Überblick über die Geschichte des Weltkrieges [Reprint 2019 ed.]
 9783110642155, 9783110641097

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Ueberblick über die Geschichte des eltkrieges Major a.D.vr. Eugen von Frauenholz Privatdozent an der Universität München

Mit einer Übersichtskarte

Verlag von R.Oldenbourg, München und Berlin 1926

Alle Rechte, etnschliehlich des Ilbersehungsrechtes vorbehalten. Copyright 1926 by R. Oldenbourg, München und Berlin.

Dorwort. Der Weltkrieg mit seinen Folgeerscheinungen ist der Abschluß einer Entwicklungsperiode, die Deutschland auf eine Höhe geführt hat, auf der sich der junge Staat nicht zu halten vermochte. Wer den heutigen Tiefstand zum Aus­ gangspunkt einer neuen und gesünderen Entwicklung deut­ scher Kraft gestalten will, der muß vor allem sachlich und> ohne Voreingenommenheit prüfen, wo die Gründe des über­ raschenden Verfalles lagen. Es ist ebenso falsch, in einem Abschnitt des Lebens eines Volkes, in seinen Einrichtungen, und in seinem Gebahren nur Schatten, wie nur Licht sehen' zu wollen. Jeder Zeitabschnitt hat seine typischen Stärken und Schwächen. Nicht die Kritik an sich ist das Erstrebens­ werte; sie zersetzt mehr, als sie aufbaut. Was wir anzu­ streben haben, ist die Erkenntnis, in der der Wille liegt, alte Fehler zu vermeiden, sich aber auch der alten Kraft zu erinnern. In einem konstitutionellen Staate, wie im Deutschen Reich der Vorkriegszeit und in einem Dolksstaat wie im heutigen Deutschland steht dem Volke in seiner Gesamtheit das Mitbestimmungsrecht an seinen Geschicken zu. Nicht mehr einzelnen Männern wie in den Zeiten des Absolu­ tismus ist die Sorge um den Staat ausschließlich anvertraut. Das Recht der Mitbestimmung aber schließt die Mitver­ antwortung für alle an den Wegen in sich, die der Staat einzuschlagen für gut findet. Und wenn auch diese Verant­ wortung den Reichskanzler in ganz anderem Maße trifft als den einfachen Wähler, so besteht sie doch aus für diesen. Dieser Zustand aber fordert vom gesamten Volk die poli­ tische Mündigkeit und Reife. Wir sind weiter von ihr entfernt, als eine Reihe an­ derer Völker. Stärker als anderwärts wirken bei uns die Schlagworte, die, im Kampfe der politischen Parteien ge­ braucht, die Wahrheit verzerren. In erschreckendem Maße stellt auch heute das deutsche Volk bis in die Kreise hinein.

denen akademische Bildung die objektive Betrachtung der Dinge erleichtert, das eigene Urteil zurück und macht sich blindlings die Anschauung zu eigen, die die parteipolitisch ge­ färbte Presse darbietet und die häufig genug nicht aus dem Willen zu unparteiischer Darstellung hervorgegangen ist. Statt daß die Auffassung eines großen Volksteiles ihren Ausdruck in Partei und Presse findet, ist es bei uns viel­ fach umgekehrt. Die Leidenschaftlichkeit, mit der Partei­ kämpfe ausgefochten werden, hat nicht das selbstgewonnene Urteil zum Rückhalt, das ihr erst innere Berechtigung ver­ leihen würde. Erkenntnis fällt nicht von selbst zu, sie muß erkämpft und erarbeitet werden. Daß das deutsche Volk nicht nach dieser Erkenntnis gestrebt, die politische Mündigkeit nicht erworben hat, darin liegt einer der Hauptgründe für den jähen Sturz, und wenn wir heute nach den Schuldigen suchen, um aus ihrem Handeln die Möglichkeit der Besserung abzuleiten, so müssen wir uns in erster Linie bekennen, daß das ganze Volk, wir alle, die Schuld daran tragen, daß wir nicht Einsicht, Willen und Kraft genug besessen haben, uns auf dem hohen Platz zu behaupten, auf den uns unsere Vorfahren geführt. Das deutsche Volk — in allen seinen Schichten — hat sich in seinen letzten Jahrzehnten der Aufgabe nicht ge­ wachsen gezeigt, ein Weltvolk zu sein. Hieran zu bessern, den breiteren Massen die Unter­ lagen zu geben, auf Grund deren sie sich ein eigenes Urteil über die Aufgaben Deutschlands und über seine Entwicklung bilden können, ist eine Aufgabe, die heute mehr als früher an die Kreise herantritt, denen Beruf und Lebensstellung die Möglichkeit hiezu verschaffen; mehr als früher, da heute der erzieherische Einfluß des größten deutschen Institutes, des Heeres, fortfällt, in dessen vielgeschmähten Kasernen der Mann nicht nur militärische Dinge in sich aufnahm, sondern in jahrelangem Zusammenleben die Anschauung Anderer prüfen und achten lernte, und erfaßte, daß über die trennenden Elemente des Parteiwesens hinweg ein Größeres, das gemeinsame Vaterland, das ganze Volk in allen seinen Teilen einte. MU der Selbständigkeit des Urteils wächst dann von selbst das Gefühl der Verantwortlichkeit des Einzelnen in seiner Eigenschaft als Staatsbürger; die allzu schroffen Aus-

wüchse nach links und nach rechts können den Widerhall nicht mehr finden, der ihnen heute aus der Urteilslosigkeit der Masse entgegenklingt. Die Betonung des Gemeinsamen und nicht des Trennenden innerhalb des Volkes muß sich aus einer ruhigeren und sachlichen Erkenntnis und Ver­ besserung der gemachten Fehler von selbst ergeben. Die Einsicht, daß die Aufgabe, das selbständige Denken des Volkes zu wecken und zu schärfen, eine außerordent­ lich schwierige ist, kann nicht davon abfchrecken, sie über­ haupt in Angriff zu nehmen. Denn wie die Staatsform des kommenden Deutschland sein möge» die Mitverantwortlichkeit des Volkes an den Handlungen der Regierung bleibt be­ stehen, sie wird vielleicht wachsen; und keine Regierung kann die Mündigkeit des Volkes missen, auf das sie sich stützen will. — Der Versuch, in knapper und Handlicher Form einen Ueberblick über die großen Ereignisse und Zusammenhänge vor und während des Weltkrieges zu geben, ist aus Dieser Ueberzeugung und aus dem Bestreben hervorgegangen, die Lehren der jüngsten Zeit für eine breitere Masse faßlich zu machen. Die Anregung dazu ist aus den verschiedensten Kreisen, nicht zuletzt aus denen der Arbeiterschaft, an mich herangetreten. Nur das Wesentlichste konnte berührt werden. Eine Reihe von Hinweisen auf wichtige Schriften zur Ge­ schichte der geschilderten Periode soll dem Wunsche entgegen­ kommen, sich über die einzelnen Geschehnisse eingehender zu informieren.

München, Januar 1926. Eugen v. Frauenholz.

Inhaltsverzeichnis. Gelte Vorwort............................................................................................................ III Inhaltsverzeichnis................................................................................................VII Quellen- und Literaturverzeichnis........................................................... X Die Vorgeschichte............................................................................................ 1 Der Kampf um den Rhein. — Bismarcks Außenpolitik. — Der neue Kurs. — Lösung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland. — Verhältnis zu England. — Die Entstehung des Dreiverbandes. — Die Baltankrisen. — Die unmittelbare Vorgeschichte des Krieges. — Die Kriegsschuldfrage. Rüstungen, Operationspläne und Aufmärsche.......................................... 12 Die deutsche Nüstungspolitik. — Der Ausbau der Marine. — Die deutsche Armee vor dem Weltkriege. — Die deutschen Operations­ pläne für den Zweifrontenkrieg. — Der Schlieffensche Operations­ plan. — Die Abänderung des Planes durch den Generalobersten von Moltke. — Der österreichische Operationsplan. — Die Operations­ pläne der Gegner. Die Aufmärsche: Im Westen: Deutschland, Frankreich, England und Belgien. — Im Osten: Deutschland, Österreich und Rußland. — Im Südosten: Österreich, Serbien und Montenegro. — Die Zahl der Aufgebotenen. — Die Gegner der Mittelmächte im Weltkrieg. Die Operationen........................................................................................... 27 Die Operationen unter Leitung des Generalobersten von Moltke vom Beginn bis zum 14. September 1914. Im Westen: Grenzschutz. — Besondere Unternehmungen zur Einleitung der großen Operationen (Lüttich, Schlacht bei Mühl­ hausen, Dadonvillers). Der große Vormarsch. — Die Saarschlacht. — Die zweite Schlacht bei Mühlhausen. — Mons, Namur, Dinant, Reufchateau, Longwy, Longuyon. — Der Abtransport deutscher Korps nach Rußland. — Le Cateau, St. Quentin, Dun. — Die Marneschlacht. — Die Bedeutung der Marneschlacht. — Die OHL. vor, während und nach der Marneschlacht. Im Osten: Geplanter Rückmarsch hinter die Weichsel. — Hin­ denburg. — Tannenberg. — Schlacht an den Masurischen Seen. — Der österreichische Aufmarsch. — Die österreichischen Anfangs­ erfolge. — Der Rückzug hinter den San. Im Südosten: Die österreichische Offensive gegen Serbien. — Der serbische Gegenstoß. — Die serbische Offensive in Syrmien. — Die Vertreibung der Serben. — Der zweite öster­ reichische Vorstoß.

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Die Operationen unter Löitung des Generals von Falkenhayn vom 15. September 1914 bis 29. August 1916. Die Operationsziele nach der Marneschlacht. — Peronne, Arras, Albert, La Dassee, Dpern. — Antwerpen. — Der Ab­ zug der Belgier. — Die Neugruppierung. — Die Lage im Osten. — Die gemeinsame Offensive Hindenburgs und Conrads. — Die österreichische Oktoberoffensive in Serbien und ihre Abwehr. — Die Operation Hindenburgs nach Polen. — Der Eintritt der Türkei in den Rricg. — Die Beurteilung der Lage durch Falken­ hayn. — Der Entschluß zum Stellungskrieg. — Der Stellungs­ krieg und die deutsche Armee. — Der Kriegsplan Faltenhayns. — Der Kriegsplan der Entente. — Blockade und Propagandafeldzug. — Die Angriffe der Entente im Frühjahr 1915: Champagne­ schlacht, russischer Vorstoß gegen Ungarn. — Die deutsch-öster­ reichische Abwehr. — Die Winterschlacht in den Masuren. — Gorliee. — Die Ablenkungsoffensive gegen Littauen und Kurland. — Der Hauptstoß bei Gorliee. — Die Fortführung der Operation. — Meinungsverschiedenheiten zwischen Falkenhayn und den Ostführern. — Die Operation auf Wilna. — Italien. — Die ab­ geschlagenen Isonzoschlachten. — Die Kämpfe int Westen. — Der Entschluß zum Angriff auf Serbien. — Der serbische Feldzug. — Die Seekriegsführung. — Das Resultat des Jahres 1915.

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Der Entschluß zum Angriff auf Verdun. — Die Schlacht bei Verdun. — Die russische Entlastungsoffensive am Naroczsee. — Die italienischen Entlastungvoffensiven am Isonzo. — Der öster­ reichische Angriff auf Italien aus Tirol. — Die erste Brussilowoffensive. — Die Fortsetzung der Schlacht bei Verdun. — Die Sommeschlacht. — Der Eintritt Rumäniens in den Krieg. — Die Falkenhaynische Kriegführung. Die Operationen unter der Leitung Hindenburgs und Luden­ dorffs vom 29. August 1916 bis zum Kriegsende.

Der Abbruch des Kampfes um Verdun. — Der rumänische Feldzug. — Die Fortsetzung der Sommeschlacht. — Französischer Angriff bei Verdun. — Die zweite, dritte und vierte Brussilowoffensive. — Die Offensive der Orientarmee. — Die italienischen Angriffe am Isonzo. — Der Seekrieg. Das Resultat des Jahres 1916. Organisatorische Arbeit der OHL. — Die politischen Anforde­ rungen, die an die OHL. herantraten: II-Bootkrieg, Polen, Friedensangebot. — Die Lage im Inneren des Reiches. — Die Lage in Österreich. — Die Ernährungsfrage. — Die Situation bei der Entente. Der Kriegsplan für 1917: Uneingeschränkter II-Bootkrieg. — Der Kriegsplan der Entente. — Die Kämpfe im Westen: Hindenburgstellung, französische Offensiven an der Aisne und in der Champagne, englische Offensiven bei Arras und Wytschaete, die Tankschlacht bei Cambrai. — Revolution in Rußland. — Kerenskioffensive. — Deutsch-österreichische Gegenoffensive. — Vorstoß

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auf Riga. — Errichtung der Sowjetrepublik. — Kämpfe im Süd­ osten. — Italienische Angriffe am Isonzo. — Die deutsch-öster­ reichische Offensive gegen Italien. — Die Lage in der Türkei. — Der II-Vootkrieg.

