Über die Notwendigkeit neuer berufsrechtlicher Regelungen für Insolvenzverwalter: Unter besonderer Berücksichtigung des Auswahlverfahrens 9783814559087

Der Beruf des Insolvenzverwalters spielt für das Insolvenzverfahren eine zentrale Rolle. Dennoch ist die Tätigkeit des I

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German Pages 340 [342] Year 2023

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Über die Notwendigkeit neuer berufsrechtlicher Regelungen für Insolvenzverwalter: Unter besonderer Berücksichtigung des Auswahlverfahrens
 9783814559087

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Konrad Friedrich Thibaut Über die Notwendigkeit neuer berufsrechtlicher Regelungen für Insolvenzverwalter

Über die Notwendigkeit neuer berufsrechtlicher Regelungen für Insolvenzverwalter Unter besonderer Berücksichtigung des Auswahlverfahrens

von Konrad Friedrich Thibaut

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Meinen Eltern

Vorwort Die Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat die vorliegende Arbeit im Sommersemester 2023 als Dissertation angenommen. Sie ist zwischen 2018 und 2021 in Hannover entstanden. Herrn Professor Dr. Christian Wolf danke ich für die Möglichkeit, während meines Studiums so viele Jahre an seinem Lehrstuhl arbeiten zu können. An die Erfahrungen und Erlebnisse werde ich mich stets gerne zurückerinnern. Danken möchte ich ihm außerdem für die Betreuung dieser Arbeit, insbesondere bei der Beratung und Auswahl des Themas der Dissertation. Herrn Prof. Dr., Dr. h.c. Bernd H. Oppermann, Prof. h.c. (UMCS), LL.M. (UCLA) bin ich für seine spontane Bereitschaft, das Zweitgutachten zu dieser Arbeit zu übernehmen sowie für die äußerst zügige Zweitbegutachtung und seine wertvollen Hinweise zu großem Dank verpflichtet. Ein besonderer Dank gilt außerdem meinen Freunden Niels Kurth und Dr. Robert Bähr, die mir stets mit guten Ratschlägen zur Seite standen. Die anregenden Diskussionen mit ihnen, ihre Motivation und Unterstützung haben mir die Arbeit an der vorliegenden Dissertation nicht nur angenehmer gemacht, sondern waren auch fruchtbar für ihr Ergebnis. Der größte Dank gilt schließlich jedoch meiner Familie, die mir während der Entstehungszeit dieser Arbeit immer beratend und mitfühlend zur Seite stand. Allen voran danke ich meiner Frau Beatrice Thibaut für ihre Geduld, ihr Verständnis und die viele Zeit, die sie mir während der Entstehung dieser Arbeit schenkte. Sie hätte eigentlich ihr gebührt. Meinen Eltern danke ich schließlich für ihre bedingungslose Unterstützung und ihren Rückhalt während meiner gesamten Ausbildungszeit. Durch ihre immer andauernde Begleitung haben sie mir meinen Lebensweg ermöglicht. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Meiner Mutter Hilke Freels-Thibaut danke ich besonders für ihre Zuneigung und ihren Rat, auf den ich mich insbesondere während der gesamten Promotion stets verlassen konnte. Meinem Vater Andreas Thibaut danke ich vor allem für seine Hingabe und seinen unermüdlichen Einsatz, sich mit für ihn fachfremden juristischen Themen auseinander zu setzen. Vor allem danke ich ihm für seine stets bereichernden Anmerkungen und Korrekturen, auch zu dieser Arbeit.

Hannover, im Juni 2023

Konrad Friedrich Thibaut

VII

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Vorwort .............................................................................................................. VII 1. Kapitel: Einführung und Vorgehensweise ....................................... 1 ........ 1 A. Ausgangslage ...................................................................................... 3 ........ 1 B. Gang der Untersuchung .................................................................... 12 ........ 5 C. Der Begriff des Insolvenzverwalters als Oberbegriff ....................... 15 ........ 6 2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter ..................................................... 17 ........ 7 A. Der Weg zur Konkurs- und Vergleichsordnung ............................... 18 ........ 7 I. Ausgangspunkt Konkursordnung ............................................... 27 ........ 9 II. Rudimentäre berufsrechtliche Regelung in der Vergleichsordnung ............................................................... 30 ...... 11 B. Insolvenzrechtsreform von 1999 ...................................................... 36 ...... 13 I. Einführung von § 56 InsO .......................................................... 38 ...... 13 II. Änderungs- und Reformvorhaben nach 1999 ............................. 41 ...... 14 C. Zwischenergebnis ............................................................................. 55 ...... 17 3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung ........................................ 59 ...... 19 A. Berufsrecht ....................................................................................... 60 ...... 19 I. Der Begriff des Berufsrechts ...................................................... 61 ...... 19 II. Der „freie Beruf“ ........................................................................ 64 ...... 20 B. Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens ................................................ 68 ...... 22 C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters in der Zivilrechtspflege .............................. I. Das Insolvenzverfahren als staatliche Zivilrechtspflege ............ II. Funktionsträger in der Zivilrechtspflege .................................... III. Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters zu den Verfahrensbeteiligten ........................................................... 1. Der Insolvenzverwalter als Vertretungsorgan der Masse: Die (Masse-) Organtheorie ................................ 2. Der Insolvenzverwalter als Vertreter der Gläubiger oder des Schuldners: Die Vertretertheorien .................................

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3. Der Insolvenzverwalter als Verwalter fremden Vermögens: Die Theorie vom neutralen Handeln .................................... 96 4. Der Insolvenzverwalter als sich wandelnder Vertreter: Die neue (modifizierte) Vertreter- bzw. Organtheorie ......... 98 5. Der Insolvenzverwalter als Treuhänder: Die Amtstheorie ................................................................. 100 IV. Zusammenfassung .................................................................... 110 D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel ...................... I. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters: Entwicklung zu einem eigenständigen Beruf ..................................................... II. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in erneutem Wandel .... III. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als freier Beruf ............

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters .................................................. 134 ...... 51 A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung ........................................................................ I. Die Vorauswahlliste ................................................................. 1. Beschluss des BVerfG vom 3.8.2004 – Rechtscharakter der Vorauswahllistenentscheidung ..................................... 2. Funktionsweise des Vorauswahllistensystems ................... 3. Die verschiedenen Arten des Listings ................................ a) Geschlossene Listen (sog. Closed Shops) .................... b) Das Führen verschiedener Listen ................................. 4. Rahmenbedingungen für die Datenerhebung ..................... a) Amtsermittlungsgrundsatz ........................................... b) Mitwirkungspflichten der Bewerber ............................ 5. Kriterien bei der Vorauswahlentscheidung ........................ a) Gesetzliche Kriterien ................................................... aa) Persönliche und fachliche Eignung ........................ bb) Natürliche Person .................................................. cc) Geschäftskunde ...................................................... dd) Höchstpersönlichkeit der Amtsführung ................. ee) Generelle Unabhängigkeit ..................................... (1) Offenbarungspflicht des Prätendenten ............. (2) Konflikt mit berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten ............................ b) Ungeschriebene und sonstige Kriterien ....................... aa) Organisatorischer Unterbau/Büroorganisation ...... bb) Erreichbarkeit und Ortsnähe .................................. cc) Bonität ...................................................................

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dd) Exkurs: Selbstregularien und Zertifizierungen ...... (1) Selbstregularien ............................................... (2) Zertifikate ........................................................ (a) Bewertung insolvenzspezifischer Zertifikate .................................................. (b) Bindungswirkung für das Insolvenzgericht ....................................................... ee) Einbeziehung von Zertifizierungen in die Vorauswahlliste ............................................... c) Unzulässige Vorauswahlkriterien ................................ II. Exkurs: Das (Vor-) Auswahlverfahren bei anderen Amtswaltern ............................................................................. 1. Die Auswahl des Berufsbetreuers ...................................... 2. Die Auswahl des Zwangsverwalters .................................. 3. Die Auswahl des Testamentsvollstreckers ......................... III. Die Bestellentscheidung ........................................................... 1. Beschluss des BVerfG vom 23.6.2006 – Rechtscharakter der Bestellentscheidung ..................................................... 2. Kriterien für die Bestellung im Einzelfall .......................... a) Spezielle Kriterien der Bestellentscheidung ................ b) Vertrauen, Zuverlässigkeit und Integrität .................... c) Die Unabhängigkeit im konkreten Verfahren .............. aa) Herleitung des Unabhängigkeitsgebots ................. (1) Analoge Anwendung der §§ 41 ff. ZPO .......... (2) Wertung der §§ 41 ff. ZPO .............................. (3) Konkretisierung des Unabhängigkeitsgebotes ............................................................. bb) Disponibilität des Unabhängigkeitsgebots durch Gläubigerbeteiligung? ................................. cc) Folgen eines Verstoßes gegen Offenlegungspflichten und das Unabhängigkeitsgebot ............... dd) Zwischenergebnis .................................................. d) Ortsnähe ....................................................................... IV. Zusammenfassung .................................................................... V. Zwischenergebnis ..................................................................... B. Unterschiedliche Systeme zur Erhebung, Verifizierung und Strukturierung der Vorauswahllistendaten ..................................... I. Die Kennzahlenbasierte Qualitätsmessung der Verwalter ........ II. Die verschiedenen Modelle bei der Kennzahlenauswertung .... 1. Fragebogen des AG Hannover/AG Charlottenburg oder das „Hannoveraner Modell“ ............................................... 2. Das Hamburger Modell ......................................................

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3. Kritik an kennzahlenbasierten Bewerbungsfragebögen ..... 315 .... 125 III. Zwischenergebnis ..................................................................... 320 .... 126 C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata ..................................................................................... I. Betroffene Schutzbereiche ........................................................ 1. Schutzbereich der Art. 12 I, 3 I GG ................................... 2. Schutzbereich des Art. 19 IV GG ....................................... 3. Schutzbereich des Art. 33 GG – Modifikation der Berufsfreiheit ............................................................... a) Die Rechtsfigur des „staatlich gebundenen Berufes“ ..... b) Die Wahrnehmung privater Interessen durch den Insolvenzverwalter ................................................ II. Eingriff und Rechtfertigung ..................................................... 1. Unzulässigkeit „geschlossener Listen“ .............................. 2. Bestellung der Reihe nach .................................................. 3. Verfassungswidrigkeit mangels konkreter Regelung des Auswahlverfahrens ...................................................... a) Der Vorbehalt des Gesetzes ......................................... b) Der Auswahlprozess des Insolvenzverwalters als „wesentliche“ Grundrechtsentscheidung ..................... aa) Grundrechtsrelevanz .............................................. bb) Grad der Betroffenheit ........................................... cc) Regelungsdichte ..................................................... dd) Zwischenergebnis .................................................. c) Die Eingriffsintensität der Bestellentscheidung – Unbestimmtheit des § 56 I InsO? ................................. d) Vorauswahlverfahren und Wesentlichkeitstheorie ....... 4. Zwischenergebnis ............................................................... D. Justizgewährungspflicht und europarechtlicher Regelungsbedarf ..... I. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Justizorganisation ............... II. Regelungsbedarf qua Europarecht ............................................ 1. Anwendungsbereich ........................................................... 2. Anwendung auf den Beruf des Insolvenzverwalters .......... 3. Folgen der Anwendbarkeit der DienstleistungsRichtlinie ............................................................................ E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda ................................................................................ I. Verfassungsrechtliche Grundlagen ........................................... 1. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Art. 19 IV GG .............................................................. 2. Der Rechtsprechungsbegriff des Art. 92 GG ..................... XII

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3. Die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 GG ............... II. Neubewertung des Rechtscharakters von Bestell- und Vorauswahlentscheidung .......................................................... 1. Die Bestellentscheidung – kein Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG? ......................................................... a) Richterliche Unabhängigkeit – kein prägendes Unterscheidungsmerkmal ............................................ b) Die Bestellung innerhalb der Verfahrenseröffnung als letztverbindliche Beschlussfassung ........................ aa) Untrennbare Wechselwirkung zwischen Verfahrenseröffnung und Bestellentscheidung ...... bb) Letztverbindlichkeit der Bestellung wegen ausschließlichen Richtervorbehalts ........................ c) Rechtsschutzalternativen gegen die konkrete Bestellentscheidung ..................................................... aa) Einordnung des Rechtsschutzes nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............ bb) Rechtsschutzalternativen ....................................... d) Gesamtwürdigung ........................................................ e) Eigener Ansatz: Die Bestellentscheidung de lege ferenda ............................................................. 2. Die Vorauswahllistenentscheidung – kein Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG? ............................... a) Der administrative Charakter der Vorauswahlentscheidung ................................................................ aa) Die Vorauswahl als verfahrensübergreifende Entscheidung mit Außenwirkung .......................... bb) Keine letztverbindliche, der Rechtskraft fähige Entscheidung ......................................................... b) Die Vorauswahlentscheidung de lege ferenda – keine Entscheidung des Richters in richterlicher Unabhängigkeit? .......................................................... aa) Keine Vergleichbarkeit mit strafprozessualen Anordnungen ......................................................... bb) Dysfunktionalität richterlicher Unabhängigkeit im Beschwerdeverfahren ....................................... cc) Eigener Ansatz: Vorauswahl de lege ferenda ........ III. Die notwendige Begründung der Auswahlentscheidung de lege ferenda ......................................................................... 1. Ausgangslage ..................................................................... 2. Die fortwährende Nichtberücksichtigung des Verwalters als Rechtsschutzproblem ....................................................

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3. Ähnliche Rechtsschutzprobleme de lege ferenda ............... a) Herleitung einer Begründungspflicht ........................... b) Begründungspflicht – Effektuierung der Beschwerdemöglichkeit de lege ferenda ......................................... 4. Schlussfolgerungen ............................................................ IV. Zwischenergebnis .....................................................................

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F. Zusammenfassung: Regelungsdefizite de lege lata ........................ 542 .... 208 5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts für Insolvenzverwalter? ... 549 .... 211 A. Berufsrecht in der InsO ................................................................... I. Dogmatik der Insolvenzordnung .............................................. II. Berufsrechtlicher Gehalt der Insolvenzordnung ....................... 1. Berufszulassungsschranken ................................................ 2. Berufsausübungsregularien ................................................ 3. Berufsaufsicht .................................................................... a) Kontrollmechanismen der InsO über den Insolvenzverwalter ...................................................................... b) Berufsausübungskontrolle bei anderen freien Berufen ........................................................................ c) Vergleich und berufsrechtlicher Gehalt der Kontrollmechanismen ............................................ III. Zwischenergebnis ..................................................................... B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter ......................................................................................... I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ........................... 1. Kritische Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes .................................................... 2. Lösungsansätze der Literatur ............................................. 3. Exkurs: Anwendung von Primärberufsrecht bei Testamentsvollstreckern und Mediatoren ..................... II. Stellungnahme: Keine Anwendbarkeit des Quellberufsrecht ... III. Eigener Ansatz: Berufsaufsicht zwischen Quellberufsrecht und Insolvenzordnung ..............................................................

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda .................................................................. 615 .... 237 I. Vorschlag des BAKinso e. V. – Übertragung des Vorauswahlsystems an das BfJ ............................................................ 618 .... 238

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II. Vorschlag des VID ................................................................... 1. Ursprüngliche Reformbestrebung – die eigenständige Insolvenzverwalterkammer ................................................ 2. Neuausrichtung – Rechtsverordnungsmodell und Aufsicht des BfJ ................................................................. III. Vorschlag der BRAK ............................................................... 1. Eingliederung in die regionalen Rechtsanwaltskammern ..... 2. Bewertung .......................................................................... IV. Vorschlag von Min. Dir. a. D. Marie Luise Graf-Schlicker ..... V. Vorschlag der Arbeitsgruppe „Vorauswahlliste Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter“ ..................................

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D. Resümee ......................................................................................... 675 .... 255 6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda ........... 679 .... 259 A. Vorüberlegungen ............................................................................ 684 .... 260 I. Lösungsmodell: verfahrensrechtlicher Ansatz innerhalb der Insolvenzordnung ............................................................... 686 .... 260 II. Die Grundpflichten des Insolvenzverwalters ............................ 691 .... 262 B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe .............. I. Berufszugangserfordernis: Mitgliedschaft in einer Berufskammer ..................................................................................... 1. Keine Aufnahme oder Registrierung nichtverkammerter Insolvenzverwalter ............................................................. 2. Vorzugswürdigkeit einer Zugangsbegrenzung ................... II. Weitere Zugangs- und Bestellkriterien ..................................... III. Ausschluss der Bestellfähigkeit ................................................ IV. Rechtsschutz unberücksichtigter Mitbewerber gegen die Bestellentscheidung ............................................................ C. Implementierung des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter ......................................................................................... I. Funktionsweise des elektronischen Verzeichnisses .................. II. Zu erhebende Kriterien ............................................................. III. Sanktionen und Rechtsschutz gegen das Delisting ................... D. Aufsicht und Kontrolle über den Insolvenzverwalter ..................... I. Verfahrensübergreifende Kontrolle durch systematischen Informationsaustausch .............................................................. II. Verfahrensübergreifender Sanktionsmechanismus de lege ferenda ......................................................................... III. Weitere Effektuierung der Kontrollmechanismen ....................

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E. Gesetzesentwurf .............................................................................. 753 .... 284 Zusammenfassende Thesen ................................................................ 761 .... 291 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 297 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 325

XVI

1. Kapitel: Einführung und Vorgehensweise Zu einem funktionierenden Wirtschaftssystem gehört immer auch ein intaktes 1 Rechtssystem, das von bestimmten moralischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Mindeststandards ausgeht. Zu diesem funktionierenden Rechtssystem gehört im Bereich des Wirtschaftsrechts auch das Insolvenzrecht. Denn wirtschaftliches Handeln birgt immer die Gefahr des Scheiterns in sich, und in diesem Fall sorgt das Insolvenzrecht für eine geordnete Abwicklung des insolventen Rechtssubjekts und für eine möglichst weitgehende Befriedigung der Gläubiger.1) Das Insolvenzrecht gehört daher zu den wichtigsten wirtschaftsrechtlichen Normkomplexen. Der Insolvenzverwalter trägt eine rechtliche, wirtschaftliche und vor allem soziale Verantwortung gegenüber dem am Verfahren beteiligten Schuldner und den Gläubigern insbesondere den Arbeitnehmern.2) Ernst Jaeger prägte den Grundsatz „Die Auslese des Verwalters ist die Schicksalsfrage des Konkurses“3). Die Auswahl des Verwalters hat nach wie vor die zentrale, über Erfolg oder Misserfolg eines Verfahrens entscheidende Bedeutung, auch wenn aktuelle Krisenfälle häufig einen erheblichen, zunächst vorinsolvenzlichen Beratungsbedarf mit sich bringen und sich insofern das Berufsbild des Verwalters verändert hat und noch weiter verändert.4) Dieser herausragenden Bedeutung des Insolvenzverwalters für ein erfolgreiches 2 Insolvenzverfahren ist es geschuldet, dass die seit Jahrzehnten bestehende Streitfrage über ein sachgerechtes Auswahlverfahren dieses alles entscheidenden Protagonisten bis heute andauert und noch keiner konsensfähigen Lösung zugeführt werden konnte.

A. Ausgangslage Zu Beginn des neuen Jahrtausends sorgte zunächst das im Auftrag des Gravenbru- 3 cher Kreises erstellte Gutachten von Holzer/Kleine-Cosack/Prütting für eine aufgeregte Debatte.5) Einen neuen Startschuss erfuhr die Debatte durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3.8.2004,6) der die Tätigkeit des Insolvenzverwalters erstmals als eigenständigen Beruf anerkannte. Dadurch wurde die Debatte über die Schaffung eines Berufsrechts für Insolvenzverwalter weiter intensiviert und mündete schließlich in das bis dato wohl umfangreichste Ergebnis der Diskus___________ 1) 2) 3) 4) 5)

6)

Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 1, Rn. 1, die Arbeit verwendet im Folgenden aufgrund der ergangenen Autorenwechsel bewusst die Altauflage. Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (654). Jaeger, 6./7. Aufl. 1936, § 78 KO, Rn. 7. Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (6). Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters; von Prütting wurde die Diskussion als „schwärzesten Stunden des deutschen Insolvenzrechts“ gezählt, Prütting, ZIP 2005, 1097 (1099). BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574.

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1. Kapitel: Einführung und Vorgehensweise

sion, die Empfehlungen der sog. Uhlenbruck-Kommission7) aus dem Jahr 2007, die auf politischer Ebene jedoch letztlich keine Mehrheit fanden und daher nicht Gesetz wurden. Mangels gesetzlicher Vorgaben erließ der Verband der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. (VID) Ende 2006 eigene „Berufsgrundsätze“ für Insolvenzverwalter8) und im Jahr 2011 die „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ (GOI)9), die seine Mitglieder durch vereinsinterne Regelungen auf besondere Qualitätsstandards verpflichten sollten.

4 In jüngerer Vergangenheit hat vor allem eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes die Diskussion um das Berufsrecht für Insolvenzverwalter erneut entfacht. Ein zum Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt hatte Anfechtungsansprüche geltend gemacht. Die Gegenpartei schaltete ihrerseits einen Rechtsanwalt ein, der um ausschließliche Kommunikation über seine Kanzlei bat. Als der Insolvenzverwalter sich anschließend dennoch direkt an die Gegenpartei wandte und das Briefpapier seiner Rechtsanwaltskanzlei verwendete, erteilte die Rechtsanwaltskammer München diesem einen belehrenden Hinweis nach § 73 II Nr. 1 BRAO, dass er auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu beachten habe. Der Bundesgerichtshof entschied am 6.7.2015 schließlich in der Sache: „Das Verbot, ohne die Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln, gilt auch für einen Rechtsanwalt, der zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist und für die verwaltete Masse eine Forderung geltend macht“.10)

5 Die Entscheidung war anschließend Gegenstand einer Vielzahl (kritischer) Urteilsbesprechungen.11) Darüber hinaus wurde allerdings auch die Diskussion über die Notwendigkeit eines eigenständigen Berufsrechts für Insolvenzverwalter wieder aufgenommen und erhielt auch durch die Aufnahme dieser Problematik in den Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU zur 19. Legislaturperiode neuen Schwung.12) Zu einer Umsetzung des Vorhabens der „Großen Koalition“ kam es dann jedoch nicht mehr. Gleichwohl hat das Vorhaben jedoch erneut eine breite (politische) Diskussion in Gang gesetzt, die zu umfangreichen Reformvorschlägen der ver___________ 7) Abgedruckt in: NZI 2007, 507. 8) Abgedruckt in: MüKoInsO/Graeber, Rn. 181a, (Anh. II zu § 56 InsO). 9) In der Beschlussfassung vom 22.4.2016 abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/ 2016/09/goi-1-2016-vom-22.4.2016.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 10) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241. 11) Vgl. etwa Deckenbrock, AnwBl 2016, 316; Kilian, WuB 2015, 1532; Prütting, ZIP 2016, 61. 12) Darin heißt es: „Wir werden gesetzliche Rahmenbedingungen für die Berufszulassung und -ausübung von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern sowie Sachwalterinnen und Sachwaltern regeln, um im Interesse der Verfahrensbeteiligten eine qualifizierte und zuverlässige Wahrnehmung der Aufgaben sowie effektive Aufsicht zu gewährleisten.“ Abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_20182021_Bund_final.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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A. Ausgangslage

schiedenen Verbände13) und schließlich auch zu einem ersten Bericht einer BundLänder Arbeitsgruppe geführt hat.14) In dieser Legislaturperiode konnten dann schließlich mit dem Unternehmensstabi- 6 lisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) neue vorinsolvenzliche Instrumentarien eingeführt werden. Dazu gehören auch ein sog. Restrukturierungsbeauftragter sowie ein Sanierungsmoderator, deren Auswahl unverändert in Anlehnung an das Auswahlsystem der Insolvenzverwalter stattfinden soll. Ausgangspunkt der Diskussion ist bis heute der wenig aufschlussreiche § 56 I 1 InsO, 7 der lediglich festhält, dass es sich bei dem Insolvenzverwalter um eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, unabhängige und geschäftskundige Person handeln muss. Auf Grundlage dieser sehr unbestimmten Regelung ist es theoretisch sogar möglich, dass jedermann zum Insolvenzverwalter bestellt werden könnte. Gerade die Auswahl des Insolvenzverwalters spielt sich also in einer „rechtlichen Grauzone“ ab.15) Auch das Bundesverfassungsgericht kritisierte in seinem eingangs erwähnten Beschluss, dass gerade die Vorauswahlentscheidung „frei und unkontrolliert“ sei und dass „präzisierte rechtliche Maßstäbe“ für den Zugang in die Vorauswahlliste fehlten.16) Auf der Grundlage dieser Norm gestaltet sich das Auswahlverfahren gegenwärtig höchst unterschiedlich. Die Ausgestaltung der Vorauswahl scheint den Fachgerichten gänzlich anheimgestellt zu sein, da in § 56 I InsO gesetzliche Vorgaben in Bezug auf die Vorauswahl vollständig fehlen. Dies stößt vor allem auf verfassungsrechtliche Bedenken, ist es doch gerade die Pflicht des Gesetzgebers, die den Bürger in seinen Grundrechten wesentlich betreffenden Bereiche auch ausreichend gesetzlich zu normieren. Dem ist der Gesetzgeber im Fall der berufsrechtlichen Fragen von Insolvenzverfahren augenscheinlich nicht nachgekommen. ___________ 13) BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, m. w. N. Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/ dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); sowie ferner: BAKinso e. V., Entschließung der BAKinso e. V.-Jahrestagung am 25.11.2019: Gesetzliche Regelungen zum „Berufsrecht“ für Insolvenzverwalter*innen/Sachwalter*innen/PIFOR (Restrukturierungsbeauftragte), abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/ entschließungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); VID, Eckpunktepapier zum Berufsrecht v. 18.12.2018, abrufbar unter: https://www.vid.de/ initiativen/eckpunktepapier-berufsrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 196 ff.; Sie wurden neuerdings von Kästner/Amery überarbeitet und neu ausgerichtet: Eckpunktepapier für eine Regelung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter als Gesetz und Verordnung v. 13.7.2020, abrufbar unter: https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2020/07/Eckpunktepapier_Berufsaus%C3%BCbung_Berufszulassung.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); BRAK, Formulierungsvorschlag der Hauptversammlung v. 22.6.2020 abrufbar unter: https:// www.brak.de/fileadmin/01_ueber_die_brak/aus-der-arbeit-der-ausschuesse/brao_bivo_entwurf_29042020_6.2.1_plain.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 14) Bericht etwa abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 15) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 1. 16) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576).

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1. Kapitel: Einführung und Vorgehensweise

8 Als weiteres Problem erweist sich eine ebenso wenig effektive wie einheitliche Aufsicht der Insolvenzgerichte. In Zeiten auch überregional tätiger Verwalter ist es aufgrund eines fehlenden gerichtlichen Informationsaustausches nicht möglich, festgestellte Verstöße gegen insolvenzspezifische Pflichten auch zwischen den Gerichten bemerkbar zu machen. Ein überregionaler Informationsaustausch findet nicht statt, sodass auch entsprechend bestrafte Verwalter in einer anderen Region ohne weiteres tätig werden können. Im Rahmen der Berufsaufsicht besteht Einigkeit, dass eine vollumfängliche Berufsaufsicht nur schwer durch die Insolvenzgerichte selbst geleistet werden kann, da diese meist schon personell unzureichend ausgestattet seien.17) Diesbezüglich wurden daher verschiedene Varianten zur derzeit bestehenden gerichtlichen Berufsaufsicht diskutiert und mit einer Neuordnung des Vorauswahllistensystems in Verbindung gebracht.18)

9 Die derzeitige Regelung ist jedenfalls immer noch stark von der frühen Phase der Entwicklung dieses Rechtes geprägt, das nicht zuletzt auch wegen der noch nicht vorhandenen modernen Verkehrs- und Kommunikationsmittel vor allem darauf bedacht war, einen regional ansässigen, wirtschaftlich erfahrenen und geschäftskundigen Insolvenzverwalter zu suchen und zu finden. Das Verfahren der Auswahl, Bestellung und Überwachung der Insolvenzverwalter durch örtliche Gerichte erschien daher als geeigneter Mechanismus zur Sicherstellung einer zügigen und ___________ 17) Uhlenbruck, in: Festschrift für Bruno M. Kübler zum 70. Geburtstag, S. 709 (711); Vallender, NZI 2017, 641 (644). 18) Für das Einsetzen eines Bundesinsolvenzverwalter: Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93. Für die Ansiedelung des Vorauswahlliste bei dem Bundesamt für Justiz: Frind, ZInsO 2017, 2146 (2153); vgl. auch, BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, m. w. N. Abrufbar unter: https:// www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). So nun auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Bericht etwa abrufbar unter: https:// www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); sowie neuerdings auch der VID, Eckpunktepapier für eine Regelung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter als Gesetz und Verordnung v. 13.7.2020, abrufbar unter: https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2020/07/Eckpunktepapier_Berufsaus%C3%BCbung_Berufszulassung.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). Für eine eigenständige Kammer: Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters; Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643; Vallender, NZI 2017, 641; ders., NZI 2017, 777; Zimmer, DZWIR 2011, 98; sowie zunächst noch der VID, Eckpunktepapier v. 18.12.2018, abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/eckpunktepapierberufsrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). Für die Aufnahme der Insolvenzverwalter in die örtlichen RAK: BRAK, Formulierungsvorschlag der Hauptversammlung v. 22.6.2020 abrufbar unter: https://www.brak.de/fileadmin/ 01_ueber_die_brak/aus-der-arbeit-der-ausschuesse/brao_bivo_entwurf_29042020_6.2.1_plain.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); sowie Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174; neuerdings überarbeitete Version abrufbar unter: https://www.brak.de/fileadmin/01_ueber_die_brak/aus-der-arbeit-derausschuesse/BRAO_BIVO_Entwurf_23.02.2023_9.3.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023. Für eine Lösung innerhalb der InsO, kombiniert mit einer Kammeraufsicht: vgl. Henssler, NZI 2020, 193.

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B. Gang der Untersuchung

fachkundigen Abwicklung des Verfahrens.19) Hieran scheint das System bis heute festhalten zu wollen. Fraglich ist jedoch, ob dieser Ansatz heute, vor dem Hintergrund überregional tätiger Verwalter und immer größer werdender Insolvenzverwalterbüros noch zeitgemäß erscheint. Schließlich ist noch ein weiteres, in seiner gesellschaftspolitischen Relevanz gewichti- 10 ges Motiv für eine Neuregelung der berufsrechtlichen Aspekte im Insolvenzrecht zu erkennen: Die bisherigen Regelungen bei der Auswahl und der Kontrolle von Insolvenzverwaltern erweisen sich überwiegend als hochgradig intransparent. Dabei handelt es sich nicht nur um eine grundrechtsrelevante Fragestellung im Bereich des Insolvenzverfahrens, sondern auch um eine Fragestellung mit grundsätzlich gesellschaftspolitischer Tragweite. Indem die Auswahl des Insolvenzverwalters als „Schicksalsfrage“ eines jeden Insolvenzverfahrens bezeichnet wird, hat auch sie direkten Bezug zur Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn die Aufgabe des Insolvenzrechts ist es vor allem auch, soziale und wirtschaftliche Interessen zusammen zu sehen und in einen Ausgleich zu bringen. Deutlich wird dies immer wieder bei großen Verfahren, wenn es darum geht, weitreichende Entscheidungen zu treffen, die vor allem auch die Existenz einer großen Zahl von Beschäftigten betreffen. Gerade die weltweite Pandemielage und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen haben das Insolvenz-, Restrukturierungs- und Sanierunsverfahren deutlicher ins Blickfeld auch des politischen Interesses gerückt. Durchaus dringlich erscheint also der Bedarf für ein neues, transparentes und bun- 11 desweit einheitliches Berufsrecht, insbesondere mit Blick auf die Auswahl und die Aufsicht von Insolvenzverwaltern.

B. Gang der Untersuchung Nach einer kurzen historischen Einführung (Rn. 17) sowie der Erläuterung einiger 12 Grundlagen dieser Untersuchung, insbesondere einer normtheoretischen Einordnung des Insolvenzverfahrens und der Stellung des Insolvenzverwalters (Rn. 59), beschäftigt sich diese Arbeit zunächst schwerpunktmäßig mit der Darstellung des als stark defizitär beklagten Auswahlverfahren, bestehend aus Vorauswahl- und Bestellentscheidung des Insolvenzrichters (Rn. 134). Dazu werden unter anderem konkret Fragebögen einiger großer Insolvenzgerichte ausgewertet. Insbesondere die Betrachtung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wird zuletzt das Erfordernis für Änderungen innerhalb der bestehenden Regelungen deutlich machen (Rn. 323 – 542). Aus berufsrechtlicher Sicht steht schließlich im Mittelpunkt der weiteren Untersu- 13 chung (Rn. 549), ob die Vorschriften der InsO überhaupt ein Berufsrecht darstellen können und etwa mit Regelungskomplexen wie der BRAO, der WPO oder dem StBerG verglichen werden können. Es soll geklärt werden, ob diese Quellberufs___________ 19) Bergner, in: Festschrift für Siegfried Beck zum 70. Geburtstag, S. 27 (34).

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1. Kapitel: Einführung und Vorgehensweise

rechte auch Anwendung auf die Tätigkeit des Insolvenzverwalters entfalten können sowie – damit eng verbunden – ob es einer eigenständigen Berufskammer mit einer eigenen Berufsrechtskodifikation bedarf, oder ob Änderungen im bestehenden System der InsO als ausreichend erachtet werden können, um die festgestellten Defizite zu beseitigen.

14 Daran anschließend werden Änderungsvorschläge vorgestellt und ein eigener Gesetzesentwurf vorgeschlagen (Rn. 679). Die Arbeit endet mit zusammenfassenden Thesen (Rn. 761).

C. Der Begriff des Insolvenzverwalters als Oberbegriff 15 Die Bezeichnung „Insolvenzverwalter“ stellt einen Ober- bzw.- Sammelbegriff für unterschiedliche Tätigkeiten mit identischer Berufsbezeichnung dar, für die allesamt dasselbe Gesetz gilt. Bereits die Tätigkeit in verschiedenen Verfahrensarten wie etwa einem Vebraucherinsolvenzverfahren, Kleinstverfahren und Großverfahren könnte eigentlich zu unterschiedlichen Berufsbezeichnungen führen.20) Zu klären ist zunächst, für welches Berufsbild die nachstehenden Untersuchungen und Vorschläge gelten sollen. Der klassische „Insolvenzverwalter“ ist auch heute der gerichtlich bestellte Amtsträger, der das vorhandene Vermögen des Schuldners kraft seiner Sonderstellung bestmöglich auf die Gläubiger verteilt. Daneben hat sich das Berufsbild weiter diversifiziert. So hat vor allem mit dem neu geschaffenen Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ein vorinsolvenzliches Verfahren Einzug in das deutsche Recht gefunden. Dennoch dienen gerade die Regelungen zum klassischen Insolvenzverwalter als Basis für alle davon ausgehenden Diversifizierungen. Auch neue Berufsbilder und Erscheinungsformen im Bereich Insolvenz entwickeln sich aus der Tätigkeit des klassischen Insolvenzverwalters und werden von Akteuren dieser Gruppe erschlossen.21)

16 Die nachfolgenden Untersuchungen gelten grundsätzlich für den klassischen Insolvenzverwalter, der im eröffneten Verfahren gem. § 27 I InsO i. V. m. § 56 ff. InsO bestellt wird. Soweit abweichend eine spezifische Ausprägung der Insolvenzverwaltertätigkeit wie etwa im Rahmen der Eigenverwaltung oder des neu geschaffenen Sanierungs- und Restrukturierungsverfahrens zu beachten sind, wird dies kenntlich gemacht. Grundsätzlich fallen unter den (Ober-) Begriff des Insolvenzverwalters solche Personen, die nach § 56 ff. InsO bestellt werden. Dazu gehören folglich der vorläufige Insolvenzverwalter (§ 21 II Nr. 1 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO), der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren (§ 27 I InsO i. V. m. § 56 ff. InsO), der Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270c, 274 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO) sowie der Insolvenzverwalter im Verbraucherinsolvenzverfahren (§ 304 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO). ___________ 20) Eine solche Unterteilung vornehmend, Braun/Frank, NZI 2020, 1 (5). 21) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4f.).

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter De lege lata finden sich einzig in den §§ 56 ff. InsO gesetzliche Regelungen zur 17 Tätigkeit des Insolvenzverwalters. Vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) am 1.1.1999 fanden sich entsprechende Regelungen zum Insolvenz- bzw. Konkursverwalter in der Konkursordnung (KO), der Vergleichsordnung (VerglO) sowie zunächst auch in der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO). Die Vorbilder dieser Regelwerke reichen zurück bis in die Zeit des römischen Reiches.

A. Der Weg zur Konkurs- und Vergleichsordnung Der erste Ansatz eines Konkursrechts lässt sich in den römischen Zwölftafel- 18 Gesetzen aus dem Jahre 451 v. Chr. erkennen. Die älteren Exekutionsrechte waren dabei von der Zwangsvollstreckung der Schuldverbindlichkeiten gegen die Person des Schuldners geprägt, die im äußersten Fall auch dessen Tötung einschließen konnte. Die Exekution des Schuldners blieb dabei jedoch nicht ohne Auswirkungen für den Zugriff auf sein Vermögen. Wohl deshalb wandelte sich das Recht der Personalexekution schließlich hin zu einer Sachexekution. Durch die Lex Poetilia wurde das Tötungsrecht des Gläubigers schließlich um 313 v. Chr. aufgehoben. Beibehalten blieb die Schuldknechtschaft, die der Gläubiger gegen den Schuldner verhängen konnte, soweit dieser nicht in der Lage war, seine Schuldsumme zu begleichen.22) Es handelte sich dabei also nicht um ein Befriedigungsrecht, sondern vielmehr um eine sanktionierende Verhaftung des Schuldners zugunsten des Gläubigers. Die weitere Entwicklung des römischen Rechts brachte schließlich die ausschließliche Realexekution hervor, die eine Besitzeinweisung eines oder mehrerer Gläubiger in das gesamte Schuldnervermögen durch einen sog. Prätor als Rechtspflegeorgan und Träger der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, per Dekret, gestattete (missio in bona debitoris). In den mit diesem Amt verbundenen Regelungen ist schließlich die erste Form eines Insolvenzverwalters zu sehen, dem sog. curator bonorum. Dieser hatte bereits die Aufgabe, das Vermögen des Schuldners zu verwalten und etwaige Güter geeignet zu verkaufen. Durch den Prätor erfolgte außerdem eine öffentlich bekanntgemachte Beschlagnahme des Schuldnervermögens, um möglichst vielen Gläubigern die Teilnahme und Befriedigung innerhalb des Verfahrens zu ermöglichen.23)

___________ 22) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 4. 23) Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 6 f.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 4; Vallender, NZI 2010, 838 (839); vgl. auch Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner, Rn. 37.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

19 War kein solcher curator bestellt, bestand die Möglichkeit für die Gläubiger, einen Geschäftsführer (magister bonorum) aus ihrer Mitte zu wählen. Dieser war unter der Aufsicht des Prätors berechtigt, das gesamte Schuldnervermögen durch Veräußerung und Zuschlag an den Meistbietenden zu veräußern und anschließend den daraus erzielten Erlös gleichmäßig an die Gläubigerschaft zu verteilen (par conditio creditorum).24)

20 Das beschriebene Konkurssystem wurde in der Folgezeit immer wieder leichten Veränderungen unterzogen. Über die ersten Neuordnungen innerhalb des Codex Justinianus aus dem Jahr 529 n. Chr.25) hinausgehend, implementierten und vertieften vor allem die ober- und mittelitalienischen Handelsstädte auf der Grundlage der römischen Errungenschaften im 13. Jhd. ein Gesamtvollstreckungsverfahren als Teil des Handelsrechts der Kaufleute. Die einzelnen Statutarrechte sahen vor, dass die Gläubigerversammlung oder ein durch sie gewählter magistratus einen Verwalter ernannte, der anschließend noch durch das Gericht zu bestätigen war.26)

21 In Frankreich regelte der „Ordonnance de commerce“ von 1673 und der „Code de commerce“ von 1807 den Konkurs und war für zahlreiche andere Rechtsordnungen Vorbild.27)

22 Im Zuge der Rezeption des römischen Rechts im 16. Jhd. erfuhren die römischitalienischen Regelungen schließlich auch Geltung für das gesamte Deutsche Reich.28) Hier galt bis zum 15. und 16. Jhd. für das Vollstreckungsrecht nach dem System des sächsischen Rechts noch der Grundsatz, dass derjenige Gläubiger, der als erster auf das Vermögen des Schuldners Zugriff nahm, einen pfandrechtsähnlichen Beschlag für sich erwarb und so zunächst allen anderen Gläubigern vorging.29)

23 Eine Erneuerung bzw. maßgebliche Prägung durch das römisch-italienische Recht hielt in den Gebieten des Deutschen Reiches zunächst Einzug durch die Rechtsordnungen der großen Hansestädte, wie beispielsweise dem Hamburger Stadtrecht von 1603. Durch das römisch-italienische Recht maßgeblich geprägt war schließlich auch die Frankfurter Reformation von 1578 und 1611 sowie das bayrische ___________ 24) Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren: Rechtsdogmatische Beobachtungen zur Geschichte des Insolvenzrechts, S. 11 ff.; ders. detailliert zur cessio bonorum und ihrer Fortentwickelung in den italienischen Städten. 25) Dazu: Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 8. 26) Kohler, Leitfaden des Deutschen Konkursrechts, S. 14; vgl. auch MüKOInsO/Stürner, Einl. Rn. 27; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 8, 9. 27) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap 7, Rn. 8. 28) MüKOInsO/Stürner, Einl. Rn. 27; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 9; Vallender, NZI 2010, 838 (839). 29) Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 9; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 7.

8

A. Der Weg zur Konkurs- und Vergleichsordnung

Landrecht von 1616. Diese Rechtsordnungen sahen nunmehr allesamt eine dem curator bonorum des römischen Rechts ähnliche Person vor.30) Das um 1645 erschiene spanische Werk „Labyrinthus creditorum concurrentium 24 ad litem per debitorem communem inter illos causatam“ konnte zeitweise ebenfalls großen Einfluss auf das europäische Insolvenzrecht ausüben. Das auf Salgado de Samoza zurückgehende Werk sah ein streng behördliches Insolvenzverfahren vor, das ohne Einfluss der Gläubigerschaft von Staats wegen eingeleitet und durchgeführt wurde.31) Nachdem zum Ende des 17. Jhd. dieses in Spanien geltende, hoheitlich organisierte 25 und administrative Konkursrecht großen Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts genommen hatte, setzte sich im 19. Jhd. in Mitteleuropa vermehrt das privatrechtlich orientierte, auf dem Selbsthilfeprinzip und dem Grundsatz der Gläubigerautonomie beruhende, italienisch-französische Konkursverfahren durch.32) Im deutschen Rechtsraum konnte nach der preußischen Hypotheken- und Kon- 26 kursordnung von 1722, der preußischen Konkursordnung von 1855 sowie der bayrischen Zivilprozessordnung von 1869 mit der Konkursordnung von 1877 erstmals eine für das damalige Deutsche Reich einheitliche Gesetzgebung geschaffen werden.33) Die Konkursordnung von 1877 beschritt dabei einen Mittelweg zwischen dem im 17 Jhd. vorherrschenden spanischen System, das gerade auch in Deutschland starken Einfluss auf die partikularrechtlichen Regelungen hatte, und dem später verbreiteten System der oberitalienischen Städte.34)

I.

Ausgangspunkt Konkursordnung

„Die Geschichte der deutschen Konkursordnung beginnt eigentlich erst mit der 27 Preußischen Konkursordnung vom 8. Mai 1855“.35) In ihr findet man mit den ___________ 30) Kohler, Leitfaden des Deutschen Konkursrechts, S. 32 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/ Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 7. 31) Gottwald/Gottwald, InsolvenzrechtsHdb., § 1 Rn. 6; Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 8. 32) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht Kap. 7, Rn. 9 – 11. 33) Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 13; vgl. auch Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner Rn. 46. 34) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 11; Thieme hält dazu fest, dass „das deutsche Konkursrecht nach der wirtschaftlichen beckssion im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges die Brücken zum archaischen älteren deutschen Konkursrecht abgebrochen und sich der modernen römisch-französisch-spanischen Tradition zugewandt.“ hatte, Thieme, Zur Entstehung der Konkursordnung, S. 45. 35) Uhlenbruck, Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 11.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

§§ 211 – 219 entsprechende Ausführungen36) zu einer dem Insolvenzverwalter ähnlichen Person und zwar unter der Bezeichnung als sog. „definitiven Verwalter der Masse“. Der § 215 der Preußischen Konkursordnung von 1855 konstatierte bereits: „Der definitive Verwalter ist der Vertreter der Gläubigerschaft und der Masse. Seine Aufgabe ist, die Liquidation der Masse, die Feststellung der an dieselbe erhobenen Ansprüche und die Befriedigung der Gläubiger zu betreiben.“ § 214 beschrieb darüber hinaus bereits Voraussetzungen, die zur Ernennung des definitiven Verwalters vorliegen mussten. So schreibt § 214 I vor, „das Amt des definitiven Verwalters (…) einem geschäftskundigen Manne zu übertragen, welcher am Sitze des Gerichts, oder an dem Orte, wo das Hauptgeschäft des Gemeinschuldners sich befindet, oder in deren Nähe seinen Wohnsitz hat;“ zu übertragen.

28 Die Preußische Konkursordnung von 1855, wie auch die Bayerische Prozeßordnung von 1869 und der diesen vorangegangene, sie maßgeblich prägende37) französische Code de commerce von 1807/08, dienten schließlich als Grundlage für einen Justizministerialentwurf „Entwurf einer Deutschen Gemeinschuldordnung“ von 1872, der zur späteren KO mündete. Die neue KO wurde dann am 21.12.1876 durch den Reichstag als eines der sog. „Reichsjustizgesetze“ verabschiedet und konnte am 1.10.1877 Inkrafttreten.38) Durch die Novelle vom 17.5.1898 wurde die KO dann dem BGB und seinen Nebengesetzen angepasst.39) Sie wurde erst am 1.1.1999 durch das Inkrafttreten der neuen InsO aufgehoben.

29 Die überarbeitete Fassung der KO40) enthielt in den §§ 78 ff. KO nunmehr keine wirklich aussagekräftigen Regelungen über die Rolle des Konkursverwalters. § 78 I KO etwa konstatierte nur knapp, dass „der Konkursverwalter von dem Gerichte ernannt“ wird. § 83 KO schließlich, dass „Der Verwalter (…) unter der Aufsicht des Konkursgerichts.“ steht. Ähnlich fielen entsprechende Regelungen zur Haftung des Konkursverwalters sowie zur Wahl eines anderen Verwalters aus. Die §§ 78 ff. KO ließen dem Konkursgericht, mangels konkreter gesetzlicher Grenzen, einen sehr weiten Ermessensspielraum. Welchem Berufskreis der Konkursverwalter angehören sollte, über welche Qualifikation, Fachkenntnisse bzw. Geschäftskunde er verfügen sollte, lag damit allein in der Hand des Konkursgerichts. Die Auswahl des Konkursverwalters sei vielmehr eine von Fall zu Fall zu ___________ 36) Abrufbar unter: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN727630997& PHYSID=PHYS_0072&DMDID=DMDLOG_0003 (zuletzt abgerufen: 20.4.2018). 37) Gottwald/Gottwald, InsolvenzrechtsHdb., § 1 Rn. 7; MüKoInsO/Stürner, Einl. Rn. 30; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 9. 38) Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, Einl., I.; MüKoInsO/Stürner, 3. Aufl. 2013, Einl. Rn. 31; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht.; zu den an den Arbeiten der Konkursordnung von 1877 beteiligten Persönlichkeiten und verschiedenen Vorarbeiten, Thieme, Zur Entstehung der Konkursordnung, S. 50 ff. 39) Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, Einl., I. 40) Abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fges%2FKO%2Fcont%2FKO% 2EP80%2Ehtm (zuletzt abgerufen: 14.6.2023).

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A. Der Weg zur Konkurs- und Vergleichsordnung

entscheidende Zweckmäßigkeitsfrage.41) Nach Ernst Jaeger seien alle natürlichen Personen für das Verwalteramt befähigt, „auch Frauen, auch Konkursgläubiger, auch nahe Angehörige des Schuldners (…), nach der gesetzlichen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Verwalter und Gemeinschuldner aber (…) weder der Schuldner persönlich (…) noch dessen allgemeiner gesetzlicher Vertreter (z. B. Vormund).“42) Festzustellen ist daher, dass es im Rahmen der KO keiner bestimmten beruflichen Qualifikation bedurfte, um als Konkursverwalter bestellt zu werden. Vallender konstatiert gar rückblickend, dass sich die Konkursverwalterbestellung in Deutschland bis 1999 in einem nahezu rechtsfreien Raum abspielte.43) Die Tätigkeit des Konkursverwalters war nicht als eigenständiger Beruf anerkannt, sondern wurde von anderen Berufsgruppen ausgeübt.44)

II. Rudimentäre berufsrechtliche Regelung in der Vergleichsordnung Mit der am 1.4.1935 in Kraft tretenden VerglO45) wurden erstmals, mehr als 50 30 Jahre nach Inkrafttreten der KO, konkretisierende Vorschriften zu den genannten Normen der KO geschaffen. Die VerglO sah einen Zwangsvergleich vor und diente als Alternative zum Konkursrecht.46) § 38 VerglO enthielt nunmehr konkretere Bestimmungen für die Bestellung des Vergleichsverwalters, die die zeitgenössische Literatur auch auf die Konkursverwalterbestellung anwandte.47) Bei der Verwalterbestellung wurden von nun an gem. § 38 VerglO erstmals (wieder) die Kriterien der Geschäftskunde und der Unabhängigkeit des Verwalters gesetzlich festgelegt. Für den Vergleichsverwalter enthielt die VerglO außerdem weitere Konkretisie- 31 rungen bezüglich der Rechte und Pflichten der Verwalter (§§ 40, 43 VerglO) sowie der gerichtlichen Aufsicht (§ 41 VerglO). Enthalten waren erstmals Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Vergleichsverwaltern wie das Betretungsrecht, um Nachforschungen in den Geschäftsräumen des Schuldners anzustellen oder das Einsichtsrecht in die Bücher und Geschäftspapiere sowie ein Auskunftsrecht gegenüber Angestellten des Schuldners. Diese waren zwar nicht analog auf die Bestimmungen der KO anwendbar, doch erließ der Reichsjustizminister im November 1935 eine Verwaltungsvorschrift zu § 38 VerglO, die die enthaltenen Kriterien ausdrücklich auch auf die Auswahl des Konkursverwalters für anwendbar erklärte. ___________ 41) Jaeger, Konkursrecht (1924), S. 58. 42) Jaeger, Konkursrecht (1924), S. 58. 43) Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (106). 44) So auch Beck, Plädoyer für ein Berufsrecht der Insolvenzverwalter in: FS Wimmer, S. 31 (33). 45) Abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fges%2Fverglo% 2Fcont%2Fverglo.inh.htm&anchor=Y-100-G-VERGLO&jumpType=Jump&jumpWords= vergleichsordnung (zuletzt abgerufen: 14.6.2023). 46) Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Rn. 3.24. 47) Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, § 78 KO; Kuhn/Uhlenbruck, 10. Aufl. 1986, § 78 KO, Rn. 2.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

32 Darin heißt es: „Zur Behebung von Zweifeln wird auf folgendes hingewiesen: Nach § 38 der Vergleichsordnung vom 26.2.1935 (RGBl I, 321) ist zum Vergleichsverwalter eine geschäftskundige, von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestellen. Im Gesetz ist nicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern auf Geschäftskunde und Unabhängigkeit von den Beteiligten abgestellt. Im Vergleichsverfahren sind nicht selten verwickelte Rechtsfragen zu entscheiden, andererseits gehören, wie sich aus § 43 I S. 2 Vergleichsordnung ergibt, grundsätzlich auch die Prüfung der Bücher und die Schätzung der Warenbestände zu den Aufgaben des Vergleichsverwalters. Für dieses Amt kommen also sowohl Rechtsanwälte wie Wirtschaftstreuhänder, Diplomkaufleute, Buchprüfer oder sonstige entsprechend vorgebildete Persönlichkeiten infrage. Ob im Einzelfall eine mehr rechtliche oder mehr wirtschaftlich vorgebildete Persönlichkeit zu bestellen ist, wird davon abhängen, ob es sich überwiegend um rechtliche oder mehr buchtechnische und verwertungstechnische Fragen handelt. Dieselben Gesichtspunkte werden auch für Auswahl eines Konkursverwalters maßgebend sein.“48)

33 Bis zum Ende der 1990er Jahre verwies die zeitgenössische Kommentarliteratur weitestgehend unkritisch auf die obige Verwaltungsvorschrift des Reichsjustizministers49), obwohl ihre weitere Anwendbarkeit zum Teil auch für bedenklich erachtet wurde.50)

34 Beck zieht aus dem Festhalten an der genannten Ausführungsverfügung den Schluss, dass es bis zum Erlass der InsO kaum zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik eines eigenständigen Berufes der Konkursverwalter gekommen sei.51)

35 Trotz etwas konkreterer Regelungen durch die VerglO, vorwiegend auf dem Gebiet der Verwalterbestellung, bestanden zur Zeit der Geltung von KO und VerglO demnach keine konkreten berufsrechtlichen Regelungen für den Konkursverwalter. Zumeist kritisiert wurde dies auch schon damals lediglich im Rahmen der gerichtlichen Verwalterbestellung. Aber auch in Bezug auf die Berufsausübung und die gerichtliche Aufsicht52) der Verwalter ließen KO, VerglO und GesO vertiefte gesetzliche Ausgestaltungen vermissen. ___________ 48) Abgedruckt bei: Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, Anh. 5; Schick, NJW 1991, 1328 (1330). 49) Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, § 78 KO; Kuhn/Uhlenbruck, 10. Aufl. 1986, § 78 KO, Rn. 2. 50) Vgl. Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (34); Schick, NJW 1991, 1328 (1330). 51) Beck, Plädoyer für ein Berufsrecht der Insolvenzverwalter in: FS Wimmer, S. 31 (34). 52) So war das Konkursgericht zwar nach § 84 KO zur Festsetzung eines Zwangsgeldes berechtigt, dennoch blieben die „Machtbefugnisse die das Gesetz dem Konkursgerichte gegenüber dem Konkursverwalter einräumt“ inhaltlich wesentlich schwächer ausgestaltet wie etwa die des Vormundschaftsgerichts gegenüber dem Vormund. Nach außen handelte der Konkursverwalter i. R. d. gesetzlichen Aufgaben völlig selbstständig. Die Befugnisse des Konkursgerichts beschränkten sich allein darauf, dem Konkursverwalter in geschäftlichen Dingen Ratschläge zu erteilen und seine Aufsichtsgewalt, durch das Anfordern von Berichten oder der Prüfung von Kassen- und Buchführung, auszuüben. Vgl. Jaeger, Konkursrecht (1924), S. 59.

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B. Insolvenzrechtsreform von 1999

B. Insolvenzrechtsreform von 1999 Durch das Inkrafttreten der neuen InsO am 1.1.1999 fand ein umfangreicher Re- 36 formprozess des Insolvenzrechts in Deutschland sein Ende. Die neue InsO löste damit die bis dato geltende „Zweispurigkeit“53) zwischen den Regelungen der KO und VerglO ab und sorgte gemäß der gesetzgeberischen Zielsetzung für eine Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Insolvenzrechts.54) Grund für die Reformbestrebungen war ein erheblicher Funktionsverlust von KO 37 und VerglO. Die Zahl der konkursabwendenden Vergleichsverfahren fiel auf unter 1 %, der Anteil nicht eröffneter Mangelkonkurse stieg auf über 80 %, und die durchschnittliche Befriedigungsquote lag nur noch zwischen 3,5 % und 7 %.55)

I.

Einführung von § 56 InsO

Mit den nun geltenden Regelungen zum Insolvenzverwalter in den §§ 56 ff. InsO, 38 blieb eine umfangreiche Reform der verschiedenen Problematiken um die Tätigkeit des Insolvenzverwalters allerdings aus. § 56 InsO beruht insoweit maßgeblich auf den früheren Rechtsvorschriften des § 38 VerglO und § 5 II GesO. Als maßgebliche Änderung wurde diesem lediglich hinzugefügt, dass Voraussetzung für die Bestellung zum Insolvenzverwalter nach § 56 I InsO nun auch die Eignung für den jeweiligen Einzelfall sein solle.56) Damit sollte die Sicherung der Qualität des jeweiligen Verwalters gewährleistet werden. Bestehen blieben auch die bereits (historisch) bekannten Kriterien der Geschäftskunde und Unabhängigkeit des Verwalters. Dabei war durch die Kommission sogar zunächst vorgesehen, nur das Kriterium der Unabhängigkeit des Verwalters in den Gesetzestext aufzunehmen und etwaige Anforderungen an die Qualifikation des Verwalters allein in das pflichtgemäße Ermessen des zuständigen Richters zu stellen.57) Durch das Einfügen des Wortes „insbesondere“ vor das Kriterium der Geschäftskunde, betont der Gesetzgeber allerdings, dass diesem Kriterium überragende Bedeutung beizumessen sei.58) Durch das ergänzende Merkmal der natürlichen Person, das der Regierungsentwurf in seiner ursprünglichen Fassung noch nicht enthielt, sollte das Anforde___________ 53) Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 48. 54) Vgl. unter A. Zielsetzungen, Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks. 12/2443 v. 15.4.1992; Ebenfalls wurde die in den neuen Bundesländern geltende GesO und GUG abgelöst, Pape/Uhlenbruck/ Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 8, Rn. 9. 55) MüKoInsO/Stürner, Einl., Rn. 33; ähnlich auch unter A. Problem in der Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 12/7302 v. 19.4.1994; vergleichbare Zahlen auch bei Gottwald/Gottwald, InsolvenzrechtsHdb., § 1 Rn. 21; Vallender, NZI 2010, 838 (840). 56) Stapper, NJW 1999, 3441 (3442f.). 57) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 14 f. 58) Stapper, NJW 1999, 3441 (3442).

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

rungsprofil an den Insolvenzverwalter schließlich in einem entscheidenden Punkt beschränken werden und juristische Personen ausschließen.59)

39 Bezüglich der Aufsicht über die Insolvenzverwalter hat sich der Gesetzgeber ebenfalls für die Beibehaltung der alten Grundsätze aus der KO und der GesO entschieden: Wie nach altem Recht, § 83 KO, §§ 40 II S. 2, 41 VerglO, § 8 III S. 1 GesO, sollte der Insolvenzverwalter auch weiterhin der gerichtlichen Aufsicht unterstehen.60)

40 Festzustellen ist, dass auch bei der bislang größten Reform des Insolvenzrechts in Deutschland die Gelegenheit nicht genutzt wurde, im Rahmen der Regelungen zum Insolvenzverwalter, ihrer Auswahl, Bestellung, Aufsicht sowie ihren Rechten und Pflichten, zu einer Konkretisierung der vielen Problematiken durch entsprechende gesetzliche Normen zu gelangen.

II. Änderungs- und Reformvorhaben nach 1999 41 Auch nach Inkrafttreten der InsO gab es immer wieder Änderungsvorhaben und Reformvorschläge zu § 56 InsO:

42 Erstmals geändert wurde § 56 InsO mit Beschluss des Bundestages vom 1.2.2007 nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens des Bundesministeriums der Justiz vom Februar 2006. Es handelte sich dabei jedoch mehr um eine redaktionelle Änderung als um eine inhaltliche. Dem bestehenden § 56 InsO wurde lediglich folgende klarstellende Passage hinzugefügt: Zum Insolvenzverwalter ist eine (…) Person zu bestellen, „die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Die Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen kann auf bestimmte Verfahren beschränkt werden.“61)

43 Für das Thema der vorliegenden Arbeit relevant war schließlich ein Änderungsversuch durch den Diskussionsentwurf für das Gesetzes zur Vereinheitlichung der Aufsicht in Insolvenzverfahren (GAVI) aus dem Jahr 2006 bzw. der dann später durch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen im Jahr 2007 eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung und Vereinfachung der Aufsicht in Insolvenzverfahren (GAVI).62)

___________ 59) Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105, (106). 60) Vgl. Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks. 12/2443 v. 15.4.1992, S. 127f.; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter – Grund und Reichweite (Überlegungen zum GAVI), S. 12. 61) Eingeführt durch das InsVereinfG v. 13.4.2007; BGBl. I S. 509; vgl. BT-Drs. 16/3227 S. 18. 62) BR-Drs. 566/07 v. 15.8.07; BT-Drs. 16/7251.

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B. Insolvenzrechtsreform von 1999

Danach sollte § 56 InsO wie folgt geändert werden:

44

„(3) Jeder Insolvenzrichter hat auf Antrag auch außerhalb eines anhängigen In- 45 solvenzverfahrens darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller als generell geeignet für die Übernahme des Insolvenzverwalteramtes in seinem Gerichtsbezirk anzusehen ist. Er legt die Kriterien fest, die zur Annahme einer generellen Eignung führen, und teilt sie auf Anforderung dem Antragsteller mit. Der Antrag und die Feststellung können auf bestimmte Arten von Verfahren beschränkt werden; die Feststellung kann mit Auflagen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Amtsführung verbunden werden. (4) Erweist sich eine als geeignet anerkannte Person als persönlich oder fachlich 46 ungeeignet, so hebt der Insolvenzrichter die Feststellung über die Eignung auf. Das Gleiche gilt, wenn die Feststellung mit einer Auflage verbunden war, und diese nicht oder nicht innerhalb einer gesetzten Frist erfüllt wird. (5) Gegen die Ablehnung des Antrags, gegen die Anordnung von Auflagen und ge- 47 gen die Aufhebung der Feststellung steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. (…).“63) Die beiden Länder führten zur Begründung unter anderem einen höheren Bedarf an 48 Kontrolle über die Insolvenzverwalter an. Diese sei für Insolvenzverwalter geboten, da die Berufsgruppe etwa im Vergleich zur Berufsgruppe der Notare sehr wenig reguliert sei, obwohl auch ihnen beispielsweise die Verwaltung fremden Vermögens und fremder Gelder anvertraut ist.64) Zur Begründung des oben stehenden Änderungsvorschlages wurden außerdem die bis dato ergangenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 3.8.200465) und 23.5.200666) angeführt, aus denen sich nach Ansicht der Entwurfverfasser für die Führung der Vorauswahllisten unter anderem ergebe, dass „konkrete Kriterien für die Annahme der generellen Eignung eines Bewerbers festzulegen“ seien.67) Diese Notwendigkeit ergebe sich darüber hinaus auch aus der durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu erwartenden, größere Anzahl von Insolvenzverwaltern an den jeweiligen Insolvenzgerichten. Ziel der Regelung sollte somit auch die Verringerung des Arbeits- und Koordinierungsaufwands auf Seiten der Gerichte wie auch auf Seiten der betroffenen Insolvenzverwalter sein. Nachdem der Bundesrat beschlossen hatte, den Entwurf beim Bundestag einzu- 49 bringen, entfielen nach den Beratungen der Ausschüsse allerdings mehrere Passa___________ 63) 64) 65) 66) 67)

BR-Drucks. 566/07 v. 15.8.07, S. 2. (unterstrichene Passagen durch den Verfasser hervorgehoben). BR-Drucks. 566/07 v. 15.8.07, S. 9. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453. BR-Drucks. 566/07 v. 15.8.07, S. 12f.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

gen, unter anderem die genannten Änderungsvorschläge zu § 56 InsO.68) Die zuständigen Ausschüsse, wie auch die Verlautbarungen der BRAK69) zu dem geschilderten Vorhaben, sahen die oben stehenden Änderungen im Lichte der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts für nicht erforderlich.70)

50 Auch bezüglich der Aufsicht des Insolvenzgerichts über das Insolvenzverfahren enthielt der GAVI entsprechende Änderungsvorschläge. So sollte § 58 III InsO (GAVI) etwa die Übermittlung von personenbezogenen Informationen durch die Gerichte und Behörden zur verbesserten Aufsicht durch das Insolvenzgericht erlauben. § 58a InsO (GAVI) sollte den Inhalt der durch den Verwalter zu erstellenden Zwischenberichte näher konkretisieren.71)

51 Die befragten Sachverständigen bewerteten die Änderungen in den Ausschüssen allerdings kritisch und erachteten sie als eine Überregulierung und damit für überflüssig.72) Trotz gegenteiliger Ansicht der Justizministerkonferenz und anderer Autoren73) wurde der Gesetzesentwurf schließlich nicht beschlossen.

52 Mit Inkrafttreten vom 1.3.2012 hat § 56 I InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)74) eine Klarstellung bezüglich der erforderlichen Unabhängigkeit des Verwalters erfahren. Sie soll demnach nicht schon dann ausgeschlossen sein, wenn der Verwalter „1. vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist oder 2. den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat.“.75)

53 Unter der Zielvorgabe, die „Rechte der Gläubiger“ stärken zu wollen, führten die Änderungen des ESUG auch zu einer Neuausrichtung der Rahmenbedingungen bei der Verwalterwahl. So wurde eine zum Teil zwingende Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO eingeführt, die außerdem die Verpflichtung ___________ 68) Vgl. später eingebrachter Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 16/7251 v. 21.11.2007. 69) BRAK Stellungnahme 40/2006, abrufbar unter: https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/ stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2006/ (zuletzt abgerufen: 14.6.2023). 70) Filges, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 279 (283f.). 71) Vgl. BT-Drs. 16/7251, S. 5 ff.; Rechel, in: Aktuelle Probleme des geltenden deutschen Insolvenzrechts: Insolvenzrechtliches Symposium der Hanns-Martin Schleyer-Stiftung in Kiel 6./7. Juni 2008, S. s (54) f. 72) Vgl. Filges, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 279 (284). 73) So bspw. Rechel, der trotz Defizit davon ausgeht, dass die Änderungen des GAVI in Teilen zu einer Stärkung der insolvenzgerichtlichen Aufsicht führen, indem es die Handlungspflichten der Insolvenzverwalter konkretisiere und standardisiere und auch das Aufsichtsintrumentarium der Gerichte erweitere, Rechel, in: Aktuelle Probleme des geltenden deutschen Insolvenzrechts: Insolvenzrechtliches Symposium der Hanns-Martin Schleyer-Stiftung in Kiel 6./7. Juni 2008, S. s (54f.). 74) Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Bunte/Kaufmann, DZWIR 2011, 359. 75) Diese Ergänzung für verzichtbar haltend, Römermann, ZIP 2018, 1757 (1763).

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C. Zwischenergebnis

enthielt, diesen vorläufigen Gläubigerausschuss vor einer Bestellungsentscheidung anzuhören, § 56a I InsO. Der § 56a II InsO hielt nunmehr außerdem fest, dass das Insolvenzgericht an eine entsprechende Auswahlvorgabe des Gläubigerausschusses gebunden sein solle.76) Im Dezember 2020 wurde § 56 InsO nunmehr leicht durch das Gesetz zur Fort- 54 entwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) abgeändert und vorwiegend an das neu geschaffene Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) angepasst. § 56 InsO wurde dabei ein neuer Satz 2 hinzugefügt: „Wer als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator in einer Restrukturierungssache des Schuldners tätig war, kann, wenn der Schuldner mindestens zwei der drei in § 22a Absatz 1 genannten Voraussetzungen erfüllt, nur dann zum Insolvenzverwalter bestellt werden, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss zustimmt.“

C. Zwischenergebnis Rechtshistorisch liegt der Ursprung des heutigen Insolvenzverwalters im römi- 55 schen Recht. In Deutschland enthielten erstmals die §§ 214, 215 der Preußischen Konkursordnung von 1855 für den gesamten deutschen Rechtsraum konkretere Regelungen zu den Aufgaben und Voraussetzungen der Tätigkeit eines Konkursverwalters. In der Konkursordnung von 1877 wurden diese zunächst wieder aufgegeben und damit sehr abstrakte und wenig konkrete Vorschriften geschaffen. Erst 1935 wurde durch die VerglO unter Rückgriff auf die altbekannten Kriterien aus der Preußischen Konkursordnung der Weg für eine weitere Ausgestaltung geebnet. Weiter beschritten wurde dieser durch die Ausführungsverordnung des Reichsjustizministers aus dem Jahr 1935. Vertiefende Regelungen zu Auswahl, Berufsausübung und Berufsaufsicht enthielten diese jedoch nicht. Trotz offenliegender inhaltlicher Schwächen blieb eine Auseinandersetzung mit der Thematik eines eigenständigen Berufsrechts zu dieser Zeit aus. Auch mit der Schaffung der InsO blieb eine Weiterentwicklung der Kodifizierung 56 zur Tätigkeit des Insolvenzverwalters aus. Auch inhaltlich nicht unbeachtliche Änderungsbestrebungen zur InsO konnten sich nicht durchsetzen. Als Ausfluss der verschiedenen Ausprägungen, einerseits des spanischen, hoheit- 57 lich organisierten, administrativen Verfahrens Salgado de Samoza´s, andererseits des stärker auf Gläubigerautonomie beruhenden italienisch-französischen Konkursverfahrens, versucht die InsO noch heute einen Ausgleich zwischen eben diesen Einflüssen zu beschreiben. Die stärkere Ausrichtung des Insolvenzverfahrens ___________ 76) Graeber, Die Entwicklung der Verwalterauswahl unter der Insolvenzordnung in: FS Vallender, S. 165 (172); vgl. detaillierter, Piekenbrock, Das Insolvenzrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: eine Dauerbaustelle, S. 82 ff.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter

in die eine oder andere Richtung ist bis heute Gegenstand einer lebhaften Diskussion.77) Mit Einführung des ESUG im Jahre 2012 konnten der Gläubigereinfluss und die Rechte der Gläubigerschaft erstmals erheblich gestärkt werden.

58 Festhalten lässt sich insgesamt, dass sich die Kodifikation zur Tätigkeit des Insolvenzverwalters im Verlauf des letzten Jahrhunderts nicht signifikant weiterentwickeln konnte.

___________ 77) Vgl. nur die Ergebnisse zur ESUG Evaluation: Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ZInsO 2018, 2402; dazu, Buchalik, ZInsO 2019, 465; Pape, ZInsO 2018, 2725.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die Grundlagen dieser Untersuchung 59 geben. Zunächst wird der Begriff des Berufsrechts sowie des freien Berufes beschrieben (Rn. 60). Sodann wird die Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens erläutert (Rn. 68), bevor dann schwerpunktmäßig auf die staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens sowie des Insolvenzverwalters innerhalb der Zivilrechtspflege und im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten untersucht werden soll (Rn. 71). Letztlich sollen die Ausführungen zum Begriff des Berufsrechts aufgegriffen werden und anhand der Entwicklung des Berufsbildes überprüft werden, ob auch die Tätigkeit des Insolvenzverwalters einen freien Beruf darstellt (Rn. 116).

A. Berufsrecht Für das bessere Verständnis der später ergehenden Untersuchung soll hier zunächst 60 die notwendige theoretische Klärung in Bezug auf die Begriffe des Berufsrechts (Rn. 61) und des sog. freien Berufs (Rn. 64) vorgenommen werden. Erst an späterer Stelle wird anhand dieser Erläuterungen zu prüfen sein, ob für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters bereits heute eine Art Berufsrecht besteht. Ferner wird zu prüfen sein, ob auch der Insolvenzverwalter einen sog. freien Beruf ausübt.

I.

Der Begriff des Berufsrechts

Der Begriff des Berufsrechts bezeichnet alle Normen, die sich auf den Zugang zu 61 einem Beruf sowie ferner die Berufsausübung selbst beziehen. Der Begriff des Berufsrechts ist dabei kein verfassungsrechtlicher Begriff, er wird weder in verwaltungsrechtlichen Normen, noch im europäischen Primärrecht gebraucht, er ist vielmehr ein rechtswissenschaftlich und rechtspolitisch ordnender Sammelbegriff.78) Das Berufsrecht ist schließlich statusbezogenes Recht, da es die Tätigkeit eines staatlich regulierten Berufs als Anknüpfungspunkt auswählt und ihr entsprechende Rechte und Pflichten zuordnet. Grundsätzlich erfassen berufsrechtliche Normen die jeweilige Tätigkeit nicht unabhängig von ihrer Eigenschaft, sondern setzen sie voraus. Berufsrechtliche Regelungen erfassen etwa den Rechtsanwalt nicht unabhängig von seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, sondern setzen diese voraus.79) Abzugrenzen ist der Begriff des Berufsrechts derweil von der früher verwendeten 62 Bezeichnung des Standesrechts. Letzteres beschreibt das von einem Berufsstand geschaffene, eigene Recht, das die jeweiligen Standesmitglieder, Standesorganisationen oder Gremien aufstellen.80) Der Begriff des Standesrechts implementierte ___________ 78) Kluth/Böllhoff/Ruffert, Handbuch des Kammerrechts, § 9 Rn. 1. 79) Vgl. Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, S. 2 Rn. 4. 80) Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, S. 1 Rn. 2; von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 24.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

sich zunächst im Wesentlichen mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte, die neben erstmals festgeschriebenen Regelungen81) bereits früh eigene Standesrichtlinien bildeten.82) Mit den bekannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987 sprach das Gericht den Standesrichtlinien die Qualität als Hilfsmittel zur Auslegung und Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO ab, da die Standesrichtlinien mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht als Normen angesehen werden konnten.83) Einem Standesrecht war damit der Nährboden entzogen.84) Daraus folgt vor allem, dass Berufsrecht den gleichen verfassungsrechtlichen Anforderungen wie auch das einfache Gesetzesrecht genügen muss. Sind Kammern etwa aufgerufen, kraft ihrer Satzungsgewalt berufsrechtliche Regelungen zu schaffen, müssen diese Bestimmungen nicht nur von der durch Gesetz zugewiesenen Satzungsautonomie gedeckt sein, sondern dürfen nicht mit höherem Recht kollidieren. Sog. statusbildende Regelungen sind demnach dem Gesetzgeber vorbehalten.85)

63 Eine Legaldefinition des Berufsrechtsbegriffes gibt es schließlich allerdings nicht.86) Das Berufsrecht formt sich schlussendlich selbst aus sich heraus durch das Bestehen von Rechtsvorschriften betreffend den Berufszugang, die Berufsausübung und die Berufsaufsicht.87)

II. Der „freie Beruf“ 64 Einen feststehenden, eindeutigen Begriff des freien Berufes gibt es nicht.88) Auch das Bundesverfassungsgericht sah trotz einer nicht abschließenden Aufzählung einzelner freier Berufe in § 6 I 1 GewO keinen eindeutigen Rechtsbegriff. Es handele sich vielmehr um einen soziologischen Begriff, der zur Kennzeichnung eines aus der gesellschaftlichen Situation des frühen Liberalismus erwachsenen Sachverhalts entstanden sei und nachfolgend partiell von der Rechtsordnung aufgegriffen wurde.89) Die Rechtsordnung kann den Begriff des freien Berufes folglich nicht ___________ 81) Erstmals infolge der Gründung des Deutsches Reiches im Jahr 1871 und dem Erlass der Reichjustizgesetze 1877 zu denen auch die Rechtsanwaltsordnung (RAO) vom 1. Juli 1878 gehörte; dazu Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, S. 3 Rn. 8. 82) Vgl. Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, S. 5 Rn. 10f. 83) BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 u. a. = NJW 1988, 191. 84) Unter anderem aufgrund der weitreichenden, revolotionären Folgen der Entscheidungen, einer Art Sturm auf das anwaltliche Berufsrecht alter Prägung erlangten die Beschlüsse den Namen „Bastille-Entscheidungen“. Sie wurden als Ausgangspunkt für eine zunehmende Kommerzialisierung der anwaltlichen Berufstätigkeit begriffen, Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142 (142f., 147). 85) Kluth/Böllhoff/Ruffert, Handbuch des Kammerrechts, § 9 Rn. 6 ff. 86) von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 24. 87) Vgl. BT-Drucks. 8/3139, S. 20. 88) Rennert, DVBl 2012, 593 (593). 89) BVerfG, Beschl. v. 25.2.1960 – 1 BvR 239/52 = NJW 1960, 619 (620).

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A. Berufsrecht

vollständig und im Kern, sondern nur unbeholfen und näherungsweise mit bestimmter Normierungsabsicht umschreiben. Eine allgemeingültige Definition besteht auch hier nicht.90) In der Wissenschaft wird der Begriff als sog. Typusbegriff bezeichnet, der erfüllt sei, wenn mehrere Merkmale einer vielgliedrigen Definition vorlägen. Was hierunter zu verstehen sei, erschließe sich vor dem Hintergrund der einzelnen Merkmale, die der Beschreibung des freien Berufes zugrunde gelegt würden.91) Hiernach genüge es, wenn eine Tätigkeit unter Beachtung der Merkmale insgesamt das Gepräge eines freien Berufs aufweise.92) Das Bundesverwaltungsgericht führt derweil aus, dass der Begriff des freien Beru- 65 fes zumindest für den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung hinreichend konturiert sei. Es sei darauf abzustellen, ob es sich um eine wissenschaftliche, künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeit höherer Art oder eine Dienstleistung höherer Art handele, die eine höhere Bildung, d. h. grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium oder eine besondere schöpferische Begabung erfordere.93) Eine gesetzliche Definition, die auf die Begrifflichkeit der Gewerbeordnung ausstrahle, fände sich zudem in § 1 II 1 PartGG. Danach haben die freien Berufe „im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation und schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt“.94) Einigkeit besteht jedoch gleichzeitig darüber, dass sich § 1 II 1 PartGG ebenfalls nicht für eine trennscharfe Begriffsbestimmung eignet. Losgelöst von einer etwaigen Unschärfe der durch § 1 II 1 PartGG verwendeten Kriterien folgt bereits aus der gesetzlichen Ergänzung, dass eine entsprechend genannte Eigenschaft lediglich „im Allgemeinen“ vorläge, dass der Gesetzgeber selbst also keine Legaldefinition schaffen wolle.95) Die fehlende Trennschärfe schließe die rechtliche Relevanz als Legalbeschreibung bzw. Typusbeschreibung jedoch nicht gänzlich aus.96) Es handele sich methodisch vielmehr um einen offenen Typus, der die in Frage stehende Tätigkeit nicht in einzelnen, abstrahierenden Kriterien, sondern als „Merkmal-Ganzes“ beschreibe und durch die Vermeidung von Klassifikationen die sinngemäße Erfassung und Zuordnung von Zwischenformen ermögliche.97) ___________ Mann, NJW 2008, 121 (122); Rennert, DVBl 2012, 593 (593). Vgl. Kluth, JZ 2010, 844 (845); Rennert, DVBl 2012, 593 (593). Mann, NJW 2008, 121 (122). Statt vieler: BVerwG, Urt. v. 27.2.2013 – 8 C 8/12 = NJW 2013, 2214 (2215). BVerwG, Urt. v. 27.2.2013 – 8 C 8/12 = NJW 2013, 2214 (2215). MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 37; vgl. auch Mann, NJW 2008, 121 (122); Rennert, DVBl 2012, 593 (594). 96) MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 38. 97) Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (461 ff.); MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 37f.; vgl. ferner Weyland/Brüggemann, § 1 PartGG, Rn. 13.

90) 91) 92) 93) 94) 95)

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

66 Auch in § 18 I Nr. 1 2 EStG wird der Begriff des freien Berufes aufgegriffen. Er wird hier in drei Gruppen freiberuflicher Tätigkeiten eingeteilt, nämlich wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende und erzieherische Tätigkeiten. Die weiteren Katalogberufe entsprechen denjenigen des PartGG. Der § 18 I Nr. 1 2 EStG trägt damit jedoch nicht wesentlich zu einer weiteren, konturierenden Begriffsbestimmung bei, lediglich im Rahmen des Vorliegens eines Gewerbebetriebs oder einer selbstständigen Tätigkeit wird zT auch auf eine steuerrechtliche Betrachtung iS der Vorschrift abgestellt.98)

67 Schlussendlich beschreiben die unterschiedlichen Rechtsordnungen den Begriff des freien Berufes nur annäherungsweise. Durch die offene Typusbeschreibung kommt es letztendlich darauf an, ob im Einzelfall, unter Berücksichtigung der genannten Beschreibungen der Rechtsordnungen und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung, das Gesamtgepräge das Vorliegen eines freien Berufes rechtfertigt. Dies bestätigt auch die oben genannte Praxis des Bundesverwaltungsgerichts, die durch die rechtsgebietsübergreifende Beschreibung des Begriffs schließlich zu einer Konturierung gelangt.99)

B. Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens 68 Der rechtliche Begriff der Insolvenz erfasst jede wirtschaftliche Notlage eines Schuldners oder Schuldnerunternehmens, die seine Existenz in Frage stellt und zum Insolvenzantrag berechtigt oder verpflichtet. Das Insolvenzrecht bezeichnet die Summe aller Rechtsvorschriften, die den existenzbedrohenden Zustand eines Schuldners oder Schuldnerunternehmens regeln.100)

69 Das Insolvenzverfahren ist letztlich als ein als Selbstverwaltung ausgestaltetes Vollstreckungsverfahren ausgestaltet, das unter gerichtlicher Aufsicht steht.101) Das Insolvenzverfahren ist Gesamtvollstreckungsverfahren, da die Gesamtheit der Gläubiger zu einer Gemeinschaft zusammengefasst wird (Verlustgemeinschaft), unter der das gesamte vom Verfahren erfasste Schuldnervermögen verteilt werden soll (gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung – „par conditio creditorum“) und zwar unabhängig davon, wann ihre Forderung jeweils entstanden ist oder ob sie tituliert wurde. Diese kollektive Rechtsdurchsetzung grenzt das Insolvenzverfahren schließlich vom Einzelzwangsvollstreckungsverfahren ab, letzteres ermöglicht es den Gläubigern, für sich isoliert, nach dem Prioritätsprinzip auf einzelne Vermögensgegen___________ 98) Vgl. Mann, NJW 2008, 121 (122). 99) Vgl. Mann, NJW 2008, 121 (122f.); Rennert, DVBl 2012, 593 (593f.). 100) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 9, Rn. 1; Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2. 101) Jaeger, Konkursrecht (1924), S. 3, prägte derweil den Begriff der „staatlich überwachten Selbstverwaltung“, der anschließend auch für das heutige Insolvenzverfahren übernommen wurde, vgl. auch Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 12.

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B. Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens

stände des Schuldners zuzugreifen. Das Prioritätsprinzip bzw. das „bellum omnium contra omnes“ – der Krieg aller gegen alle – soll durch das Insolvenzverfahren gerade verhindert werden. Indem der Staat dem einzelnen Gläubiger, auch im Interesse des Rechtsfriedens, die Initiative zur selbstständigen Vollstreckung nimmt, muss er die angestrebte gleichmäßige Befriedigung in einem geordneten Verfahren regeln.102) Dem versucht er nachzukommen, indem er für das jeweilige Verfahren durch das Insolvenzgericht einen Verwalter bestellen lässt, der als Pendant zum Gerichtsvollzieher im Einzelvollstreckungsverfahren, jedoch ohne ein öffentliches Amt auszuüben103), das Vermögen des Schuldners „versilbert“ und die Gläubiger am Erlös beteiligt.104) Damit verzichtet der Gesetzgeber darauf, das Insolvenzverfahren als Verwaltungs- 70 oder Amtsverfahren zu regeln, also dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Vielmehr wird das Insolvenzrecht trotz der mit ihm verbundenen gerichtlichen Eingriffe in die Rechte Verfahrensbeteiligter überwiegend dem Privatrecht zugeordnet. Es stellt einen zentralen Bestandteil des Wirtschaftsprivatrechts dar.105) Trotz der vielschichtigen Elemente des Insolvenzverfahrens handelt es sich letztlich um ein eigenständig ausgestaltetes Vollstreckungsverfahren mit dem Ziel der Haftungsverwirklichung im Interesse der Gläubiger.106) Das Insolvenzverfahren ist kein Erkenntnisverfahren, es kennt keine Streitigkeiten über Insolvenzforderungen oder andere materiellrechtliche Fragen. Streitigkeiten wie etwa Insolvenzanfechtungsklagen (§§ 129 ff. InsO), über das Bestehen von Aus- und Absonderungsrechten (§§ 47, 49 ff. InsO) oder über die Zulässigkeit von Aufrechnungen (§ 96 InsO) sind den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Letztendlich wird das Insolvenzverfahren nach heute wohl

___________ 102) Uhlenbruck, KTS 1989, 229 (235), der als Kehrseite der staatlichen Überwachung des Verfahrens, die Verpflichtung sieht, weitgehend für Verteilungsgerechtigkeit Sorge zu tragen; vgl. ferner, Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1. 103) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); kritisch hierzu Stamm, KTS 2016, 279 (287). 104) Vgl. Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Rn. 1.2; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, S. 1; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 168; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 7, Rn. 12, 14; Kap. 10, R. 1, 3f. 105) Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.05; K. Schmidt/K. Schmidt, Einl., Rn. 21; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 10, Rn. 2.; a. A. Stamm, KTS 2016, 279 (287); Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 169, der das Insolvenzverfahren als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Aspekt der Willensbeugung des Schuldners ansieht, das dann auf die Herbeiführung zivilrechtlichen Rechtsfolge bei der Erfüllung und Verwertung des Schuldnervermögens abzielt; Ries, in: Nichts ist beständiger als der Wandel: Festschrift für Klaus Pannen zum 65. Geburtstag, S. 667 (672). 106) Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 42f.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

h. M. der streitigen Zivilgerichtsbarkeit zugewiesen, obwohl es auch Elemente der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthält.107)

C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters in der Zivilrechtspflege 71 Nachdem zuvor grundlegend die Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens erläutert wurde, soll im folgenden Abschnitt aufgezeigt werden, wie das Insolvenzverfahren sich in die Zivilrechtspflege einordnet (Rn. 72). Anschließend soll die Rolle sog. interner und externer Funktionsträger innerhalb der Zivilrechtspflege erläutert werden, bevor auf dieser Grundlage die Stellung des Insolvenzverwalters innerhalb des Insolvenzverfahrens beleuchtet werden soll (Rn. 77). In diesem Zusammenhang stellt sich schließlich auch die Frage nach der materiell- und prozessrechtlichen Stellung des Insolvenzverwalters im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten (Rn. 86).

I.

Das Insolvenzverfahren als staatliche Zivilrechtspflege

72 Zivilrechtspflege ist eine überwiegend originär staatliche Aufgabe. Dem Staat ist die Pflicht zur Justizgewährung als Kehrseite des Gewaltmonopols auferlegt.108)

73 Die staatliche Zivilrechtspflege erfolgt in Form des Zivilverfahrens, das sich üblicherweise in drei Verfahrenstypen einordnen lässt: Den Zivilprozess (Erkenntnisverfahren, vorläufiger Rechtschutz), die Zwangsvollstreckung (insbesondere der Sonderform des Insolvenzverfahrens) sowie die Freiwillige Gerichtsbarkeit.

74 Gegenstand des Zivilverfahrens ist einerseits die Ausübung einer staatlichen Überwachungsfunktion, die sich auf den privatrechtlichen Bereich bezieht und die der Staat kraft seines „Wächteramtes“ übernimmt. Andererseits dient das Zivilverfahren der staatlichen Mitwirkung bei der Konfliktlösung, -bereinigung und -beendigung auf dem Gebiet des Privatrechts. Es verfolgt damit sowohl Ziele die im öffentlichen Interesse stehen wie auch solche auf dem Gebiet des Privatrechts. Das Zivilverfahren wird dabei schließlich durch sog. interne wie auch externe Funktionsträger durchgeführt.109) ___________ 107) Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 43; Pape/Uhlenbruck/ Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 10, Rn. 5; vgl. bereits, Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, § 1 Fn. 1, Rn. 1.11; a. A. etwa noch Schick, NJW 1991, 1328 (1328); tendenziell wohl auch Bötticher, ZZP 86 (1973), 373; der in der Vergangenheit vorherrschenden Streit in Bezug auf die Qualifizierung des Insolvenzverfahrens als streitiges Zivilverfahren wird dargestellt bei, Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, S. 1 ff. 108) Vgl. Maurer, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht; 2. Band: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, S. 467 (468, 491f.); Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 16. 109) Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1, Rn. 9 ff., 26 ff., 35; Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (195f.); ders., JZ 2009, 339 (341); Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 5 ff.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

Der Ablauf eines jeden Verfahrensrechts wird durch das – so gesehen übergeordnete, 75 von ihm abzugrenzenden – Gerichtsverfassungsrecht bzw. Justizverfassungsrecht geregelt. Unter Gerichtsverfassungsrecht versteht sich die Gesamtheit der Regeln, die für die Einrichtung und die Tätigkeit der Gerichte maßgeblich und charakteristisch sind. Mithin die Organisation und Aufgabenverteilung unter den Gerichten und sonstigen Organen der Gerichtsbarkeit sowie die Organisations- und Qualifikationsregeln dieser Organe.110) Der durch Preuß geprägte Begriff des Justizverfassungsrechts knüpft an den Begriff des Gerichtsverfassungsrechts an, ist schließlich jedoch weiter gefasst. Er geht ähnlich wie das Verständnis des Gerichtsverfassungsrechts davon aus, dass staatliches Organisationsrecht zunächst verlangt, eine abstrakte Zuweisung bestimmter Verfahren zu bestimmten Gruppen von Funktionsträgern der Justiz vorzunehmen sowie entsprechende Organisationseinheiten vorzuhalten, die den staatlichen Rechtspflegeauftrag erfüllen. Aufgabe des Justizverfassungsrechts sei es ferner, Organisationsregeln aufzustellen, die die Binnenstruktur dieser Organisationseinheiten beträfen. Darüber hinaus gehöre es zum Regelungsbereich des Justizverfassungsrechts, aufgabenbezogene Qualifikationsmerkmale aufzustellen, die der jeweilige Funktionsträger erfüllen muss, um ein Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Diese Qualifikation beziehe sich zum einen auf die rechtliche Ausgestaltung des jeweiligen Amtes an sich, sowie zum anderen auf die aufgabenbezogenen Grundpflichten des Funktionsträgers (z. B. Unabhängigkeit, Neutralität usw.).111) Wird ein Externer an einer staatlichen Rechtspflegeaufgabe beteiligt, nehme er an 76 der Verfahrenshoheit teil und werde in den staatlichen Justizapparat eingebunden. Er gehöre dann gewissermaßen zum erweiterten Justizpersonal des Staates. Damit gewinne der Einsatz externer Funktionsträger eine justizorganisatorische Dimension, auf deren Grundlage sich ein irgendwie geartetes Verfahrensrecht erst entwickeln könne. Auch im Rahmen des Einsatzes externer Funktionsträger spielten die oben aufgezeigten – übergeordneten – organisatorischen Entscheidungen, wie etwa Qualifikationsmerkmale, Zugang und Kontrolle, eine ebenso tragende Rolle, wie dies bei internen Funktionsträgern der Fall sei. Der Einsatz externer Funktionsträger könne also trotz einer gewissen organisatorischen Selbständigkeit als Teil der Rechtspflege-112) oder Justizverfassung angesehen werden.113) ___________ 110) Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 4 Rn. 2. 111) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 13; vgl. ferner Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 7 Rn. 9, 10. 112) Groh definiert Rechtspflege als „diejenige Tätigkeit, die im Rahmen der Gerichtsbarkeit ausgeübt wird. Sie besteht aus Rechtsprechung und der sonstigen Rechtspflege; zu dieser gehört insbes. diejenige freiwillige Gerichtsbarkeit, die nicht Rechtsprechung darstellt (z. B. in Grundbuchsachen), die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft, die Zwangsvollstreckung, auch die Rechtsberatung Minderbemittelter. Vorsorgende Rechtspflege wird der Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit genannt, der den Notaren zugewiesen ist.“, Creifelds/Weber/Groh, Rechtswörterbuch. 113) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 13; vgl. ebenso Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (196); ders., JZ 2009, 339 (341); grds., Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 4, Rn. 1 a. E.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

II. Funktionsträger in der Zivilrechtspflege 77 Das Zivilverfahren wird überwiegend durch interne Funktionsträger durchgeführt, die dem staatlichen Justizapparat immanent sind (z. B. Richter, Rechtpfleger, Gerichtsvollzieher).114) Darüber hinaus sieht das Zivilverfahrensrecht aber auch vor, bestimmte Aufgaben an Personen abzugeben, die dem staatlichen Justizapparat nicht angehören, sondern entsprechende Aufgaben in selbstständiger Arbeit erledigen. Funktionsträger der staatlichen Zivilrechtpflege sind nur solche Personen, die selbst Verfahrenshoheit ausüben oder an dieser unter Zuweisung exklusiver Verfahrensaufgaben teilhaben. Daran fehlt es, wenn die jeweilige Verfahrensordnung dem Verfahrensbeteiligten selbst autonome Entscheidungskompetenzen einräumt, denn dann kommt es nicht zu einer Delegation von Verfahrenshoheit, sondern lediglich zu einem Mitwirkungsverzicht auf Seiten des Staates. An einer Delegation fehlt es ferner, wenn der Beteiligte lediglich Hilfstätigkeiten ausübt, wie etwa der Sachverständige115). Erforderlich ist vielmehr, dass sich die in Frage stehende Tätigkeit als ein Beitrag zur eigentlich staatlichen Rechtspflegeleistung identifizieren lässt. Zu unterscheiden ist demnach etwa, ob eine unter staatlicher Kontrolle stehende Tätigkeit als solche Rechtpflege darstellt oder ob die Rechtspflegeleistung nicht gerade – lediglich – in der Kontrolle über die Tätigkeit zu sehen ist. Letzteres könnte konsequenterweise nicht als Tätigkeit eines Funktionsträgers innerhalb eines Zivilverfahrens beschrieben werden, da bei einer reinen Kontrolle über eine Tätigkeit116) nicht an der Verfahrenshoheit partizipiert wird.117)

78 Auf dem Gebiet des Vollstreckungsrechts wird der Staat in unmittelbarer Ausübung seines Gewaltmonopols, dem staatlichen „Recht zum Zwang“ tätig. Das staatliche Vollstreckungsmonopol verbietet grundsätzlich jede private Selbsthilfe (Ausn. §§ 229 ff, 561, 859 BGB) und verweist den Rechtssuchenden im Interesse des Rechtsfriedens auf das staatliche Rechtsschutzverfahren.118) Staatliche Mitwirkung erfolgt hierbei in erster Linie bei dem Erlass vollstreckbarer Titel als Voraus___________ 114) Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (195); ders., ZIP 2015, 1568 (1569). 115) Dazu Höfling, JZ 2009, 339 (341, 344). 116) Beispiele hierfür sind etwa die privaten Ämter des Vormunds, Betreuers und Pflegers, welche lediglich an die Stelle des Schutzbefohlenen treten und folglich wie sie, als Privatrechtssubjekt agieren. Aus diesem Interesse heraus werden die beschriebenen privaten Ämter schließlich tätig, nicht, weil eine bestimmtes Tätigkeitsfeld unter staatliche Rechtsanwendungskontrolle gestellt werden soll, die darin zu sehende staatliche Aufgabe erfüllt sich nicht in dem Einsatz des jeweiligen Amtsträgers, sondern in der förmlichen Bestellung, Abberufung und Kontrolle, vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 18f. 117) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 465. 118) Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1, Rn. 9 ff.; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 9; Stein/Jonas/Münzberg, Vorb. zu § 704 ZPO, Rn. 16.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

setzung der Zwangsvollstreckung119), wie auch bei der Durchführung der Vollstreckungsakte. Hierbei werden zumeist interne Funktionsträger tätig, wie etwa der Rechtspfleger als Vollstreckungsgericht, der Richter beim Erlass von Vollstreckungstiteln oder der Gerichtsvollzieher.120) Nicht jede einzelne Maßnahme des Oberbegriffes Zwangsvollstreckung, kann allerdings unmittelbar aus dem staatlichen Vollstreckungsmonopol abgeleitet werden. Genuiner Bestandteil des staatlichen Gewaltmonopols sind alle direkten Eingriffsakte zu Beginn der Vollstreckung wie die Pfändung, § 804 ZPO, die Beschlagnahme, (§ 20 ZVG) oder andere Beugemittel, §§ 888 ZPO, 89 InsO.121) Das Zwangsvollstreckungsrecht gehört daher wie das Zivilprozessrecht insgesamt nach h. M. dem öffentlichen Recht an.122) Das Erfordernis einer schonenden Ausübung der staatlichen Gewalt mache zum 79 Schutz vor Verschleuderung des schuldnerischen Vollstreckungsgutes in der Folge weitere Maßnahmen erforderlich.123) Zu einer effizienten Handhabung des Gewaltmonopols kann sich der Staat dafür auch der Mitwirkung externer Funktionsträger bedienen, auf die er keine direkte Vollstreckungsgewalt überträgt. Denn die nach der Vollstreckung folgende Verwertung berührt nicht mehr das staatliche Gewaltmonopol. Der Staat trägt also zunächst den Erfordernissen an das staatliche Vollstreckungsmonopol Genüge und überträgt ab einer bestimmten Verfahrensstufe Aufgaben wie im Bereich der Verwertung an externe Funktionsträger oder die Beteiligten selbst.124) Einen besonderen Typus der Verwertung stellt etwa die Zwangsverwaltung dar, die 80 den Erhalt eines Grundstückes in seinem wirtschaftlichen Bestand bezweckt, um aus dessen Nutzungen die Gläubiger zu befriedigen.125) Im Rahmen der verschiedenen ___________ 119) Im Rahmen des Gesamtvollstreckungsverfahrens wird das Titelerfordernis hingegen durch ein gesondertes Anmeldeverfahren, zur Ansammlung der verschiedenen Einzelverfahren und gleichzeitiger Untersagung der Einzelvollstreckung ersetzt, vgl. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/ Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 43; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 168f. 120) Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 19. 121) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 35 ff.; zum staatlichen Gewaltmonopol, einer möglichen Privatisierung der Vollstreckung und dem Streit zwischen der sog. Amts- und Mandatstheorie, vgl. Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 7 ff. 122) Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 16; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 35; Stein/Jonas/Münzberg, Vorb. zu § 704 ZPO, Rn. 51. 123) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 37f. 124) Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 42; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 10, der das staatlichen Gewaltmonopol zudem von einem Befriedungsmonopol abgrenzt, letzteres könne nicht mit dem staatlichen Gewaltmonopol gerechtfertigt sein, sondern bedürfe einer gesonderten Rechtfertigung. 125) Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1000.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

Verwertungsmöglichkeiten eröffnet der Gesetzgeber gewisse Gestaltungsspielräume, um eine möglichst effektive Verwertung des Pfandobjekts sicherzustellen.126)

81 Ein externer Funktionsträger in diesem Zusammenhang ist etwa der Zwangsverwalter, der für ein einzelnes Verfahren gerichtlich bestellt wird (§ 150 I ZVG) und Verwertungsmaßnahmen im Rahmen der Immobiliarvollstreckung wahrnimmt. Das Zwangsverfahren sieht zwingend vor, dass die Verwertung und Verteilung nicht durch einen staatlichen Funktionsträger erledigt wird, sondern dafür eigens eine Privatperson bestellt wird, die diese Aufgabe schließlich mittels privatrechtlicher Befugnisse ausübt.127) Dem Zwangsverwalter sind treuhänderische, gesetzliche Aufgaben zur eigenverantwortlichen und selbständigen Erledigung übertragen. Diese nimmt er unter der Aufsicht des Gerichts (§ 153 ZVG) wahr, woraus anders als für den Insolvenzverwalter auch ein Weisungsrecht des Vollstreckungsgerichts folgt.128) Ihm werde folglich partiell Verfahrenshoheit übertragen. Es handele sich um eine für das einzelne Verfahren getroffene, personelle Ergänzung der staatlichen Rechtspflegeeinrichtung. Das Zusammenspiel aus Delegieren und Kontrolle entspräche hier der staatlichen Pflicht zur schonenden wie auch effizienten Wahrnehmung des Gewaltmonopols. Auf dem Gebiet des (Einzel-) Vollstreckungsverfahrens zeige sich insofern das organisatorische Zusammenspiel zwischen internen und externen Funktionsträgern. Neben die Zuständigkeiten des Vollstreckungsgerichts und des Gerichtsvollziehers, trete die Zuständigkeit einer Funktionseinheit zwischen Gericht und Zwangsverwalter.129)

82 Der Notar hingegen nehme im Gegensatz zum Zwangsverwalter eine verfahrensübergreifende Zuständigkeit innerhalb des Justizpersonals des Staates ein. Ihm werde hierzu ein öffentliches Amt verliehen, wohingegen der Zwangsverwalter und auch der Insolvenzverwalter nur für ein konkretes Verfahren in eine Funktionseinheit mit dem Gericht eintrete, mithin nur dann eine Staatsfunktion wahrnehme. Zum Funktionsträger der Justiz werde der Notar etwa, weil dem Beurkundungsverfahren wegen der darin ausgeübten Rechtskontrolle die Qualität eines Zivilverfahrens zukomme, der Notar sie folglich als Urkundsorgan des Staates verfahrenshoheitlich ausübe. Der Notar wird also auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege tätig130). Die institutionelle, verfahrensübergreifende Stellung des Notars zeige sich außerdem bei der Verlagerung richterlicher Vollstreckbarkeitserklärung ___________ 126) Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 462. 127) Vgl. Böttcher/Keller, § 153 ZVG, Rn. 4 ff.; Haarmeyer/Hintzen/Hintzen, §§ 150, 150a ZVG, Rn. 18; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 45. 128) Haarmeyer/Hintzen/Hintzen, § 153 ZVG, Rn. 1; Haarmeyer/Hintzen/Hintzen, § 1 ZwVwV, Rn. 22 ff. 129) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 45 ff.; zur Rolle des Gerichtsvollziehers bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, vgl. Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 7 ff. 130) BT-Drs. 3/219, S. 18; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. S. 11, Rn. 18.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

von Anwaltsvergleichen (§ 796c ZPO) und damit der Errichtung von Vollstreckungstiteln durch den Notar. Soweit der Notar in Ausübung seiner Tätigkeit aktiv würde, sei er vollständig und alleiniger Träger des Verfahrens. Ihm werde ein Bereich der Rechtspflege vollständig übertragen und zur Erledigung verantwortet.131) Das Insolvenzverfahren unterscheidet sich von den oben genannten Systemen, so- 83 fern es den Gläubigern Entscheidungs- und Handlungskompetenzen zugesteht, die keine eigenständige Verfahrensfunktion erfüllen, sondern deren sich der Staat enthält, um eine einvernehmliche und interessenwahrende Bewältigung der Insolvenz zu erreichen. Das Insolvenzverfahren stellt damit eine zum Teil deregulierte Rechtsmaterie dar, die aus der Einsicht des Gesetzgebers erwachsen ist, dass „privatautonome Entscheidungen ein höheres Maß an wirtschaftlicher Effizienz verbürgen als die hoheitliche Regulierung wirtschaftlicher Abläufe“132). Das Verhältnis von Gläubigerautonomie und staatlicher Mitwirkung bzw. der Umstand, dass sich der Staat in Teilen für gewisse Entscheidungen aus dem Verfahren zurückziehe und sie den Gläubigern anheimstelle, lasse jedoch den staatlichen Charakter des Verfahrens nicht entfallen. Das Gesamtvollstreckungsverfahren bleibe staatliche Aufgabe. Die Ausübung staatlichen Zwangs sei im Insolvenzverfahren zwar nicht derart prägend, wie bei der Einzelzwangsvollstreckung, denn sein maßgeblicher Verfahrenszweck bleibe doch das formelle Recht der Haftungsverwirklichung mittels eines gerichtlich angeordneten Verfahrens. Aber es ermögliche sehr wohl die bereits erwähnten, typischen Maßnahmen der Vollstreckung mittels staatlichen Zwangs, wie etwa den Erlass von Sicherungsmaßnahmen (§ 21 InsO), die zwangsweise Durchsetzung von Pflichten des Schuldners (§ 98 InsO) sowie die Festsetzung eines Zwangsgeldes bei Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters oder dessen Entlassung (§§ 58 II, 59 InsO).133) Das Insolvenzverfahren gestaltet sich folglich als Kombination zwischen der durch 84 das staatliche Gewaltmonopol geprägten, klassischen Vollstreckung einerseits (ausgeübt durch das Insolvenzgericht, das etwa die Voraussetzungen einer Insolvenz prüft, §§ 16 ff. InsO; hoheitliche Sicherungsmaßnahmen anordnet, §§ 21 ff. InsO; sowie die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt überträgt,§ 80 InsO134)) und andererseits ___________ 131) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 68, 466 ff.; ferner, Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (199). 132) BT-Drucks. 12/2443, S. 76, 78. 133) Gaul u. a., Zwangsvollstreckungsrecht, S. 17, Rn. 44; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 49; staatliche Zwangsgewalt wird somit offensichtlich nicht durch den Insolvenzverwalter ausgeübt (Uhlenbruck/Mock, § 80 InsO, Rn. 59), sondern verbleibt in originär, direkt staatlicher Hand, indem allein das Insolvenzgericht als hoheitliches Vollstreckungsorgan fungiert, Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 94; Stamm, KTS 2016, 279 (287); dies scheint der BGH teilweise zu verkennen, indem er den Insolvenzverwalter zT als einen mit hoheitlichen Befugnissen betrauten Angestellten des öffentlichen Dienstes ansieht, BGH, Beschluss vom 14.7.2016 í IX ZB 31/14 = NZI 2016, 824 (Rn. 27). 134) Stamm, KTS 2016, 279 (287).

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

einer Rahmenordnung, die privatautonomes Handeln135) ermöglichen soll, um zu einer möglichst weitgehenden und effizienten Befriedigung der Gläubiger zu gelangen. Letzteres stellt nicht die Wahrnehmung klassisch staatlicher Hoheitsgewalt dar.

85 Die Durchführung des Insolvenzverfahrens ist folglich durch diese Funktionseinheit zwischen Insolvenzgericht als internem, staatlichem Funktionsträger (bestehend aus Insolvenzrichter und Rechtspfleger) sowie dem Insolvenzverwalter als externem Funktionsträger geprägt.136)

III. Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters zu den Verfahrensbeteiligten 86 Die Rechtsstellung des Konkursverwalters war bereits zu Zeiten der KO und VerglO Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Mit dem Inkrafttreten der InsO wurde die Rolle des Insolvenzverwalters neu definiert, dennoch wurde der sog. „Theorienstreit“ auch in der Folgezeit weiterhin geführt.

87 Die praktische Relevanz der verschiedenen, in der Literatur erarbeiteten Theorien zur Lösung insolvenzrechtlicher Fragen ist allerdings begrenzt.137) Zum Teil wird der Theorienstreit nach Einführung der InsO als erledigt angesehen. Er stelle ein „Erzübel“ dar und sei lediglich Spiegelfechterei.138)

88 Aus dem Umstand, dass die Gesetzesbegründung sowie die InsO selbst nunmehr vom „Amt“ des Insolvenzverwalters sprächen, könne allerdings nicht zweifelsfrei gefolgert werden, dass sich der Gesetzgeber zugunsten der Amtstheorie entschlossen habe.139) Der Theorienstreit sei damit bisweilen nicht abschließend überwunden.140) Auch wenn der Theorienstreit nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage nach der öffentlich-rechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Stellung des Insolvenzverwalters steht, trägt er zu ihrer Beantwortung bei und steht mit ihr in engem Zu-

___________ 135) Balz, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2000), S. 3 (5). 136) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 57; dies., KTS 2005, 155 (162); zustimmend: Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (39); Höfling, JZ 2009, 339 (341); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (458); Ries, EWiR 2015, 545 (546); a. A. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 94, der keinen „derivativen Aufgaben- und Funktionszusammenhang“ zwischen den Aufgaben des Insolvenzrichters und des -Verwalters feststellen mag, ihre Funktion innerhalb des Verfahrens bleibe grundverschieden, dies zeige sich bereits anhand der unterschiedlichen Qualifizierung ihrer Ämter. 137) Bork, in: Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, S. 143 (155); MüKoInsO/Vuia, § 80 InsO, Rn. 20. 138) Gottwald/Pechartscheck, InsolvenzrechtsHdb., § 22 Rn. 20; Kluth, NZI 2000, 351 (356). 139) K. Schmidt/Sternal, § 80 InsO, Rn. 17. 140) MüKoInsO/Vuia, § 80 InsO, Rn. 20.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

sammenhang.141) Deshalb werden die unterschiedlichen Theorien, die im Rahmen des sog. Theorienstreits diskutiert werden, im Folgenden dargestellt.

1.

Der Insolvenzverwalter als Vertretungsorgan der Masse: Die (Masse-) Organtheorie

Bei der sog. (Masse-) Organtheorie wird der Verwalter als Organ oder Repräsentant 89 der Insolvenzmasse angesehen. Grundlage dafür ist die Annahme, die Insolvenzmasse verselbstständige sich zu einem Rechtssubjekt, das schließlich durch den Verwalter als Organ handelt (Quasi-Rechtsfähigkeit).142) Diese Theorie wird weitgehend abgelehnt. Sie habe zwar zutreffend herausgearbei- 90 tet, dass es sich bei der Insolvenzmasse um ein Sondervermögen handele,143) nicht erklärbar sei allerdings, inwiefern es zu einer rechtlichen Verselbstständigung der Masse kommen solle. Hierfür gäbe es keine positiv rechtliche Grundlage.144) Ebenso entzieht die Theorie dem Schuldner die Rechtsträgerschaft und überträgt sie auf das entstehende Rechtssubjekt „Masse“, obwohl die InsO grundsätzlich davon ausgeht, dass die Rechtszuständigkeit weiter beim Schuldner verbleiben soll. Die Vermögensmasse als solche kann jedoch kein Rechtssubjekt darstellen, als Rechtsträger braucht sie vielmehr selbst ein Rechtssubjekt. Hinzu kommt, dass Organe vertretungsberechtigte Stellen von juristischen Personen sind, also von Rechtssubjekten und nicht etwa von diesen Rechtssubjekten zugeordneten Vermögensmassen. Die Insolvenzmasse selbst ist durch die InsO nicht etwa mit eigenen Rechten oder Pflichten ausgestattet, sie besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit.145)

2.

Der Insolvenzverwalter als Vertreter der Gläubiger oder des Schuldners: Die Vertretertheorien

Ausgangspunkt dieser Auffassung ist das klar konturierte Institut der Vertretung. 91 Die Vertretungstheorien ordnen den Insolvenzverwalter als gesetzlichen Vertreter der Gläubiger oder des Schuldners ein.146) ___________ 141) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 12; Schick, NJW 1991, 1328 (1328). 142) Statt vieler: Bötticher, ZZP 77 (1964), 55, (62); Erdmann, KTS 1967, 87 (98 ff.); Jacoby, Das private Amt, S. 285. 143) Jacoby, Das private Amt, S. 286. 144) Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, Rn. 723; Jacoby, Das private Amt, S. 286; K. Schmidt, KTS 1984, 345 (354); Papke, KTS 1968, 49 (50f.). 145) Vgl. Bork, Einführung in das Insolvenzrecht., Rn. 75; K. Schmidt/Sternal, § 80 InsO, Rn. 18; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 145; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 80 InsO, Rn. 39; Papke, KTS 1968, 49 (50); Stamm, KTS 2016, 279 (283); detailliert zur Organtheorie Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 342f., die die Organtheorie als hilfreiches Denkmodell ansieht; so auch bereits Stürner, ZZP 94 (1981), 263 (287). 146) Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 283.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

92 Die sog. Gläubigervertretungstheorie knüpfte an den Kerngedanken des Konkursverfahrens, die Gläubigerbefriedigung an und versteht den Verwalter als Organ der Gläubigerselbstverwaltung, also als Organ, das privatrechtliche Befugnisse der Gläubigerschaft an der Masse ausübt. Aus dem Grundsatz der Gläubigerbefriedigung folge, dass die beschlagnahmte Masse von den Organen der Gläubiger verwaltet werde, da diese auf die Wahl des Insolvenzverwalters Einfluss nehmen könnten (§ 57 InsO), ihn unterstützten und überwachten (§§ 69, 156 InsO). Der Verwalter übe sein Amt daher in Verantwortung gegenüber den Gläubigern aus und stehe in einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu ihnen.147)

93 Die Schuldnervertretungstheorie begreift den Verwalter als gesetzlichen Vertreter des Schuldners. Der Verwalter sei der zwangsweise eingesetzte gesetzliche Vertreter des Schuldners, dessen Vertretungsmacht allerdings gegenständlich auf die Masse beschränkt sei. Der Insolvenzverwalter übe das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners in dessen Namen aus. Im Prozess solle jedoch weiter der Schuldner Partei sein, der Verwalter lediglich sein Vertreter.148)

94 Auch diese beiden Theorien sind abzulehnen, da sie sich nicht an den Verfahrenszielen und der Funktion des Amtes orientieren. Die geschilderten Theorien setzen voraus, dass der Verwalter private Befugnisse eines der beiden Beteiligten wahrnimmt. Das Gegenteil ist allerdings der Fall, der Insolvenzverwalter ist nicht Vertreter eines bestimmten Verfahrensbeteiligten. Zentrales Ziel des Insolvenzverfahrens ist vielmehr die möglichst optimale Befriedigung der Gläubiger (§ 1 InsO). Dieses Ziel kann jedoch nur durch einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen gelingen, nicht durch Vertretung nur eines der Beteiligten.149) Der Insolvenzverwalter handelt also nicht individuell, subjektbezogen, sondern objektbezogen.150)

95 Auch die Anwendung der allgemeinen Stellvertretungsregeln kann die Stellung des Insolvenzverwalters wie auch die Verwaltung der Masse nicht adäquat klären: Das Modell der Stellvertretung als Modell des fremdwirkenden Handelns ist vorwiegend auf den Bereich rechtsgeschäftlichen und prozessualen Handels zugeschnitten und kann folglich nur in diesem Bereich, also dafür, dass das Vertreterhandeln aus___________ 147) Bichler, Die notwendige Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 46; Eckstein, ZZP 40 (1910), 48 (86 ff.); Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 13 m. w. N. 148) Statt vieler: Lent, ZZP 62 (1941), 129 (208f.); vgl. ferner, Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 14 m. w. N.; zu einer Rückbesinnung zur Schuldnervertretungstheorie aufrufend, Stamm, KTS 2016, 279 (300). 149) Henckel, in: Festschrift für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag, S. 237 (240); Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, Rn. 708; Jaeger/ Windel, § 80 InsO, Rn. 13; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 7; Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1046). 150) MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 144; wohl noch für ein subjektbezogenes Handeln, Erdmann, KTS 1967, 87 (98).

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

schließlich für und gegen die Masse wirkt, entsprechende Erklärungen liefern. Zurechnungssubjekt (Gemeinschuldner) und Zurechnungsobjekt (Masse) sind jedoch nicht kongruent, weil eben nicht, wie im Bereich fremdwirkenden Handelns üblich, das Gesamtvermögen der repräsentierten Person von der Repräsentation durch den Insolvenzverwalter betroffen ist. Der Träger der Insolvenzmasse als Sondervermögen verliert seine Handlungsfähigkeit nicht. Von ihm geschlossene Rechtsgeschäfte verpflichten und berechtigen grundsätzlich sein freies Vermögen.151) Der Insolvenzverwalter ist daher weder alleiniger Vertreter der Gläubigerschaft, noch des Schuldners.

3.

Der Insolvenzverwalter als Verwalter fremden Vermögens: Die Theorie vom neutralen Handeln

Nach der von Dölle begründeten Theorie des neutralen Handelns, tritt der Insol- 96 venzverwalter weder im eigenen Namen noch als Vertreter auf, sondern als Verwalter fremden Vermögens. Sein Handeln sei daher neutral bzw. objektbezogen, somit auf einen objektiven Interessenausgleich bezüglich der verwalteten Masse gerichtet. Im Prozess hat der Verwalter hiernach eine Parteistellung inne.152) Diese Theorie komme zwar zutreffend zu dem Schluss, dass das Verwalterhandeln 97 ausschließlich das Sondervermögen betreffe, allerdings lasse sich daraus nicht schließen, dass jeglicher subjektive Bezug hinsichtlich des Verwalterhandelns entbehrlich sei. Vielmehr müsse jedes Verhalten unserer Rechtsordnung einem Handlungssubjekt zugeordnet werden. Diesem Prinzip folgend, biete die Theorie des neutralen Handelns keinen adäquaten Erklärungsansatz.153)

4.

