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German Pages 240 Year 2020
Nadja Grbić , Susanne Korbel, Judith Laister, Rafael Y. Schögler, Olaf Terpitz, Michaela Wolf (Hg.) Übersetztes und Unübersetztes
Edition Kulturwissenschaft | Band 232
Die Herausgeber*innen Nadja Grbić, Susanne Korbel, Judith Laister, Rafael Y. Schögler, Olaf Terpitz und Michaela Wolf treffen sich seit dem Wintersemester 2017 als Teil der Arbeitsgruppe Translationskonzepte an der Karl-Franzens-Universität Graz, um den Begriff der Translation aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zu diskutieren und seine Produktivität in divergierenden Kontexten zu befragen.
Nadja Grbić, Susanne Korbel, Judith Laister, Rafael Y. Schögler, Olaf Terpitz, Michaela Wolf (Hg.)
Übersetztes und Unübersetztes Das Versprechen der Translation und ihre Schattenseiten
Gedruckt mit Unterstützung des Landes Steiermark und der Karl-Franzens-Universität Graz.
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Inhalt
Vorwort ..................................................................... 7 Einleitung Zur Denkfigur des Un_Übersetzten! Nadja Grbić, Susanne Korbel, Judith Laister, Rafael Y. Schögler, Olaf Terpitz, Michaela Wolf .................................................................9
Galaktische Unübersetzbarkeit Fiktionen des Un_Übersetzten in der Science-Fiction Federico Italiano ............................................................. 31
Autorisierte Translator*innen und un_übersetzte Subjekte Rekrutierungsformen des Gebärdensprachdolmetschens in der Geschichte Nadja Grbić ................................................................. 55
Brücken ins Nirgendwo Das Un_Übersetzte! in der Kommunikation zwischen Indigenen der Waorani und der Mehrheitsgesellschaft Ecuadors Christina Korak ............................................................. 83
»Eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht…« (Gebrochene) Versprechen in der relationalen Kunst Judith Laister ...............................................................109
Versprechen des Un_Übersetzten im Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften Rafael Y. Schögler ........................................................... 137
Das Un_Übersetzte als Strategie der Subversion und Resilienz in jüdischen Literaturen Olaf Terpitz ................................................................ 163
Primo Levi: »Wir können und müssen verstehen.« Die Ambivalenz des Un_Übersetzten Michaela Wolf ............................................................... 181
Humor in Aufführungen von refugee artist groups während des Zweiten Weltkriegs Susanne Korbel ............................................................ 203
Autor*innen ............................................................ 225 Personenregister ..................................................... 227 Sachregister ........................................................... 231
Vorwort
Zunächst noch unverbindlich und amikal-kollegial als gelegentlicher Austausch Einzelner zwischen Translationswissenschaft und Kulturanthropologie begonnen, konstituierte sich im Wintersemester 2017 an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-FranzensUniversität Graz die Arbeitsgruppe Translationskonzepte1 mit einer Agenda. Ausgehend von eigenen Forschungsprojekten, in denen der Translationsbegriff einen zentralen epistemischen Ausgangs- bzw. Knotenpunkt darstellte, formierte sich ein Diskussionsforum und Denklabor mit Vertreter*innen der Jüdischen Studien, der Kulturanthropologie und der Translationswissenschaft, die jeweils auch disziplinäre Hintergründe in Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Soziologie aufweisen. Ziel unserer Gruppe war und ist es, vor dem Hintergrund des Aufstiegs des Translationsbegriffs als Meistertrope der Theoriebildung, wie es die Literaturwissenschafterin Sigrid Weigel 2019 treffend formuliert, bzw. der »ubiquitous translation«, wie der Translationswissenschafter Piotr Blumczynski seine 2018 erschienene Monografie betitelt, dem Reiz ebenso wie der Widerständigkeit des Konzeptes nachzugehen. Im Verlauf der Diskussionen um den Wandel des Translationskonzeptes, seinen Import, seine Ausdehnung und zunehmend auch seine metaphorische Verwendung in verschiedenen disziplinären
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Website der Arbeitsgruppe: https://translationswissenschaft.uni-graz.at/de/ forschen/arbeitsgruppen/arbeitsgruppe-translationskonzepte (24.4.2020).
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Vorwort
Zusammenhängen kristallisierte sich bald, vermittelt über den kontroversen Begriff der Unübersetzbarkeit, der sich durch viele der von uns bearbeiteten Texte zog, das Moment des Unübersetzten als eine epistemisch wie gesellschaftlich relevante wie auch dringliche Fragestellung heraus. Diese wurde in einem Symposium, das im März 2019 in Graz stattfand, entlang der Denkfigur un_übersetzt! mit Fokus auf das Versprechen der Translation und ihre Schattenseiten kollaborativ verhandelt. Mit Federico Italiano, dem Lyriker und Komparatisten, der in seiner Arbeit translationswissenschaftlicher Theoriebildung stets offen begegnet, konnte ein adäquater Eröffnungsredner gewonnen werden. Wertvolle Anregungen zur Entwicklung der Denkfigur un_übersetzt! leisteten in Reaktion auf die einzelnen Vorträge, die vorab in der Gruppe zirkuliert, diskutiert und weiterentwickelt worden waren, auch die Diskutant*innen Helmut Eberhart (Kulturanthropologie), Dagmar Gramshammer-Hohl (Slawistik), Ulla Kriebernegg (Amerikanistik), Katharina Scherke (Soziologie), Larisa Schippel und Cornelia Zwischenberger (beide Translationswissenschaft). Unser Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die das Profil der in diesem Band vorgelegten Beiträge maßgeblich schärften und dazu beitrugen, unserem transdisziplinären, kollaborativen Projekt neue Impulse zu geben. Ebenso bedanken möchten wir uns bei Jakob Gruber für die sensible Erstellung der Druckfassung sowie beim Land Steiermark und bei der Karl-Franzens-Universität Graz für die finanzielle Unterstützung, die es nicht nur ermöglicht hat, das Symposium zu veranstalten, sondern auch unsere ausgearbeiteten Beitrage in diesem Band zu präsentieren. Die Herausgeber*innen, Graz im Mai 2020
Einleitung Zur Denkfigur des Un_Übersetzten! Nadja Grbić, Susanne Korbel, Judith Laister, Rafael Y. Schögler, Olaf Terpitz, Michaela Wolf
Translation, sei es Übersetzen oder Dolmetschen, verspricht Austausch, wechselseitiges Verstehen und Zusammenhalt. Gleichzeitig stößt sie stets an ihre Grenzen und fordert das Paradigma der Übersetzbarkeit heraus, impliziert verschiedene Facetten des Unübersetzten und erweist sich als immanent machtvolles Instrument, das auf Kontrolle und Homogenisierung von Differenz abzielt. Diesen Ambivalenzen widmet sich die Publikation Übersetztes und Unübersetztes. Das Versprechen der Translation und ihre Schattenseiten mit dem Anspruch der kooperativen, transdisziplinären Elaboration der Denkfigur des Un_Übersetzten: Welche sozialen Akteurinnen und Akteure haben welches Interesse an Übersetzungen und Dolmetschungen? Welche setzen sich durch und welche bleiben verborgen? Was wird von wem als »richtige« Translation legitimiert und wer als Translatorin bzw. Translator autorisiert? Auf welche Weise kommt dem Unübersetzten das Moment von Widerständigkeit zu? Wann dient es als Strategie der Selbstermächtigung und Emanzipation? In der kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung ist das Verhältnis zwischen Übersetztem und Unübersetztem längst zu einem viel diskutierten Schlüsselthema avanciert. Spätestens seit diverser turns haben Fragen zur Komplexität und Multidimensionalität von Übersetzungsprozessen sowie deren Grenzen Hochkonjunktur quer durch die Disziplinen. Übersetzung – von Sprache, Kultur, Literatur, Wissen etc. – wurde akribisch diskutiert. In diesem Zusammenhang ist die Frage
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Übersetztes und Unübersetztes
nach Unübersetzbarkeit seit den 2010er Jahren verstärkt in den Fokus wissenschaftlicher Forschung sowie gesellschaftlicher und politischer Interessen gerückt (Apter 2013; Cassin 2014; Levine/Lateef-Jan 2018; Large et al. 2019). Migration, die Diskussion von Gender ebenso wie Alltagskommunikation in plurikulturellen Gesellschaften sind hier nur wenige der relevanten Gebiete (Flotow 1997; Buden 2008; Hark und Villa 2015). Gemeinsam ist gegenwärtigen Debatten um Unübersetzbarkeit ihre vornehmliche Orientierung an Dichotomien und Essenzialismen: Übersetzt wird Unübersetzbarkeit gegenübergestellt, Übersetzen und Dolmetschen werden oft verkürzt als Gegensatz zu kultureller Übersetzung verstanden. Dies veranlasste die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes zu einer neuen Auseinandersetzung mit Übersetztem und Unübersetztem. Mit unterschiedlichen Zugängen gehen sie der wechselseitigen Bedingtheit, Konstitution und Produktion von Übersetztem und Unübersetztem nach. Unübersetzbarkeit ist jüngst besonderes Interesse zugekommen. So konstatieren u.a. Duncan Large, Motoko Akashi, Wanda Józwikowska und Emily Rose in ihrem 2019 erschienenen Sammelband: »[u]ntranslatability has never had a higher profile than at present.« (2019, 1) Unübersetzbarkeit ist aber keineswegs erst rezent am Horizont menschlichen Denkens aufgetaucht, sondern ein seit Jahrhunderten perpetuiertes Rätsel menschlichen Erkenntnisstrebens: Wilhelm von Humboldt etwa betrachtete Übersetzbarkeit und dementsprechend Unübersetzbarkeit als an die Muttersprache geknüpft – denn nur in ihr sei Denken verankert, da »kein Wort einer Sprache vollkommen einem in einer andren gleich ist« (Humboldt 1816, 15). In gegenwärtigen Forschungen haben bisher Untersuchungen zu Unübersetzbarkeit bzw. zur Konstitution von – vermeintlich – unübersetzbaren Sprachfragmenten die Forschungslandschaft dominiert. Aus der Perspektive der Komparatistik etwa wurde Unübersetzbarkeit hinsichtlich ihrer Relation zu Weltliteratur polarisierend gewertet und diskutiert. Emily Apter etwa meint: »[M]y aim is to activate untranslatability as a theoretical fulcrum of comparative literature with bearing on approaches to world literatures, literary world-systems and literary history, the politics of periodization, the translation of philosophy and theory.« (Apter 2013, 3)
Einleitung
Dabei blieben Überlegungen zur Dynamik übersetzerischer Prozesse, wie diese in der Translationswissenschaft spätestens seit ihrer Hinwendung zu poststrukturalistischen Theorien (vgl. Arrojo 1994, 1997; Koskinen 1994; Wolf 1997) dominieren, vielfach ausgespart. In diesen Diskursen zur Unübersetzbarkeit fanden Fragen nach den Bedeutungen von Unübersetztem bislang kaum Beachtung – wie zum Beispiel: Was ist unübersetzt? Was kann Unübersetztes sein? Aus wessen Perspektive ist etwas unübersetzt und für wen ist es unübersetzt? Entsprechend brachten Aspekte der Unübersetzbarkeit bislang weitgehend eine Denkweise von Übersetzung als positiv und von Unübersetzbarkeit als »Problem« zutage. In dieser Denkweise wurde Übersetzung als ein Versprechen, als ultimatives Ziel sowie als das Ermöglichen von Kommunikation entworfen. Eine Gegenbewegung, die auf das Ambivalente, auf die Schattenseiten der Übersetzung aufmerksam macht, erweiterte diese exklusiv positive Wertung. Wie der von Federico Italiano herausgegebene Band The Dark Side of Translation (2020) zeigt, birgt die dunkle, nicht sichtbare Seite der Übersetzung das Verborgene, Unbemerkte, Geheimgehaltene, das seiner Aufdeckung und Neuverortung harrt. Unser Band greift diese Gegenbewegung auf und diskutiert dementsprechend sowohl die Instrumentalisierung von Übersetzung in ihrer Funktion als Konfliktraum oder Ort der Ambivalenz als auch die düstere, undurchsichtige Seite der kulturellen Praktik des Übersetzens in ihren mannigfachen Formen. Solche neuen Betrachtungsweisen und Überlegungen machen evident, dass Übersetztes und Unübersetztes nur als ineinander reichende Dimensionen beschreibbar werden. Übersetzt und unübersetzt ist nicht ein »Entweder-Oder«, sondern ein »Sowohl-als-Auch«. Die in diesem Sammelband angestellten Überlegungen explizieren die epistemischen Möglichkeiten, welche das gemeinsame Denken über Unübersetztes aus verschiedenen Disziplinen eröffnen kann. Mit der Denkfigur un_übersetzt! sollen die Dichotomien zwischen übersetzt und unübersetzt aufgebrochen und Übersetztes und Unübersetztes in vielschichtige Denkzusammenhänge gestellt werden.
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Übersetztes und Unübersetztes
Von Zugängen zu Übersetztem und Unübersetztem Um ein wechselseitiges Verständnis von übersetzt und unübersetzt nachvollziehen zu können, ist es zunächst unerlässlich, die Konstitution des bisher vorherrschenden polarisierenden Verständnisses von Übersetzbarkeit versus Unübersetzbarkeit zu hinterfragen. Die binäre Konstruktion von übersetzt und unübersetzt fußt in verschiedenen und nicht zuletzt widersprüchlichen Konzeptionen davon und Vorstellungen darüber, was Übersetzen, Übersetzung und übersetzt ist bzw. sein oder leisten sollte. Folgt man als Ausgangspunkt der von Humboldt angesprochenen Asymmetrie von Sprachen, führt dies zunächst zu Verständnissen von Übersetzung und Unübersetzbarkeit, die in einer Konzeption von Translation als Reproduktion eines in sich geschlossenen »Originals«, eines »Ausgangstextes« oder eines zuvor bestehenden Textes verhaftet sind. Im Zentrum dieser Übersetzungskonzepte steht die Beziehung zwischen Ausgangs- und Zieltext. In diesen Traditionen können dogmatische Ansichten wie »poetry by definition is untranslatable« (Jakobson 1959/1989) verortet werden, welche ein fast schon heiliges Original heraufbeschwören. Durch den in der postmodernen Theorie von Roland Barthes ausgerufenen »Tod des Autors« (1967/1988) wird die Beziehung von Original und Übersetzung, zwischen Leser*innen und Autor*innen, zwischen Künstler*innen und Betrachter*innen erschüttert, jedoch ihr Gegensatz nicht gänzlich aufgelöst. Jacques Derridas Kritik der Übersetzung (2001) greift weiterhin die Asymmetrie der Sprachen auf, um Unübersetzbarkeit zu diskutieren, ohne eine Konzeption von Übersetzung zu schaffen, die von einer deutlich erkennbaren Ausgangs- und Zieltextrelation abzusehen im Stande ist. Der Schritt zur Dekonstruktion des Originals ist jedoch von besonderer translationswissenschaftlicher Bedeutung, da er, wie Michaela Wolf festhält, »eine radikale Veränderung der Interpretation von Sprache und auch Übersetzung« mit sich bringt und damit »Topoi wie das ›heilige Original‹ oder der Versuch, die Absichten des Autors wiederzugeben, ebenso ›dekonstruiert‹ [werden] wie das Streben nach ›Treue‹
Einleitung
oder ›Unsichtbarkeit‹ des Übersetzers« (Wolf 1997, 16). In diesem Sinne hält Erich Prunč in einer Retrospektive zugespitzt fest, dass »aus dem Tod des Autors nicht nur die Geburt des Lesers/der Leserin, sondern mit ihm auch die Geburt der TranslatorInnen« (2008, 24) hervortritt. Als Teil eines systematisierten Bildes von Translation als eine Hindernis-überwindende, Brücken-bauende Tätigkeit wird diese trennende Perspektive bei Andrew Chesterman in Memes of Translation (1997/2016) aufgegriffen. Zu, aus seiner Sicht, zentralen Ideen für die Konzeption von Übersetzung in der Geschichte ebenso wie in der modernen Translationswissenschaft, sogenannten supermemes, gehört Unübersetzbarkeit. Dabei sei das supermeme Unübersetzbarkeit mit dem supermeme Äquivalenz eng verbunden. Chesterman (1997/2016, 6f.) führt dazu eine Idee aus, die, wie er selbst festhält, unter anderem auf Walter Benjamin (1923/1963) zurückgeht: Wird Translation als ein Streben nach dem Herstellen von Äquivalenz wahrgenommen, muss unweigerlich die Unmöglichkeit dieses Strebens ersichtlich werden, denn absolute Äquivalenz bleibt unerreichbar, womit Übersetzen unmöglich werde. In dieser Konzeption von Übersetzung und Unübersetzbarkeit werden Sprachen als getrennte und trennende Instanzen verstanden. Nichtsdestoweniger weist bereits Benjamin (1923) darauf hin, dass Sprachen durch Verwandtschaft verbunden und durch Konvergenz markiert und daher einander nicht fremd sind. Legt man den Fokus auf Überschneidungen, Überlappungen, Naheverhältnisse, Verwandtschaft und Konvergenz bedeutet dies jedoch nicht, dass Translation problemlos, reibungslos und interesselos abläuft. Komplexer konzipiert wird diese Unschärfe der Übersetzung im Zusammenhang mit Unübersetzbarkeit von Mary Louise Pratt (2002, 30) und Theo Hermans (2019, 29), welche sich beide in ihren Ausführungen auf ein Argument des Ethnologen Clifford Geertz aus »Found in Translation: On the Social History of the Moral Imagination« berufen: »The truth of the doctrine of cultural (or historical – it is the same thing) relativism is that we can never apprehend another people’s or another period’s imagination neatly, as though it were our own. The
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Übersetztes und Unübersetztes
falsity of it is that we can therefore never genuinely apprehend it at all.« (Geertz 1977, 799) Wenn also kulturelle, historische, gruppenspezifische Vorstellungswelten nur unscharf rekonstruiert, nachvollzogen und verbunden werden können, dann verunmöglicht dies Übersetzung nicht, sondern ermöglicht vielmehr diverse translatorische Prozesse. In diesem Sinne bedeutet für den Translationswissenschafter Hermans Unübersetzbarkeit auch nicht das Ende von Übersetzung. Stattdessen betont er die Instabilität translatorischer Handlungsergebnisse und spricht von deren Vorläufigkeit, der »provisionality of translation« (Hermans 2019, 28), welche als reale Auswirkungen in der stets möglichen Wiederholbarkeit von Translation ihren Ausdruck findet, denn »all translation can be done again differently« (ebda., 38). Das Provisorische überwindet durch die translatorische Handlung das Unübersetzbare – zumindest für eine Zeitlang, eine bestimmte Situation, einen spezifischen Blickwinkel –, ohne das Unübersetzbare gänzlich zu eliminieren. Hermans zeigt, dass selbst in der Begegnung von Unübersetzbarem Übersetzung stattfindet: »Both, then, translated, and in so doing, in the act of translating as best they could, they [the translators] overcame and negated untranslatability which has continued to haunt their renderings all the same.« (Ebda., 2f.) Das Unübersetzbare wird zu einer latenten Dimension der translatorischen Praxis und entsteht aus dem Verhältnis von Unübersetzbarem zu Übersetztem. Dies sieht er in den Parametern Inkongruenz, d.h. der Asymmetrie sprachlicher und soziokultureller Systeme, und Integrität, d.h. dem Singularitätsdogma der Übersetzung, determiniert (ebda.). Betrachtet man Übersetzung und Unübersetzbarkeit als eng miteinander verwoben, erlangen die translatorischen Akteur*innen – die Translator*innen – zentrale Bedeutung. Konzipiert und empirisch untersucht wurden diese wiederum in der Translationswissenschaft vor allem seit der soziologischen Wende (Wolf 2007a), welche sowohl einzelne Aushandlungsabläufe und Handlungsspielräume bestimmter Translator*innen sowie die gesellschaftlichen und situativen Einschränkungen und Freiheiten der translatorischen Praxis thematisiert.
Einleitung
Der Umgang mit der Unübersetzbarkeit bekommt in dieser Sicht einen kreativen, kreierenden Charakter, welcher aus Aushandlungen resultieren muss, situativ beschränkt oder gefördert werden kann, der (Selbst-)Zensur unterliegt oder zu einer anerkannten künstlerischen oder wissenschaftlichen Praxis avancieren kann. Das kreative Potenzial, die Transformationsmöglichkeiten und die Schaffenskraft, welche aus den Konfrontationen der Translator*innen mit dem Unübersetzbaren hervorgehen, finden sich auch in der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Weltliteratur wieder. Dabei kann Translation als conditio sine qua non der Weltliteratur verstanden werden. Prominent argumentiert etwa David Damrosch für die in eine globalisierte Welt verschränkte und genre-spezifische Notwendigkeit der Übersetzung in und von »Weltliteratur«. Er versteht Weltliteratur als »writing that gains in translation« (Damrosch 2003, 281) und vertritt damit ein sehr positives Verständnis von Übersetzung. Insbesondere bei Literatur aus Ländern des »globalen Südens« führt die in den Rezeptionskontexten fehlende Kenntnis der (Kultur-)Geschichte und der spezifischen weitgehend unbekannten Entstehungszusammenhänge jedoch zu diversen Dimensionen der Unübersetzbarkeit. Eine Facette, warum es zur Unübersetzbarkeit und damit zur Weigerung des Reisens solcher Literatur kommt, sei nach Rebecca Walkowitz die Gebundenheit an kulturelle Repräsentationen oder die historische Beziehung zwischen spezifischen Sprachen (2015, 33). In der Weltliteratur gebe es Werke, die zur Übersetzung einladen, und jene anderen, die Übersetzungen erschweren. Emily Apter, die sich, wie bereits verwiesen, gegen weitverbreitete Grundannahmen von Weltliteratur positioniert, bespricht Unübersetzbarkeit einerseits als »creative failure« (2013, 20), andererseits beinhalten unübersetzbare Texte für Apter »semantic units that are irreducible« (2010, 61). Es sind aus ihrer Sicht diese Einheiten, welche Unübersetzbarkeit bedingen und das Reisen des jeweiligen Textes in andere Sprachen verhindern (ebda., 54). Dem steht die Konzeption von Unübersetzbarkeit im von Barbara Cassin herausgegebenen Dictionnaire des intraduisibles (Cassin 2004) gegenüber. Die Philosophin Cassin prägt dabei die Phrase »translating, still« als Idiom der Unübersetzbarkeit und konzipiert das Unübersetz-
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Übersetztes und Unübersetztes
bare als »not what one doesn’t translate, but what one doesn’t stop (not) translating« (Cassin 2009). Selbst bei übersetzbaren Begriffen stößt demnach Übersetzung an ihre Grenzen. Dahingegen sind unübersetzbare Begriffe für Cassin jene, für die Übersetzung endlos ist. Damit steht Cassins Konzeption gewissermaßen in der Tradition des translationswissenschaftlich bei Hermans beschriebenen und im Zusammenhang mit der Weltliteratur ebenso aufgebrachten Paradoxons »we cannot translate, we must translate« (Hermans 2019, 27). Sarah Craig und David Gramling entgegnen dieser für die Geisteswissenschaften fruchtbar erscheinenden Konzeption von Unübersetzbarkeit, dass in anderen Bereichen – wie etwa dem von ihnen behandelten Flüchtlingsrecht und in diesem Zusammenhang stehenden translatorischen Handlungen – Unübersetzbarkeit »epitomizes a multilingualism of adversity« (2017, 82). Einen Schritt weiter geht der Komparatist Brian Lennon, wenn er explizit dem Phänomen der Behinderung von globaler Zirkulation von Texten als einer Strategie des Stimmefindens von Minderheiten nachgeht, weshalb er für die Ausrufung eines Feldes der non-translation studies plädiert (Lennon 2010, 2). Der Grundgedanke der »non-translation« hat frühe Vorläufer in der Translationswissenschaft, die sich seit der Abkehr von Äquivalenzpostulaten verstärkt der Funktion und Zielsetzung eines Translats – des Skopos, wie Hans Vermeer (1978) es nennt – sowie der Wirkung von Translaten zugewandt hat. Prunč formuliert mit dem Prinzip der Arbitrarität des Skopos dabei eine für die Beziehung zwischen Übersetzung und Unübersetzbarkeit aufschlussreiche Voraussetzung, welche darin besteht, »weder der ausgangskulturellen Interpretation noch der zielkulturellen Einbettung des Translats Priorität einzuräumen« (Prunč 1997, 34). Diese Gleichstellung von Ausgangs- und Zieltext ist insofern von Bedeutung, als sie grundsätzlich der translatorischen Praxis und den Translator*innen Handlungsmacht zugesteht, welche, unter anderem durch »non-translation« oder, um mit Prunč zu sprechen, »NullTranslation« erreicht werden kann. Resultieren kann Null-Translation aus einem Translationsverbot wie auch aus einem Translationsverzicht oder einer Translationsverweigerung (Prunč 2002). Dabei kann der Verzicht auf eine translatorische Handlung sowohl gesamte Interaktionen
Einleitung
oder Texte betreffen als auch einzelne ihrer Passagen, Aspekte oder Dimensionen. Für die Unübersetzbarkeit und das Unübersetzte bedeutet dies nach Prunč, dass Translator*innen als ethisch handelnde Akteur*innen zu verstehen sind, die sich ihrer Handlungsmacht bewusst sein und Verantwortung für ihre Entscheidungen zur Übersetzung und zum Unübersetzten übernehmen können. In der Ausführung translatorischer Prozesse nimmt somit die Positionierung von Translator*innen eine zentrale Funktion ein (vgl. z.B. Hermans 2014 oder Schögler 2019): Wenn Entscheidungen für und wider das Übersetzte, Unübersetzte und die Definition des Unübersetzbaren getroffen werden, sind die (Nicht-)Einbindung bzw. der reflexive Umgang mit der selbstund fremdbestimmten Position von Translator*innen in Bezug auf den Ausgangstext, in Bezug auf die situative oder gesellschaftliche Funktion eines Zieltextes oder in Bezug auf feldimmanente Machtkämpfe unerlässlich. Es stellt sich dabei auch die ethische Frage, ob es ein Recht auf Nicht-Übersetzung gibt bzw. ein Recht auf Nicht-Übersetzen. Nicht zuletzt haben verschiedene Formen des Aushandelns und unterschiedliche Ausprägungen der translatorischen Praxis – wie auch das Nicht-Übersetzen – zur Typisierung von Translator*innen als Sprachrohr, neutrale*r Vermittler*in, subversive*r Akteur*in geführt. Diese Typisierungen beinhalten die latente Dimension einer Erwartung in Hinblick auf den jeweiligen Umgang mit dem Übersetzten und Unübersetzten. Im Kontext der cultural turns und insbesondere des translational turn lässt sich feststellen, dass Perspektiven auf Übersetzung in sämtlichen kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen Einzug gehalten haben. Kulturelle Übersetzung löste unter anderem das Konzept des meist linear anmutenden, wenngleich reziprok möglichen, Kulturtransfers ab: Globale Betrachtung von Kulturen ebenso wie Machtkonstellationen, koloniale Verhältnisse, Aushandeln von Gender und Interaktionen zwischen ethnischen Gruppen und von Differenz gekennzeichneten Gesellschaften wurden zur Frage von Translation (Bachmann-Medick 2006, 2016; Halverson 2010; Wolf 2010; Ernst et al. 2012; Italiano und Rössner 2012).
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Übersetztes und Unübersetztes
Die kulturelle Wende bewirkte aber auch, dass ausgehend von den postkolonialen Forschungen von Edward Said oder Homi K. Bhabha der Blick auf das »Dazwischen« derartiger translatorischer Prozesse gelegt wurde. Dichotomien wurden dekonstruiert, Imaginationen des »Anderen« problematisiert. So konnten in historisch gewachsenen und konstruierten Bildern perpetuierte Machtverhältnisse aufgedeckt werden. Ihre Arbeiten zeigen, dass das Verhandeln im Dazwischen den Raum der Übersetzung darstellt (Said 1978/2003; Bhabha 1994). Das Dazwischen ist also ein Ort, der den komplexen gesellschaftlichen Prozessen Sprache zu geben in der Lage ist (Spivak 2007). In diesem Zusammenhang wird Übersetzung zu einer Frage der Existenz: Nur jene, die übersetzt werden, sind repräsentiert und erhalten eine Stimme. Sie wird zu einer Frage der Macht: Nur jene, die Macht und Instrumente bedienen können, welche ihrer Stimme Ausdruck verleihen, können gehört werden. Und sie wird zu einer Frage der Ausdrucksweise: Nur jene, welche die entsprechenden Worte, Sprache und sprachliche Sinnzuschreibungen beherrschen, können übersetzt werden. Ein Festhalten an der Trennung sprachlicher und kultureller Übersetzung, wie sie mitunter vorgenommen wird, ist folglich nicht haltbar, ebenso wenig wie eine dichotomische Trennung von Übersetzbarkeit und Unübersetzbarkeit, was sich in Konzepten wie Wolfs (2007b) mediation space und Moira Inghilleris (2005) auf Pierre Bourdieu zurückgehenden zones of uncertainty zeigt. Der Übersetzungsbegriff hielt in metaphorischen Ausprägungen auch Einzug in weitere disziplinäre Felder, von der Soziologie über die Psychologie bis hin zur Translationalen Medizin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Grundlagenforschung in neue Therapieformen zu »übersetzen«. Insofern ist es schlüssig, dass der Translationswissenschafter Piotr Blumczynski (2016) eine Monografie mit dem Titel Ubiquitous Translation veröffentlicht hat. Einige dieser Konzeptualisierungen, wie etwa jene aus Soziologie und Anthropologie, erweisen sich auch für Überlegungen zum Un_Übersetzten als anschlussfähig. So spricht der Ethnologe Bronislaw Malinowski bereits in den 1930er Jahren von der Herausforderung einer Übersetzung von unübersetzbaren Wörtern und markiert damit die paradoxe Wechselbeziehung zwischen
Einleitung
Übersetzung und Unübersetzbarkeit im Prozess ethnografischer Forschung. Besondere Aufmerksamkeit kommt dem Verhältnis zwischen empirischer (Sprach-)Wirklichkeit und wissenschaftlichem Text in der Writing-Culture-Debatte zu. Der Anthropologe Talal Asad (1986) verweist im Zuge der ethnografischen Repräsentationskrise darauf, dass jegliche Übersetzung im anthropologischen Prozess immer Verzerrung bedeutet – und damit notwendigerweise Anteile des Unübersetzten beinhaltet. Vor dem Hintergrund der hierarchisierten Verhältnisse und der wissenschaftlichen Definitionsmacht fasst er Übersetzung als »process of power« und fragt nach den Implikationen eines Forschens als »institutionalized practice given the wider relationship of unequal societies.« (Ebda., 148, Hervorh. i.O.) Die Ränder, Brüche und Grenzen in Übersetzungsprozessen unter besonderer Berücksichtigung von Machtverhältnissen in der wissenschaftlichen Praxis untersuchen auch die Soziologen Michel Callon und Bruno Latour (1981/2006). Ihr Translationsbegriff transportiert vor allem die Idee der Temporalität, Dynamik und Fluidität jeglichen Übersetzungsresultats, konzipiert als Herstellen von Konnektivität zwischen den heterogenen Teilen einer Akteurswelt. Übersetzung meint damit Prozesse der Allianzbildung und Machtausübung, denen das Unübersetzte inhärent ist und die damit jederzeit anfechtbare, von Spaltungen bedrohte Beziehungsgefüge hervorbringen. Im Gegensatz zum Wettlauf der Disziplinen um die Deutungshoheit übersetzerischer Prozesse zeigt der transdisziplinäre Dialog, dass Übersetzung stets ein Ausloten und ein wechselseitiger Konstitutionsprozess von Bedeutungen ist, eingebettet in diverse kulturelle, sprachliche wie machtpolitische und soziogesellschaftliche Gefüge. Gemeinsam enttarnen die verschiedenen, in diesem Band vorgelegten fachlichen Perspektiven ein dichotomes Denken von »übersetzt« und »unübersetzt« als unzulänglich und stoßen die in diesem Band entwickelte Denkfigur un_übersetzt! an.
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un_übersetzt! Variationen einer Denkfigur In diesem weiten Feld der diskursiven Verhandlung verschiedener Konzeptionen von Übersetzung, Unübersetztem und Unübersetzbarkeit bewegen sich die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes. Sie diskutieren – basierend auf signifikanten, gesellschaftspolitisch relevanten Fallbeispielen – Übersetzungspraktiken und deren Repräsentationen in Literatur, Film, Bildender Kunst, Wissenschaft und prekären Feldern des alltäglichen Lebens. Gemeinsam ist den acht Texten einerseits ein Bemühen um eine situative, konzeptionelle Klärung der Denkfigur des Un_Übersetzten im Kontext exemplarischer Forschungsfelder, andererseits ein dezidiertes Bekenntnis zur Entgrenzung interdisziplinärer Ansätze in Richtung transdisziplinärer Momente. Die Autor*innen teilen das Anliegen, zumindest temporär produktive Gelenkstellen zwischen ihren jeweiligen disziplinären Perspektiven aus Geschichte, Jüdischen Studien, Kulturanthropologie, Philosophie, Soziologie, Kunst-, Literatur-, Sprach- und Translationswissenschaft zu identifizieren und un_übersetzt! als vielstimmigen Möglichkeitsraum des Nachdenkens über Machtverhältnisse, Konflikte und Handlungspotenziale in konkreten Translationsprozessen zu entfalten. Die Denkfigur un_übersetzt! berücksichtigt den sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Kontext von Translation. Sie legt Konflikte, Brüche und Spaltungen offen, beleuchtet die dunkle, unheilvolle Seite der Translation, zeigt Strategien des Verschweigens, aber auch Formen des Widerstands und der Selbstermächtigung auf. Darüber hinaus eröffnet un_übersetzt! neue Perspektiven auf Kohärenzbildung, fokussiert Aushandlungsprozesse und fragt nach Potenzialen, wie Beziehungen, Schutz und Konfliktvermeidung hergestellt werden können und sich Gehör verschaffen. Die Denkfigur lotet das Spannungsverhältnis zwischen Übersetztem und Unübersetztem aus. Sie ermöglicht, Übersetztes und Unübersetztes nicht als Dichotomie zu sehen, sondern verweist auf deren wechselseitige Bedingtheit. Sie nähert sich dem über Fragestellungen wie: Wer hat das Recht auf Übersetzung, wer das Recht, nicht übersetzt zu werden? Wer muss ertragen, dass übersetzt wird, wer, dass nicht übersetzt wird? Wer muss
Einleitung
das Dazwischen erdulden, wer sucht es auf? Wie kann das Unübersetzte auch als Strategie der Selbstermächtigung verstanden werden? Als heuristisches Mittel und Brille verweist un_übersetzt! darauf, dass das Unübersetzte – ebenso wie das Übersetzte – stets temporär und situativ ist, sich mithin in permanenter Aushandlung befindet. Der erste Beitrag »Fiktionen der Unübersetzbarkeit« von Federico Italiano untersucht die Fiktionalisierung von Translationsprozessen im Genre der Science-Fiction und geht der Frage nach, wie Unübersetzbarkeit in literarischen und filmischen Werken inszeniert wird. Dabei ortet Italiano in Filmen bzw. TV-Serien wie Star Wars und Star Trek einen optimistischen Umgang mit Unübersetzbarkeit im Sinne eines Plädoyers für deren aktive Akzeptanz. Zwar blockiert Unübersetzbarkeit die translatorische Fließfähigkeit, erweist sich aber gleichzeitig als aktivierender Motor für den Wunsch nach Verstehen und Kommunikation. Das Un_Übersetzte konzipiert Italiano als jenen Erscheinungsmodus von Unübersetzbarkeit, der die letztlich ungelösten Problemstellungen anzeigt: In welchem Ausmaß soll Unübersetzbarkeit geduldet werden? Aus welchen ideologischen, rhetorischen, stilistischen, linguistischen Gründen – oder aus einem komplexen, verflochtenen Mix davon – kann nicht übersetzt werden? Und wer entscheidet darüber, ob bzw. was übersetzt und was nicht übersetzt wird? Die bei Italiano offen gehaltene Frage nach Entscheidungs- und Handlungsmacht der beteiligten Akteure und Akteurinnen steht im Fokus des Beitrags von Nadja Grbić, die sich der Geschichte des Gebärdensprachdolmetschens widmet. Gehörlose sind – im Unterschied etwa zu jenen Migrant*innen, die sich die Sprache des Gastlandes aneignen und zu gegebener Zeit direkt kommunizieren können – in der Mehrheitsgesellschaft dauerhaft auf Translation angewiesen. Sie »funktionieren« im Austausch mit Hörenden nur in Übersetzung, was einen dauerhaften Unsicherheitsfaktor darstellt und in der Denkfigur des »übersetzten Subjekts« zum Ausdruck kommt. Dass in der konkreten Translationshandlung aus verschiedenen Gründen auch vieles unübersetzt bleibt, fasst Grbić mit dem Begriff des un_übersetzten Subjekts. Formuliert wird mit dieser Denkfigur zum einen das Ringen um Kommunikation und Information, um Verstandenwerden und Verstehen und das damit ver-
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bundene Dasein zwischen Übersetztwerden und nicht Übersetztwerden – mit sämtlichen Spannungen, die sich zwischen diesen beiden Polen ergeben. Zum anderen umfasst die Denkfigur den stets parallel ablaufenden Prozess der metaphorischen Übersetzung von Gehörlosigkeit in ein sozial, kulturell und politisch opportunes Verständnis der Mehrheits- bzw. Minderheitsgesellschaft. Mit Fragen von sozialer Ungleichheit und Macht im Kontext von Translationsprozessen befasst sich auch Christina Korak in ihrer Studie über die Kommunikation zwischen den indigenen Waorani und der Mehrheitsgesellschaft Ecuadors. Basierend auf einer fundamentalen Kritik an der Konzeption von Übersetzung als harmonisierendem Brückenbau zwischen Sprach- und Kulturgruppen auf Augenhöhe knüpft sie an die postkoloniale Translationswissenschaft und deren Überlegungen zu Übersetzung als konflikthafter Verhandlungspraxis an. Vor dem Hintergrund mehrmaliger Feldaufenthalte im Amazonasgebiet Ecuadors zeigt Korak mit der Formel un_übersetzt! an, dass in diesen vom neokolonialen Kapitalismus geprägten Gesellschaften sowohl Übersetztes als auch Unübersetztes stets als Mittel der Machtausübung dienen. Zudem verweist der Unterstrich auf den stark hierarchisierten Kontext ihres Forschungsfeldes sowie auf die tiefe Kluft, die durch fehlgeleitete Brückenschläge in Translationsprozessen entsteht. Das nachgestellte Ausrufezeichen in un_übersetzt! verdeutlicht für Korak zudem die Dringlichkeit, auf die vielschichtigen Machtkonstellationen in Zusammenhang mit Translationsprozessen in von post- und neokolonialen Einflüssen geprägten Gemeinschaften einzugehen. Übersetzungskonflikte in hierarchisierten Akteurswelten beschäftigen auch Judith Laister in ihrem Beitrag über Zusammenhalt und Spaltungen in relationalen Kunstprojekten. Wie alle Autor*innen des vorliegenden Sammelbandes geht sie von einem weiten Übersetzungsbegriff aus, wobei Prozesse interlingualer Translation nicht den zentralen Forschungsgegenstand bilden. Im Fokus stehen vielmehr jene verbindenden und trennenden Sprachen des Raumes, des Kapitals, von Alltagspraktiken, visuellen und verbalen Äußerungen, die Konnektivität zwischen den heterogenen Teilen eines relationalen Kunstprojekts herstellen oder verhindern können. Als übersetzt bezeichnet Laister, unter
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Verweis auf den metaphorischen Gebrauch des Übersetzungsbegriffs im untersuchten Feld, künstlerisch initiierten Zusammenhalt zwischen Akteur*innen. Mit dem Begriff unübersetzt werden hingegen Konflikte, Risse und Brüche gemeint. Die Denkfigur un_übersetzt! markiert den relationalen Prozess des permanenten Verbindens und Trennens in relationalen Kunstprojekten und fordert nachdrücklich dazu auf, diese Wechselbeziehung sowie ihre hierarchisierten Implikationen im forschenden Blick zu behalten. Den spannungsreichen Dimensionen von Übersetzungspraktiken im wissenschaftlichen Feld widmet sich Rafael Schögler in seinem Text über verborgene und weniger verborgene Versprechen des Un_Übersetzten in Übersetzungen der Geistes- und Sozialwissenschaften. Er setzt dem oft geäußerten Vorwurf, dass beim Übersetzen stets etwas unersetzlich verloren geht, die Konzeption des Un_Übersetzten entgegen. Der Unterstrich verweist dabei auf die Situativität, Subjektivität und Temporalität jeglicher übersetzter wie unübersetzter Texte. Zudem zeigt er das Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und dem Unübersetzbaren an. Schögler konzipiert un_übersetzt damit als dynamische und perspektivische Begrifflichkeit. Je nach Blickwinkel erweist sich eine Aussage als übersetzt oder unübersetzt. Dieser Zustand kann sich je nach Zeit, Ort, Verwendung, Interpretation, Informationsstand usw. permanent verändern, womit sich das Unübersetzte als genauso temporär erweist wie das Übersetzte. Das Unübersetzte als subversive Strategie diskutiert Olaf Terpitz am Beispiel jüdischer Literaturen. Sein Beitrag bietet einen Einblick in Romane und Erzählungen, die auf der Erzählebene mit unübersetzten Textpassagen operieren und damit auch auf der Rezeptionsebene einen gezielten Bruch der Kommunikationssituation initiieren. Wenngleich Mehrsprachigkeit, Translingualität und Verschränkungen die jüdischen Literaturen spätestens seit der Aufklärung kennzeichnen, erfuhren diese im Zuge jüngster Konzeptionen von Weltliteratur neue Aufmerksamkeit und wurden diskursiv pointiert und verdichtet. Als un_übersetzt konzipiert Terpitz zum einen das intentional herbeigeführte Nicht-Verstehen in Form von unübersetzten Textteilen, was er als Strategie der Subversion und Resilienz ausweist; zum anderen mar-
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kiert er damit Inkongruenzen, die Momente des »Eigenen«, der Suche, der Verweigerung, der Irritation und Verwirrung hervorbringen. Literarästhetisch pointiert das Un_Übersetzte Erscheinungsformen von Ähnlichkeit und Differenz, von Selbstermächtigung und Emanzipation, von Zweifel und Widerständigkeit, durchaus auch mit den Mitteln der Komik als Meisterin der Subversion. Michaela Wolf eröffnet Einblicke in die »dark sides of translation« als kaum beleuchtete Räume der Bedrohung, die durch Translationspraktiken in Konzentrationslagern entstehen. Im Rahmen der Diskussion der grundsätzlichen Frage von Primo Levi nach dem »Verstehen« sind sowohl das »Unübersetzte« als auch das Un_Übersetzte von grundlegender Bedeutung. Das »Unübersetzte« wird auf die Innenwelt der Konzentrationslager bezogen und bedeutet eine nicht oder unzureichend erfolgte Kommunikation. Es bezeichnet die Praxis des Unübersetzt-Gebliebenen im Übersetzungsprozess, oft als Folge der Verweigerung von Übersetzen, aber auch als Folge des Scheiterns von Übersetzen. Das Un_Übersetzte wird als eine konzeptuelle Kategorie verstanden, mit der versucht wird, den Kampf um das Verstehen zu beschreiben. Es bewegt sich somit vorrangig in der »Außenwelt«, also dort, wo – vor allen von Lagerüberlebenden – versucht wird, Menschen, die die Shoah nicht erlebt haben, das Grauen des Lagers zu vermitteln. Das Un_Übersetzte ist in einem Raum angesiedelt zwischen dem Versuch des Verstehens – oftmals durch Strategien der Vereinfachung – und dem Anspruch, über das Geschehene ein zumindest annäherndes Bewusstsein zu erlangen. Die unabdingbare Wechselbeziehung zwischen Übersetztem und Unübersetztem untersucht Susanne Korbel im Kontext von Flucht vor dem Nationalsozialismus am Beispiel der refugee artist groups in New York. Dabei zeigt sie, dass der migrantische Alltag von Prozessen sprachlicher Neuverortung und dem interdependenten Nebeneinander von Übersetztem und Unübersetztem geprägt ist. Stellvertretend werden diese realen, alltäglichen Erfahrungen des Sprachefindens in der Emigration auch in übersetzten und nichtübersetzten Stückteilen sichtbar. Textfragmente von Wienerliedern etwa, wie sie in den Köpfen der Geflüchteten bislang präsent waren, verschwimmen in Phrasen
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der »neuen« Sprache und transmittieren gleichzeitig Floskeln der Erstsprache sowie der neuen Lebenserfahrungen. Weder Übersetztes noch Unübersetztes stehen für sich. Beide bedingen einander wechselseitig. Bedeutung ergibt sich nicht nur im Übersetzten, sondern im gemeinsamen Ganzen zwischen Übersetztem und Unübersetztem. In diesem Zwischenraum des Un_Übersetzten werden Bedeutung sowie das Abbilden von Erfahrungen und Wahrnehmungen generiert. Un_übersetzt, so zeigt dieser Einblick in die vielstimmige Textlandschaft des vorliegenden Sammelbandes, eignet sich gerade in transdisziplinären Forschungsräumen als produktive, vielseitig anwendbare Denkfigur. Sie ermöglicht eine analytische Annäherung an Translationshandlungen unterschiedlicher Ausprägung – in Form von sprachlicher Verständigung von prekären Akteuren und Akteurinnen wie Gehörlosen, Indigenen, KZ-Häftlingen oder Geflüchteten; als Übersetzungsutopie im Genre der Science-Fiction; als Übersetzung sozial- und geisteswissenschaftlicher Texte; mit Blick auf Zusammenhalt stiftende Praktiken in relationalen Kunstprojekten; oder als intentional herbeigeführtes Nicht-Verstehen in literarischen Texten. In all diesen Szenarien markiert das Un_Übersetzte, dass Übersetzung stets prozesshaft ist, Übersetztes wie Unübersetztes generiert, von sozialen Akteuren und Akteurinnen getragen wird, auf verschiedenen Analyseebenen zu verorten ist, konkrete wie metaphorische Übersetzungsprozesse umfasst und eingebettet in Machtverhältnisse vonstattengeht. Un_übersetzt verfolgt nicht eine Vorstellung von Unübersetzbarkeit als definitivem Charaktermerkmal, als verhinderter oder endloser Übersetzung. Vielmehr sensibilisiert diese Denkfigur für eine Konzeption von Übersetzung als stets situativ, dynamisch, temporär und ambivalent. Sie fordert zum Denken des Dazwischen und Vorläufigen auf, zur Akzeptanz des Unfertigen und Imperfekten, zur Beachtung des Prekären und Marginalisierten, zur Wahrnehmung von Strategien der Emanzipation und Selbstermächtigung. Sie negiert essenzialistische und simplifizierte Übersetzungsversprechen, glaubt nicht an Unübersetzbarkeitspostulate, interessiert sich für Konflikte und Machtverhältnisse, hinterfragt die Versprechen der Translation und leuchtet ihre Schattenseiten aus. In diesem Sinne repräsentiert
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jeder einzelne Beitrag des vorliegenden Sammelbands einen Anstoß, die Vielschichtigkeit und den Facettenreichtum allgegenwärtiger translatorischer Prozesse in Geschichte und Gegenwart aus einer transdisziplinären Perspektive zu betrachten.
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Galaktische Unübersetzbarkeit Fiktionen des Un_Übersetzten in der Science-Fiction Federico Italiano
Science fiction is an ideal genre for the analysis of translation processes, both as part of a narrative – that is, in terms of a fictionalization of translation and translators within a text or a film – and as translation per se – that is, as translation of a certain narrative across different texts, contexts, epochs and media. As a narrative genre, science fiction not only stages sociological, political and economic concepts in a radical and very focused manner, but its worlds and its stories, especially those concerning space travel and extraterrestrial encounters, depend structurally on translational processes such as first-contact scenes and »galactic« plurilingualism. In this sense, science fiction is also an ideal genre for the examination of what we call here the »un_translated«. Drawing on Meir Sternberg’s conceptualization of »translational mimesis« – i.e. a series of strategies for the imitation of translation at a fictional level within a language-based medium – this essay will explore phenomena of untranslatability and, in particular, fictions of the un_translated within two epic narratives, Star Wars and Star Trek, whose similar level of popularity is counterpointed by two almost conflicting views on cultural contact, translation and the un_translated. Warum es dringend und wichtig ist, sich mit Science-Fiction aus wissenschaftlicher Sicht zu beschäftigen, haben bereits viele Philo-
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soph*innen, Historiker*innen und selbstverständlich Literaturwissenschaftler*innen begründet. Resümierend kann man sagen, dass es kein narratives Genre gibt, das so radikal und fokussiert soziologische, politische und ökonomische Konzepte auf einer fiktionalen Ebene inszeniert und auf die Probe stellt wie Science-Fiction. »Science Fiction«, schreibt Fredric Jameson in Archaeologies of the Future, »is generally understood as the attempt to imagine unimaginable futures. But its deepest subject may in fact be our own historical present« (Jameson 2005, 345). Science-Fiction ist jedoch auch ein ideales Genre für die Analyse von Translationsprozessen sowohl als Teil einer Erzählung – also im Sinne ihrer Darstellung und Fiktionalisierung – als auch in der Übertragung einer Narration in andere Texte, Kontexte, Epochen und Medien. Deshalb möchte ich mich auf den folgenden Seiten den Fiktionen der Unübersetzbarkeit und des Un_Übersetzten in der Science-Fiction zuwenden und dabei insbesondere auf zwei Kinobzw. TV-Epen näher eingehen, Star Wars und Star Trek, die zwar einen ähnlichen globalen Popularitätsgrad genießen, aber dennoch mit fast gegensätzlichen Übersetzungskonzepten operieren.
Die Negentropie des Un_Übersetzten Übersetzung kann auf verschiedene Art und Weise fiktionalisiert werden. Zum einen kann sie als Rahmen einer Geschichte, eines Sprechaktes oder eines Textes – wie im Falle der s.g. Pseudo-Übersetzung oder »fictitious translation« – inszeniert werden. Sie kann aber auch als Thema einer Erzählung oder eines Gedichts auftreten oder in der Figur einer Übersetzerin oder eines Dolmetschers verkörpert werden. Über diese unterschiedlichen fiktionalen Darstellungen von Übersetzung wurde in den letzten Jahren einiges geforscht und publiziert, von Dirk Delabastitas und Rainier Grutmans Fictional Representations of Multilingualism and Translation (2005) bis hin zu Thomas Beebees Transmesis: Inside Translation’s Black Box (2012). Wenig dagegen wurde bis jetzt über die Fiktion der Unübersetzbarkeit geforscht und noch weniger im Bereich der Science-Fiction, bis auf einen relativ neuen Artikel von Kel-
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ly Washbourne (2014), in dem untersucht wird: »how untranslatability is either ideologically dramatized as a first contact with insurmountable or unconquerable otherness, or surmounted and conquered through manipulation or through colonializing assertions of a de facto universality.« (Ebda., 2) Dabei bezieht sich Washbourne für sein allgemeines Konzept der Unübersetzbarkeit auf die 1965 publizierte Monographie Linguistic Theory of Translation: An Essay in Applied Linguistics von Catford – in welcher eine aus heutiger Sicht zu rigide strukturalistische Trennung zwischen linguistischer und kultureller Unübersetzbarkeit implementiert wird – und dabei die neuere Forschung zum Thema Unübersetzbarkeit leider komplett überspringt. Auch Emily Apter (2006, 2013), die in Anlehnung an Barbara Cassins Vocabulaire (2004) bis dato die komplexeste und detaillierteste Studie aus literaturwissenschaftlicher Perspektive über untranslatability geliefert hat, hat sich jedoch nur marginal der Fiktion der Unübersetzbarkeit gewidmet. Im konzisen Resümee ihrer Monografie schreibt sie, dass ihr Ziel darin besteht, das Konzept der Unübersetzbarkeit als theoretischen Dreh- und Angelpunkt der Komparatistik zu aktivieren. Insbesondere ist die Funktion der Unübersetzbarkeit entscheidend, wenn es u.a. darum geht, folgende Aspekte zu erforschen: »world literatures, literary world-systems and literary theory, the politics of periodization, the translation of philosophy and theory, the relation between sovereign and linguistic borders at the checkpoint, the bounds of non-secular proscription and cultural sanction, free versus privatized authorial property, the poetics of translational difference […].« (Apter 2013, 3f.) Was mich hier besonders interessiert, geht in die Richtung dessen, was Apter »poetics of translational difference« nennt (ebda.). Noch präziser jedoch interessiert mich, wie das Unübersetzbare und das Un_Übersetzte als ästhetische und narrative Dispositive in literarischen und filmischen Werken eingesetzt werden, wie Unübersetzbarkeit erzählt, inszeniert und ja, übersetzt wurde. »Unübersetzbarkeit« unterscheidet sich vom Un_Übersetzten, in erster Linie, auf einer grammatikalischen Ebene. In Anlehnung an andere von Walter Benjamin geprägten »-barkeiten«
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(Übersetzbarkeit, Reproduzierbarkeit, Kritisierbarkeit), findet Emily Apter gerade in diesem Suffix – das Suffix »-barkeit« oder das englische »-ability« – eine mögliche Definition der Unübersetzbarkeit: »In the spirit of the barkeit series, I would add unübersetz-barkeit to refer to that which impedes translational fluency yet enables critical faculties nonetheless.« (Ebda., 138, Hervorh. i.O.) Unübersetzbarkeit – wie Apter in dieser kurzen, aber sehr prägnanten Definition sagt – ist also das, was die translatorische Fließfähigkeit blockiert, behindert und dennoch gleichzeitig kritische Fähigkeiten, kritisches Potenzial ermöglicht. Es gibt allerdings eine noch kürzere Aussage über die Unübersetzbarkeit, die genauso treffend ist. Sie stammt aus Salman Rushdies Roman Shame: »To unlock a society, look at its untranslatable words.« (1983, 104) Für den indischen Schriftsteller und selbstdefinierten »translated man« ist die Unübersetzbarkeit das, was eine Gesellschaft, eine Kultur, definiert und dabei den Zugang bietet, an diese überhaupt heranzukommen oder diese sogar zu entschlüsseln. Paradoxerweise, könnten wir sagen, ist der Vermittlungskoeffizient des Nicht-Übersetzten deutlich größer als der des Übersetzten. Das schreibt Rushdie, wenn sein Erzähler zu erklären versucht, was das Urdu-Wort »takallouf« bedeutet. »Takallouf is a member of that opaque, world-wide sect of concepts which refuse to travel across linguistic frontiers: it refers to a form of tongue-tying formality, a social restraint so extreme as to make it impossible for the victim to express what he or she really means, a species of compulsory irony which insists, for the sake of good form, on being taken literally.« (Ebda., 111) Was in dieser Erklärung von Rushdie passiert, ist genau das SichEntfalten – selbstverständlich literarisch inszeniert – von jenen »critical faculties«, die Apter als das Positive an der Unübersetzbarkeit beschreibt. Dass es für viele Wörter kein Einzelwort-Äquivalent in einer anderen Sprache gibt, ist gewiss. Das hatte Roman Jakobson bereits 1959 klar genug gesagt: »on the level of interlingual translation, there is ordinarily no full equivalence between code-units.« (Jakobson 1959, 233) Das Unübersetzbare beginnt also nicht bei der fehlenden
Galaktische Unübersetzbarkeit
interlingualen Äquivalenz, sondern ist vielmehr das, was ein Prozess des Verstehens, des Austausches, des Hinterfragens initiiert. In Anlehnung an Michael Cronin könnte man also die Unübersetzbarkeit wie einen Katalysator betrachten, der den negentropischen Prozess der Translation anregt. In Translation and Identity (2006) beschreibt Michael Cronin Übersetzung als »negentropischen« Prozess, der aus prekären Kommunikationsprozessen Neues hervorbringt: »it is because so much cannot be translated that much more remains to be translated. Pointing to the impossibility of translation should then be accounted not as further evidence of the entropic, of translation as fundamentally a practice of imitative or even transformative loss, but as a proof of the negentropic function of translation in culture.« (Cronin 2006, 130, eigene Hervorh.) So betrachtet sind Übersetzungen nötig, gerade weil so viel unübersetzbar ist. Und ein Phänomen, ein Erscheinungsmodus, wenn man so will, dieser so verstandenen Unübersetzbarkeit ist meines Erachtens das Un_Übersetzte, das, was aus verschiedenen ideologischen, rhetorischen, stilistischen, linguistischen Gründen oder aus einem komplexen, verflochtenen Mix davon nicht übersetzt wird oder werden kann.
