Beratung in der Sozialwirtschaft: Ungewissheiten als Chance kreativer Problemlösungsstrategien [1 ed.] 9783666406232, 9783525406236


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Beratung in der Sozialwirtschaft: Ungewissheiten als Chance kreativer Problemlösungsstrategien [1 ed.]
 9783666406232, 9783525406236

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Herbert Effinger

Beratung in der Sozialwirtschaft Ungewissheiten als Chance kreativer Problemlösungsstrategien

Herausgegeben von

Stefan Busse, Rolf Haubl, Heidi Möller

BERATEN IN DER ARBEITSWELT Herausgegeben von Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

Herbert Effinger

Beratung in der Sozialwirtschaft Ungewissheiten als Chance kreativer Problemlösungsstrategien

Mit 7 Abbildungen und 2 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Mushakesa/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6061 ISBN 978-3-666-40623-2

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Ungewissheit als Risiko und Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Zwischen den Stühlen – Sozialwirtschaft als intermediäres und hybrides Hilfesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Sozial wirtschaften – wie geht zusammen, was meist getrennt gedacht wird? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Sozialwirtschaft und Sorgearbeit als System subsidiärkompensatorischer Vergemeinschaftung in der Risikogesellschaft . 26 2.3 Zum Charakter sozialer personenbezogener Dienstleistungen in der Sozialwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4 Widersprüchliche Bezugspunkte und verunsichernde Faktoren in der Sozialwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3 Herausforderungen für die Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.1 Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2 Subjektivierendes Handeln und Selbstkompetenz als reflexive Erkundungsstrategie zur Ungewissheitsbewältigung . . . . . . . . . . . 78 3.3 Das Selbst als regulative Instanz – eine persönlichkeitstheoretische Rahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.4 Elemente entwickelter Selbstkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.5 Perspektiven der praktischen Umsetzung in Beratung und Selbsterfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Inhalt

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4 Fazit: Beratung im Bündnis mit Kairos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

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Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe wendet sich an erfahrene Beratende und Personalverantwortliche, die Beratung beauftragen, die Lust haben, scheinbar vertraute Positionen neu zu entdecken, neue Positionen kennenzulernen, und die auch angeregt werden wollen, eigene zu beziehen. Wir denken aber auch an Kolleginnen und Kollegen in der Aus- und Weiterbildung, die neben dem Bedürfnis, sich Beratungsexpertise anzueignen, verfolgen wollen, was in der Community praktisch, theoretisch und diskursiv en vogue ist. Als weitere Zielgruppe haben wir mit dieser Reihe Beratungsforschende, die den Dialog mit einer theoretisch aufgeklärten Praxis und einer praxisaffinen Theorie verfolgen und mitgestalten wollen, im Blick. Theoretische wie konzeptuelle Basics als auch aktuelle Trends werden pointiert, kompakt, aber auch kritisch und kontrovers dargestellt und besprochen. Komprimierende Darstellungen »verstreuten« Wissens als auch theoretische wie konzeptuelle Weiterentwicklungen von Beratungsansätzen sollen hier Platz haben. Die Bände wollen auf je rund 90 Seiten den Leserinnen und Lesern die Option eröffnen, sich mit den Themen intensiver vertraut zu machen, als dies bei der Lektüre kleinerer Formate wie Zeitschriftenaufsätzen oder Hand- oder Lehrbuchartikeln möglich ist. Die Autorinnen und Autoren der Reihe werden Themen bearbeiten, die sie aktuell selbst beschäftigen und umtreiben, die aber auch in der Beratungscommunity Virulenz haben und Aufmerksamkeit finden. So werden die Texte nicht einfach abgehangenes Beratungswissen nochmals offerieren und aufbereiten, sondern sich an den vordersZu dieser Buchreihe

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ten Linien aktueller und brisanter Themen und Fragestellungen von Beratung in der Arbeitswelt bewegen. Der gemeinsame Fokus liegt dabei auf einer handwerklich fundierten, theoretisch verankerten und gesellschaftlich verantwortlichen Beratung. Die Reihe versteht sich dabei als methoden- und schulenübergreifend, in der nicht einzelne Positionen prämiert werden, sondern zu einem transdisziplinären und interprofessionellen Dialog in der Beratungsszene angeregt wird. Wir laden Sie als Leserinnen und Leser dazu ein, sich von der Themen­auswahl und der kompakten Qualität der Texte für Ihren Arbeits­alltag in den Feldern Supervision, Coaching und Organisationsberatung inspirieren zu lassen. Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

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Zu dieser Buchreihe

1  Ungewissheit als Risiko und Chance Die Bewältigung von Ungewissheit und damit verbundene Gefühle von Unsicherheit und Angst gehören für alle Menschen zum Alltag. Täglich finden wir uns in Situationen, in denen wir heraus­gefordert sind, eine Entscheidung zu treffen, ohne sicher zu sein, ob das auch die richtige ist. Wenn wir eine Situation gut einschätzen können und uns genügend Informationen vorliegen, können wir Vor- und Nachteile möglicher Handlungen abwägen und so eine rational nahe­ liegende Entscheidung treffen. Ist uns eine Situation bekannt, können wir auf unsere Routinen zurückgreifen, ohne darüber nachzudenken. Auch bei plötzlich auftretenden Gefahren entscheiden wir zumeist intuitiv oder reflexartig und ohne nachzudenken. Aber längst nicht alle Ungewissheiten lassen sich rational, routiniert oder reflexartig bewältigen. Ungewissheiten, die sich im Zusammenleben von Menschen ergeben, die kommunikationsabhängig sind und von subjektiven Bewertungen und Bedeutungen abhängen, fordern besonders jene heraus, deren Arbeit darin besteht, Menschen in schwierigen und komplexen Situationen und bei ihrer Lebensführung zu unterstützen und für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu sorgen. Diese Tätigkeit des Sorgens und Sichkümmerns wird seit einiger Zeit auch als Care-Work oder Sorgearbeit bezeichnet. Dabei handelt es sich um überwiegend von Frauen verrichtete, unbezahlte und bezahlte Erziehungs-, Pflege-, Betreuungs- und Sozialarbeit, die ursprünglich allein im Rahmen von Gemeinschaft und privaten Haushalten verrichtet wurde (Aulenbacher u. Dammayr, 2014). Es ist eine Arbeit, die wesentlich durch die Art der Beziehung zwiUngewissheit als Risiko und Chance

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schen den Sorgenden und den Versorgten geprägt ist. Im Allgemeinen wird Sorge­arbeit als ein Oberbegriff für bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten »unabhängig von Gegenstand und Art der Sorge und unabhängig von den Organisationsformen (unbezahlt/bezahlt, informell/formell, privat/professionell, Ehrenamt/Erwerbsarbeit« verwendet (Sachverständigenkommission, 2017, S. 35). Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Fokus primär auf den bezahlten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die als Erwerbstätige in der Sozialwirtschaft beschäftigt sind und sich dort um die Bedürfnisse und Sorgen anderer Menschen kümmern.1 Beratung ist eine personen- und organisationsbezogene, kommunikationsbasierte Dienstleistung, die von Supervisorinnen, Mediatoren, Konflikt- und Organisationsberaterinnen oder Coaches angeboten wird. In der Sozialwirtschaft helfen sie ihren Kunden, den Sorgearbeitenden, bei der Bewältigung der Aufgaben, die sich ihnen im Kontext ihrer beruflichen Praxis zeigen (Zwicker-Pelzer, 2010, S. 13 ff.).2 Für die Beratung stellt das eine doppelte Herausforderung dar: Ȥ Berater und Beraterinnen sollen Gefühle von Ungewissheit und Unsicherheit von Mitarbeitenden reduzieren helfen, die andere bei deren Ungewissheitsbewältigung unterstützen. Ȥ Zum Beginn oder im Verlauf eines Beratungsprozesses gerät man aber als Berater oder Beraterin leicht an einen Punkt, an dem man nicht so recht weiß, um was es in diesem Fall oder in dieser Orga­ nisation eigentlich geht. Erstinformation und Auftrag stimmen 1 Im Folgenden bezeichne ich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Sozialwirtschaft alternativ mit dem Begriff Sorgearbeiter bzw. Sorgearbeiterin. Um gendergerechte Schreibweise bemüht, wechsele ich willkürlich zwischen weiblicher und männlicher Form, gemeint sind immer alle Geschlechtsidentitäten. 2 In der einschlägigen Literatur werden ganz unterschiedliche Definitionen von Beratung angeboten. Sie beschäftigen sich vor allem mit der Abgrenzung gegenüber reiner Informationsvermittlung, Therapie, Pädagogik, Sozialer Arbeit oder anderen Professionen, die kommunikationsbasiert personbezogene Dienstleistungen anbieten. Stellvertretend sei hier auf Nestmann, Engel und Sickendiek (2007/2013), Zwicker-Pelzer (2010), Bamberger (2015) sowie Levold und Wirsching (2017) verwiesen. 10

Ungewissheit als Risiko und Chance

manchmal nur bedingt mit der erlebten Situation in der Beratung überein. Das vorhandene Wissen über Organisationen und Personen passt nicht, um die Situation zu verstehen, und man spürt irgendwie, dass es da noch verdeckte Aufträge gibt. Sorgearbeiter in der Sozialwirtschaft haben es oft mit besonders komplexen Problemlagen ihrer Adressaten zu tun. Manchmal ist auch unklar, ob sie einen Auftrag von ihren Adressaten erhalten und um welchen Auftrag es sich genau handelt. Diese Ungewissheit ist typisch für Organisationen, die sich in vielerlei Hinsicht von klassischen Betrieben in der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung unterscheiden. Die Sozialwirtschaft wird von sehr unterschiedlichen bis gegensätzlichen Interessen und Regulationsprinzipien geprägt. Die Lehrbücher in der Aus- und Weiterbildung von Beratenden sind aber größtenteils auf die marktwirtschaftlichen Betriebe und Organisationen ausgerichtet, deren Komplexitätsphänomene und -probleme viel stärker von den Strukturen größerer Organisationseinheiten und den Dynamiken des Marktes geprägt werden. In der Sozialwirtschaft haben wir es dagegen mit einem Orchester ganz unterschiedlicher und teilweise auch gegensätzlicher Systemlogiken zu tun – wo man nicht so recht weiß, wer gerade dirigiert und ob es vielleicht mehrere Dirigenten gibt –, welche die Sorgearbeitenden regelmäßig in kognitive Dissonanz und Handlungsdilemmata versetzen. Aktuelle Gesellschaftsanalysen beschreiben moderne Gesellschaften vor allem dadurch, dass diese immer komplexer und unübersichtlicher werden. Das wird mit Begriffen wie »Risikogesellschaft« (Beck, 1986) oder »Entscheidungsgesellschaft« (Schimank, 2005) gekennzeichnet. Gemeinsames Merkmal all dieser Diagnosen ist die Zunahme von Komplexität sowie eine damit verbundene »neue Unübersichtlichkeit« (Habermas, 1985). Mit dem »Ende der Eindeutigkeit« (Bauman, 2003, 2005, 2008) entstehen demnach neue Formen von Unsicherheit und Ambivalenz. Einige Autoren fokussieren eher auf die damit verbundenen Gefahren und sprechen von einer »Gesell­ schaft der Angst« (Bude, 2014), andere rücken eher die mit diesem Ungewissheit als Risiko und Chance

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Wandel verbundenen Chancen in den Vordergrund (Evers u. Novotny, 1987; Böhle, 2012; Böhle u. Busch, 2012; Nassehi, 2017). So haben wir es mit einer paradoxen Situation zu tun. Spätestens seit der Aufklärung haben Wissenschaft und Vernunft die zentrale Aufgabe, Ungewissheit so weit wie möglich zu reduzieren. Damit soll unser Leben autonomer, leichter und sicherer werden. Das war und ist bisher durchaus eine Erfolgsgeschichte, auch wenn es einige Schattenseiten, unbeabsichtigte Nebenfolgen und Risiken zu vermerken gibt. Der Rationalisierung sind aber offensichtlich deutliche Grenzen gesetzt. Individuen und soziale Prozesse lassen sich nicht wie Maschinen steuern. Das gilt besonders für demokratische Gesellschaften, welche sich durch sozial- und rechtsstaatlich garantierte Freiheiten aus­zeichnen. Menschen gelten zwar als vernunftbegabt, gleichwohl handelt es sich bei ihnen selbst um recht komplexe und nur bedingt berechenbare Wesen. Die Zunahme komplexer Situationen und damit verbundener Ungewissheit und Unsicherheit ist nicht nur eine Folge zunehmender gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und Arbeitsteilung, sondern auch eine Folge zunehmender politischer, ökonomischer, kultureller und sozialer Freiheiten des Einzelnen. Die Ausweitung und Zunahme der Freiheiten und Möglichkeiten geht offenbar mit einer »Furcht vor der Freiheit« einher (Fromm, 1941/2017). Beratung in diesem Kontext ist darum weit mehr als eine bloße Rationalisierungsstrategie. Der Auf- und Ausbau der Sozialwirtschaft steht in unmittel­barer Wechselwirkung mit der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften und den damit verbundenen Folgeerscheinungen. Mit der Erwei­ terung unserer Handlungsmöglichkeiten ist immer auch eine Zunahme von Orientierungsproblemen und Entscheidungszwängen verbunden. Zunehmende Wahlfreiheit verstärkt den Zwang zur Entscheidung und kann eine Selbstaufgabe oder eine Abgabe von Selbst­ verantwortung befördern, wenn sie mit starken Überforderungs­ gefühlen und Ängsten bei der Entscheidungsfindung verbunden ist. Dann steigt die Neigung, andere für sich entscheiden zu lassen, die man dann ggf. für subjektiv nachteilig empfundene Entscheidungen verantwortlich machen kann. 12

Ungewissheit als Risiko und Chance

Diese Erkenntnis setzt sich auch im Management und in der Beratungslandschaft immer mehr durch. In der neueren Managementund Beratungsliteratur ist von der VUKA-Welt die Rede. Dieses Akro­ nym steht für Volatilität oder Unbeständigkeit, Unsicherheit und auch Disruption, Komplexität und Ambiguität oder auch Mehrdeutigkeit (Buhl, 2015; Mack, Kahre, Krämer u. Burgartz, 2015).3 Ob damit tatsächlich ein neues Phänomen beschrieben wird oder ob damit nur auf etwas verwiesen wird, was im Management und in der Beratungswissenschaft bisher eher am Rande behandelt wurde, sei zunächst dahingestellt. In der Sozialwirtschaft war das immer schon ein Thema. Seit jeher gibt es hier das Problem, nicht genau zu wissen, worum es geht und wie eine Intervention letztlich ausgeht. Diese Ambiguitätsund Kontingenzproblematik, nicht genau zu wissen, was ist, was wie wirkt und was die ungewollten Nebenwirkungen einer Intervention sein könnten, ist viel älter als die gegenwärtige Debatte um die sogenannte VUKA-Welt (siehe Dewey, 1929/2013). Spätestens seit den 1980er Jahren gehört dies zu den zentralen Diagnosen des gesellschaftlichen Wandels. Die Diskurse um »Neue Steuerung« und evidenzbasierte soziale personenbezogene Dienst­leistungen (Borrmann u. Thiessen, 2016) brachten ein paar Jahre später Sozialmanagement, Controlling und andere betriebswirtschaftlich ausgerichtete Konzepte hervor, welche vor allem darauf ausgerichtet sind, sogenannte VUKA-Phänomene durch mehr und bessere Planung und Managementkonzepte zu beherrschen. Misserfolge dieser Strategien und anhaltende Widerstände gegen diese Art der Techno­logisierung, Manageralisierung und Ökonomisierung des Sozialen gibt es bis heute. Allerdings scheint sich erst langsam ein Diskurs über die Chancen des Umgangs mit Unsicherheit und daraus ab­geleiteten Interventions- und Copingstrategien zu entwickeln (Conen, 2008; Heiner, 2010a, 2000b; 3 VUKA steht seit wenigen Jahren als Akronym für einen Paradigmenwechsel im Bereich der kommerziellen Wirtschaft und Managementtheorien. Ursprünglich war das ein Begriff aus dem politisch-militärischen Kontext, der nach dem Zusammenbruch der UdSSR am US Army War College eingeführt wurde, um die neue Unübersichtlichkeit nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. Ungewissheit als Risiko und Chance

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Kleve, 2016; Effinger, 2008; Preis, 2013). In den Bereichen, in denen weder die Verwissenschaftlichung noch die Technologisierung zu wesentlich mehr Sicherheit in der Praxis bei­getragen hat, greifen viele Sorgearbeitende in ihrer Praxis auf ihre persönlichen Alltagstheorien und Bewältigungsstrategien zurück, mit denen sie hoffen, Ungewissheiten und unkalkulierbaren Risiken aus dem Wege gehen zu können. Wenn hier von zunehmender Komplexität und Unübersichtlichkeit die Rede ist, dann ist damit auch gemeint, dass die sich erkenn­baren und beinflussbaren Grundlagen und Regeln der Steuerung immer schneller verändern. Wir haben es also mit Komplexitäts- und Beschleunigungsphänomenen zu tun (Rosa, 2013). Regeln, die eben noch galten, werden wenig später schon als nicht mehr selbstverständlich angesehen. Viele sehen das eher als Bedrohung und weniger als einen Ermöglichungsraum. Sie sehnen sich dann in alte, scheinbar überschaubarere und gemächlichere Zeiten zurück. Eine solche, gegen die Entwicklung gestellte Perspektive mag verständlich sein, erscheint aber nicht besonders realistisch. Darum plädieren immer mehr Autoren und Autorinnen dafür, sich konstruktiv mit VUKA-­ Phänomenen zu beschäftigen und sie jenseits traditioneller Selbstverständlichkeiten für kreative Pfade des Denkens und Gestal­tens moderner Gesellschaften und individueller Lebensführung zu nutzen. So fragt Nassehi (2017, S. 3 f.): »Was muss man tun, um Steuerungsstrategien nicht gegen die Kraft der komplexen Gesellschaft zum Einsatz zu bringen, sondern mit ihrem eigenen Drive, mit der Dynamik ihrer eigenen Struktur, ihrer eigenen Zugzwänge, etwas zu erreichen – ganz so wie ein asiatischer Kampfsportler den Drive seines Gegners aufnimmt und mitgeht, um ihn zu besiegen, und nicht einfach zerstörerisch dagegenhält.« In diesem Text geht es um die Frage, worin die besonderen Ungewissheiten und Verunsicherungspotenziale der Mitarbeitenden in der Sozialwirtschaft bestehen, welche Bewältigungsstrategien dafür häufig anzutreffen sind und wie Beratung Sorgearbeitende in diesem Handlungsfeld dabei unterstützen kann, mit diesen Phänomenen kreativer und produktiver umzugehen. Dabei wird der äußere Kontext in 14

Ungewissheit als Risiko und Chance

Gestalt sozialer Systeme der Sozialwirtschaft mit dem inneren Kontext in Gestalt der psychischen Systeme der handelnden Personen – ihrer biografisch und beruflich sozialisierten Bewältigungsmuster – in Beziehung gesetzt. In Studium und Ausbildung für soziale Berufe werden die biografischen und milieuspezifischen Muster oft nur am Rande thematisiert (Effinger, 2005a, 2005b, 2012, 2015, 2017). Und in der Beratungswissenschaft spielen die Besonderheiten der Sozialwirtschaft eine untergeordnete Rolle. Wenn Beratende sich aber nicht mit den Besonderheiten der Sozialwirtschaft vertraut machen und von unpassenden Kontexteinschätzungen ausgehen, geraten sie in den Beratungsprozessen leicht in die Gefahr, misszuverstehen und missverstanden zu werden. Vor diesem Hintergrund stellen sich also besondere Herausforderungen für Berater und Beraterinnen in diesem Handlungsfeld. Sie können meines Erachtens weder mit den klassischen Managementtheorien, die sich vor allem auf die rein kommerzielle Profitwirtschaft beziehen, noch mit psychotherapeutischen Konzepten befriedigend bewältigt werden. Es gibt zwar eine umfängliche Literatur zum Sozialmanagement (Badelt, 2013; Brinkmann, 2010; Grundwald, Horcher u. Maelicke, 2013), aber es fehlt an spezifischen, auf die Besonderheiten der Sozialwirtschaft ausgerichteten Beratungsansätzen. Es fehlt an einer Verknüpfung sozialpolitischer Prämissen der Wohlfahrtsproduktion mit den für diesen Bereich typischen Bewältigungsmustern von Wohlfahrtsproduzenten und -konsumenten. Dafür braucht es mehr als nur betriebswirtschaftliches Wissen: Ȥ Es braucht einerseits Wissen darüber, wie sozialwirtschaftliche Systeme funktionieren und wie die besonderen Bedingungen dieses Funktionssystems auf die Sorgearbeiterinnen wirken. Ȥ Es braucht andererseits auch Wissen darüber, wie das Zusammenspiel bewusster und rationaler Erwägungen mit den eher unbewussten emotionalen Anteilen an Entscheidungen funktioniert und gestaltet werden kann. Dieser Text soll vor allem helfen, sich mit der Spezifik von Entscheidungsdilemmata in diesem Bereich vertraut zu machen. Ungewissheit als Risiko und Chance

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Im Rahmen dieser Reihe muss das noch auf einer theoretischen Ebene des Verstehens bleiben. Für die Leser und Leserinnen soll dieser Text eine erste Orientierungshilfe sein, der Anregungen zur Selbstreflexion gibt und hier und da Perspektiven für die Gestaltung der Beratungspraxis in diesem Feld aufzeigt.

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Ungewissheit als Risiko und Chance

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 Zwischen den Stühlen – Sozialwirtschaft als intermediäres und hybrides Hilfesystem

Die Sozialwirtschaft ist einer der am stärksten expandierenden Arbeitsmärkte moderner Gesellschaften und eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder für berufsbezogene Beratung. Trotz nachlassendem Wirtschaftswachstum, knapper öffentlicher Kassen und neoliberaler Leitbilder nahm die Zahl der Beschäftigten seit Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich zu. Sie haben die Sozialwirtschaft zu einem der am stärksten wachsenden Segmente auf dem Erwerbsarbeitsmarkt werden lassen (Statisches Bundesamt, 2016; Rauschenbach u. Schilling, 2016; KOMDAT 2018). Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 2,5 Millionen Menschen in sozialen personenbezogenen Dienstleistungsberufen beschäftigt sind. Bei den Mitarbeiterinnen ohne akademischen Abschluss handelt es sich überwiegend um Erzieherinnen und andere Berufsgruppen mit einem sozialen oder administrativen Berufs- oder Fachschulabschluss. Etwa 10–20 % der Mitarbeitenden verfügen über einen akademischen Abschluss (IAB, 2016). Die Sozialwirtschaft ist ein hybrides und intermediäres System der Erbringung sozialer personenbezogener Dienstleistungen, das durch einen Mix unterschiedlicher Regulationsprinzipien gekennzeichnet ist (Evers u. Ewert, 2010). Je nach Aufgabenstellung, kulturellen und ordnungspolitischen Traditionen sowie aktuellen sozialpolitischen Strömungen ist der Einfluss gemeinschaftlicher, staatlicher oder marktwirtschaftlicher Regulation der Wohlfahrtsproduktion sehr unterschiedlich. Im Spannungsfeld zwischen universalistischen Grundwerten und gesell­schaftlichen Normierungen der Daseinsvor- und Daseins­fürsorge einerseits und individuellen oder gruppen­bezogenen Zwischen den Stühlen

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Partikularinteressen andererseits ist diesem Funktions­system gemeinsam, dass Interventionen unmittelbar auf die Veränderung von Verhalten und mittelbar auf die Veränderung von Verhältnissen ausgerichtet sind. Es sind also immer gesellschaftliche und individuelle Bedürfnisse, Werte und Interessen im Spiel. Daraus resultieren teilweise widersprüchliche und hybride Handlungsaufträge. Die Bearbeitung der damit verbundenen Unsicherheiten gehört zu den größten Herausforderungen der Mitarbeitenden in diesem Handlungsfeld und damit auch der Beratenden. Das folgende Kapitel skizziert, in welchem Kontext Sozialwirtschaft als ein Funktionssystem sozialer personenbezogener Dienstleistungen entstanden ist und die Sorgearbeitenden ihre Dienste anbieten. Im Anschluss werden die besonderen Arbeitsbedingungen in diesem Handlungsfeld problematisiert und es wird skizziert, mit welchen Sorgen dies bei den Sorgenden verbunden ist. Ein Verständnis der widersprüchlichen Bezugspunkte, Wirkungen und Nebenwirkungen der Arbeit in diesem Handlungsfeld ist für die Konzeptualisierung von Beratungsinterventionen unerlässlich.