Das Resultat des Jahres 1917.

Die Zersetzung Deutschlands. — Der Zerfall Rußlands. — Amerika. — Die Festigkeit des Vierbundes. — Die Politik Kaiser Karls. — Die deutsche Reichsleitung und die Lage im Inneren. —Der Kriegewillen derFührer der Ententestaaten. — Die deutsche OtzL. und die politische Leitung. — Der Kriegsplan der Mittel­ mächte für 1918. — Die große Offensive: die Michaelsschlacht, die Georgs chlacht, der dritte, vierte und fünfte deutsche Angriff. — Die Gegenangriffe der Entente. — Der deutsche Rückzug. — Die Waffenstillstandsforderung der OHL. — Der Waffenstillstand. — Der Zerfall der übrigen Fronten. — Der Seekrieg. Das Resultat des Jahres 1918. Revolution und Friedensschlüsse................................................................... 107 Der Umsturz. — Die Friedensverhandlungen. — Der Friedens­ vertrag. Die Kolonien ....................................... -......................................................... 111 Kiautschou. — Die Südseeinseln. — Togo. — Kamerun. — Süd­ westafrika. — Ostafrika. Schlußwort ................................................................................................................114

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Ueberblick über die Geschichte des Weltkrieges.

Die Borgeschichte. Nicht die jüngste Zeit vor dem Kriege, nicht einmal die Periode des Aufstieges des neuen Deutschen Reiches seit 1871 birgt die letzten Arsachen des Weltkrieges im Schoße. Seit Jahrhunderten kämpft Frankreich um das Gebiet des Rheines1), das ihm die Herrschaft über das mittlere Europa zu sichern scheint. Für uns Deutsche ist dieser Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze, denn an seinen beiden Ufern breitet sich deutsches Volkstum und deutsche Kultur aus. Für uns ist dieser Strom die Basis für die Verteidigung des Vaterlandes, für Frankreich be­ deutet sein Besitz die Möglichkeit des raschen Einfalles in das Deutsche Reich. Das deutsche Kaisertum Bismarckischer Prägung hat in seiner jungen Kraft den alten Haß Frankreichs erneut hervor­ gerufen, sein Verlangen nach dem Rhein verschärft. Der Wille unserer westlichen Nachbarn, sich in den Besitz des langersehnten und vielumstrittenen Gebietes zu setzen, ist die letzte Ursache des Weltkrieges. War Deutschland in der Lage, diesen Krieg zu ver­ meiden? Gegen die offensiven Absichten des Gegners gibt es nur ein Mittel: das Risiko für diesen entweder durch die eigene Kraft oder durch Bündnisse so groß zu gestalten, daß der Einsatz des Kampfes zu gefährlich scheint. *) Die Geschichte dieser Rümpfe schildert H. Stegeman«, „Der Kampf um den Rhein"; vgl. H. Oncken, „Die historische Rheinpolitil der Franzosen".

— 2 — Bismarckhat die dauernde Bedrohung Deutschlands wohl erkannt und nie aus dem Auge verloren. Seine ge» wattige Schöpfung, im Verein mit dem Bündnis des stammesgleichen Oesterreich die Erfüllung des Traumes der Mehrzahl der Deutschen, bedurfte der steten und sorgfältigen Betreuung. Mit ungünstigen geographischen Grenzen im Herzen von Europa gelegen, waren Deutschland und Oester­ reich feindlichen Einfällen von fast allen Seiten preisgegeben. Gelang es Frankreich, dessen eigene Kraft zur Nieder­ werfung Deutschlands nicht ausreichte, eine starke Koalition zusammenzubringen, so war die Lage der Mittelmächte schwierig, wenn sie nicht ihrerseits über mächtige Verbündete verfügten. Daß sie die eigene Kraft zur Verteidigung dauernd aufs Aeußerste anspannen mußten, war selbstverständlich.

Bismarck hat Zeit seines Lebens unter dem cauchemar des coalitions, dem Alpdruck vor dem Zustandekommen eines feindlichen Bündnisses gestanden3). Seine Außenpolitik war darauf gerichtet, in dem 1882 geschaffenen Dreibund einen Verteidigungswall durch ganz Europa zu legen, der den Frieden verbürgte, und dabei niemals eine Verständigung Englands und Rußlands unter sich und mit Frankreich zuzulassen. Die Beziehungen zu diesen beiden Staaten wechselten auch in der Bismarckischen Zeit, nie aber standen beide zugleich auf Seiten des Erbfeindes.

Bismarcks Abgang im Jahre 1890 bedeutete den Beginn eines neuen Kurses**). Wilhelm II., erfüllt von bestem Willen, Deutschlands Stellung in der Welt zu erhalten und zu verstärken, aber nicht klar und fest genug, sich mU dem Erreichbaren zu bescheiden, empfand die Sorge vor der feindlichen Einigung nicht mit gleicher Stärke wie der Altreichskanzler. Der Dreibund schien ihm die nötigen Garantien für die Erhaltung des europäischen Friedens *) vgl. E. MarckS, „Otto von Bismarck" und M. Lenz, «Geschichte Bismarcks". *) vgl. Bismarck, „Gedanken und Erinnerungen". II, 224 u. 233. *) Bismarcks Nachfolger: General v. Caprivi von 1890—1894; Fürst Chlodwig v. Hohenlohe 1894—1900; Bernhard, Graf (später Fürst) v. Bülow 1900—1909; Th. v. BethmanN'Hollweg 1909—1917; Michaelis August—Oktober 1917; Graf v. Hertling 1917—1918; Prinz Ma; von Badm Oktober—November 1918.

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zu bieten, die der Kaiser als eine seiner vornehmsten Auf­ gaben betrachtete. Es ist nicht zu verkennen, daß seit der Mitte der neunziger Jahre zudem Deutschland vor neue, schwierige Fragen gestellt war. Die europäischen Großmächte dehnten ihre Interessen- und Einflußsphären weithin aus. Deutsch­ land mußte sich entweder damit begnügen, rein europäische Macht zu bleiben, oder aber an dem Wettbewerb um den Einfluß in fernen Ländern teilzunehmen. Entschied sich das Reich in letzterem Sinn, so war der kräftige Ausbau der Flotte unerläßliche Vorbedingung. Der Entschluß war für Deutschland schwieriger als für einen anderen Staat. Ohne freien Zugang zu einem der großen Meere hatte die Flotte nur eine beschränkte Verwendungsfähigkeit, die mehr oder weniger vom guten Willen Englands abhing; der Schutz, den das Mutterland fernen Kolonien gewähren konnte, war ein fraglicher. Andererseits verlangte die über­ groß anwachsende Bevölkerungszahl nach neuem Land; deutscher Unternehmungsgeist hatte bereits ausländische Ab­ satzgebiete geschaffen und forderte den Schuh des Reiches. Bismarck selbst, der an die Kolonialpolitik mit großer Vor­ sicht und mit Rücksicht auf die ungünstige geographische Lage Deutschlands ohne große Freude herantrat, fand nach seinen eigenen Worten nicht den Mut, dem deutschen Unter­ nehmungsgeist entgegenzutreten, ihn einzudämmen. Kolonien unter der unmittelbaren Verwaltung des Reiches waren entstanden5).

Deutschland hatte nach Bismarcks Entlassung 1890 den Rückversicherungsvertrag mit Rußland nicht erneuert«). Ruß­ land warf sich mit überraschender Plötzlichkeit, die doch ernsthafte Zweifel an der Aufrichtigkeit des vorherigen Bündnisses gestattete, Frankreich in die Arme. 1891 erfolgte ein französischer Flottenbesuch in Kronstadt, 1892 schlossen beide Mächte eine Militärkonvention, die im Falle der Mobilmachung durch eine Dreibundmacht eine gleichzeitige ‘) s.Marcks, a.a.O.S.201 ff.; Egelhaaf, „Geschichted. neuesten Zeit", S. 208. •) Einen Überblick über die Ereignisse von 1871—1921 bietet Kurt Jagow, „Daten des Weltkrieges".

— 4 Mobilisierung in beiden vertragschließenden Staaten vor­ sah. Don da an wurde die französisch-russische Entente gepflegt und gestärkt7). 1893 erfolgte der Abschluß des förm­ lichen Zweibundes, dem, im Gegensatz zu dem defensiven Dreibund, auch nach der Ansicht nicht gerade deutschfreundlicher Neutraler die Absicht der Erdrückung Deutschlands von zwei Seiten, also eine offensive Tendenz innewohnte v).

Für Deutschland war nun die Anlehnung an England, den natürlichen Gegner Rußlands, nahegelegt. Die deutsche Politik war aber nicht auf ein Bündnis mit England ge­ richtet. Die Vorgänge im fernen Osten, der chinesisch-japanische Krieg von 1894/95, der mit einem Sieg Japans schloß und diesem Staat im Frieden von Shimonoseki beherrschenden Einfluß auf China.sicherte, veranlaßte Rußland und Frank­ reich, denen sich Deutschland anschloß, gegen den Frieden Stellung zu nehmen und das von England unterstützte Japan zur Aufgabe seiner hauptsächlichsten Eroberung, der wichtigen Halbinsel Liautung mit Port Arthur zu zwingen, auf die Rußland sein Augenmerk richtete. 1896 beglückwünschte der deutsche Kaiser in einem durch das Auswärtige Amt redigierten Telegramm den Buren­ präsidenten Krüger zu der Abwehr des Einfalles des Eng­ länders Dr. Iameson in Transvaal. Die Erregung in England über das Telegramm war außerordentlich. 1898 trat Deutschland mit der ersten großen Flotten­ vorlage hervor, die dem eigensten Wunsche des Kaisers ent­ sprach und in dem neuernannten Staatssekretär des Reichs­ marineamtes, dem damaligen Konteradmiral von Tirpih, ihren warmen Verfechter fand. Von England gingen im Jahr 1898 Fühler aus, ein Bündnis mit Deutschland als der stärksten Militärmacht zustande zu bringen, das seine Spitze gegen Rußland richtete. Deutschland war indessen nur für einen Kolonial­ vertrag zu haben, der im Falle der Aufgabe portugiesischer *) s. „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871—1914" (Samm­ lung d. diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes.) Band 7. *) Berichte der belgischen Gesandten in Berlin u. London an ihre Re­ gierungen. (Jagow, 6.6.0. S. 7.)

Kolonien die deutschen und englischen Interessensphären ab­ grenzen sollte. (Angolavertrag.) Die Zeit für eine englisch-deutsche Verständigung war günstig. Frankreich lag mit England wegen der Faschodaangelegenheit in Fehde, in der England Sieger blieb und Frankreich zum Niederholen seiner Flagge in Faschoda zwang. Im Burenkriege von 1899 bis 1902 nahm Deutschland eine englandfreundliche Haltung an, doch wurde das Ende des Jahres anläßlich der Anwesenheit des deutschen Kaisers in Windsor durch den Kolonialminister Chamberlain in Vertretung des Premierministers angeregte Bündnis, an dem nach Englands Absicht auch Amerika teilnehmen sollte, von Deutschland nicht akzeptiert^). Die Chinaexpedition von 1900 brachte für Deutschland zwar die Anerkennung seiner militärischen Vorherrschaft durch die Uebertragung des Oberbefehls über das internationale Expeditionskorps, zeigte aber doch in seinem Verlauf schon eine bedenkliche Isolierung Deutschlands. Nach dem Tod der Königin Viktoria im Januar 1901 bestieg Eduard VII. den englischen Thron. Persönlich Kaiser Wilhelm II., dessen Art der seinen entgegengesetzt war, nicht geneigt, versuchte Eduard doch zunächst eine Verständigung mit Deutschland. Allein ein neues eng­ lisches Bündnisangebot scheiterte an dem Verlangen Deutsch­ lands, auch den Dreibund und Japan in ein Bündnis mit einzubeziehen. Die englische Verstimmung wuchs im gleichen Jahre durch die ablehnende Haltung Deutschlands in der Mandschureifrage und in der marokkanischen Angelegen­ heit. io) 1902 ging England mit Japan ein Bündnis ein, dessen Spitze sich gegen die russischen Bestrebungen int fernen Osten richtete. Die vergeblichen Versuche, sich mit Deutschland über ein Bündnis zu verständigen, und die Notwendigkeit für Eng*) s. u. a. „Die Große Politik d. Europäischen Kabinette" Band 15' S. .12) Die österreichische und die deutsche Regierung zeigte sich der Lage nicht gewachsen. Das Recht war auf Seite Oesterreichs. Die zivilisierte Welt wandte sich mit Abscheu von dem Mord und seinen Hintermännern. Bei raschem Zugriff hätte Oesterreich die öffentliche Meinung auf seiner Seite gehabt. Allein die Donaumonarchie entschloß sich nicht zum plötzlichen Schlag. Der ungarische Minister­ präsident Graf Tisza stellte sich der Meinung des öster­ reichischen Außenministers Grafen Berchtold, der die rasche Entscheidung wünschte, entgegen"). Erst am 23. Juli wurde in Belgrad ein Ultimatum mit den Sühneforderungen Oesterreichs überreicht"). Mittler­ weile aber hatten sich Rußland und Frankreich verständigt. Ir) s. das „Oesterreichisch-ungarische Rotbuch" und von serbischer Seite Stanoja Stanojevid, „Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand". **) f. u. a. Czernin, „Im Weltkriege". S. 15. “) Text der oesterr. Note u. der serbischen Antwort im „Oesterreichisch. ungarischen Rotbuch".

