späterer Stelle. Der Definition von KUZ'MTST zufolge ist die Invariante des Übersetzens „die Situation in der Realität, wie sie vom Verfasser der Mitteilung erfaßt wird" ( K U Z ' M I N 1968). Das wäre möglich, wenn alle Texte Situationsbeschreibungen wären und wenn die Reaktion auf ein und dieselbe Situation für den Verfasser der Mitteilung und für den Empfänger in der anderen Sprache stets identisch wäre. Das aber entspricht nicht der Realität. C A T F O R D faßt die Invariante als „eine Entsprechung zwischen den differentiellen Merkmalen" (zumindest zwischen einigen von ihnen) im Text der Ausgangssprache und in dem der Zielsprache auf ( C A T F O R D 1965). Unter diesen Merkmalen versteht er Situationsmerkmale, die für den konkreten Text wesentlich sind und die die Auswahl bestimmter sprachlicher Formulierungen bestimmen. Bei dieser Definition bleibt vieles ungeklärt. Wie etwa soll ein Minimum an derartigen Merkmalen bestimmt werden, das gerade noch ausreichend ist, um eine solche Beziehung zwischen dem Text in der Ausgangssprache und dem Text in der Zielsprache anzusetzen ? Welche Kriterien gibt es für die Situationsmerkmale? Eine klare Antwort auf diese Fragen bleibt die Catfordsche Arbeit schuldig. Angesichts dessen, was wir bereits über die Vielschichtigkeit des Übersetzungsprozesses gesagt haben, kann die Reduzierung der Ubersetzungsproblematik auf die Frage nach den differentiellen Situationsmerkmalen wohl k a u m f ü r gerechtfertigt angesehen werden. Doch was kann dann als die Invariante der Übersetzung betrachtet werden ? Wir sind der Auffassung, daß beim Übersetzen der funktionelle Inhalt des Ausgangstextes unverändert bleibt, das heißt unverändert bleiben sollte. Unter funktionellem Inhalt verstehen wir dabei den Aspekt des Sinns (sowohl

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die semantische als auch die pragmatische Seite), der vom Kommunikationsziel und den funktionellen Charakteristika der zu übersetzenden Äußerung bestimmt wird, wobei auch das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen von Bedeutung ist. Ein und dasselbe sprachliche Mittel hat somit eine unterschiedliche Wertigkeit, die von seiner Funktion im Text abhängt. Dies wird z. B. deutlich bei der folgenden Nachdichtung von Robert Burns' "The auld farmer's New- Year morning salutation to his auld mare Maggie": A Guid New- Year I wish thee, Maggie ! Hae, there's a ripp to thy auld baggie: Tho' thou's howe-backit now, an' knaggie, I've seen the day Thou could hae gaen like onie staggie, Out-owre the lay. Des alten Farmers Neujahrsmorgengruß an seine alte Mähre Maggie Prost Neujahr dir, du alte Mähre ! Friß dich nur satt an Korn und Ähre: Dein hohles Kreuz, mich dauert's sehr;/Ich sah den Tag, Als du, ein Füllen, sprangst einher,/Durch Busch und Hag. Wenn z. B. in Scholochows Roman „Neuland unterm Pflug" die Dialektismen zur Charakterisierung der handelnden Personen beitragen und im Kontrast zur Literatursprache des Autors stehen, so fehlt in diesem Fall eine solche Gegenüberstellung. Deshalb ist hier völlig zu Recht auf die Wiedergabe der dialektalen Färbung verzichtet worden. Diese Aussage über die funktionelle Invariante der Übersetzung steht keineswegs im Widerspruch zu den oben getroffenen Feststellungen über die semantische oder situationsbedingte Invariante. Sie schließt diese insoweit ein, als die Übertragung der Information als die wichtigste Funktion eines jeden Kommunikationsaktes angesehen werden muß. Gleichzeitig können mit einer solchen Definition aber auch jene Fälle erfaßt werden, in denen die kommunikative Zielstellung des Sprechaktes andere funktionelle Charakteristika des zu übersetzenden Textes in den Vordergrund rückt. Daraus folgt, daß man sich den Übersetzungsprozeß allgemein als einen Prozeß der Lösungssuche (decision process) vorstellen kann, der einer bestimmten Auswahl variierender funktioneller Kriterien entspricht ( L E V Y 1967). Die Uneinheitlichkeit der Entscheidung beim Übersetzen wird dabei bestimmt durch die Vielzahl der auf das Übersetzungsergebnis einwirkenden, veränderlichen Größen, ebenso wie durch die breite Möglichkeit der Paraphrasierurig (der kontextuellen Synonymie). Mit anderen Worten: von einer Äußerung kann es nicht nur eine, sondern mehrere „richtige" Übersetzungsvarianten geben.

Ü b e r s e t z e n als K o m m u n i k a t i o n s a k t

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I n der linguistischen Fachliteratur findet der Begriff „Übersetzungseinheit" Verwendung. Dieser Terminus wird jedoch unterschiedlich definiert. Nach KADE ist die Übersetzungseinheit das „jeweils kleinste Segment des QSTextes, f ü r das dank der potentiellen Äquivalenzbeziehungen ein Segment im ZS-Text gesetzt werden kann, das die Bedingungen der Invarianz auf d e r I n h a l t s e b e n e e r f ü l l t " (KADE 1968, S . 90).

Als Übersetzungseinheit kann ein Wort, eine phraseologische Einheit, ein Satz gelten, und im Extremfall kann der gesamte zu übersetzende Text eine einzige Übersetzungseinheit darstellen. Zum Beispiel wurde der Titel des engl. Films Boom at the Top zuerst falsch ins Russische übersetzt, und zwar als Mansarda („Mansarde"). Später wurde er korrigiert in Der Weg in die höhere Oesellschaft (dt. Titel: Der Weg nach eben). Voraussetzung für diese Korrektur war offensichtlich eine genaue Kenntnis des Drehbuchinhalts. An dieser Stelle taucht nun die Frage auf, ob man bei solchen Textabschnitten den Begriff „Einheit" überhaupt verwenden kann. Wir sind der Auffassung, daß der Begriff Übersetzungseinheit vor allem deshalb einen terminologischen Widerspruch enthält, weil jede Einheit eine konstante Größe ist, wohingegen die sogenannte Übersetzungseinheit per definitionem eine variable Größe darstellt. Außerdem gilt in der Sprachwissenschaft jede Einheit, die einer bestimmten Sprachebene zuzuordnen ist, als eine Konstante. Die Übersetzungstheorie dagegen versteht unter einer Übersetzungseinheit variable und linguistisch nicht definierte Redesegmente der Quellensprache. Schließlich trifft es auf jede beliebige Einheit zu, daß gleichartige Größen sozusagen ausgemessen werden können, indem man sie als eine lineare Folge oder eine Summe von bestimmten Einheiten darstellt. So kann zum Beispiel eine Äußerung als eine Folge von Phonemen und Morphemen dargestellt werden. Der Übersetzungsprozeß kann allerdings keinesfalls als das einfache Zusammenfügen von Einheiten beschrieben werden. Hier geht es um weitaus kompliziertere Vorgänge. Wir wollen an dieser Stelle ein von KADE angeführtes Beispiel analysieren, in dem als Übersetzungseinheit (d. h. als minimaler, vom Standpunkt des Übersetzens unteilbarer Redeabschnitt) der folgende Satz aufgeführt wird: Der Verlag trägt deshalb mit einer Nachauflage den Wünschen der Leser Rechnung (KADE 1968, S. 91). Der dt. Satz könnte durchaus in kleinere Bestandteile zerlegt werden (z. B. Verlag, Nachauflage, Leser), er kann aber erst dann endgültig übersetzt werden, wenn die strukturellen Beziehungen auf der Satzebene berücksichtigt werden. Denn der Übergang zur jeweils höheren Ebene (von der Ebene des Wortes zur Ebene der Wortverbindung, von hier zur Ebene des Satzes und vom Satz zu den komplizierteren syntaktischen Konstruktionen, den Ab-

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Sätzen oder Texten) kann eine neue Qualität in den Übersetzungsprozeß einbringen und t u t dies gewöhnlich auch. Dasselbe tritt auch bei der sequentiellen Erfassung der oben aufgeführten funktionellen Merkmale einer Äußerung ein. Die Dimension der „minimalen Übersetzungsabschnitte" (und letztere sind es wirklich wert, in der Übersetzungstheorie aufmerksam betrachtet zu werden, wenn sie auch absolut nicht unter die Kategorie von Einheiten fallen) hängt von einer komplizierten Wechselwirkung extralinguistischer und intralinguistischer Faktoren ab. Hin und wieder sind es auch rein zufällige Umstände, die die Größe dieser Abschnitte bestimmen, wie etwa der Abstand zwischen einem gegebenen Wort und einer anderen Einheit, die seine Bedeutung genauer bestimmt. An dieser Stelle soll auch etwas zu der Übersetzung von vieldeutigen Wörtern gesagt werden. Es heißt, daß die Ambiguität eines Wortes durch den Kontext beseitigt wird. Zum Kontext gehören im Normalfall lexikalische Einheiten und syntaktische Konstruktionen, die als lexikalische und syntaktische Hinweise verstanden werden können, mit deren Hilfe der Übersetzer entscheiden kann, in welcher konkreten Bedeutung ein bestimmtes Wort oder eine Wortverbindung gebraucht wird. I m Kontext der Wortverbindung to run a business verweisen die syntaktische Konstruktion (Verb mit direktem Objekt) und die lexikalische Bedeutung des Wortes business darauf, daß run hier in der Bedeutung „leiten", „führen" verwendet wird. I n der Äußerung If the people are taxed much more, they 'II begin to kick ist zur Ermittlung der Bedeutung von kick („protestieren", „nörgeln", „sich [mit Händen und Füßen] wehren") der gesamte Kontext notwendig. I n einer anderen Äußerung He is much better today. I think he 'II do now ist zur Ermittlung der Bedeutung von do, in diesem Zusammenhang „genesen", unbedingt der vorhergehende Satz erforderlich. Und wenn wir den folgenden Satz aus einer amerikanischen Zeitschrift The attack on "big spenders" has an obvious appeal to the Republican party unter diesem Aspekt betrachten, erweist sich, daß der Sinn der Wortverbindung big spenders erst in einem der anschließenden Absätze klar wird, wenn es heißt: No effort should be spared to make it clear to the American people who the "big spenders" are and for what they are spending taxpayer's money. Erst nachdem der Übersetzer diesen Satz gelesen hat, kann er den ganzen Absatz richtig erfassen: Der Angriff auf die „Geldverschwender" sagt der Republikanischen Partei offensichtlich zu. Dem amerikanischen Volk müßte um jeden Preis klargemacht werden, wer die Gelder der Steuerzahler verschwendet und wohin diese Gelder gehen. Ein weiterer häufig verwendeter Begriff in theoretischen übersetzungswissenschaftlichen Arbeiten ist der der „adäquaten Übersetzung". Es scheint wenig sinnvoll, die vielen Definitionen dieses Begriffes aufzuzählen. Wir

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möchten nur auf die für das Verständnis des Prinzips der Adäquatheit äußerst wichtigen Abgrenzungen eingehen, die in den Arbeiten von. NIDA zwischen der dynamischen Äquivalenz („dynamische Gleichwertigkeit" bei NIDA) und der formalen Äquivalenz („formale Entsprechung") vorgenommen werden (NIDA 1 9 6 9 ; 1 9 6 9 , S . 2 1 - 2 3 ) .

Normalerweise werden die Ergebnisse des Übersetzens verglichen, indem der Ausgangstext in der QS und der Text in der ZS einander gegenübergestellt werden. Dieser Vorgang kann schematisch wie folgt dargestellt werden: s

M, \ \

In dieser Darstellung enthalten die Quadrate die Bezeichnungen für die Kommunikationsteilnehmer in der Quellensprache und die Kreise die Kommunikationsteilnehmer in der Zielsprache. Der Sender S übermittelt die Mitteilung Mj an den Empfänger E 1 ( der sie in der Quellensprache aufnimmt. E j ist der Adressat unserer Mitteilung. Der Übersetzer (Ü) tritt nacheinander als Empfänger und Sender in Aktion, zuerst nimmt er M; auf und ist in dieser Situation mit E j gleichzusetzen; dann schafft er in einem völlig anderen kulturhistorischen Kontext die Mitteilung M 2 , die dem Empfänger E 2 verständlich sein soll. Die Übersetzungskritik läuft im Normalfall so ab, daß die formalen und inhaltlichen Strukturen von und M2 einander gegenübergestellt werden. Auf dieser Grundlage beurteilt der Kritiker Ü 3 S 3 , inwieweit es sich um eine richtige Übersetzung handelt. Diesem Schema stellt NIDA ein anderes gegenüber, in dem die Übersetzungskritik nicht vom Kriterium der formalen Übereinstimmung'der Texte, sondern von der „dynamischen Äquivalenz" ausgeht. S

M,

V

6

Übersetzung

f,

4—>

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

I n diesem Falle ist die Aufmerksamkeit desjenigen, der die Qualität der Ubersetzung bewertet, nicht auf die formale Entsprechung der Texte M 2 und M t gerichtet, sondern darauf, wie die entsprechenden Mitteilungen von den Empfängern E 4 und E 2 — den Trägern der Sprachen A und B — verstanden werden (vgl. die durchgehenden Linien zwischen Ü 3 S 3 und E j und E 2 ). Dieses Problem kann mittels Informantenbefragung gelöst werden, wobei Informanten jeweils Träger der Sprache A oder B sind. Ähnlich geht auch der Übersetzer gelegentlich vor, wenn er sich nämlich an Muttersprachler wendet und deren Reaktion auf seine Übersetzungsvariante testen will. Häufiger jedoch schafft sich der Übersetzer auf der Suche nach der optimalen Variante eine bestimmte Vorstellung von der Reaktion des Empfängers auf eine bestimmte Stelle seiner Übersetzung. Eine solche Art von Hypothese stellt ganz offensichtlich eines der Elemente der bereits erwähnten „Wahrscheinlichkeitsprognose" dar. Von der gleichen Hypothese geht auch ein Übersetzungskritiker (Ü 3 S 3 ) aus, der für seine Beurteilung die Sprachen A und B beherrschen muß. Die „dynamische Äquivalenz" oder „dynamische Gleichwertigkeit" ist die Eigenschaft der Übersetzung, in der der Inhalt einer ausgangssprachlichen Mitteilung so übertragen wurde, daß die Reaktion des zielsprachigen Empfängers in den wesentlichen Zügen der Reaktion eines Empfängers in der Quellensprache entspricht. Diese Reaktion des Empfängers schließt dabei sowohl das Verständnis der im Text enthaltenen Information ein als auch das Erfassen der expressiven und sonstigen funktionellen Merkmale dieses Textes. Nicht zufällig spricht man davon, daß diese Reaktion gleich und nicht identisch sein soll. Die unterschiedlichen kulturellen und historischen Erfahrungen schließen bei verschiedensprachigen Empfängern in einigen Fällen eine volle Identität in den Reaktionen aus. Daraus läßt sich die Schlußfolgerung ableiten, daß der Begriff der „dynamischen Äquivalenz" unserem Begriff der „funktionellen Äquivalenz" vollauf entspricht. Nur die Übersetzung verdient das Prädikat adäquat, die das kommunikative Ziel des Senders wiedergibt. Darunter ist zu verstehen, daß die Reaktion des Empfängers der kommunikativen Intention des Senders entsprechen muß. Wäre das nicht der Fall, fände offenbar keine Kommunikation statt. Mit dem Verweis auf die Reaktion der Empfänger unterstreicht N I D A , wie wichtig es ist, die pragmatische Seite beim Übersetzen zu berücksichtigen. Darüber schreibt auch N E U B E R T in seinen Arbeiten zur Übersetzungstheorie ( N E U B E E T 1968; 1970). Er unterscheidet zwei Arten der Adäquatheit: eine Adäquatheit, die als Wiedergabe des Inhalts des Originals unter Beachtung der Normen der Zielsprache betrachtet wird, und eine pragmatische Adäquat-