2.1 Sozial wirtschaften – wie geht zusammen, was meist getrennt gedacht wird? Der Begriff Sozialwirtschaft ist im deutschsprachigen Raum recht umstritten. »Das Soziale« und »die Wirtschaft« werden zumeist als klar abgegrenztes Gegensatzpaar konstruiert. Es handelt sich allenfalls um Bereiche, die in einem negativen Kausalverhältnis zueinander stehen. Eine nicht-regulierte, kapitalistisch verfasste Marktwirtschaft gilt in aller Regel als Ursache, aber nicht als Teil der Lösung sozialer Probleme. Sie steht schlechthin für soziale und ökonomische Ungleichheit und ungleiche Teilhabechancen. Im Rahmen einer regulierten, sozialen Marktwirtschaft sollen daher extreme Auswüchse dieser Wirtschaftsweise durch sozialpolitische Instrumente gemildert werden (Grunwald, Horcher u. Maelicke, 2013). 18

Zwischen den Stühlen

Sozialwirtschaft wird hier als ein Funktionssystem der Gesellschaft betrachtet, in dem soziale Fragen bearbeitet – auch nach öko­ nomischen Gesichtspunkten –, behandelt und verhandelt werden. Jeder gesellschaftliche Bereich, auch der Markt, weist sowohl soziale als auch asoziale Momente auf. Sozial zu sein ist kein Privileg einer gesellschaftlichen Sphäre, bestimmter Organisationen oder Professionen. Ob man etwas als sozial oder asozial einstuft, hängt letztlich von den tatsächlichen Wirkungen und der jeweiligen Perspektive ab. Es kann jedoch keinen Zweifel darüber geben, dass partikulare oder egoistische Interessen im Rahmen einer marktwirtschaftlich verfassten, kapitalistischen Ökonomie eine grundlegende Bedeutung haben. Es gibt Systeme, die primär von egoistischen, und solche, die primär von gemeinwohlorientierten Zielen und Dynamiken geprägt sind. Es kommt also auch auf die Art und Weise an, wie diese unterschied­lichen Perspektiven ausbalanciert werden. Nach Wendt ist Sozialwirtschaft ein Wirtschaftsbereich, in dem das »individuelle und gemeinsame Wohlergehen von Menschen« das primäre Ziel ist. Dazu zählt er alle »personen- und gemeinschaftsbezogenen sozialen Dienste«, die von Öffentlichen Trägern, Wohlfahrtsverbänden und Vereinen, Kirchen und Unternehmen »nicht primär erwerbs- und gewinnorientiert, sondern in Deckung eines humanen Bedarfs« gemeinschaftlich und demokratisch betrieben und, soweit gemeinnützig veranstaltet, auch öffentlich zu verantworten sind (Wendt, 2017, 856 f.; 2004, 2015). Es handelt sich also um einen Wirtschaftsbereich besonderer Ausprägung, in dem Elemente moderner Sozialpolitik und Ökonomie mit bezahlten sozialen personenbezogenen Dienstleistungen und vielfach auch mit unbezahltem freiwilligem Engagement verbunden sind. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive werden Organisationen der Sozialwirtschaft auch als Non-Profit-Organisationen bezeichnet, die als gemeinnützige Organisationen in Form von Vereinen oder gemeinnützigen Gesellschaften gemeinwohlorientierte Dienste anbieten. Sie können zwar Gewinne erwirtschaften, schütten diese jedoch nicht an ihre Mitarbeitenden und Mitglieder aus. Die Begriffe »Nonprofit-Sektor« (Badelt, 2013) oder »Dritter Sektor« sind nicht deSozial wirtschaften

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ckungsgleich mit dem Verständnis von Sozialwirtschaft. Unter »Nonprofit-Sektor« oder »Dritter Sektor« verstehen einige Autorinnen und Autoren Organisationen, die jenseits von Staat und Markt arbeiten, und in denen es keine oder kaum Überschneidungen zu den anderen Sektoren gibt. Der Begriff »Sektor« (Zimmer u. Priller, 2007; Evers u. Ewert, 2010) geht dabei prinzipiell von einer scharfen Abgrenzung zwischen den verschiedenen Sektoren aus. Außerdem kommen in dieser Betrachtung private Haushalte und Gemeinschaften als Produzenten von Wohlfahrt nicht vor (Nollert, 2017; Helmig, 2017; Ehrentraut, Hackmann, Krämer u. Plume, 2014), weil sich deren gesellschaftlicher Beitrag zur Wohlfahrt nur schwer in volkswirtschaftlichen Bilanzen ausdrücken lässt. Obwohl auch in kommunalen Einrichtungen, Unternehmen und Eigenbetrieben soziale personenbezogene Dienstleistungen angeboten werden, fallen diese aus einer sektoralen Betrachtung heraus. Entgegen diesen sektoralen Abgrenzungen folge ich hier weitgehend einer soziologischen und politikwissenschaftlichen Betrachtung von Evers und Ewert (2010), wonach es sich um hybride Organisationen handelt, die sich durch die Mischung und Verkopplung unterschiedlicher Regulationsprinzipien von Gemeinschaft, Staat und Markt auszeichnen (siehe Tabelle 1). So werden beispielsweise in einer gemeinnützigen, diakonischen Organisation der Behindertenhilfe Arbeiten im öffentlichen Auftrag getätigt, religionsspezifische Angebote gemacht und Erzeugnisse aus den Werkstätten über den Markt angeboten bzw. Montagearbeiten im Auftrag einer Automobilfirma durchgeführt.

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Zwischen den Stühlen

Sozial wirtschaften

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unsolidarisches oder nicht konformes Verhalten, Fremdheit, Verstoß gegen Gemeinschaftsregeln wertrationale Partnerschaft zwischen Eltern und Kindern, Freunden und Nachbarn, Mitgliedern

Ausschlusskriterien

Beziehungscharakter zwischen Anbietern und Nutzern

wechselseitige Verantwortung füreinander

Verwandtschaft, Mitgliedschaft

Leistung gegen Leistung

Leistung ohne unmittelbare Gegenleistung

Einschlusskriterien

kommerzielle Angebote auf Basis von Gewinnerwartung

solidarische Hilfe auf Basis von Empathie und Sympathie

Primäres Handlungs­motiv und Produkt­charakter

zweckrationale Partnerschaft zwischen Produzent und Konsument

mangelnde oder nicht nach­ gefragte Ressourcen für die Teilnahme am Markt

Aushandlung von Äquivalenz

Bedarf und Verfügung über Mittel zum Tausch

Konkurrenz

Kooperation

Primäres Ordnungsprinzip

Markt

Gemeinschaft

Bereich/Kriterium

Für- und Vorsorgebeziehung zwischen Gewährleistern und Bedürftigen

deviantes, regelwidriges Verhalten, Verstoß gegen Gesetze und Regeln

mangelnde Bedürftigkeit

Anspruchsrechte und Beteiligungspflichten

Bedürftigkeit

Leistung auf Basis eines Rechtsanspruches

administrative Maßnahme zur Herstellung und Gewährleistung von Chancengleichheit, öffentlicher Ordnung und sozialem Frieden

Gewährleistung und Subsidiarität

Sozial(staat)

Tabelle 1: Idealtypische Kennzeichen sozialwirtschaftlicher Wohlfahrtsproduktion nach traditionellen Bereichen

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Zwischen den Stühlen emotionale und moralische Macht Solidarität und Reziprozität, einer für alle, alle für einen

flexibel, informell, relativ überschaubar Abhängigkeit von kaum durchschaubaren und berechenbaren Emotionen

Machtformen und -quellen

Zentrale Bezugswerte

Stärken

Schwächen

eingeschränktes Maß an Selbstbestimmung

starke Sozialkontrolle und Anpassungszwang

Gemeinschaft

Bereich/Kriterium

Umverteilung von den Starken zu den Bedürftigen

gleiche Lebenschancen für alle Bürger

politische und administrative Macht (Gewaltmonopol)

Sozial(staat)

ungleicher Zugang und Abhängigkeit von tauschfähigen Ressourcen

mehr Wahlmöglichkeiten

starke Kontrolle bei Ängsten vor Missbrauch

eingeschränkte Wahlmöglichkeiten

eingeschränkte Individualität und Selbstbestimmung

Bürokratismus und Inflexibilität durch hohe Standardisierung

einklagbare Standards

unabhängig von sozialen Zwängen mehr Sicherheit

Gleichwertigkeit zwischen Produzenten und Konsumenten

Freiheit (Autonomie), Individualität

ökonomische Macht

Markt

In der sozialwirtschaftlichen Wohlfahrtsproduktion werden soziale Problemlagen bearbeitet, wenn diese zuvor als gesellschaftlich bedingt und für die Wohlfahrt der Gesellschaft von dafür legitimierten Instanzen als relevant angesehen werden. Erst dann kann im Rahmen von Leistungsgesetzen ein legitimer Auftrag für die hier tätigen Menschen generiert werden. Anders als bei rein kommerziellen Angeboten sind nicht die als bedürftig angesehen Menschen als unmittelbare Nutzer und Leistungsnehmer, sondern die Öffentlichen Träger als Auftraggeber jene, die die Leistungen bezahlen. Hier werden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an bedürftige Menschen nach sozialstaatlich definierten Kriterien umverteilt. Politisch kontrollierte öffentliche Verwaltungen sind die Kostenträger. Als Leistungsträger gibt es kommunale Einrichtungen und Eigenbetriebe, Sozialunternehmen, gemeinnützige Vereine und Wohlfahrtsverbände und kommerzielle Unternehmen und Selbständige und deren Mitarbeitende als Leistungserbringer sowie die Adressaten als bedürftige, aber marktschwache Individuen und Gruppen als unmittelbare Nutznießer oder Leistungsnehmer. Somit haben wir es in der Sozialwirtschaft in der Regel mit mehr oder minder verdeckten, komplexen Vierecksbeziehungen zu tun: Die jeweiligen Bereiche sind von unterschiedlichen Regulationsprinzipien (siehe Abbildung 1) sowie Tätigkeitsund Beschäftigungsformen (siehe Abbildung 2) geprägt. An ihren Rändern überschneiden sie sich und stehen in Wechselwirkung miteinander. Sozialwirtschaftliches Handeln verbindet soziale mit politischen und ökonomischen Aspekten. Es beinhaltet markt- und betriebswirtschaftliche Elemente.

Sozial wirtschaften

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Staat Vor- und Fürsorgeprinzip Regulation durch Gesetze (Rechte und Pflichten), Bürokratie, Zwang, Kontrolle, Sanktion

Intermediärer Bereich Gemeinschaft Reziprozitätsprinzip

Regulation durch Wohlfahrtsmix

Regulation durch Solidarität, Al­ truismus, Barmherzigkeit, Vertrauen, Liebe, Moral und emotionale Bindung

Markt Äquivalenzprinzip Regulation durch Verträge und Geld auf Basis tauschfähiger öko­ nomischer Ressourcen

Abbildung 1: Idealtypische Regulationsbereiche und -prinzipien in der Sozialwirtschaft

Sozialwirtschaft und Sorgearbeit sind Ausdruck der mit der Industrialisierung und funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften verbundenen Arbeitsteilung, Verberuflichung und Professionalisierung. In diesem Prozess werden Aufgaben, die zuvor unbezahlt und zumeist in Familien sowie Solidargemeinschaften erledigt wurden, zunehmend in erwerbswirtschaftliche Arrangements übertragen. Als ein »Handlungsmodus der praktischen Sozialpolitik« erfüllt die Sozialwirtschaft eine gesellschaftlich integrierende Funktion (Schönig, 2012, 52 ff.), indem sie materielle und immaterielle Unterstützungsangebote bei Schwierigkeiten der Lebensführung bzw. Lebensbewältigung macht (Böhnisch, 2016). Unklar bleiben die Grenzen des Handlungsfeldes der Sorgearbeit in der Sozialwirtschaft und die Frage, ob es sich um eine gesellschaft24

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Staat formelle Erwerbsarbeit Beamte, Angestellte, Arbeiter, Dienst­verpflichtete ohne Erwerbsstatus, 3. Arbeitmarkt Intermediärer Bereich

Gemeinschaft informelle, unbezahlte Arbeit Freiwillige, Ehrenamtler

Beschäftigungs- und Tätigkeitsmix formelle und informelle Arbeit

Markt formelle Erwerbsarbeit

Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Freiberufler

Abbildung 2: Idealtypische Tätigkeits- und Beschäftigungsformen in der Sozialwirtschaft

liche Funktion handelt, die sich in allen Bereichen der Lebens- und Arbeitswelt verorten lässt. Da es sich um keine klar abgegrenzte Professions- und Berufsdomäne mit einem exklusiven Bearbeitungsmonopol und eindeutigen Bearbeitungsauftrag handelt, konkurrieren dann akademisch qualifizierte Sorgearbeitende (Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen) mit anderen Berufsgruppen und Professionen um Deutungshoheit und Entscheidungsmacht (Thieme u. Silkenbeumer, 2017).4 4 Ob oder inwieweit der Gesundheits- und Bildungssektor ein Teil der Sozialwirtschaft sind oder als eigenständige Funktionssysteme betrachtet werden sollten, ist hier nicht zu klären. Ich grenze hier Sozialwirtschaft auf Bereiche ein, in denen in erster Linie sozialarbeiterische und sozialpädagogische Aufgaben angeboten werden. Im Bildungs- und Gesundheitsbereich gehören solche Aufgaben nicht zum dominanten Handlungsmodell. Sozial wirtschaften

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Die Soziale Arbeit ist nur eine besondere Form sozialer personengebundener Dienstleistungen der Sozialwirtschaft. Akademisch qualifizierte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen sind in der Minderheit. In diesem Bereich arbeiten neben akademisch qualifizierten Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen auch Pädagoginnen, Psychologen, Mediziner, Juristinnen, Verwaltungs- und Betriebswirte, Soziologinnen, Theologen und vor allem Angehörige nicht-akademischer Berufe, wie Erzieherinnen, Pflegekräfte, angelernte Hilfskräfte sowie berufliche Quereinsteiger (Statistisches Bundesamt, 2016). Wenn im Folgenden von Sozialer Arbeit die Rede ist, dann deswegen, weil es für diese Teilgruppe die aussagekräftigsten Analysen über das Handlungsfeld gibt. Aussagen über die strukturellen Dynamiken und Widersprüche in dieser Profession lassen sich jedoch in vielerlei Hinsicht auf die Sozialwirtschaft als Ganzes und damit auf alle Mitarbeitergruppen übertragen.

2.2 Sozialwirtschaft und Sorgearbeit als System subsidiär-kompensatorischer Vergemeinschaftung in der Risikogesellschaft Die Entstehung der Sozialwirtschaft ist untrennbar mit der Geschichte der Industrialisierung verbunden. Von ihr werden zunehmend Auf­ gaben der Daseinsvor- und Daseinsfürsorge übernommen, die in älteren Gesellschaftsformationen noch von Familie und Gemeinschaft unentgeltlich, jenseits markt- und erwerbswirtschaftlicher oder staatlicher Institutionen erledigt wurden. Verursacht und beschleunigt wurde und wird dieser Prozess durch einen sozialkulturellen Wandel, der mit zunehmender gesellschaftlicher und abnehmender geschlechtlicher Arbeitsteilung und einer Zunahme der Erwerbs­beteiligung von Frauen verbunden ist. Gemeinschaftsbasierte Formen der Wohlfahrtsproduktion verloren und verlieren an Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit. Oft haben Familien und andere Solidargemeinschaften nur noch den Charakter temporärer Zusammenschlüsse von Lebensabschnitts26

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partnerschaften. Dieser Prozess ermöglicht einerseits mehr individuelle Freiheiten und Flexibilität, ist andererseits aber auch mit neuen Risiken und Unsicherheiten verbunden. Dort wo sich Funktionsdefizite von Gemeinschaft zeigen, füllen dann sozialstaatlich gestützte Arrangements diese Lücken. In der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es in Artikel 22 (Recht auf soziale Sicherheit): »Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.« Und weiter in Artikel 25 (Recht auf Wohlfahrt): »Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände. Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.« Inwieweit der Sozialstaat unmittelbar Träger dieser Daseinsvorund Daseinsfürsorge sein sollte oder ob er sie nur mittelbar durch Umverteilung materieller Ressourcen gewährleistet, so dass sich die Bürger selbst helfen können, ist abhängig von unterschied­lichen ordnungs- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen und Übereinkünften innerhalb einer Gesellschaft. Vor dem Hintergrund neo­liberaler Leitbilder erfuhren seit Beginn der 1990er Jahre betriebsund marktwirtschaftliche Elemente bei der Wohlfahrtsproduktion einen erheb­lichen Bedeutungszuwachs. So mussten sich ehemals marktferne Orga­nisationen der öffentlichen und privaten Daseinsvor- und -fürsorge immer mehr erwerbs-, markt- und betriebswirtschaftlichen Regulationsmechanismen zuwenden. Der fürsorgliche Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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Sozialstaat, der existenzsichernde Leistungen ohne Gegenleistung gewährt, wurde durch den sogenannten »Aktivierenden Sozialstaat« begrenzt. Das ging und geht mit einer Aufweichung des Subsidiaritätsprinzips, des Solidarprinzips und der Nachrangigkeit öffentlicher gegenüber gemeinschaftlichen Dienstleistungen einher. Die öffent­ liche Hand zieht sich als Anbieter zurück. Sozialstaatlich ausgerichtete Aufgaben werden vom Staat auf dem Sozialmarkt ausgeschrieben und der jeweils kostengünstigste Anbieter, egal ob gemeinnützig oder kommerziell, soll den Zuschlag erhalten.5 In einigen Bereichen (z. B. Altenpflege, Behindertenhilfe) stellt der Sozialstaat bedürftigen Bürgern direkt Geld zu Verfügung, damit sich diese die erforder­ lichen Leistungen bei einem Anbieter auf dem Sozialmarkt kaufen können. Damit wurden sie in Quasimärkte gedrängt und praktisch zu Arbeitgebern und Marktteilnehmern. Auch andere marktbezogene Elemente und betriebswirtschaftliche Verfahren der inneren Steuerung wurden immer wichtiger. Die Sozialwirtschaft ist und bleibt subsidiär gegenüber gemeinschaftlichen Arrangements der Wohlfahrtsproduktion. Sie soll Risiken abmildern, die untrennbar mit den Strukturen und Dynamiken kapitalistisch verfasster Gesellschaften verbunden sind. Sie soll auch dann Angebote machen, wenn sich die Lebenssituation der von sozialen Risiken Betroffenen und deren Verhalten negativ auf den sozialen Zusammenhalt auswirken. Mit dem sozialen Wandel eröffnen sich für die Bürger zwar immer mehr Wahlmöglichkeiten, andererseits nimmt aber auch der Zwang zu, sich entscheiden zu müssen. Daraus erwächst ein zunehmender Orientierungs- und Unterstützungsbedarf bei der Lebensführung bzw. Lebensbewältigung von Menschen, die mit dieser Aufgabe überfordert sind. Sozialwirtschaft lässt sich als ein System beschreiben, welches den sehr widersprüchlichen Prozess der Befreiung aus traditionellen Abhängigkeiten und Wertesystemen 5 Auf die Debatte um die Bedeutung von Konstrukten wie dem Aktivierenden Sozialstaat, Neoliberalismus und Neuer Steuerung kann hier leider nicht näher eingegangen werden (Dahme u. Wohlfahrt, 2009; Wohlfahrt, 2015). 28

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einerseits und die Bewältigung neuer Risiken andererseits begleitet und versucht, deren negative Folgen zu begrenzen. So kann man die Angebote auch als Normalisierungsangebote für Modernisierungsverlierer ansehen; denn die Angebote richten sich in hohem Maße an jene Adressaten, deren individuelle und soziale Freiräume durch Freisetzungen aus den anerkannten gesellschaftlichen Teilhabesystemen eingeschränkt oder bedroht werden. Das betrifft ganz überwiegend jene Personen, die gesellschaftlich zu den Menschen mit »schwachen Interessen« (Rieger, 2012) und mit geringen Machtpotenzialen gehören. In der Konkurrenz zu besser ausgestatteten Bevölkerungsgruppen sind sie unterlegen. Die Verankerung in informellen sozialen Netzwerken hängt ganz wesentlich von der Verfügung über ausreichendes Einkommen ab. So ist es kein Wunder, dass die sozialen Netzwerke bedürftiger Adressaten der Sozialwirtschaft zumeist deutlich kleiner sind als die jener Bürger, die über existenzsichernde Einkommen und sozial anerkannte Berufe verfügen. Damit sind bedürftige Menschen in besonderer Weise in ihrer Lebensführung und Lebensbewältigung auf materielle Hilfen und personale Unterstützung angewiesen. Die dafür zuständigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen dann – zumindest temporär – »echte« Solidarbeziehungen durch professionelle Hilfebeziehungen ersetzen. Sozialwirtschaft wird so zu einem System subsidiär-kompensatorischer Vergemeinschaftung. Dass viele Bürgerinnen immer wieder dazu neigen, die von solchen strukturellen Veränderungen Verunsicherten und Bedrohten für ihre Situation selbst verantwortlich zu machen, lässt sich durchaus als eine Art kollektiver Verdrängungs- und Abwehrstrategie verstehen. Diese Strategien werden offensichtlich insbesondere von jenen verfolgt, deren soziale Absicherung aus subjektiver Perspektive als gefährdet gesehen wird. Sehr verbreitet ist, dass diese Risiken von den öffentlichen Medien, aber auch von vielen Bürgern, ausgeblendet und individualisiert werden. Wer auf diese Angebote angewiesen oder mit ihnen konfrontiert ist, habe wohl etwas falsch gemacht und sei selbst schuld. So vermeiden viele Menschen die Konfrontation mit der eigenen Unsicherheit über die eigenen, prekär gewordenen Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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Lebens­perspektiven. Der Ruf nach mehr innerer Sicherheit und Ausgrenzung wird gleichzeitig immer lauter und führt zu einer zunehmenden Kritik an den Ausgaben des Sozialstaates. Zum besseren Verständnis werden im Folgenden die unterschiedlichen Teilbereiche gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion in der Sozialwirtschaft näher vorgestellt.

▶▶ Gemeinschaft Historisch betrachtet gehören gemeinschaftliche Arrangements zum ältesten Bereich der Wohlfahrtsproduktion. Damit sind jene formellen und informellen Funktionssysteme gemeint, die durch Vertrauen, Verwandtschaft, Moral, wechselseitige Solidarität oder gemeinsame Ideale und Ziele miteinander verbundenen sind. Es kann sich dabei durchaus um hoch formalisierte und institutionalisierte Systeme wie Ehe und Familie oder eingetragene Idealvereine – ohne hauptamtliche Beschäftigte – mit rechtlich klaren Eintritts- und Austritts­ kriterien über Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit, aber auch um informelle Gemeinschaften wie Freundschafts- und Nachbarschafts­ beziehungen handeln. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Leistungen unentgeltlich nach den Prinzipien von Reziprozität auf Gegenseitigkeit oder von Altruismus für Bedürftige ohne Gegenleistung erbracht werden. Auch wenn der Zeitaufwand für die Wohlfahrtsproduktion in dieser Sphäre rückläufig ist, wird allein in den privaten Haushalten bis heute immer noch mehr Zeit für die Wohlfahrtsproduktion aufgewandt als in der Erwerbswirtschaft. Obwohl diese Leistungen in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht berücksichtigt werden, bilden sie die tragende Säule dafür, dass es überhaupt einen erwerbswirtschaftlichen Sektor gibt. Experten rechnen damit, dass der Wert der unbezahlten Arbeit etwa ein Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung beträgt. Als Gründe für den Rückgang der unbezahlten Arbeit nennen Schwarz und Schwahn (2016) die gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen, den Rückgang 30

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der Zahl an Kindern und den Trend, Hausarbeit zu substituieren, etwa durch die Inanspruchnahme von externen Dienstleistungen, wie Haushaltshilfen, Pflegekräften und Kinderbetreuungseinrichtungen. Den größten Teil dieser unbezahlten Arbeit leisten, trotz gestiegener Erwerbsbeteiligung, immer noch Frauen. Das Reziprozitätsprinzip in den privaten Haushalten und Gemeinschaften beruht darauf, dass ihre Mitglieder darauf vertrauen, falls sie selbst bedürftig sein sollten, von jenen, denen sie freiwillig und aus eigenem Antrieb eine Leistung zukommen ließen, eine vergleichbare Leistung zurückzuerhalten. Das Prinzip des Tausches von einer Leistung gegen eine Gegenleistung ist nicht aufgehoben, sie wird aber vom Realbedarf abhängig gemacht und ist zeitlich auf unbestimmte Zeit versetzt. Das Reziprozitätsprinzip funktioniert nach dem Prinzip Hoffnung. Die Erwartung auf Gegenseitigkeit ist in der Regel nicht einklagbar. Während die einen sehr darauf achten, dass sie irgendwann einmal eine vergleichbare Leistung erhalten, verzichten andere aus altruistischen Motiven gänzlich darauf, weil sie davon ausgehen, dass sie einen begünstigten Zugriff auf materielle und immaterielle Ressourcen haben und auf eine Gegenleistung nicht angewiesen sind. Bleiben die Austauschbeziehungen jedoch dauerhaft einseitig oder fehlt es an Wertschätzung, Dankbarkeit oder Anerkennung der Empfänger gegenüber den Gebern, können solche asymmetrisch-­altruistischen Leistungsund Liebesbeziehungen leicht zu Konflikten im Umgang miteinander führen. Jeder kennt wahrscheinlich Paarbeziehungen, die auseinandergehen, weil der eine Partner den Eindruck hat, er oder sie würde deutlich mehr in die Beziehung und die Hausgemeinschaft investieren als der Partner oder die Partnerin, so dass das für jedes soziale System notwendige Gleichgewicht von Geben und Nehmen missachtet wird. Umgekehrt kann es auch zu Kon­flikten kommen, wenn Empfänger dauerhaft in eine moralische Bringschuld gebracht werden, wenn sie diese aus eigener Kraft nicht mehr loswerden können und sie sich unter Verlust ihrer Auto­nomie und mit Schamgefühlen in eine einseitige Abhängigkeit begeben müssen – beispielsweise aufgrund psychischer oder körperlicher Behin­derung. Dann besteht immer die Gefahr stark abSozialwirtschaft und Sorgearbeit

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hängiger, instrumenteller und symbiotischer Beziehungen, oder solche Beziehungen werden subjektiv als Gefahr für die eigene Würde interpretiert. Dann kann sich das Gefühl der Abhängigkeit unter anderem in Form von Widerstand, Aggressivität und als Vorwurf gegenüber den Helfern oder aber auch als Rückzug und Abschottung äußern. Das Gleichgewicht von Geben und Nehmen scheint, anthropo­ logisch betrachtet, ein Universalprinzip zu sein, dass jeder mensch­ lichen Handlung innewohnt. Man kann es auch als Teil des Auto­ nomie­strebens der Spezies Mensch verstehen, das von Natur her auf Kooperation ausgerichtet ist. Gemeinschaften funktionieren meist gut, wenn sich diese durch geringe soziale Unterschiede und hohe Homogenität auszeichnen und ihre Mitglieder sich weitgehend in symmetrischen oder wechselseitig solidarischen (Hilfe-)Beziehungen auf Gegenseitigkeit bewegen, ohne dass diese Leistungen geldwert aufgerechnet werden.