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Rußland war zum Krieg entschlossen, Frankreich hatte seine Bundestreue ausdrücklich nochmals versichert. Das Deutsche Reich15) hatte die serbische Angelegenheit als eine rein österreichische angesprochen und dementsprechend der Wiener Diplomatie freie Hand gelassen, jedoch den Wunsch ausgedrückt, den Krieg lokalisiert zu sehen. 3m gleichen Sinne wandte sich Deutschland am 24. Juli nach dem österreichischen Ultimatum an die Regierungen Englands, Frankreichs und Rußlands mit dem Vorschlag, man solle auf jede Einmischung in die österreichisch-serbische Angelegenheit verzichten. Am selben Tage fand in Petersburg zwischen Sasanow und dem englischen und französischen Botschafter eine Be­ sprechung statt, in der Sasanow erklärte^ die russische Mobil­ machung müsse auf jeden Fall durchgeführt werden. Nach früheren Aeußerungen des offiziellen Rußlands aber be­ deutete das den sicheren Krieg. Der französische Botschafter Paleologue bestätigte nochmals die Bündnistreue Frank­ reichs. Am Nachmittag beschloß ein russischer Ministerrat die Einmischung in den Streit. England versuchte seinerseits einen vermittelnden Vor­ schlag, der ebenso wie der deutsche in der Praxis ohne Er­ folg blieb.

Am 25. nachmittags 3 Uhr ordnete die serbische Re­ gierung die Mobilmachung gegen Oesterreich an, um 6 Uhr wurde dem österreichischen Gesandten in Belgrad die serbi­ sche Antwortnote überreicht, die in versöhnlichem Ton ge­ halten war. Allein Oesterreich war entschlossen, dem hinter­ hältigen serbischen Treiben ein Ende zu machen. Der Ge­ sandte reiste von Belgrad ab. Die österreichische Mobil­ machung wurde für 8 Korps gegen Serbien angeordnet. Am 26. Juli verließ England seinen bisherigen Stand­ punkt der Nichteinmischung und schlug eine Botschafterkonfe­ renz vor, die entscheidende Befugnis haben sollte; der Vor­ schlag wurde von Deutschland abgelehnt, da in dieser Konfe­ renz von vier Stimmen drei von vorneherein gegen Oester­ reich eingenommen waren, (England, Frankreich und 3ta“) vgl. hiezu „Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch", herausgegeben im Auftrage des Auswärtigen Amtes. (Zuerst bearbeitet von Karl Kautsky, dann von Max Graf MontgelaS und Dr. Walter Schücking.)

— lo­ sten.) Es schien sich am 27. übrigens eine unmittelbare Ver­ ständigung zwischen Oesterreich und Rußland anzubahnen, weshalb Grey seinen Vorschlag selbst fallen ließ. Don Eng­ land ging am gleichen Tag ein Ersuchen an Deutschland, auf Oesterreich int versöhnlichen Sinn einzuwirken, was auch ge­ schah. Oesterreich erklärte jedoch am 28. Juli vorm. 11 Uhr an Serbien den Krieg. Rußland hatte inzwischen zu rüsten begonnen; am 29. Juli wurde die Teilmobilmachung gegen Oesterreich bekannt­ gegeben, am Abend der geheime Befehl zu allgemeiner Mobilisierung erteilt. Am 30. Juli wurde sie offiziell ange­ ordnet. Der 31. Juli brachte die allgemeine Mobilmachung Oesterreich-Ungarns, für Deutschland die Verhängung des Zustandes drohender Kriegsgefahr. An Frankreich richtete Deutschland ein Ultimatum mit der Anfrage, ob Frankreich in einem Krieg zwischen Rußland und Deutschland neutral bleiben werde, an Rußland ein solches, das die Forderung der Einstellung aller Kriegsmaßnahmen gegen Deutschland enthielt.

Am 1. August nach 4 Uhr ordnete Frankreich, um 5 Uhr Deutschland die Mobilmachung an; um 6 Uhr erklärte Deutschland an Rußland, das das deutsche Ultimatum un­ beantwortet gelassen hatte, den Krieg. Frankreich hatte auf das deutsche Ultimatum erwidert, es werde das tun, was in seinem Interesse liege; am 3. Aug. erfolgte die deutsche Kriegserklärung an Frankreich. Am 2. August hatte Deutschland Luxemburg friedlich be­ seht, und an Belgien ein Ultimatum gerichtet, wonach sich dieser Staat über die Genehmigung des Durchmarsches für die deutschen Truppen entscheiden sollte. Der Besitzstand Bel­ giens wurde ausdrücklich garantiert. Auf Belgiens ableh­ nende Haltung marschierten die deutschen Truppen in der Nacht vom 3. auf 4. August in Besgien ein. Der englische Premierminister hatte inzwischen dem deut­ schen Botschafter in London erklärt, England werde sich im Fall eines Krieges nicht neutral halten.16) Der deutsche Ver­ such, die Zusicherung dieser Neutralität doch noch zu erreichen, **) s. Fürst Lichnowrky, „Meine Londoner Mission".

—11 — scheiterte. Zur Kriegserklärung wartete jedoch Grey einen günstigen Vorwand ab, den er in der Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland erblickte. Als Schützer dieser Neutralität erklärte dann England am Abend des 5. August an Deutschland den Krieg. Italien lehnte mit Rücksicht auf den Buchstaben des Dreibundvertrages, der Waffenhilfe nur bei feindlichem An­ griff vorsah, den Eintritt in den Krieg auf Seiten der Mittel­ mächte ab. Die Lösung der Kriegsschuldfrage") ergibt sich aus den Ereignissen selbst. Deutschland, mächtig und vielen unbe­ quem geworden, hatte nicht verstanden, seine neuerworbeue Weltstellung durch Bündnisse entsprechend zu sichern; eine ungeschickte Politik hatte den Zusammenschluß einer starken Koalition gegen Deutschland zugelassen, die im Gegensatz zum Dreibund «inen ausgesprochen offensiven Charakter trug. Der Zweck dieser Koalition war wirtschaftliche und politische Niederwerfung Deutschlands. Dor einem Krieg herrschte allerseits eine wohl begreifliche Scheu. Als sich aber die Verhältnisse am Balkan so zuspitzten, daß Oesterreich in Wahrung seiner Interessen die Niederwerfung des immer aggressiver werdenden Serbien anstreben mußte, da benützte Rußland den Anlaß, aus dem Balkankonflikt einen europä­ ischen heraufzubeschwören, der sich zum Weltkrieg auswuchs. Frankreich war der Ausbruch eines Koalitionskrieges gegen Deutschland erwünscht, es hat durch seine Stellung zu dem russischen Vorgehen seinen Verbündeten in seinen offensiven Absichten bestärkt. England, nicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Deutschland, wohl aber auf eine Schwächung der deutschen Macht erpicht, hat zuerst den Krieg zu verhindern gesucht, dann aber, in den letzten Tagen vor dem Weltkrieg, doch nicht sein ganzes Gewicht in die Wagschale geworfen, um Rußland am Losschlagen zu verhindern, ebensowenig, wie Deutschland Oesterreich gegenüber mit ganzer Kraft auf Einlenken gegenüber Ser­ bien drang, als ein europäischer Konflikt drohte. Wir sehen also von langer Hand her den Willen bei der Entente, das unbequeme Deutschland zu Boden zu l1) Über die Literatur der Knegsschuldfrage s. eine zusammenfassende Ab­ handlung von O. Riedner in Band 42 des Historischen Jahrbuches.

— 12 — werfen, dessen Kaiser, bis über die Grenzen des Möglichen lichen hinaus von Friedenswillen beseelt, gleichwohl durch kriegerische Gesten das Mißtrauen der Welt erweckte, dessen Staatsmänner den besonderen Schwierigkeiten der Leitung des Deutschen Reiches nicht gewachsen waren. Deutschland hatte kein Interesse an der Durchfechtung eines Offensiv­ krieges) es wollte keine Gebietserweiterungen» hatte keinen Anlaß, einen Gegner aus wirtschaftlichen Gründen aus der Reihe der Großmächte auszuschalten. Es lag in der Ver­ teidigung und griff erst zum Schwert, als die Lage offen­ sichtlich so bedrohlich wurde, daß weiteres Zaudern einen günstigen Ausgang des ganzen Krieges in Frage stellte. Ein Mann, dem sich drei andere mit Revolvern in der Hand in einsamer Gegend nähern, kann nicht warten, bis einer von diesen zuerst schießt. Ungeschickt war Deutschlands und Oesterreichs Verhalten in den letzten Wochen; daß es der Entente gelang, die ersten Kriegserklärungen den Mittelmächten zuzuschieben, daß Deutschland nicht den Neutralen gegenüber mit lauter und eindringlicher Stimme seine Friedensliebe und das bedroh­ liche Näherrücken der Feinde betonte, sind Fehler, die schwer geschadet haben. Daß die Entente auch hier leichteres Spiel hatte, ist nicht zu verkennen. Ihr brachte eine Verzögerung des Kriegsausbruches nach befohlener Mobilmachung Gewinn; für Deutschland konnte jedes Zögern tötlich werden.

Rüstungen, Operationspläne und Aufmärsche. Die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit den Waffen muß der leitende Staatsmann wie der führende Soldat in jedem Staat als eine ständige und schwere Sorge im Auge behalten. Die außenpolitische Vorbereitung eines Krieges war für Deutschland nicht in befriedigender Weise gelöst worden, die militärische nur teilweise. Die Lage Deutschlands und Oesterreich-Ungarns ohne gute militärische Grenzen in der Mitte Europas gab die

- 13 Mittelmächte dem feindlichen Angriff von allen Seiten preis. Frankreich dagegen hatt« nur eine angreifbare Landfront. Rußland verfügte über ein gewaltiges Hinterland, in das es wie zu Zeiten des ersten Napoleon ausweichen konnte, bis den verfolgenden Gegner die Kraft verließ. Eng­ land endlich war auf seiner Insel fast unangreifbar. Die geographische Lage forderte von den Mittelmächten einen Ersatz des natürlichen Schutzes, den ihnen die Natur versagt hatte, durch ein starkes, dem feindlichen Angriff gewachsenes Heer, durch Ausnützung der vollen Wehrkraft der Völker.

Die Reichsverfassung von 1871 setzte die Friedens­ präsenzstärke des Heeres auf 1% der Bevölkerung von 1867 fest. Für die spätere Zeit sollte die Stärke durch Gesetzgebung bestimmt werden"). Der Reichstag entschloß sich nicht, ein Gesetz zu erlassen, das ein für allemal die Stärke des Heeres prozentual regelte; die Bewilligung des Militäretats, der unter Bismarck jeweils auf sieben, später auf fünf Jahre festgesetzt wurde, bildete ein stetes tzauptobjekt der Kämpfe zwischen Regierung und Parlament; keine Partei konnte sich dazu entschließen, in dieser wichtigsten Lebensfrage die kleinlichen Parteiinteressen hintanzuhalten, die großen Ge­ sichtspunkte dauernd voranzustellen. Solange Bismarck wirkte, verfocht er unter dem Ein­ satz seiner ganzen Persönlichkeit die Erhaltung der nötigen Rüstung; eine seiner machtvollsten Reden, die vom 6. Fe­ bruar 1888 („Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt"), diente der Verwirklichung einer Wehrvorlage. Nach seinem Abgang fehlte auch in der Ausgestaltung der Rüstung die klare Erkenntnis des Notwendigen. Mehr als vordem hätte das Deutsche Reich und das mit ihm ver­ bündete Oesterreich jetzt seine Wehrkraft anspannen müssen, da mit der Aufgabe der bismarckischen Bündnispolitik die Isolierung der Mittelmächte immer deutlicher in die Er­ scheinung trat. Das alte: „Si vis pacem, para bellum“ hätte gerade den friedliebenden Dreibund veranlassen müssen, ie) Einen ausgezeichneten Gesamtüberblick über die Entwicklung der deutschen Wehrmacht in der Zeit des neuen Kaiserreichs gibt L. Frh. Rüdt v. Callenberg in einem Büchlein: „Die deutsche Armee von 1871—1914." Die letzten großen Heeresvorlagen von 1911 ab beleuchtet eingehender G. Herzfeld in „Die deutsche Rüstungspolitik vor dem Weltkriege." Näheres in den Löbell'schen Jahresberichten.