Translatorische Mimesis Bereits Quintilian sprach von »verba peregrina« von »einzelnen Wörter[n]«, die nicht übersetzt werden können, »an denen das Moment der Fremdheit isoliert werden kann« (vgl. Stockhammer 2009, 269). Diese Metapher des Pilgers, des ewigen Wanderers, in Bezug auf Fremdwörter wird auch von Adorno in einer Passage aus Minima Moralia verwendet, wo er nicht-übersetzte, oder vielleicht eher un_übersetzte Fremdwörter mit den Juden vergleicht: »Fremdwörter sind die Juden der Sprache.« (Adorno 1951/1980, 125; vgl. dazu ohne direkte Zitate bei Stockhammer 2009, 269) Aber eine der ersten und immer noch sehr ergiebigen deskriptiven Annährungsversuche an dieses Phänomen aus translatorischer Perspektive ist Meir Sternbergs Aufsatz zur Fiktionalisie-
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rung der Übersetzung, d.h. der Erzählung und Inszenierung der Übersetzung, »Polylingualism as Reality and Translation as Mimesis« (Sternberg 1981). Nach Sternberg ist die interlinguale Spannung zwischen der Sprache als einem repräsentierten Objekt und der Sprache als Repräsentationsmittel eher mimetisch als kommunikativ (ebda.). Im Allgemeinen ist translational mimesis der ästhetisch kodifizierte Einsatz mimetischer Strategien, um Heterolingualität auf einer intratextuellen Ebene durch ein normalerweise einsprachiges Medium, die Schriftsprache, zu produzieren bzw. inszenieren (ebda., 221-223). Für Sternberg kann die translatorische Mimesis fast als Synonym für die hetero-linguale (oder poly-linguale) Mimesis betrachtet werden. Sternberg unterscheidet vier Verfahren der translatorischen Mimesis, die zwischen den polaren Extremen von »vehicular matching« einerseits und »homogenizing convention« andererseits liegen (ebda., 225). Das erste dieser mimetischen Verfahren nennt er »selective reproduction«. Diese beschreibt er als mimetische Synekdoche, die als intermittierendes Zitat des heterolingualen Diskurses operiert. Das ist eine Strategie, die oft in der Erzählprosa eingesetzt wird, wie etwa die Verwendung von französischen Sequenzen in Tolstois Werken, eine Prise Deutsch oder Englisch in Jules Vernes Romanen, das Russische in Nabokovs Pnin; oder etwa die Verwendung von mimetischen Klischees wie »Buongiorno«, »Merci«, »Donnerwetter« in anderssprachigen Texten, die signalisieren wollen, dass der eigentliche Dialog ganz oder zum Teil auf Italienisch, Französisch oder Deutsch stattfindet. Das zweite Verfahren nennt er »verbal transposition«. Sternberg definiert diesen zweiten Typus als die poetische oder kommunikative Wendung, die ergibt, was Soziolinguist*innen zweisprachige Interferenz nennen. Für Sternberg ist dieses mimetische Verfahren komplexer und ungeradliniger als die verbale Reproduktion, »since it suggests […] heterolingual speech in and through an ostensibly unilingual medium rather than directly incorporate such speech into an openly mixed framework.« (Ebda., 227) Eine typische Manifestation dieser Strategie ist die phonologische oder syntaktische Imitation einer anderen Sprache, die in der Erzählsprache eine poly-linguale Spannung kreiert.
Galaktische Unübersetzbarkeit
Die dritte Art von translatorischer Mimesis ist »conceptual reflection«, die für Sternberg noch weiter von der konkreten Textur des ursprünglichen Diskurses entfernt ist als »verbal transposition«. Die konzeptionelle Reflexion arbeitet an der Schnittstelle zwischen Sprache, soziokulturellen Normen und Realität: Es erzeugt den Eindruck von Heterolingualität durch kulturtypische (oder typisierte) Themen, Interessen, Einstellungen, Realitäten, Anredeformen, Anspielungsfelder oder paralinguistische Merkmale wie das Gestikulieren (ebda., 231). Das vierte und letzte von Sternberg vorgeschlagene mimetische Verfahren ist die »explicit attribution«. Darunter versteht der israelische Komparatist eine klare linguistische Zuschreibung in Bezug auf eine bestimmte Aussage oder ein bestimmtes Text-Segment: »a direct statement on the reporter’s (or even the reportee’s) part concerning the language (or some aspect of the language) in which the reported speech was originally made.« (Ebda.) Also, ganz einfach: »Und er sagte auf Italienisch …«. Diese Metakommentare über den fiktionalen Sprecher (»reporter«) bzw. über ein bestimmtes Text-Segment inszenieren Mehr- oder Anderssprachigkeit, ohne den Code zu ändern oder zu wechseln. Zu den aufschlussreichsten rezenten Aktualisierungen von Sternbergs translatorischer Mimesis gehört u.a. Susanne Klingers Monografie über sprachliche Hybridität in interkulturellen Texten mit besonderem Schwerpunkt auf anglophoner nigerianischer Literatur (2015). In ihren Worten ist die translatorische Mimesis eine Reihe von »writing strategies that signal that the story-level language is translated by the narrator for the benefit of the narratee« (Klinger 2015, 14). Die translatorische Mimesis imitiere nicht einfach eine andere Sprache, sondern störe vielmehr »the illusion of direct access« und hebe dabei die translatorische Intervention durch das Mischen verschiedener Codes hervor (ebda., 15; vgl. auch Italiano 2016, 118f.). Diese komplexe Deskription von Nuancen und Abstufungen in Bezug auf translatorische Mimesis ist meines Erachtens eine immer noch praktikable und ergiebige Navigationshilfe im Erkennungs- und Beschreibungsprozess des Un_Übersetzten, insbesondere wenn man sich in ästhetisch hochkodierte Regionen begibt – seien diese Filme oder lite-
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rarische Texte –, wo die Grenzen zwischen der translatorischen und der fiktionalen Ebene verschwinden oder gar unsichtbar werden, sodass sie der Wahrnehmung entgehen. Ähnlich wie die Fiktion der Übersetzung setzt auch die Fiktion des Un_Übersetzten eine Reihe mimetischer Strategien voraus, die von Autor*innen und Filmemacher*innen mehr oder weniger bewusst implementiert werden.
Star Wars oder Das galaktische Paradigma der Äquivalenz Sternbergs Konzept der translatorischen Mimesis möchte ich jetzt auf zwei mächtige Fiktionen unserer Zeit applizieren, zwei Narrationen, die wie wenige andere unsere Imagination von Alterität und Entfernung beeinflusst haben: Star Wars und Star Trek. Beide sind, wie ich finde, hervorragende Beispiele für die Analyse von Fiktionen der Unübersetzbarkeit durch ihren Umgang mit dem Un_Übersetzten und erlauben uns viel tiefere Einblicke in diese Problematik als vielleicht zunächst anzunehmen ist. Allgemein betrachtet ist Science-Fiction ein Genre, in dem sowohl die Pseudo-Übersetzung als auch die translatorische Mimesis – also die getarnte oder explizite Inszenierung eines Texts oder einer Erzählung als Übersetzung einerseits und die Nachahmung von Übersetzung andererseits – wesentliche, wenn nicht konstituierende Rollen spielen. Dies gilt auch für das Genre Fantasy: Denken wir nur an Tolkiens Romane oder an Game of Thrones. Dass Science-Fiction und insbesondere jene Science-Fiction, die interplanetare, intergalaktische Reisen und daher extraterrestrische Kulturkontakte imaginiert, strukturell an Übersetzungsprozesse gebunden ist, hatte bereits Brian Mossop in seinem 1996 veröffentlichten Artikel versucht zu zeigen: »[i]t is sometimes suggested that translation studies in its broadest sense is about communicating with the Other. But some Others are more other than other Others.« (Mossop 1996, 1) Unter Bezugnahme auf Georges Mounins »La Communication avec l’espace« (1970) stellt Mossop zum einen fest, dass die mentale Übung, sich zu fragen, ob und inwiefern wir mit außerirdischen Wesen kommunizieren könnten, eine der besten Möglichkeiten wäre, die Bedingungen jeder Kom-
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munikation grundlegend zu erforschen (Mossop 1996, 1). Zum anderen zeigt er jedoch, wie gerade in der (englischsprachigen) Science-Fiction das Problem der Übersetzung mehr oder weniger ignoriert bzw. durch rhetorische und narrative Dispositive einsprachig gelöst wird: »One might expect that since humans and aliens so often come into contact in science fiction, translation would be a frequent theme. Not so. Usually the translation problem is either passed over in silence or dispensed with in one of three ways that reflect received ideas: telepathy, lingua franca and machine translation.« (Ebda., 2) In Anlehnung an Mossop hat Michael Cronin das letzte Kapitel seines Buches über das Verhältnis zwischen Kino und Übersetzung (2008) der Rolle der Übersetzer*innen und der Sprache in Star Wars gewidmet (ebda., 108-133). Auf den nächsten Seiten möchte ich zeigen, inwieweit Unübersetzbarkeit und das Un_Übersetzte im Sinne translatorischer Mimesis in den für ein sehr breites und zum Teil globales Publikum konzipierte Science-Fiction-Epen von Star Wars (das freilich auch als eine Art Hybrid zwischen Fantasy und Science-Fiction klassifiziert werden könnte) und Star Trek eingesetzt wurden. Meine These ist, dass diese beiden Großerzählungen nicht nur auf Fiktionen der Unübersetzbarkeit basieren, sondern auch, dass sie mit einem quasi antithetischen Verständnis von Sprache operieren und gegensätzliche Kulturmodelle repräsentieren. In der Schlacht von Naboo, in Star Wars: Episode I – The Phantom Menace (Lucas 1999), fliegt Anakin Skywalker einen Starfighter, während eine Nachricht in Aurebesh auf seiner Konsole erscheint. Aurebesh ist das Alphabet, das verwendet wird, um die Galactic Basic Language, also die Lingua Franca der Star Wars-Galaxie darzustellen. Die AurebeshNachricht von R2-D2 lautet ungefähr wie folgt: »Anakin turn the ship around and go back home straight away.« Anakin antwortet sofort auf den Befehl von R2-D2, indem er sagt: »Go Back? Qui-Gon told me to stay in this cockpit, so that’s what I’m going to do.« Das ist einer der wenigen Momente im ganzen Epos, in dem die geschriebene Sprache tatsächlich etwas bedeutet (vgl. Cronin 2008, 121). Im Allgemeinen, wenn Aurebesh-Zeichen erscheinen, repräsentieren sie einfach nur sich selbst
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und haben keine erkennbare Bedeutung. Für den Text in der Konsole des Starfighters ist keine Übersetzung, kein Untertitel, vorgesehen – und der Zuschauer oder die Zuschauerin kann nur erahnen, was die Botschaft ist. Die Bedeutung von Aurebesh geht jedoch über dessen zufälligen oder nicht systematischen Gebrauch in den Trilogien hinaus und bezieht sich auf etwas, das wir mit Sternberg als »translatorische Mimesis« bezeichnen könnten. Im Falle dieser Szene haben wir es mit dem klarsten Fall von »translational mimesis« im Sinne Sternbergs zu tun, nämlich mit einer selektiven Reproduktion. Aber nicht nur: Diese kurze Szene ist enorm wichtig für alle Star Wars-Filme, da hier etwas mehr oder weniger explizit gemacht wird, was die Zuschauer in der ganzen ersten Trilogie nur erahnen konnten, wenn überhaupt; und zwar, dass die englische Sprache, die als Lingua Franca interplanetarische Geltung hat, die publikumsorientierte Übersetzung einer anderen Sprache ist. Wie im berühmten Kapitel IX des Don Quijote wird inmitten des Geschehens explizit gemacht, dass wir vor einer Übersetzung stehen. Aber anders als bei Cervantes, wo zum Ausdruck gebracht wird, dass der Text eine Übersetzung (Pseudo-Übersetzung) aus dem Arabischen ist, gibt es hier keine extradiegetische Instanz, die dies anmerkt und dabei die Sprache, aus der übersetzt wird, signalisiert. In dieser Hinsicht ist Star Wars ein neuer Typus von Übersetzungsfiktion, nämlich eine implizite Pseudo-Übersetzung aus einer fiktiven, nicht-existierenden Sprache. Wir können sie insofern Übersetzungsfiktion nennen, weil diese keine eigentliche Übersetzungsaktivität ist, da das Original nicht existiert, aber ihr Status kann nur »translatorisch« definiert werden. Besonders an dieser Szene ist, dass sie uns zeigt, wie die gesamte Narration auf einer extradiegetischen, publikumsorientierten Übersetzung basiert. Das Galactic Basic, also die Lingua Franca der Galaxie, klingt Englisch, aber es ist auf der fiktionalen Ebene gar kein Englisch. Star Wars Hauptsprache ist also ein Pseudo-Englisch, dessen »Pseudität« auf seinem Status vom »Schon-Übersetzten« beruht (Stockhammer 2009). Diese Übersetzungsszene aus The Phantome Menace ist bis dato die einzige ihrer Art in den gesamten Star Wars-Filmen. Hunderte sind aber im Gegensatz dazu die Szenen im gesamten Star Wars-Epos, wo Über-
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setzungsfiktionen stattfinden, von der berühmten Cantina-Szene auf Tatooine, wo Hans Solo einen nicht Galactic-Basic-sprechenden Kopfgeldjäger, Greedo, kaltblütig umbringt, bis hin zu zahlreichen Szenen, in welchen C-3PO das macht, wofür er gebaut worden ist: dolmetschen. Er ist nämlich ein Dolmetscher-Droid, ein Roboter mit diplomatischen und translatorischen Aufgaben, also ein galaktischer Dolmetscher, der »six million forms of communication« kennt (Cronin 2008, 108). In keinem anderen Star Wars-Film wird so viel übersetzt wie in The Phantom Menace, wo auch die meisten Sprachen eingeführt und im Sinne einer translational mimesis am deutlichsten inszeniert werden. Man denke z.B. an das Huttisch, gesprochen von Jabba the Hut und von Watto, dem ehemaligen Besitzer der Sklaven Shmi Skywalker und ihres Sohns Anakin Skywalker, und Gunganisch von Jar Jar Bins. Man könnte sich ausgiebig mit der stereotypischen Inszenierung der Sprachvielfalt in Star Wars befassen und damit die kolonialen und orientalistischen Aspekte der sprachlichen Imagination des Lukas’schen Epos analysieren. Aber ich möchte hier auf einen anderen Punkt eingehen. Angesichts der Vielfalt von Sprachen, denen man in Star Wars begegnet, ist es erstaunlich, wie wenige Missverständnisse in der Kommunikation stattfinden. Der Sound Designer Ben Burtt hat die meisten Sprachen von Star Wars auf der Basis von real existierenden, irdischen Sprachen erfunden. Wie er selber sagt, hat er dafür Sprachen imitiert, die für einen englischen Zuschauer »exotisch« klingen, z.B. Dialekte aus Zentralafrika und Asien (Burtt 2001; vgl. Cronin 2008, 129f.). Ein ähnlicher Prozess wurde in Episode VII: The Force Awakens (Abrams 2015) verwendet: »For the language spoken by the Kanjiklub, one of the gangs encountered by Han Solo and Chewbacca aboard their shipping freighter, the producers enlisted a YouTube star from Finland, Sara Maria Forsberg, whose video ›What Languages Sound Like to Foreigners‹ had been hugely popular in 2014. For her work on Star Wars she used a mixture of the sounds of Indonesian and Sundanese to come up with something she described as ›suitably exotic-sounding‹. Although none of these are conceptualisations of English, the thinking behind their
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design is based very much on a contrastive principle, with English being the unmarked, ›non-exotic‹ language.« (Seargeant 2018, 23) Sprachdifferenzen determinieren soziale und ökonomische Ungleichgewichte in der Star Wars-Galaxie, aber sie sind nie per se das Zentrum einer Aushandlung, und es gibt kaum Szenen, in welchen Übersetzungsprobleme vorkommen. Aufschlussreich ist zum Beispiel, dass C3PO mit seinem britischen, Butler-ähnlichen Akzent, alles übersetzen kann. Die Übertragung der Aufgabe des Übersetzens an einen Roboter – wenngleich sehr intelligent – vermittelt also die Botschaft, dass Übersetzung im Grunde ein basaler semantischer Transfer ist, der von einer kompetenten Maschine ausgeführt werden kann (vgl. Cronin 2008, 114). Zugespitzt formuliert hat sich Star Wars nie vom alten, positivistischen Paradigma der Äquivalenz verabschiedet. In dieser Hinsicht verkörpert C-3PO eine monolinguale, technokratische Selbstgefälligkeit. George Lucas’ Übersetzungsfiktionen schlagen letztendlich vor, dass Unübersetzbarkeit nicht existiert und alle Übersetzungsprobleme durch die richtigen Algorithmen gelöst werden können – und wenn das nicht reichen sollte, wird einfach getötet.
Star Trek oder Die Utopie des Un_Übersetzten Anders, fast antithetisch, sind die Fiktionen der Übersetzung in den neueren Star Trek-Serien, von The Next Generation (1987-1994) bis Discovery (2017-laufend). Der beträchtlichste Unterschied zu Star Wars liegt auf der Hand: Star Trek basiert nicht auf einer fiktionalen Sprache. Das gesprochene und geschriebene Standardenglisch, auf der alle Serien und Filme beruhen, ist das, was es ist: Englisch. Für die wenigen, die Star Trek nicht kennen, möge es genügen zu sagen, dass es um ein Science-Fiction-Franchise geht, das auf der originalen Science-FictionFernsehserie von Gene Roddenberry aus den Jahren 1966-1969 basiert und die interstellaren Reisen der Raumschiffe aus der Sternenflotte der humanitären und friedenserhaltenden Armada der Vereinigten Föderation der Planeten erzählt. Nach dem Dritten Weltkrieg und mithilfe
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der Vulkanier, eine wissenschaftlich und technologisch sehr entwickelte Zivilisation aus unserer Galaxie, ist die Erde eine funktionierende, realisierte Utopie geworden, wo Geld und Armut nicht mehr existieren und alles, was man braucht, einfach reproduzierbar ist. Daher ist die gesamte Menschheit auf unserem Planeten eine altruistische, wissbegierige, auf die eigene intellektuelle und moralische Verbesserung orientierte Gesellschaft geworden – und ihre Sternenflotte spiegelt genau diese Werte wider. Jedes Raumschiff der Föderation ist sozusagen eine kleine, zwischen den Sternen rasende Utopie-Filiale, deren einziges Ziel die friedliche und respektvolle Erkundung der Galaxie ist. Selbstverständlich wird auch auf der Enterprise gestorben, und auch die Wissbegierde hat ihre dunklen Seiten. Jede Episode ist somit die Geschichte eines Konflikts, meistens zwischen den eigenen Werten und denen von anderen außerirdischen Völkern. Übersetzungsprobleme sind gewissermaßen der Ausgangspunkt fast jeder Episode – und oft ist der wundersame universal translator nur eine prekäre Hilfe. Fiktionen der Übersetzung sind in dieser Franchise wahrlich unzählig, beginnend mit der faszinierenden Erfindung der klingonischen Sprache durch den Linguisten Mark Okrand. Klingonisch, oder tlhIngan Hol, ist eine gutturale, agglutinierende OVS-Sprache, also eine Sprache, in der die Reihenfolge der Wörter Objekt-Verb-Subjekt ist – d.h. genau die umgekehrte Reihenfolge von Englisch und von den meisten natürlichen Sprachen (Battaglia 2005, 118). Auch seine Phonologie wurde so entwickelt, dass sie so fremd wie möglich wirkt, obwohl sie selbstverständlich – und wie könnte es anders sein? – auf natürlichen Sprachen basiert. Dieser Effekt wird hauptsächlich durch die Verwendung von mehreren retroflexen und uvularen Konsonanten erzeugt. Außerdem verwenden natürliche Sprachen neben der üblichen Lungenentladung auch andere Mechanismen der Entladung, die in der klingonischen Sprache allerdings nicht verwendet werden. Okrand versuchte damit, Klingonisch für Englischsprachige so fremd wie möglich zu machen. Diese kriegerisch klingende Sprache hat heute eine derartige Fülle und Komplexität erreicht, dass sie von einer nicht kleinen Gemeinde von Fans weltweit wirklich gesprochen wird. Es gibt sogar reelle Übersetzungen ins Klingonische, wie z.B. die Übersetzung von Hamlet
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– oder wie es zum Klingon-Weltbild besser passen würde: die »Restauration« von Hamlet ins Klingonische – von Nick Nicholas und Andrew Strader (2000). Wie dem auch sei, möchte ich mich hier nicht mit conlangs, oder artifiziellen Sprachen, befassen, sondern mich insbesondere auf eine Star Trek-Episode konzentrieren: »Darmok« aus der 5. Staffel von Star Trek: The Next Generation (Kolbe 1991). In dieser Episode kommen alle grundlegenden Themen von Star Trek zusammen: Kontakt und Konflikt, Charakter und Identität, Geschichte und Mythos, Sprache und Übersetzung. Auf den ersten Blick bietet »Darmok« den Zuschauer*innen eine Art Anatomie-Stunde über das klassischste Thema der Anthropologie: den Moment des ersten Kontakts. Dabei liefert diese Episode eine weitere Variante der Sapir-Whorf-Hypothese, eine von Edward Sapir konzipierte (1929) und später von seinem Schüler Benjamin Lee Whorf (1944) weiter entwickelte linguistische Annahme, die wie keine andere die Imagination von Science-Fiction Autor*innen von Robert A. Heinlein über Ursula K. Le Guin und Samuel R. Delany bis hin zu Ted Chiang geprägt hat.1 Auf den zweiten Blick entblößt sich diese Star TrekEpisode jedoch als eine große, komplexe Fiktion der Unübersetzbarkeit und dadurch als eine profunde Reflexion über das Un_Übersetzte und insbesondere über das kritische Potenzial, das die Unübersetzbarkeit generiert und entfaltet. Die Episode gilt als eine der größten Errungenschaften des ganzen Star Trek-Franchise und wird mittlerweile als ein Klassiker der ScienceFiction tout court betrachtet. Keine andere Fernsehshow hat jemals eine derartige literarische, philosophische und kulturelle Bandbreite gezeigt 1
Diese Hypothese, um es ganz kurz zu fassen, argumentiert in ihrer »starken« Auffassung, dass die Struktur einer Sprache die kognitiven Funktionen und das Weltbild ihrer Sprecher determiniert – oder, mit anderen Worten, dass die Sprache die Realität gründlich prägt. Wobei viel und fundierte Kritik an Whorfs Determinismus und an einigen seiner Fallstudien, wie die Hopi-Sprache, geübt worden ist, ist die »schwache« Version dieser Behauptung – dass die Sprache die Realität »beeinflusst« – noch teilweise valid und bleibt bis heute ein wichtiger Diskussionsansatz für Linguist*innen, Anthropolog*innen, Philosoph*innen und Autor*innen.
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wie diese Star Trek-Folge. In der Episode begibt sich die Enterprise in einen Orbit um den Planeten El-Adrel IV neben dem gewaltigen Raumschiff der Tamarianer. Das einzige, was Captain Picard und seine Crew über diese humanoide außerirdische Spezies wissen, ist, dass ein früherer Kapitän der Sternenflotte dieses als ein friedliches, gutmütiges, aber unverständliches Volk beschrieben hat. Die Tamarianer sind eine reptilienartige, humanoide Spezies, die wegen ihrer ausdrucksstarken Augen, ihrer langen Finger und ihres sehr nüchternen Kleidungsstils auffallen. Sie sind außerdem technologisch sehr fortgeschrittenen. Da die Tamarianer nur über Allegorien und mythologische Anspielungen kommunizieren, kann der Universalübersetzer in der Zielsprache, das galaktische Standardenglisch, keinen sinnvollen, verständlichen Satz produzieren. Die Tamarianer wiederum können Picards direkte, referenzielle und semiotisch relativ lineare Sprache nicht verstehen. In dieser ausweglosen Situation scheint der tamarianische Kapitän Dathon eine Lösung gefunden zu haben. Diesen Plan beschreibt er wie folgt seinem Ersten Offizier: »Darmok and Jalad at Tanagra.« Dieser scheint seinem Kapitän heftig zu widersprechen, während die Crew der Enterprise ratlos zuschaut. Daraufhin teletransportiert Captain Dathon sich und Captain Picard auf den Planeten El-Adrel. Auf diesem der Erde sehr ähnlichen Planeten wiederholt Dathon seine für Picard kryptische Aussage: »Darmok and Jalad at Tanagra.« Dabei wirft er Picard einen Dolch zu. Picard denkt, dass dies eine Art Herausforderung zum Duell ist und wirft die Waffe zu Dathon zurück. Als es dann dunkel wird, versucht Picard Feuer zu machen, um sich während der Nacht zu wärmen – und scheitert kläglich dabei. Captain Dathon teilt daraufhin sein Feuer mit ihm und sagt: »Temba.« Zuerst glaubt Picard, dass »Temba« das Wort für Feuer ist, aber Dathon, der das Missverständnis errät, erklärt weiter: »Temba, his arms wide.« »Temba is a person«, sagt also Picard, der auch immer mehr zu verstehen scheint: »His arms wide… because he’s… he’s holding them apart. In, in… generosity. In giving. In taking. Thank you.« Währenddessen bemühen sich First Officer Riker und die Besatzung auf der Enterprise, die Sprache der Tamarianer zu entschlüsseln, und Riker beauftragt Commander Data und Schiffsberater Troi mit folgender Forschungsarbeit:
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TROI: Computer, search for the term Darmok in all linguistic databases for this sector. COMPUTER: Searching. Darmok is the name of a seventh dynasty emperor on Kanda Four. A mytho-historical hunter on Shantil Three. A colony on Malindi Seven. A frozen dessert on Tazna Five. A… TROI: Stop search. Computer, how many entries are there for Darmok? COMPUTER: Forty seven. TROI: All our technology and experience, our universal translator, our years in space, contacts with more alien cultures than I can even remember. DATA: I have encountered one thousand, seven hundred fifty four non-human races during my tenure with Starfleet. TROI: And we still can’t even say hello to these people. DATA: Correct. TROI: A single word can lead to tragedy. One word misspoken or misunderstood. And that could happen here, Data, if we fail. DATA: Replay at time index one four four. DATHON [on monitor]: Darmok at Tanagra. DATA: Freeze. Computer, search for the term Tanagra. All databases. COMPUTER: Searching. Tanagra. The ruling family on Gallos Two. A ceremonial drink on Lerishi Four. An island-continent on Shantil Three. TROI: Stop. Shantil Three. Computer, cross-reference the last entry with the previous search index. COMPUTER: Darmok is the name of a mytho-historical hunter on Shantil Three. TROI: I think we’ve got something.2 Das Problem hier ist nicht die übliche Auseinandersetzung mit Fremdsprachen. Der Universalübersetzer ist nicht vollständig ausgefallen. Wir hören englische Wörter, aber sie sind für uns in der Art, wie sie kombiniert werden, komplett unverständlich. Diese Episode
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Transkript von dieser und allen folgenden Szenen aus »Darmok« abrufbar unter Kolbe (1991).
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implementiert eine besonders komplexe, desorientierende Art von translational mimesis im Sinne Sternbergs: die s.g. »verbal transposition«. Der Universalübersetzer ist in der Lage, die Wörter auf Englisch und mit englischer Intonation wiederzugeben, aber die Sätze, die dabei produziert werden, sind einfach sinnlos. Die Zuschauer*innen, denen keine Untertitel zur Hilfe kommen, also mit keiner extradiegetischen Übersetzung rechnen können, sind genauso verwirrt über diesen radikalen Fall des Un_Übersetzten. Sie sehen sich einem paradigmatischen Scheitern der Translation gegenüber. Und die Übersetzung scheitert diesmal an allen Fronten, sowohl als Dispositiv als auch als hermeneutisches Verfahren, da sogar Jean-Luc Picard, der hier eigentlich den perfekt geschulten, von humanistischen Werten geprägten Übersetzer verkörpert, versagt. Wir befinden uns, wie bereits von Paul A. Cantor (2008) beschrieben, in einer Art Sprachspiel à la Ludwig Wittgenstein – einer Situation nämlich, in der wir einzelne Wörter, aber nicht ganze Sätze verstehen können; in einer Situation, in der bekannte Wörter nicht so funktionieren, wie wir es normalerweise erwarten. Wittgensteins SprachspielBegriff besagt, dass sprachliche Äußerungen kulturell bedingt und in bestimmten Praktiken beheimatet sind. In diesem Sinne sind Äußerungen nur sinnvoll, wenn sie in diesem Kontext praktiziert werden. Deswegen werden Sprachen nicht durch Erklärung gelernt, sondern, wie Wittgenstein ziemlich prägnant sagt, durch Domestizierung (vgl. dazu Cantor 2008, 5-8). In den Philosophischen Untersuchungen schreibt er: »Das Lernen der Sprache ist hier kein Erklären, sondern ein Abrichten.« (Wittgenstein 1970, §419) In den Morgenstunden hören Picard und Dathon von weitem ein bedrohliches Brüllen. Picard will instinktiv wegrennen, aber Dathon versucht ihn zu stoppen: »Shaka, When the Walls fell.« Picards Verständnis der tamarianischen Sprache macht hier einen wichtigen Schritt voran: »Shaka. You said that before. When I was trying to build a fire. Is that a failure? An inability to do something?«. In dieser aktionsreichen Szene wird für Picard plötzlich ersichtlich, wie die tamarianische Sprache im Grunde funktioniert:
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DATHON: (pushing Picard back) Uzani, his army at Lashmir. PICARD: At Lashmir? Was it like this at Lashmir? A similar situation to the one we’re facing here? DATHON: Uzani. His army with fist open. PICARD: A strategy, with fist open. With fist open. DATHON: His army, with fist closed. PICARD: With fist closed. An army with fist open to lure the enemy. With fist closed to attack? That’s how you communicate, isn’t it? By citing example. By metaphor. Uzani’s army with fist open. (And Picard opens the distance between them.) DATHON: Sokath. His eyes uncovered! Diese Episode zeigt in übersteigerter Form, wie intersubjektives Verständnis durch Geschichte und Erzählungen erzeugt wird. Nach dem Kampf mit dem Ungeheuer ist Dathon schwer verletzt und Picard kümmert sich um ihn. Währenddessen versucht er, den Tamarianer am Reden zu halten und leitet aus seinen Wörtern ab, dass Darmok und Jalad Freunde wurden, nachdem sie auf der Insel Tanagra, wo sie als Fremde zusammentrafen, gemeinsam gegen einen fürchterlichen Feind gekämpft hatten. Durch die Nachahmung dieser mythologischen Erzählung wollte Dathon nicht nur ein bestimmtes Konzept der Freundschaft suggerieren, sondern vielmehr Freundschaft erzeugen. Im Gegenzug erzählt Picard dem sterbenden Dathon das Epos von Gilgamesch, das viele Gemeinsamkeiten mit der Geschichte von Darmok und Jalad aufweist. In »Darmok« opfert Captain Dathon sein Leben, um Captain Picard eine der zentralen Geschichten bzw. Sprachstrukturen seiner Kultur übersetzbar zu machen. Vieles aus dem intergalaktischen Dialog zwischen der Föderation und den Tamarianern bleibt dennoch un_übersetzt. Und doch ist der Wunsch nach Übersetzung da. Die Unübersetzbarkeit, wenn wahrhaft erkannt, schafft den Raum für Übersetzung. In diesem Sinne wird ein zunächst konfliktgeladener Kulturkontakt in einen Horizont der Gemeinsamkeit und gegenseitiger Unterstützung überführt. Ähnlich radikale Geschichten der Unübersetzbarkeit – die aber zu keiner Reziprozität wie bei Picard und Dathon führen – kennen wir en
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masse aus der kolonialen Zeit hier auf der Erde. Insbesondere eine davon, wie Thomas Richards in seinem Buch The Meaning of Star Trek zeigt, bietet eine interessante kontrastive Lektüre zu dieser Episode (vgl. Richards 1997, 140f.). Als 1778 der britische Entdecker Captain James Cook den ersten Kontakt zu den Bewohnern der Hawaii-Inseln aufnahm, wurde er wie ein König begrüßt, und deswegen freute sich Cook darauf, nach Hawaii zurückzukehren. Als er dann etwas mehr als ein Jahr später wirklich zurückkehrte, wurden er und seine Männer am Strand abgeschlachtet. Was im Februar 1779 geschah, schien völlig abstrus und erschreckend – außer für die Hawaiianer. In einem hawaiianischen Mythos wird von einem zurückkehrenden Gott, Orono, erzählt, der bei seiner ersten Erscheinung als König zu begrüßen war, während er bei der zweiten Rückkehr zu Tode gebracht werden sollte (ebda.). Wie Thomas Richards angemerkt hat, geht es im Falle von Dathon und Picard nicht primär um die penibel ausgeführte Nachahmung einer mythologischen Handlung, wie in dem tragischen Vorkommnis von Captain Cook auf Hawaii, sondern nur um die Re-Aktualisierung der Geschichte, die auch zu einem anderen Ende führen kann (ebda., 141). Außerdem ist der entscheidende Punkt hier nicht die Inszenierung per se, sondern vielmehr Picards Teilnahme daran: Durch seine Teilnahme lernt Picard nämlich die Grundlagen der tamarianischen Sprache zu verstehen (vgl. ebda. und Miller 2020, 151-153). Dathon stirbt, um Kommunikation – trotz Un_Übersetzem – zu ermöglichen. Im Gegensatz zu Star Wars sind die meisten Erster-Kontakt-Folgen in Star Trek keine Momente der Transparenz, des Verständnisses, der Klarheit, sondern Momente des Missverständnisses, des Konflikts, des Zweifels, und das gilt insbesondere für diese Episode. Der Grund ist einfach: Der erste Kontakt ist von Geschichte und Mythos, mit anderen Worten von ideologischen Identitätszuschreibungen, geprägt. Aber die »Darmok«-Episode geht noch weiter in ihren Ansprüchen, die Sprache als mythologisches Dispositiv darzustellen. Die Lücken in der Kommunikation – das Un_Übersetzte als opakes Produkt der Unübersetzbarkeit – sind nicht nur auf mangelnde Kenntnisse der tamarianischen Mythologie von Seiten der Föderation zurückzuführen, sondern auf die Inkompatibilität zwischen einem rein symbolischen (Tamarianer) und ei-
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nem überwiegend referenziellen (Föderation) Kommunikationsmodell (vgl. Shapiro 2004, 124-130). Das hatten inzwischen auch Data und Troi in ihrer Recherche auf der Enterprise verstanden: DATA: The Tamarian ego structure does not seem to allow what we normally think of as self-identity. Their ability to abstract is highly unusual. They seem to communicate through narrative imagery by reference to the individuals and places which appear in their mythohistorical accounts. TROI: It’s as if I were to say to you, Juliet on her balcony. CRUSHER: An image of romance. TROI: Exactly. Imagery is everything to the Tamarians. It embodies their emotional states, their very thought processes. It’s how they communicate, and it’s how they think. RIKER: If we know how they think, shouldn’t we be able to get something across to them? DATA: No, sir. The situation is analogous to understanding the grammar of a language but none of the vocabulary. CRUSHER: If I didn’t know who Juliet was or what she was doing on that balcony, the image alone wouldn’t have any meaning. TROI: That’s correct. For instance, we know that Darmok was a great hero, a hunter, and that Tanagra was an island, but that’s it. Without the details, there’s no understanding. DATA: It is necessary for us to learn the narrative from which the Tamarians are drawing their imagery. Given our current relations, that does not appear likely. Ein letzter wichtiger Aspekt dieser Übersetzungsfiktion findet sich auf einer translatorischen Metaebene, da die fiktiven Geschichten von Dathon ihren Ursprung in unseren irdischen Mythologien haben. Die tamarianische Mythologie, die wir als Zuschauer nur partiell mitbekommen, wird als totale Fremdheit inszeniert. Diese Episode von Star Trek versucht, eine Kultur zu erschaffen, die sich explizit von unserer unterscheidet, aber sie tut genau das, was Kulturen in der gleichen Situation seit Tausenden von Jahren getan haben: das Unbekannte in vertraute Begriffe zu bringen, indem vertraute alte Geschichten in
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neue Kontexte hineinprojiziert werden (vgl. Richards 1997, 144f.). Das ist das Paradebeispiel des kulturellen Transfers und der s.g. kulturellen Übersetzung. Im Wesentlichen ist »Darmok« eine futuristische, außerirdische Adaption des Gilgamesch-Epos, in welcher Dathon die Rolle des Enkidu übernimmt und Picard die des Gilgamesch. Wie Enkidu, der von den Göttern qualvoll getötet wird, weil er gemeinsam mit Gilgamesch den Himmelsstier umbrachte, so stirbt auch Dathon und wird von Picard betrauert – so wie Gilgamesch um seinen Freund trauert und für ihn ein Klagelied anstimmt (vgl. Miller 2020, 146-158). In Bezug auf diese transmediale Übertragung hat David Damrosch in seinem Aufsatz »World Literature in a Postliterary Age« resümierend Folgendes geschrieben: »Buried in the sands of Iraq for two millennia, the Epic of Gilgamesh skipped the transition from clay tablet and scroll to codex and the later invention of print, coming to light at the dawn of the modern media age. Thanks to the new technology of film and video, millions of viewers have heard Gilgamesh’s story retold by Star Trek’s Captain Jean-Luc Picard to a dying Tamarian on the distant planet of El-Adrel.« (Damrosch 2013, 161) Die mächtige Übersetzungsfiktion dieser Star Trek-Episode endet mit einem hermeneutischen Plädoyer für die Wiederentdeckung des Eigenen als Zugang zum Fremden und die aktive Akzeptanz des Un_Übersetzten als Basis einer fairen, interplanetarischen Diplomatie. Dies ist im Grunde die große, faszinierende Sprachutopie von Star Trek. Aber inwieweit können wir diesen optimistischen Umgang mit Unübersetzbarkeit in unseren Alltag übertragen und implementieren? Verbirgt sich hinter diesem Ringen um Sinn und Geschichte, um Mythos und Grammatik, nicht die stille Skepsis, dass das Un_Übersetzte letztendlich einfach nur geduldet werden muss? Und wenn dem so wäre, würde dann die kritische Fähigkeit, die von der Dynamik des Un_Übersetzten und von der Unübersetzbarkeit generiert wird, à la longue nicht verschwinden? Bis wo und bis wann darf man das Un_Übersetzte un_übersetzt lassen? Wer entscheidet über den soziokulturellen Status der Unübersetzbarkeit? Nach welchen Kriterien? Es
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sind Fragen, die diese Gedanken anregende Star Trek-Episode und mein kurzer Aufsatz natürlich nicht erschöpfend beantworten können. Doch sind es Fragen, die zeigen, wie Übersetzungsfiktionen – und insbesondere die Fiktion des Un_Übersetzten – neues Licht auf unseren Umgang mit Anderssprachigkeit werfen.
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Autorisierte Translator*innen und un_übersetzte Subjekte Rekrutierungsformen des Gebärdensprachdolmetschens in der Geschichte Nadja Grbić
This article looks at the history of sign language interpreting in Austria. On the one hand, it questions who interpreted what, for what reasons and with what authority (along with the accompanying question of what remained untranslated) and on the other, it looks at the influence that the »office« with which translators were imbued had on the construction of deafness and sign language. These questions will be explored on the basis of two different historical recruitment methods pertaining to sign language interpreting: official, state-run interpreting system in the late Habsburg monarchy and the recruitment system run by Deaf associations in the aftermath of the First World War. Two pursuant thought models emerge from the analysis of these questions: the authorized translator, imbued with extensive power and authority, and in contrast the un_translated subject, which describes the existence of Deaf people in the space between the translated und non-translated, along with all the associated levels of tension between these two poles, which result not least from the permanent dependency of the Deaf on translation.
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Die Geschichte des Gebärdensprachdolmetschens in Österreich wurde von Grbić (2017a) nachgezeichnet und zeigte auf, dass sich neben weit verbreiteten alltäglichen, ad hoc und informell stattfindenden Translationstätigkeiten ab dem 19. Jahrhundert verschiedene Formen der organisierten Translation in und um Institutionen wie Kirche, Schule, Justiz und Gehörlosenorganisationen entwickelten. All diese Formen der Rekrutierung und damit Autorisierung von Dolmetscher*innen waren von Wohlwollen geprägt, schufen jedoch in unterschiedlicher Weise und mit divergierenden Konsequenzen Abhängigkeiten und Verpflichtungen und führten letztlich zu einem zwiespältigen Verhältnis zwischen der Gemeinschaft der Gehörlosen und der hörenden Mehrheit, aber auch zu Spannungen innerhalb der Gehörlosengemeinschaft selbst. In diesem Beitrag soll nicht nur der Frage nachgegangen werden, wer wann was aus welchem Interesse und mit welcher Befugnis für Gehörlose dolmetschte und was unübersetzt blieb, sondern auch der Frage, welchen Einfluss verschiedene Rekrutierungssysteme und deren Protagonistinnen und Protagonisten auf die Konstruktion von Gehörlosigkeit und Gebärdensprache hatten. Diese Fragen sollen anhand zweier historischer Rekrutierungssysteme von Gebärdensprachdolmetscher*innen diskutiert werden: die Organisation des Dolmetschwesens durch den Staat in der späten Habsburgermonarchie und das Rekrutierungssystem der Gehörlosenorganisationen, das nach dem 1. Weltkrieg einsetzte. Die Diskussion basiert auf zwei Denkfiguren, jener des un_übersetzten Subjekts und jener der autorisierten Translator*innen.
Gehörlosigkeit als kommunikative Differenz und Gehörlose als un_übersetzte Subjekte In den Augen der hörenden Mehrheitsgesellschaft werden Gehörlose aufgrund ihrer Differenz in Bezug auf vorherrschende Normalitätsvorstellungen in der Kategorie Behinderte verortet. Gehörlose selbst empfinden sich jedoch in erster Linie als Mitglieder einer Sprach- und Kulturgemeinschaft, wobei die (jeweilige) Gebärdensprache als eines ih-
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rer zentralen Merkmale empfunden wird. Da Gehörlose hinsichtlich ihrer sozialen Beziehungen hochgradig endogam leben, verwendet Anne C. Uhlig (2012) in ihrer ethnografischen Studie der Gehörlosengemeinschaft in Deutschland den Begriff der Verwandtschaftsgruppe bzw. der Kultur der Verbundenheit. Die starke Verbundenheit basiert jedoch weder auf territorialem Zusammenhang noch auf familiärer Herkunft, denn die meisten Gehörlosen haben hörende Eltern und hörende Kinder. Insofern erstaunt es nicht, dass sich die »gehörlose Welt«, wie Gehörlose ihre Gemeinschaft häufig bezeichnen, als internationale Gemeinschaft empfindet und ihre Geschichte der Unterdrückung als kollektiv erlebt wahrnimmt (ebda., 11). So stellt etwa das 1880 durchgesetzte Gebärdenverbot an Gehörlosenschulen ein kollektives Trauma dar, »a date as pregnant with meaning for us as 1492 is for Native Americans«, wie der gehörlose Forscher und Aktivist Paddy Ladd ausführt (2003, 4). Das Phänomen des Gehörlos-Seins als globale ethnische Erfahrung zeigte sich bereits im 19. Jahrhundert in der Sehnsucht nach einer eigenen »Gehörlosennation«, die in verschiedenen Teilen der Welt von gehörlosen Aktivistinnen und Aktivisten gefordert wurde.1 Ausläufer dieser Idee spiegeln sich im zeitgenössischen konzeptuellen Programm der Deafhood von Ladd (2003) wider, das er im Gegensatz zur statischen medizinischen Bedingung »deafness« als eine dynamische Raumzeit darstellt, in der gehörlose Menschen ihr Selbstverständnis vor dem Hintergrund ihrer Geschichte kontinuierlich verorten. Ladd ist sich der daraus resultierenden essenzialisierenden Identitätskonstruktionen bewusst, erachtet diese jedoch, Gayatri Chakravorty Spivak folgend, als strategisch notwendig. Für Gehörlose, »who are still struggling to conceptualise their post-colonial identity« (ebda., 217), sei Deafhood ein probates Mittel im politischen Kampf um Selbstermächtigung. In der s.g. »hörenden Welt« ringen Gehörlose seit jeher damit, sich Gehör zu verschaffen. Marian Corker bezeichnet Gehörlosigkeit daher
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So versandte etwa der US-amerikanische Gehörlose John J. Flournoy im Jahre 1855 eine Einladung an amerikanische und europäische Gehörlose, sich im USamerikanischen Westen anzusiedeln, um dort einen selbstverwalteten Staat Gehörloser zu gründen (Van Cleve, Vickrey und Crouch 1989, 61f.).
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als »kommunikative Differenz«, die einen Zustand verkörperter Unsicherheit darstellt. Am Beispiel ihrer eigenen Erlebnisse als gehörlose Forscherin berichtet sie von der Problematik ihres Daseins in der hörenden Welt als übersetztes Subjekt: »The hearing-speaking way of ›discussing‹ is a practice that I find oppressive because to function, I am necessarily embodied in a third party who has the role of translating across cultures in both directions, often failing to keep the influence of their own culture in check. In bell hooks’s [Gloria Watkins] terms, ›discussion‹ in the hearing-speaking way represents ›an absence of choices‹ (1984: 5).« (Corker 2001, 39) Im Unterschied zu Migrant*innen, die die Möglichkeit haben, die Sprache des Gastlandes zu erwerben und zu gegebener Zeit direkt zu kommunizieren, sind Gehörlose in der Mehrheitsgesellschaft dauerhaft auf Translation angewiesen. Sie haben, wie Corker es formuliert, keine Wahl. Im Gespräch mit Hörenden sieht Corker ihre Gedanken stets in einer anderen Person verkörpert, um verstanden werden zu können. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die Vorstellung, in der Mehrheitsgesellschaft nur in Übersetzung zu »funktionieren«, einen dauerhaften Unsicherheitsfaktor darstellt. Wenn man davon ausgeht, dass das Konzept des Subjekts das seiner selbst bewusste Dasein beschreibt, das Subjektperspektive und Leiblichkeit in sich vereint, so umschreibt das übersetzte Subjekt die Innenperspektive Gehörloser, in Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft nur in Übersetzung zu existieren. Aus der Perspektive der hörenden Gesprächsteilnehmer*innen wird es zur übersetzten Person, die aufgrund ihrer dauerhaften kommunikativen Differenz nur dann verstanden wird, wenn sie in die Stimme des Dolmetschers bzw. der Dolmetscherin übersetzt wird (zur Differenzierung von Subjekt und Person sowie Leib und Körper siehe Wendel 2014). Doch auch wenn Gehörlose in der Welt der Hörenden als übersetzte Subjekte bzw. übersetzte Personen zu »funktionieren« scheinen, so darf nicht vergessen werden, dass Translationsprozesse eine Aushandlung differenter sprachlicher und kultureller Deutungsmuster implizieren und damit asymmetrische Verständigungsprozesse darstellen. In der Praxis bedeutet dies, dass in
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jedem Translationsprozess nicht nur einiges unübersetzt bleibt, sondern in vielen Fällen erst gar keine (fachkundigen) Dolmetscher*innen beigezogen werden (können). Die Denkfigur des un_übersetzten Subjekts trägt dieser Spannung Rechnung. Sie impliziert das Ringen Gehörloser um Ausdruck, Kommunikation und Information, um Verstandenwerden und Verstehen und das damit verbundene komplexe Dasein zwischen Übersetzt- und nicht Übersetztwerden – mit sämtlichen Changierungen, die sich zwischen diesen beiden Polen ergeben können. Dass Translatorinnen und Translatoren in diesem Dasein eine bedeutende Position zukommt, ist leicht nachzuvollziehen. Eine bedeutende Position erhielten Gebärdensprachdolmetscher*innen formal nicht zuletzt durch die Professionalisierung der Tätigkeit, die zunächst in den USA Mitte der 1960er Jahre und in Österreich dreißig Jahre später einsetzte und in der Fachliteratur als Heilsversprechen kommuniziert wurde. Gehörlose sollten das Recht auf staatlich finanzierte qualitative Dienstleistungen erhalten und aus der misslichen Abhängigkeit von unausgebildeten Dolmetscher*innen aus dem Familien- und Bekanntenkreis, die sie um Hilfe bitten müssen und in deren Schuld sie stehen, befreit werden. Bald wurden jedoch auch Stimmen laut, die auf die Kehrseite dieses Prozesses hinwiesen. Konnten sich Gehörlose jahrhundertelang auf selbstgewählte Sprachkundige aus ihrer Gemeinschaft, meist Kinder gehörloser Eltern (kurz Codas, children of deaf adults), verlassen, die aus Verbundenheit und Solidarität »act in the best communicative interests of the d/Deaf individual«, so die Argumentation des US-amerikanischen Gebärdensprachdolmetschers und Forschers Dennis Cokely (2005, 4), waren sie nun in eine Struktur der hörenden Welt eingebunden, die anonyme Dienstleitungen zuteilte. Der Einwand mag auf den ersten Blick einleuchten, doch ist zum einen die Geschichte der Institutionalisierung und Kommodifizierung des Gebärdensprachdolmetschens älter als der von ihm angesprochene Professionalisierungsprozess und zum anderen die Dynamik wechselnder Abhängigkeits- und Machtbeziehungen komplexer. Eine Reduktion auf Inkommensurabilität zwischen »hörender Welt« und »gehörloser Welt« und Dichotomisierung zwischen »Unterdrücker« und »Unterdrückte« greift in jedem Fall zu kurz.
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Der vorliegende Beitrag wirft daher einen Blick in die Geschichte Gehörloser als un_übersetzte Subjekte und versucht, diesen Abhängigkeits- und Machtbeziehungen anhand zweier Rekrutierungssysteme in Österreich und deren Protagonist*innen, den autorisierten Translator*innen, nachzugehen. Eine meiner Thesen lautet, dass das staatliche Rekrutierungssystem ebenso wie jenes der Gehörlosenorganisationen achtbare Versprechen machte, gleichzeitig aber auch seine Schattenseiten hatte. Diese beruhen nicht zuletzt darauf, wie die Differenz und damit einhergehend die »Identität« Gehörloser vis-à-vis der hörenden Welt »übersetzt« wurde. Insofern sind Gehörlose, so die zweite These dieses Beitrags, un_übersetzte Subjekte auf zwei Ebenen: der Ebene der jeweiligen Kommunikationssituation bzw. der fehlenden Kommunikationsmöglichkeit und der Ebene der Übersetzung von Gehörlosigkeit in ein jeweils sozial, kulturell oder politisch opportunes Konstrukt.
Autorisierte Translator*innen und Übersetzung als Konstruktion von Identitäten Translation ist wie jede Form der Kommunikation nicht zuletzt auch sozialstrukturell fundiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Translationswissenschaft spätestens im Kielwasser des cultural und sociological turn die Notwendigkeit erkannt hat, Translationsbeziehungen im Kontext sozialer Machtbeziehungen zu untersuchen, wie Erich Prunč in seiner umfassenden Einführung in das Fach treffend formuliert: »Eines scheint jedoch sicher: am Faktor Macht und seiner sozialen Verortung, an der Rekonstruktion der machtgeleiteten Prozesse der Repräsentation, der Produktion von Wissen und Konstruktion von Identitäten und Kulturen führt kein Weg mehr vorbei.« (Prunč 2012, 315) Dass Translator*innen Macht haben, Macht ausüben, aber auch Macht ausgesetzt sind, manipulieren und manipulierbar sind, ist unbestreitbar. Betrachtet man etwa die umfangreiche Literatur zur sozialen Rolle
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von Dolmetscher*innen, so lässt sich unschwer erkennen, dass Rollenkategorien der Praxis – vom »Sprachrohr« über die »Co-Therapeutin« bis zum »Hilfspolizisten« – prototypisch um den Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum von Dolmetscher*innen modelliert werden und letztendlich um die Frage des reziproken Gewinns bzw. des Verlusts von Macht und Kontrolle als Kerndimension kreisen. Während die Literatur zur Rolle inzwischen fast unüberschaubar geworden ist, ist die Frage der Autorisierung von Translator*innen, abgesehen von Arbeiten zur Ausbildung, Professionalisierung und Zertifizierung, die eher teleologisch-funktionalen Charakter haben, bislang nicht ausreichend thematisiert worden. Ausnahmen stellen etwa Kaisa Koskinens (2014) Untersuchungen zum Umgang mit Translation in multilingualen Institutionen dar, den sie als »art of government by translation« umschreibt, oder Kathryn Batchelors (2018) Diskussion des Status autorisierter Übersetzungen kanonisierter wissenschaftlicher Werke. Um sich systematischer mit der Autorisierung von Translator*innen zu befassen, bietet sich als Ausgangspunkt Pierre Bourdieus Konzept des autorisierten Sprechers an. Für Bourdieu ist Kommunikation eine soziale Handlung, die auf Akzeptanz, Wirkung und letztlich Gehorsam abzielt. Wer sprechen darf, was und wie gesprochen wird und wer sich durch Sprache durchsetzen kann, hängt von der sozialen Position des Sprechers bzw. der Sprecherin und den von ihm bzw. ihr akkumulierten Kapitalien ab: »Der wirkliche Ursprung der Magie der performativen Aussage liegt im Mysterium des ›Ministeriums‹, des Amtes, das heißt in jener Delegation von Macht, aufgrund derer ein einzelner Akteur – König, Priester, Wortführer – ermächtigt ist, im Namen der dergestalt in ihm und durch ihn konstituierten Gruppe zu sprechen und zu handeln […].« (Bourdieu 1990/2005, 82) Die Kraft der Sprache liegt für Bourdieu nicht nur in den Äußerungen, sondern ist im Sprecher bzw. der Sprecherin einverleibt. Daraus folgt, dass bestimmte sprachliche Handlungen insofern Autorität haben, als deren Sprecher*innen bereits im Vorfeld von einer sozialen Gruppe ermächtigt wurden, bestimmte Diskurse zu produzieren, d.h.