▶▶ Staat Moderne Staaten verstehen sich als Sozial- und Rechtsstaaten. Diese haben nach dem Gleichheitsprinzip eine Gewährleistungsverpflichtung zur Existenzsicherung gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern. Im Rahmen der Daseinsvor- und -fürsorge soll staatliches Handeln eine möglichst gerechte Teilhabe an den Errungenschaften der Gesellschaft ermöglichen und dafür sorgen, dass jeder die gleichen Chancen zum Leben und Überleben in dieser Gesellschaft erhält. Als Anbieter sozialer personenbezogener Dienstleitungen treten staat­liche, kommunale und andere öffentliche Einrichtungen, im Folgenden als Öffentliche Träger bezeichnet – in Deutschland nach dem Subsidiaritätsprinzip (Möller, 2009) erst dann auf, wenn diese Leistungen im Bereich Gemeinschaft nicht ausreichend vorhanden und über den Markt wegen fehlender Ressourcen nicht zugänglich sind. Die sozialpolitischen Leitlinien moderner Staaten orientieren sich grundsätzlich an der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten 32

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Natio­nen von 1948 (siehe oben). In Deutschland sind diese Grundsätze im Rahmen der Sozialgesetze geregelt. Im § 1 (1) des Sozialgesetzbuches heißt es dazu (Aufgaben des Sozialgesetzbuchs): »Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschen­ würdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebens­unterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.« Und weiter in (2): »Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll auch dazu beitragen, dass die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.« Zu den Öffentlichen Trägern zählen alle öffentlich-rechtlich verfassten Körperschaften auf staatlicher oder kommunaler Ebene, inklusive der öffentlich-rechtlich verfassten Sozialversicherungen, wie die gesetzliche Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die gesetzliche Rentenversicherung. Im Rahmen von Gesetzen und Erlassen, die von demokratisch legitimierten Instanzen (Parlamenten) verabschiedet werden, sind die Voraussetzungen und Kriterien für Ansprüche der Bürger in bestimmten Lebenslagen auf bestimmte Sozialleistungen festgelegt. Bei Vorliegen definierter Ansprüche können sie auf öffentliche Ressourcen zugreifen, die von der Allgemeinheit durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aufgebracht werden. Mithilfe dieser Transfergelder ist dann ihre physische und psychische Existenz zu sichern. Die Leistungen können in Form sozialer personenbezogener Dienstleistungen und in Form von Sach- oder Geldleistungen erfolgen. Der Staat kann diese Leistungen teilweise oder ganz verweigern, wenn die Bedürftigen ihren gesetzlichen Beteiligungspflichten nicht nachkommen. Unter Androhung von Sanktionen werden den Bedürftigen bestimmte Verhaltensweisen als Gegenleistung für die Sicher­ Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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stellung ihrer Grundsicherung abverlangt. Unter bestimmten Umständen sind staatliche Instanzen mithilfe ihres Gewaltmonopols sogar befugt, die Freiheit von Personen einzuschränken. Das gilt beispielsweise bei Kindeswohlgefährdung, bei deviantem Verhalten oder bei psychischen Auffälligkeiten, wenn die betreffenden Personen sich selbst oder Dritte gefährden. Allerdings gibt es in aller Regel auch im Rahmen von Zwangsmaßnahmen Angebote, wie beispielsweise Beratung, Therapie oder Seelsorge, welche von den Adressaten angenommen oder abgelehnt werden können. Manche Maßnahmen bewegen sich daher in einem Grenzbereich von Zwangsmaßnahme und Angebot. Von sozialen personenbezogenen Dienstleistungen sollte man aber nur dann sprechen, wenn es sich tatsächlich um Angebote und nicht um Zwangsmaßnahmen handelt. Dabei dürfen die Wahl- oder Entscheidungsfreiheit der Betroffenen nicht vollständig aufgehoben und ihre Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme nicht vollständig eingeschränkt sein. Dort, wo solche Zwangskontexte bestehen, haben die Mitarbeitenden in besonderer Weise mit einem professionellen Paradox zu tun: Ziel ihrer Arbeit soll einerseits die Stärkung der Autonomie der Lebenspraxis, die Unabhängigkeit von Unterstützungssystemen und eine selbstbestimmte Teilhabe und Teilnahme ihrer Adressaten an der Gesellschaft sein. Andererseits ist dieser Auftrag unauflöslich mit der Drohung von oder tatsächlichen Einschränkungen dieser Ziele verbunden. Insgesamt ist die Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen in aller Regel von asymmetrischen, hierarchischen Beziehungen zwischen den Bediensteten dieser Körperschaften (Arbeiterinnen, Angestellte und Beamte) als Leistungsgewährern und den bedürftigen Leistungsempfängern geprägt. Durch die Gleichzeitigkeit von Hilfsangeboten und Bedürftigkeits- bzw. Verhaltenskontrollen ist gegenseitiges Misstrauen in die Beziehungen zwischen Leistungsgewährern und Leistungsempfängern strukturell eingebaut. Während Markt­beziehungen vor allem durch das Misstrauen der Kunden gegenüber dem Produkt geprägt werden, zeigt sich in den Beziehungen der Sozial­wirtschaft ein doppeltes Misstrauen: 34

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Ȥ Die Adressaten solcher Dienstleistungen wissen oft nicht, ob die Anbieter tatsächlich deren Bedürfnisse im Blick haben oder ob sie nicht auch noch Ziele verfolgen, die über ihre subjektive Bedürftigkeit hinausgehen oder diesen sogar entgegenstehen. Ȥ Die Anbieter ihrerseits trauen ihren Adressaten oft nicht zu, dass diese auch die erforderliche Mitwirkung zeigen. Vor Beginn jedes Leistungsbezuges geht es im deutschen Sozialstaat immer erst um die Prüfung der Bedürftigkeit und die Berechtigung, diese Leistungen auch in Anspruch nehmen zu dürfen. Dann wird zwar kein Geld, aber Mitwirkung und Wohlverhalten als Gegenleistung erwartet. Zugespitzt und ohne moralische Bewertung kann man ganz pragmatisch feststellen, dass es auch im Bereich des Sozialstaates eine Art Tauschprinzip gibt.

▶▶ Markt Auf dem Markt tauschen – idealtypisch betrachtet – Akteure knappe Waren oder Dienstleistungen. Ursprünglich, vor Einführung des Geldes als Tauschmittel, wurden Waren gegen Waren getauscht. Die Marktteilnehmer verhandelten und einigten sich über die Bedingungen des Tausches auf Basis des Äquivalenzprinzips. Danach soll in etwa gleichwertige Waren getauscht werden.6 Heute werden die Vertragsbedingungen und Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern einer Ware bzw. von Dienstleistungen und den Kunden im Rahmen zivilrechtlicher Bestimmungen (BGB) allgemein reguliert und in diesem Rahmen durch »Allgemeine Geschäftsbedingungen« (AGB) vom Anbieter mehr oder minder einseitig präzisiert. Die Freiheit des Kunden besteht oft nur noch darin, zu entscheiden, ob er oder sie dieses 6 Auf das Problem der Bestimmung des Wertes einer Ware kann hier nicht weiter eingegangen werden. Dass neben objektiven Messgrößen auch Macht und subjektiv unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen den Wert einer Ware beeinflussen können, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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Angebot annehmen möchte oder nicht. Als Tauschmittel und Vergleichsmedium bedienen sich die Tauschpartner bei der Berechnung des Wertes ihrer Ware des Geldes. Auf kapitalistischen Märkten sollen Produzenten von Waren und Dienstleistungen im ständigen Wettbewerb miteinander stehen. Nach der Annahme der Protagonisten der klassischen Marktökonomie soll dies zu möglichst hochwertigen und preisgünstigen Waren und Dienstleistungen führen. Ein Bedürfnis zu haben und es befriedigen zu wollen, reicht allerdings nicht aus, um als Marktteilnehmer agieren zu können. Dafür benötige ich Ressourcen, wie beispielsweise meine Arbeitskraft, spezielle Kompetenzen, Geld oder Wertgegenstände, die ich als Tauschmittel einsetzen kann. Werden meine Ressourcen nicht gebraucht, kann ich meine Bedürfnisse nicht über den Markt befriedigen. Eine weitere Voraussetzung für das Funktionieren des Marktes ist, dass die Bedingungen für alle Marktteilnehmenden transparent sind. Tatsächlich kommt es oftmals aber zu Monopolbildungen, in deren Rahmen das Wirken des Marktes zu Lasten der Kunden und anderer Anbieter stark eingeschränkt ist. Idealtypisch sollte niemand zum Kauf einer Ware oder Dienstleistung gezwungen werden. Aber auf den Märkten der Sozialwirtschaft finden sich immer wieder Situationen, in denen ein bedürftiger Kunde kein wirkliches »Wunsch- und Wahlrecht« hat. Er kann oft nicht zwischen verschiedenen Anbietern auswählen, weil es nur einen Anbieter gibt oder weil der Sozialstaat das schon vorentschieden hat. Daher handelt es sich um Scheinmärkte, wenn mehrere Anbieter im staatlichen Auftrag ein Kartell bilden. Die Macht­ ungleichgewichte zwischen Produzenten und Konsumenten sind auf Sozialmärkten in aller Regel stärker ausgeprägt als auf dem »idealen« Markt. Die Wahlfreiheiten unterliegen in aller Regel staatlicher Regu­ lierung und schränken die Handlungsfreiheit von Anbietern und Kunden ein. Auf der anderen Seite kann eine solche Einschränkung der Wahlfreiheit aber auch dazu führen, dass der Staat die Qualität der Angebote reguliert und kontrolliert und damit ein gewisses Qualitätsniveau sichert. 36

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Bei der Vermarktlichung Sozialer Dienste geht es primär um die Begrenzung öffentlicher Ausgaben. In den ordnungspolitischen Diskursen wird daher immer wieder – ohne nachhaltige empirische Belege – behauptet, dass die Wohlfahrtsproduktion in öffentlicher Regie weniger effizient sei als über den Markt. Daher solle sich der Staat möglichst als Anbieter sozialer personenbezogener Dienstleistungen zurückziehen und dieses privaten bzw. freien Anbietern überlassen. Die Vermarktlichung und Verbetriebswirtschaftlichung sozialer personenbezogener Dienstleistungen mag hier und da tatsächlich für effizientere Arbeitsabläufe gesorgt haben. Insgesamt scheinen aber die vielfältigen Klagen in der Sozialen Arbeit (Seithe, 2010; Seithe u. Wiesner-­Rau, 2014) zu belegen, dass die Qualität der Arbeit und der Angebote sowie ihre Zuverlässigkeit unter dieser Strategie gelitten haben. Der Ausweitung von sozialen personenbezogenen Dienstleistungen auf dem Markt sind somit enge Grenzen gesetzt. Unabhängig von den neoliberalen Annahmen und Diskursen über die Vorteile des Marktes wurden in professionsbezogenen Debatten Fragen nach der Bedeutung von Autonomie, Selbsthilfe und Selbstverantwortung für die Wirksamkeit von Beratung, Psychotherapie, Päda­ gogik und Sozialer Arbeit gestellt. Ausgelöst durch eine Kritik an der »Entmündigung durch Experten« (Illich et al., 1979) und an einem die Selbsthilfepotenziale einschränkenden, kontrollierenden Fürsorgestaat sollten aus Klienten (Schutzbefohlenen) selbstbewusste und informierte Kunden werden. Man wollte sich von einer bevormundenden Herrschaft durch Experten und einem überfürsorglichen Staat emanzipieren. Fortan standen Dienstleistungs- und Kundenorientierung – jenseits ökonomischer Überlegungen – für eine Stärkung der Rechte von Adressaten und ihrer Autonomie (Olk u. Otto, 2003). Den Protagonisten ging es dabei vor allem um mehr Wahlmöglichkeiten und um mehr Partizipation in der Produktion sozialer personenbezogener Dienstleistungen (Effinger, 1994). All diese Bemühungen beruhten auf den Erfahrungen mit entmündigenden, unflexiblen und bürokratisch-obrigkeitsstaat­ lichen Strukturen, die sich teilweise bis heute noch in den Haltungen der Mitarbeitenden öffentlicher Verwaltungen widerspiegeln. Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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▶▶ Intermediärer Bereich Der Intermediäre Bereich, als der größte und gesellschaftsrechtlich relativ eigenständige Bereich innerhalb der Sozialwirtschaft, weist spezifische Organisationsmerkmale auf. Er wird in besonderer Weise von den verschiedenen Prinzipien und Logiken der traditionellen Bereiche Gemeinschaft, Markt und Staat beeinflusst (Effinger, 1993, 1994; Evers u. Ewert, 2010; Wohlfahrt, 2015). In Deutschland werden in diesem Bereich die meisten sozialwirtschaftlichen Angebote gemacht. Allein in den großen konfessionell gebundenen Wohlfahrtsverbänden arbeiten über 1,2 Millionen Beschäftigte.7 Neben den großen Verbänden gibt es eine Vielzahl kleiner, lokal tätiger Vereine. Manche entstanden als Selbsthilfevereinigung, haben sich im Laufe ihrer Entwicklung professionalisiert und Angebote für Dritte entwickelt. Eine Besonderheit ist die Geschichte der konfessionellen Träger. Ihre Entstehung ist sehr eng mit dem sogenannten Kulturkampf zwischen den großen christlichen Kirchen und dieser mit der erstarkenden Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum verbunden. Als Antwort auf die soziale Verelendung und der stark angewachsenen Arbeiterbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging es den Gründern nicht nur um individuelle Hilfe für Menschen in schwierigen Lebenslagen, sondern immer auch darum, ihren soziokulturellen und politischen Einfluss auf die Bedürftigen mit der Fürsorgeleistung weiter auszubauen. Viele dieser intermediären Organisationen verknüpfen freiwilliges soziales Engagement mit bezahlter Erwerbsarbeit. Standen anfangs noch Geselligkeit und gemeinschaftliche Aktivitäten im Vordergrund, wurden allmählich immer mehr Aufgaben der sozialen Sicherung und allgemeinen Daseinsvor- und -fürsorge von Öffentlichen Trägern auf diese intermediären Organisationen übertragen. Die großen Wohlfahrtsverbände erhielten als anerkannte, Freie Träger der Wohlfahrt in der Weimarer Republik eine privilegierte Stel7 Dazu zählen auch die Mitarbeitenden ihrer Krankenhäuser. 38

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lung gegenüber den öffentlichen und den nicht anerkannten Trägern. Wenn soziale personenbezogene Dienstleistungen erforderlich wurden, um soziale Problemlagen zu bearbeiten, mussten zunächst diese anerkannten Verbände gefragt werden (Wendt, 2008). Neue Selbsthilfeinitiativen und Hilfsvereine, die später im Rahmen neuer sozialer Bewegungen entstanden, waren oft gezwungen, sich unter das Dach eines der anerkannten Wohlfahrtsverbände zu begeben, um so Zugang zu öffentlichen Subventionen für ihre Arbeit zu erhalten. Trotz dieser Zwänge waren und sind es immer wieder diese neuen, aus gemeinschaftlichen Zusammenhängen entstandenen Ini­tiativen, die auf neue Bedarfe oft flexibler und schneller reagieren als die großen Verbände. In vielen europäischen Wohlfahrtsstaaten wurden zudem neue Formen von bezahlter Betreuungs- und Pflegearbeit geschaffen, bei denen Angehörige Arbeit für ihre betreuungsbedürftigen Kinder und pflegebedürftigen Verwandten erbringen (Frericks, Jensen u. Pfau-­ Effinger, 2014; Pfau-Effinger, 2017). Geissler und Pfau-Effinger (2005) bezeichnen diese Formen wohlfahrtsstaatlich konstruierter bezahlter Familienarbeit als »semi-formelle Care-Arbeit«. Andere sprechen von bezahlter Freiwilligenarbeit (paid volentary), wenn soziale personenbezogene Dienstleistungen im Rahmen von Freiwilligendiensten erbracht werden. Diese Dienste sind zwar freiwillig, aber nicht ehrenamtlich. Die »Dienenden« erhalten zwar keinen Lohn, aber Aufwandsentschädigungen in teilweise lebensunterhaltssichernder Höhe. Ohne Freiwillige und Ehrenamtliche würden ganze Dienstleistungsbereiche zusammenbrechen. Einerseits können sie sinnstiftende Erfahrungen machen, andererseits werden so die gesellschaftlichen Kosten für diese Dienste möglichst gering gehalten. Intermediäre Organisationen finanzieren ihre Arbeit durch einen Mix aus öffentlichen Subventionen, Mitgliedsbeiträgen und Spenden sowie teilweise durch Verkaufserlöse. Die Vorteile der Angebote in diesem Bereich liegen vor allem darin, dass sie für die Nutzer vergleichsweise günstig oder gar kostenlos sind, dass sie gegenüber öffentlichen Angeboten oft niedrigschwelliger und unbürokratischer angeboten werden. Aber dieser Wohlfahrtsmix ist auch mit beson­ Sozialwirtschaft und Sorgearbeit

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deren Unsicherheiten und Unklarheiten verbunden. Die unterschiedlichen Abrechnungssysteme der Buchhaltung, Besteuerung und Haushaltsführung erfordern besonders kreative Finanzverwaltungssysteme und Kompetenzen bei der Ressourcenbeschaffung und Ressourcenverwaltung. In Ermangelung größerer finanzieller Reserven sind längerfristige Planungen wegen der Abhängigkeit von ein- bis zweijährigen Planungszyklen der öffentlichen Haushalte kaum möglich. Intermediäre Organisationen sind somit in höchstem Maße von politischen Entscheidungen abhängig, auf die sie selbst wegen ihrer schwachen Lobby nur wenig Einfluss haben.

2.3 Zum Charakter sozialer personenbezogener Dienstleistungen in der Sozialwirtschaft Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive werden sachbezogene von personenbezogenen Dienstleistungen unterschieden. Bei den sachbezogenen Dienstleistungen geht es darum, Leistungen anzubieten, welche für die Aufrechterhaltung der Produktion oder die Funktionalität eines privaten Haushaltes (z. B. Reparaturen) oder das individuelle Aussehen (z. B. Frisör) benötigt werden. Objekte und Körper werden gegen Geld gepflegt, gereinigt, verschönert oder auf andere Art verändert. Diese Leistungen bleiben äußerlich. Objekte und Körper gehören zwar den Kundinnen und Kunden, aber deren Mitwirkung bei der Dienstleistung ist nur bedingt erforderlich. Neue Gegenstände oder neue Verhaltensweisen entstehen nicht, sie sehen dann allenfalls »wie neu« aus. Das erfordert in der Regel zwar einen persönlichen Kontakt, aber keine unmittelbare Beteiligung der Konsumenten am Produktionsprozess. Teilweise ist eine unmittelbare Beteiligung sogar unproduktiv oder wird als störend empfunden – Welcher Schuster lässt sich schon gern bei der Schuhreparatur von seinem Kunden unterstützen? Die Beteiligung am Produktionsergebnis beschränkt sich allenfalls auf ein Erläutern des Bearbeitungswunsches, ein Stillhalten beim Friseur oder auf das Übermitteln von Informationen. 40

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Bei personenbezogenen Dienstleistungen handelt es sich um bezahlte Arbeiten an und vor allem mit den Konsumenten. In der Lite­ ratur werden die Adressaten personenbezogener Dienstleistungen daher auch als Prosumenten oder Koproduzenten bezeichnet (Effinger, 1994). Produzenten und Koproduzenten müssen sich zur selben Zeit am selben Ort (uno actu) in eine wechselseitige Beziehung begeben. Ihr Arbeitsgegenstand ist eine objektiv gegebene oder subjektiv als veränderungswürdig bewertete Situation aufseiten der Prosumenten. Dafür müssen sich die Dienstleister mit ihren Prosumenten auf ein von beiden Seiten akzeptiertes Bearbeitungsziel verständigen. Dieses Ziel kann also ohne deren Mitwirkung, ohne ihr Einverständnis, ohne ihr Fühlen, Denken und Handeln nicht zustande kommen. Soziale personenbezogene Dienstleistungen sind eine Unterform personenbezogener Dienstleistungen. Sie kennzeichnet eine entlohnte personenbezogene Dienstleistung im gesellschaftlichen Auftrag. Die Leistung wird im Wesentlichen aus öffentlichen Kassen bezahlt und ist dem Gemeinwohl verpflichtet (Klatetzki, 2010, S. 8). Die Leistungserbringenden handeln daher in der Regel auf der Basis eines Doppelten Mandats (Böhnisch u. Lösch, 1973). Sie werden nur dort aktiv, wo es einen gesellschaftlich legitimierten und finanzierten Auftrag gibt. Um diesen Auftrag umsetzen zu können, benötigen sie darüber hinaus auch einen Auftrag von ihren Adressaten. Die Produktionsfaktoren Beziehung, Vertrauen, Motivation und Zeit spielen hier eine herausragende Rolle. Die Vernachlässigung dieser Faktoren muss zwangsläufig zu Konflikten zwischen Kostenträgern und Leistungsanbietern sowie zwischen Leistungsanbietern und Adressaten führen. Der Faktor Zeit lässt sich im Rahmen sozialer personenbezo­gener Dienstleistungen nur sehr begrenzt nach rein betriebswirtschaft­lichen Effizienzkriterien betrachten. In der Produktion von Waren und Dienstleistungen für den kommerziellen Markt gilt es, möglichst viel Zeit und damit Kosten zu sparen. In der Sozialwirtschaft geht es aber darum, Zeit zu gewinnen, damit sich die Nutzer weitere Erfahrungen des Scheiterns in ihrer Lebensführung und Lebens­bewältigung sparen. Viel Zeit zu haben oder sich Zeit zu nehmen, ist für die Bearbeitung individuell Zum Charakter sozialer personenbezogener Dienstleistungen

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ganz unterschiedlicher Bedürfnisse und Wege ihrer Befriedigung ein entscheidendes Kriterium für die Nachhaltigkeit einer Intervention. Jemandem Zeit zu geben oder zu lassen, ist oft selbst schon ein Angebot. Aus Sicht vieler Adressaten ist es erforderlich, dass ihre Veränderungsprozesse im Rahmen ihrer Potenziale erfolgen. Das braucht Geduld und die Bereitschaft, Umwege zu akzeptieren sowie mit aufkommenden Ängsten und Widerständen konstruktiv umzugehen. Wird das alles vernachlässigt oder eingeschränkt, sind Qualitätsverlust statt Qualitätsverbesserung und Erfahrungen des Scheiterns die zwangsläufige Folge. Eine soziale personenbezogene Dienstleistungsarbeit ist mehr als Beziehungsarbeit, aber ohne gelingende Beziehung ist sie wirkungslos. Befehls-Gehorsamkeits-Beziehungen oder Anweisungsbeziehungen gehören daher nicht zum Charakter sozialer personenbezogener Dienstleistungen. Solche Arbeitsbeziehungen führen allenfalls zu temporär angepasstem Verhalten. Nachhaltige Änderungen der Verhaltens­ muster bei den Adressaten wären unwahrscheinlich. Dennoch sind auch in Zwangskontexten vertrauensvolle Beziehungen unter Berücksichtigung der Machtverhältnisse und -dynamiken ohne Verletzung der Autonomie der Adressaten möglich (Müller, 2011; Kähler u. Zobrist, 2013; Klug u. Zobrist, 2013; Göckler, 2009; Conen u. Cecchin, 2013; Huxoll u. Kotthaus, 2012; Miller u. Rollnik, 2015; Storch u. Krause, 2014). Zwangskontexte können für Adressaten, die erhebliche Orientierungsprobleme in der Bewertung ihrer Lebens­situation oder der Einschätzung ihrer Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung haben, als eine Form der Hilfe angesehen werden, welche ihnen eine Unterscheidung in für sie selbst wichtige und weniger wichtige bzw. realistische und weniger realistische Ziele erleichtert. Das verändert zwar noch nicht ihre Entscheidungs- und Handlungsmuster, schafft aber einen Kontext, der ihnen diese Entwicklung unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht und erleichtert. Die Selbstbeteiligung der Adressaten ist zwar Voraussetzung, aber noch keine Garantie dafür, dass es zum gewünschten Ergebnis kommt. Das Kontingenzproblem oder die Ungewissheit über die Wirksamkeit einer solchen Intervention ist damit ein weiteres, unvermeid­bares 42

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Charakteristikum dieser koproduktiven Arbeit. In allen personen­ bezogenen Dienstleistungen gibt es das Problem, dass deren Wirkungen und Nebenwirkungen nicht unmittelbar sichtbar sind. Über die Nachhaltigkeit und Evidenz einer Intervention lassen sich daher nur sehr bedingt präzise Aussagen machen. Es gibt keine lineare Kausa­lität zwischen einer Intervention und ihren Wirkungen und Nebenwirkungen. Zu viele andere, bekannte oder unbekannte Faktoren können eine gewünschte oder unerwünschte Wirkung hervorrufen. Nähe und Distanz der Arbeitsbeziehungen in der Sozialwirtschaft müssen situations- und kontextabhängig unterschiedlich dosiert werden. Ein Sozialarbeiter im Jugendamt wird anders angesehen und muss anders agieren als eine Kirchensozialarbeiterin, die gleichzeitig als Mitglied in ihrer christlichen Gemeinschaft eingebunden ist (siehe Abbildung 3).