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seine militärische Macht so stark zu halten, daß niemand wagen durste, den Frieden zu brechen. Statt dessen scheute sich die Regierung, entgegen den Mahnungen des Generalstabes, von der Volksvertretung die äußerste Krastanspannung zu fordern, die tatsächliche Durchführung der gesetzlichen allgemeinen Wehrpflicht zu verlangen; der Reichstag seinerseits bemängelte selbst die unzureichenden Heeresverstärkungen, so daß bis 1911 ein fortwährender Rückschritt im Ausbau des Wehrsystems zu verzeichnen ist, in einer Zeit, in der Frankreich nicht nur fast den letzten tauglichen Mann einstellte, sondern die Qualität der Armee durch die Wiedereinführung der drei­ jährigen Dienstzeit im Jahr 1913 hob, die man in Deutsch­ land 1893 (mit Ausnahme bei der Kavallerie und reitenden Artillerie) aufgegeben hatte. Erst die immer augenfälliger werdende Einkreisung Deutschlands führte zu der furcht­ baren Erkenntnis, daß die deutsche Rüstung ungenügend sei. Die tzeeresvorlagen von 1912 und 1913 sollten dem Mangel abhelfen; allein die Auswirkung der Gesetze hätte Jahre verlangt. Deutschland verfügte neben seinen ausgebildeten Mann­ schaften über eine gewaltige Menge unausgebildeter Ersatz­ reservisten. Nur 52—54% der Tauglichen waren in den letzten Jahrzehnten zum Dienst eingezogen worden und wir müssen uns heute von feindlicher Seite vorrechnen lassen, daß Deutschland leicht den Feldzug mit einem um 600 000 Mann stärkeren Feldheer hätte eröffnen können, „wenn es ein dem unseren (französischen) entsprechendes Opfer (im Frieden) gebracht hätte19)“. So war das franzö­ sische Heer allein ohne Engländer und Belgier dem deutschen an der Westfront zu Kriegsbeginn um zwei Divisionen überlegen. Man hat oft als Entschuldigung für die mangelhafte Rüstung den Umstand angeführt, daß der Ausbau der Flotte große Summen verschlungen habe. Dagegen ist aber doch festzustellen, daß Deutschland ein reiches Land und in der Lage war, für beide, Heer und Flotte, die nötigen Auswen”) General Buat „Die deutsche Armee im Weltkriege- Ihre Größe und ihr Verfall." Dgl. auch v. Kuhl „Der deutsche Generalstab in Vorbereitung und Durchführung des Weltkrieges" und „Französisch-englische Kritik de» Weltkrieges."

- 15 — düngen zu machen. Ein verlorener Krieg legte dem Lands weit höhere Opfer auf als eine starke Rüstung, die den Verlust des Krieges hätte vermeiden lassen. Während 1912 in Frankreich auf jeden Kopf der Bevölkerung pro Jahr 32,80 Mark an Ausgaben für Armee und Marine trafen, beliefen sich die gleichen Auflagen in Deutschland nur auf 23,18 Mark2«). Die Neuschöpfung der Marine hatte 1898 begonnen21). Kaiser Wilhelm II. hat ihr, unterstützt von dem Marine­ staatssekretär von Tirpitz, sein besonderes Augenmerk zu­ gewandt. Die Ausgestaltung der deutschen Seemacht war mit der Entwicklung Deutschlands zur Weltmacht eine Notwendigkeit geworden. Zwei Wege standen für sie offen: die Aufstellung einer Auslandskreuzerflotte oder der Ausbau einer Schlachtflotte22). Deutschland wählte den letzteren, trotz­ dem der Bau der Schlachtflotte von vorneherein England mit Mißtrauen erfüllte und die Möglichkeit der Verwendung dieser Flotte bei der ungünstigen Lage der deutschen Meere eine beschränkte war. Man kann heute die deutsche Flotten­ politik weder schlechthin verteidigen noch verdammen. Groß­ admiral von Tirpitz hat das Risiko der Feindschaft Englands bewußt auf sich genommen unter der Voraussetzung, daß der Admiralstab auch das Risiko eines Kampfes der Schlacht­ flotte mit der überlegenen englischen eingehen würde, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit den Willen habe, wie das englische seinen Platz als Weltmacht mit aller Kraft zu behaupten. Beides war ein Irrtum: der Großadmiral gibt heute selbst die Notwendigkeit zu, England gegenüber andere Wege einzuschlagen, da „das deutsche Volk sich zu seiner Erhebung als Weltmacht nicht geeignet und nicht gereift gezeigt hat"22). Es werden viele dieses Urteil nicht unterschreiben wollen und fragen, worauf Tirpitz diese An­ schauung gründen könne. Die Antwort ergibt sich aus der Betrachtung des Kriegsverlaufes, wo entgegen der eng­ lischen und ftanzösischen Einstellung in den Zeiten der höchsten Gefahr von der deutschen tzeimat eine zermürbende, Rüdt v. Collenberg, a.a.O. S. 95. ") Einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Marine gibt G. Kirch­ hoff „Unsere Marine." Näheres u. a. in Nauticus „Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen." ”) vgl. hiezu v. Tirpitz „Erinnerungen" und „Politische Dokumente." “) v. Tirpitz, „Politische Dokumente, Einleitung, S. VIII.

— lö­ stest eine anfeuernde Einwirkung auf die tapfer kämpfende Front ausgeübt wurde. Davon wird später zu reden.sein. 1914 stunden 17 deutsche 29 englischen Großkampf­ schiffen gegenüber. Schlechter und ungenügender als die deutsche war die österreichisch-ungarische Kriegsvorbereitung. Hier war aus Ersparnisgründen und aus innerpolitischen Bestrebungen noch weit weniger für die Armee und die Marine geschehen. Deutschland hatte verabsäumt, mit Oesterreich bindende Ab­ machungen über den Ausbau der Wehrmacht einzugehen» wie dies die Ententestaaten unter sich taten.

In erfreulichem Gegensatz zu dem, was in der Aus­ gestaltung des Heerwesens der Mittelmächte gefehlt wurde, steht das, was Armee und Marine innerhalb des ihr von Regierung und Volksvertretung zugebilligten Rahmens ge­ leistet haben. Die deutsche Armee war unbestritten die erste der Welt. In ihr vereinigte sich die Blüte der männlichen Bevölkerung. Das Offizierskorps war getragen vom Geiste der Pflicht­ treue und der Verantwortung; ein im gleichen Sinn aus­ gebildetes Unteroffizierskorps stand ihm zur Seite; die Mannschaft erfüllte die oft harten Anforderungen eines an­ strengenden Dienstes mit Opferwilligkeit und im Stolz auf die Zugehörigkeit zu der mächtigsten deutschen Institution. Es ist bei einer Organisation von derart großen Ausmaßen gar nicht zu vermeiden, daß ab und zu Verkennungen der Pflichten, Ausschreitungen auf beiden Seiten, bei Vor­ gesetzten und Untergebenen vorkommen, allein diese bildeten in der deutschen Armee doch die verschwindende Ausnahme. Es wurde in Ansehung der Sache, nicht nach persönlichen Motiven gearbeitet. Der ganze Dienst war auf das ernsthafte Ziel gerichtet, Führer und Mann für die schwierigen Lagen des Ernstfalles vorzubilden, und dieses Ziel ist bei den voll gedienten Mannschaften voll erreicht worden. Die Ausbildung stund auf der Höhe und sie beschränkte sich nicht lediglich auf das rein Militärische. Der Mann lernte Zucht und Gehor­ sam auch für das bürgerliche Leben. Und zwar nicht, wie die Gegner der Armee mit Vorliebe vorwerfen, einen blinden

— 17 „Kadavergehorsam", sondern die bewußte Unterordnung unter eine Führung, zu der er das Vertrauen hatte, -aß sie sachlich und richtig war. Mit Kadavergehorsam führt man ein auf hoher Bildungsstufe stehendes Volk nicht in die Gefahr der Schlacht, erzielt man nicht die Einzel­ leistungen, an denen die Geschichte des Krieges überreich ist. Die hohe Einwertung des gedienten Soldaten auch in den bürgerlichen Betrieben, der Stolz, mit dem der größte Teil auf seine militärische Dienstzeit zurückblickt, spricht mehr als langatmige Ausführungen für die Trefflichkeit der militä­ rischen Erziehung. In ähnlicher Weise ausgebildet, war die Marine, wenn auch der englischen zahlenmäßig unterlegen, doch an Geist und Können ihr zum mindesten gleich­ wertig.

Einige Mängel, die sich im Laufe der Kriegführung empfindlich bemerkbar gemacht haben, müssen erwähnt werden. Taktik und Schießverfahren der deutschen Feldartillerie waren zu Beginn des Krieges dem französischen unterlegen: die Einschätzung der technischen Truppen war im Frieden vielleicht zu gering gewesen. Diese Fehler behoben sich im Laufe des Krieges verhältnismäßig rasch. Die Aus­ bildungsgrundlagen der gesamten deutschen Armee waren so gediegen, daß derartige Rückständigkeiten sich leicht ver­ bessern ließen. Schwerer wog ein organisatorischer Fehler, der sich auf operativem Gebiet auswirkte: das Fehlen von tzeeresgruppenkommandos. Die sieben Armeen des Westens konnten von einer Zentrale aus nicht mehr geleitet werden. Man mußte gleich in den ersten Tagen des Krieges zu Zu­ sammenfassungen bei der 1. und 2., bei der 6. und 7. Armee greifen, die dann doch nicht straff genug waren. Das Un­ heil der Mameschlacht ist teilweise darauf zurückzuführen. Das größte Friedensversäumnis in der deutschen Armee aber war die ungenügende Ausstattung der neuaufgestellten Formationen mit brauchbaren Unterführern. Entgegen dem Gebrauch -er französischen Armee, die für ihre Reserve­ formationen eine große Zahl von aktiven Offizieren und Unteroffizieren bereitgestellt hatte, war man in Deutschland aus Ersparnisgründen davor zurückgeschreckt, hier in ge-

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nügender Weise vorzusorgen. Die Reserveoffiziere, die be­ sonders bei Neuaufstellungen den aktiven Offizier zu er­ setzen, in der Heimat die Ausbildung des Nachschubes zu betreiben hatten, waren für ihre Aufgaben nicht genügend vorgebildet. Statt dem künftigen Führer eine zum mindesten gleich gute Ausbildung zu geben wie dem Untergebenen, war man in Deutschland bei dem Institut der EinjährigFreiwilligen stehen geblieben, aus denen sich die Reserve­ offiziere ergänzten. Der Zeitraum eines Jahres genügte nicht, den Einjährigen auch nur mit allen Zweigen des militärischen Dienstes bekannt zu machen, geschweige denn, ihm die überlegene Sicherheit zu geben, die die Führung verlangte. Zumal die Leitung der Ausbildung war ihm fremd. Ebensowenig stunden trotz persönlicher Tapferkeit die Leistungen der meisten Kriegsleutnants in Ausbildung und Verwaltung ganz auf der Höhe. Die Achselstücke allein machen den Offizier nicht aus; er mußte durch eine harte, friedensmäßige Schule gehen, um seinem Beruf voll ge­ wachsen zu sein. Die Folge war eine stark« Inanspruchnahme des aktiven Offizierskorps und dessen zu frühes Aussterben. Dom aktiven Offizierskorps fielen rund 25%, von den Reserve­ offizieren rund 16%, von den Mannschaften 14% des ge­ samten Aufgebotes24). Die enormen Neuaufstellungen von Formationen gegen Ende des Krieges zwangen ferner zu einer starken Vermehrung der Stäbe, die ihrerseits geübte Fachleute brauchten. Das aktive Friedensoffizierskorps war zahlenmäßig zu klein für die Anforderungen des großen Krieges; die Truppe hatte darunter zu leiden, der am Ende des Krieges fast keine aktiven Offiziere und nur wenige im Frieden ausgebildete Reserveoffiziere für die wichtigen Kompagnieführerstellen zur Verfügung stunden. Das Zer­ reißen der Friedensoffizierskorps und der Friedensverbände im Laufe des Krieges hat den inneren Halt der Truppen schwer geschädigt; der darin liegende Mangel an psycho­ logischer Einstellung auf die Bedürfnisse des Heeres hat sich bitter gerächt.

“) v. Altrock „Dom Sterben des deutschen Offizierskorps.