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in ihrem Namen zu sprechen. Diese Autoritätsdiskurse entfalten ihre Wirkung nicht durch Verstehen, sondern durch Anerkennung als legitimer Sprachgebrauch befähigter und befugter Personen (ebda., 106). Bourdieu bezieht sich in seinen Überlegungen jedoch nicht auf jegliche Art von Kommunikation, sondern auf jene, bei der die Akteur*innen durch eine Machtbeziehung aneinander gebunden sind, wie Jo Reichertz (2009, 213) ausführt. Reichertz (ebda., 214) führt daher das Charisma als weitere Dimension an, die dazu beitragen kann, einem Sprecher bzw. einer Sprecherin zu folgen. Das Konzept des autorisierten Sprechers bzw. der autorisierten Sprecherin wurde in der Translationswissenschaft bereits in Zusammenhang mit Übersetzen und Zensur von Norbert Bachleitner und Michaela Wolf (2010, 48) sowie im Zusammenhang mit der Autorität gehörloser Übersetzer*innen (Grbić 2017b) ins Treffen geführt. Es eignet sich insofern für die Diskussion von Machtbeziehungen zwischen Translator*innen und deren Kund*innen, als die Insignien der Autorisierung einzelner Auserwählter eine Differenz zur Masse unsichtbarer Translator*innen schafft und als symbolisch verbriefter Nachweis ihrer oft unhinterfragten Kompetenz ihren Handlungs- und Entscheidungsspielraum entscheidend zu erweitern vermag. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum autorisierter Translator*innen umfasst nicht zuletzt die Konstruktion und Repräsentation ihrer Kund*innen in der sozialen Interaktion ebenso wie in übergeordneten Zusammenhängen, was sie insbesondere in asymmetrischen Beziehungen, wie sie jene zwischen Hörenden und Gehörlosen darstellt, zu wirkmächtigen Akteur*innen macht. Dies führt uns zu einem weiteren theoretischen Konzept, das dem vorliegenden Beitrag als heuristisches Mittel zugrunde liegt, dem Konzept der Übersetzung von Michel Callon. Callon (2006) verwendet Übersetzung als analytisches Werkzeug zur Untersuchung von Machtbeziehungen in sich überschneidenden sozialen Welten. Übersetzung bedeutet für ihn die (Neu-)Definition der Identitäten, Interessen und Verhaltensweisen beteiligter lebender und unbelebter Entitäten und die Etablierung ihrer Verbindungen. In seiner Fallstudie zur Rekultivierung von Kammmuscheln in einer nordfranzösischen Bucht rekonstruiert er anhand von vier Übersetzungs-
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momenten, wie die beteiligten Akteur*innen im Netzwerk wechselseitiger Beziehungen versuchen, das Aussterben der Kammmuscheln zu verhindern. Zentral für die Argumentation des vorliegenden Beitrags ist das Übersetzungsmoment des Interessement, in dem Rollen und Identitäten zugewiesen und ihre Relationen bestimmt werden, und jenes des Enrolement, in dem die Rollen angenommen und koordiniert sowie die Interessen anderer Akteur*innen akzeptiert werden. Damit will Callon aufzeigen, »dass die Definition und Verteilung von Rollen (die sich verankernden Kammmuscheln, die vom positiven Beitrag der Kollektoren zur Repopulation der Bucht überzeugten Fischer, die an der Verankerung glaubenden Kollegen) das Resultat von multilateralen Verhandlungen sind, im Laufe derer die Identität der Akteure bestimmt und getestet wird.« (Ebda., 159) In der Phase des Interessement werden die beteiligten Akteur*innen durch andere, initiale Akteur*innen »übersetzt«, indem sie deren Interessen auf die eigenen Interessen und Handlungsprogramme ausrichten und Erwartungen an sie, ihre Handlungsmuster und Mittel formulieren, wodurch die Beteiligten erst im Netzwerk ihre Identität zugesprochen bekommen.
Heteronom und autonom organisierte Translation Die zwei in diesem Betrag diskutierten partiell institutionalisierten Rekrutierungssysteme von Gebärdensprachdolmetscher*innen in der Geschichte bezeichne ich als heteronom organisierte Translation und autonom organisierte Translation (Grbić 2017a). Als heteronom organisiert bezeichne ich die Rekrutierung von Translator*innen durch den Staat in der Habsburgermonarchie und als autonom organisierten Translation das Rekrutierungssystem, das in der Hand von Gehörlosenorganisationen lag und nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte. Die Konzepte der autonomen und heteronomen Rekrutierung stammen ursprünglich von Michael Cronin (2002), der die autonome Translation in seinen Überle-
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gungen zur Translation in der Kolonialzeit allerdings aus der Perspektive der Mächtigen konzeptualisiert, während die autonom organisierte Translation in meiner Betrachtung die Perspektive der Gehörlosen repräsentiert. Neben der organisierten Translation fand stets auch habitualisierte Translation statt, ein Konzept, das zunächst von Wolf (2012) in ihrer umfassenden Studie zur Translation in der Habsburgermonarchie eingeführt wurde. Darunter sind all jene alltäglichen translatorischen Handlungen subsumiert, die keiner formalen Einrichtung bedürfen, nur geringe soziale Ordnung aufwiesen und in mannigfaltigen Realisierungsformen auftreten (vgl. dazu auch Grbić 2017a). In der nachfolgenden Analyse sollen die beiden Organisationsformen anhand folgender Fragen untersucht werden: 1. Wer initiierte die Rekrutierung der Dolmetscher*innen und wo sah man Translationsbedarf?, 2. Wem wurde aus welchen Gründen das »Amt des Dolmetschers« zugesprochen?, 3. Welche Kompetenzen wurden den Dolmetscher*innen zugeschrieben und welche Zuständigkeiten wurden ihnen übertragen?, 4. Was erhielten die Dolmetscher*innen im Ausgleich für ihre Leistungen? Und schließlich 5. Wie »übersetzten« sie Gehörlose vis-à-vis der hörenden Mehrheit und wie die Gebärdensprache vis-à-vis der Landessprache?
Heteronom organisierte Translation Die Habsburgermonarchie war kulturell und sprachlich vielgestaltig. Polykulturelle Kommunikation und Translation waren, wie Wolf (2012, 65) ausführt, in zahlreichen gesellschaftlichen Feldern und im Alltag vieler Menschen allgegenwärtig. Zur polykulturellen Translation zählt Wolf insbesondere die »(auch vom Gesetz bestimmte) reibungslose Verständigung zwischen Behörden und Parteien«, die »Übersetzungstätigkeit der Redakteure des ›Redaktionsbureaus des Reichsgesetzblattes‹« und Übersetzungs- und Dolmetschtätigkeiten bei Gericht. Die Beiziehung von Gerichtsdolmetschern2 wird bereits im Strafgesetz von 1803 festgeschrieben (§356 StG, in Waser 1839), 2
Wenn im Folgenden Maskulinum verwendet wird, so sind damit auch männliche Personen gemeint. Dasselbe gilt für die Verwendung des Femininums.
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die Strafprozeß-Ordnung von 1850 (RGBl. 25/1850) reguliert auch das Dolmetschen für Taubstumme, wie Gehörlose zu der Zeit bezeichnet wurden und sich auch selbst bezeichneten. Mit der partiellen Institutionalisierung des Gebärdensprachdolmetschens setzte zum einen das Dasein Taubstummer als un_übersetzte Subjekte ein, zum anderen begann sich die Figur des autorisierten Translators zu formieren.
Rekrutierung und Settings Die Rekrutierung der Dolmetscher erfolgte im Interesse und auf Weisung des Staates als initialem Akteur. Beeidet werden konnten laut Strafprozeß-Ordnung Personen, »welche der Zeichensprache […] kundig sind oder sonst die Geschicklichkeit besitzen, sich mit Taubstummen zu verständigen« (RGBl. 25/1850). Gedolmetscht wurde dort, wo Institutionen den Bedarf hatten, sich mit Taubstummen zu verständigen. Jakob Fischbach, der erste in Wien beständig beeidete Taubstummendolmetscher, erinnert sich an seine Beeidigung wie folgt: »Da Fischbach seit 1816 das Geschäft eines Dolmetschers der Taubstummen bei den hiesigen Gerichts- (und politischen) Stellen ununterbrochen und zwar unentgeltlich versah, so fand sich das hohe Appelationsgericht mit Dekrete vom 15. Dezember 1829 veranlasst, denselben zum beeideten gerichtlichen Dolmetscher der Taubstummen (dem ersten bisher hier bestehenden Amte dieser Art) zu ernennen.« (Fischbach 1832, 16) Im Rekrutierungssystem der heteronom organisierten Translation wurde der Dolmetschbedarf abgesehen von behördlichen und gerichtlichen Settings nicht wahrgenommen. Organisiert und bezahlt wurden Dolmetschleistungen bei Gericht und Behörden, andere Bereiche, in denen Gehörlose mit Hörenden kommunizieren mussten, sei es in der Berufsausbildung, am Arbeitsplatz oder beim Arzt, waren in diesem System un_übersetzt. In diesen weitaus zahlreicheren Fällen wurde entweder nicht gedolmetscht oder es kam habitualisierte Translation zum Einsatz: Es dolmetschten jene Gebärdensprachkundigen, die greifbar waren, meist hörende Kinder der Gehörlosen oder andere Verwandte und Bekannte, aber auch beeidigte Dolmetscher, die aus Wohlwollen,
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wie auch Fischbach berichtet, »das Geschäft […] unentgeltlich« (ebda.) und in einer unkontrollierten Zone versahen.
Das Amt des Dolmetschers Das »Amt des Dolmetschers« wurde durch Beeidigung verliehen und durch ein Dekret verbrieft. Jakob Fischbach, der seinen eigenen Angaben zufolge erste staatlich autorisierte Dolmetscher für Taubstumme in Wien, übte den Hauptberuf des Taubstummenlehrers aus und unterrichtete am 1779 gegründeten k.k. Taubstummen-Institut in Wien. Während, wie Bernardini (1996) und Wolf (2012, 137) ausführen, Gerichtsdolmetscher für gesprochene Sprachen aus dem Kreis der Rechtsanwälte, Richter, Notare und Beamten rekrutiert wurden, war das Amt des Gebärdensprachdolmetschers Taubstummenlehrern vorbehalten. So werden in den Staatshandbüchern von 1830 bis 1917 etwa für Wien in der Abteilung der »Kranken- Armen- Versorgungs- und andere Humanitäts-Anstalten« insgesamt neun Taubstummenlehrer mit dem zusätzlichen Amt des Dolmetschers ausgewiesen (Grbić 2017a, 215).
Kompetenzen und Zuständigkeiten Über die Qualifikation dieser Dolmetscher ist nicht viel bekannt. Dies ist jedoch nicht weiter verwunderlich, als auch hinsichtlich der Qualifikation von Lautsprachendolmetschern zunächst keine formalen Richtlinien existierten. Das Gericht hatte sich laut Justiz-Hofdekret vom 22. Dezember 1835 lediglich über die Kenntnisse und das »sittliche Wohlverhalten« der Kandidaten zu überzeugen (Bernardini 1996, 20). Erst im Dezember 1849 wurde die »Prüfung aus den lebenden Sprachen« als Zeugnis über »Art und Grad der Befähigung des Geprüften« per Verordnung in einem »Schreiben des Ministers des Cultus und Unterrichts« eingeführt (RGBl 15/1850). Für Österreichische Gebärdensprache gab es eine solche Prüfung nicht. Trotzdem wurden Taubstummenlehrer nicht nur als kompetente, sondern vielmehr als ideale Dolmetscher betrachtet. Ihre soziale Position basierte auf ihrer institutionell abgesicherten Stellung im Feld der Bildung, auf den sozialen Beziehungen, über die
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sie verfügten, und dem Ansehen, das sie im Feld genossen. Man schrieb ihnen Bildung, Sprach- und Translationskompetenz ebenso wie Fachwissen zu. Sie waren der Arbeit bei Gericht in jeder Hinsicht gewachsen, zumal Dolmetscher »auf jener Bildungsstufe stehen sollen, dass sie die Sprache des Arztes so wie seine Absicht richtig auffassen und auch im Stande sind die abstracten schwierigen und höheren Begriffe mittellst ihrer Zeichen so zu verkörpern, dass der Angeklagte das Mitzutheilende auch verstehe«, so der Linzer Arzt Carl Maass (1847, 298f.). Da Taubstummenlehrer gemeinsam mit ihren Zöglingen in den Anstalten lebten, war man zudem überzeugt, dass sie sich nicht nur mit ihnen verständigen können, sondern auch mit ihren Hintergründen, Bedürfnissen und intellektuellen Möglichkeiten vertraut sind. Sie verfügten über ein hohes Kapitalvolumen, ihre Zuständigkeit war breit und ihr Handlungsspielraum groß. Ihr Wissen um Taubstumme machte sie nicht nur zu idealen Dolmetschern, sondern ermächtigte sie auch, als Sachverständige zu urteilen. So wurde die Sachkunde der Taubstummenlehrer bei Gericht oft auch dazu eingesetzt, um die Schuldfähigkeit taubstummer Angeklagter, meist gemeinsam mit einem Psychiater, festzustellen (ebda.). Die ihnen zugewiesene Rolle war demnach nicht nur die des autorisierten Translators, sondern auch jene des (Hilfs-)Gutachters.
Ausgleich Als Ausgleich für ihre Tätigkeit hatten Gerichtsdolmetscher in der Habsburgermonarchie Anspruch auf Gebühren (Wolf 2012, 130f.). Weitaus mehr wog der Ausbau des gesellschaftlichen Status, der Sichtbarkeit und der Macht. Zum bereits erworbenen Status des aufopfernden Spezialisten, der Taubstumme zu tüchtigen Bürgerinnen und Bürgern erzog, kam die exklusive Rolle des dauerhaft beeideten Dolmetschers und Experten, auf dessen Kompetenzen und Wissen Gericht und Behörden bauen konnten. Dass die Taubstummenlehrer als autorisierte Translatoren nicht nur angesehen, sondern in der Gesellschaft auch sichtbar waren, zeigt eine Analyse von Zeitungsartikeln über Gerichtsverfahren mit Taubstummen von 1870 bis 1895, in denen
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die Namen und beruflichen Positionen der jeweiligen Dolmetscher fast ausnahmslos angeführt wurden (Grbić 2017a, 217f.).
Gehörlose und Gebärdensprache Das erste österreichische Taubstummeninstitut wurde, wie bereits angeführt, 1779 in Wien gegründet, zahlreiche Tochterinstitute folgten. Ziel der Bildungspolitik jener Zeit war es, aus den Bürger*innen »brauchbare« Mitglieder der Gesellschaft zu machen, was die Integration von Randgruppen in das Arbeitsleben einschloss (Gant 2008, 103). Taubheit wurde als größtes Unglück konstruiert, als weitaus schlimmeres Schicksal als Blindheit, da, so die vorherrschende Meinung, erst Sprache den Menschen zum Menschen mache (Venus 1815, 2), wobei das Etikett Sprache nur gesprochenen und geschriebenen Sprachen zuerkannt wurde. Dem Unglück war nur durch Beschulung beizukommen, »damit diese Unglücklichen erzogen, unterrichtet, gebildet und so bürgerlich brauchbar gemacht waren«, wie der Taubstummenlehrer und spätere Direktor des Wiener Instituts, Michael Venus (ebda., 6), ausführt. Um Gehörlose in brauchbare Mitglieder der Gesellschaft zu übersetzen, boten Taubstummenanstalten nicht nur Schul- sondern auch Berufsausbildungen an und wiesen Gehörlosen bis ins Erwachsenenalter die Rolle ihrer Schützlinge zu. Gebildeten und im Berufsleben erfolgreichen Gehörlosen begegneten sie mit Stolz, wie Jahresberichte des Taubstummeninstituts zeigen (Schott 1995, 180), für ungebildete Gehörlose, die in »geistiger Blindheit« (Heger 1865, 8) gefangen waren, sollte zumindest Barmherzigkeit erwirkt werden. Was die Gebärdensprache betrifft, differenzierte die Wiener Schule des Taubstummenunterrichts zwischen einem natürlichen und einem künstlichen System, wobei die komplexe Struktur der natürlichen Gebärdensprache in der Gehörlosenpädagogik bis weit ins 20. Jahrhundert meist nicht erkannt oder negiert wurde, was auch der Diskurs von der »Sprachlosigkeit« Taubstummer unterstreicht. Das künstliche System, ein Hybrid aus natürlichen Gebärdenzeichen und deutscher Syntax, wurde von den meisten Taubstummenlehrern als höherstehende Variante eingestuft, da es dem »Genius der Wortspra-
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che« folgt, so der Religionslehrer Franz Hermann Czech (1839, 49). Und diese war gebildeten Gehörlosen vorbehalten, die eine Anstalt besucht hatten. Im Gesetz fand die »Zeichensprache« erst 1850 als mögliches Kommunikationsmittel bei Gericht Erwähnung (Strafprozeß-Ordnung, RGBl. 25/1850). An ihrer Übersetzbarkeit wurde mitunter jedoch gezweifelt. So kommt Krafft-Ebing (1875, 61) in seinem Lehrbuch der Gerichtlichen Psychopathologie zum Schluss, dass »[d]ie Verwerthung der Zeichensprache […] eine unsichere, trügliche« sei. Insofern ist es nur schlüssig, dass die Dolmetscher in den Staatshandbüchern meist nicht als Gebärdensprachdolmetscher (oder Dolmetscher der Zeichensprache), sondern als Taubstummendolmetscher bezeichnet wurden. Zudem wurden sie auch nicht in der Rubrik der Gerichtsdolmetscher, sondern in jener des Personals der Humanitätsanstalten gelistet (Grbić 2017a, 218). Gebärdensprachen wurde schließlich nicht nur die Rolle eines weniger tauglichen, sondern auch entwicklungshemmenden Kommunikationsmittels zugewiesen, als 1880 nach dem 2. Internationalen Taubstummenlehrerkongress in Mailand unter Ausschluss gehörloser Pädagog*innen Gebärdensprachen aus den Lehrplänen der meisten Schulen Europas und der USA verbannt wurden.
Autonom organisierte Translation Im Unterschied zur heteronom organisierten Translation, die vom Staat reguliert wurde, der darüber entschied, wann wer wie für Gehörlose dolmetschte, lag das autonom organisierte Rekrutierungssystem in der Hand der Gehörlosenorganisationen, die sich ab den 1830er Jahren in Europa ebenso wie in den USA zu formieren begannen. Nachdem zunächst Taubstummenanstalten auch als Treffpunkte gehörloser Schulabgänger*innen gedient hatten, entstanden in jener Zeit die ersten Gehörlosenvereine. Sie waren Ausdruck eines neu entstandenen gehörlosen Bürgertums und dienten der Geselligkeit, der gegenseitigen Hilfestellung und der politischen Arbeit (Söderfeldt 2013). Nicht zuletzt im Kampf gegen den in der Gehörlosenbildung zunehmend praktizierten Oralismus, der anlässlich des Mailänder Kongresses 1880 mit der Verbannung von Gebärdensprachen aus dem
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Schulunterricht festgeschrieben worden war, wurden nationale Gehörlosenverbände als Dachverbände der regionalen Vereine gegründet, die sich auch international vernetzten. Der erste Gehörlosenverein in Österreich wurde 1865 in Wien gegründet und begann Gelder durch Sammlungen und aus Stiftungen zu lukrieren. Im Jahre 1917 wurde die soziale Fürsorge in einem eigenen Ministerium organisiert und 1929 wurde der Verein, nachdem er sein Vermögen in Kriegsanleihen verloren hatte, als Wiener TaubstummenFürsorgeverband (WITAF), unterstützt durch den Sozialreformer Julius Tandler, neu gegründet und übernahm fortan durch Subventionen getragen die Taubstummenfürsorge (Brunner 1933, 4; Freunthaller 1933). Während in den ersten Jahrzehnten der Vereine teilweise habitualisiert, teilweise organisiert gedolmetscht wurde – Letzteres etwa bei politischen Audienzen oder bei öffentlichen Veranstaltungen wie dem Gehörlosenkongress 1874 in Wien –, schritt die Institutionalisierung Ende der 1920er Jahre rasch voran.
Rekrutierung und Settings Die Agenden des WITAF waren breit gefächert. Die gehörlosen Funktionäre hatten sowohl Julius Tandler als Vertreter der Stadt Wien als auch Adolf Freunthaller als Vertreter der Taubstummenlehrer dafür gewinnen können, sich für die Aufwertung des Vereines einzusetzen und ein Lokal zur Verfügung zu stellen. In der Statistik der Beratungsstelle von März 1930 bis Juli 1931 werden 450 Hilfeleistungen in den Kategorien Unterstützungsangelegenheiten, Arbeitslosenangelegenheiten, Lehrlingsangelegenheiten, Rechtshilfeangelegenheiten, Krankenfürsorgeangelegenheiten und Diverse angeführt (Brunner 1933, 5f.). Neben der Taubstummenfürsorge organsierte der Verein für seine Mitglieder gesellige Treffen und Bildungsveranstaltungen wie Exkursionen und Vorträge. Auch der Kontakt gehörloser Funktionäre mit Politikern und Beamten, die regelmäßig zu Festlichkeiten des Vereins geladen wurden, mehrte sich. All dies erforderte eine Neuorganisation und eine deutliche Ausweitung der Translationstätigkeit in unterschiedlichen Settings. Die Auswahl und damit Autorisierung der
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Dolmetscherinnen und Dolmetscher oblag, abseits der Gerichte, nun den Gehörlosenorganisationen als initialen Akteurinnen.
Das Amt des Dolmetschers Dem Bedarf eines organisierten Dolmetschwesens, das zahlreiche Settings – von Arbeitsamt über Vorträge bis zu Tischgesprächen mit Beamten – umfasste, wurde zunächst dadurch entsprochen, dass im WITAF, statutarisch festgelegt, eine Dolmetscherin angestellt wurde, die auch als geschäftsführende Sekretärin fungierte (Mikulasek 2007). Sie war, wie ihre späteren Kolleginnen in Vereinen anderer Bundesländer, Tochter gehörloser Eltern. Ein Artikel aus der Gehörlosenzeitung würdigt sie zu ihrem 50. Dienstjubiläum wie folgt: »Natürlich verlief die Verhandlung [im Jahre 1903] ganz glatt, in der Folge kamen noch hunderte Verhandlungen und Eide. In einem großen Prozeß wegen falscher Zeugenaussage gelang es Frau Bergold, geb. Wallner, durch ihre geschickte und wahrheitsgetreue Übersetzung einen Taubstummen, welcher mit schwerem Kerker bedroht war, vor der Verleumdung dreier Hörender zu retten, so daß er freigesprochen wurde. […] Lehrer Kaubek, Lehrer Gabriel und andere Lehrer, welche vom Gericht als Dolmetscher vorgeladen wurden, traten ihr immer wieder dieses Amt ab. » (F.H. 1953, 2) Helene Bergold wurde nach einer Eingabe des Vereins 1922 beeidet (ebda.) und ab 1924 im Amtskalender geführt. Für die nächsten Jahrzehnte übernahmen vor allem Codas die Rolle der beständig beeideten und somit autorisierten Gerichtsdolmetscher*innen in Wien. Das Amt war – bis auf einige Ausnahmen – von Taubstummenlehrern an Codas weitergegeben worden. Bezüglich der Position dieser Dolmetscher*innen im Feld der Justiz ist weiters hinzuzufügen, dass diese in den Amtskalendern ab 1922 nicht mehr in der Rubrik der Gehörlosenschulen, sondern in jener der Gerichtsdolmetscher*innen angeführt werden. Dass das Amt nicht jeder bzw. jedem Coda zuerkannt wurde, die Autorisierung also bestimmten Auswahlkriterien unterlag, lassen Quellen vermuten. So werden in einem Bericht Freunthallers (1933) über den Stand der Taubstummheit auf Wiener Boden die beeideten Helene Bergold und Otto Allina
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als Dolmetscher*innen bezeichnet, der ebenfalls dolmetschende Medizinstudent Max Mayer hingegen lediglich als Sohn gehörloser Eltern ausgewiesen.
Kompetenzen und Zuständigkeiten Die Autorisierung von Kindern gehörloser Eltern als sozial akzeptable Translator*innen kann als Folge von Unterdrückung durch das hörende Establishment und Ausdruck von Widerstand interpretiert werden. Gehörlose setzten zwar nach wie vor auch Lehrer*innen, Erzieher*innen und später auch Sozialarbeiter*innen ein, doch waren diese zweite Wahl, während Codas als im besonderen Maße befähigt und befugt gesehen wurden, für Gehörlose zu sprechen. Sie waren der »gehörlosen Welt« erwachsen und verdienten uneingeschränktes Vertrauen. Für das »Amt eines Dolmetschers« käme, so der damalige Präsident des Reichsverbandes der Gehörlosen, Karl Altenaichinger (1953, 1), nur »ein Eingeweihter, der täglich mit ihnen verkehrt und unter ihnen lebt«, in Betracht, und das seien »naturgemäß […] die Kinder von taubstummen Eltern«. Ihre Kapitalien waren die Sprache, die »Umgangsgebärden« (ebda.), die sie von Kindesbeinen an erlernt hatten, ihr familiärer Hintergrund, durch den sie die Ausgrenzung der Eltern und des gehörlosen Umfeldes miterlebt hatten, wodurch sie mit der »Psyche der Taubstummen« vertraut waren, und ihre pflichtbewusste Loyalität zur Gemeinschaft. Anfang der 1950er Jahre fasste der im Jahre 1913 gegründete Reichsverband daher den Beschluss, Codas generell anderen Dolmetscher*innen vorzuziehen (ebda.). Die Zuständigkeit der von den Gehörlosen autorisierten Dolmetscherinnen und Dolmetscher war weitreichend. Wie bereits erwähnt, hatte der Verein WITAF eine Dolmetscherin angestellt, die in ihrer Funktion als Sekretärin auch zeichnungsberechtigt war (Mikulasek 2007). Im WITAF wurden die ersten angestellten Dolmetscherinnen, wie ein Interview belegt, zudem anfangs nicht nur als »Dolmetscherin«, sondern auch als »Fürsorgerin« bezeichnet (Grbić 2017a, 230). Vergleichbare Mehrfachfunktionen hatten später auch (stets weibliche) Dolmetscherinnen in Vereinen anderer Bundesländer inne. Sie waren
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teils angestellt, arbeiteten vielfach aber auch ehrenamtlich, waren rund um die Uhr im Einsatz und wurden in der Gehörlosenzeitung etwa als »Dolmetscherin unserer Nöte und Sorgen« (K.A. 1952) oder »guter Engel« (N.N. 1968) belobigt. Ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger in den 1990er Jahren – ebenso Codas – bezeichnen sie hingegen als »Außenministerin« und »Capo«, eine der befragten Personen erinnert sich an Fotos der Fürsorgerinnen, die »wie eine Ahnengalerie« an der Wand eines Vereines hingen, als sie dort zu arbeiten begann (vgl. Grbić 2017a, 287). Die Erzählungen vermitteln ein reziprokes Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen altruistischem Engagement und paternalistischer Anmaßung sowie zwischen Ausgenutztwerden und Selbstausbeutung oszilliert. Sie verzichteten auf Freizeit und persönliches Glück, trafen aber in Dolmetschsituationen und darüber hinaus weitreichende Entscheidungen im Namen der Gehörlosen. Für die Gehörlosen war das zwar praktisch, führte aber zum Verzicht auf volle Selbstbestimmung (ebda.). Während Taubstummenlehrer aufgrund ihrer »Herrschaft« über Gehörlose in Taubstummenschulen und darüber hinaus Kommunikationsmacht entwickeln konnten, kann, um auf Reichertz (2009, 214f.) zurückzukommen, im Falle der Codas von Kommunikationsmacht durch »Charisma« ausgegangen werden. Charisma umschreibt die »außeralltägliche Erhabenheit, Heldenkraft und Vorbildlichkeit« von Führerpersonen, denen man freiwillig und mit gewissem Enthusiasmus zu folgen bereit ist, zumal sie versprechen, mit sämtlichen ihrer Ressourcen für die Gemeinschaft einzustehen und »Identitätsarbeit« (ebda., 216) leisten.
Ausgleich Der Lohn dieser Dolmetscher*innen war, nicht zuletzt in Ermangelung ausreichender Finanzierungsmittel, eine bedeutende soziale Position in der Gehörlosengemeinschaft und beständiger Dank. Berichte in der Gehörlosenzeitung sind voll des Lobes für ihren selbstlosen Einsatz und die Aufopferung für die Gemeinschaft, eine der Dolmetscherinnen ging sogar als »Mutter der Gehörlosen« (N.N. 1975) in die Annalen ein. An
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Festtagen wurden sie mit Geschenken »für ihre treuen Dienste« (B.H. 1953) bedacht und bisweilen bekamen sie nach der Arbeit ein wenig Geld zugesteckt. Auf der anderen Seite wurde in Interviews oft minutiös von (männlichen) Dolmetschern berichtet, die ihre Position nutzten, um sich persönlich zu bereichern. Die Erzählungen handeln von illegitimen Handlungen, Charakterlosigkeit, eigennützigem Machtstreben und der moralischen Unzulässigkeit, das Leben anderer kontrollieren zu wollen und daraus letztlich auch ökonomisches Kapital zu schlagen (Grbić 2017a, 291-295).
Gehörlose und Gebärdensprache Die Einstellung der Multifunktions-Dolmetscherinnen zur Gehörlosengemeinschaft war ambivalent. Einerseits waren sie Mitglieder der Gehörlosenwelt, der sie sich sehr verbunden fühlten, andererseits lebten sie in der hörenden Welt und teilten das zentrale Merkmal der Gehörlosigkeit nicht mit ihren Eltern. Sie wiesen Gehörlosen die Rolle der »Opfer« zu, denen uneingeschränkt geholfen werden müsse, waren aber selbst nicht davor gefeit, »diskriminierend« zu agieren, wenn sie sich etwa gegenüber Hörenden »abfällig« über Gehörlose äußerten, so die retrospektiven Berichte (Grbić 2017a, 288). Diese Ambivalenz deckt sich mit Ergebnissen zeitgenössischer Studien zu Codas, wie jener des US-Amerikaners Paul Preston, der die ambigen Identitätskonstruktionen in zwei scheinbar inkompatiblen Welten als »drama of belonging« (Preston 1995, 1466) bezeichnet. Die Österreichische Gebärdensprache war für Codas, die als Dolmetscherinnen und Dolmetscher tätig waren, zwar Familiensprache und zentrales Identifikationsmerkmal der Gemeinschaft, wurde aber nicht als vollwertige Sprache empfunden. Die Meinung, Gebärdensprache wäre lediglich Deutsch im »Telegrammstil«, war – selbst unter Gehörlosen – bis in die 1990er Jahre weit verbreitet. So wussten einige befragte Codas auf die Frage nach der üblichen Bezeichnung für die Sprache spontan keine Antwort. So im Deutschen überhaupt eine Benennung in Verwendung war, war es »Zeichensprache«, häufiger wurde in Ermangelung eines entsprechenden Nomens das Verbum »deuten«
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verwendet (Grbić 217a, 245). Obwohl von den Coda-Dolmetscher*innen angenommen werden könnte, dass sie die Österreichische Gebärdensprache – ungeachtet ihrer Vorstellungen zu deren Struktur und Funktionalität – perfekt beherrschten, da sie diese bereits als Kinder erlernt hatten, variierten ihre Kompetenzen beträchtlich. In Berichten der Gehörlosenzeitung werden sie über alle Maßen gelobt, in den Interviews wird einigen, insbesondere männlichen Dolmetschern der früheren Generationen, nachgesagt, Gehörlose aufgrund ihrer fehlenden Kompetenzen nicht nur mangelhaft gedolmetscht, sondern auch in ein schlechtes Licht gerückt zu haben. So wird ein jahrzehntelang häufig bei Gericht eingesetzter Dolmetscher in einem Interview als »rechtes Mannsbild« beschrieben, der jedoch »mit einer leisen, kaum hörbaren, piepsigen Stimme« ins Deutsche dolmetschte, lediglich »Bruchstücke« produzierte und auf diese Weise die weit verbreitete Vorstellung von Gebärdensprache als mangelhaftes Kommunikationsmittel und Gehörlosen als intellektuell minderbemittelt forcierte (ebda., 293). Die ambivalente Haltung der Codas gegenüber Gehörlosen wie der Gebärdensprache trug dazu bei, ihre Macht auszubauen und übersetzte Gehörlose letztlich in dauerhaft Abhängige, eine Rolle, die die Gehörlosen aufgrund des Charismas der Codas über viele Jahrzehnte zu übernehmen bereit waren.
Conclusio Beide Rekrutierungssysteme, die heteronome, ebenso wie die autonom organisierte Translation, machten Gehörlosen achtbare Versprechen. Durch die partielle Institutionalisierung Anfang des 19. Jahrhunderts waren Gehörlose nicht mehr ausschließlich auf habitualisierte Translation angewiesen. In bestimmten Bereichen wurden Dolmetscher*innen beigezogen, um die kommunikative Differenz auszugleichen. Beide Rekrutierungssysteme waren jedoch insofern auf Macht gebaut, als sie einzelnen Akteur*innen durch das »Amt des Translators« das Pouvoir gaben, für eine Gruppe nicht nur zu sprechen, sondern auch zu handeln und zu entscheiden. Sie waren einmal durch den Staat auf-
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grund von Herrschaft, einmal durch die Gemeinschaft aufgrund von Charisma autorisiert. Im Falle der Taubstummenlehrer reduzierte sich das Amt auf Gerichtsangelegenheiten und Behördengänge, alle anderen Settings blieben formal unübersetzt und wurden bestenfalls im Rahmen der habitualisierten Translation von der Person, die gerade greifbar war, ad hoc übernommen. Unübersetzt blieb aus der Sicht Gehörloser auch die s.g. »Psyche« der Gehörlosen, von der in der Gehörlosenzeitung immer wieder die Rede ist – heute würde man vielleicht von Empfinden, Fühlen und Denken sprechen –, deren Kenntnis den Taubstummenlehrern von Gehörlosenseite abgesprochen wurde. Und unübersetzt blieben sehr wahrscheinlich auch Inhalte, zumal die Gebärdensprachkenntnisse der Dolmetscher unterschiedlich ausgeprägt waren. Da die Gebärdensprache nicht als vollwertige Sprache betrachtet wurde und ungebildete Gehörlose diese meist auch nur rudimentär beherrschten, stellte die Praxis der Translation einen Optimierungsprozess dar, in dem suboptimale Kommunikationsformen in den »Genius der Wortsprache« überführt wurden. Man könnte in diesem Zusammenhang von pragmatisch-effektiver Translation sprechen oder, in Prunčs (2016) Worten, von »Neusprechen«, einer Strategie der situationsadäquaten Neuformulierung, die im Unterschied zur Strategie des reinen »Nachsprechens« nicht auf eine möglichst nahe Kopie, sondern die Vermittlung von Botschaften, die Vermeidung von Missverständnissen und die Optimierung des Ausgangstextes abzielt. In ihrer Rolle als Mehrfachexperten – Taubstummenlehrer plus Dolmetscher plus Sachverständige – übersetzten sie im Sinne Callons (2006) nicht nur die Sprache der Subalternen, damit verstanden wird, was sie meinen, sondern auch die Subalternen selbst, damit verstanden wird, wer sie sind: nämlich bestenfalls durch sie selbst bildbare und in der Folge nützliche Bürger der Gesellschaft, andernfalls unglückliche Kreaturen. Durch das repetitive Betonen der Notwendigkeit des Belehrens, Beistehens und Beschützens wurde zudem eine Rhetorik kindlicher Abhängigkeit kreiert, die der zeitgenössischen Disziplinierung zu selbstständigen, tüchtigen Bürger*innen letztlich widersprach, auch wenn das Ziel die »vollständige Emancipation«
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(Czech 1839, 415) der Taubstummen war. Unübersetzt blieben in diesem Übersetzungsprozess die Folgen der Gewalt, die Gehörlose durch die pädagogische, aber auch medizinische Behandlung durch das hörende Establishment und damit einhergehende Normalisierungsversuche als traumatisch empfanden. Die Befreiung aus der Fremdbestimmung schien durch den Einsatz von Kindern gehörloser Eltern als Dolmetscher*innen erreicht. Zwar dolmetschten immer noch Taubstummenlehrer, doch hatte man das »Ministerium« weitgehend den Codas übertragen. Gedolmetscht wurde in fast allen Lebenslagen, allerdings nicht nur das, was Gehörlose zu sagen hatten, sondern auch das, was Codas meinten, dass Gehörlose zu sagen hätten, sowie das, was Gehörlosen in ihren Augen zum Vorteil gereichte. Codas kannten vermeintlich die s.g. »Psyche« der Gehörlosen und waren dadurch in der Lage, sich in sie hineinzuversetzen, und sie kannten die als traumatisch empfundene Geschichte der Unterdrückung aus persönlicher Erfahrung, was sie nicht nur dazu befähigte, kulturell zu übersetzen, sondern auch in die Pflicht nahm, sich für die Belange der Gemeinschaft einzusetzen. Man könnte von einer Art affektiver Hyper-Translation sprechen, die im Gegensatz zum optimierenden »Neusprechen« der Taubstummenlehrer Prunčs (2016) Strategie des »Fürsprechens« zugerechnet werden kann. Aufgrund ihres »drama of belonging« (Preston 1995, 1466) übersetzten sie Gehörlose, die sie in ihren eigenen Räumen als »gleich« bzw. derselben Familie zugehörig betrachteten, in der hörenden Welt in »Ungleiche« und stilisierten sie aufgrund des fehlenden Hörvermögens und der damit zusammenhängenden Konsequenzen zu »Opfern«, die nicht in der Lage sind, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Im Dolmetschprozess selbst flossen neben Worten und Gebärden auch leidvolle Historie und kulturelle Eigenheiten ein, unübersetzt blieben Nuancen und Zwischentöne und häufig auch der eigene Wille. Und schließlich blieb in Fällen mangelnder Dolmetschkompetenz auch die Eloquenz, die Gehörlose in ihrer Primärsprache an den Tag legten, unübersetzt, was sich wiederum auf das Bild Gehörloser in der hörenden Welt auswirkte.
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Gehörlose sind und waren, wie die Einblicke in das heteronom und das autonom organisierte Rekrutierungssystem in der Geschichte zeigte, dauerhaft un_übersetzte Subjekte. Ihr komplexes Dasein zwischen – sprachlich, emotional, kulturell, sozial und politisch – übersetzt sein und nicht übersetzt werden umfasst Momente der Unterdrückung ebenso wie der Selbstermächtigung, der Eloquenz ebenso wie des Verschweigens. Die Macht beider Ministerien, ob nun durch Herrschaft oder Charisma begründet, war nicht nur auf Überwindung kommunikativer Differenz, sondern auf »kompetenten« Ausgleich grundlegender, jeweils unterschiedlich empfundener Defizite aufgebaut. Und sie ermächtigte die Akteur*innen nicht nur, anstatt von Gehörlosen und für Gehörlose, sondern auch über Gehörlose zu sprechen und ihnen somit jeweils opportune Rollen zuzuweisen sowie dauerhafte Diskurse über Gehörlosigkeit zu prägen. Dass die altösterreichische Gebärde für Dolmetscher*in synonym mit Vertreter*in ist, ist in Anbetracht der Handlungs- und Entscheidungsmacht der Translatorinnen und Translatoren in diesen beiden Systemen nicht verwunderlich.
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Brücken ins Nirgendwo Das Un_Übersetzte! in der Kommunikation zwischen Indigenen der Waorani und der Mehrheitsgesellschaft Ecuadors Christina Korak
Postcolonial approaches in Translation Studies have led to a questioning of conventional notions of translation as a benign bridgebuilding process. However, other disciplines continue to use the bridge metaphor to conceptualize translation as a seemingly stable and unifying gateway between cultures, obfuscating acts of sociopolitical un_translation! This article unveils translation’s obscure ways in the Waorani indigenous communities of Ecuador’s Amazon rainforest. Drawing on the decisive role that missionaries of the Summer Institute of Linguistics played in the forced contact with the Waorani and highlighting the ties of Eugene Nida, one of Translation Studies’ »founding fathers«, with this organisation, this paper will demonstrate that in indigenous contexts, translation is often employed as a tool for a deliberate »reduction« of people, traditions and living spaces. Examples of translation forcefully used by the Waorani inspire new conceptual approaches based on a counterforce of action and the »cosmovision« factor in translation – concepts that undoubtedly burn metaphorical bridges.
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Einleitung Translationsprozesse werden sowohl im allgemeinsprachlichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs mitunter als Bauen von Brücken zwischen vermeintlich homogenen Sprach- und Kulturgruppen versinnbildlicht. Dieses Idealbild des translatorischen Brückenbaus verspricht eine scheinbar reibungslose und tragfähige Verbindung, die ein Über-setzen mithilfe einer erfolgreichen Über-brückung etwaiger Differenzen und Entfernungen ermöglicht. Diese universelle Sinn- und Gemeinschaftsstiftung ist jedoch in konfliktiven post- und neokolonialen Kontexten kaum haltbar, wie es die postkoloniale Translationswissenschaft auf konzeptueller Ebene diskutiert (vgl. Wolf 2006, 10, 13). Werden Kulturen als von steten Neukonstruktionsprozessen geprägt begriffen, lässt diese Konzeption die in der Brückenbau-Metapher mitgedachten kulturellen Ufer als äußerst zahlreich, beweglich und nicht immer durch Translation erreichbar erscheinen. Dennoch verspricht das tröstliche Bild von Translation als Brücke interkulturelles Händereichen auf Augenhöhe – haben Brücken doch für gewöhnlich einen gleich hohen Anfangs- wie Endpunkt. Vor allem beruht die Metapher von Translation als Brückenbau jedoch auf der mitunter trügerischen Annahme, dass alle Beteiligten an interkultureller Kommunikation diesen translatorischen Brückenbau auch wollen und dementsprechend verfolgen. Mein Beitrag beleuchtet vor diesem Hintergrund drei Translationsszenarien des Un_Übersetzten! aus einer Feldforschung in indigenen Dorfgemeinschaften der Waorani1 des Amazonasgebietes 1
Die Verwendung der Termini »Waorani«, »Tagaeri-Taromenane« aber auch »Mehrheitsgesellschaft« erfolgt mit Rogers Brubaker im Sinne von »practical categories, cultural idioms, cognitive schemas, discursive frames« und ist damit nicht als essenzialisierende, individuelle Akteur*innen ausblendende Konzeption zu sehen, sondern als Schaffen von »groupness« (2002, 167, Hervorh. i.O), als eine je nach Kontext fluktuierende analytische Variable. Ohne im Detail auf die Vorteile eines strategischen Essenzialismus (Danius, Jonsson und Spivak 1993) eingehen zu können, entspricht die im Artikel angewandte Simplifizierung durchaus den Strategien politisch agierender Waorani. Diese stellen sich
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Ecuadors (vgl. Korak 2018). Un_Übersetztes! mit Unterstrich bedeutet in diesem Fall, dass Nicht-Übersetzen in diesen und ähnlichen von mannigfaltigen Ausprägungen eines neokolonialen Kapitalismus geprägten Gesellschaften nicht beiläufig passiert, sondern als Mittel der Machtausübung von unterschiedlichen Akteur*innen eingesetzt wird und dadurch zum Un_Übersetzen! wird. Ein Brückenbau ist in diesen Kommunikationsszenarien also keineswegs (immer) gewollt. Die Kennzeichnung mit Unterstrich umfasst sowohl konventionalisierte, traditionelle Translationsprozesse, in denen Mittlerpersonen agieren, als auch metaphorische Translationsprozesse wie beispielsweise Formen der Selbstübersetzung indigener Akteur*innen.2 In diesen zweiten Ausprägungen von Translation umfasst das translatorische Vermitteln also eine ganze Bandbreite an Personen, Artefakten oder Handlungen und ist auf keine dezidierte Mittelsperson angewiesen. Un_übersetzt! verweist zudem darauf, wie viel Raum für fehlgeleitete Brückenschläge in Translationsprozessen vorhanden ist. Das nachgestellte Ausrufezeichen verdeutlicht die Dringlichkeit, auf vielschichtige Machtkonstellationen in Zusammenhang mit Translationsprozessen in von post- und neokolonialen Einflüssen geprägten Gemeinschaften einzugehen, da diese, wie in Folge ersichtlich wird, das Sichern von Lebensgrundlagen und schlussendlich das Überleben von Menschen beeinflussen. Es wird der Frage nachgegangen, welche Formen des Un_Übersetzten! in der Kommunikation zwischen der ecuadorianischen Mehrheitsgesellschaft und den indigenen Waorani auftreten, die durch Erdölförderung und ihre Nebenerscheinungen wie Umweltverschmutzung, neue Siedlungen, Anbauformen und Viehwirtschaft sowie illegale Abholzung in ihrer Lebensführung massiv gestört werden. Da Un_Übersetztes! der
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entgegen der traditionellen Zugehörigkeit zu nach Anführer*innen benannten Familienclans gegenüber staatlichen Institutionen ebenfalls als vermeintlich geeinte »indigene Gemeinschaft der Waorani« dar. Vgl. hierzu Conklin und Graham (1995, 695, 697, 703f.), die beschreiben, wie sich indigene Aktivist*innen in ihrer Gewandung und ihrem Auftreten an die Erwartungen eines westlichen Publikums vordergründig anpassen, um Unterstützung durch internationale Organisationen zu erreichen.
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dem Beitrag zugrundeliegenden Hypothese folgend ein intendierter Akt und Translation als Brückenbau in Kommunikationshandlungen mitunter keineswegs gewollt ist, werden die an Prozessen der Un_Übersetzung! in einer mehrsprachigen Gesellschaft wie Ecuador beteiligten Akteur*innen und ihr Handeln beleuchtet.
Burning Bridges – Translation in post- und neokolonialen Spannungsfeldern Der Bau von Brücken als Verbindung von Gebieten und Bewohner*innen, die durch geografische Gegebenheiten voneinander getrennt sind, unterstreicht den Wunsch nach schneller Erreichbarkeit. Wenn massive Konstruktionen einstürzen, wie am 10. August 2018, als die Morandi-Brücke in Genua 43 Menschen in den Tod riss (vgl. Rüb 2019), scheint auch der Glaube an die Beständigkeit und Ahistorizität von Bauwerken und letztendlich an die menschliche Ingenieurskunst in seinen Grundfesten erschüttert. Der stete Wunsch nach Zusammenführung hatte schließlich auch im Falle der Morandi-Brücke eine logische Konsequenz, denn bereits im Oktober 2019 war ihr Wiederaufbau in Gange: Massive Stahlpfeiler tragen auf einer Länge von 1,2 Kilometern die aus 19 Teilstücken bestehende Konstruktion, deren Fertigstellung von Ministerpräsident Guiseppe Conte als »Wiedergeburt Genuas« (ebda.) bezeichnet wird. Die hier zum Ausdruck kommende Sehnsucht nach Beständigkeit, Distanzüberwindung und Anbindung erklärt, weshalb die Metapher von Translation als Brückenbau immer wieder gebraucht wird,3 verspricht sie doch das Streben nach Vereinigung zwischen mehr oder 3
Hans Hönig (1995, 18-20) setzte sich als einer der ersten Translationswissenschafter*innen intensiv mit der Vorstellung von Translation als Brückenbau auseinander und beschreibt Translator*innen als »Brückenbauer[*innen] der Verständigung« (ebda., 18). Seine Ausführungen zur Brücke als Medium, das »freien Austausch von Wörtern und Gedanken« ermöglicht und »Texte problemlos von der einen Seite auf die andere« (ebda.) befördert, sind im Sinne des vorliegenden Artikels kritisch zu hinterfragen.
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weniger entfernten – fälschlich homogenisierten – Sprach- und Kulturgruppen. Vor dem »climate of disintegration and recombination« (Guldin 2016, 1) der globalisierten Welt wurde Translation zur Metapher für »connection, exchange, transfer and transformation« (ebda.), zum Sinnbild eines in sich stimmigen Ganzen (vgl. Cronin 2000, 35f.). Darauf basiert die Vorstellung vom translatorischen Brückenbau zwischen Kulturen, die eine gemeinsame Translationskultur pflegen, in der nach Erich Prunč (2008, 25) »gesellschaftliche[r] Konsens und Dissens über unzulässige, zulässige, empfohlene und obligatorische Formen der Translation« herrscht. Auch wenn dieses Ideal für ein harmonievolles globales Miteinander als erstrebenswert angenommen würde, treten Machtkonstellationen hinter dem Un_Übersetzten! hierbei in den Hintergrund: »The dominant global language of translation presents itself as neutral and all-inclusive and could become, because of this, a hegemonic discourse. Instead of focusing on inner tensions, it connotes translatability and transparency, obscuring relations of power and conveying the illusion of harmony.« (Guldin 2016, 116) Zahlreiche (translations-)wissenschaftliche Publikationen beschreiben entweder direkt das Bild vom translatorischen Brückenbau (vgl. u.a. Pöllabauer und Prunč 2003) oder thematisieren Sprach- und »Kulturmittlung« als Werkzeug zur Überwindung von Kulturbarrieren (vgl. u.a. Schildt et al. 2010, 14; Wedam 2015). Der Berliner Verlag Frank & Timme verwendet für seine translationswissenschaftliche Reihe mit dem Titel »TransÜD: Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens« durchwegs Brücken als Titelbilder (vgl. auch Korak 2018, 412). Der literarische Diskurs zu Dolmetscher*innen versinnbildlicht diese vermehrt als Brückenbauer*innen nebst der dieser Bezeichnung diametral gegenüberstehenden – und spätestens seit der Eroberung Mexikos gesellschaftlich geläufigen – diskursiven Kennzeichnung als verräterische traduttore-traditore (vgl. Kurz und Kaindl 2005). Werden die beschriebenen Vorstellungen und Zielsetzungen der gesellschaftlich gemeinsam bestrittenen Aufgabe vom translatorischen
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Brückenbau mit Phänomenen der Translation in von post- und neokolonialen Einflussfaktoren geprägten Gesellschaften kontrastiert, ist die Realität jedoch ernüchternd. In einer Analyse von Übersetzungshandlungen zwischen Englisch und der in Kanada und den USA gesprochenen indigenen Sprache Anishinaabemowin (auch Ojibwe) betont Maya Odehamik Chacaby (2015), es dominiere weiterhin ein eurozentrisch geprägtes Translationskonzept,4 das von einer grundsätzlichen »benign translatability« (ebda., 2) ausgehe. Dieses beruhe zudem darauf, dass ein illusorisch stabiles Zentrum angenommen wird, »from which the ›truth‹ of a concept and its signifier are defined through Eurocentric perceptions, and that English nomenclature is a harmless and satisfactory vehicle for Indigenous language transportation.« (Ebda.) Sie beschreibt in Folge Übersetzungen von Erzählungen der Ältesten, von Wörterbüchern und Wortlisten in Anishinaabemowin, damit die indigene Sprache als Zweitsprache wieder erlernt werde, als »another kidnapping« (ebda.). So seien diese Übersetzungen »damaged goods« (ebda., 3), die seit dem »carrying across« (ebda.) in der Kolonialzeit durchgehend Schaden erlitten haben. Die Beschädigungen durch Translation umfassen die Kontaktierung der Gemeinschaft, im Zuge derer eine Indoktrinierung der vermeintlichen »Wilden« durch den christlichen Glauben diese schnell ausrotten oder als Handelsgut verwertbar machen sollte und den darauffolgenden »residential school linguicidal pogrom« (ebda.). Die Autorin geht auf diese traurigen Eckpfeiler nicht im Detail ein, Parallelen bei den Waorani und vielen anderen indigenen Gemeinschaften lassen jedoch leicht erahnen, was vor sich ging. So wurden auch
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Rainer Guldin (2016, 46) betont, traditionelle Auffassungen von Translation im s.g. »Westen« würden auf klar voneinander abgegrenzten Gegensatzpaaren beruhen. Im s.g. »Osten« (und hierbei meint er Indien, Japan und China) bewege sich Translation eher auf einem fluiden Kontinuum mit ineinander verwobenen Unterschieden und Gemeinsamkeiten.
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die Familienclans der Waorani, nachdem in den 1930er Jahren in ihrem Stammesgebiet Erdöl gefunden wurde, in den späten 1950er Jahren von Missionar*innen des evangelikalen US-amerikanischen Summer Institute of Linguistics kontaktiert und sukzessive in einem Reservat angesiedelt. Dort verursachte die ungewohnte Sesshaftigkeit Polio und andere Krankheiten mit Todesfolge. Auch den Waorani wurde mit der Etablierung der Schulbildung die spanische Sprache mit drakonischen Bestrafungsmechanismen aufgezwungen. Wie von Odehamik Chacaby (2015, 3) für die Sprecher*innen des Anishinaabemowin beschrieben, treten ebenso bei den Waorani heutzutage immer häufiger Selbsttötungen unter jungen Schüler*innen auf, deren kulturelle Identitäten zwischen westlichen kapitalistischen Einflüssen der Mehrheitsgesellschaft und indigener Lebensführung zerschellen. Translation beschreibt die Autorin in indigenen Gemeinschaften somit vor allem als Reduktion. Sprecher*innen indigener Sprachen werden in post- und neokolonialen Kontexten in vielfacher Weise gesellschaftlich reduziert: Sie werden subsummiert als »Sprecher*innen/Nicht-Sprecher*innen«, um eurozentrischen Analysekategorien linguistischer und anthropologischer Studien zu genügen. Das Sprechen ihrer Sprachen wird reduziert auf eine Einstufung als gefährdete Sprachen, »where rehabilitation is diagnosed through Eurocentric translation of our worldview within the narrow scope of benign translatability« (ebda., 5). So ist ein dunkles Resümee für Translationsprozesse in mehrsprachigen indigenen Gemeinschaften zu ziehen: »No matter how many documents and dictionaries are created, no matter how many thirty-minute classes with memorized noun lists, no matter how good language documentation looks on paper, the result is language erosion into non-existence. It is an erosion into nonexistence because it was never the language that was lost – it was our forcible displacement from it. We are the ones who are lost in translation. The ›we‹ in this erosion are Indigenous people, still reeling from the effects of genocide, still coping with a range of social and health disparities, still dealing with the ethnostress of being the ›Indian Problem‹.« (Ebda., 3f.)