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Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

heit, bei der darüber hinaus auch die pragmatischen Aspekte des Übersetzens erfaßt werden. Das Verdienst, N I D A S Modell der „dynamischen Äquivalenz" weiter ausgearbeitet zu haben, gebührt dem jugoslawischen Linguisten I v i r , der die Aufmerksamkeit auf die in verschiedene Richtungen weisende Orientierung während des Übersetzungsprozesses (multidirectional character) lenkt. Die Grundlage dieses Prozesses ist die sogenannte extralinguistische Mitteilung, d. h. eine Mitteilung, die als bestimmte Konfiguration der extralinguistischen Merkmale aufgefaßt wird, die in der gegebenen Situation mitgeteilt werden. Die Übersetzung wird also nicht als ei" Umwandlungsprozeß des Ausgangstextes in den Text der Zielsprache entsprechend den eingleisigen Regeln der formalen semantischen Übereinstimmung betrachtet. Zwischen der „extralinguistischen Mitteilung" (extralinguistic message) und ihrer ursprünglich kodierten Form in der Originalsprache, dem Dekodieren des Ausgangstextes durch den Übersetzer für die Aufnahme der Mitteilung, dem Kodieren der erhaltenen Mitteilung durch den Übersetzer zur Weitergabe der Mitteilung in Form des Endtextes an die Endadressaten und dem Dekodieren dieses Textes durch die Endadressaten zur Entnahme der enthaltenen Information existieren weit kompliziertere, in mehreren Richtungen verlaufende (multidirectional) Verbindungen: Extra/mguisfische

d usgangstext

Mitteilung

Endfexf

Die Beziehungen der Äquivalenz zwischen dem Ausgangstext und dem Text in der Zielsprache werden nicht unmittelbar, sondern durch die Mitteilung hergestellt: Jeder der Texte unterhält eine selbständige Beziehung der Äquivalenz zur Mitteilung. Die extralinguistische Mitteilung ist Ausgangspunkt und Grundlage der Kommunikation, und das Zurückkommen auf diese Mitteilung ist obligatorisch für jeden Schritt des Übersetzungsprozesses (Ivie 1981). Auf diese Weise haben wir uns also ganz unmittelbar der Frage der Äquivalenz genähert, einer der zentralen Fragen der Übersetzungstheorie, über die es aber offenbar keine einheitliche Meinung gibt. Das kommt daher, daß die Interpretation der Äquivalenz vom Verständnis der Übersetzung selbst abhängt, ihrer Ontologie und Beziehung zur Sprache und zur außersprachlichen Welt. Im Endeffekt gibt es genauso viele Auslegungen der Äquiva6*

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lenz wie es unterschiedliche Ansichten über die Übersetzung selbst gibt. So geht beispielsweise B A R C H U D A R O V ( 1 9 7 5 ) von rein linguistischen Kriterien aus (Äquivalenz auf dem Niveau des Phonems, Morphems, Wortes, Satzes, Textes). K O M I S S A B O V ( 1 9 7 3 ) hebt die Äquivalenz auf dem Niveau der Aussage, Mitteilung, Situation und des kommunikativen Zieles hervor. Legen wir dem Modell der übersetzerischen Äquivalenz ein Modell zugrunde, das von G A K und L ' V I N (1970) vorgeschlagen wird und dem zufolge drei Arten von Äquivalenz unterschieden werden: die formale, die semantische und die situative. Die formale Äquivalenz wird durch die größtmögliche I d e n t i t ä t der lexikalischen Einheiten und grammatischen Formen b e s t i m m t : 1. Meine Mutter kommt zu mir. My mother is Coming to me. Die formalen Unterschiede zwischen dem deutschen Satz und seinem englischen Äquivalent ergeben sich lediglich aus den allgemeinen strukturellen Unterschieden zwischen den beiden Sprachen (vgl. die deutsche F o r m des femininen Geschlechts meine, und die englische Form des Präsens continuus is Coming). W a s das übrige anbelangt, so weisen diese beiden Sätze eine recht große strukturelle I d e n t i t ä t auf. Bei der semantischen Äquivalenz werden zum Ausdrücken ein und derselben semantischen Komponenten strukturell unterschiedliche sprachliche Mittel eingesetzt: 2. Sie stehen Schlange, um Karten zu kaufen. They a,re queueing to buy tickets. Hier finden wir ein und dieselben semantischen Komponenten (Seme), verteilt auf die beiden Elemente des deutschen Ausdrucks Schlange stehen und im zweiten Beispiel konzentriert in dem einen englischen Wort queueing. Die situative Äquivalenz setzt die Verwendung verschiedener semantischer Komponenten f ü r die Beschreibung gleicher außersprachlicher Situationen voraus: 3. Beim Flugzeugabsturz in Illinois sind 84 Fluggäste ums Leben gekommen. The air crash in Illinois killed 84 passengers. Vgl. ums Leben gekommen und killed. Hier ist es a m Platz, die Frage zu stellen: Ist denn tatsächlich von unterschiedlichen Niveaus oder Typen der Äquivalenz die Rede? Verlangt doch die sogenannte „formale Äquivalenz" (1.) nicht n u r eine semantische, sondern offenbar auch eine pragmatische Übereinstimmung. Deshalb k a n n man behaupten, daß in 1. und 2. die Äquivalenz semantischen und pragmatischen Charakter t r ä g t . Der Unterschied zwischen ihnen wird durch die Anwendung verschiedener Übersetzungsmodelle b e s t i m m t : der Substitution

Übersetzen als Kommunikationsakt

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im ersten Beispiel und der syntaktischen Transformation VN->-V im zweiten. Mit anderen Worten: Wir haben zwei Arten semantischer Äquivalenz vor uns, die man als „nichttransformiert" urid „transformiert" bezeichnen könnte. Zu den „transformierten" Äquivalenten gehören alle Arten von grammatischen Transformationen, die bei der Übersetzung angewendet werden: 4. He is a late-comer. Er kommt ständig zu spät. 5. Man hat den Elektriker holen lassen. The electrician has been sent for. In all diesen Fällen drücken die verschiedenen grammatischen Formen ein und dieselben semantischen Komponenten aus. Diese Art von Äquivalenz kann man als „komponentische" Äquivalenz bezeichnen. I m dritten Beispiel jedoch haben wir es mit einer völlig anderen Art von semantischer Äquivalenz zu tun. Der Terminus „situative" Äquivalenz scheint hier nicht ganz angebracht, weil er die Vorstellung vermitteln könnte, daß diese Aussagen nur eines gemeinsam hätten — den Referenten (der außersprachlichen Situation). In diesem Falle aber müßten wir diöser Gruppe auch solche unäquivalenten Beispiele zurechnen wie: 6. She is not the most beautiful of women. Sie ist häßlich wie die Nacht. " Die Rede ist von einem besonderen Typ deí ' semantischen Äquivalenz, bei der ein und derselbe referentielle Sinn mit Hilfe verschiedener Kombinationen semantischer Komponenten wiedergegeben wird. Wenn man Beispiel 3. auf die Formel a + b + c-|- ... + z = a + b + c + ... +Z bringen kann, so kann man Beispiel 6. mit der Formel a + b = c + d beschreiben. Der referentielle T y p der semantischen Äquivalenz geht auf kompliziertere lexikalisch-grammatische Transformationen zurück, denen metonymische (7.) oder metaphorische (8.) Übertragungen zugrunde'liegen: 7. Meine Uhr steht. My watch has stopped. 8. Das ist nur ein Katzensprung. This is just a stone's throw. Das an anderer Stelle über die Notwendigkeit der Übereinstimmung zwischen der kommunikativen Einstellung des Textautors und der Aufnahme dieses Textes von Seiten des Adressaten der Zielsprache Gesagte läßt uns die Schlußfolgerung ziehen, daß die pragmatische Äquivalenz die Grundlage eines beliebigen Typs der semantischen Äquivalenz darstellt, der transformierten wie der nichttransformierten, der Komponentenäquivalenz und der referentiellen. Dabei entsteht jedoch folgende Frage: Kann die pragmatische Äquivalenz selbständig, ohne semantische Äquivalenz, existieren? Es hat den

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Anschein, als hänge die Antwort auf diese Frage von der konkreten Konfiguration der funktionalen Parameter ab, die die vorliegende Aussage charakterisieren (siehe JAKOBSON 1966). Die semantische Äquivalenz ist in den Fällen unumgänglich, wenn die „referentielle" oder „denotative" Funktion die Grundfunktion der Mitteilung darstellt; d. h., wenn das Augenmerk auf die Beschreibung von gegenständlichen Situationen gerichtet ist. Aber auch in diesen Fällen kann der pragmatische Filter eine Reihe von Abweichungen von der semantischen Übereinstimmung hervorrufen, und zwar auf Grund eines unterschiedlichen Ausgangswissens des Empfängers des Ausgangs- und des Endtextes. Vgl. das folgende Beispiel: Ee brat usel v armiju v 1941 g. Her brother joined the army when Nazi Germany attacked the USSR. Im vorliegenden Fall ist die Abweichung von der semantischen Äquivalenz dadurch hervorgerufen, daß der Begriff „1941" für viele Amerikaner, an die sich die Ubersetzung richtet, nicht mit der gleichen für das Verständnis des Textes notwendigen Information gekoppelt ist, die sie für den Empfänger in der UdSSR enthält. Die Abweichung von der semantischen Übereinstimmung kann auch noch spürbarere Ausmaße in den Fällen annehmen, wenn andere Funktionen in den Vordergrund rücken (beispielsweise eine poetische oder metalinguistische), wie bei der Wiedergabe des folgenden Wortspiels: Oh, ignorant young creatures! How Utile, do you know the effect of rack-punch! What is the rack in the punch at night to the rackinthe head in the morning? (W. Thackeray, Vanity Fair). Die pragmatische Aufgabenstellung kann den Übersetzer veranlassen, von wörtlichen lexikalisch-semantischen Übereinstimmungen abzusehen und sogar eine andere stilistische Form zu wählen (die Versform anstelle des Wortspiels), etwa: Was ist das abendliche Mahl gegen die Morgenqual ? Oder: Was ist die abendliche Zecherei gegen die Morgenquälerei? Es gibt also zwei Arten von Äquivalenz — die semantische und die pragmatische. Die unterschiedlichen semantischen Äquivalente (das transformierte und das nichttransformierte, das Komponenten- und das referentielle Modell) repräsentieren unterschiedliche Typen der Übersetzungstransformationen : das nichttransformierte — die Substitution —, das transformierte — die grammatische Transformation —, das referentielle — die lexikalischsyntaktische Periphrase. Pragmatische Äquivalenz kann mit semantischer einhergehen oder in Einzelfällen selbständig existieren. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es zwei Typen der statischen Äquivalenz gibt: semantische und pragmatische. Erstere kann transformiert und nicht-transformiert erscheinen. Zu der transformierten Variante zählen

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Übersetzen als Kommunikationsakt

solche Unterarten wie komponentielle und referentielle Äquivalenz. Das statische Modell der Äquivalenz kann wie folgt dargestellt werden:

SEMANTISCHE ÄQUIVALENZ

Nicht-transformiert

PRAGMATISCHE ÄQUIVALENZ

Transformiert Komponentiell

Referentiell

+

+

+



-

+

+

+

-

-

+

-

-

1

+ +

Aus dieser Tabelle geht hervor, daß jeder Typ den Bedingungen der darauffolgenden Äquivalenztypen (von links nach rechts in der Tabelle) entspricht. So ist nicht-transformierte semantische Äquivalenz gleichzeitig komponentiell, referentiell und pragmatisch. Komponentielle Äquivalenz schließt referentielle und pragmatische Äquivalenz ein. Referentielle Äquivalenz ist gleichzeitig auch pragmatisch. Und pragmatische Äquivalenz schließlich kann allein vorkommen. Die Typen der statischen Äquivalenz sind organisch mit dynamischen (operativen) Übersetzungsmodellen als deren Produkte verbunden. Nichttransformierte semantische Äquivalenz basiert auf Substitution, komponentielle Äquivalenz auf grammatischen Transformationen, und pragmatische Äquivalenz kann erreicht werden durch Auslassungen, Ergänzungen oder vollständige Umschreibungen. Mit dem oben angeführten Modell wird es möglich, zwischen der eigentlichen Übersetzung und solchen übersetzungsähnlichen Tätigkeiten wie der wörtlichen und der freien Übersetzung zu unterscheiden. Erstere bedeutet formale Äquivalenz ohne semantische oder pragmatische Äquivalenz, komponentielle anstelle von referentieller Äquivalenz, semantische ohne pragmatische Äquivalenz usw., und letztere läuft hinaus auf pragmatisch nicht gerechtfertigte Weglassungen, Zusätze und Paraphrasierungen. Bei unserer Darlegung der grundlegenden Realisationsformen des Übersetzens und der Kriterien, von denen sich ein Übersetzer bei der Suche nach der optimalen Variante leiten läßt, haben wir festgestellt, daß das Transformationsmodell, das semantische und das situative Modell dem Übersetzer eine

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Reihe von Verfahren liefern, mit deren Hilfe der Übersetzungsprozeß realisiert werden kann. Die funktionellen Merkmale dienen dabei als Selektor, der auch optimale Varianten ermitteln hilft. In den folgenden Kapiteln sollen nun die semantischen, die stilistischen und die pragmatischen Probleme des Übersetzens ausführlicher behandelt werden.