Der Insolvenzverwalter als sich wandelnder Vertreter: Die neue (modifizierte) Vertreter- bzw. Organtheorie

Bei der auf Karsten Schmidt zurückgehenden neuen (modifizierten) Vertreter- bzw. 98 Organtheorie handelt der Verwalter nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Gemeinschuldners, und zwar bei natürlichen Personen als deren gesetzlicher Vertreter (mit Beschränkung auf die Masse), bei verselbständigten Rechtsträgern (d. h. vor allem bei Handelsgesellschaften, Vereinen und Genossenschaften) als deren

___________ 151) K. Schmidt, KTS 1984, 345 (353); Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 14; Jacoby, Das private Amt, S. 284. 152) Dölle, in: Festschrift für Fritz Schulz, Band 2, S. 268 ff.; vgl. dazu auch, Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, Rn. 725f.; Stein/ Jonas/Jacoby, Vor § 50 ZPO, Rn. 70. 153) Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 16; Jacoby, Das private Amt, S. 288; K. Schmidt, KTS 1984, 345 (356).

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

Vertretungsorgan (Fremdliquidator).154) Dieser Ansatz kann im Falle einer insolventen juristischen Person folglich auf das bewährte Rechtsprinzip des organschaftlichen Handelns zurückgreifen. Anders als die Organtheorie erschafft es kein nicht existentes Rechtssubjekt, sondern geht davon aus, dass es einer juristischen Person in der Insolvenz an einem freien Vermögen fehle, weil dieses von dem nach dem Insolvenzbeschlag belasteten Vermögen ja abgegrenzt werden müsste. Durch die Insolvenzeröffnung wird danach also kein Sondervermögen geschaffen, sondern der Insolvenzverwalter als Organ zur Wahrnehmung der Führungskompetenzen der jeweils insolventen juristischen Person aktiviert. Bei der Insolvenz einer natürlichen Person ist dieses Modell freilich nicht anwendbar und soll durch das oben beschriebene, auf die Insolvenzmasse beschränkte Repräsentationsmodell als Modifikation der (Schuldner-)Vertretungstheorie ersetzt werden.155)

99 Der neuen Vertreter- bzw. Organtheorie wird zunächst entgegengehalten, dass sie zu einem Methodendualismus zwischen der Vertretung juristischer und natürlicher Personen käme. Laut Karsten Schmidt selbst spiegele dies aber lediglich die Unterscheidung zwischen der Vertretung juristischer Personen durch Organe und der von natürlichen Personen durch gesetzliche Vertreter wider. Eine derartige Aufspaltung des Instituts des Insolvenzverwalters sei in anderen Bereichen derweil nicht bekannt. Sie sei formal nicht durch das Gesetz vorgesehen. Ferner sehe sie sich denselben Argumenten ausgesetzt, wie schon die Vertretertheorien. Die heteronome Interessenverfolgung des Insolvenzverwalters werde nach der modernen Organtheorien lediglich auf das Internum der Insolvenzschuldnerin beschränkt. Ebenso ließe sich nicht begründen, dass der Insolvenzverwalter als Organ, Weisungen Gesellschaftsfremder, wie etwa dem Gläubigerausschuss, folgen müsse.156) Die gegenständliche Theorie sei darüber hinaus auch nicht mit der Eigenverwaltung des Schuldners durch einen Sachwalter zu vereinbaren. Innerhalb dessen bliebe der Schuldner selbst handlungsbefugt, würde also nicht durch den Sachwalter vertreten.157)

5.

Der Insolvenzverwalter als Treuhänder: Die Amtstheorie

100 Als herrschend wird die sog. Amtstheorie angesehen. Sie qualifiziert den Insolvenzverwalter als eine Art amtlichen Treuhänder, der materiell-rechtlich, kraft des ___________ 154) K. Schmidt, KTS 1984, 345 (362 ff.); ders., NJW 1987, 1905 (1906); ders., NJW 1995, 911 (913); zustimmend, statt mehrerer, Schulz, KTS 1986, 389; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 51 ZPO, Rn. 28f. 155) Jacoby, Das private Amt, S. 286f.; K. Schmidt, KTS 1984, 345 (360); vgl. ferner, Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 178; Gottwald/Pechartscheck, InsolvenzrechtsHdb., § 22 Rn. 20 – 25; K. Schmidt/ Sternal, § 80 InsO, Rn. 18. 156) Jacoby, Das private Amt, S. 287; vgl. ferner auch, Kluth, NZI 2000, 351 (364); MüKoInsO/ Vuia, § 80 InsO, Rn. 34. 157) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 9.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen ausübt. Prozessual tritt der Insolvenzverwalter als „Partei kraft Amtes“ anstelle des Schuldners auf und nimmt seine Parteirolle, in eigenem Namen handelnd, ein. Der Schuldner bleibt dabei Träger der den Gläubigern als Haftungsobjekt zugewiesenen Haftungsmasse. Die Amtstheorie wurde auch vom Reichsgericht und wird vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten.158) Die Amtstheorie kann sich nach Schaffung der InsO auf den Wortlaut der §§ 56 II 2, 101 57 S. 3, 59 I 1, 2 InsO (ferner ihrer gesetzlichen Kodifikation in § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO) stützen, die von dem „Amt“ des Insolvenzverwalters sprechen (so nun iÜ auch für den Restrukturierungsbeauftragten, § 74 StaRUG). Sie hebe die Vermögensbezogenheit bzw. Liquidationsaufgabe des Verwalters hervor und verdeutliche damit am ehesten, dass er nicht die Interessen einer Seite besonders zu beachten habe, sondern für die optimale Gläubigerbefriedigung eintrete.159) Der Verwalter wurde daher auch als „mehrseitig fremdbestimmter“ Liquidator eines fremden Vermögens beschrieben.160) Auch die Amtstheorie sieht sich allerdings umfangreicher Kritik ausgesetzt. So 102 wird etwa kritisiert, dass sie nur auf das Liquidationsverfahren zugeschnitten sei und sich nicht auf das Sanierungsverfahren übertragen ließe.161) Hiergegen sei jedoch einzuwenden, dass der Verwalter im Planverfahren lediglich eine Überwachungsfunktion ausübe, ebenso der Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren. Ihnen sei somit keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt. Vielmehr werde diese in der Eigenverwaltung weiterhin selbst durch den Schuldner ausgeübt (§ 274 II InsO). Innerhalb des Planverfahrens ende das Insolvenzverfahren mit seiner rechts___________ 158) Vgl. RG 22.3.1892 – III 294/91 Z 29, 26, 29; BGH 10.3.1960 – II ZR 56/59 32, 114, 118 = NJW 1960, 1006; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 180; Gottwald/Pechartscheck, InsolvenzrechtsHdb., § 22 Rn. 20; Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 15; K. Schmidt/Sternal, § 80 InsO, Rn. 19; Kluth, NZI 2000, 351 (353); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 11; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 146; Nerlich/ Römermann/Wittkowski/Kruth, § 80 InsO, Rn. 40; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 8; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 346f.; Stein/ Jonas/Jacoby, Vorb. zu § 50 ZPO, Rn. 66f.; Uhlenbruck/Mock, § 80 InsO, Rn. 60 mit umfangreichem Verweis auf die Rechtsprechung des RG und BGH. 159) Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, Rn. 693f.; Jacoby, Das private Amt, S. 160, 301; Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 15; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 8; a. A. Stamm, KTS 2016, 279 (289), der diesen Hinweis für nicht Zielführend hält, da es sich nicht um eine in der Insolvenzordnung verankerte Vorgabe für den Insolvenzverwalter handele, sondern um eine allgemein gehaltene und zudem allein auf das Erkenntnisverfahren bezogene Regelung für die Prozesskostenhilfe. 160) Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Teil II, § 10 Rn. 10.1; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14 Rn. 2. 161) Hess/Obermüller, Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten nach der Insolvenzordnung, Rn. 695.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

kräftigen Bestätigung. Damit entfiele die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters und werde durch eine reine Überwachungsfunktion ersetzt. Innerhalb des Sanierungsverfahrens sei der Verwalter ferner auch dem Grundsatz der optimalen Gläubigerbefriedigung verpflichtet. Ihm sei es nicht möglich, eine Sanierung aufgrund seiner Amtsstellung gegen den Willen der Gläubiger durchzuführen, da ihnen entsprechende Mitbestimmungs- bzw. Beschwerdemöglichkeiten162) im Falle einer Schlechterstellung durch einen Insolvenzplan zustünden (§ 251 I, III 2 InsO).163)

103 Grundsätzliche Kritik begegnet der Amtstheorie, wenn ihr vorgehalten wird, dass sie durch ihr zur Lösung von Einzelproblemen bewusst gewähltes, offenes System die Gefahr schaffe, den Anwender „in die Irre zu führen und falsche Ergebnisse zu legitimieren“ bzw. die Gefahr argumentativer Kurzschlüsse in sich birge.164) Konkret trenne die Amtstheorie beispielsweise nicht eindeutig zwischen echtem Eigenhandeln des Verwalters für sein freies Vermögen und dem Handeln, das er für ein etwaiges Sondervermögen ausübe.165) So versuchten die Vertreter der Amtstheorie etwa das Offenkundigkeitsprinzip des § 164 BGB zu umschiffen, das für jegliches Vertreter- oder Organhandeln fordere, offenzulegen, ob ein Handeln in eigenem oder im Namen des Vertretenen vorliegt166). Bei der Amtstheorie, in deren Rahmen der Verwalter als Partei kraft Amtes im eigenen Namen handele, solle von diesem Erfordernis abgesehen werden und dennoch sollten unmittelbare Wirkungen für das betroffene Sondervermögen eintreten können. Das Verwalterhandeln würde damit deutlich vom sonstigen Vertreter- und Organhandeln des Privatrechts unterschieden, jedoch ohne jegliche Gesichtspunkte aufzuweisen, die eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigten könnten.167) Von der Amtstheorie sei daher zu verlangen, dass sie den Eintritt von Wirkungen für das Sondervermögen davon ab-

___________ 162) Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 395, 398. 163) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 8, 9; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 351f. 164) K. Schmidt, KTS 1984, 345 (357); Jacoby, Das private Amt, S. 292; vgl. ferner: Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Rn. 10.9; Bötticher, ZZP 77 (1964), 55 (61); Stürner, ZZP 94 (1981), 263 (297). 165) Jacoby, Das private Amt, S. 294. Daran anknüpfend werden teilweise Zuordnungsprobleme zwischen Rechtsobjekt, Rechtsträger und Handlungsträger gesehen. Obwohl der Verwalter wie beschrieben im eigenen Namen handelt, erwirbt er nicht auch für sich selbst, er erwirbt vielmehr für den Schuldner. Konsequenterweise müsste ihn jedoch auch die Folgen seines Handelns treffen soweit er im eigenen Namen handelt. Es handelt sich damit eher um „fremdwirkendes Handeln im eigenen Namen“ (K. Schmidt KTS 1984, 345 (358)). Prozessrechtlich stelle dies kein Problem dar, materiell-rechtlich könnten allerdings Widersprüche auftauchen (Smid, Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rn. 7). 166) Vgl. dazu, Staudinger/Schilken, 2019, Vorb. zu § 164 BGB, Rn. 35. 167) Jacoby, Das private Amt, S. 194 ff., mit weiteren Beispielen, sich daraus ergebenden Schwierigkeiten; umfassend dazu bereits Jahr, in: Festschrift für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag, S. 275.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

hängig mache, ob der Verwalter die jeweilige Fremdbezogenheit seines Handelns auch offengelegt habe.168), 169) Stamm konstatiert nach umfangreicher Kritik an der Amtstheorie, dass diese im 104 Ergebnis ein dogmatisches Konzept zum Verständnis des rechtlichen Agierens des Insolvenzverwalters vermissen lasse. Bereits die Beschreibung der Tätigkeit als privates Amt, stelle einen Widerspruch in sich dar, indem zivilrechtliche Begrifflichkeiten mit öffentlichen vermengt würden. Das fehlende dogmatische Fundament der Amtstheorie, das unter ihren Vertretern – aufgrund der damit einhergehenden Flexibilität – eher als Vorteil gesehen wird,170) würde die rechtliche Bewertung des Insolvenzverwalterhandels schließlich beliebig machen und an Willkür grenzen lassen.171) Im Ergebnis übe der Insolvenzverwalter nach Stamm daher kein privates Amt im eigenen Namen aus, sondern handele als Vertreter des Insolvenzschuldners. Seiner Ansicht nach verfahre neuerdings auch der Bundesgerichtshof in dieser Weise, indem er für die Fälle des rechtsmissbräuchlichen Handelns des Insolvenzverwalters auf die Grundsätze zur Stellvertretung zurückgreife. Die Anwendung des Vertretungsrechts erlaube damit die Lösung sowohl materiellrechtlicher Probleme beim Handeln des Insolvenzverwalters, wie auch zivilprozessualer Fragestellungen. Eines Rückgriffs auf eine gekünstelte Rechtsfigur wie bei der Amtstheorie, bedürfe es daher nicht.172), 173) ___________ 168) K. Schmidt, KTS 1984, 345 (359); Jacoby, Das private Amt, S. 296; a. A. Jahr, in: Festschrift für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag, S. 275 (297), der für eine Fremdzurechnung, keine Offenlegung gem. § 164 BGB für erforderlich hält. Der Einwand unterstelle, dass es neben den Fällen der vollen Fremdzurechnung aufgrund Handelns im fremden Namen (Vertretung), keine Fälle der vollen Fremdzurechnung gebe. 169) Jacoby plädiert daher schlussendlich für eine Modernisierung der Amtstheorie, Jacoby, Das private Amt, S. 298 – 331. 170) Vgl. etwa HK-InsO/Kayser, § 80 InsO, Rn. 14: „Der Nachteil dieser Auffassung scheint in der geringen systemprägenden Bedeutung der Theorie zu liegen, die nicht an ein anerkanntes zivilrechtliches Institut anschließen kann. Gleichwohl oder gerade deshalb erscheint sie vorzugswürdig.“ 171) Vgl. Stamm, KTS 2016, 279 (286 ff.). 172) Stamm, KTS 2016, 279 (289f., 300), unter Bezugnahme auf BGH, Versäumnisurt. v. 10.1.2013 í IX ZR 172/11 = NZI 2013, 347 (347), in der der BGH auf die zivilrechtlichen Regeln zum Missbrauch der Vertretungsmacht zurückgriff. Daraus zieht Stamm den Schluss, dass es „Einen deutlicheren Beleg für die Anwendung der Vertretertheorie als die Heranziehung der auf den §§ 164 ff. BGB fußenden Rechtsprechung zum Missbrauch der Vertretungsmacht“ kaum geben könne. 173) Weitere Kritik zur Amtstheorie bei: Lent, ZZP 62 (1941), 129 (133 ff.); Stürner, ZZP 94 (1981), 263 (287, 297); Thomas/Putzo/Hüßtege, § 51 ZPO, Rn. 29; Im Rahmen der Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten in der Insolvenz, bzw. dabei auftretender Zurechnungsprobleme kritisiert Karsten Schmidt außerdem, dass die obergerichtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Amtstheorie ebenso falsch anwende. Er wiederspricht dieser Rechtsprechung vehement und erachtet die Amtstheorie bei Zurechnungsproblemen für untauglich. Sie blicke zu sehr auf den Verwalter anstatt auf die insolvente Gesellschaft und ihre Organisation, K. Schmidt, NJW 2012, 3344 (3345); K. Schmidt, NJW 2010, 1489 (1492).

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

105 Kluth hält die Amtstheorie durch die Einführung der InsO für obsolet. Wenn die Amtstheorie besage, dass der Verwalter „mit Wirkung für und gegen die Konkursmasse” handele, so stelle sich die Frage, warum es dieser Aussage auf der höchsten Ebene einer „Theorie” überhaupt bedürfe. Es dürfte genügen, § 80 I InsO zur Kenntnis zu nehmen, um zu diesem Ergebnis zu gelangen.174)

106 Wiederum resümiert dagegen Sternal, dass die von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Amtstheorie sich in der täglichen Praxis der Insolvenzverwaltung durchaus als brauchbar erwiesen habe, sodass kein Anlass bestünde, von dieser Theorie abzuweichen, zumal auch die anderen Theorien kein besseres oder effektiveres System böten.175) Auch andere Kritiker des Theorienstreits räumen ein, dass die Amtstheorie gerade im Bereich der prozessualen Tätigkeit des Insolvenzverwalters ihre Berechtigung beibehalte, indem sie die prozessuale Rechtsstellung des Verwalters als „Partei kraft Amtes“ definiere. Der Verwalter vertrete gerade nicht den Insolvenzschuldner, die Insolvenzgläubiger oder die Insolvenzmasse. Seine im öffentlichen Interesse übertragene Funktion sei es, in eigener Parteistellung die Rechte des Schuldners und die Rechte der Insolvenzgläubiger wahrzunehmen. Seine Legitimation hierzu nehme er dabei nicht aus fremden Rechten, sondern unmittelbar aus dem Gesetz, das sein Amt bestimme.176) Mit der Zuordnung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zum „Amt“ des Insolvenzverwalters, gelinge es der Amtstheorie, die objektive Funktionsbestimmtheit seines Handelns zum Ausdruck zu bringen, sich in die zivilrechtliche Dogmatik einzuordnen und den gesetzlichen Vorgaben des § 80 InsO gerecht zu werden.177)

107 Im Ergebnis stimmt die Aussage Kluths durchaus nachdenklich, enthält § 80 I InsO doch bereits eine recht eindeutige Aussage darüber, dass es nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Aufgabe des Verwalters ist, „das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen“, die bezeichneten Rechte des Schuldners folglich auf ihn übertragen werden. Wieso dann eine Theorie zu Rate ziehen?

108 Ein Teil der Antwort ist in dem Bedürfnis zu sehen, die Tätigkeit und das Auftreten des Insolvenzverwalters im Rechtsverkehr dogmatisch zu verorten und so seine ___________ 174) Kluth, NZI 2000, 351 (354); ähnlich Uhlenbruck/Mock, § 80 InsO, Rn. 59. 175) K. Schmidt/Sternal, § 80 InsO, Rn. 20; in diese Richtung auch Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 349, die die Amtstheorie für das Verständnis des Verwalteramtes als durchaus grundlegend ansieht, da sie die Eigenschaft des Verwalters als Funktionsträger im Verfahren und damit, da in der Durchführung des Verfahrens Justizgewährung geleistet werde, in der Justizverfassung, herausstelle. 176) Vgl. Gottwald/Pechartscheck, InsolvenzrechtsHdb., § 22 Rn. 24; K. Schmidt, NJW 2012, 3344 (3345); Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 349. 177) Smid, Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rn. 9; Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner, Rn. 24.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

öffentlich-rechtliche Stellung bzw. Position zu würdigen.178) Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der Amtstheorie beschreitet sie doch einen Weg, der sich in der Praxis als geeignet herausgestellt hat. Gerade prozessual führt sie durch die Anerkennung des Insolvenzverwalters als „Partei kraft Amtes“ zu annehmbaren Ergebnissen.179) Hierfür wurde sie ursprünglich auch entwickelt.180) Materiell-rechtlich muss sich die Amtstheorie anders als die Vertretertheorien dem Vorwurf stellen, sich keinem zivilrechtlichen Institut wie dem Vertretungsrecht anzuschließen. Diese Offenheit für im Einzelfall sachgerechte Ergebnisse ist jedoch abschließend nicht als janusköpfig oder willkürlich181) zu kritisieren, sondern trägt der Komplexität und Verwobenheit des Insolvenzrechts mit einer Vielzahl weiterer Rechtsgebiete Rechnung. Die Amtstheorie erweist sich somit als pragmatisch, sie stellt eine Richtschnur für 109 diejenigen dar, denen es an einer über § 80 I InsO hinausgehenden Lösung gelegen ist.182) Sie ordnet sich weitgehend systemgemäß in die zivilrechtliche Dogmatik ein183) und bringt zum Ausdruck, dass der Insolvenzverwalter in seiner Funktion für das Sondervermögen Insolvenzmasse zuständig ist, dass er es als Organ der Rechtspflege184) verwaltet und verwertet und dabei die Interessen der Beteiligten wahrt. Sie nimmt insofern einen übergreifenden und vereinheitlichenden Erklärungsansatz vor.185)

IV. Zusammenfassung Das Insolvenzverfahren wird vorwiegend durch zwei Komponenten geprägt. Eine 110 staatliche, bei der das Insolvenzgericht hoheitliche Anordnungen trifft und Zwangsgewalt ausübt sowie eine privatrechtlich ausgestaltete, die durch den Insolvenzverwalter ausgeübt wird. Daneben tritt eine dritte Komponente, indem der Staat einzelne Verfahrensentscheidungen einer autonomen Entscheidung durch die Gläubigervertreter zuführt und sich für diese Einzelfragen aus dem Verfahren zurückzieht.186) ___________ 178) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 113. 179) Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 349f.; Stein/Jonas/Bork, Vorb. zu § 50 ZPO (22. Aufl. 2004), Rn. 35 ff. in Vorauflage; kritischer nun, Stein/Jonas/ Jacoby, Vorb. zu § 50 ZPO, Rn. 74 ff. 180) Vgl. K. Schmidt, KTS 1984, 345 (359, 381); Stamm, KTS 2016, 279 (291). 181) So Stamm, KTS 2016, 279 (288). 182) Vgl. Jaeger/Windel, § 80 InsO, Rn. 15; Stürner, ZZP 1981, 263 (287). 183) A. A. hingegen: Schmidt, KTS 1984, 345 (356 ff.); Stamm, KTS 2016, 279 (286 ff.). 184) Vgl. Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Rn. 10.7; HK-InsO/Kayser, § 80 InsO, Rn. 14; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 8; a. A. Stamm, KTS 2016, 279 (286 ff.). 185) Vgl. Stein/Jonas/Bork, Vorb. zu § 50 ZPO (22. Aufl. 2004), Rn. 36. 186) Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 54.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

111 Innerhalb des Verfahrens seien dann wiederum drei Bereiche für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters prägend: Er werde im Rahmen der Sachverhaltsermittlungund aufklärung tätig, indem er relevante Entscheidungen des Gerichts und der Gläubiger vorbereite. Er wirke durch seinen Bericht über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und einer Analyse ihrer Ursachen sowie gutachterlichen Äußerungen über die Sanierungsfähigkeit eines Insolvenzplans an der Vorbereitung der Entscheidungen über den Fortgang des Insolvenzverfahrens mit sowie nehme letztlich die originär prägende Tätigkeit der Massemehrung im Verwertungsverfahren vor.187)

112 Für diese Bereiche zwingend erforderlich ist die Übertragung der dem Schuldner entzogenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über dessen Vermögen, auf den Insolvenzverwalter (§ 80 I InsO). Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vermögensverwalter übt der Insolvenzverwalter dann Rechtsmacht als Funktionsträger des Insolvenzverfahrens, also im Sinne der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung, aus188). Seine Tätigkeit spielt sich dabei im Verfahrensteil der Verwertung ab, die er eigenständig wahrnehmen darf und zu der ihm unter Aufsicht des Gerichts die entsprechende Verfahrenshoheit partiell übertragen ist. Dazu gehören neben Abwicklungstätigkeiten des Insolvenzverwalters auch das Führen der Insolvenztabelle (§§ 174, 175 InsO), die Aufstellung entsprechender Verzeichnisse (§§ 151 ff. InsO) sowie die schlussendliche Verteilung der Haftungsmasse an die Gläubiger (§ 187 ff. InsO).189)

113 Im Rahmen der InsO besteht also aus Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter eine Funktionseinheit zur Durchführung des Insolvenzverfahrens.190) In dieser Funktionseinheit nimmt das Insolvenzgericht die originär staatliche bzw. hoheitliche Zwangsgewalt wahr191) und behält, anders als bei den dem Notar überlassenen Aufgabenbereichen, ständig die Verfahrensträgerschaft gegenüber dem Verwalter. Dem Insolvenzgericht untergeordnet, aber selbstständig und eigenverantwortlich (§ 60f. InsO) erledigt der Insolvenzverwalter anstelle eines staatlichen Funktionsträgers bestimmte Verfahrensaufgaben und handelt so als Träger eines privaten Amtes.

114 Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass es sich bei dem Insolvenzverwalter um ein privates Rechtssubjekt handelt, das für einen konkreten Fall mit der Durchführung ausgewählter und genau definierter Verfahrensaufgaben des Insol___________ 187) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 54 ff. 188) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 15.01; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 56. 189) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14 Rn. 32 ff. 190) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 57, 468; dies., KTS 2005, 155 (162); zustimmend: Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (39); Höfling, JZ 2009, 339 (341); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (458); i. E. a. A. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 94 ff. 191) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 94; Stamm, KTS 2016, 279 (287); Uhlenbruck/Mock, § 80 InsO, Rn. 59.

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C. Staatsrechtliche Stellung des Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverwalters

venzverfahrens betraut wird. Hierzu tritt er in die Funktionseinheit aus Insolvenzgericht und Verwalter ein und wird in die staatliche Zivilrechtspflege, gewissermaßen als „externer Angehöriger“192) des Justizapparats, eingebunden,193) ohne jedoch Teil der unmittelbaren staatlichen Organisationsstruktur zu werden.194) Dabei übt der Insolvenzverwalter materiell-rechtlich kraft des ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen aus. Prozessual tritt er als „Partei kraft Amtes“ anstelle des Schuldners auf und nimmt seine Parteirolle, in eigenem Namen handelnd, ein. Der Schuldner bleibt dabei Träger der den Gläubigern als Haftungsobjekt zugewiesenen Haftungsmasse.195) Er wird dabei in Erfüllung der ihm durch die InsO auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen tätig,196) ohne etwaigen Weisungen des Insolvenzgerichts zu unterliegen.197) Dem Insolvenzverwalter kommt somit keine Beliehenenstellung zu.198) Eine Belei- 115 hung erfolgt in praxi für eine Vielzahl anderer Verfahren und Vorgängen199), ist aber für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters jedoch gerade nicht charakteristisch. Der Insolvenzverwalter nimmt ferner keine originär staatlichen Hoheitsrechte iS staatlicher Macht wahr,200) die ihm kraft Gesetzes verliehen worden sind.201) Der ___________ 192) Höfling, JZ 2009, 339 (341). 193) Höfling, JZ 2009, 339 (341); Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 57, 468; dies., KTS 2005, 155 (162); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (458). 194) Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29. 195) Vgl. umfassend Fn. 160. 196) BGH, Vorlbeschl. v. 2.4.2009 – IX ZB 182/08 = NZI 2009, 313 (314). 197) Jaeger/Henckel § 143 InsO, Rn. 97; MüKoInsO/Kayser/Freudenberg, § 129 InsO, Rn. 192. 198) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 13f.; Kleine-Cosack, NZI 2011, 791 (796); Kluth, NZI 2000, 351 (353); a. A. noch: Schick ordnete den Insolvenzverwalter staatsrechtlich als Gehilfen ein, der von den Beteiligten unabhängig sei und hoheitliche Aufgaben wahrnehme. Im Ergebnis sieht er den Verwalter als Beliehenen an. Diese Annahme sei zulässig, da die Abwicklung eines Konkursverfahrens nicht zur Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG gehöre; Schick, NJW 1991, 1328. (1329); ebenso noch heute, Ries, in: Nichts ist beständiger als der Wandel: Festschrift für Klaus Pannen zum 65. Geburtstag, S. 667 (672); ders., EWiR 2015, 545 (546). 199) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 336. 200) Soweit in diesem Abschnitt von Verfahrenshoheit die Rede war, sind darunter Tätigkeiten des Verwalters innerhalb des Verfahrens zu verstehen, etwa Verwertungs- und Abwicklungsfragen des Insolvenzverfahrens. Hierbei handelt der Insolvenzverwalter weitgehend autonom. Davon zu unterscheiden sind staatliche Hoheitsrechte, etwa im Sinne von staatlichen Eingriffsrechten, die im Insolvenzverfahren allerdings dem Insolvenzgericht vorbehalten sind (vgl. Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 10; Uhlenbruck/Mock, § 80 InsO, Rn. 59; zur Begrifflichkeit ferner, Dürig/Herzog/Scholz/Badura, Art. 33 GG, Rn. 56 ff.). 201) Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (37); Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 14f.; so aber charakteristisch für den Beliehenen: Leisner, AöR 93 (1968), 161 (192); Dürig/Herzog/Scholz/Ibler, Art. 86 GG, Rn. 75; dies scheint der BGH teilweise zu verkennen, indem er den Insolvenzverwalter zT als einen mit hoheitlichen Befugnissen betrauten Angestellten des öffentlichen Dienstes ansieht, BGH, Beschluss vom 14.7.2016 í IX ZB 31/14 = NZI 2016, 824 (Rn. 27).

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

Insolvenzverwalter übt ferner kein öffentliches Amt i. S. v. Art. 33 II GG aus,202) bzw. hat keine in die staatliche Organisation eingegliederte beamtenrechtsähnliche Stellung inne203), er ist gleichwohl aber „externer“ Angehöriger der Rechtspflege204) und nimmt partiell Verfahrenshoheit war.

D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel 116 Nachdem zuvor die verfahrensrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters sowie seine Rechtsstellung im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten erläutert wurde, soll an dieser Stelle auf die Entwicklung des Berufsbildes hin zu einem eigenständigen Beruf i. S. v. Art. 12 I GG eingegangen werden (Rn. 117). Ferner ist zu erläutern, ob sich das Berufsbild des Insolvenzverwalters derzeit in einem erneuten Wandlungsprozess befindet (Rn. 121) und damit von etwaigen Normierungsabsichten erfasst werden müsste. Anhand dieser Überlegungen und den obigen Erläuterungen zum Berufsrecht und der Rechtsstellung des Insolvenzverwalters ist schließlich zu prüfen, ob die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als freier Beruf bezeichnet werden kann (Rn. 126).

I.

Das Berufsbild des Insolvenzverwalters: Entwicklung zu einem eigenständigen Beruf

117 Über die Jahrzehnte hat sich das Berufsbild der Insolvenzverwalter sowohl in Form der diese Tätigkeit ausübenden Berufe, der öffentlichen Wahrnehmung, wie auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht deutlich verändert. So wurden allein zu Anfang des 20. Jhd. wie Ernst Jaeger 1909 für das Amtsgericht Berlin-Mitte berichtet, fast ausschließlich nur Kaufleute zu Insolvenzverwaltern bestellt, die zudem neben ihrer Beschäftigung als Konkursverwalter keine andere Tätigkeit ausüben durften.205) Unter Berufung auf eine Anfrage bei verschiedenen Amtsgerichten berichtet Schick 1991 hingegen, dass im wesentlichen nur Rechtsanwälte als Konkursverwalter herangezogen würden.206) Auch heute werden überwiegend nur Rechtanwälte als Insolvenzverwalter von den Insolvenzgerichten bestellt.207) ___________ 202) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2614) = NZI 2006, 453 (454); ebenso Epping/Hillgruber/Hense, Art. 33 GG, Rn. 10; v. Mangoldt/Klein/Starck/Jachmann-Michel/ Kaiser, Art. 33 GG, Rn. 15; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO Rn. 6; a. A. Stamm, KTS 2016, 279 (287). 203) Zur Frage, inwiefern der Insolvenzverwalter unter das Institut des „staatlich gebundenen Berufes“ fällt vgl. unten, Rn. 331. 204) Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Rn. 10.7; Foerste, Insolvenzrecht, Rn 48; Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 14f.; Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (458); in dieser Hinsicht erstmals, Schick, NJW 1991, 1328 (1328 ff.). 205) Jaeger, Laien als Konkursverwalter, Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht, 1909, S. 1 ff.; zit. nach, Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (33). 206) Schick, NJW 1991, 1328 (1330). 207) Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 (158); Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (655).

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D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel

Das öffentliche Ansehen von Insolvenzverwaltern veränderte sich in den vergangenen 118 Jahrzenten ebenfalls erheblich. So standen Konkursverwalter zu Anfang des 20. Jhd. noch in Verruf und wurden etwa als Totengräber208) oder Leichenfledderer209) bezeichnet. Die Bestellung von Insolvenzverwaltern gestaltete sich äußerst schwierig, da qualifizierte Rechtsanwälte, Betriebswirte oder vergleichbare Berufsgruppen meist nicht willens waren, entsprechende Verfahren zu übernehmen, in erster Linie, um ihren Ruf nicht zu schädigen.210) Erst mit der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre, kam es zu einem Aufschwung in der deutschen Insolvenzszene,211) die außerdem auch eine Aufwertung des Berufsbildes mit sich brachte. Große Verfahren steigerten wegen der hohen Verwaltungsgebühren und der damit einhergehenden hohen Vergütung des Insolvenzverwalters die Attraktivität des Berufes.212) Außerdem stieg auch das öffentliche Ansehen des Berufes: Einerseits durch die eindrucksvolle Macht der Verwalter in großen Verfahren, andererseits auch durch den Wandel von einem reinen Zerschlagungsrecht hin zu einem wirtschaftlich orientierten Konkursverfahren mit dem Ziel einer wirtschaftlich sinnvollen Bereinigung.213) Uhlenbruck beschreibt das damalige Regime als Ego-Verwaltung, „Entscheidend 119 für die gerichtliche Bestellung und Durchführung eines Verfahrens war der „Einzelkämpfer“ alter Schule.“214) Die Beurteilung der Arbeit reduzierte sich meist nur auf die Person des Verwalters. Dieser gestaltete und führte das Verfahren nach seinen eigenen Methoden und Regeln. Bei der Verwaltertätigkeit handelte es sich um eine „individualisierte Kunst“.215) Angesicht der überwiegend gering ausfallenden Konkursquoten bestand auf Seiten der Gläubiger ohnehin nur ein eher geringes Interesse an den Verfahren und der Qualität der Abwicklung.216) Ende der 90er Jahre begann sich das Berufsbild der Insolvenzverwalter erneut zu 120 verändern. Bis dato wurde die Eigenständigkeit der Tätigkeit als Insolvenzverwalter kaum thematisiert.217) Einen Einzelfall stellten 1991 die Feststellungen Schicks dar, der erstmals Unverständnis darüber äußerte, wie wenig sich die Wissenschaft mit den seiner Meinung nach unzureichenden berufsrechtlichen Grundlagen der Konkursverwaltertätigkeit beschäftigte.218) Nachdem Schick zudem feststellte, dass ___________ 208) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361. 209) Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 (157). 210) Graeber, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 165 (167f.); Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (362). 211) Gottwald/Gottwald, InsolvenzrechtsHdb., § 1 Rn. 18. 212) Uhlenbruck, NZI 2006, 489. 213) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (363). 214) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (364). 215) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (365). 216) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (365). 217) Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (34). 218) Schick, NJW 1991, 1328.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

die damals bestehenden gesetzlichen Vorgaben aufgrund ihrer „Konturenlosigkeit“ und „Bindungslosigkeit“ nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 12 GG gerecht würden,219) waren es u. a. erstmalig Henssler220) und Prütting221), die die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als eigenen Beruf qualifizierten.222) Am 3.8.2004 zog dann schließlich auch das Bundesverfassungsgericht nach und bestätigte erstmals, dass sich die Insolvenzverwaltertätigkeit in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Beruf entwickelt hatte, der fortan auch unter den Schutz des Art. 12 GG zu stellen sei.223) Diese Rechtsprechung wurde in den folgenden Jahren durch das Bundesverfassungsgericht weiter ausgebaut und verfestigt.224) Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zeichne damit die nachhaltig prägende rechtstatsächliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte nach. Sie habe die Tätigkeit des Insolvenzverwalters schließlich vom anwaltlichen Tätigkeitsprofil losgelöst.225)

II. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in erneutem Wandel 121 Während sich, wie aufgezeigt wurde, das Berufsbild des Insolvenzverwalters bis zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2004 zunächst von einem reinen Zerschlagungsrecht hin zu einer verwaltenden Tätigkeit mit einer wirtschaftlich sinnvollen Bereinigung entwickelt hatte,226) unterliegt die Tätigkeit des Insolvenzverwalters auch in jüngerer Zeit wieder einem starken Wandel:

122 Verstärkt durch die neuen Mechanismen des ESUG werden Insolvenzverwalter zunehmend nicht mehr nur noch in ihrer klassisch verwaltenden bzw. liquidierenden Tätigkeit aktiv227), sondern nehmen auch immer öfter die Rolle eines Beraters ein. Das Eigenverwaltungs- oder auch das Planverfahren sind zunehmend Garant für Beratungsmandate, die gerade in konjunkturellen Hochphasen mit wenigen Insolvenzverfahren sehr attraktiv sind. Vor allem große Verwalterbüros sind heute immer auch in der Lage, als Sanierungsberater, Berater von Organen entsprechender Gesellschaften oder in komplexeren Fällen aktiv zu werden. Entsprechende Be___________ 219) Schick, NJW 1991, 1328 (1330). 220) Unter anderem in: Henssler, ZIP 2002, 1053 (1053f.); Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45. 221) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 68. 222) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (365); die Möglichkeit die Insolvenzverwaltertätigkeit als Beruf i. S. v. Art. 12 GG zu sehen auch bereits Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (454f.). 223) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574. 224) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06 = NZI 2006, 636; BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641. 225) Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 52. 226) Vgl. Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (363). 227) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (2).

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D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel

ratungstätigkeiten sind nicht mehr als „individualisierte Kunst“228) zu bezeichnen, sondern finden meist notwendigerweise in größeren (disziplinübergreifenden) Teams statt.229) Bestärkt wird dieser Trend zu einer beratenden Tätigkeit des Insolvenzverwalters 123 auch durch die Bestrebungen des europäischen Richtliniengebers, die dieser durch den Erlass der neuen Restrukturierungsrichtlinie230) mit dem Ziel der Schaffung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erlassen hat und deren Ziele nun mit dem StaRUG auch Einzug in das deutsche Recht genommen haben. Ziel ist es heute, notleidende Unternehmen nach Möglichkeit präventiv zu beraten, um eine Insolvenz bzw. nachfolgend ein aufwändiges Insolvenzverfahren zu vermeiden. Auch dadurch dürfte der Bedarf an außerinsolvenzlicher Beratung weiter steigen. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters – sofern diese Bezeichnung hier überhaupt 124 noch passend ist231) – befindet sich somit erneut im Wandel. Das Profil des Insolvenzverwalters wird zunehmend nicht mehr von der klassisch verwaltenden Tätigkeit geprägt, sondern entwickelt sich hin zu einer verstärkt beratenden Tätigkeit. Stürner sprach bereits von einer „Wandlung des Insolvenzverwalters vom Organ der Rechtspflege zum Restrukturierungsunternehmer“.232) Die derzeitigen Veränderungen geben ihm Recht. Wie die vor kurzem erfolgte Einführung des StaRUG zeigt, wird auch zukünftig 125 die Diversifizierung der zur Verfügung stehenden Sanierungsinstrumente sowie damit einhergehend auch der unterschiedlichen Verfahrensrollen, die ein Insolvenzexperte einnehmen können muss, noch weiter voranschreiten. Sie finden schließlich eine gemeinsame Basis in den berufsrechtlichen Regularien des klassischen ___________ 228) Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (365). 229) Vgl. Buchalik, ZInsO 2019, 465 passim; Laroche u. a., ZIP 2014, 2153 (2162); Stürner, ZZP 122 (2009), 265 (285); Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (370); Weberling, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 241 (243); Wellensiek/Büteröwe, in: Festschrift für Klaus Pannen zum 65. Geburtstag, S. 319 (324). 230) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und Rates vom vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz). 231) So wird etwa in der Restrukturierungsrichtlinie die Bezeichnung des „Verwalte(s)r im Bereich Restrukturiuerung-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“ geführt; vgl. auch Braun/ Frank, NZI 2020, 1 (4); Frind, ZInsO 2017, 2146 (2151), der aufgrund ähnlicher Überlegungen von einem „de-entwickeln“ des Berufsbildes spricht, da die Berufsbildkonturierung wieder zunehmend verschwimme. 232) Stürner, ZZP 122 (2009), 265 (284); vgl. auch, BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, m. w. N., abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

Insolvenzverwalters, wie es sich nun auch in den §§ 73, 74, 78, 95 StaRUG für den Restrukturierungsbeauftragten und Sanierungsmoderator gezeigt hat.233) Die Voraussetzungen an ihre Beauftragung entsprechen im Wesentlichen denjenigen aus § 56 InsO, wobei der Fokus hier mutmaßlich stärker auf Personen fallen wird, die spezifisch betriebswirtschaftliche Kompetenzen bzw. besondere Erfahrungen im Bereich Unternehmensfortführung und Sanierung haben.234) Von einem erneuten Wandel des Berufsbildes des Insolvenzverwalters muss deshalb ausgegangen werden.

III. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als freier Beruf 126 Oben wurde erläutert, wie der Begriff des freien Berufes näher konturiert werden kann und welche Beschreibungen sich dazu in verschiedenen Rechtsordnungen finden lassen. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters wird nicht in § 6 I 1 GewO, § 1 II 1 PartGG sowie § 18 I Nr. 1 2 EStG erwähnt. Die darin enthaltenen Auflistungen sind schließlich jedoch ausdrücklich nicht abschließend, wie sich insbesondere aus § 1 II PartGG ergibt.235) Fraglich ist, ob die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als ein „ähnlicher Beruf“ i. S. v. § 1 II 2 PartGG dargestellt werden kann.

127 Zur Beurteilung der Ähnlichkeit solle nach verbreiteter Ansicht ausschließlich auf die zuvor aufgeführten Katalogberufe und nicht etwa auf Berufstätigkeiten Bezug genommen werden, die sich unter die anschließenden, nach allgemeinen Kriterien umrissenen Tätigkeitsfelder subsumieren ließen.236) Bei dem sich anschließenden Vergleich solle sodann auf einen konkreten Katalogberuf des § 1 II 2 PartGG abgestellt werden. Ähnlichkeit i. S. d. Vorschrift sei dann zu bejahen, wenn der gesetzlich nicht erfasste Beruf mit einem der Katalogberufe in wesentlichen Punkten vergleichbar sei. Dabei würden dann die bereits oben genannten Merkmale des § 1 II 1 PartGG herangezogen und anhand eines wertenden Vergleichs der einzelnen typischen Berufsmerkmale ein Gesamtbild des fraglichen Berufes erstellt. Anschließend sei zu beurteilen, ob dieses Gesamtgepräge einem der ausdrücklich genannten Berufstätigkeiten entspräche.237) Bei Vorliegen eines homogenen Berufsbildes wie etwa bei den wirtschaftsberatenden Berufen, könne zudem ausnahmsweise auch eine ganze Berufsgruppe als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.238)

128 Der Bundesfinanzhof ordnete die Tätigkeit des Insolvenzverwalters im Rahmen einer steuerrechtlichen Beurteilung nicht als freien Beruf ein. Er wies die Tätigkeit vielmehr ___________ So bereits zuvor, Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4). Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561 (2574, 2577); Vallender, ZInsO 2020, 2677 (2684, 2686). MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 37 ff., 65; Rennert, DVBl 2012, 593 (594). MWHLW/Lenz, § 1 PartGG, Rn. 75; MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 65. MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 67; ebenso MWHLW/Lenz, § 1 PartGG, Rn. 75; dazu bereits oben unter Rn. 64. 238) Ausführlich: MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 68. Zum in dieser Hinsicht umstrittenen Vergleichsmaßstab i. R. d. Steuerrecht vgl. Ebd. Rn. 66.

233) 234) 235) 236) 237)

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D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel

grundsätzlich als vermögensverwaltende Tätigkeit i. S. v. § 18 I Nr. 3 EStG aus.239) Der Bundesfinanzhof stellte bei seiner Untersuchung unter anderem schwerpunktmäßig darauf ab, dass der Insolvenzverwalter zur Bewältigung seiner Arbeit in hohem Maße auf Mitarbeiter und externe Berufsträger zurückgreife. Die Tätigkeit beruhe daher nicht mehr im Wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers und sei daher steuerrechtlich als gewerblich zu qualifizieren.240) Mit Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der den Insolvenzverwalter als eigenständigen Beruf anerkennt,241) begründete der Bundesfinanzhof seine Entscheidung ferner damit, dass eine Zuordnung zur anwaltlichen Berufsausübung gerade nicht erfolgen könne. Eine höchstpersönliche Abwicklung von Insolvenzverfahren könne durch die InsO nicht gefolgert werden, da der Verwalter lediglich bestimmte Entscheidungen persönlich zu treffen habe, nicht aber auch die kaufmännisch-technische Umsetzung dieser Entscheidungen selbst ausführen müsse. Dies geschehe regelmäßig vielmehr durch Dritte. In einem späteren Urteil gab der Bundesfinanzhof allerdings gleichzeitig die sog. Vervielfältigungstheorie auf und wendete nunmehr die sog. Stempeltheorie an. Damit stellte das Gericht die Insolvenzverwaltertätigkeit grundsätzlich den anderen anwaltlichen Tätigkeiten gleich, wenngleich es sich jedoch nicht um eine „anwaltstypische Berufsausübung“ i. S. des § 18 I Nr. 1 S. 2 EStG handele. Sie stelle keine dem Rechtsanwaltsberuf vorbehaltene oder ihn in besonderer Weise charakterisierende Tätigkeit dar. Um einer Einstufung der Tätigkeit als gewerblich zu entgehen, müsse der Betroffene seiner Arbeitsleistung allerdings den „Stempel der Persönlichkeit“ aufdrücken. Für kleine Verwaltereinheiten dürfe dies kein großes Problem darstellen, Einkünfte großer Büros dürften hingegen eher als gewerbliche Einkünfte eingestuft werden, da es dort bei kleinen Verfahren meist an einer Mitwirkung des eingesetzten Verwalters fehle.242) Von dieser steuerrechtlichen Bewertung kann jedoch keine Bindungs-, sondern al- 129 lenfalls eine Indizwirkung für die berufsrechtliche Einordnung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters als freier Beruf ausgehen.243) Anders als der Bundesfinanzhof erachtet die berufsrechtliche bzw. insolvenzrechtliche Literatur die Tätigkeit des Insolvenzverwalters überwiegend als den rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen ähnliche Tätigkeit, die als freier Beruf zu qualifizieren sei.244) ___________ 239) BFH, Urteil vom 12.12.2001 – XI R 56/00 = NJW 2002, 990; BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09 = NJW 2011, 1628. 240) BFH, Urteil vom 12.12.2001 – XI R 56/00 = NJW 2002, 990. 241) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576). 242) BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09 = NJW 2011, 1628; vgl. Anm. von: Buhmann, BRAK-Mitt. 2011, 163 (168); Olbing, AnwBl 2011, 399 (399). 243) Vgl. Mann, NJW 2008, 121 (122) in Bezug auf den Berufsbetreuer. Die Rechtsprechung des BFH auch aus steuerrechtlicher Sicht für fehlerhaft erachtend, Siemon, ZInsO 2009, 305. 244) Vgl. Bergner, in: Festschrift für Siegfried Beck zum 70. Geburtstag, S. 27 (45); Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 105; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29 ff.; MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 70; MWHLW/Lenz, § 1 PartGG, Rn. 78.

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3. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung

130 Ob die Insolvenzverwaltertätigkeit mit der überwiegenden berufsrechtlichen Literatur als eine den rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen ähnliche Tätigkeit anzusehen ist, hängt zunächst maßgeblich von der Rechtsstellung des Insolvenzverwalters im Verfahren ab. Muss doch seine Tätigkeit für eine wie zuvor geschilderte Vergleichbarkeit zumindest eine persönliche, eigenverantwortliche sowie fachlich unabhängige Dienstleistungserbringung darstellen.

131 Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters wurde bereits oben hinlänglich erläutert: Der Insolvenzverwalter ist weder als Beamter oder Beliehener anzusehen, noch übt er ein öffentliches sondern ein privates Amt aus.245) Er wird nach herrschender Meinung als Partei kraft Amtes tätig.246) Dieses wird ihm durch das Insolvenzgericht durch die Bestellung für jeweils einen konkreten Fall übertragen. Dadurch wird er aber nicht Beliehener,247) er wird auch nicht Teil der unmittelbaren staatlichen Organisationsstruktur,248) sondern er partizipiert lediglich für einen konkreten Fall innerhalb der Funktionseinheit zwischen Insolvenzgericht und Verwalter an der Verfahrenshoheit. Die Verfahrensträgerschaft liegt jedoch anders als etwa im Falle des Notars während des gesamten Verfahrens beim Insolvenzgericht.249)

132 Der Insolvenzverwalter handelt mithin persönlich, er wird auf eigene Rechnung tätig und haftet nach § 60 InsO persönlich gegenüber den Verfahrensbeteiligten.250) Ebenso werden dem Verwalter auch schuldhafte Pflichtverletzungen seiner Gehilfen gem. § 278 BGB zugerechnet.251) Durch die maßgeblich auf der Eignung des Verwalters beruhende Bestellentscheidung nach § 56 I InsO wird zudem seine spezielle Sachkunde vorausgesetzt. Ebenfalls durch § 56 I InsO vorausgesetzt wird seine Unabhängigkeit. Trotz der Feststellungen des Bundesfinanzhofs geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, der Insolvenzverwalter nehme seine Aufgaben höchstpersönlich wahr, auch wenn die Ausführung vieler Tätigkeiten auf Dritte delegiert würde.252) Im Rahmen der hier erfolgenden berufsrechtlichen Bewertung ist dem zu folgen.

133 Demnach ist eine Vergleichbarkeit mit der Gruppe der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe gegeben. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist demnach als ähn___________ 245) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454). 246) Vgl. statt vieler: Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29; Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2102). 247) Vgl. Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1246). 248) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 31; insoweit auch Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1247). 249) S. o. Rn. 110. 250) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 14. Rn. 23; Uhlenbruck/Sinz, § 60 InsO, Rn. 1. 251) Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 53. 252) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641.

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D. Das Berufsbild des Insolvenzverwalters im Wandel

licher Beruf i. S. d. § 1 II 2 PartGG und folglich als freier Beruf zu qualifizieren.253), 254) Mit dieser Einordnung ist jedoch letztlich kein bestimmtes Regulierungsmodell verbunden.255)

___________ 253) Ebenso: Bergner, in: Festschrift für Siegfried Beck zum 70. Geburtstag, S. 27 (45); Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 105; Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 36; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29 ff.; MüKoBGB/Schäfer, § 1 PartGG, Rn. 70; MWHLW/Lenz, § 1 PartGG, Rn. 78; wohl auch Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (370). 254) Anders für den Berufsbetreuer hingegen, Mann, NJW 2008, 121 (123f.), der bei diesen etwa keine eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Berufsausübung sieht, da sie ihre Entscheidungen nicht kraft strukturell überlegenen Fachwissens träfen, sondern nur, weil der Betreute wegen seiner Krankheit oder Gebrechen dazu nicht mehr in der Lage sei. Die Berufsbetreuer würden außerdem nicht auch aus altruistischen Motiven des Gemeinwohls tätig, da die gesetzliche Betreuung im Unterschied zur pflegerischen Betreuung lediglich die entgeltliche, gerichtliche und außergerichtliche Vertretung einer Person zum Gegegenstand habe. Dies mache den Betreuer folglich zum gesetzlichen Vertreter (§ 1902 BGB). 255) Bergner, in: Festschrift für Siegfried Beck zum 70. Geburtstag, S. 27 (46).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters Die gesetzlichen Vorgaben für die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des In- 134 solvenzverwalters sind rar und sehr abstrakt gehalten. Das Recht der Verwalterauswahl ist zu einem großen Teil ungeschriebenes Recht, das durch eine Vielzahl grundlegender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes geprägt wird.256) Ihre für den Gravenbrucher Kreis 2001 erstellte Studie beginnen Holzer/Kleine-Cosack/Prütting mit den folgenden, auch heute noch aktuellen Worten: „Obwohl die Auswahl des Verwalters in einem Insolvenzverfahren gegenwärtig und auch künftig die "Schicksalsfrage des Verfahrens'' ist und dieser im Rahmen seiner Tätigkeit eine für das Wirtschaftsleben außerordentlich wichtige Ordnungsfunktion wahrnimmt, findet bisher nach wohl einhelliger Meinung der Zugang zu dieser Tätigkeit und seine Auswahl in einer rechtlichen Grauzone statt. Dies verwundert um so mehr, als die Problematik seit langer Zeit bekannt ist. Dennoch bestehen bis zum heutigen Tage keine nennenswerten gesetzlichen Vorgaben, in welcher Weise und nach welchen Kriterien eine Auswahl des Verwalters vorzunehmen ist.“257) Das nun folgende Kapitel setzt sich zunächst mit der derzeitigen Rechtslage sowie mit 135 den durch die Rechtsprechung gebildeten Kriterien zur Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters sowie mit den verschiedenen durch die Insolvenzgerichte verwendeten Fragebögen auseinander (Rn. 136). Anschließend sollen die verschiedenartigen Fragebogentypen und ihre unterschiedlichen Auswertungsmethoden erläutert werde (Rn. 300). Danach wird die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des derzeitigen Vorauswahl- und Bestellsystems sowie eines damit einhergehenden etwaigen Regelungsbedarfes zu untersuchen sein (Rn. 323). Ebenso ist zu untersuchen, ob ein Regelungsbedarf auch bereits aus den aktuellen europarechtlichen Reformbestrebungen gefolgert werden muss und ob auch Regelungsbedarf aus justizorganisatorischen Gründen besteht (Rn. 388). Sodann soll der unter (Rn. 136). erläuterte Rechtscharakter der Auswahl- und Bestellentscheidung mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Rahmen einer solchen Entscheidung (aus Art. 19 IV, 92, 97 GG) kritisch bewertet werden sowie zudem erwogen werden, ob aus ihnen eine Notwendigkeit für künftiger Änderungen resultiert (Rn. 410). Die sich aus diesem Kapitel ergebenden Schlussfolgerungen werden abschließend zusammenfassend dargestellt (Rn. 542).

___________ 256) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters. S. 17; Preuß, ZIP 2011, 933 (933); zu den Entscheidungen des BVerfG vgl. Aufstellung bei K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 31 – 42; für die Rechtsprechung des BGH vgl. etwa Pape, ZInsO 2017, 1341. 257) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 1; den Auswahlprozess noch heute in einer rechtlichen Grauzone stattfindent sehend etwa, Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2619).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung 136 § 56 I InsO regelt ausdrücklich lediglich die Bestellung des Insolvenzverwalters für das jeweilige Verfahren. Zur Vorbereitung dieser Entscheidung haben Insolvenzgerichte vor langer Zeit mit der Führung sog. Vorauswahllisten begonnen, um im Eilfall zu einer raschen Bestellentscheidung gelangen zu können. Normierte Eignungskriterien, die der jeweilige Verwalter zu erfüllen hat, betreffen nur das Ergebnis der Bestellentscheidung.258) Es ist folglich zwischen der richterlichen Vorauswahl- und der richterlichen Bestellentscheidung zu unterscheiden. Die Kriterien für die zunächst abstrakt erfolgende Vorauswahllistenentscheidung kann jeder Insolvenzrichter nach eigener Einschätzung in sachgerechter Weise und in richterlicher Unabhängigkeit selbst festlegen. Sie haben sich lediglich an den wenigen Vorgaben des § 56 InsO – hauptsächlich dem Merkmal der Eignung – zu orientieren, die das Insolvenzgericht (§ 2 I InsO) bzw. der für die Ernennung des Insolvenzverwalters zuständige Insolvenzrichter (§ 18 I Nr. 1 RPflG) im Rahmen seines Auswahlermessens berücksichtigen muss. Bei der Vorauswahlentscheidung geht es um die generelle, von der Typizität des einzelnen Insolvenzverfahrens losgelöste Eignung des Verwalters, um überhaupt bestellt werden zu können.259)

137 Erst in der danach für das konkrete Insolvenzverfahren erfolgenden Bestellentscheidung werden die durch § 56 InsO normierten Kriterien konkret angewandt und für den jeweiligen Einzelfall in Anschlag gebracht.

138 Diese Systematik hat der Gesetzgeber nun auch für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators gem. §§ 73, 74, 78, 95 StaRUG beibehalten. Wie bereits der Wortlaut der Normen offenbart, werden auch hier die Anforderungen des § 56 InsO an die zu bestellenden Amtsträger angelegt. Auch wird zumindest der Restrukturierungsbeauftragte aus einer Vorauswahlliste auszuwählen sein.260) Gegenüber § 56 InsO hat der Gesetzgeber dem § 74 StaRUG ___________ 258) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934). 259) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06 = NZI 2006, 636; ferner, Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 6, 36f.; Eichel, KTS 2017, 1 (4); Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1181); Pape, ZInsO 2017, 1341 (1344); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 9; anders K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48, der mit Verweis auf das BVerfG ausführt, dass es sich bei der Vorauswahlliste nicht um ein generell-abstraktes Vorschaltverfahren handele, sondern sie zwar antizipiert erstellt werde, aber integraler Bestandteil der jeweiligen richterlichen Bestellungsentscheidung sei. 260) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 2, 8; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561 (2574, 2577); Vallender, ZInsO 2020, 2677 (2684, 2686); das AG Hannover stellt bereits einen Fragebogen für die Aufnahme des Restrukturierungsbeauftragten aud die Vorauswahlliste zur Verfügung. Abrufbar unter: https://www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/service/ downloads/downloads-63611.html (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

lediglich klarstellend hinzugefügt, dass es sich bei der für den Einzelfall geeigneten Person um einen „in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrene(n) Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonstige natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation“ handeln soll. Eine weitergehende Konkretisierung der Eignung geht damit jedoch wohl nicht einher. Aus der Anerkennung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters als eigenständigen Be- 139 ruf261) folgt, dass der gesamte Auswahlprozess in einem Verfahren gestaltet werden muss, das dem Art. 3 I, 12 I GG genügt. Sowohl die vor der konkreten Bestellentscheidung ergehende Vorauswahllistenentscheidung, als auch die jeweilige Bestellentscheidung haben sich an Art. 3 I GG zu orientieren. Der Gleichheitssatz schützt den Verwalter während des Auswahlprozesses vor willkürlicher Ungleichbehandlung und verpflichtet den zuständigen Richter zu sachgerechter Ermessensausübung und der Wahl sachgerechter Auswahlkriterien.262) Der verfassungsrechtliche Rahmen erstreckt sich folglich sowohl auf eine faire Chance auf Aufnahme in eine Vorauswahllisten als auch auf eine willkürfreie Bestellentscheidung im konkreten Fall.263) Im Folgenden sollen nach Erläuterung des durch das Bundesverfassungsgericht 140 herausgearbeiteten Rechtscharakters und der Funktionsweise von Vorauswahl(Rn. 141) und Bestellentscheidung (Rn. 240) die derzeit verwandten und durch die Rechtsprechung gebildeten Kriterien zur Vorauswahl und Bestellung dargestellt und die Zulässigkeit ihrer Verwendung erläutert werden. Ferner wird dargestellt, inwiefern diese Kriterien von den größten deutschen Insolvenzgerichten in den von ihnen verwendeten Fragebögen Anwendung finden. Die Ergebnisse dazu werden in einer Gesamtschau zusammengefasst (Rn. 290).

I.

Die Vorauswahlliste

Durch die Listung auf der insolvenzgerichtlichen Vorauswahlliste264) soll der zustän- 141 dige Insolvenzrichter die Möglichkeit erhalten, in einer konkreten Bestellsituation in kürzester Zeit einen geeigneten Verwalter für das jeweilige Verfahren auszuwählen. Durch die (nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht begrenzbare265)) Listung und die generelle Berücksichtigung bei der richterlichen Bestellentscheidung werden somit auch die Grundrechte der Verwalter gewahrt, insbesondere die verfassungsrechtlich garantierte Chancengleichheit gem. Art. 3 I, 12 I GG. Ferner dient die ___________ 261) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574. 262) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 = NZI 2006, 453; Fridgen/ Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 3; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 4. 263) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 4. 264) Zu Entwicklung der Vorauswahlliste zur Zeit der Konkursordnung vgl. Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner, Rn. 118. 265) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Höfling, JZ 2009, 339 (346); K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Vorauswahlliste ebenso auch der Strukturierung und Vorbereitung der eigentlichen, daraufhin erfolgenden Bestellentscheidung.266) Zwingend für die spätere Bestellung des Insolvenzverwalters ist die Aufnahme in die Vorauswahlliste allerdings nicht, was insbesondere auch durch die Regelungen des ESUG bestätigt wird.267)

142 Das Vorauswahlverfahren ist letztlich vom Gesetzgeber in § 56 I InsO nicht normiert. Lediglich für die Bestellung des Insolvenzverwalters im konkreten Fall wurde dort eine gesetzliche Grundlage geschaffen.268)

1.

Beschluss des BVerfG vom 3.8.2004 – Rechtscharakter der Vorauswahllistenentscheidung

143 Vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hatten das OLG Koblenz und das OLG Schleswig jeweils Rechtsschutz unter Berufung auf die mangelnde Justiziabilität der im Rahmen des richterlichen Ermessens getroffenen ablehnenden Vorauswahlentscheidung verwehrt und entsprechende Anträge auf gerichtliche Entscheidung gem. den §§ 23 ff. EGGVG als unzulässig zurückgewiesen. Sie hielten die Entscheidung im Vorauswahlverfahren nicht für einen Justizverwaltungsakt i. S. d. §§ 23 ff. EGGVG; der Richter werde bei der Vorauswahl von Insolvenzverwaltern vielmehr als unabhängiges Organ der Rechtspflege tätig; eine gerichtliche Überprüfung könne daher nicht auf Art. 19 IV GG gestützt werden.269)

144 Dem schloss sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3.8.2004270) nicht an. Die insolvenzrichterliche Vorauswahlentscheidung stelle keinen Rechtsprechungsakt dar. Der Richter werde zwar in richterlicher Unabhängigkeit, nicht aber in seiner Funktion als Instanz der unbeteiligten Streitbeilegung tätig. Vielmehr handele es sich um einen Justizverwaltungsakt gem. § 23 ff. EGGVG, der als Akt öffentlicher Gewalt der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV GG unterstehe.271) ___________ 266) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 36f.; Eichel, KTS 2017, 1 (3); Preuß, ZIP 2011, 933 (935). 267) Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 10 a. E; Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 11; de lege lata kann deshalb nicht von einem Gleichlauf zwischen Zulassung zum Beruf und Aufnahme auf die Vorauswahlliste ausgegangen werden. So aber, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (881). 268) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347). 269) OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 1074; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.5.2001 – 12 Va 2/00. 270) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574; ausführliche Besprechungen bei: Frind/Schmidt, NZI 2004, 533; Graeber, DZWIR 2005, 177; Köster, NZI 2004, 538. 271) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 = NZI 2004, 574; zuletzt auch, OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2020 – 11 VA 8/18 = NZI 2020, 488; vgl. ebenso: Graeber, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 165 (169); Graf-Schlicker, in: Festschrift für Günter Greiner: zum 70. Geburtstag am 19. März 2005, S. 71 (72f.); Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131 (132f.).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Neben der Qualifizierung der Insolvenzverwaltertätigkeit als eigenständigen Beruf 145 i. S. v. Art. 12 I GG, billigte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss ferner auch das von einigen Fachgerichten praktizierte Vorauswahllistensystem. Der Beschluss führte dazu, dass die Insolvenzgerichte, zumindest nach der Rechtsprechung, entsprechende Vorauswahllisten zu führen haben.272) Wie bereits an der bis dato gegenteiligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu erkennen ist, wird die verfassungsgerichtliche Einordnung der Vorauswahlentscheidung als Justizverwaltungsakt in richterlicher Unabhängigkeit nicht vorbehaltlos geteilt.273)

2.

Funktionsweise des Vorauswahllistensystems

In der Folge hat das Bundesverfassungsgericht das Vorauswahllistenverfahren ge- 146 rade durch seinen Beschluss vom 23.5.2006274) maßgeblich konturiert. Nachdem es 2004 zunächst feststellte, dass das Vorauswahllistenverfahren dem Richter einen Rahmen vorgeben kann, der ihm trotz der Eilbedürftigkeit seiner Entscheidung eine hinreichende Tatsachengrundlage für die sachgerechte Auswahlentscheidung im konkreten Verfahren vermittelt275), fügt es in dem 2006 erlassenen Beschluss hinzu, dass es für eine zügige Eignungsprüfung erforderlich sei, dem Richter hinreichende Informationen für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens zu verschaffen und zur Verfügung zu stellen.276) Diese sollten sich nicht in einem reinen Namens- und Adressverzeichnis erschöpfen, sondern bedürften der Erhebung, Verifizierung und Strukturierung ausgewählter Daten, die nach der Einschätzung des jeweiligen Insolvenzrichters nicht nur für die Feststellung der Eignung eines Bewerbers im konkreten Fall maßgebend seien, sondern vor allem auch eine sachgerechte Ermessensausübung bei der Auswahl des Insolvenzverwalters aus dem Kreis der geeigneten Bewerber ermöglichen sollten. Erhoben werden müssten also Daten, die sowohl der generellen Vorauswahlentscheidung als auch der konkreten Bestellentscheidung dienlich sein können.277) Hinzutritt regelmäßig auch die Ladung zu einem Bewerbungsgespräch, um die spezielle Eignung auch gesprächsweise zu eruieren, sowie nicht belegbare Angaben überprüfen zu können.278) Gaier hält ein solches Vorauswahlverfahren derweil für unverzichtbar, solange der jewei___________ 272) Vgl. Graeber, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 165 (169); MüKoInsO/ Graeber, § 56 InsO, Rn. 91b. 273) Dazu später unter Rn. 482 ff. 274) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 = NZI 2006, 453. 275) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 (2727) = NZI 2004, 574 (576). 276) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455). 277) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455); jüngst durch den BGH bestätigt, vgl. BGH, Beschl. V. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NJW-RR 2016, 1447 (1448) = NZI 2016, 913 (914); so auch Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 39. 278) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 11.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

lige Insolvenzrichter keine andere Möglichkeit findet, sich Informationen zu verschaffen, anhand derer er in einer Eilsituation entscheiden könne.279)

147 Das Bundesverfassungsgericht stellte in der Vergangenheit ferner fest, dass jeder Richter eines Insolvenzgerichts seine eigene Vorauswahlliste zu führen habe. Das Überlassen einer Liste sei nur zulässig, soweit sichergestellt sei, dass die Liste mit Kriterien geführt würde, die der jeweilige übernehmende Richter selbst für maßgeblich befände.280) Durch das individuelle Führen der Vorauswahllisten durch die verschiedenen Insolvenzrichter und dadurch, dass die inhaltliche Gestaltung der Listen den Fachgerichten bzw. den zuständigen Insolvenzrichtern überlassen ist,281) ihnen bei der Aufstellung der Kriterien also ein jeweils eigener Ermessensspielraum zusteht,282) ergeben sich in der Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Handhabungen.283) Zwar haben die Insolvenzrichter ihre ausgewählten Kriterien auf Anfrage der Bewerber transparent zu machen.284) Dies führte in der Vergangenheit jedoch nicht zu einer Vereinheitlichung der Kriterien oder zu einem einheitlichen System bei der Erhebung der genannten Daten.285) Soweit überhaupt Fragenbögen für die Erhebung der entsprechenden Verwalterdaten genutzt werden, bzw. überhaupt eine Vorauswahlliste geführt wird,286) sind diese meist unterschiedlich aus___________ 279) Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1182); so auch die Feststellungen der, Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (507); K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 49 hebt hervor, dass dieser Hinweis aufzeige, dass auch Alternativen zu den Vorauswahllisten denkbar seien, anhand derer eine geeignete Stoffsammlung erfolgen könnte. 280) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455 = NJW-RR 2009, 1502 (1503); ferner, K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48; für einen solcher Zusammenschluss etwa die Verwalterauswahl am AG Hannover, vgl. Blankenburg u. a., ZInsO 2017, 1018; Neubert, ZInsO 2017, 1649. 281) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455); Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (118); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 9. 282) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 42 m. w. N. 283) So auch: Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (463); Vallender, NZI 2017, 641 (645). 284) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511); FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 7. 285) Vgl. HambKomm/Frind, § 56 InsO, Rn. 22; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 9; Vereinheitlichungen bei der zur Abfrage der relevanten Daten verwendeten Fragenbögen lassen sich nur vereinzelt beobachten, vgl. dazu den sog. „Heidelberger Musterfragebogen“ der acht größten Insolvenzgerichten Baden-Württembergs, Meister, NZI 2009, 97 ff. 286) So führten 2008 nach einer Studie des IFB immer noch 9,1 % der befragten Insolvenzrichter keine Vorauswahlliste, 1/3 der befragten Gerichte gab an in den letzten Jahren nichts an ihrer Bestellpraxis geändert zu haben, vgl. Gravenbrucher Kreis, Die Bestellpraxis von Unternehmensinsolvenzverwaltern: Befragung der Insolvenzgerichte, durchgeführt durch das Institut für Freie Berufe Nümberg (2008), mit Anm. von Uhlenbruck, ZIP-Beilage 2009, 1 (S. 9, Abb.2; S. 15, Abb.7); Uhlenbruck hält diesen Befund für erstaunlich, aber keineswegs überraschend, bedrückend sei jedoch, dass 1/3 der Gerichte nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts faktisch nichts an ihrer Bestellpraxis geändert hätten, S. 27; für die Studie wurde sämtliche Insolvenzgerichte in Deutschland angeschrieben, bei einer Erhebungsgesamtheit von 182 Insolvenzgerichten, wurden dem Institut 69 auswertbare Fragebögen übermittelt, vgl. S. 7.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

gestaltet und von unterschiedlichem Umfang. Allerdings haben sich die Fragebögen einzelner Insolvenzgerichte derweil anscheinend als besonders geeignet herausgestellt und wurden deshalb von anderen Gerichten übernommen.287) Der derzeit angewandte Vorauswahlprozess stellt sich damit als uneinheitlich und vielerorts darüber hinaus als intransparent dar.288) Die Aufnahme eines Bewerbers in die Vorauswahlliste muss vom jeweiligen Insol- 148 venzrichter nicht begründet werden, sie ist dem Bewerber allerdings mitzuteilen. Eine ablehnende Entscheidung ist jedoch als belastender Justizverwaltungsakt zu begründen.289) Nach Ausscheiden eines Insolvenzrichters fällt seine Vorauswahlliste grundsätz- 149 lich in sich zusammen und wird gegenstandslos. Die Liste und die ihr zu Grunde liegenden Auswahlkriterien kann der Nachfolger lediglich dann weiternutzen, wenn er sie sich ausdrücklich zu Eigen macht.290) Auch das spätere Streichen eines in die Vorauswahlliste bereits aufgenommenen 150 Kandidaten, das sog. Delisting, ist möglich. Ein solches Delisting kommt etwa in Betracht, wenn der Verwalter die generellen Aufnahmekriterien der jeweiligen Liste nicht (z. B. durch Falschangaben, fehlende fachliche Eignung etc.) oder nicht mehr erfüllt (bei negativen Erfahrungen mit dem Verwalter).291) Das Delisting ist abzugrenzen vom sog. „Quasi-Delisting“ oder „kalten Delisting“, bei dem der Verwalter zwar auf der Vorauswahlliste vermerkt bleibt, faktisch jedoch gar nicht oder für sehr lange Zeit bei der Bestellentscheidung übergangen wird.292) ___________ 287) So etwa das Hannoveraner Modell, das im Kern u. a. auch vom AG Bückeburg und – wenn auch nicht deckungsgleich – dem AG Charlottenburg-Berlin verwendet wird vgl. Blankenburg u. a., ZInsO 2017, 1018; Brückner, DZWIR 2016, 406; Neubert, ZInsO 2017, 1649; hierzu gehört auch der bereits genannte „Heidelberger Musterfragebogen“, vgl. Meister, NZI 2009, 97; Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131 ff. 288) Vgl. nur Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (463); Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (121); Vallender, NZI 2017, 641 (645); Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner, S. 57f. 289) FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 22; Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131 (133); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO Rn. 34; Wieland, ZIP 2007, 462 (465f.); durch BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455) mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen, so Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1180f.). 290) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 5/15 = NZI 2016, 516 (518); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 8. 291) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511); OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2020 – 11 VA 8/18 = NZI 2020, 488; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 52; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 36 ff. 292) Für die verschiedenen Erscheinungsformen des „kalten Delisting“ vgl. ausführlich Smid, ZInsO 2018, 489.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

3.

Die verschiedenen Arten des Listings

151 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Insolvenzrichter innerhalb bestimmter verfassungsrechtlicher bzw. durch die Rechtsprechung erarbeiteten Vorgaben einen Ermessensspielraum bei der Aufstellung der Kriterien für die generelle Vorauswahlentscheidung hat.293) Davon zu unterscheiden ist jedoch die Subsumtion unter die Kriterien der generelle Vorauswahlentscheidung. Dabei steht dem Insolvenzgericht lediglich ein Beurteilungsspielraum294) zu, da dieser Entscheidung ein prognostisches Element immanent sei.295) Erfüllt der Bewerber die generellen Kriterien, kann ihm die Aufnahme in die jeweilige Liste nicht verwehrt296) werden. Dem Insolvenzrichter steht dann kein Ermessen zu, dem Bewerber hingegen steht ein einklagbarer Anspruch auf Aufnahme in die jeweilige Liste zu.297)

a) Geschlossene Listen (sog. Closed Shops) 152 Zu den vorgenannten, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erarbeiteten Erkenntnissen zählt auch die sog. Listenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts298), mit der es dem Modell der „geschlossenen Liste“ (sog. Closed Shops) eine Absage erteilte. Die grundlegende Abkehr vom System der geschlossenen Listenführung hat auch der Gesetzgeber durch Änderung des § 56 I InsO normiert, indem es dort heißt, dass der Insolvenzverwalter „aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist.“.299)

153 Trotz der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts sind anderer jedoch der Auffassung entsprechend offene Listen seien nicht praktikabel. Die Uhlenbruck___________ 293) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 42 m. w. N. 294) Grundsätzlich zum Kontrollumfang i. R. d. Beurteilungsspielraumes vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/ Sachs, § 40 VwVfG, Rn. 220 ff. 295) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511); KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 54. 296) Der Insolvenzrichter ist von Verfassungs wegen nicht daran gehindert, unter dem Gesichtspunkt fehlender genereller Eignung auch solche Bewerber unberücksichtigt zu lassen, die nach Kriterien seiner ständigen Ermessenspraxis – an die er im Wege der Selbstbindung gebunden sein kann – keinerlei Aussicht auf tatsächliche Berücksichtigung haben, BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642). Aufgrund des Schutzbereiches des Art. 12 GG ist hier jedoch anders als bei der Bestellentscheidung im konkreten Verfahren ein strenger Maßstab anzulegen, FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 7; einzelne Fehlverhalten können idR noch nicht dazu führen, dem Bewerbe seine generelle Eignung abzusprechen, BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (zur persönlichen Eignung); BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 5/15 = NZI 2016, 516 (zur fachlichen Eignung); KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 55 ff. 297) BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/07 = NZI 2008, 161 (162); BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511). 298) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455). 299) Eingeführt durch das InsVereinfG v. 13.4.2007; BGBl. I S. 509; vgl. BT-Drs. 16/3227 S. 18.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Kommission erachtete es etwa für notwendig, die Gesamtzahl der Bewerber für eine Liste sowie auch die Anzahl der jährlich durch einen Verwalter neu zu bearbeitenden Unternehmensinsolvenzverfahren zu begrenzen. Eine Ergänzung der Liste solle erst nach einem Delisting erfolgen.300) Die durch diese Ansicht verfolgten Regulierungen sind mit der derzeitigen Gesetzeslage nicht vereinbar und wiedersprechen den grundlegenden Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Vorauswahlliste, insbesondere dem Prinzip der Chancengleichheit. Eine entsprechende Begrenzung der Vorauswahlliste ist ohne eine Abkehr des Gesetzgebers von der genannten derzeitigen Rechtslage nicht möglich.301) Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Begrenzung oder Kontingentierung 154 der Vorauswahlliste unter verschiedenen Gesichtspunkten Sinn ergeben kann. So könnte es zumindest vor dem Hintergrund überfüllter und immer unübersichtlicher werdender Listen gegenwärtig fraglich erscheinen, ob dem Ziel einer möglichst raschen Bestellentscheidung noch Rechnung getragen werden kann. Als richtig anerkannt werden muss auch, dass überfüllte und unübersichtliche Listen das faktische bzw. „kalte Delisting“ befördern, es folglich zu einer automatischen Entwertung der Liste kommt.302) Delhaes/Römermann wollen den geschilderten Problemen entgegentreten, indem 155 sie die Anforderungskriterien sachgerecht erhöhen wollen, um so eine höhere Hürde für die Aufnahme zu schaffen und so einem Ausufern der Vorauswahlliste entgegen zu wirken.303) ___________ 300) KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 49; Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (507); ablehnend Uhlenbruck/Mönning die eine an den Bedarf orientierte Liste für bedenklich halten, da sie einerseits das Closed-Shop-Verbot umgehe, zum Anderen die Qualitätsorientierung an der Bedarfszahl vornehme, Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 (159); für eine Bedarfsregelunge ebenfalls Preuß, KTS 2005, 155 (167f., 177), die dann jedoch eine gesetzliche Regelung für zwingend erforderlich erachtet. 301) FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 7; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 10; so auch das OLG Düsseldorf, das die Praxis eines Insolvenzgerichts rügte, das zwar formal jeden Bewerber in die Liste aufnahm, aus diesem Kreis jedoch seit langem nur wenige Bewerber mit der Begründung berücksichtigte, eine Begrenzung der eingesetzten Kanzleien würde die Effektivität der Insolvenzabwicklung verbessern. Das OLG stellte fest, dass das AG mit dieser Praxis im Ergebnis dem durch das Bundesverfassungsgericht explizit verworfenen Modell der „geschlossenen Liste“ entspreche, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2006 – I-3 Va 9/06 = NZI 2007, 48 (50). 302) Preuß KTS 2005, 155 (167); Pape kritisiert in dieser Hinsicht scharf, das derzeitige Verfahren sei „von faktischer Konsequenz beherrscht, je umfangreicher die Liste ist, desto geringer sind die Chancen der gelisteten Bewerber (…) tatsächlich bestellt zu werden.“ Durch die Auswahllistenverfahren sei die Bestellpraxis der Insolvenzgerichte kaum durchschaubarer geworden. „Der faktische closed shop besteht auch ein Jahrzehnt nach der Einführung von Verwalterauswahllisten weiter, Er wird nur durch opulente Auswahllisten verbrämt, die kaum einen praktischen Wert haben.“, Pape, ZInsO 2017, 1341 (1341f.). 303) Nerlich/Römermann/Delhaes/Römermann, § 56 InsO, Rn. 10; dieser Vorschlag dürften den genannten Voraussetzungen genügen, so auch Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Fn. 109).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

b) Das Führen verschiedener Listen 156 Von der genannten Begrenzung der Vorauswahlliste abzugrenzen ist das Führen verschiedener Listen. § 56 I 3 InsO erlaubt es dem Bewerber, sich auf eine bestimmte Verfahrensart zu bewerben. Gemeint ist damit eine getrennte Bewerbung für Regelbzw. Verbraucherinsolvenzverfahren.304) Daraus folgern einige im Umkehrschluss, dass es auch dem Insolvenzrichter erlaubt sein soll, verschiedene, nach bestimmten Anforderungen differenzierende Listen zu führen.305) So auch das Bundesverfassungsgericht, das festhielt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Insolvenzrichter differenzierende Vorauswahllisten führe, in denen er zwischen verschiedenen Kategorien von Verfahren oder verschiedenen Anforderungen an den Verwalter unterscheide.306) Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag dabei eine nach verschiedenen Gruppierungen differenzierende Liste zugrunde, welche nach Unternehmensinsolvenzen, Regelinsolvenzverfahren natürlicher Personen, Verbraucherinsolvenzen und speziellen Fallgestaltungen, die besondere Fachkunde erfordern, differenzierte. Daher wird es auch für zulässig erachtet, verschiedene Listen zu führen, die u. a. nach Branche, Betriebsgröße und anderen Merkmalen differenzieren.307)

4.

Rahmenbedingungen für die Datenerhebung

157 Das Bundesverfassungsgericht hat den Insolvenzgerichten aufgetragen, entsprechende Daten zu erheben, zu verifizieren und zu strukturieren, um eine sachgerechte Ermessenausübung zu gewährleisten.308) Um diesem Auftrag nachzukommen, haben die meisten Insolvenzgerichte heute, Fragebögen erstellt, mit denen sie die für die Erstellung der Listen notwendigen Daten erheben können. Im Zuge der Er___________ 304) HambKomm/Frind, § 56 InsO, Rn. 27. 305) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 10; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 26; Jacoby, ZIP 2009, 2081 (2082); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 9. 306) BVerfG, Beschl. V. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642) = NJW-RR 2009, 1502 (1503). 307) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 10; FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 20; ferner K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 26, der die genannten Kriterien im Verfahren vor dem BVerfG für zu undifferenziert hält und eine eigene beispielhafte Katalogisierung nach Verfahrensarten vornimmt; Jacoby, ZIP 2009, 2081 (2082); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 9; anders noch Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 (158), die das Differenzieren innerhalb einer Liste für möglich und empfehlenswert halten; a. A. Frind mit der Begründung, die Anforderungen an die Verwalter hätten sich bei der Verfahrensarten Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren angeglichen, eine Differenzierung sei daher nicht notwendig aber möglich. Dies gelte auch hinsichtlich getrennter Anforderungsprofile, HambKomm/Frind, § 56 InsO, Rn. 27 m. w. N.; nach OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765) ist er Insolvenzrichter nicht dazu verpflichtet auf der Typizität einzelner Insolvenzverfahren beruhende, getrennte Listen zu führen. 308) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

hebung dieser Daten stellt sich schließlich die Frage nach den hierfür notwendigen Ermittlungsbefugnissen des Insolvenzgerichts zur Vorbereitung des Vorauswahlverfahrens (Rn. 158). Darüber hinaus auch, ob die Bewerber eine Mitwirkungsobliegenheit bei der Ermittlung der entsprechenden Daten trifft (Rn. 162).

a) Amtsermittlungsgrundsatz Nach § 5 I InsO entfaltet der Amtsermittlungsgrundsatz Geltung im Insolvenzver- 158 fahren. Zum Teil wird vertreten, dass § 5 I InsO bereits im Vorauswahlverfahren eine „Vorwirkung“ entfalte.309) Dies wird allerdings überwiegend zutreffend abgelehnt, da § 5 I InsO entsprechende Amtsermittlungen nur für ein konkretes Insolvenzverfahren anordnet, dieses also bereits eingeleitet bzw. eröffnet sein muss.310) Im Rahmen des Vorauswahlverfahrens ist dies jedoch gerade nicht gegeben. Indem die insolvenzgerichtliche Vorauswahlentscheidung einen überprüfungsfähigen 159 Justizverwaltungsakt sui generis darstellt und gegen sie folglich der Rechtsweg gem. §§ 23 ff. EGGVG offen steht, wird der Versuch unternommen, den Amtsermittlungsgrundsatz aus einer entsprechenden Anwendung des § 26 FamFG311) bzw. aus allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften (§ 24 VwVfG) herzuleiten.312) Auch dieser Ansatz fruchte jedoch nicht, da § 26 FamFG nur für das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung eines Justizverwaltungsaktes Wirkung entfalteten, nicht jedoch für das dem Insolvenzverfahren vorgelagerte Vorauswahlverfahren, bei dem das Insolvenzgericht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gerade keinen Rechtssprechungsakt vornähme313). Auch auf § 24 VwVfG kann nicht abgestellt werden, da § 2 III Nr. 1 VwVfG ebenso nicht für den Erlass von Justizverwaltungsakten gilt.314) Dadurch, dass das Vorauswahlverfahren als Justizverwaltungsverfahren einzuord- 160 nen sei, gelange der Amtsermittlungsgrundsatz jedoch als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungshandelns zur Anwendung.315) Dogmatisch lasse sich die Regelungs___________ 309) Frind/Schmidt, NZI 2004, 533 (537). 310) Beck/Depré/Ampferl//Heilmaier, Praxis der Insolvenz, § 4, Rn. 27; Braun/Baumert, § 5 InsO, Rn. 5 ff.; HambKomm/Rüther, § 5 InsO, Rn. 3, 6; K. Schmidt/Stephan, § 5 InsO, Rn. 3; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus/Sietz, Insolvenzrecht, Kap. 18, Rn. 3. 311) Da die §§ 23 ff. EGGVG keine umfassende Verfahrenskodifikation beinhalten, entfalte das FamFG und damit auch der Amtsermittlungsgrundsatz aus § 26 FamFG entsprechende Wirkung, Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 50; MüKoZPO/Pabst, Vorb. § 23 EGGVG, Rn. 5. 312) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 50. 313) So bereits unter: Rn. 143. 314) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 50; vgl. ferner Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz, § 2 VwVfG, Rn. 108. 315) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A. Rn. 51; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 217, der darüber hinaus auch das Antragsprinzip und die Gewährung rechtlichen Gehörs als allg. Grundsätze des Verwaltungshandelns für anwendbar hält; ohne nähere Begründung im Ergebnis auch: OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765); Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 13; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 33.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

lücke mittels einer Gesamtanalogie zu § 5 InsO, § 26 FamFG und § 24 VwVfG schließen.316)

161 Im Zuge dieser Anwendbarkeit trägt das Gericht die Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der für eine sachgerechte Ermessensentscheidung erforderlichen Tatsachen. Die Verantwortung wird durch die Mitwirkungspflicht der Bewerber ergänzt und begrenzt.317) Ausfluss des Amtsermittlungsgrundsatzes ist außerdem, dass das Gericht bei Mängeln in der Bewerbung nachfragen muss und nicht unter Hinweis auf diese Unklarheiten eine Aufnahme ohne Weiteres versagen darf.318)

b) Mitwirkungspflichten der Bewerber 162 Wie bereits erwähnt, wird der Amtsermittlungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflichten der Bewerber begrenzt. Insofern bleibt es Aufgabe des Bewerbers, seine Eignung so darzustellen, dass dem Richter genügend detaillierte und verifizierbare Merkmale zur Verfügung stehen.319) In einem jüngeren Beschluss stellt der Bundesgerichtshof fest, dass der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sei, dem Insolvenzgericht vor der Bestellung ungefragt jegliche Pflichtwidrigkeiten aus anderen Verfahren mitzuteilen.320) Gleichzeitig betont der Bundesgerichtshof allerdings, dass zu den persönlichen Anforderungen an den Insolvenzverwalter neben seiner fachlichen Qualifikation auch seine persönliche Integrität, insbesondere seine Ehrlichkeit gehöre.321) Daraus, sowie aus seiner besonderen Treuepflicht gegenüber dem Insolvenzgericht, den Schuldnern und den Gläubigern, verbiete es sich bei der Bestellung, Umstände zu verschweigen, welche die fehlende Integrität des Verwalters belegen und wegen ihres Gewichts zu einer umgehenden Entlassung führen müssten.322) Bis zu dieser Schwelle muss der Bewerber folglich nicht aktiv und ___________ 316) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 51, der dies für das Vorauswahlverfahren damit begründet, dass sich der Amtsermittlungsgrundsatz allgemein aus der Erwägung rechtfertige, dass den jeweiligen Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse immanent sei. Die Wahrung besonders schutzwürdiger Interessen erfordere, dass die Beschaffung der Tatsachengrundlagen nicht allein den Beteiligten überlassen werde. 317) OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765); Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 13; MüKoFamFG/Ulrici, § 26 FamFG, Rn. 1; Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 33. 318) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 53; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 33. 319) OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 33, der dies ausdrücklich nicht als Substantiierungslast sieht, sondern als Begrenzung der gerichtlichen Ermittlungspflicht; vgl. dazu auch Musielak/Borth, § 26 FamFG, Rn. 6. 320) BGH, Beschl. v. 14.7.2016 í IX ZB 52/15 = NZI 2016, 892 (893). 321) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 í IX ZB 192/10 = NZI 2011, 282 (283); BGH, Beschl. v. 9.6.2011 í IX ZB 248/09 = NZI 2011, 760 (760). 322) BGH, Beschl. v. 14.7.2016 í IX ZB 52/15 = NZI 2016, 892 (893).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

ungefragt Informationen zu seinem Nachteil vorbringen. Aus den Ausführungen des Bundesgerichtshofs ergibt sich jedoch auch, dass er entsprechende Informationen offenbaren muss, soweit das Insolvenzgericht nach ihnen fragt.323) In diesem Zusammenhang ist ferner zu erörtern, welche Information der Verwalter 163 auf Anfrage des Gerichts wahrheitsgemäß zu beantworten hat. Bork setzt hierzu richtigerweise erneut bei der Prämisse des Bundesverfassungsgerichts bzw. dem Sinn und Zweck des Vorauswahlverfahrens an, nämlich, die Erhebung, Strukturierung und Verifizierung der Daten zu gewährleisten, um dem Gericht die Feststellung der Eignung sowie eine sachgerechte Ermessenentscheidung zu ermöglichen. Fragen an die Bewerber müssten folglich der Informationsbeschaffung dienen. Dies sei der Fall, wenn sie sich unmittelbar unter ein zu erhebendes Kriterium subsumieren ließen oder Aufschluss über Tatsachen gäben, die von Relevanz für ein Eignungskriterium sein könnten. Rechtsgrund sei auch hier die durch den Bundesgerichtshof betonte Treuepflicht des Verwalters gegenüber dem Insolvenzgericht. Diese sei zwar bisweilen nur für die Bestellentscheidung festgestellt worden, müsse aber ebenso für das die konkrete Bestellentscheidung vorbereitende Vorauswahlverfahren gelten.324)

5.

Kriterien bei der Vorauswahlentscheidung

Nachdem im vorstehenden Teil die Funktionsweise, die verschiedenen Listenarten 164 sowie weitere Rahmenbedingungen aufgezeigt wurden, werden nun die verwendeten Kriterien zur Vorauswahlliste im Einzelnen dargestellt. Zu differenzieren ist hierbei zwischen gesetzlich normierten Kriterien (Rn. 165) und solchen, die diese ergänzend, vorwiegend durch die Rechtsprechung, herausgebildet wurden, aber nicht gesetzlich festgeschrieben wurden (Rn. 196).

a) Gesetzliche Kriterien § 56 I 1 InsO fordert für die Auswahl des Insolvenzverwalters, dass es sich um eine 165 für den jeweiligen Einzelfall geeignete (Rn. 166), insbesondere geschäftskundige (Rn. 172) und von Gläubigern wie dem Schuldner unabhängige (Rn. 185) natürliche Person (Rn. 170) handeln muss. Hinzu kommt außerdem das nicht ausdrücklich genannte Kriterium der Höchstpersönlichkeit der Amtsausübung (Rn. 176). Diese Kriterien sind durch den jeweiligen Insolvenzrichter gem. § 56 I InsO vorwiegend bei der Bestellung des Insolvenzverwalters zu beachten. Das zweistufige System der Auswahl des Insolvenzverwalter gebietet es jedoch, dass der Insolvenzrichter sich an den genannten Merkmalen bereits bei der abstrakt generellen, von der Typizität des Einzelfalles losgelösten Entscheidung über die Vorauswahl___________ 323) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 56; ders., ZIP 2017, 2173 (2175). 324) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 57; ders., ZIP 2017, 2173 (2175).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

liste orientiert und so die rechtskonforme Grundlage für die im Eilfall erforderliche konkrete Bestellentscheidung legt.

aa) Persönliche und fachliche Eignung 166 Im Mittelpunkt der Vorauswahllistenentscheidung stehen die unbestimmten Kriterien/ Rechtsbegriffe der persönlichen und fachlichen Eignung. Wie bereits vorstehend erläutert ist es nun Aufgabe des Insolvenzrichters, diese Begriffe im Rahmen seines Ermessens auszugestalten und „mit Leben zu füllen“. Dabei muss er sachgerechte Kriterien verwenden, um ein Anforderungsprofil für die Bewerber zu erstellen.325) Die Sachgerechtheit der Kriterien kann im nachhinein einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegen.326) Aus Sachgründen nicht mehr gerechtfertigt sind Kriterien dann, wenn sie nicht zur Beurteilung der Geeignetheit erforderlich sind, nur unwesentliche Beurteilungselemente darstellen, also keine Beurteilungserheblichkeit aufweisen.327) Das Bundesverfassungsgericht bezieht den Begriff der Eignung nicht nur auf Eigenschaften, die unmittelbar der Person des Bewerbers innewohnen, sondern auch darauf, wie er das Amt für den Fall seiner Bestellung ausführen wird.328)

167 Persönliche und fachliche Eignung sind damit Kategorien, in die sich die konkreten Kriterien unterteilen lassen. Zu den persönlichen Kriterien gehört etwa die in § 56 I InsO niedergelegte Unabhängigkeit oder darüber hinaus auch die Höchstpersönlichkeit der Amtsführung. Zur fachlichen Eignung gehören etwa das gesetzlich normierte Kriterium der Geschäftskunde sowie ungeschriebene Kriterien wie Praxiserfahrung und sonstige Kenntnisse.

168 Demnach ließe sich eine Kategorisierung nach persönlicher und fachlicher Eignung vornehmen.329) Hier wird jedoch eine Unterscheidung nach gesetzlichen und ungeschriebenen, sonstigen Kriterien favorisiert.

169 Die folgende Erörterung der einzelnen Kriterien wird nach einer Beschreibung des jeweiligen Merkmals, seiner Zulässigkeit sowie Ausgestaltung jeweils eine kurze Darstellung einiger ausgewählter Fragebögen enthalten, die bei den Insolvenzgerichten Verwendung finden. So soll veranschaulicht werden, inwiefern es bei einigen Kriterien mittlerweile eine vergleichbare bzw. unterschiedliche Gerichtspraxis der Insolvenzgerichte gibt. Für die Untersuchung wurden acht Fragebögen von großen ___________ 325) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642) = NJW-RR 2009, 1502 (1503). 326) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 24 ff. 327) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 14. 328) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643) = NJW-RR 2009, 1502 (1504). 329) Vgl. Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 83 ff.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Insolvenzgerichten, d. h. von solchen mit einer Verfahrenszahl über 100 Verfahren in 2017 verwendet.330) Untersucht wurden der Heidelberger Musterfragebogen331) sowie die Bewerbungsfragebögen des AG Münster332), AG Dortmund333), AG Bremen334), AG Leipzig335), AG München336), AG Frankfurt aM337), AG Düsseldorf338) und des AG Hannover/AG Berlin-Charlottenburg339).

bb) Natürliche Person Nach dem Wortlaut des § 56 I 1 InsO und nunmehr eindeutiger Rechtsprechung 170 von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof können zum Insolvenzverwalter ausschließlich natürliche Personen bestellt werden. Juristische Personen sollen

___________ 330) INDAt-Report, Insolvenzgerichte in den 24 OLG-Bezirken 2017, abrufbar unter: https:// www.indat-report.de/pdf/INDat_Plakat_10_17.pdf (zuletzt geöffnet: 17.1.2019). 331) Abrufbar unter: https://amtsgericht-heidelberg.justiz-bw.de/pb/,Lde/1159354#anker1356709 (zuletzt geöffnet: 14.6.2023) [Stand des Vergleichs: 10/2021], dazu ferner: Meister, NZI 2009, 97 ff.; der Heidelberger Musterfragebogen wurde von den acht größten Insolvenzgerichten Baden-Württembergs erarbeitet, vgl. ferner Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131. 332) Abrufbar unter: https://www.ag-muenster.nrw.de/infos/Formulare/zt_ms_Informationen_zu_ den_einzelnen_Sachgebieten/Insolvenzsachen/index.php (zuletzt geöffnet: 14.6.2023), [Stand des Vergleichs: 10/2021]. 333) Abrufbar unter: http://www.ag-dortmund.nrw.de/infos/Formulare/zw_form/inso/index.php (zuletzt geöffnet: 14.6.2023), [Stand des Vergleichs: 10/2021]. Der Fragebogen ähnelt dem des AG Münster und ist in einigen Punkten lediglich modifiziert worden. 334) Der Bewerbungsfragen des AG Bremen wurde dem Verfasser auf Anfrage freundlicherweise zur Verfügung gestellt, [Stand des Vergleichs: 01/2019]. Auch er ähnelt dem Fragebogen des AG Münster und ist lediglich in einigen Punkten modifiziert worden. 335) Der Bewerbungsfragen des AG Leipzig wurde dem Verfasser auf Anfrage freundlicherweise zur Verfügung gestellt, [Stand: 02/2019]. 336) AG München, ZInsO 2009, 421 ff.; KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 230, [Stand: a. a. O.]. 337) Abrufbar unter: https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/suche (zuletzt geöffnet: 17.1.2019), [Stand des Vergleichs: 01/2019]. Der Bewerbungsfragebogen des AG Frankfurt aM stellt im Vergleich zu den anderen Fragebögen einen Sonderfall dar. Hierbei handelt es sich nur um eine nach den Kriterien geordnete Erwartungshaltung des Gerichts. Für die Bewerbung ist es erforderlich, die erwähnten Voraussetzungen in einer schriftlichen Bewerbung samt Lebenslauf zur Überprüfung einzureichen, ebenfalls bedarf es eines persönlichen Vorstellungsgesprächs. 338) Abrufbar unter: http://www.ag-duesseldorf.nrw.de/aufgaben/abteilungen/Insolvenzverfahren/ index.php (zuletzt geöffnet: 14.6.2023), [Stand des Vergleichs: 10/2021]. 339) Abrufbar unter: http://www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/service/downloads/ downloads-63611.html sowie https://www.berlin.de/gerichte/was-moechten-sie-erledigen/ag_ ch_insolvenz-418026.php#verwalter, (zuletzt geöffnet: 14.6.2023), [Stand des Vergleichs: 02/2019].

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

ausdrücklich nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden können.340) Dies verstoße nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts weder gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 I GG.341)

171 Trotz eindeutiger Entscheidung durch Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof wird die Verfassungsgemäßheit342) des Ausschlusses juristischer Personen oftmals kritisch343) gesehen. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht

___________ 340) Der BGH begründet seine Entscheidung u. a. damit, dass die gebotene höchstpersönliche Amtsausübung bei solchen tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr gewährleistet wäre. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Aufgabe des Insolvenzverwalters ungeachtet ihrer höchstpersönlichen Rechtsnatur im jeweiligen Einzelfall stärker als vertretbar auf den nachgeordneten Mitarbeiterstab delegiert würden (Rn. 10). Würde eine juristische Person als Insolvenzverwalter eingesetzt, fehlte den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht wegen der Verlagerung der Aufgabe auf verschiedene Entscheidungsträger zudem ein bestimmter, persönlich für die zweckentsprechende Aufgabenwahrnehmung Verantwortlicher (Rn. 11), ferner fehlte es an der notwendigen Kontinuität der Amtsausübung (Rn. 14). Eine zu erwartende weitgehende Anonymisierung der Insolvenzverwaltung innerhalb einer juristischen Person liefe dem Interesse an einer verfahrensgemäßen, gedeihlichen Aufgabenwahrnehmung zuwider (Rn. 13). Ebenso ergäben sich Schwierigkeiten bei der Prüfung der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, da etwaige wirtschaftliche oder sonstige Verflechtungen zu dem Schuldner oder anderen Verfahrensbeteiligten nur mit erheblichen Schwierigkeiten aufgedeckt werden könnten (Rn. 24f.). Auch haftungsrechtliche Erwägungen sprächen gegen eine Bestellung juristischer Personen, da die Gefahr bestünde, dass Haftpflichtansprüche ungedeckt blieben, weil juristische Personen nur mit dem gesetzlichen Mindestkapital ausgestattet seien (Rn. 26f.); BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12 = NZI 2013, 1022 = NJW 2013, 3374. 341) Das BVerfG hält die Eingriffe in Art. 12 I, 3 I GG für verhältnismäßig, da die Insolvenzverwaltung mit der Gewährleistung einer geordneten Durchführung des Insolvenzverfahrens einem Rechtsgut von hohem Rang diene. Als Teil des Zwangsvollstreckungsrechts unmittelbar sei es auf den Schutz und die Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter privater Interessen gerichtet und sei wesentliches Element der vom Staat geschuldeten Justizgewähr; BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 (166f.) = NJW 2016, 930 (934); dazu bereits auch der BGH, der eine solche subjektive Zulassungsvoraussetzung zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts, der geordneten Durchführung eines Insolvenzverfahrens für gerechtfertigt sowie auch verhältnismäßig erachtet; BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12 = NZI 2013, 1022 (1025) = NJW 2013, 3374 (3377). 342) Zustimmend: Blankenburg, ZIP 2016, 749 (756); Flöther, EWiR 2016, 145; Höfling, ZIP 2015, 1568 (1570); Pape, ZInsO 2017, 1341 (1343f.); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (561); zustimmend aber eine umfassendere Begründung des BVerfG vermissend, Frind, NZI 2016, 156 (156, 158); Mitlehner, NZI 2016, 248 (249); den Vermittlungsvorschlag der Kritiker (vgl. nächste Fn.) ablehnend, Seagon, NZI 2015, 825 (830); Smid, ZInsO 2018, 1825 (1832). 343) Kritisch gegenüber einem Ausschluss juristischer Personen vom Amt des Insolvenzverwalters: Bluhm, ZIP 2014, 555 (562f.); Kleine-Cosack, ZIP 2016, 741 (746); ders., NZI 2011, 791 (798); Paulus, JZ 2014, 628; Piekenbrock, LMK 2013, 353032; die es iSe milderen Mittels für ausreichend erachten eine bestimmte Person der bestellten juristischen Person als Repräsentant oder „verantwortlichen Verwalter“ zu benennen um den Vorbehalten des BGH zu genügen; die kritischen Anmerkungen zusammenfassend und sich dem grds. anschließend, Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 13; ferner Vallender, ZIP 2018, 353 (358).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Art. 102a EGInsO344) für Bewerber aus EU-Mitgliedsstaaten.345) Der Streitstand über die Aufnahme juristischer Personen in die Vorauswahlliste soll hier nicht vertieft werden. Der Gesetzgeber hat sich nunmehr auch im Rahmen von § 74 StaRUG dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen und auch dort, lediglich natürliche Personen als Restrukturierungsbeauftragte und Sanierungsmoderatoren zugelassen. Im Ergebnis Ausschlaggebend dürfte hierfür die persönliche Haftung der Beauftragten sein.346)

cc) Geschäftskunde Der Geschäftskunde kommt i. R. d. § 56 I 1 InsO große Bedeutung zu. Sie zielt auf die 172 fachliche Eignung des Verwalters. Unter das Kriterium der Geschäftskunde fällt die Anforderung, allgemein in der Lage zu sein, das Amt eines Insolvenzverwalters mit allen sich hieraus ergebenden Aufgaben und Pflichten zu übernehmen.347) § 56 I InsO setzt keine streng formalen Qualifikationen als Zugangsvoraussetzun- 173 gen voraus. Somit steht das Amt des Insolvenzverwalters grundsätzlich allen Berufsgruppen offen. Um die erforderliche Geschäftskunde nachweisen zu können, sind jedoch bestimmte Kenntnisse notwendig, die der jeweilige Bewerber nachweisen können muss. Dazu gehören neben fundierten rechtlichen Kenntnissen348) ___________ 344) Für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren ist gem. Art 4 Nr 2 DL-RL ausländischen Insolvenzverwaltern die Niederlassungsfreiheit zu gewährleisten, weshalb sie über eine „einheitliche Stelle“, die den Antrag an das zuständige Insolvenzgericht zur Entscheidung weiterleitet, das Vorauswahlverfahren durchlaufen können. Diese Regelung versteht sich als vorläufig, bis zur gesetzlichen Neuregelung des Zugangs zum Insolvenzverwalterberuf iS einer Berufsordnung und ist auf Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug beschränkt, vgl. Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 5; nicht abschließend geklärt ist allerdings generell die Frage nach der Anwendbarkeit der DL-RL, dazu später unter: Rn. 394. 345) Das BVerfG hatte i. R. d. genannten Beschlusses einen reinen Inlandssachverhalt zu entscheiden; das AG Mannheim hingegen sah die Beschränkung in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug als europarechtswidrig an und verhalf damit einer spanischen Sociedad Limitada Profesional zur Aufnahme in die Vorauswahlliste, AG Mannheim, Beschl. v. 14.12.2015 – 804 AR 163/15 = ZInsO 2016, 240; zustimmend Parzinger, GWR 2016, 125 (125). 346) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 7; Pannen/Riedemann/Smid/Pannen, § 74 StaRUG, Rn. 6; Vallender, ZInsO 2020, 2677 (2686). 347) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 17; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 17. 348) Das OLG Hamburg hat klargestellt, dass für die Aufnahme in die gerichtliche Vorauswahlliste eine „hinreichende allgemeine juristische Qualifikation“, erforderlich sei, diese erfordere beispielsweise baurechtliche, mietrechtliche oder andere allgemeine zivilrechtliche Kenntnisse sowie Kenntnisse des Prozess- und Vollstreckungsrechts, vertiefte schuld- und sachenrechtliche Kenntnisse sowie Kenntnissen in speziellen Bereichen wie dem Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht (Rn. 24). Auch wenn dies nicht bedeutet, dass der Bewerber juristische Staatsexamina erworben haben muss, so reiche es jedoch nicht aus, durch Selbststudium, jahrelange Berufserfahrung als Sachbearbeiter in Insolvenzverfahren oder durch erfolgreichen Abschluss der Steuerberaterprüfung, entsprechende juristische Fähigkeiten nachzuweisen, OLG Hamburg Beschl. v. 29.8.2017 – 2 VA 1/16 = ZInsO 2017, 2229. Der zitierte Beschluss betraf erkennbar in erster Linie den Nachweis über die entsprechende Qualifikation. Die geforderten Kenntnisse sind dennoch als sehr Anspruchsvoll anzusehen. Ganter merkt daher zu Recht an, dass es der Konzeption der InsO widersprechen würde, wenn damit praktisch alle Bewerber, die keine Volljuristen sind, in Hamburg vom Beruf des Insolvenzverwalters ausgeschlossen werden sollten, Ganter, NZI 2018, 137 (140).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

in den verschiedenen, das Insolvenzrecht betreffenden Bereichen vor allem auch (betriebs-) wirtschaftliche Kenntnisse, beispielsweise in Bilanzierung und Buchführung. Mithin muss also jeder Bewerber das Insolvenzrecht in verfahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht beherrschen.349) Durch die Erforderlichkeit dieser Kenntnisse dürfte es bestimmten Berufsgruppen eher leichter fallen, die entsprechenden Nachweise zu erbringen. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass vorwiegend Juristen, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Kaufleute, vereidigte Buchprüfer und ähnliche Berufe350) zu Insolvenzverwaltern bestellt werden.351) Diese Berufsgruppen besitzen bereits aufgrund ihrer Ausbildung einen großen Bildungsund Erfahrungsstand bei den erforderlichen Kenntnissen. Bereits die berufliche Qualifikation kann daher als Nachweis für entsprechende Fachkenntnisse dienen.352) Auch Fachanwaltstitel, Zusatzausbildungen, Veröffentlichungen, Vorträge und ähnliches können Rückschlüsse auf die erforderlichen Fachkenntnisse zulassen, für zwingend erforderlich erachtet werden können sie allerdings nicht.353) Nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs kann in diesem Zusammenhang die Examensnote kein geeignetes Qualitätsmerkmal darstellen.354)

174 Neben den theoretischen Grundkenntnissen in rechtlichen und wirtschaftlichen Belangen des Insolvenzverfahrens, sind für die Geschäftskunde vor allem auch praktische (Berufs-) Erfahrungen erforderlich. „Insolvenzrecht ist Praktikerrecht.“.355) Die bereits genannten Möglichkeiten zum Nachweis theoretischer Kenntnisse genügen hier daher in der Regel nicht.356) Fachanwaltstitel und ähnliche Weiterbildungen können zwar ein Indiz für praktische Erfahrungen sein. Aber vor dem Hintergrund, dass der Verwalter im Falle seiner Bestellung persönlich eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe wahrnimmt und empfindliche Interessen berührt werden, wird verbreitet eine länger andauernde berufliche Tätigkeit im Sinne einer Anstellung und Mitarbeit bei einem erfahrenen Verwalter, gefordert.357) Über wel___________ 349) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 18; detailliert K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 17. 350) So empfiehlt auch die Uhlenbruck-Kommission den Abschluss einer rechtswissenschaftlichen, wirtschaftswissenschaftlichen oder anderen Hochschulausbildung mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung, Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (508). 351) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 86; Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (457). 352) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 20; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 16. 353) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 87; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 19. 354) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 5/15 = NZI 2016, 516 (519); OLG Hamburg, Beschl. v. 8.10.2008 – 2 Va 4/07 = NZI 2008, 744 (746). 355) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 17. 356) BVerfG, Beschl. v. 27.11.2008 – 1 BvR 2032/08 = NZI 2009, 371; Fridgen/Geiwitz/Göpfert/ Göcke, § 56 InsO, Rn. 17; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 18f. 357) BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06 = NZI 2006, 636, das festhält, dass auch eine Bestellung ohne praktische Kenntnisse nicht sachwidrig erscheine, es jedoch ebenso nicht sachwidrig i. S. v. Art. 3 I GG sei, einen solchen Nachweis zu verlangen; BVerfG, Beschl. v. 27.11.2008 – 1 BvR 2032/08 = NZI 2009, 371.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

chen Zeitraum eine solche praktische Erfahrung nachgewiesen werden soll oder ob eine bestimmte Anzahl bearbeiteter Fälle erforderlich ist, ist dem jeweiligen Insolvenzrichter im Rahmen seines Ermessens überlassen.358) Branchen- und Fremdsprachenkenntnisse können zwar als sachgerechte Kriterien 175 im Rahmen des Vorauswahllistenverfahrens erhoben werden. Sie stellen jedoch keine abstrakt-generellen Kriterien für die Aufnahme in die Vorauswahlliste dar, sondern sind erst bei der konkreten Bestellentscheidung relevant.359) Untersuchte Gerichtspraxis: Die derzeitige Gerichtspraxis spiegelt die obigen Ausführungen zur Geschäftskunde wieder. Überraschend ähneln sich die untersuchten Fragebögen gerade im Rahmen dieses Kriteriums. Um Erfahrungswerte zu ermitteln wird neben der obligatorischen Abfrage der Berufsbezeichnung und den entsprechenden weiteren Qualifikationen in allen Fragebögen nach der Dauer der Tätigkeit oder Erfahrung als Mitarbeiter gefragt. Branchenkenntnisse werden ebenfalls von allen untersuchten Bewerbungsfragebögen erfragt. Im Rahmen der Geschäftskunde fordert das AG Frankfurt aM ohne weitere Begründung ausschließlich eine dreijährige insolvenzspezifische Berufserfahrung oder Tätigkeit sowie entsprechende Referenzfälle. Zur Verifizierung der Berufserfahrung wird verbreitet nach der Gesamtzahl der Unternehmensinsolvenzen der letzten zwei (AG Leipzig), drei (AG Düsseldorf), bzw. fünf Jahre360) oder ohne zeitliche Begrenzung361) gefragt. Dabei unterscheiden sich die Fragebögen im Detail voneinander, indem einige Gerichte die Verfahrensanzahl nach den unterschiedlichen Verfahrenstypen untergliedern362), andere hingegen nach der Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebes363). An späterer Stelle werden noch die Kennzahlensysteme einiger Gerichte erläutert, die im Zusammenhang mit dem Kriterium der Geschäftskunde Relevanz besitzen. Unterschiede sind auch im Rahmen von teilweise ermittelten „Delistings“ anderer Gerichte festzustellen. Zwar fragen alle Insolvenzgerichte mit Ausnahme des AG Frankfurt aM nach einer Listung oder nach Vorauswahllistenbewerbungen bei anderen Gerichten, aber nur wenige fordern das Offenlegen möglicher „Delistings“ und Entlassungen oder nach den Gründen für diese Maßnahmen.364) Wie oben geschildert sind die Bewerber nicht automatisch aufgrund ihrer Mitwirkungsobliegenheit zur Offenlegung entsprechender Vorgänge verpflichtet.