— 19 — Deutschland mußte von je mit einem Krieg nach zwei Fronten rechnen. Seit der französisch-russischen Annäherung war die doppelte Bedrohung wahrscheinlicher als vordem geworden, der Fall eines Krieges nur mit Frankreich oder nur mit Rußland kaum denkbar. Der große Generalstab hielt die Operationspläne bereit, die für die verschiedenen Möglichkeiten zur Anwendung kommen sollten25). In langer Friedensarbeit, in unzähligen Kriegsspielen, Generalstabsreisen und Manövern waren diese Pläne immer neuen Prüfungen unterzogen worden. Dem Generalobersten Graf von Schlieffen, nach Moltke der zweite Generalstabschef, einem der bedeutendsten Köpfe Deutsch­ lands, dankte sein Nachfolger, der jüngere Moltke, einen großzügigen Operationsplan, der die Niederwerfung des ge­ fährlichsten Gegners, der Franzosen, in den Vordergrund rückte, während die Oesterreicher zusammen mit ganz schwachen deutschen Kräften die Russen Hinhalten sollten, bis nach erfolgter Entscheidung im Westen genügend deutsche Truppen frei geworden waren, um auch im Osten die Ent­ scheidung zu suchen. Der vielgenannte Schlieffen'sche Planes erstrebte den entscheidenden Sieg im Westen durch die operative Umfassung der französischen (und der mit ihnen unmittelbar verbundenen) Streitkräfte; diese Umfassung konnte bei den starken französischen Grenzbefestigungen nur durch den Durchmarsch durch Belgien ausgeführt werden. Hier, auf dem deutschen Nordflügel, wollte Schlieffen die weitaus stärksten Kräfte zusammenziehen, für die ein zahlen­ mäßiges Verhältnis von 7:1 311 denen des Südflügels fest­ gesetzt war. Mit ganzer Kraft sollte die Entscheidung in kürzester Zeit herbeigeführt werden. Denn für die Deutschen bedeutete jeder Zeitverlust auch einen Verlust in der Freiheit des Handelns, da die Bedrohung durch Rußland, der Druck, der dann von beiden Seiten her erfolgte, von Tag zu Tag stärker wurde. Für Deutschland mußte die Entscheidung in den ersten Wochen fallen, für Frankreich und seine Ver­ bündeten wuchsen die Aussichten auf Sieg, je weiter die ”) Das Bereithalten der Operationspläne für die verschiedenen Möglich­ keiten war nicht etwa eine Eigenart des deutschen Generalstabes. Jede Groß­ macht hat im Frieden versucht, sich auch nach dieser Richtung hin gegen Über­ raschungen des Krieges »u wappnen. ”) Ausführlich besprochen in Foerster „Graf Schlieffen und der Welt­ krieg"; ferner in „Der Weltkrieg." (Hgg- v. Reichsarchiv.) Band I, S. 49 ff.

— 20 — erste Schlachtentscheidung hinausgeschoben wurde. Noch den sterbenden Grafen Schliessen beschäftigte dieses Problem, dessen Lösung sein Leben gewidmet war. Seine letzten Worte, schon im Todesfieber: „Macht mir nur den rechten Flügel stark", drückten seine stete Sorge aus. Und diese war nicht ohne Grund. Sein Nachfolger, Generaloberst von Moltke, ein vornehmer, geistreicher Mann, aber kein starker, energischer Charakter, vermochte sich zu der restlosen Ueber­ zeugung von der Wirksamkeit der nördlichen Umfassung, die Schliessen beherrscht hatte, nicht durchzuringen. Ihm schien der Erfolg auf dem rechten Flügel nicht sichergestellt, wenn die Franzosen in der gleichen Zeit zum Vorstoß nach ElsaßLothringen ansehten. Immer mehr Kräfte wurden schon bei der Bearbeitung der Pläne im Frieden dem nördlichen Flügel entzogen, bis das Kräfteverhältnis nicht mehr 7:1, sondern 3:1 war. Dem rechten deutschen Stoßflügel war damit die nachhaltende Kraft genommen, deren er zur Durchführung seiner langatmigen und schwierigen Aufgabe bedurfte27). Es ist einleuchtend, daß dieser großzügige Plan eine erstklassige Armee zur Grundlage, sofortiges und konse­ quentes Handeln zur Voraussetzung hatte. Ließ man den Russen Zeit, ihre Mobilmachung noch vor der Kriegs­ erklärung zu vollenden, dann war die Lage Deutschlands schwierig; dann war fraglich, ob die Entscheidung im Westen gefallen war, bevor die russischen Armeemassen mit über­ legenen Kräften ihrerseits zum Angriff vorgehen konnten. Der volle, den Gegner zum Frieden zwingende Sieg der ”) Der Schlieffensche Plan hat jetzt und früher auch Gegner gefunden. Ein Teil von diesen spricht sich dafür aus, daß der Gegner im Osten als erster anzugreifen gewesen wäre; die Verfechter dieser Theorie verkennen die Zwangsläge Deutschlands. Der Ostgeyner konnte einer Entscheidung ausweichen und wie 1812 sein unangreifbares Hinterland ausnutzen, um sich selbst dem deutschen Zugriff zu entziehen, während im Westen eine ausgesprochene feindliche Uberlegenheit zum Angriff schreiten und den Kampf zum mindesten auf deutsches wertvolles Gebiet tragen konnte. Die wirtschaftlichen Hilfsquellen Deutschlands im Rheinland waren dann in beängstigender Weise bedroht. Ein anderer Teil der Gegner Schliessens wirft ihm vor, daß er len Durchbruch als operative EntscheldungSform nicht kenne, sondern alles auf Um­ fassung aufbaue. Dem ist gegenüber zu halten, daß der Durchbruch an tich auch keine Möglichkeit einer strategischen Enffcheidung bietet. Er wird (ist wirksam, wenn sich aus ihm heraus die Umfassung entwickelt. Wie schwierig gerade dieser Übergang ist, hat der Weltkrieg erneut erwiesen. Ich verwnse hier nur auf den Durchbruch bei Gorlice und in der Märzoffensive ISIS.

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Mittelmächte konnte nur in den ersten Wochen des Krieges erfochten werden.

Der österreichische Operationsplan, von dem überragend befähigten Generalstabschef General Frh. Conrad v. tzötzendorf entworfen, sah im Großen ein Zusammenarbeiten mit dem deutschen Plan vor. Es war jedoch zwischen den beiden Verbündeten nicht zur gemeinsamen Ausarbeitung von Einzelheiten gekommen. Generaloberst von Moltke hatte zwar auf Conrads Vorschlag schon 1909 die Zusage gegeben, daß deutscherseits sofort nach Kriegsbeginn eine Offensive über den Narew angesetzt wurde28); es war aber staglich, ob diese Zusage eingehasten werden konnte, zumal, wenn die italienische Hilfe, die die Entsendung von mehreren Di­ visionen an die Westftont und die Bindung stanzösischer Truppen in den Alpen vorsah, ausblieb. Trotzdem sah Conrad seine Aufgabe bis zum Eintreffen der deutschen Verstärkungen aus dem Westen auch gegen Rußland nicht in einer reinen Defensive, sondern in einem Stoß gegen die im Aufmarsch befindlichen russischen Armeen in der richtigen Ueberzeugung, daß auch Oesterreich seine Verteidigung offensiv führen müsse. Gegen den Balkan sollte eine weitere Bereitstellung von Streitkräften stattfinden. Die Operationspläne der Alliierten liefen auf eine konzenttische Offensive hinaus. Frankreich wollte im Verein mit den englischen Streitkräften im Westen entweder in Elsaß-Lothringen zum Angriff schreiten oder einen Gegen­ stoß gegen den vermuteten deutschen Angriff durch Belgien führen. Rußland sollte gleichzeitig im Osten Deutschland als den hauptsächlichsten Gegner und Oesterreich überfallen. Rußland änderte den Operationsplan dahin ab, daß es zuerst eine Niederwerfung Oesterreichs, dann erst eine der Deutschen im Osten vorsah29). Der Kriegsplan der Entente war einfacher als der der Mittelmächte durchzuführen. Sie befand sich nicht in der Zwangslage, in die sich die Mittelmächte versetzt sahen. Dor allem konnte sie sich mit der Ausführung Zeit lassen, wäh“) f. Conrad v. Hötzendorf „Aus meiner Dienstzeit", Bd. III, S. 673 u. Bd. IV, S. 252: vgl. Foerster a.a>O. S. 26 und „Der Weltkrieg", Bd. II, S. 7. ”) „Der Weltkrieg", Band II, S. 32 ff.

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rend Deutschland Gewicht darauf legen mußte, mit Frank­ reich fertig zu werden, bevor die russische Mobilmachung beendet war. Und dieser Umstand darf nicht vergessen werden, wenn man die wachsende deutsche Nervosität vor Kriegsbeginn angesichts der sich steigernden russischen Mo­ bilmachungsarbeiten betrachtet und die ungeschickten deutschen Kriegserklärungen verurteilt. Die Schwierigkeit der Lage für Deutschland war durch das russische Verhalten un­ mittelbar vor Kriegsbeginn gestiegen. Die Aufmärsche regelten sich nach den Operations­ plänen folgendermaßen30): I. 8m Westen. Deutschland. Oberster Bundesfeldherr: S. M. der Kaiser. Generalstabschef: Generaloberst von Moltke.

1. Armee unter Generaloberst von Kluck II., III., IV., IX. A.K., HI. und IV. Res.Korps

bei Jülich. 2. Armee unter Generaloberst von Bülow Garde, VII., X. A.K., Garde-, VII., X. Res.Korps bei Aachen-Eupen. 2m Raume der 2. Armee, aber der O.H'L. unmittelbar unterstellt: H. K. K. (Kavalleriekorps) 2 mit 2. 4. 9. Kav.Div. 3. Armee unter Generaloberst von Hausen XL’XII. (sächs.), XIX. (sächs.) A.K..XII. (sächs.) Res.Korps bei Neuerburgs 2m Raume der 3. Armee: H.K.K. 1 mit Garde- u. 5. Kav.Div. 4. Armee unter Generaloberst Herzog Albrecht v. Württemb. VI., VIII., XVIII. A. K. VIII., XVIII. Res. Korps bei Luxemburg-Trier. 5. Armee unter Generalleutnant Kronprinz Wilhelm *°) Nach den Zusammenstellungen des Reichsarchivs und Conrads von Hohendorf. Es sind nur Armeekorps und selbständige Divisionen angeführt, alle übrigen Formationen, z. B. Landwehrbrigaden, fortgelasien. Genauere Angaben in den genannten Werken. Die deutschen Korps etc. sind mit ihren Nummern, die übrigen nur der Zahl nach angeführt.

— 23 — V., XIII. (württ.), XVI. A.K., V., VI. Res.Korps bei Diedenhofen-Meh^ 3m Raume der 5. Armee: tz.K.K. 4 mit der 3. u. 6.Kav.Div. 6. Armee unter Generaloberst Kronprinz Rupprecht v. Bayern XXL, I., II. und III. Bayer. A.K., 1. Bayer. Res.Korps bei Saarburg. 3m Raume der 6. Armee: tz.K.K. 3 mit der 7., 8. und Bayer. Kav.Div. 7. Armee unter Generaloberst von Heeringen XIV., XV. A.K., XIV. Res.Korps bei Straßburg-Colmar.

Frankreich. Oberbefehlshaber: General 3offre. Generalstabschef: General Belin. Don Süden nach Norden: 1. Armee unter General Dubail mit 5 A.Ks., 6 Res.Div., 2 Kav.Div. 2. Armee unter General de Castelnau mit 5 A.Ks., 6 Res.Div., 2 Kav.Div. 3. Armee unter General Ruffey mit 3 A.Ks., 7 Res.Div., 1 Kav.Div. 5. Armee unter General Lanrezac mit 5 A.Ks., 7 Res.Div., 1 Kav.Div. Hinter der 3. und 5. Armee 4. Armee unter General de Langle de Cary mit 3 A.Ks., 1 Kolonial-Div., 1 Kav.Div. Dor dem linken tzeeresflügel: Kavalleriekorps Sorbet mit 3 Kav.Div. England. Oberbefehlshaber: Feldmarschall Sir French Generalstabschef: Genlt. Sir Murray. Expeditionsarmee mit 3 A.Ks. und 1 Kav.Div. Belgien. Oberbefehlshaber: S.M. der König. Generalstabschef: Genllt. de Selliers de Moranville. Belgische Armee mit 6 Armeedivisionen, 1 Kav.Div.

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n. Sm Oste«. Deutschland. 8. Armee unter Generaloberst von Prittwih I.» XVII.» XX. A.K., I. Res. Korps, 1. Kav.Div. zwischen Thorn und Tilsit.