II Semantische Probleme der Übersetzung

In der praktischen Übersetzertätigkeit werden semantische, stilistische und pragmatische Probleme zur gleichen Zeit gelöst, denn in den Texten natürlicher Sprachen überlagern die konnotativen (stilistischen) Bedeutungen die denotativen (objektbezogenen), und zwischen semantischen und pragmatischen Komponenten besteht eine feste untrennbare Einheit. Um aber die Untersuchung der Probleme des Übersetzens zu vereinfachen, erscheint es angebracht, die genannten Aspekte voneinander abzuheben, wobei nicht vergessen werden darf, daß diese Trennung nur zu eben diesem Zweck vorgenommen wird. Wenn im ersten Kapitel in den allgemeinsten Zügen mit den Grundlagen und der Anwendung des transformationellen, des semantischen und des situativen Modells beim Übersetzen vertraut gemacht wurde, so soll im vorliegenden Kapitel ausführlicher dargelegt werden, inwieweit sich diese Modelle für die Wiedergabe der denotativen Bedeutung eignen und welche Faktoren einen Übersetzer dazu bewegen können, sich für ein bestimmtes Modell zur Umformung des Ausgangstextes zu entscheiden. Dabei muß prinzipiell davon ausgegangen werden, daß sich diese Modelle teilweise überlagern und daß einige Umformungen vom gleichen Typus in der Terminologie unterschiedlicher Modelle beschrieben werden können.

1.

Zur Anwendung der grammatischen Transformation

Spricht man von der Anwendung grammatischer Transformationen beim Übersetzen, so müssen zwei unterschiedliche Situationen hervorgehoben werden. Zum ersten wird die Transformation bei der semantischen Analyse verwendet. In der endgültigen Variante der Zielsprache verbleibt die Äußerung deshalb aber nicht unbedingt in dieser transformierten Form, das heißt in Kernsätzen oder kernnahen Sätzen. Bei einer Gegenüberstellung des Ausgangstextes und der Übersetzung läßt sich auch kaum feststellen, ob eine grammatische Transformation vorgenommen wurde. Prinzipiell kann

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Semantische Probleme der Übersetzung

man jedoch davon ausgehen, daß die Transformation als ein effektives Hilfsmittel bei der Analyse Anwendung findet. Zum zweiten wird die Transformation im Stadium der Synthese verwendet. Hier muß der Übersetzer auf Grund einer ganzen Reihe von Ursachen, auf die wir später noch zu sprechen kommen, die Transformation als Hilfsmittel zur Formulierung der endgültigen Äußerung in der Zielsprache benutzen. Zuerst einige der Fälle, in denen die Transformation bei der semantischen Analyse Anwendung findet. I m ersten Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, daß zahlreiche Oberflächenstrukturen mehrdeutige grammatische Beziehungen aufweisen, die unterschiedlich interpretiert werden können. Hier kann die Transformation helfen, die Ambiguität zu beseitigen und solche Strukturen zu bilden, in denen die semantischen Beziehungen eindeutig sind. Kernsätze und kernnahe Sätze sind solche eindeutig zu interpretierende Strukturen. W A N D R U S Z K A führt in einer seiner Arbeiten einige Eigenschaften der natürlichen Sprachen auf, die f ü r die Theorie und Praxis des Übersetzens unmittelbar relevant sind ( W A N D R U S Z K A 1971). Darunter fallen auch zwei einander eigentlich widersprechende Tendenzen, die sich in verschiedenen Sprachen unterschiedlich zeigen: die Tendenz zur Explikation, d. h. zum klaren und deutlichen Ausdruck, und die Tendenz zur Implikation, bei der etwas stillschweigend mitverstanden wird. Nun ist es möglich, daß das, was in einer Sprache mitverstanden (impliziert) wird, in einer anderen Sprache unbedingt deutlich (explizit) ausgedrückt werden muß. Hier zwei der von W A N D R U S Z K A angeführten Beispiele aus dem Englischen mit ihrer Übersetzung ins Französische: A 1969 report of the Royal Commission on Security . . . Un rapport de la Commission royal sur la sécurité, daté de 1969 . . . At a delirious Liberal victory gathering .. . Au cours de la réunion enthousiastique célébrant la victoire des libéraux . . . Auch in der sowjetischen sprachwissenschaftlichen Fachliteratur finden sich in dieser Hinsicht interessante Ausführungen bei K R U S E L ' N I C K A J A (1961), die zwei Situationen unterscheidet: 1. Fälle, in denen die Explikation beim Übersetzen obligatorisch ist, weil in der Zielsprache keine verwandte Methode der Implikation üblich ist, 2. Fälle, in denen es in der Zielsprache der Übersetzung parallele Ausdrucksweisen gibt (sowohl explizit wie auch implizit) und ihre Wahl von den gleichen Faktoren bestimmt wird, wie sie auch für die Auswahl unter Synonymen gültig sind. Der zweite Fall soll ausführlich im dritten Kapitel untersucht werden und zwar im Zusammenhang mit den stilistischen Problemen des Übersetzens. An dieser Stelle daher nur die folgende Bemerkung: In der Übersetzungspraxis sind auch Situationen mög-

Grammatische Transformation

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lieh, wo in der Zielsprache parallele Ausdrucksmöglichkeiten für einen gegebenen Inhalt vorliegen — entweder explizit oder implizit —, wo jedoch die Explikation des Ausdrucks der Quellensprache einen notwendigen Schritt bei der semantischen Analyse darstellt. Das ist immer dann der Fall, wenn die implizite Ausdrucksweise der Zielsprache den ähnlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Quellensprache im Sinngehalt nicht entspricht. In diesem Fall hängt die Auswahl unter den verschiedenen Möglichkeiten von den Ergebnissen der semantischen Analyse ab. Als Beispiel f ü r syntaktische Konstruktionen, bei denen die semantischen Beziehungen zwischen ihren Bestandteilen keinen expliziten Ausdruck erfahren, können die im Englischen — und da besonders im Stil der Presse und Publizistik — häufig vorkommenden Wortverbindungen vom T y p NN (Substantiv-(-Substantiv) angeführt werden. Harry Tenebaum, St. Louis Investment banker, told today of conversations with members of the Federal Communication commission (FCC), but denied engaging in behind-the-scenes activities to win a television Channel award. Da bei television Channel award die Beziehung zwischen den Komponenten nicht mit lexikalischen Mitteln dargestellt wird, sind im Prinzip zwei Interpretationen des Sinns möglich. I n der Terminologie der semantischen Analyse ausgedrückt, heißt das, daß television Channel sowohl Subjekt als auch Objekt des „Prozesses" sein kann, der mit award bezeichnet wird. I m ersten Fall würde der inhaltlichen Struktur dieses Syntagmas der Kernsatz A television Channel awards (something) entsprechen, im zweiten Fall würde der Kernsatz (Somebody) awards the television Channel lauten. I n der Etappe der Analyse muß der Übersetzer nun prüfen, welche dieser beiden Versionen durch den Kontext bestätigt wird. In Abhängigkeit davon kann er den Vorgang um Tenebaum, bestimmen. Entweder hat dieser eine Auszeichnung des Fernsehens bekommen oder die Lizenz zur kommerziellen Nutzung eines Fernsehkanals. Der Übersetzer muß also entscheiden, in welcher Bedeutung award auftritt, dazu muß er die inhaltlichen Beziehungen zwischen award und television Channel aufdecken. Wenn television Channel das Objekt des Prozesses ist, der mit award bezeichnet wird, dann geht es um die Entscheidung, Tenebaum einen Fernsehkanal zur Nutzung zu überlassen; ist dagegen television Channel das Subjekt, dann handelt es sich um eine Auszeichnung durch das Fernsehen. Die Einbeziehung eines umfassenderen Kontextes (in einem der folgenden Absätze ist das Syntagma An investment banker tried to get a television Channel zu finden) und das Wissen um den extralinguistischen Sachverhalt (es ist bekannt, daß die Bundeskommission für das Nachrichtenwesen Lizenzen für die kommerzielle Nutzung von Fernsehkanälen erteilt) führen schließlich zu der Schlußfolgerung, daß award in diesem Fall Lizenz für die kommerzielle

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Semantische Probleme der Übersetzung

Nutzung bedeutet. Damit kann die endgültige Übersetzungsvariante formuliert werden: Harry Tenebaum, Inhaber einer Investitionsbank in St. Louis, berichtete heute von Gesprächen mit Mitgliedern der Bundeskommission für das Nachrichtenwesen (FCC), bestritt jedoch, daß er sich hinter den Kulissen um eine Lizenz für die kommerzielle Nutzung eines Fernsehkanals bemühe. Das folgende Beispiel wurde einer militärischen Fachzeitschrift entnommen: Another problem that was found to be considerably exaggerated is that of radar blackout. I m Wörterbuch finden wir für blackout die Entsprechung (vollkommene) Verdunkelung. In den militärischen Bereich übertragen, bedeutet {radar) blackout Radarfunkstille (zum Zwecke der Tarnung). Ein amerikanisches Wörterbuch verweist jedoch darauf, daß blackout nicht nur Einstellung der Tätigkeit zum Zwecke der Tarnung, sondern auch Nachrichtenmittel außer Gefecht setzen heißen kann. Die gleiche Bedeutung findet sich auch bei dem V e r b : to make inoperable (to black out radio broadcasts). Damit stoßen wir erneut auf das Problem der semantischen Analyse: Was ist radar im Verhältnis zu blackout — Subjekt oder Objekt ? Nach den Regeln der Transformationsanalyse kann die vorliegende Oberflächenstruktur aus zwei Kernsätzen abgeleitet werden: radar blackout — radar blacks out. radar blackout — (somebody) blacks out radar. Wiederum muß der Kontext hinzugezogen werden. Hier findet sich ein Satz, der zugunsten der zweiten Variante spricht: An attempt to black out the PAR — the long range acquisition and tracking radar — would require the establishment of about 15 aiming points in the sky. Es handelt sich also offensichtlich nicht darum, daß die Radarstationen ihre Tätigkeit zum Zwecke der Tarnung eingestellt haben, sondern darum, daß sie außer Gefecht gesetzt wurden. Die Übersetzung könnte damit wie folgt lauten: Die Bedeutung der Tatsache, daß Radarstationen außer Gefecht gesetzt werden können, war, wie sich herausstellte, ebenfalls beträchtlich uberschätzt worden. Solche und ähnliche Strukturen müssen für die semantische Analyse aber nicht immer in Kernsätze umgeformt werden, wie das NIDA meint (vgl. erstes Kapitel). I n manchen Fällen reicht aus, sie in synonyme Wortverbindungen umzuwandeln, bei denen die inhaltlichen Beziehungen zwischen den Komponenten nach dem Einsatz von lexikalischen Mitteln eindeutig werden. This form of national defense investment is capable of protecting the country against attack. Hier muß durchaus nicht die gesamte transformationelle Entwicklung der Oberflächenstruktur national defense investment bis zum Kern- oder zu

Grammatisohe Transformation

93

einem kernnahen Satz zurückverfolgt werden. Die folgende Umwandlung ist völlig ausreichend: National defense Investment --Investment in national defense. Damit ist bereits eine ausreichende Explikation des Sinns gegeben. Diese Form der Bewilligung von Zuwendungen für die nationale Verteidigung kann den Schutz des Landes vor einem Angriff gewährleisten. Bei der Fügung Gl loan approvals muß anhand des Kontextes entschieden werden, ob es approval of loans by GIs oder approval of loans to GIs heißt. Die richtige Variante in diesem Fall ist Genehmigung für Armeeangehörige, einen Kredit aufzunehmen. Eine Wortverbindung vom Typ N N oder N N N wird durch ein hinzutretendes Adjektiv oft noch mehr verkompliziert. Um den Sinn einer solchen Wortverbindung richtig erfassen zu können, muß der Übersetzer herausfinden, zu welcher Komponente das Adjektiv gehört. Hier als Beispiel die Wendung unfair labor practices strike. Die möglichen Deutungen hängen davon ab, worauf sich das Adjektiv unfair bezieht: auf labor practices oder auf labor practices strike. Bei Anwendung der sogenannten IC-Analyse (IC als immediate constituents, unmittelbare Konstituenten) kann die Struktur wie folgt dargestellt werden:

/

..

unfair labor practices strike

unfair labor practices

strike

,/ \

unfair labor practices / unfair

strike

labor practices strike

Wenn wir die Analyse weiterführen, wird ersichtlich, daß labor practices strike so nicht mit einem zufriedenstellenden Ergebnis interpretiert werden kann. Die zweite Variante ist somit zu verwerfen. Bei Weiterführung der Analyse der ersten Variante ergibt sich: unfair labor practices

unfair

labor practices

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Semantische Probleme der Übersetzung

Jetzt müssen nur noch die Transforme von labor practices und dem quellensprachlichen Ausdruck insgesamt gefunden werden, in denen die inhaltlichen Beziehungen explizit ausgedrückt sind. labor practices practices towards labor unfair labor practices strike*-a strike against unfair labor practices-*-a strike against unfair practices towards labor. Damit kommen wir zu dem Ergebnis: unfair labor practices strike — Streik gegen ungerechte Behandlung der Arbeiter. I n einer Reihe von Fällen erweist sich jedoch, daß die Umformung einer Wendung in eine andere mit einem syntaktisch-lexikalischen Mittel nicht ausreicht, da sich durch die Verwendung dieses syntaktisch-lexikalischen Mittels eine Mehrdeutigkeit ergibt. So muß im Englischen zur Klärung der semantischen Beziehungen von Syntagmen mit o/e ine weitere Transformation durchgeführt werden, um zu den Kernsätzen zu gelangen. A nightdress of qualitya nightdress has (high) quality; The story of Riga--the story is about Riga; The word of truth— the word is true (LATYPOV 1968). Besonders schwierig ist die semantische Analyse von Wörtern mit einer komplizierten Sinnstruktur. In der englischen Zeitungssprache werden zum Beispiel viele" zusammengesetzte Wörter vom T y p man-made verwendet. Dabei lassen sich die unterschiedlichsten inhaltlichen Beziehungen zwischen den Komponenten aufdecken. Even then, he accepted the CAB (Civil Aeronautics Board) decisions almost intact disallowing only a CAB-suggested U.S.—Japan route for American Airlines because of strenuous Japanese protests. Bei diesem Satz muß erst festgestellt werden, ob CAB-suggested zu der Wendung suggested by the CAB führt. Wenn wir mit Hilfe der IC-Analyse den Sinngehalt der gesamten Äußerung analysieren, kommen wir zu dem Ergebnis, daß CAB-suggested —suggested by the CAB sich nicht auf route bezieht, wie man annehmen könnte, sondern auf die ganze Wendung U.8.— Japan route for American Airlines. A CAB-suggested U.8.— Japan route for American Airlines kann somit schließlich in den kernnahen Satz The CAB suggested that a U.8.—Japan route (be given to) American Airlines transformiert werden. Bei der Synthese (Neuaufbau) transformieren wir diese Variante dann in eine Oberflächenstruktur: Selbst dann akzeptierte er die Entscheidungen des Komitees für Zivilluftfahrt (CAB) nahezu ohne irgendwelche Veränderungen und wies lediglich den Vorschlag, der Gesellschaft American Airlines die Luftlinie USA — Japan zur Nutzung zu uberlassen, wegen scharfer Proteste seitens der Japaner zurück. I m Normalfall reicht es für die Analyse ähnlicher Strukturen völlig aus, sie in präpositionale Nominalkonstruktionen umzuformen, bei denen die Präposi-