Staat Gewährleister gegenüber Klienten Dominanz asymmetrisch-­ fürsorglich-hierarchischer Hilfebeziehungen

Intermediärer Bereich Beziehungsmix, keine dominanten Beziehungs­konstellationen KooperationsMarkt ­beziehungen zwiAnbieter Gemeinschaft schen Hauptgegenüber Kunden Mitglieder und Ehrengegenüber Mitgliedern amt Dominanz formal Dominanz symmetrisch-informeller symmetrischer Kooperationsbeziehungen Austauschbeziehungen Abbildung 3: Akteure und idealtypische Beziehungskonstellationen in der Sozial­ wirtschaft nach Regulationsbereichen Zum Charakter sozialer personenbezogener Dienstleistungen

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Der Charakter der Arbeitsbeziehungen ist je nach Kontext, Nähe bzw. Verankerung im jeweiligen Bereich unterschiedlich ausgeprägt (Effinger, 1994, S. 36). In jedem Bereich werden ganz unterschiedliche Rollenerwartungen an die Mitarbeitenden und die Adressaten gestellt. Intermediäre Organisationen, die ihren Ursprung in politischen oder religiösen Wertegemeinschaften haben, gelten als sogenannte »Tendenzbetriebe«. Nach § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes können die Arbeitgeber weltanschaulich begründete Zugangs- und Loyalitätsanforderungen an ihre Mitarbeitenden stellen und deren Mitbestimmungsrechte einschränken. Im Kontext kirchlicher Einrichtungen gelten sie nicht nur als Arbeitnehmerinnen und -nehmer, sondern auch als Mitglieder einer Dienstgemeinschaft. Seit Jahren wird versucht, die Komplexität hybrider, intermediärer Organisationen und damit verbundene Unsicherheiten durch standardisierte, d. h. berechenbarere und transparente Verfahren zu minimieren. Case Management und Qualitätsmanagementkonzepte sollen ein stärker evidenzbasiertes Arbeiten ermöglichen. Über den Erfolg dieser Versuche – die vielfach gegen erheblichen Widerstand in den Organisationen durchgesetzt werden – gibt es empirisch bisher nur wenig belastbare Belege. Der Messbarkeit und Vergleichbarkeit professioneller Interventionen in diesem Bereich sind offenbar Grenzen gesetzt (Borrmann u. Thiessen, 2016). Standardisierte Verfahren haben auch Nachteile. Die Ermessensspielräume der Sorgearbeiterinnen in standardisierten Einrichtungen sind häufig geringer. Aus der Perspektive von Standards spielen individuelle und subjektive Gründe für ein konkretes Verhalten – und eine speziell darauf ausgerichtete Intervention nach dem Gleichbehandlungs- und Vergleichbarkeitsgebot – nur eine untergeordnete Rolle. Die Ermessensspielräume müssen eher eng als weit gestaltet sein, damit überhaupt eine Vergleichsbasis besteht. Sorgearbeitende, die nicht nur zwischen »trifft zu« oder »trifft nicht zu« zu entscheiden haben, sollen und müssen jedoch sehr viel Verständnis für ihre Klienten aufbringen und nach individuellen Lösungen suchen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Sozialwirtschaft 44

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nehmen eine intermediäre und moderierende Rolle zwischen dem gesellschaftlichen Auftrag und den individuellen Interessen ihrer Adressaten ein. Vor dem Hintergrund gesetzlicher Gebote und Verbote sowie öffent­lich anerkannter individueller Interessen ihrer Adres­saten sollten sie grundsätzlich auf Ausgleich und Vermittlung ausgerichtet sein. Das kann durchaus bedeuten, dass die Interessen ihrer Adressaten gegenüber anderen Akteuren situativ gestärkt und anwaltlich unterstützt werden, wenn diese sich in einer schwachen und ausgeprägt asymmetrischen Machtposition befinden, mit den Gepflogenheiten und Regeln einer Einrichtung nicht vertraut sind oder sich kaum artikulieren und Gehör verschaffen können. Von den Sorgearbeitern erfordert dieser Seiltanz besondere Kompetenzen im Umgang mit Rollenunsicherheiten, Widersprüchlichkeit und Paradoxien, die in diesem Kontext regelmäßig auftreten (Effinger, 2008; Heiner, 2010a).

2.4 Widersprüchliche Bezugspunkte und verunsichernde Faktoren in der Sozialwirtschaft Die Sorgearbeitenden sollten Experten für die Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Konflikte sein. Gleichwohl gelten sie vielen Beob­achtern als »konfliktscheue Profession« (Messmer, 2015). Dieser Befund kann nicht verwundern, wenn man sich die Widersprüchlichkeiten in diesem Handlungsfeld vergegenwärtigt. Maja Heiner (2010a, S. 429 ff.) hat in sehr anschaulicher Weise solche Spannungen, in denen sich im Prinzip alle Sorgearbeiterinnen befinden, beschrieben. Sie versteht diese als wechselseitig aufeinander bezogene Polaritäten und nicht als sich ausschließende Dualitäten. Sie spricht von Kräftefeldern, die durch die Systeme Gesellschaft, Klient, das interne Leistungssystem (die Fachkraft und ihre Organisation) sowie das externe Leistungssystem (die Infrastruktur des Hilfenetzwerkes) gebildet werden (S. 33 ff.) und stellt heraus, dass sich je nach konkreter Situation und Zuständigkeit für die zu bearbeitende Problemlage jeweils ganz unterschiedliche Widersprüchliche Bezugspunkte

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Kräftekonstellationen und damit auch besondere »berufliche Anforderungen und professionelle Bewältigungs­muster« ergeben (S. 429 ff.). Sie hebt insbesondere die Gleichzeitigkeit von Hilfe (Auftrag durch die Adressaten) und Kontrolle (gesellschaftlicher Auftrag), von Offenheit und Strukturiertheit der Interventionen, von Konsensorientierung und Konfrontation sowie von Defizit- und Ressourcenorientierung sowie die Asymmetrie in der professionellen Hilfebeziehung hervor. Wenn es den Sorgearbeitenden nicht gelingt, diese spannungsreichen Herausforderungen auszubalancieren, kann dies zu kognitiver Dissonanz und damit zu einem defensiven Vermeidungsverhalten führen. Kognitive Dissonanz kann entstehen, wenn sich gegensätzliche Anforderungen im subjektiven Erleben auszuschließen scheinen und damit bewusste oder unbewusste Versuche fördern, diesen Spannungszustand zu vermeiden oder zu verringern, ohne dass dieses Verhalten auf die Lösung der anstehenden Probleme ausgerichtet ist. Das geschieht vielfach dadurch, dass man sich einseitig auf eine Seite der Polarität schlägt und seine Wahrnehmung und seinen Handlungsauftrag simplifiziert, anstatt mit dieser Spannung kon­ struktiv umzugehen. Im Folgenden werden das Handlungsfeld wesentlich prägende Bezugspunkte beschrieben, die bei den Sorgearbeitern erhebliches Verunsicherungs- und Simplifizierungspotenzial bergen. Diese Bezugs­punkte sind erkenntnistheoretischer, struktureller und normativ-­kultureller Art und auf die Dimensionen Haltung, Organisation, Beziehung, Arbeit und Geschlecht ausgerichtet. Diese unterschiedlichen Dimensionen korrespondieren miteinander und kommen mehr oder minder praktisch in allen Bezugspunkten zum Tragen.

▶▶ Erkenntnisprobleme, Kontingenz und die Spanne zwischen Theorie und Praxis

Unsere Wahrnehmungen der Wirklichkeit bilden diese Wirklichkeit nicht ab, sondern sie sind immer auch subjektiv unterschiedlich 46

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gefärbte Konstruktionen von Wirklichkeit. Da wir von der Wirklichkeit immer nur eine Erscheinung, aber nicht deren Entstehungs­ ursachen und deren Wechselbeziehungen mit ihrer Geschichte und ihrer gegenwärtigen Umwelt sehen, müssen wir davon ausgehen, dass die Symptome eines sozialen Problems oft nur sehr bedingt auf verursachende Faktoren und Dynamiken hinweisen. Vieles erscheint zudem mehrdeutig und ändert schnell seine Erscheinungsform. Diese Problematik wird in der Praxis oft durch Wissenslücken und mangelnde Zeit zur Informationsbeschaffung verstärkt. Es ist meist nicht klar, welches Ergebnis auf bewusstes, gezieltes und selbstverantwortetes Handeln und welches eher auf kaum beinflussbare Kontexte oder Zufälle zurückzuführen ist. Vieles hätte auch ganz anders verlaufen können, wenn die Umstände andere gewesen wären. Allgemeine Aussagen auf der Basis sozialwissenschaftlicher Makroanalysen, sozialarbeitswissenschaftlicher und beratungswissenschaftlicher Theorien sowie von Mikroanalysen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Sie tragen zum Verstehen einer Situation bei, sind aber nur bedingt sichere Orientierungshilfen für konkrete Interventionen. Wissenschaftlich-theoretisches Wissen kann einen Rahmen für bestimmte Strategien und Interventionen präferieren, es kann ein Probieren oder ein Handeln unter Ungewissheit aber nicht ersetzen. Die Sorge­ arbeiterinnen müssen immer mit diagnostischer Mehrdeutigkeit und grundsätzlicher Kontingenz ihrer Interventionen rechnen. Dabei bleibt oft unklar, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Intervention die gewünschte Wirkung erzielt oder ob unbeabsichtigte Nebenwirkungen die Folge sind. Die Wissenschaft arbeitet mit möglichst klar abgegrenzten Kategorien und Begriffen. Analytische Kompetenz besteht darin, eine Wirklichkeit in Einzelteile zu zerlegen. Praktische Kompetenz ist dagegen auf Verbindendes und Gemeinsamkeiten ausgerichtet. So stellt sich die Frage, in welcher Form eine vom Ganzen distanzierende, wissenschaftliche Kompetenz mit einer empathisch auf das Besondere ausgerichteten, personalen Kompetenz zusammengedacht und praktiziert werden kann. Widersprüchliche Bezugspunkte

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▶▶ Reichweite universalistischer Normen und gesellschaftlicher Verantwortung in individuellen Bedürfnislagen

Interventionen in der Sozialwirtschaft beruhen auf universalistisch gültigen Vorstellungen über menschliche Grundbedürfnisse. Darüber, welche dieser Bedürfnisse gedeckt werden sollen und welche nicht, bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses. In Wissenschaft und Gesellschaft wird darüber gestritten, was die Grundlagen eines solchen Konsenses sein sollen. Zwar zweifelt niemand am Recht auf Unversehrtheit von Körper und Seele oder ausreichende Nahrung. Schwieriger wird es beim Grundbedürfnis auf soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung. Zählen beispielsweise auch die Befriedigung sexueller Bedürfnisse oder das Recht auf »regelmäßig bezahlten Urlaub« (Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) dazu? Sollen biophysische und biopsychische Grundbedürfnisse gleichrangig betrachtet werden? Welche Bedürfnisse gelten als unverzichtbar und welche als verzichtbar? Gilt dieser Konsens nur für die Bürger eines Landes oder auch für Zugereiste? Benötigen Asylbewerber weniger Geld für die Grundsicherung als langfristig Erwerbslose? Kann man solche Unterschiede moralisch und rechtlich gut begründen oder verstoßen sie hier und da gegen das Diskriminierungsverbot? Wo zieht eine Gesellschaft die Grenzen zwischen universell gültigen Grundbedürfnissen und partikular-egoistischen Wünschen und Interessen? Und soll man die Grundbedürfnisse bedingungslos absichern oder soll man sie von Gegenleistungen abhängig machen? Die normativen Grundlagen sind trotz ihres universalistischen Anspruchs nicht immer so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Neben Ermessensspielräumen unterliegen diese Normen einer Interpretation durch jene, die mit der Umsetzung und deren Kontrolle beauftragt sind. Das ist dann nicht nur ein Problem unterschiedlich kultureller Herkunft oder gesellschaftlicher Positionen, sondern auch eine Frage unterschiedlicher Machtbefugnisse sowie von Deutungen und Bedeutungen. So bedarf es im Einzelfall immer einer Aushandlung über die Gültigkeit und Anerkennung bzw. Aus48

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legung dieser Normen. Ethikcodes können zwar eine orientierende Basis für eine angemessene Haltung schaffen, in der Umsetzung sind sie als konkrete Interventionsempfehlungen jedoch kaum praktikabel. Sorgearbeitende, die ihre Arbeit nicht mit ihrer fachlichen Kompetenz (Wissen und Können), sondern primär über ihr »korrektes« soziales Engagement und die Zugehörigkeit zu einer Tugendgemeinschaft begründen, stellen nach Schönig die Relevanz ihrer Arbeit und ihr gesellschaftliches Ansehen selbst infrage. Eine sinnvolle und begründete Unterscheidung zu freiwilligem oder ehrenamtlichem Engagement ist dann kaum noch möglich (Schönig, 2012, S. 151 ff.).

▶▶ Weibliche und männliche konnotierte Sprachkulturen und Verhaltensstile

In der Sozialwirtschaft ist die weit überwiegende Zahl der Mitarbeitenden weiblich (Sachverständigenkommission, 2017). Im Handlungsfeld dominieren weiblich konnotierte Sprachkulturen und Verhaltensstile (Brandes, Andrä, Röseler u. Schneider-Andrich, 2016; Ehlert, 2012). Diese zielen eher auf die Beziehungsgestaltung ab, während männliche eher auf den Austausch von Informationen ausgerichtet sind (Sridhar, 2017). Das öffentliche Auftreten und Anmelden von eigenen Interessen ist zumeist zurückhaltender und defensiver als in anderen Handlungsfeldern mit einem deutlich höheren Anteil männlicher Mitarbeiter bzw. maskuliner Kommunikationsstile. Eine gewisse Scheu, die eigenen Stärken zu zeigen, kennzeichnet auch das Verhalten vieler Männer im sozialwirtschaftlichen Feld. Da Leitungs- und Führungspositionen in der Sozialwirtschaft überproportional mit Männern besetzt sind und viele von ihnen in fachfremden Berufen und Professionen sozialisiert wurden, treffen hier oft männlich konnotierte Kommunikations- und Handlungsmuster auf feminine Muster bei den untergegebenen Mitarbeitenden. Dieses Problem taucht immer dann auf, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit benachbarten, eher maskulin geprägten FunkWidersprüchliche Bezugspunkte

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tionssystemen, wie z. B. der Justiz oder dem Gesundheitswesen, kommunizieren (müssen). Gegenüber Ärzten, Juristen und Betriebswirten gehen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder Erzieherinnen und Erzieher ungern in Konflikt. Teilweise ist dies Ausdruck ihrer relativ niedrigen Machtposition, teilweise aber auch Ausdruck von mangelndem Vertrauen in die eigene Expertise. Mit der Vermarktlichung und Verbetriebswirtschaftlichung sind stärker maskuline Verhaltensstile in die Sozialwirtschaft eingezogen. Innerhalb von eher feminin geprägten, intermediären Organisationen verschärfen sich damit die Spannungen zwischen den gegensätzlichen Zielsetzungen und Verhaltensstilen. Einer eher männlich konnotierten Orientierung, die auf kurzfristigen Effizienzberechnungen und die die »Wirtschaftlichkeit« einer Einrichtung oder Abteilung ausgerichtet sind, steht oft eine eher weiblich konnotierte Orientierung gegenüber, die stärker auf langfristig ausgerichtete Ziele und nachhaltige Effekte setzt, die sich aber kaum einer einzelnen Einrichtung, Abteilung oder Intervention zuzuordnen lassen und so oft auch nicht abrechenbar sind.

▶▶ Subjektivierendes Arbeiten an Problemen mit Menschen, die diese Probleme nicht verursacht haben

Die Veränderung von Lebenssituationen der Adressaten in der Sozial­ wirtschaft hängt nicht nur von der psychischen Verfassung und den biografisch mehr oder minder geeigneten Bewältigungs­strategien der Adressaten ab. Ihre mangelnde Bedürfnisbefriedigung beruht in aller Regel auf einer objektiv schwierigen Lebenslage. Oft sind sie in diese Lage geraten, ohne dass dies von ihnen selbst verantwortet oder wesentlich zu beeinflussen gewesen ist. In der Regel haben aber weder die Betroffenen noch die Dienstleister einen direkten Einfluss auf diese gesellschaftlich verursachten Problemlagen. So können die Sorge­arbeitenden mit ihren Adressaten direkt nur an deren indi­ viduellen Bewältigungsstrategien arbeiten, wohlwissend, dass sie 50

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damit auch einen Beitrag zur Privatisierung und Indi­vidualisierung sozialer Probleme leisten. Zwar können und sollen sie Ressourcen, wie unentdeckte Stärken und Kompetenzen bei den Adressaten und öffent­liche Sozialleistungen, zum besseren Leben und Über­leben mobilisieren, aber an den Ursachen der sozialen Probleme können sie unmittelbar nichts ändern. Ein Mitarbeiter in der Berufs­hilfe kann beispielsweise allenfalls die Fluktuationsgeschwindigkeit der Inklusions- und Exklusions­prozesse auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen, Arbeitsplätze schaffen kann er nicht. Das wissen die Adressaten oft sehr gut, und das dämpft deren Erwartungen gegenüber ihren Dienstleistern, ins­besondere dann, wenn sie nicht ganz freiwillig zu ihnen gekommen sind. Aufseiten der Sorge­arbeitenden führt das oft zu Ohnmachtsgefühlen.

▶▶ Triplebind und Trilemmata – Solidarität, staatliche Fürsorge und der Warencharakter in der Beziehungsarbeit

Die Mitarbeitenden beziehen ihre normative Orientierung in aller Regel auf gemeinschaftliche Prinzipien und Werte. In den individuellen und professionellen Zielsetzungen geht es primär um Solidarität, Integration, soziale Gerechtigkeit und Partizipation. Diese gemeinschaftsorientierten Werteorientierungen und Ziele stoßen jedoch auf Werteorientierungen der Kostenträger, die ihre Leistungen von individuellen Verhaltenskontrollen und dem Wohlverhalten der Adressaten abhängig machen. Handelt es sich dann bei den ausführenden Organisationen um Träger, die auf dem Sozialmarkt Aufträge akquirieren und ihre Organisation nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen verwalten, erhalten die Angebote einen Warencharakter und die Adressaten bzw. ihr Verhalten werden zu einem Kostenfaktor, der die Rentabilität und damit auch die Marktpräsenz beeinflusst. Wenn die für die Wirtschaftlichkeit Zuständigen und die Sorgearbeitenden dann nicht in eine Richtung, sondern in die verschiedenen Ecken des Wohlfahrtsdreieckes ziehen, kann das bei den Sorgearbeitern in Widersprüchliche Bezugspunkte

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einer Organisation und bei den Adressaten zu erheblichen Irritationen sowie zu Team- und Leitungskonflikten führen. In Anlehnung an die Theorie vom Doublebind, also von paradoxer Kommunikation mit gegensätzlichen Botschaften, kann man im Wohlfahrtsdreieck der Sozialwirtschaft von Triplebinds sprechen (Kumbruck u. Kleestorfer, 2016). Bei den Mitarbeitenden kann das zu einem Trilemmata führen. Die Akteure in diesen Organisationen bewegen sich in den Dreifachwirklichkeiten der Regulationsprinzipien von Gemeinschaft, Staat und Markt. Je stärker sich einzelne Akteure einseitig dem einen oder anderen Prinzip verpflichten, desto mehr gerät ihre Kommunikation mit den anderen Prinzipien in Konflikt, umso eher geraten sie vom Agieren ins Reagieren und erfahren letztlich Ohnmacht, weil sie sich nicht mehr verstanden fühlen oder ihr Einfluss immer mehr nachlässt. Gelingt es den Akteuren nicht, eine Balance zwischen den gegensätzlichen Regulationsprinzipien herzustellen, besteht die Gefahr von Störungen und Pathologien in der Organisation und bei den Mitarbeitenden.

▶▶ Ganzheitlichkeit vs. Spezialisierung In der Sozialwirtschaft haben wir es in aller Regel mit einem Mix unterschiedlicher und zum Teil gegensätzlicher Interessen und Mandatierungen sowie mit diffusen Grenzen und Zuständigkeiten zu tun. Im Vergleich zu den klassischen Professionen verfügen Professionelle in der Sozialen Arbeit nur über eine eingeschränkte Autonomie in ihren Handlungsfeldern. Teilweise werden sie von anderen Professionen gern in untergeordneten, zuliefernden Funktionen gehalten, teilweise ist dies aber auch die negative Kehrseite des Anspruches auf Ganzheitlichkeit und Allzuständigkeit. Gesellschaftliche Anerkennung und Machtbefugnisse werden in unserer Gesellschaft vorzugsweise an Experten vergeben. Zur beruflichen Identität vieler Mitarbeitenden in der Sozialwirtschaft gehört es dagegen, gegenüber professioneller Expertise und starker Spezialisierung große Skepsis 52

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zu hegen. So berechtigt diese Skepsis vielfach ist, so bedauerlich ist aber auch, dass sich die Sorgearbeiterinnen damit leicht den Boden größerer gesellschaftlicher Anerkennung und professioneller Autonomie selbst entziehen.

▶▶ Spannung zwischen Nähe und Distanz Mit der Transformation von gemeinschaftlich geprägten »Liebesdiensten« nach dem Solidarprinzip in erwerbs- und gewerbsmäßig verfasste Dienstleistungen schleichen sich unweigerlich entfremdende Elemente in die Beziehungsgestaltung ein, welche einer Vertrauensbildung nach dem Solidarprinzip eher fremd sind. Ist diese Beziehungsarbeit stärker vom staatlichen Fürsorgeprinzip gekennzeichnet und damit auch mit formellen Kontrollaufträgen verbunden, schränkt das die Grundlage der Vertrauensbildung auf »Augenhöhe« ebenso ein, als wenn Beziehungsangebote als Ware auf dem Dienstleistungsmarkt feilgeboten werden. Immer müssen sich die Dienstleister und ihre Organisationen des Verdachtes erwehren, dass sie es auch wirklich ernst meinen und nicht nur auf geschickte Weise Wohlverhalten oder materielle Vorteile erlangen wollen. Dienstleister sind keine »Freunde« (Müller, 2012; Effinger u. Jensen, 2013; Krause u. Rätz-Heinisch, 2009). Einerseits ist Vertrauen in sozialen personenbezogenen Dienstleistungen eine der wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Koproduktion. Andererseits gehört Misstrauen gegenüber einer Dienstleistung und asymmetrischen Beziehung, die auch mit sozialer Kontrolle und gegebenenfalls Sanktionen verbunden sein kann, zu einer durchaus gesunden Grundeinstellung aufseiten der Adressaten. Wird ein dem Adressaten entgegengebrachtes Vertrauen enttäuscht oder instrumentalisiert dieser seinen Helfer bzw. seine Helferin, hinterlässt das wahrscheinlich nega­tive emotionale Spuren. Günstigenfalls tragen sie zur Kompetenzbereicherung bei. Im ungünstigen Fall kann es beruflichen Zynismus, Burnout oder andere psychische Belastungen befördern. Widersprüchliche Bezugspunkte

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▶▶ Psychosoziale Diagnose und Ressourcenorientierung oder das schwierige Verhältnis von Stärken und Schwächen

In allen sozialen personenbezogenen Dienstleistungsberufen und  -pro­fessionen wurde in den letzten Jahren die besondere Bedeutung vorhandener Ressourcen oder Stärken (Potenziale) für das Gelingen von Veränderungsprozessen herausgestellt. Auf der Basis empi­ rischer Studien (Spitzer, 2002; Hüther, 2016; Ehlers, Schuster u. Müller, 2017) konnte gezeigt werden, dass eine Fixierung auf Defizite und Schwächen die Selbsthilfepotenziale der Adressaten eher schwächt als stärkt. Defizitorientierungen gehen oft mit Stigmatisierungs­prozessen einher, welche die Abhängigkeit von solchen Hilfesystemen eher erhöhen als mindern. Wenn man allerdings Ressourcen- und Defizitorientierung nur als ein unversöhnliches Gegensatzpaar begreift und entweder nur die eine oder die andere Perspektive einnimmt, verschleiert man den unauflösbaren Zusammenhang beider Perspektiven für die Bearbeitung und Lösung sozialer Problemlagen in der Sozialwirtschaft. Erst das Erkennen, Analysieren und Klassifizieren sozialer oder individueller Defizite bei der individuellen Lebensbewältigung und Lebens­führung schafft einen Bezugspunkt für die Gewährung sozialer Ressourcen. Diese werden erst dann zur Verfügung gestellt, wenn identifizierbare Defizite im Rahmen indi­vidueller Bedürftigkeits­prüfungen festgestellt werden und es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt. Das mag man schlecht finden, ist jedoch im Rahmen sozialpo­litischer Regelungen unumgänglich.

▶▶ Die Unübersichtlichkeit versäulter Hilfesysteme In Deutschland sind die rechtlichen Grundlagen der verschiedenen sozialen Hilfesysteme zwar weitgehend in einem Sozialgesetzbuch zusammengefasst. Dennoch sind für die jeweiligen Leistungen von Bundesland zu Bundesland und von Kommune zu Kommune ganz unterschiedliche Behörden, Öffentliche und Freie Träger zuständig. Die 54

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Eigenlogik der jeweiligen, mehr oder minder geschlossenen Hilfesysteme und die Ausdifferenzierung der verschiedenen Leistungsgesetze, die unterschiedliche Zuständigkeit von Bund, Ländern, Kommunen und den Sozialversicherungsträgern sowie die kaum überschaubare Zahl kleinerer und größerer Anbieter sozialer personenbezogener Dienstleistungen stellt nicht nur die Beschäftigten, sondern auch und gerade die Adressaten vor gewaltige Orientierungsprobleme. Die funktionale Differenzierung führt paradoxerweise dazu, dass dann Instanzen erforderlich werden, welche die zunehmende Komplexität und die daraus resultierende Verunsicherung über Zuständigkeiten von Trägern oder die Eignung von Angeboten wieder reduzieren sollen. So müssen dann Experten, Case Manager, implementiert werden, die Hilfen auf der Fall-, Organisations- und Netzwerkebene möglichst effizient und effektiv koordinieren sollen.

