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German Pages 136 [142] Year 1876
Vorwort. Den Gegenstand der vorliegenden Abhandlung bilden Probleme, deren oft wiederholte Erörterungen das lebhafteste Interesse aller Philosophirenden immer wieder von Neuem gefunden haben. Die übliche Zusammenfassung dieser Probleme unter dem Namen der »Freiheit des Willensa erscheint in keiner Weise sachlich gerechtfertigt; auch ist durch sie die sehr verbreitete Meinung entstanden, als handele es sich hier nur um eine einzige Frage, über deren Beantwortung ein Zweifel kaum noch bestehen könne. Um diesem schädlichen Irrthume von vornherein die formelle Begründung zu entziehen, wurde der obige Titel gewählt, welcher die beiden nicht zu vermischenden Hauptgesichtspunkte der Frage angiebt. Ihre eingehende Prüfung wird ergeben, dass die Summe unserer heutigen philosophischen und psychologischen Lehren, welche als Erkenntnisse zu betrachten sind, gerade ausreichen dürfte, um einestheils die bisherigen Hindernisse der Lösung definitiv zu beseitigen, anderntheils eine präcise Fragestellung nebst den Anfängen zu einer genügenden Beantwortung zu sichern. Standpunkt und Methode der gegenwärtigen Untersuchung sind die der empirisch-kritischen Philosophie, welche der Verfasser in dem bisher erschienenen ersten und zweiten Theile seines »Systems der kritischen Philosophie« zu begründen versucht hat, auf welches
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daher öfters verwiesen werden musste, wie auch mehrere Citate aus demselben nicht zu umgehen waren. •— Die wissenschaftliche Behandlung der philosophischen Probleme hat zu ihrer Vorbedingung die Continuität des wissenschaftlichen Bewusstseins, welche gerade in unserer Frage fasst gänzlich vermisst wird.
Um diesem Mangel abzuhelfen, wurde das reichlich
vorhandene, aber überall zerstreute Material, soweit es dem Verfasser bekannt war und von Bedeutung zu sein schien, gewöhnlich mit den eigenen Worten der Autoren wiedergegeben, wodurch ebenso dem kritischen Leser, wie den hoffentlich recht zahlreichen spätem Bearbeitern des schwierigen Problems ihre Aufgabe wenigstens nach Einer Richtung hin erleichtert wird. L e i p z i g im August 1876.
Der Verfasser.
I. Der Begriff der Freiheit.
Es sind weit über hundert Jahre vergangen, seit der gegenwärtig wieder in den Vordergrund der wissenschaftlichen Philosophie tretende Hume seine Auseinandersetzungen über Freiheit und N o t wendigkeit mit den Worten einleitete: »Man sollte billig erwarten, dass in Fragen, welche seit dem Bestehen der Wissenschaften und Philosophie mit Eifer erwogen und verhandelt worden sind, wenigstens über den Sinn der Worte unter den Streitenden Uebereinstimmung herrsche, und dass die Anstrengungen von zweitausend Jahren wenigstens ermöglicht hätten, von den Worten zu dem wirklichen und wahren Streitgegenstand überzugehen. Es scheint ja so leicht, genaue Definitionen der in der Untersuchung gebrauchten Ausdrücke zu geben und diese Definitionen und nicht den leeren Schall der Worte zum Gegenstand der Untersuchung und Prüfung zu machen. Tritt man indess der Sache näher, so ergiebt sich das Entgegengesetzte. Ist eine Streitfrage schon lange verhandelt und noch heute unentschieden, so kann man sicher annehmen, dass irgend eine Zweideutigkeit im Ausdrucke besteht, und dass die Kämpfer den in ihrem Streite gebrauchten Worten einen verschiedenen Sinn unterlegen; denn die Seelenkräfte gelten von Natur bei Allen als gleich, sonst wäre alles Begründen und Streiten vergeblich Der Streit ist so vielfach von aller Welt geführt und hat die Philosophen in ein solches Wirrsal dunkler Sophisterei verwickelt, dass man sich nicht wundern darf, wenn verständige Leser sich wegwenden und von einer Erörterung dieser Frage nichts mehr hören mögen, die weder Unterhältung noch Belehrung verspricht.« Seitdem hat sich die Sachlage nicht gebessert; die Unklarheit über das Objekt des Streites ist trotz Hume dieselbe geblieben, und G ö r i n g , Freiheit u. Zurechnungsfähigkeit.
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Der Begriff der Freiheit.
gerade seine vermeintlich korrekte Manier, die Frage zu behandeln, in Verbindung mit seinem Resultat, welches die Kantische Lehre von der intelligibeln Freiheit, vielleicht gar die ganze kriticistische »Revolution« der Philosophie nach sich zog, hat nicht am Wenigsten dazu beigetragen, die Verwirrung zu vermehren. Daher darf man ohne Uebertreibung den gegenwärtigen Stand der Frage als einen viel ungünstigem bezeichnen und behaupten, dass ein ungleich grösserer Kraftaufwand zur Beseitigung der mühsam aufgesammelten und meist sehr gewissenhaft konservirten Schwierigkeiten erforderlich sein wird, als die sehr wenig motivirte Zuversichtlichkeit Hume's nöthig zu haben glaubte. Denn auch er nahm die Sache sehr leicht und gab trotz seines scharfen Tadels gegen das gewöhnliche Verfahren dennoch keine brauchbare Definition der Freiheit und der Nothwendigkeit. D a es nun dem Philosophen wohl ansteht, aus der Geschichte noch etwas mehr zu lernen, als dass man bisher nichts aus ihr gelernt hat, so beginnen wir unsere Untersuchung mit der Feststellung des Begriffs der Freiheit. Das W o r t Freiheit ist eins von denjenigen, welche in der Praxis des täglichen Lebens, wie auch in der Wissenschaft sehr häufig angewandt werden, ohne dass die nöthige Klarheit über seine eigentliche Bedeutung und Ausdehnung verbreitet ist. Gerade die Geläufigkeit desselben erweckt, wie bei allem Gewohnten, das ja eo ipso für bekannt gehalten wird, den üblichen Irrthum, dass der Begriff Freiheit ein der näheren Untersuchung nicht bedürftiger sei. Dies hat zur natürlichen F o l g e , dass er nicht nur in den verschiedensten Gebieten, sondern, worin erst sein Missbrauch besteht, auch in den mannigfaltigsten Bedeutungen gebraucht wird. Eine Zusammenstellung der heterogensten Objekte, zu deren Bezeichnung das Wort Freiheit gebraucht wird, findet sich in dem originellen Buche von L u d w i g K n a p p , »System der Rechtsphilosophie« S. 196: »Was ist die Freiheit? Alles Konkrete, wie alles Abstrakte, alles Beseelte wie alles Unbeseelte, alles Lebendige wie alle T o d t e soll ihrer theilhaftig sein. A u f den Bergen, auf dem Meere ist Freiheit; aus den Gräbern, aus jedem Athemzug, aus jedem Streben und Schaffen weht Freiheit; im Frieden und im Felde spriesst Freiheit; das Gewissen und der Wille sind nichts als Freiheit. Der A a r ist in den Lüften, der Mensch auch in Ketten, der Fürst nur in der Absolutheit frei; der Puls ist von Fieber, das Ministerium von Einflüsterungen, die Waare des Rosskamms von allen Fehlern frei; die Wohnimg wird heute, die Fernsicht um Mittag, die Brust des Verliebten gegen Morgen, die des Verlobten erst nach
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Der Begriff der Freiheit.
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d e r Anstellung frei; der S t r o m ist vom Eise befreit, die Kasse von falschem Papiergeld; ein hundertköpfiger Scharfsinn hat die Hands c h r i f t nun von allen Interpolationen, ein einziger Besteller hat den Baumwollenmarkt von allen drückenden Gerüchten befreit; und negativ mal negativ ist die Schwefelleber von freiem Schwefel, das Geschäft von freier Concurrenz, der Freiverkehr von Freibriefen, die Residenz endlich von freiheitbetrunkenen Freischärlern frei. A n diesem einerseits ordnungs- und grenzenlosen, andererseits d o c h verständlichen sprachlichen Allüberall sieht man zunächst, dass die Freiheit enger an Umfang als der W o r t g e b r a u c h sein, und sod a n n , dass sie in einem einheitlichen Muttergebiete bestehen muss, aus dem die Tochterideen auf den Flügeln bildlicher Redensarten zur G r ü n d u n g von nur tropischen Kolonien ausgeflogen. Solche socialen Begriffen entstammte und dann oft zur wechselsweisen Verdeutlichung gekreuzte Bilder, deren es viele giebt, wirken in einfachen, mehr sichtbaren Verhältnissen als ein wohlthätiger Leitfaden, in verwickelten potenzirten Abstraktionen aber als eine gefährliche Schlinge, in der sich leicht, wenn auch nicht g e r n , deduktionsunfähige Köpfe fangen.« Als das Gemeinsame bei allem verschiedenen Gebrauch des W o r t e s Freiheit erscheint lediglich etwas N e g a t i v e s , d i e A b w e s e n h e i t des Z w a n g e s , des D r u c k e s , der Nothwendigke.it. Freilich hat das W o r t in vielen Verhältnissen eine Bedeutung a n g e n o m m e n , welche sich von einem positiveil Begriff nicht mehr unterscheiden lässt. So bezeichnet innerhalb des Staatslebens der Plural Freiheiten, z. B. einzelner S t ä n d e und Corporationen, etwa dasselbe wie R e c h t e oder V o r r e c h t e , woran natürlich dadurch nichts geändert wird, dass historisch betrachtet diese Rechte ebenfalls negativen Ursprunges sind als Befreiungen von bestimmten Leistungen, worüber zu vergleichen der Nachweis in Ernst Kuhn's Dissertation de libertatis notione. Auch in den üblichen Redensarten: »ich bin so frei«, »ich nehme mir die Freiheit«, kann man nur einen positiven Begriff des W o r t e s finden. Zum populären Sprachgebrauch gesellt sich ein eigenthümlicher Zauber, welcher dem civilisirten Menschen von seiner Jugend her die Freiheit in einem ganz besondern Strahlenglanze erscheinen lässt und eine unbefangene Untersuchung ihres Begriffes sehr erschwert. Man kann sich nicht leicht denken, dass soviel Enthusiasmus in Worten und W'erken an eine blosse Negation verschwendet wird: »Freiheit! ruft die Vernunft, Freiheit! die wilde Begierde«.
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Der Begriff der Freiheit.
"Freiheit, die ich meine, D i e mein Herz erfüllt, K o m m mit Deinem Scheine, Süsses Engelsbild.« »Willst D u nie D i c h zeigen Der bedrängten W e l t , Führest Deinen Reigen Nur am ' Sternenzelt ?«
Trotzdem muss die kühle Kritik unbarmherzig behaupten, dassdie positive Fassung des Freiheitsbegriffes aus der Wissenschaft definitiv zu beseitigen ist, wenn sie auch gerade hier so beliebt ist, dass die folgende Aeusserung Lotze's nicht ganz ungerechtfertigt erscheint, Mikrokosmos I, S. 290: »Fast nur die wissenschaftliche Untersuchung pflegt die unbeschränkte F r e i h e i t des Wollens mit der grenzenlosen F ä h i g k e i t des Vollbringens zu verwechseln«. Die Schwierigkeiten einer an sich so verwickelten Untersuchung,, wie die über die Freiheit, zu überwinden, ist nur dann einige Aussicht vorhanden, wenn der natürlichen Abhängigkeit des Denkens von der Sprache durch eine möglichst präcise Terminologie zunächst ihre positive Schädlichkeit benommen wird. Dies geschieht vor Allem dadurch, dass man mit demselben W o r t e stets denselben Inhalt und nichts weiter bezeichnet, dem entsprechend aber für einen andern Inhalt auch ein anderes Wort braucht. Dieser Vorbedingung jeder wissenschaftlichen Untersuchung stehen nun allerdings nicht eben selten formelle Hindernisse entg e g e n , wenn nämlich die Sprache für die Bezeichnung eines mannigfachen Inhaltes nur ein einziges Wort geschaffen hat. In diesem ungünstigen Falle befinden wir uns nun aber dem üblichen philosophischen Gebrauch des Wortes Freiheit gegenüber durchaus nicht; denn man bezeichnet meist einen Inhalt durch dasselbe, für welchen das W o r t F ä h i g k e i t allein den angemessenen Ausdruck bietet. Die Vermischung von negativer Freiheit und und positiver Fähigkeit ist, wie so Vieles, was in unserer Frage immer wiederkehrt, von Augustin ausgegangen, der Freiheit und Willkür identificirt (s. Schopenhauer, über die Freiheit des Willens S. 67). In der gesämmten vorkantischen Philosophie findet sich, soviel uns bekannt, nur eine einzige Ausnahme von dieser Vermischung beider Begriffe. L o c k e und Hume beschränken sogar den Begriff der Freiheit auf den der positiven Fähigkeit, und definiren daher die Freiheit ausdrücklich als die Macht, zu handeln oder nicht zu handeln, j e nach dem Beschlüsse des Willens. Und doch hatte schon vor-
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Der Begriff der Freiheit.
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her Hobbes erklärt, dass Freiheit nichts anderes sei als die A b W e s e n h e i t ä u s s e r e r H i n d e r n i s s e . Von Hume ist die positive Fassung des Freiheitsbegrififes auf Kant übergegangen, welchem Fichte, Schelling und Jacobi nebst vielen Andern getreulich nachfolgten, wiewohl Bardiii bereits im Jahre 1796 in seiner Schrift über den Ursprung des Begriffes von der Willensfreiheit das Richtige gelehrt hatte. E r setzt hier auseinander, S . 1 6 ff., dass man sich in gleichgültigen Fällen doch zu einer Handlung entschliesse, ohne dabei oft eines Entscheidungsgrundes sich deutlich bewusst zu sein; wenn man nun dies F e h l e n eines Entscheidungsgrundes mit einem allgemeinen Namen belegen wolle, so könne man es »Willkür« (liberum arbitrium) nennen, denn nur soviel sei in der Selbstbeobachtung des Menschen enthalten. V o n dem a b e r , was der Mensch in Rücksicht auf seine Freiheit w i r k l i c h an sich beobachtet, sei dasjenige 7.u trennen, was er blos zu beobachten g l a u b t , und zu dem letzteren gehöre eben die p o s i t i v aufgefasste Willkür. Zu diesem Irrthum sei man dadurch g e k o m m e n , dass man von dem M a n g e l eines Entschfcidungsgrundes geschlossen habe, dass man in sich selbst allein und ausschliesslich den vollgültigen Grund von gewissen Erscheinungen suchte: »So verwandelte man die im Bewusstsein gegebene Thatsache seiner eigenen Kurzsicht, verwandelte seine eigene Unkunde bestimmender Gründe in ein p o s i t i v e s V e r m ö g e n ; d i e W i l l k ü r w a r d z u r S e e l e n k r a f t e r h o b e n . . . W o man keine wirkenden Triebfedern in der Natur mehr einsah, Hess man es nicht dabei bewenden, die Schranken seiner Einsicht offenherzig zu bestehen; sondern theilte lieber die Rollen im Spiele der Natur unter gewisse erhöhte und ausser sich herausgesetzte Menschenkräfte aus, und wurde so trotz aller seiner Kurzsicht Meister über alle Erscheinungen der äusseren Welt. Die Meisterschaft über A l l e s , was in einem v o r g i n g , verschaffte man sich mit eben der beliebten K ü r z e durch die Willkür: denn gleichwie der rohen Unwissenheit, w o sie im Erklären der Welterscheinung stecken blieb, nun immer ein Gott zu Hülfe k a m , so erschien jetzt die Willkür als schleunigstes Hülfsmittel unausbleiblich, w o es einen Charakter zu erklären, eine Handlung zu beurtheilen gab. Sie entschied jetzt nicht blos in solchen Fällen, w o man wirklich sich keines überwiegenden Grundes für das eine oder das andere bewusst w a r , dessen* ungeachtet aber das eine that und das andere unterliess, z. B. anstatt rechts zu gehen links g i n g ; sondern selbst über Neigungen und Leidenschaften, ja über Gesetze und Vemunftprincipien dehnte sie ihre Herrschaft aus; das ganze Thun und Lassen des Menschen ward von seiner Willkür
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Der Begriff der Freiheit.