Grammatische Transformation

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tion einen eindeutigen Hinweis auf die Art der inhaltlichen Beziehungen gibt: state-financed-*-financed by the state (durch den Staat finanziert); US-made —made in the U.S. (hergestellt in den USA); truck-mounted—mounted on a truck (auf einem Wagen montiert); socialist-oriented—oriented towards socialism (sozialistisch orientiert, mit sozialistischer Orientierung). Verwendet wird die Transformationsanalyse jedoch nicht nur in Fällen von Mehrdeutigkeit, sondern auch in Fällen von Homonymie. Bei dem Satz This gives the housewife-viewer the opportunity to fill that role ist es auf Grund des Satzkontextes allein zum Beispiel nicht möglich, die Bedeutung von housewife-viewer eindeutig zu bestimmen, da wiederum zwei Auflösungen möglich sind. Housewife kann sowohl Subjekt als auch Objekt für den Prozeß sein, der eine der semantischen Komponenten von viewer darstellt. Der inhaltlichen Struktur können somit zwei verschiedene Kernsätze zugrunde liegen: somebody views the housewife (als Analogie zu range-finder — jemand oder etwas, das die Entfernung mißt, Entfernungsmesser) und the housewife views something (als Analogie zu officer-student — ein Offizier während der Ausbildung, Offiziersschüler). Zur Lösung des Problems muß wieder der Kontext hinzugezogen werden. Aus den vorhergehenden Sätzen Psychologically Mr. Godfrey's morning program creates the illusion of the family structure with one important omission. There is no mother in the Godfrey family. This gives the housewife-viewer the opportunity to fill that role geht hervor, daß es sich hier um eine Fernsehsendung handelt und daß viewer in diesem Zusammenhang Fernsehzuschauer bedeutet. Damit kann der Satz übersetzt werden: Dies gibt den Hausfrauen, die diese Sendung sehen, die Möglichkeit, diese Rolle zu ubernehmen. Manchmal findet der Übersetzer ein Transform der Wortverbindung auch im gleichen Kontext: In my judgement the war in Vietnam is a tragic national mistake, a colossal one. In any other context of life, when a mistake has been made — whether by a person, by a company or by a nation — there is only one thing to do — face up to it. National mistake ist in diesem Beispiel also ein mistake by a nation, ein Irrtum der ganzen Nation. Von besonderem Interesse sind die Verbindungen von einem Adjektiv mit einem Substantiv, das als Agens auftritt, wie etwa poor worker. Nicht selten müssen hier Transformationen und Komponentenanalyse herangezogen werden. In der bereits zitierten Arbeit von N I D A (1969, S. 39—41) wird darauf verwiesen, daß es Wörter mit „mehrteiligen semantischen Strukturen" gibt und daß ein Substantiv so zum Beispiel einen Gegenstand (object) und einen Prozeß oder ein Ereignis (event) bezeichnen kann. Worker enthält

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Semantische Probleme der Übersetzung

sowohl die semantische Komponente des Gegenstandes (hier der Person) wie auch die Komponente des Prozesses (derjenige, der eine Arbeit verrichtet). Bei der Übersetzung solcher Wortverbindungen muß erst untersucht werden, worauf sich das Adjektiv bezieht — auf die Komponente des Gegenstandes (also die Person) oder die Komponente des Prozesses, die Handlung also. Beide Fälle sind im Prinzip denkbar. A o. poor A a poor

"E worker 0—-E worker

I m ersten Fall ist das Abstraktum (A) poor Attribut zum Gegenstand (O), der in worker enthalten ist, im Sinn© von unbemittelt. Gleichzeitig durchläuft der Gegenstand worker einen Prozeß bzw. ein Ereignis (E), das heißt er „arbeitet". Dieser Oberflächenstruktur liegt damit der Kernsatz The worker is poor zugrunde, und He is a poor worker kann in diesem Fall übersetzt werden mit Er ist ein armer (unbemittelter) Arbeiter. I m zweiten Fall qualifiziert poor nicht den Gegenstand, sondern den Prozeß, die Handlung. Folglich geht die Wortverbindung auf den Kernsatz He works poorly zurück — Er arbeitet schlecht. Durch die Transformationsanalyse wird es auf diese Weise möglich, zwischen äußerlichen Sätzen zu unterscheiden wie She is a good wife und She is a good cook. (Im Unterschied zum ersten Satz wird der zweite durch Transformation zu She cooks well und entspricht dem russ. Ona choroso gotovit bzw. dem dt. Sie kocht gut.) Ähnlich verhält es sich bei: She is a good dancer — she dances well (Sie tanzt gut). He is an early riser--He rises early (Er steht f r ü h auf). Hier einige Beispiele für die Übersetzung von Sätzen mit ähnlichen Strukturen : The word has gone out from the White House and the Republican National Committee to the OOP faithfuls across the land to concentrate their fire on the Democratic "big spenders" in Congress. Bei Democratic „big spenders" bezeichnet die erste Komponente (Democratic) das Subjekt der Handlung, die zweite Komponente qualifiziert hier nicht die gegenständliche, sondern die prozessuale Komponente von spender. Daher ist eine Transformation in Democrats who spend (too) much möglich. Das Weiße Haus und das Nationale Komitee der Republikanischen Partei haben die Anhänger ihrer Partei im ganzen Land, aufgefordert, sich gegen die

Grammatische Transformation

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verschwenderische Finanzpolitik der Demokraten im Kongreß zur Wehr zu setzen. Ein weiteres Beispiel ist: Nearly half of the women described the housewife who drew up the list including instant coffee as lazy and a poor planner. A poor planner läßt sich auf den Kernsatz She plans poorly zurückführen. Damit kann die Übersetzung wie folgt lauten: Nahezu die Hälfte der Frauen beschrieb die Hausfrau, welche die Liste mit dem löslichen Kaffee aufgestellt hatte, als faul und unökonomisch wirtschaftend. Die Transformation erweist sich auch bei der Übersetzung von konjunktionslosen Partizipialkonstruktionen als notwendig, da der Sinngehalt solcher Konstruktionen ein breites Spektrum umfaßt. Aside from being an ungainly word, „Vietnamization", repeated here, can sound something like an insult. „Vietnamisisrung" — das ist nicht nur ein ungeschicktes Wort. Wenn man es hier gebraucht, kann es wie eine Beleidigung klingen. Bei diesem Beispiel wurde die Transformation repeated here *-if (it is) repeated here vorgenommen. Bei den bisher angeführten Beispielen stellte die syntaktische Transformation lediglich ein Hilfsmittel der semantischen Interpretation des Ausgangstextes dar. Die Etappe der Synthese (Neuaufbau) wurde bisher nicht berücksichtigt. Hier nun einige der Fälle, in denen syntaktische Transformationen helfen, die endgültige Formulierung in der Zielsprache zu finden. Dabei wollen wir uns in erster Linie mit den Fällen beschäftigen, in denen Quellensprache und Zielsprache eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Dieses Problem ist in der theoretischen Fachliteratur und in methodischen Lehrbüchern zum Übersetzen gut und ausführlich behandelt worden, wir möchten uns deshalb auf einige wenige Beispiele beschränken. Manchmal wird die Transformation bei der Formulierung der endgültigen Übersetzungsvariante vor allem deshalb angewendet, weil es in der ZS keine entsprechende morphologische Form gibt. Bei der Übersetzung von Gerundialkonstruktionen ins Deutsche ist es oft nötig, diese in einen Satz zu transformieren. Fortunately, for the Army, an increasingly unpopular politician was to serve as a prime target in an election year; and, indeed, his handling the military operation appears to have been lax. Hier ist his das Subjekt der Handlung, die durch handling ausgedrückt wird. His handling the military operation appears to have been lax «- It appears that he handled etc. Entsprechend lautet dann die Übersetzung des ganzen Satzes: Zum Glück für die Armee mußte ein ständig unpopulärer werdender Politiker 7

Übersetzung

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Semantische Probleme der Übersetzung

als Hauptzielscheibe der Kritik in einem Wahlkampf jähr herhalten, und in der Tat ist der Eindruck entstanden, daß er das militärische Unternehmen nachlässig geleitet hat. Wenn man in solchen Fällen von morphologisch bedingten Transformationen sprechen kann, so sind beim Übersetzen gleichzeitig auch syntaktisch bedingte Transformationen notwendig; Transformationen also, die sich aus dem Nichtvorhandensein entsprechender syntaktischer Konstruktionen in der Zielsprache ergeben. Als Beispiel dafür können die Umformungen dienen, die sich bei der Übersetzung, von engl, sogenannten absoluten, d. h. unverbundenen Partizipialkonstruktionen mit oder ohne die Präposition with ins Deutsche ergeben: Two days later, with 10,000 veterans massed on Capitol Hill awaiting the result the Senate defeated the bill by an overwhelming vote of 62 to 18. Zwei Tage später, als sieh 10 000 Kriegsveteranen auf dem Hügel des Kapitols versammelt hatten und auf das Abstimmungsergebnis warteten, lehnte der Senat den Gesetzesentwurf mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit von 62 zu 18 ab. In solchen Fällen expliziert der Übersetzer nach der semantischen Analyse der quellensprachlichen Äußerung den inhaltlichen Zusammenhang zwischen der unverbundenen Partizipialkonstruktion und dem Rest des Satzes durch eine entsprechende Konjunktion, etwa eine temporale oder eine kausale. Unterschiede in den syntaktischen Normen erfordern in manchen Fällen nicht nur eine Transformation der Oberflächenstruktur in Kernsätze und kernnahe Sätze, sondern auch eine Umformung von Verbal- in Nominalkonstruktionen. Why do they act, or rather not act so, and keep it up through the years ? Womit erklärt sich ihr Handeln oder vielmehr ihre Untätigkeit all die Jahre hindurch ? Würde der Übersetzer die Verbalkonstruktion des engl. Satzes ins Deutsche übernehmen (Warum handeln sie, vielmehr, warum handeln sie nicht so, und das über Jahre hinweg?) könnte er nicht den Zustand der Untätigkeit sichtbar machen. Die verbale Übersetzungsvariante ließe vielmehr den Eindruck entstehen, daß eine Handlung nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Neben den syntaktisch und morphologisch bedingten Transformationen kommen beim Übersetzen häufig auch solche Transformationen vor, die durch die unterschiedliche Art der Wortbildung notwendig werden. So ist es möglich, daß in einer der beiden Sprachen für ein bestimmtes Wort keine Ableitung existiert: A vote for the Market is a vote to keep the Tory Government in office. It is a vote for Heath, the worst Prime Minister for decades . . . for A mery, the rent raiser.

Grammatische Transformation

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Für die Übertragung von rent raiser ins Deutsche muß auf eine Transformation zurückgegriffen werden: Amery, the rent raiser—Amery, who raises the rent—Amery, der die Wohnungsmiete in die Höhe treibt. In manchen Fällen ist lexikalische Inkompatibilität der Grund für eine Transformation, dazu das folgende Beispiel: Das Syntagma the waste of human resources kann im nichttransformierten Zustand übersetzt werden mit die Verschwendung von menschlichen Ressourcen. Für den folgenden Abschnitt muß jedoch eine andere Übersetzung gefunden werden: Mrs. Barbara Castle claimed that the official figure of 970,000 jobless was a big underestimate. She spoke of the grim realities of the waste of human resources that is the direct result of the Tory policy. Die nicht normgerechte Nominalkonstruktion (die grausame Realität der Verschwendung von menschlichen Ressourcen) wird besser mit Hilfe eines Nebensatzes aufgelöst: Barbara Castle erklärte, daß die offiziellen Angaben, nach denen es 970000 Arbeitslose gibt, beträchtlich untertrieben seien. Sie sprach über die grausame Tatsache, daß im Ergebnis der Tory-Politik menschliche^ Ressourcen verschwendet werden. Steht der Übersetzer in einem konkreten lexikalisch-syntaktischen Kontext vor der Wahl, entweder die transformierte oder die nichttransformierte Variante zu verwenden, so entscheidet häufig der semantische Faktor. Dies ist etwa bei der Übersetzung des folgenden Satzes ins Englische der Fall: Uns geht es natürlich nicht um den Austausch eines Systems von Kennziffern gegen ein anderes, sondern um die breite Anwendung solcher ökonomischer Kategorien wie Preis, Gewinn, Kredit usw. We have in mind, of course, not the replacement of one system of indices by another but the wide use of such economic categories as prices, profits, credit, etc. Bei dieser Übersetzung wurde außer acht gelassen, daß mit der Wendung es ist nicht beabsichtigt im vorliegenden Fall etwas in die Zukunft projiziert wird. Deshalb hat der Redakteur auch ganz richtig We have in mind durch The intention is ersetzt, wobei die Nominalkonstruktion in eine Infinitivkonstruktion umgewandelt wurde: The intention is not to replace one system of indices by another but to use widely such economic categories as prices, profits, credit, etc. Einer der wichtigsten „Filter" für die Wahl des Übersetzungsverfahrens ist die Sinnstruktur oder die aktuelle Gliederung einer Äußerung. Konkrete Produkte der Redetätigkeit gliedern sich für den Sprecher und für den Hörer jeweils in zwei Grundkomponenten — das Thema (wovon die Mitteilung handelt) und ein dazugehöriges Rhema (was darüber mitgeteilt wird). Der englische Linguist H A L L I D A Y hat festgestellt, daß das Thema gewöhnlich 7*