___________ 358) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 89; Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 17; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 19. 359) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 94. 360) AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen, AG München. 361) AG Hannover/AG Berlin-Charlottenburg. 362) So das AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen, AG Leipzig, AG München, AG Düsseldorf, AG Hannover/AG Berlin-Charlottenburg; gar keine entsprechenden Zahlen werden hingegen durch das AG Frankfurt aM erwartet. 363) So der Heidelberger Musterfragebogen, zusätzlich zu der o. g. Unterscheidung nach Verfahrenstypen, das AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen, AG Düsseldorf, AG Leipzig. 364) So lediglich der Heidelberger Musterfragebogen, das AG Dortmund, AG Düsseldorf, AG Hannover/Berlin-Charlottenburg (letztere jeweils in der dazugehörigen VerfahrensO).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

dd) Höchstpersönlichkeit der Amtsführung 176 Im Wortlaut des § 56 I InsO nicht enthalten ist die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, sein Amt höchstpersönlich auszuüben. Dieses Kriterium wird seit langem unbestritten anerkannt.365) Bei dem Kriterium der Höchstpersönlichkeit handelt es sich um eine Anforderung, die unabhängig von dem jeweiligen Verfahren zu betrachten ist, mithin also auch im Rahmen der für die Vorauswahllistenentscheidung entscheidenden abstrakt-generellen Kriterien ausschlaggebend ist.366)

177 Kerngehalt des Kriteriums der Höchstpersönlichkeit ist es, dem Insolvenzverwalter die Übertragung seiner Amtsführung auf andere Personen nicht zu gestatten. Die Verfahrensabwicklung kann daher grundsätzlich weder generell, noch größtenteils auf andere Personen übertragen werden.367)

178 Ebenso unbestritten sind jedoch die Zulässigkeit und Notwendigkeit des Einsatzes von Mitarbeitern zur Unterstützung bestimmter Prozesse und damit die Delegation bestimmter Aufgaben. Fraglich ist damit, wie eine solche Aufgabenübertragung zwischen vollständiger Delegation auf der einen Seite und praktisch unverzichtbarer Unterstützung auf der anderen Seite zulässigerweise ausgestaltet werden kann.368)

179 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung dem Insolvenzgericht für den jeweiligen Einzelfall überlassen.369) Der Bundesgerichtshof führt dazu konkret aus, dass der Verwalter insolvenzverfahrensspezifische Handlungen370) nur persönlich vornehmen darf, wenn auch der Einsatz von Mitarbeitern in größeren Verfahren praktisch unvermeidbar oder gar geboten sein kann.371) Persönlich wahrgenommen werden müsste in jedem Fall die Entscheidung über das „Ob“ bestimmter Maßnahmen. Das „Wie“ entsprechender Maßnahmen könne er hingegen auch auf ___________ 365) Vgl. Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 18; Kruth, DStR 2017, 669 (672); zur dogmatischen Herleitung des Kriteriums vgl. Jacoby, ZIP 2009, 554 (555 ff.). 366) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 108; 367) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643). 368) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643); Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 18; Jacoby, ZIP 2009, 554 (555); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 20. 369) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643). 370) Hierzu gehören unter anderem die Führung von Anfechtungsprozessen und die Aufnahme von gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Prozessen, die Entscheidungen über die Kündigung und Entlassung von Arbeitnehmern sowie über die Art der Verwertung der Masse. Auch Berichtspflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten (§§ 58 I 2, 69, 79, 152, 156 InsO), die etwaige Erstellung eines Insolvenzplans (§ 218 InsO) sowie die Schlussrechnungslegung (§ 66 InsO) muss vom Insolvenzverwalter im Wesentlichen selbst vorgenommen werden, BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914) m. w. N.; vereinzelt auch als „originäre Verwaltertätigkeit“ bezeichnet, Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 20. 371) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); so bereits Jacoby, ZIP 2009, 554 (557).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Dritte übertragen, so etwa die anwaltliche Durchführung eines Prozesses, die Kündigung bzw. Abwicklung der Entlassung von Arbeitnehmern oder die Verwertung der Masse, nicht jedoch die explizit höchstpersönlich zu erbringenden Leistungen, wie die Berichtspflichten nach den §§ 58 I 2, 156 InsO.372) Im Falle einer Übertragung nicht insolvenzspezifischer Aufgaben bedarf es keiner 180 Zustimmung durch das Insolvenzgericht.373) Der Verwalter ist in diesen Fällen allerdings für das Verhalten seiner (sonstigen) Hilfskräfte gem. § 278 BGB verantwortlich.374) Wenn der Bewerber jedoch nur als so genannter „Akquisitionsverwalter“ auftritt und 181 nach dem „Subunternehmerprinzip“ arbeitet, also substanziell nicht an der Verwaltung mitwirkt, kann ihm die Aufnahme in die Vorauswahlliste verwehrt werden. Der Insolvenzrichter muss dann jedoch begründeten Anlass zu der Annahme haben, dass sich der Bewerber pflichtwidrig verhalten wird. Ein solcher Verdacht kann sich etwa darin begründen, dass der Verwalter in vorherigen Verfahren insolvenzspezifische Handlungen übertragen hat.375) Solche Umstände wird das Insolvenzgericht allerdings in den seltensten Fällen feststellen können. Im Rahmen des Vorauswahlverfahrens stellt der Bundesgerichtshof somit hohe Anforderungen an die Ablehnung der Listenaufnahme mangels höchstpersönlicher Amtsausübung.376) Auch dass ein Verwalter zur Zeit der Vorauswahllistenentscheidung eine Vielzahl 182 Insolvenzverfahren betreut, rechtfertigt nicht eine entsprechende Ablehnung. Dieser Aspekt wird vielmehr bei der jeweils konkreten Bestellentscheidung erheblich.377) Festzuhalten ist somit, dass das Kriterium der Höchstpersönlichkeit anhand be- 183 stimmter Ausschlussindizien „negativ“ abzugrenzen bzw. zu überprüfen ist. Zu diesen Ausschlussindizien gehören das Verbot der „Akquisitionsverwaltung“ und die Nichtübertragung insolvenzspezifischer Handlungen. Mangelt es an einem begründeten ___________ 372) BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09 = NZI 2011, 301 (304); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 21f. mit einer ergänzenden Aufzählung der nicht delegationsfähigen bzw. delegationsfähigen Aufgaben; ebenso, Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 40; KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 192 ff. 373) MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 150. 374) BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15 = NZI 2016, 352 (353); in dieser Hinsicht auch bereits Jacoby, ZIP 2009, 554 (557); Jansen, NJW-Spezial 2016, 405 (405f.); MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 150; a. A. Holzer, NZI 2016, 903 (904), der eine Anwendung des § 278 BGB auf Angestellte des Verwalters begrenzen möchte, die Auslegung des BGH, der § 278 BGB auch auf sonstige Hilfskräfte bzw. nach Holzer selbstständige Spezialisten, mithin für zu weit erachtet. 375) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643). 376) Kruth, DStR 2017, 669 (672). 377) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 19; FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 14; Graf-Schlicker/GrafSchlicker, § 56 InsO, Rn. 50; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 20.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Verdacht des Insolvenzrichters, ist die Aufnahme in die Vorauswahlliste zu gewähren.378)

184 Aus den bereits beschriebenen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, entsprechende Daten zu erheben, zu verifizieren und zu strukturieren, um eine sachgerechte Ermessenausübung zu gewährleisten379), könnte nun auch zu folgern sein, dass die Bewerber einen etwaigen (positiven) Nachweis für die höchstpersönliche Ausübung des Amtes erbringen müssen. Der Bundesgerichtshof hält es hierbei jedoch für ausreichend, dass der jeweilige Bewerber die Einhaltung der Berufsgrundsätze des VID versichert bzw. eine entsprechende Konformitätserklärung abgibt. Um eine faktische Zwangsmitgliedschaft zu vermeiden, müsse er dazu aber nicht Mitglied des VID sein.380) Untersuchte Gerichtspraxis: Eine entsprechende Verpflichtung oder Erklärung nach Maßgabe des Bundesgerichtshofs, alle insolvenzspezifischen Tätigkeiten höchstpersönlich wahrzunehmen bzw. zu entscheiden, holen nur die wenigsten der untersuchten Insolvenzgerichte ein.381)

ee) Generelle Unabhängigkeit 185 Ein zentrales Kriterium im Rahmen der Auswahl- und Bestellentscheidung des Insolvenzverwalters ist seine nach § 56 I 1 InsO erforderliche generelle Unabhängigkeit. Auch im Rahmen der Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO hat der zur Überwachung der Masseverwaltung durch den Schuldner bestellte Sachwalter als neutrale Instanz unabhängig vom Schuldner selbst sowie von den Gläubigern zu sein. Für den Sachwalter gelten bei der Unabhängigkeit daher die gleichen Kriterien, wie für den Insolvenzverwalter.382)

(1) Offenbarungspflicht des Prätendenten 186 Bereits im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung ist die generelle Unabhängigkeit383) des Bewerbers für das listenführende Gericht von Bedeutung. Der Be___________ 378) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 110; so auch bereits BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643). 379) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455). 380) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 110. 381) Lediglich die folgenden Fragebögen befassten sich mit der Höchstpersönlickeit: Detailliert, AG Dortmund (über das genannte hinausgehend, insbesondere höchstpersönliche. Erstattung der Berichte und Erbringung der Gutachten; Wahrnehmung der Berichts- u. Prüfungstermine; Überwachung der beschäftigten Mitarbeiter; aufsuchen des Schuldnerbetriebes; zudem wird der Umfang der Delegation von IK und IN Verfahren abgefragt); ferner eine Versicherung einholend, das AG München und das AG Düsseldorf. 382) Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 32 a. E; MüKoInsO/Kern, § 274 InsO, Rn. 16 ff.; Uhlenbruck/ Zipperer, § 274 InsO, Rn. 3. 383) Dazu detailliert, Frege, in: Insolvenzrecht 2.020, S. 47 passim; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 84 ff.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

werber muss daher relevante Beteiligungen und wirtschaftliche Verbindungen von sich aus offenbaren.384) Dies gilt soweit auch für die Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten nach § 74 StaRUG.385) Erst bei der konkreten Bestellentscheidung ist dann eine erneute Unabhängigkeitsprüfung im Lichte des jeweiligen Verfahrens vorzunehmen.386) Der Bundesgerichtshof hält eine Offenlegung in der Bewerbungsschrift bzw. dem 187 entsprechenden Fragebogen zur Bewerbung für die Vorauswahlliste für erforderlich. Dabei sollen Tätigkeiten bzw. sog. Dauerberatungstätigkeiten für stets wiederkehrende Gläubiger offengelegt werden. Davon betroffen sein sollten insbesondere etwa institutionelle Gläubiger wie Banken, Kreditversicherungen und Sozialversicherungsträger. Eine wirtschaftliche Verbundenheit mit einem Großgläubiger sei ferner anzunehmen, wenn sich der Bewerber gesellschaftsrechtlich nicht unerheblich an ihm beteilige, wenn er in die dortige Führungsebene eingebunden sei oder den Gläubiger regelmäßig und in bedeutendem Umfang berate. Nicht ausreichend für die Annahme einer Verbundenheit sei es, wenn der Bewerber bei einer örtlichen Bank entweder persönlich oder über ein Unternehmen, an dem er sich beteilige, oder als Insolvenzverwalter Konten führe oder Kredite aufnehme; dies gelte jedenfalls, solange diese zu üblichen Bedingungen gewährt würden.387) In der Praxis behilft sich das Insolvenzgericht bei der Einschätzung der (finanziellen) 188 Unabhängigkeit oft mit dem Einholen entsprechender Erklärungen bzw. mit dem Nachweis über die Existenz einer Vermögenshaftpflichtversicherung.388) Rechtsfolge dieser Offenbarungspflichten kann nun allerdings im Gegensatz zu 189 den vorstehenden Kriterien nicht die Verwehrung der Aufnahme auf die Vorauswahlliste sein. Die generelle Unabhängigkeit kann wegen der Offenlegung etwaiger einzelner Beteiligungen nicht in Gänze vereint werden und den Schluss zulassen, der Verwalter könne die Interessen sämtlicher möglicher Beteiligter eines Verfahrens nicht wahren. Die Offenlegung im Zuge der Vorauswahlentscheidung dient folglich dazu, dem Insolvenzgericht bereits vor der konkreten Bestellentscheidung die wirtschaftlichen Beteiligungen des gelisteten Verwalters zu offenbaren, um ihn ___________ 384) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511f.); BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915). 385) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 16. 386) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915). 387) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915); so bereits auch Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1060); Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 181, der bereits begründete Zweifel an der Unabhängigkeit des Verwalters sieht, wenn dieser direkte oder indirekte Kapitalbeteiligungen sowie sonstige nicht unwesentliche finanzielle Interessen an einem Unternehmen eines Schuldners oder Gläubigers oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen, hält. 388) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

im konkreten Verfahren bei einer seine Unabhängigkeit gefährdenden Beteiligung von vornherein außer Acht zu lassen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wird das Kriterium der Unabhängigkeit damit vor allem auf der zweiten Stufe des Auswahlprozesses relevant.389) Untersuchte Gerichtspraxis: Die Gerichtspraxis der in verschiedenen Bewerbungsfragebögen erhobenen Unabhängigkeitsmerkmale, erweist sich trotz bestehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als sehr unterschiedlich. Während das AG Frankfurt aM lediglich die Feststellung trifft, der Insolvenzverwalter müsse unabhängig sein, fordern das AG München, das AG Dortmund und das AG Düsseldorf sehr detaillierte Auskünfte. Sie fragen überobligatorisch, generell auch nach Beratungsmandaten, einer Tätigkeit als Poolverwalter, etwaigen Tätigkeiten für Großbanken sowie nach möglichen Tätigkeiten als außergerichtlicher Sanierungs- oder Restrukturierungsberater. Das AG Düsseldorf fragt außerdem nach weiteren Nebentätigkeiten und den dafür aufgewendeten Wochenstunden sowie danach, ob für jedes Insolvenzverfahren ein gesondertes Anderkonto verwendet wird und mit welchen Banken dabei zusammengearbeitet wird.390) Das AG München lässt sich berichten, wie Interessenkollisionen innerhalb der Kanzlei überprüft werden. Einzig der Heidelberger Musterfragebogen holt im Rahmen der abstrakten Eignungsfeststellung eine Selbstverpflichtung der Verwalter ein, in der er Vorbefassungen oder (drohende) Interessenkollisionen insbesondere zu nahestehenden Personen nach § 138 InsO unverzüglich bekanntzumachen hat.391) Das AG Münster fragt in seinem Fragebogen nach Beteiligungen an Gesellschaften (auch von Mitarbeitern des Verwalters oder nur treuhänderischen Beteiligungen), ferner nach Tätigkeiten als Geschäftsführer, Beirats-, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied. So ebenfalls, das AG Dortmund, AG Düsseldorf, AG München sowie AG Bremen392). Das AG Hannover/ AG Berlin-Charlottenburg fragen etwaige Beteiligungen oder Kooperationen der Verwalter ab. Das AG Leipzig fragt lediglich ab, ob etwaige Kooperationen mit Kanzleien (z. B. Unternehmensberatungen) bestehen und ob auch außergerichtliche Insolvenzberatungen angeboten würden.

(2) Konflikt mit berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten 190 Die oben beschriebenen Offenbarungspflichten des Insolvenzverwalters können indes auch schon im Rahmen des Vorauswahllistenverfahrens mit seiner, je nach beruflicher Tätigkeit ausgestalteten, beruflichen Verschwiegenheitspflicht kollidieren. So wird der Insolvenzverwalter, der zugleich auch als Anwalt tätig ist, zumindest ___________ 389) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 100; ders., ZIP 2017, 2173 (2177f.); Kruth, DStR 2017, 669 (672); vgl. dazu vor allem, AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77. 390) Hierbei ist zu beachten, dass eine regelmäßige Zusammenarbeit mit entsprechenden Banken nach der Rechtsprechung des BGH keine Zweifel bezüglich der Unabhängigkeit des Verwalters begründen, so lange sie zu üblichen Bedingungen stattfindet. 391) Ebenso auch der eigens zur Verifizierung der Unabhängigkeit vor der konkreten Bestellung kozipierte Fragebogen des AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77. 392) Eine Abfrage des AG Bremen über die Zusammenarbeit mit bestimmten Dienstleistern bei Insolvenzgeld- oder Verwertungsfragen sowie regelmäßige Zusammenarbeit mit anderen Kanzleien könnte nach den o. g. Ausführungen des BGH allerdings für bedenklich erachtet werden.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch an die Verschwiegenheitspflichten der §§ 43a II BRAO, 2 I BORA gebunden sein. Der Bundesgerichtshof hat vor kurzem entschieden, dass das anwaltliche Umgehungsverbot des § 12 BORA auch für den als Insolvenzverwalter tätigen Anwalt anwendbar sein soll.393) Gleiches hatte er zuvor auch für die als Insolvenzverwalter tätigen Wirtschaftsprüfer entschieden.394) Fraglich ist daher, ob entsprechende Verschwiegenheitspflichten eine Offenlegung 191 einzelner Mandatsverhältnisse im Rahmen der insolvenzgerichtlichen Unabhängigkeitsprüfung verhindern. Die Offenbarung der Mandatsverhältnisse ist nach den obenstehenden Feststellungen unausweichlich, um dem Insolvenzgericht sog. Dauerberatungstätigkeiten anzeigen zu können. Die Offenlegung eines Mandatsverhältnisses steht jedoch andererseits im Kontrast mit dem Kernbestandteil der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht der §§ 43a II BRAO, 2 I BORA.395) Auch §§ 57 I StBerG, 5 I BOStB enthält eine Verschwiegenheitspflicht für Steuerberater, die sich auf Mandatsverhältnisse bezieht.396) Für Wirtschaftsprüfer enthält §§ 43 I WPO, 9 BS WP/vBP eine entsprechende Verschwiegenheitsregelung.397) Wenn man hier also mit dem Bundesgerichtshof ginge und die Anwendbarkeit des 192 Primärberufsrechtes auch bei Ausübung des Insolvenzverwalteramtes bejahen würde, müsste insofern jedoch zumindest ein Erlaubnistatbestand von der Verschwiegenheitspflicht bestehen. Konkret sähe § 2 II BORA einen Ausnahmetatbestand vor. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht liegt danach nicht vor, „soweit Gesetz und Recht eine Ausnahme fordern oder zulassen“. Die dargelegten Offenbarungspflichten müssten also als Ausfluss des Unabhängigkeitsgebots aus § 56 I InsO eine solche gesetzlich normierte Ausnahme fordern oder zulassen. Dies könnte hier zumindest zweifelhaft erscheinen, da § 56 I InsO eine entsprechende Offenba___________ 393) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NZI 2015, 910; Kleine-Cosack, EWiR 2014, 361; Römermann/Praß, ZInsO 2011, 1576 (1577); i. E. auch Weyland/Brüggemann, Einl., Rn. 18 ff.; Henssler, ZIP 2002, 1053 (1064 ff.); wohl auch, Wimmer-Amend, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 593 (613); ferner auch, Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (644), der jedoch einsieht, dass die Anwendung der BORA unpassend sei und den auch als Rechtsanwalt zugelassenen Insolvenzverwalter über Gebühr einschränke; kritisch hingegen Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (319); Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2297); Frind, ZInsO 2017, 363 (369); Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 61 Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (62); Vallender, ZIP 2019, 158 (161). 394) BGH, Urt. v. 12.10.2004 – WpSt (R) 1/04 (KG) = NJW 2005, 1057. 395) Vgl. Weyland/Träger, § 43a BRAO, Rn. 16; zu weiteren Problemfällen des Anwaltsrechts im Insolvenzverfahren und bei der Restrukturierung vgl. Thole, NZI 2017, 737. 396) Vgl. nur BGH Beschl. v. 28.1.2016 – III ZB 112/15 = BeckRS 2016, 3439; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 25/14 = NJW 2014, 3568; Ehrenberg, Die Verschwiegenheit der Angehörigen rechtsberatender, steuerberatender und wirtschaftsprüfender Berufe, S. 104 ff. 397) Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 7.11.2017 – 2 BvE 2/11 = NVwZ 2018, 51, Rn. 298; VG Berlin Urt. v. 19.7.2018 – 2 K 348.16 = BeckRS 2018, 35730.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

rungspflicht nicht ausdrücklich vorsieht. Dies ist aber bei anderen gesetzlichen Ausnahmetatbeständen wie etwa § 139 StGB, der den Anwalt von der Anzeigepflicht des § 138 StGB befreit, durchaus der Fall.398) Für Bork genügt es, dass sich aus der nach § 56 InsO erforderlichen Eignungsprüfung, die die Information über maßgebliche Mandatsbeziehungen voraussetzt, ergibt, dass insoweit eine Offenlegungspflicht besteht. Diese gehe dann § 2 III BORA vor.399) Hielte der Bundesgerichtshof auch in diesem Fall an seiner Rechtsprechung, der Anwendbarkeit des Primärberufsrechts, fest, ist der geschilderten Sichtweise Borks zu folgen. Eine taugliche Unabhängigkeitsprüfung ist zwingend nötig, um festzustellen, ob ein Verwalter die erforderliche Eignung für ein Verfahren besitzt. Dabei ist es unausweichlich, auch Mandatsbeziehungen, bei denen Beratungsleistungen erbracht werden, offenzulegen. Insofern „fordert“ § 56 I InsO in dieser Hinsicht geradezu eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht. Nach hier aufgezeigter Ansicht genügt § 56 I InsO folglich dem Ausnahmetatbestand des § 2 II BORA.

193 Dafür spricht auch ein Beschluss des Bundesgerichtshofs, der sich mit einem als Steuerberater tätigen Insolvenzverwalter beschäftigte. Hier nahm der Bundesgerichtshof einen wichtigen Grund zur Entlassung des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO an, da der Steuerberater vor über 10 Jahren geschäftlichen und auch persönlichen Kontakt zur Schuldnerin bzw. deren Organen hatte und dies nicht angab. Wären diese Gründe jedoch bekannt gewesen, hätte der Verwalter nicht ernannt werden dürfen. Etwaige Hinderungsgründe aufgrund der Verschwiegenheitspflicht des Steuerberaters aus § 5 I BOStB problematisierte der Bundesgerichtshof nicht.400)

194 Teilweise wird die Geltung des Primärberufsrechts für den Insolvenzverwalter jedoch auch generell abgelehnt, wenn er kraft seines Amtes als Insolvenzverwalter tätig wird.401) Da bereits die Bewerbung auf Aufnahme in die Vorauswahlliste bzw. der zwischen Gericht und Verwalter geführte Austausch zur Informationsgewinnung als Tätigkeit innerhalb des Amtes als Insolvenzverwalters zu sehen sein wird, liegt der Schluss nahe, hier die Verschwiegenheitsrechte der Quellberufe erst gar nicht zur Anwendung zu bringen. Vorzugswürdig ist es viel mehr, den eigenständigen (Zweit-) Beruf des Insolvenzverwalters nicht einem Primärberufsrecht zu unterstellen. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters sollte gerade keinen Einflüssen des anwaltlichen Berufsrechts unterliegen. Der Insolvenzverwalter ist nach hier

___________ 398) 399) 400) 401)

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Zu den gesetzlichen Ausnahmetatbeständen vgl. Weyland/Träger, § 43a BRAO, Rn. 27. Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 104; ferner Frind, ZInsO 2017, 363 (370). BGH, Beschluss vom 4.5.2017 – IX ZB 102/15 = NZI 2017, 667 (668). Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2300), würden selbst im Falle einer grundsätzlichen Geltung des Berufsrechts eine Fortgeltung der berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht aufgrund einer gebotenen insolvenzspezifischen Auslegung ablehnen, dazu detalliert unter: Rn. 603.

A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

vertretener Ansicht bei Ausübung seines Amtes ausschließlich dem Verfahrensrecht der InsO unterworfen.402) Die hier erläuterten Ansichten kommen insofern zu demselben Ergebnis. Die den 195 Insolvenzverwalter im Rahmen des Vorauswahlverfahrens gegenüber dem Gericht treffenden Offenbarungspflichten kollidieren nicht mit den primärberufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten einiger Verwalter.

b) Ungeschriebene und sonstige Kriterien Neben den oben beschriebenen gesetzlichen Kriterien, insbesondere den überra- 196 gend wichtigen Kriterien der Geschäftskunde und der Unabhängigkeit haben sich eine Reihe weiterer ungeschriebener Kriterien herausgebildet, die die Insolvenzgerichte im Rahmen der ihnen durch das Bundesverfassungsgericht aufgetragenen Aufstellung sachgerechter Kriterien, zulässigerweise schaffen dürfen. Hinzutritt regelmäßig auch die Ladung zu einem Bewerbungsgespräch, um die spezielle Eignung auch gesprächsweise zu eruieren, sowie nicht belegbare Angaben überprüfen zu können. Im Folgenden werden die für die generelle Eignung als sachgerecht anerkannten 197 ungeschriebener Kriterien der Büroorganisation (Rn. 198), Ortsnähe (Rn. 201) und Bonität (Rn. 204) dargestellt. Ebenso soll in einem Exkurs auf die Problematik der Verwendung von Selbstregularien und Zertifikaten eingegangen werden (Rn. 205). Schließlich werden auch unzulässige Kriterien erläutert (Rn. 227). Weitere Kriterien werden dann im Rahmen der konkreten Bestellentscheidung näher beschrieben.

aa) Organisatorischer Unterbau/Büroorganisation Der Bewerber muss geeignete organisatorische Voraussetzungen vorweisen kön- 198 nen. Einen Nachweis über eine funktionsfähige sachliche und personelle Büroausstattung kann das jeweilige Insolvenzgericht dabei im Rahmen seiner Erhebungen für die Vorauswahllistenführung verlangen. Dazu gehört etwa die Ausstattung mit entsprechenden Computerprogrammen sowie die Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter.403) Insgesamt muss die Büroorganisation dazu in der Lage sein, gegebenenfalls einen insolventen Betrieb fortführen zu können und entsprechend anfallende Arbeiten zu übernehmen. Erforderlich ist es daher, dass das jeweilige Büro etwa Sozialdaten der Arbeitnehmer, Debitoren und Kreditoren erfassen kann sowie Aufgaben nach § 165 SGB III und des BetrAVG übernehmen kann.404) Ferner muss es auch hinreichend ausgestattet sein, um mit dem Gericht im Einzelfall elektro___________ 402) Dazu Ausführlich später unter: Rn. 583. 403) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915). 404) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 27.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

nisch kommunizieren zu können.405) Teilweise wird in personeller Hinsicht dabei ein ständig fortgebildeter Mitarbeiterstab gefordert.406) Nach Ansicht anderer wird eine Aus- und Fortbildung, die insolvenzspezifischen Mindeststandards genügt, für erforderlich gehalten.407) Wieder andere erachten es für die Aufnahme in die Vorauswahlliste zwar für zwingend erforderlich, dass eine angemessene Anzahl von Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wird, eine regelmäßige Aus- und Fortbildung könne aber nicht verlangt werden408).

199 Die erwartete Büroorganisation muss der Insolvenzverwalter nicht zugleich immer dort vorhalten, wo er sich um die Aufnahme in die Vorauswahlliste bewirbt. Vielmehr ist es bei überregional agierenden Verwalterbüros ausreichend, die anfallenden Arbeiten an mehreren Standorten arbeitsteilig zu bearbeiten.409)

200 Die aufgezeigten Erfordernisse an eine funktionierende Büroausstattung muss der Insolvenzverwalter bei seiner Bewerbung gegenüber dem Insolvenzgericht nachweisen.410) Die bereits untersuchten Zertifikate können an dieser Stelle ein Indiz für das Bestehen einer funktionsfähigen Büroausstattung sein,411) über insolvenzspezifische Vorgänge treffen sie jedoch keine belastbare Aussage.412) Verweigert der Bewerber entsprechende Angaben zu seiner Kanzlei, hat er keinen Anspruch auf Aufnahme in die Vorauswahlliste.413) ___________ 405) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 44; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 27. 406) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 44. 407) OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765 ff.), das festhält, dass die Qualität und die Anzahl der für die zur Bearbeitung von Insolvenzverfahren zur Verfügung stehenden Mitarbeiter ein sachgerechtes Kriterium sei, das zudem sogar rechtfertige den Verwalter gegenüber einem anderen Bewerber abzulehnen; ähnlich OLG Köln, Beschl. v. 27.3.2015 – 7 VA 4/14 = ZInsO 2015, 798, das es außerdem als sachgerecht und mit Blick auf die Interessen der Bewerber als zulässig erachtet, dass das Büro werktäglich während der üblichen Bürozeiten mit kompetentem Personal besetzt sein soll. Im Falle einer Täuschung des Insolvenzgerichts über die Besetzung des Büros, sei der Insolvenzverwalter gar als generell unzulässig und ungeeignet i. S. v. § 56 I InsO anzusehen, MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 66. 408) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 27. 409) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915). 410) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (915). 411) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 44 etwa beispielsweise durch DIN EN ISO 9001:2015; wohl eher kritisch gegenüber einem Nachweis mittels etwaiger Zertifikate, Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 27. 412) Bork hält dazu fest, dass es sachwidrig erscheine Zertifizierungen bereits abstrakt zu einem Eignungskriterium zu machen. Sie könnten vielmehr erst auf Subsumtionsebene berücksichtigt werden, wenn es darum geht, den Sachverhalt unter die Eignungskriterien zu subsumieren, Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 142; a. A. Göcke, der eine Zertifizierung bei der Konzeption der Vorauswahlliste als Kriterium aufnehmen will, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/ Göcke, § 56 InsO, Rn. 24. 413) OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 í 2 VA 9/11 = NZI 2011, 762 (765); Uhlenbruck/ ‚Zipperer, § 56 InsO, Rn. 27.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung Untersuchte Gerichtspraxis: Alle untersuchten Fragebögen erfassen, inwiefern das jeweilige Insolvenzverwalterbüro über insolvenzspezifische Software und Datenbearbeitungsprogramme verfügt. Auffällig ist, dass nur wenige der untersuchten Insolvenzgerichte neben der technischen und personellen Ausstattung des Hauptsitzes der Kanzlei explizit auch die Ausstattung und Qualifikation der Mitarbeiter an den einzelnen Standorten oder auch die Arbeitsteilung zwischen den Standorten ermitteln lassen.414) Vielen Insolvenzgerichten scheint es wichtig zu sein, zu erfahren, wo der Mittelpunkt der Tätigkeit des Verwalterbüros ist und wie das jeweilige Büro im eigenen Gerichtsbezirk ausgestattet ist.415) Daran anknüpfend wird zum Teil erfragt, inwiefern die Verwalterbüros bestimmte Tätigkeiten wie steuerrechtliche oder arbeitsrechtliche Fragestellungen intern bearbeiten können oder sie an externe Dienstleister vergeben.416) Dies lässt den Schluss zu, dass es den Insolvenzgerichten daran gelegen ist, einen ausreichenden Verwaltungsapparat vor Ort, im eigenen Gerichtsbezirk, vorzufinden. Dieses Ansinnen ist – zumal in Zeiten sog. Briefkastenverwalter – zwar verständlich, es widerstrebt allerdings der o. g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ein arbeitsteiliges Verhalten zwischen mehreren Standorten für zulässig erachtet und nach der ortsnahes Personal gerade nicht mehr vorgehalten werden muss.417) Fortbildungsstunden der Mitarbeiter werden durch das AG Hannover/AG BerlinCharlottenburg erfragen (ähnlich das AG Leipzig). Das AG Düsseldorf lässt sich versichern, dass das jeweilige Büro sachlich und personell in der Lage ist, Großinsolvenzen mit über 500 Arbeitnehmern bearbeiten zu können.

bb) Erreichbarkeit und Ortsnähe Ein weiteres ungeschriebenes, häufig angeführtes Auswahlkriterium ist die Orts- 201 nähe und Erreichbarkeit des Insolvenzverwalters. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu diesem Kriterium erwies sich vor einer klärenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes als äußerst uneinheitlich.418) Mit seinem Beschluss hat der Bundesgerichtshof kürzlich festgestellt, dass das Kriterium der Ortsnähe und persönlichen Erreichbarkeit sich als nicht sachgerecht erweise, um die generelle Eignung des Bewerbers feststellen zu können. Bedeutung kann es dann allerdings ge___________ 414) Die Arbeitsteilung zwischen den Standorten wird nicht ermittelt vom AG Hannover/AG BerlinCharlottenburg, AG Leipzig, dem Heidelberger Musterfragebogen sowie dem AG Frankfurt a. M. 415) Explizit nach einem Mittelpunkt der Tätigkeit fragend, das AG München. Vorwiegend auf die Niederlassung im eigenen Gerichtsbezirk Wert legend, bzw. die Ausstattung „ortsnaher“ Standorte abfragend, AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen. 416) So das AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen, AG Düsseldorf; das AG München erfragt dies für die Bearbeitung von Unternehmensinsolvenzen. 417) Vgl. BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515). 418) So etwa maximal 100 Kilometer, OLG Bamberg, Beschl. v. 3.12.2007 – VA 11/07 = NZI 2008, 309; 20 bis 30 Minuten Anfahrtszeit, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.1.2009 – 3 Va 8/08 = NZI 2009, 248; eine Stunde Anfahrtszeit OLG Hamm, Beschl. v. 29.5.2008 – 27 VA 7/07 = NZI 2008, 493; im Kriterium der Ortsnähe und Erreichbarkeit kein geeignetes Kriterium sehend OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.7.2008 – 4 VA 1036/08 = NZI 2008, 616; OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.8.2009 – 11 VA 5/07 = NZI 2009, 723 (725); OLG Celle, Beschl. v. 4.3.2015 – 16 VA 1/15 = NZI 2015, 678; und es nur im Rahmen der Bestellentscheidung im Einzelfall für geeignet halten.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

rade bei der Bestellentscheidung im Einzelfall erlangen.419) Der Bundesgerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass es angesichts der heutigen modernen Datenübermittlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten nicht mehr ausschlaggebend sei, auf ortsnahe Verwalterbüros zurückgreifen zu können, um Kontakt zum Insolvenzgericht, dem Schuldner und den Gläubigern aufnehmen zu können. Gerade bei Großverfahren mit vielen Standorten im Bundesgebiet sei das Kriterium der Ortsnähe nicht mehr sachgerecht. Es könne vielmehr bewirken, dass Bewerber mit besonderen Spezialkenntnissen und Erfahrungen nicht in die Vorauswahlliste aufgenommen würden, wenn ihr Kanzleisitz weiter entfernt vom Insolvenzgericht läge. Es bestünde deswegen die Gefahr, dass zum Nachteil der Gläubiger diese Bewerber in der konkreten Auswahlentscheidung übergangen und ihre Spezialkenntnisse und Fähigkeiten dem konkreten Insolvenzverfahren vorenthalten würden. Bei kleinen Regelinsolvenz- oder bei Verbraucherinsolvenzverfahren könne das Kriterium der Ortsnähe hingegen nach wie vor als sinnvoll erscheinen.420)

202 Nach Eichel hat der Bundesgerichtshof mit der genannten Entscheidung nicht nur die entsprechenden Kriterien aus der Vorauswahl „verbannt“, sondern das Konzept der Vorauswahlliste insgesamt in Frage gestellt. Es sei nun zu befürchten, dass überregional tätige Insolvenzverwalter die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nutzen würden, um ihren Platz auf der Insolvenzverwalterliste eines beliebigen Insolvenzrichters in Deutschland zu erhalten und in der Folge österreichische Verhältnisse421) einkehren würden, die bei analoger Listenführung nicht zu bewältigen seien.422)

203 Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs sind zwar nachvollziehbar, doch scheint mit der Ortsnähe ein Kriterium zu Fall gebracht worden zu sein, das die Zahl der gelisteten Verwalter bisher stark regulierte. Bereits zuvor wurde festgestellt, dass eine entsprechend umfangreiche Liste nicht mehr ihren Sinn und Zweck erfüllen

___________ 419) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515); verfassungsrechtlichen Bedenken begegne das Kriterium der Ortsnähe und Erreichbarkeit allerdings nach Feststellung des BVerfG nicht sofern es nicht schematisch, sondern einzelfallorientiert angewendet wird, BVerfG Ents. v. 12.7.2006 – 1 BvR 1469/05 = WM 2006, 1682 (1684). 420) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515); wie bereits zuvor festgestellt muss in logischer Konsequenz dessen auch entsprechendes Personal nicht mehr ortsnah vorgehalten werden; so bereits auch Mönning, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2000), S. 375 (389) Rn. 45; das Kriterium der Ortsnähe für wichtig erachtend, Frind/Schmidt, NZI 2004, 533 (534). 421) Die digital geführte österreichische Vorauswahlliste beruht auf dem Prinzip der Selbsteintragung. Jede an der Insolvenzverwaltung interessierte Person kann sich in die Liste eintragen. Die Insolvenzverwalterliste wird am OLG Linz geführt und umfasst derzeit wohl 1.300 Verwalter, Riel, NZI 2017, 832 (834); Thole, KTS 2018, 225 (227). 422) Eichel, KTS 2017, 1 (2); dies berichtet auch Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2617).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

könne, nämlich zu einer raschen Bestellentscheidung zu gelangen. Eine exorbitant umfangreiche Liste führt sich daher am Ende selbst ad absurdum.423) Untersuchte Gerichtspraxis: Auch hier ergibt sich ein differenziertes Bild bei den untersuchten Fragebögen. Neben den oben genannten Informationen zu der Ausstattung der Büros, die von einigen Insolvenzgerichten gesondert für die ortsnahen und nächstgelegenen Standorte erfragt werden424), verlangen das AG Düsseldorf und der Heidelberger Musterfragebogen von den Verwaltern, dass sie eine Verhinderungsvertretung angeben, um eine ständige Erreichbarkeit sicherstellen zu können. Bemerkenswert ist, dass vom AG Münster sowie das AG Dortmund nach wie vor Entfernung und Fahrzeit zwischen Verwalterbüro und Insolvenzgericht ermittelt wird. Entsprechende Kriterien sind für die Vorauswahllistenentscheidung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig. Soweit sie lediglich für die Bestellentscheidung im konkreten Fall erhoben werden, kann es nach Feststellung des Bundesgerichtshofs lediglich in kleinen Regelinsolvenz- bzw. Verbraucherinsolvenzverfahren sinnvoll erscheinen, einen ortsnahen Verwalter zu bestellen. Auch in diesen Fällen dürfte eine Ermittlung der Wegstrecke und Fahrzeit jedoch nicht erforderlich sein. Der Bundesgerichtshof hält dazu gerade fest, dass es nicht auf eine etwaige Entfernung zum Insolvenzgericht ankommt, sondern höchstens zum Insolvenzschuldner.425)

cc) Bonität Als ein für die Feststellung der generellen Eignung sachgerechtes Kriterium wird 204 auch die Bonität des jeweiligen Bewerbers angesehen.426) Dabei ist zum einen der Nachweis über einen bestehenden Versicherungsschutz, wie auch das Zusichern geordneter Vermögensverhältnisse erforderlich. Dadurch soll einerseits gewährleistet werden, dass der jeweilige Bewerber wirtschaftlich unabhängig agieren kann,427) andererseits dienen entsprechende Nachweise dem Schutz der Masse und damit dem Schutz der Verfahrensbeteiligten.428) Differenziert werden muss allerdings auch hier zwischen der abstrakt-generellen Vorauswahlentscheidung, bei der der Nachweis einer bestehenden Versicherung genügen sollte und der konkreten Bestellentscheidung, bei der auch die Höhe der jeweiligen Versicherung zu überprüfen sein wird. Eine Pauschalisierung ist hier wenig hilfreich und ist als unsachgemäß anzusehen. Bei der Höhe der Versicherung dürften erhebliche Unterschiede zwischen Verwaltern, die lediglich Verbraucherinsolvenzverfahren bearbeiten und solchen die häufig mit der Bearbeitung von Großverfahren betraut sind, bestehen. ___________ Vgl. Preuß, KTS 2005, 155 (167); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2617). So das AG Münster, AG Dortmund, AG Bremen und AG München. BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515). BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 (165); Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 124; ders., ZIP 2017, 2173 (2079f.); KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 181; Kruth, DStR 2017, 669 (671). 427) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 25. 428) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 125; ders., ZIP 2017, 2173 (2179f.).

423) 424) 425) 426)

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Entsprechende Versicherungssummen bereits für die generelle Auswahlentscheidung als zwingendes Kriterium zu verwenden erscheint daher als unsachgemäß.429) Die geforderten, geordneten Vermögensverhältnisse liegen nicht vor, wenn der Verwalter etwa selbst Insolvenzantrag stellen musste oder mit einem Vermögensverfall zu rechnen ist. Verwalter die nicht in geordneten Vermögensverhältnissen leben, bieten keine Gewähr dafür, dass sie die ihnen übertragenen Verfahren ordnungsgemäß abwickeln und ordnungsgemäß mit dem ihnen anvertrauten Fremdgeld umgehen.430) Untersuchte Gerichtspraxis: Alle untersuchten Fragebögen verpflichten den Bewerber, eine Versicherung anzugeben, in geordneten Vermögensverhältnissen zu leben und keiner Zwangsvollstreckung oder ähnlichem ausgesetzt zu sein. Ebenso fragen alle untersuchten Fragebögen nach dem Bestehen eines Versicherungsschutzes, der auch Vermögensschäden aus der Tätigkeit als Insolvenzverwalter abdeckt. Zum Teil wird dabei auch die Höhe des Versicherungsschutzes erfragt. Das AG Düsseldorf legt die Versicherungssumme gar pauschal auf 1,5 Mio. € für jeden Einzelschaden/jedes Verfahren fest. Bork hält eine solch pauschale Abfrage einer bestimmten Versicherungssumme für unsachgemäß.431)

dd) Exkurs: Selbstregularien und Zertifizierungen 205 In diesem Exkurs sollen Selbstregularien und Zertifizierungen verschiedener Verbände und privater Institutionen kurz dargestellt werden. Abschließend wird diskutiert, ob entsprechende Regelwerke auch Einfluss auf das Auswahlverfahren nehmen können und von ihnen eine irgendwie geartete Bindungswirkung ausgehen kann.

(1) Selbstregularien 206 Der „Arbeitskreis für Insolvenzrecht“ im Deutschen Anwaltsverein (DAV) e. V. hatte bereits 1992 mit seinen Mitgliedern Verhaltensrichtlinien verabschiedet,432) die etwa das Unabhängigkeitskriterium näher definierten. Explizite Berufsgrundsätze für Insolvenzverwalter erließ im Jahr 2006 erstmals der „Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschland e. V.“ (AID) für seine Mitglieder unter der Bezeichnung „Verhaltenskodex der Mitglieder des Arbeitskreises der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.“433). Der AID firmierte später zum jetzigen VID um. Die Regelungen der insofern größten Interessenvertretung für Insolvenzverwalter, des VID, sind heute die wohl am meisten beachteten Selbstregularien. Unter Berücksichtigung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat ___________ 429) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 126; ders., ZIP 2017, 2173 (2179f.). 430) KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 181; Kruth, DStR 2017, 669 (671); MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 79a. 431) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 126; ders., ZIP 2017, 2173 (2179f.). 432) AnwBl 1992, 118. 433) Abgedruckt in: MüKoInsO/Graeber, 3. Aufl. 2013, Rn. 181a, (Anh. II zu § 56 InsO).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

der VID am 4.11.2006 die „Berufsgrundsätze der Insolvenzverwalter“434) erlassen und sich damit nach eigenen Ausführungen verbindlichen Qualitätsstandards für die Berufsausübung sowie für die Wahrung und Förderung eines hohen Qualitätsstandards in der Insolvenzverwaltung verschrieben.435) In Ergänzung dazu hat der VID außerdem am 4.6.2011 die „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ (GOI)436) verabschiedet, die am 5.5.2012 um eine Prüfungsordnung zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI PrüfO)437) ergänzt wurden. Die GOI stellen vereinsinterne Regelungen für alle Mitglieder dar und sollen besondere Qualitätsstandards satzungsgemäß absichern.438) Die GOI sollen „aufbauend auf den gesetzlichen Vorschriften und den Berufsgrundsätzen, nunmehr Qualitätsstandards der Berufsausübung“439) schaffen. Anders als die Berufsgrundsätze stellen sie kein „Grundgerüst“ für das Berufsbild des Insolvenzverwalters dar, sondern setzen sich mit Verfahrens- und Abwicklungsfragen innerhalb des Insolvenzverfahrens auseinander. Auch sie richten sich in erster Linie an Verbandsmitglieder. Nach Vorbild der GOI erlassen auch Insolvenzgerichte Richtlinien, deren Anwendung sie von den bei ihnen tätigen Verwaltern erwarten.440) Zu Recht hält etwa Vallender die GOI für begrüßenswert und spricht anerkennend 207 davon, dass durch sie neue Maßstäbe für eine unabhängige, transparente und qualitativ anspruchsvolle Insolvenzverwaltung gesetzt würden. Ihnen fehle es schlussendlich jedoch an einer weitreichenden Geltungskraft, da sie nur Mitglieder des VID binden würden. Dies sei lediglich ein Viertel der in Deutschland bestellten Insolvenzverwalter.441)

___________ 434) In ihrer aktuellen Fassung abgedruckt in: MüKoInsO/Graeber, Rn. 181a, (Anh. II zu § 56 InsO); abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2016/09/berufsgrundsaetze-03-05-2013.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 435) Vgl. Präambel der Berufsgrundsätze der Insolvenzverwalter; Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (43). 436) In der Beschlussfassung vom 22.4.2016 abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/ 2016/09/goi-1-2016-vom-22.04.2016.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 437) Abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2016/09/goi-mit-prfungsordnung-012016-vom-22.04.2016.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 438) Vgl. Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (44f.). 439) Präambel GOI. 440) Vgl. nur AG Köln, ZInsO 2017, 637. 441) Vallender, NZI 2017, 641 (641, 646); differenzierend in dieser Hinsicht Frind der es für möglich hält, dass sich Bewerber für die Vorauswahlliste nicht nur auf die GOI berufen könnten, wenn sie Verbandsmitglied des VID sind und einer entsprechenden Kontrolle bzw. Zertifizierung durch ihn unterlägen, sondern dass die Verbandsmitgliedschaft keine notwendige Voraussetzung dafür sei. Vielmehr stünde es auch anderen Verwaltern offen, die Einhaltung auf freiwilliger Basis zuzusagen. Nur Verbandsmitglieder unterstünden allerdings der verbandsinternen Kontrolle durch den VID, Frind, NZI 2011, 785 (787).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

(2) Zertifikate 208 Neben Selbstregularien haben sich in der Vergangenheit verschiedene Zertifikate etabliert, anhand derer die Verwalter die „Qualität“ ihrer Arbeit messen können sollen. Die Qualitätsmessung innerhalb des Insolvenzverfahrens war in jüngerer Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen.442) Vorwiegend ging dabei die Diskussion um die Verwendung von Zertifikaten verschiedener Verbände und privater Organisationen. Angebote zur Zertifizierung und Qualitätsmessung sind etwa die ISO 9001:2015,443) die GOI, bzw. das „VID-Cert“444), das die die Berufsgrundsätze des VID beinhaltet sowie schließlich die „InsO Excellence“445) des Gravenbrucher Kreises.

209 Die jeweiligen Zertifikate werden jedoch nicht direkt durch die entsprechende Institution vergeben, sondern durch unabhängige und unparteiliche private Organisa___________ 442) Vgl. nur: Andres, NZI 2008, 522; Frind, NZI 2008, 518; Jürges, ZInsO 2008, 888; Neubert, ZInsO 2007, 979; Rhode/Calic, ZInsO 2006, 1247. 443) Bei den ISO 9001 handelt es sich nicht um ein insolvenzspezifisches Zertifikat, sondern vielmehr um ein Basiszertifikat, dass in vielerlei Branchen eingesetzt wird, um für eine Strukturierung der Büroabläufe und einer transparenten Arbeitsweise beizutragen. In das Qualitätssystem der ISO 9001 wurde später durch die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS GmbH) erweiternd die Berufsgrundsätze des VID, die Grundsatzempfehlungen der Uhlenbruck-Kommission sowie Elemente des GAVI Gesetzentwurfes eingearbeitet. Ebenso wurden Elemente eines Verfahrenscontrollings wie auch eines Risikomanagements zur Steuerung des Insolvenzverfahrens und der internen Kanzleiabläufe hinzugefügt. 444) Für die Einhaltung der GOI kann der jeweilige Verwalter nach einer Überprüfung eines unabhängigen Auditors ein entsprechendes Zertifikat erhalten. Der VID verleiht seinen Mitgliedern außerdem das Gütesiegel VID-Cert für die Einhaltung der GOI oder auch bei einer Zertifizierung nach den ISO 9001:2015. Wenn die Zertifizierung in einem vorgegebenen Zeitraum nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird das Mitglied aus dem VID ausgeschlossen (vgl. Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 InsO, Rn. 74). Die Kontrolle der GOI erfolgt anhand von zehn Insolvenzverfahren nach der eigens entworfenen GOI-PrüfO. Geprüft wird anhand der 70 Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung. Das Zertifikat wird ausgestellt, wenn im Durchschnitt aller Verfahren 80 % der GOI erfüllt werden. Einzig bei Fehlen einer Haftpflichtversicherung oder eines Treuhandkontos wird die Aus-stellung des Zertifikats versagt (vgl. Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 281f.). Gegenstand der Prüfung über die Einhaltung der GOI sind stets auch die ISO 9001:2015 sowie die zusätzlich angepassten, insolvenzspezifischen ISO 9001. 445) Die Zertifizierung erfolgt in diesem Fall nicht anhand einer Prüfungsordnung wie bei dem erwähnten VID-Cert und auch nicht anhand von Grundsätzen, wie den GOI, sondern anhand von insgesamt 216 Kriterien (Der Kriterienkatalog 2018 ist als Pdf abrufbar unter: https:// www.gravenbrucher-kreis.de/insoexcellence (nun als aktualisierte Fassung, zuletzt geöffnet: 14.6.2023). Kann das Zertifikat nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erlangt werden, ist das Mitglied verpflichtet aus dem Gravenbrucher Kreis auszutreten (vgl. Nerlich/Römermann/ Mönning, § 21 InsO, Rn. 73). Das Zertifizierungssystem InsO Excellence umfasst ferner auch die GOI-Grundsätze (Kriterium Nr. 3), die VID-Berufsgrundsätze (Kriterium Nr. 4) sowie die Empfehlungen der Uhlenbruck-Kommission (Kriterium Nr. 5). Bezüglich des zu erbringenden Nachweises verweist der Kriterienkatalog beispielsweise auf das dazugehörige GOIZertifikat, teilweise auch auf die ISO 9001, wenn es etwa um die Anforderung an ein Risikomanagementsystem geht (Kriterium Nr. 6).

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tionen. Die Zertifikatvergabe erfolgt auch nicht etwa durch eine staatliche Organisation oder eine staatlich legitimierte Organisation. Anders als im Rahmen des Mediationsgesetzes (§ 5 II, III MediationsG) und der entsprechenden Verordnungsermächtigung (§ 6 S. 2 Nr. 6 MediationsG) gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die den Rahmen der Zertifizierung im Insolvenzverfahren bestimmen.446) Qualitätsmessungen werden zum Teil auch von Insolvenzgerichten mittels ihrer 210 Fragenbögen durchgeführt. Einen anderen Bereich stellen jedoch die o. g. freiwillig vorgenommenen Zertifizierungen der Verwalter dar, in deren Rahmen interne Arbeitsabläufe in den jeweiligen Büroeinrichtungen gemessen, gesteuert, optimiert und analysiert werden. Fraglich ist, ob solche Zertifizierungen, Rechtswirkung im Auswahlverfahren entfalten können und ob sie dazu in der Lage sind, insolvenzrechtliche Qualität tatsächlich zu erfassen.

(a) Bewertung insolvenzspezifischer Zertifikate Nach überwiegender Ansicht447) können die ISO 9001 aufgrund ihrer fehlenden In- 211 solvenzspezifität, nur wenig Aussagekraft über die Qualität der Verwaltertätigkeit im Insolvenzverfahren treffen. Sie können lediglich generell den – im Insolvenzverfahren allerdings nicht unwichtigen – Nachweis erbringen, dass strukturierte und transparente interne Arbeitsprozesse vorhanden sind und es sich damit um eine den Qualitätsanforderungen der ISO 9001 genügende Büroeinrichtung handelt. Auch wenn das ISO Zertifikat schließlich eine insolvenzrechtliche Spezifizierung erhalten hat, kann es höchstens die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Insolvenzverwaltung sichern. Es könne letztlich nicht verhindern, dass etwa Verwaltungskosten zu hoch sind, insolvenzrechtliche Ansprüche nicht verfolgt werden oder dass die Insolvenzmasse schlecht bzw. unzureichend verwertet wird.448) Neben einer fehlenden gesetzlichen Grundlage für die Verwendung des Zertifikats sei dieses Instrumentarium überdies gar nicht für die Insolvenzverwaltung konzipiert. Die ISO 9001 sei bewusst so ausgelegt, dass bestimmte Arbeitsschritte das immer gleiche Ergebnis hervorriefen. Dies sei im produzierenden Gewerbe oder vereinzelten Dienstleistungen zwar angemessen und nachvollziehbar, für das Insolvenzverfahren und die Rechtswissenschaft insgesamt allerdings unzureichend. Rechtsdienstleistungen hätten stets einen sehr komplexen Sachverhalt zu würdigen und in ___________ 446) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 249f. 447) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 280; Frind, NZI 2008, 518 (519f.); Neubert, ZInsO 2007, 979 (980); Siemon, NZI 2017, 741 (744); Siemon, NZI 2017, 825 (829 ff.); ähnlich bereits Andres, NZI 2008, 522 (525); a. A. Germ, NZI 2009, 359 (360 ff.); Kurz, NZI 2007, 638 (640). 448) Frind, NZI 2008, 518 (519); dem widersprechend Andres, der durch die Standardisierung der Arbeitsabläufe auch einen unmittelbar positiven Einfluss bzgl. masserelevanter Fragen sieht, indem etwa Kündigungsfristen von Mietverhältnissen und ähnliches nicht übersehen werden könnten. Die Frage wieso es dazu explizit eines solchen Zertifikates bedarf beantwortet Andres allerdings nicht, vgl. Andres, NZI 2008, 522 (523).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

all seinen immer sehr verschiedenen Varianten zu beleuchten. Dies könne durch den Einsatz der ISO 9001 nicht gelingen. Ferner würde der der ISO 9001 zugrundeliegende Qualitätsbegriff danach bemessen, ob die Anforderungen bestimmter sog. inhärenter Merkmale erfüllt würden.449) Würden diese nicht erfüllt, läge ein Fehler vor. Für die Insolvenzverwaltung würde dies bedeuten, dass Organisation und Arbeitsabläufe in der Verwalterkanzlei anhand von „Kundenwünschen“ (gemeint sind durch den Verwalter selbst intern festgelegte Kriterien, die zur Erstellung des QM-Handbuches führen450)) definiert würden, um später zu vergleichen, ob sich die entsprechenden Arbeitsprozesse an die Anforderungen gehalten hätten. Gerade dies funktioniere im Falle der Insolvenzverwaltung nicht, da sich die entsprechenden Anforderungen für das Insolvenzverfahren nicht anhand von Kundenanforderungen ergeben würden, sondern anhand des Gesetzes.451)

212 Hingegen ist für die GOI bzw. das VID-Cert positiv festzuhalten, dass eine solche Zertifizierung grundsätzliche Aussagen über Aspekte der Eignung des Verwalters und eine pflichtgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens geben können.452) Für das VID-Cert insgesamt lässt sich bestätigen, dass durch die kumulative Umsetzung der ISO 9001, der GOI und der Berufsgrundsätze und damit durch insolvenzspezifischere Prüfungsanforderungen eine im Blick auf das Insolvenzverfahren geeignetere und umfassendere Prüfung erfolgt, als bei der ISO 9001. Aufrechterhalten bleibt allerdings die obige, grundsätzliche Kritik, dass auch das VID-Cert keine rechtlich-inhaltlich aussagekräftige Qualitätsmessung erreichen kann. Aussagekraft hat auch das VID-Cert lediglich in Sachen insolvenzverfahrensspezifischer Arbeits- und Strukturabläufe.453)

213 Der Kriterienkatalog des InsO Excellence Zertifikats formuliert sehr weitgehende Anforderungen an die Verwaltungspraxis der jeweiligen Kanzlei. Er versucht damit, Verfahrensabläufe zu optimieren und zu einer pflichtgemäßen Insolvenzverwaltung beizutragen. Thole konstatiert, dass die Kriterien des InsO Excellence über bloße Mindeststandards hinausgingen. Die Kriterien konkretisierten „detailliert die allgemeinen Pflichten des Insolvenzverwalters zur bestmöglichen Masseerhaltung ___________ 449) Vgl. Seagon, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 97 (101). 450) Andres, NZI 2008, 522 (525); Frind, NZI 2008, 518 (519). 451) Siemon, NZI 2017, 825 (829 ff., 832); Siemon, NZI 2017, 741 (744); a. A. Germ, NZI 2009, 359 (360 ff.). 452) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 293; Frind, NZI 2011, 785 (787); a. A. dagegen noch Holzer, der eine Anwendung des damaligen AID-Verhaltenskodex durch die Gerichte für unzulässig erachtete. Allerdings u. a. mit der Begründung, dass es keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Richtlinie von Verwaltern und Insolvenzgerichten akzeptiert würde, Holzer, EWiR 2002, 71 (72). Jedenfalls dieses Argument ließe sich heute, wegen der weitreichenden Bedeutung der GOI wohl nicht mehr anführen. 453) Vgl. Thole, in: Die Verwalterauswahl, TeilB, Rn. 291 ff.

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und –verwertung“.454) Kritisiert wird hingegen, dass die Kriterien der InsO Excellence allein durch den Gravenbrucher Kreis erstellt würden und auch der zur Prüfung eingesetzte Auditor allein durch ihn akkreditiert würde. Dieser weise zudem keine Insolvenzexpertise auf. Ein solches Zertifizierungssystem, das dem Verkehrskreis bereits durch den Namen verdeutliche, der nach ihm zertifizierte Verwalter halte die Vorgaben der InsO in besonders herausragendem Maße ein, führe zu einer Fehlinformation des Rechtsverkehrs und dazu, dass sich Insolvenzgerichte und Gläubiger bei ihren Entscheidungen nach den §§ 56, 56a InsO im Sinne des Inhabers eines InsO Excellence Zertifikates beeinflussen ließen.455) Festzuhalten ist demnach, dass die Zertifikate durchaus Aussagen über die Effizienz 214 und Qualität von insolvenzrechtlichen Arbeits- und Büroabläufen treffen können. Nicht abstreiten lässt sich auch, dass gerade die Zertifikate der Verbände teilweise eine darüberhinausgehende Qualität, etwa bei der Masseerhaltung und -verwertung, messen können. Dass diese aber wirklich belastbar und vergleichbar sind, ist jedoch zu bezweifeln. Der Charlottenburger Konkursrichter Leopold Levy soll in anderer Hinsicht, aber 215 für die hiesige Thematik durchaus trefflich formuliert haben: „Kein Konkurs läßt sich nach Schema F abwickeln.“456) Eine optimale Verfahrensabwicklung lasse sich schulmäßig nur bedingt fixieren, da eine lex artis nicht fixiert sei. Wirtschaftliche Vernunft lasse sich nicht normieren.457)

(b) Bindungswirkung für das Insolvenzgericht Bis hier kann also festgestellt werden, dass die genannten Zertifikate in jedem Fall 216 eine gewisse Leit- und Orientierungsfunktion bzw. einen gewissen Mindeststandard für Arbeits- und Büroabläufe innerhalb der Insolvenzverwaltung darstellen. Bezweifelt werden muss aber die rechtlich inhaltliche Aussagekraft von Zertifikaten betreffend die Qualität der Verwaltertätigkeit. Klärungsbedürftig bleibt schließlich die Frage, ob die genannten Zertifikate und 217 Verhaltensrichtlinien auch eine Bindungswirkung für die Entscheidungen des Insolvenzgerichts entfalten.

___________ 454) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 307. 455) Siemon, NZI 2017, 741 (742 f.). 456) Uhlenbruck, in: Festschrift des Arbeitskreises für Insolvenz- u. Schiedsgerichtswesen e. V. Köln zum einhundertjährigen Bestehen der Konkursordnung vom 10. Februar 1877, S. 3 (5f.). 457) Uhlenbruck, in: Einhundert Jahre Konkursordnung, 1877–1977: Festschrift des Arbeitskreises für Insolvenz- u. Schiedsgerichtswesen e. V. Köln zum einhundertjährigen Bestehen der Konkursordnung vom 10. Februar 1877, S. 3 (5f.).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

218 Ausgangspunkt soll hier zunächst die Entscheidung des AG Hamburg vom 21.11.2001458) sein. Das AG Hamburg hielt in seinem Beschluss den Verhaltenskodex des damaligen AID für geeignet, um die Auswahlkriterien des § 56 InsO näher zu konkretisieren. Aufgrund des öffentlichen Amtes des Insolvenzverwalters und der mittelbaren Wirkung des Kodex spreche gar vieles dafür, dem Verwalter seine erforderliche Eignung nach § 56 InsO abzusprechen, wenn er den Verhaltenskodex nicht beachte.459)

219 In der Literatur wird die genannte Entscheidung des AG Hamburg kritisiert. Prütting kritisiert die Entscheidung des AG Hamburg dabei nicht in der Sache selbst, wohl aber die Begründung des Gerichtes, der Kodex würde eine mittelbare Wirkung gegenüber dem Gericht entfalten. Der zur Entscheidung berufene Richter dürfe dem Verhaltenskodex gerade keine normative Wirkung zuweisen460). Vielmehr ergebe sich in einem gewaltenteiligen Rechtsstaat, dass private Arbeitskreise keine Richtlinien mit normativer Wirkungskraft erlassen könnten.461) Die Begründung des AG Hamburg kritisiert ähnlich auch Holzer, der dem streitgegenständlichen Verhaltenskodex als internem Satzungsrecht keine Außenwirkung zuspricht. Vereinsinterne Maßstäbe könnten nicht zu Verhaltensregeln für das Verhalten außerhalb des Vereins gemacht werden. Eine Drittwirkung von Vereinsrecht würde zu einem Sonderrecht und unterschiedlichen Behandlungen von Mitgliedern eines jeden Vereins innerhalb des öffentlichen Lebens und vor Gericht führen.462) Verhaltensrichtlinien oder Zertifikaten könne folglich keine normative Außenwirkung zukommen, die die Gerichte binden könnten.463) Teilweise wird die Verwendung der Qualitätssiegel auch gänzlich abgelehnt. Sie würden keine wissenschaftlich begründete Tatsachengrundlage für Insolvenzgerichte darstellen, um Zertifizierungen als verbindliche Bestellungskriterien festzulegen; eine solche Praxis sei sogar als rechtswidrig zu werten.464)

220 Dennoch wird auch die Ansicht vertreten, die Zertifikate und Verhaltensrichtlinien sollten auf die Prüfungen des Insolvenzgerichts einwirken. Sie konkretisierten schließlich das, was nach den im Verkehrskreis der Insolvenzverwalter vorherrschenden Überzeugungen von einem Insolvenzverwalter zu erwarten sei. Das Insolvenzgericht dürfe entsprechende Zertifizierungen bei der Eignungsprüfung nicht ___________ 458) AG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2001 – 67g IN 280/01 = NZI 2002, 166. 459) AG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2001 – 67g IN 280/01 = NZI 2002, 166 (167). 460) Dies folgt bereits auch aus den Batille-Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81= NJW 1988, 191 und BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79= NJW 1988, 194; dazu: Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142. 461) Prütting, ZIP 2002, 1965 (1973f.). 462) Holzer, EWiR 2002, 71 (71f.). 463) Holzer, EWiR 2002, 71 (71f.); K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 21; Wimmer-Amend, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 593 (616). 464) Siemon, NZI 2017, 825 (832).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

außer Acht lassen und könne diese gar als Zulässigkeitskriterium heranziehen.465) Thole hält eine gerichtliche Auswahlentscheidung gar für ermessensfehlerhaft, wenn sie eine Zertifizierung im Rahmen entscheidungsrelevanter Aspekte außer Acht lasse oder sie nicht hinreichend gewichte.466) Zu beachten ist, dass auch privatrechtliche Regelungen Beachtung als Normen er- 221 halten können, nämlich dann, wenn sie von der Rechtsprechung rezipiert würden. Generell bestehe bei Regelwerken von Berufsvereinigungen jedoch das Problem, dass diese Regelungen nicht objektiv und neutral seien. In der Natur dieser Regeln liege es vielmehr, dass sie gleichzeitig auch immer eine Stellungnahme im Rahmen der Interessensabwägungen der jeweiligen Institution darstellten. Abgegrenzt werden müssten entsprechende Normen daher von technischen Regeln oder Tarifregelungen, denen eine Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen immanent sei.467) Eine im Wege der Rezeption erfolgende direkte Anwendung der Verhaltensrichtlinien und Zertifikate durch die Gerichte ist hier daher abzulehnen. Es ist daher im Ergebnis daran festzuhalten, dass die untersuchten Zertifikate und 222 Verhaltensregeln keine Bindungswirkung für die Insolvenzgerichte entfalten. Es kann jedoch auch nicht festgestellt werden, dass ihre Verwendung bei Auswahl und Bestellung sowie bei der gerichtlichen Aufsicht als gänzlich rechtswidrig anzusehen ist. Vielmehr wird ein Mittelweg zu beschreiten sein. Sowohl bei den Zertifikaten, als auch bei den Verhaltensrichtlinien des VID handelt es sich um Regularien, denen keine normative Rechtskraft zukommt. Sie können aber in konkreten Verfahren als Auslegungshilfe und „Grundgerüst“ bei der Auslegung bestimmter Begriffe oder Anforderungen an den Verwalter dienen. In ihrer derzeitigen Fassung stellen sie eine Art Leitfaden bzw. Hilfsinstrument für die Verwalterschaft und die Insolvenzgerichte dar.468) Gerade in objektiv messbaren Bereichen wie einer funktionierenden Büroorganisa- 223 tion, dem Mitarbeiterstab oder erfolgter Fortbildungen können Zertifikate dem jeweiligen Insolvenzrichter einen schnellen und qualitativ hochwertigen Überblick über den jeweiligen Verwalter verschaffen. In diesem Zusammenhang können sie ___________ 465) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 24; Frind, NZI 2005, 654 (656); Frind/ Schmidt, NZI 2004, 533 (535); Neubert, ZInsO 2007, 979 (980) bezugnehmend auf das damalige DIAI-Rating; Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 316; so auch bereits Holzer/ Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters., S. 40, Fn. 120 für die Richtlinien des Deutschen Anwaltsvereins – Arbeitskreis Insolvenzrecht. 466) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B. Rn. 348; Ganter, NZI 2018, 137 (138). 467) Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 175f.; diese Überlegungen ebenfalls anführend: Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 314, der allerdings beispielhaft nur auf die genannten technischen bzw. nicht interessengeleiteten Regularien eingeht. 468) Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 83; Wimmer-Amend, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 593 (621); so schon Runkel, NZI 2002, 2 (3) und Prütting, ZIP 2002, 1965 (1974) über den Verhaltenskodex der Mitglieder des Arbeitskreises der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

daher ein „Indiz für sorgfältiges Verwalten“469) darstellen. Ebenso lässt sich nicht von der Hand weisen, dass entsprechende Zertifikate und die Verhaltensregeln auch Indizien für das Füllen unbestimmter Rechtbegriffe wie der von § 56 I InsO geforderten „Eignung“ liefern können. Gerade im Rahmen der Bestellentscheidung ist jedoch zu verhindern, dass schlussendlich nur noch anhand eingereichter Zertifikatsnachweise und Konformitätserklärungen entschieden wird. Vielmehr geht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hervor, dass die Auswahlentscheidung streng nach den Voraussetzungen des Gleichheitsgrundsatzes zu erfolgen hat, willkürliche Ungleichbehandlungen also zu ermessensfehlerhaften Entscheidungen führen.470) Daraus folgt hier, dass alle Bewerber, egal ob mit oder ohne Zertifikat oder unterschiedlichem Aussteller des jeweiligen Zertifikats die gleiche Bestellchance haben müssen.471) Andererseits würde es u. U. zu einer rechtwidrigen Bestellentscheidung sowie zu einem damit einhergehenden Gleichheits- bzw. Wettbewerbsverstoß kommen.472) Schlussendlich muss sich der zuständige Insolvenzrichter jedoch eine davon losgelöste Beurteilung über die Persönlichkeit des Verwalters bilden.

ee) Einbeziehung von Zertifizierungen in die Vorauswahlliste 224 Vermehrt gefordert wird die Aufnahme von Qualitätsnachweisen über die Verwaltertätigkeit als Kriterium auch für die Vorauswahl.473) Dazu wurde bereits festgestellt, dass diese zwar über die organisatorischen Voraussetzungen des jeweiligen Büros belastbare Aussagen treffen, dem Insolvenzrichter somit eine Orientierungshilfe bieten und seinen persönlichen Eindruck über das jeweilige Büro verbessern können, jedoch keine belastbare und vergleichende Aussagekraft über insolvenzspezifische Vorgänge und die tatsächliche wirtschaftliche Qualität der Bearbeitung haben.

225 Richtigerweise hält Bork daher fest, dass Zertifizierungen nicht zu einem generellen Eignungskriterium gemacht werden könnten. Maßgeblich seien die von der Rechtsprechung selbst erarbeiteten Anforderungen an den Eignungsbegriff des § 56 I InsO, wie etwa die Büroorganisation. Bei der Festlegung der Eignungskriterien böte ein ___________ 469) Frind NZI 2011, 785 (786, 791). 470) BVerfG, Beschluss vom 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453, Rn. 31. 471) In der Hinsicht auch Ries, der darauf hinweist, dass auch eine Bestellung möglich ist, wenn der Verwalter keinem der hier untersuchten Verbände angehört, K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 21; so auch Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1183), der für wirtschaftlich und arbeitsmarktbezogen wichtige Insolvenzverfahren ein Qualiflkationsnachweis mit strengsten Anforderungen und eine engmaschige Qualitätskontrolle der einzelnen Verwalter fordert, gleichzeitig aber festhält, dass „Ein breiter Zugang zu diesen Qualifikationsmerkmalen – und auch zu Verwaltungen in kleineren Verfahren – (…) unter allen Umständen gewährleistet sein.“ müsse. 472) Siemon, NZI 2017, 741 (747); so richtigerweise auch KG, Beschluss vom 14.5.2020 – 1 VA 17/17 = NZI 2020, 753 (754f.). 473) Vgl. Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 24; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 31.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

abstraktes Kriterium „Zertifikate“ jedoch keine Gewähr darüber, dass entsprechend zertifizierte Büros Insolvenzverfahren besser abwickelten, als nicht zertifizierte Büros.474) Im Ergebnis ist daher mit Bork festzustellen, dass Zertifikate für die Feststellung 226 der generellen Eignung des jeweiligen Bewerbers ungeeignet und sachwidrig erscheinen. Sie könnten vielmehr erst im Rahmen der Bestellentscheidung auf Subsumtionsebene für bestimmte Kriterien berücksichtigt werden, wenn also ein konkreter Lebenssachverhalt unter die abstrakten Kriterien subsumiert werden soll.475) Untersuchte Gerichtspraxis: Bedenken begegnen also Fragebögen, die bereits im Rahmen der abstrakten Eignungsfeststellung entsprechende Zertifikate als Nachweis für eine gesonderte Qualifikation abfragen. So z. B. gehandhabt vom Heidelberger Musterfragebogen, dem AG Hannover/AG Berlin-Charlottenburg. Das AG Münster, AG Leipzig und AG Bremen fragen im Rahmen der generellen Eignung lediglich nach einer ISO-Zertifizierung. Die genannten Gerichte halten die ISO-Zertifizierung daher anscheinend für geeignet, auch Aufschlüsse über die Eignung zu liefern. Die oben ergangene Untersuchung hat allerdings gezeigt, dass daran erhebliche Zweifel bestehen. Das AG München bietet lediglich in der Rubrik „Büroorganisation“ die Möglichkeit entsprechende Zertifikate anzugeben, was nach den obigen Ausführungen als sachgerecht erscheint. Die Amtsgerichte aus Dortmund, Düsseldorf und Frankfurt aM bieten derweil nicht ausdrücklich die Möglichkeit, Zertifikate anzugeben. Es bildet sich damit eine sehr unterschiedliche Gerichtspraxis ab.

c)

Unzulässige Vorauswahlkriterien

Für unzulässig erachtet werden für die Feststellung der generellen Eignung im 227 Rahmen des Vorauswahlverfahrens eine Reihe weiterer Kriterien, wie die bereits vorgenannte Auslastung des Verwalters und das Kriterium der Examensnote.476) Unzulässig ist auch das Kriterium bzw. eine Versagung aus Praktikabilitätsgründen, keine weiteren Verwalter aufzunehmen. Eine solche Praxis würde automatisch das Führen einer unzulässigen, „geschlossenen Liste“ bedeuten.477) Auch eine Differenzierung nach Alt- und Neubewerbern bei der Vorauswahllistenbewerbung wird als unzulässig und im Übrigen unverhältnismäßig gewertet.478) ___________ 474) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 142; ders., ZIP 2017, 2173 (2181); im Rahmen des Nachweises über die Infrastruktur und Organisation der Verwalterbüros können entsprechende Zertifikate hingegen eine Grundlage für die Entscheidung über die Aufnahme in die Vorauswahlliste bilden, Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 48. 475) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 142; ders., ZIP 2017, 2173 (2181); Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 31; a. A. Göcke, der eine Zertifizierung bei der Konzeption der Vorauswahlliste als Kriterium aufnehmen will, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/ Göcke, § 56 InsO, Rn. 24. 476) Vgl. bereits oben unter: Rn. 172 und Rn. 176. 477) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 25; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 49. 478) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 59 ff.; ders., ZIP 2017, 2173 (2175f.).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

228 Problematisch ist auch die Verwendung einer Altersgrenze als abstraktes Eignungskriterium im Rahmen der Vorauswahlliste. Ein solches Kriterium wird überwiegend für unzulässig erachtet.479) Es könne vielmehr nur durch den Gesetzgeber eingeführt werden.480) Im Rahmen der Bestellentscheidung im konkreten Einzelfall könnte die Frage nach der Zulässigkeit einer Altersgrenze indessen anders zu bewerten sein. Dann wäre die Erhebung des Alters bei der Verifizierung der Daten durchaus als notwendig und zulässig zu erachten.481) Untersuchte Gerichtspraxis: Die untersuchten Bewerbungsfragebögen haben weitestgehend keine der für unzulässig erachteten Kriterien veranschlagt. Einzig das AG Leipzig und das AG Münster sowie die letzterem nachgebildeten Fragebögen des AG Dortmund und des AG Bremen, erheben die sich derzeit in Bearbeitung befindlichen Verfahren eines Verwalters. Damit ist es nicht fernliegend, dass dadurch auch Rückschlusse auf die derzeitige Auslastung des Verwalters gezogen werden sollen. Zumindest im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung wäre dies als unzulässig anzusehen.

II. Exkurs: Das (Vor-) Auswahlverfahren bei anderen Amtswaltern 229 Probleme innerhalb des Auswahlprozesses stellen sich nicht nur bei dem hier schwerpunktmäßig untersuchten Insolvenzverwalter, sondern auch bei anderen, gerichtlich bestellten Amtswaltern.482)

1.

Die Auswahl des Berufsbetreuers

230 Wenn keine geeignete (ehrenamtliche) Person als Betreuer zur Verfügung steht, kann das Vormundschaftsgericht einen Berufsbetreuer bestellen. Vor der erstmaligen Bestellung eines Berufsbetreuers soll das Gericht die zuständige Betreuungsbehörde um Stellungnahme bitten, ob die jeweilige Person geeignet ist, berufsmäßig Betreuungen durchzuführen, und ob zu erwarten ist, dass sie Betreuungen in einem derartigen Umfang übertragen erhält, dass von einer berufsmäßigen Ausübung des Amtes auszugehen ist, vgl.§ 1897 VII 1 BGB.483) Unabhängig von dieser Verpflichtung hat das Gericht die Betreuungsbehörde vor der Auswahl und Bestellung ___________ 479) OLG Hamburg, Beschl. v. 6.1.2012 í 2 VA 15/11 = NZI 2012, 193; OLG Hamm, Beschl. v. 2.8.2007 – 27 VA 1/07 = NZI 2007, 659; Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 25; Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 111; KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 184; als Verstoß gegen §§ 1, 2 AGG wertend, Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 32; a. A., Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (461), der aufgrund der hohen Anforderungen an den Beruf des Insolvenzverwalters eine Altersgrenze von etwa 70 Jahren vorschlägt. 480) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 37 m. w. N.; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 32. 481) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 112. 482) Vgl. Mock, KTS 2012, 59 (62f.). 483) Dodegge, in: Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts: Festschrift für Werner Bienwald zum 70. Geburtstag, S. 69 (71).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

des Berufsbetreuers gem. § 279 II 2 FamFG, korrespondiert mit den öffentlichrechtlichen Pflichten der Betreuungsbehörden aus§ 8 BtBG, anzuhören.484) Die zuständige Behörde soll die potenziell zu bestellende Person gem. § 1897 VII 2 BGB etwa auffordern, ein Führungszeugnis und eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis vorzulegen. Nach § 1897 VIII BGB ist der Berufsbetreuer ferner dazu aufgefordert, vor seiner Bestellung die Zahl und den Umfang der von ihm berufsmäßig geführten Betreuungen zu erklären, um es dem Gericht zu ermöglichen, die Auslastung und die Kapazitäten des Betreuers abzuschätzen. Anders als im Rahmen der Vorauswahl des Insolvenzverwalters, ist die Betreuungs- 231 behörde nach § 8 I BtBG also dazu verpflichtet, das Gericht u. a. bei der Gewinnung geeigneter Betreuer (Nr. 3) zu unterstützen. Darüber hinaus gem. § 8 II BtBG sogar dazu verpflichtet, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Diese Pflichten erfüllen die Betreuungsbehörden offenbar mit dem Führen von Listen generell geeigneter Berufsbetreuer, um bei Bedarf einen Vorschlag unterbreiten zu können. Für Berufsbetreuer ist es daher von existenzieller Bedeutung auf einer solchen Liste zu stehen.485) Auch hier gibt es allerdings keine einheitlichen Regelungen hinsichtlich des Zu- 232 gangs zur Liste oder hinsichtlich etwaiger Rechtsschutzmöglichkeiten bei Nichtberücksichtigung.486) Dodegge ist der Auffassung, dass Insolvenzverfahren und das Betreuungsverfahren 233 grundsätzlich vergleichbar seien. Soweit Listen unabhängig von den Behörden auch von Vormundschaftsgerichten geführt würden – was häufiger zur gängigen Praxis gehöre – seien die Grund-sätze der Beschlüsse des Bundesverfassungsge-

___________ 484) Vgl. MüKoFamFG/Schmidt-Recla, § 279 FamFG, Rn. 13. 485) Dodegge, in: Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts: Festschrift für Werner Bienwald zum 70. Geburtstag, S. 69 (72). 486) Dodegge, in: Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts: Festschrift für Werner Bienwald zum 70. Geburtstag, S. 69 (73); das OLG Hamm hält hierzu fest, dass eine solche Liste der Berufsbetreuer für das Gericht lediglich eine Hilfestellung bei der Suche nach geeigneten Betreuern sein könne. Ihr komme keine Verbindlichkeit zu: Weder könne das Gericht bei den dort genannten Berufsbetreuern auf eine eigenständige Prüfung der Geeignetheit verzichten, noch sei es gehindert, andere als die in der Liste aufgeführten Personen zu bestellen. Es wäre im Gegenteil rechtsfehlerhaft, wenn das Vormundschaftsgericht eine vom Betroffenen vorgeschlagene Person deswegen nicht zum Betreuer bestelle, weil es wegen des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 1 I 1 VBVG die Berufsmäßigkeit der Tätigkeit feststellen müsste, die vorgeschlagene Person aber nicht in die Liste der Behörde aufgenommen sei. Eine im Verfahren vorgelegene Selbstverpflichtungserklärungen der in dem Auswahlgremium mitwirkenden Richter, sei rechtlich unwirksam, weil die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 I GG) nicht disponibel sei und damit nicht Gegenstand von Verpflichtungserklärungen sein könne, OLG Hamm, Beschl. v. 23.5.2006 – 15 W 472/05 = NJW 2006, 3436 (3439).

93

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

richts zur Insolvenzverwaltervorauswahlliste entsprechend anzuwenden.487) In diesem Fall ist folglich Rechtsschutz nach den §§ 23 ff. EGGVG zu erlangen.488)

234 In der Praxis erfolge die Vorauswahl jedoch regelmäßig durch die Betreuungsbehörde. Dies folge bereits daraus, dass sie vor der erstmaligen Bestellung eines Berufsbetreuers um eine Stellungnahme zu dessen Eignung gem. § 1897 VII BGB zu bitten sei. Aus § 8 I, II BtBG ergebe sich ferner, dass die Behörde einen Bewerberpool zusammenzustellen habe, in praxi also faktisch eine Kandidatenliste zu führen habe. Wird das Handeln der Betreuungsbehörde angegriffen, müsse daher der Verwaltungsrechtsweg eröffnet werden. Die Betroffenen könnten sich hierbei auf Art. 12 I GG berufen. Die Behörde müsse daher die gleichen Grundsätze befolgen, wie das Vormundschaftsgericht. Bestellt das Gericht einen Betreuer, den die Behörde für ungeeignet hält, kann sie nach § 303 I Nr. 1 FamFG Beschwerde einlegen und die Auswahlentscheidung des Betreuungsgerichts angreifen.489) Aus § 1 I 1 VBVG ergebe sich außerdem, dass die Behörden dazu berechtigt seien, die Vorauswahlliste zu begrenzen.490)

2.

Die Auswahl des Zwangsverwalters

235 Bei der Bestellung des Zwangsverwalters nach § 150 I ZVG kommen zum Teil ebenfalls Vorauswahllisten zum Einsatz.491) Soweit diese von den Vollstreckungsgerichten verwendet werden, aber auch darüber hinaus, wird weitestgehend auf die zur Auswahl und den Kriterien der Insolvenzverwalter ergangene Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof zurückgegriffen.492) Auch wenn dem Zwangsverwalter noch nicht die Qualität eines grundgesetzlich geschützten Berufs i. S. d. Art. 12 GG zugestanden wird.493) ___________ 487) Dodegge, in: Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts: Festschrift für Werner Bienwald zum 70. Geburtstag, S. 69 (81) m. w. N.; solche Listen seien für das Gericht etwa erforderlich, um einen Überblick über geeignete und weniger geeignete Verwalter sowie zu erhalten 488) OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.6.2008 – 20 VA 11/07 = NJOZ 2008, 3686. 489) MüKoFamFG/Schmidt-Recla, § 303 FamFG, Rn. 11. 490) Dodegge, in: Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts: Festschrift für Werner Bienwald zum 70. Geburtstag, S. 69 (85). 491) Drasdo, NJW 2017, 1709 (1709); nach Feststellungen des OLG Hamm ist ein förmliches Vorauswahlverfahren und das Erstellen einer Vorauswahlliste im Zwangsverwaltungsverfahren nicht erforerlich, da es weder gesetzlich vorgeschrieben sei, noch zwingend geboten sei, OLG Hamm, Beschl. v. 27.9.2012 – 15 VA 7/12 = ZInsO 2013, 143. 492) BVerfG, Beschl. v. 15.2.2010 – 1 BvR 285/10 = NJW 2010, 1804; BGH, Beschl. v. 28.6.2012 í IV AR (VZ) 2/12 = NJW-RR 2012, 1363 (1365); Drasdo, NJW 2017, 1709 (1709); MüKoZPO/ Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 93; für nicht abschließend geklärt erachtend hingegen, Böttcher/ Keller, § 150 ZVG, Rn. 3b. Nicht übertragbar ist etwa die Rechtsprechung des BGH zur Ortsnähe, da dieses Kriterium im Rahmen der Zwangsverwaltung durchaus Sinnvoll erscheint, um eine Nähe zum Grundstück zu gewähren, vgl. Drasdo, NJW 2017, 1709 (1709). 493) OLG Koblenz, Beschl. v. 27.6.2005 – 12 VA 1/05 = ZInsO 2005, 1171; Böttcher/Keller, § 150 ZVG, Rn. 3b.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Wie auch bei § 56 I InsO hat der Gesetzgeber bei § 150 I ZVG weitestgehend auf 236 eine nähere Konkretisierung der Bestellkriterien verzichtet. Aufgrund der Abwesenheit entsprechender Kriterien wird in der Praxis meistens auf die Kriterien zur Bestellung des Insolvenzverwalters zurückgegriffen. Die Kriterien wurden aber anders als im Rahmen der Insolvenzverwalterbestellung in § 1 ZwVwV kodifiziert. Nach Kruth überwindet dies jedoch nicht die unzureichende gesetzliche Verankerung entsprechender Kriterien, da die Gerichte sie nicht als Richtschnur für die Auswahl des Zwangsverwalters heranziehen dürften. Es fehle an einer Verordnungsermächtigung für diesen Komplex. § 152a I ZVG ermächtige lediglich „Stellung, Aufgaben und Geschäftsführung des Zwangsverwalters sowie seine Vergütung (…) durch Rechtsverordnung“ zu regeln, sie beziehe sich damit auf die Position und Funktion eines bereits bestellten Zwangsverwalters. Insofern betreffe die Vorschrift gerade nicht die Auswahl und Bestellung des Zwangsverwalters. Wegen Art. 80 I 2 GG verbiete es sich ferner, mittels einer weiten Auslegung zu einem anderen Verständnis zu gelangen.494) Diese Erwägungen wurden in Literatur und Rechtsprechung jedoch soweit ersichtlich nicht aufgegriffen.

3.

Die Auswahl des Testamentsvollstreckers

Auch ein Testamentsvollstrecker kann gem. § 2200 I BGB durch die Ermessens- 237 entscheidung eines Gerichts ernannt werden. Anders als in den vorherigen Fällen sieht das Gesetz hierfür jedoch keine ausdrückliche Bestellbefugnis vor. Vielmehr lässt es dem Erblasser die Wahl, einen Testamentsvollstrecker selbst zu benennen (§ 2197 BGB) bzw. sein Recht dem Nachlassgericht (§ 2200 BGB) oder einem Dritten (§ 2198 BGB) zu übertragen. Das Gericht kann eine Bestellbefugnis also nur vom Erblasser selbst ableiten, wenn sich dies im Wege der Auslegung aus dem Testament ermitteln lässt. Ein Tätigwerden von Amtswegen findet nicht statt.495) Das Nachlassgericht entscheidet durch Beschluss, der inhaltlich eine Ernennung 238 oder Ablehnung ist. Er ist eine rechtsgestaltende Verfügung der freiwilligen Gerichtsbarkeit.496) Der ernannte Testamentsvollstrecker hat kein Beschwerderecht gegen die Ernennung, da es ihm möglich ist, diese abzulehnen. Nicht bestellten Testamentsvollstreckern steht kein Beschwerderecht gegen die Ernennung eines anderen zu, da sie keinen Anspruch auf Ernennung haben. Insofern entfalten Grundrechte von Bewerbern keine Geltung.497) ___________ 494) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 286f. 495) Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 2 Rn. 185 ff.; Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 295f.; Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 76 ff. 496) Hau/Poseck/Lange, § 2200 BGB, Rn. 10. 497) Vgl. Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 296; Soergel/Damrau, § 2200, Rn. 11 (13. Aufl., 2003); Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 85f.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

239 Auch im Rahmen der Testamentsvollstreckung werden Vorauswahllisten geeigneter Bewerber geführt.498) Bei Ablehnung der Aufnahme in eine solche Liste, kommen wie auch zuvor erläutert die §§ 23 ff. EGGVG zur Anwendung.499)

III. Die Bestellentscheidung 240 Von der oben geschilderten abstrakt-generellen Vorauswahl zu unterscheiden ist die konkrete Bestellentscheidung im Einzelfall. Die Geeignetheitsprüfung hat hierbei nun individuell und in Bezug auf die für das jeweilige Verfahren besonders wichtigen Eignungskriterien – somit nicht losgelöst von der Typizität des Einzelfalls – zu erfolgen. Gegenstand der Bestellentscheidung ist es, eine geeignete, nicht die geeignetste Person – iSe Bestenauslese – für das jeweilige Verfahren ausfindig zu machen. Dabei wird dem Insolvenzrichter ein weites Auswahlermessen eingeräumt, um unter dem Druck besonderer Eilbedürftigkeit vorrangig die unterschiedlichen Interessen der Gläubiger und des Schuldners berücksichtigen zu können.500) Die Geeignetheitskriterien sind prinzipiell gleich denen bei der Vorauswahllistenentscheidung, es bietet sich jedoch an, eine speziellere Gewichtung bzw. nähere Konkretisierung der generellen Kriterien vorzunehmen und die Bestellentscheidung im konkreten Fall ggf. an weitergehende Voraussetzungen zu knüpfen.501) Etwa wird die Berücksichtigung konkreter Umstände der Restrukturierung und Sanierung gerade auch im Rahmen des StaRUG bei der Auswahl eines Restrukturierungsbeauftragten oder eines Sanierungsmoderators erforderlich sein.

1.

Beschluss des BVerfG vom 23.6.2006 – Rechtscharakter der Bestellentscheidung

241 Es wurde bereits erläutert, dass es sich nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei der Vorauswahllistenentscheidung funktional um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, gegen die Rechtsschutz gem. Art. 19 IV GG zu gewähren ist.502)

___________ 498) Bräuer, AnwBl 2014, 650 (650); Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 81. 499) Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 81. 500) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 39; a. A. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 479, die die Eignungsfeststellung lediglich dem richterlichen Beurteilungsspielraum unterstellen will, da sie im Ergebnis ferner eine Bestenauslese i. S. d. Art. 33 II GG für erforderlich hält. 501) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 40; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 39. 502) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); vgl. bereits oben unter: Rn. 143 m. w. N.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Rechtlich stünden die Vorauswahl- und die konkrete Bestellentscheidung neben- 242 einander, auch wenn sie funktional aufeinander bezogen seien, indem die Vorauswahlliste auch zur Vorbereitung der im Eilfall erfolgenden Bestellentscheidung diene.503) Es ist allerdings dennoch strikt zwischen der generellen Vorauswahl- und der konkreten Bestellentscheidung zu differenzieren.504) Fraglich ist daher, ob die insolvenzgerichtliche Bestellentscheidung des Verwalters für das konkrete Verfahren rechtlich anders zu charakterisieren ist. Nach Meinung der Fachgerichte, die vor der Senatsentscheidung vom 23.5.2006 243 vorherrschend war, handelte es sich bei der Bestellentscheidung um einen Rechtssprechungsakt, der der gerichtlichen Kontrolle, insbesondere den §§ 23 ff. EGGVG entzogen sei. Dies wurde mit einem inneren Zusammenhang zwischen der Bestellentscheidung und der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 27 II Nr. 2 InsO begründet. Die Bestellentscheidung sei Teil des als richterliche Entscheidung ergehenden Eröffnungsbeschlusses und daher als rechtsprechende Tätigkeit anzusehen.505) Dieser Ansicht erteilte der Senat eine Absage, indem er zunächst auf die nach sei- 244 ner Ansicht maßgebliche Regelung des § 27 I 1 InsO verwies, die eindeutig zwischen den beiden vorgenannten Entscheidungen des Insolvenzgerichts trenne. Das Gericht ernenne einen Insolvenzverwalter, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet sei. Ein Hinweis, dass beiden Entscheidungen – der Bestellentscheidung und dem Eröffnungsbeschluss – dieselbe Qualität zukäme, lasse sich der Vorschrift nicht entnehmen.506) Der konkrete Bestellungsakt zählt nach Auffassung des Senats nicht zur Recht- 245 sprechung im materiellen Sinne, insbesondere lasse er sich nicht dem traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung zuordnen. Auch bei funktionellem Verständnis könne die Bestellung des Insolvenzverwalters nicht als Rechtsprechung angesehen werden; denn der Insolvenzrichter entscheide hier keinen Rechtsstreit. Bei der Insolvenzverwalterbestellung gestalte der Richter vielmehr selbst ein Rechtsverhältnis. Der Senat räumt dem Insolvenzrichter ferner einen weitgehenden, wenn auch pflichtgemäßen Ermessensspielraum ein. Die konkrete Bestellentscheidung treffe

___________ 503) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575f.) a. A. K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48. 504) Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Prütting, ZIP 2005, 1097 (1102). 505) OLG Celle, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 VA 3/05 = NZI 2005, 458; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NZI 2005, 111 (112); ebenso Höfling, NJW 2005, 2341 (2343); Laws, ZInsO 2006, 847 (848f.); vgl. auch Gaier, ZInsO 2006, 1177. 506) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); a. A. Laws, ZInsO 2006, 847 (849).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

der Richter dabei in persönlicher und richterlicher Unabhängigkeit und strikter Unterwerfung unter das Gesetz.507)

246 Damit qualifiziert der Senat die Bestellentscheidung nicht als klassischen Justizverwaltungsakt, sondern eher als eine diesem nur angenäherte508) Tätigkeit.509) Bei Justizverwaltungsakten handelt es sich um Entscheidungen, die einen spezifischen Bezug zur richterlichen Tätigkeit aufweisen, die allerdings nicht in richterlicher Unabhängigkeit ergehen, sondern administrativ getroffen werden.510) Letzteres ist nach den Ausführungen des Senats bei der Bestellentscheidung ausdrücklich nicht der Fall. Dabei handele es sich explizit nicht um rechtsprechende Tätigkeit, sondern funktional um Ausübung vollziehender Gewalt. Gleichzeitig unterliege die Bestellentscheidung aber einem ausdrücklichen Richtervorbehalt und ergehe in voller richterlicher Unabhängigkeit.511) Es muss sich folglich um eine Art Justizverwaltungsakt sui generis handeln.

247 Aufgrund der „multipolaren Konfliktlage“ der sich gegenüberstehenden Interessen des Staates und der Gläubiger an einem reibungslosen und effektiven Verfahren auf der einen sowie der Schuldner und der Bewerber an einem möglichst weitreichenden und uneingeschränkten Rechtsschutz auf der anderen Seite, sei hier eine Lösung nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu ermitteln. Durch die Gewährung uneingeschränkten Rechtsschutzes könnte es nach Meinung des Senats zu schwerwiegenden Verzögerungen im Verfahren kommen. Ziel der Bewerber könne schließlich sein, im Wege der Drittanfechtungsklage selbst an die Stelle des zuvor bestellten Mitbewerbers berufen zu werden oder aber auch mittels vorläufigen Rechtsschutzes, ähnlich der Konkurrentenklage im Beamtenrecht, die Bestellung eines Mitbewerbers zu verhindern und zu einer Neubescheidung zu gelangen. Die entsprechenden Möglichkeiten der Drittanfechtung und des vorläufigen Rechtsschutzes seien daher ausgeschlossen, denn die Eilbedürftigkeit der Verfahrensdurchführung wiege stets schwerer als das Rechtsschutzinteresse der Bewerber. Der Senat reduziert den Rechtsschutz des übergangenen Prätendenten schließlich auf die Möglichkeit, einen Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Insolvenzverwalterbestellung wegen fehlerhafter Ausübung des Auswahlermessens gem. §§ 23 I, 28 I 4 EGGVG stellen zu können, und verweist ihn im Übrigen auf eine Amtshaftungsklage nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Da___________ 507) generell zu den Voraussetzungen eines Rechtsprechungsaktes i. S. d. §§ 23 ff. EGGVG vgl. MüKoZPO/Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 5. 508) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 46. 509) So allerdings noch OLG Koblenz, Beschl. v. 12.5.2005 – 12 VA 1/04 = NZI 2005, 453; Holzer/ Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 55; Lüke, ZIP 2000, 485 (487); Wieland, ZIP 2005, 233 (238). 510) Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 102; Schilken, JZ 2006, 860 (863); Preuß, KTS 2005, 155 (162 Fn. 31). 511) Dies ebenfalls feststellend, Laws, ZInsO 2006, 847 (850).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

bei haben die Fachgerichte ein im Einzelfall gegebenes Feststellungsinteresse als Zulässigkeitskriterium besonders zu prüfen.512) Eine Begründung der Bestellentscheidung bleibt jedoch aus, wodurch der Rechts- 248 schutz zumindest erheblich erschwert werden dürfte und der Betroffene zunächst dazu gezwungen wird, „ins Blaue“ zu klagen, bevor das Oberlandesgericht eine Stellungnahme des Insolvenzrichters einholen wird.513) Die dargelegten Ausführungen zum Rechtsschutz übertragen Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof außerdem auch auf die Bestellung des Zwangsverwalters nach § 150 I ZVG.514)

2.

Kriterien für die Bestellung im Einzelfall

Im Folgenden werden im Vergleich zu den oben genannten generellen Eignungs- 249 kriterien, spezielle Kriterien für die Bestellentscheidung im konkreten Fall erläutert (Rn. 250). Ebenso wird auf zum Teil verwendete, subjektive Kriterien eingegangen (Rn. 256). Schließlich wird das hier besonders wichtige Kriterium der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters eingehend aufgegriffen (Rn. 258), bevor letztlich kurz auf das hier nun zulässige Kriterium der Ortsnähe eingegangen wird (Rn. 289).

a) Spezielle Kriterien der Bestellentscheidung Auch wenn alle in der Vorauswahlliste gelisteten Verwalter als grundsätzlich ge- 250 eignet anzusehen sind, gebietet es die Individualität eines jeden Verfahrens sowie die vielen verschiedenen Verfahrensarten, den für das individuelle Verfahren geeignetsten Verwalter zu finden. So werden bei den verschiedenen Verfahren wie Klein- und Verbraucherinsolvenzverfahren, Konzerninsolvenzen, Eigenverwaltungsverfahren, grenzüberschreitende Insolvenzverfahren, Verfahren in verschiedenen Branchenarten, Marktsegmenten des Unternehmens, sowie nunmehr auch Verfahren nach dem StaRUG gänzlich unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen sein. Es ist daher sinnvoll und notwendig im Einzelfall spezielle Auswahlkriterien in Anschlag zu bringen und so zu einer sachgerechten Bestellentscheidung für das konkrete Verfahren zu gelangen.515) ___________ 512) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (456f.); Vallender, NJW 2006, 2597 (2597), der einer Begrenzung der Rechtsschutzmöglichkeiten kritisch gegenübersteht. 513) Dazu später unter Rn. 502; vgl. ferner, Jaeger/Gehardt, § 56 InsO, Rn. 72; Jacoby, Das private Amt, S. 517; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 47; kritisch, Vallender, NJW 2006, 2597 (2597f.). 514) BVerfG, Beschl. v. 15.2.2010 – 1 BvR 285/10 = NJW 2010, 1804; BGH, Beschl. v. 28.6.2012 í IV AR (VZ) 2/12 = NJW-RR 2012, 1363 (1365); Böttcher/Keller, § 150 ZVG, Rn. 3b; MüKoZPO/Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 93. 515) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 35; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 21; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 40.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

251 Branchenkenntnisse sind daher für die konkrete Bestellentscheidung als durchaus erforderliches Kriterium anzusehen sein.516) Sie können für einzelne Geschäftsbereiche, Unternehmenstypen und Fallgestaltungen sogar ausschlaggebend sein. Im Rahmen der abstrakten Eignung sind Branchenkenntnisse hingegen unbeachtlich. Dennoch folgt aus der Relevanz für die Bestellentscheidung, dass eine Verifizierung entsprechender Kenntnisse bereits im Rahmen des Vorauswahlverfahrens für zulässig und geradezu geboten zu erachten ist.517), 518)

252 Das zu den speziellen Branchenkenntnissen Gesagte lässt sich auch auf spezielle Fremdsprachenkenntnisse übertragen, die besonders bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren von außerordentlicher Bedeutung sein können. Relevanz kann ein entsprechendes Kriterium auch haben, wenn ein beteiligter Großgläubiger nur eine bestimmte Sprache beherrscht.519) Dabei kann auch der Zugriff auf Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen genügen.520), 521)

253 Zunächst ähnlicher Ansicht könnte man bei dem Kriterium sog. Softskills sein, die den Verwalter aufgrund seiner Charaktereigenschaften in speziell gelagerten Verfahren besonders geeignet erscheinen lassen könnten. Dazu gehören z. B. Führungsqualitäten, Verhandlungsgeschick, Zeitmanagement, Teamfähigkeit und Konfliktmanagement.522) Für die generelle Eignung der Bewerber können Softskills freilich keine Rolle spielen.523) Nach den bereits genannten speziellen Kriterien werden Softskills jedoch für die Bestellentscheidung im konkreten Verfahren

___________ 516) Frind/Schmidt, NZI 2004, 533 (535); MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 21; Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 40; Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 (163); als Kriterium bei der Neufassung des § 56 InsO zu berücksichtigenden, Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (123); ebenso bereits vorzufinden im Vorschlag der Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (509). 517) Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (57); Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn 92. 518) Die dazu untersuchte Gerichtspraxis einiger Insolvenzgerichte hat gezeigt, dass mit einer Ausnahme alle untersuchten Bewerbungsfragebögen entsprechende Kenntnisse ermitteln. 519) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 32; bei der Neufassung des § 56 InsO als Kriterium zu berücksichtigen, Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (123); Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 (163); so auch bereits nach dem Vorschlag der Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (509). 520) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 93; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 40. 521) Fremdsprachenkenntnisse werden von allen untersuchten Insolvenzgerichten erfragt. Nur teilweise werden auch Fremdsprachenkenntnisse von Mitarbeitern erfasst (so etwa durch das AG Hannover/Berlin-Charlottenburg und den Heidelberger Musterfragebogen). 522) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 30; bereits als zulässige Kriterien im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung gehalten Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 34; weitere Sofskills etwa bei, MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 55 523) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 131; Kruth, DStR 2017, 669 (671); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 30.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

durchaus von Relevanz sein.524) Fraglich ist aber, ob sie überhaupt verobjektiviert und messbar gemacht werden können, wie es die obergerichtliche Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof fordert.525) Dieses Problem hat indes auch das OLG Düsseldorf gesehen und hält entsprechend fest: „Dem Senat erscheint es kaum denkbar, in aussagekräftiger Weise die sogenannten nicht erlernbaren soft skills ‚abzufragen‘“.526) Softskills sind daher sowohl bei der abstrakt generellen Vorauswahlentscheidung, als auch im konkreten Fall nicht zu berücksichtigen, es sei denn, es liegen konkrete Tatsachen vor, die das Fehlen einer erforderlichen Charaktereigenschaft nachweisbar belegen.527) Insofern kann die Berücksichtigung des Kriteriums in Form einer negativen Abgrenzung erfolgen.528) Anders als noch im Rahmen der generellen Eignung ist die aktuelle Auslastung 254 des zu bestellenden Verwalters ein geeignetes und gebotenes Kriterium, das vor der konkreten Bestellentscheidung stets zu überprüfen ist.529) Ebenso ist auch das Alter des Prätendenten bei der konkreten Bestellentscheidung 255 anders als noch im Rahmen der generellen Vorauswahlentscheidung zu beurteilen. Für erforderlich gehalten wird dabei, dass der Insolvenzrichter vor seiner Bestellentscheidung im Einzelfall beurteilen soll, mit welcher Verfahrensdauer voraussichtlich zu rechnen ist, um daraufhin auch das Alter des Insolvenzverwalters zu berücksichtigen. Bei erwartungsgemäß langjährigen Verfahren kann dann in Erwägung gezogen werden, besonders alte Verwalter nicht zu bestellen, bzw. eine gesonderte Prüfung der in den nächsten Jahren zu erwartenden Leistungsfähigkeit vorzunehmen. Damit sind im Sinne der Gläubiger Verfahrensverzögerungen bzw.

___________ 524) So wohl auch bereits unter dem Begriff der „sozialen Kompetenzen“ vorgeschlagen durch die Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (509). 525) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455); BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511). 526) OLG Düsseldorf Beschl. v. 20.1.2011 – I-3 VA 2/10 = ZInsO 2011, 1010, das OLG hatte dabei über die Aufnahme in die Vorauswahlliste des AG Duisburg zu entscheiden, das für den Beleg entsprechender Softskills, Leumundszeugnisse von, dem Insolvenzgericht bekannten, Personen einholte, um Kriterien wie Vertrauenswürdigkeit, Kreativität, Regsamkeit etc. verobjektivieren zu können. Das OLG hat solche Leumundszeugnisse explizit als nicht objektivierende Nachweise abgelehnt (Rn. 30), außerdem würden entsprechende Erklärungen das unzulässige System der „closed shops“ fördern. 527) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 134; ders., ZIP 2017, 2173 (2180); Kruth, DStR 2017, 669 (671); a. A. wohl in Bezug auf die konkrete Bestellentscheidung, Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 40; ders., ZInsO 2018, 2613 (2616), der die Softskills als allg. Erfahrungen des Richters nutzen will. 528) Entsprechende Softskills wurden von keinem der bereits untersuchten Bewerbungsfragebögen erfasst. 529) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); Graf-Schlicker/GrafSchlicker, § 56 InsO, Rn. 83; Kruth, DStR 2017, 669. so auch bereits berücksichtigt durch die Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (509).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Insolvenzverwalterwechsel und damit verbundene Kosten vermeidbar.530) Bork erkennt die vorstehenden Überlegungen grundsätzlich als sachgerecht an, gibt aber zu bedenken, dass das Kriterium des Alters allein für ein erfolgversprechendes Verfahren nicht geeignet sei. Pauschalisierte Rückschlüsse vom Alter auf die Geeignetheit der Bewerber für das konkrete Verfahren würden ihrer individuellen Leistungsfähigkeit nicht gerecht. Entscheidend sei vielmehr nur die künftige Leistungsfähigkeit des Bewerbers. Konsequenterweise stelle das Alter damit kein sachgerechtes und verhältnismäßiges Kriterium für die generelle sowie konkrete Eignungsprüfung der Bewerber dar und müsse von vornherein unterbleiben.531) Den genannten Argumenten ist zu folgen. Aus Praktikabilitätsgründen kann es jedoch nach hier vertretener Ansicht dennoch sinnvoll sein, auch das Alter der Bewerber zu erheben. Erst dadurch wird dem Insolvenzrichter die Möglichkeit geboten, in der konkreten Bestellentscheidung entsprechende Nachforschungen über die zu erwartende Leistungsfähigkeit des Prätendenten anzustellen, die aber durchaus auch jüngere Bewerber betreffen sollten.

b) Vertrauen, Zuverlässigkeit und Integrität 256 Zu den konkreten Eignungskriterien gehört auch die Zuverlässigkeit und Integrität des Kandidaten,532) sowie das Vertrauen des Gerichts etwa in die Ehrlichkeit des jeweiligen Verwalters. Dabei sind die Erkenntnismöglichkeiten oder gar Kontrollund Aufsichtsmöglichkeiten der Gerichte an diesem Punkt eher eingeschränkt.533)

257 Aufgrund der Pflicht des Insolvenzverwalters, das ihm anvertraute Vermögen zu sichern und im Interesse der Gläubiger zu verwerten, ist die absolute persönliche Zuverlässigkeit und Korrektheit im Umgang mit fremdem Vermögen unerlässlich.534) Im Rahmen der Vorauswahllisten wird dabei meist abzufragen sein, ob etwaige Vorstrafen vorliegen. Bei einschlägigen Vorstrafen wegen Insolvenzvergehen oder schwerwiegenden negativen Erfahrungen mit dem Verwalter aus früheren Verfahren kann bereits die Aufnahme in die Vorauswahlliste bzw. ein Delisting gerechtfertigt sein.535) Auch hier müssen allerdings konkrete, sachliche und objektive Anhaltspunkte vorliegen.536) Es muss sich um eine Vorstrafe mit sachlichem Bezug zum Verwalteramt handeln; strafrechtliche Verfehlungen sind dabei nicht nur auf ___________ 530) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 25; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 55a, 111a. 531) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 113f. 532) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15 = NZI 2017, 667 (669); BGH, Beschl. v. 14.7.2016 í IX ZB 52/15 = NZI 2016, 892 (893); BGH, Beschl. v. 17.3.2011 í IX ZB 192/10 = NZI 2011, 282 (283). 533) Vgl. Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 45. 534) BGH, Beschl. v. 14.7.2016 í IX ZB 52/15 = NZI 2016, 892 (893). 535) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (512). 536) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 58; Kruth, DStR 2017, 669 (671).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Vermögensdelikte zu begrenzen. Anhängige Ermittlungsverfahren können zu einem Aufschub der Eignungsprüfung führen. Das Insolvenzgericht kann eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister gem. §§ 41 ff. BZRG einholen.537), 538)

c)

Die Unabhängigkeit im konkreten Verfahren

Der Insolvenzverwalter muss eine von den Gläubigern und dem Schuldner unabhän- 258 gige539) Person sein. Anders als im Rahmen der abstrakt-generellen Vorauswahllistenentscheidung ist bei der konkreten Bestellentscheidung zu prüfen, ob der Verwalter zu den Gläubigern oder dem Schuldner des jeweiligen Verfahrens etwaige Beziehungen unterhält, die zu einer Interessenkollision bei der Ausübung seines Amtes führen können und ihn daran hindern, sein Amt frei von sachwidrigen Einflüssen auszuüben.540) Dies wird in der Praxis in der Regel nicht einfach sein, zumal im Eröffnungsverfahren noch nicht alle Gläubiger bekannt sind.541) Die bereits im Vorauswahlverfahren erforderliche Offenlegung aller Umstände, die bei unvoreingenommener und lebensnaher Betrachtungsweise eine Besorgnis über die Unabhängigkeit begründen können, sind daher besonders wichtig.542) Ob dies gelingt, lässt sich erst ex post nach Beendigung des Verfahrens sicher beurteilen. Die Unabhängigkeit des Verwalters ist daher prognostisch zu beurteilen. Sie wird meist nur negativ abzugrenzen und anhand von Ausschlusskriterien zu beurteilen sein.543), 544) ___________ 537) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 115 – 123; ders, ZIP 2017, 2173 (2179); in dieser Hinsicht deutlich strenger Frind, der auch nicht vermögensbezogene Straftaten, wie das Fahren ohne Fahrerlaubnis für ausreichend erachtet, um eine Nicht-Aufnahme zu rechtfertigen, Frind, ZInsO 2008, 18 (20); dem zustimmend, KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 182. 538) Mit Ausnahme des AG Frankfurt aM lassen sich die vorliegend untersuchten Fragebögen allesamt eine Versicherung der Verwalter geben, nicht wegen etwaigen Vermögensdelikten verurteilt zu sein. Offengelegt werden sollen auch alle Ermittlungsverfahren, die gegen den Verwalter anhängig sind. Nur Teilweise wird auch die Erlaubnis eingeholt, eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister einzuholen. Nur wenige Insolvenzgerichte fragen allerdings nach etwaigen Delistings oder Entlassungen sowie den Gründen für diese Entscheidungen, vgl. Heidelberger Musterfragebogen, AG Dortmund, AG Düsseldorf, AG Hannover u. AG Berlin-Charlottenburg (bei letzteren jeweils in der VerfahrenO). 539) Zur historischen Entwicklung des Unabhängigkeitsgebot vgl., Wimmer-Amend, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 593 ff. 540) BT-Drucks. 12/2443 S. 127; Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 (2239); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 42. 541) Das Unabhängigkeitserfordernis gilt nach § 21 II 1 Nr. 1 InsO auch für den vorläufigen Verwalter. Auch die lediglich vermögenssichernde Funktion des vorläufigen Verwalters (§ 22 I Nr. 1 InsO) bedarf einer Absicherung vor fremder Einflussnahme. Insbesondere dann, wenn er die Verfügungsbefugnis und damit die künftige Insolvenzmasse übertragen bekommt (§ 22 I InsO), Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 194. 542) Vgl. Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 31; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 53; Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2619). 543) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 41f. 544) Zu einem Vergleich der im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung erhobenen Umstände zur Frage der abstrakten Unabhängigkeit, vgl. oben unter: Rn. 185.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

aa) Herleitung des Unabhängigkeitsgebots 259 § 56 I 1 InsO beschreibt den Begriff der Unabhängigkeit nicht näher. Er sieht lediglich vor, dass der Insolvenzverwalter eine von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person sein muss. Gleichzeitig wurde die zentrale Bedeutung der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters durch den Gesetzgeber mehrfach betont.545) Es soll sichergestellt werden, dass der Insolvenzverwalter sein Amt frei von sachwidrigen Einflüssen ausüben kann546).

260 Unabhängigkeit von Gläubigern und dem Schuldner bedeutet allerdings nicht, dass die Gläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters gar keinen Einfluss nehmen dürfen. Sie haben im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ausdrücklich ein Mitbestimmungsrecht. So ermächtigt § 57 S. 1 InsO den Gläubigerausschuss in der ersten Gläubigerversammlung einen neuen Insolvenzverwalter zu bestimmen und damit den bereits durch das Gericht ernannten Verwalter zu ersetzen. Weiter gestärkt wurde die Gläubigerbeteiligung außerdem durch die Änderungen im Rahmen des ESUG. Danach soll die Unabhängigkeit des Verwalters nicht schon dann in Frage stehen, wenn er von einem Insolvenzgläubiger vorgeschlagen wird (§ 56 I 4 Nr. 1 InsO) oder den Schuldner bereits vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat (§ 56 I 4 Nr. 2 InsO).547) Der Gesetzgeber beschreitet also bewusst einen Mittelweg zwischen dem Grundsatz der Gläubigerautonomie auf der einen und der Auswahl des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht auf der anderen Seite.548)

261 Diesen Weg hat der Gesetzgeber nun auch durch das vor kurzem vorgenommene Einfügen des § 56 I 2 InsO weiter beschritten. Danach wir geregelt, dass die Per___________

545) 546) 547)

548)

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Zur konkreten Bestellentscheidung ist lediglich bekannt, dass etwa das AG Mannheim einen gesonderten Fragebogen vor der Ernennung des Verwalters ausfüllen lässt, vgl. Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2619), das hierzu einen Musterfragenbogen zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters verwendet, abgedruckt in: Frind/Graeber/Schmerbach/Siemon/Stephan, ZInsO 2012, 368; ähnlich gehandhabt vom AG Hamburg mit einem Fragebogen zum „conflict check“, vgl. AG Hamburg, ZInsO 2017, 375; Frind, ZInsO 2017, 363; ebenso auch AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77; es ist davon auszugehen, dass die Unabhängigkeitsprüfung auch von anderen Insolvenzgerichten so durchgeführt wird. BT-Drucks. 17/7511, S. 35, in der der Rechtsausschuss i. R. d. ESUG-Verhandlungen eine „eingehende Prüfung der Unabhängigkeit“ fordert. BT-Drucks. 12/2443 S. 127. Römermann, ZIP 2018, 1757 (1763), hält die Nrn. 1, 2 für eine Selbstverständlichkeit und damit für entbehrlich. Ein Vorschlag oder eine allg. Beratung könnten keine Abhängigkeit begründen. Gemeint sei vielmehr eine Interessenkollission. Verfechter des Grundsatzes der Gläubigerautonomie sehen in der Bestellung durch das Gericht eine unzulässige Bevormundung der Gläubigerschaft. Die Vertreter einer ausschließlichen Bestellung durch das Insolvenzgericht, verweisen hingegen darauf, dass der Insolvenzverwalter nicht nur Gläubigerinteressen wahrnehme, sondern die Interessen aller Verfahrensbeteiligten wahrzunehmen habe, Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (137).

A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

son, die zuvor als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator tätig war, nur mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a I InsO vorliegen. Zum einen würde hierdurch die Kontinuität einer Bestellung bzgl. der unterschiedlichen Ämter sowie die Verfahrensökonomie betont. Der Gesetzgeber verdeutliche somit, dass die vorige Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator nicht per se einen Interessenkonflikt darstelle, die Neutralität und Unabhängigkeit sei schließlich auch in allen anderen Ämtern vorausgesetzt. Die Änderung der Verfahrensart könne vielmehr von Faktoren abhängen, die ausschließlich in der Sphäre des Schuldners lägen und keinen Anlass für die Annahme von Interessenkonflikten böten. Die Entscheidung obliegt dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem Gericht. Andererseits betone die Gesetzesänderung auch das Prinzip der Gläubigerautonomie, dass dort, wo ein entsprechendes Gremium wie ein Gläubigerausschuss gebildet wurde, dem jeweiligen auch die Entscheidung über die Überleitung der Funktionen zubillige. Der Gläubigerausschuss habe insoweit hier die Möglichkeit auch die bisherige Tätigkeit des Sanierungsmoderators bzw. Restrukturierungsbeauftragten und letztlich auch dessen Neutralität zu bewerten.549) Welche Bedeutung kann dem Kriterium der Unabhängigkeit im Rahmen der Be- 262 stellentscheidung nun beigemessen werden? Eine Definition in der InsO findet sich nicht. Verfassungsrechtlich lässt sich der 263 Begriff der Unabhängigkeit bereits in Art. 97 GG finden. Er schützt die richterliche Unabhängigkeit, definiert diese allerdings ebenfalls nicht näher. Art. 97 GG kommt vor allem abwehrrechtliche Bedeutung zu, indem er u. a. die sachliche Unabhängigkeit des Richters, also seine Freiheit vor sachfremden Einflüssen, besonders der Exekutive, gewähren soll. Art. 97 GG begründet somit keine Pflichten des Richters.550) § 56 I InsO hingegen ist keine abwehrrechtliche Norm, die dem Schutz des Insolvenzverwalters selbst dienen soll, sie soll vielmehr die Verfahrensbeteiligten und die Integrität des Verfahrens an sich schützen.551) Eine Vergleichbarkeit scheidet daher aus.552) Ebenfalls lässt sich der Begriff der Unabhängigkeit in einer Reihe einfachgesetz- 264 licher Normen auffinden. So etwa in § 43a BRAO, § 43 WPO und § 57 StBerG. Definitionen des Begriffes finden sich aber auch dort nicht. Für eine Konkretisierung der Unabhängigkeit eigne sich insbesondere das anwaltliche Berufsrecht je___________ 549) Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 60 ff.; vgl. ähnlich auch Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, §§ 56, 56a InsO, Rn. 39a, b. 550) Riggert, NZI 2002, 352 (352). 551) Bork, ZIP 2013, 145 (148); Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (151). 552) So auch Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 94.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

doch nicht; dies ergebe sich bereits aus der Unterschiedlichkeit der Funktionen von Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt.553)

265 Häufig wird versucht, den Begriff der Unabhängigkeit durch einen Rückgriff auf die Ausschlussgründe des §§ 41 ff. ZPO zu konturieren.

(1) Analoge Anwendung der §§ 41 ff. ZPO 266 Die analoge Anwendung einer Vorschrift kommt in Betracht, wenn ein Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist. Sie liegt vor, wenn das Gesetz für eine bestimmte Frage keine Regel vorsieht, die nach der zugrundeliegenden Regelungsabsicht aber einer Regelung bedarf.554) Bereits diese Voraussetzung erscheint hier jedoch zweifelhaft, hat der Gesetzgeber die Unabhängigkeit doch gerade in § 56 InsO kodifiziert und sie wie aufgezeigt mehrfach betont. Es besteht mithin keine Regelungslücke, sondern es geht um die Auslegung bzw. Konkretisierung der Unabhängigkeit als unbestimmten Rechtsbegriff.555) Eine analoge Anwendung kommt ferner nicht in Betracht, da es an einer erforderlichen Vergleichbarkeit der Tatbestände fehlt.556) Die richterliche Unabhängigkeit ist Kernbestandteil des Rechtsstaatsprinzips und Ausfluss des Gewaltenteilungsprinzips des Art. 20 III GG. Der Richter ist sachlich und persönlich unabhängig.557) Die §§ 41 ff. ZPO dienen jedoch dem Zweck, die Unparteilichkeit und Neutralität des jeweils zur Entscheidung berufenen Richters im Einzelfall zu gewährleisten. § 41 ZPO enthält dabei Ausschlussgründe, die von Amts wegen zu beachten sind und qua Gesetz zum Ausschluss des betroffenen Richters führen. Dabei handelt es sich um personenund familienbezogene Ausschließungsgründe (§ 41 Nr. 1 – 3 ZPO) und um die Ausschließung wegen Sachnähe (§ 41 Nr. 4 – 5 ZPO) oder Vorbefasstheit in einem richterlichen oder schiedsrichterlichen Verfahren (§ 41 Nr. 6 ZPO). § 42 ZPO gibt den Parteien die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Voraussetzung für eine Ablehnung wegen Besorgnisses der Befangenheit ist gem. § 42 II ZPO, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn objektive ___________ 553) Ausführlich: Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 187; zur Anwendbarkeit anwaltlichen Berufsrechts später unter Rn. 583; Thole hält hingegen besonders die Reichweite des Verbots, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43 a IV BRAO), und des Vorbefassungsverbots (§ 45 BRAO) in Bezug auf das Insolvenzverfahren und die Restrukturierung für weder geklärt noch bisher überhaupt umfassend als ein Problem anerkannt zu sein, Thole, NZI 2017, 737 (741). 554) Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. 555) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (138). 556) Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 477; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. 557) Epping/Hillgruber/Morgenthaler, Art. 97 GG, Rn. 1 ff.; detailliert auch, Frege, in: Insolvenzrecht 2.020, S. 47 (60).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.558) Die §§ 41 ff. ZPO sind also maßgeblich vom richterlichen Amtsverständnis und der 267 verfassungsrechtlichen Tätigkeit des Richters geprägt und können daher nicht auf freiberuflich tätige Personen übertragen werden.559) Mangels planwidriger Regelungslücke und einer fehlenden Vergleichbarkeit der Tatbestände kommt eine analoge Anwendung der §§ 41 ff. ZPO demnach nicht in Betracht.560)

(2) Wertung der §§ 41 ff. ZPO Trotz Verneinung einer Analogie zu den §§ 41 ff. ZPO werden die Kerngedanken 268 bzw. Wertungen der §§ 41 ff. ZPO auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters übertragen.561) Die Kerngedanken der §§ 41 ff. ZPO haben sich wiederum an Sinn und Zweck des § 56 InsO zu orientieren und müssen sich in das System der InsO einfügen. Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ist auf den ersten Blick die Befriedigung der Gläubiger (§ 1 S. 1 InsO), ferner soll es aber gerade auch den redlichen Schuldner nicht rechtlos stellen (§ 1 S. 2 InsO). Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters dient damit auch dem Schutz des Insolvenzschuldners (in dessen Rechte durch das Verfahren schließlich eingegriffen wird) vor einer einseitigen Verfahrensführung.562) Der Insolvenzverwalter muss daher frei von Bindungen einzelner Gläubiger oder dem Schuldner sein, die geeignet sind, die Verwirklichung der beschriebenen Ziele des § 1 InsO zu vereiteln. Aus dem zu § 42 ZPO Ausgeführten kann hier gefolgert werden, dass auch die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters dann fehlt, wenn objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Schuldners oder eines Gläubigers aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Insolvenzverwalter werde seine ihm nach der InsO zu___________ 558) Vorwerk/Wolf/Vossler, § 42 ZPO, Rn. 4 ff.; Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (139). 559) Vgl. Kumpan, KTS 2010, 169 (174); Prütting, ZIP 2002, 1965 (1969). 560) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (140); Prütting, ZIP 2002, 1965 (1969); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 42; a. A. noch Graeber, NZI 2002, 345 (346) mit Verweis auf BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89 = NJW 1991, 982, das jedoch keine analoge Anwendung der §§ 41 ff. ZPO vornimmt oder anklingen lässt, sondern diese als „Richtlinien“ für eine Anzeigepflicht des Verwalters heranzieht. 561) Vgl. Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (141); Frege, in: Insolvenzrecht 2.020, S. 47 (62); Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 95; Prütting, ZIP 2002, 1965 (1970); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 42; dem Grunde nach auch Kumpan, der bzgl. § 42 ZPO jedoch zu einer zurückhaltenden Heranziehung mahnt, Kumpan, KTS 2010, 169 (175). 562) FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 11; Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1052); so bereits auch Jaeger, Konkursrecht (1924), S. 60.