Oesterreich. Oberbefehlshaber: S. K. u. K. tz. Erzherzog Friedrich von Oesterreich. Generalstabschef: General der Inf. Freiherr Conrad von tzötzendorf. Armeegruppe Köves: Gen. d. Inf. Köves von Köveshaza. (Später 2. Armee unter Gen. d. Kav. v. Böhm-Ermolli.) 4 A.Ks., 4 selbst. Div., 3 Kav.Div. bei Stanislav. 3. Armee: unter Gen. d. Kav. von Brudermann 2 A.Ks., 3 selbst. Div., 3 Kav.Div. östl. Przemysl. 4. Armee unter Gen. d. Inf. v. Auffenberg 4 A.Ks., 2 Kav.Div. westl. Przemysl. 1. Armee unter Gen. d. Kav. v. Dankl 3 A.Ks., 1 selbst. Div., 2 Kav.Div. westl. der 4. Armee. Armeegruppe Kummer: Gen. d. Kav. von Kummer 2 i/2 Div., 1 Kav.Div. westl. Krakau.

Rußland. Oberbefehlshaber: S. Kais. H. Großfürst Nicolai NicolajewUsch. Generalstabschef: Genlt. Ianuschkewitsch. Heeresgruppe der Nordwestfront (gegen Deutschland) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. Skilinski. 1. Armee unter Gen. d. Kav. von Rennenkampf. 4 1/2 A.Ks., 5 i/2 Kav.Div. bei und südl. Kowno. 2. Armee unter Gen. d. Kav. Samsanow 5 l/i A. Ks., 3 K. Ds., zwischen Grodno und Lomsha. 10. Armee unter Gen. d. Inf. Flug 4 A. Ks., 31/2 K. Ds. im Anrollen aus dem Inneren. Abteilung Warschau unter Gen. d. Inf. Olchowsky 1 A.K., 1 3/4 Kav.Div.

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5. 3. 8.

9.

Heeresgruppe der Südwestfront Oberbefehlshaber: General d. Art. Iwanow. Armee unter Gen. d. Inf. Ewert 5 A. Ks., 2 y2 K. Ds. bei Lublin Armee unter Gen. d. Kav. Plehwe 5 y2 A. Ks., 5 K. Ds. bei Cholm-Kowel. Armee unter Gen. d. Inf. Rußki 5 1/2 A. Ks., 4 K. Ds. bei Dubno-Luzk Armee unter Gen. d. Kav. Brussilow 6 A. Ks., 5 K. Ds. anschließend an die 3. in Bessara­ bien. Armee unter Gen. d. Inf. Letschitzki 3 y2 A. Ks., 4 1/2 K. Ds. im Anrollen von Peters­ burg, zuerst für die Nordwest-, dann für die Südwest­ front bestimmt.

Zurückgehalten stunden: 6. Armee unter Gen. d. Art. van der Bliet 2. A. Ks., 1 K. D. bei Petersburg. 7. Armee unter Gen. d. Art. Nikitin 1 1/2 A. Ks., 1/2 K. D. bei Odessa. Außer Armeeverband noch: 19 Inf.-, 4 1/2 Kav. Divisionen.

III. 3m Siidosten. Oesterreich. Oberbefehlshaber: Feldzeugmeister Potiorek. 5. Armee unter General von Frank 2 A. Ks. westl. der Drina. 6. Armee unter Feldzeugmeister Potiorek (gleichzeitig Ober­ befehlshaber) 2 1/2 A. Ks. anschließend an die 5. Armee. 2. Armee unter Gen. d. Kav. von Böhm-Ermolli 3 y2 A. Ks., ' in Syrmien. (bald an die Nordostfront verschoben.) Serbien. Oberbefehlshaber: S. K. H. der Kronprinz. 10 Divisionen, 1 Kav.-Div. teils an der Grenze, teils int Inneren.

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Montenegro. c. 40 000 Mann meist Irregulärer im Innern des Landes. In runden Zahlen belief sich die Stärke der einzelnen Feldheere (nur Feldtruppen) auf: Deutschland 2 Millionen Mann, davon 200 000 gegen Rußland. Oesterreich 1,1 Million, davon 750 000 gegen Rußland, 350000 geaen Serbien. Frankreich 2 Millionen Mann, England 153 000 Mann. Belgien 120 000 Mann Rußland 1,750000 Mann, davon 1,25 Mill, gegen Oesterreich. Serbien 280 000 Mann Montenegro c. 40000 Mann (diese minderwertig.) Diese Zahlen steigerten sich im Verlauf des Krieges in ungeheurem Maße. Es traten auf die Seite der Mittelmächte die Türkei und Bulgarien. Die Gesamtbevölkerung dieser Staaten be­ trug rund 160 Millionen Einwohner; aufgeboten wurden davon im Ganzen 22 Millionen Mann. Der Entente traten im Verlauf des Krieges bei: Japan, Italien, Rumänien, Portugal und die Vereinigten Staaten; ferner Cuba, Panama, Siam, China, Brasilien, Bolivia, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Haiti, Peru, Uruguay, Ecuador, Griechenland, Hedschas, Liberia und schließlich Polen und die Tschechoslowakei mit im Ganzen 1400 Millionen Einwohnern, von denen 40 Millionen auf­ geboten wurden "). Wenn auch die hier genannten Staaten nur zum kleinen Teil militärische Hilfe gegen die Mittelmächte leisteten, so ist diese Erhebung fast der ganzen Welt Legen Deutschland doch nicht ohne praktische Folgen geblieben: die Zerstörung der deutschen Handelsflotte war auf diesem Wege möglich. Vor allem aber zeigt die Menge der Staaten, die der En­ tente beigetreten sind, die Eindringlichkeit der Hetze gegen die Mittelmächte, die in erster Linie von England betrieben und gefördert wurde. Die Einkreisung konnte nach der Meinung Englands gar nicht umfassend genug sein. “) s- Jagow, Daten des Weltkrieges, S. 49.

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Die Operationen.") Die Operationen unter Leitung des Generalobersten von Moltke vom Beginn bis zum 14. September 1914.

A. Sm Westen^). Der tzauptschlag der Mittelmächte sollte im Westen er­ folgen. Auch die österreichische Heeresleitung war sich dar­ über klar, daß das Schicksal der Donaumonarchie nicht am Bug, sondern an der Seine entschieden wurde. Mobilmachung und Aufmarsch vollzogen sich in mustergiltiger Ordnung. Die Einziehung von Mann und Pferd, die Aufstellung der neuen Formationen, ihre Ausrüstung und Einkleidung, die ungeheuren Bahntransporte zu den Kampffronten, alles entwickelte sich ohne die geringste we­ sentliche Störung. Es sind unvergeßliche Tage der Größe des deutschen Volkes gewesen. Endlich war das erreicht, was jeder gute Deutsche im Herzen gewünscht hatte, die Einigung des ganzen Volkes in allen seinen Schichten zu einem großen Wollen. Ueberzeugt von der Heiligkeit eines Kampfes um unser gutes Recht, gewillt, den uns vom Feinde aufgedrungenen Krieg in der Verteidigung des Vaterlandes mit Kraft zum guten Ende zu führen, hat das Volk die oft thörichten trennenden Unterschiede aller Art hinweggewischt. Das gute Wort des Kaisers vor dem Reichstag am 4. August: „Ich kenne keine •*) Zusammenhängende Darstellungen der Operationen führen die Werke über den Krieg von Stegemann, Schwarte, Immanuel etc. vor. Das neueste grundlegende Werl: „Der Weltkrieg", herausgegeben vom Reichsarchiv, um­ faßt bisher in seinen beiden ersten Bänden die Zeit vom Kriegsbeginn bis Ende August im Westen, bis Mitte September im Osten. Der Seekrieg wird in einem Werke des Marinearchivs, behandelt. Kurze Übersichten geben: v. Moser, „Kurzer strategischer Überblick über den Weltkrieg 1914—1918" und ausführlicher C. Hier!, «Der Weltkrieg in Um­ rissen", dessen bisher erschienene drei Bände die Ereignisie bis Anfang 1916 schildern. Bon kritischen Werken über den Gesamtkriegsverlauf sind besonders zu ntnnen: „Kritik des Weltkrieges, von einem Generalstäbler" (Hauptmann Ritter) und v. Moser, „Ernsthafte Plaudereien über den Weltkrieg". Die Ausführungen in beiden Büchem sind, auch wenn man den Ansichten der Berfasier nicht überall zustimmt, durchaus ernsthaft und beachtenswert.

**) vgl. dazu neben den umfastenden Darstellungen in erster Linie: von Moltke, „Erinnerungen, Briefe, Dokumente" (herausgegeben aus dem Nachlaß des Generalobersten von Eliza v. Moltke).

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Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" und das diesen Worten folgende Treugelöbnis der Führer aller Parteien in die Hand des Kaisers sollten der Leitgedanke der Regie­ rung, das Symbol des Volkswillens für die kommenden Zeiten sein, in denen Deutschland nicht nur um seine Welt­ geltung, sondern um seine Existenz kämpfte. In ihrem In­ nersten gestützt durch die große Stimmung des Volkes, die sich fernhielt von überheblichem lauten Geschrei, zog die Armee ins Feld, getragen von der begeisterten Ueberzeugung, daß sie nun berufen» und vor allem auch befähigt war, in der heiligen Pflicht der Verteidigung des Vaterlandes das männlichste Erbe des Deutschen, die Führung des Schwertes, erneut zu bewähren. Der Gedanke an die kriegerischen Taten der Vorfahren war lebendig. Nicht schlechter als die Väter von 1870/71 schwur die kriegerische Generation von 1914 die Waffe zu führen. Den Aufmarsch deckte der Grenzschutz. Zuerst hatten die aktiven Regimenter der Grenzgarnisonen ihn auszuüben, bis die nötigen Landwehr- und Landsturmtruppen formiert waren und die Regimenter ihre Mobilmachung in der Gar­ nison vollenden und dann zu ihren aktiven Korps einrücken konnten. Nach den ersten Mobilmiachungstagen (der 2. Au­ gust war als erster Mobilmachungstag bestimmt worden) trafen bereits an wichtigen Grenzpunkten die ersten mo­ bilen Formationen aus dem Hinterland ein, vor allem die Kavalleriedivisionen, die im Verein mit der noch wenig ent­ wickelten Luftaufklärung der Obersten Heeresleitung (0. tz. L.) Einblick in den Aufmarsch des Gegners verschaffen sollten. Die Ergebnisse der strategischen Aufklärung im Westen wa­ ren nicht erschöpfend; man hatte das nicht anders erwartet; der französische Grenzschutz war durch Natur und künst­ liche Anlagen so stark, daß ein Durchstoßen kleinerer Ab­ teilungen fast unmöglich toar34). Auch da, wo einzelne Pa­ trouillen durchkamen, gelang es nicht, tief in das von Trup­ pen stark besetzte Land einzudringen. Die französischen Aufklärungsresultate waren noch weniger ergiebig; die französische Kavallerie wich im Gefühl ihrer Unterlegenheit von der “) Die Franzosen waren uns hierin voraus. Ganze Waldstrecken waren unwegsam gemacht und mit Tafeln versehen worden: „Dieser Wald darf nicht Sachlagen werden, er dient der Verteidigung des Vaterlandes!" Forstleute, iollbeamte und Gendarmerie waren militärisch organisiert und im Grenzschutz­ dienst besonders ausgebildet.

— 29 — kleinsten Patrouille bis zum Kavalleriekorps -er deutschen Reiterei aus, wo immer ein Zusammenstoß drohte. Die französischen Aufklärungsorgane kamen infolgedessen nir­ gends vorwärts. Die Luftaufklärung konnte nur rzgen Ver­ kehr aller Art nach den Grenzen zu feststellen, eine ohne­ hin bekannte Tatsache35). Auf beiden Seiten setzten bald besondere Unternehm­ ungen ein mit dem Zweck, einzelne Hindernisse für die Durchführung der Operationspläne aus dem Weg zu räu­ men. Solche waren für die Deutschen die belgischen Maas­ befestigungen und für die Franzosen die Pässe der Vogesen im oberen Elsaß. Am 4. August rückten sechs deutsche Infanteriebrigaden in Friedensstärke mit Artillerie gegen Lüttich vor, das be­ reits mobile 2. Kavalleriekorps schloß sich an. In der Nacht zwischen dem 5. und 6. August tourbe, nachdem der Gouver­ neur her Festung die Uebergabe verweigert hatte, die Infan­ terie zum Sturm auf die Zwischenräume der Forts ange­ setzt. Nur einer Kolonne, der 14. Inf.-Brig., deren Führung für den gefallenen Brigadekommandeur der Oberquartiermei­ ster der 2. Armee, General Ludendorff, übernommen hatte, gelang es, den Ostrand der Stadt zu erreichen. Die belgische Felddivision wurde aus der Festung herausgezogen und mit der belgischen tzauptarmee vereinigt. Am 7. August waren die Deutschen im Besitz des Stadtinneren und kämpften nun von hier aus den Widerstand der tapfer verteidigten Forts nieder, die bis zum 16. August alle in deutscher Hand waren. Die neuen 42-Zentimeter-Mörser waren dem Feind eine unerfreuliche Ueberraschung gewesen. Der Weg für die Ope­ rationen der deutschen Angriffsarmeen war frei. Die Franzosen ihrerseits hatten am 7. August einen Vorstoß mit ihrer ersten Armee ins obere Elsaß unternom­ men. In der ersten Schlacht bei Mühlhausen am 9. August gelang es der 7. Armee, die Eingedrungenen über die Grenze zurückzuwerfen. Die Franzosen konnten jedoch die Vogesen­ pässe festhalten. Am 10. August wurde von der 6. Armee das eben bei Saarburg ausgeladene I. bayerische Armeekorps nach Süd­ westen in Marsch gesetzt. Der Zweck dieses Vorstoßes war ein

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doppelter: Entlastung der 7. Armee in den Kämpfen litt Elsaß und der Versuch, starke französische Kräfte auf das vereinzelt vorgehende I. b. A.-K. zu ziehen und zu einem Nachstößen gegen den Rückmarsch dieses Korps zu veranlassen. Das Korps drang bis Badonvillers vor, das am 12. August ent­ gegen der Absicht der Führung durch den Tatendrang der Truppe, besonders des bayerischen Infanterie-Leibregiments, gestürmt wurde. Dann zog sich das Korps, gefolgt vom Feind, planmäßig auf die Saarstellung zurück. Am 11. August wurde bei Lagarde eine stanzösische Bri­ gade geschlagen, bei welcher Gelegenheit die bayerische Ulanen­ brigade, zur bayer. Kav.-Div. gehörend, eine erfolgreiche Attacke ritt, die als einzige Attacke eines großen geschlossenen Kavalleriekörpers gegen Infanterie und Artillerie be­ merkenswert ist.