abhängig gemacht; der Begriff des Willens also in seiner erfahrungsmässigen Bedeutung, d. i. als ein Bestimmtwerden zu einer Sache durch die Neigung und das Interesse seines Gemüths für sie, es gründe sich worauf es wolle, — dieser erfahrungsmässige Begriff gänzlich verdreht; der Wille in die Hände der Willkür als einer höheren Gebieterin überliefert, zu einem gleichgültigen (indifferenten) Willen gemacht und, nachdem man dem blinden Namenwesen der Willkür Alles zu Füssen gelegt hatte, ward es endlich noch mit dem schönen Titel der m e n s c h l i c h e n . F r e i h e i t geziert.« E b e n s o klar hat Schopenhauer, der im Ganzen Freiheit und positive Fähigkeit nicht gehörig auseinander hält, wenigstens an Einer Stelle den Sachverhalt dargelegt, »über die Freiheit des Willens« S . 72. E r nennt den »freien Willen« (wofür freilich besser F r e i h e i t zu sagen wäre) eine blos n e g a t i v e Eigenschaft, die nur besagt, dass nichts den Menschen nöthigt oder hindert, so oder s o zu handeln. »Dadurch aber wird nimmermehr klar, woraus denn zuletzt die Handlung entspringt . . . D a s natürliche Bild eines freien Willens ist eine unbeschwerte W a a g e , sie hängt ruhig da und wird nie aus ihrem Gleichgewicht kommen, wenn nicht in eine ihrer Schaalen etwas gelegt wird. S o wenig wie sie aus sich selbst die B e w e g u n g , kann der freie Wille aus sich selbst eine Handlung hervorbringen, weil eben aus Nichts nichts wird. Soll die W a a g e sich nach einer Seite senken, so muss ein fremder K ö r p e r ihr aufgelegt werden, der dann die Quelle der Bewegung ist. Ebenso muss die menschliche Handlung durch etwas hervorgebracht werden, welches p o s i t i v wirkt und etwas mehr ist als eine blos n e g a t i v e Freiheit.« Wenn nun auch die vorher citirten Auseinandersetzungen Bardili's der Vergessenheit vielleicht vollständig anheim gefallen waren, da seine Abhandlung nirgends erwähnt wird, so ist dafür die Schopenhauer'sche Schrift desto bekannter und dürfte kaum Einem von denjenigen, die nach Schopenhauer über die Freiheit des Willens geschrieben haben, ganz unbekannt geblieben sein. Trotzdem erscheint auch nach ihm die Vermischung von (negativer) Freiheit und (positiver) Fähigkeit häufig genug wieder, ohne dass seine klare Darlegung des richtigen Verhältnisses irgendwie berücksichtigt wird. S o g a r sein ältester Anhänger Frauenstädt ignorirt die obige Stelle ganz und g a r , »Das sittliche Leben« S. 2 1 5 : »Wir nennen ein Wesen frei, wenn es das kann, was es will. Wir nennen aber auch ein Wesen frei, wenn es sich selbst, d. h. mit seinem Willen zu dem bestimmt, was es thut oder leidet. Im ersteren Sinne ist, um frei zu sein, Unabhängigkeit und Ungehemmtheit nöthig. Denn ein
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D e r B e g r i f f der
Freiheit.
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W e s e n , w e l c h e s abhängig oder w e l c h e s g e h e m m t ist, ist, soweit als es dieses ist, unfrei; es kann, w a s es will, nur s o w e i t , als dasjenige, w o v o n es a b h ä n g i g , oder w o d u r c h es g e h e m m t ist, es zulässt.« Im F o l g e n d e n wird allerdings diese A u f f a s s u n g wesentlich modificirt, j a eigentlich aufgehoben, indem g e z e i g t wird, dass der blosse W i l l e das K ö n n e n k e i n e s w e g s einschliesst, sondern das letztere j e d e r z e i t v o n der Erfüllung bestimmter B e d i n g u n g e n a b h ä n g i g ist, w o m i t eben thatsächlich die nöthige U n t e r s c h e i d u n g zwischen Freiheit und F ä h i g k e i t nachträglich g e m a c h t wird. D e s h a l b empfiehlt es sich a b e r , auch äusserlich diese verschiedenen D i n g e in der S p r a c h e auseinander zu halten und die V e r m i s c h u n g v o n K ö n n e n und W o l l e n nicht ohne W e i t e r e s Freiheit zu nennen. V o n K i r c h m a n n »Die G r u n d b e g r i f f e des R e c h t s und der Moral« S. 77 erklärt: »Der Sinn des W o r t e s Freiheit ist m a n n i g f a c h ; alle B e d e u t u n g e n derselben laufen aber auf zwei Grundbegriffe hinaus; nach d e m einen bezeichnet die Freiheit die M a c h t und ist die p o s i t i v e Freiheit; nach d e m andern bezeichnet sie die Verneinung der N o t h w e n d i g k e i t und ist die n e g a t i v e F r e i h e i t , die a u c h die W i l l k ü r oder die Wahlfreiheit genannt wird.« A u c h hier k o m m e n nachträgliche Restriktionen, w e l c h e die Positivität d e s Freiheitsbegriffes wieder a u f h e b e n : »Das W o l l e n ist nicht schon die Macht, diese offenbart sich vielmehr erst in der V e r w i r k l i c h u n g des Zieles. W e d e r die V e r w i r k l i c h u n g eines Zieles ohne W o l l e n (die zufällige), noch das W o l l e n ohne die V e r w i r k l i c h u n g ist die M a c h t ; sie ist mithin die durch das W o l l e n bestimmte K r a f t des K ö r p e r s oder der S e e l e , w e l c h e das Ziel verwirklicht.« H i e r n a c h erscheint es als eine willkürliche E r w e i t e r u n g des Begriffes d e r F r e i h e i t , wenn es S. 78 heisst: »Indem die Freiheit in ihrer positiven B e d e u t u n g die M a c h t b e z e i c h n e t , umfasst sie d e n Willen m i t der K r a f t zu seiner A u s f ü h r u n g , und diese M a c h t wird v o r z ü g l i c h dann Freiheit g e n a n n t , w e n n es sich um die B e s c h r ä n k u n g dieser Macht handelt. Unter Freiheit wird dann die Freiheit von diesen S c h r a n k e n , die Macht ohne H e m m u n g verstanden. D i e s e B e s c h r ä n k u n g kann eine verschiedene sein. W e n n eine rein p h y s i s c h e K r a f t die M a c h t h e m m t , s o ist dies der physische Z w a n g und seine V e r n e i n u n g die p h y s i s c h e Freiheit.« Nach diesen Zugeständnissen ist es offenbar sachlich g e b o t e n , den B e g r i f f Freiheit auf die »Verneinung der Nothwendigkeit« zu beschränken. A u f einem b e s o n d e r n W e g e g e l a n g t zu der A n n a h m e einer positiven Freiheit S t r u v e , »Psychologisch-metaphysische A n a l y s e d e s
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D e r Begriff der Freiheit.
Begriffes der Freiheit«, philosophische Monatshefte 10. Band, S. 342 ff. E r identificirt die Lustempfindung mit der Freiheitsempfindung, welch letztere ihrem positiven psychologischen Gehalte nach nichts Anderes als ungestörte Lust sein soll, und zwar sei dieser am Unmittelbarsten und Reinsten, wenn wir lediglich unseren eigenen Seeleninhalt empfinden. Das reine Selbstgefühl als solches sei Lust, und könnten wir unsere Empfindung stets auf das durch nichts Aeusseres beeinflusste Selbst beschränken, so würden wir beständige Lust empfinden. »Durch diese unmittelbare Verkettung der Lust mit dem Selbstgefühl fällt erstere eben mit dem Freiheitsgefühl zusammen. Am Freiesten fühlen wir uns sicherlich dann, wenn wir uns selbst ohne alle Empfindung eines Aeusseren empfinden. Der Gedanke an etwas Aeusseres, sei es an Gott.oder Welt, oder andere Menschen, hat immer eine gewisse Einschränkung meines Freiheitsbewusstseins zur Folge — ; ich fühle dann, dass ich nicht selbst bin, dass es Anderes giebt, das mir gegenüber steht und mich einschränken kann. Lasse ich aber alle diese Gedanken fallen, was freilich nur selten und schwer thunlich ist, und beschränke mich auf das reine Selbstbewusstsein und die reine Selbstempfindung, so gelange ich zum höchsten Freiheitsgefühle und empfinde annähernd die Seligkeit und das Freiheitsgefühl, das dem Urweseji alles Seins eigen sein muss, wenn es sich als das Einzige, Alleinige und Ausschliessliche empfindet. Hiermit hätten wir für den Freiheitsbegriff einen positiven psychologischen Gehalt aufgefunden und damit die Unzulänglichkeit aller blos negativen Definitionen der Freiheit, wonach sie nur Freiheit von Zwang sein soll, nachgewiesen.« Noch weiter als hier Struve ging Schelling mit der Behauptung: »Ueberall, wo Lust und B e g i e r d e , ist schon an sich eine Art der Freiheit« (Ueber das Wesen der menschlichen Freiheit Bd. I. S. 455), während Jacobi gerade umgekehrt die U n a b h ä n g i g k e i t v o n d e r B e g i e r d e Freiheit nannte. Die von Struve versuchte Beweisführung aber .' beruht auf der nicht eben seltenen Verwechselung des unmittelbaren Gefühls oder Bewusstseins mit dem irgendwie indirekt vermittelten Wissen. Jede Hemmung des »Ich« als w o l l e n d e n , auch wenn sie nicht durch einen direkten Zwang ausgeübt wird, erzeugt Unlust durch den Gedanken, dass die Befriedigung des Willens durch sie werde verhindert werden; das Aufhören dieser Hemmung erzeugt Lust, welche aus dem Gedanken der Möglichkeit der ungehinderten Befriedigung des Willens folgt. Demnach stammt das Gefühl der Lust aus dem G e d a n k e n , frei, d. h. ungehindert zu sein, denn d i r e k t e m p f i n -
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D e r B e g r i f f der F r e i h e i t .
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d e n kann man zwar den Z w a n g , aber nicht die Freiheit. Es giebt keine Freiheitsempfindung und kein Freiheitsgefühl, sondern nur den Gedanken der Freiheit. Im Uebrigen muss auch bestritten werden, dass der blosse Gedanke an die Existenz Anderer oder an Gott und die Welt an sich schon Unlust hervorruft; vielmehr wird wohl jedem Menschen der G e d a n k e , allein zu existiren, nicht gerade recht behaglich sein. Es ist eben nicht die theoretische, sondern lediglich die p r a k t i s c h e Anerkennung Anderer, welche mit Unlust erfüllt, d. h. die durch Rücksichtnahme auf Andere nöthig gewordene Einschränkung des natürlichen Egoismus; wie umgekehrt dem natürlichen Menschen die praktische Nichtachtung Anderer Lust bereitet. Diese psychologischen Thatsachen haben aber mit dem Freiheitsgefühle in Struve's Sinn sehr wenig gemein. Man würde bei der wissenschaftlichen Feststellung des Freiheitsbegriffes wahrscheinlich niemals darauf gekommen sein, ihm irgendwelche positive Bedeutung unterzuschieben, wenn nicht die feststehende Ansicht über die Freiheit des Willens dazu veranlasst hätte, nach ihr den allgemeinen Begriff der Freiheit zu bestimmen. Dies scheint auch die Erklärung für die folgenden Erörterungen Liebtnann's zu sein »Ueber den individuellen Beweis für die Freiheit des Willens« S. 34: »Freiheit im Allgemeinen ist das Vermögen eines W e s e n s , sich so zu äussern, wie es sich zu äussern bestrebt ist. S o ist der Hund frei, wenn ich ihn von der Kette loslasse; der Leibeigene, wenn das Unterthänigkeitsverhältniss, welches ihn an einen andern Menschen fesselt, aufgehoben wird. Hier ist die L ö s u n g einer geistigen, dort einer materiellen Fessel Ursache, weshalb das erlöste Wesen frei zu nennen ist. A b e r die Abwesenheit der Fessel oder desjenigen, wodurch das betreffende Wesen gehindert wurde, sich so zu äussern, wie es mochte; diese rein negative Bestimmung macht bei Weitem nicht den eigentlichen Charakter dessen aus, was wir Freiheit-nennen; vielmehr geht als positive Bedingung das Streben selbst voraus, welches durch die Fessel gehemmt sich nicht äussern kann, sowie diese aber entfernt ist, sich äussert und Luft macht. Daher ist z. B. ein Stein, der in der Mauer durch den Mörtel und die umliegenden Steine festgehalten wird, wenn ich ihn loslöse, keineswegs frei geworden« etc. Hiermit stimmt in der Hauptsache überein Schölten »der freie Wille« S. 51 ff.; nur giebt er im Einklang mit dem Sprachgebrauch das Richtige, gegenüber der zuletzt angeführten Behauptung Liebmann's, dass man ohne ein Streben überhaupt nicht von Freiheit
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Der Begriff der Freiheit.
reden könne; »der'Perpendikel ist frei« . . . »die Pflanze und der Baum entwickeln sich frei«. Aehnliche Beispiele, in welchen der übliche Sprachgebrauch denjenigen Dingen Freiheit beilegt, in welchen von ihm ein Streben nicht vorausgesetzt wird, lassen sich in Masse beibringen. K y m , »metaphysische Untersuchungen« S. 283 ff. identificirt ohne Weiteres den allgemeinen Begriff der Freiheit mit dem speciellen der W a h l f r e i h e i t , und diesen letzteren wieder mit dem der W a h l f ä h i g k e i t : »Treten wir nun näher in den Begriff der Freiheit ein, so ergiebt es sich, dass von ihm der Begriff des A n d e r s k ö n n e n s unabtrennbar ist. Ein W e s e n , sofern ihm das Prädikat »»frei«« soll können beigelegt werden, muss die Kraft besitzen, durch eigene Wahl und Bestimmung das Entgegengesetzte thun zu können von d e m , was es thut oder gethan hat etc.« A u c h Dumont »Vergnügen und Schmerz« S. 14, vermischt ganz in derselben Weise negative Freiheit und positive Fähigkeit: »diejenigen, welche behaupten, dass der Mensch als Phänomen frei in seinen Handlungen ist, wollen sagen, dass er im Stande sei, die Initiative seiner Thätigkeit zu nehmen, ohne dass diese Thätigkeit die Umformung anderer Phänomen sei, dass er mit einem Wort eine gewisse S u m m e von Bewegung erschaffen, sie e nihilo hervorbringen könne. Solches ist die tiefste Definition, welche jemals vom freien Willen aufgestellt worden ist.« •— Die Gemeinsamkeit dieser Vermischung zweier ganz verschiedener Verhältnisse entspringt aus einer gemeinsamen Quelle; man hat eine vorgefasste Meinung über die Freiheit des Willens, sei dieselbe nun deterministisch oder indeterministisch, und um sie festhalten zu können, trägt man die aus dieser Ansicht allein sich ergebenden Bestimmungen in den allgemeinen Begriff der Freiheit hinein, wodurch man mit der unbefangenen Auffassung ebenso wie mit dem Sprachgebrauch in Widerspruch geräth. A l s das Richtige erscheint vielmehr das entgegengesetzte Verfahren, nach welchem man ohne alle vorgreifende Rücksicht auf irgend welchen Specialfall den allgemeinen Begriff des Wortes Freiheit feststellt, um dann entweder auch die Freiheit des Willens unter ihm zu subsumiren, oder, wofern dasjenige Verhalten des Menschen, welches als Willensfreiheit aufgefasst wird, bestimmte, im allgemeinen Begriff der Freiheit nicht enthaltene Merkmale aufweist, für dasselbe einen andern Namen zu wählen. Um die Quelle des Irrthums zu verstopfen, • ist die Entstehung und Befestigung der positiven Fassung des Freiheitsbegriffes nach-
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Der Begriff der Freiheit.