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gewiesen Aufgaben nicht in der Weise wahrnehmen, dass die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung erreicht und die Restschuldbefreiung des Schuldners ermöglicht wird.563) Überwiegend wird für das Vorliegen solcher Umstände bereits die bloße Möglichkeit einer Pflichtwidrigkeit, bzw. die Besorgnis einer Interessenkollision für ausreichend erachtet.564) Prütting sieht in einem Verfahren wie der Insolvenzabwicklung bereits bei eben solchen Besorgnissen den Vertrauenstatbestand der Unparteilichkeit als erschüttert an. Der Begriff der Besorgnis der Befangenheit sei in der Weise auszulegen, dass es nicht auf tatsächliche Parteilichkeit ankäme, sondern Umstände vorlägen, die berechtige Zweifel aus der Sicht eines vernünftigen Dritten an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit hervorriefen. Die Tatsachen, die die Besorgnis hervorriefen, müssten objektiv vorliegen. Nicht erforderlich sei jedoch der Nachweis, dass die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit des Insolvenzverwalters als solche objektiv bestehe oder nicht bestehe.565)

269 Wann die Voraussetzungen für eine Unabhängigkeit erfüllt sind, ist stets im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu entscheiden.566) Für bestimmte Fallkonstellationen kann dennoch der Versuch unternommen werden, entsprechende Fallgruppen zu bilden.

(3) Konkretisierung des Unabhängigkeitsgebotes 270 In Bezug auf die in § 41 Nr. 1-3 ZPO dargelegten Ausschlussgründe, setzt die Unabhängigkeit im insolvenzrechtlichen Sinne unstreitig zwingend die Personenverschiedenheit des Insolvenzverwalters von Gläubigern und Schuldnern voraus. Ferner aber auch wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Insolvenzmasse als Träger der Schuldnerrolle sowie in Form eines Nicht-betroffen-seins einer Gläubigerposition, zwingend also auch das Fehlen gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen und wirtschaftlicher Verflechtungen.567)

___________ 563) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/150 = NZI 2017, 667 (668f.); so bereits, Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (141). 564) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 36; Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 107; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 25; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 42; ders., ZInsO 2018, 2613 (2619); entsprechende Zweifel könne nach Schumann bereits begründet sein, wenn der Insolvenzverwalter wiederholt durch die selben Gläubiger gewählt wurde, Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1060). 565) Prütting, ZIP 2002, 1965 (1970). 566) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (142); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 270f. 567) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (141); Kumpan, KTS 2010, 169 (174); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 42.

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Zunächst soll die Unabhängigkeit vom Schuldner betrachtet werden: Schon Schumann 271 konstatierte, dass die erforderliche Unabhängigkeit vom Insolvenzschuldner bereits dann fehle, wenn er in der Vergangenheit oder zum Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens in der Sphäre des Schuldners tätig geworden sei, sei es für diesen selbst oder nur für dessen Angehörige (§ 138 InsO) oder gar nur als „Sanierer“.568) Darüber hinaus ist ein Verwalter konsequenterweise nicht mehr unabhängig, wenn er den Schuldner im Hinblick auf das anstehende Verfahren bereits vertreten, beraten oder als deren Abschlussprüfer fungiert hat.569) Auch eine außergerichtliche oder vorinsolvenzliche Sanierungstätigkeit lässt die Unabhängigkeit des Verwalters für das spätere Verfahren entfallen. Müsste der außergerichtliche Sanierer seine frühere Tätigkeit, insbesondere häufig realisierte Anfechtungstatbestände, im Rahmen des Insolvenzverfahrens dann doch selbst kontrollieren.570) Dadurch, dass der Gesetzgeber mit § 56 I 4 Nr. 1, 2 InsO nun den Kontakt zwischen dem vorgeschlagenen Insolvenzverwalter und dem Schuldner ausdrücklich erlaubt, ist zu schlussfolgern, dass über diesen Rahmen hinausgehende Beratungen dann als unzulässig anzusehen sind. Der Verwalter darf bei einer allgemeinen Beratung nicht gestaltend oder nach außen tätig werden.571) Entsprechende Beratungen führen nun auch im Rahmen der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten zu einer fehlenden Unabhängigkeit.572) Pape hält es derweil für lebensfremd und naiv, davon auszugehen, dass ein Schuldner, der sich in wirtschaftlicher Bedrängnis befindet, einen potenziellen Insolvenzverwalter aufsuchen würde, um sich ohne die Darstellung seiner eigenen Probleme und der Frage nach Lösungen zunächst einmal abstrakt beraten zu lassen, wie ein Insolvenzverfahren überhaupt ablaufe.573) § 56 I 4 Nr. 2 InsO sei daher abzuschaffen.574) Schwieriger ist es, den zulässigen Umfang entsprechender Tätigkeiten für einen 272 Gläubiger zu bestimmen. Konkretisiert wird das Unabhängigkeitsgebot durch die

___________ 568) Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1051). 569) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (142). 570) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 5; Zipperer hält eine außergerichtliche Sanierungsberatung für unschädlich, wenn lediglich zum Insolvenzantrag geraten wird und der Kandidat nicht aktiv Sanierungsbemühungen unternimmt, Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 41; ebenso MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 34. 571) K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 23; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 43. 572) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 16; Pannen/Riedemann/Smid/Pannen, § 74 StaRUG, Rn. 17 mit entsprechenden Fallgruppen. 573) Pape, ZInsO 2018, 2725 (2732); ebenso kritisch auch, Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2619), der von der Schaffung einer Grauzone spricht, die zu Missbräuchen geradezu einlade; vgl. dazu BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511f.). 574) Pape, ZInsO 2018, 2725 (2732).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

VID-Berufsgrundsätze575) und die GOI576). Nach § 4 I der Berufsgrundsätze muss der Insolvenzverwalter alles vermeiden, was berechtigte Zweifel an seiner Unabhängigkeit hervorruft. Auch die Berufsgrundsätze verlangen also eine recht restriktive Auslegung des Unabhängigkeitsgebots. Im Blick auf die Unabhängigkeit von Gläubigern halten §§ 4 II d), 8 Nr. 1 der Berufsgrundsätze fest, dass die erforderliche Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters nicht gegeben ist, wenn „ein verfahrensbeteiligter Großgläubiger, Kreditversicherer oder anderer institutioneller Gläubiger von dem Insolvenzverwalter oder einer mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Person ständig in Insolvenzrechtsangelegenheiten, z. B. auch durch die Übernahme von Poolverwaltungen, betreut wird.“ Grundsatz 24 der GOI verpflichten den Verwalter, mögliche Interessenkonflikte sofort – auch ungefragt – umfassend zu offenbaren. Dies betreffe auch Gründe, die nur den Anschein der Unparteilichkeit erwecken könnten. Der VID konkretisiert mithin, was zum Teil durch die Rechtsprechung oder Literatur ohnehin als gesichert angesehen werden kann (Offenlegungspflichten), zum Teil beziehen sie jedoch auch bei höchst umstrittenen Fragen wie der Unabhängigkeit bei Poolverwaltungen577) klar Stellung und konturieren das Unabhängigkeitsgebot gar mit einer zeitlichen Grenze578).579)

273 Schwierig zu beurteilen ist im Rahmen geschäftlicher Beziehungen, wie erheblich bzw. bedeutsam Beziehungen sein müssen, bis sie zur Gefährdung der Unabhängigkeit des Verwalters führen. Hier wird eine Übertragung der Wertungen in Zusammenhang mit dem Abschlussprüfer gem. § 319 HGB oder mit Ratingagenturen erwogen. Beziehen diese einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung, so wird ein Interessenkonflikt angenommen, der zu einem Ausschluss (bei Abschlussprüfern bei 30 % der Gesamteinnahmen) oder zumindest zu

___________ 575) Abrufbar unter: https://www.vid.de/der-verband/qualitaetsstandards/berufsgrundsaetze/ (zuletzt geöffnet am: 14.6.2023). 576) In der Beschlussfassung vom 22.4.2016 abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/ uploads/2016/09/goi-1-2016-vom-22.04.2016.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 577) Generell bejaht von: Graeber, NZI 2002, 345 (349f.); MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 35; von einer gebotenen Einzelfallentscheidung abhängig: Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 93; Prütting, ZIP 2002, 1965 (1971); Riggert, NZI 2002, 352 (356). 578) § 4 II c) VID-Berufsgrundsätze legt fest, dass die erforderliche Unabhängigkeit nicht gegeben ist, wenn der Verwalter „innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Schuldner oder eine diesem nahestehende Person (§ 138 InsO) mittelbar oder unmittelbar vertreten oder beraten hat.“ und sie sich nicht in den Grenzen des genannten § 56 I 4 Nr. 2 InsO bewegt. 579) Was konkret unter eine entsprechende Vorbefassung, bzw. allg. Beratung i. S. v. § 56 I 4 Nr. 2 InsO zu subsumieren ist, ist derweil noch nicht abschließend geklärt, vgl. Graf-Schlicker §§ 56, 56a, Rn. 68 ff.; Westermann, Die Auswahl und die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters im Widerstreit der Interessen von Gläubigern und Schuldner, S. 85 ff.

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einer Pflicht zur Veröffentlichung des Namens des Geschäftspartners (für Ratingagenturen bei 5 % der Jahreseinnahmen)580) führt.581) Eine entsprechend restriktive Auslegung des Unabhängigkeitsgebots, die bereits 274 Besorgnisse über oder den Anschein von Interessenkollisionen bzw. einer Parteilichkeit ausreichen lässt, erscheint auch mit Blick auf die neueren Partizipationsmöglichkeiten der Beteiligten (§§ 56 I 4, 56a II, 270b II 2 InsO a. F. [§ 207d II 3 InsO n. F.])582) noch immer als zeitgemäß.583) Sie werden auch in Bezug auf den Restrukturierungsbeauftragten bisweilen nahezu identisch gehandhabt.584) Differenziert werden sollte in jedem Fall nach Dauer, Aktualität, wirtschaftlicher Bedeutung und dem zeitlichen Abstand einer etwaigen Vorbefassung.585) Dass allgemein widerkehrende Mandatsbeziehungen zu Großgläubigern nach Ries nicht per se als unabhängigkeitsschädlich anzusehen sind,586) lässt sich allerdings nicht mit den Verfahrenszielen und zu schützenden Interessen der Verfahrensbeteiligten vereinbaren. Strenge Maßstäbe an die Unabhängigkeit des Verwalters zu stellen, liegt vielmehr im Interesse einer funktionierenden Insolvenzverwaltung.587) Bestehen doch gerade in diesem Bereich oftmals Umstände, die die Besorgnis einer Abhängigkeit bzw. Verstrickung begründen können und daher eine nähere Betrachtung bestehender Beziehungen durch das Insolvenzgericht, etwa durch eine schriftliche oder mündliche Befragung588), erfordern und auf die der Insolvenzverwalter selbst folglich während des gesamten Verfahrens hinweisen muss.589) ___________ 580) Vgl. Anhang I, Abschn. B Nr. (2) der Verodnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 über Ratingagenturen. 581) Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 192; a. A. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 164f. 582) Die an der ESUG-Evaluation beteiligten Forscher kommen derweil zu dem Ergebnis, dass es innerhalb des Regelverfahrens lediglich geringe insolvenzwidrige Einflussmöglichkeiten der Gläubiger und Schuldner auf die Auswahl des Insolvenzverwalter gäbe und diese durch die ESUGReform nicht verstärkt wurden. Es bestünde daher kein Handlungsbedarf. Die Unabhängigkeit der Insolvenzverwalter sei durch die neuen Partizipationsmöglichkeiten nicht gefährdet, vgl. Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ZInsO 2018, 2402 (2409); Gesamtergebnis ESUG-Evaluation, S. 215, 220, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/ 101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=1D50FCA2FC2D711C30CC888CEDF CF76F.1_cid334?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt geöffnet am: 14.6.2023). 583) So auch Hölzle, ZIP 2013, 447 (448). 584) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 16; Pannen/Riedemann/Smid/Pannen, § 74 StaRUG, Rn. 17 mit entsprechenden Fallgruppen. 585) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 44; Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (153). 586) K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 24. 587) Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149. 588) MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 31c, ggf. auch Einholung einer eidesstattlichen Versicherung (Rn. 31d); K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 23, bspw. durch summarische Prüfung und kursorische Befragung von Beteiligten. 589) Frind, ZInsO 2017, 363 (364f.); MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 53; so auch für den Restrukturierungsbeauftragten, BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 16; Pannen/ Riedemann/Smid/Pannen, § 74 StaRUG, Rn. 18.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

275 Schädlich dürften entsprechende Mandatsbeziehungen somit per se sein. Dennoch dürfen sie nicht zu einem generellen oder vorsorglichen Ausschluss des Insolvenzverwalters aufgrund fehlender Unabhängigkeit führen. Ob eine entsprechende Besorgnis abschließend durchgreifend ist und die Ziele des jeweiligen Insolvenzverfahrens gefährden würde, muss daher schlussendlich immer Gegenstand einer einzelfallbezogenen Prüfung des Insolvenzrichters sein.590)

bb) Disponibilität des Unabhängigkeitsgebots durch Gläubigerbeteiligung? 276 Auch im Blick auf verbindliche Gläubiger- (§ 56a II InsO) bzw. Schuldnervorschläge (270b II 2 InsO a. F. [§ 207d II 3 InsO n. F.]591)) für die Benennung des Verwalters obliegt es nach überwiegender Ansicht dem Insolvenzgericht in Ansehung der Ziele eines Insolvenzverfahrens – also der Gläubiger- und Schuldnerautonomie (§ 1 InsO) sowie der systematischen Verbundenheit mit der Grundnorm des § 56 InsO – den jeweils vorgeschlagenen Kandidaten auf seine Eignung und damit auch auf seine Unabhängigkeit hin zu prüfen.592) Die Beteiligungs- bzw. Vorschlagsmöglichkeiten der am Verfahren Beteiligten haben in jüngerer Vergangenheit zu einer Diskussion über die Disponibilität des Unabhängigkeitsgebotes und der erwähnten Prüfungsmöglichkeit der Insolvenzgerichte geführt.593)

277 Schmidt/Hölzle stellen die Unabhängigkeit im Hinblick auf eine etwaige Vorbefassung des Prätendenten zur Disposition des vorläufigen Gläubigerausschusses. Im Falle eines einstimmigen Votums könnten die Gläubiger auf einen Nachweis der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters mit bindender Wirkung für das Gericht verzichten.594) Schmidt/Hölzle halten die Unabhängigkeit nicht für ein Eignungskriterium des Insolvenzverwalters, sondern für ein subjektives Kriterium, das der Akzeptanz der vorgeschlagenen Person bei den Verfahrensbeteiligten diene und ___________ 590) Graf-Schlicker, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, S. 135 (142); Etwaige Vorbefassungen anderer Mitglieder einer Sozietät sind ebenfalls zu berücksichtigen, in dieser Hinsicht wird folglich auf § 45 III BRAO zurückgegriffen, vgl. Prütting, ZIP 2002, 1965 (1973); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 41. 591) Dazu, AG München, Beschl. v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12 = ZIP 2012, 789 ff.; AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12 = ZIP 2012, 1308 ff.; Frege, in: Insolvenzrecht 2.020, S. 47 (59). 592) Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 37.1 m. w. N.; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 70 f.; Uhlenbruck/Zipperer, § 56a InsO, Rn. 9; so auch für den Restrukturierungsbeauftragten, Pannen/Riedemann/Smid/Pannen, § 74 StaRUG, Rn. 24, 28. 593) Vgl. hierzu auch die vieldiskutierte Entscheidung des AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12 = ZIP 2012, 1875, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Das Gericht lehnte den Sachwaltervorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses deshalb ab, weil die Begebung eines Massedarlehens an die Bestellung seiner Person gebunden war, damit läge ein Eingriff in die Entscheidungskompetenz des Gerichts vor und der Sachwalter sei nicht unabhängig i. S. v. § 56 I 1 InsO. Die darauffolgende Diskussion darstellend, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Göcke, § 56 InsO, Rn. 37.1 m. w. N. 594) Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 (2244).

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

deshalb – anders als die sachlich-fachliche Befähigung – zur Disposition der Gläubiger stehe. Im Falle eines einstimmigen Vorschlags des Gläubigerausschusses gebe es keinen Grund, die Gläubiger seitens des Gerichtes noch vor sich selbst schützen zu müssen. Dies ergebe sich aus dem Willen des Gesetzgebers, insbesondere aus den Beratungen des Rechtsausschusses zu dem – nicht Gesetz gewordenen – § 56 I Nr. 3 InsO-RegE, wonach die vorinsolvenzliche Erstellung eines Insolvenzplans die Unabhängigkeit nicht ausschließen sollte.595) Bork sowie Vallender/Zipperer folgen den genannten Thesen indes nicht. Bork hält 278 fest, dass allein aus der Streichung des § 56 I 3 Nr. 3 InsO-RegE gefolgert werden könne, dass der Gesetzgeber bei der derzeitigen Einzefallprüfung bleibe, indem er drauf verzichtet, den Gerichten zu verbieten, von der Planerstellung oder Sanierungsberatung auf eine fehlende Unabhängigkeit zu schließen.596) Auch ohne die Kodifizierung der Nr. 3 könne der Gläubigerausschuss gem. § 56a II InsO den Planersteller als Insolvenzverwalter bestellen und das Gericht sich für ihn nach ergangener Prüfung der Eignung entscheiden.597) Ein durch den vorläufigen Gläubigerausschuss festgelegtes Anforderungsprofil könne das Gericht aber nicht von einer Unabhängigkeitsprüfung entbinden. Vorschläge die nicht mit Recht und Gesetz übereinstimmen, seien für das Gericht gerade nicht bindend. Der vorläufige Gläubigerausschuss unterliege den gleichen Bindungen wie das Gericht und sei damit an das Gesetz und die einschlägige Rechtsprechung gebunden.598) Der Wille, auf eine entsprechende Unabhängigkeitsprüfung zu verzichten und diese dem Gläubigerausschuss anheim zu stellen599), ergebe sich aus der Streichung des § 56 I 3 Nr. 3 InsO-RegE und der Begründung des Rechtsausschusses nicht.600) Vielmehr ergebe eine methodisch korrekte Auslegung, dass die Unabhängigkeit 279 des Insolvenzverwalters nicht zur Disponibilität des Gläubigerausschusses stehe, sondern stets einzuhalten sei. So verwende § 56a II 1 InsO die Negation des Geeignetheitsbegriffes des § 56 I 1 InsO und mache sich die dortige Begrifflichkeit zu eigen. Schon systematisch sei daher auf die Grundnorm des § 56 InsO zurückzu-

___________ Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 (2240f., 2242). Bork, ZIP 2013, 145 (146). Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (150); FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 9. Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (152); vgl. BR-Drucks. 127/11, S. 36 in der es heißt: „Dabei darf das beschlossene Anforderungsprofil jedoch selbstverständlich nur solche Anforderungen enthalten, die mit dem Gesetz übereinstimmen bzw. von der Rechtsprechung nicht als unzulässig verworfen worden sind“. 599) So aber Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 (2242). 600) Bork, ZIP 2013, 145 (145f.); Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 72; Vallender/ Zipperer, ZIP 2013, 149 (149f.).

595) 596) 597) 598)

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

greifen. Geeignetheit erfordere wiederum nach klarem Wortlaut des § 56 InsO „insbesondere“ Geschäftskunde „und“ Unabhängigkeit.601)

280 Auch Sinn und Zweck schlössen die Disponibilität des Unabhängigkeitsgebotes aus. Die Argumentation von Schmidt/Hölzle, die Gläubiger müssten nicht vor sich selbst geschützt werden, sondern könnten durch die Benennung und den ausdrücklichen Verzicht auf ihren Gläubigerschutz und das Unabhängigkeitsgebot über dieses disponieren, verfängt sich. Diese Überlegung unterstelle, dass nur Gläubigerinteressen bei der Bestellentscheidung zu berücksichtigen und zu schützen seien. Die richterliche Bestellentscheidung unterliege als Ermessensentscheidung rechtlicher Bindung, sie müsse den jeweiligen Sachbereich angemessen vollständig in den Blick nehmen, dürfe keine allgemein gültigen Bewertungsmaßstäbe verletzen und sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Dies liege im Interesse des Gemeinschuldners und der Gläubiger, vor allem aber eben auch im öffentlichen Interesse an einer geordneten und effizienten Rechtspflege,602) bzw. an einer „geordneten und neutralen staatlichen Rechtsfürsorge“.603) Die genannte Argumentation von Schmidt/Hölzle führe damit zu einer Reduktion des Unabhängigkeitsgebotes und des Telos der §§ 56, 56a InsO, allein auf die Gläubigerinteressen.

281 Das Vertrauen der Gläubiger in die Person eines vorbefassten Bewerbers stärke jedoch nicht zugleich auch die Akzeptanz in das Verfahren an sich bzw. das Vertrauen in eine geordnete und effiziente Rechtspflege. Auch die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters garantiere, ähnlich wie die des Richters, ein faires Verfahren und leiste damit einen Beitrag zu einer funktionierenden Rechtpflege.604)

282 Das Unabhängigkeitsgebot ist somit nicht disponibel, weder durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 57 InsO, noch durch einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 56a II InsO.605) Der Gesetzgeber hat durch die entsprechenden Normen klar zum Ausdruck gebracht, dass Zweifel an der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters nicht bereits bestehen, wenn er ___________ 601) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 71f.; Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (150f.); so auch Bork, ZIP 2013, 145 (149), der mit Verweis auf einen die gerichtliche Auswahlentscheidung korrigierenden Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 57 I 3 InsO, bei dem unstreitig eine Unabhängigkeitsprüfung erfolgen würde, den Schluss zieht, dass eine Unabhängigkeitsprüfung dann erst Recht bei einem, wenn auch einstimmigen, Vorschlag (!) des Gläubigerausschusses erfolgen müsse. Dass die Entscheidung eines vorläufigen, bei Eigenantrag unter starker Mitwirkung des antragstellenden Schuldners zusammengesetzten Vertretungsgremiums größeres Gewicht gegenüber dem Gericht haben soll als die der Gläubigerversammlung im eröffneten Verfahren, sei kaum begründbar; daraufhin widersprechend, Hölzle, ZIP 2013, 447 (449f.). 602) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576). 603) Bork, ZIP 2013, 145 (148). 604) Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (151); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2619). 605) Bork, ZIP 2013, 145 (149); HambKomm/Frind, § 56a InsO, Rn. 26 ff.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

durch die Gläubiger oder einen anderen Verfahrensbeteiligten vorgeschlagen wird.606) Dies hat er nun erneut mit § 74 II 2 StaRUG und der dazugehörigen Gesetzesbegründung bekräftigt.607) Sicherlich kann es aus zeitlichen und finanziellen Gründen sinnvoll sein, einen vorbefassten Verwalter vorzuschlagen und diesen dann für das jeweilige Verfahren letztendlich auch auszuwählen.608) An einen entsprechenden Vorschlag ist das Insolvenzgericht grundsätzlich auch gebunden, allerdings nur insoweit, als das der Kandidat auch für das Amt i. S. v. § 56 I InsO geeignet ist.609), 610) Das Insolvenzgericht ist folglich nicht von der Prüfung des Unabhängigkeitsgebotes entbunden. Kam es in der Vergangenheit seitens des Vorgeschlagenen oder seiner Kanzlei jedoch zu beruflichen Kontakten mit den Gläubigern oder dem Schuldner, wie einem gescheiterten Sanierungsversuch und langjährigen Beratungsleistungen, die eine distanzierte und unvoreingenommene Ausübung seines Verwaltungsermessens zu beeinflussen mögen, muss das Gericht eine Bestellung in jedem Fall versagen.611) Aufgrund der Negation der Geeignetheit im Wortlaut der §§ 56a II, 270b II 2 InsO 283 a. F. [§ 207d II 3 InsO n. F.]612), muss diese allerdings nicht positiv festgestellt werden. Die gerichtliche Prüfungspflicht beschränkt sich auf eine Nichteignungsfeststellung. Es genügt die Abwesenheit von Anhaltspunkten, die die Ungeeignetheit und damit die Unabhängigkeit begründen würden. Bei Ausbleiben solcher Anhaltspunkte ist das Gericht dann an den Vorschlag gebunden.613)

___________ 606) FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 9; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 34a. 607) BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 18; Begr. Zu § 81 II RegE SanInsFoG (neu: § 74 II), 172, abgedruck: BraunStaRUG/Blümle/Erbe, Anhang C, Rn. 409. 608) Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 (2238). 609) So nun auch für den Restrukturierungsbeauftragten, BraunStaRUG/Blümle/Erbe, § 74 StaRUG, Rn. 18. 610) Uhlenbruck/Zipperer, § 56a InsO, Rn. 8; besorgniserregend sind hingegen Berichte nach denen einzelne Insolvenzgerichte auch immer noch Kandidaten ablehnen, nur weil sie vorgeschlagen worden sind, hierzu bereits Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 101; oder solche, wonach bereits eine Kontaktaufnahme des vorinsolvenzlichen Beraters mit dem Verwalterkandidaten die Gefahr einer unzulässigen Vorbefassung begründe, Hölzle, ZIP 2013, 447 (448). 611) FK-InsO/Jahntz, § 56 InsO, Rn. 9; detailliert, MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 31 – 34; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 44; Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (151, 153); K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 23, der festhält, dass der Verwalter „in keiner Form – gestaltend oder sonst nach außen reagierend, erst recht nicht potenziell anfechtungsrelevant – in die Geschehensabläufe eingegriffen“ haben darf. 612) Für den Bescheiniger im Schutzschirmverfahren stellte das AG München fest, dass es im Hinblick auf die auch für die Gläubigerinteressen bei einem Schutzschirmverfahren nach 270b II 2 InsO a. F. [§ 207d II 3 InsO n. F.] geboten sei, ein solches Verfahren von einer neutralen, unabhängigen Person überprüfen und bescheinigen zu lassen. Diese Voraussetzung sei bei einem langjährigen steuerlichen und wirtschaftlichen Berater des Schuldners nicht gegeben, AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12 = ZIP 2012, 1308 ff. 613) FK-InsO/Jahntz, § 56a InsO, Rn. 38; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 70; MüKoInsO/ Graeber, § 56a InsO, Rn. 37; Uhlenbruck/Zipperer, § 56a InsO, Rn. 9.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

cc) Folgen eines Verstoßes gegen Offenlegungspflichten und das Unabhängigkeitsgebot 284 Zeigt der Insolvenzverwalter Umstände, die seine Abhängigkeit mit einem Verfahrensbeteiligten erkennen lassen können, nicht von sich aus an, so kann dies – wie auch allein das Fehlen der Unabhängigkeit – einen ausreichenden Grund darstellen, den Insolvenzverwalter für generell ungeeignet zu erklären oder gar nach § 59 I InsO zu entlassen.614) Nach § 59 I 3 InsO haben nun auch Schuldner und Gläubiger die Möglichkeit die Entlassung eines Verwalters zu verlangen, dies jedoch zur Vermeidung einer latenten Abberufungsmöglichkeit, die letztlich für alle Beteiligten auch zu nicht hinnehmbaren Unsicherheiten führen würde, nur bei fehlender Unabhängigkeit des Verwalters und nur innerhalb von sechs Monaten nach seiner Bestellung.615)

285 Vor kurzer Zeit gab der Bundesgerichtshof einem Entlassungsantrag eines Gläubigerausschusses statt, den dieser zwei Jahre nach Verfahrenseröffnung gestellt hatte. In diesem Fall hatte der Insolvenzverwalter zwar offengelegt, bei der Gründung der Schuldnerin involviert gewesen zu sein; eine mehr als zehn Jahre zurückliegende Tätigkeit als Treuhänder von Geschäftsanteilen und als Steuerberater des Geschäftsführers der Schuldnerin hatte er allerdings nicht erwähnt.616) Der Beschluss verdeutlicht die für die Rechtsprechung überragende Bedeutung des Unabhängigkeitsgebots gleichermaßen wie die Angewiesenheit der Gerichte auf die Offenlegungspflicht der Verwalter, auf die sich ihre Kenntnis bei der Bestellentscheidung beschränkt und auf die sie sich verlassen müssen. Schließlich droht den Insolvenzverwaltern gleichzeitig eine Schadensersatzpflicht aus § 60 InsO und die Verwirkung ihrer Vergütungsansprüche entsprechend § 654 BGB.617) Für den Restrukturierungsbeauftragten hat der Gesetzgeber eine entsprechende Schadensersatzpflicht in § 75 IV 3 StaRUG geregelt.

dd) Zwischenergebnis 286 Eine restriktive Auslegung des Unabhängigkeitsgebotes ist bei der Bestellung des Insolvenzverwalters erforderlich und geboten und dürfte nun auch für den Restrukturierungsbeauftragten des StaRUG Anwendung finden. Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters schützt die Ziele des Insolvenzverfahren sowie gleichermaßen die Interessen der Gläubiger und des Schuldners und nicht zuletzt das öffentliche Interesse und Vertrauen in eine geordnete und effiziente Rechtspflege. Für die Prüfung der Unabhängigkeit ist de lege lata in jedem Fall zu prüfen, ob der Verwalter ___________ 614) 615) 616) 617)

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BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15 = NZI 2017, 667; Pape, ZInsO 2018, 2725 (2732). Braun/Blümle, § 59 InsO, Rn. 14. BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15 = NZI 2017, 667. BGH, Beschl. v. 14.7.2016 í IX ZB 52/15 = NZI 2016, 892; BGH, Beschl. v. 21.9.2017 – IX ZB 28/14 = NZI 2017, 988.

A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

selbst Gläubiger oder Schuldner in dem gegenständlichen Verfahren sein könnte, ob er geschäftliche Beziehungen zum Schuldner oder zu den Gläubigern unterhält, ob Beziehungen zu nahestehenden Personen i. S. v. § 138 InsO bestehen oder er eigene Vermögensinteressen in Bezug auf die Insolvenzmasse verfolgt. Die Stärkung und Ausweitung der Gläubigerautonomie und die Einflussnahme von 287 Gläubigern und Schuldnern bei der Auswahl des Insolvenzverwalters stellt grundsätzlich ein legitimes und zielführendes Mittel zur Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens dar. Sie führen nicht zu einer insolvenzwidrigen Abhängigkeit der Insolvenzverwalter von einzelnen Verfahrensbeteiligten.618) Vorschläge von Gläubigern oder Schuldnern sowohl im Rahmen der InsO, als auch im Rahmen des StaRUG sind jedoch gleichwohl an die gesetzlichen Vorgaben gebunden und können einer, wenn auch nicht gänzlich ermessensfreien, gerichtlichen Prüfung nicht entzogen werden. Eine stärkere systematische Konkretisierung des Unabhängigkeitsgebots anhand 288 anderer Vorschriften ist nur begrenzt möglich. Eine einheitliche Konturierung durch den Gesetzgeber selbst, ähnlich der §§ 41 ff. ZPO und der VID-Berufsgrundsätze oder entsprechend durch einige spezielle Fragebögen der Insolvenzgerichte sollte angestrebt werden. Die Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten in diesem Bereich wird den außerordentlich wichtigen Zielen des Insolvenzverfahrens sowie dem öffentlichen Interesse an mehr Rechtssicherheit sowie einer geordneten und effizienten, rechtsstaatlichen Rechtspflege nicht gerecht.619)

d) Ortsnähe Zuvor wurde festgestellt, dass das Kriterium der Ortsnähe für die Vorauswahllis- 289 tenentscheidung ungeeignet ist.620) Im Rahmen der Bestellentscheidung, also auf „zweiter Stufe“, wird dem Kriterium der Ortsnähe allerdings nach wie vor Bedeutung zugemessen.621) So stellte der Bundesgerichtshof ausdrücklich fest, dass eine ortsnahe Präsenz des Verwalters bei der Betreuung von Verbraucher- und kleinen Regelinsolvenzen im konkreten Einzelfall durchaus sinnvoll sein kann.622) Dabei betont der Bundesgerichtshof ausdrücklich eine Nähe zum Schuldner und ggf. zu einzelnen Gläubigern, nicht aber zum Insolvenzgericht selbst, wie zuvor von den ___________ 618) Vgl. dazu den Kurzbericht der ESUG-Evaluation, Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ZInsO 2018, 2402 (2409). 619) Vgl. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 186; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 66 ff., 418f.; Prütting, ZIP 2002, 1965 (1965f.); Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1057); Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (151). 620) Vgl. oben Rn. 201. 621) Kruth, DStR 2017, 669 (671). 622) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

meisten Oberlandesgerichten verlangt. Gerade geschäftlich nicht so erfahrene Verfahrensbeteiligte benötigten ggf. ein nahe gelegenes Büro, um Unterlagen abgeben und Fragen stellen zu können.623) Die Begründung des Bundesgerichtshofs erscheint sachgerecht und praxisnah, zumal entsprechende Verfahren gem. § 5 II 1 InsO regelmäßig ohnehin schriftlich geführt werden. Einer Ortsnähe des Verwalterbüros zum Insolvenzgericht ist daher nachrangige Bedeutung beizumessen.624)

IV. Zusammenfassung 290 Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass es im Rahmen des Vorauswahllisten- und Bestellprozesses zu einer unterschiedlichen Praxis bei den Insolvenzgerichten kommt. Bereits die im Rahmen des gerichtlichen Ermessens aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die Vorauswahlliste werden von den verschiedenen Insolvenzgerichten unterschiedlich gewählt. Im Rahmen der gesetzlich ausdrücklich in § 56 I InsO manifestierten Kriterien kann bei den hier untersuchten Fragebögen ein gewisser Grundkonsens festgestellt werden. Im Rahmen der Geschäftskunde und der Unabhängigkeit gleichen sich die abgefragten Kriterien im Kern. Erst im Detail werden auch hier Unterschiede deutlich, indem im Rahmen der Unabhängigkeit zwar überwiegend Beteiligungen und Tätigkeiten der Verwalteraspiranten in Gesellschaften abgefragt werden, nur vereinzelt jedoch auch weitergehend nach Beratungsmandaten, Poolverwaltertätigkeiten und ähnlichem gefragt wird. Ein erheblicher Unterschied besteht schließlich darin, dass einige Gerichte zur Eignungsfeststellung über die oben dargestellten Kriterien hinaus auch Kennzahlen bzw. etwaige Quoten von den Verwaltern erheben.625) Das Kriterium der Höchstpersönlichkeit wird in den Bewerbungsfragebögen größtenteils ignoriert.

291 Uneinheitlichkeit besteht gerade darin, wie den genannten Anforderungen Genüge getan werden kann und welche Nachweise für bestimmte Eignungskriterien zu erbringen sind.

292 Über die nur beispielhaften Eignungskriterien des § 56 I InsO hinaus haben die Insolvenzgerichte im Rahmen ihres Ermessens eine Reihe weiterer gesetzlich nicht normierter Kriterien herausgebildet. Die Untersuchung der hier vorliegenden Fragebögen größerer Insolvenzgerichte mit einer Verfahrenszahl von über 100 Unternehmensinsolvenzverfahren pro Jahr hat gezeigt, dass auch diese Kriterien dem ersten Anschein nach mittlerweile fast identisch sind. Eine nähere Betrachtung hat allerdings gezeigt, dass gerade bei den ungeschriebenen Kriterien trotz einer Viel___________ 623) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515); dazu auch Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Fn. 354. 624) Das AG Münster sowie AG Dortmund erheben in ihren Bewerbungsfragen derweil immer noch die Entfernung in Kilometern, wie auch die Fahrzeit zum Insolvenzgericht. Dies dürfte nach den genannten Ausführungen des Bundesgerichtshofs derweil als nicht mehr sachgerecht gelten. 625) Dazu sogleich unter Rn. 300.

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A. Funktionsweise und Grundlagen der Vorauswahl- und Bestellentscheidung

zahl höchstrichterlicher Urteile erhebliche Unterschiede bestehen. Einige Insolvenzgerichte holen etwa Auskünfte über die Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Standorten ein, manche fixieren ihre Erhebungen auf den Standort ihres Gerichtsbezirkes und nahe gelegene Standorte. Entsprechende Erhebungen zur Ermittlung der Büroorganisation aber auch zur Erreichbarkeit und Ortsnähe des Verwalterbüros stellen sich als wenig einheitlich dar.626) Sie begegnen mittlerweile auch erheblichen Bedenken in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Ortsnähe sowie die Ausstattung eines ortsnahen Büros gerade nicht als sachgerechte Kriterien für die Vorauswahllistenentscheidung erachtet. Erfreulich ist es hingegen, dass alle untersuchten Insolvenzgerichte den Nachweis einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung einholen, die nach derzeitiger Rechtslage jedoch nicht zwingend vorausgesetzt wird. Nur wenige Insolvenzgerichte erfragen im Rahmen der Bewerbungsfragebögen das 293 Vorliegen etwaiger Zertifikate. Hier offenbart sich ein sehr uneinheitliches Bild. Soweit die untersuchten Insolvenzgerichte solche Nachweise explizit erwähnen, wollen einige den Verwaltern bereits im Rahmen der persönlichen und fachlichen Eignungsprüfung eine entsprechende Nachweismöglichkeit anbieten. Wie aufgezeigt wurde, sind Zertifikate hierfür allerdings als ungeeignet und unsachgemäß anzusehen. Geeignet sind sie lediglich im Rahmen des Nachweises einer funktionierenden Büroorganisation und -ausstattung. Zur Verifizierung dieser Merkmale werden sie allerdings nur von einer Minderzahl der untersuchten Insolvenzgerichte eingesetzt.

V. Zwischenergebnis Die Vorauswahllistenentscheidung wurde durch das Bundesverfassungsgericht als 294 Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG qualifiziert, die durch den unabhängig handelnden Richter ergeht und gegen dessen Entscheidung den Bewerbern uneingeschränkt Rechtsschutz gem. §§ 23 ff. EGGVG zuzugestehen ist. Der Richter wird nicht rechtsprechend, sondern als Justizverwaltungsbehörde, also als Exekutivorgan tätig.627) Die richterliche Bestellentscheidung wurde ebenso weder als Rechtsprechungsakt, 295 noch als klassischer Justizverwaltungsakt eingeordnet; sie ist lediglich eine letzterem angenäherte Entscheidung, gegen die eingeschränkter Rechtsschutz möglich ist. Da die Bestellentscheidung ausdrücklich einem Richtervorbehalt unterliegt und in voller richterlicher Unabhängigkeit ergeht, handelt es sich gegenwärtig um eine Art Justizverwaltungsakt sui generis. Diese Bezeichnung lässt sich durchaus auch für die Vorauswahlentscheidung verwenden. ___________ 626) So bereits berichtet von Uhlenbruck, KTS 1989, 229 (241). 627) Ob die Vorauswahlentscheidung nicht besser als selbstständiger, vorgelagerter, administrativer Organisationsakt des Richters angesehen werden sollte, vgl. später unter: Rn. 471, 542.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

296 Da die Bestellentscheidung de lege lata grundsätzlich nicht zu begründen ist, stellt sie sich für die betroffenen Prätendenten und Gläubiger als intransparent dar. Ihnen ist es nicht möglich, die Entscheidung des Insolvenzrichters nachzuvollziehen.

297 Bereits die exemplarische Untersuchung einiger Fragebögen großer Insolvenzgerichte (die eine deutlich professionellere Gerichtspraxis in Bezug auf Fachkenntnisse und Ausstattung aufweisen dürften, als dies bei vielen kleinen Insolvenzgerichten der Fall sein wird) hat deutliche Unterschiede in den Auswahlverfahren der Gerichte offenbart. Gerade im Rahmen der nicht ausdrücklich in § 56 I InsO genannten Eignungskriterien gibt es deutliche Unterschiede. Unterschiede im Blick auf die Erhebung, Verifizierung und die Strukturierung der Kriterien im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung wirken sich aber konsequent auch auf die nachgelagerte Bestellentscheidung aus.628)

298 Richtigerweise wird dem Insolvenzrichter bei seiner Bestellentscheidung ein Auswahlermessen zugestanden. Indem jeder Insolvenzrichter jedoch auch bei der Ausgestaltung der ohnehin schon unbestimmten Rechtsbegriffe des § 56 I InsO einen weiten Ermessenspielraum hat bzw. der Gesetzgeber von einer näher konturierenden Regelung abgesehen hat, folglich de lege lata eine Art Vakuum629) entstanden ist, kommt es regional und zwischen den Listen der Insolvenzgerichte bzw. der einzelnen Insolvenzrichter zu Unterschieden bei der konkreten Ausgestaltung der verschiedenen Kriterien, zu Unterschieden bei der Anforderung entsprechender Nachweise sowie schließlich auch zu Unterschieden bei der Verwendung und Strukturierung der erhobenen Informationen, und somit im Ergebnis zu regional erheblich unterschiedlichen Auswahlverfahren.630) Der Gesetzgeber hat es insofern in § 56 I InsO nicht vermocht, Rechtsklarheit und damit einhergehend Rechtssicherheit zu schaffen. Auch eine Gleichbehandlung aller Verwalter kann aufgrund der regionalen Unterschiede nicht gewährleistet werden.

299 Hinzu kommt, dass die Kriterien des § 56 InsO, insbesondere das Kriterium der Eignung, die Qualifikation an die Insolvenzverwaltertätigkeit nur in Ansätzen beschreiben, ohne den Insolvenzverwalter jedoch klar als Beruf zu konturieren. In der Folge wurden die Kriterien mühselig durch die Rechtsprechung ausgestaltet, eine wirklich einheitliche Linie kann jedenfalls in praxi nicht beobachtet werden. Vielmehr haben sich lediglich allgemeine Eigenschaften herausbildet, die Verwalter in der Regel mitbringen sollen. Dies hat schließlich auch Auswirkungen auf die ___________ 628) Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 424f. 629) Niering spricht insofern von einem „durch die Untätigkeit des Gesetzgebers entstandene(n) ordnungspolitische(n) Vakuum“, Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise GrafSchlicker, S. 643 (652). 630) Dies wird mit Blick auf die Vorgaben der Art. 10 III, IV Dienstleistungsrichtlinie als unzulässig angesehen, Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 249.

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B. Unterschiedliche Systeme der Vorauswahldatenerhebung

Gesamtqualität des Insolvenzverfahrens631) und wird sich mutmaßlich zukünftig ebenfalls auf die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators auswirken.

B. Unterschiedliche Systeme zur Erhebung, Verifizierung und Strukturierung der Vorauswahllistendaten Über die oben untersuchten Kriterien hinaus, erheben einige Insolvenzgerichte mit- 300 tels ihrer Bewerbungsfragebögen auch Kennzahlen und verschiedene Quoten, um über die Qualifikationsnachweise hinaus noch weitere Daten zur Bewertung der Qualität eines Bewerbers hinzuziehen zu können. Soweit es vereinzelt zur Verwendung solcher Fragebögen kommt, weisen sie gänzlich unterschiedliche Ausgestaltungen auf, sie erheben teils unterschiedliche Kennzahlen und werten sie schließlich mittels verschiedener Methoden aus. Die verschiedenen Modelle sollen im Folgenden kurz dargestellt und anschließend 301 einer kritischen Beurteilung unterzogen werden.

I.

Die Kennzahlenbasierte Qualitätsmessung der Verwalter

Um die Eignung der Verwalteraspiranten gem. § 56 I InsO feststellen zu können, 302 ermitteln einige Gerichte neben den oben gezeigten Kriterien verschiedene Kennzahlen, um so die Qualität und den Erfolg der Arbeit des Verwalters zu veranschaulichen und bewertbar zu machen. Zumeist wird dabei zunächst abgefragt, wie viel Prozent der übertragenen Insolvenzverfahren eröffnet wurden und wie viele der Unternehmen fortgeführt wurden. Ferner werden sodann verschiedene Quoten zur Erfolgsmessung abgefragt, etwa die Quote der erhaltenen Arbeitsplätze, Mehrung der Masse mittels Durchsetzung von Ansprüchen gegen Dritte, die durchschnittliche Mehrung der Masse sowie zum Teil auch der prozentuale Anteil der unmittelbaren und mittelbaren Verwaltungs- und Verfahrenskosten an der Gesamtmasse.632) Andere Gerichte erheben etwa detailliert die Anzahl der Gutachtenaufträge der 303 letzten 5 Jahre, insbesondere das Ergebnis der Bearbeitung, d. h. welche Empfehlung der jeweilige Verwalter schlussendlich abgegeben hat. Ferner wird die durchschnittliche Verfahrensdauer erhoben sowie die durchschnittliche Quote der ungesicherten Gläubiger, schließlich gar, ob in Verfahren die prognostizierte freie Masse um mehr als 10 % unterschritten wurde.633)

___________ 631) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3). 632) Vgl. dazu AG Münster und AG Bremen; ferner auch erhoben durch das AG München, AG Hanover/AG Berlin-Charlottenburg. 633) Vgl. AG München.

121

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

304 Eine herausragende Stellung bei der Qualitätsmessung mittels entsprechender Kennzahlen kommt dem sog. „Hannoveraner Modell“ zu, das eine Vielzahl von erfolgsorientierten Kriterien erhebt. Die verschiedenen Verfahrenstypen werden hier etwa nach der entsprechenden Teilungsmasse aufgegliedert (d. h. Verfahren bis 25T €; über 25T € bis 250T €; über 250T €). Anschließend werden etwa die Quote der Massesteigerung in Bezug zur Teilungsmasse abgefragt, ferner beispielweise rechtshängig gemachte Forderungen in Bezug zur Teilungsmasse (Gesamtbetrag rechtshängig gemachter, ausgeurteilter Forderungen), die Quote der Ausschüttung in Bezug zur Teilungsmasse, Abweisungen mangels Masse sowie die Verfahrensdauer in Bezug zur Größe der Teilungsmasse. Dieses Modell wurde nun durch das AG Hannover auch auf den Restrukturierungsbeauftragten durch Verwendung eines eigenen Fragebogens ausgeweitet.634)

305 Auch der BAKinso e. V. hat mittlerweile ein Formblatt zur „Erfolgsprüfung in der Insolvenzverwaltung“ herausgebracht, mit dem es den Insolvenzgerichten einen Musterfragebogen mit Kennzahlen der oben beschriebenen Art zur Erfolgsmessung anbietet.635)

II. Die verschiedenen Modelle bei der Kennzahlenauswertung 306 Vorwiegend werden von den Insolvenzgerichten Bewerbungsfragebögen verwendet, die „klassische“ Kriterien zur Feststellung der fachlichen und persönlichen Eignung des Verwalters erheben, wie aufgezeigt etwa zur Berufsausbildung, Büroausstattung, zur Anzahl bearbeiteter Verfahren, zu Spezialkenntnissen usw. Durch die „klassische Methode“ zur Verifizierung der Verwaltereignung wird eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Bewerbungen hergestellt und damit dem Insolvenzrichter ein Überblick über die Fähigkeiten und Voraussetzungen eines bestimmten Verwalters ermöglicht, den er ggf. anschließend in einem persönlichen Gespräch weiter vertiefen kann.

307 Darüber hinaus soll die zunehmende Verwendung kennzahlenbasierter Fragebögen auch die Qualitäts- bzw. Erfolgsmessung des Verwalterhandelns ermöglichen. Dazu haben sich EDV-gesteuerte Auswertungsmethoden herausgebildet, mittels derer durch empirische Kennzahlenauswertung eine Erfolgsmessung vorgenommen wird, die schließlich zu einer stärkeren Verobjektivierung der Auswahlkriterien beitragen soll.

___________ 634) Abrufbar unter: https://www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/service/downloads/downloads63611.html (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 635) Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

122

B. Unterschiedliche Systeme der Vorauswahldatenerhebung

1.

Fragebogen des AG Hannover/AG Charlottenburg oder das „Hannoveraner Modell“

Das AG Hannover hat bereits kurz nach den wegweisenden Entscheidungen des 308 Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 2004 und 2006 einen mittlerweile EDVbasierten Fragebogen geschaffen, auch „Hannoveraner Modell“ genannt. Alle gelisteten Verwalter sowie alle Neubewerber um einen Listenplatz sind dazu verpflichtet, den Fragebogen ausgefüllt einzureichen. Die Fragebögen werden dann mittels eines eigens durch das Insolvenzgericht Hannover entwickelten Systems ausgelesen und ausgewertet. So ist es dem jeweiligen Insolvenzrichter möglich, mittels einer Suchfunktion in der Vorauswahlliste nach entsprechenden Kriterien, wie z. B. Sprach- oder Branchenkenntnissen, Mitarbeiterzahl etc. zu suchen. Nach der durch das AG Hannover ergänzend erlassenen Verfahrensordnung werden alle Bewerber, die einen entsprechenden Fragebogen einreichen, in die Vorauswahlliste aufgenommen.636) Insgesamt werden in derzeit 13 Kategorien anhand der erhobenen Daten Bewer- 309 tungen vorgenommen, die dann zu einer Punktzahl für jedes einzelne Merkmal führen. Den Bewerbern wird ihre Punktzahl sowie die zu erreichende Gesamtpunktzahl bei der Übersendung der Annahmeentscheidung mitgeteilt. Anhand der Punktzahl werden die gelisteten Verwalter ferner in drei weitere Kategorien (Unterlisten) eingeteilt. In der ersten befinden sich diejenigen Verwalter, die eine überdurchschnittliche Punktzahl erreichen konnten. Sie können mit einer regelmäßigen Bestellung rechnen. Die Bewerber der zweiten Kategorie, die eine Punktzahl unterhalb des Durchschnitts erreicht haben, hingegen nur mit einer gelegentlichen Bestellung. In der dritten Kategorie werden schließlich die Bewerber gelistet, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keine 20 schlussgerechneten Verfahren vorweisen konnten (sog. Jungverwalter). Diese Grenze wurde gewählt, um zu gewährleisten, dass es keine schweren statistischen Ausreißer gibt.637) Das Punktesystem des Hannoveraner Modells soll als Anhaltspunkt für die Aus- 310 wahlentscheidung dienen. Die Komplexität umfangreicher Vorauswahllisten soll durch das Punktesystem und die Möglichkeit, gezielt bestimmte Kriterien abfragen zu können, reduziert werden. Im konkreten Fall können die erfassten Kriterien aller-

___________ 636) Blankenburg, NZI 2020, 768 (769); Blankenburg/Kramer/Noll/Sauer-Colberg, ZInsO 2017, 1018 (1019); Brückner, DZWIR 2016, 406 (407); erforderlich ist lediglich, dass sie die erforderliche Qualifikation vorweisen können, über die technischen, organisatorischen und persönlichen Voraussetzungen für die Bearbeitung von Insolvenzverfahren verfügen, ferner nicht wegen Insolvenz- oder Vermögensdelikten vorbestraft bzw. in ein eröffnetes gerichtliebes Strafverfahren involviert sein, sowie sich in geordneten Vermögensverhältnissen befinden. 637) Blankenburg, NZI 2020, 768 (769); Blankenburg/Kramer/Noll/Sauer-Colberg, ZInsO 2017, 1018 (1019).

123

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

dings auch durch andere Umstände überlagert werden. Eine Auswahl strikt nach dem Ranking soll nicht stattfinden.638)

311 Das Hannoveraner Modell wird mittlerweile auch von anderen Insolvenzgerichten verwendet, nach hiesigen Informationen derweil vom AG Bückeburg639) sowie dem AG Charlottenburg-Berlin640).

312 Das Hannoveraner Modell wurde in der Literatur in jüngerer Zeit kritisiert641). Etwa seien die Erläuterungen zur Punktevergabe unzureichend und intransparent, ferner führe die Unterteilung in drei Kategorien bzw. Unterlisten zu einer unzulässigen Ausübung des Auswahlermessens und verletzte im Übrigen den Gleichheitsgrundsatz642) aus Art. 3 GG.643) Der BGH hat das Hannoveraner Modell nun zumindest teilweise für rechtswidrig erklärt.644)

2.

Das Hamburger Modell

313 Das sog. Hamburger Modell erhebt Verfahrenskennzahlen von Unternehmensinsolvenzen unterteilt in drei Größenklassen. Daraus wird ein Durchschnittswert gebildet, anhand dessen in den verschiedenen Kategorien ein empirischer „Durchschnitts-Idealverwalter“ ermittelt werden kann. Die Erhebung unterteilt sich in einen Teil A., der dazu dient, die Art der Verfahren, die der jeweilige Verwalter bisher erhalten hat, zu erfragen, um die im anschließenden Teil B. abgefragten Werte (etwa ___________ 638) Blankenburg/Kramer/Noll/Sauer-Colberg, ZInsO 2017, 1018 (1019); Brückner, DZWIR 2016, 406 (406); Neubert, ZInsO 2017, 1649 (1651). 639) Vgl. Neubert, ZInsO 2017, 1649. 640) Dazu: Brückner, DZWIR 2016, 406. 641) Zuletzt durch harsche Kritik des KG, Beschluss vom 14.5.2020 – 1 VA 17/17 = NZI 2020, 753, dass in dem „Hannoveraner Modell“ einen sog. „closed shop“ sieht (nun auch: BGH Beschluss vom 13.1.2022 – IX AR (VZ) 1/20 = NJW 2022, 1461), überzeugender jedoch wohl die erläuternde Stellungnahme durch, Blankenburg, NZI 2020, 768 (passim); zur vorherigen Kritik vgl.: Moderegger, NZI 2017, 241; zustimmend Frind, ZInsO 2011, 169 (169); darauf erwidernd, Blankenburg/Kramer/Noll/Sauer-Colberg, ZInsO 2017, 1018; vgl. dazu auch OLG Celle, Beschl. v. 27.3.2017 – 16 VA 9/16 = NZI 2017, 447, das die abgefragten Kriterien des Modells als geeignet und sachgerecht ansieht; zu diesem Beschl. und zum „Hannoveraner Modell“ kritisch ebenfalls, Pape, ZInsO 2017, 1341; darauf erwidernd, Neubert, ZInsO 2017, 1649. 642) So auch Pape, ZInsO 2017, 1341 (1345), der daran Zweifel hegt, ob durch ein Ranking und entsprechende Punktevergabe im Rahmen der Vorauswahlliste, die Chancen auf eine Bestellung im konkreten Fall je nach erreichter Punktzahl nicht bereits eingeschränkt oder erhöht würden. Je nach Einfluss der Punktezahl auf die konkrete Bestellentscheidung stelle sich die Frage nach gleichmäßigen Zugangschancen für alle Bewerber. 643) Moderegger, NZI 2017, 241 (244 ff.); zu grds. Kritik an Kennzahlenbasierten Fragebögen sogleich unter Rn. 315. 644) BGH Beschluss vom 13.1.2022 – IX AR (VZ) 1/20 = NJW 2022, 1461, der eine Punktbewertung der Bewerber für rechtswidrig erachtet, wenn die zugrundeliegenden Daten der einzelnen Bewerber auf einer unzureichenden Grundlage gewonnen werden oder nicht ausreichend vergleichbar sind.

124

B. Unterschiedliche Systeme der Vorauswahldatenerhebung

die durchschnittliche Befriedigungsquote ungesicherter und absonderungsberechtigter Gläubiger; die durchschnittliche Mehrung der Masse aufgrund der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Dritte; der Anteil der Summe aller Verwaltungs- und Verwertungskosten an der Gesamtmasse) zu der Art und Größenklasse der vergebenen Verfahren in Relation setzen zu können.645) Der Unterschied zum Hannoveraner Modell liegt hauptsächlich in der Bewer- 314 tungsmethodik. Während das Punktesystem des Hannoveraner Modells im Ergebnis zu einem Ranking gelangt und die verschiedenen Parameter mit Punkten bewertet, bildet das Hamburger Modell lediglich einen Durchschnittswert der empirisch messbaren Leistungsfaktoren. Das Hannoveraner Modell bewertet neben messbaren Leistungsfaktoren außerdem auch „klassische“ Eignungskriterien, wie etwa Sprachkenntnisse, Büroausstattung etc. mit einer Punktzahl.646)

3.

Kritik an kennzahlenbasierten Bewerbungsfragebögen

Insgesamt wird kennzahlenbasierten Modellen entgegengehalten, dass sie eine le- 315 diglich vergangenheitsbezogene Messung vornähmen und daher auf teils veralteten Informationen beruhen würden. Wenn die erhobenen Daten längere Zeit zurücklägen, sei ihre Aussagekraft beeinträchtigt, da sich in der Zwischenzeit etwa das infrastrukturelle Umfeld verändert haben könnte. Eine nicht permanent aktualisierte Datenlage könne eine zweckgerechte Eignungsbeurteilung nicht begründen. Darüber hinaus wird kritisiert, dass es an einer Vergleichbarkeit der erhobenen Kennzahlen fehle, da keine bundesweite Erhebung stattfände.647) Als problematisch angesehen wird außerdem, dass bei der Kennzahlenerhebung 316 nicht nach verschiedenen Branchen unterschieden wird. So könnten Verfahrenskennzahlen bei den in Insolvenz geratenen Unternehmen gänzlich unterschiedlich ausfallen, da beispielsweise die Fortführbarkeit oder Verwertbarkeit stark branchenabhängig ausfallen dürften.648) Grundsätzlich sei vielmehr fraglich, ob die Qualität von Insolvenzverwaltung über- 317 haupt mittels Quoten gemessen werden könne. Ist etwa der Erhalt von Arbeitsplätzen stets ein Qualitätsmerkmal für gute Insolvenzverwaltung?649) Riedel/Zipperer tendieren dazu, diese Frage mit „Nein“ zu beantworten. Qualität sei nicht in Bilanz-

___________ 645) 646) 647) 648) 649)

Frind, ZInsO 2008, 126 (127 ff.); ders., ZInsO 2011, 1913 ff. Vgl. Frind, ZInsO 2011, 1913 (1913); ders., ZInsO 2011, 169 (169). Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 237f. Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 48. Vgl. Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131 (136); Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 241.

125

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

kennzahlen zu ermitteln, sondern immer auch Ausfluss der Gegebenheiten des Einzelfalles.650)

318 In diesem Zusammenhang wird zurecht auch eingewandt, dass der bestellende Richter selbst durch die Qualität des jeweils übertragenen Verfahrens steuern könne, ob der Verwalter zu guten oder eben schlechten Ergebnissen gelange. Durch die vorangegangene Verfahrensvergabe würden die zu erreichenden Kennzahlen(ergebnisse) vordefiniert.651) Eine Gewichtung allein nach den Strukturdaten des Verfahrens und nicht auch nach der Branche, verzerre die Einschätzung über die jeweils erreichten Kennzahlen.652) Gewarnt wird zudem davor, Ergebnisse kennzahlenbasierter Erhebungen als alleinigen Faktor für die konkrete Bestellentscheidung heranzuziehen; dies sei in jedem Fall als unzulässig anzusehen.653) Auf der anderen Seite betonen die Anwender dieser Systeme jedoch, sie ohnehin nur als Hilfsmittel zur besseren Strukturierung zu nutzen.654)

319 Weitzmann warnt schließlich vor einer autosuggestiven Wirkung kennzahlenbasierter Systeme und einer hohen Anfälligkeit für manipulative Techniken. Konkret würden teils gegenläufige Kennzahlen erhoben, die nicht erkennbar miteinander korrelierten. Schlussendlich seien Kennzahlensysteme nicht dazu geeignet, die bestehenden Transparenz-, Effektivitäts- und Effizienzprobleme zu beheben.655)

III. Zwischenergebnis 320 Der Versuch, durch eine empirische Erfolgs- bzw. Qualitätsmessung zu einer Verobjektivierung der Eignungsbewertung zu gelangen, ist grundsätzlich wünschenswert. Ob entsprechend kennzahlenbasierte Vorauswahlsysteme tatsächlich halten, was sie versprechen, wird jedoch bisweilen aus nachvollziehbaren Gründen bezweifelt. Objektivieren und Strukturieren können solche Systeme immer nur dann, wenn auch eine Vergleichbarkeit zwischen Verwaltern, Verfahren und Kriterien gegeben ist. Gerade diese Korrelation kann jedoch bei vielen Kriterien, z. B. aufgrund ihrer erheblichen Branchenabhängigkeit, nicht hergestellt werden.656) ___________ 650) Vgl. Riedel/Zipperer, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 131 (136); ähnlich, Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 48. 651) Moderegger, NZI 2017, 241 (243); Smid, ZInsO 2018, 1825 (1829); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 31; so auch Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 238f.; vgl. auch Hess, ZIP 2007, 1042 (1045). 652) Vgl. Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 238 ff. 653) Pape, ZInsO 2017, 1341 (1345); Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 244. 654) Blankenburg u. a., ZInsO 2017, 1018; Brückner, DZWIR 2016, 406; Neubert, ZInsO 2017, 1649. 655) Vgl. Weitzmann in: Pressemitteilung der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung im DAV 06/2018 vom 9.7.2018, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/inso-6-18-arbeitsgemeinschaftfordert-abschaffung-der-kennzahlen-bei-insolvenzverwalterauswahl (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 656) Ähnlich argumentiert nun auch der BGH, vgl. BGH Beschluss vom 13.1.2022 – IX AR (VZ) 1/20 = NJW 2022, 1461 Rn. 32.

126

C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

Im Rahmen sehr umfangreicher Listen können besonders EDV-basierte Voraus- 321 wahllisten den Beteiligten einen verhältnismäßig simplen Eindruck über Erfahrungen, persönliche Expertise und in gewissem Umfang auch über die Qualität der Verwalterkandidaten verschaffen. Dazu ist es in erster Linie nicht erforderlich, entsprechende Vorauswahlsysteme auch mit einer kennzahlenbasierten Qualitätsmessung auszustatten. Kennzahlen alleine setzen die Arbeit der Verwalter nicht in ein Verhältnis, das zu einer besseren Vergleichbarkeit und damit zu einer besseren und simpleren Geeignetheitsauswahl führt. Vielmehr bergen sie immer die Gefahr in sich, nicht die richtigen Parameter zu erheben, zu gewichten und ins Verhältnis zu setzen. Damit besteht immer auch die Gefahr, zu fehlerhaften bzw. undifferenzierten Vergleichen zu gelangen, wodurch autosuggestive Wirkungen zumindest nicht ausgeschlossen werden können. Der Vorteil elektronischer Systeme ist vor allem in ihrer Übersichtlichkeit begrün- 322 det und in der Möglichkeit, etwa durch Suchoptionen die richtigen und relevanten Kriterien auszuwählen, sie u. U. einfacher zu aktualisieren und somit das Auswahlverfahren auch transparenter zu gestalten. Zu diesem Zweck ist es nicht erforderlich, auch umfangreiche Kennzahlen zu erheben.

C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata Ausgangspunkt der hier zu untersuchenden Verfassungsmäßigkeit des derzeitigen 323 Auswahlprozesses ist die Qualifizierung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters als eigenständigen Beruf. Diese hat das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Beschluss vom 3.8.2004657) festgestellt und damit zum inzwischen vorherrschenden Berufsbild des Insolvenzverwalters als einer sich weitestgehend professionalisierten Berufsgruppe beigetragen, die eben nicht nur bloßer Nebenberuf einer Tätigkeit als Anwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater ist.658) Eine weitere Grundlage der anstehenden Untersuchung bildet die Bindung des Ge- 324 setzgebers an die Grundrechte der Artt. 20 III GG i. V. m. Art. 1 III GG, wenn er den Auswahlprozess durch die Ausübung legislativer Staatsgewalt zumindest teilweise regelt. Ferner auch die Bindung der Gerichte, der Richter und Rechtspfleger an Grundrechte, indem sie im Rahmen der Bestellentscheidung hoheitlich handeln, wie es nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht feststellte.659)

___________ 657) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574. 658) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 429f.; Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (458). 659) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453f.); v. Mangoldt/Klein/ Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 248.

127

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

I.

Betroffene Schutzbereiche

325 Fraglich ist zunächst, welche Schutzbereiche verschiedener Grundrechte durch das derzeit ausgestaltete Auswahlverfahren betroffen werden und eröffnet sind.

1.

Schutzbereich der Art. 12 I, 3 I GG

326 Zuvorderst drängt sich hier die Berufsfreiheit des Art. 12 I GG auf. Bekanntermaßen geht das Bundesverfassungsgericht bei der Berufsfreiheit des Art. 12 I GG von einem einheitlichen Begriff der Berufsfreiheit aus. Der Begriff bezieht sich auf sämtliche Dimensionen der Berufsfreiheit. Von der freien Wahl der Ausbildungsstätte und der damit verbundenen Wahl einer bestimmten Berufsausbildung garantiert Art. 12 I GG dem Einzelnen ferner die freie Entscheidung darüber, welchen Beruf er ergreifen, wie, wann und wo er ihn ausüben sowie welchen Arbeitsplatz er zu seiner Ausübung wählen will.660) Daneben tritt außerdem vor allem auch der verfahrensrechtliche Gehalt des Art. 12 I GG, der organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung von berufsbezogenen Prüfungsund Bewerbungsverfahren stellt und somit explizit auch für die Auswahl des Insolvenzverwalters relevant wird.661) Kernbestandteil der Berufsfreiheit ist der verfassungsrechtliche Berufsbegriff, über dessen Vorliegen in Bezug auf die Tätigkeit des Insolvenzverwalters lange Unklarheit herrschte. Nach herrschender Meinung wird der Beruf verfassungsrechtlich als jede auf die Dauer berechnete und nicht nur vorübergehende, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung definiert.662) Durch den oben zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist nunmehr auch die Tätigkeit des Insolvenzverwalters eindeutig als eigenständiger Beruf anerkannt. In Folge dessen ist auch die Anwendung der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG als unstreitig anzusehen und bereits vielfach höchstrichterlich betätigt worden.663)

___________ 660) BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 = NJW 1958, 1035; Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 25. 661) Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 154 ff., 161. 662) Statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 7.1.1959 – 1 BvR 100/57 = NJW 1959, 667; Dürig/Herzog/ Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 29. 663) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641; BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163. Wieland hingegen sah in dem Beschluss des BVerfG aus 2006 eine Rechtsprechungsänderung, dahingehend, dass der Senat Art. 12 I GG nunmehr nicht mehr als einschlägig erachtete, sondern die Rechtspositionen potenzieller Verwalter lediglich im allg. Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verankert sah, mithin nur ein Anspruch auf Chancengleichheit gewährleistet sei, Wieland, ZIP 2007, 462 (462). Eine entsprechende Rechtssprechungsänderung ist jedoch nicht zu beobachten, was aus den anschließend ergangenen neueren Beschlüssen des BVerfG hervorgeht, vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642).

128

C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

Gleiches gilt demnach auch für die Eröffnung des Schutzbereiches des allgemeinen 327 Gleichheitsrechts aus Art. 3 I GG, das grundsätzlich neben etwaigen Freiheitsrechten wie Art. 12 I GG steht und diese nicht verdrängt.664) Im Rahmen des Auswahlprozesses ist das Insolvenzgericht angesichts der weitreichenden Entscheidung für oder gegen bestimmte Berufsangehörige also grundsätzlich an Art. 3 I GG gebunden. Die Bewerber haben einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens durch den Insolvenzrichter.665)

2.

Schutzbereich des Art. 19 IV GG

Die lange Zeit nicht eindeutig zu beurteilende Frage nach einem effektiven Rechts- 328 schutz der Verwalterkandidaten gem. Art. 19 IV GG wurde bereits oben dargestellt.666) Der Schutzbereich des Art. 19 IV GG ist grundsätzlich eröffnet. Im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung steht dem Bewerber die Möglichkeit offen, über §§ 23 ff. EGGVG eine Entscheidung des zuständigen Oberlandesgerichts gegen die Ablehnung der Aufnahme zu erwirken.667) Im Rahmen der Bestellentscheidung wird durch die InsO kein Rechtsbehelf vorgesehen. Rechtsschutz nach Art. 19 IV GG entfällt jedoch nicht etwa gänzlich mit der Begründung, es handele sich dabei um einen Rechtssprechungsakt. Ganz im Gegenteil handele es sich gerade nicht um Rechtsprechung im eigentlichen Sinne; die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG wird nach Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes durch die verfassungsgemäße Schrankenregelung des § 6 I InsO lediglich eingeschränkt. Dem Prätendenten stehe dabei das Recht zu, durch einen Antrag nach § 23 I, § 28 I S. 4 EGGVG die Rechtswidrigkeit der Verwalterbestellung wegen fehlerhafter Ausübung des Auswahlermessens geltend zu machen. Das geschieht durch die das Insolvenzverfahren nicht beeinträchtigende Feststellungs- und ggf. nachfolgende Amtshaftungsklage.668)

3.

Schutzbereich des Art. 33 GG – Modifikation der Berufsfreiheit

Zuletzt ist fraglich, ob auch der Schutzbereich des Art. 33 II GG eröffnet ist. 329 Art. 33 II GG gewährt gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt und soll so unter anderem dem Grundsatz demokratischer Egalität (Chancengleichheit) Rechnung tragen sowie etwaige Privilegien vermeiden. Die Norm soll aber auch die ___________ 664) Epping/Hillgruber/Kischel, Art. 3 GG, Rn. 4. 665) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576); BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06 = NZI 2006, 636; Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 161. 666) Zur Vorauswahllistenentscheidung vgl. Rn. 143, zur Bestellentscheidung vgl. Rn. 241. 667) Jungst: OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2020 – 11 VA 8/18 = NZI 2020, 488; MüKoInsO/ Graeber, § 56 InsO, Rn. 104. 668) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (456f.); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 55.

129

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Funktionsfähigkeit, Effizienz und Effektivität der Staatsorganisation gewährleisten, indem sie eine entsprechende Tätigkeit an Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung knüpft und so Vorkehrungen zur rechtsstaatlichen und fachlich optimalen Ausübung des Staatsdienstes trifft.669) Der Insolvenzverwalter müsste mit seiner Tätigkeit folglich ein öffentliches Amt bekleiden, damit Art. 33 II GG als grundrechtsgleiches Gleichheitsrecht tangiert würde. Diese Frage sah sich lange Zeit einer lebhaften Diskussion in der Literatur ausgesetzt.670) Das Bundesverfassungsgericht stellte schließlich fest, dass der Insolvenzverwalter kein öffentliches Amt ausübe, weshalb der gleiche Zugang aller Deutschen i. S. v. Art. 33 II GG nicht gewährleistet sein müsste.671) Art. 33 II GG ist daher nicht direkt auf die Tätigkeit des Insolvenzverwalters anwendbar, was vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit der zwar staatlich gebundenen, aber freiberuflichen Tätigkeit des Notars auch einleuchtet, der anders als der Insolvenzverwalter nach § 1 BNotO gar explizit ein öffentliches Amt ausübt.672)

330 Fraglich ist allerdings dennoch, ob die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG durch die staatsnahe Tätigkeit des Insolvenzverwalters durch die Grundlagen des Art. 33 GG überlagert oder modifiziert werden.673) Staatliche Berufe sind außerhalb des Beamtentums vorwiegend durch Tätigkeiten innerhalb des öffentlichen Dienstes gekennzeichnet, zu der die Tätigkeit als Insolvenzverwalter jedoch nicht gehört, da dieser nicht originär in die öffentliche Verwaltung integriert ist, sondern seine Legitimation lediglich jeweils für ein einzelnes Verfahren durch die staatliche Bestellung generiert, ansonsten aber freiberuflich und in privatrechtlichen Formen handelnd im Rechtverkehr agiert.674)

a) Die Rechtsfigur des „staatlich gebundenen Berufes“ 331 In der verfassungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung wird für Ämter, die in einem Verhältnis zum Staat stehen, die Bezeichnung des „staatlich gebundenen

___________ 669) Epping/Hillgruber/Hense, Art. 33 GG, Rn. 8. 670) Vgl. dazu Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 128f.; Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 61 ff. 671) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); vgl. auch Epping/ Hillgruber/Hense, Art. 33 GG, Rn. 10; v. Mangoldt/Klein/Starck/Jachmann-Michel/Kaiser, Art. 33 GG, Rn. 15; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 6. 672) Vgl. Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 139; Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (53); Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 128f.; a. A. noch Preuß, KTS 2005, 155 (170). 673) Vgl. zu dieser Möglichkeit detailliert, Rupp, AöR 92 (1967), 212 (222 ff.); Schick, NJW 1991, 1328 (1329). 674) S. o. unter: Rn. 77, ebenso, Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 50; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 330, 333f.

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

Berufes“ verwendet.675), 676) Dieser galt nach Triepel für Berufe, deren Inhaber kraft öffentlichen Rechts in einem Verhältnis zum Staat stünden, das zwar nicht Staatsdienst im technischen Sinne sei, „aber doch vermöge der Gebundenheit der Berufserfüllung, der Gestaltung der Berufspflichten, der Beaufsichtigung durch den Staat eine in die Augen springende Ähnlichkeit mit dem berufsmäßigen Beamtentum“ besitze.677) Nach teilweise vertretener Auffassung, sollen für solche staatlich gebundenen Berufe, die eine Nähe zum öffentlichen Dienst aufweisen aufgrund der ratio von Art. 33 II GG besondere Beschränkungen der Berufsfreiheit des Art. 12 GG gelten. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, dass staatlich gebundene Berufe ebenfalls unter Art. 12 I GG fielen. „Die Frage, an welchem Punkt zwischen „freiem” Beruf mit gewissen öffentlich-rechtlichen Auflagen und Berufen mit völliger Einbeziehung in die unmittelbare Staatsorganisation solche Berufe ihren Platz erhalten sollen, hängt von Eigenart und Gewicht der hier zu erfüllenden öffentlichen Aufgaben ab. Je näher ein Beruf durch öffentlich-rechtliche Bindungen und Auflagen an den „öffentlichen Dienst” herangeführt wird, um so stärker können Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG die Wirkung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 tatsächlich zurückdrängen.“678) Eine so beschriebene Nähe zu staatlichen Berufen, könnte das ansonsten private Tä- 332 tigkeitsfeld des Insolvenzverwalters einnehmen. Sie zeigt sich vor allem in der staatlichen Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 56, 57 S. 3 InsO), der gerichtlichen Rechtsaufsicht (§ 58 InsO) sowie der gerichtlichen Entlassungskompetenz (§ 59 InsO). Als externer Funktionsträger nimmt der Verwalter zudem eigenständig, in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzgericht an einem hoheitlichen Verfahren teil und erfüllt im Rahmen der Gesamtvollstreckung eine originär staatliche Aufgabe.679) Henssler zufolge werde indes das private Amt des Insolvenzverwalters durch die 333 privatrechtlichen Beziehungen zu den Beteiligten geprägt. Es diene gerade nicht der Bildung oder dem Vollzug staatlichen Willens und sei daher dominierend pri___________ 675) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Breuer, HStR VIII, § 170 Rn. 74; Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 232 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Jachmann-Michel/Kaiser, Art. 33 GG, Rn. 15. 676) Dazu gehören nach der Rechtsprechung z. B. Notare, Prüfungsingenieure für Baustatik, öffentlich bestellte Vermessungsingenieure, Bezirksschornsteinfeger, vgl. Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 62 m. w. N. 677) Triepel, in: Festschrift für Karl Binding zum 4. Juni 1911, Bd. 2, S. 1 (15); vgl. ferner, Isensee/ Kirchhoff/Breuer, HStR VIII, § 170 Rn. 74. 678) BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 = NJW 1958, 1035 (1036); dazu: Epping/Hillgruber/ Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 43; Isensee/Kirchhoff/Breuer, HStR VIII, § 170 Rn. 75; Dürig/Herzog/ Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 232 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Jachmann-Michel/Kaiser, Art. 33 GG, Rn. 15. 679) S. o. unter: Rn. 71; ferner Höfling, JZ 2009, 339 (341); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 51; vgl. ferner Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 331.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

vatrechtlich ausgerichtet.680) Im Rahmen der Tätigkeit des Insolvenzverwalters stehe daher die freiberufliche und sich vor allem an privaten Interessen ausrichtende Tätigkeit gegenüber den aufgezeigten öffentlich-rechtlichen Bindungen im Vordergrund.681) Dem folgend, könnte Art. 33 II GG die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG nicht modifizieren oder zurückdrängen.

334 Nach einer vorherrschenden Ansicht in der verfassungsrechtlichen Literatur sei die, auch durch das Bundesverfassungsgericht mehrfach verwendete, Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufes per se zurückzuweisen.

335 Die Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufes benenne tatsächlich nur ein besonderes Schrankenproblem der Berufsfreiheit, jedoch kein Problem der berufsinternen Funktionsabgrenzung oder der Abgrenzung von Art. 12 GG und Art. 33 GG. Gleichgültig, in welcher Weise und zu welchen Zwecken der Gesetzgeber einen Beruf im Sinne des Art. 12 GG reguliere, er habe sich bei dieser Freiheitsbeschränkung stets an die allgemeinen Schranken des Art. 12 I 2 GG zu richten. Ob diese vorlägen, ließe sich allein anhand des Einzelfalls beantworten. Jede pauschalisierende Bezugnahme auf eine Rechtsfigur wie der des staatlich gebundenen Berufes, könne diesem Erfordernis nicht genügen. Die Begriffsfigur des staatlich gebundenen Berufes erweise sich damit inhaltlich als zu konturarm. Ob und wie der Staat einen Beruf verpflichten oder gar in öffentlich-rechtliche Verantwortung im Sinne des Art. 33 GG überführen dürfe, sei allein nach den konkreten Gegebenheiten der betroffenen Berufs- oder Amtsfunktion zu beurteilen. Dabei müsse letztlich ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen Freiheitsbeschränkung und Gemeinwohlschutz erfolgen. Der Versuch, die Schrankenproblematik des Art. 12 I GG durch einen Rückgriff auf die Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufs und einer Anlehnung an Art. 33 GG zu lösen, erweise sich als unhaltbarer Zirkelschluss.682)

336 Scholz führt dazu ferner aus: Handele es sich bei dem zu beschränkenden Beruf um eine Staatsaufgabe, so sei der Staat in Ausführung der von ihm gewählten Kompetenz berechtigt, die berufsrechtlichen Voraussetzungen für die jeweils betroffene Funktionsgewährleistung festzulegen. Dem Staat stehe dabei die Möglichkeit offen, an die Stelle des betroffenen Berufes eine ausschließliche Staatszuständigkeit im Sinne einer Monopolstellung zu schaffen und damit ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 33 GG einzurichten, ggf. eine Privatperson zu beleihen oder die betreffende Tätigkeit mittels eines privaten Berufes mit bestimmten öffentlich-recht___________ 680) Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (53). 681) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 51. 682) Getreu nach: Isensee/Kirchhoff/Breuer, HStR VIII, § 170 Rn. 76 sowie Dürig/Herzog/Scholz/ Scholz, Art. 12 GG, Rn. 235 ff.; ebenso Leisner, AöR 93 (1968), 161 (179f.); Rupp, AöR 92 (1967), 212 (223f.).

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lichen Pflicht- oder Aufsichtsmerkmalen erledigen zu lassen. In diesem Fall gelte allein Art. 12 GG, nicht aber Art. 33 GG. Daraus resultiere schließlich ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. 337 Jede Regelungsmöglichkeit sei in ihrer jeweiligen Anwendung oder Durchführung zunächst an Art. 12 GG (und nicht an Art. 33 GG) zu messen. Die Berufsfreiheit frage hierbei, (Rn. 325) ob die betreffende Angelegenheit nicht überhaupt als geschützte Freiheit im privaten Funktionsbereich verbleiben könne oder gar müsse; (Rn. 342) ob der betreffende öffentlich-staatliche Aufgabenzweck nicht auch mit den schrankenrechtlich milderen Instrumentarien der Aufsicht oder Indienstnahme (diese ist wiederum eingriffsintensiver, also subsidiär) erfüllt werden könne. Erst wenn dies nicht gelinge, wenn also ein definitiv-unabweisbares Erfordernis für die Begründung einer staatlichen Eigenzuständigkeit streite, trete Art. 12 GG zurück; dann entstünde ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 33 GG. Die Berufsfreiheit könne dann nur noch (Rn. 325) darüber wachen, dass auch bei der Organisation des betreffenden öffentlichen Amtes ein Maximum an privater Eigenverantwortung erhalten bleibe, etwa im Rahmen einer Beleihung. Die Begriffsfigur des „staatlich gebundenen Berufs“ helfe dabei nicht weiter.683)

b) Die Wahrnehmung privater Interessen durch den Insolvenzverwalter Im Ergebnis überzeugt es – ungeachtet einer generellen Anwendbarkeit dieser 338 Rechtsfigur – die Merkmale des Art. 33 II GG de lege lata nicht auf den Insolvenzverwalter anzuwenden. Bei der Tätigkeit des Insolvenzverwalters zeichnet sich ein sehr ambivalentes Bild ab: Der Insolvenzverwalter tritt für einen konkreten Fall in das an sich hoheitliche Insolvenzverfahren ein und partizipiert insofern teilweise an der Verfahrenshoheit.684) Es handelt sich um eine Tätigkeit, die der Staat im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens und seines Gewaltmonopols ansonsten selbst, mittels seines eigenen Verwaltungsapparates wahrnehmen müsste.685) Zunächst drängt sich daher tatsächlich die Schlussfolgerung auf, es handele sich um eine dem öffentlichen Recht sehr nahstehende Tätigkeit, unter Umständen auch um einen sog. staatliche gebundenen Beruf, mit der Folge, dass die Merkmale des Art. 33 II GG zumindest entsprechend anzuwenden wären. Nach Ansicht des Verfassers streitet aber schlussendlich gegen eine solche Einordnung, dass die Verfahrensträgerschaft, anders als etwa bei dem ein öffentliches Amt bekleidenden Beruf des Notars, gerade nicht dem Insolvenzverwalter übertragen, sondern weiter dem Insolvenzgericht auferlegt ist. Diese Richtung ist schließlich auch mit der gesetzgeberischen Wertungsentscheidung impliziert, die den Insolvenzverwalter im Vergleich zum Notar eben nicht als öffentliches Amt geschaffen ___________ 683) Getreu nach: Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 235 ff. 684) S. o. Rn. 110. 685) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 481.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

hat. Unterstützend können hier ferner die obigen Voraussetzungen von Schulz angeführt werden, die hier für den Insolvenzverwalter nicht erfüllt sein dürften, indem der Gesetzgeber diese Fragen gerade nicht hin zu einer zuvorderst staatlich geprägten Tätigkeit entschieden hat. Vielmehr will er der Komplexität des Gesamtvollstreckungsverfahrens damit Rechnung tragen, dass er die originär staatlichen Zwangsmaßnahmen (z. B. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, §§ 21 ff. InsO; Durchsetzung von Pflichten des Schuldners § 98 InsO) in staatlicher Hand des Insolvenzgerichts belässt und anschließende Maßnahmen, vor allem im Rahmen der Verwertung, aus Effektivitätsgründen und zur Wahrung der Interessen der Beteiligten686) in private Hand legt.687) Damit ordnet er Teile des Gesamtvollstreckungsverfahrens, anders als weitgehend im Rahmen des Einzelzwangsvollstreckungsverfahrens, gerade nicht der staatlichen Eigenzuständigkeit zu, sondern stellt die an sich privat-rechtliche und freiberufliche Tätigkeit des Insolvenzverwalters lediglich unter staatliche Aufsicht. Der Insolvenzverwalter übt folglich keine originäre Staatsgewalt und keine originären Hoheitsrechte aus.

339 Daraus resultiert nun aber auch, dass der Staat die berufsrechtlichen Konsequenzen einer entsprechenden Übertragung auf privat-rechtlich handelnde Rechtssubjekte zu tragen hat, sich also konsequenterweise nicht auf das Sonderrecht des Art. 33 II GG berufen darf.688)

340 Henssler ist hier insofern zuzustimmen, wenn er das Insolvenzverfahren nicht als Bildung oder Vollzug des staatlichen Willens betrachtet.689) Denn mittels des Gesamtvollstreckungsverfahrens will der Staat gerade zu einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger gelangen und einen „Wettlauf der Gläubiger“ im Interesse des Rechtfriedens verhindern. Ziel des Insolvenzverfahrens ist es also im Sinne der Gesamtvollstreckung, zu einer fairen Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger bzw. zu mehr Verteilungsgerechtigkeit zu gelangen und den Zugriff Einzelner auf das Schuldnervermögen auszuschließen.690) An die Stelle der Einzelbefriedigung tritt der privatrechtlich handelnde und den Interessen aller Verfahrensbeteiligten verpflichtete Insolvenzverwalter, der zwar nicht staatliche Vollzugs- oder ___________ 686) So hieß es etwa in der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom 15.4.1992: „Das Verfahren soll viel mehr die Privatautonomie der Beteiligten so zur Entfaltung bringen, daß die optimale Verwertungsentscheidung im Verhandlungsprozeß entdeckt und von den Beteiligten verwirklicht werden kann.“, BT-Drs. 12/2443, S. 76. 687) Vgl. oben unter: Rn. 71, 116; Symptomatisch hierfür ist auch die Forderungsfeststellung bei der, der Insolvenzverwalter nur eine Vorprüfung vornimmt, die eigentliche Feststellung dann aber im Prüftermin oder einem Feststellungsprozess durch das Gericht erfolgt, vgl. §§ 174 ff. InsO; insb. Uhlenbruck/Sinz, § 174 InsO, Rn. 2 ff. 688) Vgl. Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 65. 689) Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (53). 690) Vgl. Begründung zum InsO-Gesetzesentwurf der Bundesregierung: BT-Drs. 12/2443, S. 76f., 81; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 1; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1.

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Zwangsgewalt durchführt, aber eigens durch das die Verfahrensträgerschaft innehabende, hoheitlich handelnde Insolvenzgericht bestellt ist. Henssler kommt daher schlussendlich zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Tätig- 341 keit des Insolvenzverwalters vordergründig an privatrechtlichen Interessen und Beziehungen ausgerichtet ist.691) Nach hier vertretener Ansicht ist sie folglich streng von der genuin staatlichen Vollstreckungstätigkeit des Insolvenzgerichts abzugrenzen. Die Merkmale des Art. 33 II GG sind damit nicht (entsprechend) auf die Auswahl- und Bestellung des Insolvenzverwalters anzuwenden.692) De lege ferenda steht es dem Gesetzgeber nach den obigen Ausführungen jedoch frei, die Tätigkeit des Insolvenzverwalters stärker öffentlich-rechtlich auszugestalten und so im Rahmen seiner gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative andere Maßstäbe zur Realisierung der Gemeinwohlbelange anzulegen.693)

II. Eingriff und Rechtfertigung Die bloße Nichtberücksichtigung eines Prätendenten bei der konkreten Bestellent- 342 scheidung kann per se keinen Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 I GG begründen, ein subjektives Recht auf Bestellung besteht gerade nicht.694) Anders jedoch bei der Aufnahme in die Vorauswahlliste, bei der ein Anspruch auf 343 Aufnahme besteht, soweit ein Bewerber die Voraussetzungen des jeweiligen Insolvenzgerichts erfüllt.695) Die Ablehnung solcher Bewerber bei der Vorauswahl greift damit bereits regelmäßig in die Grundrechte aus Art. 12 I GG, Art. 3 I GG ein. Nachfolgend soll zunächst, der einhelligen Ansicht folgend, kurz begründet wer- 344 den, warum sowohl das System der „geschlossenen Listen“ (Rn. 345) als auch eine Auswahl nach der Reihenfolge einer Liste (Rn. 348) nicht mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar sind. Im Anschluss wird zu untersuchen sein, ob das der___________ 691) Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (53); so auch Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 202f.; Marotzke, ZInsO 2009, 1929 (1931). 692) Im Ergebnis ebenso: BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (53); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 66; Köster, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 128f.; a. A. noch Holzer/Kleine-Cosack/ Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 35; Preuß, KTS 2005, 155 (170); Uhlenbruck, KTS 1998, 1 (14). 693) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.2.2008 – 1 BvR 1295/07 = NJW 2008, 1293 (1296). 694) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (457); a. A. noch Holzer/KleineCosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 54. 695) BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/07 = NZI 2008, 161 (162); BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

zeitige Auswahlverfahren vor dem Hintergrund grundlegender verfassungsrechtlicher Vorgaben eine ausreichende Kodifizierung erfahren hat (Rn. 349).

1.

Unzulässigkeit „geschlossener Listen“

345 Bei Anwendung sog. geschlossener Listen wird einem Bewerber der Zugang nur gewährt, wenn ein anderer Bewerber von der jeweiligen Liste gestrichen wird.696) Das Führen solcher geschlossener Listen bzw. eines „closed shop“ stellt eindeutig einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Bewerber nach Art. 12 I GG, Art. 3 I GG dar, indem diesen die für die Bestellung notwendige Aufnahme in die Liste, losgelöst von ihrer persönlichen oder sachlichen Eignung, verwehrt wird. Es kommt folglich zu einer Ungleichbehandlung der Bewerber, obwohl keine Eignungsunterschiede zwischen ihnen bestehen. Zweck des Vorauswahllistenverfahrens ist es allerdings gerade auch, den Grundrechten der Bewerber bei der Auswahlentscheidung Rechnung zu tragen.697) Allein der fehlende Bedarf an Verwaltern im jeweiligen Gerichtsbezirk kann keine Rechtfertigung für das Führen geschlossener Listen darstellen.698) So hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Listenentscheidung entschieden.699) Dies bewog auch den Gesetzgeber dazu, § 56 I InsO dahingehend zu ändern, dass nunmehr „aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist“700), mithin das Führen geschlossener Listen von nun an auch gesetzlich unzulässig ist.

346 Dennoch gibt es Stimmen, die eine bedarfsorientierte Listenführung für notwendig erachten. Die immer umfangreicher werdenden Listen bedürften dringend einer Begrenzung, die von einigen auch mit einer strikten Kontingentierung und mit der Schaffung von geschlossenen Listen in Verbindung gebracht werden.701)

347 Das Erfordernis der Listenbegrenzung an sich lässt sich nicht von der Hand weisen und ist als grundsätzlich zielführend anzusehen. Unzulässig und verfassungswidrig sind dabei jedoch solche Begrenzungen und Restriktionen, die allein bedarfsorien___________ 696) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455). 697) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NJW 2004, 2725 (2728) = NZI 2004, 574. 698) Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 508; Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 99. 699) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NJW 2006, 2613 (2616) = NZI 2006, 453 (455). 700) Eingeführt durch das InsVereinfG v. 13.4.2007; BGBl. I S. 509; vgl. BT-Drs. 16/3227 S. 18. 701) Vgl. KK-InsO/Hess, § 56 InsO, Rn. 49; Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (507); für eine Bedarfsregelung und einen „Bewerberpool“ ähnlich der Vergabe der Notarstellen, Preuß, KTS 2005, 155 (166 ff.), die dafür richtigerweise eine organisationsrechtliche, gesetzliche Grundlage für zwingend erforderlich hält. Dies sei aus Sicht von Höfling, JZ 2009, 339 (348) dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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tiert ausgerichtet sind und so losgelöst von der persönlichen und fachlichen Eignung des Bewerbers getroffen werden.

2.

Bestellung der Reihe nach

In Zusammenhang mit einer gesetzlichen Ausgestaltung des Listenverfahrens wur- 348 de in der Diskussion immer wieder auch eine Auswahl in der Reihenfolge der Liste diskutiert.702) Eine solch geartete Auswahl ist jedoch eindeutig als verfassungswidrig bzw. ermessensfehlerhaft anzusehen. Denn in diesem Fall orientiert sich das Gericht nicht mehr an Kriterien zur Feststellung des am ehesten geeigneten Kandidaten, sondern stützt sich allein auf die sachfremde Erwägung der Listenreihenfolge. Eine Auswahl der Reihe nach ließe sich lediglich damit rechtfertigen, dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung aller Bewerber aus Art. 3 I GG nachzukommen. Diese Gleichbehandlung wird durch die Verfassung allerdings nur dann gewährt, wenn alle in Betracht kommenden Bewerber gleich geeignet sind.703)

3.

Verfassungswidrigkeit mangels konkreter Regelung des Auswahlverfahrens

Das derzeit bestehende Vorauswahl- und Bestellverfahren greift nicht in die Be- 349 rufswahlfreiheit des an sich einheitlichen Schutzbereichs der Berufsfreiheit ein, indem den Bewerbern hierdurch nicht der generelle Zugang zur Tätigkeit als Insolvenzverwalter verwehrt wird.704) Losgelöst von der Intensität des Eingriffs in die Berufsfreiheit bedarf jede Einschränkung derselben einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.705) Bei Eingriffen in den einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit, sieht Art. 12 I 2 GG ferner einen Regelungsvorbehalt vor, der Eingriffe nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt.706) Diesen Anforderungen ist der Gesetzgeber auf den ersten Blick mit § 56 InsO als 350 Parlamentsgesetz nachgekommen. Auf den zweiten Blick drängt sich jedoch die Frage auf, ob § 56 InsO auch inhaltlichen Ansprüchen an eine entsprechende gesetzliche Reglung genügen kann. Zunächst lässt sich die These aufstellen, dass § 56 InsO das Vorauswahlverfahren an sich gar nicht vorsieht, sondern nur das zu ___________ 702) Vgl. BT-Drs. 16/3227 S. 18; unter anderem vorgeschlagen von: Holzer/Kleine-Cosack/ Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 65f.; die im Falle eines Abweichens von der Reihenfolge, eine gesonderte Begründung fordern. 703) Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 504; ebenso: Jaeger/Gehardt, § 56 InsO, Rn. 61; MüKoInsO/ Graeber, § 56 InsO, Rn. 116; Preuß, KTS 2005, 155 (174). 704) Vgl. Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters; S. 77; offengelassen durch BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574; BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642). 705) BVerfG, Urt. v. 1.7.1980 – 1 BvR 247/75 = NJW 1980, 2123 (2123); Höfling, JZ 2009, 339 (342); Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 109. 706) Vgl. Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 108 ff.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

erreichende Ergebnis des Auswahlprozesses im Blick hat.707) Das Vorauswahllistenverfahren wurde vielmehr durch die insolvenzgerichtliche Praxis geschaffen und schließlich durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für gewissermaßen allgemeingültig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hatte § 56 InsO außerdem als hinreichende gesetzliche Grundlage auch für die Vorauswahl gesehen und kein gesetzgeberisches Defizit festgestellt.708) Der Gesetzgeber nahm dies allerdings nicht zum Anlass, normativ klare Vorgaben für das Vorauswahlverfahren zu verabschieden. Er beschränkte sich lediglich darauf, die bereits durch das Bundesverfassungsgericht festgestellte Unzulässigkeit geschlossener Listen in das Gesetz aufzunehmen und so das Vorauswahllistensystem in gewisser Weise „anzuerkennen“.709)

351 Dennoch stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige Gesetzeslage den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes bzw. der Wesentlichkeitstheorie genügt. Nachdem die theoretischen Grundlagen der genannten Begriffe skizziert wurden (Rn. 352), ist zu untersuchen, ob das Auswahlverfahren als „wesentlich“ i. S. der Wesentlichkeitstheorie anzusehen ist (Rn. 355). Anschließend ist konkret zu erläutern, ob die konkrete Bestellentscheidung (Rn. 367) sowie das Vorauswahlverfahren (Rn. 374) den sich daraus ergebenden Anforderungen genügen können oder ob von Verfassungs wegen klarere Regelungen durch den Gesetzgeber erforderlich sind.

a) Der Vorbehalt des Gesetzes 352 Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass die Verwaltung für bestimmte Tätigkeiten nur aufgrund einer parlamentarischen Grundlage handeln darf. Ferner auch, dass bestimmte Gegenstände der Rechtssetzung nicht auf die Exekutive und Judikative710) übertragen werden dürfen, sondern stets einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfen.711) Hergeleitet wird der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes sowohl aus dem Demokratie- wie auch dem Rechtsstaatsprinzip.712) Dabei erfasst der rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt grundsätzlich alle Grundrechtseingriffe, ohne nach einer Gewichtung oder Tiefe des Eingriffs zu fragen. Für das in neuerer Zeit stärker zur Geltung gebrachte Demokratieprinzip in Gestalt der durch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Wesentlichkeitstheorie hingegen sind „Wesentlichkeit“ bzw. Umfang und Intensität einer Maßnahme – losgelöst vom Merkmal des „Eingriffs“ – entscheidend. Im ___________ 707) So auch Preuß, ZIP 2011, 933 (935). 708) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642); Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1183). 709) Vgl. BT-Drs. 16/3227, S. 18. 710) Vgl. dazu Classen, JZ 2003, 693 (700f.); Hillgruber, JZ 1996, 118 (123f.); Isensee/Kirchhoff/ Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 60; Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1348). 711) Epping/Hillgruber/Rux, Art. 20 GG, Rn. 172f.; Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 75; v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 273. 712) Vgl. dazu im Detail: Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 11 ff.

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

grundlegenden normativen Bereich bzw. im Bereich der Grundrechtsausübung soll der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen713). Daraus wird gefolgert, dass der rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt sowohl die ausschließlichen als auch die übertragbaren Parlamentskompetenzen erfasse, der demokratische Gesetzesvorbehalt hingegen nur die ausschließlichen Parlamentskompetenzen. Der Gesetzesvorbehalt wird somit durch die demokratische Komponente auch auf Regelungen ausgeweitet, die keinen klassischen Grundrechtseingriff darstellen. Es findet jedoch keine Restriktion des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltes auf nur „wesentliche Eingriffe“ statt.714) Das Bundesverfassungsgericht stellt bei der Frage, was als wesentlich gilt, in erster Linie auf die Grundrechtsrelevanz in Abhängigkeit von der Intensität des staatlichen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Einzelnen ab.715) Der durch die verfassungsgebende Versammlung vorgesehene Parlamentsvorbe- 353 halt des jeweiligen Grundrechts wird schließlich durch die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts substantiiert. Wesentliche Entscheidungen gehören zum Entscheidungsmonopol des Gesetzgebers. Er ist dann zur Regelung verpflichtet.716) An entsprechende Parlamentsgesetze zur Grundrechtsbeschränkung seien im Rahmen der Überlegungen zum Vorbehalt des Gesetzes zudem auch inhaltliche Anforderungen zu stellen. Der Grundsatz könne seine Wirkung nur entfalten, wenn das Parlament in dem zu erlassenden Gesetz selbst inhaltliche Vorgaben für das Handeln der Exekutive beschließe. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes stelle damit auch Anforderungen an die erforderliche Regelungsdichte eines etwaigen Gesetzes. Dem Gesetzgeber sei folglich nicht nur eine Übertragung bestimmter Fragen auf die Exekutive oder andere Staatsorgane untersagt, er müsse vielmehr selbst bestimmte Vorgaben im jeweiligen Gesetz treffen. Damit solle ihm jede Möglichkeit versperrt werden, den ihm verfassungsrechtlich obliegenden Gesetzgebungsaufgaben zu entfliehen, etwa durch offene oder verdeckte Delegation in Gestalt von Generalklauseln oder der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe.717) Ein Niederschlag des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes lässt sich auch im 354 Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG finden.718) Wesentliche, in den Schutzbereich der Berufsfreiheit eingreifende Maßnahmen innerhalb des Auswahlprozesses der Insolvenzverwalter dürften folglich zur näheren Ausgestaltung nicht auf die funk___________ 713) 714) 715) 716) 717)

Statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 = NJW 1979, 359 (360). Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 42 ff., 51. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.12.1977 – 1 BvL 1/75; 1 BvR 147/75 = NJW 1978, 807 (810f.). Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 53. Vgl. BVerfG, Urt. v. 6.7.1999 – 2 BvF 3–90 = NJW 1999, 3253 (3254); BVerfG, Urt. v. 1606-1981 – 1 BvL 89/78 = NJW 1981, 1774 (1777); Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 53; Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (148); Dürig/Herzog/Scholz/ Grzeszick, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 75, 106. 718) Vgl. Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 82f.

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tional als Justizbehörde fungierenden719) Fachgerichte delegiert werden, soweit entsprechend eingreifende Maßnahmen als „wesentlich“ angesehen werden können und demnach am Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes zu messen wären. Fraglich ist also, ob die in § 56 InsO enthaltenen Vorgaben des Gesetzgebers im Sinne des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes hinreichend bestimmt sind und ob der Auswahlprozess als „wesentlich“ im Sinne der Wesentlichkeitstheorie anzusehen ist, mithin ihren Anforderungen genügt.

b) Der Auswahlprozess des Insolvenzverwalters als „wesentliche“ Grundrechtsentscheidung 355 In Praxi gestaltet es sich sehr schwierig, innerhalb des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes bzw. der Wesentlichkeitstheorie für den konkreten Fall zu ermitteln, was „wesentlich“ ist. Generelle Kriterien für die Bestimmung der „Wesentlichkeit“ wurden nicht entwickelt. Anfangs versuchte das Bundesverfassungsgericht die „Wesentlichkeit“ anhand des Kriteriums der „Grundrechtsrelevanz“ zu bestimmten, ohne in das Eingriffsdenken des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltes zurückzufallen. Eine inhaltlich nähere Konturierung erfährt der „Wesentlichkeitsbegriff“ hierdurch allerdings nicht. Eine allgemein gültige, rationale Grenzziehung zwischen „wesentlichem“ und „unwesentlichem“ wird insofern abschließend wohl nicht gelingen.720) Ladeur/Gostomzyk bezeichnen die Wesentlichkeitstheorie passend als eine Art „Gleitformel“, „Je wesentlicher eine Angelegenheit für die Allgemeinheit und/oder den Bürger ist, desto höhere Anforderungen materiell-rechtlicher Determination werden an den Gesetzgeber gestellt.“721) Es kommt insofern immer auf eine Abwägung der Gegebenheiten des Einzelfalles an.

aa) Grundrechtsrelevanz 356 Ausgangspunkt der zu untersuchenden Fragestellung ist dennoch zunächst die Grundrechtsrelevanz des gerichtlichen Auswahlverfahrens. Der Auswahlprozess als Ganzes, d. h. sowohl die Vorauswahlentscheidung wie auch die Bestellentscheidung berühren die Berufsfreiheit der betroffenen Insolvenzverwalter aus Art. 12 I GG, wie es das Bundesverfassungsgericht richtigerweise festgestellt hat.722) Mit Verweis auf die Pflichtverteidigerentscheidung des Verfassungsgerichts argumentiert Henssler, dass es bei der Ausgestaltung des Verfahrens nicht um die Grundrechtsverwirklichung der Bewerber ginge, es sich folglich nicht um eine grundrechtswe___________ 719) 720) 721) 722)

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Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1348). Vgl. Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 56 ff. Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (149). BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642).

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sentliche Entscheidung handele, die gesetzliche Detailregelungen erzwinge.723) Das Verfassungsgericht hatte in dem genannten Beschluss festgestellt, dass Sinn der Pflichtverteidigung nicht sei, „dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteh(e) ihr Zweck ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erh(a)lt(e) und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet (würde)“.724) Henssler bezieht diesen Satz nun auf die Bestellung des Insolvenzverwalters: „Sinn 357 der Insolvenzverwaltung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteht ihr Zweck ausschließlich darin, im Interesse der Gläubiger und im öffentlichen Interesse für eine bestmögliche gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger des Insolvenzschuldners zu sorgen.“725) Er kommt anhand dessen schließlich zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung des Art. 12 I GG aufgrund des Zwecks des Verfahrens, wenn auch nicht negiert werden könne, so doch zumindest stark an Bedeutung einbüße und aus ihm kein an den Gesetzgeber gerichtetes Gebot abgeleitet werden könne, Anforderungen an die Tätigkeit des Insolvenzverwalters zu verschärfen.726) Richtigerweise stellt Henssler fest, dass § 56 I InsO nicht dazu geschaffen wurde, 358 dem Insolvenzverwalter die berufliche Betätigung zu ermöglichen. Vielmehr geht es im Insolvenzverfahren gem. § 1 InsO vorrangig um die bestmögliche Befriedigung der Forderungen der Gläubiger, mithin also primär um den Schutz der Gläubigerrechte aus Art. 14 GG727) sowie daneben auch um den Schutz des redlichen Schuldners (§ 1 S. 2 InsO). Im Rahmen des Beststellverfahrens besteht daher kein Anspruch auf die Bestellung im konkreten Fall, ähnlich der Bestellung zum Pflichtverteidiger. Die Argumentation greift im Ergebnis dennoch zu kurz, da dem Auswahlverfahren, insbesondere dem Vorauswahlverfahren, eine Doppelfunktion zukommt. Neben der Funktion richterlicher Informationsbeschaffung soll es gerade im Wesentlichen auch die Chancengleichheit und damit die Grundrechte der Bewerber schützen.728) Zudem wird durch das Auswahlverfahren, vor allem durch das Vorauswahlverfahren, Einfluss auf die Konkurrenzsituation der Bewerber sowie ___________ 723) Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055). 724) BVerfG, Urt. v. 8.4.1975 – 2 BvR 207/75 = NJW 1975, 1015 (1016). 725) Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055); in der Bedeutung des § 56 InsO übereinstimmend, aber eine gesetzliche Ermächtigung gem. Art. 12 I GG für erforderlich haltend, Laws, ZInsO 2006, 1123 (1126); vglb. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (457). 726) Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055). 727) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454). 728) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 36; Eichel, KTS 2017, 1 (3); Preuß, KTS 2005, 155 (148).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

die Ausgestaltung ihres Marktzuganges genommen, folglich auch Einfluss auf die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten der Verwalter.729) Das Verfahren regelt zwar nicht gänzlich den Berufszugang im Sinne der Berufswahlfreiheit, indem dem betroffenen Verwalter lediglich der Zugang auf die Liste eines bestimmten Gerichts verwehrt werden kann; doch betrifft eine solche Entscheidung die Wahl seines Arbeitsplatzes730) und damit seine Berufsausübungsfreiheit.731) Sinn und Zweck des Auswahlverfahrens ist es letztlich, auch die Qualität der bestellten Verwalter sowie der Verfahrensabwicklung insgesamt sicherzustellen.732) Ein entsprechend geschaffenes Auswahlverfahren, das die Berufsfreiheit tangiert, beschränkt die Rechte der Beteiligten (Insolvenzverwalter) schließlich bewusst zum Schutz der im Vordergrund stehenden optimalen Befriedigung der Gläubigerrechte aus Art. 14 I GG. Gerade bei sog. grundrechtlichen Dreiecksbeziehungen soll der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes jedoch dennoch eingreifen.733)

359 Entgegen Hensslers Argumentation dient das Auswahlverfahren damit durchaus auch der Grundrechtsverwirklichung der Bewerber. Bei dem de lege lata bestehenden Auswahlverfahren bzw. seiner Ausgestaltung handelt es sich folglich um eine grundrechtsrelevante Entscheidung.734) Dieses betrifft mit der Berufsfreiheit zudem ein grundsätzlich bedeutsames Rechtsgut, indem sie einen besonders wichtigen Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen gewährleistet, nämlich den, seinen Lebensunterhalt selbstständig durch eine Erwerbstätigkeit sichern zu können.735)

bb) Grad der Betroffenheit 360 Zur Bestimmung der „Wesentlichkeit“ wird ferner auch auf den Grad der betroffenen Rechtsgüter abgestellt.736) Im Rahmen der hier betroffenen Berufsfreiheit kann zur Bestimmung des Grades der betroffenen Rechtsgüter als Orientierung auf die DreiStufen-Lehre zurückgegriffen werden, die in der Vergangenheit jedoch für ihr zu enges „Korsett“ kritisiert wurde737) und daher hier zunächst als Orientierungshilfe ___________ 729) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575). 730) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 76, Fn. 433; vgl. dazu, Dreier/ Wieland, Art. 12 GG, Rn. 23. 731) Vgl. Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 77. 732) Vgl. BT-Drs. 16/3227, S. 18. 733) Vgl. Hillgruber, JZ 1996, 118 (123). 734) Ebenso: Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 24; Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1348); Wieland, ZIP 2005, 233 (236); ders., ZIP 2007, 462 (563); G. Wolf, DStR 2006, 1769 (1771). 735) Vgl. Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 19. 736) v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 279. 737) Vgl. Höfling, JZ 2009, 339 (342); ders, ZIP 2015, 1568 (1570).

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

herangezogen werden soll.738) So kann z. B. von der Zuordnung zu einer Stufe nicht zwangsläufig auf die Eingriffsintensität geschlossen werden. Dies stellte auch das Bundesverfassungsgericht heraus und wies ferner auf die „fließende(n) Übergänge zwischen Berufswahl und Berufsausübung“ hin.739) Nach den Grundsätzen der Drei-Stufen-Lehre handelt es sich um einen besonders starken Eingriff in die Berufsfreiheit, wenn die Freiheit der Berufswahl der Betroffenen beeinträchtigt wird. Objektive Zulassungsvoraussetzungen werden durch das Auswahlverfahren allerdings nicht geschaffen, insbesondere erfolgt dadurch keine sog. Bedürfnisprüfung.740) Im Rahmen des Auswahlprozesses werden allerdings subjektive Zulassungsvoraussetzungen in Anschlag gebracht, indem die Zulassung zu einer Verwalterliste und die später erfolgende Bestellung im konkreten Fall an das Vorliegen persönlicher Eigenschaften und Qualifikationen wie z. B. Eignung und Geschäftskunde, Ausbildung und zum Teil sogar Alter geknüpft werden. Die entsprechenden Merkmale hat der Gesetzgeber, wie aufgezeigt wurde, für die Bestellung des Insolvenzverwalters im konkreten Fall zumindest rudimentär normiert. Die weitere Ausgestaltung dieser Merkmale hat das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten überlassen. Um im Eilfall eine rasche Bestellentscheidung treffen zu können, haben die Fachgerichte ein Vorauswahlverfahren geschaffen und so den Schwerpunkt des Auswahlprozesses von der eigentlichen Bestellentscheidung auf die Vorauswahl verlagert.741) Dennoch handelt es sich nicht um eine klassische Beschränkung der Berufswahlfreiheit anhand subjektiver Zulassungsvoraussetzungen. Theoretisch wird dem potentiellen Verwalter im Falle einer Ablehnung lediglich der Zugang zu einer konkreten Vorauswahlliste eines bestimmten Gerichts bzw. nur zur Liste eines Insolvenzrichters verwehrt. Bei anderen Gerichten ist ihm die Aufnahme theoretisch dennoch möglich, da diese im Detail andere Kriterien zur Feststellung etwa der Eignung fordern könnten. Es handelt sich damit um einen untypischen Fall der Beschränkung des Berufszugangs. Nach hiesiger Ansicht ist de lege lata jedoch faktisch ein Auswahlverfahren mit 361 subjektiven Zulassungsvoraussetzungen entstanden. So haben sich die Fachgerichte bei der ihnen überlassenen Ausgestaltung der Kriterien zur Vorauswahllistenentscheidung in praxi an den durch den Gesetzgeber für die konkrete Bestellentschei___________ 738) Der nach wie vor aktuelle Kern der Drei-Stufen-Lehre bestehe allerdings darin, dass die materiellen Rechtfertigungsanforderungen an Eingriffe in die Berufsfreiheit gleichsam dynamisch an die Intensität des jeweiligen Eingriffs angepasst würden. Damit sei das Konzept einer Fixierung auf intensitätsindizierende Schutzebenen heute weitgehend einer situationsbezogenen Einzelfallbewertung gewichen. So: Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (197) m. w. N. 739) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.3.1992 – 1 BvR 298/86 = NJW 1992, 2621 (2622); BVerfG, Beschl. v. 20.3.2001 – 1 BvR 491/96 = NJW 2001, 1779 (1779); Höfling, JZ 2009, 339 (342). 740) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.3.1992 – 1 BvR 298/86 = NJW 1992, 2621; Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 62f. 741) Wieland, ZIP 2007, 462 (463).

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dung vorgegebenen Merkmalen zu orientieren. Die Merkmale werden schließlich, wie aufgezeigt, durch eine Fülle dazu ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof konturiert. In praxi ist damit also eine Art „Zulassungsverfahren“742) entstanden, das als solches auch an den Vorgaben des Art. 12 I GG gemessen werden muss. Andernfalls würde der grundrechtliche Schutz unterlaufen werden können, indem der Gesetzgeber bis heute von der Normierung des Auswahlverfahrens abgesehen hat, sich gleichzeitig jedoch aus der Not der Fachgerichte heraus und unter Billigung des Bundesverfassungsgerichts, mit nur wenigen, dem grundrechtlichen Schutz der Einzelnen dienenden Einschränkungen, faktisch ein Auswahlverfahren implementiert hat.

362 Aufgrund der durch das Auswahlverfahren als staatliche Entscheidung bereits festgestellten Beeinträchtigungen beruflicher Betätigungsmöglichkeiten, der Auswirkungen für den Marktzugang und schließlich auch der Verdienstmöglichkeiten,743) berührt das Auswahlverfahren – und zwar sowohl die Vorauswahl- wie auch die Bestellentscheidung – die Berufsfreiheit der (potentiellen) Insolvenzverwalter. Darüber hinaus handelt es sich nach Ansicht des Verfassers bei beiden Teilentscheidungen des Auswahlverfahrens um sog. grundrechtsrelevante Entscheidungen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie. Das Rechtsgut der Berufsfreiheit wird dabei faktisch in einem Maße berührt, das einem Eingriff in die Berufswahlfreiheit zumindest nahekommt.744)

363 Das Auswahlverfahren beschränkt die Berufswahl dabei nicht klassisch, da es Einzelnen die Ausübung des Insolvenzverwalterberufes rechtlich nicht verwehrt,745) doch geht es gleichzeitig über eine bloße Ausübungsregelung hinaus, indem faktisch eine Art – aus gerichtlichen und gesetzgeberischen Vorgaben gewachsenes – Zulassungssystem besteht. Das „Umschlagen“ einer besonders intensiven Berufsausübungsregelung in eine Berufswahlbeschränkung kann hier schlussendlich jedoch ___________ 742) Sogar der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Entscheidung über die Aufnahme in die Vorauswahlliste „Berufszulassungscharakter“ habe, BT- Drucks. 17/3356, S. 15 ebenso: Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 105; in diese Richtung, aber wohl zu weit gehende auch Schmittmann, der von einem Gleichlauf zwischen Zulassung zum Beruf und Aufnahme auf die Vorauswahlliste ausgeht, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (881). 743) Dabei handelt es sich um zulässige Kriterien zur Beurteilung der „Wesentlichkeit“ vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 25.3.1992 – 1 BvR 298/86 = NJW 1992, 2621 (2622); weitere Kriterien bei Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 107. 744) So aber nunmehr Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3), die in den durch die Gerichte aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die Vorauswahlliste, subjektive Berufswahlschranken sehen. Explizit offengelassen hingegen noch durch BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576); BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642). 745) So aber Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 123 ff.