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Vor diesem Hintergrund findet also durch – mitunter auch positiv intendierte – Translationsprozesse keine konstruierende, sondern vor allem eine dekonstruierende kulturelle Begegnung statt. Brückenbau ist nicht gewollt; Brücken werden gar nicht erst begonnen, Brückenpfeiler rosten, verrotten, oder Brücken werden als Folgeerscheinungen kulturellen Ethnozids eingerissen, zum Einsturz gebracht oder abgebrannt. Die translatorische Brücke führt mitunter ins Nirgendwo. Dennoch ist indigenen Akteur*innen eine Handlungskraft gemein, die sie als Überlebende all dieser Auslöschungsversuche seit Jahrhunderten begleitet. Trifft diese auf Translation, kann sie durchaus nutzbringend eingesetzt werden und kulturellen Praktiken und indigenen Sprachen neue und aus der Gemeinschaft selbst erschaffene Vitalität verleihen, wie meine Studien zu Translation als Widerstandsmittel bei den Waorani unterstreichen (vgl. Korak 2018, 350-375). Zurückgehend auf das Sinnbild der Brücke sind es also vor allem die Räume zwischen und unter den Brückenpfeilern, denen das Hauptaugenmerk bei der Erforschung von Translationsprozessen gelten könnte: »Übersetzen zwischen Kulturen erschöpft sich also keineswegs im Brückenbau. […] Übersetzung findet eher in den interkulturellen Zwischenräumen, Kontaktzonen, Grenz-und Differenzbereichen ›unter der Brücke‹ statt.« (Bachmann-Medick 2004, 286) In Zwischenräumen, in denen sich translatorische Handlungskraft relativ frei von institutioneller Doktrin entfaltet, können Widerstand und Veränderungen des Systems stattfinden. Der Bestrebung folgend, die Handlungsfähigkeit indigener Akteur*innen zu unterstreichen, thematisiert dieser Beitrag Gegenbewegungen, die die translatorische Handlungskraft der Waorani im Zuge des bewusst Un_Übersetzten! verdeutlichen. Diese zeigen, dass Akteur*innen auch selbst Brücken niederbrennen, um sich aus der Unterdrückung und Starre zu lösen, die sie im post- und neokolonialen Spannungsfeld umgibt. Weitere Beispiele des Un_Übersetzten! verdeutlichen den Unwillen zum Brückenbauen von Seiten der Mehrheitsgesellschaft sowie die Dringlichkeit, das Überleben indigener Gemeinschaften im aggressiven Post- und Neokolonialismus zu sichern.
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Translatio obscura und die Kontaktierung der Waorani Es wurde erwähnt, dass die heute noch hauptsächlich als Jäger*innen und Sammler*innen in Ecuadors Amazonien lebenden Waorani im Zuge des Kontaktes durch Missionar*innen des Summer Institute of Linguistics (SIL), der in den 1950er Jahren begann, drastische Akkulturationsprozesse und einen soziokulturellen Ethnozid durchlebten. Bemerkenswert an dieser Kontaktierung von zehn Familienclans der Waorani sind die Rolle, die Translation in diesem Kontakt spielte, und die Verbindungen der Missionarsvereinigung mit der Translationswissenschaft. Das SIL begann in den 1930er Jahren mit der Ausbildung von Missionar*innen in den USA, um in Abgeschiedenheit lebende indigene Gruppierungen zu kontaktieren und zum Christentum zu konvertieren. Besonders großen Einfluss hat das SIL in Lateinamerika,5 wo Missionar*innen in 360 Sprachen arbeiten und die durch viele Regierungen unterstützte Vereinigung ein eigenes Flugunternehmen und einen Radiosender betreibt (vgl. Cano et al. 1981, 21, 23; Stoll 1985, 18f.). Bibelübersetzungen, die mittlerweile auch in Form von durch Indigene besprochene YouTube-Videos erfolgen, spielten seit jeher eine bedeutende Rolle für die Evangelisierung indigener Gemeinschaften (vgl. Korak 2018, 91). Das SIL präsentiert sich offiziell als wissenschaftliche Vereinigung und führt linguistische Studien durch. Seine Mitarbeiter*innen betreiben jedoch auf sozial-politischer Ebene vehementen Antikommunismus und propagieren kapitalistische Werte wie Wettbewerbsfähigkeit in den Gemeinschaften, ganz zu schweigen von mehrfach nachgewiesenen engen Verbindungen zu Erdölkonzernen und Regierungen (vgl. Ziegler-Otero 2004, 53). Innerhalb der Translationswissenschaft scheinen diese Kehrseiten translatorischer Tätigkeiten
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Das SIL selbst gibt an, mehr als 4.400 Mitarbeiter*innen zu beschäftigen, die in über 2.000 Sprachen und 100 Ländern tätig sind (vgl. SIL International 2015).
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ein Novum zu sein oder zumindest geflissentlich ignoriert zu werden.6 So bleibt unhinterfragt, dass der als »Gründervater« der Disziplin (Delabastita 2018, 368) gepriesene Eugene Nida ab 1936 vielfach in hohen Positionen für das SIL und dessen Ablegerorganisationen – u.a. als langjähriger Direktor der American Bible Society – tätig war und sich beispielsweise für eine Bibelübersetzung in die Sprache der indigenen Tarahumara Mexikos verantwortlich zeichnete (vgl. Nida 2009, 17f.). Was die dunkle Seite der Translation in der Gemeinschaft der Waorani betrifft, so geben die Aufzeichnungen der SIL-Missionarin Elisabeth Elliot (2003, 141, 265, 267-269, 271) Aufschluss über die praktische Vorgehensweise beim Kontakt und im anschließenden Evangelisierungsprozess. SIL-Missionar*innen befragten zunächst Gewährspersonen der indigenen Kichwa oder die vor internen Fehden aus ihrer Gemeinschaft geflohene Wao Dayuma, um von ihnen die Sprache der Waorani (Waoterero) zu erlernen. Sätze wie »Wir sind eure Freunde« (ebda., 261) wurden in Folge über Lautsprecher aus Häuser der Waorani überfliegenden Flugzeugen übertragen. Zudem wurden »Auserwählte« im Predigen und in der Auslegung von Bibelstellen auf Waoterero unterrichtet. In den 1970er Jahren schließlich, als die bereits kontaktierten Waorani im erwähnten SIL-Reservat lebten, wurden gezielt kulturelle Bedeutungen wie die Existenz eines dem Christengott ähnlichen Schöpfergottes erfragt, der bei den Waorani Wengongi genannt wurde. Aus Schilderungen zu Wengongi und den wesentlichen Eigenschaften des Himmels in der Kosmovision der Waorani wurde so eine »funktionstreue« – also auf umfassende Evangelisierung ausgerichtete – Übersetzung der Bibel ins Waoterero angefertigt (vgl. CarcelenEstrada 2010, 83f.). Obgleich Bibeln und auch predigende Älteste der Waorani in den nach der Auflösung des Reservats in den 1980er Jahren gegründeten und bis heute bestehenden Dorfgemeinschaften allgegenwärtig sind,
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Selbst Michael Cronin (2006, 148) erscheint ungewohnt unkritisch, indem er das SIL gar als NGO bezeichnet. Lediglich Lawrence Venuti (1995, 118) verweist zumindest hintergründig auf die Machenschaften dieser Vereinigung.
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gibt es einzelne Dörfer,7 in denen der Missionseinfluss geringer ist. Daher kann bereits hier von Un_Übersetztem! gesprochen werden, da in manchen dieser Gemeinschaften traditionelle Glaubensvorstellungen und Lebensweisen deutlicher gelebt werden als in den durch das SIL beeinflussten Gebieten. Das eindrücklichste Spannungsbild des Un_Übersetzten! ergibt sich jedoch in den Wechselbeziehungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den wenigen noch in Abgeschiedenheit lebenden (und damit nicht kontaktierten) Waorani. Die folgenden Szenarien des Un_Übersetzten! aus der Gemeinschaft der Waorani illustrieren den Nicht-Brückenbau der Mehrheitsgesellschaft im Umgang mit in Abgeschiedenheit lebenden8 und kontaktierten Waorani. Zugleich wird der subversive Einsatz des Un_Übersetzten! von Seiten der Waorani als Translationsstrategie beleuchtet.
Un_übersetzte! »Abgeschiedenheit«: Die Tagaeri-Taromenane Neben den durch das SIL kontaktierten Clans gab und gibt es mehrere Familiengruppen der Waorani, die eine weiterhin abgeschiedene Lebensweise bevorzugten und diesen erzwungenen Kontakt ablehnten.
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Zum besseren Verständnis ist hinzuzufügen, dass das offiziell zuerkannte Territorium der Waorani sich auf etwa eine Million Hektar Land erstreckt. Es leben etwa 3.500 Waorani in 49 Dorfgemeinschaften, die sich durch unterschiedlich stark auftretende externe Einflussfaktoren wie die Präsenz von Mitarbeiter*innen von Erdölkonzernen, Missionar*innen oder Siedler*innen aus anderen Gebieten Ecuadors charakterisieren. Der offiziell von den Vereinten Nationen gebrauchte Begriff »in Abgeschiedenheit lebend« ist eine konzeptuelle Verkürzung, die die Lebenssituation der Tagaeri-Taromenane aus der etischen Perspektive der Mehrheitsgesellschaft umschreibt. Im Sinne einer multiperspektivischen Darstellung begreifen sich die Tagaeri-Taromenane durch das Auftauchen von Erdölförderanlagen, Helikoptern, Arbeiter*innen und Abenteuer*innen vermutlich keineswegs als abgeschieden. Zudem lässt der Begriff fälschlicherweise eine real nicht vorhandene Grenze zwischen Abgeschiedenheit und Nicht-Abgeschiedenheit annehmen.
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Diese etwa 300 bis 500 Menschen werden als Tagaeri-Taromenane bezeichnet (vgl. Pichilingue und Korak 2015, 203). Die bereits erwähnten Druckfaktoren, die die Waorani im Allgemeinen betreffen, üben auf die Lebensweise der in Abgeschiedenheit lebenden Gruppen noch drastischeren Einfluss aus. So bewirkt der stete Anstieg von in Amazonien neuen Formen der Landnutzung, wie etwa Viehwirtschaft, durch die Präsenz von Siedler*innen, des illegalen Holzschlags und der Erdölförderung soziopolitische Spannungen. Die auf ihr Territorium zum Jagen und Sammeln angewiesenen Tagaeri-Taromenane, die hierfür Tagesmärsche von etwa 20 bis 40 Kilometern zurücklegen, werden zunehmend verdrängt, und es kommt unweigerlich zu einem Aufeinandertreffen mit westlichen Artefakten und Personen, was sich beispielsweise in Massakern zwischen kontaktierten und in Abgeschiedenheit lebenden Waorani oder in tödlichen Angriffen der Tagaeri-Taromenane auf Erdölarbeiter und Siedler*innen entlädt (vgl. Rival 1993, 644; Korak und Pichilingue 2013, 22; El Universo 2017). Der Umgang von Regierungsseite mit diesen auf ecuadorianischem Staatsgebiet lebenden Menschen ist durch den Unwillen gekennzeichnet, effektiv ihren Schutz vor den erwähnten Druckfaktoren zu gewährleisten. Mehr als 5.000 Berichte und Zeug*innenaussagen belegen die Präsenz von Tagaeri-Taromenane in der Nähe von Erdölförderanlagen, was Artikel 57 der Verfassung Ecuadors zuwiderläuft, der den Schutz von in Abgeschiedenheit lebenden Indigenen vorschreibt und Förderaktivitäten in ihren angestammten Gebieten als Ethnozid ausweist (vgl. Asamblea Constituyente 2008, 43). Dennoch wird ihre Existenz von Regierungsmitgliedern und Mitarbeiter*innen der Erdölkonzerne stetig in Frage gestellt oder schlichtweg geleugnet. Wie auch der Guardian berichtete, veröffentlichte die Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Rafael Correa im August 2013 eine Karte, die zuvor in Form von Kreisen die ungefähren Aufenthaltsorte der in Abgeschiedenheit lebenden Waorani angezeigt hatte. Diese waren in der neuen Version der Landkarte jedoch so verändert worden, dass sie sich nicht mehr mit den Erdölförderblöcken überschnitten (vgl. Hill 2014). Die Tagaeri-Taromenane wurden also bewusst un_übersetzt!, sie scheinen nicht auf oder eben nur am Rande, wo sie den kapitalisti-
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schen Wirtschaftsfluss nicht stören. Diese Form des Un_Übersetzens! von Menschen, die dem Staate Ecuador angehören, verunmöglicht ihre Verankerung im kollektiven Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft, negiert politische Rechte, gesellschaftliche Partizipation und das grundlegende Menschenrecht auf ein intaktes, einem geschützten Leben zuträgliches Umfeld. Zudem ist eine Kontaktierung der TagaeriTaromenane mit der Ausweitung der Erdölförderung zu erwarten, in dem sich – wie am Beispiel des SIL und den Waorani geschildert – weitere Unarten der Übersetzung auftun können. Obgleich mit den Tagaeri-Taromenane wenig direkte Kommunikation stattfindet, kommt es zu Übersetzungsprozessen im Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft. So werden Gebrauchsgegenstände wie Palmfaserketten oder Speere gefunden, in welche die TagaeriTaromenane im Wald angetroffene Plastikteile, Aluminiumstücke oder Gummi einweben (vgl. High 2013, 197f.). Dies kann als Übersetzung der ungewollt im Territorium präsenten Mehrheitsgesellschaft in die Kosmovision9 der Indigenen gedeutet werden. Zudem greifen diese in Abgeschiedenheit lebenden Waorani auf kontaktierte Waorani als Mittler*innen zurück, um ihre Ablehnung gegenüber Veränderungen im Territorium auszudrücken: Ompure, ein Ältester der Waorani, hatte Kontakt zu in Abgeschiedenheit lebenden Waorani und beschrieb diese Aufeinandertreffen in einem von den Waorani gefilmten Video auf Waoterero. Eine NGO übersetzte das Video gemeinsam mit den Waorani ins Spanische. Ompure erzählt darin, dass ihn TagaeriTaromenane dazu aufforderten, das Territorium vor Außenstehenden 9
Das Konzept der Kosmovision, mit dem auf Kulturbegriffen basierende Translationskonzepte substanziell erweitert werden könnten, wurde translationswissenschaftlich bis dato vollkommen außer Acht gelassen; vermutlich, da es eine westlich wenig gebräuchliche Weltsicht einschließt. Unter Kosmovision sei der »proceso de creación de dispositivos para analizar el mundo y actuar en el« (Consejo Regional Indígena del Cauca 2004, 83) zu verstehen, also das Schaffen von Werkzeugen, um die Welt zu analysieren und darin zu handeln. Fernab von einer mystischen Sichtweise umfasst das Konzept in weiterer Folge den Umgang mit Spiritualität und eine ganzheitliche Weltsicht gleichermaßen (ebda.).
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zu verteidigen. Sie hätten ihm ihre Speere gezeigt und ihren Unmut darüber ausgedrückt, dass sie in den Regenwald geschlagene Straßen nicht überqueren könnten und lange Umwege zurücklegen müssen, um zu ihren Häusern zurückzukehren. Ompure sah sich außerstande, ihre Forderungen zu erfüllen. Er und seine Frau Buganey wurden 2013 von den in Abgeschiedenheit lebenden Waorani mit Speeren getötet10 (vgl. Comunidad de Bameno 2013). Dieser zunächst von den Tagaeri-Taromenane versuchte Brückenbau über Ompure als Mittler zwischen der Lebensführung einer neokapitalistischen Gesellschaft und jener der in Abgeschiedenheit lebenden Indigenen führte zum Unvermögen, zwischen diesen beiden Polen zu übersetzen. Die Un_Übersetzung!, die sich für die Tagaeri-Taromenane vor allem in einem Nicht-Handeln ausdrückte, bewirkte den Abriss der Brücken und letztendlich die Auslöschung der Mittlerfiguren.
Un_übersetzt! im Kontakt: Der Staat in Amazonien Wie die Beispiele zu den Tagaeri-Taromenane zeigen, treffen Übersetzungsszenarien zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Waorani immer wieder auf Unverständnis, Untätigkeit und Aggression. Dieses Unverständnis ist u.a. auf die geringe Anwesenheit des Staates in Amazonien zurückzuführen. Dieser kommuniziert und übersetzt selten direkt mit den oder für die Waorani, sondern lässt weiterhin, wie es auch in der Geschichte der Besiedelung des Amazonasgebietes und bei der Kontaktierung von in Abgeschiedenheit lebenden indigenen Gemeinschaften ständig der Fall war, Mittelspersonen und -institutionen auftreten. Es konnte zwar unter der Regierung Correas (2007-2017) die Tätigkeit des Staates in Amazonien durch Straßenbau, die Errichtung von
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Es ist schwer zu ergründen, welche Faktoren diese Tötung mitbedingten. Es kann angenommen werden, dass neben traditionellem Rache-Nehmen auch die von Ompure unmöglich aufzuhaltenden Druckfaktoren im Territorium der Waorani eine Rolle spielten.
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Busbahnhöfen, Flughäfen, Schulen und Krankenhäusern gesteigert werden, eine dauerhafte Präsenz steht jedoch weiterhin aus. Immer noch agieren Mitarbeiter*innen von Erdölkonzernen oder Bergbauunternehmen und deren Subfirmen anstelle des Staates und errichten beispielsweise Krankenstationen in Dörfern der Waorani. Die ehemals gängige Praxis der Direktzahlungen an einflussreiche Dorfpersönlichkeiten – und damit einhergehend eine beträchtliche Hierarchisierung der indigenen Gemeinschaften – wurde zwar offiziell unterbunden. Güter werden nun durch Projekte an die Dörfer übermittelt, oft bedarf es dafür aber Proteste und Forderungen nach Ausgleichszahlungen der von der Erdölförderung betroffenen Dorfgemeinschaften (vgl. DiMarchi 2013, 16f.; Lu und Silva 2015, 445). Auf diese Weise entstehen eine Vielzahl an Mittler*innen, die je nach ihren persönlichen Interessen oder institutionellen Vorgaben (un_)übersetzen! und menschenrechtliche Ansprüche wie das Recht auf Schulbildung, Gesundheitsversorgung und eine intakte Umwelt nach eigenem Ermessen durchsetzen. Das Agieren des Staates selbst verdeutlicht, welche Ausprägungen diese Un_Übersetzung! zwischen den Bedürfnissen einer indigenen Gemeinschaft und einer neokapitalistischen Mehrheitsgesellschaft annehmen kann: So landeten eines Tages während meiner Feldforschung (2012) Mitarbeiter*innen des Ministeriums für Telekommunikation mit dem Flugzeug in der Dorfgemeinschaft Toñampari11 und luden einen Laserdrucker mit Scanner und Faxfunktion, eine Leinwand mit Touchscreen, einen Beamer sowie sieben Computer mit WirelessInternet im Klassenzimmer der Schule ab. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie weder wussten, welcher indigenen Gemeinschaft die Dorfbewohner*innen angehörten oder wer die Waorani und TagaeriTaromenane überhaupt sind. Nachdem sie die Geräte installiert hatten und den anwesenden Waorani eine kurze Erklärung der wesentlichen Funktionen gegeben hatten, verließen sie das Dorf wieder. Meine Anmerkung, dass es keinen Strom im Dorf gibt und nur selten über einen 11
Das Dorf ist in ca. 25 Minuten mit dem Kleinflugzeug von der kleinen amazonischen Stadt Shell oder in ein bis eineinhalb Tagen zu Fuß oder per Kanu zu erreichen. Es gibt auch keinen Mobilfunkempfang.
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Generator solche Apparate für besondere Anlässe betrieben werden und die Voltzahl für diesen sicherlich zu hoch sei, rief keine Reaktion hervor. Dieses kurze Beispiel illustriert, dass der Staat zwar den Willen zeigt, die indigene Bevölkerung an den vermeintlichen »Fortschritt« anzubinden, es aber keinerlei Bestrebungen, Interesse oder überhaupt Verständnis dafür gibt, welche konventionalisierten und metaphorischen Übersetzungsprozesse hierfür vonnöten wären. Die Handhabung oder die grundlegende Frage nach der Sinnhaftigkeit der neu in die Gemeinschaft übersetzten Artefakte bleibt un_übersetzt!, es handelt sich lediglich um das Schaffen einer Scheinkommunikation und damit einer gesellschaftlichen Scheinpartizipation ohne grundlegenden politischen Willen. Dieses hier exemplarisch angeführte Szenario des Un_Übersetzten! ist kein Einzelfall im vieldirektionalen Spannungsverhältnis »westliche Welt« :: Waorani und verdeutlicht besonders, dass die beteiligten Akteur*innen sich bewusst gegen einen Brückenbau und damit für eine nebulöse Un_Übersetzung! entscheiden.
Un_übersetzt! im Kontakt: Amazonien im Staat Es wurde eingangs betont, dass sich durch die bewusste Abkehr vom Sinnbild der Translation als Brückenmetapher translatorische Handlungskraft entfalten kann, um gegen Ungerechtigkeiten des Un_Übersetzten! vorzugehen oder aus Sicht der beteiligten Waorani selbst das Momentum des Un_Übersetzten! zu nutzen. Ein aussagekräftiges Beispiel für eine solche Impulsnutzung des Un_Übersetzten! ist das Instrument der Consulta Previa bei neuer Erdölförderung, das mit »vorangehender Konsultation« übersetzt werden kann. Zu diesem Konsultationsmechanismus ist verfassungsrechtlich in Kapitel 4, Artikel 57/7 festgelegt, dass indigene Gemeinschaften vor Prospektions-, Förderungs- und Kommerzialisierungsvorhaben von sich in ihrem Territorium befindlichen Ressourcen umfassend, frei und zeitgerecht zu informieren sind (vgl. Asamblea Constituy-
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ente 2008, 41). Um der indigenen Lebensführung gerecht zu werden, müssten die Konsultationen Umweltorganisationen zufolge genügend Zeit beinhalten, damit diese Pläne von allen Gemeinschaftsmitgliedern in Versammlungen besprochen werden können, weshalb im Grunde auch alle Projektinformationen in indigene Sprachen übersetzt werden müssten. Hierzu müssten in unterschiedlichen faktischen und metaphorischen Übersetzungsprozessen durch zweisprachige Gemeinschaftsmitglieder die Tragweite des Projektes mitsamt den technischen Vorgaben und soziokulturellen Implikationen für die Umwelt und Lebensweise der Indigenen für einsprachige Älteste oder nur schlecht Spanisch sprechende Dorfbewohner*innen verständlich gemacht werden (vgl. Clavero 2012; López 2016, 26; Korak 2018, 378f.). Meine Analyse zeigte jedoch, dass es sich bei den Dolmetschungen im Zuge der durch das Umweltministerium und das Sekretariat für Kohlenwasserstoffe durchgeführten Konsultation im Zuge der Toñampari betreffenden Förderpläne um reine Prestigetranslation handelte. Dolmetschen wurde in den Versammlungen lediglich als Dekor eingesetzt, um den Anschein einer umfassenden Konsultation zu verstärken, und es blieb ein beträchtlicher un_übersetzter! Rest zurück (vgl. Korak 2018, 386-397). Jüngste Geschehnisse in Ecuador verweisen jedoch auf eine Gegenbewegung. So traten einige Kämpfer*innen der Waorani, darunter die Wao Nemo Nenquimo (vgl. auch Amazon Frontlines [o.J.]), mit internationaler Unterstützung gegen Un_Übersetztes! im Rahmen der Consulta Previa an. Am 27. Februar 2019 klagten Waorani-Gemeinschaften der Provinz Pastaza das Umweltministerium und das Ministerium für Energie und nicht-erneuerbare Ressourcen. Die Institutionen hätten im Zuge der Consulta Previa für den Block 22 im Jahr 2012 die Konsultationspflicht verletzt und sich durch Täuschungen, Essen und Geschenke die Zustimmung der Dorfgemeinschaften verschafft. Der Erdölblock 22, für den Lizenzen zur Erdölförderung an multinationale Erdölkonzerne vergeben werden sollten, umfasst 180.000 Hektar Regenwald und liegt auf dem Gebiet mehrerer Dorfgemeinschaften der Waorani. Ein Schiedsspruch im April 2019 hatte den Waorani bereits Recht gegeben, das Urteil war jedoch vom Umweltministerium angefochten worden.
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Ein breiter und auch prominent u.a. durch die Schauspieler Mark Ruffalo (Hulk), Chris Evans (Captain America) und Leonardo DiCaprio (Titanic) mitgetragener Protest entstand. Die Kläger*innen-Seite legte umfassende Zeugnisse der Ältesten und Führungspersönlichkeiten der Gemeinschaft vor, internationaler Mediendruck und Protestmärsche entstanden. Schließlich bestätigte das Provinzialgericht Pastazas am 11. Juni 2019 in zweiter Instanz die Rechtswidrigkeit des geplanten Einzugs von Erdölkonzernen in den Block 22 und ordnete eine erneut durchzuführende Konsultation an. Die Waorani und ihre Unterstützer*innen hoffen dadurch auch für andere indigene Gemeinschaften und vor allem für jene des südlichen Amazonastieflandes, in dem eine umfassende Ausweitung der Erdölförderung und des Bergbaus vorgesehen ist, einen Präzedenzfall geschaffen zu haben (vgl. El Comercio 2019a; El Comercio 2019b). Übersetztes! und Un_Übersetztes! wurde in diesem Fall strategisch genutzt: Zum einen wurde die lokale Botschaft der Waorani durch engagierte Waorani und Bürger*innen/Aktivist*innen vor Ort mittels einer sprachlichen und politischen Übersetzung an internationale Medien und zu internationalen Kontakten übermittelt. Diese wiederum schlossen sich der Bewegung an, um über Twitter eine vielstimmige Botschaft zurück nach Ecuador zu senden, die aus Perspektive der translationswissenschaftlichen Denkfigur des Un_Übersetzten lauten könnte: »Wir lassen nicht zu, dass un_übersetzt! wird.« Durch Handlungskraft, die mit und durch Translation in ihren vielschichtigen Spielarten entsteht, kann also Un_Übersetztes! aufgezeigt werden. In weiterer Folge kann verhindert werden, dass das im Un_Übersetzten! entstehende Machtvakuum durch Sprach- und Informationsverlust nachteilig gegen eine indigene Gemeinschaft wie jene der Waorani eingesetzt wird.
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Fazit: Die Kraft der Abrissbirne Die Beispiele zu Szenarien des Un_Übersetzten! aus der Gemeinschaft der Waorani unterstreichen die Unmöglichkeit, Translation in postund neokolonialen Spannungsfeldern als Brückenbau zu begreifen. Wenngleich der Abriss der Brückenmetapher innerhalb der Translationswissenschaft bereits längst gedanklich begonnen wurde, gilt es vor allem im interdisziplinären Diskurs, die offensichtlichen Schwachstellen der Vorstellung einer translatorischen Brücke aufzuzeigen und stattdessen für eine Fokussierung auf translatorische Handlungskraft zu plädieren. Die in diesem Artikel vertretene Konzeptualisierung von un_übersetzt! tritt somit für eine endgültige Abkehr vom pseudobenignen Bild der Brückenmetapher ein und für eine Beschäftigung mit jenen gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren, die in einem spezifischen translatorischen Kontext translatorische Handlungskraft ermöglichen oder erschweren. Angesichts der erheblichen Menschenrechtsverletzungen, die auf der dunklen Seite der Translation im Zuge der weiterhin weltweit erfolgenden Kontaktierungsversuche indigener, in Abgeschiedenheit lebender Gemeinschaften geschehen, und der anhand der Lebenssituation der kontaktierten Waorani aufgezeigten Folgeerscheinungen dieses obskuren Brückenbauens hat die Translationswissenschaft auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag zu erfüllen: Durch kritische Forschungsarbeiten sollten weitere Verbindungen zum Summer Institute of Linguistics und ähnlichen Vereinigungen aufgezeigt und gekappt werden, und es sollte engagiert dafür eingestanden werden, in gewissen soziopolitischen Kontexten vom Glauben an die wesentlich »gute« Translation abzurücken. Es gibt allein in Lateinamerika noch in etwa 200 in Abgeschiedenheit lebende Gemeinschaften, die meisten von ihnen in Amazonien. Wir sprechen hier von etwa 10.000 Menschen, deren erzwungener Kontakt unter Mitwirkung von Anthropolog*innen und Translator*innen ständig droht (vgl. ACNUDH 2012, 5). Die Beispiele der gescheiterten Vermittlung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und in Abgeschiedenheit lebenden Waorani über kontaktierte Waorani als Mittelspersonen oder ihre strategische Aus-
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lassung in offiziellen Karten zeigen auf dramatische Weise, dass das verfassungsrechtliche Recht auf ein Verbleiben in Abgeschiedenheit durch Unarten des Übersetzens verletzt wurde und wird. Das Recht der Tagaeri-Taromenane auf Un_Übersetztheit!, also darauf, dass keinerlei Brücken zu ihnen geschlagen werden, stellt sich in der gesellschaftlichen Praxis in Ecuadors Amazonien lediglich als Pseudorecht heraus. Umso mehr sind kritische Translator*innen und Translationswissenschafter*innen gefordert, durch explizite Translationsverweigerung für die Einhaltung dieses Rechts in diesem und in ähnlichen gesellschaftspolitischen Kontexten einzustehen (vgl. zu Translationsverzicht Prunč 1997, 38f.). In diesem Sinne gilt es, die im Zuge der Geschichte der Translationswissenschaft unter Nida geflissentlich unterlassene immens hohe gesellschaftspolitische Verantwortung um das Phänomen Translation zwischen von unterschiedlichen Interessen geleiteten Kosmovisionen wahrzunehmen. Der Faktor Kosmovision gibt der auf die Brückenmetapher gerichteten Abrissbirne wesentlichen Schwung und führt dazu, dass translatorische Handlungskraft sich aus dem und um das Un_Übersetzte! entfalten kann. Bereits historisch gesehen haben indigene Akteur*innen stets Un_Übersetztes! als Strategie gegen Akkulturationsbestrebungen durch die Mehrheitsgesellschaften entwickelt. Die Beispiele der international unterstützten erfolgreichen Abwehr der Öffnung des Blocks 22 unter Berufung auf die Consulta Previa, die nicht ordnungsgemäß und indigener Kosmovision entsprechend durchgeführt worden war, illustrieren die Nutzung von translatorischer Handlungskraft durch Indigene für ein Recht auf Un_Übersetztheit. Darüber hinaus wird deutlich, dass es entschiedene Gegenbewegungen gibt, die ein Translationskonzept, das auf erzwungenem Kontakt und kolonialisierender Reduktion von Kosmovision und indigenem Land basiert, nicht zulassen. Auch in europäischen Migrationskontexten und daraus entstehenden Translationssituationen trifft nicht-westliche Kosmovision auf eurozentrische Weltanschauung. Translationswissenschaftliche Forschung sollte daher dazu beitragen, unterschiedliche Kosmovisionen mit ihrem Recht auf Un_Übersetztheit! anzuerkennen, ohne
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eine homogenisierende translationspraktische Brücke zu bauen. Dazu müsste allerdings zuallererst der Faktor Kosmovision innerhalb der Translationswissenschaft berücksichtigt werden.
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»Eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht…« (Gebrochene) Versprechen in der relationalen Kunst Judith Laister
Relational art is distinguished by the participative involvement of various actors from different fields in artistic production processes. The creative act here has less to do with the production of a completed work than with the development of relationships between the people, institutions and objects involved. This article examines such processes with reference to three case studies in London (Jean-François Prost: Adaptive Actions, 2008), Linz (Fattinger/Orso/Rieper: BELLEVUE, 2009) and Graz (Kristina Leko: Keine Denkmale, 2011). The author was involved both as a layperson and as a cultural anthropologist, guided heuristically by three interconnected dimensions of the concept of translation: 1) the »governmental« with reference to the creation of (power) relationships between the artistically joined but otherwise heterogenous sections of the network; 2) the »epistemological« in the sense of a self-reflexive analysis of anthropology as translation; 3) the »aesthetic« looking at art as translation between the artistic and non-artistic fields and actors. The text aims to present these three dimensions of translation and to explore their implications in relation to the un_translated.
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Einleitung: Eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht? »Und dass wir eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht, einen gemeinsamen Nenner finden, der allen zeigt, warum das jetzt so wichtig ist, diese Geschichte, in diesem Stadtteil. Warum ist das wichtig? […] Und nicht alle haben die gleiche Motivation, [bei diesem relationalen Kunstprojekt mitzumachen, Anm. J.L.]. […] Es sind nicht die gleichen Kategorien von Teilnehmern. Da braucht es eine Übersetzung, für alle.«1 Wenn die Künstlerin Kristina Leko, eine international renommierte Protagonistin relationaler Kunst, den Begriff der Übersetzung gebraucht, so spricht sie nicht nur von interlingualer Übertragung und Sprachverstehen. Vielmehr bezeichnet sie mit Übersetzung – in einem weiten Verständnis – ihre Vermittlungsarbeit zwischen den verschiedenen Teilen der von ihr initiierten Akteurswelt.2 Diese künstlerische Vermittlungs- als Übersetzungsarbeit3 praktiziert Leko auf verschiedenen Ebenen: auf visueller Ebene als Einsatz einer verbindenden Sprache der Bilder, auf rhetorischer Ebene als Versprechen von Zugehörigkeit und Miteinander, auf räumlicher Ebene als Nutzbarmachung von atmosphärischer Kollektivierung, auf der Ebene alltäglicher Praktiken als Bewirtung mit Speisen und Getränken, Spaziergänge oder kreative Aktivitäten und auf Ebene des Kapitals als ökonomische, soziale, kulturelle und moralische Angebote.
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Interview mit der Künstlerin Kristina Leko, 31. Juli 2017. Der Begriff Akteur*innen wird nur dann in männlicher und weiblicher Form angeführt, wenn es sich ausschließlich um menschliche Akteure und Akteurinnen handelt. Wenn auch nicht-menschliche Akteure (wie Dinge, Tiere, technische Geräte oder wie hier Institutionen) mitgemeint sind, bleibt es bei dem grammatikalischen Maskulinum Akteure. Die für die Forschungsarbeit »Ästhetische Allianzen« zentrale Vorstellung von Kunst als »Übersetzungsarbeit« geht, wie weiter unten noch näher dargelegt wird, auf Peter Weibel (1998) zurück. Den wertvollen Hinweis auf diesen Gebrauch des Übersetzungsbegriffs verdanke ich Michaela Wolf (2006).
»Eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht…«
Dieser im Forschungsfeld der relationalen Kunst vorgefundenen Verwendung des Übersetzungsbegriffs sowie der damit bezeichneten Praxis des Herstellens von Beziehungen zwischen den heterogenen Teilen der künstlerisch initiierten Akteurswelt widmet sich der vorliegende Text. Er versteht sich als Kondensat aus dem Forschungsprojekt Ästhetische Allianzen. Übersetzungsmomente in der relationalen Kunst, das drei signifikante Beispiele partizipativ orientierter Kunstprojekte4 im Kontext stadträumlicher Transformationsprozesse in London, Linz und Graz untersucht. Im Fokus der Studie steht die Frage, wie zwischen den heterogenen Teilen der künstlerisch initiierten Akteurswelten Konnektivität hergestellt wird, wo Risse auftreten und Spaltungen passieren. Welche Momente – im Sinne von impulsgebenden Kräften – in den jeweiligen Projektzusammenhängen stützen bzw. stören eines der zentralen Versprechen der relationalen Kunst, eine gemeinsame Sprache zu finden, die jeder versteht? Zur kulturanthropologischen Annäherung an diese Forschungsfrage wird ein weiter Übersetzungsbegriff als analytisches Werkzeug eingesetzt, wobei unter Bezugnahme auf das empirische Material sowie auf Translationskonzepte aus verschiedenen Disziplinen drei Begriffsdimensionen entwickelt wurden. (1) Die gouvernementale Dimension der Übersetzung, die sich den Machtbeziehungen zwischen den beteiligten Akteur*innen unter besonderer Berücksichtigung der herrschenden Regierungstechniken zuwendet; (2) die epistemologische Dimension, die die Anthropologin als Teil der künstlerisch initiierten Beziehungsgefüge im Sinne einer Übersetzerin zwischen den Feldern des städtischen Alltags, der Kunst und der Wissenschaft in den Blick nimmt; und (3) die ästhetische Dimension der Übersetzung, die sich der Spezifik von relationalen Kunstprojekten als Übersetzungsarbeit zwischen außerkünstlerischem und künstlerischem Feld widmet.
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(1) Jean- François Prost: Adaptive Actions, London 2007-2008; (2) Peter Fattinger, Veronika Orso, Michael Rieper: BELLEVUE. Das gelbe Haus, Linz 2009; (3) Kristina Leko: Keine Denkmale. Zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung, Graz 2011-2013.
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Ziel dieses Textes ist einerseits eine überblicksmäßige Darstellung dieses situativ hergeleiteten und gebrauchten Multifunktionstools der Übersetzung, das im gegebenen Forschungskontext zur Identifikation von Übersetzungsmomenten in relationalen Kunstprojekten eingesetzt wird. Andererseits soll die Frage gestellt werden, wie sich vor dem Hintergrund dieser beiden Gebrauchsformen des Übersetzungsbegriffs – Übersetzung als Vermittlungsarbeit (im Feld vorgefunden), Übersetzung als Analysewerkzeug (von der Forscherin entwickelt und eingesetzt) – die für den vorliegenden Sammelband relevante Denkfigur des Un_übersetzten konkretisieren lässt. Basierend auf den offenen und äußerst produktiven Diskussionen in der Grazer Arbeitsgruppe für Translationskonzepte5 und dem daraus hervorgegangenen Buch Übersetztes und Unübersetztes. Das Versprechen der Translation und ihre Schattenseiten dient un_übersetzt! (mit Unterstrich und Ausrufezeichen) als Aufforderung zur Sichtbarmachung jener Spannungen – zwischen Differenzierung und Homogenisierung, Heterogenität und Universalität, Emanzipation und Kontrolle, Verstehen und Macht –, die jeglicher Translationsprozess in sich birgt. Unter Bezugnahme auf den empirischen Befund der vorliegenden Studie, nämlich die Unmöglichkeit umfassender Übersetzung im Kontext relationaler Kunstprojekte, wird in den vorliegenden Ausführungen im Besonderen die intellektuelle und soziale Produktivkraft des uneinlösbaren Versprechens (eine gemeinsame Sprache zu finden, die jeder versteht) herausgearbeitet.
Empirie Das empirische Material, das unter Einsatz eines weiten, interdisziplinär und situativ entwickelten Übersetzungsbegriffs in einen wissenschaftlichen Text transformiert wird, entstammt drei Beispielen relationaler Kunst, die zwischen 2007 und 2013 in London, Linz und Graz stattgefunden haben.
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Universität Graz, »Arbeitsgruppe Translationskonzepte«.
»Eine gemeinsame Sprache finden, die jeder versteht…«
Abbildung 1: Jean-François Prost: Adaptive Actions, Perimeter Walk, London 2008
(Foto: Judith Laister)
Dabei handelt es sich erstens um das andauernde Projekt des kanadischen Künstlers und Architekten Jean-François Prost mit dem Titel Adaptive Actions (Prost 2007-2008), das er im Zuge der Bauarbeiten am Olympic Park in East London in den Jahren 2007/08 initiiert hat. Seither sucht und praktiziert er in loser Zusammenarbeit mit wechselnden Akteuren verschiedene Weisen der Umnutzung städtischen Raums weltweit. Bilder von diesen adaptiven, nicht kommerziell oder politisch reglementierten Praktiken versammelt er auf der virtuellen, interaktiven Plattform Adaptive Actions. Zweitens wurde BELLEVUE – Das gelbe Haus (Fattinger, Orso und Rieper 2009) untersucht, ein zwischen Kunst und Architektur angesiedeltes Nachbarschaftsprojekt des Architektenkollektivs Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper, das im Rahmen der Kulturhauptstadt Linz 2009 auf der neu errichteten Autobahnübertunnelung Bindermichl/Spallerhof realisiert wurde. Knapp drei Monate lang fanden in verschiedenen Akteurs-Konstellationen künstlerisch
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Abbildung 2: Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper: BELLEVUE – Das gelbe Haus, Linz 2009
(Foto: Judith Laister)
initiierte Kooperationsprojekte mit der lokalen Bevölkerung und Kulturhauptstadt-Gästen statt. Die dritte beforschte Arbeit entwickelte die Künstlerin Kristina Leko unter dem Titel Keine Denkmale. Zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung (Leko 2011-2013) im Kontext des Umbaus der Grazer Annenstraße. Das Kommunikationsprojekt, wie es Leko auch nennt, startete 2011 mit biografischen Interviews zu Mobilitäts- und Arbeitsverläufen von Migrant*innen sowie mit historischen Recherchen zur Arbeiter*innengeschichte der Bezirke Gries und Lend. Nach einer Ausstellung im Zentrum für zeitgenössische Kunst erfolgte im Jahr 2013 die Installation von großformatigen Texttafeln im Grazer Annenviertel, die bis heute an sechs von ursprünglich neun Standorten öffentlich zugänglich sind. Entscheidend für die Auswahl der in Bezug auf Schauplatz, Umfang, Kontext und Methodik höchst unterschiedlichen Projekte waren drei Kriterien: Erstens entstanden sie jeweils in Zusammenhang mit groß dimensionierten stadträumlichen Transformationen und standen
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Abbildung 3: Kristina Leko: Keine Denkmale. Zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung, Graz 2013
(Foto: Judith Laister)
damit in mehrfacher Verbindung mit gouvernementalen Praktiken sowie deren Intention, zwischen den Interessen der Bewohner*innen und denen der städtischen Raumpolitik zu vermitteln. Alle drei Projekte basierten auf der expliziten, mit öffentlichen Geldern geförderten Involvierung von sozialräumlich unterschiedlich positionierten BeteiligtenGruppen. Neben Teilnehmer*innen aus dem künstlerischen Feld (wie Künstler*innen, Kurator*innen, Kulturarbeiter*innen, Publikum) waren auch kunstferne Akteur*innen (wie sozial marginalisierte Bevölkerungsgruppen, engagierte lokale Nachbarschaft, Grundeigentümer*innen, kommunales Verwaltungspersonal, lokale Vereins- und politische Funktionär*innen) sowie Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen Teil der künstlerisch initiierten Allianzen. Das zweite Kriterium für die Auswahl der Projekte war, dass ich bei allen drei Projekten auf Anfrage (Linz und Graz) bzw. als Reaktion auf eine offene Ausschreibung (London) als deklarierter »double agent« (König und Steffen 2013, 272f.) beteiligt war – einerseits als interessierte Stadtbürgerin, andererseits als Anthropologin, die empirische Erhe-
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bungen durchführte und die Ergebnisse sowohl ins wissenschaftliche als auch ins künstlerische Feld zurückspielte. Der dritte gemeinsame Nenner besteht darin, dass die jeweiligen Kunstschaffenden bei allen drei Projekten nicht als isoliert arbeitende Künstler-Genies ein Objekt im Sinne eines autonomen, in sich geschlossenen Werks für kunstaffine, gebildete Rezipient*innen kreierten, sondern einen Prozess der Gestaltung von Beziehungssystemen zwischen den diversen Beteiligten aus künstlerischen und außerkünstlerischen Feldern entwickelten. Die ästhetischen Grundkategorien von Künstler*in, Werk und Publikum sowie ihr Verhältnis zueinander wurden im Zuge des Arbeitsprozesses neu verhandelt. Im Sinne performancetheoretischer Ansätze kann dabei von zumindest zwei Aufführungscharakteren in verschiedenen Projektphasen, zwischen denen es künstlerisch zu übersetzen gilt, gesprochen werden: den inszenierten Aufführungen auf der Bühne des »wirklichen Lebens«, wo vor allem auch Lai*innen in den Produktionsprozess einbezogen werden, und den Aufführungen auf den Bühnen der Kunst (Museum, Galerien, Kunstvereine, öffentlicher Raum, Kataloge…), wo diese erste Ebene in künstlerische Repräsentationsformate (Fotos, Film, Installationen…) übertragen wurde.
Relationale Kunst Im Kontext der zeitgenössischen Kunst stehen die drei Projekte Adaptive Actions, BELLEVUE und Keine Denkmale nicht isoliert da. Sie sind vielmehr signifikante Beispiele für eine etablierte Kunstpraxis mit offener Werkform und Fokus auf die Herstellung von produktiven Relationen zwischen Kunstschaffenden, Publikum und – im Bourdieu’schen Sinne (Bourdieu und Haacke 1994, Bourdieu 1999, Schumacher 2011) – sozialräumlich außerhalb des künstlerischen Feldes positionierten Akteuren. Wenngleich jegliche künstlerische Praxis nicht nur in soziale Beziehungsgefüge eingebunden ist, sondern den sozialen Raum immer auch – intentional oder nicht – mitgestaltet, erfährt die Idee einer expliziten Abwendung von der Kreation eines autonomen Artefakts unter Hin-
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wendung zur Bildung von sozialräumlich entgrenzenden Relationalitäten seit Beginn des 20. Jahrhunderts programmatische Aufmerksamkeit.6 Für die Phase verdichteter Präsenz offener Kunstformen seit den 1990er Jahren bis heute7 finden sich im theoretischen Diskurs zahlreiche Bezeichnungen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in Zielorientierung und Handlungsstrategien der Werke markieren, allen voran die Bezeichnungen partizipatorische Kunst, soziale Kunst, aktivistische Kunst, politische Kunst, Kunst des Öffentlichen, dialogische Kunst oder relationale Kunst.8 Für die gebündelte Darstellung und Analyse der drei Fallbeispiele Adaptive Actions, BELLEVUE und Keine Denkmale erweist sich Nicolas Bourriauds Konzept der relationalen Kunst am passfähigsten. Sein bis heute breit rezipiertes und diskutiertes Begriffspaar zeigt das Herstellen von sozialen Beziehungen als zentralen Aspekt im Prozess der Produktion und Rezeption eines Kunstwerks an. Gleichzeitig antizipiert die Bezeichnung relationale Kunst weder das Ziel noch die Qualitäten der produzierten Beziehungsgefüge. Diese Offenheit wurde vielfach als beliebig kritisiert, erweist sich aber gleichzeitig als produktiv für eine konzeptuelle Adaption. Basierend auf einer Darstellung von Bourriauds Vorstellung von relationaler Kunst widmet sich dieses Kapitel einerseits der kritischen Rezeption seines Begriffspaars. Andererseits gilt es, auf die geübte Kritik genau dort einzugehen, wo diese eine detaillierte Auskunft über Adressaten, Qualität und Konflikte in beziehungskünstlerischen Praktiken einfordert. Diese Fokussierung gründet im Einsatz des mehrdimensionalen Analysewerkzeugs der Übersetzung, das den forschenden Blick auf Fragen der Machtverhältnisse, auf sozialräumliche 6
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Erste Tendenzen zeigen sich bei DADA und den Surrealisten, im russischen Konstruktivismus, bei Marcel Duchamp, im Situationismus, vor allem aber seit den 1960er Jahren. Zentrale Figuren sind etwa Christoph Schlingensief, Thomas Hirschhorn, Andrea Fraser, Felix Gonzalez-Torres, Rimini Protokoll, Rirkrit Tiravanija, Philipp Ruch (Zentrum für politische Schönheit), Isa Rosenberger oder Kristina Leko. Diskursprägende Schriften sind etwa: Felshin 1995; Foster 1996; Bourriaud 1998/2002; Babias und Könnicke 1998; Kestner 2004; Bishop 2006; Miessen 2010.
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Entgrenzungen und repräsentationskritische Aspekte im Forschungsprozess lenkt. In der Essaysammlung Esthétique Rélationelle/Relational Aesthetics (Bourriaud 1998/2002) beschreibt der Kurator und Kunsttheoretiker Nicolas Bourriaud die Möglichkeiten relationaler Kunst als Bündel an Praktiken »taking as its theoretical horizon the realm of human interactions and its social context, rather than the assertion of an independent and private symbolic space« (ebda., 14). Unter Bezugnahme auf konkrete Beispiele9 identifiziert er interaktive, nutzerfreundliche und relationale Konzepte als zentrale Ansätze der Gegenwartskunst, wobei er diese einschätzt als »liveliest factor that is played out on the chessboard of art« (ebda., 8). Sein Interesse gilt dabei jenen künstlerischen Praktiken, die soziale Experimente wagen und »hands-on utopias« erproben. Sie knüpfen, so Bourriaud, an die emanzipatorischen Kämpfe der künstlerischen Avantgarden seit dem frühen 20. Jahrhundert an, die sich gegen autoritäre und utilitaristische Kräfte der Unterwerfung auflehnten: »It is evident that today’s art is carrying on this fight, by coming up with perceptive, experimental, critical and participatory models, veering in the direction indicated by Enlightenment philosophers, Proudhon, Marx, the Dadaists and Mondrian.« (Ebda., 9) Im Unterschied zu den historischen Protagonisten der künstlerischen Kritik diagnostiziert Bourriaud den gegenwärtigen Praktiken allerdings eine neue Qualität des Kampfes. Es geht nicht mehr darum, im Gefolge vorgeprägter Ideologien und messianischer Utopien »a future world« anzukündigen, vorzubereiten und deren Umsetzung zu kontrollieren »like a scout«. Vielmehr arbeiten die Kunstschaffenden der Gegenwart am konkreten, alltäglichen Modellieren von »possible universes« und »microtopias« im Hier und Jetzt (ebda., 13). Er führt weiter aus:
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Als zentrale Vertreter*innen nennt Bourriaud etwa Vanessa Becroft, Maurizio Cattelan, Christine Hill, Philippe Parreno, Rirkrit Tiravanija oder Felix GonzalezTorres.
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»Otherwise put, the role of artworks is no longer to form imaginary and utopian realities, but to actually be ways of living and models of action within the existing real, whatever the scale chosen by the artist. […] It seems more pressing to invent possible relations with our neighbors in the present than to be on happier tomorrows.« (Ebda., 45) Die Kunstschaffenden von heute »bewohnen« die Gegenwart, sie greifen nach der Welt in Bewegung und generieren aus den sozialen Begegnungen »an art form where the substrate is formed by intersubjectivity, and which takes being-together as central theme, the ›encounter‹ between beholder and picture, and the collective elaboration of meaning« (ebda., 15). Diese künstlerisch installierten Interaktionszonen innerhalb alltäglicher, außerkünstlerischer Realitäten bezeichnet Bourriaud in Abgrenzung zu herkömmlichen, distinktionsbewussten Kunstenklaven als »user-friendly«, »non-elitist« und »anti-authoritarian«. Als Leitmotto der relationalen Kunst gilt das allen zugängliche Prinzip des »Do-it-yourself«, als Ziel dienen soziale Interaktivitäten, die räumlich wie zeitlich über das Ende einer Ausstellung oder eines Kunstprojekts hinausgehen: »It builds a social interstice, scares nobody and serves as tool for opening dialogues and happy interactivity that never ends.« (Ebda., 24) Nicolas Bourriauds Konzeption der Art Rélationelle als signifikante Kunstform der Gegenwart basiert auf zahlreichen, teils kurzen und losen Anleihen aus Philosophie und Soziologie, bei Künstler*innen und Schriftsteller*innen. Als prägende Figuren aus dem theoretischen Feld dienen etwa Louis Althusser, Walter Benjamin, Michel de Certeau, Guy Debord, Gilles Deleuze und Felix Guattari. Argumentativ impulsgebend wirkte vor allem deren Kritik an utilitaristischen sozialen Praktiken sowie deren Suche nach Interaktions- und Beziehungsformen »resisting social formatting« (Bourriaud 1998/2002, U4). Wenngleich sowohl die zitierten Autor*innen als auch ihre politischen Ambitionen im kunsttheoretischen Feld der Gegenwart große Aufmerksamkeit und Anerkennung finden, boten nicht zuletzt Bourriauds kreativer Referenzstil, seine mangelnde Beachtung der Differenz zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen sowie sein Optimismus in
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Bezug auf die politische Wirkmacht der relationalen Kunst Anlass für Kritik und Zweifel. Die Kunsthistorikerin Claire Bishop, die hier beispielhaft auch für andere Autor*innen wie Jacques Rancière (2008) oder Juliane Rebentisch (Laleg 2012) zu Wort kommt, verweist auf die Problematik, den von Bourriaud privilegierten Werktyp »open-ended, interactive, and resistant to closure, often appearing to be ›work-in-progress‹ rather than a completed object« überhaupt adäquat zu rezipieren: »Such work seems to derive from a creative misreading of poststructuralist theory: rather than the interpretations of a work of art being open to continual reassessment, the work of art itself is argued to be in perpetual flux. There are many problems with this idea, not least of which is the difficulty of discerning a work whose identity is willfully unstable.« (Bishop 2004, 52) Bishop schätzt zwar das Konzept der relationalen Ästhetik Bourriauds als »important first step in identifying recent tendencies in contemporary art« (ebda.). Gleichzeitig stellt sie sowohl seine exponierte Doppelrolle als Kurator und Kunstkritiker in Frage als auch die von ihm in Aussicht gestellte und grundsätzlich positiv bewertete Produktion von sozialen Beziehungen. Im Besonderen zweifelt Bishop an Bourriauds optimistischer »rhetoric of democracy and emancipation«, die seine Überlegungen zur relationalen Kunst prägt. Bourriaud, so Bishops Kritik, wertet die künstlerisch angestoßenen sozialen Interaktivitäten automatisch als »political in implication and emancipatory in effect« (ebda., 62). Demgegenüber konstatiert sie, »that the relations set up by relational aesthetics are not intrinsically democratic, as Bourriaud suggests, since they rest too comfortably within an ideal of subjectivity as whole and of community as immanent togetherness« (ebda., 67). Bourriaud, so Bishop, versteht diese gemeinschaftlichen Aktivitäten als Kunstform, die soziale Verhältnisse nicht einfach nur künstlerisch reflektiert, sondern produziert – ohne allerdings die Rollenverteilungen zwischen den verschiedenen Akteuren im Produktionsprozess zu hinterfragen und die erzeugten Beziehungsqualitäten zu bestimmen. Zentrales Desiderat der relationalen Ästhetik ist für Bishop ein detaillierter
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Blick darauf, welche Beziehungen, wie, in welcher Qualität, für wen und zwischen wem hergestellt werden. Sie stellt fest: »Bourriaud wants to equote aesthetic judgement with an ethicopolitical judgement of the relationships produced by a work of art. But how do we measure or compare these relationships? The quality of the relationships in ›relational aesthetics‹ are never examined or called into question. […] all relations that permit ›dialogue‹ are automatically assumed to be democratic and therefore good. But what does ›democracy‹ really mean in this context? If relational art produces human relations, then the next logical question to ask is what types of relations are being produced, for whom, and why?« (Ebda., 65)
Übersetzung: Dimensionen und Momente Bei dieser, auch von anderen Autor*innen wie Jacques Rancière (2008) oder Juliane Rebentisch (Laleg 2012) geübten Kritik setzt das Projekt Ästhetische Allianzen an. Es antizipiert die Praxis relationaler Kunst nicht als egalitären Gestaltungsakt. Vielmehr fragt es, wie zwischen den heterogenen Teilen der künstlerisch initiierten Akteurswelten Konnektivität hergestellt wird, unter welchen politischen wie ökonomischen Umständen sie verbunden werden, welche Qualitäten und Hierarchien die kreierten Allianzen aufweisen und vor allem auch, wo und warum Konflikte und Brüche auftreten. Als Werkzeug zur kulturanalytischen Annäherung an die künstlerische Übersetzungsarbeit dient ein weiter Übersetzungsbegriff, der gleichzeitig aus dem und für den gegebenen Forschungszusammenhang in drei Dimensionen – (a) der gouvernementalen, (b) der epistemologischen und (c) der ästhetischen Dimension – erarbeitet wird.