zuweisen. Die Verwechselung scheint von d e m so häufig gebrauchten W o r t e k ö n n e n ausgegangen zu sein, dessen sehr mannigfache Bedeutungen sämmtlich auf den Begriff der Freiheit zu übertragen man sich gewöhnlich für berechtigt hält. Das W o r t können hat im alltäglichen wie im wissenschaftlichen S p r a c h g e b r a u c h stets eine doppelte Bedeutung: Es vereinigt in sich die A b w e s e n h e i t aller Hindernisse mit der positiven F ä h i g k e i t oder d e m V e r m ö g e n , eine Handlung zu vollziehen. Man wird daher seinen ganzen Inhalt kaum anders ausdrücken k ö n n e n , als etwa durch die Bezeichnung: u n g e h i n d e r t e oder u n g e h e m m t e F ä h i g k e i t . Wenn z. B. Jemand sagt: «Ich kann lateinische Verse m a c h e n , Schach spielen«, o d e r : »ich kann bequem wohnen, täglich mehrere Stunden spazieren gehen« etc., so ist man nicht zweifelhaft d a r ü b e r , was er damit ausdrücken will: »Ich bin durch keinerlei äussern Zwang verhindert und zugleich positiv befähigt oder im Stande, die betreffenden Handlungen auszuführen«. D a s kontradiktorische Gegentheil, n i c h t k ö n n e n , tritt demnach schon dann ein, wenn Eine von beiden Bedingungen des Könnens, sei es die negative oder die positive, nicht erfüllt ist, o d e r , anders ausgedrückt, wenn entweder die F r e i h e i t o d e r d i e F ä h i g k e i t fehlt. W e n n z. B. gesagt wird, dass Jemand nicht Schach spielen k a n n , so wird man bei diesem allgemeinen Ausdruck zunächst daran d e n k e n , dass er zwar die Freiheit, aber nicht die Fähigkeit dazu besitzt, da er es nicht gelernt hat. Sagt dagegen J e m a n d : »Ich kann h e u t e nicht Schach spielen«, so heisst dies: »Ich bin verhindert, es zu t h u n , ich h a b e nicht die Freiheit, obzwar die Fähigkeit, heute Schach zu spielen«. Aus diesem und ähnlichen Beispielen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ergiebt sich sehr leicht der Unterschied zwischen dem Begriff der Freiheit einerseits und den Begriffen der Fähigkeit und des Könnens andererseits. Ein Gefangener hat nicht die Freiheit, ein an den untern Extremitäten Gelähmter nicht die Fähigkeit, spazieren zu g e h e n , während damit d e m e r s t e m nicht die Fähigkeit, dem letzteren nicht die Freiheit spazieren zu gehen abgesprochen wird. Von beiden wird man ohne nähern Unterschied auch wohl sagen, dass sie nicht spazieren gehen k ö n n e n . A u s s e r d e m bezeichnet dieses W o r t zugleich dasjenige, was die weniger allgemeinen Begriffe d ü r f e n oder e r l a u b t sein ebenfalls ausdrücken, nämlich die A b w e s e n h e i t g e s e t z l i c h e r , m o r a l i s c h e r , r e l i g i ö s e r , überhaupt aller i n n e r n , nicht blos direkt durch äussern Zwang p h y s i s c h , sondern indirekt und mittelbar oder moralisch wirkender Hindernisse: »Man kann im fürstlichen Park spazieren g e h e n , seine
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D e r Begriff der F r e i h e i t .
politische Ansicht offen-aussprechen, aus der Landeskirche austreten« etc., d. h. man d a r f es, man hat die Erlaubniss, man ist nicht daran verhindert oder man hat die F r e i h e i t , es zu thun. Ebenso darf man oder hat die Freiheit, den Homer in der Ursprache zu lesen, alle Consequenzen einer Weltanschauung zu ziehen, alle Menschen zu lieben etc., ohne es darum schon zu k ö n n e n im Sinne der positiven Befähigung. Umgekehrt k a n n der gelehrte Katholik die Bibel im Urtext lesen, aber er d a r f es ohne besondere Erlaubniss nicht, er hat die Fähigkeit, aber nicht die Freiheit. Dem Substantivum Freiheit entsprechen mithin die beiden Zeitwörter dürfen und können, und zwar drückt d ü r f e n nur die Abwesenheit aller indirekt und mittelbar wirkenden Hindernisse aus, entspricht also der politischen, moralischen, religiösen^ intellektuellen Freiheit, während es niemals von der Abwesenheit des indirekt hindernden physischen Zwanges gebraucht wird. Wenn man von Andern unter Anwendung physischer Gewalt festgehalten wird, oder wenn Naturmächte die freie Bewegung hindern, so sagt man nie: »ich d a r f nicht«, sondern stets: »ich k a n n nicht« thun was ich will. Dürfen bezeichnet natürlich immer nur die rein negative Freiheit und drückt den Inhalt dieses Begriffes in den oben angegebenen Beziehungen v o l l s t ä n d i g und ohne irgend welche darüber hinausgehende Bedeutung aus, weshalb sein Gebrauch zu irgend welchen Irrthümern keine Veranlassung giebt. Diese sind vielmehr lediglich auf die Vermischung der doppelten Bedeutung des Wortes können zurückzuführen; man setzt unter dem irreleitenden Einfluss desselben Wortes ganz unmotivirt sehr häufig da eine positive Fähigkeit voraus, wo weiter nichts als die Abwesenheit irgend welcher Hindernisse die Freiheit gegeben ist, wie z. B. in einer bekannten Stelle bei Schopenhauer a. a. O. ein Mensch zu sich selbst sagt: »Ich k a n n spazieren, in den Clubb,. auf den Thurm gehen, auch zum Thor hinaus laufen, in die weite Welt und nie wiederkommen.« Er bildet sich ein, zu diesem Allen wirklich die F ä h i g k e i t zu haben. Ebenso wie dieser Mensch nur die F r e i h e i t hat, nicht gehindert ist, dies zu thun, ohne doch deshalb auch schon die F ä h i g k e i t dazu anders als in seinem »Selbstbewusstsein« zu haben, täuscht man sich sehr häufig über dasjenige, was man thun »kann«, sobald man darunter versteht, was man zu thun wirklich im Stande ist. Diese Täuschung entsteht sehr leicht durch den Sprachgebrauch, der ohne besondere Einschränkung mit dem Worte können stets überwiegend auf den Begriff der Fähigkeit hinführt, wie sich schon daraus ergiebt, dass man von leblosen Dingen das Wort können gewöhnlich
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Der Begriff der Freiheit.
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nicht braucht, um das nämliche Verhalten derselben zu bezeichnen, welches bei lebenden Wesen durch durch dasselbe ausgedrückt wird. So sieht man z. B. sehr häufig Billardbälle laufen, auch wohl Steine durch die Luft fliegen etc., und doch sagt man nicht: »Der Billardball k a n n laufen, der Stein k a n n fliegen« etc. Wenn man daher einmal ausnahmsweise das Wort können auf derartige Vorgänge anwendet, so wird man dann blos die n e g a t i v e Freiheit im Sinne haben, mit der sich solchc Gegenstände bewegen können, sobald sie von irgend einer Kraft in Bewegung gesetzt werden. Vielleicht hat dies die Veranlassung zu der oben erwähnten Behauptung Liebmann's gegeben, dass man das Wort Freiheit nur von denjenigen Wesen braucht, welchen ein positives Streben, sich zu äussern innewohnt; nur von diesen braucht man gewöhnlich den Ausdruck können, der aber, wie die beigebrachten Beispiele zeigen, mit dem Begriff der Freiheit sich nicht deckt. Das Resultat unserer Untersuchung des Freiheitsbegriffes ist demnach, dass die Freiheit nichts anderes ist als die Abwesenheit des Zwanges, oder logisch das k o n t r a d i k t o r i s c h e G e g e n t h e i l der Nothwendigkeit. Was von dem allgemeinen Begriff der Freiheit gilt, findet natürlich seine Anwendung auch auf die W a h l f r e i h e i t , welche durchaus nicht eo ipso W a h l f ä h i g k e i t ist; so hat jeder die Freiheit, zwischen der sapphischen und alcaeischen Strophe, oder zwischen der Hegel'schen und Schopenhauer'schen Philosophie, oder auch zwischen egoistischen und moralischen Handlungen zu wählen, ohne deshalb auch schon die Fähigkeit dazu zu haben. Dies leuchtet im Allgemeinen ohne Weiteres ein und wird auch nicht bestritten werden, so lange keine äussere Ursache vorliegt, sich mit der Erfahrung in Widerspruch zu setzen; denn diese lehrt zu deutlich, dass Jeder zwar die Freiheit zu wählen besitze, die F ä h i g k e i t dazu aber sich erst mühsam erwerben muss. Bevor wir aber in die genauere Untersuchung der positiven Fähigkeit eintreten können, muss vor Allem entschieden werden, ob die Freiheit, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, besteht oder nicht; denn ohne die Freiheit kommt für die Zurechnung die Fähigkeit überhaupt nicht in Betracht. Wir haben nun die Freiheit lediglich als Verneinung des Zwanges oder der Nothwendigkeit erkannt, dürfen mithin überall da, wo Nothwendigkeit ist, keine Freiheit annehmen; wenn daher mit einer sehr verbreiteten Ansicht Nothwendigkeit in irgend welcher Form Alles beherrscht, so ist damit unsere Frage im G a n z e n e r l e d i g t und
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II.
Dur Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
jede Einzeluntersuchung verlorene Mühe. Deshalb ist zunächst festzustellen, ob die Freiheit von irgend welcher unwiderstehlichen, zwingenden Nothwendigkeit aufgehoben wird.
II. Der Begriff der Nothwendigkeit. »Der Mensch erschafft sich objektive Mächte, um sie zu fürchten und sie anzubeten.« Dieser Ausspruch Rokitansky's gehört recht eigentlich an die Spitze einer Untersuchung über die Nothwendigkeit, da dieser Begriff von der untersten Stufe der menschlichen Erkenntniss durch alle ihre Wandlungen bis zur heutigen Wissenschaft als objektive Macht »angebetet« worden ist und voraussichtlich noch lange seine A n b e t e r finden wird. Denn er entspringt der natürlichen und meist unvertilgbaren Neigung des Menschen, sich selbst und seine Beziehungen überall in den Objekten wiederzufinden, welche er eben dadurch allein »begreift«. Dieses Verfahren ist nun zwar längst im Allgemeinen erkannt und als ein aus der menschlichen Naturanlage entspringender Irrthum unter d e m Namen des A n t h r o p o m o r p h i s m u s oder Anthropopathismus in der Wissenschaft hinlänglich bekannt geworden; indessen gewährt diese Erkenntniss, wie die E r f a h r u n g lehrt, noch keinen genügenden Schutz gegen seine Wiederkehr. Die Gefahr alles A n t h r o p o m o r p h i s m u s auch für die höher entwickelte Erkenntniss liegt darin, dass wir ihn bereits völlig überwunden zu haben glauben, während er uns noch m e h r oder weniger gefangen hält. D e n n nicht darüber werden wir zweifelhaft sein, dass alle anthropomorphistischen Reste früherer naiver Anschauungen aus der wissenschaftlichen Erkenntniss gänzlich zu beseitigen sind, — aber diese Einsicht ist nur die negative Bedingung zu der schwierigen Beantwortung der F r a g e , was in jene Kategorie einzureihen und demgemäss aus der Wissenschaft zu eliminiren ist. In dieser L a g e befinden wir uns nun auch dem Begriff der Nothwendigkeit g e g e n ü b e r , dessen gewöhnlichen Gebrauch hier als Anthropomorphismus bezeichnet zu sehen auch viele m o d e r n e Denker nicht wenig erstaunt sein werden. E s wird daher eine kurze Uebersicht über die wechselnden F o r m e n , unter welchen die Nothwendigkeit immer wieder mit demselben Inhalt, nämlich als objek-
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Dur Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
jede Einzeluntersuchung verlorene Mühe. Deshalb ist zunächst festzustellen, ob die Freiheit von irgend welcher unwiderstehlichen, zwingenden Nothwendigkeit aufgehoben wird.