▶▶ Die Abhängigkeit der Beschäftigten von der Existenz sozialer Not und prekäre Arbeitsbedingungen

In der Sozialwirtschaft geht es darum, soziale und individuelle Defizite bei der Lebensbewältigung und Lebensführung von Individuen und Gruppen auszugleichen und eine selbstbestimmte Lebens­bewältigung und Lebensführung zu unterstützen. Die Sorgearbeitenden haben auch die Aufgabe, bei den Steuer- und Beitragszahlern gesellschaftliche Akzeptanz für diese Arbeit zu erzeugen und deren Bereitschaft zu fördern, entsprechende Ressourcen für die von solchen Risiken betroffenen Menschen durch Umverteilungsmechanismen vorzuhalten. Diese Ressourcen dienen jedoch ebenso der eigenen Beschäftigungsund Einkommenssicherung. In der Ausbildung lernen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, dass es zum edelsten Berufsethos gehört, Hilfe zur Selbsthilfe und Empowerment zu leisten. Man solle sich selbst überflüssig zu machen. Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt jedoch ein entgegengesetztes Ziel. Dieses Wirtschaftssystem ist auf Wachstum und nicht auf Selbstabschaffung ausgerichtet. Widersprüchliche Bezugspunkte

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Vor dem Hintergrund schwankender Hilfebedarfe müssen die Träger als Marktakteure ihre Mitarbeiterinnen flexibel einsetzen. Unbefristete Verträge und kontinuierlich vorgehaltene Angebote vertragen sich aber wenig mit diesem Steuerungsprinzip. Träger und ihre Mitarbeitenden geraten so leicht in Versuchung, um der eigenen Existenz­sicherung willen Bedarfe vorzutäuschen, die es so nicht mehr gibt oder soziale Diagnosen zu erstellen, die eine weitere Betreuung und damit auch Finanzierung erlauben. Diagnosen sind nicht nur Zuschreibungen, sondern immer auch Kostenfaktoren. So werden in Zeiten der Unterbelegung stationärer Einrichtungen vereinzelt schon mal Bewohner in der Einrichtung belassen, die in Zeiten der Überbelegung schon längst entlassen worden wären. Je weniger die Arbeitsplätze und die Einkommen gesichert sind, je mehr nehmen die damit einhergehende Sicherungsstrategien und Belastungen zu. Einerseits gehört die Arbeit in der Sozialwirtschaft zu einer der abwechslungsreichsten und interessantesten Tätigkeiten. Trotz der vergleichsweise geringen Entlohnung ist sie für viele mit dem Gefühl verbunden, etwas Sinnvolles und Nützliches zu tun. Andererseits ist diese Arbeit an hohe Belastungen und Unsicherheiten gekoppelt. Je heftiger beispielsweise in der Gesellschaft über Art und Höhe der für die Sozialwirtschaft erforderlichen Ressourcen gestritten wird, umso mehr bedeutet dies für die Sorgearbeiterinnen, dass sie sich laufend auf neue, oft auch schlechtere Rahmenbedingen einstellen müssen. Da diese Rahmenbedingungen zumeist ohne entscheidenden Einfluss durch sie selbst und die Adressaten gesetzt werden, ist das oft mit Ohnmachtsgefühlen gegenüber den gestaltungsmächtigeren Akteuren in Wirtschaft, Politik und Verwaltung verbunden. Obwohl die Zahl der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft, auch in Zeiten knapper öffentlicher Kassen, kontinuierlich zugenommen hat, ist bei gleichzeitig gestiegenem Bedarf auch die Arbeitsbelastung der Sorgearbeiter angewachsen. Dies hat die Fluktuation in der Mitarbeiterschaft (Dathe, Paul u. Studt, 2012) erhöht, und es gibt einen überdurchschnittlichen Anteil psychisch bedingter Krankschreibungen (Poulsen, 2012; Seithe, 2010; Seithe u. Wiesner-Rau, 2014). 56

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So schlägt sich der Rückzug öffentlicher Verantwortung bei der Herstellung und Erhaltung sicherer und menschenwürdiger Lebensbedingungen und Teilhabechancen nicht nur in einer Prekarisierung der Lebensbedingungen im unteren Drittel der Gesellschaft, sondern auch in einer Prekarisierung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeitenden in der Sozialwirtschaft nieder (Prausa, 2018). Verglichen mit anderen Arbeitsmärkten haben wir es mit einem überdurchschnittlichen Anteil prekärer Beschäftigung und vergleichsweise schlechter Entlohnung zu tun (Nodes u. Wohlfahrt, 2012; Arnold, 2015; Bode u. Turba, 2015). Mag der überdurchschnittliche Anteil von etwa 50 % Teilzeitbeschäftigten teilweise noch mit Präferenzen für eine Gleichverteilung familiärer und häuslicher Arbeiten zu tun haben, so gehören Befristungen mit Sicherheit nicht dazu. Jene, die Sicherheit bieten sollen, finden sich immer öfter in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen wieder. Insbesondere für die Teilzeitbeschäftigten bedeutet dies, dass sie im Alter oft keine existenzsichernde Rente beziehen werden. Somit könnten die Sorgearbeiter und Sorgearbeiterinnen in Zukunft selbst zu Sorgefällen werden. Wenn die Qualität der Arbeit nicht mehr primär an ihrem konkreten Gebrauchswert, sondern vor allem daran gemessen wird, ob der erforderlicher Personal- und Kostenaufwand noch in einem angemessenen Verhältnis zu abstrakt festgelegten, betriebswirtschaft­ lichen Nenngrößen steht, dann kann das schon mal dazu führen, dass Sorge­arbeiter abgemahnt oder sogar gekündigt werden, weil sie sich zu sehr um ihre Adressaten gekümmert haben. Arbeiten Sorge­ arbeitende selbstständig und freiberuflich, müssen sie sich selbst diszi­ plinieren. Sozialwirtschaftliche Angebote, deren konkrete Bedarfe nicht durch die Grundbedürfnisse der Nutzer, sondern durch Politik und Verwaltung festgelegt werden, generieren somit regelmäßig berufs­ethische Konflikte. Vor diesem Hintergrund stehen Berater und Beraterinnen in der Sozialwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen.

Widersprüchliche Bezugspunkte

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  Herausforderungen für die Beratung

Aufgrund des Wandels der Rahmenbedingungen in der Sozialwirtschaft haben sich die Arbeitsbedingungen und die Qualität in der Sozialen Arbeit verändert. Professionelle Qualitätsstandards in der Sozialen Arbeit werden unter dem ökonomischen Druck und dem Mangel an ausreichend gut qualifiziertem Personal unterlaufen (Seithe u. Wiesner-­Rau, 2014; Voss, 2015). Aufgrund solcher Veränderungen ist es in den letzten Jahren zu einer Verschiebung in den Beratungsthemen gekommen (Effinger, 2017). Zudem verliert die Supervision zunehmend den ihr ursprünglich zugesprochenen Charakter als Instrument regelmäßiger Qualitätssicherung: Die die Sitzungsintervalle nehmen tendenziell ab, so dass in vielen Fällen kaum noch von einem kontinuierlichen Beratungsprozess gesprochen werden kann. Deutlich zugenommen haben dagegen betriebswirtschaftlich ausgelöste und organisationsbezogene Strukturveränderungen und Problemstellungen, die zu Konflikten in den Teams geführt haben. Wer im Feld der Sozialwirtschaft berät, sollte die Besonder­heiten dieses sozialen Systems verstehen. Etwa zwei Drittel aller Super­ visoren und Supervisorinnen, die in der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv) organisiert sind, haben einen akademischen Abschluss in der Sozialen Arbeit oder in der Erziehungs­ wissenschaft (Effinger, 2017). Im Rahmen dieser Studiengänge werden zwar die sozialen, ökonomischen und rechtlichen Rahmen­ bedingungen der Organisationen in der Sozialwirtschaft, selten aber die konkreten Auswirkungen dieser Bedingungen für die Bewältigung des professionellen Alltags thematisiert. Die Entwicklung von Selbst­ kompetenz für den professionellen Umgang mit dem Zusammenspiel 58

Herausforderungen für die Beratung

von Person, Organisation, Adressat, Kontext und den in psychischen und sozialen Systemen wirkenden Emotionen ist kaum in die Kompetenzziele der theoriegeleiteten Module eingebunden. Ein auf unmittelbares Erleben und Probieren ausgerichtetes Lernen und Selbsterfahrung spielen nur eine randständige Rolle (Effinger, 2005b, 2015b; Geissler-Piltz, 2017). Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen sollen zwar ganzheitlich arbeiten, aber während des Studiums können sie kaum ganzheitlich lernen. Trotz Modularisierung ist das Lernen weitgehend entlang der verschiedenen Bezugswissenschaften fragmentiert. Die rationale Analyse sozialer Problemlagen im Kontext ihrer Rahmen­bedingungen einerseits und die konkrete, situationsspezifische Gestaltung und Reflexion von Hilfebeziehungen und Kommunikationsverläufen andererseits sind überwiegend getrennten Lernorten zugewiesen; hier die Seminare und Vorlesungen, dort die Praxis und Praxisreflexion. Selbstreflexives Lernen mit allen Sinnen, das sich sowohl auf abstraktes Wissen als auch auf konkrete, psycho- und organisationsdynamische Prozesse beziehen lässt, verliert an Bedeutung (Effinger, 2005b; Effinger u. Jensen, 2013). Absolventenbefragungen zeigen, dass den Absolventen frisch erworbenes, abstraktes Wissen in vielen Fällen kaum zur Bewältigung der Berufspraxis geeignet erscheint. Sicherheit gewinnen sie erst mit ihren konkreten Erfahrungen und mit der Übernahme von Verantwortung in der Praxis (Effinger, 2005a). Ein Mehr an theoretischem Wissen führt nicht zwangsläufig zur Verminderung von Ungewissheit und Unsicherheit. Manchmal entsteht sogar der gegenteilige Effekt. Die Herausforderungen für professionelles Erkennen, Entscheiden und Handeln für die Sorgearbeitenden sind auch die Herausforderungen für deren Berater und Beraterinnen. Die für beide Seiten zu klärende Frage lautet daher: Wie werde und bleibe ich trotz hoher Komplexität, innerer und äußerer Widersprüche, eigener Zweifel, paradoxer und absurder Situationen, trotz Mehrdeutigkeit oder Nichtwissen entscheidungs- und handlungsfähig? Die oben beschriebenen Problemlagen sind die Problemlagen, auf die sich Beratende im Handlungsfeld der Sozialwirtschaft besonders einstellen müssen, wenn sie Herausforderungen für die Beratung

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erfolgreich in diesem Bereich beraten wollen. Dafür ist wichtig, dass sie nicht nur über allgemeine Kommunikationskompetenzen, sondern auch über ein Wissen über die besonderen Dynamiken und Widersprüchlichkeiten sowie über die typischen Bewältigungsmuster der Mitarbeitenden in diesem Feld verfügen. Die Beratenden müssen sich mit dem Paradox auseinandersetzen, dass eine solche Beratung, will sie hilfreich sein, selbst Verunsicherung erzeugt und erzeugen muss. Nur so lassen sich auf Vermeidung ausgerichtete Bewältigungsmuster infrage stellen und verändern. So stellt sich für sie die Aufgabe, wie es ihnen mit ihren Kunden gelingen kann, ein Gleichgewicht zwischen Beharren und Verändern, zwischen Verunsicherung und Ermutigung zu ermöglichen. Von welcher Art der Widersprüche ist hier die Rede? Sind alle Gegensätze gleicher Qualität oder gibt es Unterschiede? Es kann sich beispielsweise um logische Widersprüche handeln. Sie werden zumeist als Paradoxien bezeichnet. Das sind Widersprüche auf der Ebene des Denkens, bei denen entweder nur die eine oder die andere Aussage zutreffen kann. Dennoch scheint es jenseits binärer Logik zwischen den gegensätzlichen Aussagen manchmal einen verborgenen inneren Zusammenhang zu geben. Irritationen können die Folge sein. Anders gelagert sind demgegenüber Gegensätze auf der Handlungsebene, die sich als soziale oder psychische Konflikte in Form von Dilemmata oder Zwickmühlen zeigen. Ein Individuum kann in einem gegebenen Moment nur das eine oder das andere tun. Die Entscheidung für eine Option führt zum Verlust der anderen. Entscheidung ist immer auch eine Scheidung, ein Abschied von etwas, das als gleichwertig erscheint. Das kann Stress verursachen. In sozialen Systemen lässt sich zwar eine Lösung durch Arbeitsteilung in der Organisation herbeiführen, indem dann einer dies macht und der andere das (Zwack u. Bossmann, 2017). Allerdings führt das leicht zu interpersonalen Spannungen oder sozialen Konflikten auf anderen Ebenen. Weiterhin gibt es Widersprüche oder Gegensätze in Form von Spannungen zwischen zwei unterschiedlichen Polen. Ohne dass dies 60

Herausforderungen für die Beratung

immer offensichtlich ist, verbindet auch diese Gegensätze etwas auf der Handlungsebene. Sie erzeugen Energie, die für lebende Systeme, Individuen oder Organisationen notwendig ist, um lebendig zu bleiben. Solche Spannungen können durch sehr komplexe Bezüge, Mehrdeutigkeiten und unterschiedliche Bewertungen entstehen oder durch unterschiedliche Präferenzen darüber, wie man ein Ziel erreichen möchte. Solche Spannungen sind für viele recht anstrengend und manchmal schwer auszuhalten, sie sorgen aber dafür, dass sich Personen und Organisationen ständig an verändernde Bedingungen anpassen. So kann beispielsweise Hilfe eine Form von Kontrolle sein und umgekehrt Kontrolle eine Form von Hilfe. Um ein sozialpädagogisches Ziel zu erreichen, kann oder muss man manchmal beides gleichzeitig tun: begrenzen und ermutigen. Ist zu viel oder zu wenig Spannung im System, kann es kollabieren. Es geht also darum, in konkreten Situationen auszubalancieren, wie viel von dem einen oder anderen Pol angemessen ist. Zusammenfassend könnte man von Dualismen auf der einen und von Polaritäten auf der anderen Seite sprechen. Bei den Dualismen auf der logischen und der Handlungsebene geht es um Unvereinbarkeiten im Sinne von »Entweder-oder«, bei den Polaritäten handelt es sich um gleichzeitig wirkende Kräfte, die zusammengehören, im Sinne eines »Sowohl-als-auch«. Im Folgenden schildere ich angesichts solcher Dualismen und Polaritäten unterschiedliche Strategien der Vermeidung von Ungewiss­ heit und daraus resultierender Unsicherheit, die für eine erfolgreiche und nachhaltige Bearbeitung der sozialen Problemlagen in der Sozialwirtschaft wenig geeignet erscheinen, zu Konflikten führen und so oft zum Gegenstand von Beratung werden. Dabei handelt es sich um Strategien, die zur Vermeidung unterschiedlicher Arten der Ungewissheit angewendet werden: um die Art der Ungewissheit, die durch Mehrdeutigkeit, Kontingenz oder Widersprüche im Kontext des Handlungsfeldes ausgelöst wird, also eher äußerer Natur ist sowie und um intrapersonale Formen von Ungewissheit, die auf biografisch entwickelte Handlungsmuster zurückzuführen sind. Herausforderungen für die Beratung

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3.1 Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten Bei den Organisationen der Sozialwirtschaft, insbesondere im Intermediären Bereich, geht es durchweg um Organisationen, die sich flexibel und kreativ auf die verändernden Bedarfe am Sozialmarkt einstellen müssen. Da sie vielfach über wenig ausdifferenzierte Organisationsstrukturen verfügen, in ihren Betriebsabläufen vergleichsweise gering standardisiert sind und kaum empirisch überprüfbare Wirksamkeits- und Effizienzkriterien besitzen, ist das Potenzial an Ungewissheit und Unsicherheit in diesem Bereich besonders hoch. Routineabläufe sind in der Sozialwirtschaft vergleichsweise selten. Jede Situation erfordert erneutes Kalibrieren, da die Sorgearbeiter es immer wieder mit neuen und einzigartigen Situationen zu tun haben. Diese Situationen lassen sich allenfalls auf einer höheren Abstraktionsebene nach Art des Zugangs oder der Auffälligkeit in unterscheidbare Falltypen oder Fallgruppen sortieren. So kann es sich zunächst um einen Fall von Wohnungslosigkeit oder von Kindes­ wohlgefährdung handeln. Dahinter stehen aber häufig noch ganz andere Problemlagen und Bedarfe, für die sich neue Zuständigkeiten ergeben könnten. Wenn Sorgearbeitende eine konkrete Falleinschätzung vornehmen, spielen nicht nur objektive Fakten der Lebenslage ihrer Adressaten und die Einschätzung der Rahmenbedingungen eine Rolle. Auch ihre subjektiven Filter und ihre mehr oder weniger bewussten Vermeidungsstrategien haben eine Steuerungsfunktion, die in hohem Maße die Art und Weise der Entscheidungsfindung, der Festlegung von Handlungszielen und die konkreten Handlungsschritte beeinflussen können. Neben der Bewältigung äußerer Komplexität und Unsicher­heit ist eine kompetente Bewältigung innerer Komplexität und Unsicher­heit erforderlich. Nur so ist es möglich, entscheidungsund handlungsfähig zu bleiben. Dabei ist es für die Handelnden wichtig, eine Vorstellung davon zu bekommen, was für sie kompetenzeinengende und was kompetenzerweiternde Bewältigungsstrategien sind. 62

Herausforderungen für die Beratung

Bei der Bewältigung widersprüchlicher und ungewisser Situationen, wie sie oben geschildert werden, unterscheide ich zwischen einer erkundenden und einer vermeidenden Bewältigungsstrategie. Unter einer erkundenden Bewältigungsstrategie verstehe ich ein offensives und aktives Vorgehen, verbunden mit einem neugierigen Suchen und Hinterfragen. Eine vermeidende Bewältigungsstrategie wird hier als ein eher reaktives, defensives Vermeidungsverhalten in Situationen bezeichnet, die subjektiv als mehrdeutig und unklar eingeschätzt werden und mit Gefühlen von Unsicherheit oder Angst vor unkalkulierbaren Risiken, Belastungen oder Anstrengungen verbunden sind. Das kann teilweise bewusst, teilweise auch unbewusst geschehen. Daher unterscheide ich im Folgenden zwischen verschiedenen Polen eines defensiven Vermeidungsverhaltens: Ȥ Eine rational-pragmatische Strategie beruht auf einer mehr oder minder realistischen Situationsanalyse objektiver Gegebenheiten und pragmatischer Einschätzungen über die eigenen Interventionschancen und die eigene Motivation. Die Handelnden weichen der mit dieser Situation verbundenen Herausforderung aus und tragen damit nur wenig oder gar nicht zur Lösung des anstehenden Problems bei. Den Risiken geht man aus dem Wege, weil man die damit verbundenen Belastungen für sich fürchtet oder für subjektiv als nicht zu bewältigen einschätzt. Ȥ Wenn eine handelnde Person versucht, Komplexität und Unsicherheit dadurch zu reduzieren, indem sie objektive Realitäten ausblendet oder höchst einseitig eine Dimension bzw. einen Faktor als handlungsleitend herausstellt, beispielsweise eine einseitige Parteinahme oder die Ausblendung eines Kontrollauftrages, dann nenne ich das ein emotional-simplifizierendes Vermeidungsverhalten. Emotional ist es, weil die Grundlage für ein solch vereinseitigendes bzw. simplifizierendes Verhalten im Bereich mehr oder minder gefühlter Solidarisierung mit den »Guten« oder den »Schwachen« besteht oder weil ein Bedrohungsfaktor jenseits rationaler Wahrscheinlichkeit in seiner Bedeutung besonders oder sogar nahezu phobisch herausgehoben wird (siehe Abbildung 4). Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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rational-pragmatisch

bewusst

unbewusst

emotional-simplifizierend Abbildung 4: Matrix defensiver Vermeidungsstrategien zur Komplexitätsreduktion und Bewältigung von Ungewissheit

Defensives Vermeidungsverhalten wird beispielsweise immer dann begünstigt, wenn: Ȥ über die Ursachen und Anlässe einer zu bearbeitenden Situation bzw. über die Wirksamkeit von Interventionen keine oder nur unzureichend Informationen zu Verfügung stehen; Ȥ die mit einer Entscheidung verbundenen Reaktionen und Risiken als nicht mehr kalkulierbar erscheinen; Ȥ sich die Bedeutung eines Leidens, eines Verhaltens oder einer Dynamik sozialer und kommunikativer Prozesse nicht einschätzen lässt oder entsprechende Informationen in vertretbarer Zeit kaum zu beschaffen sind; Ȥ analytisch-diagnostische Kompetenzen und methodisches Wissen fehlen und unklar ist, wie man beginnen soll und welche Ressourcen zur Verfügung stehen; Ȥ nicht klar ist, was der eigentliche Auftrag sein soll, was erlaubt und was unerlaubt oder was erforderlich, aber nicht umsetzbar ist; Ȥ in einer Organisation und bei den Sorgearbeitern Perfektions­ erwartungen existieren, die Ängste befördern, etwas »Falsches« zu tun oder nicht schnell genug zu sein; 64

Herausforderungen für die Beratung

Ȥ es in der eigenen Geschichte schon einmal solche oder ähnliche Situationen gab, die mit negativen Erfahrungen und Gefühlen einhergingen. Bei einem emotional-simplifizierenden Vermeidungsverhalten ist der emotionale gegenüber dem rationalen Anteil am Entscheidungsprozess stärker ausgeprägt, und das konkrete Verhalten wird stärker durch unbewusste, emotionale Persönlichkeitsanteile und biogra­ fische Bewältigungsmuster gesteuert. Im Einzelfall könnte man jeweilige Ausprägung des Vermeidungsverhaltens in dieser Matrix verorten. Beide Varianten des defensiven Vermeidungsverhaltens sind darauf ausgerichtet, sich vor als unangenehm oder als unlösbar erscheinenden, mit außerordentlichen Anstrengungen verbundenen oder als bedrohlich angesehenen Situationen zu schützen. Sie sollen negative Folgen für das eigene psychische, physische oder soziale Wohlbefinden vermeiden. Im Kern geht es immer um die Vermeidung von Belastungen oder Bedrohungen, die sich in Form äußerer und innerer Konflikte, oder von Ängsten und Ähnlichem zeigen. Jedem defensiven Vermeidungsverhalten liegt eine spezifische Form von Komplexitätsreduktion mit einer spezifischen Mischung aus emotionalen und rationalen Anteilen zugrunde. Dabei handelt es sich um ein dynamisches Modell, bei dem davon auszugehen ist, dass es in der einzelnen Person oder auch in einer Organisation relativ stabile Präferenzen für indi­viduelle oder kollektive Vermeidungsmuster bzw. Vermeidungs­kulturen gibt. Diese sind aber vom jeweiligen äußeren und inneren Kontext abhängig und können im Einzelfall mithilfe reflexiver Selbsterfahrungs- und Beratungsprozesse durchbrochen und verändert werden. Im Folgenden werden einige für das Handlungsfeld Sozialwirtschaft typische defensive Vermeidungsstrategien beschrieben. Es handelt sich um Verhaltensmuster, die ich in meiner langjährigen Beratungs­praxis immer wieder beobachtet habe und die häufig Anlass für eine Beratung sind. Das zuvorderst genannte Verhalten beruht stärker auf rational-pragmatischen Situationseinschätzungen Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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und Abwägungsprozessen. Das beschriebene emotional-simplifizierende Vermeidungsverhalten ist dagegen stärker in eher unbewussten und normativ geprägten Haltungen verankert. Die beschriebenen Verhaltensmuster finden sich nicht nur auf der Ebene individuellen Verhaltens der Mitarbeitenden einer Organisation. Sie sind oft Teil der gesamten Organisationskultur.

▶▶ Aussitzen und Verschieben Eine eher rational-pragmatische Form des Vermeidungsverhaltens liegt beispielsweise vor, wenn notwendige, aber unbequeme Entscheidungen ausgesessen oder verzögert werden. Um nicht von den möglichen negativen Konsequenzen einer Entscheidung beeinträchtigt zu werden, wartet man lieber so lange, bis andere eine Entscheidung getroffen haben, oder man erklärt sich für nicht zuständig und kompetent und verschiebt den Fall innerhalb einer Organisation zu vermeintlich besser qualifizierten Kollegen oder Kolleginnen oder auf die nächsthöhere Entscheidungsebene. Sollte das dann dort auch nicht zu einer Lösung führen, werden schwierige Fälle gern in andere Institutionen überwiesen, beispielsweise von einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Vor dem Hintergrund spektakulärer Fälle von Kindesmissbrauch und Kindeswohlgefahrdung wurde der öffentliche Druck durch die Verschärfung und Präzisierung gesetzlicher Bestimmungen (§ 8a SGB VIII) auf die Mitarbeitenden in der Kinder- und Jugendhilfe enorm verstärkt. Das hat einerseits zwar zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber diesem Problem geführt, andererseits aber auch Handlungsstrategien der Sorgearbeiterinnen befördert, sich vor Schuldzuweisung, Verantwortung und Strafe zu schützen. Das Schutzinteresse gegenüber der eigenen Person wiegt dann stärker als der Schutzauftrag gegenüber der Klientel. Solche Vermeidungsstrategien lassen sich auch beobachten, wenn Entscheidungen mit Mehrarbeit, negativen Sanktionen oder anderen Unannehmlich­keiten verbunden 66

Herausforderungen für die Beratung

sein könnten. Man wartet lieber ab, vermeidet unmittelbare Konfrontationen und geht möglichen unangenehmen Anforderungen aus dem Weg.