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nicht festgestellt werden.746) Eine klassische Zulassungsschranke besteht im Falle des § 56 I InsO folglich nicht.

cc) Regelungsdichte Fraglich bleibt nun noch, welche normativ-inhaltlichen Konsequenzen aus der Be- 364 stimmung des Auswahlverfahrens als „wesentlich“ zu bestimmen sind. Mangels starrer, rational bestimmbarer Grenzen der Wesentlichkeitstheorie und ihrem Charakter einer Art „Gleitformel“, folgt für die inhaltliche Bestimmung der Regelungsdichte, dass der Regelungsgehalt einer Norm umso präziser und enger festgesetzt werden muss, je nachhaltiger die Grundrechte des einzelnen Bürgers betroffen sind bzw. je gewichtigere Auswirkungen für die Allgemeinheit zu erwarten sind und je umstrittener sich ein Fragekomplex für die Öffentlichkeit darstellt.747) Bei der Festlegung des Bestimmtheitsstandards ist zudem nach dem Sachbereich der gegenständlichen Gesetzesmaterie zu differenzieren.748) Zu betonen ist, dass diese Ausführungen nicht etwa nur bei klassisch staatlichen Eingriffshandlungen in Grundrechte gelten, sondern gerade auch dann wenn der Staat dazu verpflichtet ist, Grundrechte auszugestalten und zu gewährleisten.749)

dd) Zwischenergebnis Die Grundrechtsbetroffenheit bzw. -beschränkung der Bewerber kann folglich, an- 365 ders als Henssler plädiert, nicht als so marginal beschrieben werden, dass sie vollständig hinter dem durch das Insolvenzrecht primär verfolgten Verfahrensziel des Gläubigerschutzes zurückstehen und die Bedeutung des Art. 12 I GG dadurch negiert werden könnte. Nach hier vertretener Ansicht ist das Auswahlverfahren, und zwar wiederum sowohl Vorauswahl- wie auch Bestellentscheidung, als „wesentlich“ im Sinne der Grundrechtsverwirklichung der Betroffenen und des Art. 12 I GG zu beurteilen.750) Das Auswahlverfahren ist daher auch keiner autonomen Rechtssetzung der Verwaltung zugänglich.751) Faktisch kann von einer Art Zulassungsverfahren mit subjektiven Zulassungsvoraussetzungen gesprochen werden. So haben ___________ 746) 747) 748) 749) 750)

Vgl. dazu Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 342. Vgl. Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (149). Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75 = NJW 1978, 2143. Vgl. Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (149). Im Ergebnis ebenso: Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 24; Köster, NZI 2004, 538 (541f.); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 66; Römermann, ZIP 2006, 1332 (1333); Schick, NJW 1991, 1328 (1330); Wieland, ZIP 2005, 233 (236); Wieland, ZIP 2007, 462 (463); den Gesetzgeber ebenfalls in der Pflicht sehend, Laws, ZInsO 2006, 847 (850); dies., ZInsO 2006, 1123 (1126); Pape, ZInsO 2017, 1341 (1342); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (459f.); Vallender, ZIP 2019, 158 (162) a. A. Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055f.). 751) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 104 Rn. 12f.

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sich die Fachgerichte bei der ihnen überlassenen Ausgestaltung der Kriterien zur Vorauswahllistenentscheidung in praxi an den durch den Gesetzgeber für die konkrete Bestellentscheidung vorgegebenen Merkmalen zu orientieren. Diese werden schließlich durch eine Fülle dazu ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung konturiert. Die so gesehen besonders intensiven Berufsausübungsregelungen schlagen schlussendlich jedoch nicht in eine Berufswahlbeschränkung um.

366 Die folgende Untersuchung wird zu klären haben, ob es sich vor dem Hintergrund der skizzierten Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie bei der bestehenden Vorschrift des § 56 InsO um eine hinreichende Rechtsgrundlage für das Auswahlverfahren bzw. für die Bestellung und die Vorauswahl des Insolvenzverwalters handelt.

c)

Die Eingriffsintensität der Bestellentscheidung – Unbestimmtheit des § 56 I InsO?

367 Ausfluss des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes ist die Bestimmtheit der zu schaffenden Norm bzw. die Anforderung an den parlamentarischen Gesetzgeber, dem Grundsatz insofern nicht ausweichen zu können, als er sich seines Entscheidungsmonopols und seiner Regelungspflicht im Rahmen grundrechtsrelevanter, “wesentlicher“ Entscheidungen durch die Verwendung von Generalklauseln oder unbestimmter Rechtsbegriffe entzieht und sie auf die Exekutive verlagert.752)

368 Grundsätzlich steht es dem Gesetzgeber frei, sich bei der Schaffung eines gesetzlichen Tatbestandes einer engen Beschreibung der Tatbestandsmerkmale zu bedienen oder aber unbestimmte Begrifflichkeiten zu verwenden, die einen weiteren Kreis von Sachverhalten abdecken. Diese Freiheit findet ihre Grenzen jedoch in den Grundsätzen der Normklarheit und der Justiziabilität.753) Der verfassungsrechtlich entwickelte Bestimmtheitsgrundsatz schließt die Verwendung von Ermessensnormen bzw. die Verwendung auslegungsbedürftiger Begrifflichkeiten nicht aus, denn diese führen nicht automatisch zu einer Unbestimmtheit der Norm.754) An der Bestimmtheit fehlt es dann, wenn Regelungen unklar und widersprüchlich bleiben, so dass die Normbetroffenen die Rechtslage nicht erkennen und ihr Verhalten nicht danach ausrichten können.755) Regelmäßig – und dies lässt sich mit Sicherheit auch für den vorliegenden Fall behaupten – weisen Sachverhalte eine hohe Komplexität und Dynamik auf, sodass es zum Zeitpunkt des Normerlasses nicht möglich ist, alle absehbaren Sachverhalte zu erfassen und mittels bestimmter, einfacher Begrifflich___________ 752) Isensee/Kirchhoff/Ossenbühl, HStR V, § 101 Rn. 30, 53; Sachs/Sachs, Art. 20 GG, Rn. 115, 117, 127 ff. 753) Statt mehrerer: BVerfG, Beschl. v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75 = NJW 1978, 2143 (2143); BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 = NJW 1979, 359 (361). 754) v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 289 m. w. N. 755) v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 289.

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

keiten zu umschreiben.756) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Entscheidung über die Grenzen der Freiheitsrechte der Betroffenen jedoch nicht in das einseitige Ermessen des Normanwenders gelegt werden.757) Bei der Insolvenzverwaltung handelt es sich um einen sehr vielseitigen Tätigkeits- 369 bereich, für den die Festlegung eines detaillierten Anforderungsprofils nahezu unmöglich erscheint. Eine Umschreibung des Anforderungsprofils ist daher nur mittels auslegungsbedürftiger Begrifflichkeiten möglich, die Raum für ein Einzelfallermessen des Normanwenders lassen. Etwaige einmalig ergehende Zulassungsentscheidungen, wie sie im Bereich der Insolvenzverwaltung bisweilen nicht bestehen, könnten eher an bestimmte gesetzliche Kriterien gebunden werden, als eine Vielzahl einzelfallbezogener Verfahrensbestellungen, für die die Verwendung auslegungsfähiger, Ermessensnormen unabdingbar erscheint.758) Wie bereits aufgezeigt wurde, hängt der Bestimmtheitsgrad einer Norm – besonders 370 im Bereich des Vorbehalts des Gesetzes759) – immer auch von der Grundrechtsrelevanz der Entscheidung ab. Die Anforderungen an § 56 InsO sind also umso größer, je intensiver durch die Bestellentscheidung in die Berufsfreiheit des Art. 12 I GG eingegriffen wird.760) Eine tatsächliche, klassische Berufswahlregelung stellt im Rahmen des § 56 I InsO 371 jedoch lediglich die Beschränkung auf natürliche Personen dar. Tatsächlich trifft § 56 I InsO wie erwähnt, lediglich Regelungen in Bezug auf die Bestellentscheidung.761) Die Norm an sich bzw. das im Fokus stehende Kriterium der Eignung reglementiert mithin nicht den generellen Berufszugang im Sinne der Berufswahlfreiheit, sondern trifft alleine eine Voraussetzung für die Bestellung des Insolvenz-

___________ 756) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 = NJW 1979, 359 (361); v. Mangoldt/ Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 289. 757) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 = NJW 1959, 475 (477); BVerfG, Urt. v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 = NJW 2005, 2603 (2607); Sachs/Sachs, Art. 20 GG, Rn. 115. 758) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576); Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1183); Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055f.); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 75. 759) Sachs/Sachs, Art. 20 GG, Rn. 128. 760) Vgl. BVerfG, Urt. v. 1.7.1980 – 1 BvR 247/75 = NJW 1980, 2123 (2123); Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 109; zum Bestimmtheitsgrad: BVerfG, Urt. v. 11.3.2008 – 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07 = NJW 2008, 1505 (1509); v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn.278, 289. 761) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

verwalters in einem konkreten Verfahren.762) Der richterliche „Subsumtionsakt“ steht bei der Bestellentscheidung eindeutig im Vordergrund, d. h., die Anwendung der durch das Gesetz vorgegebenen Kriterien sowie der im Vorauswahlverfahren erhobenen Merkmale auf den jeweiligen Einzelfall. Die Mannigfaltigkeit der jeweiligen Sachverhalte lässt es dabei nicht zu, ein starres Anforderungsprofil des Insolvenzverwalters zu definieren. Aufgrund dessen steht es dem Gesetzgeber, losgelöst von einem etwaigen Betroffenheitsgrad, offen, unbestimmte bzw. auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe zu verwenden. Wie bereits oben diskutiert, könnte lediglich die Entscheidung über die Aufnahme in die Vorauswahlliste, als „quasi Zulassungsverfahren“, eine generelle Berufszugangsregelung und somit eine intensive Berufswahlregelung darstellen763), bzw. mangels hinreichender gesetzlicher Ausgestaltung unzulässigerweise in die Berufsfreiheit des Art. 12 I GG eingreifen.764)

372 Bei Nichtberücksichtigung im Rahmen der Bestellentscheidung und Verneinung der Eignung wird nach dem Beschriebenen allerdings nicht festgestellt, dass es dem Bewerber generell an der Eignung für den Berufszugang bzw. die Listung fehlt.

373 Somit ist festzustellen, dass die in § 56 I InsO geregelte Teilentscheidung der Bestellung eine eher gering einzuschätzende Eingriffsintensität aufweist.765) Damit einhergehend dürfen folglich auch die Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm nicht überspannt werden.766) Die Unbestimmtheit der Begrifflichkeiten des § 56 I InsO in Bezug auf die Bestellentscheidung – besonders des Begriffs der Eignung – sind daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, sondern bewegen sich innerhalb des dem Gesetzgeber gestatteten Spielraums, unbestimmte Rechtsbegriffe bzw. Ermessenstatbestände für derartige Einzelfallentscheidungen zu schaffen. § 56 InsO stellt in Bezug auf die Bestellentscheidung im konkreten Fall folglich eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage dar und dürfte insofern den aufgezeigten Anforderungen an den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes genügen. Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheitsrechte der ___________ 762) Vgl. Graf-Schlicker/Remmert, ZInsO 2002, 563 (564); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 76; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 14; a. A. Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 117, die in der Bestellung zum Insolvenzverwalter keine bloße Qualifikation eines bestehenden Berufes sieht, dieser könne nur auf dem Wege der Bestellung überhaupt ausgeübt werden, es werde daher die „Zugehörigkeit zu diesem Beruf“ reglementiert, mithin erfolge ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit. 763) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); so erwägt Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (456), ob geschlossene Listen nicht die Wirkung einer objektiven Berufswahlregelung entfalteten. 764) Dazu sogleich. 765) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 76; mit § 57 InsO hat der Gesetzgeber die Eingriffsintensität zudem entschärft, indem es den Gläubigern in der ersten auf die Bestellung folgenden Gläubigerversammlung gestattet wird, einen anderen Verwalter zu wählen, Henssler, ZIP 2002, 1053 (1055); ders., in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (51). 766) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 77.

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

Betroffenen werden durch die Bestellentscheidung des § 56 I InsO nicht gänzlich einseitig – und damit ansonsten unzulässig – in das Ermessen des Insolvenzgerichts als Normanwender übertragen.767)

d) Vorauswahlverfahren und Wesentlichkeitstheorie Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis auch im Rahmen des in § 56 InsO nicht ori- 374 ginär geregelten Vorauswahlverfahrens Bestand haben kann. Nach der obigen Untersuchung hat sich herausgestellt, dass Vorauswahl- und Be- 375 stellentscheidung streng voneinander abzugrenzen sind. Ferner wurde auch festgestellt, dass die Vorauswahllistenentscheidung erhebliche Auswirkungen auf die Berufsfreiheit der Bewerber hat,768) sofern sie zumindest einer stark grundrechtsbeschränkenden Berufswahlregelung nahekommt. Den Bewerbern kann hierdurch zwar theoretisch nur der Zugang zu einer bestimmten Liste eines Insolvenzrichters bzw. -gerichts verwehrt werden, doch werden die Bewerber stark in ihrer beruflichen Betätigungsmöglichkeit, ihrem Marktzugang beschränkt. Gerade regional tätige Verwalter sind oft darauf angewiesen, ihre Tätigkeit auch bei Insolvenzgerichten in der Umgebung ausüben zu können.769) Zudem hat das Vorauswahlverfahren große Auswirkung auf die im Eilfall ergehende Bestellentscheidung, da letztere maßgeblich auf die, sorgfältige und ohne Zeitdruck erfolgende, Geeignetheitsprüfung sowie den darin gewonnenen Informationen beruht.770) Regelmäßig dürfte es zudem zu einer Bestellung aus der jeweiligen Vorauswahlliste kommen.771) Ein erheblicher Teil des Auswahlverfahrens hat sich damit im Laufe der Zeit auf das Vorauswahlverfahren verlagert.772) Theoretisch ist zwar der Insolvenzrichter nicht an die Vorauswahlliste gebunden, sie dient lediglich zur Orientierung. Ferner ist es auch nicht zwingend, einen Verwalter von der Liste auszuwählen, denn auch nicht gelistete Kandidaten, die etwa durch den Gläubigerausschuss vorgeschlagen wurden, können bestellt werden. Doch dürfte es faktisch erheblich auf die im Vorauswahl___________ 767) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 = NJW 1959, 475 (477); BVerfG, Urt. v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 = NJW 2005, 2603 (2607); Sachs/Sachs, Art. 20 GG, Rn. 115. 768) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191; Wieland, ZIP 2005, 233 (234f.); ders., EWiR 2005, 437 (438). 769) Ähnliche Argumentation bei Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 131f., die allerdings nicht ausreichend zwischen Auswahl- und Bestellentscheidung differenziert. Schmittmann will sogar von einem Gleichlauf zwischen Zulassung zum Beruf und Aufnahme auf die Vorauswahlliste ausgehen, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (881f.). 770) Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 22.6.2018 – 2 VA 12/14 = ZIP 2019, 928 (930); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 14; Wieland, EWiR 2005, 437 (438). 771) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3). 772) Wieland, ZIP 2007, 462 (463).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

verfahren gesammelten Informationen ankommen. Als staatliche Teilentscheidung über ein wirtschaftlich relevantes Betätigungsfeld, hat das Vorauswahlverfahren damit erhebliche Auswirkungen auf die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten, die Berufschancen und mithin auf die Berufsfreiheit der Bewerber.773) Daher wurde festgestellt, dass es sich um eine Art faktisches „Zulassungsverfahren“ handelt, das regional, bzw. örtlich unterschiedliche Ausgestaltungen aufweisen kann, die sich ihrerseits an der Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen zu orientieren haben.774)

376 Das skizzierte Vorauswahlverfahren ist daher als „wesentlich“ im Sinne der Wesentlichkeitstheorie anzusehen mit der Konsequenz, dass der Gesetzgeber dazu angehalten ist, es entsprechend zu normieren. Die gesetzgeberische Abstinenz wurde hingegen durch das Bundesverfassungsgericht nicht besanstandet.775) Gleichzeitig stellt es jedoch abstrakt die Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Regelungen für das Vorauswahlverfahren fest und überträgt die Verantwortung, für eine transparente, ermessensfehlerfreie Vorauswahl Sorge zu tragen, den Fachgerichten zur weiteren Ausgestaltung.776) Die Verantwortung, eine entsprechend verfassungsgemäße Verfahrensgestaltung sicherzustellen, hat das Grundgesetz mit dem in Art. 12 I GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt allerdings ausdrücklich dem Gesetzgeber zugewiesen.777)

377 Soweit sich die anfangs aufgestellte These bewahrheitet und der Gesetzgeber das Vorauswahlverfahren tatsächlich nicht kodifiziert hat, ist dieser Teil des Auswahlverfahrens konsequenterweise als verfassungswidrig anzusehen.

378 Grundsätzlich sieht § 56 I InsO lediglich Bestimmungen für das konkrete Bestellverfahren vor.778) Im Rahmen des InsVereinfG vom 13.4.2007 ergänzte der Gesetzgeber § 56 I 1 InsO um den 2. Halbsatz „die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist“. Fraglich ist daher schlussendlich, ob auch das von den Insolvenzgerichten und vom Bun___________ 773) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575); Wieland, ZIP 2005, 233 (234f.); G. Wolf, DStR 2006, 1769 (1771). 774) Bereits die oben ergangene Untersuchung zu den Vorauswahlkriterien und einigen Fragebögen großer Insolvenzgerichte hat gezeigt, dass es trotz der Vielzahl, auch die Vorauswahllistenkriterien konturierenden, Rechtsprechung, keine einheitliche Handhabung gibt, z. T. sogar die genannte Rechtsprechung unzureichend befolgt wird. 775) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (642); Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1183). 776) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Wieland geht gar davon aus, dass sich dieser Hinweis des Verfassungsgerichts direkt an den Gesetzgeber richte, Wieland, EWiR 2005, 437 (438). 777) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); ebenso: Römermann, ZIP 2006, 1332 (1333); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347f.). 778) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347).

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

desverfassungsgericht anerkannte Vorauswahllistensystem seinen gesetzlichen Niederschlag in dieser Ergänzung gefunden hat. Im InsVereinfG hat der Gesetzgeber die Feststellungen des Verfassungsgerichts, es 379 handele sich um ein zweistufiges Auswahlverfahren, aufgegriffen, eine weitere Ausdifferenzierung der Kriterien der Bestellentscheidung als „Minus gegenüber einem ausdifferenzierten Zulassungsverfahren“ allerdings bewusst unterlassen. Ebenso bewusst unterlassen hat es der Gesetzgeber, das „weit verbreitete Listenverfahren auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen“. Zur Begründung heißt es im Gesetzentwurf, dass eine Normierung keinen wirklichen Gewinn an Rechtssicherheit bringen würde, ein „rechtlich detailliert ausgestaltetes Listenverfahren ließe sich nur dann legitimieren, wenn die Verwalter in der Reihenfolge dieser Liste bestellt würden oder wenn sie zumindest regelmäßig aus der Liste ausgewählt würden.“. Es sei außerdem wenig überzeugend, ein regelungstechnisch aufwändiges Verfahren zu institutionalisieren, wenn es dann nach § 57 InsO gleichwohl möglich sei, in der ersten Gläubigerversammlung eine andere Person zu wählen. Durch eine verbindliche Liste könne dem für die konkrete Auswahlentscheidung zentralen Kriterium der Eignung ferner nicht Rechnung getragen werden.779) Eindeutig und bewusst hat der Gesetzgeber das Vorauswahlverfahren insofern 380 nicht kodifiziert.780) Der oben genannte 2. Hs. war durch den Gesetzgeber lediglich zur Verhinderung sog. „geschlossener Listen“ eingeführt worden. Auf der anderen Seite hat es das Bundesverfassungsgericht versäumt, den Gesetzgeber in diesem – nach eigener Rechtsprechung781) – so grundrechtlich relevanten Bereich der Berufsfreiheit ausdrücklich anzuweisen, selbst tätig zu werden. Die Zurückhaltung des Gesetzgebers sowie des Verfassungsgerichts sind daher ausdrücklich zu kritisieren.782) Es wird so gesehen bewusst ein verfassungswidriger Zustand aufrechterhalten. Durch die vorsätzliche Untätigkeit des Gesetzgebers und indem er trotz offensicht- 381 lich erkannter Regelungsbedürftigkeit von einer Kodifikation absieht (sog. absolutes Unterlassen), er es vielmehr der Rechtsprechung überlassen hat, die Materie im ___________ 779) BT-Drs. 16/3227, S. 18; laut Prütting kann eine solche Einlassung des Gesetzgebers nur Kopfschütteln verursachen, zumal es im Referentenentwurf von 2004 noch hieß, es sei nicht weiterführend, das Listenverfahren auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, Prütting, ZIP 2005, 1097 (1101). 780) Vgl. ebenso: Prütting, ZIP 2005, 1097 (1101); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1348). 781) Vgl. statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 27.1.1976 – 1 NvR 2325/73 = NJW 1976, 1309 (1310); BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = NJW 1979, 699 (707); das Grundrecht der Berufsfreiheit verkörpert eine grundrechtliche (subjektiv-rechtliche) wie auch eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung von besonderem Rang, Dürig/Herzog/Scholz/ Scholz, Art. 12 GG, Rn. 4. 782) Vgl. Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 135f.; Römermann, ZIP 2006, 1332 (1339); G. Wolf, DStR 2006, 1769 (1771).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Laufe der Zeit weiter auszugestalten, missachtet er das nicht zur Disposition stehende Gewaltenteilungsprinzip und delegiert seine Gesetzgebungskompetenz – nun dementsprechend auch in § 74 StaRUG für die Vorauswahlliste des Restrukturierungsbeauftragten – entgegen dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes auf den einzelnen Richter als Justizbehörde.783), 784)

382 Die fehlende gesetzliche Grundlage für das Vorauswahlverfahren steht somit im Konflikt mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie. Die de lege lata bestehende Vorauswahlpraxis ist daher als verfassungswidrig anzusehen.785)

4.

Zwischenergebnis

383 Es ist zu konstatieren, dass das Auswahlverfahren in Gänze „wesentlich“ im Sinne der Wesentlichkeitstheorie ist und somit unter den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes fällt.

384 Die Regelungen des § 56 InsO, betreffend die Bestellentscheidung im konkreten Verfahren sind hinreichend bestimmt und genügen den Anforderungen an den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes.786) Anders stellt sich dies für das Prozedere des Vorauswahllistensystems dar. Für die Entscheidung der Vorauswahl bestehen keine gesetzlichen Vorschriften. Die sich an den Gesetzgeber richtenden Anforderungen des Art. 12 I GG werden hierbei folglich nicht erfüllt.

385 Selbst wenn man die Vorauswahllistenentscheidung nicht als von der Bestellentscheidung unabhängigen Akt ansähe, sondern als ausgelagerte Vorbereitungshand-

___________ 783) Vgl. Hillgruber, JZ 1996, 118 (124), der im Falle solchen Verhaltens außerdem als problematisch ansieht, dass entsprechend nicht existierende Regelungen nicht nach Art. 100 I GG vorlagefähig wären. 784) Das Vorauswahlverfahren ist schließlich auch nicht durch die dasjenige betreffenden Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht materiellrechtlich verankert. Der Urteilstenor entsprechender Entscheidungen kann zwar grds. Gesetzeskraft und damit Bindungswirkung für Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte entfalten, dies gilt jedoch nur für Verfassungsbeschwerden, die ein Gesetz oder eine Entscheidung für mit dem Grundgesetz unvereinbar oder nichtig erklären oder ein auf ein solches Gesetz beruhendes Urteil aufheben, vgl. Isensee/Kirchhoff/Kreuter-Kirchhof, HStR XII, § 272 Rn. 25. Dies ist bei den hier relevanten Beschlüssen nicht der Fall. 785) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3, 6); Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 26; Lüke, ZIP 2000, 485 (488); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1348, 1356); Zweifel an der Verfassungsgemäßheit, Höfling, ZIP 2015, 1568 (1569f.); aufgrund der „Wesentlichkeit“ der Entscheidung sei eindeutig der Gesetzgeber in der Pflicht und müsse den Parlamentsvorbehalt ausfüllen, Ries, EWiR 2015, 545 (546); Römermann, ZIP 2006, 1332 (1333); Wieland, EWiR 2005, 437 (438); ders., ZIP 2005, 233 (236); ders., ZIP 2007, 462 (463). 786) Zweifelnd nun Gaier, AnwBl 2022, 356 (357).

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C. Verfassungswidrigkeit des Vorauswahl- und Bestellprozesses de lege lata

lung der Bestellentscheidung auffasse,787) somit also auf eine generelle Regelung des § 56 I InsO zurückgreifen könnte, hielte dies verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht stand. Vielmehr würde § 56 I InsO dann in dieser Hinsicht keine den Anforderungen an die inhaltliche Regelungsdichte genügende Regelung darstellen. Dies folgt bereits daraus, dass oben deutlich geworden ist, dass es sich gerade bei der Vorauswahlentscheidung um einen nachhaltigen Grundrechtseingriff für die Bewerber handelt, dessen Auswirkungen sich aufgrund der großen Bedeutung der Vorauswahllistung auch als gewichtig für die Allgemeinheit darstellen können.788) Damit bedarf es aus normativ-inhaltlicher Sicht einer präzisen und engen Festsetzung des Vorauswahlverfahrens, die de lege lata vor dem Hintergrund einer uneinheitlichen Struktur, einer uneinheitlichen Auslegung der Kriterien und einem Flickenteppich von verschiedenen Auswahlsystemen nicht bestehen kann.789) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vor diesem Hintergrund zu 386 kritisieren, da es den Gesetzgeber hätte anhalten müssen, die wesentlichen Gesichtspunkte des Auswahlverfahrens, insbesondere das Vorauswahlverfahren klar zu normieren.790) Richtig ist zwar, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist, als eine Art Ersatzgesetzgeber aufzutreten791). Doch wäre es seine Aufgabe gewesen, die Zurückhaltung des Gesetzgebers zu rügen und ihn zu einer sich an den Vorgaben des Art. 12 I GG orientierenden Regelung aufzufordern. Als Rechtfertigung darauf zu verweisen, derzeit bestünde kein schlüssiges Gesamtkonzept zur Neugestaltung des Auswahlverfahrens,792) trägt nicht, gibt und gab es doch eine Fülle verschiedener Reformvorschläge oder vergleichbarer Auswahlsysteme, an denen sich der Gesetzgeber hätte orientieren können.793) ___________ 787) So nimmt Ries mit Verweis auf den Beschluss des BVerfG aus 2004 an, die Vorauswahlliste würde antizipiert erstellt und sei damit integraler Bestandteil der jeweiligen richterlichen Bestellungsentscheidung, K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48. Dem kann bereits nicht gefolgt werden, das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass die Vorauswahlentscheidung lediglich über den Kreis potentiellen Insolvenzverwalter befinde und zwar ohne Verbindung zu einem konkreten Verfahren. Ferner auch, dass beide Verfahren rechtlich nebeneinander bestünden, folglich nicht als integraler Bestandteil aufgefasst werden können, vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575). Auch Preuß hält es für problematisch, die Vorauswahl-Praxis als lediglich unselbständigen Vorbereitungsprozess der Bestellentscheidung im konkreten Fall anzusehen und sie damit lediglich als Gerichtsinternum anzusehen. Ergäbe sich dabei gleichzeitig doch immer auch ein potentieller Eingriff in die Grundrechte abgewiesener Bewerber. Auch das BVerfG mahne daher präzisere rechtliche Maßstäbe und deren rechtliche Kontrolle an, Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 323f. 788) Vgl. Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (149). 789) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3f.). 790) Vgl. Römermann, ZIP 2006, 1332 (1339). 791) Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1178). 792) Gaier, ZInsO 2006, 1177 (1183). 793) Ähnlich kritisch gegenüber einer solchen Rechtfertigung des Gesetzgebers, Prütting, ZIP 2005, 1097 (1101).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

387 Mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage ist das derzeitige Vorauswahlverfahren daher als verfassungswidrig einzuschätzen.

D. Justizgewährungspflicht und europarechtlicher Regelungsbedarf 388 Nach den obigen Ausführungen, bedarf es also weiterer, klarer gesetzlicher Regelungen für das Auswahlverfahren. Dieses Erfordernis könnte sich hier außerdem mit Blick auf die Pflicht des Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Justizorganisation ergeben (Rn. 389). Ferner soll untersucht werden, ob auch Vorgaben des europäischen Gesetzgebers auf die Insolvenzverwalterauswahl anzuwenden sind und falls dies zu bejahen ist, welche Vorgaben sie für eine künftige Regelung mit sich bringen (Rn. 392).

I.

Verfassungsrechtliche Pflicht zur Justizorganisation

389 Eine Regelungspflicht des Gesetzgebers könnte sich aus seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Justizorganisation ergeben. Aus dem Rechtsstaatsprinzip als objektivem Rechtsgrundsatz folgt die Pflicht des Staates zur Justizgewährung,794) also die Pflicht zur Vorhaltung qualifizierter, verbindlicher und öffentlicher Streitbeilegung, folglich insbesondere auch der Zivilrechtspflege.795) Der Justizgewährungsanspruch bedarf außerdem der gesetzlichen Ausgestaltung. Darunter fällt gerade auch die institutionalisierte Ausgestaltung eines Verfahrens, das den Rechtssuchenden die Abwicklung und Gestaltung ihrer privaten Rechtsbeziehungen anhand des materiellen Rechts ermöglicht.796) Somit gelangt hier neben der subjektiv-abwehrrechtlichen Komponente des Art. 12 I GG auch der objektiv-rechtliche Gehalt des Grundrechts zur Geltung.797)

390 Zur Justizgewährungspflicht als Verfassungspflicht gehört schließlich auch, für eine funktionsfähige Rechtspflege Sorge zu tragen.798)

391 Indem der Insolvenzverwalter als originär privates Rechtssubjekt für ein konkretes Verfahren in eine Funktionseinheit mit dem Gericht eintritt, wird er für die Zeit der Verfahrensbearbeitung mittelbar Teil des staatlichen Justizpersonals, mithin Teil ___________ 794) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Degenhart, HStR V, § 114 Rn. 8; Maurer, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht; 2. Band: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, S. 467 (492). 795) Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (195). 796) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Degenhart, HStR V, § 114 Rn. 9; Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (195); Maurer, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht; 2. Band: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, S. 467 (493). 797) Vgl. Dreier/Wieland, Art. 12 GG, Rn. 142f., 154f.; Epping/Hillgruber/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 17, 21. 798) Isensee/Kirchhoff/Degenhart, HStR V, § 114 Rn. 13.

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D. Justizgewährungspflicht und europarechtlicher Regelungsbedarf

der Rechtspflege.799) Der Staat bedient sich also der Einbringung entsprechend „externen“ Justizpersonals, um seiner zuvor beschriebenen Wahrnehmungsverantwortung zur Ausgestaltung der Zivilrechtspflege als Ausfluss der allgemeinen Justizgewährung Genüge zu tun. Daraus folgt, dass er auch eine wesentliche Verantwortung für die Rekrutierung und Kontrolle dieses „externen“ Justizpersonals trägt. Diese Verantwortung umfasst nicht nur erst die Bestellung des Insolvenzverwalters im konkreten Verfahren – als Verschmelzungsakt der Funktionseinheit – sondern auch bereits die Ausgestaltung der diesem Verfahren vorangehenden und es wesentlich beeinflussenden Vorauswahlentscheidung.800) „Die Vorauswahlentscheidung erweist sich deshalb als ein (auch) justizorganisatorischer Akt, der den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Schaffung von Einrichtungen der staatlichen Justizgewährung zu genügen hat.“801)

II. Regelungsbedarf qua Europarecht Neben den bearbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben werden bereits heute auch 392 Regulierungen des europäischen Gesetzgebers relevant. Diese Vorgaben sind besonders auch für eine künftige Neuausrichtung des Auswahlverfahrens beachtlich. Die Dienstleistungs-Richtlinie802) verpflichtet jeden Mitgliedstaat in Art. 15 I DL-RL, 393 seine gesamte Rechtsordnung auf die Vereinbarkeit mit deren Vorgaben zu prüfen und ggf. Rechts- und Verwaltungsvorschriften an die enthaltenen Bedingungen anzupassen. Die in erster Linie auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbare Richtlinie hat durch das Gleichheitsgebot des Art. 3 I GG auch Auswirkungen auf die hiesigen nationalen Regelungen über die Auswahl des Insolvenzverwalters. Würden inländische Insolvenzverwalter gegenüber den in Deutschland niedergelassenen ausländischen Insolvenzverwaltern dadurch benachteiligt, dass richtlinienwidrige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit für „Inländer“ weiterhin gälten, wäre dies mit Art. 3 I GG nicht vereinbar.803) Insofern könnte das vorliegende uneinheitliche und intransparente Auswahlverfahren gegen das in Art. 9 I DL-RL ___________ 799) S. o. unter: Rn. 71; Als Teil des Zwangsvollstreckungsrechts sei das Insolvenzverfahren außerdem unmittelbar auf den Schutz und die Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter privater Interessen gerichtet und sei wesentliches Element der vom Staat geschuldeten Justizgewähr: BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 (166f.) = NJW 2016, 930 (934). 800) Höfling, JZ 2009, 339 (341); ders., in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (196); Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 487; dies., KTS 2005, 155 (162). 801) Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (196); basierend auf, Preuß, KTS 2005, 155 (162f.); zustimmend, Vallender, NZI 2017, 641 (645). 802) Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (DL-RL). 803) Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (239); Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2102).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

enthaltene Diskriminierungsverbot sowie das in Art. 10 I, II Buchst. d-g DL-RL enthaltene Transparenzgebot verstoßen, insofern also eine Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften verlangen.

1.

Anwendungsbereich

394 Umstritten ist bereits, ob die DL-RL generell auf das nationale Insolvenzrecht anzuwenden ist. Smid argumentiert, der europäische Gesetzgeber habe es mit der EuInsVO804) abschließend den Mitgliedsstaaten überlassen, die Vorauswahl und Auswahl des Insolvenzverwalters mittels nationalem Recht zu reglementieren. Zu Begründung beruft sich Smid auf Erwägungsgrund Nr. 6 der EuInsVO, der Verordnungsgeber habe den besagten Regelungsgegenstand bereits erfasst und darüber hinaus der nationalen Ausgestaltung freigestellt. Schließlich sei die Anwendbarkeit der DL-RL auch unter normtheoretischer Betrachtung durch das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht der EuInsVO ausgeschlossen.805)

395 Dieser Argumentation kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Soweit Smid sich darauf beruft, die EuInsVO könne die Anwendbarkeit der DL-RL bereits aufgrund ihrer normtheoretischen Qualität als unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht verdrängen,806) geht dies fehl. In der Normenhierarchie stehen Richtlinien und Verordnungen vielmehr auf einer Ebene.807) Normtheoretisch kann folglich nicht bereits von einer Verdrängung der DL-RL durch die EuInsVO die Rede sein.808) Es zeige sich nicht, dass der Verordnungsgeber der EuInsVO künftige Regelungen, die Auswirkungen auf das nationale Insolvenzrecht haben, ausschließen wollte. Erwägungsgrund Nr. 6 führe lediglich an, dass die Verordnung selbst gemäß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränkt werden solle.809)

396 Die Regelungen der DL-RL sind folglich generell auf das nationale Insolvenzrecht anwendbar.810)

2.

Anwendung auf den Beruf des Insolvenzverwalters

397 Umstritten ist außerdem, ob die DL-RL vor dem Hintergrund des Ausschlusses einzelner Dienstleistungen von ihrer Anwendung auch explizit auf den Beruf des Insolvenzverwalters anzuwenden ist. ___________ 804) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 1) zuletzt neugefasst durch Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141/19, S. 1). 805) Smid, ZInsO 2009, 113 (114f.). 806) Smid, ZInsO 2009, 113 (114f.). 807) Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 288 AEUV, Rn. 229. 808) Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 217; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 23. 809) Detailiert, Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (240); ihr folgend Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 184. 810) Zu diesem Ergebnis gelangt auch der Gesetzgeber: vgl. BT Drs. 17/3356, S. 15.

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D. Justizgewährungspflicht und europarechtlicher Regelungsbedarf

Anwendung findet die DL-RL zunächst auf Dienstleistungen. Diese werden durch 398 die Verträge und die Rechtsprechung des EuGH sehr weit gefasst und umfassen alle selbstständigen Tätigkeiten, die in der Regel gegen Entgelt durch einen Dienstleistungserbringer erbracht werden (vgl. Art. 57 AEUV). Aufgrund dieser weiten Definition bestehen hier folglich noch keine Zweifel, sofern der Insolvenzverwalter seine Tätigkeit nach Bestellung durch das Gericht selbstständig wahrnimmt und dafür nach Maßgabe der InsVV eine entsprechende Vergütung bzw. wirtschaftliche Gegenleistung i. S. d. DL-RL erhält.811) Fraglich ist nun jedoch, ob der Beruf des Insolvenzverwalters gem. Art. 2 II Buchst. i, 399 als eine Tätigkeit i. S. v. Art. 45 EG (heute: Art. 51 AEUV), die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, ausgeschlossen ist. Einige nehmen eben dies an, indem der Insolvenzverwalter ein Rechtspflegeorgan sei. Seine Handlungsbefugnisse und damit auch seine Legitimation leite der Verwalter außerdem unmittelbar vom Bestellungsakt des Insolvenzgerichtes und nicht etwa von einem privaten Auftraggeber ab.812) Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob der Insolvenzverwalter bei seiner 400 Tätigkeit öffentliche Gewalt ausübt, mithin u. U. aus dem Anwendungsbereich des DL-RL herausfällt, ist schließlich das Verständnis von der Rechtsstellung des Verwalters im Insolvenzverfahren. Nähme er als Träger eines öffentlichen Amtes oder als Organ der Rechtspflege öffentliche Gewalt wahr, fiele er aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie heraus.813) Wäre seine Tätigkeit als rein privatrechtlich einzustufen, wäre die DL-RL grundsätzlich auf ihn anzuwenden.814), 815) ___________ 811) Vgl. Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 156; Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (238); Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2101). 812) Vgl. Marotzke, ZInsO 2009, 1929 (1931); Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1248), der zudem davon ausgeht, der Insolvenzverwalter nehme als Beliehener, hoheitliche Maßnahmen war; Preuß, ZIP 2011, 933 (938), die unter Berufung der Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH davon ausgeht, entscheidendes Kriterium zur Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Gewalt, sei die Einbettung seiner Tätigkeit in die Rechtsordnung und nicht die Ausübung von Zwangsbefugnissen. Dies lässt sich der späteren Rechtsprechung nicht entnehmen, vgl. EuGH, Urt. v. 24. Mai 2011 – C-47/08 –, juris (insb. Rn. 96) vgl. ferner detailierte Rechtsprechungsanalyse bei Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 184 ff. 813) Dieser Ansicht etwa: Gehrlein, NJW 2013, 3756 (3758); Marotzke, ZInsO 2009, 1929f.; Preuß, ZIP 2011, 933 (938) unter der Prämisse, dass es sich um eine Tätigkeit innerhalb der Rechtordnung handelt, insofern nicht anzweifeln, dass es sich um ein privates Amt handelt; Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1246). 814) Dieser Ansicht etwa: Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 196f.; Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (239); Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097; Uhlenbruck Zipperer, § 56 InsO, Rn. 5; wohl auch Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (369). 815) Vgl. Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 186.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

401 Das Insolvenzrecht ist, wie bereits oben dargestellt wurde, zwar dem Zwangsvollstreckungsrecht zuzuordnen, es stellt jedoch ferner einen Teil des Wirtschaftsrechts dar und ist daher grundsätzlich dem Privatrecht, nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen.816) Konsequenterweise ist der Insolvenzverwalter weder als Beamter oder Beliehener anzusehen, noch übt er ein öffentliches Amt aus,817) sondern er wird nach herrschender Meinung als Partei kraft Amtes tätig.818) Dieses wird ihm durch das Insolvenzgericht durch die Bestellung für einen konkreten Fall übertragen. Dadurch wird er aber nicht Beliehener,819) er wird auch nicht Teil der unmittelbaren staatlichen Organisationsstruktur,820) er partizipiert vielmehr lediglich für einen konkreten Fall innerhalb einer Funktionseinheit mit dem Insolvenzgericht an dessen Verfahrenshoheit. Die Verfahrensträgerschaft liegt jedoch anders als etwa im Falle des Notars, während des gesamten Verfahrens beim Insolvenzgericht.821)

402 Ausschlaggebend ist hier, dass der Insolvenzverwalter eben gerade keine originär staatlichen Hoheitsrechte bzw. etwaige Zwangsbefugnisse wahrnimmt.822) Eine Tätigkeit könne nämlich nur dann als Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen werden, wenn sie mit dem Gebrauch von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien und Zwangsbefugnissen ausgestattet sei, also mit speziellen und unmittelbar wirkenden Befugnissen, die mithin von den zwischen Privatpersonen geltenden, allgemeinen Rechtsvorschriften abwichen.823) Dies ist bei der Tätigkeit des Insolvenzverwalters ersichtlich nicht der Fall. Etwaige Zwangsbefugnisse können lediglich durch das Insolvenzgericht wahrgenommen werden, der Verwalter kann diese lediglich ihm gegenüber beantragen.824) Sein Handeln beschränkt sich daher auf rein privatrecht___________ 816) S. o. unter: Rn. 68. 817) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29. 818) Vgl. statt vieler: Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 29; Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2102). 819) Vgl. Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1246). 820) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 31; insoweit auch Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1247). 821) S. o. Rn. 77; ebenso auch mit Verweis auf Preuß, Slopek, ZInsO 2008, 1243 (1247), der dann jedoch anders als diese daraus den Schluss zieht, der Insolvenzverwalter nehme faktisch hoheitliche Aufgaben und Rechte wahr. 822) S. o. Rn. 110; Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 196f; a. A. Marotzke, ZInsO 2009, 1929 (1931), der dies nur für eine Zweckmäßigkeitserwägung des Gesetzgebers hält und es für ausschlaggebend hält, dass es sich um die Erfüllung ureigenster staatlicher Aufgaben handelt. 823) Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 51 AEUV, Rn. 14; Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (239); Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2101). 824) So etwa bei der Postsperre nach § 99 InsO, die nur vom Insolvenzgericht angeordnet werden kann; bei Herausgabeverweigerung von Massegegenständen durch den Schuldner muss der Verwalter etwa einen Gerichtsvollzieher hinzuziehen (§ 148 II InsO).

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D. Justizgewährungspflicht und europarechtlicher Regelungsbedarf

liche Tätigkeiten.825) Dafür spreche nicht zuletzt auch die eigenständige haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters gegenüber den Beteiligten gem. § 60 InsO.826) Entscheidend ist daher nicht die Stellung des Insolvenzverwalters als unabhängiges 403 Organ der Rechtspflege, sondern die davon unabhängige Qualifizierung seiner Tätigkeit als Ausübung öffentlicher Gewalt.827) Letzteres wurde hier verneint.828), 829)

3.

Folgen der Anwendbarkeit der Dienstleistungs-Richtlinie

Die für den hiesigen Fall relevanten Regelungen der Richtlinie finden sich in Art. 9 404 DL-RL zu den Genehmigungsregelungen, die insofern nicht-diskriminierend sein dürfen und durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müssen. Art. 10 DL-RL enthält ergänzend einen aus der Rechtsprechung des EuGH abgeleiteten Kriterienkatalog für die Erteilung solcher Genehmigungen, der eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern soll. Kriterien für die Erteilung einer Genehmigung müssen danach klar, unzweideutig, objektiv, transparent und zugänglich sein sowie im Voraus bekannt gemacht werden. Art. 10 IV DL-RL enthält ferner den Grundsatz der Geltung einer Genehmigung im gesamten Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates. Art. 14 DL-RL enthält außerdem einen Katalog von Anforderungen, die ein Mitgliedsstaat für die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistung nicht stellen darf, wie etwa Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Art. 15 DL-RL schreibt schließlich zu prüfende Anforderungen bezüglich der Auf- 405 nahme und Ausübung von Dienstleistungen vor, insbesondere zu Hindernissen bzgl. der Niederlassungsfreiheit. Es ist etwa zu prüfen ob Anforderungen durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können. Relevant dürften die Vorgaben der DL-RL daher besonders für das Vorauswahl- 406 verfahren sein, das zuvor bereits auch auf verfassungsrechtliche Bedenken stieß. ___________ 825) So bereits auch unter: Rn. 68, 71. 826) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 190; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 31. 827) Vgl. Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 197; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 51 AEUV, Rn. 14; Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (239); so aber: Marotzke, ZInsO 2009, 1929 (1930); Preuß, ZIP 2011, 933 (938). 828) Vgl. BT-Drucks. 17/3356, S. 15. 829) Die Ausnahmetatbestände des Art. 2 II DL-RL greifen ferner nicht, insbesondere kann der Insolvenzverwalter nicht als Notar oder Gerichtsvollzieher (der Gesamtvollstreckung) angesehen weden oder diesen im Wege der Analogie gleich gestellt werden, vgl. Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 184, 202.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

407 Das Vorauswahlverfahren verstoße zwar nicht generell gegen Art. 9 DL-RL, doch verstoße es gegen die konkreten Voraussetzungen eines entsprechenden Genehmigungsverfahrens. In der Regel sei der Zugang zur Tätigkeit des Insolvenzverwalters in praxi nur über die jeweilige Vorauswahlliste möglich. Damit handele es sich um eine Genehmigungsregelung i. S. v. Art. 4 VI DL-RL. Daraus folge, dass bereits die Mehrfachprüfung der Aufnahmekriterien durch die verschiedenen Insolvenzgerichte nicht mit der DL-RL im Einklang stehe. Die Insolvenzverwalterzulassung müsse vielmehr in ganz Deutschland gelten. Territoriale Beschränkungen, Kontingentierungen und Befristungen von Genehmigungen seien zwar grundsätzlich möglich, müssten dann aber durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses legitimiert sein830). Das Verfahren müsse zudem auf klaren und unzweideutigen, objektiven, im Voraus bekannt gemachten, transparenten und zugänglichen Kriterien beruhen. Damit sei die Schaffung einer gesetzlichen Regelung für die Zulassung zum Beruf des Insolvenzverwalters unumgänglich. Auch die durch das Bundesverfassungsgericht dem einzelnen Richter auferlegte Pflicht, Kriterien für die Vorauswahl des Insolvenzverwalters aufzustellen, sei nicht richtlinienkonform.831) Zu eruieren sei ferner, ob die Beschränkung der Insolvenzverwalter auf natürliche Personen, Bestand haben könne oder ob nicht Insolvenzverwaltergesellschaften gleichermaßen bestellt werden dürften.832) Die DL-RL treffe schließlich keine Regelung in Bezug auf die Bestellentscheidung im konkreten Fall, da sie nach unionsrechtlichem Verständnis dem von der DL-RL nicht erfassten, öffentlichen Beschaffungswesen zuzuordnen sei.833) Die Bestellentscheidung könne auch weiter in das pflichtgemäße Ermessen des Insolvenzrichters gestellt werden.834)

408 Die hier dargestellten Ergebnisse decken sich insofern zu einem Teil mit den obigen, verfassungsrechtlichen Beurteilungen. Ein erheblicher Änderungsbedarf ergibt sich im Rahmen der Vorauswahl, wohingegen weniger Überarbeitungsbedarf in Bezug auf die in § 56 InsO wenigstens rudimentär normierte konkrete Bestellentscheidung besteht. Aus unionsrechtlicher Betrachtung handelt es sich bei dem Vorauswahl___________ 830) Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2104, 2107), die solche Gründe im Falle des Insolvenzverwalters für nicht gegeben sehen. 831) So: Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 249, 319 ff. mit einer detailierten Prüfung der einzelnen Vorauswahlkriterien; Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (242); vgl. ferner Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 105f.; Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2104); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 5. 832) Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (243); unionrechtlich für erforderlich haltend Bluhm, ZIP 2014, 555; a. A. schließlich, BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163; Gehrlein, NJW 2013, 3756. 833) Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 319; Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097 (2106). 834) Graf-Schlicker, in: Kölner Schriften zur Insolvenzordnung, S. 235 (244).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

verfahren gar faktisch um ein Zulassungsverfahren.835) Dies bekräftigt die verfassungsrechtliche Einschätzung des Verfassers, dass das Vorauswahlverfahren de lege lata quasi eine Art Zulassungsverfahren darstellt.836) Bis 28.12.2009 musste der Gesetzgeber die DL-RL in nationales Recht umsetzen 409 (Art. 44 DL-RL). Bisweilen hat der deutsche Gesetzgeber mit Art. 102a EGInsO lediglich Umsetzungen betreffend der Vorgaben zur Niederlassungsfreiheit getroffen, deren Vereinbarkeit mit den Artt. 49, 56 AEUV zudem bezweifelt wird.837) Die Notwendigkeit, Änderungen am bestehenden Vorauswahlverfahren durchzuführen sieht der Gesetzgeber schließlich durchaus; er vertagt sie allerdings mit der Begründung, dass dies bis zu einer gesetzlichen Neuregelung des Zugangs zum Insolvenzverwalterberuf nicht möglich sei.838) Dazu ist es auch zwölf Jahre später noch nicht gekommen. Auf die kürzlich in deutsches Recht umgewandelte Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz839) soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.840)

E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda Bereits oben wurde die durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene Ein- 410 ordnung von Vorauswahl- und Bestellentscheidung dargestellt.841) An dieser Stelle soll eine kritische Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Einordnung erfolgen. Dabei sollen insbesondere andere Bewertungsmuster in Bezug auf den Rechtscharakter der beiden Teilentscheidungen dargestellt werden. Anschließend sollen auf dieser Grundlage vor allem auch aus der Perspektive des Rechtsschutzes eigene Ansätze präsentiert werden. Unter (Rn. 411) soll zunächst die theoretische ___________ 835) 836) 837) 838) 839)

Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 5. S. o. unter: Rn. 365. Vgl. Bluhm, ZIP 2014, 555 (558); Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 5. BT-Drucks. 17/3356, S. 15. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und Rates vom vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz). 840) So zur neuen Figur des Restrukturierungsbeauftragten und zu einer Orientierung an den Grundsätzen des §§ 56, 56a InsO bei dessen Bestellung etwa, Flöther, NZI-Beilage 2021, 48. Auch die Restrukturierungsrichtlinie regelt in Art. 26 I entsprechende Grundsätze. Hiernach ist zu überprüfen, ob die vom Insolvenzgericht bestellte Person eine angemessene Ausbildung erhalten und die für ihre Zuständigkeiten erforderliche Sachkunde hat; zudem sind die Zulassungsvoraussetzungen sowie das Bestellungserfahren klar und transparent zu regeln. Ob diese Richtlinien-Anforderungen in Deutschland bereits umgesetzt sind, dürfte wie i. R. d. DL-RL zweifelhaft erscheinen. 841) Vgl. unter: Rn. 143, 241.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Vorarbeit für die sich daran anschließende Neubewertung von Bestell- und Vorauswahlentscheidung (Rn. 430) erfolgen.

I.

Verfassungsrechtliche Grundlagen

411 Für die Einordnung der beiden Teilentscheidungen der Insolvenzverwalterauswahl wird letztlich die schwierige Differenzierung vorzunehmen sein, ob es sich bei der Aufgabe des Insolvenzverwalters um dem spruchrichterlichen Kernbereich zuzuweisende Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG handelt oder lediglich um eine Zuweisung zusätzlicher, sonstiger (Justiz-)Aufgaben an den Richter, dessen Handeln dann lediglich öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 IV GG darstellt. Für diese kleinteilige Differenzierung sind zunächst die tangierten verfassungsrechtlichen Grundlagen des Art. 19 IV GG (Rn. 412), des Rechtsprechungsbegriffes des Art. 92 GG (Rn. 417) sowie der damit verbundenen richterlichen Unabhängigkeit des Art. 97 GG (Rn. 423) zu erläutern.

1.

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Art. 19 IV GG

412 Lange unklar war, inwiefern Art. 19 IV GG auf Akte richterlicher Gewalt anzuwenden ist. Die überwiegende Ansicht sah entsprechende Akte nicht als öffentliche Gewalt i. S. v. Art. 19 IV GG an, getreu der von Günter Dürig aufgestellten Formel: „Art. 19 IV GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter“.842) Ansinnen dieser Sichtweise war und ist es, verfassungsrechtlich keine ausufernden Instanzenzüge zu institutionalisieren.843) Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Stellung der richterlichen Gewalt in den Rechtsschutzgarantien des Grundgesetzes in seinem Plenarbeschluss vom 30.4.2003 neu.844) Dabei hielt es im Prinzip an dem genannten Grundsatz Dürigs fest, nämlich dass Art. 19 IV GG nicht gegenüber dem Richterakt schütze. Dieses Verständnis beruhe auf einer langen verfassungsrechtlichen Tradition. Ferner sei eine extensive Auslegung auch nicht erforderlich, da über den Anwendungsbereich des Art. 19 IV GG hinausgehende Fälle durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch abgedeckt seien.845) Art. 19 IV GG sollten jedoch nur solche Tätigkeiten des Richters nicht unterfallen, die materiell Ausdruck richterlichen Handelns seien, mithin nicht solche Tätigkei-

___________ 842) Vgl. Dürig, Erstbearbeitung, Rn. 17; fortgeführt: Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, Rn. 96; diese Formulierung übernehmend, BVerfG, Beschl. v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/60 = NJW 1963, 803 (803). 843) Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, Rn. 96. 844) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924. 845) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1925 a. E, 1926); Isensee/ Kirchhoff/Papier, HStR VIII, § 177 Rn. 43.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

ten, bei denen der Richter in seiner herkömmlichen, personell und sachlich unabhängigen Funktion als neutrale Instanz der Streitbeilegung tätig würde.846) Die richterliche Tätigkeit ist jedoch nicht per se aus dem Schutzbereich des 413 Art. 19 IV GG ausgenommen. Sie kann sich im Einzelfall auch als Ausübung öffentlicher Gewalt i. S. v. Art. 19 IV GG darstellen, nämlich dann, wenn der Richter außerhalb seiner spruchrichterlichen Tätigkeit auf Grund verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Richtervorbehalts tätig wird. Hierbei handele es sich funktional um die Ausübung öffentlicher Gewalt.847) Verwaltungsaufgaben von Gerichten oder anderen Justizbehörden, die außerhalb 414 eines anhängigen Verfahrens mit Außenwirkung zu erfüllen sind, werden als Justizverwaltungsaufgaben bezeichnet. Soweit diese Aufgaben durch den Richter wahrgenommen werden, wird er nicht in richterlicher Unabhängigkeit, sondern weisungsgebunden tätig. Sie unterfallen daher eindeutig auch der Garantie des Art. 19 IV GG.848) Hiervon abzugrenzen sind hingegen Aufgaben der Gerichtsverwaltung i. S. v. § 4 II Nr. 1 DRiG, die gegenüber Justizverwaltungsaufgaben in ihrem rein innerbehördlichen Charakter zu unterscheiden sind (z. B. Personalverwaltung, Infrastrukturverwaltung, Finanz- u. Haushaltsverwaltung).849) Einen Sonderbereich stellen ferner durch Richtervorbehalt zugewiesene Entscheidungen außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit dar, bei denen dem Richter volle richterliche Unabhängigkeit zugewiesen wird, er aber nicht in seiner typischen Funktion als Instanz der unbeteiligten Streitentscheidung handelt. Dort nehme der Richter auf Antrag eigenständig einen Eingriff vor, der aber, auch soweit er funktional Ausübung vollziehender Gewalt sei, im Interesse eines besonderen rechtsstaatlichen Schutzes nicht der Exekutive oder jedenfalls nicht ihr allein überlassen würde.850) In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit wiederum hätten sich streitige und nicht- 415 streitige Gerichtsbarkeit, teils zivilrechtliche, teils öffentlich-rechtliche Angelegenheiten, eher administrative und traditionell rechtsprechende Aufgaben zusammengefunden. Soweit der Richter nicht distanziert, sondern administrativ oder Angelegenheiten selbst gestaltend tätige, Angelegenheiten also eine geringe richterliche Substanz aufwiesen (z. B. Entscheidungen in Grundbuch oder Nachlasssachen), unterfie___________ 846) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Papier, HStR VIII, § 177 Rn. 44; Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, Rn. 99. 847) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1925). 848) Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 13 ff. 849) Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 16 ff. 850) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1925); mit Verweis auf BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 = NJW 2001, 1121, in dem es um die Durchsuchung bei Gefahr im Verzug ging. Eine entsprechende Entscheidung des Gerichts sei etwa bei Maßnahmen der Durchsuchung oder auch dem Haftbefehl geboten, da diese idR ohne vorherige Anhörung der Betroffenen erginge, die Einschaltung eines Richters sichere dann die gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

len sie Art. 19 IV GG. Lediglich dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch unterfielen hingegen Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die in richterlicher Distanz entschieden würden sowie zT Entscheidungen der Zwangsvollstreckung, obwohl hier keine originär spruchrichterliche Tätigkeit vorläge.851) Zum Teil werden letztere Entscheidungen jedoch auch der Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG zugewiesen.852)

416 Entscheidend für eine differenzierende Bewertung des Auswahlprozesses ist damit die Frage, ob der Richter innerhalb seiner spruchrichterlichen Tätigkeit als neutrale Instanz der Streitbeilegung tätig wird oder ob ihm dabei administrative Aufgaben innerhalb der Gerichts- oder Justizverwaltung übertragen sind.

2.

Der Rechtsprechungsbegriff des Art. 92 GG

417 Für die hiesige Untersuchung ist es also ausschlaggebend, sonstige richterliche Tätigkeiten von der klassischen Tätigkeit als Rechtsprechungsorgan i. S. v. Art. 92 GG zu unterscheiden. Was unter Rechtsprechung in diesem Sinne zu verstehen ist, gilt allerdings verbreitet als weitgehend ungeklärt.853) Zur Bestimmung des Rechtsprechungsbegriffs hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit drei verschiedene Wege geprägt.

418 Nach dem formellen Rechtsprechungsbegriff wird eine Abgrenzung anhand des positiven Rechts vorgenommen. Es handele sich um Rechtsprechung, wenn die Rechtsordnung richterliche oder gerichtliche Entscheidungen vorsehe. In diesem Fall obläge es allerdings allein dem Gesetzgeber, darüber zu entscheiden, was als Bestandteil der Judikative zu verstehen sei. Allein ein formeller Rechtsprechungsbegriff ließe Art. 92 GG folglich leerlaufen und nähme dem Rechtsprechungsmonopol seine Sperrwirkung. Insofern könne nicht jede Gerichts- oder Richtertätigkeit als Rechtsprechung gelten.854)

419 Aufgrund dessen setzt das Verfassungsgericht einen materiellen Rechtsprechungsbegriff voraus. Danach solle vor allem von der konkreten sachlichen Tätigkeit des Richters ausgegangen werden. „Um Rechtsprechung im materiellen Sinne handelt es sich, wenn bestimmte hoheitsrechtliche Befugnisse bereits durch die Verfassung ___________ 851) Vgl. Isensee/Kirchhoff/Papier, HStR VIII, § 177 Rn. 44; Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG, Rn. 101. 852) Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 12f. 853) Conrad, Der sogenannte Justizverwaltungsakt, S. 181; Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (713); Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt S. 5, 9, der wohl trefflich davon spricht, dass sich gerade in dem Bereich, in dem gesetzlich oder durch Anordnung, Aufgaben an die Gerichte übertrugen würden, folglich in Bereichen, die nicht prima facie der Rechtsprechung zugeordnet werden könnten, die Differenzierungsfähigkeit der Kriterien merklich abnimmt, bzw. sich weitestgehend auflöse (S. 9). 854) Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 57; das BVerfG spricht dahingehend z. T. jedoch uneindeutig auch von „Rechtsprechung im materiellen Sinne“ BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00 = NJW 2001, 1048 (1052), so Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 32.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Richtern zugewiesen sind oder es sich von der Sache her um einen traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung handelt“.855) Schließlich hat das Verfassungsgericht auch einen funktionellen Rechtsprechungsbeg- 420 riff geprägt, nachdem rechtsprechende Gewalt auch dann gegeben sei, wenn der Gesetzgeber für einen Sachbereich, der nicht bereits dem materiellen Rechtsprechungsbegriff unterliegt, das Verfahren so ausgestaltet hat, dass es bei funktionaler Betrachtung nur der rechtsprechenden Gewalt zukommen kann. Von funktioneller Rechtsprechung wird gesprochen, „wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können.“ Zum wesentliches Merkmal dieses funktionellen Rechtsprechungsbegriffs „gehört das Element der Entscheidung, der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist“.856) Überträgt der Gesetzgeber also Aufgaben auf die Gerichte, die nicht schon per se unter das Rechtsprechungsmonopol fallen, da es sich um über die Bestandsgarantie der Gerichte hinaus gehende Aufgaben handelt, der Gesetzgeber für sie aber dennoch ein gerichtliches Verfahren vorsieht, gelten hierfür ebenfalls die Grundsätze der Art. 92 ff. GG.857), 858) Diese Grundsätze überträgt das Bundesverfassungsgericht, insbesondere bei sei- 421 nem Beschluss zur Insolvenzverwalterbestellung, auch auf den Rechtsprechungsbegriff, wie er zur oben skizzierten Negativbestimmung des Schutzbereiches des Art. 19 IV GG benutzt wird.859) ___________ 855) BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00 = NJW 2001, 1048 (1052); vgl. ferner, Isensee/Kirchhoff/ Wilke, HStR V, § 112 Rn. 58; Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 35. 856) BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00 = NJW 2001, 1048 (1052); Dürig/Herzog/Scholz/ Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 37f.; Sachs/Detterbeck, Art. 92 GG, Rn. 21a. 857) Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 57. 858) Hillgruber fasst die gesamte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in folgenden wesentlichen Elementen zusammen: „Rechtsprechung sei danach (1) eine der Rechtskraft fähige, (letzt-)verbindliche (Streit-)Entscheidung in einzelnen Rechtssachen ausschließlich nach rechtlichen Maßstäben, d. h. die Feststellung und der Ausspruch dessen, was im konkreten Fall rechtens ist, zur insbesondere Gesetzesanwendung; (2) in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren; (3) durch eine an der Streitsache unbeteiligte, daher unparteiische und neutrale dritte Instanz – diese Vorstellung soll mit den Begriffen von „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verbunden sein –; (4) deren Mitglieder zumindest teilweise rechtskundig sind; (5) bei ihrer Spruchtätigkeit weisungsfrei agieren, d. h. sachliche Unabhängigkeit i. S. d. Art. 97 Abs. 1 GG genießen; und schließlich (6) zu deren Sicherung eine institutionell gesicherte (vgl. Art. 97 Abs. 2 GG) persönliche Unabhängigkeit besitzen“. Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 38; vgl. auch Mangoldt/ Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 7; eine entsprechende Einordnung von Rechtsprechung sieht sich auch umfangreicher Kritik ausgesetzt: vgl. nur: Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 75 ff.; Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 39 ff. 859) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453); Conrad, Der sogenannte Justizverwaltungsakt, S. 181.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

422 Nach den dargestellten, funktionalen Kriterien sind dann etwa die oben dargestellten Tätigkeiten und Fallgruppen vom reinen gerichts- und justizverwaltungsrechtlichen Handeln abzugrenzen. Allein eine funktionelle Betrachtung des Rechtsprechungsbegriffes ermöglicht also ein weiteres Verständnis von Rechtsprechung, welches berücksichtigt, dass der rechtsprechenden Gewalt in praxi auch Aufgaben zugewiesen sind, die eher als Rechtspflege und nicht als der spruchrichterlichen Kerntätigkeit zugehörig bezeichnet werden können. Theoretisch könnten diese Tätigkeiten zum Teil auch von der Verwaltung ausgeübt werden.860)

3.

Die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 GG

423 Zu kritisieren ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht zur Konkretisierung des funktionalen Rechtsprechungsbegriffs, wesentlich auch auf das Element der richterlichen Unabhängigkeit zurückzugreifen scheint. Die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 GG kann jedoch gerade nicht als entscheidendes Unterscheidungsmerkmal zwischen rechtsprechender und sonstiger Tätigkeit dienen. Sie kommt dem Richter als Angehörigem eines Gerichts vielmehr auch über richterliche Kerntätigkeit hinaus in einem weiteren Tätigkeitsfeld zu.861) Dazu gehören vor allem auch Tätigkeiten, die mit der Rechtsfindung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen oder der richterlichen Kerntätigkeit nachfolgen. Ferner gerade auch solche Aufgaben, die dem Richter aufgrund seiner Unabhängigkeit übertragen sind, etwa Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder der Geschäftsverteilung.862) Bei der Prüfung, ob eine bestimmte Aufgabe Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG darstellt, kann folglich nicht danach abgegrenzt werden, ob dem Richter bei der zu erledigenden Aufgabe die gerichtsverfassungsrechtlichen und prozessualen Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere die Artt. 97, 101 I 2, 103 GG zukommen. Ihre Geltung setzt nämlich nicht voraus, dass Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 GG ausgeübt wird.863) Andererseits würden Tatbestand und Rechtsfolge des Art. 92 GG vertauscht. Die tatbestandliche Voraussetzung (Ausübung rechtsprechender Gewalt) würde mit Hilfe der Rechtsfolge definiert (dem Richter anvertraut).864) Damit würde Rechtsprechung durch ihre organisatorische Ausgestaltung bestimmt, obwohl Art. 92 GG umgekehrt aus der Aufgabe organisatorische Konsequenzen ziehe.865) Art. 97 GG bilde daher nur eine partielle Konkretisierung ___________ 860) Vgl. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 47. 861) Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 97 GG, Rn. 30; Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 77; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10. 862) Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 97 GG, Rn. 26; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10. 863) Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 77; so aber etwa: OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NJW 2005, 834 (835); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 120; wohl auch Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 11. 864) Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 43; vgl. auch, Mangoldt/Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 9. 865) Mangoldt/Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 9.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

des Art. 92 GG.866) Einige Merkmale des funktionellen Rechtsprechungsbegriffs867) führten daher zu einem Zirkelschluss868) und zur teilweise falschen Annahme, die richterliche Unabhängigkeit sei maßgeblich streitentscheidend für die hier zu treffende Unterscheidung zwischen spruchrichterlicher und verwaltungsrechtlicher Einordnung.869) Entsprechende Überlegungen missachten, dass Gerichten wie oben geschildert, 424 auch Aufgaben ohne Rechtsprechungscharakter übertragen sind, die sie aber dennoch als Organ der Rechtsprechung nach Maßgabe der Art. 97, 98 GG wahrnehmen. Sie werden dann in richterlicher Unabhängigkeit etwa in Angelegenheiten der Rechtspflege mit rechtsfürsorgerischem Charakter tätig, die in einem engen Zusammenhang mit Aufgaben der materiellen Rechtsprechung stehen.870) Nach einhelliger Auffassung soll die richterliche Unabhängigkeit hingegen – ausnahmsweise – nicht im Rahmen von Justizverwaltungsangelegenheiten gelten; dort werde der Richter weisungsabhängig tätig.871) Gleichzeitig gewährt das Verfassungsgericht in seinem Beschluss zur Insolvenz- 425 verwalterbestellung dem dort tätigen Insolvenzrichter bei Erlass eines Justizverwaltungsaktes ausdrücklich richterliche Unabhängigkeit.872) Somit kann aufgrund der Gewährung richterlicher Unabhängigkeit nicht pauschal 426 auf eine Nichtanwendbarkeit der Art. 19 IV GG geschlossen werden. Die richterliche Unabhängigkeit grenzt allein klar von etwaigen weisungsgebundenen und folglich gerichtsverwaltungsrechtlichen Tätigkeiten des Richters ab. Darüber hinaus stellt sie lediglich ein Indiz für eine spruchrichterliche Tätigkeit des Richters dar, welches dann aber anhand weiterer Merkmale in Abgrenzung zu rein rechtsfürsorgerischen Tätigkeiten mit engem Bezug zur Rechtsprechung weiter konkretisiert werden muss. Als hier streitentscheidendes und wesentliches Begriffsmerkmal der verfassungs- 427 gerichtlichen Feststellungen bleibt daher vor allem das Element der Entscheidung ___________ 866) Isensee/Kirchhoff/Sodan, HStR V, § 11 Rn. 21. 867) Siehe Fn. 841. 868) Leisner, Das letzte Wort, S. 40; Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 43 insb. Fn. 4; Mangoldt/Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 9. 869) So aber etwa: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.6.1996 – 3 VA 4/95 = NJW-RR 1996, 1273; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NJW 2005, 834 (835); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 120; Kissel/Mayer, § 23 EGGVG, Rn. 10; Löwe/Rosenberg/Gerson, § 23 EGGVG, Rn. 6. 870) Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 92 GG, Rn. 48; Sachs/Detterbeck, Art. 92 GG, Rn. 13f.; 871) Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 97 GG, Rn. 32; Jarass/Kment, Art. 97 GG, Rn. 5; Sachs/Detterbeck, Art. 97 GG, Rn. 11a; Schilken, JZ 2006, 860 (863). 872) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453); Isensee/Kirchhoff/ Papier, HStR VIII, § 177 Rn. 44; anders als allg. anerkannt, vgl. noch Schilken, JZ 2006, 860 (863) m. w. N.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

der „letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist“.873) Gerade hierin ist zudem eine vage Übereinkunft innerhalb der in der Literatur gebildeten Rechtsprechungsbegriffe zu sehen.874)

428 Durch die Übertragung von Aufgaben auf den Richter lässt sich also nicht automatisch der Schluss ziehen, es handele sich um Rechtsprechung, gegen die nach der Dürigschen Formel kein Rechtschutz nach Art. 19 IV GG erlangt werden könnte. Vielmehr ist dann die schwierige Differenzierung vorzunehmen, ob es sich bei der übertragenen Aufgabe tatsächlich um dem spruchrichterlichen Kernbereich zuzuweisende Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG oder lediglich um die Zuweisung zusätzlicher, sonstiger (Justiz-)Aufgaben an den Richter handelt, dessen Handeln dann lediglich öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 IV GG darstellt.

429 Maßgeblich kommt es für die folgende Betrachtung daher darauf an, ob der Insolvenzrichter bei den Teilentscheidungen des Insolvenzverfahrens im Kernbereich der Rechtsprechung, somit also spruchrichterlich nach den oben skizzierten (funktionellen) Kriterien tätig wird oder lediglich – in richterlicher Unabhängigkeit – einen sonstigen Justizakt vornimmt, der als öffentliche Gewalt i. S. v. Art. 19 IV GG abzusehen ist.

II. Neubewertung des Rechtscharakters von Bestell- und Vorauswahlentscheidung 430 Auf Grundlage der obenstehenden grundsätzlichen Ausführungen zu Art. 19 IV GG und Art. 92 GG sowie der dargestellten Fallgruppen zur Abgrenzung richterlichen Handelns, soll im Folgenden untersucht werden, ob die de lege lata vorgenommene Einordnung von Vorauswahl- und Bestellentscheidung mit diesen Grundsätzen vereinbar ist oder eine andere Einordnung vorzunehmen ist.

1.

Die Bestellentscheidung – kein Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG?

431 Das Bundesverfassungsgericht hat die Bestellentscheidung entgegen der bis dato vorherrschenden fachgerichtlichen Beurteilungen nicht als Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG eingeordnet.875) Fraglich ist, ob es sich nicht um eine solche richterliche Tätigkeit handelt, die als Rechtsprechung nach den oben genannten Begriffs___________ 873) BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00 = NJW 2001, 1048 (1053). 874) Vgl. zur Lehre Bettmanns: Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 59 ff.; Mangoldt/Klein/ Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 10 ff.; zur Lehre Klaus Sterns: Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 898 vgl. ferner Leisner, Das letzte Wort, S. 106. 875) OLG Celle, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 VA 3/05 = NZI 2005, 458; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NZI 2005, 111 (112); OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2020 – 11 VA 8/18 = NZI 2020, 488; dazu ebenso Gaier, ZInsO 2006, 1177.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

prägungen verstanden werden kann und aufgrund dieser Qualifikation nicht als Akt öffentlicher Gewalt, mithin nicht als justizverwaltungsrechtliches Handeln angesehen werden kann. Dazu wird zunächst auf das umstrittene Merkmal der richterlichen Unabhängigkeit eingegangen (Rn. 432), anschließend wird zu untersuchen sein, ob das in der obigen Untersuchung als prägendes Merkmal herausgestellte Merkmal einer letztverbindlichen Entscheidung durch die Bestellentscheidung vorliegt (Rn. 437). Des Weiteren sollen auch Gesichtspunkte des Rechtsschutzes dargelegt werden (Rn. 446), bevor die Untersuchung schließlich in einen eigenen Ansatz mündet (Rn. 467).

a) Richterliche Unabhängigkeit – kein prägendes Unterscheidungsmerkmal Unter Bezugnahme auf die oben dargestellten Begriffsprägungen des Verfassungs- 432 gerichts scheint in Literatur und Rechtsprechung als prägendes Unterscheidungsmerkmal zur Abgrenzung zwischen justizverwaltungsrechtlicher und klassisch rechtsprechender Tätigkeit – auch im hiesigen Fall – häufig auf die Zuweisung richterlicher Unabhängigkeit abgestellt zu werden.876) Tatsächlich lässt sich den Gesetzesmaterialien zu § 18 I RpflG entnehmen, dass 433 der Gesetzgeber „das Insolvenzverfahren bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag und die Ernennung des Insolvenzverwalters dem Richter ausnahmslos vorbehalten (.)“877) sein lassen wollte. Zu Nr. 2 hält er ferner generell fest, dass die im Eröffnungsverfahren nach § 18 I RpflG dem Richter vorbehaltenen „Entscheidungen(,) der rechtsprechenden Tätigkeit i. S. des Art. 92 GG zumindest sehr nahe (…)“ kämen. Sie seien daher „aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Richter vorzubehalten“.878) Nach Ansicht Kruths lasse ein entsprechender Wille den Schluss zu, der Gesetzge- 434 ber habe die Bestellentscheidung dem Richter zugewiesen, um sie auch unter den Schutz des Art. 97 GG zu stellen. Nur so ließe es sich erklären, dass der Gesetzgeber sie, wie auch die anderen Entscheidungen des Eröffnungsverfahrens, dem Richter übertragen habe, obwohl andere gewichtige Gründe auch für die Zuweisung an einen Rechtspfleger gesprochen hätten. Sei es doch der Rechtspfleger, der während des Verfahrens mit dem Insolvenzverwalter zusammenarbeite (§§ 3 Nr. 2 lit. e RPflG) und daher die Qualifikation der Insolvenzverwalter aufgrund seiner praktischen Erfahrungen genau einschätzen könne. Er wäre insofern gerade dafür ___________ 876) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.6.1996 – 3 VA 4/95 = NJW-RR 1996, 1273; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NJW 2005, 834 (835); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 120; Kissel/Mayer, § 23 EGGVG, Rn. 10; Löwe/Rosenberg/ Gerson, § 23 EGGVG, Rn. 6. 877) BT-Drucks. 12/3803, S. 65. 878) Vgl., BT-Drucks. 12/3803, S. 65 (Begründung zu Art. 14 EGInsO); Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (704).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

geeignet, eine Person für das konkrete Verfahren auszuwählen. Dieser Umstand hätte es rechtfertigen können, die Zuständigkeitsordnung in dieser Hinsicht neu zu ordnen. Letztlich läge jedoch die Vermutung nahe, dass es dem Gesetzgeber gerade wichtig war, dass die Entscheidung ohne unzulässigen Einfluss Dritter ergehe. Daher stellte er die Entscheidung unter Richtervorbehalt und naheliegenderweise zusätzlich auch in seine persönliche und richterliche Unabhängigkeit des Richters. Auf den Rechtspfleger könnten die Garantien des Art. 97 GG hingegen nicht übertragen werden.879)

435 Diesen Schlussfolgerungen kann grundsätzlich gefolgt werden. Der Gesetzgeber wollte die Bestellentscheidung unter Richtervorbehalt stellen und damit richterliche Unabhängigkeit gewährleisten.880) Dies gilt gerade mit Blick auf eine mögliche Übertragung der Bestellentscheidung auf den Rechtpfleger, da sich die Garantien des Art. 97 GG nicht auf den Rechtspfleger übertragen lassen.881) Soweit Kruth aber daraus auch den Schluss zieht, es handele sich bereits deshalb nicht um eine Entscheidung als Justizverwaltungsakt,882) unterliegt er dem oben skizzierten Trugschluss, die richterliche Unabhängigkeit diene als ein prägendes Unterscheidungsmerkmal zur Abgrenzung von justizverwaltungsrechtlicher und spruchrichterlicher Tätigkeit des Richters. Dem ist wie oben ausgeführt nicht vorbehaltlos zuzustimmen. Die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 GG kann gerade nicht als prägendes Unterscheidungsmerkmal zwischen rechtsprechender und sonstiger Tätigkeit dienen. Sie kommt dem Richter als Angehörigem eines Gerichts vielmehr in einem weiteren Tätigkeitsfeld zu, das auch mittelbar der Beschlussfassung dienende, diese vorbereitende und ihr nachfolgende Tätigkeiten sowie auch Sach- und Verfahrensentscheidungen umfasst und nicht nur auf die richterliche Kerntätigkeit beschränkt ist.883) Die richterliche Unabhängigkeit steht dem Richter über die spruchrichterliche Tätigkeit hinaus auch etwa bei rechtsfürsorgerischen Tätigkeiten und nach dem hier in Frage stehenden Beschluss des Verfassungsgerichts neuerdings auch bei Justizverwaltungsakten zu.

436 Einzig der Umstand, dass eine Maßnahme in richterlicher Unabhängigkeit getroffen wird, kann daher nicht bereits zur pauschalen Nichtgeltung der §§ 23 ff. EGGVG ___________ 879) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 122 880) Insoweit auch die Deutung des Bundesverfassungsgerichts, das anerkennt, die Regelung gehe davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und richterlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte aller Betroffenen – auch der Prätendenten um das Insolvenzverwalteramt – im Einzelfall am besten und sichersten wahren könnten, BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455). 881) Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 97 GG, Rn. 20; Sachs/Detterbeck, Art. 97 GG, Rn. 9, mit Verweis auf eine abweichene Mindermeinung. 882) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 120. 883) Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 77; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

führen.884) Die richterliche Unabhängigkeit zeigt lediglich, dass die Bestellentscheidung nicht weisungsabhängig ergehen soll und damit nicht klassische Gerichtsverwaltungsaufgabe ist. Sie kann daher lediglich ein Indiz für eine spruchrichterliche Tätigkeit darstellen, soweit auch die weiteren Begriffsmerkmale erfüllt sind.

b) Die Bestellung innerhalb der Verfahrenseröffnung als letztverbindliche Beschlussfassung Anders als etwa das OLG Hamm hat sich das Bundesverfassungsgericht jedenfalls 437 im Rahmen seines Beschlusses zur Insolvenzverwalterbestellung richtigerweise nicht auf dieses Unterscheidungsmerkmal gestützt, sondern sich vorwiegend darauf berufen, dass bei der Bestellentscheidung kein Rechtsstreit entschieden werde, der Richter folglich nicht als neutrale Instanz der Streitbeilegung fungiere.885) Nach den obigen Erkenntnissen zum Rechtsprechungsbegriff ergibt sich daraus ein erhebliches Argument gegen die Einordnung als klassischen Rechtsprechungsakt. Letztlich könnte sich aber auch hier der Eindruck aufdrängen, dass das Bundesverfassungsgericht vor allem die Frage der Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten für die gelisteten Bewerber dazu bewogen hat, die Bestellentscheidung nicht als Rechtsprechungsakt zu qualifizieren.886) Triftige Gründe könnten indessen auch dafürsprechen, die Bestellentscheidung doch 438 als Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 GG zu qualifizieren: Die Bestellentscheidung erfolgt im Rahmen des als Rechtsprechungsakt ergehenden Eröffnungsbeschlusses nach § 27 I, II Nr. 2 InsO. Das Bundesverfassungsgericht lässt ihr selbst jedoch nicht bereits deshalb dieselbe rechtliche Qualität zukommen; der Zusammenhang erschöpfe sich lediglich darin, dass ohne die Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss, keine Notwendigkeit einer Insolvenzverwalterbestellung bestünde.887) Das Verfassungsgericht sieht damit die Verbindung von Verfahrenseröffnung und Bestellentscheidung als rein formaler Natur an, trennt die beiden Vorgänge rechtlich schließlich voneinander und weist ihnen einen unterschiedlichen Rechtscharakter zu.

___________ 884) Conrad, Der sogenannte Justizverwaltungsakt, S. 182. 885) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453). 886) So bereits Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 42 in Bezug auf, BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00 = NJW 2001, 1048. 887) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453f.); Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 46; a. A. Höfling, NJW 2005, 2341 (2343); Köster, NZI 2004, 538 (542); Laws, ZInsO 2006, 847 (848f.); ebenso auch die Stellungnahme des BMJ, das in der Bestellung einen untrennbaren Akt rechtsprechender Gewalt sieht, der untrennbar mit dem Eröffnungsbeschluss verbunden sei, der seinerseits als Rechtsprechung gelte, vgl. BVerfGE 116, 1, 4f.; den Beschluss diesbezüglich für „kaum überzeugend“ haltend, Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (706).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

aa) Untrennbare Wechselwirkung zwischen Verfahrenseröffnung und Bestellentscheidung 439 Diese isolierte Betrachtung ist Laws zufolge nicht möglich, da so die in § 80 I InsO normierte Wirkung der Verfahrenseröffnung, die einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Verfahrenseröffnung und Insolvenzverwalterbestellung herstellt,888) vernachlässigt würde. Der Insolvenzverwalter erlange durch die Eröffnung des Verfahrens seine Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Ohne Bestellung könne die Wirkung des § 80 I InsO mangels Verwalters nicht eintreten889). Insofern bestehe hier eine Wechselwirkung, die es fraglich erscheinen lasse, wie das Bundesverfassungsgericht feststellen konnte, der Verwalter werde erst bestellt, wenn das Verfahren eröffnet sei. § 27 I 1 InsO normiere vielmehr, dass der Verwalter zu ernennen sei, wenn das Verfahren eröffnet wird, und zwar gem. § 27 II InsO im Eröffnungsbeschluss, also zeitgleich890), nämlich im Hinblick auf § 80 I InsO. Nicht überzeugen könne auch das Argument des Bundesverfassungsgerichts, ohne die Eröffnungsentscheidung bestehe weder Notwendigkeit noch Anlass zur Insolvenzverwalterbestellung, denn dies gelte ebenso umgekehrt, da ein Eröffnungsbeschluss ohne Bestellung zwar wirksam, aber eben wirkungslos sei, weil der Schuldner nicht seine Verwaltungs und Verfügungsmacht verlöre. Aufgrund der unlösbaren Wechselwirkung von Verfahrenseröffnung und Verwalterbestellung bezweifelt Laws schließlich die verfassungsgerichtliche Einordnung der Bestellentscheidung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stelle letztlich (funktionelle) Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 I GG dar, weil der nach den §§ 27 I InsO, 18 I Nr. 1 RPflG zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens berufene Richter – i. S. d. Voraussetzungen des Verfassungsgerichts – als nichtbeteiligter Dritter, in persönlicher und sachlicher Unabhängigkeit und nach Gewährung rechtlichen Gehörs über die Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens nach § 11 InsO sowie über das Vorliegen von Insolvenzgründen gem. § 16 ff. InsO entscheide und damit verbindlich die Rechtslage kläre.891) Anders als das Verfassungsgericht feststellt, lässt sich dem Gesetz daher aufgrund des Zusammenhangs mit § 80 I InsO ein Hinweis entnehmen, weswegen Eröffnungsbeschluss und Bestellung dieselbe rechtliche Qualität zukommen sollte.

440 Bestärkt wird diese Argumentation zudem von Höfling, der angesichts der komplexen Interessenkonstellation innerhalb des Insolvenzverfahrens ebenfalls dafür plädiert, in der mit dem Eröffnungsbeschluss verbundenen Insolvenzverwalterbestellung einen Akt der Rechtsprechung im funktionellen Sinne zu sehen. Es handele ___________ 888) So auch: Jaeger/Schilken, § 27 InsO, Rn. 17. 889) So auch: Kübler/Prütting/Bork/Holzer, § 27 InsO, Rn. 15. 890) So auch: Jaeger/Schilken, § 27 InsO, Rn. 17; Nerlich/Römermann/Mönning/Schweizer, § 27 InsO, Rn. 14. 891) Laws, ZInsO 2006, 847 (848f.); ebenso Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (706); Höfling, NJW 2005, 2341 (2343).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

sich um eine in richterlicher Distanz und Unabhängigkeit ergehende (Streit-) Entscheidung im weiteren Sinne. Für eine Einordnung nach den Art. 92 GG spräche der Charakter des Insolvenzeröffnungsverfahrens als – wie das gesamte Insolvenzverfahren – streitiges Verfahren,892) in dem sich zunächst regelmäßig der den Insolvenzantrag stellende Gläubiger und der Schuldner gegenüberstünden. Mit der herrschenden Meinung könne folglich angenommen werden, dass das Insolvenzverfahren der streitigen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sei893). Die streitige Zivilgerichtsbarkeit sei schließlich stets Rechtsprechung im eigentlichen (materiellen) Sinne894). Im Widerstreit der bereits innerhalb des Bestellverfahrens durchaus gegenläufigen Interessen von Schuldner und Gläubigern den nach Maßgabe des Rechts (§§ 56 ff. InsO) geeigneten Insolvenzverwalter mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens zu bestimmen, sei schließlich Rechtsprechung im engeren Sinne.895)

bb) Letztverbindlichkeit der Bestellung wegen ausschließlichen Richtervorbehalts Anderer Ansicht wiederum ist Jacoby, der davon ausgeht, der Eröffnungsbeschluss 441 beinhalte in einer Einheitsentscheidung zugleich die Bestellentscheidung. Diese verfahrensmäßige Verbindung könne jedoch keine andere Qualifizierung der Bestellentscheidung rechtfertigen, wie die gegenwärtige. Grundsätzlich stellt er nicht in Abrede, dass der Eröffnungsbeschluss eine streitentscheidende Entscheidung des Gerichts sei, jedoch gestalte das Gericht das Auswahlverfahren nicht, um einen Streit zwischen Gläubiger und Schuldner zu schlichten. Es orientiere sich lediglich an den Vorgaben des § 56 InsO. Die Verfahrensverbindung beeinflusse die Gestaltung des Bestellverfahrens sowie die Entscheidungswirkungen des Bestellungsbeschlusses zu wenig. Schließlich führt Jacoby an, der Bestellung käme, anders als dem Eröffnungsbeschluss, keine (Letzt-) Verbindlichkeit zu, da die Entscheidung einerseits durch einseitige Bestimmung der Gläubiger gem. § 57 InsO wie auch durch einen Widerruf durch das Gericht selbst gem. § 59 InsO wieder aufgehoben werden könnte.896) ___________ 892) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Sietz, Insolvenzrecht, Kap. 19, Rn. 1; insofern auch noch Jacoby, Das private Amt, S. 510. 893) Vgl. dafür: Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 43; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 10, Rn. 5; vgl. bereits, Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, § 1 Fn. 1, Rn. 1.11. 894) Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (714); Dürig/ Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 35 f. 895) Höfling, NJW 2005, 2341 (2343); i. E. auch Gaul, der den hiesigen Fall mit einem in Zivilrechtsstreitigkeiten häufig begegnenden gestaltenden Richterspruch vergleicht, der ebenso als Rechtsprechung im materiellen Sinne zu qualifizieren sei, Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (706). 896) Jacoby, Das private Amt, S. 510f.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

442 Gerade darin wird auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive ein wesentlicher Unterschied zwischen Rechtsprechung und verwaltungsrechtlichem Handeln, ferner ein wesentliches Merkmal des Rechtsprechungsbegriffs897) begründet. Alleine die Verwaltung sei grundsätzlich in der Lage, ihre Entscheidungen innerhalb bestimmter Grenzen nach eigenem Ermessen wieder zu ändern (vgl. § 49 VwVfG). Die verwaltungsrechtliche Bestandskraft unterscheide sich daher grundsätzlich von der Rechtskraftwirkung. Verwaltungsrechtliche und spruchrichterliche Entscheidungen unterschieden sich vor allem in ihrem Anspruch an ihre Verbindlichkeit voneinander.898) Hieran anknüpfend spräche gegen eine Letztverbindlichkeit der Bestellentscheidung auch der Umstand, dass im Falle einer Neuwahl gem. § 57 InsO oder einer Entlassung nach § 59 InsO – jedenfalls nach herrschender Meinung – der Rechtspfleger funktional zuständig sein soll,899) es sich also gerade deswegen schon nicht um eine Abänderung durch einen Rechtsprechungsakt handeln würde.900) Andernfalls würde, allein durch die Abänderungsmöglichkeit durch einen erneuten Rechtsprechungsakt, dennoch eine Letztverbindlichkeit der Entscheidung bestehen.901)

443 Der von der herrschenden Meinung befürworteten Einordnung der Zuständigkeit des Rechtspflegers kann jedoch letztlich nicht zugestimmt werden. Der Gesetzgeber wollte, dass die Bestellentscheidung nach §§ 56 I InsO i. V. m. § 18 I Nr. 1 RpflG ausdrücklich dem Richter vorbehalten bleibt.902) Es erschließt sich nicht, weshalb die ungleich eingriffsintensivere Entlassung des Insolvenzverwalters gem. § 59 InsO nun dem Rechtspfleger überlassen werden sollte. Gerade im Rahmen des § 59 InsO wird in einem kontradiktorischen Verfahren903) über das Streitverhältnis der Vollstreckungsparteien nach Abwägung der beiderseitigen Rechtsposi___________ 897) Sachs/Detterbeck, Art. 92 GG, Rn. 21a. 898) Mangoldt/Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 10, 15; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 52, 55. 899) Zur überwiegenden Ansicht vgl.: zu § 57 InsO: statt vieler, Braun/Blümle, § 57 InsO, Rn. 22; MüKoInsO/Graeber, § 57 InsO, Rn. 23; Uhlenbruck/Zipperer, § 57 InsO, Rn. 20; zu § 59 InsO: Braun/Blümle, § 59 InsO, Rn. 16; K. Schmidt/Ries, § 59 InsO, Rn. 10; MüKoInsO/Graeber, § 59 InsO, Rn. 40; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 59 InsO, Rn. 21. 900) Bei dem Rechtspfleger übertragenen Geschäften in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten übt der Rechtspfleger grundsätzlich keine Rechtsprechung im materiellen oder funktionellen Sinne aus; denn die Rechtspflegererinnerung nach § 11 I RPflG ermöglicht es, die Entscheidungen des Rechtspflegers durch den Richter überprüfen zu lassen, Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 56; Mangoldt/Klein/Starck/Classen, Art. 92 GG, Rn. 32. 901) Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 55. 902) So hielt die amtliche Begründung die in den Katalog des § 18 RPflG aufgenommenen Richtervorbehalte „aus verfassungsrechtlichen Gründen“ deshalb für geboten, weil die betreffenden Entscheidungen „in einem kontradiktorischen Verfahren nach Anhörung der Beteiligten ergehen, regelmäßig schwierige Abwägungen und Bewertungen erfordern und tief in die rechtliche Stellung des Schuldners eingreifen“., BT-Drucks. 12/3803, S. 65; Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (724). 903) Hierzu genügt es, dass in einem Verfahren, das von einer Partei in Gang gesetzt worden ist, einer anderen Partei rechtliches Gehör zu gewähren ist, MüKoZPO/Wolfsteiner, § 794 ZPO, Rn. 21.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

tionen – u. U. Amtsermittlungen gem. § 5 InsO beinhaltend904) – letztverbindlich und rechtskraftfähig (durch Beschluss) entschieden, was rechtens ist, und zwar mit „eingriffsintensiven“ Folgen für den Insolvenzverwalter, die zur Sicherung der betroffenen Grundrechte der Entscheidung des Richters i. S. d. Art. 92 GG bedürfen.905) Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung soll zu Beginn des Insolvenzverfahrens der Richter den Insolvenzverwalter auswählen und bestimmen906) und zwar – nach Feststellung des Verfassungsgerichts – weil die „Richter auf Grund ihrer persönlichen und richterlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte aller Bertoffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können.“907) Schon § 133 BGB müsse hier daher zu einer dem Sinn und Zweck der Norm getreuen Auslegung führen.908) Eine von der herrschenden Meinung befürwortete rein zeitraumbezogene Abgrenzung ist daher abzulehnen. Gleiches gilt auch für die zu § 56 I InsO spiegelbildlich vorgenommene, negative Eignungsprüfung innerhalb des § 57 InsO.909) Die Entscheidung der §§ 57, 59 InsO auf den Rechtspfleger zu übertragen, ist daher bedenklich.910) Vielmehr liegt es nahe, gerade diese Entscheidungen als Rechtsprechungsakte i. S. v. Art. 92 GG zu qualifizieren.911) Letztverbindlichkeit kann der Bestellentscheidung hier daher zugemessen werden. 444 Die Bestellentscheidung ist nicht nur der Rechtskraft fähig, sie kann nach der oben geschilderten vorzugswürdigen Ansicht auch nur durch den spruchrichterlich tätigen Richter – durch einen Rechtsprechungsakt – wieder geändert werden.912) Weswegen das Verfassungsgericht die durch den Gesetzgeber ebenfalls unter Rich- 445 tervorbehalt vorgesehene Insolvenzverwalterbestellung anders beurteilt, erschließt sich daher nicht abschließend. Plausibel hierfür wären allein Zweckmäßigkeitserwägungen, etwa das Ansinnen, auch der Bestellentscheidung eine gewisse Justizi___________ 904) Vgl. Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 59 InsO, Rn. 20. 905) So zu § 765a ZPO, Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (727). 906) AG Ludwigshafen am Rhein, Beschl. v. 21.12.2011 – 3c IK 468/11 = ZInsO 2012, 93; so auch: AG Göttingen, Beschl. v. 21.2.2003 – 74 IN 114/01 = NZI 2003, 268 (269). 907) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455). 908) AG Ludwigshafen am Rhein, Beschl. v. 21.12.2011 – 3c IK 468/11 = ZInsO 2012, 93. 909) AG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2015 – 67c IN 513/13 = RPfleger 2015, 301; AG Göttingen, Beschl. v. 21.2.2003 – 74 IN 114/01 = NZI 2003, 268 (269). 910) So i. E. auch: AG Göttingen, Beschl. v. 21.2.2003 – 74 IN 114/01 = NZI 2003, 268 (269); LG Hechingen, Beschl. v. 8.6.2001 – 3 T 79/2001 –, juris; AG Ludwigshafen am Rhein, Beschl. v. 21.12.2011 – 3c IK 468/11 = ZInsO 2012, 93; Kübler/Prütting/Bork/Lüke, § 59 InsO, Rn. 17f.; i. E. wohl auch: Nerlich/Römermann/Römermann, § 59 InsO, Rn. 11; Nerlich/ Römermann/Römermann, § 57 InsO, Rn. 6; a. A. wohl Braun/Blümle, § 57 InsO, Rn. 22. 911) So ausführlich Gaul für die – nach hiesiger Ansicht vergleichbare – Entscheidung über den Vollstreckungschutzantrag nach § 765a ZPO, Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (721 ff.). 912) Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 55.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

abilität zukommen lassen zu wollen. Fraglich ist, ob dies letztlich überhaupt so durch den Gesetzgeber vorgesehen war.

c)

Rechtsschutzalternativen gegen die konkrete Bestellentscheidung

446 Ausgangspunkt des insolvenzrechtlichen Rechtschutzes ist § 6 InsO. Danach ist statthaftes Rechtsmittel der InsO grundsätzlich die sofortige Beschwerde, unabhängig davon, ob sich diese gegen eine gerichtliche Maßnahme verwaltenden oder rechtsprechenden Charakters richtet.913) § 6 I InsO schließt grundsätzlich Rechtsmittel aus, wenn die InsO selbst nicht die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts vorsieht. Zumindest für die Verfahrensbeteiligten ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Auswahl- und Bestellung des Insolvenzverwalters daher gem. §§ 6, 34 InsO ausgeschlossen. Der Schuldner kann diese Entscheidung jedoch mittelbar, mit einer Beschwerde gegen den gesamten Eröffnungsbeschluss nach § 34 II InsO angreifen. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Insolvenzgläubiger besteht aufgrund ihrer Einflussmöglichkeit nach § 57 InsO nicht.914)

447 Fraglich ist, ob den nichtberücksichtigten Prätendenten ein Rechtsmittel gegen die Bestellung zusteht und wie der Rechtsmittelausschluss des § 6 InsO in dieser Hinsicht auszulegen ist.

aa) Einordnung des Rechtsschutzes nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 448 Unter der Voraussetzung, die Bestellentscheidung sei als Akt öffentlicher Gewalt anzusehen, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass § 6 I InsO als einfachgesetzliche Regelung den Rechtschutz nicht gänzlich zu verstellen mag, wenn er doch verfassungsrechtlich geboten sei.915) Durch diese Qualifizierung solle folglich Rechtsschutz nach Art. 19 IV GG zu gewähren sein. Vergleichbar der Diskussion um entsprechenden Rechtschutz gegen die im Eröffnungsverfahren anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21 ff. InsO, lässt auch die verfahrensrechtliche Wirkung der Insolvenzverwalterbestellung für die übergangenen Prätendenten keinen vollständigen Ausschluss aller Rechtmittel zu. Eine damit einhergehende Entwertung der betroffenen Grundrechte aus Art. 12 I, 3 I GG wäre nicht hinnehmbar.916) Schließe § 6 I InsO die Anfechtung aus, fordere Art. 19 IV GG so gesehen eine Rechtsschutzalternative, die von Verfassungs wegen notwendig sei.917) ___________ 913) Jacoby, Das private Amt, S. 514; Jaeger/Gerhardt, § 1 InsO, Rn. 1. 914) Rattunde/Smid/Zeuner/Rechel, § 56 InsO, Rn. 43; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO Rn. 46. 915) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (454); Rattunde/Smid/ Zeuner/Rechel, § 56 InsO, Rn. 43. 916) Zur entsprechenden Diskussion vgl. Gerhardt, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 193 (210). 917) Jacoby, Das private Amt, S. 517.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Insofern gelangt man mit dem Bundesverfassungsgericht zu den §§ 23 ff. EGGVG, 449 die der Gesetzgeber gerade mit dem Ziel geschaffen habe, auf einfachgesetzliche Weise den Bedürfnissen des Art. 19 IV GG zu genügen und die gerade eine Konkretisierung des Art. 19 IV GG darstellten.918) Ein Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG könnte jedoch wiederum durch das in der InsO allein statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde durch die Subsidiarität des § 23 III EGGVG ausgeschlossen sein. Die Subsidiaritätsklausel des § 23 III EGGVG sei dabei grundsätzlich weit auszu- 450 legen. Sofern einzelne Fälle bewusst nicht erfasst würden oder im Einzelfall die Voraussetzungen des Rechtsbehelfs nicht, noch nicht oder nicht mehr gegeben seien, bliebe ein Rückgriff auf die §§ 23 ff. EGGVG ausgeschlossen.919) Die §§ 23 ff. EGGVG regeln allerdings eine ganz andere Rechtschutzform, als es 451 § 6 InsO tut. Der Rechtsmittelausschluss des § 6 InsO betrifft mit der rein spruchrichterlichen Tätigkeit eine ganz andere Rechtsschutzform, als die §§ 23 ff. EGGVG, die lediglich für justizverwaltungsrechtliches Handeln gelten. Die Subsidiaritätsklausel des § 23 III EGGVG schließt entsprechenden Rechtsschutz hier aufgrund ihrer Sachverschiedenheit folglich nicht aus.920) Der Rechtsmittelausschluss des § 6 I InsO wird quasi verfassungsrechtlich durch 452 Art. 19 IV GG modifiziert bzw. überlagert, da er ansonsten effektiven Rechtsschutz in Form der Anfechtung gänzlich ausschlösse. Art. 19 IV GG garantiert bzw. fordert damit eine Rechtsschutzform zur Wahrung der Prätendentenrechte. Nach den Ausführungen des Verfassungsgerichts ist eine einschränkungslose Gewährung jedoch schließlich in verhältnismäßiger Weise aufgrund anderer Verfassungsgüter und Grundrechte anderer Beteiligter nicht geboten. Zu schützen sei kein subjektives Recht der Bewerber, sondern lediglich ihr Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung. Diese Rechte – hier die Interessen der Gläubiger an einem ordnungsgemäßen Gesamtvollstreckungsverfahren also der Rechte aus Art. 14, 2 I GG – schützt § 6 I InsO somit als Schrankenregelung zu Art. 19 IV GG.921) Auch der dann durch die §§ 23 ff. EGGVG gewährte Rechtsschutz ist jedoch letzt- 453 lich aufgrund des Teleos des § 6 I InsO, seinem Schutzzweck eines zügigen Verfahrensganges,922) einzuschränken. Wie auch das Verfassungsgericht in dieser Hinsicht ausführt, würde eine schrankenlose Gewährung des Rechtsschutzes zu teils schwerwiegenden Einschränkungen im Rahmen einer reibungslosen, effektiven ___________ 918) Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 514; Kissel/Meyer, § 23 EGGVG, Rn. 8. 919) Vgl. Graf/Köhnlein, § 23 EGGVG, Rn. 46f.; m. N. zur einschlägigen Rechtsprechung ferner Meyer-Goßner/Schmitt, § 23 EGGVG, Rn. 13f. 920) Jacoby, Das private Amt, S. 517. 921) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (456); Jacoby, Das private Amt, S. 516. 922) BT-Drs. 12/2443, S. 110; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO, Rn. 5.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Verfahrensabwicklung führe.923) Insofern gelangt das Bundesverfassungsgericht im Zuge praktischer Konkordanz zu dem bereits oben genannten nachträglichen Feststellungsantrag nach § 23 I, 28 I 4 EGGVG, die Rechtswidrigkeit der Verwalterbestellung wegen fehlerhafter Ausübung des Auswahlermessens feststellen zu lassen.

bb) Rechtsschutzalternativen 454 Zu einem anderen Ergebnis gelangt jedoch Kruth im Hinblick auf Rechtsbehelfe der ZPO und des GVG, die er in Erwägung zieht, da er die Bestellentscheidung als Rechtsprechungsakt i. S. v. Art. 92 GG ansieht und so eine Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich ausschließt:

455 Nicht in Betracht kämen Rechtsmittel aus dem FamFG, da das Insolvenzverfahren nach überwiegender Ansicht ein streitiges Zivilverfahren darstelle924). Es ist ferner, wie auch das Insolvenzeröffnungsverfahren, dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen.925) Insofern könnten u. U. jedoch Rechtsmittel der ZPO naheliegen, die wie zum Teil de lege lata mit den §§ 567 ff. ZPO über § 4 InsO für die sofortige Beschwerde herangezogen und durch § 6 InsO entsprechend modifiziert werden könnten.926) Da die Insolvenzverwalterbestellung als – wenn auch im Gesamtvollstreckungsverfahren ergehende – Entscheidung im Zwangsvollstreckungsverfahren erfolgt, könnte etwa die Beschwerde gem. § 793 ZPO für das sachnaheste Rechtsmittel außerhalb der InsO gehalten werden.927) So wird die zwangsvollstreckungsrechtliche Beschwerde bereits heute in anderen Fällen928) herangezogen und zumindest dort nicht bereits durch das Enumerationsprinzips des § 6 I InsO ausgeschlossen.929) ___________ 923) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455). 924) Gaul/Schilken/Becker-Eberhard/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 43; Pape/Uhlenbruck/ Voigt-Salus/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Kap. 10, Rn. 5; vgl. bereits, Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, § 1 Fn. 1, Rn. 1.11; vgl. Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 133 ff., der außerdem auch eine anloge Anwendung der Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit ablehnt; zur Einordnung des Insolvenzverfahrens als streitiges Verfahren. 925) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Sietz, Insolvenzrecht, Kap. 20 Rn. 19. 926) Vgl. Pape, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 49 (54); Rattunde/Smid/Zeuner/Smid, § 6 InsO, Rn. 3. 927) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 134. 928) So etwa der Zugriff des Verwalters nach § 148 II InsO oder die Bestimmung der Masse nach § 36 InsO, vgl. Nerlich/Römermann/Becker, § 6 InsO, Rn. 26; ferner zu § 36 InsO: Braun/ Bäuerle, § 36 InsO, Rn. 44; MüKoInsO/Peters, § 36 InsO, Rn. 117; zu § 148 InsO: Braun/Haffa, § 148 InsO, Rn. 18; K. Schmidt/Jungmann, § 148 InsO, Rn. 20. 929) Vgl. Gerhardt, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 75 (83); MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO, Rn. 5, 6; Pape, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 49 (56).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Ob die Zuhilfenahme entsprechender Rechtsmittel gelingt, hängt jedoch abermals von 456 der Wirkung des § 6 InsO ab, der nach seinem Wortlaut und nach Sinn und Zweck zunächst eindeutig davon ausgeht, dass Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur dem insolvenzrechtlichen Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde unterliegen. Darüber hinaus solle nach Kruth aber nicht zwingend eine Überprüfung nach anderen 457 Gesetzen ausgeschlossen werden. Dies gelte für insolvenzgerichtliche Entscheidungen, deren Rechtsgrundlage sich außerhalb der InsO befänden930). Eine uneingeschränkte Anwendung von Gesetzen außerhalb der InsO könne jedoch aufgrund des Regelungszwecks des § 6 InsO nicht geduldet werden, da dieser ansonsten unterlaufen würde. Soweit es sich um eine Entscheidung innerhalb des Insolvenzverfahrens handele, entfalte § 6 InsO daher uneingeschränkte Wirkung931). Entscheidungen, die hingegen lediglich aus Anlass eines Insolvenzverfahrens ergingen, aber dieses nicht sachlich beträfen, sollten hingegen nicht durch § 6 InsO eingeschränkt werden932). Da die Bestellentscheidung gem. § 56 I InsO unmittelbar normiert wurde und wie bereits oben festgestellt, zwingend für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ist, sei diese ein Spezifikum des Insolvenzverfahrens, folglich keine Entscheidung, die lediglich durch das Verfahren mitveranlasst würde. Damit beschränke § 6 InsO nach seinem Sinn und Zweck ausdrücklich den Rechtsschutz innerhalb des Insolvenzverfahrens, um die zügige Abwicklung desselben zu gewährleisten.933) Eine Anwendung von Rechtsmitteln außerhalb der InsO für die hier behandelte Frage ist daher ausgeschlossen. Andere Autoren, die die Bestellentscheidung als Rechtssprechungsakt i. S. v. 458 Art. 92 GG ansehen, gelangen hingegen zu einer Justiziabilität. Sie erkennen die Wirkung des § 6 InsO grundsätzlich an, legen die Norm jedoch extensiv aus und gewähren letztlich Rechtsschutz über den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Mit ähnlicher Begründung wie das Verfassungsgericht zu Art. 19 IV GG (verfassungskonforme Auslegung) gelangen sie ebenfalls zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag934) oder sind der Auffassung, dass bereits der Amtshaftungsanspruch gem. § 839 I BGB i. V. m. Art. 34 GG ausreiche.935) ___________ 930) Vgl. Gerhardt, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 75 (83); MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO, Rn. 5, 6; Pape, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 49 (56). 931) Nerlich/Römermann/Becker, § 6 InsO, Rn. 23; Uhlenbruck/Pape, § 6 InsO, Rn. 7; Uhlenbruck, NZI 1999, 175 (176). 932) HK-InsO/Sternal, § 6 InsO, Rn. 4; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 37, Rn. 2; Uhlenbruck/Pape, § 6 InsO, Rn. 7; Uhlenbruck, NZI 1999, 175 (176). 933) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 118, 126f. 934) Vgl. Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (461f.); Höfling, NJW 2005, 2341 (2345). 935) Vgl. Höfling, NJW 2005, 2341 (2345).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

459 Im Ergebnis gelinge dies jedoch aufgrund des eindeutigen Willens des Gesetzgebers nicht, da § 6 I InsO im Falle der insolvenzrechtlichen Verfahrensentscheidung – hier der Bestellentscheidung – vollständig, zugunsten einer zügigen Verfahrensabwicklung Wirkung entfalte. Die Bestellentscheidung sei daher grundsätzlich nicht justiziabel.936)

d) Gesamtwürdigung 460 Die Darstellung der Gesetzesmaterialien hat gezeigt, dass der Gesetzgeber die Bestellentscheidung im konkreten Fall gem. §§ 56 I InsO i. V. m. § 18 I Nr. 1 RpflG ausschließlich unter Richtervorbehalt stellen wollte.937) Ein klarer gesetzgeberischer Wille konnte auch mit Blick auf § 6 I InsO festgestellt werden, welcher zugunsten eines zügigen Verfahrensablaufes keinen Rechtschutz zulassen soll, wenn dies nicht ausdrücklich qua Gesetz vorgesehen ist.938) Der Gesetzgeber hätte sonst ähnlich wie gegen die Sicherungsmaßnahmen des Eröffnungsverfahrens ausdrücklich Rechtsmittel zulassen können und damit von der grundsätzlichen Wirkung des § 6 InsO abweichen können.939) So verhielt es sich bereits vor Einführung des Enumerationsprinzips zu Zeiten der KO, wo ebenfalls gem. § 110 I KO ein Verwalter bei Verfahrenseröffnung zu ernennen war. Die Ernennung gem. § 78 I KO unterlag ohne weiteres als Entscheidung innerhalb des Konkursverfahrens der isolierten Anfechtung durch die sofortige Beschwerde gem. § 73 III KO.940) Mit § 6 InsO hat der Gesetzgeber folglich zugunsten einer zügigen Verfahrensabwicklung die grundsätzliche Annahme aufgegeben, nicht mehr jede Entscheidung des Insolvenzgerichts für anfechtbar zu erachten. Damit hat er nunmehr sektoral zugunsten schneller Verfahrensentscheidungen bewusst Rechtsschutzlücken zugelassen.

461 Angesichts dessen ist anerkannt, dass – anders als bei insolvenzgerichtlichen Entscheidungen mit Grundlage außerhalb der InsO – keine Rechtsmittel des GVG oder der ZPO gegen die Bestellentscheidung offenstehen. Diese nach nahezu einhelliger

___________ 936) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 126; vgl. auch Laws, ZInsO 2006, 847 (849); ebenso noch: OLG Celle, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 VA 3/05 = NZI 2005, 458; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NZI 2005, 111 (112). 937) BT-Drs. 12/3803, S. 65. 938) BT-Drs. 12/2443, S. 110. 939) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Sietz, Insolvenzrecht, Kap. 20, Rn. 19; vor den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ging das Bundesministeriums der Justiz explizit noch davon aus, dass es sich bei der Bestellentscheidung nicht um einen Justizverwaltungsakt handele, sondern um einen Rechtsprechungsakt i. S. v. Art. 92 GG, der nicht justiziable sei, vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung, des Kreditwesengesetzes und anderer Gesetze, abgedruckt in: NZI 2004, 549 (554). 940) Vgl. Kilger/Karsten Schmidt, 16. Aufl. 1993, § 73 KO, Rn. 4; Menzel/Kuhn/Uhlenbruck, 9. Aufl. 1979, § 78 KO, Rn. 4; § 73 KO, Rn. 8.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Ansicht941) vertretene, grundsätzliche Auslegung des § 6 InsO wäre „überflüssig“942), bzw. würde unterlaufen, soweit auch künftig daran festgehalten werden soll, dass die Bestellentscheidung eine klassisch innerverfahrensrechtliche Entscheidung darstellen soll. Zu gegenteiliger Annahme besteht gegenwärtig kein Anlass. Gerade im Rahmen der Bestellentscheidung würde es jedoch bei konsequenter Anwendung eines Beschwerderechts zu erheblichen Verfahrensverzögerungen kommen, die der Gesetzgeber mittels § 6 InsO ausdrücklich vermeiden wollte. Allein eine verfassungskonforme Auslegung der angewandten Vorschriften vermag dieses untragbare Ergebnis zu verhindern. Wenn also – zu Recht – die Notwendigkeit etwaigen Rechtsschutzes für die Bestellentscheidung i. S. v. Art. 19 IV GG festgestellt wird, müsste § 56 InsO in dieser Hinsicht konsequenterweise als verfassungsrechtlich ungenügend angesehen werden, da kein Rechtmittel gewährt wird. Hiervor hat sich jedoch letztlich vor allem auch das Bundesverfassungsgericht ge- 462 scheut und das de lege lata angewandte Rechtsschutzsystem selbst vorgegeben. Das auf den §§ 23 ff. EGGVG fußende Rechtsschutzsystem ordnet sich zwar unauffällig in die InsO ein, indem es den Ablauf des Verfahrens nicht stört und zu einer Klärung für künftige Entscheidungen gelangt, doch wirkt es letztendlich doch konstruiert und eben doch nur als eine Übergangslösung943). So ist etwa zu berücksichtigen, dass es auch gegenwärtig, nach Inkrafttreten des ESUG und Einführung des § 6 I 2 InsO,944) zu Rechtswegaufspaltungen käme: Ein Rechtsbehelf aus §§ 23 ff. EGGVG stehe daher im Widerspruch zum sonstigen Rechtsmittelsystem der InsO. Dies äußere sich, wenn nicht nur Mitbewerber den Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG stellten, sondern gleichzeitig auch der Schuldner den Eröffnungsbeschluss (beinhaltend die Bestellentscheidung) mit der Beschwerde nach § 34 II InsO angreife. Dann würden über denselben Verfahrensgegenstand gleichzeitig das Oberlandesgericht (§ 25 EGGVG) und – nach neuer Rechtslage – das Insolvenzgericht selbst (§ 6 I 2 InsO) verhandeln.945) Insofern lässt sich im Vergleich zu anderen durch den Gesetzgeber der InsO ausdrücklich gewährten Rechtsmitteln, eine Art Dysfunktionalität feststellen.

___________ 941) Vgl. Graeber, NZI 2006, 499.; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO, Rn. 5, 6; Nerlich/Römermann/ Becker, § 6 InsO, Rn. 23; Pape, in: Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, S. 49 (56); Uhlenbruck/Pape, § 6 InsO, Rn. 7; Uhlenbruck, NZI 1999, 175 (176). 942) Nerlich/Römermann/Becker, § 6 InsO, Rn. 23. 943) Es entspricht dabei gerade der Intention des Gesetzgebers, die §§ 23 ff. EGGVG sukzessive abzulösen, nachdem sie zunächst vorübergehend für eine spezifische Ausweitung des Rechtsschutzes gesorgt haben, vgl. BT-Drs. 3/1094, S. 15; Graf/Köhnlein, § 23 EGGVG, Rn. 46; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Gerson, § 23 EGGVG, Rn. 4. 944) Dazu vgl. MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO, Rn. 4k, 40. 945) So zur alten Rechtslage: Jacoby, Das private Amt, S. 514f.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

463 Richtig ist letztlich, dass nicht bereits § 6 I InsO die Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG ausschließen kann. Unabhängig vom Rechtscharakter der Bestellentscheidung kann dies jedoch nicht über die grundsätzliche gesetzgeberische Wertung hinwegtäuschen, aus der die Anwendung eines etwaigen Rechtsmittels nicht hervorgeht.946)

464 Kein eindeutiges Bild konnte aus der obigen Untersuchung in Bezug auf den Rechtscharakter der Bestellentscheidung gewonnen werden. Eine eindeutige und zweifelsfreie Subsumtion unter die einzelnen Merkmale des herausgearbeiteten (funktionalen) Rechtsprechungsbegriffes war gegenwärtig nicht möglich, auch wenn gute Argumente dafür angeführt werden konnten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 56, 57, 59 InsO die Intention der Gestaltung eines gerichtsförmigen Verfahrens verfolgte.