Gouvernementale Dimension des Übersetzungsbegriffs Die Gestaltung von Allianzen zwischen künstlerischen und außerkünstlerischen Akteuren bildet das zentrale Motiv der drei hier behandelten
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relationalen Kunstprojekte. Dabei handelt es sich nicht nur um verschiedene Modi von Zusammenarbeit zwischen menschlichen Akteuren und Akteurinnen, etwa um im Kollektiv stadträumlich zu intervenieren (Adaptive Actions), um nachbarschaftliche Beziehungen in einer neuen Parkanlage zu etablieren (BELLEVUE) oder um politische Botschaften im öffentlichen Stadtraum zu platzieren (Keine Denkmale). Vielmehr zeigt sich eine vielfältige Entgrenzung der Projekte in verschiedene soziale Felder: »Tatsächlich prägen mittlerweile medial übergreifende Künste in Allianzen mit anderen Kunstformen und Bildkulturen wie etwa Comics und Games, Forschungsprojekten oder sozialen und politischen Praktiken, die manchmal kaum noch künstlerische Merkmale aufweisen, den Eindruck der Biennalen und anderer Kunstgroßveranstaltungen oft am nachhaltigsten.« (Seidel 2019, 2) Zur näheren Bestimmung von Zusammenhalt und Konflikten in diesen heterogenen Beziehungsgefügen eignet sich die gouvernementale Dimension des Übersetzungsbegriffs. Sie knüpft an jene Wissenschaft der Übersetzung an, wie sie von den Soziologen und Wissenschaftsforschern Michel Callon und Bruno Latour seit den späten 1970er Jahren entwickelt wurde. Als konzeptuelle Grundlage dienten ihnen Überlegungen zur politischen Ökonomie der Macht, wie sie etwa der französische Philosoph Michel Foucault (1978/2000) mit dem Begriff der Gouvernementalität im wissenschaftlichen Diskurs verankert hat. Foucault zufolge wird Macht immer erst in der Interaktion zwischen Individuen und damit relational im alltäglichen Handeln hergestellt. Die Regierungstechniken des Staates bilden dabei insofern eine Schlüsselrolle, als dieser im Zuge des Bedeutungsverlusts der kirchlichen Autoritäten die Leitung, Kontrolle und Verwaltung der Bevölkerung in ihrer alltäglichen Lebensführung, ihrem Zusammenleben, ihrem Glück und ihrem Wohlstand übernimmt. Im Fokus der Gouvernementalitätsforschung stehen darüber hinaus jene Regierungstechniken des modernen Staates, mit denen dieser die Bedingungen für ein freies Handeln der Menschen sowie die Grenzen dieser Freiheit im Sinne des Allgemeinwohls organisiert.
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Vor diesem theoretischen Hintergrund entfalten Callon und Latour ihre Wissenschaft der Übersetzung. Erstmals verwendet (im Kontext wissenschaftssoziologischer Überlegungen) hat Callon (1975) den Begriff traduction bereits im Jahr 1975 in Anlehnung an Michel Serres’ (1974) philosophische Schrift La Traduction. Dem Übersetzungsbegriff kommt dabei die Bedeutung zu, die dominante Opposition zwischen sozialer Welt und Wissensproduktion in Frage zu stellen und die Produktion von Wissen als System sozialer Interaktionen zwischen »verschiedenen Kräften« – »verschiedenen Territorien« – zu fassen: »Übersetzung beinhaltet die Schaffung von Konvergenzen und Homologien, indem sie zuvor verschiedene Dinge verbindet.« (Callon 1980/2006, 66) Dabei müssen »Bereiche der Gewissheiten« verlassen und »Zonen des Zweifels« beschritten werden. In dieser problematischen »Zone der Fusion« (ein »Schmelztiegel, in dem praktische Kategorien ausgearbeitet werden«) vermischen sich »das Kognitive und das Soziale in derselben Logik« (ebda., 71). Je nach Konstellation kann es zu verschiedenen Reaktionen kommen und der Erfolg der Übersetzungen variierende Grade annehmen. In ähnlicher Weise verwenden Callon und Latour (1981/2006) den Übersetzungsbegriff ein Jahr später in dem Text Die Demontage des großen Leviathan. Mit Bezug auf Thomas Hobbes’ (1651) Schrift Leviathan und seiner Konzeption des Gesellschaftsvertrags als disziplinierende wie friedenssichernde Aufhebung der Kluft zwischen Individuum und Institution (Mikro- und Makroebene) konzipieren sie Übersetzung als jenen Prozess, durch den »viele wie eine/r handeln« (ebda., 76): »Übersetzung umfasst alle Verhandlungen, Intrigen, Kalkulationen, Überredungs- und Gewaltakte, dank derer ein Akteur oder eine Macht die Autorität, für einen anderen Akteur oder eine andere Macht zu sprechen oder zu handeln, an sich nimmt oder deren Übertragung auf sich veranlasst. ›Unsere Interessen sind dieselben‹, ›Tu, was ich will‹, ›Du kannst ohne mich keinen Erfolg haben‹ – immer wenn ein Akteur von ›uns‹ spricht, übersetzt er oder sie andere Akteure in einen einzigen Willen, dessen Geist und Sprecher/-in er oder sie wird. Er oder sie
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beginnt, für mehrere zu handeln – nicht nur für eine/-n –, wird damit stärker, wächst.« (Ebda., 77) Der Begriff der Übersetzung beschreibt bei Callon und Latour Machtbeziehungen als Modus, wie »Akteure definiert, assoziiert und gleichzeitig verpflichtet werden, ihren Allianzen treu zu bleiben« und »wie einige das Recht erhalten, die vielen von ihnen mobilisierten Akteure der sozialen und natürlichen Welt zu repräsentieren und für sie zu sprechen« (Callon 1986/2008, 170). Callon bezeichnet die Impulse, die zuvor voneinander getrennte Akteure zu Allianzen zusammenfügen und in diesen komplexen sozialen Gefügen Konnektivität schaffen, als Momente der Übersetzung. Er differenziert dabei verschiedene Übersetzungsmomente, nämlich die Identifikation eines Problems, das Erzeugen von Interesse zur Lösung dieses Problems bei verschiedenen sozialen Akteuren, die Verteilung von Rollen zwischen den involvierten Akteuren sowie deren Mobilisierung zur Lösung des Problems. Diese aufeinander einwirkenden Übersetzungsmomente fasst Callon als Mobilisierungsstufen, mit dem Ziel der Herstellung von starken Beziehungen und Zusammenhalt. Gleichzeitig betont er, dass »dieser Konsens und die dadurch implizierten Allianzen […] jedoch jederzeit angefochten werden [können]. Die Übersetzung wird zum Verrat.« (Ebda., 164) Wo Übersetzungsmomente zu wenig stark ausgeprägt sind, folgen Konflikte und Brüche, die in relationalen Kunstprojekten zwar vorkommen, in den offiziellen Repräsentationen der Arbeiten – auf der zweiten Aufführungsebene der Galerie, des Museums oder des Katalogs – jedoch kaum thematisiert werden. Diesen wenig thematisierten Kräften des Verbindens und Spaltens widmet sich die Studie Ästhetische Allianzen unter Verwendung von Callons Begriff der Übersetzungsmomente. Dieser wird dabei insofern spezifiziert, als die einander überlappenden Mobilisierungsstufen der Akteure auf ihre konkrete Ausgestaltung hin befragt werden: Auf welche Weise und mit welchen Mitteln werden – unter durchgängiger Berücksichtigung gouvernementaler Dynamiken – Akteure in ein relationales Kunstprojekt involviert und miteinander verbunden? Zur Annäherung an diese Frage wurden aus der Perspektive der gouvernementalen Dimension des Übersetzungsbegriffs
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aus dem empirischen Material der drei untersuchten Fälle sowie unter Zugriff auf weitere signifikante Beispiele der zeitgenössischen relationalen Kunst vier Übersetzungsmomente destilliert: (1) das Kapital (mit Pierre Bourdieu: ökonomisches, soziales, kulturelles bzw. in Erweiterung Bourdieus: moralisches Kapital), das verfügbar ist und zwischen den beteiligten Akteuren verteilt und ausgetauscht wird; (2) die RaumAtmosphären, die aufgesucht bzw. inszeniert werden und Zusammengehörigkeit vermitteln oder distinktiv wirken; (3) das Versprechen eines egalitären Wir, das erzeugt und transportiert wird; sowie (4) geteilte Bild- und Sprechakte – in der Konzeption von Horst Bredekamp (2015) visuelle und verbale Äußerungen im Kontext praktischer Verrichtungen. Das analytische Werkzeug der Übersetzung schärft in seiner gouvernementalen Perspektive den Blick für die Herstellung von Zusammenhalt zwischen den heterogenen Teilen der künstlerisch initiierten Beziehungsgefüge. Wenn relationale Kunstprojekte Egalität und Konnektivität versprechen – im Sinne einer gemeinsamen Sprache, die jeder versteht –, so lässt sich als unübersetzt das nicht in die Allianzen Integrierbare fassen und damit das, was im Projektverlauf zu Konflikten und Brüchen führt. Da das Versprechen der Übersetzung aufgrund der ungleichen habituellen Konditionierung bzw. der ungleichen Kapitalverteilung zwischen den in verschiedenen sozialen Feldern situierten Beteiligten immer auch ein uneingelöstes Versprechen bleiben kann, lässt sich zwischen den Alliierten-Teilen weder gänzlich übersetzen, noch bleibt das Gefüge total unübersetzt. Wenn damit von un_übersetzt! die Rede ist, gelten Unterstrich und Imperativ dem Aufruf, dieses Sowohl-als auch nicht nur zu akzeptieren, sondern als unbestimmten Zwischenraum analytisch wie sozial produktiv zu machen.
Epistemologische Dimension des Übersetzungsbegriffs Im Zwischenraum des Un_Übersetzten, das heißt des sowohl innerhalb als auch außerhalb des Beziehungsgefüges Situiert-Seins, bewegt sich auch die forschende Anthropologin. Ich trete in dieser Arbeit als »dou-
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ble agent« auf – sowohl in der Rolle als interessierte Stadtbürgerin, die an einem relationalen Kunstprojekt teilnimmt, als auch als Wissenschafterin, die hier teilnehmende Beobachtungen durchführt, diese Forschungen in eine fachspezifische Sprache zu übertragen hat und gleichzeitig in den künstlerischen Projektverlauf rückführt. Die epistemologische Dimension des Übersetzungsbegriffs reflektiert die Bedingungen akademischer Wissensproduktion im Verhältnis zu anderen Wissensmodi, wie dem Erfahrungswissen der außerkünstlerischen Akteure, kunsttheoretischen Kenntnissen oder dem praktischen Wissen der Kunstschaffenden. Angeknüpft wird dabei an einen Begriff von Translation, der Anthropologie als Übersetzung zwischen der Wirklichkeit des Untersuchungsfeldes und jener des wissenschaftlichen Texts fasst. Als wesentliche Referenz dient der Übersetzungsbegriff der WritingCulture-Debatte, die Mitte der 1980er Jahre in der Publikation Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography (Clifford und Marcus 1986) ihren Höhenpunkt fand. Der Anthropologe Talal Asad (1986) konzipiert in dem darin erstmals abgedruckten Text »The concept of cultural translation in British social anthropology« Anthropologie als »Übersetzen zwischen Kulturen« im Sinne einer »cultural translation«. Ethnografisches Forschen und Schreiben bezeichnet Asad als »einen Prozess der Macht«, wobei er nach den Implikationen eines Forschens als »institutionalisierte Praxis im Rahmen einer umfassenderen Beziehung zwischen ungleichen Gesellschaften« (Asad 1993, 309f.) fragt. Dabei übt er mit Bezug auf die Anfänge der anthropologischen Übersetzungskonzeption bei Bronislaw Malinowski oder Edward Evans-Pritchard Kritik an der anhaltenden Privilegierung der wissenschaftlichen Sprache als dominanter Form ethnografischer Repräsentation und fragt, »warum überhaupt solch ein gelehrter Stil so viele intelligente Leute gefangen halten sollte« (Asad 1986/1999, 332, Hervorh. i.O.). Die Ursache dafür ortet er im Streben nach Objektivität und Distanz, dem jede etablierte universitäre Disziplin nachzugehen habe, um überhaupt Legitimation im akademischen Feld zu erzielen. Im Besonderen macht er auf die grundlegende »Ungleichheit der Sprachen« aufmerksam und hält fest, dass ethnografische Texte und Analysen zwar für den »(autoritativen)
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Anthropologen« evident sein mögen, »jedoch nicht für die Menschen, über die geschrieben wird« (ebda., 332). Aus Perspektive der epistemologischen Dimension von Übersetzung geraten als unübersetzt einerseits jene blinden Flecken in den forschenden Blick, die entstehen, wenn die Anthropologin durch die, wie es Orvar Löfgren in seinen Überlegungen zur Notwendigkeit kultureller Übersetzung auch in der Europäischen Ethnologie formuliert, ihr eigenen »middle class academic lenses« (Löfgren 1981, 26) auf habituell – in ihren Denk- und Wahrnehmungsmodi – anders konditionierte Akteur*innen (ob Marginalisierte, Kunstelite oder ideologische Kontrahent*innen) trifft. Gleichzeitig verweist die selbstreflexive Frage nach dem Unübersetzten im Kontext der anthropologischen Wissensproduktion auf die Differenzen zwischen physisch wahrnehmbarer Wirklichkeit im Prozess der Feldforschung und deren Repräsentation im wissenschaftlichen Text. Sowohl die sozialräumliche Positionierung der Wissenschafterin im Kontext eines relationalen Kunstprojekts als auch die ethnografische Repräsentation in Form eines Textes sind durch genuine Differenzen zu den anderen Akteuren sowie zur dargestellten Wirklichkeit geprägt. Der Imperativ un_übersetzt! macht in Unterstrich und Ausrufezeichen mit Nachdruck sichtbar, dass eine totale Übersetzung sowohl unmöglich, aber auch gar nicht intendiert ist. Vielmehr gilt es, die unüberbrückbare Kluft zwischen physisch-realer Wirklichkeit und textueller Repräsentation sowie zwischen sozialräumlich unterschiedlich positionierten Wissensträgern – etwa der Anthropologin und der Künstlerin – im forschenden Blick zu behalten und permanent neu auszuverhandeln.
Ästhetische Dimension des Übersetzungsbegriffs Wie in der epistemologischen Dimension der Übersetzung die sozialräumliche Positionierung als Forscherin, die Differenzen zwischen unterschiedlichen Epistemen sowie jene zwischen erforschter Wirklichkeit und wissenschaftlichem Text weder nivelliert noch verschleiert werden sollen, so dient die ästhetische Dimension der Übersetzung der
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steten Ausleuchtung der Grenzüberschreitungen zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Der zentrale künstlerische Gestaltungsakt besteht bei relationalen Kunstprojekten – so auch bei den drei hier verhandelten Fallbeispielen – darin, dass die jeweiligen Kunstschaffenden Übersetzungsarbeit im Sinne einer Vermittlung zwischen verschiedenen sozialen Feldern und Akteuren leisten. Sie kreieren nicht einfach nur ein ästhetisches Objekt, wie etwa das gelbe Haus im neuen Landschaftspark am Linzer Bindermichl, einen cyan bemalten Gartenzwerg als symbolische Protestfigur am Bauzaun in East London oder eine schwarze Schultafel als politische Textinstallation im öffentlichen Raum des Grazer Annenviertels. Vielmehr motivieren die KünstlerInnen in verschiedenen Projektphasen diverse soziale Akteursgruppen zur Teilnahme und gestalten mit ihnen ein temporäres Ordnungssystem des »WIR«, titelgebend als Ästhetische Allianzen bezeichnet. Diese entgrenzende künstlerische Praxis verfolgt nicht die modernistische Idee eines in sich geschlossenen Werks als auratischem Original, eines isolierten Kunstschaffenden als genialer Schöpfer*in und eines distinguierten Publikums in Form von kontemplativ Betrachtenden. Vielmehr wird das Original von Peter Weibel (2006) als Erfindung bürgerlich-kapitalistischer Produktionslogik diskutiert, die distanzierte Position der Zuschauer*innen durch Überlegungen zur aktiven Teilnahme an Kunst in Frage gestellt und die Figur des Kunstschaffenden als Genie mit der des Kunstschaffenden als Produzent*in kontrastiert.10 Kunst wird vor diesem Hintergrund in den Worten Peter Weibels zur »Übersetzungsarbeit« (Weibel 1998). Er fasst Kunst als »wissensproduzierendes System«, dem eine »stete Transgression« eigen ist und »deren Entwicklung stets von legitimierenden Prozessen der Beobachtung und Selbstbeobachtung begleitet wird. […] Kritische Selbstreferenz ist in der Wissenschaft und in der Kunst der Neuzeit gleichermaßen zu beobachten und hat insbesondere in der Kunst dazu 10
Zur Dekonstruktion des Originals in den Translationswissenschaften vgl. vor allem Wolf (1997) und Wolf (2006), wobei sie in letzterem Artikel auch die Fährten zu Weibels Überlegungen zum Original legt, sowie Prunč (2012) bzw. in historischer Perspektive Benjamin (1923/1972).
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geführt, ständig Grenzen zu überschreiten und die Grenzen des Kunstbegriffs bis zur Selbstauflösung zu erweitern.« (Ebda., 76) Dieser Vorstellung von Kunst als Übersetzungsarbeit widmet sich die ästhetische Dimension der Übersetzung. Sie fragt nach der Realität der Kunst im Zusammenspiel mit anderen Realitätsebenen (Politik, Wirtschaft, Alltag usw.), wobei der Fokus auf die jeweils dominanten Denkund Wahrnehmungsmodi sowie die sozialen Bedingungen der Möglichkeit, auf die eine oder andere Weise zu denken, wahrzunehmen und zu handeln, gerichtet ist. Was lässt ein relationales Kunstprojekt als Kunst identifizieren – und eben beispielsweise nicht als Sozialarbeit? Die Perspektive der ästhetischen Dimension der Übersetzung beleuchtet das Verhältnis zwischen künstlerischer und außerkünstlerischer Wirklichkeit – oder um hier mit Erika Fischer-Lichte (2004/2017) zu sprechen: die Mehrfachcodierungen außerkünstlerischer Praktiken durch entsprechende Rahmungen als Kunst. Zentraler Anknüpfungspunkt für die ästhetische Dimension der Übersetzung sind Walter Benjamins sprachphilosophische Überlegungen in seinem viel diskutierten Aufsatz »Die Aufgabe des Übersetzers« (1923/1972) sowie die beiden kunsttheoretischen Texte »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1935) und »Der Autor als Produzent« (1934). Benjamins Kunst- und »Übersetzungsästhetik« (Abel 2014) bietet im Kontext einer Analyse relationaler Kunst insofern eine produktive Basis, als er in allen drei Aufsätzen der Neukonzeption der klassischen Trias moderner Ästhetik – Kunstschaffende, Original, Publikum – sowie deren Verhältnis zueinander breite Aufmerksamkeit schenkt und damit als eine der zentralen Referenzen für die Begründung, Entwicklung und kunsttheoretische Begleitung der relationalen Kunst dient. Vor dem Hintergrund der technischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stellt Benjamin nicht nur die Aufgabe des Übersetzers als möglichst mimetische Mitteilung des Ausgangstextes grundlegend in Frage. Vielmehr liefert er Denkanstöße für all jene kommenden Theorien und Praktiken, die Sprache und Kunst nicht als in sich geschlossene Entitäten fassen, sondern in Bezug auf ihr je spezifisches
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Wesen im Verhältnis zu außerkünstlerischen und -sprachlichen Wirklichkeiten befragen. Die Metapher von Übersetzung als »Form«, die das Original – wie die Tangente den Kreis – nur »flüchtig und […] in dem unendlich kleinen Punkte« (Benjamin 1923/1972) berührt, verweist ebenso auf dieses veränderte (Selbst-)Verständnis wie seine nachdrückliche Forderung an Künstler*innen und Intellektuelle, Stellung gegen die Zumutungen des kapitalistischen Produktionsapparates zu beziehen. In Abgrenzung zu Georg Wilhelm Friedrich Hegels rigider Werkästhetik, die am Klassischen orientiert ist und das ideale Kunstschöne in Form der synthetischen Aufhebung jeglicher Gegensätze konzipiert, fasst Benjamins Ästhetik Kunst als widersprüchliches Zeugnis gesellschaftlicher Konflikte, Dissonanzen und Antagonismen. Die Möglichkeiten der Marktgesellschaft sowie der technischen Reproduktion wertet er dabei insofern als potenziell demokratisierend, als sie es ermöglichen, die im geschlossenen Werkbegriff des Originals angelegte »kontemplative, auratische Distanz zwischen Kunstwerk und Rezipient zu eliminieren und gegensätzliche Qualitäten miteinander zu verknüpfen« (Zima 1991, 142). Benjamins Denken in ambivalenten Konstellationen und Konfigurationen propagiert in Anschluss an Michail Bachtin einen vielstimmigen, offenen Werkbegriff, der nicht die »individuelle, private Rezeption des Bildungsbürgers« privilegiert, sondern den Zugang zu »Kunst für breite Bevölkerungsschichten« (Zima 1991, 131) fordert. Benjamins materialistische Ästhetik der widersprüchlichen Konstellationen erfährt in den relationalen Kunstpraktiken11 und deren theoretischen Fundierungen seit den späten 1960er Jahren neue Aktualität. Als diskursprägend gelten etwa Umberto Eco (1962/1973) mit seiner Abhandlung über »das offene Kunstwerk«, Roland Barthes (1967/2000) und seinen Überlegungen zum »Tod des Autors« oder Peter Bürgers (1974) Schriften über die Negation der künstlerischen Autonomie durch die Avantgarde. 11
Als frühe Beispiele für Künstler*innen, die das Publikum aktivieren, gelten etwa John Cage (1912-1992), Joseph Beuys (1921-1986), Julian Beck (1925-1985), Allan Kaprow (1927-2006), Valie Export (*1940) oder Marina Abramović (*1946).
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Aus Perspektive der ästhetischen Dimension von Übersetzung stellt sich das Unübersetzte als anhaltende Differenzierung zwischen Kunst und Nicht-Kunst dar – und damit als anhaltende Identifikation eines Kunstwerks als Original, der Kunstschaffenden als genialen Schöpfer*innen und des Publikums als distanzierte Betrachter*innen. Un_übersetzt! meint in dieser Sichtweise hingegen die differenzierte und transparente In-Bezug-Setzung der Realität der Kunst und anderen Realitätsebenen. Im Benjamin’schen Sinne fällt der Blick dabei vor allem auf jene Zonen, in denen sich soziale Dissonanzen manifestieren und die relationalen Gefüge als ambivalente Konstellationen greifbar werden.
Schluss: un_übersetzt! Das zentrale Versprechen der relationalen Kunst – eine gemeinsame Sprache zu finden, die jeder versteht – zeigt sich aus der Perspektive eines mehrdimensionalen Übersetzungsbegriffs als nicht nur uneinlösbar, sondern auch als wenig wünschenswert. Das multifunktionale Analysewerkzeug macht transparent, dass neben vielfältigen Übersetzungsmomenten stets Differenzen wirksam bleiben, die zu Konflikten und Spaltungen im Projektverlauf führen und dadurch gesellschaftliche Bruchlinien sicht- und öffentlich verhandelbar halten. Genau dieses unablässige Changieren zwischen übersetzt und unübersetzt, das unabdingbar mit jeglicher Übersetzungsarbeit verbunden bleibt, wird in der Konzeption des Un_übersetzten! greifbar gemacht. Mit Unterstrich und Ausrufezeichen tritt es nachdrücklich nicht als Fehler oder Mangel auf, sondern fordert einen Status als Produktivkraft ein, die das wissenschaftliche Denken in gouvernementaler, epistemologischer und ästhetischer Hinsicht ebenso antreibt wie das sichtbare Verhandeln von sozialen Fragen in der Wirklichkeit außerhalb von Kunst und Wissenschaft.
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Versprechen des Un_Übersetzten im Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften Rafael Y. Schögler
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Versprechen des Un_Übersetzten Beim Übersetzen geht immer etwas unersetzlich verloren. So lautet ein oft geäußerter Vorwurf an die translatorische Praxis. Wilhelm von Humboldt (1816) verortet diesen Verlust als Resultat der Asymmetrie
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der Sprachen, Roman Jakobson (1959, 238) spricht überhaupt von der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit von Lyrik, und Barbara Cassin (2009) verweist auf die endlos wiederkehrende Übersetzung unübersetzbarer Begriffe. Dieser durch Translation erlittene »Verlust« wird in diesen Abstraktionen als das Resultat von Unübersetzbarkeit konzipiert. Die Vorstellung des unvermeidlich Unübersetzten prägt negative Assoziationen und letztendlich das Bild eines notwendigen, unausweichlichen Versagens der translatorischen Praxis. Die praktische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Unübersetzbaren – insbesondere im Kontext der Übersetzung geistes- und sozialwissenschaftlicher Texte – konzentriert sich bisher zumeist darauf, diesen Verlust zu identifizieren, Strategien aufzuzeigen, um diesen auf ein Minimum zu reduzieren, und die damit einhergehenden scheinbaren Unzulänglichkeiten der translatorischen Praxis so weit wie möglich auszumerzen. Dieser einseitigen Betrachtung des Unübersetzbaren und Unübersetzten soll in diesem Beitrag eine Reflexion über verschiedene Dimensionen von Versprechen des Un_Übersetzten in der Übersetzung geistes- oder sozialwissenschaftlicher Texte, Ideen und Begriffe entgegengestellt werden. Un_übersetzt mit Unterstrich weist in diesem Beitrag auf die Situativität, Subjektivität und Temporalität des Übersetzten und Unübersetzten hin. Dabei entsteht das Un_Übersetzte aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und dem Unübersetzbaren. Mit dem Verweis auf Versprechen wiederum werden (zumindest) zwei Merkmale des Un_Übersetzten in den Vordergrund gerückt: Einerseits kann ein Versprechen in Form einer informellen, zugleich jedoch verbindlichen Zusage von Akteur*innen an andere gestaltet sein, welche im Sinne von »jemandem etwas versprechen« Ausdruck findet. Andererseits kann man »sich etwas von etwas versprechen«, d.h. Akteur*innen erwarten sich spezifische Konsequenzen von einer eigenen Handlung bzw. einer unterlassenen Handlung. In beiden Merkmalsausprägungen des Versprechens verbinden Akteur*innen konkrete Hoffnungen und Erwartungen an sich oder
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andere.1 Außerdem teilen Versprechen die Eigenschaft, dass sie auf emotionalen Bindungen beruhen, die – im Gegensatz zu Verträgen, Vereinbarungen oder Gesetzmäßigkeiten – keiner Rationalisierung standhalten müssen. Und schließlich sind Versprechen und deren intendierte und nicht-intendierte Auswirkungen unabhängig von den tatsächlichen Handlungen oder retrospektiven Rekonstruktion von Handlungsmotiven. Ein Versprechen wird erfüllt oder eben nicht. Ein zentrales Versprechen der Übersetzung wird in der Wissenschaft wie auch im öffentlichen Diskurs über Translation mit der Metapher des »Brückenbauens« umschrieben. Dabei überwindet die Brücke bzw. das Übersetzte kulturelle, sprachliche und kommunikative »Gräben« diverser Art, wodurch der Übersetzung eine gänzlich positive Konnotation zugeschrieben wird. Der Gegensatz – das Unübersetzte – steht demnach für all jene Elemente der Kommunikation, die auf der Brücke verlorengehen, hinabfallen oder zurückgelassen werden. Diesem negativen Bild des Unübersetzten widersetzt sich der vorliegende Beitrag, welcher nach Narrativen über Translation und translatorischen Praktiken sucht, die positive Erwartungen an das Unübersetzte stellen. Zudem wird die Sichtweise eines unidirektionalen Transfers zwischen zwei klar abgrenzbaren Entitäten, welche sich durch eine Brücke verbinden ließen, verworfen und das Spannungsverhältnis zwischen dem Unübersetzten und dem Übersetzten als kreative Kraft im translatorischen Prozess verstanden. Im Text kommt dies durch die Schreibweise des Un_Übersetzten mit Unterstrich zum Ausdruck. Wenn in weiterer Folge vier Dimensionen der Versprechen des Un_Übersetzten herausgearbeitet werden, dann zielt dieses Unterfangen darauf ab, eine Heuristik zu entwickeln, welche sich besonders für die translationswissenschaftliche Analyse, die ideengeschichtliche Auseinandersetzung und für Zwecke der Übersetzungskritik im Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften eignet. Nachdem im nächsten Abschnitt zunächst Grundannahmen zum in diesem Beitrag angewandten Translationsbegriff ausgeführt werden, folgt darauf aufbauend eine 1
In einer dritten Bedeutung könnten mit sich Versprechen unabsichtlich fälschlich getroffene Äußerungen und Ausdrucksweisen bezeichnet werden.
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abstrakte Differenzierung von vier Dimensionen der Versprechen des Un_Übersetzten: die Reduktion von Komplexität, die Distinktion, der Erhalt der Deutungshoheit bzw. epistemischen Autorität und die Reichweite. In drei Fallbeispielen werden schließlich konkrete Ausprägungen dieser Versprechen an das Un_Übersetzte diskutiert.
Zur Instabilität und Temporalität von Translation Die Ausdifferenzierung dieser vier Dimensionen der Versprechen des Un_Übersetzten basieren auf Annahmen zur translatorischen Praxis, die einer konstruktivistischen Perspektive folgen. Die erste Annahme zur translatorischen Praxis beruht auf der übergeordneten, in poststrukturellen Ansätzen wiederholt festgestellten Instabilität von Sinnstiftung. Als Konsequenz dieser grundlegenden Instabilität wird dem Übersetzen und damit Übersetzungen das Merkmal der Vorläufigkeit zugeschrieben. So bezeichnet Theo Hermans dies als »provisionality of translation« (Hermans 2019, 28), welche reale Auswirkungen auf die translatorische Praxis hat und sich in der stets möglichen Wiederholbarkeit von Translation äußert: »all translation can be done again differently« (ebda., 38). Anstatt diese ständig mögliche Konkurrenz translatorischer Sinnstiftung als Schwäche oder Beliebigkeit translatorischer Handlungen auszulegen, argumentiert Hermans, dass diese Temporalität das Problem der scheinbar existierenden Unübersetzbarkeit durch die faktisch stattfindende Übersetzung auflöst. Denn gerade aufgrund des provisorischen Zustands des Translats überwindet in dieser Sichtweise die translatorische Handlung de facto das Unübersetzbare, ohne dieses als latent wahrnehmbare Dimension vollständig zu eliminieren. In seinen Worten: »the act of translating subdues the untranslatable, it does not quite eliminate it.« (Ebda., 29) Wenn nun davon ausgegangen wird, dass Translation etwas erschafft und somit eine kreative Handlung darstellt, welche einen bewussten (oder auch unbewussten) Umgang mit dem (scheinbar) Unübersetzbaren finden muss, dann bedarf es Akteur*innen, welche diese Entscheidungen treffen.
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Diese Akteur*innen werden in gegenwärtigen translationswissenschaftlichen Konzeptualisierungen der translatorischen Praxis als translatorische Akteur*innen behandelt, die unterschiedliche Teile der Vermittlungsarbeit vornehmen können. Andrew Chesterman (2009) hat diese Hinwendung zu den Akteur*innen dazu bewogen, von einer disziplinären Entwicklung von »translation studies« hin zu »translator studies« zu sprechen. Zugrunde liegt dieser Hinwendung zu Translator*innen ein Verständnis von Translation als vermittelte Form der Kommunikation und Interaktion, wie Erich Prunč es entwickelt hat (2012, 30). Die Vermittlungsarbeit und die damit einhergehenden vorgenommenen Brüche, Transformationen und Veränderungen können nicht verstanden werden, ohne die involvierten Akteur*innen, wie etwa Herausgeber*innen, Verlage, Ausgangstextautor*innen oder eben Übersetzer*innen, in Forschungsarbeiten stärker in den Fokus zu nehmen. Daher wird im vorliegenden Beitrag die Rekonstruktion der Versprechen, welche verschiedene translatorische Akteur*innen an das Un_Übersetzte stellen, von ihren persönlichen, feldspezifisch kollektivierten, ideologischen und situativ-praktischen Interessen an der translatorischen Handlung abgeleitet. Manche dieser Versprechen des Un_Übersetzten sind in persönlichen oder feldspezifischen Vorannahmen zur translatorischen Praxis verborgen, andere werden explizit von diversen Akteur*innen geäußert und bilden einen Diskurs über das Übersetzte, Unübersetzte und Unübersetzbare. Die Entscheidung darüber, welche »provisorische« translatorische Lösung gewählt wird, welche Texte, Ideen, Worte überhaupt übersetzt werden und in die wissenschaftliche Wissensgenerierung und -zirkulation einfließen, ist das Resultat vielschichtiger Aushandlungsprozesse, in welche translatorische Akteur*innen eingebunden sind. Ein wissenschaftliches Feld, in dem disziplinspezifische methodologisch notwendige Übersetzungsprozesse debattiert werden, ist die Kulturanthropologie. Dabei bezeichnet Talal Asad die der anthropologischen Forschung immanente »cultural translation« als »process of power« (Asad 1986, 148). Diese translatorische Praxis – die Übersetzung »fremder« Kulturen durch die anthropologische Transformation in Form eines wissenschaftlichen Textes – »is inevitably enmeshed in
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conditions of power – professional, national, international.« (Ebda., 163) Dabei liegt die Machthandlung der Anthropologie in der Sinnstiftung, der Explikation impliziter Bedeutungen, der Festschreibung, womöglich sogar Bewertung und Einordnung der beobachteten Akteur*innen und deren Gesellschaften oder Gemeinschaften. Diese im anthropologischen Diskurs verorteten Beobachtungen zur anthropologischen Übersetzungstätigkeit finden analog in jedweder Form der translatorischen Praxis statt. So werden die Subjektpositionen translatorischer Akteur*innen bewusst oder unbewusst in jeder translatorischen Transformation verarbeitet, sie widerspiegeln sich in den Interessen der Akteur*innen, in den Machtverhältnissen zwischen beteiligten Akteur*innen und in den historischen und feldspezifischen Hierarchien zwischen Sprachen. Die translatorische Machthandlung im wissenschaftlichen Feld ist insofern besonders nahe an den für die Anthropologie beschriebenen Prozessen zu verorten, da diese, explizit oder implizit, ihren Ausdruck in der Aushandlung epistemischer Autorität findet. Verbunden ist diese Ab- oder Zuerkennung von Sinnstiftung und Wissensgenerierung in und durch Translation und nicht-Translation mit diversen Ausprägungen der feldspezifischen Distinktion. Mit der Vorläufigkeit von Übersetzung sowie den akteursgebundenen Aushandlungen in Translationsprozessen wurde bisher hauptsächlich auf den Entstehungsprozess und -kontext von Übersetzungen verwiesen. Zum Vorschein kommt diese Vorläufigkeit des Un_Übersetzten als situative und perspektivische Entität jedoch ebenso in zeitlich nachgelagerten Prozessen der Rezeption und Interpretation. Dafür eignet sich ein Verweis auf Gabriele Cappai und sein Verständnis von Übersetzung als gesellschaftlichen Prozess, der durch die Seinsgebundenheit des Denkens notwendig wird. Cappai stellt in Anlehnung an Karl Mannheim diesbezüglich fest: »Wo Sprache und Selbsterlebtes in so einer engen Weise miteinander verschränkt sind, ist der soziale Akteur als Übersetzer gefordert, wenn es für ihn darum geht, fremde Sinnwelten zu erfassen.« (2002, 224) Zentral für die Übersetzung wird in dieser Sicht die Fähigkeit und Strategie der Perspektivenübernahme, das heißt, aus der Warte des Anderen einen Sachverhalt, eine Situation, ei-
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nen Text zu verstehen. Diese Seinsgebundenheit des Denkens sowie die menschliche Fähigkeit, Perspektiven anderer – zumindest bis zu einem gewissen Grad – zu übernehmen, finden ihren Niederschlag im Spannungsverhältnis zwischen dem Unübersetzten und dem Übersetzten. Also enthalten für unterschiedliche Akteur*innen, abhängig von ihrer Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, Übersetzungen mehr oder weniger Übersetztes. Die Annahmen zur Vorläufigkeit translatorischer Produkte, die Definition von Translation als vermittelte Tätigkeit und Machthandlung, wie auch der Aspekt der Perspektivenübernahme als wiederkehrender Topos der Übersetzung unterstreichen die Erfordernis, Resultate translatorischer Prozesse nicht als abgeschlossen zu betrachten. Folglich ermöglicht diese Diskussion einiger zentraler Grundcharakteristika von Translation, das Un_Übersetzte ebenso als einen temporären, sich verändernden und in Aushandlungsprozessen zustande gekommenen Prozess zu verstehen, anstatt es vorschnell als Fehler oder Unzulänglichkeit der Translator*innen und der translatorischen Praxis zu bezeichnen.
Vier Versprechensdimensionen Am Anfang des Beitrags wurden vier Dimensionen der Versprechen des Un_Übersetzten eingeführt, welche insbesondere für die translatorische Praxis im Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften aufschlussreich erscheinen: die Reduktion von Komplexität, die Distinktion, die epistemische Autorität bzw. der Erhalt der Deutungshoheit und die Dimension der Reichweite. Alle vier Versprechensdimensionen sind der translatorischen Praxis in wissenschaftlichen Feldern eigen, denn die damit zusammenhängenden Erwartungen entspringen entweder Mustern der Zirkulation von Wissen oder dem Kampf um Status im wissenschaftlichen Feld.
Reichweite, Distinktion und Autorität Drei Merkmale – Reichweite, Distinktion und epistemische Autorität – können als nebeneinander existierende Versprechensdimensio-
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nen beschrieben werden, wohingegen die Dimension der Reduktion von Komplexität als universelles Element jegliche Versprechen des Un_Übersetzten durchdringt.2 In diesem Zusammenhang bezieht sich der Komplexitätsbegriff nämlich auf die implizite und explizite Sinnstiftung eines Textes, die Wiederherstellung bzw. den Fortfall historischer Bedeutungen oder Sprachnutzung, den Verzicht auf explizite Hinweise zu verborgenen Bedeutungsdimensionen oder etwa die unkommentierte Verwendung von Quellenzitaten (siehe unten). Daher versprechen sich Übersetzer*innen, Verlage, Herausgeber*innen oder Ausgangstextautor*innen von der Strategie, Komplexität in translatorischen Prozessen auf einer oder mehreren Ebenen zu reduzieren, dass diese das Translat verständlicher machen, wodurch sich weitere Versprechen einlösen lassen, wie etwa mit einer Publikation, einem Begriff oder einer Thematik größere Reichweite oder mehr Distinktion zu erreichen. Ebenso können Übersetzer*innen den Prozess der Komplexitätsreduktion nutzen, um einen (eigenen) Anspruch auf epistemische Autorität zu untermauern. Diese drei untergeordneten Versprechensdimensionen erklären sich aus der praktischen ökonomischen Logik sowie den Erwartungen und Spielregeln des wissenschaftlichen Feldes. Die Maximierung der Reichweite eines Werkes, eines Translats, einer wissenschaftlichen Tatsache kann, Pierre Bourdieus Terminologie folgend, in erster Linie in der Logik des heteronomen Pols des wissenschaftlichen Feldes verortet werden. Das Versprechen, die Reichweite des Wissens dadurch zu erhöhen, indem Elemente des zu Übersetzenden unübersetzt bleiben, klingt zunächst paradox. In der translatorischen Praxis werden diesbezügliche Erwartungen jedoch von Translator*innen, Herausgeber*innen und Verleger*innen – stets ihren Rollenbildern entsprechend – geäußert. In der gegenwärtigen Publikationslandschaft entwickeln Verleger*innen ein direkt mit der ökonomischen
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Mein besonderer Dank geht an Ulla Kriebernegg, die bei einer guten Tasse Kaffee im Hörsaal F zur Herausbildung dieser übergreifenden Dimension beigetragen hat.
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Logik verbundenes Narrativ zum Unübersetzten, denn die ökonomischen Kosten der Translatproduktion verhindern – aus deren Sicht – die Erstellung von mehr und längeren Buchübersetzungen. Dennoch belassen Verlage geistes- und sozialwissenschaftliche Werke und Ideen nicht gänzlich unübersetzt, sondern wenden unterschiedliche Strategien an, um eine möglichst hohe »Reichweite« der Übersetzungen zu erreichen. Zu diesen Strategien gehören etwa die Anthologisierung, die Kürzung bzw. selektive Auswahl von Ausgangstexten oder die Auswahl kurzer Ausgangstexte. Verlage können mit diesen Strategien ihre Kosten senken und dennoch bestimmte Namen, Werke und Ideen im Verlagskatalog präsentieren. In diesem Zusammenhang berichtet Gisèle Sapiro etwa über das Kostenbewusstsein US-amerikanischer Verlage, welche in folgendem Zitat zum Ausdruck gebracht werden: »Translation, I do very seldom, I do them very seldom because they are time-consuming and expensive.« (Entretien n°23, in Sapiro 2014, 31) Umgesetzt werden solche Projekte nur dann, wenn diese kurz und im Zielfeld einen ökonomischen Erfolg versprechen (ebda.). Das Versprechen der Reichweite äußert sich jedoch nicht ausschließlich in der ökonomischen Logik der Verlagswelt, sondern ebenso in Strategien von Wissenschafter*innen und deren Nutzung einer Lingua franca als Kommunikationssprache oder durch die Schaffung »verdichteter Übersetzungen«, wie dies etwa bei der von Harriet Martineau vorgenommenen Übersetzung der Philosophie Positive von Auguste Comte der Fall war, wie später näher ausgeführt wird. Die Versprechensdimension der Distinktion und in einem noch stärkeren Ausmaß die Erwartung an das Un_Übersetzte, epistemische Autorität durch ein Spiel mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und dem Unübersetzten zu erlangen, lassen sich für die Übersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus der Logik des autonomen Pols des wissenschaftlichen Feldes heraus erklären. Grundsätzlich umfasst Distinktion sowohl Prozesse der Abgrenzung wie auch Formen der Auszeichnung und bezieht sich auf positiv behaftete Handlungs- und Verhaltensweisen, die eine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe aufzeigen und von anderen abgrenzt (Bourdieu 1979). Diverse Akteur*innen spielen bewusst, aber auch
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unbewusst, mit den Grenzen der Übersetzung, um Abgrenzung zu anderen Akteur*innen einerseits und Auszeichnung durch die eigene Gruppe andererseits zu erreichen. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Praktiken lassen sich dieser Zielsetzung zuschreiben, welche sich als Versprechen des Un_Übersetzten konzipieren lassen. Besonders häufig und bedeutsam erscheint etwa der Umgang mit Zitaten, die in der Sprache einer ausgangssprachlichen Quelle belassen werden. Neben praktischen Gründen der Verfügbarkeit eines direkten Zitats wenden Forscher*innen diese Strategie an, um ihre Fähigkeit, Fachliteratur in dieser Sprache für wissenschaftliche Zwecke nutzen zu können, zu bezeugen. Es eignet sich jedoch nicht jede Sprache oder Quelle für eine solche Form der Distinktion durch das Un_Übersetzte. Veranschaulichen lässt sich dies etwa für die Disziplin der Philosophie, in der eine solche Distinktion durch die Beibehaltung des Deutschen in Bezug auf Autoren wie Friedrich Hegel, Immanuel Kant oder Friedrich Nietzsche besteht, jedoch weitaus weniger relevant ist, wenn gegenwärtige Philosophen zitiert werden. In vereinfachter Form wenden Wissenschafter*innen dieselbe Strategie bei der Nutzung von Lehnwörtern oder der vollständigen Beibehaltung anderssprachiger Begriffe an. Bekannte Beispiele aus den Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften, die durch solche Prozesse vom Deutschen ins Englische gewandert sind, wären Wertfreiheit, Weltanschauung, Zeitgeist, Gestalt psychology oder Angst. Diese Ausprägung der positiven Erwartung an das Un_Übersetzte bzw. die Strategie der partiellen Beibehaltung ausgangssprachlicher Termini zur Distinktion wird analog ebenso im Bereich der Weltliteratur von Komparatist*innen argumentiert. Rebecca Walkowitz (2015, 4) stellt für die Weltliteratur etwa fest: »Translation is not secondary or incidental to these works [world literature]. It is a condition of their production«, und Emily Apter argumentiert in diesem Kontext, dass die Nutzung einer anderen Sprache dabei verspricht, »to certify the novel’s nonprovincialism.« (Apter 2013, 16) Ähnlich konstruieren un_übersetzte Textstellen, Begriffe oder auch interpretierte Forschungsmaterialien in wissenschaftlichen Texten Originalität, welche Forscher*innen ihrer eige-
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nen Distinktion dient und zugleich dazu beiträgt, ihren Ausführungen wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das Spiel mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und Unübersetzten kann also ebenso genutzt werden, um epistemische Autorität beizubehalten, herzustellen oder zu untermauern. Welche dieser drei Prozesse als relevant erachtet werden, hängt von der jeweiligen Perspektive der Akteur*innen ab. In allen Fällen lautet das Versprechen: Das Unübersetzte schützt die wissenschaftliche Sinnstiftung. Aus der Perspektive der Ausgangstextautor*innen obliegt die Erwartung, durch das Unübersetzte – ohne Unterstrich – die eigene Sinnstiftung kontrollieren zu können, einer grundlegenden Fehlinterpretation translatorischer Prozesse. Wenn Wissenschafter*innen davon ausgehen, ihre eigene Interpretation schützen zu können, indem sie die Übersetzung ihrer Texte verhindern, erschweren oder hinauszögern, dann obliegt dies der Vorstellung, dass die Originalität und Kontrolle einer Idee, eines Begriffs oder eines Textes, bei der ersten Niederschrift nicht verlorengeht, sondern im »heiligen Original« erhalten bleibt. Die Angst vor der Verzerrung der Sinngebung hingegen wird dem Wechsel in eine andere Sprache zugeschrieben, denn andere im wissenschaftlichen Feld anerkannte Formen des Rewritings, welche vom direkten Zitat über die Paraphrase bis hin zur Neuedition reichen, übersetzen oder interpretieren ebenso bereits veröffentlichte Texte, Gedanken und Argumentationen anderer Forscher*innen und werden nicht mit demselben Argwohn betrachtet, wie dies beim Wechsel in eine andere Sprache der Fall ist. Besonders deutlich zeigt sich diese Diskrepanz bei der Darstellung ethnografischen Materials in Publikationen, die nicht der Sprache des Untersuchungskontextes entsprechen. Wissenschafter*innen betonen die Originalität ihres untersuchten Materials – seien dies Korpora, Interviewtranskripte, Dokumente, Feldnotizen oder jegliche Formen audiovisueller Artefakte –, indem diese un_übersetzt belassen werden und damit deren immanente epistemische Autorität bestätigt wird. Un_übersetzt benötigt dabei den Unterstrich, denn eine Übersetzung findet dennoch durch die Auswahl relevanter Quellenzitate sowie die Interpretation des Materials statt. In diesen wissenschaftlichen
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Praktiken verspricht das Un_Übersetzte eine authentische, nachvollziehbare und intersubjektiv kritisierbare Authentizität dieser (scheinbar) originalen Materialien. Wie fehlgeleitet diese Erwartung an das Un_Übersetzte eigentlich ist, bezeugt in der Kulturanthropologie die Writing Culture-Debatte, welche nicht zuletzt auf die mannigfaltigen Übersetzungsinstanzen hinweist, die wissenschaftliches Material vor ihrer Niederschrift bereits durchläuft (Clifford und Marcus 1986/2010). Neben diesem Element der wissensimmanenten Sinnstiftungskontrolle durch die Nicht-Übersetzung, kann die Dimension der epistemischen Autorität in Aushandlungsprozessen zwischen Ausgangstextvertreter*innen und Translator*innen beobachtet werden, wie sie in weiterer Folge näher betrachtet werden. Die Differenzierung und Beschreibung der vier vorgeschlagenen Dimensionen der Versprechen des Un_Übersetzten im Feld der Geistesund Sozialwissenschaften thematisiert positive Seiten des Unübersetzten. In den drei nun folgenden Abschnitten wird anhand konkreter Beispiele herausgearbeitet, wie diese Versprechen vokalisiert werden, welche Auswirkungen diese auf die translatorische Praxis haben und wie diese mit anderen Praktiken des wissenschaftlichen Feldes verwoben sind. Dafür wird zunächst das Englische als Lingua franca und »Verhinderer« von Übersetzung thematisiert, anschließend das Zusammenspiel von Wissenszirkulation und Komplexitätsreduktion bei gleichzeitiger Beanspruchung epistemischer Autorität durch die Übersetzerin von Auguste Comte ins Englische – Harriet Martineau – diskutiert und schließlich auf die leeren Versprechen des Unübersetzten eingegangen, welche in der Interaktion zwischen Norbert Elias und seinen Übersetzern zutage treten.
Englisch als Lingua franca: Un_übersetzt im Dienste der Wissenschaft In einem ersten beispielhaften Szenario soll – in äußerst gekürzter Art und Weise – das Versprechen des Un_Übersetzten durch die Verwendung des Englischen als (quasi) globale Lingua franca der Wissenschaft thematisiert werden. So lautet die implizite Annahme in diesem Fall,
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unübersetzt zu bleiben spart Zeit, Geld, Energie und bringt Prestige, Reichweite und den Vorteil, die (angeblich) am weitesten entwickelte Wissenschaftssprache nutzen zu können. Unübersetzt bleiben dabei sowohl »autochthon« englischsprachige Wissenschafter*innen, wie auch solche, die sich der Lingua franca bedienen, obwohl ihr Forschungsmittelpunkt oder Forschungsobjekt einem anderen Sprachraum angehören. Die Argumentation in diesem Fallbeispiel beruht auf Ergebnissen von Arbeiten aus dem Bereich der Translationssoziologie, die anhand von Übersetzungsstromdaten und Beobachtungen zur globalen Zirkulation wissenschaftlichen Wissens versuchen, Muster der Sprachenverwendung und Übersetzung wissenschaftlicher Werke zu identifizieren. Gisèle Sapiro beschreibt dies wie folgt: »Because English reaches a larger international audience and holds a central position in the world market of translation, scholars from peripheral countries who seek recognition often choose to write (or at least to publish directly) in a central language, most often English. For instance, the renowned Slovenian thinker Slavoj Žižek’s international career started with the publication of his first book in English, The Sublime Object of Ideology, in 1989. This trend reinforces the domination of the English language in the global field of social sciences.« (Sapiro 2018, 65) Das Versprechen des Un_Übersetzten wird zumindest dann eingelöst, wenn Wissenschafter*innen – aus einer anderen Wissenschaftssprachgemeinschaft stammend – sich dazu entschließen, zuerst oder sogar ausschließlich auf Englisch zu publizieren, ohne den »Umweg« über lokale Sprachen zu gehen. In dieser Strategie kommt eine Schattenseite des Un_Übersetzten zum Vorschein, welche aus einer (pseudo-)globalisierten Wissenschaftslandschaft resultiert. Spätestens seit Ende des Kalten Krieges inszenieren Nationalstaaten, supranationale wissenschaftliche Organisationen, Medienhäuser und andere Akteur*innen einen »Wettkampf des Wissens« auf globaler Ebene, der nur dann – mit positivistischen Mitteln – nachvollziehbar wird, wenn sich alle Beteiligten in derselben Sprache messen. Die translato-
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rische Machthandlung findet in diesem Zusammenhang nicht nur in Form konkreter Aushandlungsprozesse zwischen Akteur*innen statt, sondern nimmt ihren Ursprung in der Beziehung unterschiedlicher Sprachen zueinander. So werden bei Talal Asad diese Ungleichheit der Sprachen in Bezug auf in anthropologischer Forschung immanente Übersetzungsprozesse benannt: »To put it crudely: because the languages of Third World societies – including, of course, the societies that social anthropologists have traditionally studied – are ›weaker‹ in relation to Western languages (and today, especially to English), they are more likely to submit to forcible transformation in the translation process than the other way round.« (Asad 1986, 157f.) Diese Aussagen zum Ungleichgewicht der Machtverteilung im Aushandlungsprozess von Sinnstiftung unterschiedlicher Sprachen lässt sich gegenwärtig auf den Umgang mit Wissenschaftssprachen fast aller Sprachgemeinschaften ummünzen. Denn der Rückgriff auf das Englische als Lingua franca durch anderssprachige Forscher*innen kann als eine solche Unterwerfung verstanden werden, die durch den Verzicht auf die Produktion eines Ausgangstextes Ausdruck findet. Verzichten nun ganze Kollektive von Forscher*innen darauf, ihre wissenschaftlicher Texte in der lokalen oder regionalen Gebrauchssprache zu produzieren, verstärkt sich – mit der Zeit – die Machtungleichheit im Kampf um Sinnstiftung zwischen der Lingua franca und den anderen Sprachen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Pluralität von Wissenschaftssprachen, die Kommunikation wissenschaftlichen Wissens in lokalen populären Diskursen und die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung ganzer Denk- und Argumentationsweisen. Als Epistemizid bezeichnet Karen Bennett diesen Prozess, welcher aus den individuellen Entscheidungen von Wissenschafter*innen, unübersetzt zu bleiben, resultiert und im wissenschaftlichen Feld durch die Hinwendung zur Lingua franca vorangetrieben wird: »For the way that a particular culture formulates its knowledge is intricately bound up with the very identity of its people, their way of mak-
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ing sense of the world and the value system that holds that worldview in place. Epistemicide, as the systematic destruction of rival forms of knowledge, is at its worst nothing less than symbolic genocide.« (Bennett 2007, 154) Für individuelle Forscher*innen ist das Versprechen, Reichweite durch die direkte Kommunikation in einer Lingua franca zu gewinnen, positiv behaftet. Diese positive Assoziation ist jedoch das Resultat einer perspektivischen Täuschung, die sich schließlich in der wissenschaftlichen Definition von Sprachen als zentral und peripher fortsetzt. Wissenschafter*innen teilen in einem solchen Szenario nicht (mehr) die Sprache ihrer unmittelbaren Umgebung, können womöglich nicht auf Argumentationsweisen, Denktraditionen oder auch Phänomene verweisen, die mit ihrer lokalen Umgebung verbunden sind, und schränken in weiterer Folge die eigene Entwicklung ihrer lokalen Wissenschaftssprachen, aber auch Forschungsschwerpunkte ein. Das Versprechen des Un_Übersetzten wird jedoch dann eingehalten, wenn durch den Rückgriff auf die Lingua franca eine transnational agierende wissenschaftliche Gemeinschaft begründet werden kann und, im besten Fall, eigenständige Denkkollektive im sprach- und nationale Grenzen überschreitenden Austausch miteinander treten können, wie dies etwa durch rezente Bewegungen zur Dekolonisierung von Methodologien (Smith 2012) oder der transnational studies (Khagram 2008) der Fall ist.