II. Der Begriff der Nothwendigkeit. »Der Mensch erschafft sich objektive Mächte, um sie zu fürchten und sie anzubeten.« Dieser Ausspruch Rokitansky's gehört recht eigentlich an die Spitze einer Untersuchung über die Nothwendigkeit, da dieser Begriff von der untersten Stufe der menschlichen Erkenntniss durch alle ihre Wandlungen bis zur heutigen Wissenschaft als objektive Macht »angebetet« worden ist und voraussichtlich noch lange seine A n b e t e r finden wird. Denn er entspringt der natürlichen und meist unvertilgbaren Neigung des Menschen, sich selbst und seine Beziehungen überall in den Objekten wiederzufinden, welche er eben dadurch allein »begreift«. Dieses Verfahren ist nun zwar längst im Allgemeinen erkannt und als ein aus der menschlichen Naturanlage entspringender Irrthum unter d e m Namen des A n t h r o p o m o r p h i s m u s oder Anthropopathismus in der Wissenschaft hinlänglich bekannt geworden; indessen gewährt diese Erkenntniss, wie die E r f a h r u n g lehrt, noch keinen genügenden Schutz gegen seine Wiederkehr. Die Gefahr alles A n t h r o p o m o r p h i s m u s auch für die höher entwickelte Erkenntniss liegt darin, dass wir ihn bereits völlig überwunden zu haben glauben, während er uns noch m e h r oder weniger gefangen hält. D e n n nicht darüber werden wir zweifelhaft sein, dass alle anthropomorphistischen Reste früherer naiver Anschauungen aus der wissenschaftlichen Erkenntniss gänzlich zu beseitigen sind, — aber diese Einsicht ist nur die negative Bedingung zu der schwierigen Beantwortung der F r a g e , was in jene Kategorie einzureihen und demgemäss aus der Wissenschaft zu eliminiren ist. In dieser L a g e befinden wir uns nun auch dem Begriff der Nothwendigkeit g e g e n ü b e r , dessen gewöhnlichen Gebrauch hier als Anthropomorphismus bezeichnet zu sehen auch viele m o d e r n e Denker nicht wenig erstaunt sein werden. E s wird daher eine kurze Uebersicht über die wechselnden F o r m e n , unter welchen die Nothwendigkeit immer wieder mit demselben Inhalt, nämlich als objek-
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Der Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
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tive Macht, erscheint, die beste Vorbereitung für die kritische Untersuchung dieses Begriffes sein. Die älteste aus der Geschichte uns bekannte Notwendigkeit enthält der Glaube an das Schicksal, Ävoep.r,, Ei|xapij.svr(, Fatum, welches Götter und Menschen beherrscht. Aus der Wissenschaft ist diese Annahme längst verschwunden, übt aber auf die ungebildete Masse auch in der Gegenwart noch ihre verderbliche Wirkung aus. Nun giebt es freilich, wie schon Mill bemerkt hat, keinen konsquenten Fatalisten, da die radikale Durchführung des Satzes: »Was geschehen soll, geschieht ja doch«, zu viele Unbequemlichkeiten mit sich führen würde, als dass sie jemals praktisch werden könnte. Die eigentliche Consequenz der fatalistischen Ansicht wäre ein vollständiger Quietismus, der sich aller selbstthätigen Eingriffe in den Lauf der Dinge enthalten miisste, und natürlich dem Leben seines Trägers sehr bald ein Ende machen würde. Daher braucht der Fatalist die Vorsicht, die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse, wie überhaupt seiner starken Willensregungen nicht in die Hände des Schicksals zu legen. Nach abendländischer Anschauung leistet der Araber zwar schon genug im Fatalismus, wenn er dem Brande seines Hauses ruhig zusieht und abwartet, ob Allah löschen oder weiter brennen lassen wird; aber soweit reicht sein Glaube nicht, dass er etwa mit derselben Ruhe abwartet, ob er ohne eigene Sorge für seine Ernährung von Allah am Leben erhalten würde oder nicht. Die Notwendigkeit hält ihn daher nur da vom Handeln ab, wo er sich nicht gerade allzu ungern abhalten lässt. Beispiele dieses Fatalismus bietet das tägliche Leben leider noch immer unzählige, vor Allem das Verhalten der grossen Menge in Krankheitsfällen. Dass der Fatalismus häufig genug auch der Trägheit und Energielosigkeit zum bequemen Deckmantel dient, wird man zugestehen, darum aber seine verderbliche Wirkung desto höher anschlagen müssen. Einen modificirten Fatalismus hat die Religion als Grundlage. Die vom Christenthum gelehrte, konsequent aufgefasste Vorsehung Gottes, ohne dessen Willen kein Haar vom Haupte, kein Sperling vom Dache fällt, involvirt eine Notwendigkeit, bei welcher für die Freiheit nicht der geringste Spielraum bleibt, wie dies von allen gläubigen und urteilsfähigen Christen, von Augustin, Luther und Calvin, ebenso wie von den modernen Theologen nicht nur anerkannt, sondern sehr stark betont wird. Der zureichende Grund alles Geschehens ist für diesen Standpunkt der absolute göttliche Wille,
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Der Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
vulgo unerforschlicher Rathschluss, durch welchen natürlich auch die Herzen der Menschen gelenkt werden. Alle logischen und dialektischen Kunststücke, Sophismen und Widersprüche, welche von Theologen und Theosophen an diese Frage so reichlich verschwendet worden sind, haben zu ihrem Objekt nicht sowohl die zweifellos feststehende Thatsache der menschlichen Unfreiheit gegenüber der göttlichen Vorsehung und Vorherbestimmung (Prädestination, Gnadenwahl etc.), als vielmehr entweder eine genügende E r k l ä r u n g dieses Thatbestandes, z. B. eine Rechtfertigung des göttlichen Willens,i oder den Versuch, eine Verpflichtung des Menschen zu bestimmten Gesinnungen und Handlungen, die ihm trotz Prädestination angerechnet werden sollen, zu begründen, Denn auch hier fehlt, wie beim gemeinen Fatalismus, die Ergebung in die »geglaubte« Nothwendigkeit, oder richtiger, es fehlt der G l a u b e an eben diese Nothwendigkeit. Nicht nur das gegenwärtige Zeitalter ist »des Glaubens baar, aber bange vor dem Zweifel«, sofern man einen konsequenten und die Handlungen beeinflussenden Glauben darunter versteht, den »lebendigen« Glauben des Evangeliums; sondern es liegt in der menschlichen Natur, dass man unbequemen Consequenzen stets irgendwie zu entgehen sucht, um dasjenige zu erreichen oder zu vermeiden, was Gegenstand einer starken Neigung oder Abneigung ist. Einen Specialfall dieses allgemeinen Verfahrens bilden auch die Versuche, die göttliche Vorherbestimmung zu Gunsten menschlicher Wünsche zu modificiren, wodurch natürlich die absolute N o t w e n digkeit alles Geschehens nach Massgabe des göttlichen Willens durchbrochen, und dem Menschen ein Antheil an der Gestaltung seines Schicksals zugestanden sein würde. Dass die.ses Resultat nur durch Beugung oder Aufhebung der christlichen Lehre gewonnen werden kann, haben vollkommen überzeugend nachgewiesen Frauenstädt »die Freiheit des Menschen und die Persönlichkeit Gottes«; Romang, »Willensfreiheit und Determinismus«; Sigwart, »das Problem von der Freiheit und der Unfreiheit des menschlichen Wollens«; Schölten, »der freie Wille«. Für den gläubigen Christen kann es daher weder Freiheit noch Selbstbestimmung geben, deren Annahme er als Täuschung der menschlichen Kurzsichtigkeit erkennt: »Es ist ein bekannter Scherz, den die Eltern mit kleinen Kindern vorzunehmen pflegen, wenn sie selbigen glaubend machen, ihre schwachen Aermchen könnten selbst einen grossen Stuhl forttragen, indem die Eltern, wenn die Kinder den Stuhl angefasst und zu tragen unternommen, solchen unbemerkt aufheben. Das Kind ist einfältig genug, die Bewegung seinen eigenen Kräften zuzutrauen, und eine Freude
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darüber zu h a b e n , dass es so stark sei. Es kann nicht anders denken. D e n n da der Stuhl sich zu der Zeit b e w e g t , da die Kinder den Willen b e k o m m e n , solchen fortzutragen, und sie des Vaters Hand nicht s e h e n , so entsteht ein Betrug der Sinne, dass sie glauben, den Stuhl selbst bewegt zu haben. Mensch! Dein Lebtag bleibst Du ein solches Kind. Gott giebt Dir das L e b e n , das Dasein, die Bewegung, die Triebe, den Willen, ohne sich sehen zu lassen.« W e n n dieser Glaube einmal die Menschen bewegen wird, überhaupt nicht mehr zu handeln, sondern alles der göttlichen Vorsehung anheim zu stellen, und wenn dann der Lauf der menschlichen Dinge unverändert derselbe bleibt — dann wird es an der Zeit sein, alle unsere bisherigen Erkenntnisse für T ä u s c h u n g zu halten, die göttliche Vorsehung nicht blos unnützlich im Munde zu führen, sondern ernstlich mit ihr zu rechnen, u n d , wie jede andere vermeintliche eigene Thätigkeit, so auch alle Untersuchungen über die menschliche Freiheit einzustellen. Doch ist nicht zu erwarten, dass durch die Erfüllung dieser Bedingungen unsere Untersuchungen so bald überflüssig werden. — Die Gegenwart hat in den ineist als objektiven Mächten geltenden Begriffen der Causalität, des Naturgesetzes und der N a t u r n o t wendigkeit ihr F a t u m , welches in seinen modernen Fassungen leicht verkannt werden k a n n , wofern man über seine principielle Wesensgleichheit mit den Produkten der naivern Anschauungsweisen nicht zur vollen Klarheit gelangt. Diese wird erreicht einestheils durch die Analyse dieser Begriffe, welche den ihnen zu Grunde liegenden Anthropomorphismus aufdeckt, anderntheils durch den Nachweis der historischen Continuität, welche bei allem Wechsel der F o r m e n das entscheidende Merkmal, die Objektivirung und Hypostasirung menschlicher Gedanken, konservirt hat. Die kritische Richtung der neueren Philosophie hat nun in beiden Beziehungen das nöthige Material geliefert, dessen übersichtliche Zusammenstellung Allen, die sehen wollen, die Mittel dazu bieten wird, August Comte ist der erste gewesen, welcher durch seine Analyse des Entwickelungsganges der menschlichen Erkentniss von ihren ersten Anfängen bis zur modernen Wissenschaft Licht über dieses vor ihm dunkele Gebiet verbreitet hat. Durch Abstraktion aus den vorhandenen Produkten der theologischen und philosophischen Spekulation, wie der empirischen Forschung, glaubte er sich berechtigt, das folgende grosse Gesetz aufzustellen: »Die denkende Betrachtung der Dinge zeigt drei verschiedene Stufen der E n t w i c k l u n g : trois états théoriques différentes; l'état théologique ou fictif; l'état metaGöring, Freiheit u Zurechnungsfahigkeit.
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Der Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
physique ou abstrait; l'état scientifique ou positif« (Cours de philosophie positive I. 8). Im ersten Stadium kennt der Mensch nur sich selbst und stellt daher sich als type universel für Alles auf; die gesammte Natur fasst er nach Analogie des menschlichen T y p u s auf und begreift alle Erscheinungen nach Maassgabe seiner eigenen Handlungen (assimiler les phénomènes à ses propres actes). Die Einbildung (illusion) herrscht durchaus über die Beobachtung und nimmt die »illusorischsten« Erklärungen als unumstösslich gewiss an, da überhaupt das Vertrauen in das Wissen auf der untersten Stufe am stärksten ist. Diese ist der nothwendige A u s g a n g s p u n k t aller Forschung (a. a. O. I. 8. 9. IV. 467—475). Das zweite, metaphysische oder abstrakte Stadium verhält sich principiell dem ersten gleich, ist nur eine kritische Modifikation desselben, in sofern es seine Personen zu abstrakten Begriffen und Entitäten umbildet. Indem es die Produkte des ersten Stadiums durch seine Kritik als illusorisch erweist, an ihre Stelle aber nur Resultate zu setzen hat, welche unter die nämliche Kritik fallen, wird es der vorübergehende Durchgangspunkt, welcher das dritte Stadium herbeiführt. Dieses ist der definitive Abschluss, die Herrschaft der positiven Wissenschaft, die W a h r h e i t , welche die Irrthümer der beiden ersten Phasen überwunden hat. Diese Theorie hat namentlich unter französischen und englischen Denkern viele Anhänger gefunden. Frühzeitig erklärte sich entschieden für sie John Stuart Mill in seinem System der induktiven L o g i k (deutsch von S. Schiel) 1. Aufl. II. S. 555: »diese Généralisation scheint mir jenen hohen G r a d von wissenschaftlicher Evidenz zu besitzen, der aus dem Zusammenwirken der Indikationen der Geschichte und der aus der Beschaffenheit des menschlichen Geistes abgeleiteten Wahrscheinlichkeiten hervorgeht. A u c h könnte man sich nicht leicht nach der blossen A u s s a g e , der blossen Enuntiation eines solchen Satzes eine Vorstellung machen, welche Flüth von Licht er auf den ganzen Gang der Geschichte ergiesst, wenn man seinen Consequenzen nachgeht, indem man mit jedem der drei Zustände des menschlichen Geistes, welche er unterscheidet, und mit einer jeden successiven Modifikation dieser drei Zustände den korrelativen Zustand der andern socialen Erscheinungen verbindet«. In etwas modificirter und konkreter Fassung hat Dubois-Reymond den Comte'schen Grundgedanken ausgesprochen in einer R e d e vor der königlichen A k a d e m i e der Wissenschaften in Berlin am 30. Januar 1868: »Es scheint ein Gesetz in der geistigen Entwickelung der Völker zu sein, welches sich mehr oder minder an Hellas,
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D e r B e g r i f f der
Nothwendigkeit.