465 Die Ansicht, nach der die Bestellentscheidung als genuin spruchrichterliche Tätigkeit anzusehen ist,947) kann ferner für sich beanspruchen, dass zur Rechtsprechung anerkanntermaßen nicht lediglich das Resultat eines Entscheidungsprozesses, also der jeweilige Beschluss oder das Urteil gezählt wird, sondern auch das gesamte damit verbundene Verfahren. Auch verfahrensleitende und -fördernde Maßnahmen könnten demnach wegen ihres Zusammenhangs mit der Rechtsgewinnung als Rechtsprechungsakte definiert werden. Entscheidend sei der Zusammenhang mit einem konkreten, in richterlicher Unabhängigkeit durchgeführten Verfahren.948) Ein entsprechend direkter Zusammenhang könnte bei der Bestellentscheidung daher aufgrund der Wechselwirkung zwischen Verfahrenseröffnung und Bestellung gesehen werden, ferner durch den direkten Zusammenhang mit der Rechtsgewinnung innerhalb des eröffneten Insolvenzverfahrens selbst, da es sich um eine zwingend erforderliche, vorprozessuale Handlung handelt, die mit dem später eröffneten Verfahren „als Schicksalsfrage eines jeden Konkurses“949) aufs engste verknüpft ist. ___________ 946) Im Ergebnis steht etwa Mitbewerbern auch bei der Ernennung eines Testamentsvollstreckers ausdrücklich kein Rechsmittel zu: vgl. Soergel/Damrau, § 2200, Rn. 11 (13. Aufl., 2003); Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 85f. 947) So etwa: Stellungsnahmen des Bundesministeriums der Justiz sowie des Gutachtens des Verfassungsrechtlers Höfling, welche jeweils von einem „Akt der Rechtsprechung im funktionellen Sinne“ ausgingen, vgl. BVerfGE 116, 1, 4f., 7f.; Höfling, NJW 2005, 2341 (2343); den Beschluss in dieser Hinsicht für „nicht unbedenklich“ haltend, auch Jaeger/Gehardt, § 56 InsO, Rn. 71 für „kaum überzeugend“ haltend, Gaul, in: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilbd., S. 687 (706); ferner: OLG Celle, Beschl. v. 1.6.2005 – 16 VA 3/05 = NZI 2005, 458 (458); OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2004 – 15 VA 11/04 = NJW 2005, 834 (835); Henssler, ZIP 2002, 1053 (1058); Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (460 ff.); Köster, NZI 2004, 538 (542); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 123; Vallender, NJW 2004, 3614 (3614). Haarmeyer/Hintzen/Hintzen, §§ 150, 150a ZVG, Rn. 2, sieht ferner auch die Entscheidung über die Bestellung des Zwangsverwalters als Akt der rechtsprechenden Gewalt an. 948) MüKoZPO/Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 5; ähnlich Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 50; vgl. auch, Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 47. 949) Jaeger, 6./7. Aufl. 1936, § 78 KO, Rn. 7.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Im Ergebnis vermögen die bisweilen vorgestellten Argumente jedoch nicht ab- 466 schließend zweifelsfrei die Frage zu beantworten, ob die Bestellentscheidung eindeutig das entscheidende Merkmal „der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist“ beinhaltet. Selbst wenn man mit guten Argumenten annähme, die Bestellentscheidung erginge aufgrund der aufgezeigten Wechselwirkungen innerhalb des Eröffnungsbeschlusses,950) beeinflusst diese Verfahrensverbindung zwischen Bestellung und Verfahrenseröffnung die Gestaltung des Bestellverfahrens sowie die Entscheidungswirkung des Beschlusses zu wenig. Das Gericht gestaltet gerade kein Verfahren, um einen Streit zwischen Gläubiger und Schuldner zu schlichten, da es sich lediglich an den Vorgaben des § 56 I InsO orientiert.951) Dieser Einwand konnte schlussendlich somit nicht widerlegt werden. Damit ist nicht hinreichend klar, ob es sich letztlich um ein Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung handelt oder ob die Bestellentscheidung lediglich innerhalb eines eindeutig als streitig zu qualifizierenden Verfahrens ergeht.

e)

Eigener Ansatz: Die Bestellentscheidung de lege ferenda

Als Motiv für die verfassungsgerichtliche Einordnung bleibt letztlich das – nach- 467 vollziehbare – Ziel, den Bewerbern Rechtsschutz auch gegen die konkrete Bestellentscheidung einräumen zu wollen. Nach den bisherigen Untersuchungen ist jedoch zu bezweifeln, ob die Gewährung 468 von Rechtsschutz dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Die durch § 6 InsO verdeutlichte gesetzgeberische Wertung spricht de lege lata dafür, anders als das Bundesverfassungsgericht keinen Rechtsschutz gegen die Bestellentscheidung im Einzelfall zuzulassen.952) Dieser Verzicht ist letztlich auch mit Art. 19 IV GG vereinbar und muss nicht durch eine extensive Auslegung des § 6 InsO beseitigt werden, denn gerade die unabhängige und neutrale Entscheidung des Richters bei der Bestellung sichert das Recht auf ermessensfehlerfreie Berücksichtigung ausreichend.953) Unabhängig von einer rechtlichen Qualifizierung der Bestellentscheidung sprechen nach hiesiger Ansicht daher auch die besseren Argumente dafür, die Bestellentscheidung des § 56 I InsO, wie auch die sich u. U. anschließenden Entscheidungen der §§ 57, 59 InsO nach ausdrücklichem gesetzgeberischem Willen unter Richter___________ 950) Vgl. Höfling, NJW 2005, 2341 (2343); Laws, ZInsO 2006, 847 (848f.). 951) Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 510. 952) So im Ergebnis auch gegen die Ernennung des Testamentsvollstreckers, vgl. Soergel/Damrau, § 2200, Rn. 11 (13. Aufl., 2003); Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 85f. 953) So bereits Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 159; Entspricht sie doch gerade der Funktion des Richters als bestmöglichem Garanten für die richtige Rechtserkenntnis aufgrund seiner umfassend geschützen Unabhängigkeit, vgl. M. Wolf, ZZP 99 (1986), 361 (405).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

vorbehalt zu stellen, dem Richter dabei richterliche Unabhängigkeit i. S. v. Art. 97 GG zukommen zu lassen und sie in einem von der Verfahrenseröffnung formal zu trennenden Beschluss zu treffen. Dies entspräche gerade der gesetzgeberischen Intention, die Bestellentscheidung dem Richter in persönlicher und richterlicher Unabhängigkeit sowie strikter Unterwerfung unter das Gesetz zu überlassen.954), 955)

469 De lege ferenda bietet sich daher an, die Bestellentscheidung mittels eines zwar zeitgleich ergehenden, aber dennoch eigenständigen, insofern von dem Eröffnungsbeschluss des § 27 InsO formell zu trennenden Beschlusses zu erlassen. So wird es bereits heute im Bereich des FamFG von der Rechtsprechung im Rahmen der Berufsbetreuerauswahl gehandhabt.956) Das de lege lata bestehende Beschwerderecht des Schuldners könnte damit einerseits effektuiert werden. Soweit der Gesetzgeber darüber hinaus in Zukunft – aus hier vertretener Sicht zu Recht – davon ausgehen wird, auch den Bewerbern gegen die konkrete Bestellentscheidung Rechtsmittel zuzugestehen, empfiehlt es sich, ein solches Beschwerderecht – wie bei den §§ 57, 59 InsO – auch ausdrücklich für die Bewerber vorzusehen und damit auf das der InsO vertraute Beschwerderecht zurückzugreifen. Die Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss nach § 34 InsO entfaltet bereits heute grundsätzlich gem. § 4 InsO i. V. m. § 570 ZPO keine aufschiebende Wirkung.957) Dies sollte auch de lege ferenda für eine Beschwerde gegen die Bestellentscheidung gelten. Die kraft Verfahrenseröffnung eintretenden Folgen des § 80 I InsO sollten jedoch nicht berührt werden. Vielmehr sollte die Beschwerde durch den Gesetzgeber ausdrücklich nach Sinn und Zweck des § 6 InsO und mit den Argumenten des Bundesverfassungsgerichts auf eine nachträgliche Feststellung beschränkt werden, um so für künftige Bestellentscheidungen eine Wiederholungsgefahr auszuschließen. Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zwar sowohl in der InsO, als auch in der ZPO nicht explizit ___________ 954) So stelle das BVerfG selbst fest, die Regelung des § 18 I Nr. 1 RpflG ginge davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und richterlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte aller Betroffenen auch der Prätendenten um das Insolvenzverwalteramt – im Einzelfall am besten und sichersten wahren können, BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455). 955) Damit würde ferner auch eine klare Zuordnung der richterlichen Unabhängigkeit gelingen, indem sie dann weiterhin gerade nicht extensiv auch auf rein justizverwaltungsrechtliches Handeln ausgeweitet würde und dem Richter auch dort einen Sonderstatus gegenüber anderen Trägern öffentlicher Gewalt zugestehe. 956) In der Rechtsprechung wird es überwiegend für zulässig gehalten, das Rechtsmittel gegen die Bestellung eines Betreuers auf die Frage der Betreuerauswahl zu beschränken und in der Folge, die weiteren generellen Voraussetzungen für die Betreuerbestellung selbst nicht mehr zu prüfen, statt vieler: BGH, Beschl. v. 3.2.2016 – XII ZB 493/15 = NJW-RR 2016, 709 (Rn. 9); im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 25.3.2015, XII ZB 621/14 = NJW-RR 2015, 833 – 836 und 6. März 1996, XII ZB 7/96, = NJW 1996, 1825); vgl. auch BGH, Beschl. v. 16.9.2015 – XII ZB 526/14 = FamRZ 2016, 121; Staudinger/Bienwald, 2017, § 1897 BGB, Rn. 99 ff.; a. A. Damrau/Zimmermann § 1897 BGB, Rn. 53. 957) BGH, Beschluß vom 27.7.2006 – IX ZB 204/04 = NZI 2006, 693 (696); Uhlenbruck/Pape, § 34 InsO, Rn. 22.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

vorgesehen. Bei tiefgreifenden Grundrechtsverletzungen des Schuldners ist sie jedoch bereits heute nicht fremd. So ist in solchen Fällen möglich, nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Anordnung zu beantragen.958) Eine entsprechende Neugestaltung würde sich von der gegenwärtigen Rechtslage 470 kaum unterscheiden, böte nun jedoch verstärkt Rechts(mittel)klarheit, wie es das Verfassungsgericht grundsätzlich verlangt959) und hielte dann zudem einer dogmatisch kritischen Beurteilung stand. Abhilfe kann letztlich auch in diesem Bereich allein der Gesetzgeber schaffen.960)

2.

Die Vorauswahllistenentscheidung – kein Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG?

Ebenso wie die Bestellentscheidung, hat das Bundesverfassungsgericht auch die 471 Vorauswahllistenentscheidung als Justizverwaltungsakt definiert, der durch den Insolvenzrichter ebenso in richterlicher Unabhängigkeit erginge, ohne dass dieser dabei jedoch spruchrichterlich i. S. v. Art. 92 GG tätig würde.961) Das Vorauswahlverfahren ist vom Gesetzgeber de lege lata in § 56 I InsO nicht 472 normiert, lediglich für die Bestellung des Insolvenzverwalters im konkreten Fall wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen;962) das Vorauswahlverfahren wurde durch die Judikative selbst implementiert. Bereits oben wurde daher festgestellt, dass das Vorauswahlverfahren verfassungsrechtlich den Voraussetzungen des Art. 12 I GG nicht genügt und daher als verfassungswidrig anzusehen ist. Ferner wurden erhebliche Bedenken in Bezug auf eine Vereinbarkeit mit Art. 10 II DL-RL festgestellt. Dennoch soll dargestellt werden, wie das Vorauswahlverfahren in seiner der___________ 958) Vgl. BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03 = NZI 2004, 312 (313); MüKoInsO/Ganter/ Bruns, § 6 InsO, Rn. 36; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Saulus, Insolvenzrecht, Kap. 13 Rn. 27. 959) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1928), das dahingehend klarstellt, dass das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns zu dem Gebot führe, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen. Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels sollte dem Bürger insbesondere die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig sei. Seien etwa die Formerfordernisse so kompliziert und schwer zu erfassen, dass nicht erwartet werden könne, der Rechtsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber Aufklärung verschaffen können, so müsse die Rechtsordnung zumindest für eine das Defizit ausgleichende Rechtsmittelbelehrung sorgen. Diese könne jedoch zuverlässig nur erteilt werden, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen des jeweiligen Rechtsbehelfs in der Rechtsordnung geregelt seien. 960) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 127; so auch für ein aufgrund des allg. Justizgewährungsanspruchs gewährtes Rechtsmittel, Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (461f.). 961) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575). 962) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

zeitigen Form rechtlich eingeordnet werden könnte, (Rn. 473) bevor anschließend Änderungsvorschläge unterbreitet werden sollen (Rn. 482).

a) Der administrative Charakter der Vorauswahlentscheidung 473 Bereits die oben ergangenen Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Vorauswahlpraxis haben offenbart, dass es sich um eine grundrechtsrelevante Entscheidung handelt, die nicht zuletzt Einfluss auf die Konkurrenzsituation der Bewerber sowie die Ausgestaltung ihres Marktzuganges nimmt, die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten der Verwalter somit einschränken kann.963) Zwar regelt die Vorauswahl nicht gänzlich den Berufszugang im Sinne der Berufswahlfreiheit, da dem betroffenen Verwalter lediglich der Zugang für die Liste eines bestimmten Gerichts verwehrt werden kann. Faktisch ist jedoch eine Art Auswahlverfahren mit subjektiven Zulassungsvoraussetzungen964) entstanden. Die Fachgerichte müssen sich schließlich bei der ihnen überlassenen Ausgestaltung der Kriterien zur Vorauswahllistenentscheidung in praxi an den gesetzgeberischen Merkmalen der Bestellentscheidung sowie einer Fülle dazu ergangener obergerichtlicher Entscheidungen orientieren. Grundsätzlich wird den Verwaltern dadurch die Ausübung ihres Berufes nicht verwehrt, faktisch ist eine Vorauswahllistung jedoch von erheblicher Bedeutung für die regelmäßige Berufsausübung und Bestellung durch die Gerichte.965) Auch gegenüber der Bestellentscheidung ist die Vorauswahlentscheidung daher als weitreichender Eingriff anzusehen, da sie abstrakt die Beurteilungsgrundlage für eine Vielzahl künftiger Verfahren schafft.

aa) Die Vorauswahl als verfahrensübergreifende Entscheidung mit Außenwirkung 474 So nimmt schließlich Kruth an, dass der Richter im Falle der Ablehnung der Vorauswahllistung gegenüber dem Bewerber zum Ausdruck bringe, er würde ihn in Zukunft nicht berücksichtigen, bzw. ihn bis auf weiteres nicht bestellen. Damit sei ein Ablehnungsschreiben Ausfluss eines vorerst abgeschlossenen Entscheidungsfindungsprozesses. Lediglich die Abänderung würde vorbehalten, sodass die Entscheidung zumindest für unbestimmte Zeit getroffen würde. Dem stehe nicht entgegen, dass es ohne konkret anstehendes Insolvenzverfahren an einem regelungsfähigen Einzelrechtsverhältnis fehle. Da eine entsprechende Ablehnungsentscheidung in ihrer Rechtswirkung über ein konkretes einzelnes Insolvenzverfahren hinaus___________ 963) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575). 964) Sogar der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Entscheidung über die Aufnahme in die Vorauswahlliste „Berufszulassungscharakter“ habe, BT- Drucks. 17/3356, S. 15 ebenso: Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 105. 965) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EUDienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 249.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

ginge, beziehe sich eine solche Entscheidung jedoch – wie auch oben festgestellt – auf eine Vielzahl künftig anstehender Insolvenzverfahren und regele gegenüber dem Bewerber damit die nach § 56 InsO zu treffende Entscheidung bereits bis auf weiteres für alle künftigen Verfahren. Des Weiteren könne die Vorauswahlentscheidung auch nicht als rein justizinterne Vorbereitungshandlung für die anschließende Bestellentscheidung qualifiziert werden,966) da der Bewerber in seinen Rechten durch eine mit Außenwirkung ergehende Entscheidung betroffen werde und nicht lediglich durch einen Prozess innerer, richterlicher Meinungsbildung967). Die Vorauswahlentscheidung könne daher nicht nur auf das Sammeln von Informationen reduziert werden. Zwar komme ihr vorbereitender Charakter zu, jedoch gerade nicht nur für eine einzelne Bestellentscheidung; es besteht damit eine verfahrensübergreifende Relevanz.968) Im Ergebnis könne daher auch die Vorauswahllistenentscheidung dem Anwendungsbereich der Artt. 92 GG unterworfen werden und nicht als Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG anzusehen sein.969) Der Argumentation ist in Teilen, vor allem in Bezug auf letztere Argumente bezüg- 475 lich einer rein justizinternen Handlung, zuzustimmen. Für die Einordnung als Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG könnte ferner angeführt werden, dass es sich um eine verfahrensfördernde Maßnahme handelt,970) die eine gewisse Konnexität zur späteren Bestellentscheidung und Verfahrenseröffnung aufweist. Die Vorauswahlentscheidung stellt damit die Grundlage für die später erfolgenden Bestellentscheidungen im Einzelfall dar und könnte daher mit den oben genannten Argumenten ähnlich wie die Bestellentscheidung als Rechtsprechung im funktionalen Sinne betrachtet werden. Richtig ist auch, dass im Rahmen des Vorauswahlverfahren keine reine Informationsgewinnung stattfindet, sondern ihre Doppelfunktion vor allem auch darin besteht, den chancengleichen Zugang zur Insolvenzverwaltertätigkeit abzusichern. Die Verfahrenswirkung erstreckt sich daher gerade auch wesentlich auf die Absicherung der Grundrechte der betroffenen Bewerber.971) Als weiteres Argument könnte schließlich auch angeführt werden, dass durch das Vorauswahlverfahren ein Teil der gesetzlich in § 56 I InsO normierten konkreten Bestellentscheidung – wenn auch ohne Bindungswirkung – vorweggenommen bzw. vorverlagert wird.972) Auch das Verfassungs-

___________ So auch Preuß, KTS 2005, 155 (162). So noch OLG Düsseldorf, Beschluß v. 24.06.1996 – 3 VA 4/95 = NJW-RR 1996, 1273 (1273). Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 129f. Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 132. Vgl. MüKoZPO/Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 5; ähnlich Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 50; vgl. auch, Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 47. 971) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 36. 972) So auch Wieland, ZIP 2007, 462 (463). 966) 967) 968) 969) 970)

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

gericht hat grundsätzlich festgestellt, dass beide Entscheidungen rechtlich nebeneinander stünden.973)

bb) Keine letztverbindliche, der Rechtskraft fähige Entscheidung 476 Zwingend folgt daraus jedoch nicht, dass es sich um eine spruchrichterliche Tätigkeit handelt. Aus hiesiger Sicht sprechen die besseren Argumente dafür, die Vorauswahllistenentscheidung nicht als Rechtsprechung (im funktionalen Sinne) nach Art. 92 GG anzusehen. Der Gesetzgeber hat für das Vorauswahlverfahren, gerade kein gerichtsförmiges Verfahren geschaffen, das durch normativ prozessuale Sicherungen verfassungsrechtliche Standards gewährleistet und auf dessen Grundlage Rechtssachen mit verbindlicher Wirkung getroffen werden sollen, die nur durch unabhängige Gerichte herbeigeführt werden können.974) Im Gegenteil hat der Gesetzgeber mit § 56 I InsO lediglich eine normative Grundlage allein für die Bestellung des Insolvenzverwalters geschaffen.975) Die Vorauswahl trifft außerdem lediglich eine Einzelfallentscheidung. Zwar ist anzuerkennen, dass Teile der Bestellentscheidung vorverlagert werden, um diese im Eilfall zügig fällen zu können, doch bleibt es hierbei lediglich um eine generelle und damit abstrakte Eignungsfeststellung, die gerade keine direkte Bindungswirkung für die konkrete Bestellentscheidung entfaltet. Sie wird deshalb in keiner Weise vorweggenommen, von einer Regelungswirkung betreffend alle künftigen Verfahren kann somit nicht gesprochen werden.

477 Die Vorauswahllistenentscheidung stellt ferner keine rechtskraftfähige Entscheidung dar, sie hat immer nur für einen gewissen Zeitraum, bis zu einer etwaigen

___________ 973) Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2004 kann indes mit Ries nicht gefolgert werden, die Vorauswahlliste würde lediglich antizipiert erstellt werde und damit integraler Bestandteil der jeweiligen richterlichen Bestellungsentscheidung sein, K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 48. Vielmehr handelt es sich bei der Vorauswahllistenerstellung um ein generell-abstraktes Vorschaltverfahren. Dies folgt bereits daraus, dass das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass die Vorauswahlentscheidung lediglich über den Kreis potentiellen Insolvenzverwalter befinde und zwar ohne Verbindung zu einem konkreten Verfahren. Ferner daraus, dass es feststellt, dass beide Verfahren rechtlich nebeneinander bestehen, folglich nicht als irgendgearteter integraler Bestandteil, vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (575). Auch Preuß hält es für problematisch, die Vorauswahl-Praxis als lediglich unselbständigen Vorbereitungsprozess der Bestellentscheidung im konkreten Fall anzusehen und sie damit lediglich als Gerichtsinternum anzusehen. Ergäbe sich dabei gleichzeitig doch immer auch ein potentieller Eingriff in die Grundrechte abgewiesener Bewerber. Auch das BVerfG mahne daher präzisere rechtliche Maßstäbe und deren rechtliche Kontrolle an, Wieland, ZIP 2007, 462. 974) Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, Art. 92 GG, Rn. 37f.; ferner: Jaeger/Gehardt, § 56 InsO, Rn. 62. 975) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht., Kap. 13, Rn. 16; Preuß, ZIP 2011, 933 (934); Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1347).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Neubewerbung Bestand.976) Im Vergleich mit der Bestellentscheidung fehlt bei der Vorauswahllistenentscheidung das Merkmal einer letztverbindlichen Entscheidung, die wie im Rahmen der §§ 57, 59 InsO bei der Bestellentscheidung nur durch einen Beschluss der Rechtsprechung abänderbar ist. Durch ggf. kurzfristige Änderungen bei den von einem Bewerber einmal vorgelegte Bewerbungskriterien könnte ein Bewerber innerhalb kurzer Zeit als generell geeignet gelten und ihm so ein Anspruch auf Listung977) zustehen. Dass es sich hier eher um eine verwaltungsrechtliche Entscheidung handelt, zeigt ferner auch, dass sie nicht ausschließlich von einem neutralen, unparteilichen Richter i. S. v. Art. 92 GG getroffen werden muss. Vielmehr ist denkbar, diese Prüfung auch etwa dem Rechtspfleger zu übertragen. Anders als bei der Bestellentscheidung besteht hier keine multipolare Konfliktlage, die die Entscheidung eines Richters erforderlich macht. Es handelt sich so gesehen lediglich um eine – nicht im Ermessen stehende978) – Anspruchsprüfung. Die Gesamtschau zeigt damit, dass die Vorauswahlentscheidung eher einen organi- 478 satorischen Akt der Entscheidungsvorbereitung979) darstellt, nicht also einen unmittelbar mit der Rechtsfindung verbundenen, materiellen Verfahrensakt980), wie dies mit den Argumenten einer Ansicht noch im Rahmen der Bestellentscheidung begründet werden konnte. Gegen diese Annahme lässt sich letztlich auch nicht auf die richterliche Unabhän- 479 gigkeit verweisen und so auf ein spruchrichterliches Tätigwerden schließen.981) Auch eine Indizwirkung kommt dieser Annahme nicht zu. Anders als oben, hat der Gesetzgeber die Vorauswahlentscheidung nicht ausdrücklich unter Richtervorbehalt gestellt, sondern sich einer Regelung gänzlich enthalten. Daher lassen sich hier keine Schlüsse aus einem etwaigen zugestehen richterlicher Unabhängigkeit ziehen. Diese hat allein das Verfassungsgericht dem Richter bei der Vorauswahlentscheidung zugestanden, sie entbehrt jeglicher normativer Grundlage.982) ___________ 976) Das Insolvenzgericht Hannover führt etwa alle zwei Jahre ein Auswahlverfahren durch, Neubert, ZInsO 2017, 1649 (1649); das AG Heidelberg führt hingegen jährlich eine Bedarfsprüfung durch, vgl. https://amtsgericht-heidelberg.justiz-bw.de/pb/,Lde/1159351 (zuletzt geöffnet: 21.10.2021); es ist ferner davon auszugehen, dass bei den meisten Insolvenzgerichten jederzeit eine Bewerbung für die Vorauswahlliste möglich ist. 977) BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/07 = NZI 2008, 161 (162). 978) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (511). 979) Vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 92 GG, Rn. 46. 980) Vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 92 GG, Rn. 37. 981) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 131. 982) Selbst wenn dem Richter bei der Vorauswahlentscheidung richterliche Unabhängigkeit zukäme, ließe sich nach den obigen Begründungen nicht automatisch auf eine spruchrichterliche Tätigkeit schließen. Vielmehr kommt dem Richter die Unabhängigkeit in einem weiteren Rahmen, etwa auch bei lediglich rechtsfürsorgerischen Tätigkeiten zu, vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 92 GG, Rn. 48; Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 77; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10; zum Gewährleistungsbereich des Art. 97 I GG vgl. Isensee/Kirchhoff/Sodan, HStR V, § 113 Rn. 22.

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480 Es besteht bei funktionaler Betrachtung nach hier vertretener Ansicht daher ein rechtlicher und charakterlicher Unterschied zwischen den Teilentscheidungen des Auswahlverfahrens. Die Vorauswahl stellt ein separates und selbstständiges Verfahren dar,983) das in seiner Funktion im Vergleich zur Bestellentscheidung durch ein administratives Element dominiert wird.

481 Es handelt sich um einen selbstständigen, vorgelagerten, administrativen Organisationsakt des Richters, dessen Entscheidung ein nach außen hin wirksamer, zur Verletzung der Rechte Betroffener geeigneter Akt mit Regelungswirkung darstellt.984) Es liegt daher nahe, dass der Richter nicht als Rechtssprechungsorgan tätig wird, sondern justizverwaltungsrechtlich, also lediglich als Exekutivorgan handelt.985)

b) Die Vorauswahlentscheidung de lege ferenda – keine Entscheidung des Richters in richterlicher Unabhängigkeit? 482 Bereits oben wurde erörtert, dass Ausgangspunkt der Gewährleistung richterlicher Unabhängigkeit ihrem Sinn und Zweck nach die „richterliche Tätigkeit“ an sich darstelle,986) das Grundgesetz jedoch dennoch nicht voraussetze, dass Richter Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG ausübten, um den Schutz der Art. 97 I, 101 I, 103 I GG zu genießen. Diese Rechte stünden Richtern daher vielmehr in einem weiten Kontext zu, der mithin auch mittelbar der Beschlussfassung dienende, vorbereitende, nachfolgende sowie auch Sach- und Verfahrensentscheidungen umfasse und nicht nur auf die richterliche Kerntätigkeit beschränkt sei.987) Insofern umfasse die richterliche Unabhängigkeit auch Tätigkeiten des Richters, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsfindung stünden, wie etwa das Vernehmen von Zeugen und Sachverständigen. Ferner auch solche Aufgaben, die der Gesetzgeber den Richtern gerade aufgrund ihrer sachlichen Unabhängigkeit übertragen habe. Nicht zur richterlichen Tätigkeit und dem Gewährleistungsbereich der richterlichen Unabhängigkeit gehörten dagegen sonstige, klassisch exekutive Aufgaben, die dem Richter z. B. innerhalb der Gerichtsverwaltung (vgl. § 4 II Nr. 1 DRiG) übertragen seien.988)

483 Insofern ist fraglich, welchem dieser Bereiche die Vorauswahlentscheidung zuzuordnen ist: Ob sie durch den Richter ergehen muss, der zusätzlich in richterlicher Unabhängigkeit tätig wird oder ob sie gar auf andere Funktionsträger übertragen werden sollte. ___________ Vgl. Preuß, KTS 2005, 155 (162). Vgl. Preuß, KTS 2005, 155 (162f.). Vgl. Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 (1353); Wieland, ZIP 2007, 462 (465, 467). Isensee/Kirchhoff/Sodan, HStR V, § 113 Rn. 22; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10, 50. Isensee/Kirchhoff/Wilke, HStR V, § 112 Rn. 77; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10; zum Gewährleistungsbereich des Art. 97 I GG vgl. Isensee/Kirchhoff/Sodan, HStR V, § 113 Rn. 22. 988) Isensee/Kirchhoff/Sodan, HStR V, § 113 Rn. 22; Merten/Papier/Papier, HGR V, § 130 Rn. 10, 50. 983) 984) 985) 986) 987)

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Zunächst ist also zu ermitteln, weshalb das Bundesverfassungsgericht die Voraus- 484 wahllistenentscheidung nicht nur als Justizverwaltungsakt definiert hat, sondern dem Richter dabei – eher untypischer989) –auch richterliche Unabhängigkeit zugestanden hat.990) Möglicherweise lässt sich die Entscheidung, dem Richter auch sachliche Unabhängigkeit zuzubilligen, mit der Systematik des Vorauswahllistensystems erklären, soll doch jeder Insolvenzrichter eigenverantwortlich eine eigene Liste führen. Praktisch können sich die Richter eines Insolvenzgerichts zwar auch zur Führung einer gemeinsamen Liste entschließen,991) dies führt aber nicht zu einer übergeordneten Verantwortlichkeit bei der Listenführung. Sie wird folglich nicht etwa durch einen dienstaufsichtführenden Richter oder durch die Gerichtsverwaltung als Gesamtbehörde geführt. Der einzelne Insolvenzrichter soll selbst und weisungsfrei über die Aufnahme und Streichung von der von ihm geführten Liste entscheiden können. Insofern soll er auch keinen Weisungen des jeweiligen Gerichtspräsidenten unterliegen können.992) Fraglich ist jedoch, ob das Gewähren richterlicher Unabhängigkeit allein unter dieser 485 Prämisse auch zweckdienlich ist.

aa) Keine Vergleichbarkeit mit strafprozessualen Anordnungen Die Einordnung der Vorauswahllistenentscheidung wie sie das Bundesverfassungs- 486 gericht vorgenommen hat, scheint in die oben als Sonderbereich bezeichnete Fallgruppe zu passen.993) Die Fallgruppe beschreibt eine nicht spruchrichterliche Tätigkeit, die jedoch dennoch unter Richtervorbehalt gestellt wird sowie dem Richter sachliche Unabhängigkeit zubilligt. Auch im Rahmen der durch das Verfassungsgericht gebildeten Fallgruppe handelt der Richter also – wie der Senat auch für die Vorauswahlentscheidung annahm – in richterlicher Unabhängigkeit, nicht aber in seiner typischen Funktion einer unbeteiligten Streitbeilegungsinstanz. Begründet wird eine entsprechende Zuordnung mit einem besonderen rechtsstaatlichen Schutz, der es verbiete, diese Aufgabe, die an sich funktionelle Ausübung öffentlicher Gewalt darstelle, auf die Exekutive zu übertragen.994) Für die Insolvenzverwalterauswahl scheint das Bundesverfassungsgericht diese 487 Grundsätze anzuwenden, indem es den in § 18 I Nr. 1 RpflG geregelten Richtervorbe___________ 989) Vgl. Schilken, JZ 2006, 860 (863); Preuß, KTS 2005, 155 (162, Fn. 31). 990) Ebenso zu finden bei: Laroche/Pollmächer/Frind, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = ZInsO 2017, 490 (292). 991) Jacoby, ZIP 2009, 2081 (2082). 992) Vgl. Laroche/Pollmächer/Frind, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = ZInsO 2017, 490; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 1, 32; ähnlich auch Wieland, ZIP 2005, 233 (234). 993) S. o. Rn. 143. 994) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1925).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

halt auch auf das Vorauswahlverfahren bezieht, dem Richter Unabhängigkeit zubilligt und gleichzeitig notgedrungen die §§ 23 ff. EGGVG zur Anwendung bringt.

488 Entsprechend ausdifferenzierte Fallgruppen hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen von strafprozessualen Durchsuchungen und Beschlagnahmen gebildet, mit dem Ziel, dringliche Entscheidungen im Eilfall dennoch unter Richtervorbehalt stellen zu können. Vorteilhaft ist hierbei, dass die rechtsstaatlichen Grundsätze der Art. 92 ff. GG Anwendung finden, insbesondere also das Gebot des unabhängigen gesetzlichen Richters, gleichzeitig aber auf die Anwendung spezifisch verfahrensrechtlicher Regeln zugunsten der besonderen Eilsituation im Rahmen der Strafverfolgung für die jeweilige Entscheidung verzichtet werden kann, wie z. B. zunächst kein rechtliches Gehör zu gewähren.995)

489 Wenngleich sich der Senat bei seinem Beschluss zum Rechtsschutz bei der Insolvenzverwalterbestellung vom 23.5.2006 auch auf seine, im Bereich des Art. 13 GG virulente Rechtsprechung zur Wohnungsdurchsuchung beruft,996) kann diese nach hiesiger Ansicht nicht auch vergleichend für die Insolvenzverwaltervorauswahl herangezogen werden.

490 Bei der eher administrativ geprägten Vorauswahllistenentscheidung handelt es sich nicht um eine Eilentscheidung. Es besteht daher keine Notwendigkeit, auf verfahrensrechtliche Grundregelungen zugunsten einer raschen Entscheidung zu verzichten. Die Entscheidung ist dem Richter etwa auch nicht wegen eines besonders sensiblen Grundrechtseingriffes zu übertragen. Damit ist an der Ausgangslage unverändert festzuhalten: Der Gesetzgeber hat das Vorauswahlverfahren nicht geregelt und daher auch keinen ausdrücklichen Richtervorbehalt angeordnet. Es ist nicht nur dogmatisch bedenklich, die justizorganisatorische Komponente der Verwalterauswahl einfach in § 56 InsO hineinzulesen und dabei Verfahrensrecht und Organisationsrecht beliebig zu vermischen.997) Es ist mit Blick auf den Zweck der Vorauswahlentscheidung auch nicht zwingend erforderlich, die Entscheidung einem unabhängigen Richter anzuvertrauen. Der Vergleich mit der geschilderten Fallgruppe hat vielmehr gezeigt, dass die Tätigkeit des Insolvenzrichters im Rahmen der Vorauswahl keine außerordentliche Differenzierung zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt rechtfertigt, die es notwendig erscheinen lässt, ihm richterliche Unabhängigkeit zuzuweisen. Dem Verfassungsgericht schien es letztlich um das grundsätzliche Problem der Verweigerung gerichtlicher Justiziabilität gegen die grundrechtsrele___________ 995) BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 = NJW 2003, 1924 (1925). 996) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455) mit Verweis auf BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 = NJW 2001, 1121; bei der Bestellentscheidung kann ein Vergleich aufgrund des Eilcharakters beider Entscheidungen u. U. noch einleuten, was im Ergebnis dafür spricht, beide Entscheidungen als Rechtsprechungsakte anzusehen. 997) Preuß, KTS 2005, 155 (163).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

vante Vorauswahlentscheidung gegangen zu sein.998) Ob die Mischform eines in richterlicher Unabhängigkeit ergehenden Justizverwaltungsaktes dafür eine gebotene Lösung darstellt, ist zu bezweifeln. Das Zugestehen richterlicher Unabhängigkeit lässt sich hier jedenfalls nicht bereits durch einen Vergleich mit der geschilderten Fallgruppe begründen.

bb) Dysfunktionalität richterlicher Unabhängigkeit im Beschwerdeverfahren Die Kombination aus Justizverwaltungsakt und richterlicher Unabhängigkeit stellt 491 die Rechtsprechung vor allem praktisch immer wieder vor Probleme. Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen eine Vorauswahlentscheidung soll der jeweilige Insolvenzrichter nicht Antragsgegner sein können, ferner in einem solchen Verfahren auch nicht anderweitig beteiligt werden können. Dies hat nunmehr der Bundesgerichtshof entschieden, demzufolge der einzelne Insolvenzrichter im Rahmen seiner Vorauswahllistenentscheidung keine Behördenqualität im Sinne von § 23 EGGVG aufweise. Er sei, soweit er eine solche Verwaltungsaufgabe – wenn auch in richterlicher Unabhängigkeit – wahrnehme, lediglich unselbstständiger Teil der Gesamtbehörde Insolvenzgericht und ihr gegenüber organisatorisch nicht verselbstständigt, folglich bereits aus diesem Grund nicht Antragsgegner eines etwaigen Verfahrens.999) Über die Verweisung in § 29 III EGGVG gelangt der Bundesgerichtshof zunächst zu einer entsprechenden Anwendung der §§ 2 ff. FamFG.1000) Grundsätzlich könnten danach Stellen, die dem Behördenbegriff entsprächen, im Sinne von § 8 Nr. 3 FamFG beteiligtenfähig sein.1001) Auch eine Beteiligung des Insolvenzrichters gem. § 7 FamFG sei also in Erwägung zu ziehen.1002) Beides lehnt der Bundesgerichtshof jedoch ab. Der Insolvenzrichter sei bei Erlass des die Vorauswahllistenführung betreffenden Justizverwaltungsaktes weder eine Behörde im Sinne von § 8 Nr. 3 und § 7 II Nr. 1 FamFG, noch sei er eine natürliche Person im Sinne von § 8 Nr. 1, § 7 II Nr. 2, III FamFG. Er sei durch das Verfahren als natürliche Person nicht gem. § 7 II Nr. 1 FamFG in seinen Rechten unmittelbar betroffen; eine Beschwerdeentscheidung greife nicht in dem Insolvenzrichter unmittelbar zustehende Rechte ein. Es läge keine Aufhebung, Beschränkung, Minderung, ungünstige Beeinflussung oder Gefährdung vor, die die Ausübung eines Rechts des ___________ 998) Vgl. Preuß, KTS 2005, 155 (162, Fn. 31). 999) Vgl. BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (510); Kissel/Meyer, § 23 EGGVG, Rn. 133. 1000) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (510); dies erklärt sich dadurch, dass die §§ 23 ff. EGGVG keine umfangreiche Verfahrensrechtskodifikation enthalten, vgl. MüKoZPO/Pabst, Vorb. § 23 EGGVG, Rn. 5; überrascht über die Anwendung des FamFG und eine Begründung vermissend, Siemon, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = NZI 2017, 278 (280). 1001) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508 (510). 1002) Vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = NZI 2017, 278.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

Insolvenzrichters störe, ihm eine mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalte oder erschwere.1003)

492 Die Beschlüsse wurden von Seiten der Insolvenzrichter kritisiert: Der Insolvenzrichter könne nicht als unselbstständiger Teil einer Behörde angesehen werden, er habe nur ein durch den Geschäftsverteilungsplan geschaffenes innergerichtliches Organisationsmerkmal. Für eine Behörde sei vielmehr typisch, dass sie vom Wechsel eines Amtsinhabers unabhängig sei. Ein „normaler“ Verwaltungsakt sei mit der ihn erlassenden Person daher nicht verbunden. Beide Umstände träfen auf den eine sog. „Richterliste“ führenden Insolvenzrichter jedoch nicht zu. Unverständlich sei ferner, dass der Bundesgerichtshof die richterliche Unabhängigkeit nicht als betroffenes Recht im Sinne von § 7 II Nr. 1 FamFG angesehen habe und den Insolvenzrichter so wenigstens am Verfahren beteilige.1004)

493 De lege lata wird der zuständige Insolvenzrichter folglich in keiner Weise an einem Beschwerdeverfahren beteiligt, obwohl seine Entscheidung Gegenstand des Verfahrens ist und das Verfahren zum Ziel hat, ihn persönlich zur Listung zu verpflichten. Der Bundesgerichtshof kann nicht erklären, wie Amtsgerichte als Behörden (vor allem intern) mit der richterlichen Unabhängigkeit bei dem Erlass von an sich öffentliche Gewalt darstellenden, begünstigenden oder ablehnenden Bescheiden zur Vorauswahlliste umgehen sollen.1005) Eine behördeninterne Beteiligung des zuständigen Richters und die inhaltlich korrekte Beachtung seiner Argumente steht damit allein der jeweiligen Gerichtspraxis anheim.1006)

494 Der Beschluss ist daher inkonsequent und zeigt, dass die Schwierigkeiten, dieses Justizverwaltungsaktes sui generis, bzw. der Dualismus aus administrativ ergehendem Verwaltungsakt und in richterlicher Unabhängigkeit ergehendem Rechtsprechungsakt schlussendlich nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Je nach Intention des im Einzelfall entscheidenden Gerichts scheint schwerpunktmäßig auf eine der beiden Komponenten abgestellt zu werden, um zu der im Einzelfall gewünschten Lösung zu gelangen. Die genannten Beschlüsse machen damit „über-

___________ 1003) Vgl. BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 1/15 = NZI 2016, 508; BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = NZI 2017, 278 (279). 1004) Vgl. Laroche/Pollmächer/Frind, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = ZInsO 2017, 490 (493). 1005) So auch: Hohmann, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16, jurisPR-InsR 10/2017 Anm. 1. So lässt der Bundesgerichtshof schließlich auch bewusst die Frage offen, wie sich die richterliche Unabhängigkeit während und am Ende des Verfahrens behördenbzw. gerichtsintern gestaltet. 1006) Laroche/Pollmächer/Frind, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = ZInsO 2017, 490 (493f.), schließe sich das Gericht etwa der Argumentation des Antragstellers an oder halte ihr nichts entgegen, käme dies im Ergebnis einer Zwangslistung gleich, da dann ein begründungsloser Verpflichtungsbeschluss des OLG gem. § 38 IV Nr. 1 FamFG erginge.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

deutlich, dass es dem Insolvenzrecht hier an Konzept, Struktur und Systematik mangelt“1007). Die Dysfunktionaliät und Schwierigkeiten werden jüngst auch durch einen Beschluss 495 des KG verdeutlich, das nun auch die bloße Mittelung des Gerichts an einen Prätendenten über die Chancen einer Bestellung (Bestellwahrscheinlichkeit und Punktzahl) nach der Vorauswahlliste im Rahmen des sog. „Hannoveraner Modells“ als Justizverwaltungsakt deklarierte, um so den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG zu eröffnen. Gegen die Aufnahme auf die Vorauswahlliste wehrte sich der Antragsteller nicht.1008) Ob sich der Bundesgerichtshof dem anschließen wird, bleibt abzuwarten.

cc) Eigener Ansatz: Vorauswahl de lege ferenda Die bisherige Argumentation hat gezeigt, dass sich auch die Vorauswahlentscheidung 496 nicht eindeutig rein (justiz)verwaltungsrechtlichem oder spruchrichterlichem Handeln zuordnen lässt. Der Verfasser tendiert dazu, die Vorauswahl funktional als ein selbstständiges, rein administratives Verfahren zu qualifizieren. Es kann keine Bindungswirkung für die später als Beschluss ergehende Bestellentscheidung entfalten und steht daher nicht in einem besonderen Zusammenhang zu dieser Verfahrensentscheidung. Das Vorauswahlverfahren stellt aber dennoch kein rein innerbehördliches Verfahren und damit keine reine Gerichtsverwaltung dar.1009) Es handelt sich vielmehr um einen Vorgang außerhalb eines anhängigen Verfahrens mit Außenwirkung gegenüber den Bewerbern. Die Vorauswahlentscheidung sollte daher de lege ferenda als verwaltungsrechtliche Entscheidung angesehen werden, die einschränkungslos Art. 19 IV GG unterliegt und die – selbst wenn sie dem Richter vorbehalten bleiben sollte – ausnahmsweise nicht in richterlicher Unabhängigkeit ergeht.1010) Es konnte ohnehin keine überzeugende Notwendigkeit dafür festgestellt werden, 497 die Vorauswahlentscheidung unter Richtervorbehalt zu stellen und diesem dabei richterliche Unabhängigkeit zuzuweisen. Der Vorauswahlentscheidung kommt vielmehr keine erhebliche richterliche Substanz zu, die sie von sonstigen Tätigkeiten anderer Träger öffentlicher Gewalt abgrenzt und die Zuweisung des Sonderstatus aus Art. 97 GG rechtfertigt. Nach Ansicht des Verfassers verstärkt die Zuweisung richterlicher Unabhängigkeit 498 eher noch die in Bezug auf die Vorauswahl festgestellten Defizite eines intransparenten und wenig einheitlichen Verfahrens. Mit ihr bleibt es jedem Richter überlassen, eine eigene oder ausnahmsweise in Zusammenarbeit mit ortansässigen Kolle___________ 1007) Siemon, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = NZI 2017, 278 (280). 1008) KG, Beschluss vom 14.5.2020 – 1 VA 17/17 = NZI 2020, 753 (Entscheidung über die Rechtsbeschwerde beim BGH noch ausstehend), dazu kritisch, Blankenburg, NZI 2020, 768 (passim). 1009) Zur Unterschiedung vgl. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 17. 1010) Vgl. grds. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 13f.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

gen gemeinsam geführte Liste zu organisieren, zu verwalten und zu aktualisieren. Ein solcher Flickenteppich verschiedener Systeme ist nicht nur bereits aus wirtschaftlicher Sicht ineffizient,1011) sondern entspricht nicht den richterlichen Kernaufgaben und wird bei der Kalkulation ihrer Pensen unzureichend berücksichtigt.1012) Letztlich liegt der Schluss nahe, dass auch die Qualität des Insolvenzverfahrens insgesamt darunter leidet.1013)

499 Dem einzelnen Richter im Rahmen der Vorauswahllistenentscheidung richterliche Unabhängigkeit zuzugestehen wird nach hier vertretener Ansicht damit eher zu einem Hindernis für derzeitige und künftige Bestrebungen, die Erhebung, Verifizierung und Strukturierung innerhalb des Vorauswahlverfahrens zu delegieren.1014) Die Zuweisung richterliche Unabhängigkeit erschwert vor allem den Versuch, das Vorauswahlverfahren zu zentralisieren und zu vereinheitlichen.

500 De lege ferenda ist es daher vorzugswürdig, bei der Vorauswahllistenentscheidung auf die Gewährung richterlicher Unabhängigkeit zu verzichten und sie eindeutig als verwaltungsrechtliche Tätigkeit zu qualifizieren. Dies erleichtert es, das Vorauswahlverfahren auch anderen Stellen zuzuweisen, Gerichts- oder Bezirkslisten1015) zu führen oder die Justiz gänzlich von dieser Aufgabe zu befreien und sie anderen Stellen zuzuweisen1016). Im pflichtgemäßen Ermessen des Richters bestehen bleiben, sollte hingegen die Auswahl der aus seiner Sicht für den Einzelfall relevanten Kriterien zur Bestellung im konkreten Fall. Durch eine elektronisch geführte Liste, aus der die genannten Mindestanforderungen hervorgehen, sollte es den Richtern ermöglicht werden, mittels eines Filters bzw. mittels Suchfunktionen, nur noch bei der konkreten Bestellentscheidung in richterlicher Unabhängigkeit tätig zu werden. Die letztgenannte Entscheidung ließe sich dann gänzlich von der Erhebung und ___________ 1011) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3). 1012) Vgl. Bogumil, NZI 2018, 774 (Fn. 6); Horstkotte u. a., ZInsO 2016, 2186 (2190); Pollmächer/ Siemon, NZI 2017, 93 (94); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2615). 1013) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (3); Mönning, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 375 (387f.). 1014) Vgl. Eichel, KTS 2017, 1 (7). 1015) So etwa Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (464). 1016) Für eine Zuweisung das das Bundesamt für Justiz plädiert BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, m. w. N. Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Die Zuständigkeit einer Behörde für die Aufgaben um die Vorauswahlliste befürwortend, Neubert, ZInsO 2010, 73 (78); Pollmächer/ Siemon, NZI 2017, 93; für die Betrauung einer eigenständigen Kammer hingegen: VID, Eckpunktepapier zum Berufsrecht v. 18.12.2018, abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/ eckpunktepapier-berufsrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 196 ff.; für eine Integrierung, auch der Vorauswahl in die bestehenden regionalen Rechtsanwaltskammern hingegen noch: Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158; für eine zentrale bei dem Bundesamt für Justiz geführte Bundesdatenbank und 24 regionale Vorauswahllisten, Brzoza, NZI 2021, 513 (515 ff.).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Strukturierung der Daten im Rahmen der Vorauswahl abkoppeln.1017) Durch die Digitalisierung der Vorauswahlliste ließen sich folglich alle relevanten Daten zentral erheben, um dann die richterliche Unabhängigkeit bei der Datenauswertung durch Setzung eines Filters zu verwirklichen.1018) Eine zentrale Listenführung würde den Verwaltungsaufwand aller Beteiligter er- 501 heblich verringern, indem einerseits keine Mehrfachprüfungen der Eignung durch die Gerichte erforderlich wären, andererseits die Insolvenzverwalter sich nicht mehr für viele verschiedenen Gerichtslisten bewerben müssen. Gerade dadurch wird schließlich eine gleichbleibende Qualität gewährleistet, da hierdurch vermieden werden kann, dass die einzelnen Gerichte unterschiedliche Anforderungen an „ihre“ Verwalter stellen. Letztlich wird vor allem aber auch die Transparenz des Auswahlverfahrens für die Beteiligten verbessert sowie damit einhergehend auch die Wettbewerbschancen für die Verwalter erhöht.1019) Gerade eine entsprechend transparente Gestaltung dürfte bereits mit Blick auf Art. 10 II DL-RL verpflichtend sein.1020) Anhand des Datenmaterials wird es dem Insolvenzrichter ermöglicht im Sinne des Verfahrens eine zügige Bestellentscheidung zu treffen. Zugleich wird es ihm ermöglicht, sich wieder auf seine richterliche Kerntätigkeit zu konzentrieren.

III. Die notwendige Begründung der Auswahlentscheidung de lege ferenda Nachdem die bisherige Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen ist, de lege fe- 502 renda eine nachträgliche Beschwerdemöglichkeit für die Prätendenten vorzusehen und die Vorauswahl durch ein zentrales System neu zu ordnen, was einen Rechtsschutz zumindest gegen den Richter zunächst entbehrlich macht (Rn. 503), sollen im folgenden Teil anhand gegenwärtiger Mängel im Rechtsschutzsystem, vor allem im Rahmen des sog. „kalten Delistings“ (Rn. 507), Rückschlüsse für die Verbesserung des künftigen Rechtsschutzes gezogen werden (Rn. 515). Zu diskutieren sein wird vor allem die Einführung einer Begründungspflicht zur Effektuierung des künftigen nachträglichen Rechtsschutzes. ___________ 1017) Eichel, KTS 2017, 1 (8), dies sollte zumindest für die an den Insolvenzverwalter zu stellenden Mindestanforderungen angestrebt werden, da sich für sie unter den Insolvenzgerichten eine weitestgehend ähnliche Praxis abbildet und sie ohnehin von jedem Insolvenzrichter erhoben werden müssen (vgl. S. 7), soweit jedoch nur Mindesanforderungen betroffen sein werden, besteht ein hohes Risiko dafür, dass die Richter zusätzlich wieder auf eine Reihe eigener Kriterien zurückgreifen (müssen) und es erneut zu einer uneinheitlichen Auswahlpraxis kommt. 1018) Vgl. Brzoza, NZI 2021, 513 (515 ff.); Eichel, KTS 2017, 1 (8); anders als Braun/Frank, NZI 2020, 1 (8), die eine Unterteilung in verschiedene Verfahrenstypen vornehmen wollen, soll es hier dem Richter überlassen werden, die für das jeweilige Verfahren ausschlaggebenden Kriterien zu wählen. 1019) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (7). 1020) Vgl. Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 243, 247 ff.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

1.

Ausgangslage

503 De lege lata wird gegen die Auswahl- und Bestellentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht Rechtsschutz durch die §§ 23 ff. EGGVG zugelassen. Dieser ist im Rahmen der Bestellentscheidung auf einen nachträglichen Feststellungsantrag beschränkt worden.

504 Im Rahmen der Vorauswahlentscheidung wird Rechtsschutz aufgrund anderer Gesetze außerhalb der InsO nicht per se ausgeschlossen sein. Die Wirkung des § 6 InsO entfalte bei der Vorauswahl schließlich keine Wirkung, da es sich um eine nicht in der InsO geregelte Entscheidung handelt. Dies würde sich bereits aus dem Sinn und Zweck des Rechtsmittelausschlusses ergeben, der ja die möglichst reibungslose und zügige Verfahrensabwicklung schützen wolle, dessen Schutz also im Vorauswahlverfahren nicht erforderlich sei. Letztlich wird daher auch die Beschwerde des § 793 ZPO als sachnahes Rechtsmittelverfahren angesehen.1021)

505 Diesen Ausführungen kann zugestimmt werden, doch bedarf es einer solchen Lösung für den hier eingeschlagenen Lösungsweg nicht. Betreffend die Vorauswahl bedarf es hier keines Rechtsschutzes mehr gegen den Insolvenzrichter, da die Vorauswahlentscheidung nunmehr nicht durch ihn zu treffen ist, sondern aufgrund der (möglichst zentralen) Digitalisierung der Vorauswahlliste, durch eine listenführende Stelle vorgenommen wird. Im Rahmen der Vorauswahllistung ist dem Insolvenzverwalter bei Nachweis noch zu normierender Voraussetzungen wie etwa auch im Rahmen der bestehenden Rechtsanwaltsverzeichnisse ein Anspruch auf Listung zuzugestehen,1022) den er letztlich gegen die listenführende Stelle einklagen können sollte.

506 Gegen die nach wie vor im Ermessen des unabhängigen Insolvenzrichters stehende Bestellentscheidung wurde de lege ferenda für die Zulassung einer nachträglichen Beschwerde plädiert. Fraglich ist, ob alleine diese den Prätendenten einen effektiven Rechtsschutz gewähren kann.

2.

Die fortwährende Nichtberücksichtigung des Verwalters als Rechtsschutzproblem

507 Von dem herkömmlichen Streichen bzw. Delisten eines Verwalters von der Vorauswahlliste abzugrenzen ist das sog. „kalte, quasi oder faktische Delisting“.

508 Dabei wird ein auf der Vorauswahlliste stehender Verwalter durch den listenführenden Insolvenzrichter in irgendeiner Form nicht mehr berücksichtigt. Dies erfolgt zum Teil ohne jegliche Äußerungen durch den Richter gegenüber dem Prätendenten oder auch durch einen subtilen Hinweis, diesen in Zukunft nicht mehr bestellen ___________ 1021) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 127f., 134. 1022) Geier/Wolf/Göcken/Siegmund, § 31 BRAO, Rn. 51; Weyland/Weyland, § 31 BRAO, Rn. 24.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

zu wollen. Ziel ist es, ein Delistingverfahren zu vermeiden, wenn ein Kandidat, die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Vorauswahlliste nicht mehr erfüllt, negativ in Erscheinung getreten ist oder über das Vorliegen der Voraussetzungen getäuscht hat, sodass sie schon nicht vorgelegen haben und gegen das de lege lata ebenfalls die Rechtsschutzmöglichkeiten der §§ 23 ff. EGGVG zur Anwendung gelangen, zu vermeiden.1023) Im Falle einer Mitteilung des Insolvenzrichters, den Prätendenten nicht mehr be- 509 stellen zu wollen, obwohl er gelistet ist, liegt die Rechtswidrigkeit auf der Hand. Der Insolvenzrichter weigert sich in einem solchen Fall, ein entsprechend vorgesehenes rechtsförmiges Verfahren zum „delisten“ des Verwalters einzuleiten und zu durchlaufen. Gegen ein entsprechend willkürliches „delisten“ steht den Prätendenten ebenso wie bei dem Erlass eines förmlichen „Delistingbeschlusses" de lege lata Rechtschutz nach § 23 I 1, 3. Alt. EGGVG als „sonstige Maßnahme“ zu.1024) Schwieriger gestaltet sich die Frage des Rechtsschutzes, wenn dem Prätendenten 510 nach einiger Zeit selbst auffällt, dass er durch das Insolvenzgericht nicht mehr bestellt wird. Dies kann an ohnehin nur wenigen vorliegenden Verfahren liegen oder eben daran, dass der zuständige Insolvenzrichter den jeweiligen Prätendenten als ungeeignet ansieht oder einfach willkürlich aufgrund anderer subjektiver Motive nicht mehr bestellen will. Ein Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu führen wird für den Betroffenen dann schwierig, denn er muss die Willkür der dauerhaften Nichtberücksichtigung darlegen und beweisen. Allein durch die Aufnahme in die Vorauswahlliste ist er bereits nicht beschwert. Dem Prätendenten einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu versagen hieße allerdings, das „faktische Delisting“ zu billigen.1025) Somit bestünde das Risiko, einen verfassungswidrigen Zustand i. S. v. Art. 19 IV GG zu schaffen, dessen Schutz jedoch zumindest das Bundesverfassungsgericht den Prätendenten ausdrücklich zugesteht.1026) In der Literatur wurde der Versuch unternommen, dieses Rechtsschutzproblem zu 511 lösen, insbesondere das Fehlen einer Beschwer nach § 24 EGGVG. Ein wirksamer Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG wird nach Laws weiterhin für 512 möglich erachtet. Das Problem der Antragsbefugnis nach § 24 EGGVG könne der betroffene Verwalter „unproblematisch“ durch den Vortrag überwinden, in seinem subjektiven Recht auf eine faire Chance auf Zugang zum Verwalteramt verletzt worden zu sein. Im Rahmen der Begründetheit müsse der Antragsteller dann Umstände vortragen, die auf faktisches Delisting schließen ließen. Dieses nunmehr ___________ 1023) Vgl. Smid, ZInsO 2018, 489 (490). 1024) Vgl. Smid, ZInsO 2018, 489 (491); dazu auch Laws, ZInsO 2006, 1123 (1125); Vallender, NJW 2006, 2597 (2598f.). 1025) Laws, ZInsO 2006, 1123 (1125). 1026) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574.

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

zweite Problem der Darlegungs- und Beweislast könne durch eine Recherche des Verwalters gelöst werden, die aufweise, wie viele Verfahren in dem streitgegenständlichen Zeitraum anhängig waren und wie viele Verwalter bestellt wurden. Unter Anwendung der Grundsätze zur gestuften Darlegungslast1027) sei anschließend der zuständige Insolvenzrichter zu einer substantiierten Stellungnahme gezwungen. Darin müsse er Gründe für seine Auswahl- und Pflichtverletzung darlegen. Schlussendlich führe dies zu der Erkenntnis, dass der Insolvenzrichter entweder seine Vorauswahlkriterien verschärft habe, ohne allerdings den Prätendenten über seine nunmehr vorliegende Ungeeignetheit zu bescheiden, oder der Insolvenzrichter führe einen sog. closed shop, soweit noch andere Antragsteller das Schicksal der Nichtbestellung teilten. In beiden Fällen obliege es nach den Grundsätzen zur abgestuften Darlegungslast zunächst dem Insolvenzrichter, seine Bestellpraxis offen zu legen. Diese sei dann gerichtlich voll überprüfbar.1028)

513 Diesen Grundsätzen ist auch der Bundesgerichtshof in einem den Beruf des Zwangsverwalters betreffenden Beschluss zum kalten Delisting gefolgt. Die Rechtsprechung zum Insolvenzverwalter überträgt der Bundesgerichtshof gleichermaßen auch auf den Zwangsverwalter.1029) Aus dem Beschluss geht zum einen hervor, dass es unbedenklich sei, mehrere konkrete Fälle mittels eines Hilfsantrages miteinander zu verbinden, zum anderen, dass – wie es auch Laws fordert – eine konkrete Stellungnahme des jeweiligen Richters erforderlich sei, in der er darlege, warum der Antragsteller nach den Grundsätzen ermessenfehlerfreier Auswahl nicht berücksichtigt worden sei.1030) Wie bereits oben festgestellt, wird der zuständige Insolvenzrichter jedoch auch hier nicht am Verfahren beteiligt, sondern lediglich das Amtsgericht als Justizbehörde, vertreten durch den Direktor oder Präsidenten des Amtsgerichts.1031)

514 Der dargelegte Lösungsansatz kann nur bedingt überzeugen. Dem Insolvenzrichter dürfte es gegenwärtig sehr schwerfallen, seine pflichtgemäße Verwalterbestellung bzw. Bestellpraxis für einen entsprechend längeren Zeitraum darzulegen. Dies wird zunehmend auch durch den Befund immer umfangreicher werdender Vorauswahllisten bei gleichzeitig sinkenden Fallzahlen zusätzlich verstärkt. Zum an___________ 1027) Danach genügt es etwa im Arbeitsrecht zunächst Indizien vorzutragen, die auf ein Verschulden hinweisen. Anschließend muss sich zunächst die Gegenseite substantiiert dazu einlassen, vgl. MüKoBGB/Henssler, § 619a BGB, Rn. 58f. Es handelt sich folglich um eine Beweiserleichterung, hier zugunsten den Prätendenten. 1028) Vgl. Laws, ZInsO 2006, 1123 (1125f.); Rattunde/Smid/Zeuner/Rechel, § 56 InsO, Rn. 30. 1029) Vgl. etwa: BGH, Beschl. v. 28.6.2012 í IV AR (VZ) 2/12 = NZI 2012, 768 (769f.); OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.9.2013 – 20 VA 3/11 –, juris; Drasdo, NJW 2017, 1709 (1709). 1030) Vgl. BGH, Beschl. v. 28.6. 2012 í IV AR (VZ) 2/12 = NZI 2012, 768 (769, 770). 1031) Vgl. BGH, Beschl. v. 28.6. 2012 í IV AR (VZ) 2/12 = NZI 2012, 768 (769, Rn. 7); OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.9.2013 – 20 VA 3/11 –, juris, Rn. 14; MüKoZPO/Pabst, § 23 EGGVG, Rn. 63.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

deren ergeben sich die oben geschilderten Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten auf Seiten der betroffenen Verwalter, die erst durch einen hohen Rechercheaufwand überhaupt zu einem Antrag gelangen können. Von einem effektiven Rechtsschutz kann daher nicht gesprochen werden.

3.

Ähnliche Rechtsschutzprobleme de lege ferenda

Auch bei Einführung einer digitalen Vorauswahlliste, die zentral durch eine Stelle 515 geführt würde, ist eine dauerhafte Nichtberücksichtigung einiger Verwalter nicht auszuschließen. De lege ferenda wird sich die Problemstellung jedoch dahingehend unterscheiden, dass dem Insolvenzrichter Verwalter aus der gesamten Republik zur Verfügung stehen, es somit nicht zu einzelnen Nichtberücksichtigungen einzelner Verwalter „seiner“ Vorauswahlliste kommen kann. Dies würde den Verwaltern de lege ferenda auch nicht wirklich bekannt werden, da sie – ähnlich wie bei dem Delistingverfahren vor dem Bundesgerichtshof – nicht bemerken werden, welcher Insolvenzrichter sie konkret dauerhaft unberücksichtigt lässt. Die festgestellten Defizite in Bezug auf das „kalte Delisting“ können hier wichtige 516 Erkenntnisse für den zukünftig zu gewährenden nachträglichen Rechtsschutz liefern, der zukünftig willkürliche Entscheidungen oder wiederholten Ermessenfehlgebrauch reduzieren soll. Die obige Darstellung zum de lege lata unzureichend erfassten „kalten Delisting“ 517 hat vor allem erwiesen, dass es problematisch ist, wenn die Ermessensentscheidung des Insolvenzrichters für die Prätendenten nicht transparent gemacht, ihnen gegenüber nicht begründet oder dokumentiert wird. Sie sind deshalb zunächst dazu gezwungen, „ins Blaue“ hinein zu klagen, um wie geschildert in einem etwaigen Verfahren eine Begründung des Richters zu erlangen. Dieser wiederum wird seine im Ermessen liegenden Entscheidungsgründe in der Regel nicht dokumentiert haben, sodass er im Nachhinein auf seine Erinnerungen angewiesen ist. Ein wirksamer Rechtsschutz ist daher gegenwärtig in diesem Bereich nicht mög- 518 lich. Auch wird gerade hier die Intransparenz des Auswahlverfahrens deutlich. Die ausgemachten Defizite stellen sich letztlich auch grundsätzlich bei der künftigen Ausgestaltung einer nachträglichen Beschwerde. Fraglich ist, ob aus der gegenwärtigen Diskussion Lösungsansätze für die Verbesserung der Beschwerde gewonnen werden können.

a) Herleitung einer Begründungspflicht Versuche, eine Begründungspflicht der Bestellentscheidung zu implementieren, 519 wurden auch in der Vergangenheit unternommen, blieben jedoch bisher erfolglos. So wurde etwa teilweise bei kritischen Bestellentscheidungen ein zeitnaher Ver- 520 merk über die maßgeblichen Erwägungen für sinnvoll erachtet, da das Oberlandes-

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

gericht spätestens im Feststellungsverfahren nach §§ 23 I, 28 I 4 EGGVG dem zuständigen Insolvenzrichter rechtliches Gehör gewähren und ihn zur Stellungnahme auffordern würde. In einem nachträglichen Feststellungsverfahren oder Amtshaftungsprozess könne der Insolvenzrichter diesen dann seiner Stellungnahme zu Grunde legen.1032) Brinkmann hält eine Begründungspflicht gegenwärtig aufgrund des Effektivitätsgedankens des Art. 19 IV GG schließlich für unausweichlich, nur durch die Offenlegung der Gründe einer Entscheidung könne eine Überprüfung sichergestellt werden. Ohne sie bliebe ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz begrenzt, da die Betroffenen gezwungen seien, Rechtsschutz zunächst basierend auf Mutmaßungen zu betreiben. Dies bedeute schließlich eine unzumutbare Erschwerung des durch Art. 19 IV GG gewährleisteten effektiven Rechtschutzes.1033)

521 Anders als aus der Perspektive des Rechtsschutzes stellt sich die Notwendigkeit einer Begründung oder Dokumentation vor allem vor dem Hintergrund einer transparenten Ausgestaltung des Auswahlprozesses dar. Bereits die obige Untersuchung hat gezeigt, dass insbesondere das Vorauswahlverfahren für die Betroffenen erheblich intransparent ist. Mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit wird in der Literatur zu Recht auch gerade in Bezug auf die Erwägungsgründe des Insolvenzrichters bei der Verwalterauswahl im konkreten Fall kritisiert.1034) Die fehlende Transparenz im Rahmen des Auswahlprozesses wirke sich letztlich auch zu Lasten der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts aus.1035) Für Vorauswahllistenkandidaten offenbare sich eine höchst unbefriedigende Situation. Sie können die Gründe der Bestellentscheidung nicht einsehen, nachvollziehen oder auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Dies würde dann zum Problem, wenn die eingeschränkte Überprüfbarkeit zu einem so großen Mangel an Nachvollziehbarkeit führe, dass ermessensfehlerhafte Bestellungsentscheidungen unerkannt blieben und im Einzelfall ungeeignete Personen zum Verwalteramt bestellt würden.1036) Eine Begründungspflicht böte dem jeweiligen Richter somit einerseits selbst ein Kontrollinstrument,1037) zum anderen würde es den stark an Transparenz leidendenden Auswahlprozess in erheblicher Weise plausibler und nachvollziehbarer machen.

522 Überwiegend wird eine Begründungspflicht jedoch letztlich abgelehnt.1038) ___________ 1032) Uhlenbruck, NZI 2006, 489 (494); Vallender, NJW 2006, 2597 (2598). 1033) Brinkmann, Private in gerichtlichem Auftrag, S. 150 m. w. N. 1034) Vgl. Mönning, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2000), S. 375 (387f.) Rn. 40; Pape/ Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 1; Preuß, KTS 2005, 155 (177); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620). 1035) Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn. 1. 1036) Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 128. 1037) Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 47; ders., ZInsO 2018, 2613 (2620). 1038) So etwa: Jaeger/Gehardt, § 56 InsO, Rn. 72; Jacoby, Das private Amt, S. 517; Uhlenbruck/ Zipperer, § 56 InsO, Rn. 47.

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Sie scheidet bereits deshalb aus, da es sich wie festgestellt nicht um eine klassische 523 Handlung der Justizverwaltung handelt. Die Bestellentscheidung ist gerade keine klassische Maßnahme der Justizverwaltung, da sie ausdrücklich einem Richtervorbehalt unterliegt und in richterlicher Unabhängigkeit ergeht. Eine Begründungspflicht könne auch nicht aus der verwaltungsverfahrensrechtlichen 524 Norm des § 39 VwVfG hergeleitet werden. § 39 VwVfG fordere für jede Ermessensentscheidung der Verwaltung eine Begründung. Als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens könne dies zur Konkretisierung des § 56 InsO herangezogen werden.1039) Hier besteht allerdings der wesentliche Unterschied darin, dass es sich bei dem Bestellungsakt wie aufgezeigt – auch nach Ansicht des Verfassungsgerichts – nicht um eine klassische Maßnahme der Justizverwaltung handelt. Nur dann ließen sich verwaltungsrechtliche Grundsätze übertragen. Indem der Insolvenzrichter die konkrete Bestellentscheidung aber in richterlicher Unabhängigkeit und strikter Unterwerfung unter das Gesetz träfe,1040) sei hier – jedenfalls entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts – ein nach Art. 19 IV GG eingeschränkter Rechtsschutz zu gewähren, anders also als bei Verwaltungsakten, gegen die generell ein Rechtsmittel eröffnet sei und bei denen daher auch eine generelle Begründungspflicht sinnvoll erscheine. Richterliche Entscheidungen seien daher nach deutschem Recht nicht generell Begründungspflichtig, sondern nur dann, wenn das Gesetz ein Rechtsmittel gegen sie vorsähe. Dies habe der Gesetzgeber nach den obigen Ausführungen gem. § 6 I InsO (Enumerationsprinzip) ersichtlich nicht getan.1041) Zum Teil wird eine Begründungspflicht außerdem im Hinblick auf einen etwaigen 525 Amtshaftungsprozess für notwendig erachtet, da die Erwägungen des Gerichts zur Ernennung des Verwalters ansonsten nicht überprüfbar seien.1042) Die reflexartige Annahme einer Begründungspflicht aufgrund einer erschwerten Durchsetzbarkeit eines Amtshaftungsanspruches führe jedoch zu weit, müsste dann doch nahezu jede Entscheidung eines Trägers öffentlicher Gewalt begründungspflichtig sein. Amts-

___________ 1039) Henssler, in: Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts: 50 Jahre Kölner Arbeitskreis – Jubiläumskongreß 1999, S. 45 (57); Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (459), der es für erforderlich hält, die i. R. d. Ermessensentscheidung zugrundegelegten Kriterien schriftlich niederzulegen und aktenkundig zu machen. 1040) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (453, 455). 1041) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 29; dem zustimmend Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 129. 1042) Kübler/Prütting/Bork/Lüke, § 56 InsO, Rn. 70; Römermann, ZIP 2006, 1332 (1334); für eine Begründungspflicht ebenso, Höfling, NJW 2005, 2341 (2344f.); Mönning, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2000) S. 375 (387f.) Rn. 40; Wieland, ZIP 2005, 233 (238); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620).

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4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

haftungsansprüche Privater kämen schließlich regelmäßig in Betracht.1043) Letztlich muss zur Kenntnis genommen werden, dass vor allem der Rechtsmittelausschluss des § 6 InsO gegenwärtig gegen eine Begründungspflicht spricht. Unanfechtbare gerichtliche Maßnahmen bedürften auch mit Blick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör keiner Begründung.1044) Gegen eine Begründungspflicht wird de lege lata zudem auch angeführt, dass sie nicht mit dem Eilcharakter der Bestellentscheidung vereinbar wäre, da sie zu Verzögerungen führe. Eine eilig erstellte, lediglich kurze, formelhafte Begründung nütze schließlich niemandem.1045)

526 Eine allgemeine Begründungspflicht lässt sich aus der derzeitigen Gesetzeslage folglich nicht herleiten und wir überwiegend abgelehnt.1046)

b) Begründungspflicht – Effektuierung der Beschwerdemöglichkeit de lege ferenda 527 De lege ferenda sollte jedoch mit den oben angeführten Argumenten insbesondere zur Förderung der Transparenz im Auswahlverfahren nach hiesigem Dafürhalten eine Begründungspflicht eingeführt werden. Mit Zipperer ist etwa eine offene Formulierung zu wählen: „Das Gericht soll die Entscheidung begründen“.1047)

528 Die Vorteile auch einer zunächst unbestimmten Begründungspflicht überwiegen schließlich. So ist ein erheblicher Zuwachs an Transparenz zu erwarten, da sich die Gerichte hiermit erstmals gegenüber den Verfahrensbeteiligten verständlich machen würden. Nicht zu unterschätzen ist, dass eine entsprechende Begründung den Reflektionsprozess des Richters über seine eigene Entscheidung stärkt und so eine positive Innenwirkung in Form einer Selbstvergewisserung entfaltet.1048)

529 Der Eilcharakter der Bestellentscheidung würde de lege ferenda unter einer Begründungspflicht nicht leiden. So soll es dem Insolvenzrichter künftig ermöglicht werden, seine Bestellentscheidung anhand einer zentral geführten Liste vorzunehmen. Anhand der dort vorzusehenden Filterfunktion ist es ihm gegenüber der derzeitigen Lage deutlich vereinfacht, seine Bestellerwägungen zu dokumentieren. So sieht ähnlich auch Eichel eine reine Dokumentation der durch den Insolvenzrichter im ___________ 1043) Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 28; Bluhm, Die Anwendbarkeit und Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 128. 1044) Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 97f.; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 47; Vallender, NJW 2006, 2597 (2598). 1045) Vgl. bei Römermann, ZIP 2006, 1332 (1334); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620). 1046) Graeber, NZI 2006, 499 (500); Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 28; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 47; Vallender, NJW 2006, 2597 (2598). 1047) Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620); Smid plädiert nun etwa für die Aufnahme einer Begründungspflicht in § 27 II InsO, Smid, NZI 2021, 710 (713f.). 1048) Vgl. Römermann, ZIP 2006, 1332 (1334); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620).

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E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

Zuge seines Ermessens verwendeten Such- bzw. Filterkriterien vor, damit die Auswahlentscheidung nicht länger im Verborgenen stattfinde.1049) Allein eine Dokumentation anhand der Filterkriterien bedürfte jedoch einer sehr 530 großen Anzahl verschiedener, detaillierter Auswahlkriterien, wie es schließlich auch Eichel fordert.1050) Eine entsprechend kleinteilige Ausdifferenzierung sollte nach hiesiger Ansicht nicht angestrebt werden, wurde oben doch bereits dargestellt, dass sich die ständig wandelnde Tätigkeit des Insolvenzverwalters nicht in all seinen Ausformungen und Lebenssachverhalten in ein Korsett aus Kriterien gießen lässt.1051) Erforderlich sind Mindeststandards, die das Anforderungsprofil des Insolvenzverwalters generell umschreiben und die dem Insolvenzrichter zur Verfügung gestellt werden. Anhand dieser Mindeststandards ist er ohne großen Aufwand in der Lage, eine kurze Begründung zu dokumentieren. In der Regel werden wenige Sätze ausreichen, um wesentliche Kriterien und Ge- 531 sichtspunkte, die einer Entscheidung zugrundeliegen, wiederzugeben. So müssen Begründungen etwa auch im Rahmen einstweiliger Verfügungen abgegeben werden. Dem lässt sich ferner auch nicht entgegenhalten, dass es dann möglicherweise nur zu formelhaften Standardbegründungen kommen könnte. Solange sich die Begründungen an den Kriterien des Einzelfalles orientieren und der Individualität des Verfahrens Rechnung tragen, ist gegen eine entsprechend kurze und teilweise standardisierte Begründung nichts einzuwenden.1052) Nicht anführen lässt sich schließlich auch, dass es zu einer Flut von Beschwerdeanträgen betroffener Prätendenten käme. Dem könnte indessen etwa dadurch entgegengewirkt werden, dass nur Prätendenten, die durch die gewählten Filterkriterien in den engen Auswahlkreis gekommen sind und zwischen denen sich der Insolvenzrichter letztlich zu entscheiden hat, ein Rechtsschutzbedürfnis zuerkannt wird. Für eine Begründungspflicht spricht vor allem, dass das Auswahlverfahren durch 532 die Dokumentation der wesentlichen Entscheidungsmerkmale an Transparenz gewinnen wird. Dies wäre ohnehin bereits mit Blick auf die nun in deutsches Recht umgewandelte Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen zwingend erforderlich gewesen, da sie in Art. 26 I b) RRL vorsieht, dass „das Verfahren für die Bestellung, die Abberufung und den Rücktritt von Verwaltern klar, transparent und fair“ sein soll. Der dazugehörige Erwägungsgrund 87 hält ferner fest, dass die Verwalter „in transparenter Weise unter gebührender Berücksichtigung der Notwendigkeit effizienter Verfahren bestellt werden“. Gleiches galt schon seit längerem mit Blick auf Art. 10 II Dienstleistung-RL. Der Gesetzgeber hat jedoch nun___________ 1049) 1050) 1051) 1052)

Eichel, KTS 2017, 1 (11). Eichel, KTS 2017, 1 (15). S. o. unter: Rn. 116. Vgl. Cranshaw, NZI 2020, 143 (144); Römermann, ZIP 2006, 1332 (1334); Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2620).

205

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

mehr lediglich in § 74 II StaRUG eine Begründung für die Ablehnung eines vorgeschlagenen Restrukturierungsbeauftragten wegen seiner offensichtlichen Ungeeignetheit durch das Gericht normiert.

533 Erwartet werden kann damit schließlich eine Effektuierung des nachträglichen Rechtsschutzes gegen eine mutmaßlich ermessensfehlerhafte Bestellentscheidung. So wird einfacher zu prüfen sein, ob die durch den Richter gewählten Maßstäbe als sachgerecht für die konkrete Entscheidung angesehen werden können oder ein Ermessensfehlgebrauch festzustellen ist.

534 Eine entsprechende Dokumentierung der Bestellentscheidung trüge schließlich auch dazu bei, dass die richterlichen Entscheidungsgründe, Eingang in ein nachträgliches Beschwerdeverfahren erhalten würde. Schließlich wäre der zuständige Richter auch in einem de lege ferenda bestehenden nachträglichen Beschwerdeverfahren nicht zu beteiligen.

4.

Schlussfolgerungen

535 Auch die Untersuchungen zum Rechtsschutz gegen eine dauerhafte Nichtberücksichtigung eines Prätendenten haben gezeigt, dass das gegenwärtige Rechtsschutzsystem ein schlüssiges Konzept vermissen lässt. Hier offenbart sich zugleich erneut die fehlende normative Grundlage für das Vorauswahlverfahren. Übergangenen Prätendenten wird es de lege lata erschwert, effektiv Rechtsschutz gegen länger andauernde Nichtberücksichtigungen zu erlangen, sie können die Bestellentscheidungen der Insolvenzrichter gegenwärtig nicht nachvollziehen. Letzteres wird darüber hinaus auch dadurch verstärkt, dass letztlich auch in einem etwaigen Verfahren nicht sichergestellt werden kann, ob die Entscheidungsgründe des Richters tatsächlich vollumfänglich in den Prozess eingeführt werden. Der zuständige Richter ist nicht an einem entsprechenden Verfahren zu beteiligen;1053) lediglich seine Erinnerungen finden indirekt – je nach gerichtsinternem Verfahren – über den Direktor oder Präsidenten des Amtsgerichts Eingang in das Verfahren.1054)

536 Aus den festgestellten Defiziten der gegenwärtigen Rechtslage konnten nun auch Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der bereits oben proklamierten nachträglichen Beschwerde gezogen werden.

537 De lege ferenda ist daher eine allgemeine Begründungspflicht vorzusehen. Der zuständige Insolvenzrichter soll sich dabei an den durch den Gesetzgeber zu normie___________ 1053) So Geschehen etwa in einem Delisting Streit über die Bestellung eines Zwangswalters: OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.9.2013 – 20 VA 3/11 –, juris, Rn. 14, wo lediglich der Direktor des Amtgerichts Stellung zur Auswahlpraxis der dort tätigen Rechtspfleger nahm. 1054) Vgl. Laroche/Pollmächer/Frind, Anm. zu: BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – IX AR (VZ) 1/16 = ZInsO 2017, 490 (293); so etwa geschehen in: OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.9.2013 – 20 VA 3/11 –, juris.

206

E. Rechtscharakter und Rechtsschutz der Auswahlentscheidungen de lege ferenda

renden Listungskriterien orientieren können, die er durch das Setzen von Suchkriterien innerhalb der zentral vorzusehenden Liste durch sein richterliches Ermessen bestimmen kann. Anhand dieser Kriterien sollte es ihm mit wenig Aufwand gelingen, die wesentlichen Entscheidungsgründe für seine Bestellentscheidung zu dokumentieren. In einem etwaigen nachträglichen Verfahren könnte das Beschwerdegericht darauf zurückgreifen. Das geschilderte Verfahren ermöglicht es bzw. erleichtert es den Betroffenen zum 538 einen, wesentlichen Rechtsschutz gegen die Bestellentscheidung zu erlangen. Zum anderen macht das Verfahren die Gründe die zu einer Bestellentscheidung führen überhaupt erstmal zugänglich, wodurch die Transparenz des Auswahlverfahrens insgesamt erheblich verbessert wird.

IV. Zwischenergebnis Die Bestellentscheidung kann nicht eindeutig unter die Kriterien der Rechtspre- 539 chung i. S. v Art. 92 GG subsumiert werden. Gleichzeitig erscheint die Qualifizierung als in richterlicher Unabhängigkeit ergehender Justizverwaltungsakt konstruiert und nicht vollständig systemgerecht. Die gesetzgeberische Wertung des § 6 InsO verstellt grundsätzlich jegliches Rechtsmittel gegen die Bestellentscheidung im konkreten Fall, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifikation als spruchrichterliche oder justizverwaltungsrechtliche Entscheidung. Nach Art. 19 IV GG wird insofern kein Rechtsschutz gewährt, auch nicht mittels einer Extension des § 6 InsO. Durch die Zuweisung der Entscheidung an einen unabhängigen, neutralen Richter ist dieser Verzicht verfassungsrechtlich nicht bedenklich. De lege ferenda sollte die Bestellentscheidung als eigenständiger, vom Eröffnungsbeschluss des § 27 I InsO zu trennender Beschluss ergehen. Gegen sie sollte nicht nur dem Schuldner, sondern auch anderen Bewerbern die insolvenzrechtliche Beschwerde ausdrücklich zugestanden werden. Diese sollte vor dem Hintergrund des Teleos von § 6 InsO auf einen nachträglichen Fortsetzungsfeststellungsantrag beschränkt werden und grundsätzlich wie schon § 4 InsO i. V. m. § 570 ZPO keine aufschiebende Wirkung entfalten können. Auch eine rechtlich klare Einordnung des derzeitigen Vorauswahllistensystem er- 540 scheint schwierig. Deshalb wird das de lege lata nicht geregelte Vorauswahlverfahren hier als funktional selbstständiges, keine Bindungswirkung für das spätere Verfahren entfaltende, rein administratives, jedoch nicht lediglich innerbehördliches Verfahren qualifiziert. De lege ferenda sollte die Vorauswahlentscheidung daher als rein verwaltungsrechtliche Entscheidung angesehen werden, die nicht gesondert dem unabhängig entscheidenden Richter vorzubehalten ist und gegen die gem. Art. 19 IV GG uneingeschränkt Rechtsschutz zu gewähren ist. Die Vorauswahlliste sollte elektronisch, zentral durch eine Stelle geführt werden und den Insolvenzrichtern eine ausreichende Datenbasis für die konkrete Bestellentscheidung zur Verfügung stellen. Durch eine Such- bzw. Filterfunktion sollte den Insolvenz207

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

richtern ermöglicht werden, sein Ermessen bei der in richterlicher Unabhängigkeit ergehenden Bestellentscheidung bestmöglich zu verwirklichen.

541 Die Bestellentscheidung sollte de lege ferenda durch den Insolvenzrichter begründet werden. Der Insolvenzrichter sollte anhand der Suchkriterien des zentralen Insolvenzverwalterverzeichnisses ohne größeren Aufwand in der Lage sein, eine zügige Dokumentation seiner wesentlichen Entscheidungsgründe vorzunehmen. Durch eine entsprechende Dokumentation wird das Auswahlverfahren wesentlich an Transparenz gewinnen. Die den Prätendenten de lege ferenda zustehende nachträgliche Beschwerdemöglichkeit wird hierdurch entscheidend effektuiert.

F. Zusammenfassung: Regelungsdefizite de lege lata 542 Bereits die exemplarische Darstellung einiger in bisheriger Praxis gebräuchlicher Techniken und Methoden zur Erhebung, Verifizierung und Strukturierung ausgewählter Daten hat gezeigt, wie sehr diese voneinander divergieren. Auf der einen Seite stehen Systematiken, bei denen umfangreich Kennzahlen erhoben werden, um sie anschließend empirisch auszuwerten und in ein Bewertungssystem einfließen zu lassen oder mittels eines Durchschnittswertes empirisch einen Idealverwalter zu ermitteln. Dem stehen die Methoden anderer Insolvenzgerichte gegenüber, die gar keine oder nur sehr wenige Kennzahlen erfragen. Sie konzentrieren sich darauf, persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Voraussetzungen der Verwalter ermitteln zu können, um so einen persönlichen Eindruck über Erfahrung, verfügbare Mittel und Qualifikation der gelisteten Verwalter zu erhalten. Bis heute wird immer wieder auch darauf hingewiesen, dass es Insolvenzgerichte gebe, die überhaupt keine Daten erheben, sondern auf Grundlage persönlicher Kenntnisse und Einschätzungen bzw. imaginärer Daten zu einer Vorauswahl- und Bestellentscheidung gelangen.1055) Selbst mit Blick auf die hier untersuchten Fragebögen großer deutscher Insolvenzgerichte ergeben sich Zweifel, ob der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in allen Belangen Genüge getan wird. Darüber hinaus kommt es zwischen den Fachgerichten auch zu Unterschieden bei der Auswahl der Eignungskriterien und bei den zum Teil verwendeten Bewertungssystemen.

543 Es hat sich also bestätigt, dass de lege lata ein Flickenteppich an Bewerbungsbögen und verschiedener Mechanismen bei der Eignungsprüfung besteht. Dies kann rechtspolitisch und vor dem Hintergrund einer mit § 56 I InsO an sich bundeseinheitlichen ___________ 1055) So führten 2008 nach einer Studie des IFB immer noch 9,1 % der befragten Insolvenzrichter keine Vorauswahlliste, 1/3 der befragten Gerichte gab an in den letzten Jahren nichts an ihrer Bestellpraxis geändert zu haben, vgl. Gravenbrucher Kreis, Die Bestellpraxis von Unternehmensinsolvenzverwaltern: Befragung der Insolvenzgerichte, durchgeführt durch das Institut für Freie Berufe Nümberg (2008), mit Anm. von Uhlenbruck, ZIP-Beilage 2009, 1 (S. 9, Abb.2; S. 15, Abb.7); Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (119).

208

F. Zusammenfassung: Regelungsdefizite de lege lata

Regelung dieser Frage nicht gewünscht sein.1056) Indem jedes Gericht sein eigenes System der Bewertung, Strukturierung und Verwertung entwickelt hat, kommt es zu wesentlichen Qualitäts- und Zugangsunterschieden im Rahmen des Insolvenzverwalterberufes.1057) In der von Jeager als Schicksalsfrage eines jeden Insolvenzverfahrens bezeichneten Frage, fehlt es de lege lata folglich an Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und Transparenz, die sich mangels anderweitiger Regelung im Rahmen des StaRUG nun mutmaßlich auch für den Restrukturierungsbeauftragten und den Sanierungsmoderator ergeben werden. Die Untätigkeit des Gesetzgebers verwundert außerdem vor dem Hintergrund fest- 544 gestellter verfassungsrechtlicher Defizite. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 12 I GG an derart grundrechtsrelevante Entscheidungen werden gerade mit Blick auf Vorauswahlverfahren nicht erfüllt, das eine gesetzliche Regelung vollständig vermissen lässt. Es wurde in seiner jetzigen Form gar als verfassungswidrig angesehen. Hinzu kommt die Pflicht des Gesetzgebers, Vorgaben von Funktionsträgern innerhalb der Rechtspflege als Teil der Justizorganisation zu schaffen. In diese Richtung drängen schließlich auch die Rahmenbedingungen des europäischen Gesetzgebers, die er im Rahmen der Dienstleistungs- und Restrukturierungsrichtlinie geäußert hat. Sie zeigen vor allem, dass die gegenwärtig angewandte Vorauswahlpraxis europarechtlichen Anforderungen an Transparenz und Einheitlichkeit nicht genügt und in dieser Hinsicht dringender Änderungsbedarf geboten ist. Die nach der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung anzuwendenden §§ 23 ff. 545 EGGVG bei gleichzeitiger Gewährung richterlicher Unabhängigkeit können dabei lediglich übergangsweise eine Behelfslösung darstellen, die zur Schließung bestehender Rechtsschutzdefizite erforderlich gewesen ist. Defizite bestehen hierbei in praxi noch immer. De lege ferenda sollten deshalb Vorauswahlentscheidung und Bestellentscheidung im konkreten Fall eindeutig und nach hiesigem Dafürhalten auch rechtlich voneinander getrennt werden. Notwendigkeit für die Schaffung einer Art Justizverwaltungsakt sui generis besteht nicht. Auch Rechtsschutzdefiziten sollte künftig bereits präventiv entgegengewirkt werden. Aus diesem Grund sollte eine Begründungspflicht der richterlichen Bestellentscheidung angestrebt werden, die letztlich auch signifikante Verbesserungen mit Blick auf die Transparenz des Auswahlprozesses haben dürfte. Die Notwendigkeit gesetzlichen Neugestaltung wird in jüngerer Zeit nun auch durch 546 einen Anstieg des Umfangs der Vorauswahllisten bestärkt, der durch die Entscheidung des Verbots sog. „geschlossener Listen“ und durch das Verbot des Kriteriums ___________ 1056) Thole, in: Die Verwalterauswahl, Teil B, Rn. 246. 1057) Vgl. Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus/Pape, Insolvenzrecht, Kap. 14, Rn 1; Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (463); Vallender, NZI 2017, 641 (645); Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (119).

209

4. Kapitel: Die gerichtliche Vorauswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters

der „Ortsnähe“ durch den Bundesgerichtshof und auch durch die bisherige konjunkturelle Lage ausgelöst und verstärkt wurde. Gerade bei den großen Insolvenzgerichten kann nicht mehr gewährleistet werden, dass alle gelisteten Verwalter auch bestellt werden. Ferner verstärkt das Anwachsen der Vorauswahllisten erneut den Trend, Bestellentscheidungen losgelöst von einer überladenen und unübersichtlichen Vorauswahlliste und somit auch losgelöst von etwaigen Kriterien zu treffen.1058) Damit besteht letztlich die Gefahr eines „leer-laufens“, der Vorauswahlliste, der ursprünglich eine Ordnungs- und Strukturierungsfunktion zukommen sollte.

547 Für eine oben bereits angedeutete Neuordnung des Vorauswahlsystems, muss es folglich das Ziel sein, die Liste – unter Wahrung eines chancengleichen Zugangs zum Verwalterberuf – auf eine überschaubarere Anzahl Verwalter zu begrenzen sowie zu verbindlichen und allgemeingültigen Kriterien zu gelangen, die zu einer möglichst bundesweiten Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der Vorauswahlpraxis führen.1059)

548 Nur so kann dem ursprünglichen, sachgemäßen, durch das Bundesverfassungsgericht zutreffend herausgearbeiteten Sinn und Zweck des bestehenden Vorauswahlsystems Rechnung getragen werden: Einerseits die Grundrechte der Bewerber, insbesondere einen chancengleichen Berufszugang bei der eigentlichen Auswahlentscheidung zu gewährleisten und andererseits eine zügige Eignungsprüfung mit Blick auf die konkrete Bestellentscheidung zu ermöglichen.1060)

___________ 1058) Vgl. Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2617); so auch, MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 99b. 1059) Dies verlangen bereits Art. 10 II, III DL-RL sowie Art. 26 I b) RRL. 1060) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Jacoby, Das private Amt, S. 506; Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2616).

210

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts für Insolvenzverwalter? Bevor am Ende dieses Kapitel bereits strukturelle Überlegungen zur Neuregelung 549 der Insolvenzverwalterauswahl vorgestellt und angestellt werden sollen, ist darzustellen, inwiefern bereits die InsO selbst berufsrechtliche Regelungen enthält (Rn. 550). Vor allem ist anschließend auch auf die Frage einzugehen, ob nicht berufsrechtliche Regelungen eines etwa bestehenden Quellberufes auf den Insolvenzverwalter angewandt werden können (Rn. 583). Abschließend sollen dann einige Reformvorschläge zur Neuregelung de lege ferenda vorgestellt und bewertet werden (Rn. 615), bevor die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst werden (Rn. 675).

A. Berufsrecht in der InsO Der Begriff des Berufsrechts wurde im Grundlagenteil bereits näher erläutert.1061) 550 Auch wenn der Begriff nicht mittels einer starren Definition beschrieben werden kann, lässt sich feststellen, dass sich das Berufsrecht aus sich heraus, durch Rechtsvorschriften betreffend den Berufszugang, die Berufsausübung und die Berufsaufsicht formt.1062) Nach kurzen Erläuterungen über den dogmatischen Aufbau der InsO (Rn. 551) soll an dieser Stelle untersucht werden, ob und in welchem Umfang die InsO einen berufsrechtlichen Gehalt aufweist (Rn. 553). Dabei wird auf die genannten, zentralen Regulierungsmerkmale des Berufsrechts Bezug genommen: Zulassungsschranken (Rn. 554), Berufsausübungsregelungen (Rn. 555) und Berufsausübungskontrolle bzw. -aufsicht (Rn. 558).

I.

Dogmatik der Insolvenzordnung

Die InsO enthält sowohl verfahrensrechtliche Bestimmungen, also solche über die 551 Prozedur des Insolvenzverfahrens, als auch materiell-rechtliche. Unter Insolvenzverfahrensrecht versteht man die Summe aller Regelungen, mit deren Hilfe die subjektiven Rechte der Gläubiger beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Schuldners oder Schuldnerunternehmens realisiert werden.1063) Verfahrensrechtliche Regelungen sind dabei diejenigen über Zuständigkeiten, gerichtliche Befugnisse und Entscheidungen, Anträge, Antragsfristen, Rechtsbehelfe und die Wirkung gerichtlicher Entscheidungen. Auch die Regeln über die Insolvenzorgane sowie über deren Organisation und Befugnisse (Insolvenzverwaltung, Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss) sind zum Verfahrensrecht zu zählen. Erst im dritten Teil der InsO (§§ 80 – 147) werden mit den Wirkungen der Verfahrenseröffnung weitge___________ 1061) S. o. Rn. 61. 1062) Vgl. BT-Drucks. 8/3139, S. 20. 1063) Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2.

211

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

hend materiell-rechtliche Regelungen getroffen.1064) Das formelle und materielle Insolvenzrecht sind eng miteinander verzahnt, und es ergeben sich Wechselwirkungen zwischen ihnen (vgl. §§ 122, 125f.).1065)

552 Die InsO folgt in ihrer Gliederung grundsätzlich dem Ablauf des Insolvenzverfahrens. Insgesamt enthält die InsO vorwiegend verfahrensrechtliche Regelungen; eine klare Differenzierung zwischen formellem und materiellem Insolvenzrecht ist aufgrund der Wechselwirkungen schwierig.1066) Bei anderen freien Berufen ist eine Differenzierung zwischen Verfahrensrecht und Berufsrecht derweil einfacher. So gibt es Berufsgesetze, die auf dem Rang eines einfachen Gesetzes durch den Bund erlassen werden (BRAO, PAO, StBerG) und dann in einem zweiten Schritt durch eine Berufsordnung oder Satzung von den dazu befugten Organen der jeweiligen Berufsträgerschaft (ihrer Satzungsversammlung) konkretisiert werden können. Als Selbstregularien bedürfen sie der Zustimmung des Bundesjustizministers (für Anwälte) bzw. des Bundesfinanzministers (für Steuerberater).1067)

II. Berufsrechtlicher Gehalt der Insolvenzordnung 553 Zu ermitteln ist im Folgenden zunächst, in welchem Maße sich auch in der InsO berufsrechtliche Regelungen auffinden lassen.

1.

Berufszulassungsschranken

554 Die Rechtswirkungen des für den hiesigen Teil relevanten § 56 InsO wurden bereits oben ausführlich erläutert.1068) Die in § 56 I InsO geregelte konkrete Bestellentscheidung wird von den Schutzbereichen der Artt. 12 I, 3 I GG erfasst. Die Ausgestaltung des Vorauswahlverfahrens sowie des gesamten Auswahlprozederes ist de lege lata jedoch gesetzlich nicht geregelt, sondern wird lediglich durch eine regional unterschiedliche richterliche Praxis vorgegeben. Nach Auffassung des Verfassers, wird das Rechtsgut der Berufsfreiheit faktisch in einem Maße berührt, das einem Eingriff in die Berufswahlfreiheit zumindest nahekommt. Das Auswahlverfahren beschränkt die Berufswahl dabei nicht klassisch, da es Einzelnen die Ausübung des Insolvenzverwalterberufes rechtlich nicht gänzlich verwehrt, doch geht es gleichzeitig über eine bloße Berufsausübungsregelung hinaus, indem sich faktisch ein aus den unterschiedlichen gerichtlichen, vereinzelt auch gesetzgeberischen Vorgaben gewachsenes Zulassungssystem mit subjektiven Zulassungsvor___________ 1064) K. Schmidt/ders., Einl., Rn. 22; Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2. 1065) Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2. 1066) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 57 Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2. 1067) von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 29. 1068) Vgl. Rn. 134.

212

A. Berufsrecht in der InsO

aussetzungen gebildet hat, das jedoch nicht überall (in gleicher Weise) besteht.1069) Ein „Umschlagen“ von einer besonders intensiven Berufsausübungsbeschränkung in eine Berufswahlbeschränkung konnte hier allerdings nicht festgestellt werden.1070) Eine klassische Zugangsschranke, wie sie etwa bei anderen Berufen besteht,1071) stellt § 56 I InsO schlussendlich nicht dar. Zumindest de lege lata wird kein Kreis von Berufen definiert, die allein für die Wahrnehmung von Insolvenzverwaltungen qualifiziert und zugelassen sind.1072)

2.

Berufsausübungsregularien

Berufsausübungsregelungen finden sich in vielen Berufsordnungen und Kammer- 555 regelungen. Ihre Grundsätze enthalten grundlegende Qualitätsmaßstäbe für die Berufsausübung sowie berufsethische Prinzipien und tragen somit maßgeblich zum jeweiligen Berufsbild bei.1073) Ein entsprechendes Regelungskonzept, bestehend aus Berufsordnung und Kammerregelungen, gibt es für den Insolvenzverwalter ersichtlich nicht. Es kann daher lediglich auf die Normen der InsO abgestellt werden. Regelungen zur Berufsausübung finden sich dort vorwiegend im dritten Teil.1074) Insgesamt weise die InsO nach Untersuchungen Kästners nur sehr wenige, pau- 556 schale Regelungen auf, die sich damit beschäftigten, wie der Verwalter sein Amt auszuüben habe. Dies stehe etwa im Gegensatz zu der vergleichsweise hohen Regelungsdichte anwaltlicher Berufsausübungsregularien. Vereinzelt ließen sich allerdings auch in der InsO Normen mit berufsrechtlichem Regelungsgehalt auffinden. Insgesamt formten diese einen Katalog von Berufspflichten und Befugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren, des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren sowie des Insolvenzverwalters im Verbraucherinsolvenzverfahren. Die entsprechenden Normen konkretisierten schließlich die Aufgaben und Befugnisse in den jeweiligen Verfahrensabschnitten. Zuvorderst stelle § 56 InsO – wenn auch Generalklauselartig – die Anforderungen dar, die an die Person des Insolvenzverwalters und in entsprechend analoger Anwendung auch an die in den anderen genannten Verfahrensarten eingesetzten Personen für die Erledigung der verfahrensbezogenen Aufgaben zu stellen seien. Neben vereinzelt anderen Vorschriften seien es schließlich die §§ 148 – 173 ___________ 1069) S. o. Rn. 361; vgl. nun auch, Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4). 1070) Hierzu: Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 342. 1071) So bestehend etwa mit §§ 4 ff. BRAO i. V. m. § 5 DRIG für Rechtsanwälte; §§ 5 ff. WPO für Wirtschaftsprüfer; §§ 35 ff. StBerG für Steuerberater. 1072) In der Praxis werden jedoch fast ausschließlich nur Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und vereinzelt auch Wirtschaftsjuristen zum Insolvenzverwalter bestellt, vgl. Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 86; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 18; Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (457). 1073) Kluth/Böllhoff/Ruffert, Handbuch des Kammerrechts, § 9 Rn. 16. 1074) Uhlenbruck/Pape, § 1 InsO, Rn. 2.

213

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

InsO, die die Pflichten und Befugnisse des Insolvenzverwalters bei der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse regelten. Weitere berufsrechtliche Bestimmungen ließen sich zudem im fünften und sechsten Teil der InsO finden. Gerade auch die Vorschriften über das internationale Insolvenzrecht im elften Teil (§§ 335 – 358 InsO) regulierten die Berufsausübung des inländischen Verwalters sowie die Befugnisse des ausländischen Verwalters und deren Zusammenarbeit. Dabei handele es sich um sog. Binnenregelungen über die Stellung und das Verhalten der Berufsträger untereinander, sowie um Regelungen der Außenbeziehungen mit den Nutzern der beruflichen Leistung. Schlussendlich mangele es der InsO mit ihrem verfahrensrechtlichen Schwerpunkt an Regelungsdichte, wenn man sie etwa mit anderen Berufsordnungen wie der BRAO vergleiche. Dies könne allerdings nicht dazu führen, dass der InsO in summa ein Berufsrechtcharakter im Hinblick auf die Berufsausübungsregelungen abgesprochen werden könne, wie dies der Bundesgerichtshof getan habe1075). Zwar fehlten konkrete Zugangsvoraussetzungen in der InsO. Für den Bereich der durch Berufsgrundsätze definierten Berufsausübungsregelungen seien die generellen Voraussetzungen eines Berufsrechts allerdings erfüllt.1076)

557 Wie bereits untersucht wurde, können auch Selbstregularien oder Zertifizierungen keinen Ersatz gesetzlicher Berufsausübungsregelungen oder Berufsgrundsätze darstellen.1077)

3.

Berufsaufsicht

558 Als letzte Säule für in der InsO etwa implizierte berufsrechtliche Bestimmungen, soll nun das in der InsO vorgesehene Kontrollsystem zur Überwachung des Insolvenzverwalters in seinen Grundzügen skizziert werden. Gleiches erfolgt anschließend für die Systeme der Berufsausübungskontrolle anderer freier Berufe, um die ggf. verschiedenen Ansätze anschließend in ihren Grundzügen gegenüberstellen und somit Rückschlüsse ziehen zu können, ob die Regelungsdichte der InsO im Blick auf Kontrollmechanismen mit der anderer freier Berufe vergleichbar ist.

a) Kontrollmechanismen der InsO über den Insolvenzverwalter 559 Die Kontrolle über den Insolvenzverwalter teilt sich in eine staatliche Aufsicht des Insolvenzgerichts und eine private Aufsicht der Gläubiger auf. Die InsO versucht damit erneut einen Mittelweg zwischen einem staatlich kontrollierten Verfahren und einer stärkeren Gläubigerautonomie zu schaffen. Eine weitere Unterteilung lässt sich dahingehend vornehmen, dass auch bereits im Auswahlverfahren eine ___________ 1075) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241 (3242), Rn. 21, „Die Ausübung des Berufs des Insolvenzverwalters hat dagegen keine gesetzliche Regelung erfahren.“ 1076) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 95f, für eine tabellarische Zusammenstellung berufrechtlicher Normen in der InsO vgl. ebd., S. 250. 1077) S. o. unter: Rn. 216.

214

A. Berufsrecht in der InsO

gewisse Aufsichtsfunktion des Insolvenzgerichts und der Gläubiger besteht. Insofern ist also zusätzlich zwischen einer Auswahlkontrolle und einer Verfahrenskontrolle zu unterscheiden.1078) Das Auswahlverfahren wurde bereits oben ausführlich untersucht. Teile der Literatur 560 sehen mit guten Argumenten bereits im Auswahlprozess ein verfahrensübergreifendes Kontrollmittel. Indem der jeweilige Richter nicht auf eine zentrale Überprüfung der jeweiligen Verwalter zurückgreifen könne, sich also selbst von der Eignung der Kandidaten überzeugen müsse, handele es sich bei den ersten Bestellungen faktisch um eine Art „Erprobung“. Bewähre sich der Verwalter während der ersten Bestellungen nicht, reagiere das Insolvenzgericht mit künftiger Nichtberücksichtigung, die faktisch einer Entlassung aus der Vorauswahlliste gleiche. Damit handele es sich praktisch um eine Art ungeschriebene, verfahrensübergreifende Aufsicht des jeweiligen Gerichts.1079) Ergänzend ist eine Aufsichtsfunktion des Insolvenzgerichts auch in der Überprüfung der Eignung eines nach § 56a InsO vorgeschlagenen Verwalters zu sehen. Die private Auswahlkontrolle besteht schließlich hauptsächlich darin, dass der 561 Gläubigerversammlung die Möglichkeit eröffnet ist, gem. § 57 S. 1 InsO einen anderen als den durch das Gericht bestellten Verwalter zu wählen. Beide Formen der Auswahlkontrolle stellen schließlich präventive Kontrollinstrumente dar.1080) Als repressiver Kontrollmechanismus muss schließlich die Verfahrenskontrolle 562 angesehen werden. Kern der Verfahrenskontrolle ist die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter nach § 58 InsO. Der § 58 I 1 InsO ist dabei Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes, dass der Staat, wenn er fremdes Vermögen durch eine von ihm bestellte Person verwalten lässt, diese auch zu überwachen hat, folglich also auch Ausfluss staatlicher Wahrnehmungsverantwortung für die Auswahl- und Kontrollverantwortung externer Funktionsträger. Die Aufsicht sei das notwendige Korrektiv für diese Übertragung hoheitlicher Befugnisse.1081) Das Gericht habe gegen Pflichtwidrigkeiten einzuschreiten. Solange diese nicht 563 vorlägen habe es dem Vermögensverwalter seine Selbstständigkeit zu überlassen und dürfe nicht durch Weisungen eingreifen. Dies folge bereits aus der Grundnorm ___________ 1078) Vgl. Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 15f.; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 440, 456. 1079) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 456f; vgl. auch Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 286f. 1080) Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 16. 1081) Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 439; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 89; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 1; zur Unterscheidung von Verfahrenshoheit und originär staatlichen Hoheitsrechten vgl. Fn. 200.

215

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

des § 1837 BGB.1082) Nahezu einhellig wird die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter als Rechtsaufsicht begriffen.1083) Sie ist eine Amtspflicht und kann bei schuldhafter Verletzung zu einer Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG führen.1084) Die Ausübung der Aufsicht liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es hat dabei die Rechtmäßigkeit des Verwalterhandels zu überprüfen, folglich, ob der Insolvenzverwalter den ihm auferlegten verfahrensrechtlichen und insolvenzrechtlichen Pflichten ordnungsgemäß nachkommt.1085) Eine Zweckmäßigkeitskontrolle findet nur in Ausnahmefällen statt, etwa wenn die Zweckwidrigkeit des Verwalterhandelns evident ist oder das Gesetz (vgl. §§ 78 I, 158 II 2, 161 S. 2, 233 InsO) bzw. die Rechtsprechung dies vorsieht, z. B. bei nichtigen oder strafbaren Handlungen, ferner auch wenn Mitwirkungs- und Anordnungsbefugnisse des Gerichts vorgesehen sind.1086) Das Insolvenzgericht stellt damit keine dem Verwalter übergeordnete Verwaltungsinstanz dar. Er handelt bei der Verfahrensabwicklung eigenverantwortlich und unterliegt der persönlichen Haftung des § 60 InsO.1087)

564 Das Insolvenzgericht hat im Rahmen seiner Aufsichtspflicht ein eigenes Auskunftsrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter (vgl. § 58 I 2 InsO). Es verpflichtet den Insolvenzverwalter, etwa auf konkretes Begehren oder Sachstandsanfragen des Insolvenzgerichts, die entsprechenden Informationen zu erteilen. Dies folge aus der Natur der Rechtsaufsicht, denn nur bei vollständiger Auskunftserteilung durch den Insolvenzverwalter sei das Gericht in der Lage, die Aufsicht sachgemäß auszuüben. Das Insolvenzgericht hat ferner die Kompetenz, Auskünfte über die Geschäftsführung des Insolvenzverwalters zu verlangen, Bücher einzusehen und sich Belege vorlegen zu lassen sowie den Kassenstand zu prüfen. Das Gericht ist außerdem berechtigt, innerhalb einer gerichtlichen Anhörung vom Insolvenzverwalter eine mündliche Auskunft – wenn nötig mittels Verhängung eines Zwangsgeldes – zu erlangen bzw. zu erzwingen.1088) Nicht nur zur Erlangung von Informationen kann das Insolvenzgericht Zwangsmittel einsetzen. Es kann ein Zwangsgeld auch ___________ 1082) Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 1. 1083) Braun/Blümle, § 58 InsO, Rn. 4; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 6; a. A. Jaeger/Gerhardt, § 58 InsO, Rn. 7; zu gesetzlichen Ausnahmen, Graf-Schlicker/Webel, § 58 InsO, Rn. 9. 1084) MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 8; Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (442); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Saulus, Insolvenzrecht, Kap. 13 Rn. 18; Pape, ZInsO 2016, 428 (430) ordnet die Aufsicht ferner als Teil des Justizgewährungsanspruches ein. 1085) Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (443). 1086) Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 44; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 5. 1087) Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (443). 1088) MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 22; Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (445 ff.).

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A. Berufsrecht in der InsO

dazu einsetzen, den Verwalter dazu zu bewegen, seinen Pflichten nachzukommen (vgl. § 58 II InsO). Das Zwangsgeld stellt dabei kein Mittel zur Bestrafung pflichtwidrigen Verhaltens dar, sondern ein reines Erzwingungs- bzw. Beugemittel.1089) Neben der Möglichkeit der Verhängung eines Zwangsgeldes, kann das Gericht den Verwalter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes als ultima ratio aus dem Amt entlassen (vgl. § 59 I InsO). Die Wahl zwischen Anforderung einer Auskunft, Verhängung eines Zwangsgelds und Abberufung des Insolvenzverwalters hat das Insolvenzgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.1090) Durch den Umstand, dass dem Insolvenzgericht ein pflichtgemäßes Ermessen ein- 565 geräumt wird und es an konkreten Prüfungsmechanismen fehle, wird, wie schon zu § 56 I InsO, eine fehlende gesetzliche Konkretisierung im Rahmen des § 58 InsO kritisiert. Folge dieser fehlenden Konkretisierung sei die unterschiedliche Aufsichtspraxis der Insolvenzgerichte, die von einer exakten Prüfung bis zu einem vollständigen Kontrollverzicht reiche. Eine stärkere Vereinheitlichung und erhöhte Transparenz würden auch hier das Vertrauensverhältnis zwischen Gericht und Verwalter stärken.1091) Neben der staatlichen Verfahrenskontrolle gewährt die InsO schließlich auch den 566 Gläubigern eigene Kontrollmittel zur Verfahrensüberwachung. Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss gem. §§ 21 II 2 Nr. 1a, 67 I InsO oder durch Beschluss der Gläubigerversammlung gem. § 68 I InsO ein Gläubigerausschuss bestellt worden, haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses die Pflicht, den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung nicht nur zu unterstützen, sondern zu überwachen (§ 21 II 2 Nr. 1a, § 69 S 1 InsO). Die Gläubigerversammlung kann Kontrolle ferner durch ihr Unterrichtungsrecht gem. § 79 InsO ausüben.1092) Anders als das Insolvenzgericht ist der Gläubigerausschuss auch zur Prüfung der Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns berechtigt.1093) Die staatlichen und die privaten Prüfungspflichten überschneiden sich nach § 66 II InsO bei der Schlussrechnungsprüfung, die allerdings zwischen beiden Kontrollorganen koordiniert werden kann. Kommen die Gläubiger ihrer Überwachungspflicht nach, ist die Aufsichtspflicht des Gerichts eingeschränkt, sie entfällt jedoch nicht vollständig.1094) Im Übrigen überschneiden ___________ 1089) Detailliert: MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 29 ff., 46 ff.; Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (447). 1090) MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 45. 1091) Vgl. Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1130); Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 46; ähnlich, Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93 (96); die Regelungsdichte der gesetzlichen Vorschriften hingegen noch für geeignet haltend, Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (451). 1092) Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1131); Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 6. 1093) Uhlenbruck/Knof, § 69 InsO, Rn. 22. 1094) Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 6.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

sich die Prüfungspflichten aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit – Rechtsaufsicht einerseits und Zweckmäßigkeitskontrolle andererseits – in der Regel nicht.1095)

567 Auch dem Gläubigerausschuss steht nach § 69 S. 2 InsO ein Unterrichtungsrecht zu. Weitere Überwachungsaufgaben des § 69 InsO sind die Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere (des Verwalters) sowie die Prüfung des Geldverkehrs (als Unterfall der allgemeinen Überwachungspflicht). Das Einsichtsrecht in Unterlagen des Verwalters beinhaltet auch die Einsicht in erstellte Gutachten, es sei denn, das Gutachten betrifft ein Gläubigerausschussmitglied (mittelbar).1096) Indirekt Kontrolle üben die Gläubiger außerdem dadurch aus, dass der Verwalter für bestimmte Rechtshandlungen die Zustimmung der Gläubigerversammlung bzw. des Gläubigerausschusses benötigt (vgl. § 160 I 1, 2 InsO). Durch das Fehlen einer entsprechenden Zustimmung wird die Wirksamkeit einer Handlung zwar gem. § 164 InsO nicht berührt, doch können dadurch gerichtliche Aufsichtsmaßnahmen nach § 58 InsO ausgelöst werden oder eine Haftung des Verwalters nach § 60 InsO begründet werden.1097) Die Grenzen der Prüfungspflichten der Gläubiger sind dort erreicht, wo sie den Verwalter in seiner Insolvenzabwicklung behindern. Art und Weise der Überwachung sind durch die InsO nicht näher bestimmt. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses werden regelmäßig eine stichprobenartige Überprüfung anhand von Informationen aus Akten und Geschäftsunterlagen vorzunehmen haben.1098)

568 Fraglich ist, ob die oben skizzierten Kontrollmechanismen mit denen für andere, dem Insolvenzverwalter ähnlichen freien Berufen vergleichbar sind oder in ihrer Regelungsdichte hinter diesen zurückbleiben.

b) Berufsausübungskontrolle bei anderen freien Berufen 569 Bei den freien Berufen findet eine Qualitätssicherung vorwiegend nur im Rahmen eines etwaigen Zulassungsverfahrens statt. Die Überwachung durch die Kammern beschränkt sich schließlich auf eine reine Rechtsaufsicht. Kammern und Aufsichtsbehörden überwachen dabei lediglich die Einhaltung der Grenzen des jeweiligen Berufsrechts, d. h. der satzungsmäßigen und gesetzlichen Berufsvorschriften. Aufsichtsmittel der Kammern, die einen Grundrechtseingriff beim betroffenen Berufsträger zur Folge haben, bedürfen einer ausdrücklichen Ermächtigung.1099) Den Kammern

___________ 1095) Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 6. 1096) Ausführlich: MüKoInsO/Schmid-Burgk, § 69 InsO, Rn. 18; Uhlenbruck/Knof, § 69 InsO, Rn. 25 ff. 1097) MüKoInsO/Janssen, § 160 InsO, Rn. 37, 39; Uhlenbruck/Zipperer, § 160 InsO, Rn. 29. 1098) Uhlenbruck/Knof, § 69 InsO, Rn. 22. 1099) von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 390 ff.

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A. Berufsrecht in der InsO

stehen dabei keine Ermittlungsbefugnisse zu, sie sind darauf angewiesen, Kenntnis über etwaige Berufspflichtverletzungen von Dritten zu erlangen.1100) Auch zur Ahndung von Berufsrechtsverstößen steht den Kammern ein nur einge- 570 schränktes Repertoire zur Verfügung. Für manche Aufsichtsmittel sind dabei qua Gesetz nicht die Kammern zuständig, sondern nur auf Antrag die Berufsgerichte. Bei deren Zuständigkeit ist das Verfahren bei der Kammer in der Regel auszusetzen.1101) Als repressive Maßnahmen stehen den Kammern Belehrung, Rüge und Verhängung von Geldbußen im Falle geringfügiger Pflichtverstöße zur Verfügung (vgl. § 74 I 1 BRAO, 73b BRAO; §§ 76 II Nr. 1, 81 I, 76 VIII StBerG; §§ 69 II Nr. 1, 70, 69a PAO)1102). In bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen können die Kammern zudem auch die Zulassung widerrufen.1103) Wesentlich schärfer fallen hingegen die Sanktionsmöglichkeiten der Berufsgerichte aus. Diese werden nicht von sich aus aktiv; das berufsgerichtliche Verfahren wird vielmehr von der Staatsanwaltschaft eingeleitet (§ 121 BRAO; § 114 StBerG). Es kann auch nach einem Rügeverfahren auf Antrag der jeweiligen Kammer oder auf Antrag des Berufsträgers selbst (vgl. § 123 I BRAO; § 116 StBerG; § 106 PAO) initiiert werden. Bei Pflichtverletzungen nach § 113 BRAO, § 89 StBerG, § 95 PAO können Berufsgerichte eine Warnung, einen Verweis, eine Geldbuße, ein zeitlich beschränktes Vertretungs- bzw. Berufsverbot und schließlich den Ausschluss aus der Anwaltschaft – auch von Berufsausübungsgesellschaften – bzw. dem Steuerberaterberuf aussprechen (§ 114 I Nr. 1-5, II BRAO; § 90 I Nr. 1-5 StBerG; § 96 PAO).1104) Seit Einführung des § 68 WPO ist der Maßnahmenkatalog der Wirtschaftsprüferkammer deutlich umfangreicher als die oben aufgezeigten Kompetenzen. Die Eingriffsbefugnisse der Wirtschaftsprüferkammer reichen damit wesentlich weiter. Dies gilt auch für ihre Ermittlungsbefugnisse (vgl. § 62 WPO). Mitglieder der Wirtschaftsprüferkammer sind gem. § 57a I, II WPO ferner dazu verpflichtet, sich mindestens alle sechs Jahre einer Qualitätskontrolle zu unterziehen.

c)

Vergleich und berufsrechtlicher Gehalt der Kontrollmechanismen

Gemeinsam ist der Aufsicht durch das Insolvenzgericht und durch die verschiede- 571 nen Kammern, dass beide lediglich eine Rechtsaufsicht ausüben. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle besteht aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Insolvenzver___________ 1100) von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 392. 1101) Vgl. Kluth/Stephan, Handbuch des Kammerrechts, § 10 Rn. 25. 1102) Die Wirtschaftsprüferkammer stellt derweil einen Sonderfall dar. Der Maßnahmenkatalog des § 68 WPO räumt ihr gegenüber den anderen Kammern deutlich umfangreichere Maßnahmen, wie etwa zeitlich begrenzte oder tätigkeitsbezogene Berufsverbote zu verhängen, ein. 1103) von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 249 ff. 1104) Kluth/Stephan, Handbuch des Kammerrechts, § 10 Rn. 82 ff.; von Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, S. 255 ff.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

walter, wie auch der Kammermitglieder nicht.1105) Die Kammern der Rechtsanwälte und Steuerberater üben dabei keine regelmäßige, wiederkehrende Kontrolle aus.1106) Die Kammer der Wirtschaftsprüfer hingegen unterzieht ihre Mitglieder mindestens alle sechs Jahre einer Qualitätskontrolle. Bei den Insolvenzverwaltern findet eine entsprechende Kontrolle lediglich im Rahmen eines bestimmten Verfahrens statt. Für die Dauer eines Verfahrens wird der Insolvenzverwalter in Bezug auf seine Handlungen für das jeweilige Verfahren regelmäßig durch das Insolvenzgericht und die Gläubiger kontrolliert, indem er diesen gegenüber berichten muss (§ 58 I S. 2 InsO, § 69 S. 2 InsO).