100

Semantische Probleme der Übersetzung

(aber nicht in allen Fällen) am Anfang einer Äußerung steht (HALLIDAY 1966). Das ist auch nur natürlich, denn das Thema ist der Ausgangspunkt einer Mitteilung, das Rhema dagegen das „Sinnzentrum". Die sowjetische Sprachwissenschaftlerin CERNJACHOVSKAJA hat sich speziell mit dem Problem von syntaktischen Umstellungen befaßt, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die Komponenten der inhaltlichen Gliederung zu übertragen (CERNJACHOVSKAJA 19712). Wir werden uns damit noch an anderer Stelle ausführlicher befassen; hier soll nur auf die Fälle hingewiesen werden, wo bei der Wiedergabe solcher Komponenten eine syntaktische Transformation vorgenommen wird. Unserer Auffassung nach gehört die Kategorie Thema-Rhema in die Tiefenstruktur einer Äußerung — in die Semantik — und nicht in die Oberflächenstruktur. In der Oberflächensyntax werden grammatisches Subjekt und grammatisches Prädikat unterschieden, Thema und Rhema fallen jedoch durchaus nicht immer mit dem grammatischen Subjekt oder Prädikat zusammen. Das trifft auf das Deutsche viel stärker zu als auf das Englische, denn im Deutschen ist die Wortfolge so variabel, daß jedes Satzglied zweiter Ordnung (wie etwa adverbiale Bestimmung oder ein Objekt) an erster Stelle im Satz stehen kann, wenn der Sprecher es zum Ausgangspunkt seiner Mitteilung machen will. I m Englischen dagegen ist die Wortfolge im Satz weitaus strenger geregelt, und es werden viel häufiger Konstruktionen benutzt, bei denen das Thema zur gleichen Zeit grammatisches Subjekt ist. Bei der Übersetzung ergeben sich deshalb Transformationen und Paraphrasen. Steht im Deutschen das direkte Objekt am Satzanfang, so wird — um die gleiche Struktur für die aktuelle Gliederung zu erreichen — die Transformation Aktiv — Passiv angewendet: Offensichtliche Verärgerung in imperialistischen Kreisen rief der Vorschlag der UdSSR hervor, über die Frage zukünftiger Fahrten sowie die ständige Präsenz von Kriegsschiffen in weit entfernten Gewässern zu diskutieren — aber nur zu gleichen Bedingungen. Obvious exasperation was caused in the imperialist circles by the USSR proposal to discuss — of course, on equal terms — further cruises and permanent naval presence in distant areas. Einen anderen Standpunkt vertraten Frankreich und die BRD. A different stand was taken by France and the G.F.R. Wenn im deutschen Text ein Präpositionalobjekt in Verbindung mit einer Passivkonstruktiori erscheint, so muß bei der Übersetzung ins Englische zur Beibehaltung der Thema-Rhema-Gliederung eine Transformation vom Passiv in das Aktiv vorgenommen werden: Durch massiven Einsatz der Marineinfanterie und der Nationalgarde wurden im Mai in Washington Antikriegsdemonstrationen brutal zusammengeschlagen.

Lexikalische und syntaktische Paraphrasierung

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'Massive blows of Marines and the National Ghiard last May brutally smashed anti-war demonstrations in Washington. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Transformationen beim Übersetzen als ein Verfahren der semantischen Analyse (genauer gesagt, zur Beseitigung von Ambiguität und Homonymie) Anwendung finden, aber auch helfen, die ZS-Variante endgültig zu formulieren. Dabei kann die Entscheidung für die Transformation vor den anderen möglichen Verfahren durch lexikalische, morphologische, syntaktische und semantische Faktoren begründet sein. Die Übersetzungsmethoden dürfen jedoch nicht allein auf syntaktische Transformationen reduziert werden; in den folgenden Abschnitten sollen auch andere Wege behandelt werden.

2.

Zur lexikalischen und syntaktischen Paraphrasierung

Wenn wir im vorhergehenden Abschnitt einige Umformungen dargestellt haben, die sich faktisch an der Grenze zwischen syntaktischen und lexikalisch-semantischen Paraphrasierungen nach dem Modell „Sinn-«->-Text" bewegen, so wollen wir uns im folgenden ausführlicher mit den Fällen von lexikalisch-syntaktischer Paraphrasierung befassen, die nicht in Begriffen der syntaktischen Transformation beschrieben werden können. Berücksichtigt werden muß dabei, daß im Modell „Sinn-"-Text" ein streng formalisierter Apparat verwendet wird. Das ist insofern gerechtfertigt, als dieses Modell Algorithmen (Regeln) für die automatische Textbearbeitung durch den Computer enthält. Diese Regeln spiegeln weitgehend die reale Übersetzungspraxis wider, in der kombinierte lexikalisch-syntaktische Umformungen des Ausgangstextes vorgenommen werden. Für den in der Praxis tätigen Übersetzer ist aber eine derart strenge Formalisierung nicht unbedingt notwendig. Ausgehend von der Zielstellung unseres Buches haben wir es daher auch vorgezogen, das Verfahren der semantischen Synthese (wie übrigens auch das der Transformationsanalyse) in einer vereinfachten Form darzustellen. Ziel des vorliegenden Abschnittes ist es, nicht nur die Mechanismen dieser Umformungen aufzudecken, sondern auch die strukturell-semantischen Faktoren herauszufinden, die eine bestimmte Art von Umwandlung erfordern. (Die durch stilistische Faktoren bedingten lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierungen werden im dritten Kapitel dargestellt.) In erster Linie wollen wir uns mit den Fällen von lexikalisch-semantischen Umwandlungen befassen, die auf Grund von strukturellen Unterschieden zwischen QS und ZS vorgenommen werden müssen. Hier ein Beispiel, das im vorhergehenden Abschnitt in gekürzter Form angeführt wurde: A vote for the Market is a vote to keep the Tory Government in office. It is a

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'Massive blows of Marines and the National Ghiard last May brutally smashed anti-war demonstrations in Washington. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Transformationen beim Übersetzen als ein Verfahren der semantischen Analyse (genauer gesagt, zur Beseitigung von Ambiguität und Homonymie) Anwendung finden, aber auch helfen, die ZS-Variante endgültig zu formulieren. Dabei kann die Entscheidung für die Transformation vor den anderen möglichen Verfahren durch lexikalische, morphologische, syntaktische und semantische Faktoren begründet sein. Die Übersetzungsmethoden dürfen jedoch nicht allein auf syntaktische Transformationen reduziert werden; in den folgenden Abschnitten sollen auch andere Wege behandelt werden.

2.

Zur lexikalischen und syntaktischen Paraphrasierung

Wenn wir im vorhergehenden Abschnitt einige Umformungen dargestellt haben, die sich faktisch an der Grenze zwischen syntaktischen und lexikalisch-semantischen Paraphrasierungen nach dem Modell „Sinn-«->-Text" bewegen, so wollen wir uns im folgenden ausführlicher mit den Fällen von lexikalisch-syntaktischer Paraphrasierung befassen, die nicht in Begriffen der syntaktischen Transformation beschrieben werden können. Berücksichtigt werden muß dabei, daß im Modell „Sinn-"-Text" ein streng formalisierter Apparat verwendet wird. Das ist insofern gerechtfertigt, als dieses Modell Algorithmen (Regeln) für die automatische Textbearbeitung durch den Computer enthält. Diese Regeln spiegeln weitgehend die reale Übersetzungspraxis wider, in der kombinierte lexikalisch-syntaktische Umformungen des Ausgangstextes vorgenommen werden. Für den in der Praxis tätigen Übersetzer ist aber eine derart strenge Formalisierung nicht unbedingt notwendig. Ausgehend von der Zielstellung unseres Buches haben wir es daher auch vorgezogen, das Verfahren der semantischen Synthese (wie übrigens auch das der Transformationsanalyse) in einer vereinfachten Form darzustellen. Ziel des vorliegenden Abschnittes ist es, nicht nur die Mechanismen dieser Umformungen aufzudecken, sondern auch die strukturell-semantischen Faktoren herauszufinden, die eine bestimmte Art von Umwandlung erfordern. (Die durch stilistische Faktoren bedingten lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierungen werden im dritten Kapitel dargestellt.) In erster Linie wollen wir uns mit den Fällen von lexikalisch-semantischen Umwandlungen befassen, die auf Grund von strukturellen Unterschieden zwischen QS und ZS vorgenommen werden müssen. Hier ein Beispiel, das im vorhergehenden Abschnitt in gekürzter Form angeführt wurde: A vote for the Market is a vote to keep the Tory Government in office. It is a

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Semantische Probleme der Übersetzung

vote for Heath, the worst Prime Minister in decades, for Carr, the union-basher; forDavies, the UCS (Upper-Clyde Shipyards) butcher; for Home, thecold-war spy manioc; for Amber, destróyer of a million jobs; for Amery, the rent raiser. Wenn bei der Übersetzung des Syntagmas Amery, the rent raiser die nominale einfach in eine verbale Konstruktion umgeformt werden konnte — Amery, der die Wohnungsmieten in die Höhe treibt —, so muß beim Übersetzen der verbleibenden Syntagmen oft ein anderer Weg eingeschlagen werden. Zunächst wollen wir einmal versuchen, Carr, the union-basher zu übersetzen. Das Verb bash bedeutet „heftig schlagen", „dreschen". I m Deutschen gibt es kein von diesem Verb abgeleitetes Substantiv, das zur Bezeichnung einer Person dienen kann. Wenn wir eine einfache Transformation analog der von rent raiser durchführen, lautet die Übersetzung Carr, der die Gewerkschaften heftig schlägt (drischt). Eine solche Übersetzungsvariante kann jedoch keinesfalls als optimal bezeichnet werden. Der Übersetzer muß, um den semantischen Gehalt der engl. Zusammensetzung zu erhalten, das Verb durch eine verbale Ableitung ersetzen und eine zusätzliche lexikalische Einheit einführen. Er erhält dann als endgültige Übersetzung Carr, der die Gewerkschaften zu zerschlagen versucht. Bei der nächsten Wendung the UCS butcher f ü h r t das Wörterbuch zu butcher nicht nur „Fleischer, Metzger", sondern auch „Mörder" und „Schlächter" an. Hier stoßen wir auf eine weitere, von den Regeln der Paraphrasierung bestimmte Beschränkung, die der lexikalischen Kompatibilität. Die semantischen Parameter geben im wesentlichen die Unterschiede in der Kompatibilität von Wörtern wieder, wie sie sich beim Vergleich verschiedener Sprachen zeigen. I m Englischen ist die Wortverbindung the UCS butcher möglich, Mörder oder Schlächter von Schiffswerften im Deutschen dagegen nicht. Beide Wörter sind nur mit solchen Substantiven kombinierbar, die Lebewesen bezeichnen. Hier kommen uns die Regeln der semantischen Analyse zu Hilfe. Um für das Wort butcher eine Entsprechung im Deutschen zu finden, müssen wir zuerst seine lexikalische Funktion bestimmen, seinen „Tiefen"-Sinn aufspüren. I n unserem Fall können wir es fassen als Nomen agentis mit dem semantischen Parameter Liqu (liquidieren, beseitigen), bezogen auf ein weiteres Substantiv (Upper-Clyde Shipyards). Dieses Merkmal muß nun in der dt. Sprache ausgedrückt, d. h., es muß ein Synonym gesucht werden, das mit dem Wort Schiffswerften kompatibel ist und den elementaren Sinn enthält. Aus den in Frage kommenden Verben wählen wir liquidieren und erhalten die Variante für Davies, der die Upper-ClydeSchiffswerften liquidierte. Bei der Übersetzung von cold-war spy maniac stoßen wir erneut auf Einschränkungen in bezug auf die Wortbildung. I m Deutschen gibt es keine

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direkte Entsprechung für das engl, spy maniac, möglich ist lediglich die Übersetzung von spy maniac als „Spionagefimmel", aber davon gibt es keine Ableitung, die eine Person bezeichnet. Wenn wir aber eine Transformation vornehmen und diesen Teil der engl. Nominalkonstruktion umwandeln in jemand, der von der Spionage besessen (spionagebesessen) ist, wobei das Partizip besessen den semantischen Parameter Oper 2 zum Ausdruck bringt, wird auch die Ableitung einer Person möglich: ein von der Spionage Besessener, ein Spionagebesessener. Doch das allein reicht f ü r die Übersetzung noch nicht aus. Eine mögliche Lösung bietet sich an, wenn wir von kalter Krieg (cold war) ein „syntaktisch deriviertes" Syntagma bilden, nämlich Anhänger des kalten Krieges (vgl. dazu das engl, cold warrior). Damit kann cold-war spy maniac schließlich übersetzt werden mit: ein spionagebesessener Anhänger des kalten Krieges. Bei diesem Ergebnis zeigt sich eine interessante syntaktische Umverteilung — Definiens und Definiendum haben die Plätze getauscht: GoM-war

spy maniac

Krieges Ursache für diese Umverteilung sind auch Beschränkungen hinsichtlich der Wortbildungsmöglichkeiten. Die syntaktische Umstellung wird begleitet von einer lexikalisch-semantischen Veränderung. Die semantische Komponente „Person" ist erhalten worden, wurde aber auf ein anderes Element verlagert. I m Original wird die Person durch spy maniac ausgedrückt, in der Übersetzung steht dafür Anhänger des kalten Krieges. Solche Veränderungen, die als „Umverteilung der semantischen Komponenten" bezeichnet werden, treten beim Übersetzen recht häufig auf. Hier trifft die mathematische Regel zu, nach der die Reihenfolge der Summanden ohne Einfluß auf die Summe ist. Diese Gesetzmäßigkeit hatte auch N I D A im Auge, als er den Übersetzer mit einem Reisenden verglich, der gerade aufbrechen will und dem es ziemlich gleichgültig ist, in welchen Koffer ein bestimmtes Stück kommt, wichtig ist nur, daß alle Sachen eingepackt werden. Natürlich ist es dem Übersetzer durchaus nicht gleichgültig, zu welchem Wort oder zu welcher Wortverbindung eine bestimmte semantische Komponente gehört. Es darf aber auch nicht vergessen werden, daß selbst der Zusammenschluß bestimmter semantischer Komponenten in einzelnen Worten oder sogar in den Bedeutungen eines Wortes mehr oder weniger zufälligen Charakter trägt und von den spezifischen Bedingungen einer Sprache abhängt. Würde man also vom Übersetzer verlangen, daß er nicht