Am 18. August begann planmäßig der Vormarsch der deutschen nördlichen Angriffsgruppe mit dem Drehpunkt Diedenhofen. Die 1. und 2. Armee und tz. tz. K. 2 wurde dem Ober­ befehlshaber der 2. Armee, Generaloberst von Bülow, un­ terstellt. 36) Die Belgier wichen dem Kampf aus und zogen sich auf die starke Festung Antwerpen zurück. Am 20. zogen die Deutschen in Brüssel ein, am 21. erreichten die Armeen die Linie Castre—Namur—Givet. Namur wurde von zwei Korps eingeschlossen; zur Belagerung von Antwerpen wurde die Armeegruppe Beseler gebildet. Bei dem bisherigen Vor­ marsch durch Belgien hatte sich die Kampftätigkeit auf Ge­ fechte mit dem französischen Kavalleriekorps Sorbet und mit zahlreichen Freischärlern beschränkt. In Lothringen waren die Franzosen dem auf die Saar­ stellung zurückgehenden I. bayer. A.K. zuerst rasche, dann langsamer gefolgt. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee, dem auch die 7. Armee unterstellt war, entschloß sich, am 20. zum Angriff vorzugehen, damit die Franzosen nicht in der Lage seien, von hier ungestört Kräfte nach ihrem ge­ fährdeten linken Flügel zu verschieben. 2m zügigen Anlauf trieben die Deutschen die Fran­ zosen in der Schlacht bei Saarburg zurück. Die Ver-

**) über das Fehlen von Heeresgruppenkommandos s. S. 17.

— 31 — folgung konnte bis zum 25. August fortgesetzt werden; um diese Zeit hatten die Franzosen den Wirkungsbereich ihrer Sperrforts erreicht. Der deutsche Angriff kam zum Stehen, da schwere Artillerie nicht in genügendem Maße zur Stelle war. Die deutschen Truppen hatten in der Lothringer Schlacht in glänzender Weise ihre Ueberlegenheit im An­ griff über das stanzösische Heer bewiesen; ein strategischer Erfolg blieb der Schlacht versagt; die Absicht der Führung, den rechten französischen Flügel aufzurollen, gelang nicht. Im oberen Elsaß waren die Franzosen am 17. August erneut eingefallen und hatten in der zweiten Schlacht bei Mühlhausen am 19. August den Angriff schwächerer deutscher Landwehrtruppen abgewiesen. Ende August räumten sie jedoch unter dem Druck der großen deutschen Offensive Mühlhausen und den größten Teil des Sundgaues. Nach dem 21. August stieß die deutsche Nordgruppe auf den französischen und englischen Gegner und warf ihn in unerhörtem Siegeslauf zurück. Die 1. Armee schlug am 23. die Engländer im Frontalkampf in der Schlacht bei Mons, die 2. Armee am 22. und 23. die französische 5. Armee in der Schlacht bei Namur. Die 3. Armee er­ zwang am 23. den Maasübergang bei Dinant. Namur wurde am 25. August erobert. Ein Ausfall der Belgier am gleichen Tage bei Mecheln wurde zurückgewiesen37). Die 4. und 5. Armee schlug die ihr entgegentretenden Fran­ zosen in den Schlachten von Neufchateau am 22. und 23. August, bei Longwy und Longuyon und am Othainbach in den Tagen vom 22. bis 25. August. Die Festung Longwy fiel am 25. August. Der französische Oberbefehlshaber entschloß sich, seine Kräfte auf dem Nordflügel weiter zurückzunehmen, um der deutschen Umfassung auszuweichen. Alle verfügbaren Armeeteile sollten nach dem Norden gebracht werden, eine neue 6. Armee unter General Maunoury wurde hinter dem bedrohten Flügel gebildet. Dann sollte zum Gegenangriff vorgegangen werden. Die deutsche O. H. L. hatte am 25. August den Eindruck, daß die große Entscheidung im Westen bereits gefallen sei ") Die Einwohner von Löwen griffen gegen das Völkerrecht in diesen Kamps ein und mußten ein strenges, aber gerechtes Strafgericht tragen.

-32 — Sie schickte sich an, den zweiten Teil des großen Opera­ tionsplanes, die Niederwerfung der Russen, einzuleiten und transportierte die beiden nach dem Fall von Namur frei­ werdenden A.Ks. (Garde-Res. und XI. A.K.) nach dem be­ drohten Ostpreußen38). Die deutschen Armeen des Nordflügels blieben im ununterbrochenen Vorgehen. Die erste Armee schlug am 26. August bei Le Cateau das II. englische Korps, das den Rückmarsch nicht mehr fortsetzen konnte und Verstär­ kungen an sich gezogen hatte. Die Engländer verloren 15 000 Mann an Gefangenen und 80 Geschütze. Am 27. August gab die O.tz.L. für den Fortgang der Operationen allgemeine Anweisungen, in denen die Fran­ zosen in vollem Rückzug angenommen wurden. Die Nord­ armeen sollten in stetem Vormarsch bleiben, die 1. Armee die Richtung westlich an Paris vorbeinehmen. Der 5. Armee fiel die Einschließung von Verdun zu. Die Aufgabe der 6. und 7. Armee war es, wenn der Gegner nicht erneut an­ griff, die Sperrfortlinie zu durchstoßen.

Ioffre seinerseits setzte am 27. August die französische 5. Armee zum Gegenangriff an. Sie wurde am 29. und 30. August von der 2. Armee bei St. Quentin besiegt und zurückgeworfen, während die 1. Armee am 28. und 29. August die in der Versammlung begriffene französische 6. Armee bei Peronne angriff und schlug. Nicht so günstig lagen die Dinge bei der 3. und 4, Armee. Diese fanden an der Maas heftigen Widerstand, den sie nur langsam zu überwinden vermochten. In­ folge dieser Kämpfe schob sich der Schwerpunkt bei diesen Armeen weiter nach Süden und Osten. Die ganze Angriffs­ front wich von der geplanten südwestlichen Richtung ab und gewann mehr südliche Front. Der Marsch der 1. Armee geschah nun nicht mehr westlich, sondern östlich an Paris vorbei. Auch die 5. Armee konnte die Maasübergänge nur unter schweren Kämpfen bei Dun gewinnen. Verdun wurde halbkreisförmig eingeschlossen. Die 6. und 7. Armee kam gegen die Sperrfortslinie nicht weiter vor. *^) „Der Weltkrieg", Bd. l S. 437 ff. und 604 ff.; vgl. Moltke, aa.O. S. 24 u. 383.

— 33 — Zoffte befahl am 1. September den weiteren Rückzug, von dem nur die 6. Armee ausgenommen war, die in den Festungsbereich von Paris dirigiert und dort dem Gou­ verneur General Gallieni unterstellt wurde. Der französische Führer wollte Zeit gewinnen, um seine stark erschütterten Armeen vor einem neuen Gegenangriff zu ergänzen. Die französische Regierung siedelte am 2. September nach Bor­ deaux über. Die Krisenstimmung erreichte ihren Höhepunkt, allein Regierung wie Volk zeigten sich der Lage voll ge­ wachsen. Nicht der Gedanke an Beendigung des Krieges wurde maßgebend, vielmehr die restlose Durchführung der nationalen Verteidigung beschlossen. England steifte seinem Bundesgenossen das Rückgrat; am 4. September wurde zu London ein Pakt geschlossen, nach dem kein Sonderfrieden erstrebt werden durfte. Die deutschen Armeen fanden in den nächsten Tagen keinen ernsthaften Widerstand. Die 2. Armee hatte am 31. August Rasttag gehalten und dadurch das Absehen der fran­ zösischen 5. Armee erleichtert. Die 1. Armee war nun infolge dieses Zurückbleibens der 2. Armee vor diese gestaffelt. Die O. y. L. befahl am 3. September die Abdrängung der Franzosen von Paris in südöstlicher Richtung. Der Gouverneur von Paris, General Gallieni, war durch seine Aufklärungsorgane über die Lage bei den Deutschen gut unterrichtet. Er erkannte, daß der rechte Flügel vorgestaffelt sei und daß hinter ihm nichts folge. Gallieni entschloß sich daher, diese Lage durch einen Stoß mit der französischen 6. Armee aus der Nordostfront von Paris heraus auszunühen. Zoffte war zunächst ebensowenig wie French geneigt, sich dem Unternehmen Gallienis anzUschließen. Am 4. September rang sich Zoffte aber doch zu dem Entschluß durch, den weiteren Rückmarsch einzu­ stellen und die Deutschen an der Marne anzugreifen. Eine neu zusammengesetzte 9. französische Armee unter General Fach wurde zwischen der 5. und 4. eingeschoben. Die deutsche O. H. L. war am 4. September zu der Ueberzeugung gekommen, daß sich die Franzosen durch Ab­ marsch nach Südwesten der drohenden Umklammerung ent­ ziehen wollten und zum Teil schon entzogen hätten. Die Fortführung der großen Operation zur Einkreisung der

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ganzen französischen Armee schien nicht mehr erfolgver­ sprechend. Die O. tz. L. befahl daher, daß die 1. und 2. Armee eine Beobachtungsfront gegen Paris zu bilden habe, wäh­ rend die übrigen Armeen, die noch in engerer Fühlung mit dem Feinde stunden, versuchen sollten, starke Teile des Gegners abzuschneiden. Dem Südflügel entzog die O. tz. L. nun zur Verstärkung des Nordflügels Kräfte, die mit Bahn­ transport in die Gegend von St. Quentin geführt wurden. Der Befehl zum Anhalten traf die 1. Armee am 5. September morgens im bereits angesehten Weitermarsch nach Süden. Dieser Vormarsch wurde nicht sofort einge­ stellt, nur das IV. Reservekorps und die 4. Kav.Division blieben gegen die Nordostfront von Paris bei Meaux stehen. Dieses Korps stellte am 5. September durch eine gewaltsame Erkundung den Aufmarsch der französischen 6. Armee fest. Am 5. September abends traf die 1. Armee, bei der als Verbindungsoffizier der O. tz. L. Oberstleutnant tzentsch anwesend war, Anordnungen für den Abmarsch auf das nördliche Marne-Ufer. Die Lage an diesem Tag zeigt die 1. Armee südlich des Grand Morin weit vorgestaffelt, dahinter die 2. Armee und hinter dieser die 3. Der rechte Flügel der 4. Armee befand sich einen Tagemarsch vor dem linken Flügel der 3. Armee. Die Hauptlast der unter dem Namen der Marneschlacht (6.-9. September 1914)39) zusammeygefaßten Kämpfe trug zunächst die 1. Armee. Auf sie stieß am 6. September von Nordwesten her aus Paris die französische 6. Armee, wäh­ rend gleichzeitig von Süden die Engländer und die französische 5. Armee angriffen. Trotzdem gelang es ihr, sich zu behaupten. Die 2. Armee war in der von der O. tz. L. befohlenen Rechtsschwenkung begriffen. Sie gewann dadurch von selbst Einwirkung auf die 9. französische Armee und drückte diese, sowie ben rechten Flügel der 5. Armee vor sich her. Die 3. Armee hatte sich in zwei Gruppen geteilt, von der die schwächere der 2., die stärkere der 4. Armee zu “) Über die Marneschlacht besteht eine zahlreiche Literatur. Ich nenne daraus: v. Kluck, „Der Marsch auf Paris und die Marneschlacht"; v. Bülow, „Mein Bericht zur Marneschlacht"; v. Hausen, „ Erinnerungen an den Marnefeldzug"; v. Kuhl, „Der Marnefeldzug 1914"; Tappen, „Bis zur Mame" und eine übersichtliche Darstellung von W. Schultze „Die Äarneschlacht". (Heft 1 d. Schriften d. histor. Gesellschaft zu Berlin.)