572 Dadurch, dass die Beaufsichtigung des Verwalters lediglich auf die Dauer eines Verfahrens beschränkt ist, kann ein etwaiges Fehlverhalten nicht verfahrensübergreifend mittels Disziplinarmaßnahmen geahndet werden, wie dies bei den Kammern zur gängigen Praxis gehört. Lediglich die zukünftige Nichtberücksichtigung eines Verwalters im Rahmen der Auswahl bietet dem Gericht eine gewisse verfahrensübergreifende Sanktionsmöglichkeit: Der Verwalter muss sich immer wieder bewähren und wird im Falle einer unzureichenden Erledigung seiner Aufgaben künftig eher nicht mehr berücksichtigt. Diese Art der Überwachung bzw. der Sanktionierung ist zwar durchaus effektiv, entbehrt jedoch jeglicher gesetzlichen Grundlage.1107) Ferner beschränkt sich diese Möglichkeit auf das jeweilige Gericht bzw. Vorauswahllistensystem. Auch wenn einzelne Fragebögen nach einem Delisting bei anderen Insolvenzgerichten fragen,1108) führt dies nicht zwangsweise zu einer Sanktionierung bzw. negativen Bestellentscheidung bei anderen Gerichten.1109) Hinzukommt, dass die Voraussetzungen für ein etwaiges Delisting nicht geregelt sind. Auch eine übergeordnete Berufsgerichtsbarkeit, die trotz einer Besetzung mit größtenteils Kammermitgliedern zur staatlichen Gerichtsbarkeit für ein besonderes Sachgebiet zu zählen ist,1110) gibt es für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters nicht. Die Aufsicht des Insolvenzgerichts zielt lediglich auf den Schutz der Insolvenzmasse; sie soll die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger sicherstellen sowie dem Schutz des Schuldners dienen, der gegen einzelne Maßnahmen des Insolvenzverwalters kein Beschwerderecht hat. Vor allem aber soll sie einen gesetzesmäßi-

___________ Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 139. Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 78. Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 480. Vgl. dazu bereits oben Rn. 256: Nur wenige Insolvenzgerichte fragen nach etwaigen Delistings oder Entlassungen sowie den Gründen für diese Entscheidungen, vgl. Heidelberger Musterfragebogen, AG Dortmund, AG Düsseldorf, AG Hannover u. AG Berlin-Charlottenburg (bei letzteren jeweils in der VerfahrenO). 1109) Vgl. MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 114; Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 37; ferner, Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 286f. 1110) Kluth/Stephan, Handbuch des Kammerrechts, § 10 Rn. 56 ff.

1105) 1106) 1107) 1108)

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A. Berufsrecht in der InsO

gen Ablauf des Insolvenzverfahrens sichern sowie die Ausübung der insolvenztypischen Pflichten des Insolvenzverwalters gewährleisten.1111) Im Rahmen des Insolvenzverfahrens ist zudem funktionell regelmäßig der Rechts- 573 pfleger für die Berufsausübungskontrolle zuständig.1112) Diese sind aufgrund der eher mangelhaften personellen Ausstattung der Gerichte in der Regel nicht in der Lage, eine umfassende und detaillierte Aufsicht über die aktiven Verwalter auszuüben.1113) Demgegenüber seien den Kammern aufgrund ihrer Organisation und Ausstattung umfangreichere Kontrollen möglich.1114) Aufsichtsgremien anderer freier Berufe nehmen allerdings auch keine so verfahrensspezifische Kontrolle wahr, wie es bei Insolvenzgerichten der Fall ist. Im Rahmen der Ermittlungsbefugnisse reichen die Kompetenzen des Insolvenzge- 574 richts deutlich weiter als die der Kammern. Das Insolvenzgericht kann von einem Insolvenzverwalter jederzeit Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand verlangen und Prüfungen vornehmen (vgl. § 58 I 2 InsO, ebenso auch die Gläubiger, §§ 69, 79 InsO). Entsprechende Maßnahmen erfolgen im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 5 I InsO. Hinzukommen auch Zustimmungserfordernisse des Insolvenzgerichts und der Gläubigervertretungen (vgl. etwa § 22 I 2 Nr. 2 InsO, § 160 InsO). Die Prüfungskompetenzen der Berufskammern bleiben demgegenüber in puncto Berufsausübung hinter den durch die InsO geschilderten Kontrollmaßnahmen zurück. Ihnen stehen keine eigenen Ermittlungsbefugnisse zu, sodass sie von der Kenntniserlangung von Seiten Dritter abhängig sind. Eine detaillierte Überprüfung von Verfahrenshandlungen der Mitglieder findet zudem nicht statt, vielmehr werden einzig die in den Berufsordnungen kodifizierten Berufspflichten im Sinne von beruflichen Verhaltensregeln geprüft.1115) Bis hierher lässt sich folglich konstatieren, dass das Insolvenzgericht – jedenfalls 575 theoretisch – deutlich weitreichendere Aufsichtskompetenzen über die Berufsausübung der in ihren Verfahren tätigen Verwalter innehat, als es einer Kammer über ihre Mitglieder zusteht.1116) Dem Insolvenzgericht kommt vor allem ein „Eigeninitiativrecht“ für Prüfungen des § 58 InsO zu, wenngleich ihm anders als der Kammer ___________ 1111) BVerfG Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 (165); Naumann, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, S. 431 (442); Uhlenbruck/ Vallender/Zipperer, § 58 InsO, Rn. 1; Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (116). 1112) MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 8. 1113) BAKinso e. V., ZInsO 2007, 489; Lissner, ZInsO 2019, 2398 (2402); Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 180, 184; Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (166); ders., ZIP 2019, 158 (160). 1114) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 140. 1115) Vgl. Kluth/Stephan, Handbuch des Kammerrechts, § 10 Rn. 1 – 5. 1116) Vgl. Lissner, ZInsO 2019, 2398 (2401).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

nicht die Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehen1117) (vgl. etwa § 120 BRAO). Vor allem im Zusammenhang mit den Kontrollrechten der Gläubiger, die sich auch auf die Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns erstrecken, handelt es sich zunächst um eine starke Berufsausübungskontrolle.

576 Aus praktischer Sicht wird dieses System jedoch gerade gegenüber dem Aufsichtssystem der Kammern stark abgeschwächt. Dies ergibt sich zunächst aus einer vergleichsweise unzureichenden personellen Ausstattung.1118) Ferner aus dem Umstand, dass die Kontrolle auf ein bestimmtes Verfahren beschränkt ist, Sanktionsmöglichkeiten gegenüber denen der Kammern daher nicht durchgreifend eingesetzt werden können und daraus dass eine das gesamte berufsrechtliche Verhalten aller Verwalter stattfindende Kontrolle gerade nicht existiert. Primär steht den Insolvenzgerichten lediglich das Zwangsgeld als präventives Beugemittel zur Verfügung. Als repressives Sanktionsmittel besteht lediglich die Entlassung aus wichtigem Grund.1119) Es findet wie geschildert zudem keine hinreichende Kommunikation zwischen den verschiedenen Gerichten statt1120). Darüber hinaus verfügen die Kammern bzw. Berufsgerichte über einen deutlich umfangreicheren Maßnahmenkatalog, der ihnen je nach Pflichtverstoß und Schuld ein abgestuftes Sanktionsrepertoire bietet und bei dem etwaige Berufsrechtsverstöße zentral in den Akten vermerkt werden.1121) Dabei handelt es sich jedoch eher um eine sanktionierende Nachkontrolle und nicht um eine verfahrensbegleitende Kontrolle wie sie die InsO kennt.1122) Abgeschwächt wird das in der InsO vorgesehene Kontrollsystem schließlich auch durch eine teilweise zu unkonkrete Kodifizierung. Unklar ist oft, zu welchem Zeitpunkt, in welchen Abständen, in welchem Umfang entsprechende Prüfungen durchzuführen sind. Dies ist etwa im Rahmen des § 57a I, VI 8 WPO

___________ 1117) Pape, ZInsO 2016, 428 (430). 1118) Vgl. BAKinso e. V., ZInsO 2007, 489; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 180, 184; Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93 (96); Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (116); ders., ZIP 2019, 158 (160). 1119) Zu dieser Möglichkeit greifen die Insolvenzgerichte jedoch zu Recht lediglich im äußersten Fall, das das Verfahren dadurch erheblich verzögert und damit teilweise auch verteuert wird. 1120) Dazu: Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 143 ff; Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93 (96). 1121) Vgl. Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 47f.; Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 141; Pape, ZInsO 2016, 428 (430); Vallender, ZIP 2019, 158. (160) 1122) Lissner, ZInsO 2019, 2398 (2401).

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A. Berufsrecht in der InsO

eindeutiger normiert.1123) Umstritten ist auch, wie weit bzw. intensiv die Aufsicht des Insolvenzgerichts überhaupt gehen darf.1124) Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die verglichenen Systeme unterschiedliche Auf- 577 gaben zum Gegenstand haben: Bei der Kontrolltätigkeit des Insolvenzgerichts und der Gläubiger handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Aufsicht, die vorwiegend die durch die InsO vorgegebenen Abläufe auf ihre Rechtmäßigkeit und auf die Gewährleistung der Insolvenzzwecke nach § 1 InsO hin kontrolliert.1125) Aufgabe der Kammern ist hingegen allgemein die Erfüllung der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben sowie die Beaufsichtigung der Einhaltung rein berufsrechtlicher Pflichten ihrer Mitglieder.1126) Die InsO gewährt damit theoretisch Instrumente, die eine verfahrensbezogene Be- 578 rufsausübung der Verwalter in einem nicht zu unterschätzenden Maße gewährleisten könnten.1127) Gegenüber der Aufsicht der Kammern offenbaren sich aber Defizite, vor allem aufgrund der Verfahrensbeschränktheit des Kontrollsystems der InsO. Mittels einer verfahrensübergreifenden Lösung, flankiert von durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten, einer ausreichenden personellen und sachlichen Ausstattung1128) ___________ 1123) Vgl. bereits: Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1130); Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 47f.; Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 141; gegen eine enumerative Aufzählung, BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, IV. 4. Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumentestellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1124) Die Aufsichtsbefugnis ist umfassend zu verstehen, betrifft also das gesamte Handeln des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Ausübung seiner insolvenztypischen Pflichten und ist nicht auf die Vermögensverwaltung im engeren Sinne beschränkt, BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 (165); MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 20; andere sehen als Hauptaufgabe der Aufsichtsführung des Gerichts die Informationsbeschaffung für die Gläubiger, K. Schmidt/Ries, § 58 InsO, Rn. 4 1125) Vgl. MüKoInsO/Graeber, § 58 InsO, Rn. 9; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 440f; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 127. 1126) Kluth/Stephan, Handbuch des Kammerrechts, § 10 Rn. 11; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, S. 127. 1127) Smid, ZInsO 2018, 1825 (1831), der das derzeitige Aufsichtssystem als bewährt ansieht; grundsätzlich wohl auch Lissner, ZInsO 2019, 2398 (2399), der in der durch die Gläubiger ausgeübte Kontrolle jedoch häufig eine Kontrolllücke erblickt, da diese ihre Aufgaben vernachlässigten; nunmehr auch Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 62, der jedoch die Ansicht Vallenders missverstehen zu scheint; a. A. Vallender, ZIP 2019, 158 (16), der als abschließenden Befund festhält, „Die Berufsaufsicht durch dasInsolvenzgericht gem. § 58 InsO ermöglicht keine hinreichende Berufsausübungskontrolle.“ 1128) Dazu eingehend: Depré, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 271 (277); Uhlenbruck, in: Festschrift für Bruno M. Kübler zum 70. Geburtstag, S. 709 (711); Vallender, NZI 2017, 641 (644).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

zur tatsächlich effektiven Durchsetzung der bereits vorhandenen Instrumentarien1129) und einer konkreteren gesetzlichen Normierung der einzelnen Kompetenzen, ließe sich das bestehende Kontrollsystem der InsO u. U. mittels „minimalinvasiver“ gesetzgeberischer Eingriffe um ein vielfaches effektuieren.1130) Interessant könnte in dieser Hinsicht auch ein Zusammenspiel beider Systeme für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters sein.

III. Zwischenergebnis 579 Die vorstehenden Ausführungen führen zu dem Ergebnis, dass die InsO in einigen Teilbereichen Normen mit berufsregelndem Charakter enthält. Deutlich geworden ist, dass es sich bei der InsO vorwiegend um ein Sach- und Verfahrensrecht handelt, das sich insofern von den klassischen – auf den jeweiligen Beruf zugeschnittenen – Berufsrechten anderer freier Berufe unterscheidet.1131)

580 Für den Bereich der Berufszulassung hat sich gezeigt, dass hier in Anbetracht der geübten Praxis keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen bestehen, die insbesondere den Anforderungen des Art. 12 I GG genügen können. Bei § 56 I InsO handelt es sich im Vergleich zu Zulassungsregelungen anderer freier Berufe nicht um eine Zulassungsschranke. Das Vorauswahl- bzw. Auswahlverfahren ist jedoch gesetzlich nicht hinreichend konkretisiert; es wurde eine bundesweit uneinheitliche Handhabung festgestellt. Im Rahmen der Berufsausübungsregelungen ist eine „lediglich fragmentarische normative Struktur“1132) bzw. „Funktionsbeschreibung“1133) festzustellen. Die Regelungsdichte in Bezug auf Berufsausübungsregelungen bleibt insofern hinter denjenigen anderer Berufsgruppen zurück. Ein gewisser Bestand berufsrechtlicher Regelungen kann allerdings nicht gänzlich in Abrede gestellt werden.1134)

581 In Bezug auf die Berufsaufsicht handelt es sich bei den Kammern und den Aufsichtsmechanismen der InsO um unterschiedliche Ansätze. Im Rahmen der Berufsausübungskontrolle hat das Insolvenzgericht weiterreichende Ermittlungsbefugnisse, wogegen die Kammer über deutlich umfangreichere Sanktionsmöglichkeiten verfügt. An jeweils unterschiedlichen Stellen zeigen sich daher Vor- und Nachteile. Grundsätzlich stellt die InsO ausreichende Instrumentarien zur Kontrolle zur Verfügung. Sie gilt es zukünftig auch in tatsächlicher Hinsicht zu effektuieren. ___________ 1129) So auch: BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, IV. 4. Abrufbar unter: https://www.bakinso.de/dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1130) Lissner, ZInsO 2019, 2398 (2402). 1131) So bereits Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 46. 1132) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 145. 1133) Rattunde, in: Sanierung, Insolvenz, Berufsrecht der Rechtsanwälte und Notare: Festschrift für Hans Gerhard Ganter zum 65. Geburtstag, S. 519 (519). 1134) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 145; Vallender, ZIP 2019, 158 (159); ferner bereits Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (317).

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

An späterer Stelle wird zu diskutieren sein, ob beide Systeme nebeneinander einen 582 ausgewogenen und effektiveren Aufsichtsmechanismus darstellen können.1135)

B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter Als Insolvenzverwalter werden Personen bestellt, die ansonsten meist beruflich als 583 Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder auch als Wirtschaftsjurist oder vereidigter Buchprüfer tätig sind.1136) Damit stellt sich die Frage, inwiefern sie auch einem etwa bestehenden Berufsrecht ihres sog. Quellberufes unterliegen, wenn sie als Insolvenzverwalter tätig werden. Ferner stellt sich für jeden Einzelfall die Frage, ob bei Normen- und Pflichtenkollisionen vorwiegend die InsO oder das jeweilige Berufsrecht vorrangig anzuwenden ist. Hierzu bereits durch den Bundesgerichtshof ergangene Entscheidungen wurden in der 584 Literatur kontrovers diskutiert. Zum Teil wurden davon abweichende Lösungsmodelle vorgeschlagen. Die verschiedenen Ansichten sollen nachfolgend zunächst dargestellt (Rn. 585) und abschließend bewertet werden (Rn. 603). Abschließend wird ein eigener Ansatz zur Berufsaufsicht erläutert (Rn. 611).

I.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Erstmals hatte der Bundesgerichtshof im Oktober 2004 in einem Verfahren gegen 585 einen Insolvenzverwalter zu entscheiden, der auch den Beruf des Rechtsanwalts, Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers und vereidigten Buchprüfers ausübte. Im Kern hatte das Gericht über das Verbot einer Zweigniederlassung i. S. v. §§ 47 u. 38 Nr. 3 WPO zu entscheiden. Es stellte sich hier damit auch die Frage, wie ein etwaiger Konflikt zwischen InsO und WPO zu lösen sei. Bei den streitgegenständlichen Niederlassungen handelte es sich nämlich um Büros, die vorwiegend für Insolvenzverfahren genutzt wurden. In seinem Urteil prägte der Bundesgerichtshof erstmals den Begriff der „bereichsspezifischen Auslegung“ des Berufsrechts. Im Konfliktfall sollten die Berufspflichten von mehrfach Qualifizierten „unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Zwecks und mit Bedacht auf entgegenstehende Rechtspositionen und Ordnungsvorschriften“ ausgelegt werden.1137) Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes sei die InsO damit nicht generell anzuwenden. Das Amt des Insolvenzverwalters stelle lediglich einen Unterfall der treuhänderischen Verwaltung des Wirtschaftsprüfers nach § 2 III Nr. 3 WPO dar. Die Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers als Insolvenzverwalter sei daher nicht als „echter“ Zweitberuf ___________ 1135) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 145f. hingegen kommt zu dem Ergebnis, dass eine hinreichende Berufsausübungskontrolle anders als bei vergleichbaren Berufsgruppen mit einer Berufskammer nicht gegeben sei. Die Bedeutung und verfahrensrechtliche Eigenständigkeit der InsO stünden im Kontrast zu der fehlenden Einbindung in eine eigenständige berufsrechtliche Organisationsstruktur. 1136) Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 86; MüKoInsO/Graeber, § 56 InsO, Rn. 18. 1137) BGH, Urt. v. 12.10.2004 – WpSt (R) 1/04 (KG) = NJW 2005, 1057 (1059).

225

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

anzusehen. Aufgrund der berufsrechtlichen Defizite der InsO sei ein Rückgriff auf das umfassend normierte Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer geboten, um die bestehende Lücke der InsO füllen zu können. Der Wirtschaftsprüfer dürfe sich nicht dem Geltungsbereich der WPO entziehen können, indem er – hier in Bezug auf einige Standorte und das Zweigniederlassungsverbot – der Insolvenzverwaltertätigkeit nachgehe.1138) Bei mehrfach qualifizierten Berufsträgern sperre der Freispruch nach einer Berufsordnung nicht auch die Verfolgung einer möglichen Pflichtverletzung nach einer anderen Berufsordnung, soweit ein bereichsspezifischer disziplinarischer Überhang in der anderen Berufsordnung bestehe.1139)

586 An diesen Feststellungen hielt der Bundesgerichtshof dann in seiner Entscheidung vom Juli 2015 fest, die sich schließlich mit der Kollision zwischen InsO und BORA beschäftigte. Wiederum bezugnehmend auf die Methode der bereichsspezifischen Auslegung, stellte das Gericht fest, dass sich ein zum Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt, der in dem betroffenen Verfahren als Insolvenzverwalter Forderungen der Masse gegen einen anwaltlich vertretenen Forderungsschuldner durchsetzen wollte, dennoch an das anwaltliche Umgehungsverbot des § 12 BORA gebunden sei. Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters müsse auch hier auf die berufsrechtlichen Vorschriften desjenigen Berufes zurückgegriffen werden, dem der betroffene Verwalter angehöre. Voraussetzung sei lediglich, dass die Verwaltertätigkeit auch dem Berufsbild des jeweiligen freien Berufes zugeordnet werden könne. Dies sei hier der Fall, indem die Tätigkeit als Insolvenzverwalter zum Berufsbild des Rechtsanwalts gehöre.1140)

587 Auch in einem weiteren daraufhin folgenden Beschluss – hier des 9. Senats – will dieser eine Vergütungsvereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter einerseits und dem absonderungsberechtigten Gläubiger andererseits im Rahmen einer stillen Zwangsverwaltung neben einer festgestellten Insolvenzzweckwidrigkeit auch an einer direkten Anwendung des § 45 I Nr. 1 a) BRAO scheitern lassen, obwohl der Insolvenzverwalter in diesem Fall nicht einmal als Rechtsanwalt tätig geworden ist.1141) ___________ 1138) BGH, Urt. v. 12.10.2004 – WpSt (R) 1/04 (KG) = NJW 2005, 1057 (1058); so auch KleineCosack, EWiR 2014, 361 (362) zur Entscheidung des AGH. 1139) BGH, Urt. v. 12.10.2004 – WpSt (R) 1/04 (KG) = NJW 2005, 1057 (1057f.). 1140) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241 (3242); im Falle einer Entscheidung des Senats für Notarsachen ausdrücklich offengelassen, BGH Urtei v. 15.11.2021 – NotZ(Brfg) 2/21 = NJW-RR 2022, 278. 1141) BGH, Beschluss vom 14.7.2016 í IX ZB 31/14 = NZI 2016, 824 (Rn. 27 ff.), dies ist bereits deshalb abzulehnen, da der Insolvenzverwalter, anders als es der BGH hier sieht, bereits nicht als „Angehöriger des öffentlichen Dienstes“ auf Tatbestandsseite unter § 45 I Nr. 1 a) BRAO subsumiert werden kann, um dann die Rechtsfolge des § 45 BRAO anwenden zu können. Vielmehr handelt der Insolvenzverwalter nach hM in Ausübung eines privaten, ihm durch den Staat verliehenen Amtes, kraft eigenen Rechts im eigenen Namen, ohne dabei genuin hoheitliche Befugnisse wahrzunehmen. Dazu bereits unter Rn. 114, 115. So uneingeschränkt richtig deshalb, Depré, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Keyser, S. 117 (126 ff.).

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

1.

Kritische Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

Gerade die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kollision zwischen InsO 588 und BRAO/BORA, ist in der Literatur vorwiegend auf Kritik gestoßen. Der verfassungsrechtlich grundlegende Befund, dass die Tätigkeit des Insolvenz- 589 verwalters einen eigenständigen Beruf darstelle,1142) würde durch den Bundesgerichtshof beiseite gewischt, indem er zwischen einem verfassungsrechtlichen Berufsbegriff nach Art. 12 I GG und demjenigen der BRAO und BORA differenziere1143). Die anwaltliche Tätigkeit unterscheide sich jedoch maßgeblich von der Tätigkeit des Insolvenzverwalters, was auch der entscheidende Senat zunächst zutreffend herausgearbeitet hätte. Der Insolvenzverwalter sei kein Vertreter einer einzelnen Partei, sondern nach § 80 InsO dazu befugt, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber im Interesse des Schuldners und der Gläubiger zu verfügen. Diese Befugnis erlange er nicht durch die freie Wahl des Schuldners, sondern durch einen Hoheitsakt, die Bestellung durch das Insolvenzgericht1144). Abweichend von der Auffassung des Bundesgerichtshofes sei die Insolvenzverwaltung daher als selbstständiger Zweitberuf anzusehen.1145) Zu Recht weist der Bundesgerichtshof indes darauf hin, dass „die Vorschrift des 590 § 45 I Nr. 2 BRAO, welche der Abgrenzung des Berufs des Rechtsanwalts von nicht anwaltlichen Zweitberufen dienen soll (BT-Drucks.12/4993, S. 29), (…) zwischen der Tätigkeit des Rechtsanwalts und der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Insolvenzverwalter unterscheiden zu wollen“ scheint.1146) In der Tat seien die Unterschiede so bedeutsam, dass sich die Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts auf den Insolvenzverwalter, der zugleich (zufällig) auch Rechtsanwalt sei, verbiete. Dass der Gesetzgeber nicht die Intention verfolgte, den auch als Rechtsanwalt tätigen Insolvenzverwalter der BRAO und BORA zu unterwerfen, zeige bereits auch das Verhältnis von § 43a IV 1 BRAO und § 45 BRAO. Während § 43a IV 1 BRAO die Vertretung widerstreitender Interessen in der Funktion als Anwalt verbiete, sehe § 45 BRAO ein spezielles Tätigkeitsverbot vor, sich mit derselben Angelegenheit einmal anwaltlich und ein anderes Mal nichtanwaltlich zu befassen.1147) Genannt werde darin neben dem Richter, Staatsanwalt und Notar (§ 45 I Nr. 1 c) BRAO), ___________ 1142) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01= NZI 2004, 574 (575f.). 1143) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 22; vgl. dazu unter: Rn. 60. 1144) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 24. 1145) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (317); Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; Henssler/ Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14; Kilian, WuB 2015, 1532 (1532); Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (61f.). 1146) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 24. 1147) In der Hinsicht eindeutig: BT-Drucks.12/4993, S. 29f.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

die unstreitig nichtanwaltliche Tätigkeiten ausübten, auch der Insolvenzverwalter (§ 45 I Nr. 2 BRAO). Die Vorschrift, die folglich auf den Rollenwechsel zwischen anwaltlicher und nichtanwaltlicher Tätigkeit abstelle, bringe damit deutlich zum Ausdruck, was nach der Systematik der BRAO als nichtanwaltliche Tätigkeit anzusehen sei. Handelte es sich bei Insolvenzverwaltung dagegen um anwaltliche Tätigkeit, wäre § 45 I Nr. 2 BRAO überflüssig, da dann schon § 43a IV 1 BRAO zum Zuge käme. Der Norm des § 45 BRAO habe es bedurft, um den Gefahren vorzubeugen, die sich aus dem Wechsel zwischen anwaltlicher und nichtanwaltlicher Tätigkeit ergeben hätten. Dies bedeute aber, dass anwaltliche Tätigkeit und die eines Insolvenzverwalters grundsätzlich strikt voneinander zu trennen seien.1148)

591 Ein weiteres zentrales Argument ist die Schutzbedürftigkeit des Forderungsschuldners. Der Bundesgerichtshof stellt diesbezüglich darauf ab, dass sich aus Sicht des Forderungsschuldners „das Anspruchsschreiben eines Anwalts, der zugleich Insolvenzverwalter ist, nicht von einem entsprechenden Schreiben eines Anwalts, der einen Mandanten kraft eines ihm erteilten Auftrags (§ 675 BGB) vertritt“, unterscheide. In beiden Fällen sei er gleichermaßen schutzbedürftig, weil er sich jeweils einem sachkundigen und ihm an Rechtskenntnissen überlegenen Gegner gegenüber sehe.1149) Der Bundesgerichthof nähere sich hier der Sache jedoch von einem falschen Blickwinkel, indem er davon ausginge, dem Forderungsschuldner schreibe ein Anwalt, der zugleich Insolvenzverwalter sei.1150) Vielmehr schreibe ihm jedoch der einem eigenständigen Beruf nachgehende Insolvenzverwalter, der zugleich auch Anwalt sei. Davon ausgehend, dass es grundsätzlich sinnvoll wäre, einen anwaltlich vertretenen Schuldner vor entsprechender Post zu schützen, sei dies jedoch nicht Aufgabe der BRAO, sondern der InsO, die dann durch den Gesetzgeber entsprechend angepasst werden müsse.1151)

592 Letztlich argumentiert der Senat mit einem Verweis auf die Vorschrift des § 5 I lit. g FAO. Ein Rechtsanwalt, der die Bezeichnung „Fachanwalt für Insolvenzrecht“ führen wolle, müsse u. a. nachweisen, „als Rechtsanwalt“ persönlich und weisungsfrei mindestens fünf eröffnete Insolvenzverfahren aus dem ersten bis sechsten Teil der InsO bearbeitet zu haben. Dies sei jedoch nicht möglich, wenn es sich bei der Insolvenzverwaltung nicht um eine anwaltliche Tätigkeit handele.1152) Auch diese ___________ 1148) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (317); Kilian, WuB 2015, 1532; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 53; ähnlich Thole, NZI 2017, 737 (740) a. A. Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (455, Fn. 8); Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1058). 1149) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 28. 1150) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 29. 1151) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (317); Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); im Ergebnis auch Ries, EWiR 2015, 545 (546). 1152) BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14 = NJW 2015, 3241, Rn. 26; ähnlich bereits Hess, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, S. 453 (455, Fn. 8); Schumann, in: Einheit und Vielfalt des Rechts: Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, S. 1043 (1058).

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

Argumentation ginge jedoch fehl. Vorschriften der FAO könnten nicht die gesetzgeberische Wertung aus § 45 I Nr. 2 BRAO konterkarieren. Die von der Satzungsversammlung der BRAK erlassene FAO stehe in der Normenhierarchie unterhalb eines formellen Gesetzes. Ferner stehe nirgends geschrieben, dass Insolvenzverwaltung, weil sie im Anforderungskatalog der FAO stehe, anwaltlich sein müsse.1153) Der Fachanwalt für Insolvenzrecht sei und bleibe vielmehr Rechtsanwalt, dessen Funktion in der Beratung und Vertretung im Rahmen von Insolvenzverfahren zu sehen sei, die Insolvenzverwaltertätigkeit bestehe jedoch gerade nicht in der Beratung und Vertretung einzelner Personen.1154) Abschließend sei vor allem zu kritisieren, dass sich sowohl der Wirtschaftsprüfer- 593 senat, wie auch der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs der hier aufgeworfenen, grundlegenden Fragestellung lediglich aus dem Blickwinkel des einzelnen Berufs widmeten. Soweit die Tätigkeit des Insolvenzverwalters durch Personen verschiedener Berufsgruppen mit verschiedenen berufsrechtlichen Regelungen ergriffen werden könne, sei es kaum zu begründen, warum die Berufsausübungsfreiheit für die eine Berufsgruppe merklich eingeschränkt werde, für die andere jedoch nicht. Der damit eigentlich verfolgte Zweck, die Rechtspflege oder den Schuldner zu schützen, würde damit also davon abhängig gemacht, wer zufällig als Amtsträger bestellt wird. Sei eine bestimmte Verhaltensregel für den Insolvenzverwalter unverzichtbar und Allgemeinwohlinteressen andernfalls gefährdet, müsse der Gesetzgeber diese statuieren. In diesem Fall auf das Berufsrecht des jeweiligen Quellberufes zurückzugreifen, bedeute letztlich, dass es nicht um den Schutz etwaiger Allgemeinwohlinteressen gehe, sondern um die Pflege des Berufsbildes des Rechtsanwalts, wenn dieser als Insolvenzverwalter tätig würde. Die Berufsbildpflege sei jedoch zur Rechtfertigung einer Grundrechtsbeschränkung nicht ausreichend. Hält der Gesetzgeber eine Verhaltenspflicht für unverzichtbar, müsse er sie für den Insolvenzverwalter selbst normieren.1155)

2.

Lösungsansätze der Literatur

Neben dem ausführlich dargestellten Lösungsansatz des Bundesgerichtshofes, der 594 zur Füllung der nach Ansicht des Gerichts bestehenden Lücken der InsO eine be-

___________ 1153) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (318); Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 19; Kilian, WuB 2015, 1532 (1534). 1154) Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (62). 1155) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (318); Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); Prütting, ZIP 2016, Beil. zu. Heft 22, 61 (62); ähnlich bereits Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 328, die den Zweck einer Bindung an das anwaltliche Berufrecht darin sieht, der Einhaltung anwaltlicher Pflichten zur Durchsetzung zu verhelfen.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

reichsspezifische Auslegung des jeweiligen Berufsrechts des Quellberufes befürwortet,1156) wurden in der Literatur auch andere Lösungsansätze erarbeitet.

595 Die gegenteilige Auffassung sieht die Tätigkeit des Insolvenzverwalters u. a. aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als einen selbstständigen Zweitberuf an. Auf diesen sei allein die InsO anzuwenden. Der Insolvenzverwalter werde bei Ausübung seiner Tätigkeit nicht im Rahmen seines Quellberufes tätig.1157)

596 Auch Kästner folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht. Er schlägt eine vermittelnde Lösung vor, die vorsieht, in einem ersten Prüfungsschritt zunächst zu prüfen, ob die InsO als lex specialis eine abschließende bzw. ausschließliche Regelung zu der jeweils streitgegenständlichen Handlung vorsieht. Wenn dies der Fall sei, müsse die InsO angewendet werden. Wenn die InsO den jeweiligen Sachverhalt nicht abschließend bzw. nicht ausschließlich regele, müsse geprüft werden, ob das „Primärberufsrecht“ – also dasjenige Berufsrecht, dem der jeweilige Berufsträger in seinem Quellberuf unterliegt – eine entsprechende Regelung vorsähe. In einem zweiten Prüfungsschritt sei dann nach den Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, ob diese primärberufsrechtliche Regelung auf die Handlung des Insolvenzverwalters angewandt werden könne.1158)

___________ 1156) Dem Bundesgerichtshof folgend: Bork, in: Die Verwalterauswahl, Teil A, Rn. 102; KleineCosack, EWiR 2014, 361; Römermann/Praß, ZInsO 2011, 1576 (1577); i. E. ferner bereits Henssler, ZIP 2002, 1053 (1064 ff.); die Insolvenzverwaltertätigkeit demnach als unechten Zweitberuf ansehend, Weyland/Brüggemann, Einl., Rn. 18 ff., wie im Übrigen wohl auch die überwiegende Anzahl der RAK, vgl. Doppler, BRAK-Mitt. 2014, 19 (19); ferner auch Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (644), der jedoch gleichzeitig anerkennt, dass die Anwendung der BORA unpassend sei und den als Rechtsanwalt zugelassenen Insolvenzverwalter über Gebühr einschränke; nunmehr auch Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 63, 77, ebenso gelte dies auch für die Insolvenzverwalter die in ihrem Grundberuf als Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater tätig sind, S. 74, 77. 1157) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (319); ders./Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2297); Depré, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Keyser, S. 117 (126 ff.); Frind, ZInsO 2017, 363 (369); Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; K. Schmidt/Ries, § 56 InsO, Rn. 61; Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (62); Vallender, ZIP 2019, 158 (161); wohl auch Braun/Frank, NZI 2020, 1 (4); ebenso wohl Braun/Blümle, § 56 InsO, Rn. 40 ff. der nach der zeitlichen Reihenfolge der Tätigkeit differenziert; hingegen gehen Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 21 davon aus, dass die InsO gegenüber den sonstigen Berufsrechten als lex specialis anzuwenden sei; Henssler/Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14, jedoch offenlassend, in welchem Umfang anwaltliches Berufsrecht angewendet werden müsse, wenn ein Rechtsanwalt das Amt ausübt. 1158) Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 151 ff; ähnlich bereits Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 46 der insoweit für einen insolvenzspezifischen Auslegungsvorbehalt plädiert, der dann auch die Grenzen einer berufsrechtlichen Öffnung makiere.

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

3.

Exkurs: Anwendung von Primärberufsrecht bei Testamentsvollstreckern und Mediatoren

Eindeutiger als zuvor wird die Frage nach dem anwendbaren Recht etwa für den 597 Testamentsvollstrecker beantwortet. Auch diese Tätigkeit darf von Personen ausgeübt werden, die in ihrem Quellberuf etwa einer Tätigkeit als Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nachgehen. Nach – soweit ersichtlich – überwiegender Ansicht sei auf den Testamentsvollstrecker das Berufsrecht seines jeweiligen Quellberufes anwendbar.1159) Soweit als Testamentsvollstrecker ein Rechtsanwalt tätig würde, handele es sich etwa um eine anwaltliche Tätigkeit i. S. v. § 3 I BRAO. Der Rechtsanwalt würde also als berufener unabhängiger Berater und Vertreter in einer Rechtsangelegenheit tätig, die Testamentsvollstreckung stelle folglich eine berufstypische Tätigkeit dar. Der anwaltliche Testamentsvollstrecker unterläge insofern allen berufsrechtlichen Pflichten eines Rechtsanwalts, die in der BRAO und BORA geregelt seien. Dies gelte insbesondere für die Grundpflichten der §§ 43, 43a BRAO. Ferner unterliege der anwaltliche Testamentsvollstrecker auch dem Sanktionssystem des anwaltlichen Berufsrechts. Bei Pflichtverstößen könnten diese durch Rüge der Rechtsanwaltskammer oder in einem anwaltsgerichtlichen Verfahren verfolgt und geahndet werden.1160) Dasselbe kann auch für Testamentsvollstrecker festgestellt werden, die in ihrem Quellberuf etwa als Steuerberater1161) oder Wirtschaftsprüfer1162) tätig sind. Diese Ansicht besteht im Vergleich zu den oben dargestellten, höchst umstrittenen 598 Meinungsbild in Bezug auf die Tätigkeit des Insolvenzverwalters, obwohl beide Tätigkeiten sich in ihrer Rechtsstellung als Träger eines privaten Amtes nach der Amtstheorie gleichen.1163) Dieser überwiegenden Ansicht folgend, müsste gleiches dann auch für die Tätigkeit als Zwangsverwalter, Nachlassverwalter und Betreuer gelten.1164) ___________ 1159) Bengel/Reimann/Sandkühler, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 11, Rn. 2, 9 m. w. N.; Henssler, ZIP 2002, 1053 (1064); Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 92. 1160) Bengel/Reimann/Sandkühler, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 11, Rn. 10; Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 92. 1161) Bengel/Reimann/Sandkühler, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 11 Rn. 43 ff.; Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 96. 1162) Bengel/Reimann/Sandkühler, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 11 Rn. 54f.; Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis, Rn. 99. 1163) MüKoBGB/Zimmermann, Vor. § 2197, Rn. 5. 1164) Vgl. etwa Henssler, ZIP 2002, 1053 (1064); zweifelnd, Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (319); die Zuordnung für umstritten haltend etwa: Henssler/Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

599 Dem kann hier jedoch nicht gefolgt werden. Auch die Tätigkeit des Berufsbetreuers scheint sich mittlerweile etwa zu einem eigenen Beruf entwickelt zu haben1165) und müsste konsequenterweise nicht als anwaltliche Tätigkeit angesehen werden. Auch für sie sollte das anwaltliche Berufsrecht insofern nicht anwendbar sein.1166) Gleiches muss nach Ansicht des Verfassers auch für den Testamentsvollstrecker gelten. Er ist nicht Vertreter des Erblassers, sondern bekommt das Amt lediglich von ihm übertragen. Er handelt zudem kraft eigenen Rechts, unabhängig vom Willen des Erben und nur an das Gesetz und die letztwilligen Anordnungen des Erblassers gebunden.1167) Es ist daher anzuzweifeln, in der amtlichen bzw. zumindest amtsähnlichen Tätigkeit des Testamentsvollstreckers eine anwaltliche Tätigkeit i. S. v. § 3 BRAO zu sehen. Wird er doch gerade nicht als unabhängiger Berater und Vertreter in einer Rechtsangelegenheit tätig, sondern unabhängig vom Willen des Erben, und im eigenen Namen, aber – im Rahmen der letztwilligen Anordnungen des Erblassers – doch im Interesse anderer, vor allem der Erben als den Rechtsträgern der Nachlassgegenstände.1168)

600 Überschneidungen ergeben sich ferner auch im Bereich der Mediation. Auch hier werden sowohl Rechtsanwälte wie auch Nichtjuristen tätig. Etwaigen berufsrechtlichen Kollisionen wurde in diesem Bereich jedoch vorbeugend entgegengetreten, indem der Gesetzgeber ein eigenes Mediationsgesetz geschaffen hat. Während Hess zunächst die Schaffung eines Berufsrechts für nicht erforderlich erachtete und etwa Änderungen innerhalb des anwaltlichen Berufsrechts für zielführender hielt,1169) wollte der Gesetzgeber mit dem MediationsG die berufsrechtlichen Regelungen der Grundberufe in einigen Bereichen verdrängen, soweit zwischen ihnen ein Widerspruch besteht. Der Gesetzgeber wollte also zu einer berufsrechtlichen Vereinheitlichung im Bereich der Mediation Sorge tragen.1170) So sei es den Parteien etwa

___________ 1165) Vgl. Kluth, Vortrag: Rechtsgutachten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung einer (Bundes-)Kammer für Betreuer, abrufbar unter: https://www.berufsbetreuung.de/ berufsbetreuung/qualitaetssicherung-berufsentwicklung/berufskammer/vortrag-rechtsgutachten-zu-den-rechtlichen-rahmenbedingungen-fuer-die-errichtung-einer-bundes-kammer-fuerbetreuer/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Kluth, in: Jetzt erst recht: Das Überleben der beruflichen Betreuung sichern! Jahrbuch BdB 2019. 1166) Vgl. Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; Henssler/Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14. 1167) Soergel/Damrau, Vor. § 2197, Rn. 5 (13. Aufl., 2003); anders als der Insolvenzverwalter ist der Testamentsvollstrecker allerdings kein Funktionsträger in einem staatlichen Rechtspflegeverfahren, Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 306, 360. 1168) I. E. ebenso: Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; Henssler/Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14. 1169) Hess, Gutachten F zum 67. Deutschen Juristentag – Mediation und weitere Verfahren konsensualer Streitbeilegung – Regelungsbedarf im Verfahrens- und Berufsrecht, S. 121f. 1170) Vgl. BT-Drs. 17/5335, S. 14.

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

nicht zu vermitteln, dass unterschiedliche Mediatoren aufgrund ihrer unterschiedlichen Grundberufe verschiedenen Verschwiegenheitspflichten unterlägen.1171) Auch wenn es sich bei der Tätigkeit des Mediators nicht um eine amtliche oder 601 amtsähnliche Tätigkeit handelt wie es bei den anderen, oben genannten Berufen der Fall ist, erkennt der Gesetzgeber, dass es sich nicht um eine anwaltliche oder vergleichbare Tätigkeit handelt. Indem er mit dem MediationsG als lex specialis eine bereichsspezifische Spezialregelung schafft, erkennt er, dass das Berufsrecht der Grundberufe nicht zu einer flächendeckenden Regulierung führen würde und deshalb auf dessen Basis den Parteien kein einheitlicher Schutz gewährt werden könnte. So stellt er etwa für die Verschwiegenheitspflicht fest, dass die Berufsregelungen in dieser Hinsicht zu einem unterschiedlichen Schutzniveau führen würden.1172) Grundsätzlich geht er dabei jedoch davon aus, dass die Berufsrechte der jeweiligen Quellberufe Anwendung finden, sonst könnte keine Kollision zwischen ihnen entstehen. Damit besteht im Vergleich zum Insolvenzverwalter und den oben genannten, be- 602 rufsverwandten Tätigkeiten eine andere Ausgangslage. Diese Tätigkeiten stellen nach hier vertretener Ansicht gerade keine anwaltlichen Tätigkeiten dar und unterliegen keiner Anwendung des Quellberufsrechts. Die Schaffung einer nur auf widersprüchliche Regelungen der betroffenen Quellberufe abzielenden Berufsordnung, wie dem MediationsG, kommt mangels Anwendbarkeit der Primärberufsrechte daher nicht in Betracht.

II. Stellungnahme: Keine Anwendbarkeit des Quellberufsrecht Nach Ansicht des Verfassers kann die oben dargestellte Rechtsprechung des Bun- 603 desgerichtshofs nicht überzeugen. Vielmehr ist der oben geschilderten Kritik im Wesentlichen zuzustimmen. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalter ist als eigenständiger Zweitberuf anzusehen.1173) Das jeweilige Berufsrecht seines Quellberufes wirkt folglich nicht bei Ausübung seines Amtes als Insolvenzverwalter fort. So vermag zunächst etwa rechtsdogmatisch auch eine Rechtsfortbildung nicht ü- 604 berzeugen. Eine weite Auslegung bzw. sinngemäße Weiterentwicklung geschriebenen Rechts setze zumindest das Vorhandensein eines gesetzlichen Anknüp___________ 1171) BT-Drs. 17/5335, S. 17. 1172) Vgl. BT-Drs. 17/5335, S. 17. 1173) Anderer Ansicht nun Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 87, der in der Insolvenzverwaltertätigkeit nur einen Ausschnitt aus dem Berufsbild der Grundberufe des Rechtsanwalts, Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters sieht; offengelassen durch, BGH Urtei v. 15.11.2021 – NotZ(Brfg) 2/21 = NJW-RR 2022, 278, der jedoch ebenfalls die Rolle des Rechtsanwalts als einseitiger Interessenverteter gegenüber der Stellung des Insolvenzverwalters bei Ausübung seines Amts herausarbeitet.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

fungspunktes voraus. Eine Berufsordnung für Insolvenzverwalter hat der Gesetzgeber jedoch nicht geschaffen. Ein formelles Gesetz an das anzuknüpfen wäre bestehe nicht. So hat der Gesetzgeber durch §§ 56, 56a InsO bereits von seiner Gesetzgebungskompetenz – wenn auch unzureichend – gebrauch gemacht und die Bestellung sowie ferner die Aufsicht (§ 58 InsO) über ihn geregelt. Die Vorschriften der InsO ließen daher keine grundsätzliche Regelungslücke erkennen, die nun etwa durch die Rechtsprechung geschlossen werden müsste.1174)

605 Darüber hinaus hinge das Maß der beruflichen Regulierung im Einzelfall vom Zufall bzw. davon ab, welchem Quellberuf der jeweilige Insolvenzverwalter angehöre.1175) Dies kann jedoch bereits aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht überzeugen.1176) Nicht nur das Schutzniveau in Bezug auf die Rechtspflege sowie für die Verfahrensbeteiligten hinge von der Unterschiedlichkeit der jeweils ausgeübten Quellberufe ab, sondern eben auch die Eingriffsintensität einer etwaigen Grundrechtsbeschränkung durch das jeweilige anwendbare Berufsrecht des Quellberufes. Neben verfassungsrechtlichen Grundsätzen kann dies auch marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht genügen, würden die den verschiedenen Quellberufen angehörigen Verwalter doch ebenso unter unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen tätig sein1177) und auch ihr Marktzugang unterschiedlich streng reguliert sein.

606 Diese Probleme bleiben bei allen genannten Modellen insolvenzspezifischer Auslegung bestehen. Es ist zu befürchten, dass nicht zu einer einheitlichen Bewertung der Rechte- und Pflichten des Insolvenzverwalters gelangt werden kann. Eben dieser Umstand hat den Gesetzgeber schließlich dazu bewogen, im Rahmen der Mediation eine Spezialregelung zu schaffen, die eindeutig den berufsrechtlichen Regelungen als lex specialis vor geht, indem sie in den Kernbereichen eine einheitliche Bewertung der Rechte- und Pflichten des Mediators unabhängig von seinem Quellberuf erlaubt.

607 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es nach wie vor eine Minderheit bestellter Insolvenzverwalter gibt, die in ihrem Quellberuf keinem spezifischen Berufsrecht unterliegen. Diese Verwalter unterlägen folglich gar keinen insolvenzspezifisch ausgelegten, berufsrechtlichen Regularien, was die geschilderte Ungleichbehandlung des Regelungs- bzw. Schutzniveaus noch weiter verschärft. ___________ 1174) Depré, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Keyser, S. 117 (129), der mit Blick auf den Beschluss des BGH vom 14.7.2016 í IX ZB 31/14 = NZI 2016, 824, die Heranziehung von § 45 I Nr. 1 BRAO [§ 45 I Nr. 1 a) BRAO n. F.] im Ergebnis für einen materiellen Verstoß gegen Verfassungsrecht hält, da dessen Anwendung nicht in Einklang mit dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip zu bringen sei (130). Hiermit ist auch die oben geschilderte vermittelnde Lösung von Kästner abzulehnen. 1175) Kilian, WuB 2015, 1532 (1534). 1176) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (318); Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (62). 1177) Kilian, WuB 2015, 1532 (1534).

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B. Geltung quellberuflicher Vorschriften für den Insolvenzverwalter

Des Weiteren dürfte eine wie oben geschilderte Anwendung der verschiedenen Be- 608 rufsrechte auf den Insolvenzverwalter gleichsam rückwirkend auch zu Modifikationen innerhalb derselbigen führen, da sie im Blick auf alle Problemstellungen insolvenzspezifisch auszulegen wären.1178) So waren im Bereich des anwaltlichen Berufsrechts negative Wechselwirkungen etwa bereits bei der Einführung der §§ 46 ff. BRAO zu beobachten.1179) In das anwaltliche Berufsrecht weiter unterschiedliche (berufsunspezifische) Maßstäben zu implementieren und dadurch u. U. einer zunehmenden Liberalisierung Vorschub zu leisten und ggf. weitere Systembrüche in der BRAO hervorzurufen, kann nicht gewollt sein.1180) Problematisch erscheint in dieser Hinsicht auch, zentrale Vorschriften der Berufsrechte, wie etwa die Verschwiegenheitspflicht,1181) auszuklammern, wenn ein Berufsträger der normalerweise der BRAO, StBerG oder WPO unterliegt, als Insolvenzverwalter tätig wird.1182) Hinzukommen schließlich auch Rechtsunsicherheiten, da für jede einzelne Berufspflicht zunächst geprüft werden müsste, ob und wie sie auf den Insolvenzverwalter angewendet werden kann.1183) Letztlich gehe auch der Gesetzgeber an mehreren Stellen nicht von einer anwaltlichen Tätigkeit aus. Neben der gesetzlichen Wertung des § 45 I Nr. 2 BRAO fände auch das RVG ausdrücklich keine Anwendung auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts, der als Vormund, Betreuer, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter usw. tätig würde.1184) Im Ergebnis ist folglich zu entscheiden, ob eine berufsrechtliche Parzellierung der 609 Verwaltertätigkeit, die mit einer Modifizierung der anwendbaren Berufsrechte ein-

___________ 1178) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 47 1179) Deckenbrock/Henssler, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 224 (251); Wolf, BRAK-Mitt. 2016, 9 (15). 1180) So im Rahmen der Neuregelung des Syndikusanwaltsrechts festgestellt: Deckenbrock/ Henssler, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 224 (228 ff., 239); Singer, DB 40/2015, S11; Wolf, BRAK-Mitt. 2016, 9 (13f.); Wolf, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 254 (262). 1181) Die Verschwiegenheitspflichten der BRAO, des StBerG und der WPO gelangt bei der Ausübung des Amtes des Insolvenzverwalters nicht zur Anwendung, unabhängig davon, ob seine Tätigkeit als eigenständiger Zweitberuf anerkannt wird oder nicht (Deckenbrock/ Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2298)). Bei der Verschwiegenheitspflicht der Berufsordnungen handelt es sich um eine völlig andere Verpflichtung, als jene Verschwiegenheitpflicht des Insolvenzverfahrens (Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 17). Erstere ist Ausfluss der Vertrauensbeziehung des jeweiligen Berufsträgers zu seinem Mandanten, für das Insolvenzverfahren ist eine Verschwiegenheitspflicht hingegen nicht geregelt, sondern leitet sich aus dem Zweck des Insolvenzverfahrens her (ausführlich: Bork, ZIP 2007, 793; Deckenbrock/ Fleckner, ZIP 2005, 2290; vgl. auch Bergner/Berg, NZI 2020, 259). 1182) Vgl. Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 15. 1183) Deckenbrock/Fleckner, NJW 2005, 1165 (1168).; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 48. 1184) Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 18.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

herginge, eher hinzunehmen ist, als ein (jedenfalls einige Normen auslassendes) berufsrechtliches Vakuum in einigen Bereichen des Insolvenzverfahrens.1185)

610 Freilich ist nachvollziehbar, dass die Anwendung des Berufsrechts der jeweiligen Quellberufe bisher praktisch aus Vorsichtsgründen vorgenommen wird. Über diese Erwägungen hinaus kann sie jedoch nicht überzeugen. Die Tätigkeiten amtlicher oder amtsähnlicher Berufe kann gerade nicht als unabhängige Beratung oder Vertretung in einer Rechtsangelegenheit, insofern nicht als anwaltliche Tätigkeiten i. S. v. § 3 I BRAO angesehen werden. Sie unterscheiden sich vielmehr von diesen, indem sie ein privates Amt ausüben und – zumindest für Insolvenzverwalter geltend – als Funktionsträger für ein bestimmtes Verfahren an der Verfahrenshoheit des Gerichts partizipieren1186). Der Insolvenzverwalter ist gerade nicht der Vertreter eines einzelnen Beteiligten, sondern dazu bestellt, die Gesamtvollstreckung zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubigergemeinschaft durchzuführen. Als Funktionsträger des Gerichts wird er eingesetzt, um dazu beizutragen, dass die staatliche Justizgewährungspflicht bei gleichzeitiger staatlicher Beschneidung der Einzelzwangsvollstreckung dennoch gewährleistet wird. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber der subjektiv-parteilichen Loyalitätspflicht des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten. Der Insolvenzverwalter leitet seine (amtlichen) Rechte und Pflichten daher schlussendlich nicht aus einer beruflichen Vorprägung oder speziellen Eigenschaften seines Quellberufes ab, sondern allein aus dem ihm übertragenen Amt und dem dazugehörigen, anwendbaren Verfahrensrecht.1187)

III. Eigener Ansatz: Berufsaufsicht zwischen Quellberufsrecht und Insolvenzordnung 611 Mit der Annahme einer grundsätzlichen Unanwendbarkeit des Quellberufsrechtes auf den Insolvenzverwalter ist nunmehr fraglich, wie eine Berufsaufsicht künftig zu gestalten ist. Für die Befürworter einer bereichsspezifischen Auslegung käme neben der insolvenzgerichtlichen Verfahrensaufsicht auch eine generelle Aufsicht durch die jeweilige Berufskammer in Betracht, die die Einhaltung des jeweiligen Berufsrechts beaufsichtigt, soweit es denn im Wege der Auslegung des Bundesgerichtshofes anwendbar ist.1188)

___________ 1185) Vgl. Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 48. 1186) Zur Rechtsstellung des Insolvenzverwalters bereits oben unter Rn. 86. 1187) Vgl. Depré, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Keyser, S. 117 (126, 129); Ries, EWiR 2015, 545 (546); Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 328; Prütting, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 61 (62). 1188) So nun Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 67, 71, 77.

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

Sofern hier die grundsätzliche Anwendbarkeit des Quellberufsrechts ausgeschlos- 612 sen ist, wird jedoch auch einer parallel bestehenden Aufsicht durch die Kammer zunächst der Boden entzogen; sie kann schließlich nur das jeweils einschlägige Berufsrecht eines Berufsträgers beaufsichtigen. Nach hier vertretener Ansicht ist es de lege ferenda jedoch grundsätzlich wün- 613 schenswert, neben anderen verfahrensübergreifenden Instrumentarien (dazu sogleich), zumindest partiell eine verfahrensübergreifende Berufsaufsicht durch die Kammern zu gewähren. Der Berufszugang sollte daher de lege ferenda an die Kammermitgliedschaft einer Rechtsanwalts-, Wirtschaftsprüfer-, oder Steuerberaterkammer geknüpft werden.1189) Diese Berufskammern sollten dann auch für den Insolvenzverwalter künftig in § 56 InsO zu normierende und herauszuarbeitende „core values“ überwachen dürfen, auch wenn sie im konkreten Fall als Insolvenzverwalter tätig sind. Im Rahmen dieser an die Grundpflichten der betroffenen Berufsgruppen (§ 43a BRAO, § 43 WPO, § 57 StBerG)1190) angelehnten „core values“ zeichnet sich ein weitgehend vergleichbares Schutzniveau ab. Da die Quellberufsrechte jedoch grundsätzlich nicht auf den Insolvenzverwalter 614 anzuwenden sind, muss der Gesetzgeber soweit er einzelne Pflichten für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters vorschreiben will, diese mit den oben genannten Argumenten innerhalb der InsO normieren, um ein einheitliches Schutzniveau für alle Insolvenzverwalter zu gewähren. Diese Pflichten sind dann ausschließlich durch das Insolvenzgericht im Zuge der Verfahrensaufsicht zu beaufsichtigen.

C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda Die in der Diskussion um eine Reform bzw. Regulierung des Insolvenzverwalterberu- 615 fes angestellten Überlegungen und Vorschläge lassen sich zumeist in umfassende oder eher „minimalinvasive“1191) Konzepte einordnen. Gesprochen wurde häufig von Anhängern einer „kleinen“ bzw. „großen Lösung“.1192) Anhänger der sog. „große Lösung“ favorisierten dabei eine möglichst umfassende Regelung der Berufszulassung, ___________ 1189) Vgl. auch Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760). 1190) Für den Rechtsanwalt vor allem: Unabhängigkeit, Verschwiegenheitspflicht, Sachlichkeit, Verbot widerstreitender Interessen, Sorfaltspflicht im Umgang mit fremden Geldern, Fortbildungspflicht; für den Wirtschaftsprüfer insbesondere: Unabhängigkeit, Gewissenhaftigkeit, Verschwiegenheit, Eigenverantwortlichkeit, Unparteilichkeit, Fortbildungspflicht; für den Steuerberater insbesondere: Unabhängigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Verschwiegenheit, Fortbildungspflicht 1191) So verwendet von, Weitzmann in: Pressemitteilung der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung im DAV 06/2018 vom 9.7.2018, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/ inso-6-18-arbeitsgemeinschaft-fordert-abschaffung-der-kennzahlen-bei-insolvenzverwalterauswahl (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1192) Vgl. Vallender, ZIP 2019, 158 (159).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

-ausübung und -aufsicht des Insolvenzverwalters sowie auch von Sachwaltern, Beratern und dem neu zu schaffenden Restrukturierungsverwalter. Befürworter der sog. „kleine Lösung“ ziehen es hingegen vor, zunächst nur Regelungen über den Berufszugang und für die Schaffung einer bundeseinheitlichen Vorauswahlliste zu implementieren. Auch Kombinationen, etwa aus mehreren regionalen Insolvenzverwalterkammern sowie zusätzlich einer Bundesinsolvenzverwalterkammer werden diskutiert.1193)

616 Streitpunkt der verschiedenen Ansätze war vorwiegend die Notwendigkeit bzw. Ausgestaltung einer etwaigen „Verkammerung“ des Insolvenzverwalterberufes. Dazu wurden verschiedene Ansätze diskutiert. Die Forderung nach einer derart umfassenden Lösung dürfte seit kurzem auf dem Rückzug sein. Die im Verlaufe der Zeit diskutierten Modelle dürften sich nunmehr einander angenähert haben. Diese Modelle und ihre Weiterentwicklung sollen im Folgenden dargestellt werden.

617 Auf das von Henssler kürzlich vorgestellte Gutachten zur „Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter“ wird später im Rahmen der eigenen Änderungsvorschläge eingegangen.1194)

I.

Vorschlag des BAKinso e. V.1195) – Übertragung des Vorauswahlsystems an das BfJ

618 Als „kleine Lösung“ wird der Ansatz des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte e. V. zu bezeichnen sein. Der BAKinso hält eine Verkammerung des Insolvenzverwalterberufes nicht für notwendig. Ferner wird auch eine die Verhaltensregeln des jeweiligen Auftrags regulierende Berufsordnung für nicht notwendig erachtet. Ausreichend sei vielmehr eine Zulassungsordnung als „Berufsordnung ersten Grades“.

619 Ausgangspunkt der Reformbestrebungen des BAKinso ist die Neuordnung des Vorauswahllistensystems. Geschaffen werden solle eine bundesweite und öffentliche Vorauswahlliste, aus der in Zukunft ausschließlich bestellt werden dürfe und die Gerichte, Gläubiger und Schuldnerunternehmen gleichermaßen nutzten. Diese Vorauswahlliste solle zudem eine Suchfunktion über die Verwalterfähigkeiten bieten, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert und auch kontrolliert werden solle. Das Führen dieser Liste soll eine unabhängige Stelle übernehmen; konkret solle im Rahmen einer entsprechenden Zulassungsordnung eine eigene Abteilung für diese ___________ 1193) So: Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (passim); in Bezug auf regionale Kammern, jedoch unter der Aufsicht des Bundesamts für Justiz, ähnlich Brzoza, NZI 2021, 513 (516). 1194) Zur Kurzfassung vgl. Henssler, NZI 2020, 193. 1195) Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf: BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, m. w. N. Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); sowie ferner: BAKinso e. V., Entschließung der BAKinso e. V.Jahrestagung am 25.11.2019: Gesetzliche Regelungen zum „Berufsrecht“ für Insolvenzverwalter*innen/Sachwalter*innen/PIFOR (Restrukturierungsbeauftragte), brufbar unter: https:// www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/entschließungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

Aufgabe beim Bundesamt für Justiz eingerichtet werden.1196) An diese Stelle seien dann Bewerbungen und Informationen der Verwalterschaft zu richten. Eine entsprechende Zulassungsordnung solle darüber hinaus auch konkrete Angaben 620 über die Anforderungskriterien enthalten, die für die Listenaufnahme notwendig sind und als Informationen auf der Liste bereitgestellt werden sollten. Unterschieden wird dabei zwischen formellen1197) und materiellen1198) Kriterien. Kennzahlen sollen dabei weitestgehend nicht erhoben werden.1199) Ebenfalls solle ein transparentes De-Listing-Verfahren durch die Zulassungsstelle 621 durchgeführt werden. Ein De-Listing solle auch möglich sein, wenn angefragte Kriterien nicht eingereicht würden und auch nach Abmahnung durch die Behörde nicht reagiert werde. Denkbar wäre zudem auch eine gesetzliche Bedarfsregelung, nach der die Liste bei einer bestimmten Anzahl abgeriegelt werde und Neubewerber nur bei Abgängen aufgenommen würden. Bestehende Zweifel und Schwierigkeiten an einer Bedarfsregelung sieht jedoch auch der BAKinso selbst in seinem Entschlusspapier, weswegen er auch – und wohl alternativ – eine Fachprüfung für Insolvenzverwalter befürwortet. Den sich im Kern ausschließlich auf eine nähere gesetzliche Ausgestaltung des 622 Auswahlsystems konzentrierenden Ansatz sowie die damit einhergehende Neuerrichtung einer eigenen Behörde für die Aufgaben der Vorauswahllistenpflege hält der BAKinso für ausreichend.1200) Weitergehende Verhaltensregeln für Insolvenzverwalter müssten nicht im Rahmen einer Berufsordnung geschaffen werden. Eine unabhängige Behörde für die Listenpflege sei zudem einer Kammer vorzuziehen. Eine konkurrierende Regelung zu den Aufsichtsmaßnahmen des § 58 InsO sei nicht notwendig. ___________ 1196) Für eine zentrale bei dem Bundesamt für Justiz geführte Bundesdatenbank und 24 regionale Vorauswahllisten, Brzoza, NZI 2021, 513 (515 ff.). 1197) Dazu gehören: Ausbildungsnachweise, akademische Laufbahn, Sprachkenntnisse, Versicherungsstand, Verbandmitgliedschaften und regelhafter immer jährlich neu einzureichender BZRG-Auszug, etc. 1198) Dazu gehören beispielweise: Anzahl, Lage und Ausstattung der jeweiligen Büros; Anzahl der volljuristischen Mitarbeiter/innen; Anzahl der sachbearbeitenden Mitarbeiterinnen (Organigramm); Fortbildungsnachweise; Nennung der Vertretung ständiger Mandate von institutionellen Gläubigern; Nachweis eines funktionierenden „Conflict check-Systems“; Anzahl der Insolvenzgerichte bei denen der gelistete Verwalter bestellt wird; Bereichsspezifische Erfahrungen. 1199) Einzig den durchschnittlichen prozentualen Anteil der Vergütung des Verwalters in seinen schlussgerechneten Verfahren der letzten drei Jahre mit Teilungsmassen (ohne Stundungsverfahren) in den Kategorien bis 25.000 EUR, bis 250.000 EUR und über 250.000 EUR sollen abgefragt werden. 1200) Die Zuständigkeit einer Behörde für die Aufgaben um die Vorauswahlliste befürwortend, Brzoza, NZI 2021, 513 (515 ff.); Neubert, ZInsO 2010, 73 (78); Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93; ebenso und ausführlich zum skizzierten Vorschlag, Frind, ZInsO 2017, 2146; ähnlich zumindest übergangsweise wohl auch, Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

623 Die Aufsichtsanforderungen könnten durch die Insolvenzgerichte derzeit zudem zielgenau und verhältnisgerecht durchgesetzt werden. Im Gegensatz zum derzeitigen – verhältnismäßigkeitsgeprägten – Zusammenspiel aus gerichtlicher und gläubigerautonomer Aufsicht, berge eine starre Berufsordnung die Gefahr, entweder „zu laxe“ oder „zu strenge“ Regeln aufzustellen. Es sei daher auch zu begrüßen, dass der Gesetzgeber von einer enumerativen Aufzählung bei den §§ 58, 59 InsO abgesehen habe. Es fehle nicht an Aufsicht, sondern an gerichtlichen Druckmöglichkeiten zur Umsetzung der Aufsicht. Das Zwangsgeldsystem müsse daher „nachgeschärft“ werden.

624 Grundsätze des Reformvorschlags des BAKinso sind als richtig anzusehen und überschneiden sich mit oben angestellten Untersuchungen. Dies gilt etwa für die Verbesserung der gerichtlichen Aufsicht, die in ihren Grundzügen als geeignet angesehen wird und die – ergänzt durch die Zweckmäßigkeitskontrolle der Gläubigerschaft – zu einer grundsätzlich verhältnismäßigen Verfahrensaufsicht führt. Dies gilt ebenso für das grundsätzlich reformbedürftige Auswahlverfahren. Eine gesetzliche Normierung des Vorauswahllistensystem ist zu befürworten. Gleiches gilt für eine bundeseinheitliche Vorauswahlliste mit Suchkriterien, die dann den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt werden soll. Auch Zulassungskriterien sollten grundsätzlich geschaffen werden. Zuzustimmen ist dem BAKinso auch darin, dass er weder eine eigenständige Kammer noch eine eigenständige Berufsordnung für die Verhaltensregeln der Insolvenzverwalter für erforderlich hält (dazu sogleich).

625 Nicht zielführend erscheint es jedoch, eine staatliche Stelle, etwa das Bundesamt für Justiz mit dem Führen der Vorauswahlliste zu betrauen. Würde dies doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf große Akzeptanz bei den betroffenen Insolvenzverwaltern stoßen. Diese müssten sich bei Fragen oder Streitigkeiten rund um das Listing bzw. Delisting mit – im Vergleich zu Kammern – sachferneren Verwaltungsbeamten auseinandersetzen. Gegen eine unmittelbare Staatsaufsicht spricht aber vor allem das Selbstverständnis der sich selbst verwaltenden freien Berufe.1201) Rein regelungstechnisch müsste eine entsprechende Stelle außerdem zunächst mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet werden; Vorbilder gibt es hierfür ersichtlich derzeit nicht.

626 Berücksichtige man indes, dass über rund 90 % der Insolvenzverwalter auch als Rechtsanwalt zugelassen seien,1202) ihre Daten damit ohnehin bereits bei den Rechtsanwaltskammern erfasst seien, so erscheine die Verortung dieser Aufgabe in der Kammerorganisation der Rechtsanwälte gleichwohl vorzugswürdig zu sein.1203) ___________ 1201) Vgl. Flöther, INDat Report 09/2019, S. 35; Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 (158). 1202) Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174. 1203) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 115.

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

II. Vorschlag des VID1204) In deutlichem Gegensatz zu dem oben bevorzugten Modell des BAKinso, steht der 627 deutlich umfassendere Vorschlag des Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID), der daher entsprechend als „große Lösung“ bezeichnet wurde (Rn. 628), nun jedoch kürzlich einer Neuausrichtung unterzogen worden ist (Rn. 638).

1.

Ursprüngliche Reformbestrebung – die eigenständige Insolvenzverwalterkammer

Ursprünglich sah der Reformvorschlag des VID die Schaffung eines (umfassen- 628 den) Berufsrechts zu den Bereichen der Ausbildung, Zulassung, Berufsausübung, Aufsicht und Vergütung von Insolvenzverwaltern vor. Nur so konnte nach Ansicht des VID das bestehende Rechtsvakuum rechtssicher und verfassungskonform geschlossen werden. Zur Steigerung von Fachkompetenz und Qualität sollte eine Ausbildung und Be- 629 rufszulassung für den Insolvenzverwalterberuf zwingend erforderlich sein. Einem erfolgreichen Hochschulstudium sollte sich eine dreijährige Ausbildungs- und Vorbereitungszeit anschließen, die letztlich durch eine staatliche Prüfung1205) abzuschließen sei sollte. Diese Zulassungsprüfung sollte einer staatlichen Stelle zugewiesen werden und die Absolventen sollten anschließend ihre Berufszulassung erhalten, indem sie in ein bundeseinheitliches Amtsträgerregister eingetragen würden. Dieses sollte Gerichten und Gläubigern als Grundlage für ihre Bestellung bzw. die Auswahl eines Verwalters zur Verfügung stehen. Das Register sollte zudem über „weitere besondere qualifizierende Merkmale eines Bewerbers informieren“. Im Blick auf Berufsausübungsregelungen wollte der VID auf seine eigenen Grund- 630 sätze der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung zurückgreifen. Berufsausübungsregelungen sollten in einer Berufsordnung jedoch nur allgemein gehalten werden, detaillierte Regelungen sollten dann etwa in Form einer Satzung entwickelt werden. Die Berufsausübungsregelungen sollten ferner für alle Verfahrensbeteiligten verbindlich sein, die Aufgaben in Sanierungs- oder Insolvenzverfahren wahrnähmen.

___________ 1204) Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf: VID, Eckpunktepapier zum Berufsrecht v. 18.12.2018, Abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/eckpunktepapier-berufsrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 196 ff.; Sie wurden neuerdings von Kästner/Amery überarbeitet und neu ausgerichtet: Eckpunktepapier für eine Regelung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter als Gesetz und Verordnung v. 13.7.2020, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/07/ Eckpunktepapier_Berufsaus%C3%BCbung_Berufszulassung.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1205) Dies lehnt etwa der NIVD e. V. ab, vgl. INDat Report 08/2019, S. 56; ebenso Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 121f.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

631 Die genannten Regelungen zu Berufszulassung und Berufsausübung verlangten spiegelbildlich Regelungen zu einem abgestuften Sanktionssystem bei Verstößen, bis hin zum Entzug der Berufszulassung. Begleitet werden sollten diese von einem adäquaten Rechtsschutzsystem. Für die Berufsaufsicht sollte daher schließlich im Sinne des Grundsatzes der Subsidiarität und der Selbstverwaltung sowie zur Nutzung fachlicher Expertise eine verfasste Körperschaft der Berufsträger, also eine Berufskammer, eingerichtet werden. Zur Wahrnehmung der Berufsaufsicht sollte dann eine Abstimmung zwischen Berufskammer und den Insolvenzgerichten erforderlich.1206)

632 Die nach dem ursprünglichen, umfassenden Reformvorschlag des VID zum Erwerb der Berufszulassung erforderliche zusätzliche Fachprüfung erscheint hier als übermäßige Regulierung. Zu einer damit bezweckten Steigerung der Fachkompetenz und Qualität ist es ausreichend, den Prätendentenkreis mit milderen Mitteln,1207) etwa durch eine Begrenzung auf einzelne Berufsgruppen, zu beschränken.1208) Andernfalls wäre eine umfangreiche Debatte über die Inhalte und Ausgestaltung einer entsprechenden Prüfung zu erwarten. Solche Prüfungen von Wettbewerbern abnehmen zu lassen, stelle schließlich wegen der Gefahr einer Abschottungspolitik keinen überzeugenden Ansatz dar.1209) Die Bestrebungen eines bundeseinheitlichen Amtsträgerverzeichnisses sind hingegen auch nach hier vertretener Ansicht zu begrüßen.

633 Wie zuvor bereits angedeutet ist die Schaffung einer eigenständigen, umfassenden Berufsordnung für Insolvenzverwalter nach Auffassung des Verfassers nicht erforderlich, um Berufsausübungsregelungen zu normieren. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass Berufsausübungsregelungen bereits de lege lata im Verfahrensrecht der InsO enthalten sind. Soweit die InsO Regelungslücken im Blick auf die Berufsausübung ___________ 1206) Zu dem vorgestellten Vorschlag ferner, Bergner/Berg, NZI 2020, 259 (260f.); Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 ff; bereits zuvor eine eigenständige Kammer fordernd, Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455; Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875; Vallender, NZI 2017, 641; ders., NZI 2017, 777; ders., in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105; ders., ZIP 2019, 158; eine eigenständige Kammer wurde nunmehr durch die Hauptversammlung der BRAK explizit abgelehnt, vgl. INDat Report 09/2019, S. 8. 1207) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hält explizit auch Art. 15 III c) DL-RL fest, indem sie nur Anforderungen für zulässig erachtet, die nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können und die dennoch zum selben Ergebnis führen; explizit nun auch die Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen in Art. 7. 1208) Römermann, ZIP 2018, 1757 (1769); Auch die Uhlenbruck-Kommission wollte als Voraussetzung für die Aufnahme in die Vorauswahlliste den Abschluss einer rechtswissenschaftissenschaftlicher Ausrichtung vorschreiben, vgl. Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (508); gleichzeitig ist anzuerkennen, dass dem Gesetzgeber bei der Beuneilung dessen, was er zur Verwirklichung der von ihm verfolgten Gemeinwohlzwecke für erforderlich halten darf, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zusteht, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.2.2008 – 1 BvR 1295/07 = NJW 2008, 1293 (1296). 1209) Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760).

242

C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

der Verfahrensbeteiligten enthält, wie etwa im Rahmen des Umgehungsverbots, sind diese innerhalb der sachnäheren InsO zu schließen.1210) Ferner ließen sich dadurch auch Kollisionen verschiedener Berufsordnungen vermeiden,1211) da nunmehr klar getrennt werden könnte zwischen der Anwendbarkeit einer Berufsordnung – für Handlungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens – und der Anwendbarkeit der InsO – für die besonderen Berufspflichten während des Tätigwerdens als Verfahrensbeteiligter innerhalb eines gerichtlichen InsO-Verfahrens.1212) Auch eine eigenständige „Verkammerung“ des Insolvenzverwalterberufes erscheint 634 schließlich nicht erforderlich.1213) Die Argumente für eine „Verkammerung“ liegen im Wesentlichen in der Führung eines bundeseinheitlichen Listensystems inklusive der damit verbundenen Prüfaufgaben, sowie in der Übertragung einer, sich von der schwerpunktmäßigen verfahrensrechtlichen Aufsicht von Insolvenzgericht und Gläubigern unterscheidenden, verfahrensübergreifenden Berufsaufsicht durch die Kammer. Beide – grundsätzlich wünschenswerten Anliegen – können nach hier vertretener Ansicht mit milderen Mitteln, gleichsam effektiv gelöst werden. Isoliert betrachtet handelt es sich bei beiden Anliegen um Verwaltungsaufgaben kleineren Umfangs. Richtigerweise wird daher festgestellt, dass – folgt man dem Vorschlag des VID – zwei divergierende Aufsichtsorgane geschaffen würden, die eine Differenzierung bei den §§ 58 ff. InsO erforderlich machten. Es sei aber der Insolvenzrichter, der seine Hand am Puls des Geschehens habe, anders als ein abstraktes (Kammer-) Aufsichtsorgan. Letztlich sei nicht erkennbar, wieso eine inflexible Kammerstruktur effektiver und effizienter als der Richter im Einzelfall arbeiten sollte.1214) Der durch die Einrichtung einer Kammer zu erwartende, erhebliche Organisations- 635 aufwand steht letztlich nicht in einem Verhältnis zu den davon erhofften Vorteilen. In Anbetracht der Ziele einer Insolvenzverwalterkammer wäre außerdem insgesamt ein relativ großer Verwaltungsapparat für eine verhältnismäßig kleine Kam-

___________ 1210) Ebenso: Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (317). 1211) Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (468) sieht hierin kein wesentliches Problem. 1212) Dies setzt freilich voraus, dass etwaige (Beratungs-) Tätigkeiten der Verfahrensbeteiligten innerhalb eines außergerichtlichen Sanierungs- oder Restrukturierungsverfahrens außerhalb der InsO geregelt werden, wie nun geschehen. So bereits früh etwa Working Paper von Stephan Madaus zur zivilrechtlichen Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, Abrufbar unter: https://stephanmadaus.de/2019/08/16/der-deutsche-restrukturierungs-rahmen-anregungeiner-zivilrechtlichen-umsetzung/) (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1213) So auch Henssler, NZI 2020, 193 (197); Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 107. 1214) Cranshaw, NZI 2020, 143 (146); ähnlich Smid, ZInsO 2018, 1825 (1830); ein entsprechendes Nebeneinander hingegen wohl gerade befürwortend, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (887).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

mer erforderlich. Damit und vor allem durch die Doppelmitgliedschaft ihrer Mitglieder würden diese letztlich auch finanziell doppelt belastet.1215)

636 Die von Kästner angeführten Vorteile1216) einer eigenständigen Kammer, insbesondere eine eigenständige Selbstverwaltung sowie eine Verbesserung der Berufsausübungskontrolle, führen letztlich nicht stringent zum Erfordernis zum Erfordernis einer eigenständigen Kammer. Gerade sie sind auch ohne eine entsprechende Kammer erreichbar, indem verfahrensübergreifende Aufsichtsmechanismen geschaffen werden können. Eine Kammer verbessert letztlich nicht auch die personelle und sachliche Ausstattung der Insolvenzgerichte selbst. Auch können Gründe der Übersichtlichkeit und Transparenz nicht entscheidend für eine eigenständige Berufsordnung sprechen. Letztlich bedarf es auch keines eigenen Versorgungswerkes, da die Berufsträger diesen bereits durch ihre Quellberufstätigkeit angehören.

637 Insgesamt würde der Lösungsvorschlag des VID einen verhältnismäßig hohen Kostenund Verwaltungsaufwand bedeuten.1217) Hinzukommt, dass es derzeit für eine entsprechend umfassende Neuordnung keine Mehrheit in der Verwalterschaft gibt,1218) was auch an der Überarbeitung des Vorschlags deutlich wird. Für eine eigenständige Berufskammer werden vorwiegend lediglich rechtspolitische Erwägungen angeführt.

2.

Neuausrichtung – Rechtsverordnungsmodell und Aufsicht des BfJ1219)

638 Das neu erarbeitete Eckpunktepapier des VID vom 13.7.2020 sieht nunmehr eine Ermächtigung des BMJV zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Regelung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter vor. Die berufsrechtliche Aufsicht im Rahmen des Zulassungsverfahrens solle derweil zunächst durch das Bundesamt für Justiz wahrgenommen werden, was zu einer effektiven Aufgabenwahrnehmung und Konzentration der Fachkompetenz und Erfahrung in Bezug auf das Insolvenzverwalterberufsrecht bei der dem BMJV als Verordnungsgeber nachgeordneten Bundesbehörde führe.

639 Gegen die Integration des Insolvenzverwalters in die Bundesrechtsanwaltskammer oder eine örtliche Rechtsanwaltskammer spreche die Eigenständigkeit des Insolvenzverwalterberufes. Es bestünden erhebliche demokratisch-verfassungsrechtliche ___________ So nun auch, Henssler, NZI 2020, 193 (197); ähnlich Brzoza, NZI 2021, 513 (516). Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 196 ff., 224 ff. Vgl. Flöther, INDat Report 09/2019, S. 34; Smid, ZInsO 2018, 1825 (1830). Vgl. nur Kurzmitteilungen, INDat Report 09/2019, S. 8; DAV, ARGE Insolvenzrecht und Sanierung, Pressemitteilung 01/20 vom 27.1.2020; ferner auch das gemeinsame Eckpunktepapier von VID, NIVD und BAKinso, Abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformbedarf-imberufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-der-nivd-e-vund-des-vid-e-v/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); sowie INDat Report 02/2019, S. 28, 30. 1219) Der Reformvorschlag wurden neuerdings von Kästner/Amery überarbeitet und neu ausgerichtet: Zum detaillierten Formulierungsvorschlag vgl., Eckpunktepapier für eine Regelung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter als Gesetz und Verordnung v. 13.7.2020, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/07/Eckpunktepapier_Berufsaus%C3% BCbung_Berufszulassung.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

1215) 1216) 1217) 1218)

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

Bedenken, wenn innerhalb dieser Kammern rein anwaltlich tätige Rechtsanwälte über das Berufsrecht und die Interessenvertretung der Insolvenzverwalter als kleiner Minderheit beschlössen (dazu sogleich). Selbst wenn es durch kleinteiligdifferenzierte Parallelstrukturen in den örtlichen Kammern und der Bundesrechtsanwaltskammer gelänge, die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen für die Ausgestaltung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft zu gewährleisten, sprächen keine überzeugenden Gründe für eine solch überkomplexe Lösung. Gegen die Durchführung der Berufsausübungskontrolle durch die Insolvenzgerichte 640 sprächen letztlich die fehlenden Kapazitäten der Insolvenzgerichte sowie Bedenken im Blick auf die Unabhängigkeit des Verwalters, wenn sowohl die konkrete Bestellungsentscheidung und die verfahrensspezifische Aufsicht als auch die Zulassungskontrolle und verfahrensübergreifende Aufsicht allein durch das Insolvenzgericht ausgeübt würde. Sachgerecht sei schließlich eine zweistufige Ausgestaltung der Regelungen des 641 Berufsrechts: Auf Gesetzesebene zu regeln seien die Voraussetzungen und das Verfahren der 642 Zulassung bzw. des Zulassungsverlustes, das Insolvenzverwalterverzeichnis sowie die wesentlichen beruflichen Rechte und Pflichten. Auf Verordnungsebene seien dann Details des Insolvenzverwalterverzeichnisses 643 sowie die beruflichen Rechte und Pflichten näher auszugestalten. Die Neuausrichtung des Reformvorschlags des VID ist grundsätzlich zu begrüßen 644 und wird sich in Teilen mit dem später unterbreiteten Vorschlag decken. Nicht geteilt wird jedoch mit den bereits oben genannten Argumenten eine Listenführung und damit einhergehende verfahrensübergreifende Aufsicht durch das BfJ.

III. Vorschlag der BRAK1220) 1.

Eingliederung in die regionalen Rechtsanwaltskammern

Der zuvor beschriebene alte Vorschlag des VID sowie der Vorschlag des BAKinso 645 e. V. wurde von der BRAK zunächst abgelehnt:1221) sowohl eine Bundesinsolvenz___________ 1220) Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich vorwiegend auf: Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 und Flöther, INDat Report 06/2018, S. 34; sowie Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174, der u. a. auf den Formulierungsvorschlag der Hauptversammlung der BRAK v. 22.6.2020 abrufbar unter: https://www.brak.de/die-brak/ausschuesse/ausschuss-insolvenzrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023) aufgreift. Der gerinfügig überarbeitete Vorschlag vom Februar 2023 wurde nicht berücksichtigt, da dieser an der hiesigen generellen Kritik nichts ändert (vgl. a. a. O; nunmehr Pohlmann, BRAK-Mitt. 2023, 142.); kritisch dazu neuerdings auch, Stellungnahme des BAK-inso, abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet am 14.6.2023). 1221) Hauptversammlung der BRAK, vgl. INDat Report 09/2019, S. 8.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

verwalterkammer, als auch eine listenführende Behörde stoße im Interesse der Einheitlichkeit der anwaltlichen Selbstverwaltung auf Widerspruch.

646 Nach durchgeführten Erhebungen beziffert die BRAK den Anteil der Rechtsanwalts-Insolvenzverwalter auf ca. 90 %. Eine etwaige Kammerstruktur sei daher in die bestehenden regionalen Kammern einzugliedern.1222) Es bedürfe ferner keines substantiell neuen Berufsrechts für Insolvenzverwalter. Diese Annahme ist allerdings anders als etwa bei dem Ansatz des BAKinso der Prämisse geschuldet, dass die Vertreter der BRAK daran festhalten bzw. mit dem Bundesgerichtshof davon ausgehen, das anwaltliche Berufsrecht würde auch dann Anwendung finden, wenn der Rechtsanwalt das Amt des Insolvenzverwalters ausübt. Auch die schätzungsweise 175 – 350 Insolvenzverwalter, die nicht auch Rechtsanwälte seien, sollten zukünftig an die BRAO gebunden sein1223). Soweit ein über redaktionelle Änderungen innerhalb der BRAO hinausgehender Änderungsbedarf bestehe, bezöge sich dieser auf Begriffsbestimmungen wie etwa die Unabhängigkeit des Verwalters im Verhältnis zu den Tätigkeitsverboten der BRAO. Die Zulassung zur Insolvenzverwalterschaft solle dann an die formalen Kriterien der Rechtsanwaltszulassung gekoppelt werden und ergänzt durch eine höhere Berufshaftpflichtversicherung von den in dieser Hinsicht erfahrenen Zulassungsabteilungen der regionalen Kammern verwaltet werden. Auch weitere Zulassungskriterien, wie etwa zusätzliche theoretische Kenntnisse oder Berufserfahrungen, könnten durch die Zulassungsabteilungen der RAK überprüft und erhoben werden, wie es etwa vergleichbar bereits im Rahmen der FAO praktiziert wird. Auch ein bundeseinheitliches Insolvenzverwalterverzeichnis könne mit Hilfe der Bundesrechtsanwaltskammer innerhalb der bestehenden Verzeichnisse erstellt werden und durch Suchkriterien ergänzt sowie der Justiz zur Verfügung gestellt werden.

647 Im Rahmen der Berufsaufsicht ginge es schließlich darum, das System des anlassbezogenen Tätigwerdens nach der BRAO fortzuführen. Die Fachaufsicht über das einzelne Verfahren bliebe zweifelsohne bei den bestellenden Gerichten.

648 Problemlos könne auch Berufsfremden die Mitgliedschaft gewährt werden, wie es unlängst bei nicht-anwaltlichen Geschäftsführern von Anwaltsgesellschaften oder verkammerten Rechtsberatern der Fall sei.

649 Im Detail sind im Formulierungsvorschlag der BRAK nunmehr folgende – z. T. hier nur in Grundzügen wiedergegebene – Änderungen der BRAO (bez. als BRAO-N) vorgesehen:1224) ___________ 1222) Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174, vgl. ferner DAV, ARGE Insolvenzrecht und Sanierung, Pressemitteilung 01/20 vom 27.1.2020. 1223) Vgl. Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174 (176); Kurzmitteilungen, INDat Report 09/2019, S. 8. 1224) Dazu im Detail: Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174, der u. a. auf den Formulierungsvorschlag der Hauptversammlung der BRAK v. 22.6.2020 abrufbar unter: https://www.brak.de/ die-brak/ausschuesse/ausschuss-insolvenzrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023) aufgreift.

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda



Ein § 47a BRAO-N, nach dessen Abs. 1, Rechtsanwälte den Beruf des Insolvenzverwalters ausüben dürfen. Abs. 2 bezeichnet die Voraussetzungen die an einen Insolvenzverwalter zu stellen sind, so etwa (in Grundzügen) einen erforderlichen Hochschulabschluss (Nr. 1), besondere theoretische Kenntnisse (Nr. 2), eine praktische Tätigkeit auf dem Gebiet der Insolvenzverwaltung über einen Zeitraum von drei Jahren (Nr. 3) und schließlich die Aufnahme des Insolvenzverwalters in die für den Ort der Niederlassung zuständige Rechtsanwaltskammer. Ferner die Klarstellung, welche Vorschriften der BRAO für die Entscheidung über den Aufnahmeantrag sowie die Rücknahme und den Widerruf der Aufnahme anwendbar sein sollen.1225) Nach Abs. 3 bestimmt sich die Auswahl des Insolvenzverwalters nach der InsO.



§ 212 BRAO-N schafft eine Übergangs-/Bestandsschutzregelung bzw. Befreiung von den Voraussetzungen der Aufnahme und Eintragung für Personen, die den Nachweis erbringen können, dass sie bereits ein Jahr vor dem Antrag als Insolvenzverwalter bestellt wurden (verkürzte Darstellung).



Ein § 47b BRAO-N für besondere Vorschriften betreffend den Insolvenzverwalter nach dessen Abs. 1 der Insolvenzverwalter nicht zur Beratung und Vertretung Dritter befugt ist und der in Abs. 2 und 3 detaillierte Tätigkeitsverbote enthält (teilweise in Anlehnung an § 45 BRAO). Sowie in Abs. 4 die Klarstellung, dass die Verschwiegenheitspflicht des Insolvenzverwalters entsprechend § 43a II BRAO nur eingeschränkt gegenüber dem Insolvenzgericht und Verfahrensbeteiligten gilt. Abs. 6 enthält die Festsetzung einer Mindestversicherungssumme von EUR 2 Mio. für jeden Versicherungsfall. Abs. 7 verweist für die Eintragung auf § 31 BRAO. Abs. 8 stellt klar, dass die Abs. 2 und 3 auch für die mit dem Insolvenzverwalter in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Rechtsanwälte und Angehörigen gelten.



Ein § 47c BRAO-N konkretisiert die in § 47 a II Nr. 2 BRAO-N vorausgesetzten besonderen theoretischen Kenntnisse dahingehende, dass Lehrgänge in bestimmtem Umfang zu besuchen sind (ähnlich der Fachanwaltschaften). Abs. 2 enthält schließlich eine Pflicht, dass sich antragstellende Personen, Leistungskontrollen in Form von Aufsichtsarbeiten nach einem Lehrgang zu unterziehen haben.



Die Aufnahme zum Erlass einer Satzungskompetenz der BRAK in § 59 b II Nr. 10 BRAO-N. Danach können in der Berufsordnung besondere Berufs-

___________ 1225) Gelten sollen: Der Erste Teil mit Ausnahme des § 3 BRAO, der Zweite Teil mit Ausnahme der §§ 4 und 12 II Nr. 1 und IV BRAO sowie der §§ 12a und 29 bis 30 BRAO, der Erste Abschnitt des Dritten Teils mit Ausnahme der §§ 43c bis 43d, 48 bis 49c, 52 bis 53 und 59 BRAO, der Vierte Teil, der Vierte Abschnitt des Fünften Teils, der Sechste, Siebente, Zehnte, Elfte und Dreizehnte Teil dieses Gesetzes sinngemäß sowie die auf Grund von § 31c erlassene Rechtsverordnung.

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

pflichten der Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Beauftragung externer Dienstleiter (…); mit dem Annahme-, Kontrahierungs- und Erwerbsverbot gem. § 47b III BRAO-N; der personellen und sachlichen Büroausstattung geregelt werden. Geregelt werden können außerdem nach einer Nr. 11 der Umfang und die Ausgestaltung der nach § 47a II Nr. 3 BRAO-N erforderlichen praktischen Tätigkeit und der Nachweise hierzu, gegebenenfalls differenzierend, wenn der Insolvenzverwalter nach § 47b VII 4 BRAO-N die Eintragung der Beschränkung seiner Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen auf Verfahren nach dem Zehnten und Elften Teil der Insolvenzordnung in die Verzeichnisse nach § 31 beantragt hat. Nach einer Nr. 12 ebenso der Inhalt und der Umfang der im Lehrgang nach § 47c I BRAO-N zu vermittelnden besonderen theoretischen Kenntnisse sowie Anforderungen an die Leistungskontrolle nach § 47c II BRAO-N und deren Ausgestaltung sowie deren Kontrolle durch die Rechtsanwaltskammern nach § 47c III BRAO-N. –

In § 56 InsO soll aufgenommen werden, dass Personen zu bestellen sind, die als Insolvenzverwalter in den Verzeichnissen nach § 31 BRAO eingetragen sind. Ferner eine Verpflichtung zur Anzeige von Umständen, die Zweifel an seiner Eignung, seiner Unabhängigkeit oder seiner Leistungsfähigkeit begründen, dem Insolvenzgericht unverzüglich anzuzeigen.



In § 59 InsO schließlich eine Pflicht, Entlassungen der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied der Insolvenzverwalter ist, mitzuteilen.

2.

Bewertung

650 Zu folgen ist der wohl grundsätzlichen Annahme der Vertreter der BRAK, dass es keines substantiell neuen Berufsrechts bedürfe. Nach Ansicht des Verfassers ist es jedoch falsch, anzunehmen, das anwaltliche Berufsrecht erstrecke sich auch auf den Insolvenzverwalter bei Ausübung seines Amtes. Falsch wäre es erst recht, die BRAO auch auf Insolvenzverwalter anderer Quellberufe anzuwenden, wie es der Vorschlag vorzusehen scheint. Dagegen spricht, wie oben bereits umfassend dargelegt, nicht nur, dass der Insolvenzverwalter gerade nicht anwaltlich beratend und vertretend tätig wird,1226) sondern auch, dass negative Wechselwirkungen auf das anwaltliche Berufsrecht zu befürchten wären.1227) Durch die zunehmende Aufnahme nicht klassischer Anwälte, wie Syndikusrechtsanwälte oder eben auch Insolvenzverwalter, könnte es zu einer negativen Beeinflussung bzw. „Verwässerung“ des Anwaltsrechts kommen.1228) Singer spricht im Zusammenhang mit dem Recht zur Neuordnung der Syndikusanwäl___________ 1226) Deckenbrock, AnwBl 2016, 316 (319); Geier/Wolf/Göcken/Wolf, § 3 BRAO, Rn. 14; Henssler/ Prütting/Busse, § 3 BRAO, Rn. 14; Kilian, WuB 2015, 1532 (1534); Prütting, ZIP 2016 Beil. zu Heft 22, 61 (62). 1227) Bereits die Neuregelungen der §§ 46 ff. BRAO konnten nicht widerspruchsfrei in das Gesamtsystem eingefügt werden, Deckenbrock/Henssler, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 224 (251): grds. auch Wolf, BRAK-Mitt. 2016, 9 (15). 1228) Vgl. Deckenbrock/Henssler, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 224 (253).

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

te gar von einer „Erosion des anwaltlichen Berufsrechts“1229) Bereits durch die Neuregelung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte sei es zu Systembrüchen im Gesamtsystem der BRAO gekommen.1230) In den ohnehin bereits stark fragmentierten und sensiblen Anwaltsmarkt wird nun bereits durch die Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe erneut eingegriffen.1231) Die vorwiegend zur Vertretung allgemeiner anwaltlicher Interessen zuständigen Anwaltskammern müssten durch die zunehmende Aufnahme nicht genuin anwaltlich tätiger Berufsmitglieder – wie dem Insolvenzverwalter – sowie weiterer berufsfremder Mitglieder zunehmend Kompromisse – nicht zuletzt bei der Rechtssetzung – eingehen.1232), 1233) Zielführend könnte es hingegen sein, die Berufszulassung zum Insolvenzverwalter 651 grundsätzlich an die Zulassungskriterien der Rechtsanwälte zu koppeln und lediglich um eine höhere Berufshaftpflicht zu ergänzen. Vor dem Hintergrund, dass etwa 90 % der Insolvenzverwalter auch als Rechtsanwälte tätig sind, erscheint eine Eingliederung in die regionalen Kammern zunächst naheliegend. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass eine dezentrale Lösung erneut zu Zersplitterungen bei Entscheidungen und angewandten Maßstäben führen würde.1234) Kluth zu Folge sei die Arbeitsweise der Rechtsanwaltskammern in ihren etablierten Strukturen, in ___________ 1229) Singer, DB 40/2015, S11. 1230) So bestehen etwa für die anwaltliche Unabhängigkeit nunmehr unterschiedliche Maßstäbe. IRd Tätigkeitsverbote sei es zudem zu einer Liberalisierung gekommen, die zu Wertungswidersprüchen mit den nicht angetasteten Tätigkeitsverboten des § 45 I, II BRAO bei Vorbefassung in anderer, nicht-anwaltlicher Funktion, führe, vgl. Deckenbrock/Henssler, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 224 (228 ff., 239); zur Unabhängigkeit auch Singer, DB 40/2015, S11; Wolf, BRAK-Mitt. 2016, 9 (13f.); so in Bezug auf das Tätigkeitsverbot auch, Wolf, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 254 (262). 1231) IPA Working Paper 2020 (Hrsg. von C. Wolf), Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, abrufbar unter: https://www.ipa.uni-hannover.de/fileadmin/ipa/Forschung/Publikationen/Working_Papers/ Stellungnahme_BRAO-E_WorkingPaper_2020.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1232) Dies folgt bereits aus einem Umkehrschluss aus der unten folgenden Argumentation Kluths, vgl. Kluth, NZI 2019, 649; gegen eine Normierung innerhalb der BRAO, als quasi Annex zum Rechtsanwaltsberuf auch, Römermann, ZIP 2018, 1757 (1759). 1233) De lege lata ist bereits zwischen fünf „Typen“ von Rechtsanwälten unter dem einheitlichen Berufsbild des Rechtsanwaltes zu unterscheiden: (1) dem „normalen“ (Kanzleianwalt) Rechtsanwalt, der zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, keinen Zweitberuf ausübt und entweder Einzelanwalt oder in einer Berufsausübungsgemeinschaft tätig ist; (2) dem Rechtsanwalt, der zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist und als angestellter Anwalt seinen Beruf bei einem anwaltlichen Arbeitgeber nachgeht; (3) dem Syndikusrechtsanwalt, der als solcher zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist und nur Angestellter eines nicht-anwaltlichen Arbeitgebers ist und nur für diesen anwaltlich tätig wird; (4) dem Syndikusrechtsanwalt, der zusätzlich als „normaler“ Rechtsanwalt zugelassen ist und diesem Berufstypus entsprechend alleine oder als Teil einer Berufsausübungsgemeinschaft nachgeht; (5) dem Rechtsanwalt, der einen Zweitberuf ausübt, also bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber tätig ist, ohne Syndikusrechtsanwalt zu sein (z. B. Verbandsjuristen), vgl. Offermann-Burckart, AnwBl 2015, 633 (633f.); Quaas, in: Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, S. 208 (213). Hinzu käme nun noch die in sich heterogene Gruppe der Insolvenzverwalter, die nach der beschriebenen Ansicht – wie u. U. noch andere Tätigkeiten – unter das Berufsbild des Rechtsanwalts fiele. 1234) A. A. Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 (159).

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fachlicher Qualifikation und Interessenvertretung auf den Rechtsanwaltsberuf bezogen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese Strukturen auch angemessen die Interessen von Insolvenzverwaltern wahrnähmen. Nach organisationsrechtlichen Grundsätzen müssten vielmehr eigene und gegebenenfalls abweichende Interessen auch selbstständig organisiert werden. Das sei im Rahmen eines dezentralen Modells nicht umfassend gesichert. Ferner sei fraglich, ob die Organe von Rechtsanwaltskammern auch hinreichend demokratisch legitimiert seien, um abseits von rein anwaltlicher Tätigkeit als Interessenvertretung auch über das Berufsrecht der Insolvenzverwalter zu bestimmen – wie dies jedoch nach dem dargestellten Vorschlag durch die Satzungskompetenz der BRAK gerade vorgesehen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht fordere in dieser Hinsicht eine interessengerechte Binnenstruktur,1235) die bei den Anwaltskammern jedoch nicht gegeben sei, schließlich werde der Rechtsanwalt als Parteivertreter tätig, der Insolvenzverwalter hingegen als externer Funktionsträger. Wenn man sich für ein dezentrales Modell entscheiden wolle, müsse man somit zunächst tief in die Organisationsstruktur und Verfahrensrechte der bestehenden regionalen Rechtsanwaltskammern eingreifen, um zu einer entsprechend angemessenen demokratischen Legitimation für die kleine Minderheit der Insolvenzverwalter zu gelangen.1236)

652 Das Vorschreiben etwaiger Leistungskontrollen in Form von Aufsichtsarbeiten erscheint mit den obigen Argumenten zum ursprünglichen Vorschlag des VID schlicht nicht erforderlich zu sein. Nicht nachvollziehbar ist ferner auch eine den Insolvenzverwalter verpflichtende Anzeigepflicht an das jeweilige Insolvenzgericht. Vielmehr sollte diese gegenüber der listenführenden Stelle bestehen, um eine verfahrensübergreifende Aufsicht zu gewährleisten.

653 Sinnvoll erscheint es schließlich, ein bundeseinheitliches Insolvenzverwalterverzeichnis die bei der BRAK bereits bestehenden Verzeichnisse aufzunehmen und durch einzelne Suchkriterien zu ergänzen, die dann durch die Verfahrensbeteiligten genutzt werden könnten. Ergänzt werden könnte darin außerdem auch eine Dokumentation von Pflichtverstößen, die nicht direkt durch das Insolvenzgericht sanktioniert werden können, die aber einen berufsrechtlich sanktionswürdigen Gehalt aufweisen oder eine Relevanz für den Umgang und die Arbeit eines anderer Insolvenzgerichts mit dem betroffenen Verwalter haben können.

___________ 1235) BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 = NVwZ 2017, 1282 1236) Vgl. Kluth, NZI 2019, 649 (650f.); ähnlich skeptisch nun auch Johanna Eyser, Vizepräsidentin der RAK Berlin, und Udo Feser vom Fachanwaltsausschuss für Insolvenzrecht, Interview abrufbar unter: https://www.rak-berlin.de/kammerton/ausgaben/ausgabe/09-2019/sollen-dieinsolvenzverwalter-iv-in-den-rechtsanwaltskammern-verkammert-werden/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

IV. Vorschlag von Min. Dir. a. D. Marie Luise Graf-Schlicker1237) Einen eigenen, beachtenswerten Vorschlag unterbreitet schließlich auch Graf- 654 Schlicker, die im Übrigen keine breite Akzeptanz für die oben dargestellten ursprünglichen Vorschläge der Verbände sah, und zwar weder im Bereich einer Prüfung von Zulassungsvoraussetzungen, noch für die Implementierung einer etwaigen Selbstverwaltung. Obwohl 90 % der Insolvenzverwalter zugleich auch Rechtsanwälte seien, teilt auch 655 Graf-Schlicker nicht die Auffassung, dass diese im Rahmen ihrer Verwaltertätigkeit eine anwaltliche Tätigkeit vornehmen. Es handele sich beim Insolvenzverwalter vielmehr um einen eigenständigen Beruf, wie es auch das Bundesverfassungsgericht feststelle. Dennoch gäbe es Parallelen, sodass die anwaltlichen Berufsregeln um die Besonderheiten des Verwalterberufes ergänzt und entsprechend angepasst werden könnten. Entscheidungen über Zulassung und Widerruf könnten einer weiteren 29. BRAK-Kammer, analog der Kammer der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof, übertragen werden,1238) die gem. § 209 BRAO auch Nichtanwälten die Mitgliedschaft erlauben könnte. Die zugelassenen Verwalter nehme man gem. § 31 BRAO in ein Verzeichnis auf, das zugleich als bundeseinheitliche Vorauswahlliste genutzt werden könne. Zulassungsvoraussetzungen sollten außerdem gesetzlich geregelt werden. Eine Zulassungsprüfung sei hingegen rechtspolitisch schwerlich realisierbar. Regelungen über die Berufsausübung könnten schließlich nach dem Vorbild der Grundsätze der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung des VID als spezielle Berufsordnung nach § 59b BRAO normiert werden. Die Berufsaufsicht solle nach Graf-Schlicker weiterhin den Insolvenzgerichten und der Gläubigerschaft obliegen. Es fehle jedoch an einer verfahrensübergreifenden Aufsicht und entsprechenden Regelungen, die mithin über eine generelle berufliche Ungeeignetheit befinden und diese ahnden könnten. Etwaige Entscheidungen des Insolvenzrichters mit Auswirkungen auf die generelle Bestellung bedürften jedoch in jedem Fall gesetzlicher Vorgaben. Der Vorschlag beschreitet einen Mittelweg zwischen der „kleinen Lösung“ des 656 BAKinso und der ursprünglichen „großen Lösung“ samt „Verkammerung“ des VID. Im Bewusstsein, dass die überwiegende Anzahl der Insolvenzverwalter Rechtsanwälte sind, sucht der Vorschlag Graf-Schlickers den Weg über die BRAK. Das Führen eines bundeseinheitlichen Verzeichnisses bei der BRAK wurde bereits oben als zielführend erachtet. ___________ 1237) Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf Vorträge vom 5.2.2019 vor dem Kölner Arbeitskreis für Insolvenzrecht e. V. sowie vom 13.9.2019 auf der Jahrestagung des NIVD e. V., die jeweils zusammenfassend wiedergegeben sind in: INDat Report 02/2019, S. 28 ff.; INDat Report 08/2019, S. 54 ff. und bis dato soweit ersichtlich noch nicht von der Autorin selbst veröffentlicht worden sind. 1238) Vgl. hierzu auch, Kluth, NZI 2019, 649; sich hierfür ausprechend nun auch, Eyser/Feser, Interview abrufbar unter: a. a. O.

251

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

657 Unter den diskutierten Kammerlösungen stellte dieser Vorschlag schließlich die – auch Kluth zufolge – vorübergehend zielführendste Reformbestrebung dar. Man würde eine möglichst enge Anbindung an die Rechtsanwaltschaft gewähren können, gleichzeitig aber eine der Stellung und den Interessen der Insolvenzverwalter dienende Unabhängigkeit wahren. Mittels einiger Modifikationen gegenüber der Kammer der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof könnten sich die Insolvenzverwalter zudem – soweit gewollt – auch eigene Berufsregularien geben. Voraussetzung dafür wäre, dass man eine eigene gesetzliche Zuständigkeit dafür der Kammer für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof übertrage und nicht der Satzungsversammlung der BRAK überlasse. Ebenfalls wäre es wohl sinnvoll, die Mitgliedschaft in den regionalen Rechtsanwaltskammern nicht zu suspendieren.1239) Die Kammer wäre folglich nur noch insofern mit der Kammer der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof vergleichbar, als sie im Gesamtrahmen der anwaltlichen Berufsorganisation verortet wäre.1240)

658 Der dargestellte Ansatz würde sich letztlich jedoch nur marginal von einer eigenständigen Kammer unterscheiden. Die oben dazu präsentierten Vorbehalte ließen sich auch hier anführen. Ohne ein wirkliches Erfordernis würden Insolvenzverwalter zu einer Doppelmitgliedschaft gezwungen. Auch besteht für ein eigenständig verortetes Berufsrecht bzw. eine eigenständige Berufsordnung gegenwärtig kein Regelungsbedarf.

659 Soweit man die Verkammerung des Insolvenzverwalterberufes befürwortet und eine eigenständige Berufsordnung für den Berufsstand schaffen möchte, stellt aber dieser Reformansatz nach Ansicht des Verfassers die zielführendste Lösung dar. Der Verwalterberuf wäre in die organisatorische Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft eingebunden, im Rahmen einer bundeseinheitlichen Verwalterliste könnte man von den vorhandenen verwaltungsrechtlichen Strukturen der BRAK profitieren. Gleichzeitig würde es sich jedoch um eine unabhängige und eigenständige Kammer handeln, die insofern den Interessen des Insolvenzverwalterberufstandes gerecht werden würde. Der Vorschlag ist folglich als pragmatisch anzusehen. Zu befürchten sei jedoch, dass sich eine „faktische Vorherrschaft“ der Rechtsanwälte im Bereich der Insolvenzverwaltung weiter deutlich verfestige.1241)

___________ 1239) Daran aber wohl festhaltend, Johanna Eyser, Vizepräsidentin der RAK Berlin und Udo Feser, Fachanwaltsausschuss für Insolvenzrecht, Interview abrufbar unter: a. a. O. 1240) Vgl. Kluth, NZI 2019, 649 (651 ff.). 1241) Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (887); wohingegen zu Beginn des 20 Jhd. Jahrhunderts fast ausschließlich Kaufleute zu Insolvenzverwaltern bestellt wurden, Jaeger, Laien als Konkursverwalter, Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht, 1909, S. 1 ff.; zit. nach, Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (33); ob es unter dem StaRUG zu einer erneuten Wandlung kommt, bleibt abzuwarten.

252

C. Die Reformvorschläge in ihrer Entwicklung – keine Verkammerung de lege ferenda

V. Vorschlag der Arbeitsgruppe „Vorauswahlliste Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter“1242) Der nun aktuellste Reformvorschlag wurde kürzlich von einer Arbeitsgruppe, be- 660 stehend aus neun Bundesländern und dem BMJV erarbeitet. Der Vorschlag sieht eine zentrale Vorauswahlliste vor, die nach bundeseinheitlichen Kriterien geführt werden soll. Sie soll von einer neutralen, behördlichen Stelle geführt werden, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Tätigkeit des Insolvenzverwalters von unterschiedlichen Berufsgruppen ausgeübt wird. Mit der Schaffung einer Kammer für Insolvenzverwalter hat sich die Arbeitsgruppe derweil nicht auseinandergesetzt, da dies derzeit konkret nicht mehr erwogen würde. Bei der behördlichen Stelle sollte es sich um eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des BMJV handeln. Die „eigentlichen Zulassungskriterien“ sollten letztlich nicht nach der Art des In- 661 solvenzverfahrens unterscheiden, also etwa nach Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren. Die listenführende Stelle solle schließlich keine gesonderte Eignungsprüfung der Bewerber durchführen, sondern sich auf die Prüfung der durch die Bewerber einzureichenden Qualifikationsnachweise beschränken. Unter „eigentliche Zulassungskriterien“ versteht die Arbeitsgruppe dann: Ausbildung (Abschlüsse), theoretische Kenntnisse (Kenntnisse im Insolvenzrecht 662 etc.), praktische Erfahrungen (vorhergehende umfassende verwalterspezifische Tätigkeit in einem Insolvenzverwalterbüro über einen Zeitraum von mind. drei Jahren), keine Vorstrafen (keine rechtskräftige Verurteilung), geordnete wirtschaftliche Verhältnisse, generelle Unabhängigkeit, Bereitschaft zur höchstpersönlichen Amtswahrnehmung (Ausschluss von Aquisitionsverwaltung), Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (für spez. Haftungsrisiko aus Insolvenzverwaltung), Büroausstattung.

663

Ferner sollen weitere Informationen abzufragen sein, wie:

Laufende Ermittlungs- oder Strafverfahren; unternehmerische Fähigkeiten; Branchen- 664 kenntnisse; rechtliche Spezialkenntnisse (z. B. Steuerrecht, Eigenverwaltung etc.); Fremdsprachenkenntnisse; spezifische insolvenzrechtliche Erfahrungen (übertragene Sanierungen, Eigenverwaltungen, Insolvenzpläne, grenzüberschreitende Verfahren, Verfahren nach der EuInsVO und Kriminalinsolvenzen); Erreichbarkeit vor Ort/bevorzugte Einsatzregionen; qualifizierter Mitarbeiterstab; Vertretungsregelungen; elektronisches Gläubigerinformationssystem; Beschränkung der Bereitschaft zur Übernahme bestimmter Verfahrensarten und Verfahrensgrößen. Ein De-Listing-Verfahren soll in Anlehnung an § 393 FamFG vorgesehen werden 665 und die behördliche Stelle nach Anhörung der betroffenen Person einen Bescheid ___________ 1242) Bericht etwa abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/ verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); dazu bereits Stellungnahme des BAKinso e. V. v. 24.8.2021, abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/ verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

(Zwischenentscheidung) über das beabsichtige De-Listing erlassen, gegen den innerhalb einer angemessenen Frist Widerspruch eingelegt werden kann. Der Rechtsschutz gegen eine Widerspruchsentscheidung soll aufgrund der Sachnähe vor einem ordentlichen Gericht (nicht einem Verwaltungsgericht) gewährt werden. Es soll die Möglichkeit bestehen, die Zwischenentscheidung in der Vorauswahlliste bekannt zu machen.

666 Die Arbeitsgruppe führt folgende De-Listing-Gründe an: 667 Eigenantrag; Irrtümliche Annahme des Vorliegens der eigentlichen Zulassungskriterien bei der Zulassungsentscheidung, Falschangabe(n) im Zulassungsverfahren, nachträglicher Wegfall von „eigentlichen Zulassungskriterien“; Verstoß gegen Fortbildungsobliegenheiten (Fortbildungsobliegenheit von 10 – 15 Std. soll implementiert werden); Entlassung nach § 59 InsO; negative Erfahrungen aus Insolvenzverfahren.

668 Damit die behördliche Stelle von möglichen De-Listing-Gründen erfährt, möchte die Arbeitsgruppe ferner Mitteilungspflichten im Verhältnis zwischen den befassten Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden und der listenführenden Stelle schaffen. Diese sollten umfassen:

669 Die Entlassung nach § 59 InsO; negative Erfahrungen aus Insolvenzverfahren (die betreffende Person ist insofern vor der Übermittlung der Mitteilung anzuhören, ihre im Rahmen der Anhörung abgegebene Stellungnahme ist der listenführenden Stelle zu übermitteln); Erhebung einer Haftpflichtklage gegen die betreffende Person sowie den Ausgang des Haftpflichtprozesses in der jeweiligen Instanz; Einleitung und Abschluss eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat, die auf eine Ungeeignetheit der betreffenden Person oder auf ihre Unzuverlässigkeit schließen lässt, sowie der Ausgang des Strafverfahrens in der jeweiligen Instanz; Einleitung und Abschluss von Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzverfahren gegen die betreffende Person bzw. über ihr Vermögen; Eintragung in das Schuldnerverzeichnis. In Anlehnung an § 51 VI 1 BRAO soll auch eine entsprechende Mitteilungspflicht des Versicherers aufgenommen werden.

670 Zur Erbringung der Nachweise solle eine Mitteilungspflicht eingeführt werden, nach der unverzügliche Änderungen von Umständen mitzuteilen sind. Gewichtige oder mehrfache Verletzungen der Nachweis- oder Mitteilungspflicht sollen angemessen sanktioniert werden können (Ordnungsgelder). Für wiederholtes oder schwerwiegendes De-Listing soll die Möglichkeit einer Sperrzeit geschaffen werden.

671 Die Regelungen will die Arbeitsgruppe schließlich mittels eines förmlichen Gesetzes, etwa durch Anpassung des § 56 InsO oder einer gesonderten Vorschrift vornehmen. Einzelheiten sollten dann in einer Rechtsverordnung geregelt werden.

672 Zum Zwecke der Kostendeckung soll erwogen werden, eine Jahresgebühr zu erheben.

254

D. Resümee

Die angestellten Überlegungen seien nach Ansicht der Arbeitsgruppe auch auf den 673 Restrukturierungsbeauftragten nach §§ 73 ff. Störung übertragbar, sodass die aufgeführten „eigentlichen Zulassungskriterien“ sowie die De-Listing-Gründe grundsätzlich auch für ihn Geltung enthielten. Nach hier vertretener Auffassung dürfte die Übertragung der Vorauswahllistenführung 674 auf eine Bundesbehörde, wie an vorheriger Stelle ausgeführt, jedoch vor allem im Rahmen der durch sie partiell ausgeführten Aufsicht im Rahmen des vorgesehenen De-Listing-Verfahrens nach § 393 FamFG in Konflikt mit dem Selbstverständnis weiter Teile des Insolvenzverwalterberufes geraten.1243)

D. Resümee Die Untersuchungen in den ersten Teilen der Arbeit haben bereits an einigen Stellen 675 regulatorische Defizite offenbart. So hat sich gezeigt, dass vor allem das Auswahlverfahren unzureichend gesetzlich ausgestaltet ist bzw. im Rahmen des Vorauswahlverfahrens gar keine gesetzlichen Vorgaben bestehen. Das Vorauswahlverfahren wurde daher als verfassungswidrig angesehen. Ein verpflichtender Normierungsbedarf wurde darüber hinaus auch aufgrund der Pflicht des Staates zur ordnungsgemäßen Justizorganisation sowie aufgrund europarechtlicher Vorgaben festgestellt. Das gesetzliche Vakuum hat letztlich zu sehr unterschiedlichen Vorauswahl- und 676 Bewertungssystemen geführt. Außerdem wurde der durch das Bundesverfassungsgericht erkannte Rechtscharakter beider Teilentscheidungen als Justizverwaltungsakt sui generis herausgearbeitet und kritisiert. Eine rechtlich klare Einordnung sollte hier künftig angestrebt werden, um auch Rechtsschutzgesichtspunkte klarer gesetzlich normieren zu können. Plädiert wurde außerdem für die auch rechtliche Separierung der Bestellentscheidung vom Eröffnungsbeschluss und für die Möglichkeit einer gesetzlich geregelten nachträglichen Feststellungsbeschwerde innerhalb der InsO. Die Vorauswahl sollte nicht länger dem unabhängigen Richter obliegen, sondern aus ihrem durch das Verfassungsgericht geprägten Korsett befreit werden, um sie künftig zu zentralisieren und an eine Verwaltungseinheit abgeben zu können.1244) Flankiert werden sollten diese Neuerungen schließlich durch eine abstrakte Begründungspflicht der Bestellentscheidung, um eine – vor allem von der DL-RL und

___________ 1243) Entsprechende Kritik an dem Vorschlag teilt auch die Hauptversammlung der BRAK vor dem Hintergrund der anwaltlichen Selbstverwaltung, Presseerklärung der BRAK Nr. 12 v. 27.9.2021, abrufbar unter: https://brak.de/fuer-journalisten/pressemitteilungen-archiv/2021/presseerklaerung12-2021/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1244) In diese Richtung nun auch das gemeinsame Eckpunktepapier von VID, NIVD und BAKinso, Abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-der-nivd-e-v-und-des-vid-e-v/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

255

5. Kapitel: Notwendigkeit einer „Verkammerung“ sowie eines eigenständigen Berufsrechts

RRL vorausgesetzte – bisher eher defizitäre Transparenz und darüber hinaus eine Effektuierung des Rechtsschutzes zu ermöglichen.