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Semantische Probleme der Übersetzung

nur eine bestimmte Anzahl semantischer Merkmale wiedergibt, sondern sie auch mit Hilfe der gleichen Einheiten überträgt — sie also „in die gleichen Koffer packt" —, so hieße das, ihn bewußt vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Bei der nächsten Wendung Amber, destroyer of a million jobs liegt gleich eine zweifache Beschränkung vor — eine morphologische und eine lexikalischsyntaktische (es geht also um die Kombinierbarkeit von Wörtern mit bestimmten Bedeutungen). Dazu gehört, daß das Wort jöb, das Arbeit im Sinne von „Beschäftigung, Stelle, die Arbeit als Quelle des Lohnes" bedeutet, im Englischen im Singular und im Plural stehen kann, während das Wort Arbeit in der angeführten Bedeutung im Russischen und im Deutschen nur im Singular gebraucht wird. Wir sprechen von Feldarbeiten und künstlerischen Arbeiten, aber man kann nicht sagen: Sie verloren ihre Arbeiten. Es kann nur richtig heißen: Sie verloren ihre Arbeit. Hier helfen auch die Wörterbuchentsprechungen für das Substantiv destroyer oder das Verb destroy, von dem es abgeleitet wurde, nicht weiter („zerstören", „vernichten", „verwüsten"). Keine dieser drei Varianten ist kompatibel mit dem Begriff Arbeit im obengenannten Sinn. Wie sieht nun die Bedeutung dieses Wortes in der „Tiefe" aus? Es handelt sich wiederum um eine Handlung, die dem bereits erwähnten Parameter Liqu entspricht. Eine ähnliche inhaltliche Funktion erfüllt im Zusammenhang mit Arbeit im Deutschen das Verb wegnehmen. Im Unterschied zum engl, destroy, das mit zwei Aktanten (Beteiligten an der vom Verb ausgedrückten Handlung) auftreten kann — einem Subjekt und einem Objekt —, bedarf das dt. wegnehmen der obligatorischen Erwähnung von zwei Objekten — jemandem etwas wegnehmen. Die syntaktische Regel, die ein weiteres Objekt verlangt, das im Ausgangstext nicht erwähnt, sondern nur stillschweigend mit einbegriffen ist, führt schließlich zu der folgenden Variante: Amber, der einer Million Menschen die Arbeit wegnahm. Damit kann der gesamte Abschnitt übersetzt werden: Jede Stimme für den Beitritt zum Gemeinsamen Markt ist eine Stimme zur Verlängerung der Tory-Herrschaft. Es ist eine Stimme für Heath, den schlimmsten Premierminister der letzten Jahrzehnte, für Carr, der die Gewerkschaften zu zerschlagen versucht; für Davies, der die Upper-Clyde Schiffswerften liquidierte; für Home, den spionagebesessenen Anhänger des kalten Krieges; für Amber, der einer Million Menschen die Arbeit wegnahm; für Amery, der die Wohnungsmieten in die Höhe treibt. Wenn wir uns so eingehend mit der Übersetzung dieses Absatzes befaßt haben, dann deshalb, weil wir auf diese Weise die grundlegenden Prinzipien der Anwendung von einigen Gesetzmäßigkeiten der lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierung darlegen konnten. Diese werden bestimmt von den unter-

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schiedlichen morphologischen Strukturen, verschiedenen Möglichkeiten der Wortbildung und der lexikalischen und syntaktischen Kompatibilität. Dabei haben wir uns bemüht, Schritt für Schritt den Weg nachzuvollziehen, den der Übersetzer bis zur Formulierung einer endgültigen Variante zurücklegt. Einige der dabei aufgeführten Schritte sind es wert, detailliert untersucht zu werden. Interessant scheinen uns vor allem die Fälle, wo ein semantischer Parameter in einem bestimmten Wort nicht durch eine separate lexikalische Einheit, sondern durch eine semantische Komponente eben dieses Wortes ausgedrückt wird. Das Wort betäuben kann als eine Kombination aus der Bedeutung des Schlüsselwortes Schmerz und dem semantischen Parameter Liqu ([weg]nehmen) aufgefaßt werden, betäuben ** den Schmerz nehmen. Eine solche Umformung, die mit einer Umverteilung der semantischen Komponenten verbunden ist, kommt beim Übersetzen immer wieder vor. Sie kann dann strukturell bedingt sein, wenn eine Form sowohl die Bedeutung des Schlüsselwortes als auch seinen semantischen Parameter einschließt und nur in der Quellensprache, nicht aber in der Zielsprache vorhanden ist. I n solchen Fällen wird diese zusammengesetzte (oder, wie es in der Terminologie der semantischen Synthese heißt, „amalgamierte"~Fonn in ihre Komponenten zerlegt, das heißt, das Wort wird durch eine Wortverbindung ersetzt. Dieses Verfahren muß häufig bei Übersetzungen aus dem Englischen angewendet werden, wo zahlreiche Wörter durch Konversion entstanden sind und solche „amalgamierte" Formen darstellen. In response to cries for help Dr. Richter and Ms staff depth-probed the Situation. Als Antwort auf die Hilferufe nahmen Dr. Richter und seine Mitarbeiter eine gründliche Analyse der Situation vor. I m engl. Satz erscheint das durch Konversion gebildete Verb depth-probe als eine Kombination von zwei Komponenten — dem Schlüsselwort probe, zu dem der Parameter Magn („hoher Grad") tritt. Dieser inhaltlichen Struktur entsprechen im Deutschen Strukturen wie gründlich analysieren, einer gründlichen Analyse unterziehen, eine gründliche Analyse vornehmen. The US Navy's Light Attack Squadron was tasked with promding close air support to Navy units and ground forces. Das Verb task stellt wiederum eine „amalgamierte" Form aus dem Schlüsselwort und dem semantischen Parameter Oper t („Oper"aktionstyp, der dem Subjekt die Rolle des grammatischen Subjekts zuordnet) d a r : to task**to set a task. Da im Ausgangstext das Verb im Passiv gebraucht wurde, läßt sich ableiten, daß das grammatische Subjekt hier nicht Subjekt, sondern Objekt der vom Verb bezeichneten Handlung ist.

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Die leichte Jagdfliegerstaffel der US-Navy erhielt die Aufgabe, den Einheiten der Navy und den Bodentruppen unmittelbar Luftunterstützung zu gewähren. Wir haben anhand konkreter Beispiele bereits darauf verwiesen, wie wichtig es ist, beim Übersetzen die semantischen Parameter zu berücksichtigen. Dieses Problem verdient eine nähere Betrachtung, denn für den Übersetzer ist die Kompatibilität ein äußerst wichtiger Faktor. Es wäre falsch anzunehmen, daß der Übersetzer beim Übertragen der originalen Mitteilung eine ihr entsprechende grammatische Struktur in der Zielsprache auswählt und diese dann mit den entsprechenden lexikalischen Mitteln ausfüllt. In der Realität laufen diese Prozesse parallel ab, und wir werden an anderer Stelle noch darauf verweisen, daß Unterschiede in der lexikalischen Kompatibilität einen wesentlichen Einfluß auf die Wahl einer bestimmten syntaktischen Struktur haben können. Wenn der Übersetzer von den semantischen Parametern ausgeht, kann er sich von einem übermäßigen Einfluß der inneren Form der zu übersetzenden lexikalischen Einheit frei machen und wird dadurch blinde Worttreue vermeiden. Trifft er zum Beispiel in seinem Text auf die Wortverbindung schändliche Undankbarkeit, so muß er zuerst von der inneren Form des Adjektivs schändlich abstrahieren und herausfinden, welche inhaltliche Funktion es für das von ihm näher bestimmte Substantiv Undankbarkeit hat. Wenn er festgestellt hat, daß es den semantischen Parametern Magn („hoher Grad") verkörpert, kann er das entsprechende engl. Adjektiv suchen, das den gleichen Parameter bei ingratitude repräsentiert, ohne dabei die innere Form von schändlich weiter zu berücksichtigen. Er findet schließlich die Wortverbindung rank ingratitude. Geht man einzig und allein von der inneren Form aus, so scheint das engl. Adjektiv rank sehr weit vom dt. schändlich entfernt zu sein. Vgl. etwa rank grass („üppig wachsendes Gras"), rank soil („fruchtbarer Boden"). Dennoch fungiert dieses Adjektiv in Fällen, wo es mit den Substantiven treachery, ingratitude und anderen kombiniert wird, so, daß es dem dt. schändlich analog ist („schändlicher Verrat", „schändliche Undankbarkeit"). Diese Bedeutung des engl. Adjektivs rank wird in Hornbys „Advanced Learner's Dictionary of Current English" (London 1957) definiert als „possessing a bad quality to an extreme degree". Das nächste Beispiel: Die Schlacht um Moskau hatte einen großen Einfluß auf den weiteren Verlauf des Krieges, sie zerstörte, den Mythos der Unbesiegbarkeit der faschistischen Truppen und bereitete den Weg zum endgültigen Sieg vor. The battle of Moscow greatly influenced the further course of the war, exploding the myth of nazi invincibility and paving the way to final victory. Bei diesem Beispiel hängt die Wahl des Wortes, das dem Parameter Liqu entspricht, völlig vom Schlüsselwort ab. Würde das Schlüsselwort im dt.

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Original Glück oder Hoffnung lauten, so wäre das Wort mit der analogen inhaltlichen Funktion nicht explode, sondern destroy. Und würde man in der Wortverbindung explode the myth das Schlüsselwort durch ein anderes mit explode kompatibles Substantiv ersetzen, so könnte — obwohl die Bedeutung von explode die gleiche bleibt — im dt. Text nicht mehr zerstören als Übersetzung stehen. Explode etwa in der WortVerbindung explode a theory würde wiedergegeben werden mit verwerfen, über den Haufen werfen. Diese komplizierte Abhängigkeit des Wortes, das einen bestimmten semantischen Parameter ausdrückt, vom Schlüsselwort kann mit dem folgenden Schema dargestellt werden: verwerfen

Theorie -

theory /

zerstören —

Mythos =====

/

explode

Glück

myth —happiness

=destroy 'Hoffnung

hope

Hier ein weiteres Beispiel: It was the night of December 5—6 that the Soviet troops launched a major counter-offensive in the course of which the enemy was thrown back from Moscow over 200 miles and dozens of Nazi divisions were routed. In der Nacht vom 5. zum 6. Dezember begannen die sowjetischen Truppen eine großangelegte Gegenoffensive, in deren Verlauf der Feind über 300 km vor Moskau zurückgeworfen wurde und Dutzends von faschistischen Divisionen zerschlagen wurden. I m Englischen wird die innere Form des Verbes launch von seiner Grundbedeutung „vom Stapel laufen lassen" (launch a ship) bestimmt. Der Grundbedeutung des dt. Verbs beginnen entspricht das engl, begin oder start, das in ganz anderen Wortverbindungen anzutreffen ist (to begin a new book — „ein neues Buch anfangen"; to start a quarrel — „einen Streit beginnen"). Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß in Übersetzungen Wörter mit einer anderen inneren Form verwendet werden, die aber dem gleichen semantischen Parameter entsprechen (in unserem Fall Caus — „veranlassen, daß . . .; verursachen"). Das hier dargelegte Prinzip ist besonders dann von großer Bedeutung, wenn aus der Muttersprache in eine Fremdsprache übersetzt wird. Wir haben an anderer Stelle bereits darauf verwiesen, daß der Übersetzer in starkem Maße dem Einfluß von Interferenzerscheinungen der Quellensprache ausgesetzt ist. Das gilt besonders dann, wenn die Quellensprache auch die Muttersprache des Übersetzers ist.

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Semantische Probleme der Übersetzung

Wird das Verb launch mit Substantiven kombiniert, die bestimmte materielle Objekte bezeichnen, kann es bei Erhaltung des gleichen elementaren Sinns („etwas in Bewegung setzen") dem dt. in Betrieb nehmen (z. B. launch a new enterprise — „ein neues Werk in Betrieb nehmen") entsprechen. Für den Übersetzer kann daher eine feste assoziative Verbindung zwischen dem dt. in Betrieb nehmen und dem engl, launch entstehen. Auf diese Weise ist etwa für den dt. Satz Das größte Kraftwerk der Welt wurde in Betrieb genommen die folgende Übersetzung entstanden: The world's biggest power station was launched. Dazu bemerkte ein englischsprachiger Übersetzungsredakteur humorvoll: „Everything gets launched these days, including things that shouldn't. You launch a ship or rocket, you commission a power station." Die Herausbildung einer festen assoziativen Verbindung zwischen commission und dem dt. in Betrieb nehmen oder seiner Bestimmung übergeben kann indes genauso gefährlich sein, wie das folgende Beispiel zeigt: In Moskau werden jährlich 110000 bis 115000 neue Wohnungen ihrer Bestimmung übergeben. Each year 110,000 to 115,000 new apartments are commissioned in Moscow. In diesem wie auch im vorhergehenden Fall lag der durch die Interferenz des Deutschen bedingte Fehler an der Nichtbeachtung des Umstandes, daß in der konkreten sprachlichen Äußerung der semantische Parameter vom Schlüsselwort bestimmt wird. Und so mußte der Übersetzungsredakteur anmerken: Ships and power stations are commissioned, new apartments are made available or moved into. Hier die von ihm vorgeschlagene Variante: Each year 110,000 to 115,000 Moscow families move into newly-built apartments. (Die Umformung dieser Äußerung überschreitet die Grenzen der lexikalischsyntaktischen Paraphrasierung, wie sie im Modell „Sinn«Text" festgelegt sind.) Ähnliche Erscheinungen lassen sich auch in den Fällen beobachten, wo das engl. Verb overcome, das den Parameter Liqu in bezug auf Substantive wie obstacle, opposition, temptation ausdrückt, im Bewußtsein des Übersetzers mit dem dt. uberwinden assoziiert wird, ohne daß er dabei die entscheidende Rolle beachtet, die dem Schlüsselwort zukommt. So findet sich zum Beispiel overcome a housing shortage als Kalkierung des dt. Ausdrucks den Wohnungsmangel überwinden. Der richtige engl. Ausdruck dagegen lautet meet a housing shortage. Beim praktischen Übersetzen kommt es relativ selten vor, daß ein konkretes Wort mit einer bestimmten inhaltlichen Funktion gegenüber einem Schlüsselwort nur eine einzige Entsprechung in der Zielsprache hat. Dem oben betrach-