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R o m , Italien, E n g l a n d , F r a n k r e i c h und D e u t s c h l a n d b e w ä h r t , dass ein V o l k zuerst seine D i c h t e r , dann seine P h i l o s o p h e n und zuletzt seine Naturforscher erzeugt.« D i e E i n w e n d u n g e n , w e l c h e g e g e n die C o m t e ' s c h e A u f f a s s u n g der g e s a m m t e n E n t w i c k l u n g des menschlichen D e n k e n s v o r g e b r a c h t w e r d e n k ö n n e n , machen einige Modifikationen d e r s e l b e n , namentlich hinsichtlich des zweiten S t a d i u m s , n o t h w e n d i g , da nicht alle philosophischen T h e o r i e n diejenigen K e n n z e i c h e n h a b e n , w e l c h e C o m t e selbst als charakteristisch für das zweite Stadium angiebt. H i e r d u r c h wird aber die T r a g w e i t e seiner E n t d e c k u n g principiell k e i n e s w e g s v e r m i n d e r t , sondern nur die betreffenden philosophischen T h e o r i e n aus d e m zweiten S t a d i u m h i n a u s g e r ü c k t , während für die in d e m letzteren mit R e c h t befassten S y s t e m e die C o m t e ' s c h e A u f fassung und Kritik durchaus bestehen bleibt, E s ist ferner g e g e n ihn eingewandt w o r d e n , dass alle drei Stufen der E n t w i c k e l u n g gleichzeitig v o r k ä m e n ; für die historische Zeit ist dies unleugbar der F a l l , erklärt sich aber einfach d a d u r c h , dass die E n t w i c k e l u n g s f o r m e n d e s ersten Stadiums in den folgenden erhalten bleiben. Mit mehr R e c h t d a r f wohl behauptet w e r d e n , dass das zweite und dritte Stad i u m nicht so scharf v o n einander g e s c h i e d e n w e r d e n können. Zunächst ist das dritte S t a d i u m durchaus nicht so g a n z frei v o n den Irrthümern des zweiten; ausserdem hätte C o m t e den Nachweis liefern m ü s s e n , dass das dritte Stadium wirklich vollständig unabhängig v o n d e m zweiten seine A u f g a b e lösen könne. D e m n a c h liegt die S t ä r k e der C o m t e ' s c h e n T h e o r i e entschieden in der Kritik des ersten Stadiums; hier ist die Richtigkeit seiner A u f f a s s u n g zu einl e u c h t e n d , als das ernstliche E i n w ü r f e v o m S t a n d p u n k t e der Wissens c h a f t d a g e g e n erhoben w e r d e n könnten. A u c h der G e w i n n , den dieser T h e i l des C o m t e ' s c h e n G e s e t z e s bringt, liegt am T a g e : E s f o l g t d a r a u s , dass den Ideen und P r o d u k t e n des ersten S t a d i u m s wissenschaftliche B e d e u t u n g nicht z u k o m m t , w e s h a l b sie v o n der W i s s e n s c h a f t einfach zu ignoriren sind; ein G e d a n k e , der sich so sehr a u f d r ä n g t , dass ihn bereits der erste B e g r ü n d e r wissenschaftlicher F o r s c h u n g mit der vollsten K l a r h e i t und Entschiedenheit ausg e s p r o c h e n hat. A r i s t o t e l e s sagt M e t a p h y s i k III. 4, 1 7 : »Es ist nicht der Mühe w e r t h , sich ernstlich mit solchen zu beschäftigen, die n o c h in mythischer F o r m philosophirt haben«. Hinsichtlich des zweiten Stadiums besteht natürlich die C o m t e ' sche Kritik insoweit vollständig zu R e c h t , als in ihm notorisch nur eine U m b i l d u n g der Personen des ersten Stadiums zu abstrakten Begriffen und metaphysischen Entitäten stattgefunden h a t ; auf die
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darüber hinausgehenden Leistungen des zweiten Stadiums erstreckt sich die Comte'sche Kritik nicht. Für unsern Zweck wird nun diese Theorie dadurch nutzbar zu machen sein, dass wir die psychologische Begründung des von Comte festgestellten thatsächlichen Entwickelungsganges zu geben versuchen. Es leuchtet zunächst ein, dass der Denkinhalt der beiden ersten Stadien, gegenüber dem des dritten, eine principielle Verschiedenheit aufzeigt: die beiden ersten enthalten Metaphysik, Spekulationen über das nicht direkt in die Wahrnehmung Fallende, das dritte dagegen hat seinen Schwerpunkt in der Erfassung des unmittelbar Gegebenen. In den beiden ersten Stadien handelt es sich mithin der Hauptsache nach um dasjenige, was wir unter B e g r e i f e n und E r k l ä r e n zu verstehen gewohnt sind, im dritten dagegen um das empirische W i s s e n . Diese beiden principiell durchaus verschiedenen Resultate des menschlichen Denkens sind nicht nur gewöhnlich nicht scharf genug auseinander gehalten, sondern vielmehr fast immer vermischt worden. Diese Confundirung muss vor Allem erkannt und beseitigt werden, ehe die aus ihr hervorgehenden Irrthümer erkannt und vermieden werden können. Sie sind von der grössten Tragweite und verhindern, einmal aufgenommen, die wahre Erkenntniss auf jedem folgenden Schritte des Denkens. Denn Wissen und Begreifen sind auf dem Erkenntnissgebiete die höchsten Abstraktionen, finden sich daher als das Allgemeinste, in jedem Denken Vorhandene, überall wieder; natürlich nicht beide verbunden, sondern immer entweder das eine oder das andere. Wissen und Begreifen sollen Antwort geben auf die beiden obersten und allgemeinsten Fragen: »Was ist das«? und: »Woher kommt das«? oder das letztere abstrakter gefasst: »Wie kommt das«? »Wie geschieht das«? Hiermit ist implicite schon ausgesprochen, dass vernünftiger Weise von Begreifen erst dann die Rede sein kann, wenn man bereits etwas irgendwie erkannt hat oder w e i s s , dass also das Begreifen stets dem Wissen nachfolgt, das letztere mithin ganz unabhängig vom ersteren ist. Diese Einsicht ist vor Allem festzuhalten, wenn nicht in die Auffassung des Verhältnisses zwischen Wissen und Begreifen von vornherein später nicht mehr zu tilgende Irrthümer sich einschleichen sollen. Was nun Begreifen, oder aktiv gewendet, Erklären im Allgemeinen bedeute, kann nicht zweifelhaft sein; erklären heisst klar, deutlich, verständlich machen; begreifen also klar, deutlich, verständlich finden. Die gewöhnlichste Erfahrung lehrt nun, dass das Begreifen je nach dem Standpunkte verschiedener Subjekte sehr ver-
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schieden auftritt; was dem Einen vollständig klar und deutlich ist, was er also vollständig begreift, das ist dem Andern durchaus unklar und unbegreiflich. Woher sich diese Verschiedenheit schreibt, lehrt ebenfalls schon eine oberflächliche Beobachtung kennen. Alles irgendwie Bekannte, seien dies nun häufig wahrgenommene sinnliche Objekte, oder oft vernommene und ausgesprochene W o r t e und Gedanken, erscheinen dem Subjekte an sich vollkommen klar, und, wie man weiter schliessen darf, auch vollkommen begreiflich, da sich bei gewohnten und bekannten Objekten ein besonderes Bedürfniss des Begreifens überhaupt nicht einstellt. Zu dem Bekannten aber, welches gewöhnlich als klar und selbstverständlich hingenommen wird, gehören auch die regelmässig, oder auch nur häufig wiederkehrenden V e r ä n d e r u n g e n ; der Wechsel der Witterung, der Jahreszeiten, des Lebens und Sterbens erregt, sofern nicht beträchtliche Abweichungen von der gewohnten Regelmässigkeit sich dabei einstellen, nicht das Bedürfniss, diese Veränderungen zu begreifen. Diese durch die tägliche Erfahrung leicht zu konstatirende Thatsache ist deshalb stark zu betonen, weil es ein geläufiger Satz der modernen Vertheidiger der apriorischen Causalität geworden ist, dass jede Veränderung das Causalitätsbedürfniss, mithin das Bedürfniss zu begreifen, erwecke. D e m entgegen muss durchaus als feststehende Thatsache behauptet werden, dass das Bekannte in den beiden oben angegebenen Richtungen dem natürlichen Bewusstsein vollkommen klar und deutlich erscheint, daher nicht das Bedürfniss einer Erklärung mit sich führt. Vielmehr wird umgekehrt das Bekannte zur Erklärung, zum Begreifen das Unbekannte verwendet, so dass man die gewöhnliche Art des Begreifens und Erklärens definiren kann: » D a s U n b e kannte auf Bekanntes zurückzuführen«. Für das natürliche Denken ist nun das Bekannte zunächst alles oft sinnlich Wahrgenommene, das Unbekannte das noch nicht oder nur selten Wahrgenommene; diesem Standpunkt dient daher zum Begreifen meist das Augenfällige, Sinnliche, als das einzige, bei dem er in der That »sich etwas denken« kann. Indessen schiebt sich hier die Ideenassociation in der Weise ein, dass oft gehörte und ausgesprochene Worte und Begriffe auch ohne direkte Unterstützung der Sinne allmählich bekannt werden, weshalb das betreffende Subjekt sie ebenfalls zur Erklärung verwendet; denn es glaubt, sich bei den bekannten Worten auch etwas denken zu können, was freilich bei näherer Untersuchung sich gewöhnlich als Selbsttäuschung herausstellt. E s ist nun ohne Weiteres klar, dass die Zurückführung des
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Unbekannten auf das durch die gewohnte Wahrnehmung oder Ideenverbindung Bekannte eine Erklärung ist, welche nicht die mindeste Sicherheit für ihre Richtigkeit bietet; vielmehr wird s i e ' i n den meisten Fällen sich sehr weit von der Wahrheit entfernen. Aeusserlich lässt sich dies schon daraus erkennen, dass für ein und dasselbe Faktum die allerverschiedensten Erklärungen je nach der Bildungsstufe und den sonstigen Antecedentien verschiedener Subjekte zum Begreifen dienen. Denn es ist ja durchaus zufällig, was dem Einzelnen bekannt und gewohnt ist, was nicht. Am deutlichsten tritt das rein willkürliche Verfahren des natürlichen Denkens zu Tage, wo es auf das Begreifen fremder Handlungen gerichtet ist. Hier findet gewöhnlich nur die Uebertragung des eigenen Thuns und der eigenen Motive auf die Handlungen anderer Personen statt; in denjenigen Fällen nun, wo beiderseitige Uebereinstimmung im Handeln angetroffen wird, erscheint dieses ohne Weiteres klar und begreiflich, und wenn dann überhaupt, was aber meist nicht geschehen wird, eine Erklärung gesucht wird, so ergiebt sich diese sofort aus der Uebertragung der eigenen Motive auf die Handlungen Anderer. W o aber diese Uebereinstimmung der eigenen und fremden Handlungen fehlt, da tritt auch sofort das Bedürfniss nebst der Unfähigkeit zu begreifen ein. Man [findet fremde Handlungen in diesem Falle vollständig unbegreiflich und denkt gewöhnlich gar nicht daran, sie aus den Motiven der anderen Personen erklären zu wollen. Worauf es hier vornehmlich ankommt, ist der Nachweis, dass das Begreifen, wie das ihm dienende Erklären ursprünglich vom natürlichen Denken ganz willkürlich und unmethodisch behandelt wird, sowohl hinsichtlich dessen, was begriffen werden soll, als auch in Rücksicht auf dasjenige, woraus man begreifen oder erklären will. Denn in erster Linie wird nicht berücksichtigt, ob die zur Erklärung angenommenen Ursachen wirklich im Zusammenhang mit dem zu Erklärenden stehen, sondern ob sie dem Subjekt bekannt sind oder nicht, und je nachdem das Eine oder das Andere der Fall ist, wird die Erklärung angenommen oder verworfen. Hierdurch wird aber, da vom natürlichen Denken jede erklärende Hypothese sofort als Wissen betrachtet wird, ein Moment in dies letztere getragen, welches nicht nur in der Praxis des Lebens, sondern auch in der Philosophie zu den grössten Irrthümern führt. Man gelangt nämlich durch dieses Verfahren dazu, die specifischen Unterschiede, welche zwischen dem zu Begreifenden und demjenigen bestehen, vermittelst dessen begriffen werden soll, gänzlich zu ignoriren. Vermöge der durch die Ideenassociation stattfindenden geistigen Assi-
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milirung wird das Erstere als ganz und gar identisch mit dem Zweiten angesehen, und Alles, was von diesem gilt, einfach auf jenes übertragen. Die Gewissheit, welche diesen rein subjektiven Akt gewöhnlich begleitet, verhindert eine Correktur des Irrthums, indem sie von der direkten Beobachtung abhält. Den irreleitenden Einfluss des natürlichen Triebes zu begreifen hat neuerdings kurz und treffend dargelegt Avenarius in seiner gedanken- und inhaltreichen Schrift: »Philosophie als Denken der Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmaasses. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung.« Wie der Verfasser in der Vorrede erklärt, beabsichtigt er, die reine Erfahrung nach Begriff und Inhalt herzustellen — ein Unternehmen, welches recht eigentlich die »philosophische Aufgabe der Gegenwart« genannt werden kann. Zur Lösung dieser Aufgabe sind nun vor Allem die Produkte des Triebes zu begreifen, als solche zu erkennen und gänzlich von der reinen Erfahrung fernzuhalten, welche das Resultat des wissenschaftlichen Denkens ist; während der Trieb zu begreifen eine naturwüchsige »ursprüngliche« Erfahrung schafft, »in welcher das, was wirklich durch den Gegenstand inhaltlich gegeben ist, und alles das, was etwa das erfahrende Individuum in den Gegenstand hineingedacht haben möchte, noch völlig ungeschieden zusammenliegt. So ist dem niedriger entwickelten Denken das Vorhandensein einer menschlichen Seele in irgend einem bewegten Naturkörper nicht eine zum Begreifen jener Bewegung herbeigezogenen Hypothese, -sondern eine »»Erfahrung««; gerade wie vielleicht noch heute mancher Naturforscher vermeinen mag, in der Bewegung des fallenden Steines auch die Kraft vor sich zu haben, die den Stein zur Erde reisst. Durch die Unterscheidung dessen, was in der Erfahrung wirklich gegeben ist, und dessen, was dem also Gegebenen von Seiten des Erfahrenden hinzugefügt, in dasselbe hineingelegt, mit ihm gedacht wird, unterscheidet sich zugleich das wissenschaftliche von dem naiven Erfahren. Indem sich das erstere in der Entwickelung des Denkens aus dem letzteren differenzirt, determinirt sich der Inhalt der Erfahrung, oder kurz: determinirt sich der Begriff der Erfahrung mehr und mehr auf das durch den Gegenstand allein Gegebene — und dies allein ist es, was die wissenschaftliche Erfahrung auf dem Höhenpuftkte ihrer Entwickelung enthalten d a r f . . . Wenn es auch an sich klar ist, dass Alles, was nicht durch den Gegenstand selbst gegeben ist, von der Verwendung als Bekanntes im wissenschaftlichen Begreifen ausgeschlossen sein soll, so ist doch nicht dem sich entwickelnden wissenschaftlichen Denken so ohne Weiteres bewusst
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gewesen, was denn eigentlich nicht mit dem Gegenstand gegeben, sondern nur vom Erfahrenden mitgedacht, bez. hineingedacht sei. Zuvörderst sind es zwei Gruppen gewesen, welche das wissenschaftliche Denken als solche bezeichnet hat , die ein Hineindenken bewerkstelligen, daher von der Inhaltsbestimmung des Gegenstandes auszuschliessen sind: die timematologische und anthropomorphistische Apperception«. Nur die zweite Gruppe, die anthropomorphistische, unterzieht Avenarius einer Würdigung. »Die anthropomorphistischen Apperceptionen zerfallen zunächst in die mythologischen und in die anthropopathischen Apperceptionen, welche letzteren eine Determinirung der ersteren sind. Den Inhalt der mythologischen Apperceptionen bilden die Vorstellungen von unserem gesammten wollenden und handelnden Ich; während sich der Inhalt der anthropopathischen Apperceptionen auf die Vorstellungen von einzelnen Gemüthszuständen beschränkt. Als das Bekannte fungirt bei der mythologischen Apperception die in der naiven Erfahrung vorgefundene Vorstellung von unserer menschlichen Seele als Princip der Bewegung unseres Körpers; bei den anthropopathischen Apperceptionen liegt das Bekannte in der minder naiven, viel determinirteren Erfahrung, dass es gewisse Gefühle, wie die des Hasses, der Liebe, der Kraft, des Willens und dergl. sind, welche die Bewegung des Körpers zur Folge haben. Soweit das Denken auf Gegenstände der Natur gerichtet ist, dienen diese Apperceptionen dazu, die Vorgänge in derselben begreiflich zu machen; und der allgemeine Unterschied zwischen dem naiven Begreifen und dem der Naturwissenschaften begründet sich mithin durch den Verzicht derselben, jene Apperceptionen zum Begreifen der Natur zu verwenden. Das Begreifen der Naturwissenschaften entwickelt sich also zu um so grösserer Wissenschaftlichkeit, je entschiedener der Inhalt der anthropomorphistischen Apperceptionen aus dem Bereich desjenigen Bekannten ausgeschlossen wird, welches sie, die Naturwissenschaften, als zu diesem ihrem Begreifen verwendbar erachten«. Das Resultat dieser Erörterung ist, dass nur die reine Erfahrung zum Wissen führt — der Trieb zu begreifen aber eine Menge von Irrthümern geschaffen hat, welche stets mit dem Anspruch auftreten, für volle Wahrheit zu gelten. Hierdurch entsteht der Kampf zwischen der. kritischen und der dogmatistischen, oder der empiristischen und der apriorisiischen Richtung des Philosophirens. Dieser alte Streit scheint, soweit er mit sachlichen Gründen gefuhrt wird
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sich gegenwärtig seinem Ende zu nähern, seitdem auf psychologischem wie historischem W e g e gezeigt werden kann, dass weder ein materiales noch ein formales »Apriori« existirt, sondern die vermeintliche Apriorität lediglich in einer Handlung des Subjekts besteht, welches einem ihm a posteriori bekannten Inhalt, sei dieser nun anthropomorphistischer Natur oder aus wahrgenommenen Objekten gewonnen, auf Unbekanntes überträgt, ohne die Erfahrung zu befragen, ob diesem A k t e Hindernisse entgegenstehen oder nicht. Es würde sich also nun um den Nachweis handeln, dass die aprioristische Philosophie thatsächlich nichts anderes gewollt und geleistet habe, als das naive Begreifen, und zwar mit denselben Mitteln. Diesen Nachweis glaubt nun der Verfasser genügend geführt zu haben im II. Bande seines »Systems der kritischen Philosophie», durch die Kritik des E n t w i c k l u n g s g a n g e s der theoretischen Philosophie bis auf Kant; »unsere ganze Kritik derselben hatte ja nur den Z w e c k , die falsche Auffassung des Verhältnisses zwischen Wissen und Erklären (Begreifen), oder empirischer Forschung und philosophischer Spekulation nachzuweisen und zu beseitigen, sodann die individuellen Momente, welche durch das Vorherrschen der Erklärung in das Wissen eingedrungen waren, zu entfernen, endlich die.beliebte A r t der Erklärung aus dem durch häufige Ideenassociation Bekannten als willkürlich und deshalb nothwendig resultatlos zu erweisen« (a. a. O. S. 254). A u c h der Zusammenhang des Apriori mit dem Begreifen ist bereits in dem angeführten Buche erörtert worden S. 240: »Vermittelst des Aprioi sucht man zu begreifen, vermittelst des Aposteriori sucht man zu wissen . . . V o n jeher hat man nun das, was man auf dem W e g e des Aposteriori nicht wissen konnte, auf dem Umwege des Begreifens oder des Apriori in das Wissen einzuführen gesucht. Daher lässt sich der principielle Gegensatz zwischen Apriorismus und Empirismus darauf zurückführen, •dass der erstere das Wissen durch das Begreifen bestimmt, der letztere das Begreifen dem Wissen unterordnet; und zwar verfährt der Apriorismus bis zu Kant in der Weise, dass er ganz wie die populäre Ansicht das durch die gewohnte Ideenassociation vermeintlich bekannte Apriori zur Erklärung des sinnlich Wahrnehmbaren heranzieht und somit das rein individuelle und zufällige Moment der Begreiflichkeit statt der objektiven Nothwendigkeit des Wissens unterschiebt. Dass die Fähigkeit des Begreifens bei den einzelnen Subjekten ganz verschieden ist, und daher auf das Wissen keinen Einfluss gewinnen darf, hat sehr klar auseinandergesetzt Mill in seiner Logik I. S. 285—288 und S. 315—239. Die Philosophie ist
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nun der Hauptsache nach durch Kant von dieser Zufälligkeit des Begreifens befreit und auf die objektive Nothwendigkeit der Wahrnehmung oder des aposteriorischen Wissens hingeführt worden, ohne jedoch hinsichtlich der Auffassung des Verhältnisses zwischen Begreifen und Wissen mit der dogmatisti sehen Ansicht gründlich zu brechen«. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem formalen Apriori der kantischen Philosophie ist zu vergleichen a. a. O. Cap. V , S. 107—180. Die gröbsten Täuschungen, welche dem Trieb zu begreifen ihre Entstehung verdanken, werden leicht durchschaut, die feinern und komplicirteren dagegen von ihren Erfindern und Anhängern für die Wahrheit und Weisheit par excellence gehalten, wodurch sich das Gemisch von Kritik und Kritiklosigkeit erzeugt, welches für das zweite Comte'sche Stadium charakteristisch ist. Der klassische T y pus desselben ist Aristoteles, dessen durchschlagende Kritik der Platonischen Ideenlehre: »Die Ideen sind das Sinnliche noch einmal gesetzt«, ihn selbst nicht verhinderte, eine Metaphysik und Erkenntnisstheorie aufzustellen, welche kaum einen wesentlichen Fortschritt über die Ideenlehre hinaus machte. Die empirisch-kritische Richtung der Philosophie ist nun gegenwärtig in der L a g e , die Aristotelische Kritik auf das ganze Gebiet des Begreifens und der apriorischen Erkenntniss ausdehnen zu können und den Beweis zu führen, dass jedes Apriori ein noch einmal gesetztes Aposteriori ist. Mit ihren historischen Nachweisen über die philosophische Verwendung des Apriori verbindet sich die psychologische Analyse, um den täuschenden Schein völlig zu zerstören, durch den sich das Begreifen in seinem Uebergewicht über das Wissen so lange behauptet hat. Hierbei wird nun freilich ein beträchtlicher Umschwung der natürlichen und gewohnten Denkweise gefordert, da es sich nicht etwa darum handelt, nur däs bisherige Uebergewicht des apriorischen Begreifens über das aposteriorische Wissen zu brechen und es dann neben dem letzteren nach wie vor bestehen zu lassen — sondern das Begreifen als Erkenntnissprincip ist ganz und gar zu beseitigen und nur nach seiner rein psychologisch-subjektiven Seite zuzulassen, insofern auch das Wissen dazu dienen kann. Unbekanntes bekannt oder begreiflich zu machen. Hiermit wird das Begreifen dahin zurückgeführt, von wo es ausgegangen ist, auf das blos Subjektive, das Denken, und kann nicht mehr eo ipso für Erkennen oder Wissen gehalten werden.