677 Die in diesem Kapitel ergangene Untersuchung hat schließlich gezeigt, dass das zum Teil in der InsO vorhandene Berufsrecht in seiner Regelungsdichte nicht demjenigen vergleichbarer Berufe entspricht. Der Beruf des Insolvenzverwalters kann unter anderem nicht als anwaltliche Tätigkeit angesehen werden, daher ist auch das Berufsrecht anderer Quellberufe grundsätzlich nicht auf ihn anzuwenden. Lediglich künftig in § 56 InsO zu normierende „core values“ des Insolvenzverwalters sollten durch die Quellberufskammern zugunsten einer verfahrenübergreifenden Aufsicht angewandt werden können. Außerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens kann das Quellberufsrecht wiederum Anwendung finden, wenn der jeweilige Berufsträger nicht als Insolvenzverwalter, sondern lediglich als Berater im Rahmen Insolvenz, Sanierung und Restrukturierung tätig wird.1245) Somit wird das gesamte berufsrechtliche Verhalten im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestmöglich erfasst. Gleichwohl wurde festgestellt, dass die InsO im Bereich der Aufsicht und Kontrolle grundsätzlich brauchbare Instrumentarien enthält. In diesem Zusammenhang wird erforderlich sein, die Aufsichts- und Kontrollmechanismen der InsO zu effektuieren sowie weitere verfahrensübergreifende Instrumente zu implementieren. Eng mit den vorherigen Fragestellungen verbunden, ihnen jedoch nicht gleichzusetzen, ist die Frage nach einer zum Teil dafür geforderten „Verkammerung“ des Berufsstandes. Dabei ist zumindest nach hier vertretener Auffassung zu beachten, dass es sich bei der Effektuierung bestehender Mechanismen sowie der Implementierung verfahrensübergreifender Instrumente, im Gegensatz zu den Defiziten im Rahmen des Auswahlverfahrens, nicht in erster Linie um regulatorische Defizite handelt, eine vollumfängliche Neuordnung nach hiesiger Ansicht daher nicht erforderlich sein wird. Das Erfordernis die dargelegten Defizite in

___________ 1245) Insofern kann das Quellberufsrecht außerhalb eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht angewandt werden, wo nach Bestellung ein Amt ausgeübt wird. Folglich etwa nicht beim vorläufigen Insolvenzverwalter, Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren, Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren sowie Insolvenzverwalter im Verbraucherinsolvenzverfahren.

256

D. Resümee

einer eigenständigen Berufsordnung oder lediglich im Rahmen der Vorschriften der InsO zu beseitigen, ist letztlich jedoch umstritten.1246) Schließlich wurden die aktuell diskutierten Lösungsmodelle dargestellt und kritisch 678 beleuchtet. Einzelne Ansätze der verschiedenen Modelle haben sich dabei als weiterführend erwiesen. Das folgende Kapitel wird diese Ansätze aufgreifen und daraus einen eigenen Reformvorschlag erarbeiten. Wie bereits vereinzelt angedeutet, soll dabei angestrebt werden, den beschriebenen Defiziten mit möglichst systemwahrenden und damit einhergehend möglichst geringen gesetzgeberischen Eingriffen abzuhelfen.

___________ 1246) Für Änderungen innerhalb der InsO und gegen eine eigenständige Verkammerung: Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), passim; Kämmerer, Gutachten H zum 68. Deutschen Juristentag – Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, S. 107; Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 277 ff.; Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158; Rattunde, in: Sanierung, Insolvenz, Berufsrecht der Rechtsanwälte und Notare: Festschrift für Hans Gerhard Ganter zum 65. Geburtstag, S. 519 (529f.); Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (passim); Pape, ZInsO 2016, 428 (430); wohl auch: Smid, ZInsO 2018, 1825 (1830); gegenteiliger Auffassung: Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (passim); Filges, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 279; Ganter, NZI 2018, 137 (143); Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, passim; Kübler, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 47 (51); Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (652 ff.); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (469); Uhlenbruck, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 361 (370); Vallender, NZI 2017, 641, passim; ders., NZI 2017, 777 (781); ders., ZIP 2019, 158 (165).

257

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda Im folgenden Kapitel soll nun ein eigener Vorschlag zur Reform und Änderung der 679 bestehenden berufsrechtlichen Normen für den Beruf des Insolvenzverwalters vorgelegt und erläutert werden. Nach Vorüberlegungen, die zunächst die Untersuchung des Grundlagenteils noch einmal aufgreift (Rn. 684), geht es vor allem um eine Beschränkung des Berufszugangs (Rn. 697), die Implementierung eines bundesweiten elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter (Rn. 719), sowie damit einhergehend um die Schaffung auch verfahrensübergreifender Kontrollmechanismen (Rn. 738). Schlussendlich soll ein konkreter Gesetzesvorschlag unterbreitet werden (Rn. 753). Die anschließende Reformbetrachtung beschäftigt sich nicht mit der Einführung be- 680 stimmter Berufsausübungsregelungen bzw. insolvenzspezifischen (Berufs-) Pflichten. Wie bereits zuvor erwähnt, sind entsprechende Pflichten durch den Gesetzgeber innerhalb der InsO zu regeln, sofern in dieser Hinsicht Lücken innerhalb der InsO bestehen und ein entsprechender Regelungsbedarf festgestellt wird.1247) Ziel des Reformvorschlags ist die Behebung der in der bisherigen Untersuchung 681 festgestellten Defizite und dabei vor allem die Sicherung eines möglichst konstanten Qualitätsstandards, die Steigerung der Qualität der Insolvenzabwicklung insgesamt sowie insbesondere die Ausgestaltung eines transparenten Auswahlverfahrens. Der Reformvorschlag soll damit auch ein wirtschaftlich effizienteres Auswahlverfahren bewirken, vor allem die Kräfte der Insolvenzgerichte effektiver einsetzen. Die dadurch freiwerdenden Kräfte könnten dann für eine intensivere Nutzung der bestehenden Aufsichtsinstrumentarien, verbunden mit zu schaffenden verfahrensübergreifenden Kontrollmöglichkeiten genutzt werden. Verbunden mit dem Reformvorschlag ist auch das Ziel einer weiter voranschreitenden Professionalisierung der Insolvenzverwaltertätigkeit. Schließlich soll der Reformvorschlag Konkretisierungen im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung des Auswahlverfahrens vornehmen und sich möglichst systemgetreu in die derzeitigen Vorschriften der InsO einfügen. Verfolgt wird insofern keine „große Lösung“ verbunden mit einer vollständigen Neuordnung und der Schaffung einer neuen, eigenständigen Berufsrechtskodifikation mitsamt einer Kammer, sondern eine „minimalinvasive“, auf den bestehenden Regelungen fußende Änderung und Effektuierung der InsO. Die nachfolgenden Reformvorschläge gelten für den Insolvenzverwalter, also grund- 682 sätzlich jeden nach § 56 ff. InsO bestellte Verwalter. Dazu gehören folglich der vorläufige Insolvenzverwalter (§ 21 II Nr. 1 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO), der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren (§ 27 I InsO i. V. m. § 56 ff. InsO), der Sachwalter ___________ 1247) Eine umfangreiche Übersicht über den Insolvenzverwalter betreffende berufsrechtliche Pflichten der InsO findent sich bei, Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 250 ff.; bisher sind Berufsausübungsregelungen maßgeblich durch die Rechtsprechung geprägt, Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (647).

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

im Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270c, 274 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO) sowie der Insolvenzverwalter im Verbraucherinsolvenzverfahren (§ 304 InsO i. V. m. § 56 ff. InsO). Die folgenden Vorschläge haben damit auch grundsätzlich Geltung für den Restrukturierungsbeauftragten nach §§ 73 ff. StaRUG und dürften darüber hinaus in Einzelfällen lediglich restrukturierungsspezifisch anzupassen sein.

683 Die hier unterbreiteten Vorschläge werden als Norm-E gekennzeichnet. A. Vorüberlegungen 684 Im Grundlagenteil dieser Arbeit, wurde der an den Gerichtsverfassungsrechtsbegriff1248) angelehnte Begriff des Justizverfassungsrechts erläutert.1249) Das Gesamtvollstreckungsverfahren wird durch die Funktionseinheit von Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter durchgeführt. Den damit verbundenen Rechtspflegeauftrag erfüllt der Staat dadurch, dass er der genannten Organisationseinheit diese Aufgabe überträgt. Wird ein externer Beteiligter kurzzeitig in den staatlichen Justizapparat eingebunden, gehört er für das jeweilige Verfahren gleichzeitig zum erweiterten Justizapparat des Staates. Wie bei internen Funktionsträgern, gewinnt auch der Einsatz externer Funktionsträger deshalb eine justizorganisatorische Dimension.1250) Indem der Staat sich bei der Einbeziehung externer Funktionsträger in die Zivilrechtspflege partiell seiner eigenen Wahrnehmungsverantwortung begibt, muss er kompensatorisch eine Gewährleistungsverantwortung übernehmen, mithin – insbesondere im Rahmen der Vorauswahl – Verantwortung für die Rekrutierung und Kontrolle entsprechenden Personals wahrnehmen.1251)

685 Es wurde daher weiter festgestellt, dass das Justizverfassungsrecht grundsätzlich Organisationsregeln aufstellen muss, die die Binnenstruktur der jeweiligen Organisationseinheit regeln. Dazu gehören etwa auch aufgabenbezogene Qualifikationsmerkmale, die der jeweilige Funktionsträger erfüllen muss. Entsprechende Organisationsregeln stellen schließlich die Grundlage dar, auf der sich ein Verfahrensrecht entwickeln kann.1252)

I.

Lösungsmodell: verfahrensrechtlicher Ansatz innerhalb der Insolvenzordnung

686 Für den hiesigen Lösungsansatz ist eine rein verfahrensrechtliche Lösung anzustreben, wie sie bereits auch de lege lata mit der InsO besteht. Anders als etwa für den Notar ___________ 1248) Dazu Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 7 Rn. 9, 10. 1249) Ausführlich bereits oben unter: Rn. 72. 1250) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 13; vgl. auch Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (203). 1251) Höfling, in: Recht als Medium der Staatlichkeit: Festschrift für Herbert Bethge zum 70. Geburtstag, S. 191 (196); ders., JZ 2009, 339 (341); vgl. bereits, Preuß, KTS 2005, 155 (169). 1252) Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 13.

260

A. Vorüberlegungen

sollte hier kein organisationrechtlicher Ansatz gewählt werden, denn der Insolvenzverwalter tritt vergleichsweise lediglich temporär als Rechtspflegeorgan in den Justizapparat ein, er steht also anders als der Notar nicht außerhalb der Gerichtsorganisation und nimmt nicht in eigener Verfahrensträgerschaft einen ihm eigens übertragenen Rechtspflegebereich wahr.1253) Der Gesetzgeber hat den Insolvenzverwalter als Funktionsträger im Rahmen eines konkreten und gerade unter gerichtlicher Verfahrensträgerschaft stehenden Insolvenzverfahrens daher de lege lata richtigerweise normativ in das letzteres regelnde Verfahrensrecht1254) eingegliedert. Die Insolvenzordnung befasst sich nicht mit dem Berufsbild des Insolvenzverwalters als solchem, sondern nimmt nur das einzelne Insolvenzverfahren in den Blick. Anforderungen an die Berufsausübung stellt die InsO mit Ausnahme des § 56 InsO daher nur mittelbar.1255) Organisationsregeln im oben genannten Sinne, wie etwa Qualifikationsmerkmale, 687 Zugang und Kontrolle, hat der Gesetzgeber de lege lata mit dem Verfahrensrecht der InsO daher nur in Grundzügen und wie die obigen Feststellungen gezeigt haben, mit gewissen Defiziten niedergelegt; auch aufgabenbezogene Pflichten des Amtes sind de lege lata nur spärlich normiert. Der Verfahrensteil der Vorauswahl als Organisationsakt ist letztlich gar an die Fachgerichte delegiert.1256) Aus dem Befund nur partiell bestehender berufsrechtlicher Regelungen wird ver- 688 breitet der Schluss gezogen, diese Lücke wiesen den Insolvenzverwalter rechtstatsächlich nicht klar als eigenständigen Beruf aus; künftig bedürfte es daher eines eigenen Berufsrechts, das ihn klar als eigenständigen Beruf beschreibt.1257) Nach hier vertretener Auffassung ist es de lege ferenda indes nicht erforderlich, ei- 689 ne eigene Berufsordnung zu schaffen. Die Notwendigkeit dafür besteht nicht. Der Beruf des Insolvenzverwalters ist gerade nicht innerhalb einer eigenen Kammer mit Vorschriften zu seiner Organisation, seinen Aufgaben und Befugnissen gegenüber den Mitgliedern, mit Sanktionsmöglichkeiten sowie Rechtsschutz der Berufsträger durch eine eigene Berufsgerichtsbarkeit zu organisieren.1258) Außerhalb der ___________ 1253) Vgl. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 11, Rn. 18; Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 68f.; s. o. unter: Rn. 77. 1254) Vgl. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 4, Rn. 3. 1255) Vgl. BT-Drs. 16/7251, S. 9. 1256) Vgl. Preuß, KTS 2005, 155 (177). 1257) Römermann hält dazu fest, ein Beruf könne nicht kein Berufsrecht haben. Es gehe nun darum, aus dem vorgefundenen Torso einen abgeschlossenen Normenkatalog zu machen, der zumindest alle wesentlichen und unabdingbaren Elemente enthielte. Seiner Ansicht nach sei dazu jedoch anders als nach hier vertretener Auffassung ein eigenständiges Gesetz notwendig, vgl. Römermann, ZIP 2018, 1757 (1758f.); vgl. ferner bspw., Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 248 Nr. 10; Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (643f.); Vallender, in: Die Praxis der Unternehmensrestrukturierung und der Berufsstand des Insolvenzverwalters, S. 105 (105, 131). 1258) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 108.

261

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

InsO anwendbare Grundpflichten werden den Insolvenzverwaltern bereits durch ihre jeweiligen Quellberufsrechte vorgeschrieben. Für die Forderung eines eigenen Berufskorpus besteht hier keine Notwendigkeit, vielmehr ist auch de lege ferenda der verfahrensrechtliche Ansatz des Gesetzgebers weiter zu verfolgen. Ein solcher, der nicht das Berufsbild des Insolvenzverwalters in den Mittelpunkt stellt, sondern das Insolvenzverfahren an sich,1259) kann deutlich flexibler auf die immer wieder verschwimmenden Berufsbildkonturen1260) des Verwalterberufes reagieren. Für erforderlich gehaltene Regelungen und Konturierungen sind künftig in den Abschnitt des § 56 ff. InsO einzugliedern, behandelt dieser auch heute bereits die wesentlich neuzuordnenden Bereiche des Zugangs und der Kontrolle. Die Schaffung eines in der Normenhierarchie übergeordneten Organisationsrechts ist dazu nicht erforderlich.1261) Der bestehende Ansatz, dass das Insolvenzverfahren, und sich daran orientierend, auch die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters ausschließlich im sachnahen Verfahrensrecht der InsO geregelt sind, ist schlüssig. Konstituiert sich das Verwalteramt und damit auch der ihn betreffende Pflichtenkanon der InsO schließlich doch erst mit Eröffnung des Verfahrens. Ein (steuerndes) Berufsbild des Insolvenzverwalters lässt sich schließlich auch mit einer stärkeren Konturierung des ihn betreffenden Verfahrensrechts erreichen.

690 De lege ferenda sollte § 56 InsO damit weiteren Konturierungen unterzogen werden und nun auch ein etwaiges Vorauswahlverfahren mit umfassen. Ein bundesweites lektronisches Verzeichnis für Insolvenzverwalter sollte de lege ferenda – wie bereits auch im Vorschlag der BRAK vorgesehen – an die bei der BRAK geführten elektronischen Verzeichnisse (§ 31 BRAO) angelehnt werden. Hierfür bietet sich eine spiegelbildliche Regelung etwa in § 31c BRAO-E unter Aufrücken des jetzigen § 31c BRAO an [nach Inkrafttreten der BRAO-Reform ggf. eher § 31a BRAO-E unter Aufrücken der §§ 31 a – d BRAO n. F.], auf den dann in § 56 InsO-E verwiesen werden kann.1262)

II. Die Grundpflichten des Insolvenzverwalters 691 Aufgrund der Unanwendbarkeit der Quellberufsrechte werden den Insolvenzverwaltern keine Grundpflichten für die Zeit ihrer Amtsausübung innerhalb eines Insolvenzverfahrens nach der BRAO, WPO oder dem StBerG vorgeschrieben.

692 Insolvenzspezifische Grundpflichten sollten hier jedoch partiell auch innerhalb des Insolvenzverfahrens Anwendung finden und durch die jeweiligen Berufskammern ___________ 1259) Vgl. BT-Drs. 16/7251, S. 9. 1260) Vgl. Frind, ZInsO 2017, 2146 (2151). 1261) Zu diesem Schluss kommt letztlich wohl auch Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 480. 1262) Ebenso bestünde die Möglichkeit das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter auch in der InsO selbst, etwa als § 56c InsO n. F. zu normieren, so etwa Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 157.

262

A. Vorüberlegungen

zum Zwecke einer verfahrensübergreifenden Aufsicht überwacht werden.1263) Dort wo Grundpflichten der drei Berufsordnungen ein weitestgehend ähnliches Schutzniveau erreichen, sollen sie als insolvenzspezifische „core values“ des Insolvenzverwalters zum Beispiel folgende Pflichten umfassen: Gewissenhaftigkeit, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Sachlichkeit und das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen.1264) Für sie wird zukünftig eine für den Insolvenzverwalter einheitliche Auslegung zu ermitteln sein. Zur näheren Konturierung ließe sich § 56 I InsO n. F. die Prämisse voranstellen, dass 693 der Insolvenzverwalter einen freien Beruf ausübt und seine Tätigkeit kein Gewerbe ist.1265), 1266) Dabei handelt es sich zwar eher um einen „politischen Programmsatz“, es umschreibt jedoch den Charakter und die Zielsetzung der Tätigkeit und stellt klar, welchen Beitrag der Insolvenzverwalter zur Durchsetzung des Rechts leiste.1267) Die Unabhängigkeit des zu bestellenden Insolvenzverwalters ist schließlich nicht 694 wie de lege lata durch allgemeine Erhebungen im Rahmen der Liste zu verifizieren, sondern punktuell und unmittelbar vor der konkreten Bestellung eines Verwalters mittels einer Ad-hoc-Abfrage.1268), 1269) Hierzu bietet es sich an, einen standar___________ 1263) Zum verfahrensübergreifenden Sanktionsmechanismus sogleich unter: Rn. 742. 1264) Die Verschwiegenheitspflichten der BRAO, des StBerG und der WPO gelangt bei der Ausübung des Amtes des Insolvenzverwalters nicht zur Anwendung, unabhängig davon, ob seine Tätigkeit als eigenständiger Zweitberuf anerkannt wird oder nicht (Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2298f.)). Für das Insolvenzverfahren ist eine Verschwiegenheitspflicht nicht geregelt, sondern leitet sich aus dem Zweck des Insolvenzverfahrens ab (ausführlich: Bork, ZIP 2007, 793; Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290.); für die Regelung einer Verschwiegenheitspflicht, vgl. Bergner/Berg, NZI 2020, 259 (264); Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290; zögerlicher Römermann, ZIP 2018, 1757 (1763), der wenn gewollt am ehesten eine an § 17 I UWG a. F. orientierende Regelung erwägt. 1265) S. o. unter: Rn. 126; vgl. auch § 1 BRAO, § 1 II WPO, § 32 II StBerG. 1266) Dass der Insolvenzverwalter unabhängiges Organ der Rechtspflege ist (so etwa: Römermann, ZIP 2018, 1757 (1759)) sollte hingegen nicht nomiert werden, würden dann doch verschiedene Unabhängigkeitsbegriffe innerhalb des § 56 InsO entstehen. Anders als bei anderen freien Berufen dürfte eine entsprechende Prämisse im Falle des Insolvenzverwalters auch weniger wichtig sein. Schließlich ist die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters eine andere, als diejenige des Rechtsanwalts oder anderer Organe der Rechtspflege. Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters – und damit ergeben sich Überschneidungen mit den zu normierenden Grundpflichten in § 56 InsO – ist nicht etwa eine staatliche Unabhängigkeit oder die vom eigenen Mandanten. Auch der Insolvenzverwalter ist zwar weisungsfrei gegenüber dem staatlichen Gericht, jedoch tritt er als privater Amtsträger und Funktionsträger in den Justizapparat ein und partizipiert für ein konkretes Verfahren an der Verfahrenshoheit mit, seine Unabhängigkeit bezieht sich eher auf das Nichtbestehen etwaiger Bindungen zu Verfahrensbeteiligten. 1267) Römermann, ZIP 2018, 1757 (1759). 1268) So etwa Eichel, KTS 2017, 1 (10), wie auch bereits die Praxis einiger Insolvenzgerichte, vgl. übernächste Fn. 1269) Eine entsprechende Abfrage ist auch vor dem Hintergrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht zulässig, da es sich mit § 56 InsO um eine – vor allem de lege ferenda – ausdrückliche, rechtfertigende Offenlegungspflicht handelt, vgl. bereit oben unter: Rn. 190.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

disierten Fragebogen, wie etwa den Fragebogen zum Hamburger conflict-check, allgemeingültig zu verwenden.1270) Die Ad-hoc-Abfrage sollte im Eilfall elektronisch übermittelt werden. Im Interesse aller Beteiligten ist eine schnelle Beantwortung zu erwarten, sodass es nicht zu Verfahrensverzögerungen kommt. Zur Erstellung eines allgemeingültigen Fragenbogens sollte das BMJV durch Rechtsverordnung unter Zustimmungserfordernis des Bundesrates ermächtigt werden. Der Fragebogen sollte dann für alle Verfahrensbeteiligten verpflichtend sein.

695 Auf § 56 I Nr. 1, 2 InsO kann künftig verzichtet werden, ein Vorschlag und eine allgemeine Beratung könnten ohnehin keine Abhängigkeit begründen.1271)

696 Eine entsprechende Ad-hoc-Abfrage sollte schließlich auch über die jeweils aktuelle Auslastung des Insolvenzverwalters eingeholt werden.1272) Eine entsprechende Regelung wird bereits heute bei den Berufsbetreuern mit § 1897 VIII BGB geführt. Die Abfrage über die Auslastung könnte zusammen mit der Ad-hoc-Abfrage über die Unabhängigkeit erfolgen. Sie sollte nicht wie bei § 1897 VIII BGB tatsächlich Zahl und Umfang der Mandate umfassen, da dies einen im Eilfall unverhältnismäßigen Aufwand darstellt und dazu zwingen würde, eine Auslastungsgrenze festzulegen. Ausreichen sollte eine Erklärung des Verwalters über seine Auslastung, um verifizieren zu können, ob er ein Verfahren bestimmter Größenordnung übernehmen kann oder derzeit bereits mit Großverfahren belastet ist. Eine entsprechende Abfrage könnte auch telefonisch erfolgen.

B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe 697 Im folgenden Teil soll erläutert werden, wie die bereits mehrfach angesprochene Beschränkung des Berufszugangs auf eine Kammermitgliedschaft in einer Rechtsanwalts-, Steuerberater- oder Wirtschaftsprüferkammer verlaufen soll (Rn. 698). Ferner werden weitere Zugangsvoraussetzungen (Rn. 709) sowie auch Gründe erläutert, die eine Bestellung als Verwalter ausschließen können (Rn. 712). Letztlich ___________ 1270) Entsprechende Fragebögen werden bereits heute vorgehalten und verwendet und treffen auf breite Zustimmung: vgl. AG Hamburg, ZInsO 2017, 375; dazu Frind, ZInsO 2017, 363; mit eigenem Fragenbogen auch, Frind/Graeber/Schmerbach/Siemon/Stephan, ZInsO 2012, 368; ähnliche Fragebögen stellen auch der BAKinso, abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/ dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023) und der VID, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/02/fragebogen-unabhaengigkeit-dverwalters_28022018.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023) zur Verfügung. Aktuell außerdem, AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77. 1271) Römermann, ZIP 2018, 1757 (1763). 1272) Eichel, KTS 2017, 1 (5f.); im Rahmen der Untersuchung zur Bestellentscheidung wurde bereits festgestellt, dass es sich bei der Auslastung um ein zulässiges Kriterium handelt, vgl. unter: Rn. 250; ferner, BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15 = NZI 2016, 913 (914); vgl. Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 56 InsO, Rn. 83; Kruth, DStR 2017, 669. So auch bereits berücksichtigt durch die Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507 (509).

264

B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe

ist die obige Untersuchung zum Rechtsschutz von Mitbewerbern gegen eine Bestellentscheidung aufzugreifen (Rn. 716).

I.

Berufszugangserfordernis: Mitgliedschaft in einer Berufskammer

Nach hier vertretener Auffassung ist der Berufszugang de lege ferenda gegenüber 698 den niedrigschwelligen Anforderungen des § 56 InsO stärker zu reglementieren.1273) Hierdurch ist vor allem eine höhere Fachkompetenz und ein höherer Qualitätsstandard innerhalb der Insolvenzabwicklung zu erwarten. Wie bereits oben angedeutet, soll der Berufszugang an die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer, Wirtschaftsprüferkammer oder Steuerberaterkammer geknüpft werden, um damit letztlich auch die Zahl der Insolvenzverwalter insgesamt moderat herab zu setzen,1274) sowie weitere verfahrensübergreifende Aufischtsmechanismen zu ermöglichen. Nicht verkammerten Insolvenzverwaltern, die bereits selbständig Verwaltungen tätigen, ist dabei Bestandsschutz zu gewähren.

1.

Keine Aufnahme oder Registrierung nichtverkammerter Insolvenzverwalter

Einigkeit besteht darin, dass nichtverkammerte Personen bereits de lege lata im 699 Vergleich zu Berufsträgern verkammerter Berufe deutlich geringeren, bzw. keinen Anforderungen an ihre Qualifikation unterliegen.1275) Auch einer vom Bundesgerichtshof verwendeten bereichspezifischen Anwendung eines Quellberufsrechtes unterliegen sie nicht. Ein einheitlicher Qualitätsstandard besteht daher aufgrund dieser Ungleichbehandlung gegenwärtig nicht. Henssler plädiert daher für die künftige Aufnahme nichtverkammerter Insolvenzverwalter in die Rechtsanwaltskammer oder alternativ für ihre Registrierung nach dem RDG, über das derzeit etwa auch der Berufszugang zu den Berufen der Inkassounternehmer oder Rentenberater geregelt wird. Angehöriger sozietätsfähiger Berufe wie Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer etwa 700 müssten bereits heute Mitglied der Rechtsanwaltskammer werden, wenn sie als Geschäftsführer tätig würden. Nicht verkammerte Insolvenzverwalter könnten daher bei Vorliegen gesetzlich normierter Berufszugangsregelungen ebenso aufgenommen werden.1276) Eine weitergehende Aufnahme nichtanwaltlicher Berufe in ___________ 1273) Eine starre Kontingentierung des Insolvenzverwalterberufes, ähnlich der des Notarberufs ist jedoch abzulehnen und bedürfte wohl detaillierten gesetzlichen Vorgaben, vgl. bereits unter: Rn. 394; dazu ebenso: Höfling, JZ 2009, 339 (348); Preuß, KTS 2005, 155 (177). 1274) So auch: Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760). 1275) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 91. 1276) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 93f.

265

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

die Rechtsanwaltskammer ist jedoch nach hier vertretener Ansicht mit den oben geschilderten Argumenten abzulehnen. Durch die verstärkte Aufnahme nicht klassischer Anwälte, wie den Syndikusrechtsanwälten oder eben auch nicht verkammerten Insolvenzverwalter könnte es zu einer negativen Beeinflussung, bzw. „Verwässerung“ des Anwaltsrechts kommen. Die vorwiegend zur Vertretung allgemeiner anwaltlicher Interessen zuständigen Anwaltskammern müssten durch die zunehmende Aufnahme nicht genuin anwaltlich tätiger Berufsmitglieder und weiterer berufsfremder Mitglieder zunehmend Kompromisse eingehen, die den Homogenitätsanforderungen, die auch das Bundesverfassungsgericht an die Binnenstruktur von Berufskammern stellt, nicht genügen könnten.1277)

701 Der Vorschlag Hensslers sieht schließlich alternativ eine Registrierungsmöglichkeit nach § 10 I 1 Nr. 4 RDG n. F. vor, die nach § 10 I 2 RDG für ein Teilgebiet, etwa für den Bereich der Verbraucherinsolvenzen und/oder für den Bereich der Unternehmensinsolvenzen von natürlichen Personen mit einer begrenzten Anzahl von Arbeitnehmern ermöglicht werden könnte. Die Insolvenzverwaltung stelle zwar nicht notwendigerweise eine Rechtsdienstleistung i. S. v. § 3 RDG dar, doch weise sie einen engen Bezug zu diesem Sektor auf, so dass die Möglichkeit der Registrierung kein Systembruch bedeute. Der Regulierungsbedarf ergäbe sich durch eine vergleichbare Interessenlage und Schutzbedürftigkeit wie bei sonstigen Dienstleistungen, die einen Bezug zu Rechtsdienstleistungen aufwiesen.1278)

2.

Vorzugswürdigkeit einer Zugangsbegrenzung

702 Die Einführung eines nach hiesiger Ansicht vorzugswürdigen Zugangserfordernisses spiegelt letztlich die erhebliche Verantwortung des Insolvenzverwalters gegenüber den Verfahrensbeteiligten wider, die er in rechtlicher, wirtschaftlicher und vor allem auch sozialer Hinsicht trägt und ist auch daher geboten. Eine entsprechende Zugangshürde trägt letztlich auch zum Schutz vor finanziellen Einbußen der Gläubiger bei.1279)

703 Praktisch sollte dies damit erreicht werden, dass die Angehörigkeit zu einer der drei Berufsgruppen Voraussetzung für die Aufnahme in das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter ist. Zum Insolvenzverwalter bestellt werden darf wiederum nur, wer in dem elektronischen Verzeichnis für Insolvenzverwalter gelistet ist.

704 Die Notwendigkeit einer auch zahlenmäßigen Begrenzung der Verwalterzahl wurde oben festgestellt, um ein „leer-laufen“ der Vorauswahl zu verhindern und ihre Ord___________ 1277) BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 = NVwZ 2017, 1282; dazu ausführlich Kluth, NZI 2019, 649 (651). 1278) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 95 ff. 1279) Vgl. Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (655).

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B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe

nungs- und Strukturierungsfunktion zu sichern. Führen Zugangsbeschränkungen nicht zu einer tatsächlichen Begrenzung der Gesamtzahl, wird erneut einer von einer Liste oder einem Verzeichnis losgelösten Bestellentscheidung Vorschub geleistet.1280) Nur so kann jedoch den durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zutreffend herausgearbeiteten Zwecken einer Vorauswahl Rechnung getragen werden: Einerseits die Grundrechte der Bewerber bei der eigentlichen Auswahlentscheidung zu gewährleisten – insbesondere einen chancengleichen Berufszugang; andererseits eine zügige Eignungsprüfung mit Blick auf die konkrete Bestellentscheidung zu ermöglichen.1281) Dem lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, dass eine entsprechende Berufszu- 705 gangsbeschränkung in Anbetracht kleinerer Verfahren, insbesondere von Verbraucherinsolvenzverfahren, unverhältnismäßig erscheine, da diese gerade durch nicht den drei Kammerberufen zugehörige Berufsgruppen abgewickelt würden.1282) Gerade im Rahmen der Tätigkeit von Verbraucherinsolvenzverfahren findet regelmäßig eine großzügige Delegation auf den Mitarbeiterstab und entsprechend ausgebildete Insolvenzsachbearbeiter statt. Eine solche Delegation ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts letztlich auch grundsätzlich zulässig.1283) Kleinere Betriebe könnten auch zukünftig durch Wirtschaftsjuristen, vereidigte Buchprüfer oder ähnliche Berufsgruppen abgewickelt werden. Sie können dafür aber nicht selbst bestellt werden, sondern müssen dies in einer Tätigkeit für einen gelisteten Verwalter tun. Soweit dies nicht der gängigen Praxis entspricht und Betroffene als selbstständig tätige Insolvenzverwalter bereits niedergelassen sind, handelt es sich freilich um einen starken Grundrechtseingriff. Dieser sollte durch eine Übergangsregelung abgemildert werden. Für diejenigen die bereits zum Zeitpunkt der Einführung der Berufszugangsregelung Insolvenzverwaltungen in eigener Person vorgenommen haben, sollte ein Bestandsschutz vorgesehen werden, sodass Angehörige nicht verkammerter Berufe lediglich langsam aus dem Markt verschwinden würden.1284), 1285) ___________ 1280) Vgl. Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2617); so auch, MüKoInsO/Graeber, § 56 Rn. 99b. 1281) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01 = NZI 2004, 574 (576); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 = NZI 2006, 453 (455); Jacoby, Das private Amt, S. 506; Zipperer, ZInsO 2018, 2613 (2616). 1282) Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 121. 1283) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643); wie weit eine solche Delegationsbefugnis reicht, gilt jedoch als weitestgehend ungeklärt, Uhlenbruck/Zipperer, § 56 InsO, Rn. 20, vgl. bereits oben unter: Rn. 176. 1284) Vgl. Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760). 1285) Zu Erwägen ist eine Unterteilung der Liste in verschiedene Abteilungen, etwa, Unternehmensinsolvenzen; Regelinsolvenzverfahren natürlicher Personen, bei denen eine Verfahrenskostenstundung beziehungsweise Abweisung mangels Masse von vornherein abzusehen sei; Verbraucherinsolvenzverfahren usw. (so etwa für ausdrücklich zulässig erachtet: BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 = NZI 2009, 641 (643)). Hier könnte dann – alternativ – auch von dem Erfordernis der Kammermitgliedschaft, für etwa das Verzeichnisses für Verbraucherinsolvenzverfahren abgesehen werden.

267

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

706 Der dann bestehende starke Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 I GG ist schließlich durch das überragend wichtige Rechtsgut des Schutzes einer funktionsadäquaten Rechtspflege gerechtfertigt.1286) Gerade mit dem Gesamtvollstreckungsverfahren besteht ein Verfahren, das dem unmittelbaren Schutz und der Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter aller Beteiligter dient. Es handelt sich um ein wesentliches Element der vom Staat geschuldeten Justizgewähr.1287) Die Ausgestaltung dieses Verfahrens, insbesondere die Qualitätssicherung und die Gewähr einer effektiven Aufsicht stellt damit ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut dar.

707 Schließlich besteht das Erfordernis, den Berufszugang durch klar messbare, formale Kriterien transparent zu machen. Dies gelingt ohne Aufwand, aber mit hohem Qualitätsstandard durch eine Koppelung an die Kammermitgliedschaft der drei genannten Berufsgruppen. Letztlich spricht für eine solche Handhabung auch, dass dadurch eine – de lege lata fehlende – verfahrensübergreifende Aufsicht erreicht werden kann. Durch die Kopplung der Insolvenzverwaltertätigkeit an eine der Kammermitgliedschaften wird sichergestellt, dass sich der jeweilige Berufsträger in der gesamten Breite seiner beruflichen Tätigkeit ordnungsgemäß verhält. Verlöre er etwa seine Kammerzulassung aufgrund eines primärberufsrechtlichen Verstoßes, kann er gleichzeitig nicht mehr als Insolvenzverwalter bestellt werden. Partiell übernehmen die Kammern zudem auch die Aufsicht über die insolvenzspezifischen „core values“ des Insolvenzverwalters. Flankiert werden diese ersten verfahrensübergreifenden Aufsichtsinstrumentarien zusätzlich durch einen Informationsaustausch der Aufsichtsorgane (dazu sogleich).

708 Eine klassische Zulassungsprüfung zum Beruf des Insolvenzverwalters ist nach hier vertretener Ansicht hingegen abzulehnen.1288) Sie ergebe einen erheblichen Aufwand, müsste sie doch zunächst einer staatlichen Stelle übertragen werden und zunächst überhaupt konzipiert werden. Ein solcher Aufwand ist unverhältnismäßig.1289) Die damit verfolgte Zielsetzung unter anderem das einer Steigerung der Fachkompetenz und Qualität des Inolvenzwesens – lässt sich durch das hier aufgezeigte Modell mit deutlich milderen, aber gleichwohl effektiven Mitteln erreichen. ___________ 1286) Vgl. Höfling, JZ 2009, 339 (343); eine entsprechende Rechtfertigung lässt nun auch explizit die Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen in Art. 6 II zu, in dem es ausdrücklich auch die „Wahrung der geordneten Rechtspflege“ genannt wird. 1287) Wie es das BVerfG bereits in BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 í 1 BvR 3102/13 = NZI 2016, 163 feststellte. 1288) So etwa: Beck, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, S. 31 (52f.); Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 232 ff.; Niering, in: Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, S. 643 (654); Vallender, ZIP 2019, 158 (162); ders., NZI 2017, 641 (647); sowie Formulierungsvorschlag der Hauptversammlung der BRAK v. 22.6.2020 abrufbar unter: https://www.brak.de/die-brak/ausschuesse/ausschuss-insolvenzrecht/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); Pohlmann, BRAK-Mitt. 2020, 174. 1289) Vgl. Römermann, ZIP 2018, 1757 (1760).

268

B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe

II. Weitere Zugangs- und Bestellkriterien Neben der Voraussetzung, in einem elektronischen Verzeichnis für Insolvenzver- 709 walter gelistet zu sein, bleiben die abstrakt-generellen Bestellkriterien der Eignung, Geschäftskunde, Unabhängigkeit unter Ergänzung der derzeitigen Auslastung bestehen. Sie werden schließlich bei der Bestellentscheidung des Insolvenzrichters unter Zu- 710 hilfenahme des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter zur Anwendung gebracht. Für die Aufnahme sind den Insolvenzverwaltern dann Angaben zu weiteren Kriterien vorgeschrieben, damit dem zuständigen Richter eine ausreichende Datenbasis zur Verfügung steht. Neben der Mitgliedschaft in einer der drei Kammern sollen die Verwalter als weitere zwingende Zugangsvoraussetzungen zum Verzeichnis eine dreijährige Tätigkeit als Mitarbeiter eines Insolvenzverwalters oder eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vorweisen können.1290) Ebenso sollte der Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung zwingend erforderlich sein. Dem zuständigen Richter wird hierdurch ermöglicht, seine richterliche Unabhängig- 711 keit bei der Datenauswertung durch Setzung eines Filters bestmöglich zu verwirklichen, sowie sein pflichtgemäßes Ermessen durch die Auswahl der aus seiner Sicht für das jeweilige Verfahren besonders ausschlaggebenden Kriterien zu realisieren.

III. Ausschluss der Bestellfähigkeit Zur näheren Konkretisierung der Eignungsentscheidung sind ebenfalls Gründe zu 712 nennen, die eine Bestellung zum Insolvenzverwalter ausschließen. Es handelt sich insofern um negative Eignungskriterien. Sie beschreiben letztlich Inhabilitätsgründe, die insoweit das Kriterium der Unabhängigkeit konkretisieren. Die Ausschlussgründe orientieren sich an den Tätigkeitsverboten des § 45 BRAO und sollen folgende Vorbefassungen einschließen: Eine (Rn. 698) Tätigkeit in derselben Rechtssache als Berater, Gutachter, Sachver- 713 ständiger, Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter; ferner (Rn. 709) wer als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat und deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder die Vollstreckung aus ihr betrieben ___________ 1290) Vgl. etwa Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 278; Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (126); Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (462); Vallender, ZIP 2019, 158 (162); ob ein Nachweis über die Erfahrungen des Verwalters einzuholen ist und welche Informationen diesbezüglich konkret eingeholt werden sollen ist de lege lata im Rahmen der Vorauswahllisten gänzlich in das Ermessen des Insolvenzrichters gestellt, vgl. Rn. 172; so nun nach den obigen Feststellungen auch nahezu alle unterbreiteten Reformvorschläge.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

wird; eine Bestellung sollte letztlich (Rn. 712) auch ausgeschlossen sein, wenn die in Betracht kommende Person in der Verfahrensangelegenheit, bereits als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater oder in ähnlicher Funktion tätig war.1291)

714 Der Insolvenzverwalter ist dazu verpflichtet entsprechende Umstände im Rahmen der Ad-hoc-Abfrage gegenüber dem Gericht offenzulegen.1292)

715 Die dargelegten Verbote sollen auch für die mit dem Insolvenzverwalter in Sozietät, gemeinschaftlich ausüben oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Insolvenzverwalter und Angehörigen anderer Berufe gelten und auch insoweit einer von diesen im Sinne der Nr. 1 – 3 befasst war.1293)

IV. Rechtsschutz unberücksichtigter Mitbewerber gegen die Bestellentscheidung 716 Bereits oben wurde der Rechtsschutz gegen die Bestellentscheidung im konkreten Fall eingehend untersucht.1294) Dabei wurde im Ergebnis für die Möglichkeit einer nachträglichen Beschwerde plädiert, die – so gesehen systemwahrend – ausdrücklich implementiert werden solle. Die Ausschlusswirkung des § 6 InsO entfaltet sich damit nicht. Gleichzeitig wird das – gerade mit § 6 InsO verfolgte – Interesse aller Verfahrensbeteiligter an einer zügigen Verfahrensabwicklung gewahrt, da auch die Beschwerde lediglich auf eine nachträgliche Feststellung ausgerichtet werden soll. Das Einlegen der Beschwerde soll außerdem keine aufschiebende Wirkung i. S. v. § 4 InsO i. V. m. § 570 ZPO entfalten. Die Bestellentscheidung soll durch den Insolvenzrichter außerdem kurz begründet werden. Eine entsprechende Begründung kann dann durch das Beschwerdegericht herangezogen werden. Die Entscheidungsgründe des Richters werden den Beteiligten dadurch transparent gemacht. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist nur für die in den engeren Bewerberpool gelangten Verwalter zu bejahen.1295)

717 Bis hier erarbeiteter Regelungsvorschlag: 718 § 56 InsO-E: (1) Der Insolvenzverwalter übt einen freien Beruf aus. Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe. Der Insolvenzverwalter übt sein Amt unabhängig, gewissenhaft, eigen___________ 1291) Ähnlich auch Römermann, ZIP 2018, 1757 (1764); ähnlich auch, AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77. 1292) Zu den bereits heute bestehenden Folgen eines Verstoßes gegen Offenlegungsverpflichten vgl. Rn. 284. 1293) Vgl. § 45 III BRAO [§ 45 II BRAO n. F.], so auch verwendet vom AG Nürnberg, ZInsO 2020, 77. 1294) S. o. unter: Rn. 446. 1295) S. o. unter: Rn. 502.

270

B. Beschränkung des Berufszugangs und Ausschlussgründe

verantwortlich, unparteilich, sachlich und unter Ausschluss der Wahrnehmung widerstreitender Interessen aus. (2) Zum Insolvenzverwalter ist eine nach § 31c BRAO-E gelistete, für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. Das Insolvenzgericht soll die Entscheidung begründen. Das Insolvenzgericht hat die persönliche, wirtschaftliche und rechtliche Unabhängigkeit für das jeweilige Verfahren mittels einer Ad-hoc-Abfrage zu prüfen. Gleiches gilt für die derzeitige Auslastung des Insolvenzverwalters. Der Insolvenzverwalter ist zur Offenlegung entsprechender Umstände, insbesondere derer des Abs. 3, verpflichtet. Der Insolvenzverwalter bestätigt im Rahmen der Abfrage die Richtigkeit dieser und seiner in § 31c V BRAO-E getätigten Angaben. Der Verwalter erhält eine Urkunde über seine Bestellung. Bei Beendigung seines Amtes hat er die Urkunde dem Insolvenzgericht zurückzugeben. (3) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ein Formular für die nach Absatz 2 Satz 3 und 4 vorzunehmende Abfrage einzuführen. Die Beteiligten sind an die Verwendung dieses Formulars gebunden. (4) Zum Insolvenzverwalter kann nicht bestellt werden, wer 1. in derselben Rechtssache als Berater, Gutachter, Sachverständiger, Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist; 2. als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat und deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder die Vollstreckung aus ihr betrieben wird; 3. in der Verfahrensangelegenheiten bereits als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater oder in ähnlicher Funktion tätig war. Die Verbote der Nr. 1 – 3 InsO gelten auch für die mit dem Insolvenzverwalter in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Insolvenzverwalter und Angehörigen anderer Berufe und auch insoweit einer von diesen im Sinne der Nr. 1 – 3 befasst war. (5) Gegen die Nichtberücksichtigung bei der Bestellentscheidung steht den gelisteten Insolvenzverwaltern die sofortige Beschwerde zu. Die sofortige Beschwerde entfaltet keine aufschiebende Wirkung.

271

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

C. Implementierung des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter 719 Bereits oben wurde dargelegt, dass nach hier vertretener Ansicht ein elektronisches Verzeichnis für Insolvenzverwalter implementiert werden soll. Dessen Funktionsweise ist anschließend zu erläutern (Rn. 720). Ferner sollen die in dem Verzeichnis aufgeführten Kriterien benannt und erläutert werden (Rn. 727). Eine wahrheitsgemäße Meldung der Kriterien ist durch Sanktionen sicherzustellen, auch das Streichen aus dem Verzeichnis sollte letztlich möglich sein (Rn. 730).

I.

Funktionsweise des elektronischen Verzeichnisses

720 De lege ferenda ist ein bundeseinheitliches, elektronisches Verzeichnis für Insolvenzverwalter zu implementieren. Die Einführung eines entsprechend zentralen, elektronischen Verzeichnisses dürfte mittlerweile überwiegend auf Zustimmung stoßen.1296)

721 Als Vorbild dienen die elektronischen Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern bzw. das elektronische Gesamtverzeichnis der BRAK (§§ 31 ff. BRAO). Als sachnahester Regelungsort erscheint daher auch ein § 31c BRAO-E unter Aufrücken der derzeitigen lit. c).1297) Das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter sollte bei der BRAK auch geführt werden. Dafür spricht einerseits, dass die überwiegende Zahl der Insolvenzverwalter ohnehin Rechtsanwälte sind, außerdem, dass die BRAK bereits gegenwärtig Erfahrungen mit Verzeichnissen dieser Art hat und daher Synergieeffekte im Rahmen der Verwaltungsabwicklung zu erwarten sind.1298) Der BRAK könnte das Führen eines entsprechenden Verzeichnisses insofern gem. § 177 II Nr. 8 BRAO-E aufgetragen werden. Gegen das Führen eines solchen Verzeichnisses streitet auch nicht etwa die Eigenständigkeit des Insolvenzverwalterberufes. Diese wird durch das Führen der Vorauswahlliste durch die ___________ 1296) Vgl. etwa: Cranshaw, NZI 2020, 143 (143); Eichel, KTS 2017, 1 (5); Frind, ZInsO 2017, 2146 (2148); Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 112; Kruth, Die Auswahl und Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 279; Stephan, in: Internationale Finanzmarktkrise, Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzrechtsreform, S. 117 (127); ebenso nun das Eckpunktepapier von VID, NIVD und BAKinso (Nr. 2), abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-der-nivd-e-v-und-des-vid-e-v/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023); lediglich begrenzt auf die OLG-Bezirke: Prütting, in: Festschrift für Heinz Vallender zum 65. Geburtstag, S. 455 (469); für eine privatwirtschaftliche Initiative hingegen noch der, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung, des Kreditwesengesetzes und anderer Gesetze, NZI 2004, 549 (554); für eine zentrale bei dem Bundesamt für Justiz geführte Bundesdatenbank und 24 regionale Vorauswahllisten, Brzoza, NZI 2021, 513 (515 ff.); sowie ferner nun auch der Bericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe. 1297) Alternativ wäre auch das Einführen eines § 56c InsO n. F. möglich. 1298) Vgl. Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 (159).

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C. Implementierung des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter

Kammer nicht tangiert. Vielmehr würde die Eigenständigkeit des Insolvenzverwalters als freier Beruf durch die Übernahme der Listenführung durch eine Behörde in unüblicher Weise gestört. Anders als im Rahmen der aktuell gebräuchlichen Anwaltsverzeichnisse, ist die 722 Aufnahme der Insolvenzverwalter in das elektronische, bundesweite und bei der BRAK geführte Verzeichnis nach dem oben Gesagten konstitutiv für die Ausübung des Berufes.1299) Es kann nur bestellt werden, wer auch in das Verzeichnis eingetragen ist. Die bundeseinheitliche Eintragung in das Verzeichnis gewährleistet erstmals einen 723 einheitlichen Standard, der Kriterien enthält, die den Insolvenzrichtern bei ihrer Bestellentscheidung zur Verfügung stehen. Vor allem gewährleistet das Verzeichnis Chancengleichheit zwischen allen Prätendenten, da alle gelisteten Insolvenzverwalter die Möglichkeit erlangen, sich den Insolvenzrichtern und Gläubigern in gleicher Weise zu präsentieren. Damit wird künftig ein transparentes Verfahren geschaffen, das eine einheitliche und valide Informationsbasis für die Verfahrensbeteiligten bereitstellt. Erreicht wird damit zudem auch eine Entlastung der Insolvenzrichter, die nicht länger mit der äußerst umfangreichen Listenführung, Datenergebung, ihrer Strukturierung und Verifizierung beschäftigt werden. Das elektronische Verzeichnis sollte allen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung ge- 724 stellt werden.1300) Nicht nur für Insolvenzrichter werden die enthaltenen Daten bei der Bestellung von erheblicher Relevanz sein, auch Gläubiger und Schuldner dürften ein erhebliches Interesse daran haben.1301) Sind doch auch sie in der Regel damit konfrontiert, kurzfristig einen geeigneten (Eigen-)Verwalter zu finde. Hierbei sollen auch sie sich auf die validen Informationen des Verzeichnisses verlassen können. Auch das Vertrauen von Gläubigern und Schuldnern in die Qualität des Verfahrens würde dadurch deutlich gestärkt. Denn vor allem würde hierdurch schließlich auch das als „stumpfes Schwert“1302) bezeichnete Wahlrecht der Gläubiger aus § 56a InsO geschärft und effektuiert werden, dürfte es den Gläubigern mit Hilfe des Verzeichnisses doch leichter fallen, anhand der Kriterien entsprechende Anforderungen i. S. v. § 56a I InsO an einen Verwalter zu stellen. Bei den Anforderungen können sie sich ___________ 1299) Zur lediglich deklaratorischen Wirkung der Rechtsanwaltsverzeichnisse, Geier/Wolf/Göcken/ Siegmund, § 31 BRAO, Rn. 78. 1300) Anders hingegen das Eckpunktepapier von VID, NIVD und BAKinso (Nr. 3), abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-der-nivd-e-v-und-des-vid-e-v/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1301) Zur Vermeidung eines missbräuchlichen Gebrauchs der zT persönlichen Daten, sollten Gläubiger und Schuldner unmittelbar vor einem Verfahren einen formlosen Antrag an die BRAK zu stellen haben, in dem sie glaubhaft machen sollten, an einem bevorstehenden Verfahren beteiligt zu sein. 1302) Braun/Frank, NZI 2020, 1 (7).

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

schließlich auch sicher sein, dass sie auch durch den Insolvenzrichter selbst geprüft und verifiziert werden (können), wie es nach § 56a II InsO erforderlich ist. Gleiches gilt auch für die §§ 57, 270 b II 1 InsO [§ 270b I 1 InsO n. F. ].1303)

725 Das elektronische Verzeichnis ist schließlich mit einer Such- bzw. Filterfunktion auszustatten, wie sie etwa auch auf Homepages verschiedener Marketplaces oder Reiseanbieter zu finden sind. Mit ihr soll der Richter die aus seiner Sicht ausschlaggebenden Kriterien auswählen können, etwa ob für das jeweilige Verfahren ein ortsnaher Verwalter erforderlich ist oder bestimmte Branchenkenntnisse notwendig sind. Anhand des sich daraus ergebenen Pools, kann er letztlich den aus seiner Sicht geeigneten Verwalter auswählen und ihn nach erfolgreicher Ad-hoc-Abfrage bestellen.1304)

726 Die für das Verzeichnis erforderlichen Daten sollen von den Verwaltern elektronisch an die BRAK übermittelt werden. Die Insolvenzverwalter tragen die Verantwortung für die Richtigkeit und Rechtsmäßigkeit der übermittelten Daten. Aufgabe der listenführenden Stelle ist dabei zunächst nur die Pflege des Registers; Ermittlungen über die Richtigkeit der Daten anzustellen, ist ihnen nicht aufzubürden; der Verwaltungsaufwand ist gering zu halten. Die Richtigkeit der Daten sollte vielmehr durch den Insolvenzverwalter innerhalb der Ad-hoc-Abfrage zu bestätigen sein. Das Insolvenzgericht ist insofern auf die wahrheitsgemäßen Angaben der Bewerber angewiesen.1305) Mittels der Androhung von Sanktionen soll dies präventiv sichergestellt werden. Hinzutreten sollte ein geregelter Informationsaustausch der beteiligten Stellen (dazu später).1306) Bei Vorliegen aller erforderlichen Daten, ist dem Bewerber eine Bestätigung auszustellen. Er hat dann einen Anspruch auf Aufnahme in das Verzeichnis.1307)

II. Zu erhebende Kriterien 727 Die nun folgenden Kriterien stellen einen Grundstock dar, durch dessen Anwendung hier davon ausgegangen wird, einen ausreichend engen Bewerberpool zu___________ 1303) Zur zwingenden Prüfung der Eignungsvoraussetzungen durch das Insolvenzgericht i. R. v. Vorschlägen nach §§ 56a, 57, 270 b II 1 InsO vgl. bereits oben unter: Rn. 276. 1304) Vgl. Eichel, KTS 2017, 1 (9). 1305) Vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02 = NZI 2004, 440 (442). 1306) Eine Mitwirkungspflicht der Bewerber bei der Tatsachenermittlung steht nicht dem Amtsermittlungsgrundsatz aus § 5 InsO entgegen, vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02 = NZI 2004, 440 (442); Eichel, KTS 2017, 1 (10). 1307) So bereits heute, vgl. Geier/Wolf/Göcken/Siegmund, § 31 BRAO, Rn. 51; Weyland/Weyland, § 31 BRAO, Rn. 24. Bei Henssler soll die Eingabe der relevanten Daten hingegen durch die regionalen Rechtsanwaltskammern erfolgen. Auch die Kontrolle der Daten solle ihnen überlassen werden. Henssler beschränkt sich bei den in das Verzeichnis aufzunehmenden Kriterien vorwiegend auf solche, über die die regionalen Kammern bereits verfügen, um Synergieeffekte zu erzielen, Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 114f.

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C. Implementierung des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter

sammenstellen zu können, anhand dessen der zuständige Insolvenzrichter in der Lage sein sollte, einen geeigneten Verwalter zu bestellen. Soweit die vorzustellenden Merkmale nicht ausreichen, um in praxi einen engeren Bewerberpool zusammenzustellen, müssten sie weiter ausdifferenziert werden.1308) Wie so oft innerhalb datenbasierter Systeme oder Suchmaschinen, wird das Ergebnis besser, je mehr Daten zur Verfügung stehen und in das System eingespeist werden.1309) Der Umfang der zu meldenden Kriterien sollte jedoch letztlich nicht unverhältnismäßig groß werden. Wie bereits oben dargestellt, zielt ein entsprechendes System nicht darauf ab, ein zu enges Korsett für den gesuchten Verwalter vorzugeben. Die Ermessensentscheidung des Richters soll lediglich, aber erheblich, erleichtert werden und anhand der Kriterien zu einer Reduzierung des zur Verfügung stehenden Pools führen, aus dem er dann den aus seiner Sicht für den Einzelfall geeignetsten auswählen kann. Es sollten möglichst nur objektive Kriterien ohne einen Wertungsspielraum gewählt werden.1310) Kennzahlen sollten nicht erhoben werden. Falls dies erwünscht sein sollte, böte sich ein Rückgriff auf die durch das InsStaG ohnehin erhobenen Daten an, die dann personalisiert übermittelt werden könnten.1311) Die nachfolgend genannten Kriterien sind in dem System zu verschlagworten, um 728 sie mittels des Filters auswählen zu können. Aufgrund der Angaben über die Niederlassungen eines Verwalters sollte der Richter etwa feststellen können, ob er ein ortsnahes Büro1312) im Insolvenzgerichtsbezirk unterhält, falls er dies für erforderlich hält. Auch sollte er Filterkriterien auswählen können, ob ein Büro etwa arbeitsrechtliche oder steuerrechtliche Expertise vorweisen kann. Zur Verschlagwortung und ggf. weiteren Ausdifferenzierung sollte dem BMJV eine Verordnungsermächtigung übertragen werden. Es böte sich an, die Rechtsanwaltsverzeichnis- und –postfachverordnung – RAVPV dahingehend durch einen weiteren Teil zu ergänzen und entsprechende Vorgaben für das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter zu implementieren.1313)

___________ 1308) Detailiert zu den Qualitätsanforderungen etwa Schneider, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 327. 1309) Vgl. Eichel, KTS 2017, 1 (12 ff). 1310) Dies setzt bereits Art. 10 II e) DL-RL voraus. 1311) Generell zur Meldesystematik: Heyer, NZI 2012, 945. 1312) Im Rahmen der Bestellentscheidung wird die Ortsnähe als sachgerechtes Kriterium anerkannt, BGH, Beschl. v. 17.3.2016 í IX AR (VZ) 2/15 = NZI 2016, 512 (515), vgl. bereits unter: Rn. 289. 1313) Aufgrund der Verordnungsermächtigung des BMJV ist die Rechtsanwaltsverzeichnis- und – postfachverordnung – RAVPV am 23.9.2016 erlassen und am 27.9.2016 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden (BGBl. I S. 2167). Diese sollte nunmehr um einen weiteren Teil „Elektronisches Verzeichnis für Insolvenzverwalter“ ergänzt werden und die Regelung des § 31 c BRAO-E ergänzend konkretisieren, vgl. §§ 2, 10 RAVPV.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

729 Die folgenden Kriterien sollten durch die Insolvenzverwalter zu melden sein: (1) Familiennamen und Vornamen des Verwalters; Name des Büros und dessen Anschrift; von dem Insolvenzverwalter mitgeteilte Telekommunikationsdaten und Internetadressen des Büros und bestehender weiterer Büros und Zweigstellen;1314) (2) Berufsbezeichnung, Fachanwaltstitel, sonstige Qualifikationen (z. B. Lehrtätigkeit, Referent, Prüfer);1315) (3) Hauptniederlassung und Anzahl sowie Lage aller Zweigniederlassungen, Ausstattung der verschiedenen Büros (insb. Nutzung von insolvenzspezifischer EDV);1316) (4) Organigramm der gesamten Kanzlei mit Überblick über sonstige Tätigkeitsfelder, Mitteilung der Tätigkeitsfelder der übrigen Sozii; Nachweis der Abdeckung der Arbeitsbereiche Steuer- und Arbeitsrecht durch entsprechend ausgebildete Mitarbeiter oder durch Vertrag nachgewiesener Zugriff auf „Externe“; Anzahl der sonstigen volljuristischen Mitarbeiter/innen; Anzahl der sachbearbeitenden Mitarbeiter/innen mit Angaben der insolvenzspezifischen Ausbildung;1317) (5) Fremdsprachenkenntnisse; Kenntnisse ausländischen Rechts;

___________ 1314) Das Kriterium orientiert sich an § 31 III BRAO n. F. i. V. m. § 2 RAVPV; es handelt sich hierbei um grundlegende Informationen, die nicht zu verschlagworten sind und daher nicht durch die Filterfunktion ausgewählt werden können müssen. Vielmehr sollten diese Informationen bei Auswahl desjenigen Verwalter genell angezeigt werden. 1315) Auch hierbei dürfte es sich eher um grundlegende Informationen handeln, lediglich etwa die Berufsangehörigkeit könnte in Einzelfällen eine Suchkriterium darstellen, das folglich zu verschlagworten ist. 1316) Diese Kriterien enthalten bereits spezifische Informationen, die für die Auswahlentscheidung des Richters entscheidend sein könnten. Es enthält etwa das zu verschlagwortende Kriterium der Ortsnähe sowie die für viele Insolvenzgerichte wichtige Information über die insolvenzspezifische EDV-Ausstattung, s. o. unter: Rn. 198. 1317) Entsprechende Merkmale scheinen für die Insolvenzrichter eine große Bedeutung zu haben, vgl. Rn. 198. Mittels der benannten Informationen ist dem Insolvenzrichter ein hinreichender Überblick über die Büroorganisation, Ausstattung und Größe zu geben. Ihm sollte je nach konkreter Falllage ferner ermöglicht werden, arbeitsrechtlich oder steuerrechtlich geschultes Personal, etwa im jeweiligen Büro tätige FA auswählen zu können. Letztlich ist zu erwägen, innerhalb der konkretisierenden Bestimmung innerhalb des RAVPV, etwa drei Bürogrößen (klein, mittelgroß, groß) anzugeben, in die die jeweilien Büros engeordnet werden. Dem Richter wird es so ermöglicht etwa bei Großverfahren direkt nur auf ausreichend große Einheiten zurückzugreifen.

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C. Implementierung des elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter

(6) Branchenspezifische (Fach)Kenntnisse; Sanierungserfahrung;1318) (7) Eine Berufshaftpflichtversicherung, beinhaltend einen Versicherungsschutz für Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden aus einem Insolvenzverfahren.1319) (8) Selbstdarstellung des Verwalters1320) Diese Angaben und ggf. weitere Konkretisierungen durch die RAVPV sind regel- 730 mäßig (quartalsmäßig oder halbjährlich) durch die Verwalter zu aktualisieren. Bei einer unterbliebenen Aktualisierung oder bei Falschangaben sollte gegen den Prätendenten eine vorrübergehende Sperrung verhängt werden können.1321)

___________ 1318) Die Notwendigkeit dieses Kriteriums ergibt sich u. U. bereits aus Art. 26 I c) RRL, der ferdert, dass „bei der Bestellung eines Verwalters für einen bestimmten Fall, (…), der Erfahrung und der Sachkunde des Verwalters gebührend Rechnung getragen wird (…)“. Problematisch ist, dass der Feststellung entsprechender Kenntnisse ein Bewertungsspielraum offensteht und sie nicht lediglich objektiv festgestellt werden können. Gerade diese Kenntnisse können jedoch im Einzelfall überragende Wichtigkeit erlangen (vgl. statt vieler: Henssler, ZIP 2002, 1053 (1066); Eichel, KTS 2017, 1 (13).). Gerade bei der Suche nach überregionalen Spezialisten, etwa für Krankenhausbetriebe oder Finanzeinrichtungen, stellen entsprechende Kenntnisse ein bzw. u. U. das entscheidende Merkmal dar. Der Bewertungsspielraum lässt sich nur verringern, wenn innerhalb der RAVPV weitere Anforderungen formuliert werden, die bei der Angabe solcher Kenntnisse erforderlich werden. Die Selbstangabe sollte dann durch Fakten belegt werden, die dem Insolvenzrichter bei Auswahl des jeweils branchenerfahrenen Verwalters angezeigt werden und die er u. U. mündlich weiter in Erfahrung bringen könnte, etwa Fallzahlen in einem bestimmten Bereich oder besondere Referenzen, die bereits heute oft bei Selbstdarstellungen zu finden sind (Eichel, KTS 2017, 1 (13).). Werden Kenntnisse dem Augenschein nach ohne Substanz angegeben, sollten sie nicht aufgenommen werden, der Verwalter ist darüber zu informieren. Gleiches gilt für etwaige Sanierungserfahrungen. 1319) Hierbei handelt es sich letztlich um eine zwingende Voraussetzung für die Aufnahme in das Verzeichnis. Als Vorbild könnten hier §§ 51 BRAO, 54 WPO dienen, auch bereits § 60a InsOGAVI = BT-Drucks. 16/7251, S. 6 enthielt einen entsprechenden Vorschlag. § 60a InsOGAVI sah als Mindesversicherungsumme EUR 1,5 Mio., für Verbraucherinsolvenzverfahren EUR 500.000 vor. Das Eckpunktepapier von VID, NIVD und BAKinso (Nr. 2), sieht einen Betrag von EUR 2 Mio. vor, abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformbedarfim-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-dernivd-e-v-und-des-vid-e-v/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023). 1320) Dem Verwalter sollte schließlich Raum für eine kurze Selbstdarstellung zu geben, die über die zu meldenden Kriterien hinausgeht. Auf diese kann der Insolvenzrichter bei der Bestellentscheidung aus dem sich herauskristalisierenden Pool zurückgreifen und den aus seiner Sicht persönlich am geeignetsten Verwalter wählen. 1321) Folgende Informationen sollen hingegen nach Henssler aufgenommen werden: Angaben zur Person wie Ausbildungsnachweise, Fremdsprachenkenntnisse, Versicherungsstand, Verbandsmitgliedschaften und materielle Qualitätskriterien wie besondere Qualifikationen und Schwerpunkte der Tätigkeit, Zahl und Umfang der jeweiligen Verfahren, die der Verwalter aktuell bearbeitet, aber auch Informationen über die personelle und sachliche Ausstattung des Verwalterbüros einschließlich der eingesetzten Software zur Bearbeitung von Insolvenzverfahren; Henssler, NZI 2020, 193 (197).

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

III. Sanktionen und Rechtsschutz gegen das Delisting 731 Wie zuvor erwähnt, sollte ein vorübergehende Sperrung erfolgen können, wenn der Insolvenzverwalter die Aktualisierung seiner Daten unterlassen hat oder er vorsätzlich oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht hat. Er kann für diese bestimmte Zeit dann nicht von einem Gericht bestellt werden. Dies ist vor dem Hintergrund der Abhängigkeit des Insolvenzgerichts von den wahrheitsgemäßen Angaben der Prätendenten zu rechtfertigen.

732 Folgende Gründe sollten zur Streichung1322) eines Prätendenten aus dem Verzeichnis führen: (1) einen Versagungsgrund des § 7 Nr. 1 – 10 BRAO1323) erfüllt; (2) seine Zulassung in einer Rechtsanwaltskammer, Steuerberaterkammer oder Wirtschaftsprüferkammer verloren hat; (3) keinen aktuellen Nachweis über eine Berufshaftpflichtversicherung im Sinne von Absatz 5 Nr. 7 InsO-E vorgelegt hat; (4) der Berufsträger eine Streichung aus dem Verzeichnis beantragt.

733 Eine Streichung aus dem Verzeichnis sollte ferner erfolgen, wenn ein Verwalter innerhalb eines Kalenderjahres wiederholt gem. § 59 InsO aus dem Amt entlassen worden ist.1324) Entlassungen sollten mindestens für den Zeitraum eines Kalenderjahres vermerkt werden (dazu sogleich).

734 Fraglich ist, wie den Prätendenten Rechtsschutz gegen die genannten Maßnahmen zu gewähren ist. Wird einem Prätendenten die Mitgliedschaft seiner Kammerzugehörigkeit entzogen, steht ihm Rechtsschutz nach seinem Quellberufsrecht zu. Betroffen sind hier lediglich die Maßnahmen der listenführenden Stellen, somit das Streichen eines Prätendenten von der Liste sowie die Verhängung einer kurzzeitigen Sperre.

735 Gegen die Sanktionen sollte der Verwaltungsrechtsweg offenstehen. Die Bewerber haben einen Anspruch auf Aufnahme in das Verzeichnis, soweit sie einer der drei Berufskammern angehören, ausreichend Berufserfahrung nachweisen, eine Berufshaftpflichtversicherung vorweisen können und die für das Verzeichnis nachge___________ 1322) Das Streichen wird nun etwa auch von EG 89 der RRL explizit als Sanktionsmöglichkeit vorgesehen. 1323) Eine Anlehnung an § 7 BRAO ebenfalls erwägend, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (884 Fn. 43); ferner erscheint auch eine Orientierung an § 14 II BRAO sinnvoll, Schmittmann, ebd. 1324) Schmittmann schlägt eine Streichung vor, wenn der Insolvenzverwalter in mindestens drei Fällen gem. § 59 InsO entlassen worden ist, Schmittmann, in: Festschrift zu Ehren von Godehard Kayser, S. 875 (885).

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D. Aufsicht und Kontrolle über den Insolvenzverwalter

fragten Kriterien nachgewiesen haben. Die Verweigerung der Aufnahme stellt somit einen belastenden Verwaltungsakt dar. Nach allgemeinen Grundsätzen ist folglich die Verpflichtungsklage gem. § 42 I 2. Alt. VwGO anwendbar. Gem. § 112c BRAO findet die VwGO bereits heute im berufsrechtlichen Rechtsschutzverfahren der Rechtsanwälte grundsätzlich Anwendung. Die Verwaltungsgerichte selbst sind jedoch nach § 112a BRAO zunächst grundsätzlich nicht zuständig. Für eine entsprechend abdrängende Sonderzuweisung besteht hier jedoch gerade keine Notwendigkeit.1325) Die Verwaltungsgerichte sind hier sachlich geeignet, entsprechende Streitfälle zu entscheiden. Es geht bei den oben genannten Fällen nicht um anwaltsspezifische Streitfragen, die eine Zuständigkeit nach § 112a BRAO erforderlich machten. Dafür spricht auch die Praxis bei den Wirtschaftsprüfern. Auch innerhalb der WPO sind die Verwaltungsgerichte für den Rechtsschutz gegen eine Bestellentscheidung zuständig (§ 41 WPO). Wie auch gem. § 41 WPO sollte auch hier auf die Nachprüfung in einem Vorver- 736 fahren verzichtet werden.1326) Insofern lässt sich hier wie oben angedacht, rein verwaltungsrechtliches Handeln 737 begründen. Zudem ist eine eindeutige, auch rechtliche Trennung von Listenentscheidungen und Bestellentscheidung des Richters gelungen. In einem Verwaltungsverfahren ist die Anwendbarkeit des Amtsermittlungsgrundsatzes außerdem unstreitig.1327)

D. Aufsicht und Kontrolle über den Insolvenzverwalter Bereits oben hat sich gezeigt, dass die zwar zeitlich begrenzte, verfahrensrechtliche 738 Kontrolle durch das Insolvenzgericht grundsätzlich brauchbare Instrumentarien enthält. Der Insolvenzrichter übt eine sachnahe Kontrolle aus, für die ihm die InsO teils auch flexible Instrumente der Kontrolle zur Verfügung stellt (vgl. § 58 I 2 InsO). Außerdem darf das Insolvenzgericht auch Amtsermittlungen gem. § 5 I InsO anstellen. Flankiert wird diese Aufsicht von einer Zweckmäßigkeitskontrolle der Gläubigerschaft.1328) Herausgestellt hat sich ferner, dass die bestehenden Aufsichtsintrumentarien eher 739 weniger durch legislatorische Eingriffe zu stärken sind, sondern schon mittels der Verbesserung weicher Faktoren effektuiert werden können. Voraussetzung dafür sind eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Insolvenzgerichte ___________ 1325) Vgl. Weyland/Kilimann, § 112a BRAO, Rn. 2. 1326) Den Rechtsschutz ebenso vorsehend: Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), S. 136 ff. 1327) Zu den de lege lata bestehenden Unklarheiten s. o. unter: Rn. 159. 1328) S. o. unter: Rn. 571.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

sowie eine hinreichende Berücksichtigung im Rahmen der Pensen von Insolvenzrichtern, die sie in die Lage versetzen, die oben genannten Instrumentarien auch effektiv zur Anwendung zu bringen.1329) Eine entsprechende Erforderlichkeit lässt sich zudem auch aus Art. 25 RRL herleiten.

740 Daneben treten nun erstmals auch verfahrensübergreifende Kontrollmechanismen. Durch das bundeseinheitliche Verzeichnis sollen übergerichtliche Mechanismen ermöglicht werden, etwa der Vermerk von Entlassungen gem. § 59 InsO, die somit von allen Gerichten eingesehen werden können und nicht lediglich regional bekannt werden.1330) Eine verfahrensübergreifende Kontrolle besteht außerdem darin, dass die Zulassung zum Verzeichnis und damit auch generell zum Beruf des Insolvenzverwalters an die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwalts-, Steuerberater- oder Wirtschaftsprüferkammer gekoppelt ist. Verliert der Berufsträger folglich seine Zulassung zum Quellberuf, kann er auch automatisch nicht mehr die Tätigkeit als Insolvenzverwalter ausüben. Sofern das gesamte berufsrechtliche Verhalten des Verwalters einer Aufsicht unterworfen wird, ist seine gesamte berufliche Integrität sichergestellt. Die Aufsicht durch die jeweilige Kammer endet grundsätzlich dort, wo der jeweilige Berufsträger als Insolvenzverwalter im Anwendungsbereich der InsO tätig wird. Besondere Pflichten, die aus der InsO erwachsen, sind ausschließlich Gegenstand der insolvenzgerichtlichen Verfahrensaufsicht. Ein Einschreiten der Kammern ist während dessen also nur dann möglich, wenn gegen eine der in § 56 I InsO-E geregelten „core values“ verstoßen wird.

741 Die rein verfahrensrechtliche Kontrolle des Gerichts wird somit durch eine auch verfahrensübergreifende Aufsicht der Kammern ergänzt.

I.

Verfahrensübergreifende Kontrolle durch systematischen Informationsaustausch

742 Die verfahrensübergreifende Aufsicht soll ferner durch einen geregelten Austausch zwischen Insolvenzgerichten bzw. staatlichen Stellen und der BRAK als verzeichnisführender Stellen komplettiert werden. Dies erscheint vor dem Hintergrund des Art. 27 II RRL nunmehr auch erforderlich.1331)

743 Damit soll sichergestellt werden, dass die Insolvenzgerichte über das Verzeichnis auch Kenntnis von Entlassungen sowie Zivil-, Straf- und Vollstreckungsverfahren gegen Insolvenzverwalter erlangen. Entsprechende Kenntnisse können gerade in Bezug auf die Eignung des Verwalters wichtige Erkenntnisse für den Insolvenz___________ 1329) Dazu: Depré, in: Festschrift für Jobst Wellensiek zum 80. Geburtstag, S. 271 (277); Uhlenbruck, in: Festschrift für Bruno M. Kübler zum 70. Geburtstag, S. 709 (711); Vallender, NZI 2017, 641 (644); vgl. bereits unter: Rn. 571. 1330) Eine entsprechende Meldepflicht ist in § 59 III InsO-E vorzusehen. 1331) Vgl. Cranshaw, NZI 2020, 143 (146).

280

D. Aufsicht und Kontrolle über den Insolvenzverwalter

richter liefern. Im Zusammenhang damit sollen auch Grundlagen für eine Ergänzung der Anordnungen über Mitteilungen in Zivil- und in Strafsachen (MiZi und MiStra) geschaffen werden.1332) Die Meldepflichten von MiZi und MiStra sollten jeweils auch explizit für den Insolvenzverwalter gelten und an die BRAK gemeldet werden, die dann ihrerseits einige der Informationen in das Verzeichnis aufnehmen könnte. Dafür sollte in einem Absatz 3 des § 59 InsO eine sich an der Regelung des § 36 II, III BRAO orientierende und damit die erforderliche datenschutzrechtliche Grundlage vorsehende weitere Meldepflicht implementiert werden. Welche Mitteilungen im konkreten Fall durch die Gerichte vorzunehmen sind, ist im Einzelnen in den verwaltungsrechtlichen Vorschriften von MiZi und MiStra vorzusehen.1333) Mitzuteilen sein sollten dabei Gründe, die etwa eine Entlassung des Insolvenzverwalters nach § 59 I InsO rechtfertigen können. Gründe die etwa zum Verlust der Kammermitgliedschaft führen können und damit auch automatisch zur Streichung aus dem Verzeichnis, werden hingegen bereits bisher an die jeweiligen Kammern gemeldet. Der Insolvenzverwalter sollte daher im Rahmen der MiZi nicht in den Kreis betroffener Berufe unter XXIII/1, 2 (1) MiZi aufgenommen werden. Hierbei handelt es sich bereits dem Titel des XXIII/2 (1) MiZi nach nicht um Gründe die unmittelbar auch in einem Zusammenhang mit einer Entlassung stehen können, sondern die eher speziell an die Berufskammern gerichtet sind, um ggf. berufsrechtliche Maßnahmen einzuleiten. Sie müssen nicht auch zusätzlich für den Insolvenzverwalter festgeschrieben werden. Hierin zeigt sich so gesehen aber ein weiteres verfahrensübergreifendes Kontrollinstrument. Besser wäre es, einen neuen Abschnitt mit entsprechenden Gründen einzuführen. Darunter ließe sich etwa fassen: Verstöße gegen § 181 BGB; unterlassene Einholung nötiger Zustimmungen, etwa des Gerichtes nach § 22 I Nr. 2 InsO oder der Gläubiger nach § 160 InsO; Nichtbeachtung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung; Nichterfüllung von Auskunfts- und Berichtspflichten i. S. v. § 58 I 2 InsO; Vollstreckungsversuche1334) usw.; Insbesondere Aufsichtsmaßnahmen gem. § 58 II InsO, sowie eine rechtskräftige Entlassung durch das Gerichts gem. § 59 I InsO sollten zu melden sein. Im Rahmen der MiStra bietet sich hingegen eine Aufnahme in den 2. Abschn. 744 Nr. 23, Abs. 1 und 4 MiStra an. Dort handelt es sich um generell auf strafrechtliche Sachverhalte ausgerichtete Gründe. Eine Meldung sollte an die BRAK als verzeichnisführende Stelle gehen. Die Meldungen an die Berufskammern bleiben davon unberührt. ___________ 1332) Ebenso: Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1133); Merbecks, BRAK-Mitt. 2019, 158 (159; Dies sollte bereits auch mit § 58 Ib GAVI-InsO eingefügt werden, vgl. BT-Drucks. 16/7251, S. 10, 12. 1333) Ähnlich, BT-Drs. 16/7251, S. 10; Brzoza, NZI 2021, 513 (517). 1334) Dafür, Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1133), um Schädigungen von Gläubigern frühzeitig verhindern zu können.

281

6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

745 Durch Verweis auf § 59 III InsO-E in § 31c BRAO-E sollte die BRAK ermächtigt werden, die genannten Meldungen auch in das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter aufzunehmen. Je nach Umfang der Meldepflichten können auch nur einige Merkmale Eingang in das Verzeichnis finden. Eine Konkretisierung innerhalb der RAVPV ist hier zielführend.1335)

II. Verfahrensübergreifender Sanktionsmechanismus de lege ferenda 746 Unter anderem durch den geschilderten verfahrensübergreifenden Informationsaustausch kann die jeweilige Quellberufskammer Kenntnis von Pflichtverstößen eines jeweiligen Amtsträgers erhalten. Soweit eine verfahrensrechtliche Pflichtverletzung vorliegt und zugleich als Verstoß gegen die in § 56 InsO-E normierten insolvenzspezifischen Grundpflichten gewertet wird, sollte die Kammer ermächtigt werden, Sanktionen gegenüber dem Verwalter beantragen zu können.

747 Die genannten Kammern selbst können jedoch schließlich nur einen belehrenden Hinweis bzw. eine Rüge aussprechen. Weitergehende, abgestufte Ordnungsmaßnahmen können in den derzeitigen Berufsrechten nur die jeweilige Berufsgerichtbarkeit der Rechtsanwälte und Steuerberater aussprechen (vgl. §§ 113 ff. BRAO, 89 ff. StBerG).1336) Diese verfügen in Bezug auf den Insolvenzverwalter jedoch über keine entsprechende Legimitation.1337) Eine Eingliederung des Insolvenzverwalters in die jeweilige Berufsgerichtsbarkeit kann auch darüber hinaus nicht gewollt sein, wurde die Artverschiedenheit des Insolvenzverwalterberufes und der übrigen freien Berufe doch bereits oben herausgearbeitet. Auch besteht die Notwendigkeit einer eigenen, unabhängigen Berufsgerichtsbarkeit für den Insolvenzverwalter nicht in dem Maße, wie sie etwa für den Rechtsanwalt besteht. Versteht sich der Rechtsanwalt doch in erster Linie als ein vom Staat – und eben auch dessen Gerichtsbarkeit – unabhängiges Organ der Rechtspflege. Diese, u. a. neben der Unabhängigkeit von seinem Mandan-

___________ 1335) Henssler merkt zurecht an, dass die MiZi lediglich als interne, die Justizverwaltung, nicht dagegen die Gerichte bindende Verwaltungsvorschrift in Erscheinung träten, in welchen Fällen und in welchem Umfang von den Zivilgerichten Informationen aus laufenden und abgeschlossenen Verfahren an Dritte, insbesondere an Behörden, weitergeben dürfen regelten sie hingegen nicht, Henssler, Die Neuordnung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter in Deutschland, Rechtswissenschaftliche Studie erstellt im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins (2020), Fn.242. Dieser Rahmen wird durch die obige Aufnahme in die MiZi und MiStra auch nicht verlassen. Bezweckt wird dadurch ein bundesweiter Austausch zwischen den Insolvenzgerichten über das Verzeichnis. 1336) Die Wirtschaftsprüferkammer hingegen kann durch ihren Vorstand selbst gem. § 68 WPO Ordnungsmaßnahmen erlassen. 1337) Vgl. etwa Kluth, Rechtsgutachten zu Fragen der Ausgestaltung einer teilrechtsfähigen beruflichen Selbstverwaltung der Insolvenzverwalter, S. 19, abrufbar unter: https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2022/12/Kluth_Gutachten_VID_final.pdf (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

282

D. Aufsicht und Kontrolle über den Insolvenzverwalter

ten bestehende, Unabhängigkeit vom Staat musste sich der Rechtsanwalt in den vergangenen Jahrhunderten mühselig erkämpfen.1338) Für den Insolvenzverwalter geht es in erster Linie hingegen nicht um eine Unab- 748 hängigkeit vom Staat selbst, sondern um eine Unabhängigkeit im Sinne von Bindungen zu anderen Verfahrensbeteiligten jeglicher Art. Zwar tritt der Insolvenzverwalter ebenso wie der Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater weisungsfrei gegenüber dem Gericht auf, er tritt jedoch als Funktionsträger für das jeweilige Verfahren – als so gesehen privater Amtsträger – in dieses ein und partizipiert innerhalb dessen an der Verfahrenshoheit.1339) Nach hiesigem Dafürhalten scheint es daher zielerfüllend, sich für einen Sankti- 749 onsmechanismus an den Regelungen zu den Notaren gem. §§ 95 ff. BNotO zu orientieren. Nach eingehender Prüfung durch die jeweilige Quellberufskammer könnten auf 750 Antrag dann etwaige Sanktionen durch ein entsprechend besetztes und legitimiertes Disziplinargericht bei einem LG oder OLG ausgesprochen werden. Die nähere Ausgestaltung könnte sich dabei an den §§ 97 ff. BNotO orientieren und etwa ihren Niederschlag im GVG finden. Ein solches Sanktionsregime würde der „Zwitterstellung“ des Insolvenzverwalters 751 als „Angehörigen“ des Justizapparates – als privater Amtsträger, ohne ein öffentliches Amt wahrzunehmen aber gleichzeitig auch ohne Parteivertreter zu sein – gerecht werden, ohne jedoch systemwidrig in ein jeweiliges Berufsrecht eingreifen zu müssen.

III. Weitere Effektuierung der Kontrollmechanismen Nachdem nun mit verfahrensübergreifenden Kontrollmechanismen bereits die we- 752 sentlichen Defizite des derzeitigen Aufsichtssystems behoben werden konnten, bleibt zuletzt die in der bisherigen Untersuchung festgestellte Schwäche teilweise nur unkonkreter Berichtspflichten.1340) Vor allem bleibt etwa im Vergleich zu § 57a WPO unklar, zu welchem Zeitpunkt, in welchen Abständen und in welchem Umfang Prüfungen durchzuführen sind.1341) Zur Konkretisierung könnte daher, eine ___________ 1338) 1339) 1340) 1341)

Dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80 = NJW 1983, 1535 m. w. N. Vgl. dazu bereits unter: Rn. 110. Vgl. oben unter: Rn. 571 a. E. Vgl. bereits: Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130 (1130); Henke, Effektivität der Kontrollmechanismen gegenüber dem Unternehmensinsolvenzverwalter, S. 47f.; Kästner, Beruf und Berufsrecht des Insolvenzverwalters, S. 141; gegen eine enumerative Aufzählung, BAKinso e. V., Entschließung der Jahrestagung v. 20.11.2017: Zur Zukunft der Regulierung des Berufes des Insolvenzverwalters, IV. 4. Abrufbar unter: https://www.bak-inso.de/dokumentestellungnahmen/entschlie%C3%9Fungen/ (zuletzt geöffnet: 14.6.2023).

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

turnusmäßige Vorlage von Berichten etwa alle sechs Monate vorgesehen werden. Dem Gericht wird weiterhin die Möglichkeit gegeben, zu Beginn eines umfangreichen Verfahrens etwa kürzere Fristen und bei einfach gelagerten Sachverhalten eine längere Frist vorzugeben oder sogar einen Bericht erst gegen Ende eines Verfahrens zu verlangen.1342) Ein detaillierter Katalog über die Anforderungen eines Berichts ist jedoch nicht erforderlich.1343)

E. Gesetzesentwurf 753 § 56 InsO-E (1) Der Insolvenzverwalter übt einen freien Beruf aus. Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe. Der Insolvenzverwalter übt sein Amt unabhängig, gewissenhaft, eigenverantwortlich, unparteilich, sachlich und unter Ausschluss der Wahrnehmung widerstreitender Interessen aus. (2) Zum Insolvenzverwalter ist eine nach § 31c BRAO-E gelistete, für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. Das Insolvenzgericht soll die Entscheidung begründen. Das Insolvenzgericht hat die persönliche, wirtschaftliche und rechtliche Unabhängigkeit für das jeweilige Verfahren mittels einer Ad-hoc-Abfrage zu prüfen. Gleiches gilt für die derzeitige Auslastung des Insolvenzverwalters. Der Insolvenzverwalter ist zur Offenlegung entsprechender Umstände, insbesondere derer des Abs. 3, verpflichtet. Der Insolvenzverwalter bestätigt im Rahmen der Abfrage die Richtigkeit dieser und seiner in § 31c V BRAO-E getätigten Angaben. Der Verwalter erhält eine Urkunde über seine Bestellung. Bei Beendigung seines Amtes hat er die Urkunde dem Insolvenzgericht zurückzugeben. (3) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ein Formular für die nach Absatz 2 Satz 3 und 4 vorzunehmende Abfrage einzuführen. Die Beteiligten sind an die Verwendung dieses Formulars gebunden. (4) Zum Insolvenzverwalter kann nicht bestellt werden, wer 1. in derselben Rechtssache als Berater, Gutachter, Sachverständiger, Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist;

___________ 1342) Vgl. bereits, BT-Drucks. 16/7251, S. 5, 12; dafür auch, Cranshaw, NZI 2020, 143 (145). 1343) So etwa AG Köln, ZInsO 2017, 637.

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E. Gesetzesentwurf

2. als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat und deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder die Vollstreckung aus ihr betrieben wird; 3. in der Verfahrensangelegenheiten bereits als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater oder in ähnlicher Funktion tätig war. Die Verbote der Nr. 1 – 3 InsO gelten auch für die mit dem Insolvenzverwalter in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Insolvenzverwalter und Angehörigen anderer Berufe und auch insoweit einer von diesen im Sinne der Nr. 1 – 3 befasst war. (5) Gegen die Nichtberücksichtigung bei der Bestellentscheidung steht den gelisteten Insolvenzverwaltern die sofortige Beschwerde zu. Die sofortige Beschwerde entfaltet keine aufschiebende Wirkung.

754

§ 31c BRAO-E (1) Die Bundesrechtsanwaltskammer führt ein elektronisches Verzeichnis über alle in der BRD tätigen Insolvenzverwaltern. Die Insolvenzverwalter sind dazu verpflichtet die in Abs. 5 anzugebenden Daten im automatisierten Verfahren an die Bundesrechtsanwaltskammer zu melden. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die Vollständigkeit der Angaben schriftlich gegenüber dem Insolvenzverwalter zu bestätigen.1344) (2) In das Insolvenzverwalterverzeichnis dürfen nur Insolvenzverwalter aufgenommen werden, die Mitglied einer Rechtsanwaltskammer, Steuerberaterkammer oder Wirtschaftsprüferkammer sind und außerdem mindestens eine dreijährige Tätigkeit als Mitarbeiter bei einem Insolvenzverwalter oder mindestens eine fünfjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nachweisen können sowie ferner eine Berufshaftpflichtversicherung nach Absatz 5 Nr. 7 vorweisen können. (3) Der Insolvenzverwalter hat einen Anspruch auf Aufnahme in das Insolvenzverwalterverzeichnis, soweit er alle in Abs. 5 erforderlichen Angaben vollständig getätigt hat und keine Versagungsgründe im Sinne des § 56 III InsO-E bestehen. Die Insolvenzverwalter tragen die Verantwortung für die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit ihrer Angaben. (4) Die Insolvenzverwalterverzeichnis dient der Information der Gerichte sowie auf Antrag dem Schuldner und den Gläubigern. Schuldner und Gläubiger haben bereits im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens das Recht Zugang zu dem In___________ 1344) Hier ließe sich etwa noch in Erwägung ziehen, das Verzeichnis in mehrere Abteilungen einzuteilen, für deren Listung sich die Verwalter gesondert listen lassen können.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

solvenzverwalterverzeichnis zu erlangen. Sie haben dazu durch formlosen Antrag glaubhaft zu machen, an einem unmittelbar bevorstehenden Insolvenzverfahren beteiligt zu sein. Die Einsicht in das Verzeichnis steht den genannten Personenkreisen unentgeltlich zu. Die Suche in dem Insolvenzverwalterverzeichnis wird durch ein elektronisches Suchsystem ermöglicht. (5) Die Insolvenzverwalter sollen folgende Angaben melden: 1. Den Familiennamen und den oder die Vornamen des Verwalters; Name des Büros und dessen Anschrift; von dem Insolvenzverwalter mitgeteilte Telekommunikationsdaten und Internetadressen des Büros und bestehender weiterer Büros und Zweigstellen; 2. Berufsbezeichnung, Fachanwaltstitel, sonstige Qualifikationen (z. B. Lehrtätigkeit, Referent, Prüfer); 3. Hauptniederlassung und Anzahl sowie Lage aller Zweigniederlassungen, Ausstattung der verschiedenen Büros (insb. Nutzung von insolvenzspezifischer EDV); 4. Organigramm der gesamten Kanzlei, mit Überblick über sonstige Tätigkeitsfelder Mitteilung der Tätigkeitsfelder der übrigen Sozii; Nachweis der Abdeckung der Arbeitsbereiche Steuer- und Arbeitsrecht durch entsprechend ausgebildete Mitarbeiter oder vertraglich nachgewiesener Zugriff auf „Externe“; Anzahl der sonstigen volljuristischen Mitarbeiter/innen; Anzahl der sachbearbeitenden Mitarbeiter/innen mit Angaben der insolvenzspezifischen Ausbildung; 5. Fremdsprachenkenntnisse; Kenntnisse ausländischen Rechts; 6. Branchenspezifische (Fach)Kenntnisse; Sanierungserfahrung; 7. Eine Berufshaftpflichtversicherung, beinhaltend einen Versicherungsschutz für Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden aus einem Insolvenzverfahren. 8. Selbstdarstellung des Verwalters Das BMJV ist dazu ermächtigt, die oben stehenden Kriterien durch Rechtsverordnung i. S. v. § 31 c BRAO-E mit Zustimmung des Bundesrates weiter zu konkretisieren. (6) Die Angaben des Absatzes 5 sind quartalsmäßig zu aktualisieren. Eine nach Aufforderung unterbliebene Nichtaktualisierung sowie die vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschangabe führt zur kurzweiligen Sperrung des Insolvenzverwalters.

286

E. Gesetzesentwurf

(7) Der Insolvenzverwalter ist aus dem elektronischen Verzeichnis zu streichen, wenn er 1. einen Versagungsgrund des § 7 Nr. 1-10 BRAO erfüllt; 2. seine Zulassung in einer Rechtsanwaltskammer, Steuerberaterkammer oder Wirtschaftsprüferkammer verloren hat; 3. keinen aktuellen Nachweis über eine Berufshaftpflichtversicherung im Sinne von Absatz 5 Nr. 7 vorgelegt hat; 4. der Berufsträger eine Streichung aus dem Verzeichnis beantragt. Eine Streichung aus dem Verzeichnis kann auch erfolgen, wenn der Verwalter innerhalb eines Kalenderjahres wiederholt gem. § 59 InsO entlassen worden ist. Diese Vorschrift begründet keine abdrängende Sonderzuweisung im Sinne von § 112a BRAO. (8) Die in § 59 III InsO-E mitzuteilenden Vorgänge sind in das Verzeichnis aufzunehmen. Näheres bestimmt die nach Absatz 5 erlassene Rechtsverordnung.

755

§ 177 II Nr. 8 BRAO n. F. Ergänzt um: Nr. 8-E die Führung eines elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter.

756

§ 57 S. 1 InsO Ergänzt um: „(…), die in dem Insolvenzverwalterverzeichnis gem. § 31 BRAO-E gelistet ist.“

757

§ 59 InsO Ergänzt um: (3)-E Gerichte und Behörden übermitteln personenbezogene Informationen, die für die Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichts und eine Entlassung des Insolvenzverwalters aus dem Amt aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich sind, an die nach § 31c I BRAO-E für das Führen eine elektronischen Verzeichnisses für Insolvenzverwalter zuständige Stelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer, soweit hierdurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht beeinträchtigt werden oder das öffentliche Interesse das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Die Übermittlung unterbleibt, wenn besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.

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6. Kapitel: Notwendiger Änderungsbedarf de lege ferenda

Ergänzungen in den MiZi:

758 XXIIIa. Mitteilungen betreffend Angehörige des Insolvenzverwalterberufes 1. Betroffener Personenkreis Angehörige des Insolvenzverwalterberufes sind alle natürlichen Personen, die nach den §§ 56 ff. InsO bestellt werden können. 2. Mitteilungen betreffend Angehörige des Insolvenzverwalterberufes (1) Für die Prüfung einer Entlassung aus dem Amt des Insolvenzverwalters sind folgende Vorgänge mitzuteilen: a. Verstöße gegen § 181 BGB b. unterlassene Einholung nötiger Zustimmungen, etwa des Gerichtes nach § 22 I Nr. 2 InsO oder der Gläubiger nach § 160 InsO c. Nichtbeachtung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung d. Nichterfüllung von Auskunfts- und Berichtspflichten i. S. v. § 58 I 2 InsO e. Vollstreckungsversuche f. Und weitere Vorgänge. Mitzuteilen sind ebenfalls Maßnahmen des Insolvenzgerichts gem. § 58 II InsO sowie wenn es tatsächlich zu einer rechtskräftigen Entlassung gem. § 59 I 1 InsO durch das Insolvenzgericht gekommen ist. (2) Die Mitteilungen sind entsprechend der jeweiligen Verfahrenszuständigkeit von der Richterin oder dem Richter, der Rechtspflegerin oder dem Rechtspfleger, der Urkundsbeamtin oder dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bzw. der Gerichtsvollzieherin oder dem Gerichtsvollzieher zu veranlassen. 3. Mitteilungspflichtige Stellen, Inhalt und Form der Mitteilung (1) Es gelten die allg. Vorschriften sowie XXIII/4. (2) Die Mitteilungen sind zu richten an die für das elektronische Verzeichnis für Insolvenzverwalter zuständige Stelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31c I BRAO). Ergänzungen in den MiStra:

759 Der 2. Teil, 2. Abschnitt, Nr. 23 Absatz 1 und 4 sind um den Beruf des Insolvenzverwalters und die oben genannte zuständige Stelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer zu ergänzen.

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E. Gesetzesentwurf

760

§ 58 InsO „(1a)-E Sofern das Gericht keine anderweitige Anordnung trifft, hat der Insolvenzverwalter nach Ablauf von jeweils sechs Monaten, beginnend mit dem Datum der ersten Gläubigerversammlung, dem Gericht einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung einzureichen.“

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Zusammenfassende Thesen 1. Mit Einführung der VerglO und ergänzend durch die Ausführungsverordnung 761 des Reichsjustizministers aus dem Jahr 1935 wurden im 20. Jhd. erstmals signifikante Regelungen in Bezug auf den Beruf des Insolvenzverwalters implementiert. Vertiefende Regelungen zu Auswahl, Berufsausübung und Aufsicht über den Insolvenzverwalter waren nicht enthalten. Eine Auseinandersetzung mit der Thematik eines eigenständigen Berufsrechts fand zu dieser Zeit nicht statt. Auch mit Einführung der InsO kam es zu keiner signifikanten Weiterentwicklung der Vorschriften betreffend den Insolvenzverwalter. Die den Insolvenzverwalter betreffende Kodifikation wurde folglich während des letzten Jahrhunderts kaum wesentlich weiterentwickelt. 2. Zwischen dem innerhalb des Insolvenzverfahrens originär staatliche bzw. hoheitliche Zwangsgewalt wahrnehmenden Insolvenzgericht und dem diesem untergeordneten – nicht staatlichen – selbstständigen, eigenverantwortlich und damit privaten Funktions- bzw. Amtsträger des Insolvenzverwalters besteht eine Funktionseinheit zur Durchführung des Insolvenzverfahrens. 3. Der Insolvenzverwalter handelt demnach als privates Rechtssubjekt und ist in einem konkreten Fall mit der Durchführung ausgewählter Verfahrensaufgaben des Insolvenzverfahrens betraut. Hierzu tritt er in eine Funktionseinheit aus Insolvenzgericht und Verwalter ein und wird in die staatliche Zivilrechtspflege als externer „Angehöriger“ des Justizapparates eingebunden. Dabei übt der Insolvenzverwalter materiell-rechtlich kraft des ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen aus. Prozessual tritt er als „Partei kraft Amtes“ anstelle des Schuldners auf und nimmt seine Parteirolle, in eigenem Namen handelnd, ein. Der Schuldner bleibt dabei Träger der den Gläubigern als Haftungsobjekt zugewiesenen Haftungsmasse. Der Insolvenzverwalter wird dabei lediglich in Erfüllung der ihm durch die Insolvenzordnung auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen tätig, ohne aber Weisungen des Insolvenzgerichts zu unterliegen. Der Insolvenzverwalter ist nicht Beliehener. Ihm wird lediglich partiell Verfahrenshoheit übertragen. Der Insolvenzverwalter übt keine originär staatlichen Hoheitsrechte aus. Er übt daher auch kein öffentliches Amt i. S. v. Art. 33 II GG aus. 4. Die Vorauswahllistenentscheidung ist durch das Bundesverfassungsgericht als Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG qualifiziert worden, der durch den unabhängigen Richter ergeht, gegen dessen Entscheidung den Bewerbern uneingeschränkt Rechtsschutz gem. §§ 23 ff. EGGVG zuzugestehen ist. Der Richter wird nicht rechtsprechend, sondern als Justizverwaltungsbehörde, also als Exekutivorgan tätig.

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Zusammenfassende Thesen

Die richterliche Bestellentscheidung stellt weder einen Rechtsprechungsakt, noch einen klassischen Justizverwaltungsakt dar, sie ist lediglich eine dem Letzteren angenäherte Entscheidung, gegen die eingeschränkter Rechtsschutz möglich ist. Der Rechtmittelausschluss des § 6 I InsO stellt eine Schrankenregelung zu Art. 19 IV GG dar und beschränkt die Bewerber in ihrem Rechtsschutz. Ein Rechtsmittel wird ihnen jedoch nicht vollständig verwehrt. Um das gesetzgeberische Ziel eines zügigen Verfahrensablaufes zu wahren, steht ihnen die nachträgliche Feststellungsklage gem. §§ 23 I, 28 I 4 EGGVG sowie die Amtshaftungsklage nach Art. 34 GG, § 839 BGB offen. Da sowohl die Vorauswahllisten- wie auch die Bestellentscheidung ausdrücklich einem Richtervorbehalt unterliegen und in voller richterlicher Unabhängigkeit ergehen, handelt es sich de lege lata um Justizverwaltungsakte sui generis. 5. Die untersuchten Fragebögen einiger großer Insolvenzgerichte haben offenbart, dass es trotz einer Vielzahl obergerichtlicher Rechtsprechung zu vielen der verwandten Kriterien keine flächendeckend einheitliche Praxis bei der Erhebung, Verifizierung und Strukturierung der Vorauswahllisten- und Bestellkriterien gibt. Die im Zuge gerichtlichen Ermessens aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die Vorauswahlliste werden von den Insolvenzgerichten unterschiedlich gewählt, wenngleich sich bei grundlegenden Kriterien ein gewisser Konsens abzeichnet. Bei den Kriterien der Ortsnähe und der örtlichen Ausstattung der Büros ergeben sich gar Bedenken in Bezug auf die in dieser Hinsicht eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die auf der Grundlage des § 56 I InsO fußenden Kriterien beschreiben die Qualifikation, die an die Insolvenzverwaltertätigkeit zu stellen ist nur in Ansätzen. Darauf basierend haben sich in der Praxis konkrete Eigenschaften herausgebildet, die ein Insolvenzverwalter regelmäßig vorweisen muss. Die Kriterien als solches stellen noch keine hinreichende Qualifikationsbeschreibung des Insolvenzverwalterberufes dar. Die ausgemachten Defizite werden sich zukünftig mangels anderweitiger Regelung im Rahmen des StaRUG nun mutmaßlich auch für den Restrukturierungsbeauftragten und den Sanierungsmoderator ergeben. 6. Durch das weite Ermessen der Insolvenzgerichte bei gleichzeitig fehlenden ordnungspolitischen Konturierungen ist innerhalb des § 56 InsO ist de lege lata ein Vakuum entstanden, das zu regional unterschiedlichen Kriterien und Auswahlverfahren führt. Unterschiede bestehen bei den verwendeten Kriterien, bei entsprechend einzuholenden Nachweisen sowie auch in der Strukturierung der Informationen. Der Gesetzgeber hat es damit nicht vermocht, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Dadurch, dass die Bestellentscheidung de lege lata nicht zu begründen ist, stellt sie sich für die betroffenen Prätendenten und Gläubiger zudem als intransparent dar. Zu mehr Transparenz können auch 292

Zusammenfassende Thesen

kennzahlenbasierte elektronische Vorauswahllisten nicht beitragen. Diese Defizite führen schließlich zu Qualitätseinbußen innerhalb von Insolvenzverfahren. 7. Neben Art. 19 IV GG ist der Schutzbereich der Grundrechte aus Art. 12 I, Art. 3 I GG eröffnet. Das grundrechtsgleiche Gleichheitsrecht aus Art. 33 II GG wird hingegen bei der Verwalterauswahl nicht tangiert, auch nicht entsprechend nach der Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufes. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist eine rein quantitative Kontingentierung mit der derzeitigen Rechtslage nicht vereinbar. Gleiches gilt für eine Auswahl strikt nach Reihenfolge der Liste. Das zweiaktige Auswahlverfahren, bestehend aus Vorauswahllisten- und Bestellentscheidung, unterliegt als grundrechtsrelevante Entscheidung grundsätzlich dem Vorbehalt des Gesetzes i. S. v. Art. 12 I GG. Das Auswahlverfahren kann faktisch als eine Art Zulassungsverfahren mit subjektiven Zulassungsvoraussetzungen angesehen werden, das aus gerichtlichen und gesetzgeberischen Vorgaben erwachsen ist. Die so gesehen besonders intensiven Berufsausübungsregelungen schlagen schlussendlich jedoch nicht in eine Berufswahlbeschränkung um. Die in § 56 I InsO normierten, auslegungsbedürftigen Kriterien der Bestellentscheidung sind nicht zu unbestimmt, sodass sie nicht gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verstoßen. Das nicht normierte Vorauswahlverfahren genügt jedoch den Anforderungen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes nicht. Die vorsätzliche Untätigkeit des Gesetzgebers führt zu einer verfassungswidrigen Delegation von grundrechtlich wesentlichen, normativen Entscheidungen des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers auf die Justizbehörden. Das Vorauswahllistensystem ist daher verfassungswidrig. 8. Regelungsbedarf besteht für das Vorauswahlverfahren auch aufgrund der Pflicht zur ordnungsgemäßen Justizorganisation. Darüber hinaus enthalten auch die Dienstleistungsrichtlinie und die Restrukturierungsrichtlinie des europäischen Gesetzgebers wichtige Vorgaben, denen das Vorauswahlverfahren nicht genügt; es ist auch in dieser Hinsicht änderungsbedürftig. Die derzeitige Vorauswahlpraxis steht vor allem in Konflikt mit dem Verbot doppelter Prüfungen von Genehmigungsvoraussetzungen (Art. 10 III DL-RL) sowie mit dem Gebot einer gesamtstaatlichen Geltung von Genehmigungen (Art. 10 IV DL-RL). 9. Die Bestellentscheidung kann nicht eindeutig unter die Kriterien der Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG subsumiert werden. Gleichzeitig erscheint die Qualifizierung als ein in richterlicher Unabhängigkeit ergehender Justizverwaltungsakt konstruiert und nicht vollständig systemgerecht. Die gesetzgeberischen Wertungen zu § 6 InsO verstellen grundsätzlich den Zugang zu Rechtsmitteln gegen die Bestellentscheidung im konkreten Fall, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifikation als spruchrichterliche oder justizverwaltungsrechtli293

Zusammenfassende Thesen

che Entscheidung. Nach Art. 19 IV GG ist insofern kein Rechtsschutz zu gewähren, auch nicht mittels einer Extension des § 6 InsO. Durch die Zuweisung der Entscheidung an einen unabhängigen, neutralen Richter ist dieser Verzicht verfassungsrechtlich nicht bedenklich. De lege ferenda sollte die Bestellentscheidung als eigenständiger, vom Eröffnungsbeschluss des § 27 I InsO zu trennender Beschluss ergehen. Gegen sie sollte nicht nur dem Schuldner, sondern auch anderen Bewerbern die insolvenzrechtliche Beschwerde ausdrücklich zugestanden werden. Diese sollte vor dem Hintergrund des Teleos von § 6 InsO auf einen nachträglichen Fortsetzungsfeststellungsantrag beschränkt werden und i. S. v. § 4 InsO i. V. m. § 570 ZPO keine aufschiebende Wirkung entfalten können. 10. Auch eine rechtlich klare Einordnung des derzeitigen Vorauswahllistensystems erscheint schwierig. Letztlich wird das de lege lata nicht geregelte Vorauswahlverfahren als funktional selbstständiges, keine Bindungswirkung für das spätere Verfahren entfaltendes, rein administratives, jedoch nicht lediglich innerbehördliches Verfahren qualifiziert. De lege ferenda sollte die Vorauswahlentscheidung daher als rein justizverwaltungsrechtliche Entscheidung angesehen werden, die nicht dem unabhängig entscheidenden Richter vorzubehalten ist und gegen die gem. Art. 19 IV GG uneingeschränkt Rechtsschutz zu gewähren ist. Die Vorauswahlliste sollte elektronisch, zentral durch eine Stelle geführt werden und den Insolvenzrichtern eine ausreichende Datenbasis für die konkrete Bestellentscheidung vorhalten. Durch eine Such- bzw. Filterfunktion sollte dem Insolvenzrichter ermöglicht werden, sein Ermessen bei der dann in richterlicher Unabhängigkeit ergehenden Bestellentscheidung bestmöglich zu verwirklichen. 11. Die Bestellentscheidung sollte de lege ferenda durch den Insolvenzrichter begründet werden. Der Insolvenzrichter sollte anhand der Suchkriterien des zentralen Insolvenzverwalterverzeichnisses ohne größeren Aufwand in der Lage sein, eine zügige Dokumentation seiner wesentlichen Entscheidungsgründe vorzunehmen. Durch eine entsprechende Dokumentation wird das Auswahlverfahren wesentlich an Transparenz gewinnen. Die den Prätendenten de lege ferenda zustehende nachträgliche Beschwerdemöglichkeit wird hierdurch entscheidend effektuiert. 12. Die InsO enthält in einigen Bereichen Normen mit berufsrechtlichem Charakter. Insgesamt handelt es sich bei der InsO um ein Sach- und Verfahrensrecht, das gegenüber klassischen Berufsrechten lediglich eine Funktionsbeschreibung des Insolvenzverwalterberufes enthält. In seiner Regelungsdichte bleiben die berufsrechtlichen Regelungen der InsO daher hinter den klassischen Berufsrechten zurück. Im Rahmen der Berufsaufsicht wählen die verglichenen Systeme einen gänzlich unterschiedlichen Ansatz. Die InsO enthält eine Verfahrenskontrolle mit umfangreichen Ermittlungsbefugnissen. Kammersysteme enthalten hingegen umfassendere Sanktionsmöglichkeiten, ohne jedoch eine verfahrens294

Zusammenfassende Thesen

spezifische Aufsicht darzustellen. Grundsätzlich stellt die InsO jedoch ein ausreichendes Kontrollsystem zur Verfügung, dessen Instrumente es künftig zu effektuieren gilt. 13. Das Berufsrecht der Quellberufe – insbesondere dasjenige des Rechtsanwalts – ist entgegen dem Bundesgerichtshof nicht, auch nicht nur bereichsspezifisch auf den Insolvenzverwalter anzuwenden. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist eigenständiger Zweitberuf. Der Insolvenzverwalter ist, anders als der Rechtsanwalt, nicht unabhängiger Berater oder Vertreter in einer Rechtsangelegenheit, er ist vielmehr als Funktionsträger des Gerichts dazu bestellt, die Gesamtvollstreckung zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubigergemeinschaft durchzuführen. Darin liegt ein erheblicher Unterschied zur subjektivparteilichen Loyalitätspflicht des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten, was einen Rückgriff auf das Berufsrecht der Rechtsanwälte bereits aufgrund der Artverschiedenheit der Berufe ausschließt. 14. Gleichwohl sollte es den Berufskammern der Quellberufe des Rechtsanwalts, Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers ermöglicht werden, die mit den Grundpflichten dieser Berufe korrelierenden, insolvenzspezifischen „core values“ des Insolvenzverwalters zu überwachen. Berufspflichten der jeweiligen Berufsordnungen sind grundsätzlich nicht auf den Insolvenzverwalter anwendbar. Soweit erforderlich, sind diese innerhalb der InsO zu normieren und im Rahmen der verfahrensrechtlichen Aufsicht durch das Insolvenzgericht zu beaufsichtigen.

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Literaturverzeichnis Monographien, Lehrbücher und Aufsätze AG Hamburg Hamburger Leitlinien zu Reichweite und Durchführung des „conflict check“, ZInsO 2017, 375 AG Heidelberg Heidelberger Musterfragebogen für das Vorauswahlverfahren für Insolvenzverwalter, NZI 2009, 97 – 99 AG Köln Kölner Leitlinien zur Zusammenarbeit mit dem Insolvenzgericht, ZInsO 2017, 637 AG München Fragebogen des Amtsgerichts München, ZInsO 2009, 421 AG Nürnberg Fragebogen in dem Insolvenzverfahren, ZInsO 2020, 77 Andres, Dirk Messbarkeit der Qualität der Verwaltertätigkeit aus der Sicht eines Insolvenzverwalters, NZI 2008, 522 – 525 BAKinso e.V. Aufruf des BAKinso „Insolvenzgerichte stärken – Qualität im Insolvenzverfahren verbessern – Kontrolle garantieren“, ZInsO 2007, 489 Balz, Manfred Die Ziele der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: Das neue Insolvenzrecht in der Praxis, 2. Aufl., 2000, 3 – 21 Beck, Siegfried Plädoyer für ein Berufsrecht der Insolvenzverwalter, in: Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, Baden-Baden 2017, 31 – 62 Bergner, Daniel Grundlinien einer europäischen Harmonisierung des Berufsrechts für Insolvenzverwalter, in: Festschrift für Siegfried Beck zum 70. Geburtstag, München 2016, 27 – 47 Bergner, Daniel/Berg, Judith Berufsausübungsgesellschaften von Rechtsanwälten und Insolvenzverwaltern – künftig unmöglich?, NZI 2020, 259 Bichler, Kritian Die notwendige Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, Dissertation, Regensburg 2005 297

Literaturverzeichnis

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323

Stichwortverzeichnis

Amtsträger

15, 138, 593, 748, 751 Amtswalter 229

Begründungspflicht

502, 519 – 548, 676 Berufsaufsicht 8, 55, 63, 550, 558, 581, 584, 611, 613, 631, 634, 647, 655 Berufsbild 1, 15, 59, 116 – 129, 206, 323, 555, 586, 593, 686, 689 Berufsfreiheit 170, 326, 329 – 380, 554 Berufswahl 349, 358, 360, 362 f., 365, 371, 375, 473, 554 – Berufswahlfreiheit siehe Berufswahl – Berufswahlbeschränkung siehe Berufswahl Betreuer 230 ff., 469, 598, 599, 608, 696

Funktionsträger

71 – 85, 112 f., 332, 483, 544, 562, 610, 651, 684, 685 f., 748

Gerichtsverfassung

75, 423, 684 Gesetzesvorschlag 679

Informationsaustausch

8, 707, 726, 742, 746 Insolvenzverwalterverzeichnis 541, 642 – 646, 653, 754, 756

Justizgewähr

72, 388 – 391, 412, 415, 458, 610, 706 – Justizgewährungsanspruch siehe Justizgewähr

Kennzahlen

175, 290, 300 – 322, 542, 620,

727

Mediation Quellberuf

209, 600 ff., 606

13, 194, 549, 583 ff., 597 ff., 603 ff., 611 ff., 636, 650, 677, 689, 691, 699, 734, 740, 746, 750

Rechtsschutz

78, 143, 232 f., 241, 247, 248, 294, 295, 328, 410, 412, 431, 437, 446 – 470, 489, 502 – 541, 545, 631, 665, 676, 689, 697, 716, 731, 734, 735 – Rechtsschutzalternativen siehe Rechtsschutz – Rechtsschutzbedürfnis siehe Rechtsschutz – Rechtsschutzgarantie siehe Rechtsschutz – Rechtsschutzmöglichkeiten siehe Rechtsschutz

– Rechtsschutzinteresse siehe Rechtsschutz – Rechtsschutzsystem siehe Rechtsschutz – Rechtsschutzverfahren siehe Rechtsschutz Rechtsstellung 86, 106, 116, 130 f., 400, 491, 598 Reformvorschlag 5, 41, 386, 549, 615, 628, 632, 644, 660, 678, 681 f. Regelungsbedarf 135, 388, 392, 658, 680 Restrukturierung 6, 10, 15 f., 54, 101, 123 – 125, 138, 171, 186, 189, 240, 261, 271, 274, 285 f., 299, 304, 381, 409, 532, 543 f., 615, 673, 677, 682 – Restrukturierungsbeauftragter siehe Restrukturierung – Restrukturierungsgesetz siehe Restrukturierung – Restrukturierungsrichtlinie siehe Restrukturierung

Sanktion

18, 570, 572, 576, 578, 581, 597, 631, 653, 670, 689, 719, 726, 731 – 737, 746 – 751 Sanierung 6, 16, 52, 54, 102, 111, 122 f., 125, 138, 171, 189, 240, 261, 271, 278, 282, 299, 543, 630, 664, 677, 729, 754 – Sanierungsberater siehe Sanierung – Sanierungsmoderator siehe Sanierung – Sanierungsverfahren siehe Sanierung Steuerberater 138, 173, 191, 193, 285, 323, 552, 570, 571, 583, 585, 597, 613, 697, 698, 700, 710, 713, 718, 732, 740, 747 f., 753, 754

Testamentsvollstrecker

237 f., 597, 599,

608

Verfassungswidrig

347 f., 377, 380, 382, 387, 472 f., 510, 544, 675

Wirtschaftsprüfer

138, 173, 190 f., 323, 570, 571, 583, 585, 593, 597, 613, 697, 698, 700, 710, 713, 718, 732, 735, 740, 748, 753, 754

Zivilrechtspflege

59, 71 – 85, 114, 389, 391, 684 Zwangsverwalter 81 f., 235, 236, 248, 513, 598

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