Harriet Martineau zirkuliert Auguste Comte un_übersetzt Das zweite Szenario greift auf die beeindruckende Übersetzung der Politikwissenschafterin, Soziologin und Übersetzerin Harriet Martineaus zurück. Martineau übersetzt im 18. Jahrhundert Auguste Comtes französische Philosophie Positive ins Englische und wird schließlich Zeugin einer Zirkulationsbewegung ihrer Übersetzung zurück ins Französi-
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sche.3 Dieses Beispiel illustriert, wie die im Un_Übersetzten verhafteten Dimensionen der Versprechen der Reichweite, Distinktion und epistemischen Autorität verschränkt sind. Als Ausgangspunkt dient das Vorwort der Übersetzerin. In diesem Vorwort zur Übersetzung stellt Harriet Martineau zunächst das Fehlen eines Bedarfs für ihr Translat fest: »It may appear strange that, in these days, when the French language is almost as familiar to English readers as their own, I should have spent many months in rendering into English a work which presents no difficulties of language, and which is undoubtedly known to all philosophical students.« (Martineau, in Comte 1853, v) Ihre translatorische Praxis steht also scheinbar im Widerspruch zur Erwartung, durch Übersetzung neues Wissen in einem Zielfeld zugänglich zu machen. Daher benötigt Martineau eine andere Begründung, ein anderes »Versprechen«, welches ihre Übersetzung einzulösen im Stande sein sollte, und es ist jenes, welches auf dem des Un_Übersetzten beruht, denn Martineau verzichtet darauf, weite Teile des französischen Textes ins Englische zu übersetzen. So reduziert und komprimiert sie Comtes sechs in etwa 800 seitenstarke Bände auf zwei übersichtliche englischsprachige Bücher. Ihr Narrativ im translatorischen Peritext verbindet die Dimension der Reichweite mit jener der Distinktion, wenn sie schreibt: »A stronger reason [for the translation] was that M. Comte’s work, in its original form, does no justice to its importance, even in France; and much less in England. It is in the form of lectures, the delivery of which was spread over a long course of years; and this extension of time necessitated an amount of recapitulation very injurious to its interest and philosophical aspect. M. Comte’s style is singular. It is at the same time rich and diffuse. Every sentence is full fraught with meaning; yet it is overloaded with words. His scrupulous honesty leads him to guard 3
Siehe auch die in Wien erstellte Masterarbeit von Daniela Schlager (2018), die sich mit der Übersetzerin Harriet Martineau und einigen Paratexten genauer beschäftigt.
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his enunciations with epithets so constantly repeated, that though, to his own mind, they are necessary in each individual instance, they become wearisome, especially towards the end of his work, and lose their effect by constant repetition. This practice, which might be strength in a series of instructions spread over twenty years, becomes weakness when those instructions are presented as a whole; and it appeared to me worth while to condense his work, if I undertook nothing more, in order to divest it of the disadvantages arising from redundancy alone. My belief is that thus, if nothing more were done, it might be brought before the minds of many who would be deterred from the study of it by its bulk. What I have given in these two volumes occupies in the original six volumes averaging nearly eight hundred pages: and yet I believe it will be found that nothing essential to either statement or illustration is omitted.« (Martineau, in Comte 1853, vi-vii, eigene Hervorh.) Martineau kürzt nicht, sie komprimiert und verdichtet den Text. Zugleich behauptet sie, dessen Aussagen und Inhalte getreu dem Ausgangstext und ohne Auslassung in ihrer englischen Fassung wiederzugeben. In diesem Vorwort sieht sich die Übersetzerin nicht daran gehindert, von einer vollständigen und inhaltlich kompletten Übersetzung zu sprechen, obwohl der Ausgangstext äußerst selektiv übersetzt wurde. In ihren abschließenden Worten »I believe it will be found that nothing essential […] is omittet« (ebda.) verknüpft sie ihre translatorische Arbeit mit ihrem Anspruch auf epistemische Autorität, den sie sich als Wissenschafterin zugesteht. Besonders prägnant wird dieses von ihr selbst geäußerte Versprechen des Un_Übersetzten dadurch, dass Comte – zu diesem Zeitpunkt noch am Leben – die Übersetzung zur Kenntnis nimmt und diese schließlich selbst als eine bessere Fassung seines Textes begreift. In einer Vorbemerkung des Verlegers der englischen Fassung aus 1875 wird der (späte) Erfolg der Philosophy nicht zuletzt Martineaus Kondensationsarbeit zugute geschrieben: »Is it not for us to speak of the execution of this work; but we may fitly mention, that it was so highly approved by the author himself, that, in his annual issue of his catalogue of works sanctioned by him, he substituted Miss Martineau’s version for the original. In consequence
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of this her version has been, since his death, retranslated into French for the sake of its diffusion among the author’s own countrymen.« (The Publishers’ Anouncement, in Comte 1975) Die englische Fassung findet ihren Weg in Comtes jährliche Bibliografie seiner Schriften, in der diese seine eigene französische Fassung ersetzt. Kurz nach seinem Tod erscheint schließlich eine Rückübersetzung Martineaus – man könnte fast sagen un_übersetzter – Version des Textes ins Französische.4 Damit illustriert diese Übersetzung, wie Unübersetztes das Versprechen der Zugänglichkeit und Reichweite einzulösen im Stande ist, indem die Übersetzerin sich des Interpretationsspielraums zwischen dem Übersetzten und Unübersetzten bedient. Eingebettet wird die mondäne Zielsetzung, die Reichweite des Textes zu erhöhen, durch Martineaus Distinktionsnarrativ. Martineau argumentiert, dass das Un_übersetze überhaupt erst die angemessene Anerkennung Comtes ermöglicht und zugleich lediglich durch die Strategie der Auslassung eine ausgangstexttreue Darstellung seiner Argumentation hergestellt werden kann.
Leere Versprechen und der Versuch Übersetzung zu kontrollieren Das dritte Szenario widmet sich in erster Linie der Dimension der epistemischen Autorität, welche auf dem Kampf um ebendiese beruht. Der Kampf um epistemische Autorität ist ein Kampf um Kontrolle über Sinngebungen wissenschaftlicher Ausdrucksweisen, Interpretationen und Konzeptualisierungen. Grundsätzlich betrifft dieser Kampf alle Bereiche und Formen der wissenschaftlichen Kommunikation. Besonderes Anrecht auf Interpretationshoheit stellen Wissenschafter*innen jedoch meist an ihre eigene Arbeit – auch wenn diese übersetzt werden soll. Dieser Umstand bildet den Ausgangspunkt für dieses letzte Fallbeispiel.
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Zuerst erschienen als »Martineau, Comte, and Avezac-Lavigne 1871«.
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Translation als vermittelte Form der Kommunikation führt, wie weiter oben ausgeführt, unweigerlich zu Transformationen in der Sinngebung. Unübersetzt zu bleiben kann das Versprechen bergen, nicht missverstanden zu werden und scheinbar das Risiko zu reduzieren, in einer missinterpretierten Fassung im transnationalen Ideenzirkel unwiderruflich einbezogen zu werden. Obwohl die meisten Wissenschafter*innen eine (totale) Kontrolle der Sinnstiftung und Interpretation als unmöglich betrachten, kommt es in der Aushandlung mit Übersetzer*innen zu weitaus stärkeren Konfrontationen mit dieser Problematik als bei anderen wissenschaftlichen Publikationsprozessen. Als Beispiel für eine solche konfrontative Auseinandersetzung dient ein Auszug aus der Korrespondenz zwischen dem deutschschreibenden Soziologen Norbert Elias (1897-1990) und seinen Übersetzern, welche Fabian Link (2019) an anderer Stelle und mit einer anderen Fragestellung im Detail aufarbeitet. Wie viele andere jüdische Wissenschafter*innen auch musste Norbert Elias 1933 aus Deutschland nach Großbritannien auswandern. Sein bekanntestes Werk Über den Prozess der Zivilisation veröffentlichte er 1939 erstmals auf Deutsch. Obwohl er in Deutschland bereits an einer Habilitation gearbeitet hatte, konnte er aufgrund seiner geringen Englischkenntnisse nicht jene argumentative Tiefe und jene spezifischen Begrifflichkeiten entwickeln, die er von sich selbst erwartete und die seine Arbeit im Deutschen auszeichnet. Daher gelang es ihm auch nicht, sich im universitären Umfeld in Großbritannien zu etablieren, und so musste er seine wissenschaftliche Tätigkeit größtenteils in prekären Positionen fortsetzen. Diese gingen mit ökonomischer Knappheit einher und ermöglichten es ihm nicht, seine deutschen Werke rasch ins Englische übersetzen zu lassen. Daher waren auch viele der Übersetzer – Übersetzerinnen kommen in der Aufarbeitung von Link nicht vor –, mit denen er zu tun hatte, Freunde und Weggefährten, die einen Großteil der translatorischen Arbeit unentgeltlich vornahmen (siehe Link 2019). Um Missverständnissen vorzubeugen, sei angemerkt, dass Elias letztendlich noch zu seinen Lebzeiten in weiten Teilen ins Englische übersetzt wurde.
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Aus Elias’ Austausch mit einigen Übersetzern wird seine Hoffnung, epistemische Autorität über sein Werk bewahren zu können, indem er die Übersetzer*innen kontrolliert oder sogar die Übersetzung verhindert, deutlich. Die Auszüge aus seiner Korrespondenz veranschaulichen drei für das Versprechen des Un_Übersetzten aufschlussreiche Elemente seiner Argumentation: Im ersten Textauszug wird die Seinsgebundenheit des Elias‘schen Denkens mit der Problematik der Asymmetrie der Sprachen in Verbindung gebracht. Im zweiten Ausschnitt verteidigt Elias auf einer emotionalen Ebene seine Interpretationshoheit, und das dritte Beispiel illustriert des Ausgangstextautors Einschätzung der eigenen Sinngebungsklarheit, die – aus seiner Sicht – keinen Interpretationsspielraum erlaubte. Der erste Textauszug bezieht sich auf Elias’ Sicht und seine Perspektive auf mögliche begriffliche Missverständnisse. Zitiert wird hierfür ein von Link entdeckter Austausch zwischen einem Sammelbandherausgeber eines übersetzten Artikels, Volker Meja, und Norbert Elias: »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass diese Übersetzung in vieler Hinsicht ganz unzulänglich ist. […] Ich habe gute sachliche Gründe dafür, mich in vielen Fällen nicht mit dem landläufigen Begriff ›Macht‹ zu begnügen […]. ›Figuration‹ ist für mich ein soziologisches Schlüsselwort mit einer höchst spezifischen Bedeutung. Es ist einfach nicht möglich, diesen Begriff durch das unspezifische, wenn auch geläufigere ›configuration‹ zu ersetzen.« (Elias, in Link 2019, 169) In diesem ersten Austausch werden jene Dimensionen des Un_Übersetzten relevant, die etwa zur Schaffung Barbara Cassins Dictionnaire des Intraduisibles geführt haben. Es sind Dimensionen eines Begriffs, die an den sprachlichen Realitäten hängen und sich nicht mit einem Wort übertragen lassen, sondern immer wieder übersetzt werden müssen. Anstatt dies auszuführen, beharrt Elias darauf, Begriffe zu schaffen oder finden zu lassen, die »Äquivalenz« herstellen sollen, ein Ziel, welches von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Der zweite Ausschnitt stammt aus einem Brief von Elias an einen seiner Schüler, der sein Hauptwerk Über den Prozess der Zivilisation übersetzen wollte:
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»Moreover, what I know of your own theory appears to me rather as a regression than as a progression in relation to what I try to do […] I am greatly worried about how little you and also Stephen [Mennell] really understand of the human impetus behind my theoretical and empirical work. I am worried that after my death what I have done will be presented in a sense that is quite contrary to the meaning it has for me.« (Elias, in Link 2019, 168) In diesem Beispiel wird ein Kernmerkmal der wissenschaftlichen Übersetzung geäußert, denn Elias versucht die Kontrolle über die Deutungshoheit seines zu Schrift gebrachten Denkens zumindest bis zu seinem Tod zu halten und schreckt dabei nicht davor zurück, auf einer emotionalen Ebene jenen Personen ein Missverstehen seiner Theorien vorzuwerfen, die diese eigentlich sehr genau kennen und deren wissenschaftliches Schaffen er stark beeinflussen konnte. Dies trifft insbesondere auf den angesprochenen Stephen Mennell zu, der in weiterer Folge zahlreiche Werke über Elias verfassen wird und auch als Übersetzer seiner Schriften tätig bleibt. Im Kampf um epistemische Autorität verlangt Elias schließlich von den Übersetzern eine uneingeschränkte Perspektivenübernahme, die er selbst als unproblematischen Schritt betrachtet, denn »they [Elias Sätze] say exactly what I meant them to say and so if they are translated too freely or with a very different emphasis the meaning becomes distorted or even inaccurate« (ebda., 172). In ihrer Zusammensetzung lassen sich diese drei Textausschnitte als eine versteckte Hoffnung, unübersetzt zu bleiben oder zumindest das Un_Übersetzte, d.h. das Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und Unübersetzten zu kontrollieren, interpretieren. Wenn Ausgangstextautor*innen Missverständnisse und Ungenauigkeiten vollständig vermeiden möchten, sind sie gezwungen, unübersetzt zu bleiben, so das Narrativ. In diesen Aushandlungen zwischen Elias und vermittelnden Akteur*innen wird die Verschränkung der metaphorischen Ebenen des Übersetzungsbegriffs und seiner konkret erkennbaren Form als interlinguales Translat besonders deutlich erkennbar. Elias befürchtet eine generelle Missinterpretation seines Denkens nach seinem Tod, äußert
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diese Bedenken an der »Übersetzung« seines Denkens durch andere jedoch insbesondere, wenn er eine »interlinguale« Übersetzung seiner Schriften ausverhandelt. Die Auseinandersetzung mit diesem Fallbeispiel birgt schließlich die Frage danach, ob ein Recht auf Unübersetztheit besteht oder – aus translationsethischer Perspektive – bestehen sollte.
Conclusio Die Aushandlung darüber, was übersetzt wird und was nicht – welche impliziten und expliziten Bedeutungsebenen, Textstellen, Autor*innen, Aspekte der Ästhetik, Sprachmelodie –, ist in der Übersetzung geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke stets mit der Frage der Zuerkennung und Ausverhandlung epistemischer, oder breiter ausgedrückt, wissenschaftlicher Autorität verbunden. Die in diesem Beitrag vorgenommene Hinwendung zu Versprechen des Un_Übersetzten ermöglichte einen Blick auf positive Merkmale und Erwartungen an das Unübersetzte. Sie führte dabei insbesondere zur Erkenntnis der temporären Gültigkeit translatorischer Produkte und der akteurszentrierten Aushandlung translatorischer Prozesse. Die Ausformulierung und exemplarische Darstellung von Versprechen des Un_Übersetzten deutete außerdem auf die unterschiedlichen Ziele verschiedener Akteur*innen hin, die im translatorischen Prozess involviert sind und dazu beitragen, die Machthandlung Translation zu operationalisieren. Neben der Reduktion von Komplexität als übergreifende Dimension aller Versprechen des Un_Übersetzten wurde darauf eingegangen, wie das Spiel mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Übersetzten und Unübersetzten in wissenschaftlichen Übersetzungen sich aus der Erwartung, höhere Reichweite zu erreichen, erklären lässt. Des Weiteren wurde auf translationsbezogene Strategien des Un_Übersetzten eingegangen, welche Wissenschafter*innen dabei verhelfen, ihre Gruppenzugehörigkeit zu bestätigen und sich von anderen abzugrenzen, was mit der Dimension der Distinktion umschrieben wurde. Schließlich wurde auf die Verbindung des
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Un_Übersetzten mit dem Kampf um epistemische Autorität im wissenschaftlichen Feld eingegangen. Dabei konnte festgestellt werden, dass Übersetzer*innen, veranschaulicht anhand von Harriet Martineau, und Ausgangstextautor*innen, veranschaulicht anhand von Norbert Elias, ein Interesse am Unübersetzten entwickeln können und sich größere epistemische Autorität versprechen, wenn sie das Un_Übersetzte zu kontrollieren im Stande sind. Insbesondere der Umgang mit epistemischer Autorität wirft ethische Aspekte des Übersetzens auf, die noch weiter auszuloten sind; und kulminiert in der Frage nach dem Recht; fremd bzw. unverstanden zu bleiben. Ein weiterer konzeptioneller Erkenntnisgewinn geht aus den Versprechensdimensionen, welche aus der Denkfigur des Un_Übersetzten rekonstruiert wurden, hervor und welche zur Entwicklung eines anti-normativen Vokabulars zur Beschreibung von Übersetzung geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Texte beitragen. Nicht die Frage nach der »korrekten/richtigen« oder »besten« Übersetzung, Interpretation und Darstellung steht im Vordergrund einer solchen Heuristik, wenn man nach den Versprechen des Un_Übersetzten sucht, sondern die temporäre und situative Funktionalität von Übersetzung, welche sich aus der Instabilität von Bedeutungszuschreibungen und der Perspektivenübernahme der involvierten Akteur*innen ergibt.
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Since European and Jewish Enlightenment, Jewish literatures and cultures have been shaped to a high degree by plurilingual and transnational settings and experiences and by processes of encounter and transformation. Engendering exchange, these processes were and continue to be accompanied by various translation processes that encompass debates on the prerogative of interpretation as well as on lingual mobility (e.g. exophony). Several of these facets have been addressed in recent scholarly debates on world literature and the literature of migration. Moments and forms of the »untranslated« play a crucial role in Jewish literatures. This article discusses the »untranslated« on the levels of diegesis and reception, drawing exemplarily on historical and contemporary Jewish writing and the strategic use of language, comedy and humour for the pursuit and expression of resilience and subversion.
Einführung Der Klassiker der modernen jiddischen Literatur, Sholem Aleichem (1859-1916), veröffentlichte serialisiert zwischen 1895 und 1916 einen seiner wohl bekanntesten Romane: Tewje, der milkhiger, d.h. »Tewje, der Milchmann«. Der titelgebende Held berichtet darin tragikomisch
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über sein schweres Leben im Shtetl, über den Wandel jüdischer Lebenswelten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Osteuropa. Wenngleich ohne (formale) höhere Bildung verfügt er dennoch über Kenntnis der Tora und des Talmuds und zitiert passend daraus entsprechend der jeweiligen Situation. Im Gespräch mit Leiser-Wolf, einem potenziellen Heiratskandidaten für seine Tochter Zeitel, formuliert Tewje: »Aber es macht nichts, ich muß auch so Gott danken, wie es im Talmud steht: ›Askekurdo demaskanto dekrarnuso defarsamchto!‹ Und dabei denke ich mir: ›Du sollst so gesund sein, Fleischer, wie es im Talmud eine solche Stelle gibt!‹« (Scholem Alejchem 1922/1970, 57, eigene Hervorh.) So lautet die Stelle in der Übersetzung von Alexander Eliasberg aus dem Jahr 1922. In der Fassung von Armin Eidherr aus dem Jahr 2002 lautet sie: »›Es steht doch im Talmud: ›Hokusiyo pokusatho simsalatho bimsuliyo‹, sagt Tewje.« (Scholem Alejchem 2002, 70, eigene Hervorh.) In seiner Aussage verwendet Tewje folglich einen für Leiser-Wolf unverständlichen, scheinbar anderssprachlichen Ausdruck. Über die Frage hinaus, zu der ich später zurückkehre, wie, mit welchen Mitteln und aus welcher kulturellen Position heraus Eliasberg und Eidherr in ihrer Übersetzung vorgegangen sind, zeigt sich hier, wie kommunikative Inkongruenzen im Text selbst angelegt sind und erzeugt werden. Das bewusst eingesetzte Unverständliche, das Unübersetzte, dient als Mittel der Figurencharakteristik in der Erzählhandlung, der Diegese, und konturiert eine asymmetrische Gesprächssituation. Zugleich zielt es ebenso auf den Leseakt, den Rezeptionsprozess ab, finden sich doch gleichermaßen die Leserin, der Leser aufgefordert, diese Äußerung in ihrer sprachkulturellen Bedeutung einzuordnen. Jüdische Kulturen und Literaturen zeichnen sich in hohem Maße durch Formen von Mehrsprachigkeit, Translingualität, von Mobilität aus. Die Geschichte der Diaspora, von Migration und Exil führt(e) zu diversen innerjüdischen Begegnungen, seit der Aufklärung verstärkt auch
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zu jüdisch-nichtjüdischen Interaktionen. Sie bedingt(e) die Ausbildung von heterogenen Erfahrungsräumen, die auf Aushandlungsprozessen beruht und durchaus Transgressionen beinhaltet. Die vielfältigen »Verschränkungen« (Miron 2007) der jüdischen Literaturen schlossen mithin ebenso die Komplexität von Relationen der Nachbarschaft (ebda.), von »Zentrum« und »Peripherie« (Levy und Schachter 2015) ein wie allgemein von kulturellen und sprachlichen Wechselbeziehungen (Lezzi und Salzer 2009; Wirth-Nesher 1994). Übersetzung und der diskursiven Auseinandersetzung mit ihr kamen und kommen insofern eine prominente Stelle in der jüdischen Geistesgeschichte zu, oder wie Petra Ernst feststellt, zeigt sich eine »besondere Affinität jüdischer Lebenswelten zu Fragen der Übersetzung« (2014, 14). In der rezenten Forschung erweitern Betrachtungen zu Akteur*innen von Übersetzung (etwa Arnold 2019) und den sich daran anschließenden gesellschaftlichen Diskursen (etwa Grossman 2018; Marten-Finnis und Terpitz 2012; Terpitz und Windsperger 2019) die generelle Fragestellung nach der Position von Übersetzung in jüdischen Kulturen und benennen implizit, wenn etwa Rezeptionsbrüche oder Begriffstransponierungen verhandelt werden, Phänomene des Unübersetzten. In jüdischen Literaturen, kurzum, verdichten sich Phänomene, Prozesse und Erscheinungsformen, wie sie gegenwärtig insbesondere für »Migrationsliteratur/en« in den Fokus gerückt sind, etwa Exophonie – das Schreiben in einer zweiten Sprache – (z.B. Arndt, Naguschewski und Stockhammer 2007; Ivanovic 2010; Schmitz-Emans 2004), oder aber wie sie in Konzeptionen von Weltliteratur diskutiert werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Übersetzung bzw. Nichtübersetzung, nach deren Grenzen und Möglichkeiten, ist keine neue. Jedoch ist sie in den letzten Jahren im Zuge der diversen turns, von Globalisierung und von neuen Konzeptionen zu Weltliteratur (etwa Apter 2013; Damrosch 2003; Ette 2001) wieder verstärkt in die Aufmerksamkeit von Translations-, Kultur-, Literaturwissenschaften gerückt und hat eine Fülle an Überlegungen hervorgebracht wie auch Kontroversen initiiert. Emily Apter (2013) etwa entgegnet Konzepten von Weltliteratur, die auf genereller Übersetzbarkeit und allgemeiner Zugänglichkeit von Li-
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teratur – insbesondere in englischer Sprache – beruhen, ihre Skepsis und ihren Vorbehalt, anders gewendet, ihre Pointierung der Differenz, die sie im Konzept der Unübersetzbarkeit erfasst. Die »Domestizierung von Sprache«, wie sie Venuti bereits 1995 beschreibt, entwerfe eine hegemoniale Einhegung, gar Homogenisierung von Sprache und Kultur, die die Unterschiede von Erfahrung, von politischen Positionen in den Hintergrund verschieben. Wie also gestaltet sich in literarischen Texten das Aushandeln in Settings, die nicht einsprachig, nationalsprachig oder national homogen sind, sondern vielmehr geprägt sind von Mehrsprachigkeit, Mobilität und die plurale Erfahrungsbereiche aufweisen, die sich einer semantischen Eindeutigkeit entziehen? Wie werden Bruchzonen, Irritationen, das Dazwischen narrativ gefasst? Zumal dem literarischen Ausdruck, gleichsam einem kommunikativen Akt, dabei a priori die Transponierung von Welterfahrung eingeschrieben ist, d.h. die Übertragung, Anverwandlung, Kondensierung von Erfahrungen, Wissen und Positionen ins Fiktionale, ins Fiktive.1 An ausgewählten Beispielen aus den jüdischen Literaturen geht der Aufsatz der Frage nach, wie das Unübersetzte in Texten als produktive Strategie eingesetzt wird, mithin das Potenzial des Nicht-Vermittelten erkundet und gestaltet wird. Anders gesagt, wie sich un_übersetzt als eine Strategie der Subversion, der Resilienz, der Emanzipation bzw. Ermächtigung der eigenen Stimme, der Erlangung von Präsenz und Deutungshoheit zeigt, die häufig mit Formen des Humors, der Komik einhergeht. Dabei handelt es sich nicht um eine Systematisierung von translatorischer Mimesis, wie sie Meir Sternberg (1981) vorschlägt, sondern vielmehr darum, dieser narrativen Strategie exemplarisch sowohl auf der Handlungsebene des Texts als auch im Leseakt nachzuspüren.
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Der Literaturwissenschafter Friedmar Apel etwa definierte Literatur als Ort der Widerständigkeit, als kritische Instanz: »Und meine Aufgabe ist, egal wen das interessiert, sie [die Literatur; O.T.] dem Konformismus aus den Händen zu nehmen und sie als symbolischen Ort der Widerständigkeit zu erweisen.« (Platthaus 2018).
Das Un_Übersetzte als Strategie der Subversion und Resilienz in jüdischen Literaturen
Von Sholem Aleichem zu Ephraim Kishon: un_übersetzt als Erzählstrategie Kehren wir zu der eingangs zitierten Stelle aus Sholem Aleichems Tewje, der Milchmann zurück. In der Übersetzung von Eliasberg lautet sie: »Aber es macht nichts, ich muß auch so Gott danken, wie es im Talmud steht: ›Askekurdo demaskanto dekrarnuso defarsamchto!‹« Auf der Ebene der Erzählhandlung bzw. Diegese, wie sie in der Narratologie (Genette 2010) benannt wird, äußert Tewje dem Hochzeitskandidaten Leiser-Wolf gegenüber folglich eine Phrase, die scheinbar dem Talmud entstammt und suggeriert, in rabbinischem Hebräisch gehalten zu sein. Tewje ruft damit eine Sentenz, eine Auslegung bzw. Weisheit aus der religiösen Tradition auf, die Leiser-Wolf nicht erkennt bzw. gar nicht erkennen kann. Denn Tewje hat sowohl den sprachlichen Ausdruck als auch die Referenz erfunden und führt Leiser-Wolf damit in doppelter Hinsicht vor, wenngleich dieser das selbst nicht versteht: Im traditionellen Kontext des Shtetls spielten für das soziale Prestige eines jüdischen Mannes die Kenntnis der heiligen Sprache und das Wissen um die Texttradition, d.h. zumindest ein gewisser Grad an Gelehrsamkeit eine wesentliche Rolle. Leiser-Wolf, im Unterschied zu Tewje, verfügt über keine Kenntnisse des Hebräischen und der jüdischen Texttradition, wodurch ihm ein geringerer sozialer Status zukommt; er kann mithin auch den Spott, der in Tewjes kreativer Sprachfiktion liegt, nicht nachvollziehen. Das intentional herbeigeführte »Nicht-Verstehen« zwischen den beiden Figuren bezeichnet damit einen bewussten Bruch in der Kommunikationssituation und eine soziale, kulturelle Hierarchisierung und Wertung auf der Ebene der Erzählhandlung. An einer weiteren Stelle festigt Sholem Aleichem diese Erzählstrategie: »›Und im Talmud‹, sage ich, ›steht…‹ Und ich haue ihm eine Talmudstelle um den Kopf, und noch eine, und eine dritte – natürlich lauter Unsinn, ein Gemisch aus dem Hohelied und dem ›Chad-Gadjo‹«. (Scholem Alejchem 1922/1970, 61) Wie zeit-, diskurs- und wissensgebunden diese Erzählstrategie ist, scheint ebenso in den beiden differierenden Übersetzungen von Eli-
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asberg und Eidherr auf. Die Wiedergabe der Phrase bei Eliasberg – »Askekurdo demaskanto dekrarnuso defarsamchto!« – knüpft klanglich und scheinbar grammatikalisch an die talmudische Diktion an. Im Akt des Lesens ist es folglich an der Leserin und dem Leser, vor dem Hintergrund ihres/seines Wissens und ihrer/seiner Erfahrungen, das Sprachspiel von Sholem Aleichem und seinem Protagonisten zu erkennen und einzuordnen. Eliasberg weist in seiner Übersetzung der Rezipientin, dem Rezipienten, anders als Sholem Aleichem seiner Figur Leiser-Wolf in der Erzählhandlung, die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit zu, das Sprachspiel zu kontextualisieren. Eidherrs rezente Übersetzung folgt hingegen einer anderen Übersetzungsstrategie, die ein weniger mit jüdischer Tradition vertrautes Lesepublikum antizipiert. Seine Wiedergabe – »Hokusiyo pokusatho simsalatho bimsuliyo« – betont klanglich das »Exotische« oder Zauberhafte, genauer noch greift er auf die phonetische Ähnlichkeit zu dem Zauberspruch »hocus pocus fidibus« zurück. Dessen lateinisch klingende Worte stellen mithin auf einen eher christlich geprägten Erwartungs- und Erfahrungshorizont des Lesepublikums ab. Es betont aber ebenso die Nähe, auch in Bezug auf das »Exotische«, auf die arabisch anmutende Formel »hokus pokus simsalabim«. Sowohl auf der Ebene der Erzählung, d.h. beispielsweise die Beziehung zwischen Figuren, als auch auf der Ebene der Rezeption, d.h. beispielsweise die Beziehung zwischen Text, Erzähltem und Lesepublikum, zeigt sich das Unübersetzte als Strategie, um asymmetrische Machtsituationen oder aber differente Erfahrungs- und Wissensbestände aufzudecken und deren Situiertheit zu bestimmen. Eine ähnliche Strategie des »Nicht-Verstehens« verfolgt der IchErzähler im Text »Unternehmen Babel« des hebräisch-israelischen Schriftstellers Ephraim Kishon (1924-2005). Bereits der Titel bietet dem Lesenden die Referenz auf die Bibel, genauer auf Genesis 11, 1-9,2 wo
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Gen 11, 1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache […] 4 und [sie] sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! […] 7 [Gott] Wohlauf lasst uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner des
Das Un_Übersetzte als Strategie der Subversion und Resilienz in jüdischen Literaturen
Gott die Menschen für ihre Selbstüberhebung mit der sprichwörtlich gewordenen babylonischen Sprachverwirrung bestraft, folglich der Unmöglichkeit sich zu verständigen. Kishon wendet dieses Motiv in seiner Erzählung ins Prosaische, dazu noch verkehrt er die Machtposition der an der Texthandlung beteiligten Figuren: nicht Gott und Mensch(en) sind es in seinem Erzähltext, sondern Mensch und Behörde. Wenngleich im Staat Israel viele Sprachen gesprochen würden, gelte es: »Im Umgang mit den Behörden wird der Bürger gut daran tun, sich der offiziellen Landessprache zu bedienen, damit man ihn versteht. Noch besser ist es allerdings, sich der offiziellen Landessprache nicht zu bedienen und nicht verstanden zu werden.« (Kishon 2017, 25) Um ein bestimmtes Gerät zu importieren, benötigt Kishons Protagonist eine bestimmte Genehmigung, die er nur erhält, wenn er vorher eine Reihe anderer Genehmigungen erhalten hat. Eine kafkaesk anmutende Situation, der der Ich-Erzähler mit einer paradoxen Wendung begegnet – er erfindet eine Sprache: »›Dvargitschoke plokay g’vivtschir?‹, äußerte ich in fragendem Tonfall und mit freundlichem Lächeln. ›Schmusek groggy. Latiten?‹« (Ebda., 28) Dies versteht keiner der Beamtinnen und Beamten des Ministeriums. Umso mehr aber ist ihr Interesse geweckt, diese seltene Sprache zu identifizieren, den Sprechenden folglich in der Vielsprachigkeit der Judenheiten einzuordnen. Der steigende Spannungsbogen, keine der herbeigerufenen Expertinnen und Experten vermag in der erdachten Sprache eine Sprache der bzw. ihrer Welt zu erkennen, löst sich erst, als der Ich-Erzähler das eigentliche Ziel seines Besuchs gestisch artikuliert: »Nach und nach brachen die mich Umringenden erschöpft zusammen. Da machte ich ein paar rasche Schritte zum Schreibtisch des andren Sprache verstehe! […] 9 Daher heißt ihr Name Babel, dass der HERR daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder.
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Beamten und raffte, als hätte ich sie eben erst entdeckt – einen der dort liegenden Nummernscheine an mich. […] ›Er will eine Nummer!‹ Die frohe Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Kanzleien und Korridore. ›Eine Nummer will er haben! Endlich! Eine Nummer! Halleleju!‹ […] ›Dvella‹, murmelte ich und war selbst ein wenig bewegt.« (Ebda., 29) Auf schelmische Weise gelingt es dem Ich-Erzähler auf der diegetischen Ebene, die Machtverhältnisse zwischen Individuum und Amt umzukehren. Er entzieht sich schlicht der sprachlich-semantischen Verständlichkeit und stellt damit das grundlegende jüdische Verständnis von »am echad«, »das [jüdische] Volk ist eins« – was auch die im Text persiflierte Vorstellung einschließt, das unter jeglichen Umständen eine Verständigung möglich sein müsse – ironisch in Frage. Dadurch erreicht er sein eigentliches Ziel explizit über das Gegenteil eines sprachlich-kulturellen »Ausgleichs« und streicht somit das Potenzial von Resilienz zur Lösung eines Konflikts heraus. Auf der Rezeptionsebene außerhalb der Diegese nehmen die Leserinnen und Leser die subversive, widerständige Komik dieser Situation auch ohne zusätzliche Kommentierungen im Text wahr, wie das etwa bei Sholem Aleichems Romanstelle in Blick auf die textuell-historische Rahmung erforderlich war. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen mit der Bürokratie können sie jedoch zugleich die Divergenz zwischen den eigenen Alltagserfahrungen und der beschriebenen Begegnung registrieren. Die deutschen Übersetzungen von Kishons Alltagsgeschichten, besorgt aus dem Englischen von Friedrich Torberg, erfreu(t)en sich im Übrigen hoher Beliebtheit – was Kishon von einer wahren Ironie der Geschichte sprechen lässt: »I have become the favorite author of the offspring of my hangmen.« (Kishon, zit.n. Finder 2016, 141)
Das Un_Übersetzte als Strategie der Subversion und Resilienz in jüdischen Literaturen
»Migrationsliteraturen« der Gegenwart und die Instanz der Leserin, des Lesers Anders gelagert ist der Fall bei Vertreterinnen und Vertretern der Gegenwartsliteratur wie Vladimir Vertlib (*1966 Leningrad), Adriana Altaras (*1960 Zagreb) oder Sasha Marianna Salzmann (*1985 Wolgograd), die in ihrem Werk in verschiedener Ausformung vornehmlich der Strategie des autoethnografischen Schreibens folgen. Während alle drei heute in deutscher Sprache schreiben, verfügen sie über bzw. partizipieren sie durch ihre Migration an mehrfachen Erfahrungsbereichen – in sprachlicher, kultureller, regionaler und zeitgeschichtlicher Hinsicht. In Vertlibs Roman Shimons Schweigen (2012) begibt sich der IchErzähler, ein deutschsprachiger Autor aus Österreich, auf eine Lesetour nach Israel, die zugleich zu einer sprachkulturellen Erkundungstour und historischen Spurensuche nach seinem Vater, einem Refusenik der späten 1960er Jahre in der UdSSR,3 gerät. Das Schweigen – mithin die Kommunikationsverweigerung bzw. Tabuisierung – Shimons, des Vaters, darüber, warum er nach seiner Ausreise aus der Sowjetunion aus Israel weggegangen ist, begleitet transgenerational den Sohn bei seiner Reise, die ihn in noch andere Sprachkontexte versetzt. So etwa findet ein mehrsprachiges Treffen mit alten Freunden des Vaters statt (Russisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch, Arabisch), wobei nicht alle jeweils an allen Sprech-, Verstehens-, Kommunikationssituationen teilnehmen können: »Mosche und Galja können nicht Englisch. Khalil spricht neben Arabisch und Englisch natürlich Hebräisch. Deutsch spricht oder versteht außer meiner Frau und mir niemand. Das macht die gemeinsame Unterhaltung etwas umständlich. Das Gespräch bleibt aber trotzdem anregend.« (Vertlib 2012, 107)
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»Refusenik«, von Russisch »otkaznik«, bezeichnet eine Person, der die Ausreise aus der UdSSR (zumindest lange Zeit) verwehrt wurde.
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Das Unübersetzte begegnet hier primär der Leserin, dem Leser, auf der diegetischen Ebene spielt es hingegen keine Rolle, etwa wenn Floskeln auf Hebräisch in den deutschen Text ohne Übersetzung eingebunden werden: »›Ken, ken, beseder, ani mewin‹, beruhigt Moshe. ›Wenn doch endlich das Essen käme!‹, flüstert er mir ins Ohr. ›Dann hätte er einen guten Grund, das Gespräch zu beenden. Nahla ist unglaublich. In jeglicher Hinsicht. Du solltest sie kennenlernen.‹« (Ebda., 113, eigene Hervorh. [Deutsch, O.T.: »Ja, ja, in Ordnung, ich verstehe«, beruhigt Moshe.]) Es begegnet in der Figur von Nahla, der arabischen Friedensaktivistin und Schwester von Khalil, wiederum hier sowohl den anderen Figuren in der Erzählhandlung als auch der und dem Lesenden. Das Telefongespräch zwischen Ich-Erzähler und Nahla beleuchtet für alle Beteiligten, in der Subversion der dritten Sprache Englisch, die Ambivalenzen und Widersprüche in israelischer, europäischer und allgemein menschlicher Perspektive, die von dem Auseinanderklaffen von Hoffnung auf und Realisierung eines Friedens in Israel bestimmt sind. »Nahla wird von Minute zu Minute aufgeregter. Ihre Stimme überschlägt sich. Ihr arabischer Akzent wird stärker, sie macht Fehler, betont falsch, macht aus ›th‹ einen stimmhaften, sonoren Laut, rollt das ›r‹ und verkürzt das lange ›i‹ im Wort ›peace‹. ›Piss will come!‹, höre ich sie schreien. ›We’ll have piss! Piss for all, piss for everyone!‹ ›That’s for sure‹, sage ich. ›Piss in 2015. Believe me!‹« (Ebda., 120f.) Eine Reflexion zum Nicht-Verstehen bietet der autodiegetische Erzähler in einem retrospektiven Bezug auf seine Kindheit. Als Erwachsener nimmt er an einer Feier in Wien teil, wo ihm die anderen Gäste ob ihres gesellschaftlichen Status und ihrer politischen Positionierung fremd erscheinen und er sich an seine Kindheit erinnert: »[I]ch hörte ihnen zu, konnte ihren Gesprächen aber nicht folgen. Das war unangenehm und beglückend zugleich. Ich fühlte mich wie früher – in einem Land, dessen Sprache ich nicht verstehe. Mimik und Gestik der Leute lassen Interpretationsmöglichkeiten offen. […] Aber ich er-
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innerte mich auch an das beglückende Gefühl, alles richtig gedeutet, ohne etwas verstanden zu haben…« (Ebda., 143f.) Die Interpretationsmöglichkeiten in einem »Migrationssetting« (in Anführungszeichen) beschäftigen auch die Figuren in Adriana Altaras’ autobiografisch geprägten Romanen. In Südosteuropa, genauer in Zagreb zu Zeiten Titos und Jugoslawiens gebürtig, flechtet Altaras in ihre Erzählräume kontinuierlich Bezüge ein, die den deutschsprachigen Leser*innen weder sprachlich noch kulturgeschichtlich erklärt werden. Seien es kroatische Bezeichnungen wie teta (für die explizit gemeinte, persönlich nahe »Tante«) oder kroatische Liedtitel, seien es italienische Ausdrücke, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen, seien es wiederum Dispositionen wie die Wertung des Partisanenkampfes gegen das NS-Regime und dessen teilweise Umwertung unter dem Dogma der jugoslawischen Nationalfindung nach dem Zweiten Weltkrieg. Altaras markiert in ihren Romanen kurzum die in sprachlicher, zeitlicher und kultureller Sicht vielfältigen Bezugsrahmen von Erfahrung, die sich einer national einengenden Perspektive entziehen und sich der Leserin und dem Leser insofern verweigern, als sie/er selbst aufgerufen ist, diese entweder ohnehin zu kennen oder aber sie sich zu erschließen. Sasha Marianna Salzmann schließlich formuliert als »Nachgeborene« des sowjetischen Einheitsideals selbstbewusst entlang der Komplexität von Identitäten in ihrem Debütroman Ausser sich von 2017 fluide Identitäten, was sich in Sprache, Schriftgestaltung und Inhalt ihres Romans gleichermaßen niederschlägt. Die Ich-Erzählerin illustriert, indem sie die russische Sprache sowohl im Sprach- als auch Schriftbild in den deutschen Text integriert, eine Form der Selbst-Emanzipation von Erfahrung und Literatur als ebenso vom kommerziellen Buchmarkt, wie es ohne Vorläufer wie Wladimir Kaminer (*1967 Moskau) oder Vladimir Vertlib wohl nicht denkbar gewesen wäre. Nichtsdestoweniger und womöglich umso mehr akzentuiert sie Formen des Auseinandertretens von erfahrenen und kulturellen Zeiten:
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»Если бьет – значит любит, eine alte russische Weisheit: Wenn er schlägt, dann liebt er. Daran erinnerte sich Valja, wenn sie ihren Mann schwankend auf sich zukommen sah, sie nuschelte es manchmal vor sich hin.« (Salzmann 2017, 63) An anderer Stelle fügt sie jiddische Wendungen ein, gibt diese jedoch im Unterschied zum Russischen mit lateinischen Buchstaben wieder, und zwar ohne innertextuelle Erklärung, wodurch sie für das Lesepublikum eine Differenz markiert, die dieses teilt oder nicht: »Sie legte das Päckchen auf den Stapel Bücher vor ihrem Bauch und schaute erwartungsvoll in Schuras Gesicht. ›A sheynem dank. Du bist zeyer khaverish.‹« (Ebda., 150; [Deutsch, O.T.: »Vielen Dank. Das ist sehr freundlich von dir.«]) Die Ich-Erzählerin benennt (und wertet) des Weiteren Kontexte von historischem Wissen, ohne die gegenwärtigen Leser*innen in die unterlegte kulturhistorische und politische Dimension einzuweihen, diese gewissermaßen voraussetzend: »Valja war also zu Kostja in die Chruschtschowka gezogen, eine sowjetische Architekturmeisterleistung, ein Plattenbau, der nach Nikita Sergejewitsch Chruschtschow benannt war, dem, der seinen schwarzen Lederschuh ausgezogen hatte in dem überfüllten Saal der Vereinigten Nationen und mit seinem Gummiabsatz auf die Mahagonitischplatte hämmerte, während er schrie: ›Мы вам покажем кузькину мать!‹ Seine Simultanübersetzer hatten keine Ahnung, wovon der Mann sprach, und übersetzten wortwörtlich, dass Nikita Sergejewitsch allen Anwesenden die Mutter von Kuzkin zeigen möchte. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Übersetzer damals, im Jahr 1960, über die Mikroports die wahre Botschaft des sowjetischen Führers an die Vereinten Nationen weitergegeben hätten, nämlich: ›Wir werden euch alle fertigmachen!‹« (Ebda., 76f.) Wenngleich es zweifelhaft scheint, dass professionellen Dolmetschern die figurative Bedeutung dieser Phrase nicht geläufig sein sollte, illus-
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triert Salzmann in dieser Passage eine Form von Übersetzen, die zwischen Nichtübersetzen und »Falschübersetzen« oszilliert und die in erster Linie nur durch Personen mit ähnlichem Erfahrungs- und Wissenshintergrund decodiert werden kann. Diesen Nexus zwischen Erfahrung, Wissen, Politik und Geschichte, wie er sich in den ambivalenten, situativen und fluiden Situierungen der Figuren und damit vornehmlich auch in ihrer Sprache, d.h. Varianten von Unübersetztem, niederschlägt, reflektiert Salzmann wiederholt im Roman. So etwa, wenn die Ich-Erzählerin für ihre Sprechsituation festhält: »[I]ch misstraute der bildreichen Sprache, in der er erzählte, weil ich meiner Muttersprache grundsätzlich misstraue. Weil sie so viel besser ist als die Welt, aus der sie kommt, blumiger und bedeutsamer, als die Realität je sein könnte.« (Ebda., 167) oder aber wenn sie die Art und Weise der Weltbefragung ihrer Verwandten Valja pointiert: »Sie [Valja] sprach in mehreren Sprachen gleichzeitig, mischte sie je nach Farbe und Geschmack der Erinnerung zu Sätzen zusammen, die etwas anderes erzählten als ihren Inhalt, es klang, als wäre ihre Sprache ein amorphes Gemisch aus all dem, was sie war und was niemals nur in einer Version der Geschichte, in einer Sprache Platz gefunden hätte.« (Ebda., 258) Eine eineindeutige Vermittlung bzw. Herstellung von Kongruenz wird hier insofern weder auf der Ebene der Erzählhandlung noch zwischen Text und Leserin und Leser angestrebt, ja, nicht einmal als mögliches Ziel angenommen. Im Vordergrund steht vielmehr das Auslot(s)en der semantischen Zwischenräume, der sprachkulturellen Verwerfungszonen und zugleich – in Bezug auf einen »national« oder einsprachig verstandenen Literaturmarkt – das Emanzipatorische der eigenen Erfahrung und des eigenen Schreibens.
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Coda Literatur ist immer auch ein Ort von Zuschreibungen, Umschreibungen, Überschreibungen, von Begegnungen, Aushandlungen und Transgressionen. Dies zeigt sich insbesondere in Texten, die auf Kontexten beruhen, die von Mehrsprachigkeit und pluraler Erfahrung geprägt sind, wie sie für jüdische Literaturen charakteristisch sind. Dem »Unübersetzten« kommt hierbei eine zentrale Rolle zu, indem sich dadurch die Bruchlinien zum »Eindeutigen« markiert finden. Momente des »Eigenen«, der Suche, der Verweigerung, der Irritation und Verwirrung etc. werden produktiv eingesetzt, um Erscheinungsformen von Ähnlichkeit und Differenz, von Selbstermächtigung und Emanzipation, von Zweifel und von Widerständigkeit, durchaus auch mit den Mitteln der Komik als Meisterin der Subversion, literarästhetisch zu pointieren. Wobei dies implizit wie explizit häufig auch Reflexionen zu diskursiven wie politischen Machtkonstellationen einschließt. Wie an Beispielen aus Texten von Sholem Aleichem, Ephraim Kishon, Vladimir Vertlib, Adriana Altaras und Sasha Marianna Salzmann exemplarisch demonstriert, finden sich insbesondere in jüdischen Literaturen Strategien der Selbstreflexion, die auf Subversion und Resilienz zurückgreifen (wobei »Migrationsliteraturen« bzw. »transkulturelle Literaturen« insbesondere seit den 1990er Jahren ebenso Momente dieser Strategie aufgreifen). Literarisch formulierte Positionen zu »Unübersetztem«, zu »Nicht-übersetzt-werden-Wollendem«, zu »Nicht-übersetzt-werdenKönnendem« umschreiben und illustrieren eine Setzung von »Fremdheit«, die zuweilen auf spielerische Art »Interpretationsmöglichkeiten« auslotet, die das Eigene als das Fremde, als das wiederum Eigene, das »nicht-zu-vermittelnde« Eigene reklamiert. Und dies sowohl textinhärent als auch in Bezug auf die Leserschaft und den Büchermarkt, wobei in Bezug auf letzteren zu erwähnen ist, dass in gewissen kulturhistorischen Situationen Formen von »Exotik« und »Exotismus«, wie auch immer definiert, auf identifikatorisches und damit marktrelevantes Interesse stießen und stoßen.
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Das letzte Wort in diesen Überlegungen zum Unübersetzten in jüdischen Literaturen soll Vladimir Vertlib gehören. In seinen Dresdner Poetik-Vorlesungen von 2006 setzt sich der österreichische Schriftsteller, der als Kind und Jugendlicher über diverse Zwischenstationen aus dem damaligen Leningrad nach Wien gekommen ist, kritisch und polemisch mit dem Verhältnis von »Nationalliteratur« und »Migrationsliteratur« auseinander, mithin der Relation zwischen dem dichotomisch angenommenen »Eigenem« und »Anderem«. Er führt aus: »Die Behauptung, Zuwandererliteratur sei für eine ›nationale‹ Literatur eine Bereicherung, wird nicht nur von Leserinnen und Lesern, sondern oft auch von Kritikern, Literaturwissenschaftlern und sogar von Politikern vertreten. Meiner Einschätzung nach impliziert ›Bereicherung‹ jedoch, dass zum Normalzustand etwas Zusätzliches, Wertvolles hinzukommt. Literatur sollte aber, wie jede Kunst, die kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt eines Landes in seiner Gesamtheit abbilden. Die Welt der Zuwanderer mit ihren Besonderheiten und Perspektiven, ihre kulturelle und sprachliche Verortung sind Teil dieser Normalität. Wenn es demnach keine Literatur von Zuwanderern gibt, […] dann herrscht ein Mangel, eine Anomalie. Durch die Literatur von Zuwanderern wird also Normalität hergestellt und keine Bereicherung erzeugt […].« (Vertlib 2007, 36) Anders gewendet, birgt die Frage nach dem »Unübersetzten« und der Strategie von un_übersetzt zugleich die Frage nach »Norm« und »Anomalie«, d.h. den Aushandlungsraum des Pluralen und Heteronormen, in sich, und beschreibt dergestalt auch das komplexe Verhältnis zwischen dem Nationalen, dem Transnationalen und Universellen, wie sie sich aus europäischer und jüdischer Sicht spätestens seit dem 19. Jahrhundert stellt.
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Primo Levi: »Wir können und müssen verstehen.« Die Ambivalenz des Un_Übersetzten 1 Michaela Wolf
In his oeuvre, Levi postulates that it is necessary, and almost possible, to understand the horrors of the concentration camps – yet only under the condition that the »un-translated« is accepted. This article is dedicated to this »non-translated« level and explores in detail the various translation processes in relation to the struggle towards understanding by illuminating not only metaphorical mediation procedures, but also the »non-translated« as a consequence of translation that either failed or was forbidden in the daily life of the concentration camps. The phenomenon of the »non-translated« is generated through the insights of those involved, that in the camps there were no borders, that well-known models of behaviour crumbled, and that friend and foe lost their original meaning. The various shapes of the »non-translated« will be grasped with reference to Primo Levi’s concept of the »grey zone« and will be empirically substantiated by various examples drawn from personal memories and accounts of concentration camp survivors.
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Mein herzlicher Dank gilt Dagmar Gramshammer, deren aufmerksame Lektüre und kritischer Blick wesentlich zum Zustandekommen dieses Aufsatzes in der vorliegenden Form beigetragen haben.
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Einleitung Verstehen zu können und verstehen zu müssen, das kompromisslose Postulat von Primo Levi, impliziert zuallererst Übersetzen: Das erlebte Grauen des Konzentrationslagers sich selbst greifbar zu machen und es sodann in Denkfiguren zu verwandeln, um es anderen be-greifbar zu machen, bedarf zweier Übersetzungsvorgänge; ein weiterer besteht darin, das einmal vordergründig Begriffene im Bewusstsein des Risikos der Vereinfachung – oder der »Verfehlung« – schriftlich oder mündlich zu repräsentieren. Ein möglicher vierter Übersetzungsprozess besteht in der Übertragung dieser Verschriftlichung oder Vermündlichung in eine andere Sprache, wobei die Sprachenwahl die Übersetzungsstrategien erheblich beeinflussen kann, wurde doch das Deutsche oftmals von den Überlebenden als s.g. »Sprache des Terrors und der ›Täter‹« (Braese 1998) oder als »Sprache der Vernichtung« (Strickhausen 1999) gesehen. Als fünfter potenzieller Übersetzungsprozess kann der Versuch seitens der Überlebenden gesehen werden, ihre Erfahrungen übersetzend in die Formulierung einer Zeugenaussage zu gießen, zunächst im Laufe der Nürnberger Prozesse, später auch vieler anderer, wie etwa der Auschwitzprozesse in Frankfurt a.M.. Erwähnt werden soll zuletzt auch das in Israel im Schweigen über die Shoah zutage tretende Un_Übersetzte, das sich als Kommunikationsbruch zwischen den Generationen manifestiert und in einer oftmals verfehlten Übersetzung in der Vermittlung bzw. Nicht-Vermittlung des Grauens der Shoah resultiert (vgl. etwa Arad 2003 oder Gil 2012).2 Dem Versuch, das Unübersetzt-Gebliebene in diesen Übersetzungsprozessen auszuloten,3 ist der erste Teil des vorliegenden Beitrags gewidmet. Das Unübersetzte kommtals Folge gescheiterten oder verweigerten Übersetzens auch im Alltag des Konzentrationslagers 2 3
Ich danke Susanne Korbel für den Hinweis auf die beiden letztgenannten Arten von »Übersetzungsprozessen«. Die folgenden Ausführungen blenden Nummer vier, fünf und sechs der erwähnten Übersetzungsprozesse aus, da diese einer eigenen historischen Kontextualisierung und einer spezifischen Argumentation bedürfen. Beides würde den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen.