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S o lange man das Begreifen für objektiv berechtigt hält, wird es stets mit dem Wissen in Widerspruch g e r a t h e n , da es mit diesem ein und dasselbe Objekt h a t , und beide daher sich nur durch das Verfahren unterscheiden, auf Grund dessen sie zu ihren Urtheilen gelangen, nämlich das erstere »a priori«, das andere a posteriori, oder das erstere rein subjektiv durch D e n k e n , das andere objektiv durch Erkennen. W a s nun der ersteren Art zu urtheilen immer wieder eine gewisse Berechtigung zu verleihen scheint, das ist das Verhalten der Objekte selbst. Ausser der rein subjektiven Wiederholung eines bekannten Inhaltes im A k t e des Begreifens findet auch eine objektiv begründete Wiederholung der W a h r n e h m u n g e n statt, eine Vielheit ähnlicher oder gleicher Objekte und Processe. Durch dieses Verhalten des W a h r g e n o m m e n e n wird nun wirklich eine Art von »apriorischem« Wissen möglich, d. h. m a n kann das von einem Objekt oder Process Geltende ohne direkte E r f a h r u n g häufig auf die gleichen Objekte und Vorgänge übertragen, ohne dem Irrthume zu verfallen, ja man wird mehr und mehr es mit Comte für die Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung ansehen müssen, zu wissen, was w a r und was i s t , um zu wissen, was sein wird. Die Wissenschaft betrachtet dieses apriorische Wissen als ein hypothetisches, dessen faktische Gültigkeit jederzeit von der direkten E r f a h r u n g abhängig bleibt. Leider aber gab es Philosophie, ehe es Wissenschaft gab, und so wurde unter dem Druck der menschlichen Naturanlage die dem Begreifen dienende H y p o t h e s e ohne Weiteres als absolute Gewissheit aufgefasst, dagegen das direkt Gewusste aus verschiedenen Gründen noch unter den Rang des Hypothetischen herabgesetzt und einfach als Nichtwissen behandelt. Die Geschichte der Philosophie zeigt mit der zunehmenden Consequenz des apriorischen Denkens einen stetigen Fortschritt in formaler und einen stetigen Rückschritt in materieller Beziehung, indem von den Dogmatisten die direkte Erfahrung für ganz überflüssig, sogar für störend erklärt wurde. Dies war nun nur so lange möglich, als man überhaupt ein Wissen im s t r e n g e n , wissenschaftlichen Sinne nicht h a t t e ; als ein solches allmählich errungen w u r d e , -trat es zunächst in Gegensatz zum apriorischen Begreifen, der nur dadurch beseitigt werden k a n n , dass das eine von beiden, entweder das Wissen oder das Begreifen, d e m andern entschieden untergeordnet wird — eine F o r d e r u n g der Erkenntnisstheorie, über welche in der Blüthezeit der Spekulation die aprioristischen Philosophen vollständige Klarheit hatten. Sie erklärten ausdrücklich das empirische Wissen der Spekulation für schädlich, den Besitz desselben geradezu als Hinderniss des richtigen Philo-
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sophirens in ihrem Sinne. Mit Recht; denn überall, wo g e w u s s t wird, braucht man nicht mehr zu begreifen, d. h. a priori zu konstruiren. Zudem unterrichtet die empirische Kenntniss der Psychologie, wie auch die der Geschichte der Philosophie zu genau über die Entstehung des apriorischen Wissens, welches sie einfach als eine unbefugte Wiederholung eines a posteriori gefundenen Inhaltes nachweisst. Aller materiale Fortschritt in der Geschichte der Philosophie besteht nun darin, dass das apriorische Wissen oder Begreifen immer mehr verschwindet und dem empirischen Wissen Platz macht. Plato weiss Alles, was nach seiner Ansicht überhaupt gewusst werden kann, a priori, und die vor- und nachkantischen Dogmatiker haben ganz dasselbe als Forderung des philosophischen Wissens ausdrücklich aufgestellt und festgehalten. Gegenwärtig ist man nun noch nicht allgemein geneigt, mit diesem Princip radikal zu brechen, das apriorische »Wissen« gänzlich aufzugeben, und an seine Stelle oder an die des Begreifens das empirische Wissen zu setzen. Ausser andern Gründen wird die Einsicht in das richtige Verhältniss zwischen Begreifen und Wissen dadurch erschwert, dass der griechischen Philosophie das W o r t »begreifen« fehlte, während sie doch die S a c h e hatte und der neueren Philosophie überlieferte. Denn jene bezeichnete dasjenige als »Wissen«, was wir vom wissenschaftlichen Standpunkte nicht anders als Begreifen nennen können, da es ausschliesslich die Merkmale des letztern an sich trägt. Bei Aristoteles ist die Philosophie Erkenntniss der Ursachen, welche das Bleibende, Ewige, Allgemeine, Nothwendige, überhaupt dasjenige sind, von dem alles Einzelne abhängig ist. Daher kann der Philosoph von Allem die Ursache, das oioti, angeben, während der Empiriker nur die Thatsache, das on., kennt. Durch diese Definition der Philosophie rechtfertigt sich sofort für die heutige Auffassung die Behauptung, dass schon die griechische Philosophie trotz des mangelnden Wortes zu ihrem Zwecke das Begreifen gehabt habe. Dies hat aber unter dem Einflüsse der Autorität des Aristoteles bis auf Kant fortgedauert, wie der Verfasser a. a. O. S. 86—96 gezeigt zu haben glaubt. Man darf sich daher nicht durch Worte täuschen lassen; wenn die dogmatistische und aprioristische Philosophie vom Wissen spricht, so ist darunter nichts Anderes als Begreifen zu verstehen, was auch gegenwärtig kaum in Abrede gestellt werden dürfte, da über den allgemeinsten Unterschied zwischen Wissen und Begreifen die nöthige Klarheit verbreitet ist. Man räumt dem Wissen auch unbedenklich ein Gebiet ein, das des beharrlich erscheinenden Seins, reklamirt
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aber für das Begreifen das Gebiet des Geschehens, der Veränderung. Begreifen im populären Sinne ist die höchste Abstraktion, denn es reicht viel weiter als das Wissen. Im strengen empirischen Sinne heisst Wissen immer, ein Objekt in das Subjekt aufnehmen, was nur durch direkte Beobachtung geschehen kann, also auf das Gegenwärtige beschränkt ist. Nun verlangt aber das theoretische wie das praktische Bedürfniss des Menschen weit mehr, nämlich Erkenntniss auch des Vergangenen und Zukünftigen, welche der direkten B e obachtung nicht zugänglich sind, also indirekt erkannt oder erschlossen werden. Das Begreifen nun ist als Uebertragung eines gewussten Inhaltes auf Nichtgewusstcs, formal betrachtet, Erschliessen. Nun lehrt eine richtige Erkenntnisstheorie, dass nur die direkte B e obachtung Gewissheit verleiht, nachdem natürlich die durch Erfahrung erkannten Täuschungen eliminirt sind; alles indirekte Erkennen oder Erschliessen ist unsicher, hypothetisch, wahrscheinlich. Diese Einsicht drängt sich schon dem einigermassen gebildeten Praktiker auf. W o er die Wahl hat zwischen direkter - Beobachtung und Schlussfolgerung, wird er, vorausgesetzt, dass es ihm darum zu thun ist, die Wahrheit zu finden, stets die erstere wählen. Auch die theoretischen Aprioristen werden in demselben Falle ganz dasselbe thun, denn auch von ihnen gilt das, was J. G. F i c h t e in seiner ersten Schrift von den Idealisten sagte: »Sie denken wie Niemand und handeln wie Alle«. E s ist daher nur das ganz unerfahrene Denken, welches da a priori urtheilt, wo Erfahrung möglich ist. Nun giebt es aber sehr Vieles, was man theils wissen will, theils wissen muss, ohne es doch direkt erfahren zu können, nämlich alles dasjenige, was nicht in die direkte Wahrnehmung des Subjektes fällt, weil es räumlich oder zeitlich von ihm entfernt ist. Hier sind wir nun auf das Erschliessen beschränkt. Auch die Wissenschaft hat zu ihrem Objekt nicht nur das unmittelbar Gegenwärtige, sondern dehnt ihre Erkenntnisse auf räumlich und zeitlich Entferntes aus; sie "sitatuirt aber einen principiellen Unterschied zwischen der Gewissheit, mit der eine Thatsache g e w u s s t wird, und der Wahrscheinlichkeit einer Hypothese, durch welche die Thatsachen b e g r i f f e n werden sollen. Das naive Denken dagegen kennt diese Unterscheidungen nicht; es hält Wissen und Erschliessen, Thatsache und Vcrmuthung für gleich gewiss und rechnet beides in gleicher Weise zur »Erfahrung«. Daher wendet es den ihm bekannten Inhalt, welcher theils aus dem engen Kreis seiner Objekte, theils aus menschlichen Analogien herstammt, auf Alles ohne Unter-
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schied an — der Naive weiss alles, indem er die Thatsachen ignorirt, und urtheilt: »Es war immer so und wird immer so sein«. Für diesen Staudpunkt fällt Wissen und Begreifen, direkte und indirekte Erkenntniss vollständig zusammen, und insofern ist der natürliche Trieb zu begreifen ganz und gar irreleitend und kann vön der Wissenschaft nicht berücksichtigt werden. Nun hat aber das Begreifen noch eine andere Seite; in der Sicherheit des fertigen abgeschlossenen Wissens wird nämlich das naive Denken gestört durch« die sinnliche Wahrnehmung, welche Neues und Unbekanntes zeigt. Dies letztere muss nun gegenüber der menschlichen Naturanlage schon eine sehr etarke Wirkung ausüben, ehe der Mensch wirklich dazu gebracht wird, aus den gewohnten Wegen seines Denkens herauszugehen. Alle Veränderungen an bekannten Objekten bewirken dies nicht, wofern sie sich allmählich vollziehen, selbst wenn sich auf diese Weise a l l e Theile der Objekte verändert haben. Das bekannte Objekt bleibt immer dasselbe, da es ja nach wie vor mit demselben N a m e n bezeichnet wird. Eine blosse Veränderung durch Ab- oder Zunahme einiger .Merkmale reicht erfahrungsmässig noch nicht aus, um eine Frage nach der »Ursache« zu veranlassen. Für den naiven Standpunkt ist es nur das a b s o l u t e Werden, das scheinbare Entstehen aus Nichts und Verschwinden in Nichts, welches durchdringt gegen das oberste Princip des ¡ungebildeten ^Denkens: »Es war immer so und wird immer so sein«. Nur die Philosophie hat den natürlichen Trieb zu begreifen konsequent durchgebildet, indem sie jede Veränderung ohne Ausnahme als Objekt des Begreifens, oder als philosophisches Problem aufstellt. Mit welchem Rechte, bedarf einer näheren Untersuchung, für welche vor Allem der Begriff der Veränderung selbst erst möglichst klar gestellt werden muss. Die Schwierigkeiten, welche man im Begriff der Veränderung von jeher gefunden hat, sind der Hauptsache nach darin begründet, dass er nicht auf die Verbindung von g l e i c h a r t i g e n Erfahrungselementen zurückgeführt werden kantl. Es ist stets eine Verbindung verschiedenartiger Wahrnehmungen, welche in diesem Begriff zusammengefasst ist. Wir nehmen entweder wahr, dass ein uns früher nicht erschienenes Objekt jetzt vorhanden, oder dass ein bisher wahrgenommenes Objekt verschwunden ist; oder aber, dass an einem bestimmten Objekte ein Wechsel, eine Ab- oder Zunahme der Merkmale stattgefunden hat. Begreiflicher Weise beruht diese Verbindung zweier oder mehrerer Wahrnehmungen auf der E r i n n e r u n g als Reproduktion der einen früheren direkten Wahrnehmung, welche
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nur mit der jetzt direkt gegenwärtigen verglichen wird. Denn man wird darüber nicht streiten, dass nur räumlich Coexistirendes z u g l e i c h Objekt der direkten W a h r n e h m u n g ist. D a s Aufeinanderfolgende dagegen kann vom Subjekte z u s a m m e n erfasst werden nur durch die Verbindung der Erinnerung und der direkten W a h r n e h m u n g . Nun kann man freilich auf diese Entgegensetzung hin die Erinner u n g als indirekte Erkenntniss bezeichnen; indessen muss man sich davor h ü t e n , sie mit dem indirekten E r k e n n e n im Sinne des Erschliessens zu verwechseln und sie dadurch aus dem Gebiete des W i s s e n s , der reinen Erfahrung hinauszurücken, da sie dem Grade ihrer Gewissheit nach dem Wissen vollständig gleichsteht. Wir haben nun bereits gesehen, dass der formale Unterschied des Begreifens und Wissens sich reducirt auf den Gegensatz zwischen indirektem Erschliessen und direkter Erkenntniss. Nach der allgemeinen m o d e r n e n Auffassung heisst Begreifen oder Erklären einer Thatsache, sie aus ihrer Ursache ableiten. Diese Definition kann nun a b e r auf diejenige indirekte Erkenntniss, welche nur wegen des Fehlens der direkten W a h r n e h m u n g so heisst, nicht angewandt werden. Denn die Erinnerung enthält weiter nichts, als die unmittelbare Reproduktion eines direkt wahrgenommenen Inhaltes, welcher sowohl in der W a h r n e h m u n g als in der Reproduktion ausdrücklich als identisch gesetzt wird. Dagegen findet bei jeder indirekten Erkenntniss im Sinne von Schlussfolgerungen stets die U e b e r t r a g u n g eines an einem oder vielen Objekten wahrgenommenen Inhaltes auf ein oder mehrere andere Objekte statt, wobei also jederzeit derselbe Inhalt von verschiedenen Objekten ausgesagt wird. Bei der Erinnerung aber bleibt das in der Vorstellung reproduzirte Objekt ausdrücklich eben dasselbe, wie das direkt wahrgenommene. E s handelt sich dabei mithin nicht um Begreifen, sondern um Wissen, wie auch durch den gewöhnlichen Sprachgebrauch anerkannt wird. Man nennt die unmittelbare Reproduktion stets Wissen, niemals Begreifen. Hieran wird nun natürlich dadurch nichts geändert, dass die Erinnerung in Verbindung mit einer direkten W a h r n e h m u n g den Inhalt des Begriffes der Veränderung ausmacht. Hieraus aber ergiebt sich, dass die Veränderung als solche ein Objekt nicht des Begreifens oder Erschliessens, sondern des Wissens ist. Denn die beiden Momente, welche in der Veränderung zusammenfasst sind, nämlich zwei verschiedene Objekte oder Zustände, welche durch die Erinnerung mit einander in Verbindung gebracht werden, sind