- 35 Hilfe kam. 4. und 5. Armee stunden im wesentlichen in ftontalem Ringen mit den gegenüberstehenden feindlichen Kräften. Die O.H. L. hatte durch einen Gefangenen Kenntnis von der Absicht Ioffres, zur Entscheidungsschlacht vorzu­ gehen; sie verzichtete auf «ine einheitliche Leitung der Schlacht. Am 7. September setzten die französischen Angriffe gegen den rechten deutschen Flügel erneut ein. Ein deutscher Gegenangriff brachte sie zum Stocken. In der Ueber­ zeugung, daß hier die Entscheidung nicht nur für die 1. Armee, sondern für die ganze Front falle, setzte der Ober­ befehlshaber der 1. Armee seine zwei nach Süden am Petit Morin eingesetzten Korps nach seinem rechten Flügel in Marsch. Es entstand so zwischen der 1. und 2. Armee eine co. 30—40 km breite Lücke, die durch das 1. und 2. Ka­ valleriekorps verschleiert wurde. Diesen gelang es am 7., die Engländer zurückzuhalten. Die 5. französische Armee hatte sich in Erwartung eines deutschen Angriffes in eine Ver­ teidigungsstellung begeben. Die 2. Armee glaubte, chren Angriff mit Rücksicht auf die entstandene Lücke nicht fortsetzen zu können. Bei den übrigen Armeen blieb die Situation im Großen die gleiche wie am Vortage. Eine Lücke zwischen der französischen 9. und 4. Armee wurde wohl erkannt, doch fehlten die Kräfte, um die günstige Lage hier auszunützen. Am gleichen Tage fiel Maubeuge mit 30000 Mann und 400 Geschützen. Das VII. Res.Korps wurde frei. Am 8. September drängte die 1. Armee den französischen Umfassungsflügel völlig in die Verteidigung. Da­ gegen erkannten die Engländer und Franzosen die Lücke zwischen der 1. und 2. Armee und warfen nun mit über­ legenen Kräften die tzeereskavallerie zurück. Der rechte Flügel der 2. Armee wurde nach Marny zurückgebogen, der linke Flügel errang zusammen mit den hier eingesetzten Kräften der 3. Armee bei La Fere Champenoise einen vollen Erfolg gegen die französische 9. Armee. Bei den übrigen Armeen blieb die Lage gleich. Der 9. September brachte die Entscheidung. Die 1. Armee hatte ihre Hauptkraft gegen die französische 6. Armee eingesetzt. Der deutsche Angriff stand in günstigem

— 36 — Dorwärtsschreiten unmittelbar vor dem Erfolg. Der in kri­ tischer Lage befindliche linke Flügel der Armee wurde durch H. K. K. 2, der den Engländern gegenüber standhielt, gestützt. Die Engländer hatten zwar die Marne zwischen Chateau Thierry und La Ferte überschritten, kamen aber nicht weiter vorwärts. Der Oberbefehlshaber der 1. Armee beur­ teilte die Lage günstig. Zu einer anderen Auffassung kam der Führer der 2. Armee. Ihm schien die Situation der beiden Armeen an der Marne unhaltbar. Durch Absetzen vom Feinde hoffte er die nötige Operationsfreiheit wieder zu gewinnen und den französisch-englischen Durchbruch zu vereiteln. Der Bevoll­ mächtigte der O.H. L. war gleicher Meinung und über­ brachte der 1. Armee den Befehl zum Rückzug in nord­ östlicher Richtung, der nach anfänglichem lebhaften Wider­ streben von Seiten des A. O. K. 1 ausgeführt wurde, da Oberstleutnant tzentsch den Rückmarsch der 2. Armee als unabänderlich bezeichnete.

Der Rückzug der 1. und 2. Armee wurde unbelästigt vom Gegner ausgeführt. Bei den übrigen Armeen war keine Veränderung eingetreten. Die O.H.L. stimmte den Anordnungen zu. Die Deutschen gingen hinter die Vesle und Aisne zu­ rück. Die Franzosen und Engländer, durch den deutschen Rückmarsch völlig überrascht 4Ö), machten erst nach Tagen energische Versuch«, in die Lücke zwischen der 1. und 2. Armee einen Keil zu treiben. Inzwischen aber waren die deutschen Streitkräfte, die die O. tz. L. endlich vom 4. Sep­ tember ab dem linken Flügel entzogen hatte, und die unter dem A. O. K. 7 bei Laon am 12. September versammelt sein sollten, an ihren Ausladeorten eingetroffen und konnten zwischen der 1. und 2. Armee eingesetzt werden. Der fran­ zösische Durchbruchsversuch mißlang infolgedessen, auch eine Umfassung des deutschen rechten Heeresflügels konnte ab­ gewehrt werden. Am 15. September war eine feste Abwehr­ front entstanden, die Deutschen aber zunächst in die Ver­ teidigung geworfen. *°) Interessant«? Material von französischer Seite bei W. Schultze o.o.O S. 83 u. 84.

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Die Schlacht an der Marne war die Entscheidungs­ schlacht des ganzen Krieges. Nie wieder war Deutschland in der Lage, einen so vollständigen Sieg zu erringen, der die westlichen Gegner auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert hätte, wie er vor der Marneschlacht in greifbare Nähe gerückt war. Der Eindruck der Zerschmetterung der feindlichen Streitkräfte in wenigen Wochen, wie er im Verfolg des Schlieffenschen Operationsplanes hätte erfolgen können, war später nicht mehr zu erreichen, auch wenn es gelang, die Gegner entscheidend zu schlagen. Die Ursachen des Mißerfolges sind daher für uns von besonderem Interesse. Sie liegen im Versagen der OHL. und in der ungenügenden Friedensrüstung des Deutschen Reiches. Generaloberst von Moltke hat bereits im Frieden die erwähnte Verwässerung des Schlieffenschen Planes zuge­ lassen und selbst inspiriert. Bei der Ausführung auch dieses abgeschwächten Planes schwankte die O. tz. L. in ihren Auffassungen über die Lage und in ihrem Wollen; sie gab keine klaren Direktiven und ließ bei den Armeesührern auseinandergehende Ansichten über die Fortführung drr Operationen Platz greifen; sie ließ sich endlich die Führung der Operationen völlig entgleiten und gefährdete so die Einheitlichkeit des Handelns des Stoßflügels. Dieser selbst war eben infolge der Verwässerung des Schlieffenschen Planes zu schwach; der groß angelegte Vormarsch durch Belgien entzog dem deutschen Nordflügel starke Kräfte. Die Operation hatte sich müde gelaufen. Auch wenn ein Standhalten an der Marne gelang, waren größere Erfolge erst wieder zu erwarten, wenn neue Kräfte herangezogen waren, die dem rechten Flügel neue Stoßkraft verliehen; solche Kräfte aber hätten von vorneherein hinter dem rechten Flügel folgen oder zum mindesten nach dem 25. August be­ schleunigt aus Lothringen herangezogen werden müssen. Die O.H.L. war zudem in der Beurteilung der Lage beim Feinde nicht klar und nüchtern geblieben; am 25. August hatte sie in übertriebenem Optimismus geglaubt, zwei Korps nach dem Osten senden zu können, da der Feind bereits ver­ nichtend geschlagen sei; nach der Marneschlacht sah der Generalstabschef die Lage für so trostlos an, daß er einen Rückmarsch bis an die deutschen Grenzen ins Auge faßte; der Sinn für die Wirklichkeit im Glück oder Unglück fehlte.

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Der Mangel an Stoßkraft des rechten deutschen Flü­ gels fällt aber auch der ungenügenden Ausgestaltung der deutschen Wehrkraft zur Last. Waren die bereits erwähnten 600 000 Unausgebildeten *41) im Frieden eingezogen und stun­ den nun zu Kriegsbeginn zur Verfügung, so hätte die O. H. L. den Schlieffenschen Plan auch mit Abänderungen siegreich durchführen können. Deutschland konnte nicht mit Sicherheit damit rechnen, einen großen Feldherrn zu finden, der unbe­ irrt durch Notschreie aus Ostpreußen und Elsaß, durch Son­ derwünsche und Gegenbestrebungen aller Art an dem Ge­ danken festhielt, alles auf eine Karte zu setzen und diese nach Möglichkeit zu decken. Dazu gehört die haupsächlichste Feld­ herrneigenschaft, übermenschliche Charakterstärke, die nur we­ nigen Sterblichen gegeben ist. Das reiche Deutschland war aber im Frieden imstande, durch genügende Rüstung so vor­ zusorgen, daß auch ein Führer, dem die letzte und höchste Feldherrntugend nicht eigen war, den Krieg auf Grund des Operationsplanes in wenig Wochen zu siegreichem Ende führen konnte. 600 000 Mann Feldtruppen mehr zu Kriegs­ beginn hätten den sichern Schutz der Grenzen in Ost und West und die Möglichkeit bedeutet, dem deutschen Angriffs­ flügel in Nordfrankreich die nötige nachhaltige Kraft zu geben. Durch die mangelhafte Rüstungspolitik hat Deutsch­ land die Sicherheit des Erfolges zugunsten der Möglichkeit eines solchen aus der Hand gegeben. Der Mißerfolg an der Marne ist eine deutsche Nieder­ lage, aber kein französischer Sieg. Die französische Führung sah die Lage keineswegs in rosigem Licht an, der deutsche Abzug erschien ihr nach französischen Zeugnissen als ein Wunder, an das sie kaum glauben wollte. Die ftanzösische Führung war der deutschen nirgends überlegen gewesen; sie hatte nicht weniger als diese versagt, und ihren Unter­ führern fast völlige Freiheit des Handelns gelassen. Die Feldherrneigenschaft läßt sich nicht erringen; sie muß angeboren sein 42). Generaloberst von Moltke war ein weit über den Durch­ schnitt stehender Mensch und Soldat, aber von der inneren “) s. S. 14. 41) vgl. hiezu Moltke, Militärische Werke IV; „Vorbereitungen zur Schlacht" und Schliessens Gesammelte Werke („Der Feldherr").

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Ueberzeugung, die «inen Friedrich den Großen, «inen Na­ poleon, «inen Moltk« beseelte, lebte nichts in ihm. Nieder­ gedrückt von der Größe der lastenden Verantwortung ist er zusammengebrochen. An seine Stelle trat am 14. September der Kriegs­ minister» Generalleutnant v. Falkenhayn.

B. Im Osten. Die Verteidigung der deutschen Ostgrenze43) war der 8. Armee unter General von Prittwitz anvertraut. Gegen ihn rückten 2 russische Armeen, die 1. von Osten, die 2. von Süden an. General von Prittwitz war nach den ersten Grenzgefechten gegen die Weichsel zurückmarschiert in der ur­ sprünglichen Absicht, eine reine Verteidigung zu führen. Er änderte in Anbetracht des zögernden russischen Vor­ marsches diese Absicht zugunsten einer Offensive gegen die 2. Armee. Die O. tz. L., mit den bisherigen Anordnungen des Generals nicht einverstanden, hatte jedoch bereits seine Ent­ hebung verfügt. Am 22. August übernahm Gen. der Inf. von Hindenburg, dem Generalmajor Ludendorff als Generalstabschef zur Seite stund, das Oberkommando über die 8. Armee. Hindenburg entschloß sich, die beiden russischen Armeen vor ihrer Vereinigung anzufallen. Zuerst wandte er sich gegen die vom Narew her vorrückende 2. Armee. Die Russen gingen langsam und methodisch vor. Sie waren sich ihrer eigenen Schwerfälligkeit bewußt und er­ kannten die Ueberlegenheit der deutschen Führung an. Durch schrittweises Vordringen versuchten sie, diese Nachteile auszu­ gleichen und sich gegen Rückschläge sicher zu stellen. Das Gelände kam den deutschen Plänen entgegen. Zwi­ schen den beiden russischen Armeen befand sich die ostpreußi­ sche Seenplatte, die «in Zusammenarbeiten der Russen er­ schwerte. Hindenburg ließ gegen die erste russische Armee nur die Kräfte der Festungen Königsberg und Lötzen, sowie die 1. Kav.-Div. stehen, mit dem Auftrage, den Abzug der deut­ schen tzauptkräfte zu verschleiern und den Vormarsch der

fograd Wolynsk

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Bajer Topegraphisches Bureau

München