▶▶ Datenschutz vs. Transparenz und Partizipation Eine weitere bewusste Strategie des Vermeidungsverhaltens besteht häufig darin, die Transparenz der eigenen Arbeit gegenüber Kollegen und Kolleginnen, Vorgesetzten und kooperierenden Organisationen möglichst gering zu halten. Die dokumentierten Begründungen für eine Falleinschätzung und Interventionsstrategie bleiben in einem solchen Fall sehr allgemein und vage. Neben den eher begrenzt aussagefähigen Informationen in den offiziellen Dokumentations­ systemen führen manche Sorgearbeitende nur für sie selbst zugängliche, parallele Akten. Begründet wird dies gern mit ihrer Sensibilität gegenüber den Anforderungen des Datenschutzes oder den Gefahren von Etikettierungsprozessen im Rahmen psychosozialer Diagnostik. Tatsächlich führt diese intransparente Aktenführung aber teilweise dazu, dass bei der Übergabe eines Falles kein Bezug auf die vorhergehenden Erfahrungen und Einschätzungen genommen werden kann, die im Zusammenhang mit dem Fall bisher gesammelt wurden. Die Folge ist, dass sie gezwungen sind, den Prozess der Falleinschätzung von vorn zu beginnen. So wird außerdem die Mitsprache der Adressaten an den für sie relevanten Entscheidungsprozessen eingeschränkt. Es gibt auch die Variante, dass überhaupt keine oder nur rudimentäre Daten über einen Fall und den Fallverlauf angelegt werden. Dann wird gern auf fehlende Zeit, zu viel bürokratischen Aufwand und Ineffizienz der vorhandenen Systeme und Instrumente verwiesen (ARCHIV, 2014).

Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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▶▶ Mechanistisches Denken und der Glaube an die richtige Technik Gerade Berufsanfänger versuchen häufig ihrer Unsicherheit oder ihrem Nicht-Wissen dadurch zu begegnen, indem sie nach der »richtigen« Interventionsstrategie suchen. Diese Suche nach vermeintlich eindeutigen Rezepten, Konzepten, Methoden und Techniken, verbunden mit dem Glauben, man könne alles perfekt machen, lenkt leicht von Besonderheiten konkreter Fälle ab und führt oft auf die falsche Fährte. Gepaart mit einem mechanistisches Denken glauben sie, man könne Sicherheit allein durch exakte Planung gewinnen, immer das »Richtige« tun sowie immer gerecht und widerspruchsfrei handeln. Es besteht dabei das Risiko, dass dadurch dann die ganze Aufmerksamkeit auf die Einhaltung des Planes gerichtet und von den Bedürfnissen und Motiven der Adressaten und ihren inneren Widersprüchen und Widerständen abgezogen wird.

▶▶ Die Macht der Gewohnheit und »Dienst nach Vorschrift« Die Herausbildung von Gewohnheiten und Routinen im Alltag und in der Berufspraxis ist einerseits notwendig, weil das eine Form sinnvoller Komplexitätsreduktion sein kann. Andererseits kann es die Aufmerksamkeit für Veränderungen, besondere Schwächen und Stärken erheblich einschränken und dazu führen, dass man Abweichungen vom Gewohnten nicht mehr wahrnimmt oder sie sogar als störend empfindet. Ein solches Vermeidungsverhalten findet man manchmal bei Sorgearbeitern, die schon sehr lange in einer Einrichtung arbeiten und sich langsam auf das Ende ihres Berufslebens zubewegen. Mit der Ausprägung ihrer Routinen hat sich ihre Bereitschaft verringert, veränderte Problemlagen und Bedürfnisse ihrer Adressaten wahrzunehmen. Solches Verhaltensmuster dient hier und da schon mal dazu, Entscheidungen, die mit außergewöhnlichen Anstrengungen verbunden sind oder sein könnten, zu vermeiden. Dann werden Heraus­forderungen mit Hinweisen, wie »das machen wir hier immer 68

Herausforderungen für die Beratung

so«, »das hat es ja noch nie gegeben« oder »dafür bin ich nicht zuständig« abgewiesen. Hier geht also vor allem um die Vermeidung von als unnötig angesehener Anstrengung. In solchen Fällen ziehen sich diese Sorgearbeiter gern auf die Einhaltung allgemeiner Vorschriften und Regeln zurück, tun nur das, was üblich ist oder was sie glauben, was von ihnen erwartet wird. Sie machen »Dienst nach Vorschrift«. Wenn man sich nur an die üblichen Regeln hält, kann man ja nichts »falsch« machen.

▶▶ Stellvertretendes Deuten, voreiliges Handeln und die Flucht nach vorn

Die Adressaten sozialer personenbezogener Dienstleistungen kennen oft ihre eigenen Präferenzen nicht. Sie wissen oft nicht genau oder können nicht klar artikulieren, was für sie und ihre Lebens­ bewältigung im Moment gerade gut und wichtig ist. Wenn dann auch die Sorgearbeiterinnen keine eindeutigen Präferenzen haben, da sich die Bedürftigkeit und die komplexe Lebenslage ihrer Adressaten nur schwer einschätzen lassen und sie diese Ungewissheit nur schlecht aushalten können, fühlen sie sich oft berufen, eine ihnen selbst naheliegende Entscheidung stellvertretend für ihre Adressaten zu treffen. Sie treten quasi die Flucht nach vorn an. Geschieht das nicht offen, werden Konflikte über unterschiedliche Lösungswege vermieden. Hauptsache, man hat dann »etwas« getan, womit sie sich selbst und gegenüber Adressaten und Vorgesetzten legitimieren können. Sie begründen dieses Vorgehen in solchen Fällen oft damit, dass sie ja »lösungsorientiert« arbeiten. Die vorhandenen Spielräume für ein gründliches Assessment und entsprechender Hilfeplanung werden gar nicht ausgeschöpft, da sie bei diesem oder jenem Vorschlag ent­ weder den Ärger ihres Arbeitgebers, des Kostenträgers oder aber ihres Adressaten befürchten.

Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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▶▶ Verminderung kognitiver Dissonanz durch moralisierenden Dualismus

In der Beratungspraxis lässt sich oft beobachten, dass viele Sorgearbeiterinnen zur Bewältigung ihrer Handlungsunsicherheit gern auf moralisch-normative Haltungen zurückgreifen. Statt Haltung als eine Form der Sensibilisierung gegenüber den verschiedenen Deutungen und Bedeutungen eines Anliegens zu verstehen, die empathische Nähe und professionelle Distanz erfordert, solidarisieren sich manche oft unhinterfragt mit ihren Adressaten. Das gibt ihnen zwar das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, tatsächlich handelt es sich dabei aber oft nur um eine Form der Komplexitätsreduktion, bei der man Sicherheit durch einseitige Parteinahme zu gewinnen sucht. Empörung ersetzt dann Handeln. Jenseits solch pauschaler Etikettierungen fällt auf, dass dann die eigene Praxis als ein mög­licher Mitverursacher oder Beschleuniger des Problems oft ausgeblendet wird. Copray (2015, S. 98) sieht in der Reduktion auf Moral und Mora­ lität den Versuch, kognitive Dissonanz über die Einschätzung von Bedarfen einerseits und vorhandenen Ressourcen sowie konkreten Problem­lösungsmöglichkeiten andererseits zu reduzieren. Solche Haltungen, die auf einem Denken in Gruppenidentitäten beruhen, stellen eine Form der Simplifizierung dar. Bei klarer Zuordnung in Täter oder Opfer, Benachteiligte oder Mächtige, Normale oder Anormale, Gute oder Böse verschwinden nicht nur Individualität und Diversität, sondern auch individuelle Autonomie und Verantwortung aller Akteure. Der Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten wird vernebelt, Grautöne bleiben unsichtbar. Einseitig parteiliche und mora­ lisierende Haltungen können dazu dienen, von eigenen Wissens­ lücken und mangelnder Handlungskompetenz abzulenken. Sie sind anfällig dafür, Widersprüche im Handlungsauftrag, bei sich selbst und bei den Adressaten auszublenden. Wenn man Kompetenz in der Sozialwirtschaft als die Fähigkeit definiert, soziale Probleme im Kontext eines Doppelten Mandats wirksam zu bearbeiten, für dessen Bearbeitung man sich qualifiziert hat 70

Herausforderungen für die Beratung

und für die man auch zuständig ist, dann steht eine einseitig parteiliche Haltung fachlich, rechtlich und ökonomisch auf sehr wackeligen Füßen. Eine solche Rollenidentität bietet kaum konstruktive Auswege aus den handlungsfeldspezifischen Dilemmata und führt langfristig wahrscheinlich eher zum Ausstieg als zu einer gelassenen, allpartei­ lichen, pragmatischen Bewältigung der beruflich-professionellen Aufgaben mit ihren besonderen Widersprüchen.

▶▶ Konsensmythos und Verzicht auf Konfrontation Obwohl Vertrauen die Voraussetzung für ein effektives Arbeitsbündnis ist, steht bei sozialen personenbezogenen Dienstleistungen strukturbedingt – zumindest anfangs – Misstrauen im Vordergrund. So gene­rieren Triplebind, Trilemmata (vgl. Kapitel 2.4) und das Doppelte Mandat auch doppelte Angst. Statt die unterschiedlichen Interessen deutlich zu machen, tendieren Sorgearbeiterinnen manchmal dazu, die Herstellung eines Konsenses über die Handlungsziele zum Mythos zu erheben. Illouz spricht im Kontext von Paarbeziehungen von sogenannten »Äquivalenzprinzipien«, wie beispielsweise Fairness, bei denen es um die gefühlsmäßige Bewertung und Gewichtung der Handlungen des jeweiligen Gegenübers geht. (Illouz, 2016, S. 396 ff.) Solche konsensorientierten Fairnessprinzipien im Kontext sozialwirtschaftlicher Arrangements zu gewährleisten, ist jedoch ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Gegenüber ihren Adressaten entwickeln die Mitarbeitenden immer wieder Ängste, den Kontakt und das Vertrauen ihrer Adressaten zu verlieren, wenn sie deren Erwartungen nicht erfüllen oder sie beispielsweise zu sehr mit etwaigen Defiziten oder mangelnder Selbstbeteiligung konfrontieren. Konfrontation bedeutet für viele nicht nur Angst vor Beziehungs- und Anerkennungsverlust, sondern auch Angst davor, die Dynamik angesprochener Konflikte nicht beherrschen zu können. Mangelnde Bereitschaft zur Konfrontation gegenüber den Adressaten wird vielfach mit dem Hinweis begründet, Verständnis für die Situation und das Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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Handeln der Adressaten zu gewinnen und die Autonomie der Lebenspraxis ihrer Adressaten anzuerkennen. Anerkennung kann aber auch bedeuten, bestimmtes Verhalten und Handeln von Adressaten und Kollegen wertschätzend, aber unmissverständlich zu konfrontieren und damit für die eigene Klientel berechenbar zu sein und zu zeigen, dass man die Person und ihr Verhalten als Ganzes ernst nimmt. Dies wird bei einem ausgeprägt defensiven Vermeidungs­verhalten nur sehr eingeschränkt in den Hori­zont eigener Interventionsmöglichkeiten einbezogen.

▶▶ Mangelnde gesellschaftliche Anerkennung und kompensatorische Ersatzwährungen

Die relativ geringe gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit in der Sozialwirtschaft, die sich auch in einer vergleichsweise geringen Entlohnung ausdrückt, verführt viele Mitarbeitende dazu, sich ausbleibende gesellschaftliche Anerkennung von ihren Adressaten zu holen. Sie müssen es diesen recht machen, damit sie deren Anerkennung erhalten und immateriell »entlohnt« werden. Man kann das durchaus als eine verständliche, kompensatorische Ersatzreaktion auf einen gesellschaftlichen Kontext betrachten, der Sorgearbeitern, im Vergleich zu anderen Berufen und Professionen, eine adäquate Anerkennung in Form von Einkommen, Status und institutioneller Macht vorenthält. Die Anerkennung durch die Adressaten ist für viele Sorgearbeiterinnen eine wichtige Ersatzwährung.

▶▶ Machtüberhöhung, Machtverleugnung und die Illusion machtfreier Räume

In der Sozialwirtschaft gilt Empowerment, also die Bemächtigung der Adressaten, als eine unhinterfragte Handlungsmaxime. Gegenüber sich selbst scheinen dagegen viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen 72

Herausforderungen für die Beratung

von einer Art Entmächtigung auszugehen. »Keine Macht für Niemand« (Ton Steine Scherben, 1972) ist eine gängige, nahezu milieutypische Verhaltensmaxime. Teilweise existiert eine Scheu und Abneigung gegenüber Macht (Kraus u. Krieger, 2007; Staub-Bernasconi, 2010, 2007, S. 374 ff.; Herwig-Lempp, 2009; Hellerich u. White, 2011; Lindner, 2014; Messmer, 2015; Effinger, 2015b; Sagebiel u. Pankofer, 2015; Levold, 2016, S. 110 ff.). Macht wird in diesem Fall eher negativ konnotiert und grundsätzlich mit Machtmissbrauch und illegitimer Herrschaft assoziiert. Das scheint auch eine Reaktion auf die hohe Komplexität, die unklaren Grenzen und die Paradoxien hybrider und intermediärer Hilfesysteme in der Sozialwirtschaft zu sein. Sorgearbeitende negieren häufig die ihnen zur Verfügung stehenden Machtquellen und betrachten sie nicht als Ressource, sondern eher als moralisch unsauber. Sie spüren, dass Macht immer mit Asymmetrie einhergeht und glauben das Macht in Beziehungen dem von ihnen angestrebten Ideal einer dialogischen Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe zu widersprechen scheint. Dass Macht ein relationales Potenzial beinhaltet, das sich nur dann entfalten kann, wenn dieses Potenzial wechselseitig anerkannt wird und Entscheidungs- und Handlungsalternativen möglich sind (Levold, 2016, S. 112), wird gern aus­geblendet. Oft solidarisieren sich Sorgearbeiterinnen mit ihren Adressaten in einer Art Ohnmachtsrolle und verschaffen sich mit dieser Kon­ struktion eine scheinbare Eindeutigkeit. »Man äußert immer wieder neu Ärger, Wut, Kritik; man jammert immer wieder über das Gleiche, bestimmte Machtträger, menschenfeindliche Strukturen – aber das Jammern wird langsam zum Selbstzweck – es passiert nichts!« Es ist eine »jederzeit einsetzbare Strategie und Entschuldigung für die Untätigkeit« (Staub-Bernasconi, 2007, S. 403.). »Die Erklärung dieses Mechanismus geht darauf zurück, dass man den innerpsychischen Konflikt zwischen Freiheits-, Autonomiebedürfnissen und Bedürfnissen nach Schutz, Anerkennung dadurch zu lösen versucht, indem man eine Schranke zwischen sich und der Autorität setzt« (S. 403). Eine andere Form der Machtausblendung nennt Staub-­Bernasconi Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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»Idealisierte Ersetzung« (S. 403). Darunter versteht sie, wenn man über die Führungs- und Leitungskräfte schimpft und behauptet, man könne alles besser machen als diese Autoritätspersonen. Es sieht zunächst so aus, als handele es sich dabei um eine Form der Selbstaufwertung durch Abwertung anderer. Tatsächlich handelt es sich aber eher um eine Form der Selbstentmachtung und Selbstabwertung. Erhalten diese Mitarbeitenden selbst die Chance, eine Führungs­ position zu übernehmen und alles besser zu machen, wird das häufig abgelehnt. Eine weitere Form der Machtnegation bezeichnet Staub-­ Bernasconi als die »Fantasie des Verschwindens«. Damit ist gemeint, dass alles gut wäre, wenn es gar keine Macht gäbe. Die Akteure würden davon ausgehen, »dass sich Probleme von Machtstrukturen dadurch lösen, indem man ihre Repräsentanten entfernt, anstatt dass man die Regeln des Machtgebrauchs ändert, welche behindernde Machtstrukturen reproduzieren« (S. 404). Darüber hinaus zeigt sich, dass Sorgearbeiter Machtfragen gern personalisieren. Wenn etwas falsch läuft, dann liegt es an den Vorgesetzten und ihren Führungsstilen. Bürokratie und dieser zugrunde liegende Organisationsstrukturen werden eher einseitig als Formen von Macht angesehen, die effektive Hilfe eher behindern als fördern. Organisation und geschicktes Management vorhandener Ressourcen erscheinen aus dieser Perspektive nicht als Instrumente, mit denen Hilfeprozesse effektiv und effizient gesteuert werden können. So muss man sich dann auch nicht mit dieser Form von Macht auseinandersetzen.

▶▶ Allzuständigkeit und organisierte Verantwortungslosigkeit Die gern benutze Formel von der Allzuständigkeit und Ganzheitlichkeit in der Sozialen Arbeit scheint Führungskräfte und Mitarbeitende davon zu entlasten, konkrete Grenzen und Verantwortungsbereiche festzulegen, weil dies ihre Autonomie einschränken könnte. Sofern es überhaupt Stellenbeschreibungen gibt, sind diese oft sehr schwammig 74

Herausforderungen für die Beratung

oder allgemein formuliert und stellen kaum eine Grundlage für die Gestaltung des beruflichen Alltags dar. Gigerenzer (2014) nennt das »Vermeidungskultur« und meint damit defensives Entscheiden bei Angst vor der Zuweisung individueller Verantwortung, Klagen und Fehlern oder eine Konsensorientierung, die zur Nicht-Entscheidung oder zu einem Ausweichen vor Verantwortung führt.

▶▶ Moralisierung der Machtasymmetrien

und Selbstentmachtung im multiprofessionellen Kontext

Neben mangelnder Klärung der Macht- und Arbeitsbereiche in den Organisationen existieren oft erhebliche Machtasymmetrien in multi­ professionellen Teams zwischen Sorgearbeitenden, wie Sozialarbeitern und Pädagogen, auf der einen Seite sowie beispielsweise Juristen, Medizinern und Psychologen auf der anderen Seite. So werden in vielen Organisationen fall- und bedarfsbezogene Entscheidungen durch fachfremde Vorgesetzte, die aber auf einer höheren Hierarchie­ stufe stehen, mit einem Hinweis auf ihre Budgetverantwortung gekippt. Sorgearbeitende machen oft die Erfahrung, dass sie in der Regel nicht nur schlecht bezahlt sind, sondern auch, dass ihre fachlichen Entscheidungen und Empfehlungen durch fachfremde, aber besser bezahlte und höher positionierte Professionen wieder kassiert werden. Statt aber ihre vorhandenen Machtquellen pragmatisch zu nutzen, ergeben sich viele Sorgearbeitende dieser Positionsmacht und setzen dann auf die Kraft ihrer »richtigen« Moral. Wenn sie sich selbst als machtlos definieren, begeben sie sich aber in eine Art Opferhaltung. Copray (2015, S. 39 ff.) sieht in der Ablehnung von Macht eine Ablehnung der eigenen Kraft und Autonomie. Er verneint eine orientierende und problemlösende Wirkung von Moral, wenn sie nicht in ethische Reflexion über prinzipiell widersprüchliche Situationen eingebunden wird. »Wer sein Leben nicht selbst gestaltet, wird gestaltet« (S. 45). Erst im Willen zur Macht sieht er den Willen »zur Selbst­ bestimmung, zur wechselseitigen Anerkennung« (S. 46). Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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▶▶ Dualistisches Denken, fürsorgliche Enteignung und Entkontextualisierung

Eine die eigene Macht verneinende Haltung begünstigt außerdem ein dualistisches Denken, bei dem die Adressaten entweder nur ohnmächtige Opfer struktureller Brüche und Verwerfungen in der Gesellschaft oder als allein verantwortliche Täter und Täterinnen gesehen werden. Die beteiligten Akteure werden in »Gute« und »Böse« aufgeteilt. Dieser Dualismus dient dann als Raster für eine einseitige Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen oder den Adressaten. Aus der Opferrollenperspektive wird ihnen die Autonomie ihrer Lebenspraxis abgesprochen, indem ihnen diese Autonomie durch einseitige Zuschreibungen und Verweise auf ungerechte Verhältnisse sowie die dafür verantwortlichen, mächtigen Repräsentanten in Wirtschaft und Politik entzogen wird. Statt Empowerment kommt es zu einer Art fürsorglicher Enteignung. Das funktioniert hier und da auch aus einer Täterrollenperspektive. Dann wird der Kontext für die Entstehung und Aufrechterhaltung des kritisierten Verhaltens bei den Adressaten ausgeblendet, und sie werden zu Alleinschuldigen und Alleinverantwortlichen erklärt. Insbesondere beim emotional-simplifizierenden defensiven Vermeidungsverhalten handelt es sich teilweise um verständliche, aber auch um wenig produktive Reaktionen auf die besonderen Arbeitsbedingungen und Anforderungen. Ursache oder Auslöser sind nicht manifeste Charaktereigenschaften der Sorgearbeiter, sondern dieses Verhalten wird ganz wesentlich durch die strukturellen Bedingungen und systemimmanente Prozesse in Organisationen der Sozialwirtschaft begünstigt. Unproduktiv ist es immer dann, wenn es primär der Vermeidung innerpsychischer Konflikte dient, wie sie beispielsweise im Katalog der unterschiedlichsten Abwehrmechanismen beschrieben werden (König, 2007). Unproduktiv ist es auch, wenn die Lösung anstehender Aufgaben aus dem Blick gerät. Bei einem emotional-simplifizierenden defensiven Vermeidungsverhalten erfolgt eine Situationsbewertung unbewusst durch die Fixierung auf einen einzigen Aspekt, 76

Herausforderungen für die Beratung

der ein Gefühl von Sicherheit zu versprechen scheint. Dabei kann es sich um einen mit dem eigenen Wertesystem übereinstimmenden oder auch um einen entgegengesetzten Aspekt handeln. Gleichzeitig werden widersprüchliche oder relativierende Aspekte einer Person, einer Gruppe, Organisation und deren Verhalten ausgeblendet. Abstufungen, Unterschiede und Widersprüchliches in der eigenen Person oder der eigenen Gruppe werden nivelliert. Zwischentöne und eigene Widersprüche sind in dieser Strategie nicht vorgesehen und werden schlimmstenfalls tabuisiert. Da dieses Vermeidungsverhalten weitgehend dem Drehbuch unbewusster Vermeidungsstrategien oder Abwehrmechanismen entspringt ist es, im Gegensatz zu einer bewussten rational-pragmatischen Strategie, nur schwer thematisierbar, da dies selbst wieder zur Verunsicherung beitragen würde. Im Gegensatz zu einer reflexiv-erkundenden, auf Neugier und positiven Gefühlen beruhenden Bewältigungsstrategie be- oder verhindert ein defensives Vermeidungsverhalten die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen und neue Kompetenzen im Umgang mit solchen Bedrohungen zu entwickeln. Das Vermeidungsverhalten kreiert oft mehr Probleme, als es löst, und es schränkt Selbstvertrauen, Gefühle von Selbstwirksamkeit und damit Selbstkompetenz ein. Im Anschluss wende ich mich dem Verständnis und der Bedeutung von Selbstkompetenz für einen kreativen Umgang mit Ungewissheit zu. Die Ausbildung von Selbstkompetenz ist ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung von geeigneten Entscheidungs- und Handlungsstrategien. Nur dann, wenn Beratende ihre eigene Selbstkompetenz entwickeln und stärken, können sie auch ihren Adressaten helfen, Selbstkompetenz zu entwickeln.