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zum Vorschein, wie im zweiten Teil gezeigt wird. Erinnerungsberichte von Überlebenden beschreiben zahlreiche Situationen, in denen die Ambivalenz der translatorischen Tätigkeiten im Lager offensichtlich wird und Zweifel darüber aufkommen lassen, dass Translation prioritär Verständnis oder gar Verstehen erzeugt. Die von diesen Prämissen abgeleitete grundsätzliche Fragestellung lautet nun, wie das Un_Übersetzte im Kontext der Translation im Konzentrationslager und in der nachfolgenden versuchten Repräsentation der Shoah erfasst werden kann und was es im Besonderen auszeichnet. Zur Erfassung der unterschiedlichen Varianten des Un_Übersetzten4 wird methodisch auf Primo Levis Konzept der Grauzone zurückgegriffen, wie er es in seinem letzten Buch I sommersi e i salvati (1986)/Die Untergegangenen und die Geretteten (1990) ausführlich erörtert.
Die (un_)übersetzte Erfahrung des Konzentrationslagers Primo Levi fragt in seinem einflussreichen Buch Die Untergegangenen und die Geretteten: »Sind wir, die wir [die Konzentrationslager] überlebt haben, imstande gewesen, unsere Erfahrung zu verstehen und verständlich zu machen?« (1986/2015, 33) Jeder Versuch des »VerständlichMachens«, also einer Repräsentation, erscheint durch die Unfassbarkeit dieses weltgeschichtlichen Ereignisses, durch seine gigantischen Ausmaße, seine monströse Industrialisierung des Todes als unzulänglich. Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Darstellbarkeit der Shoah ist ein Topos der Holocaustforschung:5 Wie kann ein solches historisches Ereignis, das sich jeder auch nur annähernden Definition entzieht, dennoch narrativ gestaltet werden? Welche Instrumentarien müssen eingesetzt werden, um die Geschehnisse der Shoah annähernd 4
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In der vorliegenden Arbeit wird als »unübersetzt« das in der Kommunikationspraxis des Konzentrationslagers nicht Übersetzte oder nicht zu Übersetzende bezeichnet, während un_übersetzt als konzeptuelle Kategorie und Denkfigur verwendet wird. Wie zu sehen sein wird, können die Grenzen zwischen den beiden Verwendungsweisen verschwimmend sein. Vgl. etwa Roskies 1989; LaCapra 1994; Vice 2000; Rothberg 2009; Hirsch 2012.
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zu verstehen und vor allem darzustellen? Muss für die Beschreibung des Unsagbaren, des Unbeschreibbaren eine neue Sprache geschmiedet werden? Es sind bisher in der Tat unzählige Versuche zur Darstellung dieser Grenzerfahrung gemacht worden, wobei es sowohl um die Grenzen des Verständnisses und der Erinnerung als auch um die Grenzen der Repräsentation geht. Die Frage für den vorliegenden Kontext lautet also: Wie können die Gräuel des Erlebten auf Grundlage der eigenen Erfahrungen im Lager auf mentaler Ebene durch (versuchte) Übersetzung sich selbst und anderen »begreifbar« gemacht werden, um sie zu »verstehen«? Und was bleibt dabei trotz allem un_übersetzt? Primo Levi – auf ihn stützen sich paradigmatisch die folgenden Ausführungen – stellt die Frage nach der Realisierung dieses Vorhabens ins Zentrum seines Schaffens. Bereits in seinem ersten, 1947 (1958) erschienenen Buch Se questo è un uomo/Ist das ein Mensch? (1961), das er 1945 unmittelbar nach seiner Rückkunft nach Turin zu schreiben begonnen hatte, sagt er: »Da merken wir zum erstenmal, daß unsere Sprache keine Worte hat, diese Schmach zu äußern, dies Vernichten eines Menschen.« (Levi 1958/2011, 31) Und er präzisiert: »Wir sagen ›Hunger‹, wir sagen ›Müdigkeit‹, ›Angst‹ und ›Schmerz‹, wir sagen ›Winter‹, und das sind andere Dinge. Es sind freie Wörter, geschaffen und benutzt von freien Menschen […].« (Ebda., 154) Wie können diese Wörter – und vieles mehr – dann je in die Sprache der Menschen, die die Gräuel nicht erlebt haben, übersetzt werden? Das Un_Übersetzte scheint also a priori jedwedem Aspekt emotionaler und sozialer Erfahrung in der Shoah eingeschrieben zu sein. Levi schreibt in Auschwitz in ein Notizheft Erfahrungen, die er, wie er sagt, »niemandem erzählen kann« (ebda., 142), die ihm also für die Außenwelt als unübersetzbar erscheinen. Auf diese Unübersetzbarkeit, die für ihn unweigerlich mit dem brennenden Wunsch nach einer Lösung verbunden ist, weist er viele Male hin, so etwa wenn er sagt: »[W]as man nicht verstehen kann, bildet eine schmerzhafte Leere, ist ein Stachel, ein dauernder Drang, der Erfüllung fordert.« (Levi 1986/2015, 185)
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Levi ortet einen inneren Konflikt, wenn es um die Suche nach Verstehen geht und lässt alle Optionen offen, denn »[v]ielleicht kann man das Geschehene nicht begreifen, ja darf es nicht begreifen« (Levi 1963/2011, 502, Hervorh. i.O.). Im Zuge seiner Anstrengungen, das Erlebte zu verstehen, weist Levi auf den bedeutenden Zusammenhang zwischen »Verstehen und Wissen« hin und formuliert die Mahnung: »Wenn begreifen unmöglich ist, so ist doch erkennen notwendig, denn das Geschehene kann wiederkehren, das Bewußtsein von Menschen kann abermals verführt und verfinstert werden: auch das unsrige.« (Ebda., 502f.) Dieses »Wissen« im Kontext von »Verstehen« greift auch Slavoj Žižek auf, wenn er davon ausgeht, dass das von Levi thematisierte Wissen keinen Gegensatz bildet zum Verstehen im Sinne von (»innerem«) Verstehen vs. (»äußerem«) Erklären. Žižek geht vielmehr im Arendt’schen Sinn davon aus, dass es nichts zu verstehen gibt, »denn die Täter selbst ›verstanden‹ nicht, was sie taten, da sie sich nicht auf der Höhe ihrer Handlungen befanden. Aus diesem Grunde sollte man die gängige Auffassung der Shoah als der historischen Verwirklichung des ›radikalen (oder vielmehr des diabolischen) Bösen‹ umkehren: Auschwitz ist letztlich ein Argument gegen die romantisierende Idee des ›diabolischen Bösen‹, des bösen Helden, der das Böse zu einem apriorischen Prinzip erhebt.« (Žižek 2001, 85) Levi nimmt sich akkurat dieses »diabolischen Bösen« an, denn gerade dort wittert er die Gefahr, dass das grauenhafte Geschehene verschleiert, vernebelt, zugedeckt wird, um es nicht in das Bewusstsein und in die Erinnerung eintreten zu lassen. Er kommt zu der Erkenntnis, dass »[e]s nicht leicht oder angenehm [ist], in diesem Abgrund des Bösen zu graben. […] Man ist versucht, sich erschaudert abzuwenden und sich zu weigern, zu sehen und zu hören: Das ist eine Versuchung, der man widerstehen muss.« (Levi 1958/2011, 101) In diesem Versuch des Widerstehens kann wiederum das Bestreben verortet werden, dem Un_Übersetzten zu entkommen: Letztlich resigniert Levi nicht vor dem offensichtlichen Dilemma des NichtVerstehens und damit der Nicht-Kommunizierbarkeit des »Bösen«. Im Gegenteil, sein Wille zu kommunizieren ist in seinem Schaffen
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omnipräsent. In der Verweigerung von Kommunikation sieht Levi vielmehr ein ethisches Vergehen, denn er sagt: »Die Behauptung, man könne nicht kommunizieren, ist falsch: man kann es immer. Die Verweigerung der Kommunikation stellt eine Schuld dar.« (1986/2015, 92)6 Daraus resultiert schlussendlich Levis Bestreben, gegen das Unübersetzbare anzuschreiben. Dieses Bemühen ist etwa in der Schaffung von bestimmten Vokabularien erkennbar, die Levi als Schriftsteller, aber auch als Vortragender und Interviewpartner vermehrt einsetzte. Wie Marco Belpoliti und Robert Gordon festhalten, ist dieser Wortschatz »a mapping […] of his rationalist mindset, rooted in the values of the Enlightenment, with its belief in the ›encyclopedic‹ capacity for analysing and knowing the universe, onto the dark, thorny and personally devastating subject-matter of what he saw in Auschwitz.« (2007, 2) Im vorliegenden Kontext wird der Begriff »Wortschatz« weiter gefasst und vielmehr mit dem Terminus »Diskurs« belegt. Belpoliti und Gordon verweisen etwa auf einen wissenschaftlichen Diskurs, mithilfe dessen Levi das Lager als die Manifestation bestimmter asymmetrischer Muster, die in Molekularanalysen identifiziert wurden, zu interpretieren sucht. Weitgreifender ist der anthropologische Diskurs, mit dem Levi anhand zahlreicher Beispiele verschiedene Verhaltensmuster im Lager zu beschreiben versucht. Dieser anthropologische Diskurs wird auch von Manuela Consonni und Federico Italiano thematisiert, die betonen, dass Levis Arbeiten keinen Verweis auf sein persönliches Leid, keinen Versuch, mit Emotionalität Aufmerksamkeit zu erlangen und keine rhetorischen Mittel aufzeigen, mit denen an die Gefühlswelt der
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Es sei an dieser Stelle stellvertretend für viele andere Aussagen dieser Art auf Toni Morrisons Worte verwiesen, die zu Levis unermüdlichem Bemühen, der »Un_Übersetzbarkeit« zu entkommen, sagt: »Language is the gold he mines to counter the hopefulness of meaningful communication between prisoners and guards. […] Time and time again we are moved by narratives of how men refuse erasure.« (Morrison 2015).
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Rezipientinnen und Rezipienten appelliert werden würde. Im Gegenteil: »What is striking about his work […] is its tone of objective scientific analysis. It almost reads as an anthropological report penned by a narrator who describes everything with absolute detachment and equanimity […]. He had the eye of a writer, capable of sifting through the infinitesimal details and the debris of everyday experience to select unfailingly the objects and materials that served to organize and construct his later writing.« (Consonni und Italiano 2015, 118f.) Die Fähigkeit Levis, die unzähligen Details des Alltagslebens im Konzentrationslager zu beschreiben, ohne in einen Leidens- oder Mit-LeidDiskurs zu verfallen, ist unbestritten einem anthropologischen Narrativ eingeschrieben, das sich durch den Großteil seines Werks zieht. Es ist aber auch ein ethischer Diskurs zu erkennen, der als eigentlicher Hauptdiskurs in Levis Werken gelten kann und mit dem fundamentale Fragen des Lebens diskutiert werden. Alle Diskurse tragen dazu bei, den Menschen und sein Handeln in den Vordergrund zu rücken, und gehen gleichzeitig über die Grenzen eng gefasster Konzeptionen von Zeugnis-Ablegen hinaus (Belpoliti und Gordon 2007, 52, 64). Levi war sich der Gefahr bewusst, dass Verstehen – und die genannten diskursiven Strategien sind ein Weg zum Verstehen – immer auch Vereinfachen bedeutet. Doch gerade in diesem Simplifizieren, das Levi als vertretbar und gerechtfertigt ansah, ist das Un_Übersetzte verborgen: »Every declarative sentence that one speaks or writes leaves out more than it grasps. Nevertheless, the Holocaust negates the equation between understanding and simplification; it resists the belief that any this can be fully understood without attending to virtually every that«, erläutern uns Petropoulos und Roth (2005, XIX, Hervorh. i.O.). Daraus folgt, dass das Bewusstsein über das Unfassbare selbst und das Bewusstsein hinsichtlich der Vielschichtigkeit und Verflochtenheit des Unfassbaren ständig aufrecht erhalten werden müssen, ohne den Anspruch zu stellen, ein vollständiges Verstehen erreichen zu können. In diesem Raum zwischen dem Versuch des Verstehens durch Vereinfa-
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chung und Reduktion und dem Anspruch, das uneingeschränkte Bewusstsein über das Geschehene zu bewahren, ist das Un_Übersetzte zu verorten. Wie behutsam Levi mit dem Verstehen umgeht – oder ist es, dass sein Verhältnis zum Verstehen ambivalent ist? – zeigt sich darin, dass er nicht alles verstehen will: »Vielleicht kann man das Geschehene nicht begreifen, ja darf es nicht begreifen, weil begreifen fast schon rechtfertigen bedeutet. Ich meine damit: den Vorsatz oder das Verhalten eines Menschen ›begreifen‹ heißt […], es anzufassen, zu erfassen, den Urheber zu erfassen, sich an seine Stelle zu versetzen, sich mit ihm zu identifizieren.« (Levi 1958/2011, 502, Hervorh. i.O.) Um als Autor – sowie als Leser bzw. Leserin – dieser Identifikation mit dem Täter und dessen Tun zu entgehen, muss Geschehenes un_übersetzt bleiben, auch um den Preis, dass das Verstehen dadurch eine Einbuße erleidet. Diese Identifikation zeigt sich auch in seiner Weigerung, die Stimme des Überlebenden als die direkte Rede des Shoah-Opfers im Allgemeinen zu sehen (Cohen 2015, 70); die hier zum Vorschein kommende vorgebliche Linearität birgt eine Fülle von Ungesagtem, die dem Un_Übersetzten Vorschub leistet. Levi war es ein großes Anliegen, den Austausch zwischen Autor – d.h. dem Überlebenden – und Leser/Leserin – also der Welt, in die er überlebt hat – zu thematisieren. Das Überleben sicherte dem Überlebenden, dem »Geretteten«, die Rechtfertigung gegenüber den »Untergegangenen«, überlebt zu haben, um Zeugnis abzulegen: Zeugnis über die erlebten Gräueltaten, also diese Erfahrungen für die »Außenwelt« zu übersetzen. Umgekehrt, so Uri Cohen, werden durch dieses Zeugnis-Ablegen Leser und Leserin mit einem Gefühl der Erlösung belohnt, in einer Welt zu leben, in der das Böse, das der Überlebende überlebt hat, überwunden ist (vgl. ebda., 73). Was hier un_übersetzt bleibt, ist die gegenseitige Täuschung: Laut Levi konnten die »Geretteten« nur auf Kosten der »Untergegangenen« überleben; und die Menschen in der Außenwelt – vielleicht auch wir – wissen, dass das »Böse« nicht besiegt ist: ein moralischer Kollaps, wie er für die von Levi konzeptualisierte Grauzone (siehe unten) paradigmatisch ist.
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Zaia Alexander stellt in ihrer subtilen Untersuchung der von Levi entwickelten Übersetzungsstrategien zur Überwindung des Postulats der Unübersetzbarkeit nicht umsonst fest: »As many survivors aver, if we can understand what happened, they failed to convey the true horror.« (Alexander 2007, 161)
Das Unübersetzte im Kommunikationsalltag des Konzentrationslagers Das im vorherigen Abschnitt diskutierte Problem der Darstellbarkeit und der ihr immanenten Varianten des Un_Übersetzten in der Außenwelt steht in unmittelbarer Beziehung zum Unübersetzten in der Innenwelt, dem Konzentrationslager. Dort ist es vor allem auf der Ebene der erfolgten oder nicht erfolgten Herstellung von Kommunikation im Lageralltag zu identifizieren. Das Unübersetzte wird u.a. durch die Erkenntnis der Involvierten ausgelöst, dass es im Lager keine Grenzen gab, dass sich bekannte Verhaltensmodelle aufgelöst hatten, dass Freund und Feind ihre Zuschreibungen verloren hatten, oder, wie Uri Cohen es treffend ausdrückt: »The camp, or Lager, is the paradigm of colonial modernity, ground zero of the friend/enemy distinction and place of its collapse.« (Cohen 2015, 68) Auch das, was ursprünglich bereit war, übersetzt zu werden, verschwindet in dieser Grenzen-Losigkeit und bleibt nach außen und innen un_übersetzt. Diese Zone der Ungewissheit wird von Levi als Grauzone bezeichnetet, die bald zum Schlüsselbegriff in der Erfassung und Beschreibung von Levis Versuchen der Repräsentation der Shoah avancierte. Er betont, dass es für den Neuankömmling im Konzentrationslager keine klare Unterscheidung zwischen »drinnen und draußen«, »gut und böse« oder »Leben und Tod« gab, sondern dass vielmehr die Grenzen zwischen diesen dichotomischen Denkkörpern verschwimmen. Davon ausgehend entwickelte er, aufbauend auf seinen Aufsatz »Tradurre ed essere tradotti« (Levi 1985) und vertieft in dem
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Kapitel »Zona grigia«7 des Buches I sommersi e si salvati, das Konzept der Begegnungszone, in der Unterdrücker und Opfer konvergieren und divergieren, wobei unterschiedliche Faktoren wie Macht, Terror oder Eigennutz aktiv sind. In der Grauzone waren jene Häftlinge im Vorteil, die auf multiple Weise mit den Obrigkeiten kollaborierten – war doch das Fortleben der Grauzone, die keine deutlichen Grenzen hatte, vorrangig durch Kollaboration der Opfer und durch »protekcja« (Privileg) im Lager gewährleistet. Unter der Grauzone ist somit ein »Denkraum« im Konzentrationslager zu verstehen, in dem von Macht, Gewalt und Bestechlichkeit gekennzeichnete Prozesse stattfinden. Dolmetscher*innen gehörten laut Levi zu den Häftlingen, die sich in dieser Grauzone bewegten (1986/2015, 43), verkörperten sie doch den Großteil der hier beschriebenen Aspekte. Diese zeigen sich vor allem in der Tatsache, dass Primo Levis paradigmatisches Konzept der Grauzone sich auf den moralischen Zwiespalt im menschlichen Verhalten konzentriert, eine Eigenschaft, die traditionell Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen zugeschrieben wird. Im Lager wimmelte es laut Levi von »privilegierten Häftlingen der niederen Ebene«, die die Grauzone bevölkerten: »Sie stellten eine bunt zusammengewürfelte Fauna dar: Kehrer, Kesselwäscher, Nachtwächter, Pritschenkontrolleure […], Läuse- und Krätzekontrolleure, Befehlsüberbringer, Dolmetscher, Knechte der Knechte.« (Ebda., 42) Trotz der ambivalenten Rolle, die er ihnen im Lager zuschreibt, schätzt er sie – ebenso wie die Übersetzer*innen – insofern, als sie, wie er sagt, danach »trachten, den Schaden, der durch den Fluch von Babel entstanden ist, zu begrenzen«.8 (Levi 1986, 691) In dieser Grauzone sind das Un_Übersetzte, das Nicht-zu-Übersetzende und das 7 8
Zur Geschichte dieses Kapitels (erste Erwähnungen des Konzepts, Abdrucke vorheriger Versionen dieses Kapitels etc.) vgl. Mengoni 2015, 145. »[C]hi esercita il mestiere di traduttore o d’interprete dovrebbe essere onorato, in quanto si adopera per limitare i danni della maledizione di Babele« (Übersetzung des gesamten Zitats aus dem Italienischen von M.W.; der Aufsatz ist nie ins Deutsche übersetzt worden).
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Nicht-Übersetztsein-Wollende zu verorten. So tritt es etwa in Form von Figuren in Erscheinung, zu denen in erster Linie die SS-Wachen zählen: Bei ihrer Ankunft in Auschwitz fragen Levi und seine Leidensgenossen einen deutschen jüdischen Dolmetscher, warum ihnen alle persönlichen Dinge abgenommen wurden: »Warum sollte man uns die Schuhe stehlen? Und unsere Papiere und das bißchen, das wir in unseren Taschen haben, und die Uhren? Wir blicken alle auf den Dolmetscher, und der fragt den Deutschen, und der Deutsche raucht und sieht ihn an, als sei er durchsichtig, als habe keiner gesprochen.« (Levi 1958/2011, 25) Der SS-Mann beantwortet die Frage des Dolmetschers nicht – damit sind alle Ängste, alle Zweifel der Neuangekommenen der Unübersetztheit ausgesetzt. Gerade hier offenbart sich die dunkle Seite des Un_Übersetzten,9 denn das unübersetzt Gebliebene wird, eben weil es unübersetzt bleibt, von allen verstanden. Die Babel’sche Sprachverwirrung jedoch, die im Lager vorherrscht und ein Topos in der Erinnerungsliteratur ist, diese Sprachverwirrung wird von Levi dazu verwendet, um diese dunkle Seite des Un_Übersetzten zu konterkarieren, denn gerade in der sprachlichen Verwirrung sieht er eine der Antriebskräfte des Lebens im Lager: »Die Sprachverwirrung gehört zu den Hauptbestandteilen der Lebensweise hier unten; man ist von einem fortwährenden Babel umgeben, wo alle in niemals zuvor gehörten Sprachen Befehle und Drohungen schreien, und wehe dem, der nicht im Flug begreift!« (Ebda., 45)
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Vgl. zu dieser »dunklen Seite des Übersetzens« Wolf 2020. Es könnte hier der Einwand formuliert werden, dass die Grauzone, in der eine solche Dolmetschsituation »verhandelt« wird – oder eben nicht –, mit dem Bild der »dunklen Seite« der Translation nicht in Verbindung zu bringen ist, da in der von Levi konzeptualisierten Grauzone immer etwas sichtbar bleibt; auf der »dunklen Seite«, der »Schattenseite«, hingegen nicht.
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Die Ambivalenz des Verstehens – hier in seinen beiden Extremen zum Ausdruck gebracht – erscheint damit durch das Unübersetzte bedingt. Und es ist auch zu erkennen, dass Verstehen oder Nicht-Verstehen nicht Teil des Unübersetzten ist, sondern dessen Folge. Diese Folge des Unübersetzten ist im Lageralltag in mannigfacher Form zu erkennen und zeigt sich unter anderem in der Machtlosigkeit der Verwendung von Sprache. Levi diskutiert in seinen Werken zahlreiche Beispiele, die diesen Problemkomplex behandeln. So etwa auch in Passagen, die sich mit den oftmals sehr unterschiedlichen Ursachen des Verstehens und Nicht-Verstehens befassen und doch gleichermaßen im Un_Übersetzten resultieren. Dies zeigt Levi im folgenden Beispiel im Rahmen seiner Diskussion der Situation des »Intellektuellen« im Lager, hier in Bezug auf den ebenfalls in Auschwitz inhaftierten österreichischen Schriftsteller Hans Mayer, später Jean Améry (1912-1978): »Auch Améry-Mayer bestätigt, wegen der Verstümmelung der Sprache […] gelitten zu haben: Und doch war Deutsch seine Sprache. Er hat anders darunter gelitten als wir Anderssprachigen […], weil Deutsch seine Sprache war, weil er Philologe war und seine Sprache liebte […]. Das Leiden des Intellektuellen war in diesem Fall also ein anderes als das eines ungebildeten Ausländers: Für diesen war das Lagerdeutsch eine Sprache, die er nicht verstand, was lebensgefährlich sein konnte; für jenen war es ein barbarischer Jargon, den er zwar verstand, der ihm aber die Lippen häutete beim Versuch, ihn zu sprechen. Der eine war ein Deportierter, der andere ein Fremder im eigenen Land.« (Levi 1986/2015, 141, Hervorh. i.O.) Die deutsche Sprache zu sprechen oder zu verstehen oder sie sogar zur Muttersprache zu haben war in jedem Fall ambivalent, galt sie doch unter den Häftlingen, wie erwähnt, als die Sprache »des Terrors und der Täter«. Und doch waren schon geringste Kenntnisse und somit ein geringstes Verstehen oft die Grundlage, die geringe Chance, zu überleben; denn »jemand, der Deutsch weder sprach noch verstand, [war] per definitionem ein Barbar. [Er war] kein Mensch.« (Ebda., 95, Hervorh. i.O.) Das Beherrschen der deutschen Sprache war demnach eine Frage des Überlebens. Levi betont in seinen Werken diesbezüglich immer
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wieder, dass vor allem die italienischen Häftlinge – und mit ihnen einige aus anderen Sprachgruppen – von der Unmöglichkeit der Kommunikation besonders stark betroffen waren: »Was das schnelle Begreifen angeht, so versteht man außerdem nicht die Befehle und Verbote, man entziffert nicht die Vorschriften, von denen einige unwichtig und lächerlich, andere aber lebenswichtig sind. Man befindet sich, kurz gesagt, in einem leeren Raum und erfährt am eigenen Leib, daß Verständigung Information nach sich zieht und daß man ohne Information nicht leben kann. Der größte Teil der Gefangenen, die des Deutschen nicht mächtig waren, und das traf auf fast alle Italiener zu, starb innerhalb der ersten zehn bis fünfzehn Tage nach der Ankunft: auf den ersten Blick wegen Hunger, Kälte, Erschöpfung, Krankheit, aber bei genauerem Hinsehen wegen unzureichender Information.« (Ebda., 96) Die Sprache der Machthaber nicht zu verstehen, hieß demnach, ausgeschlossen zu sein von den Vorgängen im Lager, inklusive der Intrigen des SS-Personals, die jederzeit eine Lebensbedrohung bedeuten konnten. Levi präzisiert: »Die italienischen Gefährten, die kein Deutsch verstanden […], ertranken einer nach dem anderen im stürmischen Meer des Nichtverstehens […].« (Ebda.) Dolmetschen – mit dem Anspruch, Verstehen hervorzurufen – wurde hier zur Überlebensfrage, wobei Dolmetscher*innen im Lager prinzipiell zwei Optionen offen standen: Entweder sie agierten innerhalb der ungeschriebenen Gesetze von Levis Grauzone, oder sie wagten es, sich für die »andere Seite« der Trennlinie zu entscheiden – ein lebenswichtiger Gestus der Solidarität und manchmal auch des Widerstands, der grundsätzlich in scharfem Kontrast zu den gängigen Bedingungen des Kommunikationssystems im Konzentrationslager stand (siehe dazu im Detail Wolf 2016, 10-14, 98110). Und doch sind beide Fälle von Ambivalenz durchdrungen, da es, wie von Levi (und von vielen anderen Überlebenden) beschrieben wird, zumeist nicht zu eindeutig unterscheidbaren und eindeutig entschlüsselbaren translatorischen Handlungen kam, die eine solche klare Zuordnung erlaubt hätten. Die Brüchigkeit der Trennlinien zwischen den genannten Optionen und die Durchlässigkeit der Auswirkungen der
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Dolmetschhandlungen erzeugen eine Vielschichtigkeit des ambivalenten Charakters der Kommunikationshandlungen, wodurch verborgen Gehaltenes sichtbar wird und gleichzeitig auch das Unübersetzte in diesen Handlungen ertastbar wird. Daraus resultiert, dass viele Häftlinge im Un_Übersetzten lebten, das seinerseits von Ambivalenz gezeichnet war, denn das Unübersetzte konnte sowohl ein unbewusstes Phänomen sein, das, wie Levi zeigt, in vielen Fällen zur Vernichtung führen konnte. Es hatte aber auch eine für die Rezipient*innen oder Leser*innen seiner Texte als bewusst angenommene Facette, die zum Vorschein kam, wenn dem Unübersetzten ein Moment der Widerständigkeit eingeschrieben wurde, wenn etwa – zumindest vorübergehend – etwas verschwiegen werden konnte, was die Leiden der Häftlinge oder einer Häftlingsgruppe erleichtert hätte. Das Unübersetzte kann aber auch in einer Form auftreten, in der es gleichsam erlösenden Charakter hat. Levi trifft im Lager Pikolo, wie der junge französische Jude Jean Samuel genannt wird, der von Levi Italienisch lernen möchte. Lehrtext ist der 26. Gesang von Dantes Inferno, den Levi noch fast auswendig kann: »Jean paßt genau auf; und ich beginne, langsam und deutlich: [Verse von Dante] Hier halte ich ein und versuche zu übersetzen. Fürchterlich: armer Dante und armes Französisch! […]. Jean möchte, daß ich es wiederhole. Wie anständig er ist; er hat gemerkt, daß es mir guttut. Oder vielleicht ist es noch mehr, vielleicht hat er trotz der unzulänglichen Übersetzung, trotz des unbeholfenen, hastigen Kommentars die Botschaft empfangen, hat erfaßt, daß sie ihn angeht und alle Menschen in Bedrängnis, besonders uns hier; […].« (Levi 1958/2011, 140-142) Von der ad-hoc Übersetzung der Dante’schen Verse, wie sie Levi für Pikolo anfertigt, bleibt, zu Levis Leidwesen, vieles unübersetzt, reicht sein Französisch doch kaum aus, um dem Freund die Verse näher zu bringen. Doch gerade das dadurch entstandene Unübersetzte öffnet ein Bewusstsein über das Verstehen für die Botschaft der Verse, das nicht mehr nur die beiden Freunde betrifft, sondern auf alle Leidensgenossen im Lager übertragbar ist. Überdies tritt durch das Ringen um Verste-
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hen im Zuge der Übersetzungshandlung das im Lager vorherrschende Phänomen des Un_Übersetzten noch deutlicher ans Tageslicht. Das Un_Übersetzte kommt auch in einer Form zum Tragen, in der es vielleicht am wenigsten zu erwarten ist: in der Stille. In der Memoirenliteratur der Shoah ist Stille ein breites semantisches Feld. Stille ist nicht antonymisch mit Lärm zu verstehen – vielmehr schildern viele Autor*innen der Erinnerungsliteratur das Wehklagen, die Schreie der Gepeinigten, den lauthalsen Zorn der Kapos. In der Stille wird nicht nur die Verzweiflung über den Mangel an Nicht-Kommunizierbarkeit zum Ausdruck gebracht, sondern auch die tiefe, alles verschlingende Verstörtheit vor dem Grauen des Lagers. Der »Muselman« steht für die Stille im Lager: Als Muselmann wurden in der Lagerszpracha die Menschen bezeichnet, die sich im letzten Stadium des Hungertodes befanden: Sie waren nur noch Haut und Gerippe, hatten angeschwollene Beine, aufgeblähte Bäuche. Sie waren abgestumpft, apathisch – sie verwahrlosten in schmutzigen Lumpen.10 Muselmänner glichen wandelnden Leichen, die sich an der Grenze zwischen Leben und Krematorium befanden. Der Muselmann, der sterbend Ausgeschlossene, der nicht mehr spricht und mit dem nicht mehr gesprochen wird, kann als ultimative Verkörperung dieser Stille angesehen werden. Robert Antelme sagt uns in seinem Bericht Das Menschengeschlecht: »Im Lager ist die ›Stille‹ des Häftlings nicht die Stille dessen, der nicht sprechen soll, sondern dessen, der nicht sprechen kann.« (Antelme 1987/2001, 220) Hunger, Krankheit, Fieberwahn, völlige Vereinsamung entleerte viele Häftlinge ihrer emotionalen Verbundenheit mit der Welt »draußen« (Gramling 2012, 178) und veranlasste sie, nicht mehr zu sprechen, in Stille zu verfallen, eine Stille, die es ihnen auch verunmöglichte, im Sprachcode des Lagers zu sprechen, in der Lagerszpracha. In der Stille offenbart sich das Unübersetzte als eine Überlebensstrategie in dem Sinn, dass die Stille eine Form des potenziellen Sich-Distanzierens von dem Geschehenen im Lager war und freilich mit dem Risiko verbunden war, die Schwelle hin zur Existenzlosigkeit des Muselmanns zu überschreiten. 10
Vgl. zum »muzułman« auch Wesołowska 1998, 64, 115f.
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Diese Stille des Konzentrationslagers kann aber auch, wenn sie in der Zeit nach der »Befreiung« nach »außen« wirkt, eine ganz andere Ausformung annehmen. Im folgenden Beispiel begegnen einander nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder zwei Häftlinge von Auschwitz, wie die biografische Erzählerin des Auschwitz-Häftlings Stanisław Hantz berichtet: »Unübersehbar: Die beiden alten Männer begegnen sich mit weichen Gesichtern, einer anrührenden Zärtlichkeit und Fürsorge. Unversehens verschwinden sie hinter ihrem Wall von tausend stillen und erlebten Wörtern.« (Graf 2008, 31) Der hier sorgsam gezeichneten Stille ist eine Un_Übersetztheit eingeschrieben, die von den beiden ehemaligen Lagerinsassen nach »außen« getragen wurde. Wie die Szene suggeriert, ist dieses Un_Übersetzte jedoch durch das Wiedersehen und den liebevollen Umgang der beiden Männer gleichsam aufgehoben.11
Das Un_Übersetzte als Grauzone Der Versuch einer Erschließung des Unübersetzten im Konzentrationslager lenkt den Blick der Forschenden nicht nur auf die Brüche, die Konflikte und auf das Verborgene, das sich dem Übersetzen entzieht, sondern auch auf die hybriden Brennpunkte, an denen sich die
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Es gibt jedoch auch eine andere Ausformung der »Stille« des Konzentrationslagers, wenn sie zeitversetzt nach der »Befreiung« nach »außen« dringt. Das Unübersetzte kann dann im Schweigen zum Ausdruck kommen, wie Michael Pollak eindringlich vor Augen führt: »[…] jede Aussage [des ehemaligen KZHäftlings] ist in einem Raum des Sagbaren angesiedelt, der begrenzt ist vom absoluten Schweigen derer, die physisch vernichtet wurden (dem Schweigen der Millionen KZ-Opfer, deren Tod das einzige ist, was wir von ihnen erfahren) und vom partiellen Schweigen als Folge der Zerstörung der ›moralischen‹ (d.h. psychischen, sozialen, ethischen) Voraussetzungen, die zur Aussage befähigen.« (Pollak 1988/2016, 93).
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meisten Häftlinge und vor allem die Überlebenden, die darüber berichten wollen, befanden und die dem Wunsch nach Verstehen und nach Klarheit entgegenstehen. Die empirischen Befunde des Unübersetzten in der Alltagspraxis des Konzentrationslagers bilden so die Grundlage für eine konzeptuelle Erfassung der unterschiedlichen Varianten des Un_Übersetzten. Zu deren Erfassung bietet sich wiederum Primo Levis Konzept der Grauzone an. Levi konzeptualisierte diese Grauzone, um den Versuch zu unternehmen, die Antagonismen des Lagers wie Gut-Böse, Opfer-Täter u.ä. aufzulösen. Das Un_Übersetzte ist ein wesentliches Charakteristikum dieser Antagonismen und wird wiederum, wie die verschiedenen diskutierten Beispiele gezeigt haben, zumeist gerade durch sie ausgelöst. Ein Antagonismus ist aber auch im Verhältnis von »innen« und »außen« zu sehen. Die in den beiden Denkräumen aktiven Übersetzungskonzepte sind sehr unterschiedlich: In der Außenwelt, dort also, wo das Ablegen von Zeugnis vonseiten der Überlebenden stattfindet, wo die vielen Multiplikationsprozesse und das Ringen um Begreifen und Erkennen passieren, wird von einem eher weiten Konzept ausgegangen, dem Un_Übersetzten, das u.a. verschiedene Varianten der »Kommunikation« umfasst, wie Verstehen, Schweigen, Verständlich-Machen usw. Die Innenwelt hingegen arbeitet eher mit einem enger gefassten Übersetzungskonzept, das im Kontext seiner Anwendung im Alltagsleben des Konzentrationslagers von Ambivalenz, Stille und einem erlösenden Charakter gekennzeichnet war. Uri Cohen erörtert die Verbindung zwischen diesem »Innen« und »Außen« im Kontext des Austauschs zwischen Autor*in und Leser*in: »The question Levi poses for the reader is not limited to the kind of commerce that takes place in the camp but applies to the very exchange that takes place between the reader and the writer, the survivor and the world he has survived into. The survivor is rewarded with the ability to testify, to achieve the justification of survival […]: to survive in order to bear witness. The reader, it would seem, is rewarded with the feeling of redemption, of living in a world that has overcome the evil the survivor has survived.« (Cohen 2015, 73)
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Beide Varianten von Übersetzung und ihre multiplen ZwischenAusformungen wurden unter der Perspektive des Unübersetzten und des Un_Übersetzten diskutiert. Das Unübersetzte beginnt »innen«, im Schweigen, im Nicht-Ausgesprochenen, in der Stille, in der grenzenlosen Ambivalenz der Kommunikation im Lager im Allgemeinen und im Dolmetschen im Besonderen. Levi thematisiert die Verbindung von »außen« und »innen« im Kontext seiner eigenen schmerzhaft gewaltvoll erlittenen Erfahrungen bei der ersten »Begegnung« mit dem Konzentrationslager: »Die Welt, in die man hineinstürzte, war nicht nur grauenvoll, sondern darüber hinaus auch noch unentzifferbar: Sie entsprach keinem der bekannten Modelle, der Feind war draußen und zugleich drinnen, das ›wir‹ verlor seine Grenzen, es gab keine zwei gegnerischen Parteien, man erkannte nicht nur eine Grenzlinie, sondern viele und unklar, vielleicht unzählige […].« (Levi 1986/2015, 35) Wenn die Grenzen undeutlich werden und schließlich verschwimmen, wenn der »Feind« drinnen und gleichzeitig auch draußen ist, wenn der Zusammenprall zwischen draußen und drinnen das potenziell Übersetzbare in Unübersetztes verwandelt – wie ist es da anders zu denken, als dass sich dieses Unübersetzte von »innen« nicht nach »außen« fortsetzt? Wie kann etwas nach »außen« übersetzt, repräsentiert werden, wenn so vieles »innen«, im Lager, unübersetzt blieb? Das Unübersetzte von »innen« findet demnach seine Fortsetzung im Un_Übersetzten im »Außen«. Dieses »innen« und »außen« ist durch eine weitere Grauzone verbunden,12 deren grundlegende Merkmale abschließend kurz diskutiert werden. 12
Genau genommen wären noch weitere Grauzonen zu identifizieren, wie etwa jene der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Grauzone und ihrer Darstellung. Auch hier regiert das Nicht-Übersetzte: Was darf gesagt werden, was nicht? Auch der Umgang der Gesellschaft, vor allem der Nachkriegsgesellschaft, mit Berichten über die Lagererfahrungen kann als eine solche Grauzone bezeichnet werden, in der das Verschweigen als Mittel des Vergessens, das eine Konsolidierung der Gesellschaft ermöglichen sollte, vorherrschte (siehe dazu etwa Assmann 2013).
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Zunächst ist eine der Konstituenten dieser Grauzone – und damit der verschiedenen Varianten des Un_Übersetzten – ein Übersetzungskonzept, das Translation einerseits im herkömmlichen Sinn von Dolmetschen zur Herstellung von Kommunikation versteht, andererseits in seiner metaphorischen Breite erfasst und dabei als Instrument von Macht und Kontrolle begreift. Damit wird auch die dunkle Seite der translatorischen Tätigkeit in den Blick genommen, und ansatzweise ist auch das Moment der Widerständigkeit in einer solchen Sicht zu erkennen, wenn etwa unheilbringende Informationen – zumindest vorübergehend – verschwiegen und somit als un_übersetzt eingestuft werden können. Ebenso von Relevanz ist die Kategorie der Ambivalenz und die oftmals das Movens für die Schaffung des Unübersetzten darstellte. Aus welchen Gründen Un_Übersetztes bei der Kommunikation im Konzentrationslager und in der Darstellung des Grauens nach außen entsteht, kann freilich im Detail nicht nachvollzogen werden, doch ist hier zwischen zwei Arten von Un_Übersetztem zu unterscheiden: das intentional entstandene Un_Übersetzte, das gewollte, vielleicht sogar zu begründende Nicht-Übersetzen, das eigenes oder fremdes Leben retten konnte, und sodann das systemimmanent entstandene Un_Übersetzte, das keinen Widerspruch duldete, von schweigender Macht gekennzeichnet war und sich nach »außen« durch den Mangel an sprachlichem Werkzeug zu seiner Darstellung manifestierte. In der Grauzone überschneiden sich diese beiden Manifestationen des Un_Übersetzten und werden zusätzlich durch Strategien verzerrt, die mit Antizipation in Verbindung zu bringen sind, die also – aus habituellem oder internalisiertem Verhalten heraus – das Un_Übersetzte antizipieren, um einer Strafe zu entkommen, oder schlicht: um zu überleben. Der Komplexität dieser Prozesse steht ein einfaches Mittel gegenüber: der Knüppel der Kapos und der SS. Der Knüppel steht für die Weigerung zu kommunizieren, für die reine Gewalt. Er ist das Un_Übersetzte – und wird trotzdem von allen verstanden.13 13
In Levis Worten: »Marsalek [sic!] erzählt in seinem Buch ›Mauthausen‹ […], daß im dortigen Lager, wo ein noch größeres Sprachengewirr herrschte als in Auschwitz, der Gummiknüppel ›der Dolmetscher‹ genannt wurde: der, den alle verstanden« (Levi 1986/2015, 95, Hervorh. i.O.).
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Humor in Aufführungen von refugee artist groups während des Zweiten Weltkriegs Susanne Korbel
Between 1933 and 1945, around 340,000 Jews emigrated to escape from the Nazi terror. From Shanghai to New York and Melbourne, they established a popular theater and cabaret scene. On its stages, they used humor to negotiate and communicate the fate of the refugees. They made deliberate use of laughter to make their experiences of exclusion, persecution, violence, flight and loss, arrival and new beginnings, as well as stories of their past, accessible not only to one another but also to audiences that did not share such experiences. In this article, I refer to translated and untranslated elements in performances by refugees in New York (in Café Vienna, in Eberhart’s Café Grinzing, in Restaurant Neugröschl, in Alt-Wien Café, in Konditorei Eclair, in Palmgarden and others). With reference to Sigmund Freud’s analysis of humor, I look at text and song books and supplement them with information from oral histories gleaned from interviews I conducted in order to investigate how the refugees translated humor in their theater performances, and what remained untranslated.
Kann es, nach Ausgrenzung, nach einem Alles-hinter-sich-Lassen und Alle-Zurücklassen noch Übersetzung geben?1 Kann anderen die
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Ich danke Helmut Eberhart für die Anregungen und Kommentare, die diesen Aufsatz und meinen Blick auf das Un_Übersetzte maßgeblich bereicherten.
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Erfahrung von Verfolgung, von einem Irgendwo-im-UnbekanntenAnkommen und dem Aufbauen eines neuen Lebens dort, mit Sprache oder Humor vermittelt werden? Können Musik und Performanz so tiefgreifend Erlebtes Menschen, die diese Erfahrungen nicht teilen mussten, näherbringen? Diese Fragen betreffen Flüchtlinge in der Gegenwart ebenso wie in der Vergangenheit die rund 340.000 Jüdinnen und Juden, die zwischen 1933 und 1945 vor dem Terror der Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen (United States Holocaust Memorial Museum 2019) flohen. Zwischen Shanghai, New York und Melbourne etablierte sich eine Theater- und Kabarettszene, in der die Flüchtlinge vor den Nazis – refugees2 nannten sie sich in den USA – ihre Schicksale mit Humor thematisierten. Das Erleben von Ausgrenzung, Verfolgung, Gewalt, Flucht und Verlust, Ankunft und Neubeginn sollte ebenso wie früheres Leben, Lachen und Freude über einen Neubeginn einander, aber auch einem Publikum, das diese Erfahrungen nicht teilte, zugänglich gemacht werden. Einprägsame Zeilen wie »Da wär’s halt gut, wenn man Englisch könnt« von Hermann Leopoldi und Helen Möslein oder »I am in the Hell of fix, weil i Deutsch und Englisch stets vermix« von Jimmy Berg stehen stellvertretend für die Auseinandersetzung damit, wie die Erfahrung der Flucht einerseits und ihre Konfrontation mit einem doppelten Sprachverlust andererseits das Leben sowie das künstlerisches Schaffen zu prägen begannen. In Spielstätten wie Cafés mit Bühnen, varietéartigen neuen Lokalen oder manchmal gemieteten großen Theatern setzten sich die Flüchtlinge gemeinsam mit den Besucher*innen mit der Frage auseinander, ob es eine Übersetzung der Erfahrung von Ausgrenzung, von einem Alles-Aufgeben und Hinter-sich-Lassen, von einem alle Zurücklassen geben kann. Fragen, die in diesem Kontext auftraten und nicht nur Teil der alltäglichen Überlegungen von geflohenen Kunstschaffenden wurden, und in diesem Sinne auch Teil der Aufführungen,
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Bei refugees handelt es sich um die Selbstbezeichnung der Personen aber auch von künstlerisch tätigen Gruppen, die sich etwa als The Refugee Artist Group zusammentaten und größere Wohltätigkeitsveranstaltungen in New York initiierten. (SLCA, Playbill 1939).
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waren unter anderem: Was bedeutete die Erfahrung des Sprachverlustes, nicht verstanden zu werden und gezwungen zu sein, eine neue Sprache zu lernen? Wie kann anderen das Erfahren von Verfolgung, von einem Irgendwo-im-Unbekannten-Ankommen und dem Aufbauen eines neuen Lebens dort erzählt und vermittelt werden? Und vermag Humor das zu leisten? Aus der Perspektive einer an kulturwissenschaftlichen Erkenntnisinteressen orientierten Forschung ist zu fragen, welche Übersetzungsprozesse beim Aushandeln von Antworten auf diese Fragen zu beobachten sind: Wie reflektierten die Flüchtlinge Übersetzen in ihren kulturellen Produktionen? Welche Übersetzungswerkzeuge setzten sie ein? Was wurde gesagt, was ungesagt – oder anders formuliert, was übersetzten die refugees, was blieb und ließen sie unübersetzt und wie ergänzten sich und standen Übersetztes und Unübersetztes zueinander? Einerseits machte das Versprechen, die »Wiener Unterhaltungsszene« etwa für ein Publikum am Centralpark zu übersetzen, die Erfahrungen der Flucht nur allzu gegenwärtig. Erzählen, Berichten, Aufführen und Aushandeln von Fluchterfahrungen rückte aber andererseits auch in den Hintergrund – mussten die Aufführungen doch dem Zweck dienen, sich einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Um dieser Ambivalenz, die in die kulturellen Produktionen einflossen, gerecht zu werden, ist eine dichotome Perspektive auf »Übersetztes versus Unübersetztes« unzulänglich. Es bedarf einer Perspektive eines »Sowohl-als-auch«, die das produktive Dazwischen – Übersetzes und das Un_Übersetzte als Strategie – in den Blick nimmt (Bhatti und Kimmich 2015, 10).3 In diesem Kapitel schlage ich eine solche Perspektive vor, um
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Auf die Aufmerksamkeit, die »in-between«, dem »Dazwischen«, seit dem postcolonial turn zukommt, werde ich mich nur insofern beziehen, als die Rezeption von Homi Bhabha, Gayatri Chakravorty Spivak und Edward Said die Perspektive meiner Analyse formte. Für ein »Dazwischen« als Strategie der Übersetzung in der Translationswissenschaft beziehe ich mich auf Anil Bhatti und argumentiere, dass in Anlehnung an Bhatti das Unübersetzte ebenso als Strategie eingesetzt wurde und sich gerade in der wechselseitigen Bedingung von Übersetztem und Unübersetztem die produktive Wirkmacht des »Schmähs im Exil« ergab.
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zu analysieren, wie in New York die Erfahrung von Flucht und Emigration mit Humor und »Schmäh« verhandelt wurde.
Humor un_übersetzt als produktives Dazwischen Rund 120.000 von den 340.000 refugees, die Europa zwischen 1933 und 1945 verlassen mussten, fanden Zuflucht in den USA. Im New York der ausgehenden 1930er und 1940er Jahre etablierten sie rund um den Central Park eine lebendige Kabarett-, Operetten- und Chansonsszene. Diese Szene entstand in Upper New York, mitten in der sogenannten German Town und einer weniger bekannten Austrian Town (Korbel 2017, 78). Die sogenannten Yekkes4 und andere Emigrant*innen setzten populäre Operetten, Wienerlieder oder Conférencen vor den Erfahrungen der Emigration und des Exils in neue Kontexte und erweckten so Räume, in denen sie ihre Flucht, das Exil und die Emigration verhandelten. Politisch oder/und rassistisch von den Nationalsozialist*innen verfolgte und geflohene Schauspieler*innen, Musiker*innen und andere Künstler*innen gestalteten bald die New Yorker populäre Kultur mit (Klösch und Thumser 2002; Adunka und Rössler 2003; Adunka et al. 2018). Die Übersetzungsprozesse, die sich in ihrem kulturellen Schaffen ereigneten und die ich im Folgenden untersuche, waren gewissermaßen doppelt performativ: Performativ in dem Sinne, dass Übersetzen per se etwas Performatives, Interaktives und Wechselseitiges ist (Lawick und Jirku 2012, 12);performativ aber auch insofern, als die von mir betrachteten Beispiele die Dimension der bühnischen Vorführung und Aufführung beinhalten (Fischer-Lichte 2012). Übersetzer*innen waren die Auftretenden – meist Emigrant*innen, manchmal gemeinsam mit
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Die Etymologie des Begriffes Yekke (auch Jecke) ist weder eindeutig geklärt noch unproblematisch. Steven M. Lowenstein weist zwei mögliche Ursprünge auf: einmal die Herkunft vom Jiddischen Yahkke (Jacke) als Akronym für die formelle Kleidung der deutschen Jüdinnen und Juden und eine andere mögliche Herkunft vom Hebräischen Yehudi Kshe Havanah, was so viel wie »geisteskranker Jude« bedeutet.
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US-amerikanischen Schauspieler*innen –, Rezipient*innen das Publikum vor Ort und gelegentlich Radiohörer*innen. Das Publikum setzte sich aus Exilgemeinschaft und einer »sophisticated American public«, wie Beatrix Green, eine der Schauspielerinnen, das Publikum zu beschreiben pflegte, zusammen (Interview mit Beatrix Green).5 Die Übersetzer*innnen sowie die Adressat*innen und die Rezipient*innen der populären Kultur am Central Park waren nie exklusiv und ausschließlich nur die Emigrant*innen. Die Übersetzungen der Wiener populären Kultur waren sowohl in ihrer Genese wie in ihrer Interpretation Produkte eines Austauschprozesses zwischen unterschiedlichen soziokulturellen Gruppen. Dieser beförderte eine Intensivierung des Kontaktes und der Beziehungen mit den US-Amerikaner*innen. Das unterstreicht eine Erkenntnis über »gesellschaftliche Übersetzung«, die der Soziologe Gabriele Cappai folgendermaßen formulierte: Gesellschaftliche Heterogenität bedeutet nicht Unübersetzbarkeit, sondern gerade (der Prozess der) Übersetzung wird in plurikulturellen Gesellschaften zu einem Motor »gesellschaftlicher Integration« (Cappai 2002, 215-219). Übersetzen inkludiert immer auch die – bewusste oder unbewusste – Entscheidung, nicht zu übersetzen, nicht übersetzen zu können oder etwas unübersetzt (also un_übersetzt) zu belassen. Humor und das Übersetzen von Humor positionieren sich in besonderem Ausmaß in dem Spannungsfeld zwischen Übersetztem und Unübersetztem. Damit beschäftigte sich Sigmund Freud in einem, wie er selbst schrieb, Essay über »die Quelle der Lust am Humor« von 1905 bzw. 1927 (Freud 1927/2012). In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten ging Freud (1905/2012) der Frage nach, was Humor brauche, um als solcher zu funktionieren und eine Freude, einen Lustgewinn, Spaß und ein Lachen – entweder über sich selbst oder auf Lasten anderer – als Ergebnis zu bewirken. Freud stellte die Frage, wann und warum eigentlich über eine Äußerung, ein Lied oder einen Sketch gelacht wird. Nach Freud 5
Mein ausdrücklicher Dank gilt Albert Lichtblau für die Zurverfügungstellung des Interviews. Interview geführt von Albert Lichtblau mit Beatrix Green vom 12.4.1993, Zeitsequenz der zitierten Passage: Minute 48:28-48:42.