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Objekte der direkten Wahrnehmung, mithin auch ihre Summe, als welche und als nichts anderes der Begriff der Veränderung betrachtet werden muss. Diese Zusammensetzung des Begriffes aus verschiedenartigen Faktoren hat zur Folge, dass eine Definition desselben im gewöhnlichen Sinne nicht möglich ist; man kann nur den doppelten Inhalt des Begriffes analysiren und den einen Faktor desselben mit dem andern in Korrelation setzen. Diese Eigenschaft theilt die Veränderung mit vielen andern Begriffen, welche auch nicht anders als durch Korrelation definirt werden können, weil jeder von beiden nur durch die Beziehung auf den andern Sinn und Bedeutung erlangt, verstanden oder begriffen werden kann. So verhält es sich z. B. mit den Begriffen Vater und Sohn, welche bei ihrer Definition immer sich wechselseitig voraussetzen, gerade wie im Begriff der Veränderung der frühere Zustand den späteren, der spätere den früheren Zustand als nothwendiges Korrelat hat. Hieraus erklärt es sich, dass man von jeher im Begriff der Veränderung Widersprüche gefunden zu haben glaubte. Man hielt sich daran, dass Veränderung ein einziges W o r t ist, und wollte sie deshalb uach Analogie anderer Begriffe definiren, nämlich durch Zerlegung in einen gleichartigen Inhalt. Dies wird aber durch die aufgezeigte Beschaffenheit der im Begriff der Veränderung enthaltenen Faktoren unmöglich, ohne dass deshalb im Entferntesten an einen Widerspruch zu denken ist. Denn ein Widerspruch ist nur dann vorhanden, wenn von d e m s e l b e n Objekte zwei abweichende Begriffe aufgestellt werden, während in der Veränderung ausdrücklich die Verschiedenheit z w e i e r Objekte gesetzt ist; mit andern Worten: der spätere Zustand ist ein anderer als der frühere. So liegt es in der Natur der Veränderung, dass sie nicht begriffen, sondern gewusst wird, soweit es sich um die Thatsache handelt, dass auf einen Zustand in der Wahrnehmung ein anderer folgt. Nun will man aber auch wissen, w i e diese Veränderung vor sich geht, d. h. also, man will mehr wissen als die direkte Wahrnehmung jemals bietet. Hier wäre nun vor Allem zu fragen, ob es überhaupt einen Wissensinhalt giebt, welcher nicht aus der direkten Wahrnehmung stammt, und je nach der Beantwortung dieser Frage müsste die Untersuchung, wie Veränderung vor sich geht, angestellt oder unterlassen werden. Die gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnisstheorie beginnt nun sich dahin zu einigen, dass aller Inhalt unserer Erkenntniss lediglich aus der Wahrnehmung oder aus der reinen Erfahrung geschöpft ist. Demgemäss würde eine Beantwortung der Frage: W i e geschieht
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die Veränderung? mithin ein Begreifen der Veränderung unmöglich sein. Mit diesem direkten Ergebnisse harmoniren nun diejenigen Resultate, welche sich aus den bisherigen Versuchen, die Veränderung zu begreifen, herausgestellt haben. Es zeigt sich nämlich, dass man auf keine Weise über den aus der direkten Wahrnehmung gewonnenen Inhalt hinausgelangt, weshalb aller Fortschritt der Erkenntniss nur darin besteht, dass die unerlaubten Fiktionen der naiven Erfahrung aus der reinen Erfahrung eliminirt werden. Wie die Geschichte der griechischen Philosophie lehrt, gab es eine Zeit, in welcher auch die sachliche Differenzirung des Wissens und Begreifens noch nicht vorhanden war, weil man nur ganz allmälig dazu gelangte, neben der überwiegenden Betrachtung des beharrenden Seins auch dem Geschehen, der Veränderung einige Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als man endlich soweit gekommen war, fasste man zunächst das Geschehen mit den Mitteln auf, welche bisher zum Erkennen des Seins gedient hatten, und wandte die bekannten Begriffe in gleicher Weise auf beide Gebiete an. Erst sehr spät vollzieht sich eine Umbildung der Begriffe, durch welche sie alimälig ganz aus dem Gebiete des Seins weggenommen und auf das des Geschehens beschränkt werden. Ganz besonders gilt dies von den Begriffen der Ursache, des Allgemeinen (des modernen Gesetzes) und der Nothwendigkeit, deren formaler Zusammenhang bei allem Wechsel ihres Inhaltes sich bis auf die Gegenwart erhalten hat. Die ausführliche Geschichte der Entstehung des Begriffes der Ursache, ebenso die seiner allmäligen Umbildung hat der Verfasser bereits a. a. O. mit den nöthigen Belegen gegeben, begnügt sich daher, hier die in Betracht kommenden Resultate zusammenzustellen. Die Causalität fehlt in der griechischen Philosophie vollständig, so lange diese sich ausschliesslich oder überwiegend mit der Betrachtung des Seins beschäftigt, was unserer modernen Auffassung eben nicht befremdlich erscheint. Sie fehlt aber auch da noch, wo, wie bei Heraklit, das Geschehen den Mittelpunkt des ganzen Systems bildet. Dies können wir unserem Verständniss näher bringen, wenn wir bedenken, dass für das unter dem Druck der Sinnlichkeit stehende Denken es sich bei der gesuchten Erklärung gar nicht um den P r o z e s s d e r V e r ä n d e r u n g handelt, sondern vielmehr um scheinbar aus dem Nichts entstandene Objekte, welche als neue, ungewohnte eine Erklärung verlangen. Es ist daher ganz natürlich, dass diejenigen Systeme, welche ein absolutes Werden, eine Entstehung aus Nichts nicht kennen, auch des Begriffes der Ursache G ö r i n g , F r e i h e i t u. Z u r e c l i n i t n g s f a M g k e i t .
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zunächst nicht bedürfen. Aus demselben Grunde bedurften seiner die Griechen überhaupt nicht für die Erklärung des Seins der Welt, weil nach der griechischen Volksmeinung des Chaos unentstanden war. W o also neue Gebilde nur als Verbindung unentstandener Elemente aufgefasst werden, kann man den Process der Veränderung a b s o l u t setzen und bedarf somit keiner weiteren Erklärung derselben. Deshalb tritt der Begriff der Ursache zugleich mit der Ansicht vom absoluten Werden der Welt auf bei Plato, verdankt somit seine Einführung in die Philosophie einem nicht weiter begründeten metaphysischen Dogma. Diese Platonische Ursache ist nun nichts anderes als das Urwesen oder die Ur-Sache, welche vor und unabhängig von ihrer Wirkung existirt, also mit dem, was die wissenschaftliche Betrachtung unter dem Begriff der Ursache versteht, nicht das Geringste gemein hat. Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung stellt sich nur sehr allmälig ein; zunächst in der sonderbaren Fassung, nach welcher zwar die Ursache ohne die Wirkung, diese aber nicht ohne jene existirt, ein Verhältniss, welches zwischen den Platonischen Ideen und der Erscheinungswelt, im Christenthnm zwischen Gott und Welt stattfindet. Ein Fortschritt über diese Ansicht hinaus besteht darin, dass die Wirkung als in der Ursache enthalten und aus ihr herausgehend gedacht wird, wie z. B. in der indischen Philosophie das Hervorgehen der Getreidekörner aus der Aehre, das Abfliessen der Milch aus dem Euter der Kuh unter das Verhältniss von Ursache und Wirkung gebracht werden. Auch die Emanationstheorien über die Weltschöpfung gehören hierher. Diese Auffassung bildet nun den Uebergang zur modernen Ansicht, indem durch die Analogie handelnder Personen, welche etwas früher nicht Vorhandenes schaffen, der Begriff der Ursache mit dem der Kraft in Zusammenhang gebracht wird. Auch hier wird die Ursache zunächst als absolut gedacht, d. h. als vollkommen zureichend für das Hervorbringen scheinbar neuer Objekte, da gewöhnlich die dazu nöthigen Mittel, Bedingungen oder »Mitursachen«, ignorirt werden. Im Laufe der Zeit aber wird der Kraftbegriff vom menschlichen Thun auf das Geschehen überhaupt übertragen, und nun Kräfte als Ursachen der Veränderung angenommen — eine Art der Erklärung, welche von der Aristotelischen vermittelst der öuvaI«; sich eben nicht sehr unterscheidet. Einen deutlichen Beweis dafür giebt eine Erörterung aus der neuesten Zeit von Rowland G. Hazard, »Zwei Briefe über Verursachung und Freiheit im Wollen gerichtet an John Stuart Milk 1875. Hier finden sich S. 20 ff. folgende Sätze: »Die Ursache schliesst immer die Wirkung
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und die Wirkung die Veränderung in sich ein» . . . . »So weit also, oder wenigstens soweit materielle Erscheinungen in Betracht kommen, ist die Bemerkung, dass für jede Wirkung eine Ursache bestehen muss, äquivalent mit der Aussage, dass für jede Veränderung eine Bewegung oder Thatigkeit existiren muss, und durch diesen Ausdruck löst sich das Gesetz in die unleugbare Wahrheit auf, dass für j e d e Thatigkeit etwas bestehen muss, was thätig zu sein fähig ist« = »Vermögen der Thatigkeit«. Hiermit aber sind wir bei der unleugbaren Wahrheit angekommen, welche Herbart so formulirte, dass das, was wirklich ist oder geschieht, auch möglich sein muss. Nimmt man dazu noch die doppelte Bedeutung von Suva^u, so wird man über den Werth einer derartigen Erklärung nicht länger im Zweifel sein können. Es fällt eben jeder Schein einer Erklärung fort, wenn man nicht die Anwendung eines bekannten Wortes auf unbekannte Vorgänge für eine solche hält. — Statt dieser unfruchtbaren Versuche zu begreifen wird eine Untersuchung über die Entstehung des wissenschaftlichen Causalitätsbegriffes und seine berechtigte Anwendung am Platze sein. Der Begriff der Causalität wird vom wissenschaftlichen Denken synthetisch a posteriori gebildet, indem die beiden Begriffe der Ursache und Wirkung als Correlata in ihm verbunden sind. Hierdurch ist es nun möglich, ohne direkte Erfahrung von dem Vorhandensein der Ursache auf das der Wirkung zu schliessen, und umgekehrt. Dies ist aber, worauf es gegen Kant vornehmlich ankommt, n i c h t s a l s ein a n a l y t i s c h e s U r t h e i l ; die Meinung, dass es ein synthetisches sei, beruht auf einer Verwechselung der blos abstrakten Begriffe Ursache und Wirkung mit dem durch sie bezeichneten konkreten Inhalt. Der letztere, oder die in dem Verhältniss von Ursache und Wirkung gedachten Objekte, können nur synthetisch a posteriori verbunden werden, wenn man sich nicht von vorne herein dem Irrthum aussetzen will. Sind nun aber einmal Ursachq und Wirkung verbunden und als korrelative Begriffe erkannt, so bedarf es nur einer blossen Verstandesoperation, eines apriorischen analytischen Urtheils, um aus der Existenz des B e g r i f f e s der Ursache auf die des B e g r i f f e s der Wirkung zu erschliessen. Die Begriffe Vater einerseits und Kinder im Sinne von Sohn und Tochter andererseits sind korrelative, der eine ohne den andern undenkbar und sinnlos; wir wissen daher »a priori«, »mit Allgemeinheit und N o t wendigkeit«, dass jeder Vater Kinder hat, wie dass alle Kinder Väter haben. Handelt es sich nun hier um ein synthetisches oder um ein analytisches Urtheil? Sofern erst festgestellt werden muss, 3*
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ob eine bestimmte Person unter den Begriff Vater gebracht werden kann, ist das Urtheil ganz unzweifelhaft ein synthetisches im Kantschen Sinne; denn im Begriff der Person liegt nichts vom Begriff eines ihr angehörigen Kindes. Hat man aber durch Erfahrung festgestellt, dass eine bestimmte Person Vater ist, so ist nur noch ein analythisches Urtheil erforderlich zu der Einsicht, dass sie Kinder hat; »denn um dies einzusehen, braucht man nicht aus dem Subjektsbegriff herauszugehen.« Zugleich kann man die Begriffe Vater und Kinder unter die Kategorie der Causalität bringen, den Vater mit Aristoteles als die causa efficiens der Kinder betrachten, und so in jedem F a l l e , wo man den Begriff Vater setzt, auch den der Ursache setzen. Wir wissen nun a priori ebenso, dass der Vater Kinder, wie dass die Ursache eine Wirkung h a t , soweit es sich um das rein abstrakt oder begrifflich gefasste Verhältniss in beiden Fällen handelt. Geht man dagegen in das Gebiet des Konkreten über, so hört die Geltung des a priori sofort a u f , weil hier nicht mehr durch blosse Verstandesoperation, sondern nur durch Erfahrung festgestellt werden kann, ob beide Begriffe anwendbar sind; nur soviel lässt sich immer a priori behaupten, dass mit dem einen jederzeit der andere gegeben ist, weil jeder erst durch die Beziehung auf den andern seine Bedeutung erlangt. Man weiss also die unzertrennliche Verbindung von Ursache und Wirkung ganz in derselben Weise a priori, wie man überhaupt a priori weiss: nachdem man die Erkenntniss a posteriori erlangt, in unserem Falle, nachdem man Ursache und Wirkung synthetisch a posteriori verbunden hat, kann man nun durch blosse Verstandesoperation a priori urtheilen, dass beide sich immer zusammenfinden müssen. E s fragt sich nun, in welchen Fällen die Berechtigung gegeben ist, das Verhältniss von Ursache und Wirkung anzunehmen. Diese F r a g e hat Mill in der L o g i k dahin beantwortet, dass die ausnahmslose, zeitliche Aufeinanderfolge die Bedingung für die Annahme der Causalität sei. Hiernach ist die Ursache das unveränderliche Antecedens, die Wirkung das unveränderliche Consequenz. Gegen Mill hat nun neuerdings Rowland G. Hazard a. a. O. S. 34 ff. nachzuweisen gesucht, dass die Ursache mit der Wirkung gleichzeitig sei. E r meint, dass die Wirkung gänzlich aus Ursachen hervorgehen müsse, die zur Zeit, w o die Wirkung eintritt, thätig seien. »Wenn neun Männer ohne Wirkung sich gegen einen Felsblock anstemmen, bis sie denselben mit Hülfe eines zehnten bewegen, so ist die Wirkung diejenige der unmittelbaren Anstrengungen aller zehn und die vorhergehenden Anstrengungen der neun bilden keinen