Bewältigung von Ungewissheit durch defensives Vermeidungsverhalten

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3.2 Subjektivierendes Handeln und Selbstkompetenz als reflexive Erkundungsstrategie zur Ungewissheitsbewältigung

▶▶ Subjektivierendes Handeln Strategien zum kreativen und produktiven Umgang mit Ungewissheit liegen Situationsbewertungen zugrunde, die sowohl auf Analyse und Reflexion als auch auf unspezifischen, gefühlten Signalen beruhen. Diese Strategien bedienen sich zunächst vorhandener Theorien und empirischer Daten. Wenn aber die Grenzen rationaler Erkundung erreicht sind, greifen sie auf erfahrungsbezogenes und mehr oder minder gefühltes Wissen zurück. Grenzen der Gewissheit zeigen sich in der Praxis zumeist darin, dass nur unvollständige Informationen zur Verfügung stehen, dass die Zeit zur Informationsbeschaffung meist begrenzt ist und sich Situationen dynamisch weiterentwickeln, bevor man zu einer die Daten und Argumente abwägenden Entscheidung gekommen ist. Böhle (2017) und Neumer (2012) sprechen dann von »bounded rationality« (begrenzter Rationalität) und der Notwendigkeit »subjektivierenden Handelns«. Sie meinen damit, dass Ungewissheitssituationen von einem Einzelnen rational nicht vollständig oder nur unzureichend zu bewerten sind. Zwar kann diese Grenze durch mehrere Personen und kollektive Kompetenz erweitert, aber nicht völlig aufgehoben werden. Daher halten sie es für erforderlich, Entscheidungen auch »trotz« oder »mit« Ungewissheit zu treffen, wenn sich subjektiv eine befriedigendere Lösung andeutet. Dafür bedarf es der Nutzung von Heuristiken, Intuition und »Bauchgefühlen«, also mehr oder minder mutige Annahmen über das, was in dieser Situation als angemessen erscheint, was sich am besten anfühlt, ohne dass man immer genau weiß, woher dieses Gefühl kommt und was dahintersteckt. Solche Bauchgefühle (Gigerenzer, 2008) haben eine Kompassfunktion, sie zeigen, wo es langgehen könnte, aber nicht, ob das auch sicher zum Ziel führt. Ein solches Handeln ist ein situativ improvisiertes, von einem gefühlten Sinn 78

Herausforderungen für die Beratung

(Gendlin u. Wiltschko, 2016; Wiltschko, 2011) geleitetes Handeln. Es beruht auf einem biografisch erworbenen, weitgehend unbewussten »emotionalen Erfahrungsgedächtnis« (Roth, 2001, 2007). Etwas metaphorisch kann man es als ein verdecktes, körperlich verankertes, in »Fleisch und Blut« eingegangenes Können bezeichnen. Dieses Können besteht allerdings nicht darin, fertige Handlungspläne abzurufen, sondern darin, körperlich gespeicherte Informationen, sogenannte »somatische Marker« (Damasio, 2015, 2002, 2004, 2013) wahrzunehmen, zu decodieren und dann für die eigene Entscheidungsfindung zu nutzen. Diese somatischen Marker beruhen auf früheren Erfahrungen, die mit positiven oder nega­tiven körperlichen und emotionalen Reaktionen verbunden sind. Um mit diesen Signalen etwas Sinnvolles anfangen zu können, braucht es neben der sinnlichen Wahrnehmung Akzeptanz dafür, dass da »etwas« positiv oder negativ Bewertetes mehr oder minder diffus vorhanden ist. Es braucht aber auch ein objektivierendes Handeln, d. h. theoretisches und rationales Wissen, um das Wahrgenommene und Bewertete einordnen zu können. Rationalität und Intuition integrierende Denkprozesse sind assoziativ, analog, wenig abstrakt und von metaphorischer Gestalt. Objektivierendes und subjektivierendes Handeln sind demnach kein Gegensatzpaar, sondern Varianten in einem sich wechselseitig befruchtender Entscheidungs- und Handlungsprozess. Vor dem Hintergrund arbeitssoziologischer Studien zeigen Böhle und andere (Böhle, 2012, 2013, 2017; Böhle u. Busch, 2012; Böhle u. Weihrich, 2009, 2010; Neumer, 2012), in welchem Maße subjektivierendes Handeln (siehe Abbildung 5) in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen schon erfolgreich praktiziert wird. Die Dienste von Sorgearbeitern bezeichnet Böhle als »Interaktionsarbeit«, da ihre Kompetenz vor allem darin besteht, gute Kooperationsbeziehungen zu den Auftraggebern herstellen zu können und mit den eigenen und den Gefühlen der Kooperationspartner sowie mit den Grenzen und Unwägbarkeiten von Planung umzugehen. Andere Autoren verweisen darauf, dass die Strategie der Bekämpfung oder Vermeidung von Unsicherheit durch rein rationale StrateSubjektivierendes Handeln und Selbstkompetenz

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Herausforderungen für die Beratung

Sinnliche Wahrnehmung

Exaktes, objektives Registrieren

Beziehung

Distanziert, sachlich, affektiv-neutral

Persönlich, Nähe, Einheit

Assoziativ, wahrnehmungsgeleitet, bildhaft, verhaltens- und erlebnisbezogen, nachvollziehbar

Fließend. dialogisch-oxplorativ und -interaktiv Spürende, sinnliche Wahrnehmung, Sinneserfahrungen und -empfindungen

Abbildung 5: Objektivierendes und subjektivierendes Handeln (Böhle, 2017, S. 32) . Springer Nature: Subjektivierendes Handeln – Anstöße und Grundlagen. Hrsg. v. Fritz Böhle © 2017

Denken

Formalisierbares, kategoriales (Fach-) Wissen, logisch-formal, analytisch

Arbeitshandeln

Vorgehensweise

Subjektivierendes Handeln

Planungsgeleitet,Trennung von ­Planung und Ausführung

Objektivierendes Handeln

gien oder durch defensives Vermeidungsverhalten leicht zur Einschränkung von Kreativität und zur Erstarrung führt. Wer sich nur bemüht, Überraschungen und Ungewissheiten zu vermeiden, wird leicht zum »Totengräber für Kreativität und Veränderung« (Kriz, 2011). Wer kreativ sein will, sollte daher »das Ambivalente erkunden« (Lüscher, 2013) und »Ratlosigkeit als Ressource« (Conen, 2008) betrachten oder »Kom­ plexität gestalten« (Kleve, 2016). »Entscheidungen sind genau dann nötig, wenn gute Gründe fehlen«, schreibt Ortmann (2011, S. 11). In eine ähnliche Richtung argumentieren Moch (2014, 2015) und Preis (2013) für die Soziale Arbeit. Es geht also darum, bei schwer oder nicht zu durchschauender Komplexität und Ambiguität, sich auf bekannte und erforschte aber auch auf gefühlte, als bedeutsam empfundene Merkmale zu konzentrieren, um nicht in Entscheidungsstarre oder defensives Vermeidungsverhalten zu verfallen. Subjektivierendes Handeln ist erforderlich, wo Wissen fehlt und man mit Ratio und Logik nicht weiterkommt. Kluge Entscheidungen und kompetentes Handeln von Sorgearbeitenden beruhen danach auf einer selbstreflexiven Integration von Verstand und Gefühl (Gieseke, 2009; Fröse, Kaudela-­Baum u. Dievernich, 2015). Für Beraterinnen und Berater stellt sich somit die Frage, wie sie ihre Kunden dabei unterstützen können, einen reflexiven Zugang zu solchen biografisch gewachsenen, meist unbewussten Verhaltensmustern zu finden und wie sie dieses Wissen für die Gestaltung ihrer professionellen Hilfebeziehungen nutzen könnten.

▶▶ Selbstkompetenz Zum besseren Verständnis des folgenden Argumentationsganges sei zunächst auf das hier zugrunde liegende Verständnis von Kompetenz im professionell-beruflichen Kontext verwiesen. Im Allgemeinen versteht man unter Handlungskompetenz die Fähigkeit zur sach­gerechten und ethisch verantwortbaren Bewältigung komplexer Anforderungen. Ohne dass sich die Bereiche immer präzise voneinander trennen lassen, kann man Handlungskompetenz in die BereiSubjektivierendes Handeln und Selbstkompetenz

81

che Fachkompetenz auf der einen und personale Kompetenz auf der anderen Seite unterteilen (DGSv, 2017, 16 ff.). Zur Fachkompetenz zählen vor allem jene Kenntnisse und Fertigkeiten, die sich auf das Vorhandensein oder den Zugang zu entsprechendem Fachwissen und fachspezifische Fertigkeiten in der Umsetzung und Anwendung von Methoden und Techniken zeigen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Fachkompetenz ist die Fähigkeit, die Dynamiken zirkulärer Prozesse in sozialen Systemen zu verstehen und beeinflussen zu können (Schreiber, 2013). Mit Blick auf die damit verbundenen Herausforderungen für die Handlungskompetenzen in der Sozialwirtschaft hat Heiner (2010a) einen Bewertungs- und Entscheidungsrahmen entwickelt, welcher den strukturellen Besonderheiten dieses Handlungsfeldes Rechnung trägt. Damit schlägt sie eine Brücke zwischen systemtheoretischen und interaktionis­tischen Handlungstheorien, in denen das Funktionieren sozialer Systeme und deren Wandel nicht allein auf die von Individuen unabhängige Selbstorganisation oder Autopoiesis zurückgeführt werden. In Heiners relativem Konstruktivismus spielen individuelle Akteure, deren konkretes Handeln und die dahinterstehenden Motive, ihr Wille, aber auch ihre Widersprüchlichkeit eine bedeutende Rolle (Heiner, 2010a, 39 f.). Handeln in diesem Feld erfordert demnach eine »angemessene Positionierung« zwischen den »Polen möglicher Interventionen« (S. 430). Diese Pole beziehen sich auf für dieses Feld typische und konstitutive Merkmale, wie sie in Kapitel 2 beschrieben werden. Der konstruktive Umgang mit diesen Polaritäten stellt für Maja Heiner die »zentrale berufliche Anforderung und Fähigkeit« in diesem Handlungsfeld dar. Die Polaritäten und darauf bezogene Anforderungen fasst sie in sechs Gruppen zusammen: Ȥ In der ersten Gruppe geht es um »reflektierte Parteilichkeit und hilfreiche Kontrolle«. Darunter versteht sie beispielsweise das Ausbalancieren zwischen Selbst- und Fremdbestimmung oder das Verhältnis von Anreiz und Druck. Ȥ Die zweite Gruppe fokussiert auf die Entwicklung von Zielen, die herausfordernd, aber auch realistisch sein müssen. 82

Herausforderungen für die Beratung

Ȥ Zur dritten Gruppe gehört die Beziehungsgestaltung, wie der ausgewogene Umgang mit Nähe und Distanz oder die Verteilung von Selbst- und Fremdverantwortung. Ȥ In der vierten Gruppe steht die Kooperation mit anderen Berufen und Professionen im Vordergrund. Da geht es beispielsweise um die Frage nach dem Verhältnis von Arbeitsteilung, Spezialisierung oder von Aufgabenerledigung und -delegation. Ȥ Zur fünften Gruppe zählt sie den Umgang mit dem Gemeinwohl und dem Organisationsinteresse oder die Gewichtung von Innovation und Konsolidierung. Ȥ Zur letzten Gruppe gehören die Deutungsmuster und beispielsweise Fragen nach dem Verhältnis von linearen und zirkulären Erklärungsmustern oder die Frage, inwieweit problemverursachende Faktoren auf die beteiligten Personen oder die Bedingungen bezogen werden können. Wesentlich ist, dass Heiner nicht versucht, die Widersprüche des Handlungsfeldes quasi simplifizierend oder deduktiv aufzulösen und scheinbar eindeutige Regeln zu benennen. Ihr Handlungskompetenzmodell ist darauf ausgerichtet, mit den nicht auflösbaren Merkmalen und den daraus erfolgenden Ungewissheiten und Unsicherheiten konstruktiv umzugehen. Es geht also nicht um ein dualistisches Entweder-oder, sondern um die Kompetenz, im Modus von Sowohl-als-auch zu agieren. Dabei sind Werteorientierungen in ein situationsbezogenes und rational-pragmatisches Interventions- oder Handlungskonzept einzubinden. Neben dem Vorhandensein besonderer Fähigkeiten zur Bearbeitung und Bewältigung einer als problematisch bzw. veränderungswürdig angesehenen Situation, bei der auf Wissen (Theorien), Können (Methoden) und Haltung (normative Systeme) zurückgegriffen wird, gehört dazu immer auch ein Auftrag oder eine Zuständigkeit. Erst durch einen legitimen Handlungsauftrag im Sinne von Berechtigung und Verpflichtung (Heiner, 2010b, S. 52) wird aus allgemein vorhandenen Kompetenzen Handlungskompetenz. Die Frage nach der ZuSubjektivierendes Handeln und Selbstkompetenz

83

ständigkeit hat in der Beratung immer eine doppelte Bedeutung. Sie ist wichtig für die zu beratenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber genauso für die Beratenden selbst. Insofern ist Auftragsklärung zum Beginn und während des Auftrages ein immerwährender Fokus im Beratungsprozess. Um solche Situationen und Prozesse sinnvoll und effektiv bewältigen zu können, benötigen Sorgearbeiter neben der Fach­kompetenz vor allem auch personale Kompetenzen, wie die Fähigkeit zum re­flexiven Umgang mit sich selbst und dem eigenen emotionalen Erleben. Teilweise wird diese Kompetenz gleichbedeutend auch als Kompetenz zur Selbststeuerung, Selbstregulation oder zum Selbst­management bezeichnet. Darunter fällt auch die Fähigkeit zur Mentalisierung. Hierbei versetzt man sich nicht nur in das Verhalten eines Gegenübers, sondern bezieht dessen Verhalten auch auf die eigene Überzeugun�gen, Gefühle, Einstellungen und Wünsche. Man reflektiert das eigene Erleben und Handeln im Kontext der eigenen Geschichte und in seiner Wirkung gegenüber anderen Menschen (Fonagy, Gergely, Jurist u. Target, 2017). Diese Kom­petenzen werden aber erst zu Handlungskompetenzen, wenn sie zum beruflich-­professionellen Handwerkszeug gehören und es gelingt, diese Kompetenzen zielführend als Performanz einzusetzen. Mit Handlungskompetenz ist also zunächst nur ein Potenzial gemeint, das sich erst in konkreter Praxis entfalten muss.

3.3 Das Selbst als regulative Instanz – eine persönlichkeitstheoretische Rahmung Das Wort »Selbst« wird sowohl im Alltag als auch in wissenschaftlichen Diskursen gebraucht – oft in Wortverbindungen wie »selbstständig«, »selbstorganisiert« »selbstlos« und »selbstverständlich« oder Ähnlichem. Gleichwohl ist dieses »Selbst« weder im alltäglichen noch im wissenschaftlichen Diskurs klar oder einheitlich bestimmt. In Anlehnung an die komplexe Theorie »Persönlichkeit-System-Interaktionen« (PSI) von Kuhl verstehe ich das Selbst als »die höchste Stufe der 84

Herausforderungen für die Beratung

Integration persönlich relevanter Bedürfnisse und Werte bis hin zu überpersönlichen (kulturellen und moralischen) Werten. […] Auf der Ebene des Selbst sind alle wichtigen Bedürfnisse, Gefühle und Anliegen (eigene und fremde) in einem integrierten Netzwerk simultan abrufbar« (Kuhl, 2010, S. 293, 549). Es handelt sich um eine Art »überbewusste Intelligenz«, die »alle persönlich relevanten Erfahrungen auswertet und bei Entscheidungen simultan verfügbar macht« (S. 413). Es geht insbesondere um das Verhältnis zwischen Verstand und Gefühl. Im »Zürcher Ressourcen Modell« (ZRM) unterscheiden Storch und Krause (2014) ein bewusstes und ein unbewusstes Selbstsystem. Das bewusste Selbstsystem bezeichnen sie mit dem Begriff »Verstand«. Das ist eine Instanz, die Informationen aus der Umwelt und der Innenwelt auf- bzw. wahrnimmt und versucht, diese vor dem Hintergrund sowohl biografischer als auch situativer Erlebnisse und Erfahrungen rational zu bewerten. Es dient dazu, Unangenehmes, Unerlaubtes oder Unberechenbares zu moderieren und zu kontrollieren. Das ZRM ist darauf ausgerichtet, bewussten Verstand und unbewusste Gefühle8 nicht als ein sich bekämpfendes Gegensatzpaar, sondern als ein ganzheitliches, zirkuläres System der Selbstregulation zu betrachten (Storch u. Krause, 2014, S. 112 ff.). Verstand und Gefühl stellen demnach sich ergänzende Bewertungssysteme dar. In Anlehnung an dieses Modell lässt sich das in etwa wie in Tabelle 2 darstellen.

8 Ich subsumiere Emotion und Affekt etwas vereinfachend unter dem Begriff Gefühl. Eine Darlegung des gegensätzlichen Diskurses über das Verhältnis von Emotion und Affekt würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Storch und Tschacher (2016, S. 36 ff.) haben sich für Affekt als Oberbegriff entschieden und sprechen daher auch von Affektregulation, wenn es um die Regulation weitgehend unbewusster und mit Emotionen und Körperreaktionen verbundener Impulse geht. Das Selbst als regulative Instanz

85

Tabelle 2: Bewertungssysteme des Selbst9 Kriterium/System

Verstand

Gefühl

Basis der Verarbeitung

Gedanken und objektive Daten

Gefühle, subjektive Eindrücke

Wahrnehmung und Verarbeitung externer und interner Informationen

binäre Logik, Theorie, Normativität, Überzeugungen (Moral) und Rationalität, analytisch-fragmentiertes Denken

Affekte und Emotionen wie somatische Marker und emotionales Erfahrungsgedächtnis, Wohlbefinden, gefühlter Sinn, analoges und kohärentes Fühlen

Funktion

Selbstkontrolle, Selbstdisziplinierung

Aufmerksamkeit schaffen schnelle Reaktionen ermöglichen

Filtern und Ausschaltung von Bedürfnissen, Motiven und »Störungen« Tempo und Modus der Verarbeitung

–– langsam –– ab und an

–– schnell –– ständig

Charakter der inneren Kommunikation

–– –– –– –– ––

monosemantisch spezifisch verbal, kausal-linear sequenziell digital (Wenn-dann) objektivierte und voneinander abgegrenzte Begriffe und Kategorien –– bewusst

–– –– –– –– ––

Prüfkriterien der Bewertung

–– richtig oder falsch –– geordnet oder ungeordnet –– erlaubt oder unerlaubt

–– mag ich oder mag ich nicht –– spricht mich an oder interessiert mich nicht

–– nützlich oder unnütz –– sicher oder unsicher –– verstanden

–– spannend oder langweilig –– gefühlt

Bewertungs­ charakter

–– relativ stabil und kontextunabhängig –– verlässlich und relativ berechenbar, bei gleichen Kriterien immer gleich

–– relativ variabel und kontextaffirmativ –– temporär unterschiedlich und relativ unbe­rechenbar; mal so, mal so, stimmungsabhängig

Zeithorizont

–– Zukunft

–– Gegenwart

polysemantisch unspezifisch diffus und zirkulär seriell und parallel analog (Sowohl-als-auch) subjektive Bedeutungen

–– unbewusst

9 Angeregt nach einer Vorlage von Giovanna Eilers mit Bezug auf Storch und Krause (2014, S. 113). 86

Herausforderungen für die Beratung

Bruggmann (2017) spricht mit Bezug auf die Kuhl’sche Theorie von »analytischer Kompetenz« des Verstandes und von »intuitiver Intelligenz« des Gefühls. Hier wird Kognition nicht auf bewusste, rational-pragmatische Bewertungs- und Entscheidungsprozesse reduziert. Kognition wird verstanden als ein teilweise analytischer, teilweise intuitiver Prozess der Verarbeitung von Signalen aus der Umwelt und dem bio-psychischen System. Diese Form der Selbststeuerung ist mehr als nur ein bewusster, rational gesteuerter Prozess. Zur Kognition gehört die Sensibilität gegenüber positiv oder negativ empfundenen Emotionen und körperlichen Sensationen. Ohne die Ursachen und die Geschichte dieser Signale in Form positiv oder negativ empfundener Gefühle bzw. körperlicher Ver- oder Entspannung zu kennen, werden diese Signale in komplexen Situationen bewertet. So bereiten sie konkrete Entscheidungen und Handlungen vor. Handelt es sich um Situationen, die schnelle Entscheidungen und Reaktionen erfordern, wie beispielsweise bei drohender Gefahr, erfolgt eine Handlung reflexartig und automatisch, praktisch »wie vom Selbst«. Solche Selbstkompetenz kann erworben und trainiert werden. Um auch in komplexen und stark von widersprüchlichen Einschätzungen und Gefühlen geprägten Situationen erfolgreich zu sein, reicht es also in aller Regel nicht aus, sich rationale Ziele zu setzen. Werden Gefühle, wie Ängste oder Widerstand und verborgene Bedürfnisse und Motivationen, ausgeblendet, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Dass rein rationale Zielsetzungen, wie beispielsweise nach der S.M.A.R.T.-Methode, nur dann funktionieren, wenn diese Zielsetzungen nicht nur spezifisch, messbar, akzeptabel, realistisch und terminiert formuliert sind, sondern auch eine emotionale bzw. motivationale Verankerung haben, zeigen vielfältige Erfahrungen in der Sozialen Arbeit (Göckler, 2015). Dabei stellt sich die Frage, ob und wie oder was wir willentlich steuern können. Ein Wollen setzt ja voraus, dass ich ein ungestilltes Bedürfnis spüre, es identifizieren kann und gewillt bin und entscheiden kann, dieses Bedürfnis in einer bestimmten Art und Weise zu befriedigen. So wird aus einem Bedürfnis ein Motiv und schließlich Das Selbst als regulative Instanz

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ein Plan, von dem ich eine Befriedigung meines ungestillten Bedürfnisses erwarte. Nun wird in letzter Zeit immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit ein solcher Wille auch ein freier Wille ist, oder ob wir besser davon ausgehen sollten, dass es sich dabei um eine Fiktion handelt, die mit den realen innerpsychischen und neurologischen Entscheidungsprozessen nichts zu tun hat. Danach würden bereits vor unseren bewussten Entscheidungen in unserem stammesgeschichtlich älteren, limbischen System unbewusst Vorentscheidungen getroffen, die wir dann nur noch im Nachhinein begründen (Schrom, 2017). Und demgemäß wären wir nicht mehr für unsere Entscheidungen und unser Handeln in Verantwortung zu ziehen. Unser Rechts- und Moralsystem stünde zur Disposition. Ich gehe hier von der Annahme aus, dass der freie Wille eine pragmatische Konstruktion ist, mit der Handlungen gemeint sind, die sich auf individuelle Entscheidungen beziehen lassen, die nicht im Affekt unter Umgehung oder Ausschaltung des Bewusstseins getroffen werden und bei denen es ganz offensichtlich Entscheidungsund Handlungsalternativen gibt. Menschen treffen ständig Entscheidungen – nicht nur in komplexen Situationen –, um Aufgaben zu erledigen, die nicht durch Routine oder automatisch abrufbare Verhaltensmuster getroffen oder gelöst werden können. Wenn mir beispielsweise bei der Wahl zwischen einem roten oder gelben Pullover emotional gefärbte Impulse die eine oder andere Wahl zu präferieren scheinen, liegt es im Bereich meiner individuellen Möglichkeit, zu reflektieren, ob solche diffusen Präferenzen mit den äußeren und inneren Werten sowie Normen übereinstimmen oder nicht. Angenommen, ich habe Zeit und muss nicht sofort entscheiden. Ich kann prüfen, ob es diesem System egal ist, ob ich mich für Rot oder Gelb entscheide. So könnte mein limbisches System zwar einen roten Pulli präferieren, in meinem sozialen Umfeld würde der aber nicht gern gesehen. Meiner Umwelt ist es auch nicht egal, ob ich einen Pullover stehle oder bezahle. Über diesen normativen Kontext wird mir mein limbisches System vermutlich nur wenig verraten, es sei denn, Stehlen übt einen pathologisch-zwanghaften kleptomanischen Reiz 88

Herausforderungen für die Beratung

auf mich aus, der biografisch verankert ist. Das wiederum könnte ich dann wahrnehmen, reflektieren und mich gegebenenfalls für eine Therapie entscheiden, bevor mir ein Richter eine Zwangsmaßnahme verordnet. Wenn Martin Luther 1521 vor dem Reichstag in Worms zur Verteidigung seiner Thesen gesagt hat: »Hier stehe ich und kann nicht anders«, dann beschreibt er damit keine Einschränkung seiner Willensfreiheit im neurobiologischen Sinne. Er sieht die Ursache nicht in unbewussten Präferenzen seines limbischen Systems, sondern in seiner inneren Entscheidung, seiner durch kognitive Prozesse gewonnenen Überzeugung zu folgen. Dafür will er – vielleicht auch gegen seine eigenen Ängste – Verantwortung gegenüber sich selbst, vor seinen Richtern und vor allem gegenüber seiner normativ höheren Instanz, seinem Gott, übernehmen und für die damit verbundenen Konsequenzen geradestehen. Im Sinne existenzialistischer Philosophie und eines humanistischen Menschenbildes haben Menschen immer die Wahl zwischen mindestens zwei Alternativen, auch dann, wenn nicht alle Alternativen bewusst sind oder unbewusste Prozesse zur Präferenz der einen oder anderen Alternative beitragen. Jeder Fallschirmspringer verspürt auch Angst vor seinem Sprung und stürzt sich trotzdem in die Tiefe. Es ist seine Entscheidung, und er trägt dafür die Verantwortung. Wo die Freiheit der Wahl oder die Grenze zwischen Freiheit und Zwang liegt, wo also jeweils das eine endet und das andere beginnt, lässt sich außerhalb eines Gerichtsaals, pragmatisch betrachtet, nur in einem reflexiv-dialogischen (Beratungs-) Prozess herausfinden. Entscheidungssituationen sind immer situationsspezifisch. Dabei gilt es zu bewerten, welche Situation bzw. welche Entscheidung mit Lust oder mit Last verbunden ist. Es gilt abzuwägen, welche Entscheidung mehr Freude und Wohlbefinden auslösen könnte und welche eher Anstrengung oder Angst. Vereinfacht lässt sich das etwa wie in Abbildung 6 darstellen.

Das Selbst als regulative Instanz

89

Interner Kontext  Biografie und psychisches System Bedürfnisse und Motive sowie bewusste und unbewusste biografische Erfahrungen und deren Verankerung z. B. als: –– somatische Marker im emotionalen Erfahrungsgedächtnis –– Dispositionen für bestimmte Vorlieben, Bewältigungsmuster (Antreiber, Muster, Skript u. ä.) –– psychische Konflikte (Ambivalenzen, Dilemmata) –– Haltungen wie z. B. Hedonismus oder Altruismus, Anpassung oder Widerstand –– Alltagstheorien, persönliche Überzeugungen, Ethik –– Selbstbilder und Selbstwirksamkeitserwartungen

+ Situation A stärker biografisch-­ geprägt, interner Kontext Situation B stärker situativ geprägt, externer Kontext

+

− Externer Kontext

Umwelt und soziale Systeme Situative Anforderungen und deren Einfluss z. B. durch: –– Rollen, Positionen, Interessen, Machtverteilung –– Grad der Inklusion oder Exklusion –– Soziale Konflikte –– Belohnungs- und Bestrafungssysteme –– Stärke der Anerkennung und Resonanz –– Fremderwartungen: Sollen, Moral, Normen und Verhaltenskodizes

Abbildung 6: Der Einfluss innerer und äußerer Kontexte bei individuellen Entscheidungssituationen

90

Herausforderungen für die Beratung

Um Entscheidungen vorzubereiten oder bereits getroffene Entscheidungen zu verstehen, ist es wichtig, einzuschätzen, inwiefern Entscheidungen stärker von außen, aus der Umwelt und sozialen Systemen, oder stärker von innen durch Überzeugungen, biografische Muster und Impulsen aus dem psychischen System beeinflusst bzw. (mit-)bestimmt werden. In der Vertikalen kommen beispielsweise biografisch ausgeprägte Muster als rationale und emotionale Bewertungs- oder Bedeutungssysteme, wie beispielsweise Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene oder Projektionen stärker zum Tragen. Jede aktuelle Situation wird durch diese gefiltert. Auf der Horizontalen wirken gegenwärtige Kräfte aus der Umwelt im Hier und Jetzt. Auch diese werden vom psychischen System im Hinblick auf ihre Bedeutung für den internen Kontext gefiltert und bewertet. Je nach Stärke der jeweiligen Einflüsse lässt sich dann ein Verhalten als stärker aus dem psychischen System oder stärker aus dem sozialen System beeinflusst erklären. So könnten dann Beratungsanliegen je nach ihrer inneren oder äußeren Relevanz stärker auf biografische Fragen und individuelle Bewältigungsstrategien oder aber auf strukturelle Fragen in Gesellschaft, Handlungsfeld und Organisation gewichtet und ausgerichtet werden. Für den Beratungsprozess kommt es somit darauf an, herauszufiltern, welche Dynamiken in der Umwelt und welche im subjektiven Bewertungssystem die persönlichen Bewältigungs- und Interventionsstrategien begünstigen.