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(1905/2012, 198-210) müsse dafür eine gewisse »Vergleichung« erwirkt werden. Damit Humor funktioniere, müsse selbiges bewirkt werden: »Kein Zweifel, das Wesen des Humors besteht darin, daß man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlaß gäbe, und sich mit dem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerung hinaussetzt. Insofern muß der Vorgang beim Humoristen mit dem beim Zuhörer übereinstimmen, richtiger gesagt, der Vorgang beim Zuhörer muß den beim Humoristen kopiert haben.« (Freud 1927/2012, 254) Damit ein solcher Prozess »kopiert« würde, bedarf es übersetzerischen Talents – einer Übersetzung insofern, als die Rezipierenden an den Inhalt anknüpfen und ihn auf ihre eigene Erfahrungswelt einbeziehen können (Freud 1905/2012, 212). Gewissermaßen wie im kindlichen Stadium müssen Adressat*innen abgeholt werden. »Ein guter Witz kommt aber zustande, wenn die Kindererwartung recht behält und mit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere wesentliche Ähnlichkeit des Sinnes angezeigt ist […].« (Ebda., 134) Diese Technik zu beherrschen mache allerdings auch, wie Freud am bedeutungsschweren Sinnbild im Modifikationswitz Traduttore-Traditore illustriert, den »Übersetzer zum Verräter« (ebda.). Gelang es mit Sprache nicht (mehr) eine solche Vergleichung herzustellen, waren Protagonist*innen mit Unübersetzbarkeit konfrontiert. Generell zeichnet Humortechniken, so attestiert Freud (ebda., 49), eine inhärente »Unübersetzbarkeit« aus. Im Besonderen leben Flüchtlinge und Migrant*innen, so der Philosoph Boris Buden (2008, 71-85), im permanenten Übersetzten und sind fortwährend den Konsequenzen des Unübersetzten ausgesetzt. Das erzeuge existenzielle Grundängste. Die Flüchtlinge (während des Zweiten Weltkriegs) mussten einen Weg finden, sich in ihrer neuen Lebensumgebung verständigen zu können und verständlich zu machen. Für all jene, die mit Sprache ihren Lebensunterhalt verdienen mussten, bedeutete das Erleben des Sprachverlustes eine weitere schmerzliche Erfahrung: Sprachlichen Witz zu transportieren, wie es etwa das Kabarett erfordert, erschien zunächst als eine schier unüberwindbare Herausforderung. Gerade die Gattungen des »Wiener Schmähs« und des Wienerlieds sowie anderer Para-
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destücke der Szene populärer Kultur, innerhalb der die refugee artists zuvor berühmt waren, kann gewissermaßen als Gegenteil von Weltliteratur, die als ultimative Annahme der Übersetzbarkeit gilt (Apter 2013, 3), bezeichnet werden. Im vormigrantischen Repertoire der refugee artist groups waren lokale Anspielungen, sprachliche Varietät und inhaltliche Referenzen auf Wien und dessen Werden als Metropole der Habsburgermonarchie versammelt. Dies entzog sich einem nichtlokalen Publikum und war in der Emigration nur schwer dem neuen Publikum zugänglich zu machen. Der Translationswissenschafter Theo Hermans zeigte allerdings, dass es Texte mit unübersetzbaren Elementen gibt, die Texte aber doch übersetzt sind (Hermans 2019, 29). Und mit Verweis auf die Translationswissenschafterin Isabelle Marc (2015, 9), die argumentierte, dass vermeintlich besonders stark »national« verortete Genres im Rezeptionskontext Adaptierbarkeit entwickeln können, ist festzuhalten, dass die regionale Verortung und Spielart der Wiener Unterhaltungskultur nicht totale Unübersetzbarkeit bedeuteten. In der Produktivität von Fragmenten, die Übersetzungen herausforderten, entwickelten die Protagonist*innen vielmehr neue Strategien, Übersetztes und Unübersetztes miteinander zu verbinden. Das »Scheitern« von Übersetzung war Teil der Alltagserfahrung der Protagonist*innen im New Yorker Exil. Der Kulturhistoriker und Anthropologe Joachim Schlör (2018, 153-156) betonte, dass Künstler*innen in der Emigration schnell erfahren mussten, dass ihnen für vermutlich längere Zeit die neue Sprache nicht für ihre Kunst zugänglich sein würde. So mussten sie Wege finden, diese (nur allzu schmerzliche) Erkenntnis verarbeiten zu können – und nutzten dazu bald ihre Kunst. Ihr Sprachverlust und das Erringen einer neuen Sprache waren zum einen eine Gemeinsamkeit unter den Emigrant*innen, zum anderen aber auch eine Erfahrung, die Nichtemigrant*innen aus dem Kontakt mit den neu in New York Angekommenen im Alltag kannten. Sprachverlust, das Erlernen der neuen Sprache sowie die Kunst übersetzen zu können avancierten deshalb zu weit verbreiteten Motiven bei den Übersetzungen von Wienerliedern und Kabarettprogrammen an das New Yorker Leben. Mit verschiedenen Strategien gelang es den Flüchtlingen, kulturelle und sprachliche Barrieren nicht in einer
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Ohnmacht der Unübersetzbarkeit verharren zu lassen, sondern zu einem Stillmittel und einer gelebten Kommunikationspraxis wurden. Die Produkte mit kulturellen und sprachlichen Versatzstücken früherer Versionen oder direkten Hinweisen darauf, (vermeintlich) nicht verstanden zu werden, waren unübersetzt und doch dem Publikum im wechselseitigen Dialog mit den Übersetzer*innen zugänglich.
Übersetztes und Unübersetztes – Un_Übersetztes – im New Yorker »Wiener Schmäh« Die Flüchtlinge bemühten sich, einen Weg zu finden, Witze, Komisches und den »Wiener Schmäh«, wie er im Wienerlied präsent war, in die neuen New Yorker Lebensbedingungen und Gegebenheiten zu übersetzen. »We are a group of actors, writers and musicians. We come from Vienna. We hope to find a new home in America and on the American stage« (SLCA, The Refugee Artist Group 1939, 18), lautete die Selbstbeschreibung einer der refuge artist groups. Wie diese illustriert, bedeutete für die refugees die Herausforderung, die Übersetzung zu meistern, eine Notwendigkeit, die die Protagonist*innen unterschiedlich bewältigten: Hermann Leopoldi (1888-1959) etwa fand in Helly Möslein (19141998) eine Partnerin, die die Erfahrung in einem englischsprachigen Umfeld leben zu müssen schon rund zehn Jahre vor ihm erlebte und meisterte. Möslein zog als Elfjährige 1925 mit ihren Eltern nach Chicago, ging zum Studium zurück nach Wien und wanderte schließlich nach New York aus. Sie besuchte ein Konzert Leopoldis in New York kurz nach dessen Ankunft am 18. April 1939. Dort lernten sich die beiden kennen (Lind und Trsaka 2012, 221). Leopoldi war von der charismatischen Sängerin begeistert und bat sie, mit ihm als seine Übersetzerin aufzutreten. Sie sollte nach seiner Vorstellung seine Liedtexte ins Englische übertragen und seinen »Schmäh« den New Yorker*innen zugänglich machen. So war Möslein für die Erstübersetzung von Leopoldis Klassiker Ein kleines Café in Hernals verantwortlich, das sie zu There’s a Little Café Down the Street machte. Sie fand eine Strategie, Referenzen wie »Hernals« oder »Grand Hotel« dem New Yorker Publikum zu er-
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klären, und ihre Übersetzung ins Englische verhalf dem Lied zu einem großen Erfolg. Auch die Wiener Sängerin Gertrude Hammerschlag und der Kabarettist und Autor zahlreicher Conférencen Jimmy Berg trafen einander in einem der neuen »Wiener Kaffeehäuser am Central Park« und fanden in einer Arbeits- und Lebenspartnerschaft zusammen. Sie komponierten und schrieben gemeinsam eine der größten Wienerliedsammlungen des Exils, die sie zumindest bis 1952 immer wieder auch gemeinsam aufführten (Korbel 2018, 92). Aus den Übersetzungen der refugee artist groups lassen sich für die Szene zwischen 1933 und 19506 unterschiedliche Strategien zur Adaption der Wiener populären Kultur7 ableiten. Zwischen Praktiken der Domestizierung und externalisierten Foreignisierung8 lassen sich im Wesentlichen drei Formen der Übersetzung zur Herstellung einer »Vergleichung« im Freud’schen Sinne unterscheiden: Die Strategien (1) das Wienerlied als New Yorker Chanson zu interpretieren, (2) den Prozess des Sprachlernens dem Publikum als Anknüpfungspunkt zu bieten und (3) den Inhalt entlang für ein New Yorker Publikum nachvollziehbarer Erfahrungen zu übersetzen. In allen drei, so argumentiere ich, setzten die refugee artist groups Unübersetztes ebenso als wirkmächtiges Instrument zur Mitteilung von Inhalten ein wie Übersetztes. Übersetztes und Unübersetztes ergänzten einander nicht nur – die produktive Wirkmacht des »Schmähs im Exil« ergab sich vielmehr, wie ich im Folgenden zeigen werde, in ihrer wechselseitigen Bedingung.
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Der Zeitraum hier ist nicht als absolute, sondern relative Periodisierung für jene Periode zu verstehen, die mit einerseits der Machtergreifung der Nationalsozialist*innen in Deutschland und andererseits dem Austrofaschismus in Österreich begann und über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinausreichte. Ich beziehe mich mit dieser Bezeichnung auf die Unterhaltungskultur, wie sie in Wien im ausgehenden 19. Jahrhundert entstand und maßgeblich von Jüdinnen und Juden gemeinsam mit Nichtjüdinnen und Nichtjuden gestaltet und rezipiert wurde (Korbel 2020). Ich möchte Rafael Schögler für die Anregung danken.
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(1) Das Wienerlied als New Yorker Chanson Zur Adaption des Wienerlieds (Lieder aus Wien und mit Wienbezug) als New Yorker Chanson (aliquot in der Konzeption der Flüchtlinge: Lieder aus New York oder mit Bezug auf New York) wählten die Flüchtlinge verschiedene Zugänge. Basierend auf den Kompositionen der Wienerlieder wurde der Text entweder vermeintlich wörtlich übersetzt, einzelne Strophen mit neuen Erfahrungen ergänzt oder im Sinne einer umfassenden soziolinguistisch- und -kulturellen Übersetzung in die neue Sprache transferiert: Das Kaffeehaus wurde zum Dinner, der Treffpunkt im Treppenhaus zum Meeting im Elevator. Insbesondere die (unter den Flüchtlingen altbekannten und beliebten) Melodien dienten dabei als Mitteilungsinstanz, die die nötige Wiedererkennung und damit Unterhaltung garantierten. Die Genese der Adaption des Wienerliedes spiegelt dabei auch einen Wandel der Vorstellungen der Protagonist*innen darüber, was Übersetzungen zu leisten hatten, wider: So versuchten sie zunächst altbekannte Lieder auch in New York populär zu machen. Bald aber wechselten sie ihre Strategien und versuchten den Charme ihres Humors in neue New Yorker Inhalte zu packen. Dies war nicht zuletzt dadurch motiviert, dass die Künstler*innen auch in New York versuchten, ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst verdienen zu können. Der Zwang (erfolgreich) zu übersetzen führte somit zu dieser stärkeren Ausdifferenzierung ihrer übersetzerischen Werkzeuge. Unmittelbar nachdem die Künstler*innen in New York ankamen, übersetzte Helly Möslein Hermann Leopoldis Klassiker Ein kleines Café in Hernals zu There’s a Little Café Down the Street. Ähnlich wie Möslein gingen Trude und Jimmy Berg bei der Übersetzung des Wienerlieds Der Vorstadtpark als The Tiny Park vor:9
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Die zitierten Liedtexte sind, sofern nicht anders ausgewiesen, aus der Österreichischen Exilbibliothek, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16.
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Im Vorstadtpark »Kennst Du den kleinen Park? Er steht in Ottakring Er steht in Simmering, Kennst Du den kleinen Park? Er steht in Lichtental, In Lerchenfeld, Er steht in jeder Stadt Die ihre Armut hat Und arme Menschen gibt es auf der ganzen Welt.«
The Tiny Park »I’m sure you know this park, Because it may be found the wide world around You’ll find it here and there, you’ll find it everywhere This tiny park. I’m sure you’ve often seen, This hopeful bit of green that’ s there to cheer, When things are dear and life seems dark.«
Neben dem Zugänglichmachen der Inhalte der bald auch in New York vielgehörten Melodien finden sich auch Übersetzungen, deren Inhalte auf die Emigration und die neuen Herausforderungen des Lebens der »vormaligen« Wiener*innen verweisen. Jimmy Berg ergänzte zum Beispiel Armin Bergs (1893-1956) Was braucht denn ein Wiener um glücklich zu sein:
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Was braucht denn ein Wiener (Armin Berg) »Was braucht denn ein Wiener um glücklich zu sein? Nur Ruhe, denn Ruhe ist schön Drum steht er schon auf auch um dreiviertel neun, Und ist dann beim Frühstück um zehn, Dann geht er spazieren, zwei Stunden vorm Schmaus, Dann geht er essen und dann ruht er sich aus, Und sitzt im Kaffeehaus von drei Uhr bis neun, Denn das braucht ein Wiener um gluecklich zu sein«
Ergänzt von Jimmy Berg »Was braucht denn ein Wiener um glücklich zu sein? Adressen von Bronx und Brooklyn, Dann schreibt er – ich hoffe, Sie werden verzeihn Wenn ich Sie begruesse aus Wien. Und dann nebenbei hat er noch eine Bitt’ Selbst falls der Empfaenger ein Israelit, Denn ein Care Paket vom Herrn Kohn oder Stein, Das braucht heut ein Wiener um gluecklich zu sein«
1940 fügte Berg dem Klassiker drei Strophen hinzu, die er in Wien beginnen und in New York enden lässt, wo er berichtet, »was ein Wiener in New York« brauche und so das Suchen von Lebensnotwendigkeiten und die Bewältigung des Alltags in der Metropole offenlegt. In der Adaption von Armin Bergs Klassiker besang Jimmy Berg die neuen Dinge, die einen Wiener »heut« glücklich sein ließen, ehe er – anders als in Armin Bergs Version – in der letzten Strophe schließlich nicht mehr die Wienerin, sondern die New Yorkerin als ultimatives Glück beschreibt: »Die Subway, wo niemals man sitzt,/Ein Movie, wo man steht zwei Stunden ›in line‹,/Und Shopping, wo man sich erhitzt./A Jausen mit Rummy in Washington Heights,/Ein Urlaub in Fleischmanns anstatt in der Schweiz,/Und zehn bis zwoelf Dresses von Ohrbach und Klein,/Das braucht die New Yorkerin, um gluecklich zu sein.« (Was braucht denn ein Wiener) Die Frage, die im letzten Beispiel schon der Titel vorwegnahm – was man in New York brauche – wurde zentral für das Übersetzen von Wie-
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nerliedern als New Yorker Chansons. Bei dieser Übersetzungsstrategie diente vor allem die räumliche Adaptionsfähigkeit des Besungenen als Instanz der Herstellung von Anknüpfungspunkten. Denn das kleine Café und der Park, wie im zuvor zitierten Refrain von The Tiny Park wörtlich festgestellt wird, können auf der ganzen Welt gefunden werden. Nicht nur dem Genre des Wienerlieds, sondern ebenso den kabarettartigen Operettenadaptionen sollte der Einzug in die Szene der New Yorker populären Kultur eröffnet werden. Heinrich Bertés Das Dreimädlhaus, Emmerich Kálmáns Die Csárdászfürstin oder Ralph Benatzky, Erik Charell, Robert Gilbert und Hans Müller-Einigens Im weißen Rößl spielten nicht mehr in Zentraleuropa, sondern als Kurzoperetten, ein Genre, das Jimmy Berg für das Café Vienna kreierte, in New York und den Vereinigten Staaten. Ich greife hier exemplarisch die Adaptionen der Kultoperette Im weißen Rößl heraus. Diese wurde in mindestens drei Versionen von den Flüchtlingen in New York inszeniert: Im Vergleich zur ursprünglichen Singspielfassung von 1930 kann in der Version von 1941 die Adaption von Rollen, wie jener der Wirtin des Hotels Im weißen Rößl am Central Park oder des Kellners Leopold, durch die Emigration nachvollzogen werden. Die Inszenierung von 1943 reflektiert das Ankommen und Fußfassen in New York sowie die Bedeutung von Netzwerken dabei. Die Inszenierung von 1947 zeigt dies dann vor dem Hintergrund der Entscheidung zahlreicher Emigrant*innen, nach 1945 in den USA zu bleiben, und wird ein Beispiel für die dritte vorgeschlagene Form der Adaption sein (Korbel 2017, 240). In der Adaption von November 1941 beließ Jimmy Berg den Beginn des Liedes im ursprünglichen Text. Die Versatzstücke der Sommerfrische des pränationalsozialistischen Österreichs werden in der zweiten Hälfte der Strophe jedoch schnell gebrochen, wenn Leopold seiner angehimmelten Roesselwirtin zuflüstert: »Sie: Austria you look so strange/Austria how did you change/Beide: Roll along, White Horse Inn, just roll along/Sie: Ich pack ein die Dirndlsachen/Nimm die Lederhosen rasch,/…/Sag zum Abschied leise Ser-
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vus/Weil ich nach New York Dich lock.« (Das weisse Roessel am Centralpark) Es folgt ein Dialog zwischen den beiden, den die Roesselwirtin mit »So let’s go« beendet. Berg setzte das Übersetzen von Erfahrungen als Werkzeug ein: Von Beginn an fällt die starke Verflechtung des Stoffes mit den politischen Rahmenbedingungen, die Grund für Flucht und Exil waren, auf. Auch das Vermischen von Sprachen – jener der Sozialisation mit der des Exils – sticht ins Auge. Dieses Vermischen, im konkreten Beispiel ein Vermischen von Deutsch und Englisch – »Denglish« –, als permanente Lebensrealität der Flüchtlinge wurde zum häufig gewählten stilistischen und performativen Element in den Adaptionen von Stücken vor den Erfahrungen der Zwangsmigration und des Exils. Das Mischen von »alter« und »neuer« Sprache sowie das Spielen damit sind die vielleicht offensichtlichsten Ausdrücke der Adaptionen der Stücke und des in ihnen voranschreitenden Übersetzens. Ebenso wurden Geschlechterrollen übersetzt (Korbel 2019, 180). Ihre Übersetzung war eine weniger offensichtlich angesprochene: Aus der Wirtin eines Hotels im Salzkammergut wurde in New York eine Geschäftsfrau mit Chuzpe. Am Central Park flirtet die Roesselwirtin nicht mehr nur mit ihrem Zahlkellner, sondern, der Regienotiz im Skript entnehmend, mit dem Redakteur der Zeitung des German-Jewish Club New York, um gratis Inches für ihre Inserate zu bekommen.10 Leopold, der eigentlich für die Wirtin schwärmt, reagiert darauf dem ursprünglichen Motiv der Operette entsprechend eifersüchtig. Die Roesselwirtin zeichnet ihre als obsessiv beschriebene Attitüde aus; sie wird als elegant sprachlich der US-amerikanischen Gesellschaft angepasst und dadurch modernistisch dargestellt. Der Gegenpart zur modern-amerikanisch agierenden Roesselwirtin bleibt das gesamte Stück hindurch Leopold. Das macht ihn mit der Zeit zunehmend unverstanden – unübersetzt. Besonders
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Der Aufbau war die Zeitung des German-Jewish Club New York, der liebevoll auch »Familienbibel« der Emigrant*innen genannt wurde (Borrmann 2011; Kotowski 2011, 62-69).
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betont wird dabei allerdings auch ein sukzessives Nichtübersetzt-seinWollen durch sein Festhalten an der »alten« Sprache, was die Roesselwirtin wie gleich folgt zusammenfasst und was zur zweiten Kategorie der Übersetzungsstrategien zur Herstellung von Vergleichungen überleitet.
(2) Das Sprachlernen als geteilte Erfahrung Die Übersetzungen von Liedern und Stücken, die das Erlernen der neuen Sprache im Sinne eines vorführenden, performativen Übersetzens während der Bühnenaufführung inszenierten, kannten zwei Methoden: zum einen das Lernen darzustellen und zum anderen das Publikum Ideen, Metaphern und Sprichwörter zu lehren. Als Reaktion darauf, dass Leopold in Das weisse Roessel am Centralpark an seiner »alten« Sprache festhält, erklärt die Roesselwirtin ihrem Publikum, was es bedeutet, eine neue Sprache lernen zu müssen: »So I tell him – Oh Darling Give me now a little kiss, But he doesn’t get my Oxford English, That’s how it is… (setzt zu neuer Melodie, nämlich Mein Liebeslied muss ein Walzer sein fort) Drum sag ich’s ihm halt im Walzertakt Nur dann versteht er, was man ihm sagt. Ja, der Langenscheidt Hat mit ihm ka Freud, In der Berlitz School War er immer ein Fool. Sprech englisch [!] ich, sagt er, Schatzerl please, Ach red mit mir bitte Viennese…« (Das weisse Roessel am Centralpark) Die Szene veranschaulicht dem Publikum die Mühen, mit denen sich die Emigrant*innen – mit mehr oder weniger Erfolg – durch Sprachkurse schlugen. Sie weist auch darauf hin, dass die Emigrant*innen gerade auch untereinander versuchten, sich auf Englisch zu verstän-
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digen bzw. mit ihrem Englisch weiterzuhelfen. Ebenso spielt die Szene darauf an, dass die »Berlitz School« vielleicht gängige Floskeln für den Alltag zu vermitteln wusste, die Sprache für zwischenmenschliche Beziehungen, Gefühle und Intimität aber (noch immer) jene der Sozialisation blieb. Das wird schließlich in der nur allzu metaphorischen Referenz auf »Viennese« in einer Situation von Vertrautheit zwischen dem Liebespaar augenscheinlich. Damit übersetzte die Szene nicht nur, dass ein Lernerfolg in der »Berlitz School« manchmal auf sich warten ließ, sondern ebenso, dass ein Verortetsein in der »alten Sprache« einen überaus emotionalen Dislokationsprozess bedeutet. Gleichzeitig wird so evident, dass gerade ein Transferieren dieser emotionalen Aspekte Teil der Übersetzung sein musste und, obwohl ungesagt, dennoch nicht unübersetzt blieb. Als Beispiel dafür, wie die Flüchtlinge das Chaos des Sprachenlernens den New Yorker*innen, die diese Erfahrung nicht teilten, beibringen wollten, komponierten Armin Berg und Jimmy Berg ein Wienerlied zur Übersetzung. Ähnlich wie in Passagen von Leopoldis »Da wär’s halt gut wenn man Englisch könnt« stehen so plötzlich Sinnbilder, sprachlicher Witz und die Tiefe der sprachlichen Dislokation einander gegenüber. Betitelt mit Here is Viennese for you thematisieren Berg und Berg vor der Melodie von Schoen ist so ein Ringelspiel (Archiv des Wiener Volksliedwerks, Herz und Leopoldi 1932): »I’m in a hell of a fix weil ich Englisch mit Deutsch stets vermix, Weil ich keine Language richtig talken oder sprechen kann Bin ich, it is no fun, Ein unverstandener Mann.« (Hell of Fix) Oder anders gesagt: »›Leiwand‹ means it’s simply great And ›Randevutscherl‹ is a date, ›Tschicks‹ we say for Cig’rette butts, And ›deppat‹ means a little ›nuts‹. ›Zupf di‹ is the word for scram
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And ›Kruzituerken‹ stands for damn, ›Mir is mies‹ means ›I feel blue‹/Here is Viennese for you!« (Cowboy from Vienna)
(3) Einflechten von in New York bekannten Inhalten und Erfahrungen Die dritte Strategie war schließlich eine, die Inhalte mit für ein New Yorker Publikum nachvollziehbaren Lebenswelten zu übersetzen bemüht war: Orte, Namen und Alltagspraktiken wurden variiert. Die Sommerfrische suchte man nicht mehr in Bad Ischl, sondern in den Catskills, Simmering wurde zur Bronx, der Treffpunkt Stiegenhaus in den Elevator verlagert. Bei dieser Strategie blieben Stückinhalte in minimalster Form durch etwaige Benennungen oder Melodien wiedererkennbar, die Handlung adaptierten die refugees aber vollständig an die New Yorker Umgebung. Sie ließen Prinzessin Maritza Im weißen Rößl als Princess Maritza in the Catskills und The White Horse Rides Again an der Sommerfrischedestination der New Yorker spielen; die Protagonisten als Cowboy from Vienna durch die Wüste reiten. Als Im weißen Rößl 1947 als The White Horse Rides Again (Berg, 1947) eine neue Übersetzung erfuhr, war aus der Roesselwirtin »the Owner of the Dark Horse Inn« geworden, die auf den Namen Violet Brown hörte und von Ruth Sherman, einer ausgebildeten US-amerikanischen Opernsängerin verkörpert wurde (Aufbau, 28.11.1947, 19), während Leopold zu Mr. Hinterhuber wurde. Waren die Dialoge 1941 noch in einem charmanten Mischmasch von Englisch und Deutsch gehalten und rund um das Übersetzen zwischen den Sprachen arrangiert, ist Mr. Hinterhuber in der Version von 1947 der Einzige, dem Phrasen auf Deutsch zugeschrieben werden – wiederum in der Atmosphäre der Intimität zwischen ihm und (nun) Violet. Das Darkhorse Inn befindet sich in den Catskills, gewissermaßen dem New Yorker Pendant zum Wiener Salzkammergut. Während in den Übersetzungen zuvor das Narrativ der sich erfüllenden Liebesgeschichte zwischen der Roesselwirtin und Leopold erhalten blieb, endet Mr. Hinterhubers Liebe in der Version von 1947 schließ-
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lich wegen der vermeintlichen Unübersetzbarkeit zwischen seiner Einstellung und »Rückwärtsgewandtheit« und der nun, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs angebrochenen Zeit, unglücklich; denn, so das Fazit des Stücks, ein Happy End könne es nur auf Amerikanisch und in New York geben (Prager und Straub 2017). In allen drei skizzierten Strategien ergänzen sich Übersetztes und Unübersetztes. Auch gestalten sich Übersetzungshorizonte im heterogenen Publikum verschieden. Für das Publikum waren Übersetztes und Unübersetztes eine sich wechselseitig bedingende Erfahrung in den Aufführungen. Während die Referenzen auf die altbekannten Stücke und Lieder eine wichtige Synapse für die Gemeinschaft der Emigrant*innen bedeutete, waren die sprachliche Mediation über Bilder und das Vorführen von »Vergleichungen« ein wesentlicher Teil, damit auch die New Yorker Gäste in Spielstätten sich amüsieren konnten.
Anstelle eines Fazits: Das Subversive des Unübersetzten Übersetztes und Unübersetztes ergänzten sich aber nicht nur. Teil dieser Mittlungsstrategien wurde alsbald auch das Wissen darüber, was nicht übersetzt werden sollte; im Sinne strategischen Nichtübersetzens wurde es zum Kapital zu wissen, was besser unübersetzt bleiben sollte. Das strategische Nichtübersetzen war damit un_übersetzt. Denn nach einer der ersten Aufführungen der refugee artist group in einem der großen Theater lautete das Fazit der Kritik wie folgt: »The group will do well in future productions to minimize the pathos and terror of their personal situation. The Dachau song is too shattering for such a setting; it breaks the festive mood that a revue must engender. The last number, a ›Party to Our Memories‹, also gives the audience the uncomfortable feeling of being on the outside looking in, a mood alien to the intention of theatre gaieties.« (SLCA, Broadway in Review)
Humor in Aufführungen von refugee artist groups während des Zweiten Weltkriegs
Das Publikum wolle nichts, so die Kritik der Broadway in Review, zu Dramatisches bzw. Traumatisierendes hören. Für die refugees boten die Stücke zunächst Raum zur Diskussion politischer und sozialer Vorstellungen und Erwartungen. Nachdem gerade frühe Beispiele vor allem auch die Politik, Gründe für die Emigration und Erlebnisse der Flucht in die Adaption von altbekannten Stücken inkludierten, änderten die refugees nach Kritiken wie dieser alsbald ihre Strategie. Eine »Vergleichung« musste, so scheint es, vielmehr über die Referenz auf »Wien als Stadt der Musik« hergestellt werden. Vermeintlich unübersetzt aber eigentlich strategisch nichtübersetzt blieb sodann Politisches. Schmerzliches konnte nur versteckt über die Erfahrung des Sprachenlernens oder vor dem Hintergrund scheinbar verklärter Melodien rekurriert werden. Das eigentliche Kabarettistische war un_übersetzt. Während somit die Wienerlied-Melodien in Form des New Yorker Chansons und die Operette als Kurzoperette eine Integrativität (Cappai) in die New Yorker Unterhaltungskultur aufwies, hätte das eine Übersetzung dem Kabarett vielfach verwehrt. Die Biografien der Protagonist*innen spiegeln aber letztlich wider, wie schwierig es oft war, erfolgreich zu übersetzen. Häufig konnten gerade die Kabarettist*innen nicht an ihre Karrieren anschließen, mussten neue Berufe wählen oder gingen zurück nach Europa, wo sie aber auch nur zu häufig und schmerzlich herausfinden mussten, dass es das Publikum für ihre Kunst nicht mehr gab.11
Bibliografie Quellen Archiv des Wiener Volksliedwerks, Peter Herz und Hermann Leopoldi (1932), Schön ist so ein Ringelspiel. 11
Das prominenteste Beispiel ist Stella Kadmon, die 1947 nach ihrer Rückkehr nach Wien pointierter nicht hätte feststellen können, dass ihr Publikum von den Nationalsozialist*innen ermordet worden war.
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Aufbau 13:48, 28.11.1947. Interview geführt von Albert Lichtblau mit Beatrix Green, New York, 12.4.1993. Österreichische Exilbibliothek (OeEB), Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, Attachment to Cowboy from Vienna. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, Das weisse Roessel am Centralpark. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, Der Vorstadtpark. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, I’m in a hell of a fix. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, Strophe zu Was braucht denn ein Wiener fuer Armin Berg von Jimmy Berg. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, The Tiny Park. OeEB, Nachlass Jimmy Berg, N1.EB-16, The White Horse Rides Again (1947). Sarah Lawrence College Archive (SLCA), Andre Singer Papers, Box 1, Folder 31, Clippings: American Newspapers, Broadway in Review. SLCA, Andre Singer Papers, Box 1, Folder 89, Programs: The Refugee Artist Group, From Vienna, The Playbill, 1939.
Forschungsliteratur Adunka, Evelyn, Primavera Driessen Gruber und Simon Usaty (Hg.) (2018), Exilforschung: Österreich. Leistungen, Defizite & Perspektiven, Wien: Mandelbaum Verlag. Adunka, Evelyn und Peter Roessler (Hg.) (2003), Die Rezeption des Exils. Geschichte und Perspektiven der österreichischen Exilforschung, Wien: Mandelbaum Verlag. Apter, Emily (2013), Against World Literature. On the Politics of Untranslatability, London/New York: Verso. Bhatti, Anil und Dorothee Kimmich (2015), »Einleitung«, in Bhatti, Anil und Dorothee Kimmich (Hg.), Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma, Konstanz: Konstanz University Press.
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Korbel, Susanne (2019), »Performing Gender Makes a Living? Populäre Unterhaltung der refugees im New York der 1940er«, in Meisinger, Irene und Katharina Prager (Hg.), Doing Gender in Exile. Geschlechterverhältnisse, Konstruktionen und Netzwerke in Bewegung, Münster: Westfälisches Dampfboot, 171-189. Kotowski, Elke-Vera (Hg.) (2011), Aufbau: Sprachrohr. Heimat. Mythos. Geschichte(n) einer deutsch-jüdischen Zeitung aus New York 1934 bis heute, Berlin: Hentrich & Hentrich. Lawick, Heike van und Brigitte E. Jirku (2012), »Translation und Translationswissenschaft in performativem Licht«, in Lawick, Heike van und Brigitte E. Jirku (Hg.), Übersetzen als Performanz. Translation und Translationswissenschaft in performativem Licht, Wien/Berlin: LIT Verlag, 7-32. Lind, Christoph und Georg Traska (2012), Hermann Leopoldi. Hersch Kohn: Eine Biographie, Wien: Mandelbaum. Lowenstein, Steven M. (1989), Frankfurt on the Hudson. The German-Jewish Community of Washington Heights, Ann Arbor: Detroit Wayne State University Press. Marc, Isabelle (2015), »Travelling Songs. On Popular Music Transfer and Translation«, Journal of the International Association for the Study of Popular Music 5:3, 3-21. Prager, Katharina und Wolfgang Straub (Hg.) (2017), BilderbuchHeimkehr? Remigration im Kontext. Wuppertal: Arco. Schlör, Joachim (2018), »›Da wär’s halt gut, wenn man Englisch könnt‹. Robert Gilbert, Hermann Leopoldi and the Role of Langugage between Exile and Return«, in Waligórska, Magdalena und Tara Kohn (Hg.), Jewish Translations – Translating Jewishness, Berlin/Boston: de Gruyter, 153-172. United States Holocaust Memorial Museum, »Refugees«, in Holocaust Encyclopedia, https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/ refugees (24.4.2020).
Autor*innen
Nadja Grbić forscht und lehrt am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen das Konzept der Translationsqualität, Professionalitätsdiskurse, Grenzziehungsprozesse im Kommunal- und Gebärdensprachdolmetschen und Wissenschaftsforschung. Sie habilitierte 2017 zur Geschichte und Konstruktion des Berufs von Gebärdensprachdolmetscher*innen in Österreich. Federico Italiano forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der LMU München und an der Universität Innsbruck. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Mailand und München, wo er 2016 in den Fächern Komparatistik und Romanistik habilitierte. Seine Forschungsinteressen umfassen Übersetzungstheorie, das Verhältnis zwischen Übersetzung und Globalisierung und die geografische Imagination in Literatur und Film. Federico Italiano ist außerdem Lyriker, Übersetzer und Herausgeber. Christina Korak lehrt am Institut für Translationswissenschaft in Graz und ist Dolmetscherin für Migrant*innen aus lateinamerikanischen und afrikanischen Herkunftsländern. Sie unternahm 2012/13 und 2015 Forschungsaufenthalte in Ecuador und schloss 2018 ihre Dissertation an der Universität Graz im Themenbereich Translation und Mehrsprachigkeit im Neokolonialismus ab. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit Aktivismus und Translation sowie Feldern des Non-Professional Translating and Interpreting.
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Susanne Korbel forscht und lehrt am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz, aktuell in dem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekt »New Approaches to a History of Jews in Vienna around 1900«. Sie forscht in den Bereichen Migrationsgeschichte, Performance und Gender, Populärkultur sowie Re-Demokratisierung. Judith Laister forscht und lehrt am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz. Sie studierte Europäische Ethnologie, Kunstgeschichte sowie Bildnerische Erziehung. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Stadtanthropologie, Visuelle Anthropologie, Gegenwartskunst und öffentlicher Raum, Partizipation, Repräsentationskritik und Ästhetische Bildung. Rafael Y. Schögler forscht und lehrt am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz. Seine aktuelle Forschung nimmt eine translationssoziologische Perspektive ein und beschäftigt sich mit Übersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften, der Theoretisierung von Translationspolitik und translatorischen Paratexten. Olaf Terpitz forscht und lehrt am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz. Er studierte Slawistik und Germanistik in Leipzig, Moskau und Haifa und habilitierte 2016 an der Universität Wien. Seine Forschungsinteressen umfassen slawisch-jüdische kulturelle Begegnungen, europäisch-jüdische Literatur, Übersetzung, Komparatistik. Michaela Wolf forscht und lehrt am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichte der Translation, Übersetzung und Kulturwissenschaft sowie Übersetzungssoziologie. Derzeit arbeitet sie zur Frage der Kommunikation in nationalsozialistischen Konzentrationslagern sowie bei den Interbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg.
Personenregister
A Akashi, Motoko 10 Alexander, Zaia 189 Alighieri, Dante 194f. Altaras, Adriana 171, 173, 176 Althusser, Louis 119 Améry, Jean 192 Antelme, Robert 195 Apter, Emily 9-11, 15, 33-35, 146, 165f., 209 Arendt, Hannah 185 Asad, Talal 19, 126f., 141f., 150 B Bachleitner, Norbert 62 Bachtin, Michail 130 Barthes, Roland 12f., 130 Beebee, Thomas 32 Belpoliti, Marco 186f.
Benjamin, Walter 13, 33f., 119, 128131 Bennett, Karen 150f. Berg, Armin 213-215, 218 Berg, Jimmy 204f., 211-216, 218f. Bhabha, Homi K. 18, 205 Bishop, Claire 117, 119-121 Blumczynski, Piotr 7, 18f. Bourdieu, Pierre 18, 61f., 116f., 124f., 144-146 Bourriaud, Nicolas 117-121 Bredekamp, Horst 125 Burtt, Ben 41f. C Callon, Michel 19, 62f., 76, 122-124 Cantor, Paul A. 47 Cappai, Gabriele 142f., 207, 221
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Cassin, Barbara 9f., 15f., 33, 137f., 156 Cervantes, Miguel de Saavedra 40 Chesterman, Andrew 13, 141 Cohen, Uri 188f., 197f. Comte, Auguste 137, 145f., 151-154 Consonni, Manuela 186f. Cook, James 49 Craig, Sarah 16 Cronin, Michael 34f., 39-42, 63f., 86f., 92 D Damrosch, David 15, 51, 165 Debord, Guy 119 de Certeau, Michel 119 Delabastita, Dirk 32, 91f. Deleuze, Gilles 119 Derrida, Jacques 12 E Eidherr, Armin 164, 167f. Elias, Norbert 137, 148, 154-159 Eliasberg, Alexander 164, 167f. Ernst, Petra 17, 165 Evans-Pritchard, Edward 126f. F Fattinger, Peter 109, 111-114 Fischer-Lichte, Erika 129, 206f. Foucault, Michel 122 Freud, Sigmund 203, 207f., 211
G Geertz, Clifford 13f. Gordon, Robert 186f. Gramling, David 15f., 195 Green, Beatrix 206f. Grutman, Rainier 32f. Guattari, Felix 119 H Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 130, 146 Hermans, Theo 13-17, 140, 209 Hobbes, Thomas 123f. Humboldt, Wilhelm von 10, 12, 137f. I Inghilleri, Moira 18 Italiano, Federico 8, 11, 17, 21, 37, 186f. J Jakobson, Roman 12, 34, 137f. Jameson, Fredric 32 Józwikowska, Wanda 10 K Kaminer, Wladimir 173 Kishon, Ephraim 167-170, 176 L Large, Duncan 10 Latour, Bruno 19, 122-124
Personenregister
Leko, Kristina 109-112, 114-117 Lennon, Brian 16 Leopoldi, Hermann 204, 210, 212, 218 Levi, Primo 24, 181-195, 197-199 Link, Fabian 155-157 Löfgren, Orvar 127 Lucas, George 39, 42
R Richards, Thomas 49-51 Rieper, Michael 109, 111, 113f. Roddenberry, Gene 42 Rose, Emily 10 Roth, John K. 187 Rushdie, Salman 34, 35-38, 40, 47, 166
M Malinowski, Bronislaw 18, 126 Marc, Isabelle 209 Martineau, Harriet 137, 145, 148, 151-154, 159 Möslein, Helen 204, 210, 212 Mossop, Brian 38f.
S Said, Edward 18, 205 Salzmann, Sasha Marianna 171, 173-176 Samuel, Jean 194 Sapir, Edward 44 Sapiro, Gisèle 145, 149 Schlör, Joachim 209 Serres, Michel 123 Sherman, Ruth 219 Sholem Aleichem 163, 167f., 170, 176 Spivak, Gayatri Chakravorty 18, 57, 184, 205 Sternberg, Meir 31, 35
N Nida, Eugene 83, 92, 102 O Okrand, Mark 43 Orso, Veronika 109, 111, 113 P Petropoulos, Jonathan 187 Picard, Jean-Luc 45, 47-49, 51 Pollak, Michael 196 Pratt, Mary Louise 13 Prost, Jean-François 109, 111, 113 Prunč, Erich 13, 16f., 60f., 76f., 87, 102, 128, 141
T Torberg, Friedrich 170 V Vermeer, Hans J. 16 Vertlib, Vladimir 171, 173, 176f.
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W Walkowitz, Rebecca 15, 146 Washbourne, Kelly 32f. Weibel, Peter 110, 128 Whorf, Benjamin Lee 44 Wittgenstein, Ludwig 47 Wolf, Michaela 12-14, 17f., 24, 64, 66f., 84, 128, 191 Z Žižek, Slavoj 149, 185
Sachregister
A Ähnlichkeit 24, 168, 176, 208 Äquivalenz 13, 16, 34f., 38-42, 156 Ästhetik 24, 33, 36-38, 116, 120f., 124, 127-131 ästhetische Allianz 110-121, 124, 128 Akteurswelt 19, 22f., 110f., 121 Algorithmus 42 Alltagsleben 187, 197 Alterität 38 Ambivalenz 9-11, 25, 74f., 130f., 172, 175, 181-183, 188, 190, 192194, 197-199, 205 Anderssprachigkeit 37, 52 Anthropologie 7f., 18, 20, 44, 126, 141f., 148 anti-normatives Vokabular 159 Asymmetrie von Sprachen 12, 14, 137f., 156
Auschwitz 182, 184-186, 191f., 196 Ausgangstext 12, 17, 76, 129, 141, 144f., 148, 150, 153-157, 159 Aushandlung 14f., 21, 42, 142, 155, 157f., 176 Aushandlungsraum 177 Aushandlungsprozess 21, 141, 143, 148, 150, 165 Autorisierung 9, 55-57, 59-63, 6567, 69-73, 75 Autorität, epistemische 140, 142145, 147f., 152-154, 156-159 B Beeidigung 65f. Behinderte*r 56 Bibelübersetzung 91f. Buchmarkt 173
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Übersetztes und Unübersetztes
C Charisma 62, 73, 75f., 78, 210 coda (= child of deaf adults) 59, 7175, 77 conceptual reflection 37 conlang 44 Consulta Previa 98f., 102 cultural translation, s. Übersetzung, kulturelle
Distinktion 119, 140, 142f., 145-147, 152, 154 Dolmetscher*in 32, 41, 56, 58f., 61, 63-69, 71-79, 87, 174, 190f. als Co-Therapeut*in 18, 61 als Hilfspolizist*in 61 Domestizierung 47, 166, 211 dunkle Seite der Übersetzung 11, 24, 92, 191, 199
D Darstellbarkeit 183, 189 dark side of translation, s. dunkle Seite der Übersetzung Dazwischen 18, 21, 25, 168, 205210 Deafhood 57 Dekolonisierung von Methodologien 151 Denkfigur 8, 11, 19-23, 25, 56, 59, 100, 159, 182f. Deutungshoheit 19, 140, 143, 157, 166 Dichotomie 10f., 18, 20 Diegese 164, 167, 170 Differenz 9, 17, 24, 42, 56, 58, 60, 62, 75f., 78, 84, 90, 112, 119f., 127, 130f., 140, 148, 166, 174, 176, 212 Diskurs 11, 20, 23f., 36f., 61f., 68f., 78, 84, 87, 101, 117, 122, 130, 139, 141f., 150, 165, 167, 186f. Dislokation 218
E Emanzipation 9, 24f., 112, 118, 166, 173, 175f. Emigrant*in 206, 209, 215-217, 220 Emotionalität 50, 78, 139, 156f., 184f., 195, 218 Ende von Übersetzung 14 Entgrenzung 20, 122 epistemicide 151 Erfahrungshorizont 168, 175 Erfahrungsraum 165f., 208 Erinnerungsliteratur 191, 195 Erwartungshorizont 168 Erzählhandlung 164, 167f., 172, 175 Erzählstrategie 167 Essenzialismus 84 Ethik 17, 121, 158f., 186f., 196 Ethnografie 19, 57, 126f., 147, 171 ethnografische Repräsentationskrise 19 Ethnozid 90f., 94 Exil 164, 205-207, 209, 211f., 216 Exophonie 165 explicit attribution 37
Sachregister F Fiktionalisierung 21, 32, 35f. fiktive Sprache 40 Film 20f., 31, 33, 37f., 40-42, 51f., 95, 116, 225 Flüchtling 16, 204f., 208-210, 212, 215f., 218 Fürsorge 70, 72f., 196 Taubstummenfürsorge 70 Fürsprechen 77 G galaktisches Standardenglisch 45 Gebärdensprache 21, 55f., 59, 6366, 68f., 74-76 Gebärdenverbot 57 Gehörlosengemeinschaft 57 Gehörlosenorganisation 56, 60, 63, 69, 71 Gehörlosenverein 69f. Geisteswissenschaften 7, 9, 16f., 25 Gender 10, 17, 226 Gericht 64-69, 71, 75f., 100 Gerichtsdolmetscher*in 64-69, 71 Geschichte 8, 13, 15, 20, 26, 55-57, 59f., 63, 165, 175, 226 Geschlechterrolle 216 Gilgamesch 48, 51 Gouvernementalität 111, 115, 121f., 124f., 131 Grauzone 183, 188-191, 193, 196-199
H Habsburgermonarchie 55f., 63f., 67, 209 Handlungsspielraum 67 hermeneutisches Verfahren 47 Heterogenität, gesellschaftliche 207 Heterolingualität 36 Heuristik 139, 159 Historiker*in 32, 120, 209 Homogenisierung 9, 112, 166 Humor 166, 203-208, 212 I Identität 44, 49, 57, 60, 62f., 73f., 89, 173 Ideologie 21, 35, 49, 118, 127, 141, 149 Imagination, sprachliche 41 Im weißen Rößl 215, 219 Indigene*r, in Abgeschiedenheit lebend 91 Inkongruenz 14, 24, 164 Instabilität der Translation 14, 140, 159 Institutionalisierung 59, 65, 70, 75 Instrumentalisierung 11 Inszenierung der Übersetzung 36, 38, 41, 49 Integrativität 221 J Jüdin und Jude 35, 169, 194, 204, 206, 211 Jüdische Studien 226
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Übersetztes und Unübersetztes K Kabarettist*in 211, 221 Kapital 22, 61, 67, 72, 110, 125, 220 kulturelles 125 moralisches 125 ökonomisches 74, 125 soziales 125 Kind gehörloser Eltern, s. coda Klingonisch 43f. Kohärenzbildung 20 Kolonialismus 17f., 22, 41, 49, 64, 84-86, 88-90, 101, 225 Komik 24, 166, 170, 176 Kommunikationsmodell 50 Kommunikationspraxis 183, 210 Kommunikationssituation 23, 60, 167, 171 Kommunikationsverweigerung 171 Kommunizierbarkeit 185, 195 Komparatistik 10, 33, 225f. Komparatist*in 8, 16, 37, 146 Konfiguration 130 Konflikt 11, 20, 22f., 25, 43f., 48f., 84, 117, 121f., 124f., 130f., 170, 185, 196 Konfliktvermeidung 20 Konnektivität 19, 22, 111, 121, 124f. Kontrolle 9, 61, 112, 122, 147f., 154f., 157, 199 Konvergenz 13, 123 Kosmovision 92, 95, 102f.
Kulturanthropologie 7f., 20, 141, 148, 226 Kulturkontakt 38, 48 Kulturmodell 39 Kunst, relationale 116f., 125 Kunstgeschichte 7, 226 L lagerszpracha 195 Lateinamerika 91, 101 Lebenswelt 164f., 219 Leseakt 164, 166 Lingua franca 39f., 145, 148-151 Literatur, jiddische 163 Literaturwissenschaft 7, 15, 33, 165 Literaturwissenschafter*in 7, 32, 166, 177 M Machtbeziehungen 59f., 62, 111, 124 Machthandlung 142f., 149f., 158 Machtsituation 168 mediation space 18 Mehrsprachigkeit 23, 86, 89, 164, 166, 171, 176 Melbourne 203f. Menschenrecht 95, 97, 101 Migrant*in 21, 58, 114, 208 Migration 10, 163-165, 171, 173 Migrationsliteratur 165, 171, 176f. Mimesis, translatorische, s. translational mimesis Missionar*in 83, 89, 91-93
Sachregister
Mobilität 114, 164, 166 Multidimensionalität 9 Muselman 195 N Nachahmung von Übersetzung 38 Nachsprechen 76 Nationalsozialist*in 204, 206, 211, 215, 221 Negentropie 32 Neokolonialismus 22, 84-90, 101 Neusprechen 76f., 81 New York 24, 203f., 206, 209-221 Nicht-Kunst 127f., 131 Nichtübersetzen 174f., 220 non-translation studies 16 Null-Translation 16 O Original 12, 40, 128-131, 147f., 152f. P Perspektivenübernahme 142f., 157, 159 Philosophie 20, 119, 146 Philosoph*in 15, 44, 118, 122, 146, 152, 208 populäre Kultur 206-209, 211, 215 Positionierung 15, 17, 115f., 127, 172, 207 Postkolonialismus 18, 22, 84 Praxis, translatorische 14-17, 19, 24, 76, 87, 137f., 140-144, 148, 152
Prestige, soziales 149, 167 Prestigetranslation 99 Professionalisierung 59, 61 Pseudo-Englisch 40 Pseudorecht 102 Pseudo-Übersetzung 32, 38, 40 Psychologie 18 R Raum, sozialer 115-117, 127f. Raumpolitik 115 Reduktion von Komplexität 140, 143f., 148, 158 Refugee 24, 203-206, 210, 219, 221 refugee artist group 24, 203f., 209-211, 220 Regierungstechnik 111, 122 Reichweite 140, 143-145, 149, 151f., 154, 158 Rekrutierungssystem 56, 60, 6365, 69f., 75, 78 Repräsentation 15, 20, 36, 60, 62, 116, 124, 126f., 183f., 189 Resilienz 23, 166, 170, 176 Rewriting 147 Rezeption 15, 23, 117, 130, 142, 164f., 168, 170, 205, 209 Rezipient*in 116, 130, 168, 186f., 194, 206f. Rolle der/des Dolmetscher*in 66f., 71-73, 76-78 der/des Übersetzer*in 36 soziale 60f., 63
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Übersetztes und Unübersetztes
Rollenbild 144 Rollenkategorie 60f. S Sapir-Whorf-Hypothese 44 Schattenseite der Translation 8f., 11, 25, 60, 112, 191 des Un_Übersetzten 149 Schreiben, autoethnografisches 171 Seinsgebundenheit des Denkens 142f., 156 Selbstermächtigung 9, 20f., 23-25, 57, 78, 176 Selbstzensur 15 selective reproduction 36 Shanghai 203f. situativ 17, 20f., 23, 25, 112, 138, 141f., 159, 175 Skopos 16 Solidarität 59, 193 Sozialwissenschaften 23, 138f., 143, 145f., 148, 158f. Soziologie 3, 8, 18, 20, 119, 149 Sprache, als repräsentiertes Objekt 18, 36, 198 Sprachenlernen 218, 221 Sprachspiel 47, 168 Sprachutopie 51 Sprachwissenschaft 7 Sprecher, autorisierter 61f. Status 40, 51, 61, 67, 131, 143, 167, 172f.
Stille 195-198 Stimmefinden 16 Subalterne*r 76 Subjekt übersetztes 21, 58 un_übersetztes 21, 56, 59, 60, 65, 78 Subjektivität 23, 138 Subversion 23f., 163, 166, 172, 176 Summer Institute of Linguistics (SIL) 83, 89, 91-93, 95 supermeme 13 T Tamarianisch 47-51 Taubstummenlehrer 66-73, 76f. teilnehmende Beobachtung 125f. Temporalität der Translation 19, 23, 138, 140-143 traduction 123 Transgression 128f., 164f., 176 translated man 34 Translation autonom organisierte 63f., 69, 70 fiktionale Darstellung von 21, 32, 35-38 habitualisierte 64f., 70, 75f. heteronom organisierte 63-65, 69, 75f. Translation als Brückenbau 13, 84-88, 90, 93, 96, 98, 101f., 139
Sachregister
als kreative Handlung 15, 139, 140 als Reproduktion 12, 36, 40 als Übertragung einer Narration 32 als vermittelte Form der Kommunikation und Interaktion 141 translational mimesis 31, 35-40, 47, 166 translationale Medizin 18 Translationsethik 17, 158f., 186f. Translationsprozess 20-22, 32, 58f., 84f., 89f., 112, 142 Translationsverbot 16 Translationsverzicht 16f., 102 Translationswissenschaft 7f., 11, 13f., 16, 20, 22, 60, 62, 84, 91, 101-103, 205 translator studies 141 Translator*in 9, 14-17, 45f., 55-57, 59-65, 67, 69, 72f., 75, 77, 86, 101f., 141, 143f., 148 als Sprachrohr 17, 61 als neutrale*r Vermittler*in 17 als subversive*r Akteur*in 17, 93 translatorische Lösung 45, 124, 141 translatorische Sinnstiftung 140, 142, 144, 147f., 150, 155 Translingualität 23, 164f. transnational 151, 155, 163, 177 transnational studies 151 Treue 12f., 73f., 92, 124, 153f.
turn 9, 165 cultural 17, 60 postcolonial 205 sociological 60 translational 17 U Überschneidung 13, 62, 199 Übersetzbarkeit 9f., 12, 18, 33f., 69, 165f., 209 Übersetzung ästhetische Dimension der 111, 127-131 als Konstruktion von Identitäten 60-63 als semantischer Transfer 42 epistemologische Dimension der 111, 121, 125-127, 131 gouvernementale Dimension der 111, 114f., 121-125, 131 kulturelle 10, 17, 51, 126f., 141, 212 politische 100 publikumsorientierte 40, 85 Scheitern der 24, 47, 156, 209 Verweigerung von 16, 23f., 102, 171, 176, 185f. Übersetzungsarbeit 110f., 121, 128f., 131 Übersetzungsfiktion 40, 42, 50-52 Übersetzungskonzept 12, 32, 126, 197, 199 Übersetzungsmoment 63, 111f., 124f., 131
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Übersetztes und Unübersetztes
Übersetzungsproblem 42f. Übersetzungsprozess 9, 19, 24f., 38, 76f., 95, 98f., 141f., 150, 182, 205f. Übersetzungsstrategie 168, 182, 188f., 214-217 Unbeschreibbares 183f. universal translator 43, 45-47 Universalität 33, 112 Unsagbares 183f. Unsichtbarkeit 12f., 62 Untertitel 39f., 47 untranslatability 10, 14, 31, 33 Unübersetzbarkeit 8, 10-21, 25, 3135, 38f., 42, 44, 48f., 51, 138, 140, 166, 184, 189, 207-209, 220 als Katalysator 35 Fiktion der 32f., 44 kulturelle 33 linguistische 21, 33, 35 Un_Übersetzte, das als ästhetisches und narratives Dispositiv 33f., 39 als opakes Produkt der Unübersetzbarkeit 49f. dunkle Seite des 191 Vorläufigkeit des 142f. Unübersetztheit 191 Recht auf 157f. Un_Übersetzung 86, 96-98 Utopie 25, 42f., 51, 118 V Verantwortung 17, 77, 92, 102, 210
verbal transposition 36f., 47 Vereinfachung 24, 182, 187 Vergleichung 207f., 211, 217, 220 Verlust durch Translation 61, 100, 137f. Versagen der translatorischen Praxis 138 Verschweigen 20, 78, 198 Verzerrung 19, 147, 199 Vorläufigkeit 14, 140, 142f. W Weltliteratur 10, 15f., 23, 146, 165f., 209 Werkästhetik 130 Widerstand 20, 72, 90, 193 Widerständigkeit 7, 9, 24, 166, 170, 176, 194, 199 Wiederholbarkeit von Translation 14, 140 Wiener Schmäh 205f., 208, 210f. Wienerlied 24, 206, 208-212, 215, 218, 221 Wissen 9, 60, 67, 123, 126, 143, 152, 166f., 174f., 185, 220 Wissenschaftssprache 148-151 Wissensgenerierung 141f. Wissensproduktion 123, 126f. Wissenszirkulation 141, 143, 148f. Writing Culture 19, 126, 148 Z Zieltext 12, 16f. zones of uncertainty 18
Sachregister
Zusammenhalt 9, 22f., 25, 122, 124f. Zwischenraum 25, 90, 125f., 175
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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze
Sexueller Exzeptionalismus Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus 2019, 222 S., kart., Dispersionsbindung, 32 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4708-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4708-6
Gabriele Dietze, Julia Roth (eds.)
Right-Wing Populism and Gender European Perspectives and Beyond April 2020, 286 p., pb., ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-4980-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4980-6
Stephan Günzel
Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung März 2020, 192 S., kart. 20,00 € (DE), 978-3-8376-5217-8 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5217-2
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