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teten launch an offensive könnte im Deutschen sowohl eine Offensive starten als auch zur Offensive übergehen entsprechen. Die Festlegung der optimalen Variante kann selbstverständlich auch mit Hilfe von stilistischen Kriterien erfolgen. Der entscheidende Faktor ist in einigen Fällen auch das, was man vom Standpunkt des Empfängers in der ZS als „allgemein üblich" oder „angemessen" bezeichnen kann. Schließlich wird eine solche Reaktion des ZSSprechers auf eine konkrete Wortverbindung durch die Häufigkeit ihres Auftretens bestimmt. Als Beispiel soll die Überschrift einer Zeitungsnotiz dienen, die über die Lieferung von israelischen Waffen nach Südafrika berichtet: Unheilvolle Allianz. Mögliche Entsprechungen für das dt. unheilvoll wären: sinister, evil, ominous, wobei man ominous als erstes ausschließen kann, da es eher in dem Sinn „Unheil voraussagend", „von schlimmer Vorbedeutung" gebraucht wird. Sinister alliance und evil alliance sind dagegen im Prinzip möglich. Trotzdem geben wir unholy, das im Wörterbuch nicht als Äquivalent für das dt. „unheilvoll" verzeichnet ist, den Vorzug, denn dieses ist mit dem Substantiv alliance in der angegebenen Bedeutung bereits eine recht feste Verbindung eingegangen, die sich wohl aus der Gegenüberstellung mit Holy Alliance — Heilige Allianz ergibt. Diesen Faktor hat ein Übersetzer also bei der Auswahl einer bestimmten Variante zu berücksichtigen; er muß entscheiden, welche der Varianten die „idiomatischste" ist. An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, daß der Bestand an semantischen Parametern, wie er vom Modell „Sinn-Text" vorgegeben wird, in einer ganzen Reihe von Fällen nicht für die endgültige Auswahl einer Variante unter Berücksichtigung der bestimmenden Rolle des Schlüsselwortes ausreicht. Daher ist es auch kein Zufall, daß die Schöpfer dieses Modells bei der Anwendung auf natürliche Sprachen zur Einführung zusätzlicher Parameter gezwungen waren ( SALJAPZNA 1969; ÜBEN 1969). Eine solche detailliertere Klassifikation von inhaltlichen Funktionen wird durch die Notwendigkeit einer tiefergehenden semantischen Analyse bestimmt. Diese erweist sich besonders dann als wichtig, wenn verschiedene Sprachen miteinander verglichen werden und wenn übersetzt wird. Two courses, it seems to us, are open to the United States. It can come to its senses and begin to put its money where its needs are, or it can continue on its present disastrous course, courting the dangers inherent in a runaway arms

race. Unsere Aufmerksamkeit gilt in diesem Fall der Übersetzung von courting the dangers und runaway arms race. Unter den verschiedenen Bedeutungen des Verbs court finden wir auch die folgende, die am ehesten den Sinn trifft, in dem das Wort im vorliegenden Abschnitt verwendet wird: „to act in such a manner as to cause, lead to or provoke — to court disaster by reckless driv-

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ing". Diese Bedeutung ist in englisch-deutschen Wörterbüchern meist nicht so deutlich verzeichnet, aber wir finden als Entsprechung für court disaster — ein Unheil heraufbeschwören, mit dem Feuer spielen. Nach der angegebenen Definition handelt es sich hier also um ein Wort, das dem semantischen Parameter Caus entspricht. Soll der Rahmen der Wortverbindung nicht überschritten werden, könnte man sich mit einer analogen Wortverbindung eine Gefahr heraufbeschwören zufriedengeben. Aber der weitere Kontext zeigt, daß diese Variante nicht akzeptabel ist. Denn dangers wird auch noch bestimmt durch inherent in a runaway arms race. Es handelt sich also nicht um eine Gefahr, die in der Zukunft liegt, sondern die bereits existiert. Der Sinn von court kann noch genauer bestimmt werden; er entspricht dem kombinierten Parameter Caus Plus ( S A L J A P I N A 1969). Dieser hat nicht die Bedeutung „etwas heraufbeschwören", sondern „etwas verstärken, erhöhen, aktivieren" und gilt für etwas bereits Bestehendes. Es müßte also besser übersetzt werden: ein Kurs, der die Gefahr verstärkt. Nun zu der Wendung runaway arms race. Wenn wir davon ausgehen, daß runaway in bezug auf arms race den Parameter Magn („hoher Grad") repräsentiert, erhalten wir unter Beachtung des Schlüsselwortes „Rennen" die folgenden Varianten für diesen Parameter— „beschleunigtes", „fieberhaftes", „intensives". Auf der Suche nach der endgültigen Lösung müssen wir aber noch tiefer in den Sinn von runaway eindringen. (Eine Arbeit, die sich mit der Analyse der Ausdrucksmittel befaßt, die im Russischen für den Parameter Magn zur Verfügung stehen, bietet eine feinere Graduierung der inhaltlichen Schattierungen dieses Parameters in Abhängigkeit von der „aufgewendeten K r a f t " [vgl. z. B. „sil'nyj dozd'" — „starker Regen" und „prolivnoj dozd'" — „wolkenbruchartiger Regen"] ÜBEST 1969.) In dem vorliegenden Beispiel bezeichnet runaway in Verbindung mit arms race den höchsten Grad an Intensität, nämlich den Punkt, wo die Kontrolle über das Wettrüsten verlorengeht. Die am nächsten liegende dt. Entsprechung für den engl. Ausdruck würde somit lauten: fieberhaftes Wettrüsten. Wie uns scheint, haben die Vereinigten Staaten zwei Möglichkeiten: entweder nehmen sie Vernunft an und beginnen, ihre Mittel für die wirklichen Bedürfnisse aufzuwenden, oder sie setzen ihren gegenwärtigen unglückseligen Kurs fort, der die Gefahr, die einem fieberhaften Wettrüsten innewohnt, noch verstärkt. Das Modell der semantischen Analyse und Synthese umfaßt auch kompliziertere Fälle von kombinierten lexikalisch-syntaktischen Umformungen einer Äußerung, wie sie in der praktischen Übersetzertätigkeit häufig auftreten. Hierher gehören ebenso einige Varianten der sogenannten „antonymischen Übersetzung", von der schon im ersten Kapitel die Rede war. Practical training was poor, and the men received littlepractice in shooting.

Lexikalische und syntaktische Paraphrasierung

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Für den hervorgehobenen Teil des Satzes existieren im Prinzip zwei Übersetzungsmöglichkeiten Die Soldaten erhielten eine ungenügende Ausbildung im Schießen und Die Soldaten erhielten keine genügende Ausbildung im Schießen (bzw. keine ausreichende Ausbildung . . .) Welche dieser beiden Varianten ist nun zu bevorzugen? Um dieses entscheiden zu können, übersetzen wir den ersten Teil des Satzes: Die praktische Ausbildung war unzulänglich . . . Die Sinnstruktur der gesamten Äußerung bestimmt die logischen Relationen zwischen ihren Teilen: Im ersten Teil des Satzes wird eine Ursache dargestellt, im zweiten dann die Wirkung. Der Satz könnte etwa wie folgt paraphrasiert werden: Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und im Ergebnis dessen . . . Es wäre also die Variante vorzuziehen, in der der Inhalt des zweiten Teils der Äußerung verneint wird. Die logische Verbindung zwischen den Teilen der Äußerung kommt deutlich zum Ausdruck, wenn der Satz lautet: Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und die Soldaten erhielten keine ausreichende Ausbildung im Schießen. In der anderen Variante Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und die Soldaten erhielten eine ungenügende Ausbildung im Schießen ist die logische Verbindung weniger deutlich, da die Aufmerksamkeit des Lesers darauf orientiert wird, daß die Soldaten zwar eine Schießausbildung erhielten, diese aber unzureichend war. Neben den Beispielen für eine antonymische Paraphrasierung, die durch die Sinnstruktur der Äußerung bedingt wird, wollen wir vor allem noch auf die Anwendung der antonymischen Übersetzung in Fällen von bestimmten strukturellen Differenzen zwischen QS und ZS verweisen. Consumers were led to believe that tea-drinking is no more unmanly than felling an oak or killing a moose. Dieses Beispiel bezieht sich auf eine in Amerika weitverbreitete Ansicht, daß Tee ein Getränk für Menschen mit schwächlicher Gesundheit sei — nichts für Männer. Nun gibt es für das engl, unmanly im Deutschen die Entsprechung unmännlich ; eine Steigerungsform wie das hier vorliegende more unmanly ist jedoch in der dt. Sprache ungebräuchlich. Hier kommt uns die antonymische Paraphrasierung zu Hilfe — wir verwandeln die negierte Konstruktion in eine positive und ersetzen das Adjektiv durch sein Antonym: nicht unmännlicher — genauso männlich. Die Negation und der Komparativ werden durch den Verweis auf die Identität (genauso) ersetzt. Den Verbrauchern wurde suggeriert, daß Teetrinken genauso männlich sei wie eine Eiche zu fällen oder einen Elch zu erlegen. In manchen Fällen führen Differenzen in der Kompatibilität dazu, daß ein Wort durch seine Konversive (d. h. ein Wort, das in bezug auf die Beteiligten der Verbhandlung die umgekehrten Relationen zum Ausdruck bringt)

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Semantische Probleme der Übersetzung

ersetzt wird und entsprechende syntaktische Veränderungen vorgenommen werden: An example is the Safeguard systern which last year missed defeat in the Senate by only one vote. Ein Beispiel ist das Safeguard-System, das im vergangenen Jahr mit nur einer Stimme Mehrheit durch den Senat gebracht wurde. Wir wollen versuchen, den Lösungsweg des Übersetzens nachzuvollziehen. Die engl. Wortverbindung miss defeat könnte in einem entsprechenden Kontext übersetzt werden mit der Niederlage (oder dem Mißerfolg) entgehen. In diesem Satzkontext ist das allerdings kaum möglich: das System, das der Niederlage mit einer Stimme Mehrheit entgangen ist. Der Übersetzer hat daher auf eine Paraphrasierung zurückgegriffen. Das Wort System wurde vom Subjekt der Verbhandlung in das Objekt verwandelt, und anstelle von der Niederlage entgehen trat eine konversive Form, das Verb durchbringen. Dazu noch ein weiteres Beispiel: The air raids came at dusk and one by one the towns were blacked out as air raid sirens wailed and anti-aircraft guns went into action. Die Luftangriffe begannen mit Einbruch der Dämmerung, und eine Stadt nach der anderen versank unter dem Geheul der Sirenen und dem Feuer der Flakgeschütze in der Dunkelheit. Hier ist die Substitution des Verbs durch seine Konversive ebenfalls durch Einschränkungen bedingt, die sich auf die semantische Kompatibilität beziehen. Offensichtlich wurde aus diesem Grund auch das nächstliegende Wörterbuchäquivalent für black out — verdunkeln verworfen. I m Deutschen kann man dieses Verb in Verbindung mit Fenster oder Zimmer, nicht aber mit Stadt verwenden. Und eine Wendung wie in den Städten wurde die Verdunklung eingeführt müßte eher dahingehend interpretiert werden, daß in den Städten ganz allgemein Anordnungen für die Lichttarnung in K r a f t traten. In unserem Beispiel war aber nur davon die Rede, daß in den Städten das elektrische Licht abgeschaltet werden mußte. Aus diesem Grund erweist sich in dem vorliegenden Fall die konversive Form des Verbs verdunkeln, nämlich in der Dunkelheit versinken, als die optimale Variante. Dabei wird towns vom (semantischen) Objekt zum Subjekt der Verbhandlung, bleibt jedoch das grammatische Subjekt im Satz, denn die Passivkonstruktion wird in eine Aktivkonstruktion umgewandelt. Ursache für derartige Umformungen sind — wie wir bereits festgestellt haben — häufig die Gesetzmäßigkeiten der lexikalisch-syntaktischen Kompatibilität, die beim Vergleich von Äußerungen der QS und der ZS sichtbar werden. I n einer ganzen Reihe von Fällen kann die lexikalische Bedeutung von Wörtern, die als grammatisches Subjekt oder Prädikat fungieren, diesen innerhalb einer gegebenen Sprache bestimmte Beschränkungen der Kombinierbarkeit auferlegen. Diese Einschränkungen

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stellen einen der Filter dar, die in dem bereits beschriebenen Modell den „Selektor" bilden. Anders formuliert heißt das, daß sie zu einem großen Teil die Wahl einer bestimmten Art der lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierung vorherbestimmen. Dafür einige Beispiele: In 1961 an airliner Crash in Illinois killed seventy-eight persons. Im Jahre 1961 kamen 78 Menschen bei einem Flugzeugunglück im Staate Illinois ums Leben. Bad weather brought Concorde 002 down on a sudden msit to London's Heathrow airport yesterday. Wegen des schlechten Wetters landete die Concorde 002 gestern überraschend auf dem Londoner Flugplatz Heathrow. The split in the Democratic Party elected Lincoln. Auf Grund der Spaltung innerhalb der Demokratischen Partei wurde Lincoln zum Präsidenten gewählt. Die syntaktische Struktur der angeführten engl. Sätze kann in der Übersetzung nicht beibehalten werden, weil Wortverbindungen wie das Unglück tötete Menschen, das Wetter landete ein Flugzeug oder die Spaltung wählte Lincoln im Deutschen nicht möglich sind. Subjekte von Handlungen, die mit Verben dieser Bedeutung bezeichnet werden, können Substantive sein, die anderen semantischen Klassen angehören und die nicht die Ursache der Handlung, sondern das Agens, d. h. den Träger der Handlung bezeichnen (vgl. Der Jäger tötete den Bären; der Pilot landete das Flugzeug; das Volk wählte den Abgeordneten). Da die Struktur der Äußerung also in der Zielsprache der Übersetzung nicht beibehalten werden konnte, mußte wiederum auf lexikalisch-syntaktische Umformungen zurückgegriffen werden. In allen drei Beispielen wurde ein analoges Verfahren gewählt: 1. syntaktische Derivation (das grammatische Subjekt wurde zu einer Adverbialbestimmung (weather — wegen des Wetters, split — auf Orund der Spaltung, Crash — bei einem Unglück, durch ein Unglück); 2. Bilden der konversiven Form (bring down — landen, die Landung durchführen, elect — gewählt werden, an die Macht kommen, kill — umkommen). Solche Umformungen werden jedoch nicht nur dann durchgeführt, wenn grammatisches Subjekt und Prädikat des engl. Originalsatzes in der Relation Ursache — Wirkung zueinander stehen, sondern sie sind auch in den Fällen möglich, wo das grammatische Subjekt die Art und Weise oder den Charakter einer Verbhandlung bezeichnet: No amount of cover-up-rationalizing, alibiing or ducking will avoid the inevitable day of reckoning. Auch mit noch so vielen Ausflüchten, Rechtfertigungen oder Finten wird es nicht gelingen, dem unvermeidlichen Tag der Abrechnung zu entgehen. 8

Übersetzung

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Semantische Probleme der Übersetzung