3.4  Elemente entwickelter Selbstkompetenz Im Folgenden skizziere ich kurz besondere Elemente, die eine entwickelte Selbstkompetenz auszeichnen.

▶▶ Risikokompetenz Beratung bedeutet, Sicherheit in der Unsicherheit zu vermitteln. Das erfordert von den Beratenden und ihren Kunden gleichermaßen Mut Elemente entwickelter Selbstkompetenz

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zum Risiko. Risikokompetenz (Gigerenzer, 2014) ist die Fähigkeit, situations­spezifisch sowohl auf Basis objektiver, verfügbarer Daten und rationaler Risikoabschätzung als auch auf Basis subjektiver Handlungsimpulse bei nicht kalkulierbaren Risiken zu handeln. Es ist die Fähigkeit, gleichzeitig objektivierend als auch subjektivierend zu handeln (Böhle) und gleichzeitig seine analytische und intuitive Intelligenz (Persönlichkeit-System-Interaktionen: PSI) zu nutzen. Beim objektivierenden Handeln oder der analytischen Intelligenz werden verfügbare Daten und Wissen über die objektive Evidenz einer Situation kritisch bewertet und Wissen über psychologische Faktoren, die Auslöser von Ängsten, Aggression oder defensivem Vermeidungsverhalten sein können, berücksichtigt. Das subjektivierende Handeln oder die intuitive Intelligenz hilft in Situationen, die man nicht berechnen kann, in denen kein statistisches Wissen und keine objektive Evidenz zur Verfügung stehen, auf Basis subjektiver Gefühle und Bedeutungen handlungsfähig zu bleiben. Es ist die Kompetenz, sich bei Entscheidungen unter Unsicherheit auf das Wesentliche oder bisher Bewährte zu konzentrieren und den Rest zu ignorieren.

▶▶ Bewusstsein eigener Macht Zur Selbstkompetenz gehört ein bewusster und konstruktiver Umgang mit Macht. Ein Selbstbewusstsein über die eigenen Potenziale und Machtquellen ist eine entscheidende Voraussetzung zum konstruktiven und pragmatischen Umgang mit Ungewissheit und Unsicherheit. Krieger beschreibt fünf verschiedene Machtquellen, welche für eine wirksame Praxis genutzt werden sollten. Dazu zählen bei ihm »physische Macht oder Aktionsmacht« und Charisma, auf die Verfügung über Ressourcen begründete »ökonomische oder instrumentelle Macht«, auf Vertrauen beruhende »autoritative oder affektiv begründete Macht (Beziehungsmacht)«, auf Rollen und daran gebundene Rechte und Pflichten beruhende »positionale oder organisatorische Macht« sowie »wissensmäßige oder datensetzende Macht« (Krieger, 92

Herausforderungen für die Beratung

2007, S. 37). Staub-Bernasconi erwähnt außerdem Artikulationsmacht und Wissen als Machtquellen (Staub-Bernasconi, 2007, S. 405 ff.). Um diese Machtquellen zu nutzen, sollten die Sorgearbeiterinnen ein positives Verhältnis zum Machtgebrauch entwickeln. Die Sensibilisierung für die negativen und positiven Aspekte der Macht, insbesondere die Anerkennung, dass Macht nicht nur ein Mittel der Herrschaft oder des Missbrauchs sein kann, sondern zunächst die Voraussetzung dafür ist, Veränderungen zu bewirken – egal auf welcher Ebene – erleichtert ihnen möglicherweise auch das Verständnis für und angemessene Reaktionen auf Situationen von Machtmissbrauch und Ohnmacht. Die Differenzierung zwischen verschiedenen Formen der Macht und des Machtgebrauchs, ihre Identifikation und Dechiffrierung und die Fähigkeit dazu, sich vorhandene Machtquellen erschließen zu können, sind wichtige Voraussetzungen dafür, pragmatisch zu klären, was geht und was nicht, und somit wirksam zu unterscheiden und zu entscheiden und zu handeln.

▶▶ Humorkompetenz – wichtig nicht nur für Beratende Der Humorkompetenz kommt in allen Lebenslagen und insbesondere in sozialen personenbezogenen Dienstleistungen, egal auf welcher Stufe und mit welcher Qualifikation, eine übergreifende Bedeutung zu. Humor sorgt als Kommunikationsmedium und Elixier für Selbstschutz und Resilienz im beruflichen Alltag. Humorkompetenz lässt sich als Haltung zur Gelassenheit beschreiben. Humorkompetente Menschen sind Menschen mit einer positiven und ressourcen- oder stärkenorientierten Welt- und Selbstsicht. Grundlage bilden Menschenbilder und Wertesysteme, denen jeglicher Dogmatismus fremd ist. Humorkompetent zu sein bedeutet, neugierig zu sein, eigene Wahrnehmungen und Interpretationen ernst zu nehmen und gleichzeitig daran zu zweifeln. Humorvolle Menschen wissen, dass Wahrgenommenes immer nur etwas ist, was man subjektiv für wahr annimmt, objektiv oder intersubjektiv auch mehrere oder andere Bedeutungen Elemente entwickelter Selbstkompetenz

93

haben kann. Humorkompetente Menschen sind in dieser Hinsicht mutig und vorsichtig zugleich. Sie erkennen und anerkennen die Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens und betrachten sie als eine weitere (Macht-)Quelle, die für das eigene Leben und Überleben kreativ genutzt werden kann. Ambiguitätsakzeptanz und Ambivalenzkompetenz10 gegenüber Positionen und Handlungen, die man selbst nicht teilt und eine gelassene Einstellung gegenüber Unordentlichem und Unfertigem, sind herausragende Merkmale dieser Selbstkompetenz. Das muss keinesfalls bedeuteten, die Dinge, die einen ärgern, so zu lassen, wie sie sind. Gelassenheit erleichtert es, sich selbst und andere im Bemühen um Lösungen – auch wenn sie scheitern – zu sehen und zu würdigen. So kann man leichter auf Dinge hinweisen, die man bei anderen als problematisch ansieht oder von diesen bei einem selbst als problematisch angesehen werden. Humorkompetenz bedeutet für Berater und Beraterinnen, die Fähigkeit zu haben, zu konfrontieren, ohne zu verletzen. Humorkompetente Menschen haben – trotz Unsicherheit über ihre Interventionen – keine Scheu vor Konflikten. Eine »Liebe zur Mehrdeutigkeit« (Effinger, 2008, S. 17 ff.) als ein Kern der beraterischen Selbstkompetenz erleichtert es, den Beratenden offene Fragen zu stellen, sie vor gut gemeinten aber ungewollten Ratschlägen zu schützen und ihnen dabei zu helfen, für sich möglichst angemessene und selbstverantwortbare Entscheidungen zu treffen. Humorkompetente Interventionen stellen eine Art Reframing dar, das es den zu Beratenden ermöglicht, selbst zu entscheiden, welche Deutung einer schwierigen Situation oder eines schwierigen Verhaltens subjektiv die angemessene ist. Humorkompetenz besteht darin, spielerisch mit Mehrdeutigkeit, Abweichung und Widerstand umzugehen. Humorkompetente Beratende wissen, dass es Eindeutigkeit allenfalls theoretisch oder nur in einem kurzen Moment der Umsetzung einer Entscheidung geben kann. Danach beginnt das Spiel von vorn. Nicht jede Handlung passt zur 10 Ich spreche lieber von Ambiguitätsakzeptanz und Ambivalenzkompetenz als von Ambiguitäts- und Ambivalenztoleranz. Es geht darum, Mehrdeutigkeiten zu akzeptieren und zu nutzen und nicht darum, sie bloß zu erdulden. Mit Zweifeln und Dilemmata umzugehen, ist Teil von Selbstkompetenz (Effinger, 2012). 94

Herausforderungen für die Beratung

vorhergehenden Entscheidung oder führt zu dem gewünschten Ziel. Manchmal ist es geradezu das Gegenteil von dem, was man eigentlich wollte. Humorkompetenz ist die Kunst, zwischen Achtsamkeit und Gelassenheit ein fließendes Gleichgewicht zu halten. Humor als Kommunikationsmedium ermöglicht spielerische Erkundungen von humanen Formen des Zusammenlebens. Humorkompetente Menschen können Widersprüchliches in der Welt und bei sich als mögliche Quelle der Erweiterung von Handlungsoptionen und als Bereicherung für das eigene Fühlen, Denken und Handeln identifizieren und gegebenenfalls nutzen. Ein Lachen kann soziale und psychische Blockaden abbauen und vielleicht sogar auflösen. Humorkompetente Menschen relativieren ihr eigenes Handeln. Im souveränen Umgang mit eigenen Unzulänglichkeiten stärken und relativieren sie ihre Autorität und werden so für andere kritisierbar. Humorkompetenz ist also sowohl Teil personaler Selbstkompetenz als auch Teil sozialer Kompetenz. Man überschreitet die Grenzen rationaler Bewertung und macht sich die Un­ differen­ziertheit emotionaler Signale und nonverbaler Kommunikation (Mimik, Gestik, Körperausdruck) in kreativer Weise zu eigen. Entgegen landläufiger Ansicht ist diese Fähigkeit erlernbar (Titze u. Patsch, 2004; Zeichhardt, 2009; Czarny, 2016; Sonnenschmidt u. Titze, 2016). Erfolgreich handelnde Menschen benötigen neben einer pragmatischen Grundhaltung einen skeptischen Optimismus oder eine »heitere Skepsis« (W. Schmidt, zit. nach Kuhl, 2017, S. 20). Mit dieser Grundhaltung werden die Widersprüche des äußeren und inneren Erlebens aufgenommen und nicht verdrängt.

3.5 Perspektiven der praktischen Umsetzung in Beratung und Selbsterfahrung Vor jeder Erkenntnis kommt Verwirrung. Selbstkompetenz beruht aber auf Selbstsicherheit. Wie soll man dann Selbstsicherheit in Situationen von Ungewissheit und Verwirrung gewinnen? Die empirischen Befunde der Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren Perspektiven der praktischen Umsetzung in Beratung und Selbsterfahrung

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wesentlich dazu beigetragen, besser zu verstehen, wie wir lernen (Spitzer, 2002; Hüther, 2016). Begeisterung, Freude und Neugierde sind die stärksten Motoren dafür, uns an Veränderungen heranzuwagen. Unsicherheit und Angst behindern Lernen. Diese Befunde zeigen, dass nachhaltiges Lernen ohne das Zusammenspiel von Körper (Empfindungen, Affekten und Gefühlen) und Geist (Verstand und Vernunft) nicht denkbar ist (Roth u. Ryba, 2016). Metaphern wie »mich nicht wohl in meiner Haut fühlen«, »mich beengt fühlen« oder »einen Kloß im Hals haben« drücken aus, dass uns unser Körper diffuse, aber kräftige Signale sendet, dass etwas nicht stimmt oder uns etwas heftig bewegt, was Angst auslöst. Wir können diese Signale nutzen, indem wir versuchen, uns etwas Gewissheit darüber zu verschaffen, was uns diese Signale sagen wollen, und uns dann entscheiden, ob wir diesen Impulsen folgen oder sie ignorieren. Als Begleitende eines solch selbstreflexiven Prozesses können Beratende Sicherheit nicht durch Vermittlung von Erkenntnis, sondern nur durch eine vertrauensvolle und ermutigende Beziehung ermöglichen. In verschiedenen psychotherapeutischen Schulen spielen diese Erkenntnisse seit Längerem eine Rolle. Auf die Lösung psycho­ somatischer Verspannungen ausgerichtet sind die auf Wilhelm Reich beruhenden Traditionen der Bioernergetik (Lowen, 1975/2008) und der Biodynamik (Boysen, 1994). In eine ähnliche Richtung orientiert das Focusing (Wiltschko, 2011; Gendlin u. Wiltschko, 2016). Körpersignale werden hier als Vorstufen von Gewissheit gesehen, die zwar gespürt, aber noch nicht gewusst sind. Ähnlich wie in östlichen Meditationstraditionen geht es um eine nach innen gerichtete Achtsamkeit, die für die Selbstheilungskräfte von Körper und Seele erschlossen werden kann. Eine lange Tradition der Wahrnehmung von Körperempfindungen und Affekten und deren Visualisierung in Therapieund Beratungsprozessen existiert im Psychodrama (Moreno, 2001), in der Familientherapie (Satir, 1990) und systemischen Aufstellungen (Sparrer u. Varga von Kibéd, 2000). Vor diesem Hintergrund lässt sich Selbstkompetenz als das Zusammenspiel von Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung und Selbstregulation darstellen (siehe Abbildung 7). 96

Herausforderungen für die Beratung

Implizit (verdeckt) bedürfnisbezogene

Explizit absichtsvolle

Selbstbeobachtung

Selbstkontrolle

(Selbstwahrnehmung) Seine Gefühle/Intuitionen bemerken, erkennen und freien Lauf lassen! Metaphern: –– einfach genießen –– sich treiben lassen –– innerer Stimme (Angst oder Lust) folgen

(Selbstbeherrschung) Sich disziplinieren und Widersprüchliches und Störendes ausschalten! Metaphern: –– Reiß dich am Riemen! –– Stell dich nicht so an! –– Sei eindeutig!

Selbstregulation

Integration bewusster (expliziter) Ziele und gefühlter (impliziter) Bedürfnisse. Die unterschiedlichen rationalen und emotionalen Impulse/Motive und damit verbundenen Risiken koordinieren, ausbalancieren, verhandeln (Inneres Team), abwägen oder filtern, Widersprüchliches integrieren, ganzheitlich und zirkulär denken und gelassen handeln.

Abbildung 7: Selbstkompetenz als Zusammenspiel von Selbstkontrolle, Selbst­ beobachtung und Selbstregulation

Selbstkontrolle erfolgt auf der Grundlage bewusster, rationaler Überlegungen und Bewertungen und erfordert einen eigenen Willen (Volition). Daneben ist für eine gelingende Selbstregulation eine Art implizierter Selbstbeobachtung erforderlich. Hier werden die im emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeicherten, positiv oder negativ bewerteten Affekte und körperbezogene Signale dechiffriert und registriert. Selbstregulation bedeutet dann, Volition und Emotion im Hinblick auf ein für alle drei Instanzen und Funktionen – Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung und Selbstregulation – akzeptables und machbares Ziel auszurichten. Wenn ich versuche, meine Gefühle und Körpersignale willentlich auszublenden, und ich mich allein auf die Selbstkontrolle konzentriere, ohne auftretende innere Widerstände Perspektiven der praktischen Umsetzung in Beratung und Selbsterfahrung

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und möglicherweise dahinter verborgene Bedürfnisse oder Ängste zu bemerken, kann sich das in Form eines psychosomatischen Krankheitssymptoms manifestieren (Kuhl, Solzbacher u. Zimmer, 2017). Das »Zürcher Ressourcen Modell« (ZRM) ist ein integratives Handlungskonzept, das Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie und der Motivationsforschung mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen vereint und für Therapie und Beratung einen umfangreichen Methodenkoffer bereitstellt. Damit kann beispielsweise unproduktives, defensives Vermeidungsverhalten identifiziert und überwunden werden. Eine zentrale Rolle spielen positiv besetzte Emotionen, die über sogenannte Mottoziele und Bilder symbolisiert werden. Das sind Ziele und Impressionen, bei denen rational und emotional besetzte Bedürfnisse und Wünsche miteinander verkoppelt sind. Das Modell geht davon aus, dass Handlungshindernisse – im ZRM als »Rubikon« bezeichnet – nur dann nachhaltig überwunden werden können, wenn die positiven die negativen Emotionen bzw. Affekte überwiegen. Nur dann wird Veränderung wahrscheinlich. Wenn sich beispielsweise ein Mitarbeiter in einem Team seit Längerem von einem anderen Mitarbeiter gedemütigt fühlt und er sich schon öfter vorgenommen hat, diesen mit seinem Ärger zu konfrontieren, sich letztlich aber nicht traut, dieses Vorhaben auch in die Praxis umzusetzen, wenn diese Zielsetzung also immer wieder scheitert, bietet das ZRM die Methode der Affektbilanz an (Storch, Cantieni, Hüther u. Tschacher, 2006; Storch u. Tschacher, 2016, S. 158 ff.). Dabei werden die positiven und negativen Emotionen auf getrennten Skalen zwischen 0 und 100 % geschätzt und miteinander verglichen. Sind die positiven Gefühle stark und deutlich ausgeprägter als die negativen, ist die Zielumsetzung recht wahrscheinlich. Ist es umgekehrt und scheitert die Umsetzung immer wieder, wird in der Beratung nach positiven Erfahrungen in vergleichbaren Situationen gesucht und überlegt, wie diese wieder mobilisiert werden können. Sind die negativen und positiven Gefühle eher schwach, steht die Frage an, ob es sich wirklich lohnt, in diesen Konflikt einzusteigen, oder ob man vielleicht auch etwas davon hat, dass dieser Konflikt aufrechterhalten 98

Herausforderungen für die Beratung

wird. Entscheidet man sich für die Bearbeitung, wird nun ein Symbol (ein Gegenstand oder ein Bild) ausgesucht, das emotional positiv besetzt ist. Diese positive Besetzung kann sich auf positive Erfahrungen in vergleichbaren Situationen oder auch unbewusst auf mit diesem Symbol positiv assoziierte Gefühle beziehen. Mit der Methode des Priming (Bahnung) werden mithilfe von Bildern, Gerüchen, Gesten, Symbolen oder anderen Zeichen nicht mehr bewusste und mit positiven Gefühlen verbundene Erfahrungen symbolisch repräsentiert und dadurch wieder gestärkt. Mithilfe des Embodiments lässt sich das dann mit einer typischen Handbewegung oder Geste transformieren (Storch u. Krause, 2014 S. 97 f.). Es ist die Aufgabe der Beratenden, positiv besetzte Erfahrungen erinnern zu helfen oder entsprechende Zukunftsbilder zu stimulieren. Diese Methode erinnert an alle ressourcen- oder stärkenorientierten Ansätze und wird auch in anderen Beratungs- und Therapieansätzen praktiziert. So werden beispielsweise beim Neurolinguistischem Programmieren (NLP) mit der Technik des Ankerns somatische Marker gesetzt, um eine solche Stimmung zu konditionieren (Kohlmey, 2001). Lösungsorientierte und hypnotherapeutische Beratungsansätze nutzen dagegen autosuggestive Kräfte, indem positiv besetzte Bilder, Fantasien und Wünsche imaginiert werden (Bamberger, 2015). In erlebnispädagogischen Ansätzen werden Settings inszeniert, in denen die Teilnehmenden in für sie ungewohnten und unsicheren Umgebungen Herausforderungen bewältigen, die zur Erweiterung ihrer Selbstwirksamkeit beitragen sollen (Pfaffrath, 2017). Diese Trainings sind in der Regel freiwillig, und offensichtlich üben die damit verbundenen Risiken für die Teilnehmenden auch einen Reiz aus.

Perspektiven der praktischen Umsetzung in Beratung und Selbsterfahrung

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4  Fazit: Beratung im Bündnis mit Kairos In seiner Diagnose der Postmoderne verweist Zygmunt Bauman (2005, S. 384) auf die Paradoxie, dass die Vermehrung des Wissens durch Wissenschaft nicht nur zur Aufklärung, sondern auch zur Vermehrung des Unwissens und daraus resultierender Unsicherheit beiträgt. Schon Goethes Faust beschreibt das Problem. Je mehr man zu wissen meint, umso weniger lässt sich letztlich als gesichert ansehen. Wissenschaft soll zwar möglichst gesicherte Erkenntnis und Wissen zur Verfügung stellen. Dabei ist sie transparenten Regeln und größtmöglicher Objektivität als Handlungsmaxime verpflichtet, aber sie schafft weder absolute Wahrheit noch vom Beobachter unabhängige Objektivität. Sie lebt in und mit dem Paradox, zu ergründen, was eine Wirklichkeit erschaffen hat und zusammenhält, um gleichzeitig die selbst gewonnene Erkenntnis wieder in Zweifel zu ziehen. Wissenschaftsbasierte Professionalität erfordert von Beratenden eine Kultur neugierigen, kreativen Zweifelns. Dabei nutzen sie den Möglichkeitssinn eines Sowohl-als-auch oder die Fantasie für die Konstruktion von Handlungsalternativen. »Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt«, soll Einstein gesagt haben. Und von Freud stammt die Aussage »Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem Kopf steht.« Professionelle Beratung benötigt wissenschaftliches Wissen als Basis ihrer Handlungskompetenz, sie benötigt aber auch fantasieund humorvolle, selbstkompetente Beratende, die in komplexen und mit Ungewissheit verbundenen Situationen und Problemlagen entscheidungs- und handlungsfähig bleiben. Nur so kann Vertrauen in die Wirkungskompetenz (Autorität) von Beratenden entstehen. Wer 100

Fazit: Beratung im Bündnis mit Kairos

würde schon zu einem professionellen Helfer gehen, wenn er nicht erwarten könnte, dass dieser oder diese sein Anliegen effektiver und effizienter bearbeitet als ein Laie? Beratungsprozesse sollten – egal in welchem Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich – immer darauf ausgerichtet sein, den Ratsuchenden Mut zu machen, die Grenzen unproduktiver und defensiver Bewältigungsstrategien zu überschreiten. Damit Menschen wachsen und sich verändern können, müssen sie lernen, mit Ungewissheit und Unsicherheit umzugehen. Nur so können sie ihre Bewältigungskompetenzen erweitern (Oettingen, 2017). Gute Beratung ist ein Raum zur Ermutigung, veränderungswürdige Situationen nicht nur aus analy­ tischer und kritischer Perspektive und jenseits bisheriger Gewohnheiten zu betrachten. Da Ungewissheitsphänomene und die Bewältigung von Unsicherheit in besonderer Weise zu den Heraus­forderungen der Mitarbeitenden in der Sozialwirtschaft gehören, sollten Berater und Beraterinnen in der Sozialwirtschaft auch in besonderer Weise in der Lage sein, Mehrdeutigkeit und Ungewissheit als Chance für kreatives Denken und Handeln zu betrachten und ihren Kunden Möglichkeiten aufzeigen, dass ihre Zweifel und Ängste auch als Hinweis gewertet werden können, dass es im Leben immer mindestens zwei Handlungsoptionen gibt. Beratende und ihre Kunden in der Sozialwirtschaft brauchen ein Bündnis mit Kairos. In der griechischen Mythologie ist Chronos, der Bruder des Kairos, für den Zeitverlauf zuständig. Kairos dagegen ist der Gott des rechten Augenblicks. Diesen gilt es zu erkennen und zu lernen, günstige Gelegenheiten »beim Schopfe« zu packen. Mehr Gewissheit erlangt man aber nicht allein durch mehr Wissen. Gewissheit beruht neben Wissen auch auf Vertrauen in sich selbst und seine Stärken (Ehlers, Schuster u. Müller, 2017). Gewissheit hat eine theoretische, eine normative und eine emotionale Komponente. Erfolgreich Beratende sind Beistände und Begleiter, die ihren Kunden mehr Gewissheit in ihre eigene Handlungskompetenz ermöglichen, indem sie ihnen Wege zu mehr Selbstvertrauen eröffnen. Dieses bei den zu Beratenden zu ermöglichen und zu unterstützen, FestgefahFazit: Beratung im Bündnis mit Kairos

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renes wieder in Bewegung zu bringen und in scheinbar ausweglosen Situationen neue Perspektiven aufzeigen zu helfen, ist vornehmste Aufgabe der Beratung. In dem Bewusstsein, dass dort, wo absolute Eindeutigkeit herrscht, Lebendigkeit aufhört, dass Gewissheit und Eindeutigkeit recht flüchtige Zeitgenossen sind und Zweifel nicht nur allgemeiner Bestandteil eines kreativen Lebens sind, sondern vor allem zu einer reflektierten Professionalität gehören, geht es darum, Wege aufzuzeigen, die die Angst vor Ungewissheit minimieren. Es geht auch darum, die zu Beratenden davor zu schützen, in solchen Situationen ein Bündnis mit Chronos einzugehen und unproduktive Vermeidungsstrategien zu chronifizieren. Auch wenn Kairos ein Gott ist – der rechte Augenblick, Bauchentscheidungen oder Intuition fallen nicht vom heiteren Olymp. Es handelt sich um Erfahrungswissen, das wir in unserem Selbst sammeln und jenseits unseres Bewusstseins im geeigneten Moment verfügbar halten. Kairophile Entscheidungen sind Entscheidungen in an sich unentscheidbaren Situationen (Zwack u. Bossmann, 2017, S. 32 ff.), in denen wir Gewissheit fühlen, ohne zu wissen, woher sie kommt. Körperlich vermittelte, emotional positiv oder negativ gefärbte Signale zeigen uns eine Richtung, in die wir gehen können, ohne zu wissen, ob wir auf diesem Weg ans Ziel kommen.

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Fazit: Beratung im Bündnis mit Kairos

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Literatur

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Danksagung

Ohne die Erfahrungen mit Studierenden in Theorie-Praxis-­Seminaren und mit Supervisanden und Supervisandinnen in der Sozialwirtschaft wäre dieses Büchlein nicht entstanden. Bei der Um- und Übersetzung meiner Gedanken in einen Text waren mir meine Frau, Birgit Pfau-­Effinger, Stefan Busse als Reihenherausgeber und mein Kollege Wolfgang Nöcker eine bereichernde Hilfe. Giovanna Eilers und Nicole Brüggmann haben mir das »Zürcher Ressourcen Modell« und die Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen nahegebracht und geholfen, diese Ansätze für meine Fragestellung zum besseren Verständnis und zur Handhabung komplexer und mit Ungewissheit behafteter Situationen zu nutzen. Diesen Personen sei ganz herzlich gedankt! Ich würde mich über Kommentare, Hinweise und sinnvolle Ergänzungen freuen. Kontakt: [email protected]

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Danksagung