Hier liegt wiederum ein Unterschied in der lexikalisch-semantischen Kompatibilität zwischen dem Englischen und dem Deutschen vor. Wird der engl. Satz unter Beibehaltung der lexikalisch-syntaktischen Struktur ins Deutsche übertragen — keine Ausflüchte werden dem Tag der Abrechnung entgehen — erweist er sich als unrichtig. In diesem Fall kann nur ein für den Handlungsträger stehendes Substantiv oder Personalpronomen grammatisches Subjekt für das Verb entgehen sein. Anders ausgedrückt, kann nur derjenige einer Abrechnung entgehen, dem sie auch droht. Im Ergebnis der syntaktischen Derivation wurde das grammatische Subjekt des engl. Satzes zu einer Modalbestimmung des dt. Satzes. Da das Subjekt der Verbhandlung im Englischen nicht erwähnt ist, wurde im Deutschen auf die unpersönliche Konstruktion wird es nicht gelingen zu entgehen zurückgegriffen. Eine ähnliche Paraphrasierung läßt sich auch bei dem folgenden Beispiel beobachten : A recent survey of 1,100 soldiers in the 173d Airborne Division in Vietnam revealed that nearly one-third of the men were smoking marijuana, either occasionally or regularly. Bei einer Umfrage, die vor kurzem unter 1100 Soldaten der 173. Luftlandedivision in Vietnam durchgeführt wurde, stellte sich heraus, daß nahezu ein Drittel von ihnen gelegentlich oder regelmäßig Marihuana raucht. Mit der Verwendung der konversiven Form (reveal-^-sich herausstellen) •wurde auch die Satzstruktur verändert. Die Erwähnung eines Subjekts wird vermieden, denn im Originaltext fehlt der Hinweis darauf, wer diese Untersuchung durchgeführt hat. Bei einer Zusammenstellung all der „Filter", die die spezifische Art der Paraphrasierung bei einem bestimmten Sprachenpaar festlegen, wird sichtbar, was S T O C K W E L L und B O W E N meinen, wenn sie sagen, daß der Übergang von einer Sprache in eine andere stets über eine „Einbahnstraße" erfolgt ( S T O C K W E L L , B O W E N 1965). Während nämlich beim Übersetzen aus dem Englischen ins Deutsche die Unterschiede in der lexikalisch-syntaktischen Kompatibilität den wichtigsten Grund für die bisher beschriebenen Umformungen darstellten, haben beim Übersetzen ähnlicher Texte vom Deutschen ins Englische ganz andere Überlegungen den Vorrang. Bei der Übersetzung des dt. Satzes Zu der Kundgebung werden eine Menge Leute kommen haben wir sowohl die Möglichkeit, die Struktur der ursprünglichen Äußerung beizubehalten : A large crowd will come to the meeting, als auch die oben beschriebene lexikalisch-syntaktische Paraphrasierung durchzuführen : The meeting will draw a large crowd. Bereits an diesem Beispiel wird ersichtlich, daß die lexikalisch-syntaktische Kompatibilität, die beim Übersetzen analoger Sätze vom Englischen ins Deutsche eine so wichtige Rolle

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gespielt hat, hier nickt mehr einen die Entscheidung beeinflussenden „Filter" darstellt. I n den Vordergrund treten jetzt andere Faktoren, die mit der inhaltlichen Gliederung der Äußerung im Zusammenhang stehen. Bei der Übersetzung des Satzes Zu der Kundgebung werden eine Menge Leute kommen ins Englische und bei einem Vergleich mit dem anderen möglichen dt. Satz, bei dem die Wortfolge nicht invertiert wurde — Eine Menge Leute werden zu der Kundgebung kommen —, werden die Unterschiede in der Relation von Thema und Rhema deutlich sichtbar. I m vorhergehenden Abschnitt war von diesem Problem bereits einmal die Rede, und zwar im Zusammenhang mit den Transformationen vom Typ Aktiv — Passiv. Hier haben wir es mit einer analogen Erscheinung zu tun, nur daß in dem invertierten dt. Satz, kein direktes Objekt an erster Stelle steht, sondern eine adverbiale Bestimmung. An anderer Stelle wurde bereits darauf verwiesen, daß die im Englischen strenger festgelegte Wortfolge es nicht zuläßt, die Inversion in diesem Maße zur Hervorhebung von Thema und Rhema zu nutzen, wenn wir einmal von einigen wenigen Fällen absehen, in denen stilistische Faktoren vom T y p In the heart of London stands an old brick building eine Rolle spielen. Dafür weist das Englische — wie wir sehen konnten — aber ein höheres Maß an Kombinierbarkeit von Substantiven, die als grammatisches Subjekt auftreten, mit Verben, die als Prädikat erscheinen, auf. Deshalb kann auch f ü r die Übersetzung eines dt. invertierten Satzes ein engl. Satz mit der direkten Wortfolge verwendet werden, und zwar indem die im dt. Satz an erster Stelle stehende Adverbialbestimmung zum grammatischen Subjekt wird: The meeting will draw a large crowd. Die syntaktische Derivation zu der Kundgebung~~the meeting geht einher mit der Bildung einer konversiven Form kommen** draw. (Diese Art von Umformungen wird in der bereits zitierten Arbeit von CEKNJACHOVSKAJA ausführlich beschrieben. (ÖERNJACHOVSKAJA 1971 2 ). Wir wollen an dieser Stelle auf einige grundlegende Gesetzmäßigkeiten eingehen, die in solchen Fällen beobachtet werden können. In erster Linie fällt auf, daß neben den bereits erwähnten Umformungen auch eine Umverteilung der semantischen Komponenten der Äußerung erfolgt: Durch die Aufregung veränderte sich die Stimme des Sergeanten fast bis zur Unkenntlichkeit. Excitement made the Sergeant's voice almost unrecognizable. Hier wird die semantische Äquivalenz durch das Vorhandensein konversiver Relationen zwischen make unrecognizable und sich bis zur Unkenntlichkeit verändern und den damit verbundenen Veränderungen der syntaktischen Relationen zwischen den an der Verbhandlung Beteiligten garantiert. I n der Folge der syntaktischen Umstellung wird die dt. Kausalbestimmung, 8*

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bestehend aus Präposition und Nomen, zum grammatischen Subjekt des engl. Satzes. Die im Deutschen mit Hilfe einer Präposition ausgedrückte Kausativität durch die Aufregung wird im Englischen vermittels eines kausativen Verbs (make unrecognizable) ausgedrückt. Der Hinweis also darauf, daß Aufregung — excitement die Ursache der vom Verb ausgedrückten Handlung ist, wird durch die Bedeutung unterschiedlicher Elemente des dt. und des engl. Satzes wiedergegeben. Wenn bei dem hier angeführten Beispiel die Kausativität im engl. Satz durch die Bedeutung eines speziellen Verbs ausgedrückt wird, so werden in anderen Fällen Verben gebraucht, bei denen sie mit Hilfe einer der semantischen Komponenten ihrer Gesamtbedeutung zum Ausdruck gebracht wird. Im Ergebnis einer Lohnerhöhung für Berg- und andere Arbeiter würde die Kaufkraft steigen. Higher pay for miners and other workers would raise purchasing power. Die kausative Komponente ist hier in der Bedeutung des Verbs raise (raise = cause to rise) enthalten. Die für die Erhaltung der Thema-Rhema-Beziehung des ursprünglichen Satzes notwendige syntaktische Umstellung kann auch durch eine Substitution erreicht werden. Zum Beispiel tritt ein Verb, das den Parameter Func 2 (,,Funk"tionstyp) ausdrückt, der dem Subjekt die Rolle eines grammatischen Objekts zuordnet, an die Stelle eines Verbs, das den Parameter Oper 1 (,,Oper"ationstyp) verkörpert, der dem Subjekt die Rolle des grammatischen Subjekts zuordnet: Einen Aufruf zum Streik erließen die Teilnehmer der Konferenz der pädagogischen Colleges. A strike call came from the Colleges of Education Conference. Der dt. Satz verwendet das Verb erlassen, das „Grundverb" in Verbindung mit dem Substantiv Aufruf ist: einen Aufruf erlassen — d. h. die genannte Handlung ausführen, verwirklichen. Das Subjekt dieser Handlung fällt mit dem grammatischen Subjekt zusammen (die Teilnehmer erließen einen Aufruf). Damit Aufruf zum grammatischen Subjekt des engl. Satzes werden kann, müssen wir das Verb durch ein anderes substituieren, bei dem das Subjekt der Handlung nicht mit dem grammatischen Subjekt übereinstimmt (ähnlich wie bei dem Satz Der Befehl geht vom Oberkommandierenden aus, in dem das Objekt vom Oberkommandierenden das semantische Subjekt der Äußerung ist). I m Ergebnis der lexikalisch-syntaktischen Transformationen liegt im engl. Satz die gleiche Relation zwischen Thema und Rhema vor wie im Originalsatz: Zuerst wird darauf verwiesen, wovon die Rede ist — A strike call — und danach, was darüber ausgesagt wird — came from the Colleges of Eduction Conference.

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Hier noch einige weitere charakteristische Umstellungen, die zur Erhaltung der Sinnstruktur der QS-Äußerung notwendig sind: Stunde für Stunde und Minute für Minute werden neue Beweise für die ungeheuerlichen Verbrechen geliefert, die die amerikanischen Militaristen am vietnamesischen ebenso wie an ihrem eigenen Volk begehen. Every hour and every minute document the monstrous crimes committed by the U.S. militarists against both the Vietnamese and their own people. In diesem Fall ist die syntaktische Derivation (die Umformung der Adverbialbestimmung in das grammatische Subjekt) mit einigen lexikalisch-syntaktischen Modifikationen gekoppelt (z. B. Stunde für Stunde und every hour). Außerdem erscheint im dt. Satz eine Passivkonstruktion (Beweise werden geliefert). Wenn nicht die gegebene Relation zwischen Thema und Rhema beizubehalten wäre, könnte dieser Satz auch mit dem engl. Passiv übersetzt werden (crimes are documented). Da jedoch die Reihenfolge der Komponenten erhalten bleiben soll, muß vom Passiv ins Aktiv transformiert werden. I n anderen Fällen sieht das für die Übertragung der Thema-Rhema-Relation benutzte Paraphrasierungssystem nicht nur die Substitution einiger Komponenten der ursprünglichen Äußerung vor, sondern darüber hinaus werden noch Komponenten entweder hinzugefügt oder weggelassen. Trotzdem stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Senats die Frage, ob das System "Safeguard" weiter ausgebaut werden soll. Nevertheless, the Senate concentrated on the question of whether "Safeguard" should be expanded. Vor unseren Augen haben sich viele große Entdeckungen in den Naturwissenschaften vollzogen. We have witnessed many breakthroughs in natural sciences. In Europa macht sich eine wachsende Besorgnis in bezug auf die Eskalation des Krieges in Indochina bemerkbar. Europe is growing increasingly concerned about the escalation of the war in Indo-China. Das erste Beispiel ist insofern kompliziert, als eine feste Wortverbindung erscheint, die wir nicht paraphrasieren können. Wir können sagen die Frage stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit oder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand die Frage, aber nicht der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand (befand sich) in der Frage. Zunächst einmal soll der Satz in der Quellensprache paraphrasiert werden, und zwar mit Hilfe der von N I D A empfohlenen Transformation (siehe oben); nur wollen wir die Äußerung nicht in Kernsätze oder „kernnahe" Sätze transformieren, sondern lexikalisch-syntaktische Veränderungen vornehmen. Folgende Paraphrasen wären akzeptabel: die Aufmerksamkeit des Senats war gerichtet auf . . ., der Senat richtete seine Aufmerksamkeit auf . . .

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Für beide Varianten gibt es recht befriedigende Entsprechungen im Englischen — the attention of the Senate was concentrated (focused, centred) on . . . ; the Senate concentrated on . . . I n der zweiten Variante kann attention weggelassen werden, da das Verb concentrate in der konkreten Situation die Bedeutung „fix one's attention" hat, die semantische Komponente attention also durch die Sinnstruktur dieses Wortes mit abgedeckt ist. Nach der Umwandlung der präpositionalen Nominalphrase im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit in das verbale Prädikat des engl. Satzes kann auch das Verb stehen als Bestandteil der dt. Wortverbindung die Frage stand . . . entfallen. Beim zweiten Beispiel erkennen wir eine ähnliche Umformung der zu übersetzenden Äußerung. Aus der adverbialen Bestimmung, die am Anfang des dt. Satzes steht, kommt lediglich das Possessivpronomen unser als grammatisches Subjekt in Frage. Wird es in das Personalpronomen wir verwandelt, dann haben wir mit wir waren Zeugen (Augenzeugen) die semantische Entsprechung für vor unseren Augen vollzog sich. Durch den entsprechenden engl. Ausdruck We have witnessed . . . wird das dt. vollzogen überflüssig, da der engl. Satz ja bereits ein Prädikat hat. Bei dem dritten Beispiel wird die Adverbialbestimmung zum grammatischen Subjekt. Bemerkbar machen ist ein Grundverb in Verbindung mit einem deverbativen Substantiv, das einen Prozeß oder ein Ereignis bezeichnet. I m vorliegenden Kontext könnte es durch zu bemerken sein, spürbar sein oder sich abzeichnen ersetzt werden, ohne daß sich dabei der Sinngehalt der Äußerung verändern würde. Es ergäben sich selbstverständlich einige stilistische Verschiebungen, von denen aber hier noch nicht die Rede sein soll. Bei unserer Paraphrasierung der Äußerung spielt der Wegfall dieses Elementes keine Rolle, es entstehen keine inhaltlichen Verluste. Weiterhin werden die semantischen Komponenten der Wortverbindung wachsende Besorgnis auf die Elemente der verbalen Phrase growing increasingly concerned verteilt. Auf diese Weise erweitert das semantische Paraphrasierungsmodell im Vergleich zum Transformationsmodell wesentlich den Umfang semantisch äquivalenter Äußerungen im Übersetzungsprozeß. Es bietet dem Übersetzer zusätzliche Hilfsmittel für die Übertragung der denotativen Bedeutung unter Berücksichtigung von strukturellen Unterschieden zwischen QS und ZS, von Unterschieden in der lexikalisch-syntaktischen Kompatibilität sowie im Ausdruck von Komponenten der Sinnstruktur einer Äußerung. I n einer Reihe von Fällen erweist sich dieses Modell, das von der Invarianz des Sinns ausgeht, jedoch als nicht anwendbar auf jene Umformungen, die im Übersetzungsprozeß tatsächlich stattfinden. Mit solchen Umformungen wollen wir uns im folgenden Abschnitt beschäftigen.

Anwendung des situativen Modells

3.

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Zur Anwendung des situativen Modells

Im ersten Kapitel wurde versucht, die allgemeinen Prinzipien des situativen Modells zur Generierung von Äußerungen darzulegen. Wir haben festgestellt, daß dieses Modell auf der Vorstellung basiert, daß die gleiche gegenständliche Situation unterschiedlich beschrieben werden kann, und zwar mittels unterschiedlicher Kombinationen von semantischen Komponenten. Beim Übergang von einer Sprache in eine andere können dabei semantische Komponenten weggelassen oder eingefügt oder auch ersetzt werden. Dabei handelt es sich selbstverständlich nicht um willkürliche Veränderungen. Der Übersetzer nutzt lediglich die von diesem Modell gebotenen Möglichkeiten, die ursprüngliche Äußerung umzuformen. Dabei geht er von bestimmten Faktoren aus, wie zum Beispiel den strukturellen Unterschieden, den Unterschieden in der Kombinierbarkeit, der unterschiedlichen Art und Weise, in einer konkreten Sprache bestimmte Situationen mit bestimmten Mitteln zu beschreiben, und schließlich auch von den stilistischen Unterschieden. Im vorliegenden Abschnitt wollen wir uns mit Paraphrasen befassen, die durch solche Faktoren bedingt werden. Eine der Ursachen für Umformungen, die das Modell „ Situation-