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T h e i l der Ursache seiner Bewegung, während dies bezüglich der mit den Anstrengungen des zehnten gleichzeitig gemachten Anstrengungen derselben der Fall ist«. Hazard braucht noch ein anderes Beispiel, um die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung zu erweisen: »Nehmen wir an, eine über den atlantischen Ocean reichende, nicht elastische Röhre sei bis zu ihrem äussersten Inhaltsvermögen mit Wasser gefüllt, welches auf seinen äussersten Dichtigkeitszustand komprimirt ist, und für welches kein anderer Ausfluss möglich ist, als durch die entgegengesetzte Oeffnung gepresst wird, so können die meisten Menschen nur mit Schwierigkeit begreifen, dass gleichzeitig ein Tropfen aus dem andern Ende der Röhre fliessen1 muss, und stimmen der Beweisführung, dass ja sonst die Röhre zu einer und derselben Zeit mehr enthalten müsse, als wie sie enthalten könne, nur mit Widerstreben bei.« In diesen beiden Beispielen ist der Begriff der Ursache in einer Weise aufgefasst, welche Mill_durch seine Kritik beseitigen wollte, indem er zeigte, dass es nur ein Missbrauch der populären Ansicht sei zu behaupten, eine e i n z i g e Ursache könne eine Wirkung hervorbringen, während sie doch in Wahrheit nur eine von den vielen Bedingungen sei, welche zum Eintritt einer Wirkung gehören. »Nichts kann besser die Abwesenheit eines jeden wissenschaftlichen Grundes in der Unterscheidung zwischen einer Naturerscheinung und ihrer Bedingungen zeigen, als die seltsame Weise, in der wir unter den Bedingungen diejenigen wählen, welche es uns beliebt, Ursachen zu nennen. Wie zahlreich auch die Bedingungen sein mögen, so werden wir zu unserm jedesmaligen Zweck immer eine darunter finden, der wir diesen nominellen Vorzug ertheilen können.« In Hazard's Beispiel ist es der Tropfen, welcher fälschlich als Ursache par excellence bezeichnet wird. Jede Veranlassung, die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung zu behaupten, fällt weg, sobald man erkennt, dass man es hier mit einer Korrelation und in Folge dessen mit einem analytischen Urtheil in dem früher angegebenen Sinne zu thun hat. Freilich haben wir erst das Recht von Ursache zu r e d e n , sobald wir -die Wirkung wahrgenommen haben, weil eben eins an das andere gebunden ist; wie z. B. Jemand erst dann Vater »ist«, wenn er ein Kind hat, d. h. er wird gleichzeitig mit dem Erscheinen dieses letzteren so g e n a n n t . Hieraus wird deutlich, dass der Ansicht, welche Ursache und Wirkung für gleichzeitig hält, nichts Anderes zu Grunde liegt, als die Uebertragung blos gedachter Bestimmungen in die Objekte, die alte Identificirung des Denkens und Seins. Weil etwas
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erst Ursache heissen kann, wenn die Wirkung da ist, deshalb soli es auch dann erst Ursache s e i n . Der täuschende Schein verschwindet, sobald man Ursache und Wirkung nicht als wirkliche Objekte betrachtet, sondern als Begriffe, welche eine menschliche Auffassung der Beziehungen der Objekte zu einander ausdrücken. Ursache und Wirkung müssen als Korrelata immer zusammen g e d a c h t werden, ohne dass sie deshalb im strengsten Sinne zusammen s i n d . Vielmehr liegt es in ihrer einzig berechtigten Auffassung, dass sie in dem Verhältniss der Aufeinanderfolge stehen, da lediglich die Wahrnehmung uns die Berechtigung giebt, Ursache und Wirkung anzunehmen. Nun kann nur räumlich Koexistirendes, also Gleichzeitiges direkt wahrgenommen werden. Dieses aber wird niemals in das Verhältniss von Ursache und Wirkung gebracht. Nur nach einer primitiven Ansicht ist die Wirkung in der Ursache enthalten und geht als konkretes, fertiges Objekt aus ihr heraus, wie das Korn aus dem Halme, die Milch aus dem Euter. Für diese Ansicht existiren nun freilich Ursache und Wirkung gleichzeitig; doch ist sie glücklich überwunden. Seit Schopenhauer haben wir die Causalität nicht mehr auf das Sein, sondern auf das Geschehen anzuwenden, und dies macht die Sache für unser Denken, wenigstens soweit es vom sprachlichen Ausdrucke abhängig ist, einigermassen schwierig. Denn das Geschehen oder die Veränderung, welche durch Ursache und Wirkung begriffen werden sollen, können unseren früheren Erörterungen zufolge überhaupt nicht begriffen, sondern nur gewusst werden. Nur insofern jedes erscheinende Objekt als Wirkung in dem Sinne eines zusammengesetzten Produktes betrachtet wird, besteht die Möglichkeit, es zu begreifen, indem man es in seine Faktoren zerlegt. Hiermit aber sind wir wieder zum Sein und Wissen zurückgekehrt; durch Zerlegung der Wirkung wissen wir von ihren Faktoren. Die Korrelation von Ursache und Wirkung stammt nicht aus der direkten Wahrnehmung allein, sondern zum Theil aus der Erinnerung, und diese schliesst die Vergangenheit für uns ein, wie auch das Thatsächliche, was zu Ursache und Wirkung den Inhalt liefert, nämlich ein Objekt, mit welchem ein anderes in Beziehung gebracht wird, nur durch Verbindung von Erinnerung, also Vergangenheit, und direkter Wahrnehmung, also Gegenwart, zusammengefasst werden kann. Hierin ist aber die Aufeinanderfolge gegeben. Nur wenn man, die Ursache als das ausnahmslose Antecedens, die Wirkung als das ausnahmslose Konsequens betrachtet, ist die
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Der Begriff der Nothwendigkeit.
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Willkür ausgeschlossen, welche Objekte in das Verhältniss von Ursache und Wirkung bringt, ohne dass diese jemals in irgend welchem Zusammenhange gestanden haben. Durch die richtige Auffassung und Anwendung der Causalität ist sie wieder vom Begreifen in das Wissen zurückgeführt, genauer in das hypothetische Vorauswissen oder Erschliessen. Ueberhaupt berechtigt die Causalität, wie der Verfasser a. a. O. nachgewiesen zu haben glaubt, nur zu dem hypothetisch-apodiktischen Urtheil: » W e n n die Ursache ist, so muss auch die Wirkung sein«, und umgekehrt; o b aber dies Verhältniss in der That besteht, lehrt einzig und allein die Erfahrung. Im Begriff der Causalität kann somit keine andere Nothwendigkeit gefunden werden, als die für den logisch denkenden Menschen bestehende, nach welcher er überall da, wo eine Ursache, auch eine Wirkung annimmt und umgekehrt. — Eine andere Art des Begreifens beruht auf den Gesetzen; auch hier theilt sich das Begreifen wieder in ein naives und in ein wissenschaftliches. Das erste führt nun den Begriff des Gesetzes auf den der Ursache in der Weise zurück, dass es die Gesetze"als Ursachen der einzelnen Erscheinungen betrachtet, wie schon bei Plato und Aristoteles das Allgemeine als die Ursache des Einzelnen gilt. Diese Auffassung beruht theils auf einem Anthropomorphismus, welcher die Analogie menschlicher Gesetze und ihres Einflusses auf menschliche Handlungen auf die Objekte überträgt, theils stammt sie aus der üblichen Identificirung des Denkens und Seins, speciell aus der Vermischung des Erkenntniss- und Realgrundes. Weil man vermittelst des Gesetzes den Eintritt eines Ereignisses mit der grössten Wahrscheinlichkeit, welche für die Praxis der Gewissheit gleichkommt, voraus berechnen kann, also der das betreffende Ereigniss antieipirende Gedanke vom vorausgehenden Denken des Gesetzes abhängig ist, insofern er ohne diesen letzteren nicht hätte entstehen können, so schliesst man nun, dass das objektivirte Gesetz auch die einzelnen Fälle beherrsche, oder die reale Ursache davon sei, dass der Einzelfall wirklich eintrete. In Wahrheit aber ist vielmehr das Gesetz, soweit wir ihm überhaupt objektive Gültigkeit beilegen dürfen, durchaus abhängig von den Einzelfällen; denn es hat nur solange Gültigkeit, als die Einzelfälle sich in Einklang mit ihm befinden. Wenn sich die Art des Geschehens ändert, der Wechsel der Objekte unter andern Formen als den gewöhnlichen vor sich geht, so werden die von der einst stattfindenden, nun aber nicht mehr vorhandenen Gleichförmigkeit hergeleiteten Gesetze ebenso
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D e r Begriff der N o t w e n d i g k e i t .
illusorisch und hinfällig, als Begriffe bedeutungsblos werden, die keine Einzelfälle mehr unter sich befassen. Das Gesetz kann daher auf dem Standpunkte der reinen Erfahrung nur aufgefasst werden als die regelmässige, ausnahmslose Gleichförmigkeit oder Allgemeinheit der Thatsachen, womit es ebenfalls von dem Begreifen in das Wissen zurückgeführt ist. Denn man weiss dadurch nur, dass bestimmte Thatsachen sich immer in gleicher Weise verhalten, ohne damit irgend etwas zu haben, was dem natürlichen Trieb zu begreifen dienen könnte. Von der Nothwendigkeit, welche man aus den alles beherrschenden Gesetzen herleiten zu können glaubt, wird später noch die Rede sein. Hier mag nur auf die Entstehung und Verbreitung dieser »Naturnothwendigkeit« hingewiesen werden. Gegenüber der christlichen Anschauung, nach welcher jederzeit direkte Eingriffe Gottes in den Weltlauf stattfinden können, die man Wunder nennt, machte zuerst Hume geltend, dass jedes Wunder eine »Verletzung der Naturgesetze« sei, und dies ist seitdem oft wiederholt worden. Begreiflicherweise ist es hinsichtlich der Nothwendigkeit und der daraus folgenden Unfreiheit des menschlichen Handelns vollkommen gleichgiltig, ob ein Gott oder ein Naturgesetz die Welt regiert: Das Fatum ist in beiden Fällen vorhanden, nur seine Wirkungsweise kann verschieden sein. Wenn nun auch der Mensch in seinen Handlungen sich meist um keinerlei Nothwendigkeit kümmert, sondern selbstthätig und erfolgreich in den Lauf der Dinge eingreift, so befriedigt er doch sein theoretisches Bedürfniss, den Trieb zu begreifen, am bequemsten und sichersten dadurch, dass er Sich selbst und seine objektivirten Gedanken in irgend welcher Form überall wiederfindet. Freilich erreicht er dadurch nichts weiter, als das, was Lichtenberg den Glauben an Gespenster nannte, dessen Ueberhandnehmen auch im wissenschaftlichen Denken er so fürchtete, dass er sagte: »Wir werden bald nur noch an Gespenster: glauben.« Diese Prophezeihung ist schnell genug eingetroffen; die geschäftige Einbildungskraft zauberte eine Menge von Trugbildern hervor, durch welche die Realität der Objekte auf lange Zeit in Schatten gestellt wurde. Erst die neueste Philosophie befreit sich wieder von den täuschenden Combinationen des »Tiefsinns«, indem sie dieselben in ihre Elemente zerlegt und dadurch auf ihren wirklichen Inhalt und Gehalt zurückfuhrt. Uns bleibt hier dies noch in Betreff der Nothwendigkeit zu thun übrig, nachdem wir die Versuche, sie aus Ursache und Gesetz abzuleiten, als unhaltbar erkannt haben. Mit dem Gebrauch des Begriffs der Nothwendigkeit verhält es
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Der Begriff der Nothwendigkeit.
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sich ganz ähnlich wie mit dem der Freiheit, insofern nämlich seine häufige Anwendung ihn als selbstverständlich erscheinen lässt und seine genauere Untersuchung verhindert. Ausserdem hat aber der Begriff der Nothwendigkeit eine lange philosophische Geschichte, «in Umstand, der nicht gerade zu seiner Aufhellung gedient hat ünd einer Einigung über ihn bedeutende Schwierigkeiten in den W e g legt. Von Aristoteles bis auf die Gegenwart hat man Philosophie meist als Wissen des Nothwendigen betrachtet. Schon Aristoteles hat diesen Begriff in der Hauptsache festgestellt, wie er später meist gebraucht worden ist, wenn man auch von der zweifachen Bedeutung, die er scharf genug unterschied, nur die eine beibehalten hat. Aristoteles giebt nämlich als den eigentlichen Begriff der Nothwendigkeit, »welcher allen andern Bedeutungen des Wortes zu Grunde liege, die G e w a l t an, d. h. ein solches, was gegen Neigung und Vorsatz abhält und verhindert: das Gewaltsame wird n o t h w e n d i g genannt, wenn man von der Gewalt genöthigt, sei es nun handelnd oder leidend, nicht seiner Neigung folgen kann. Darin liegt also, das dasjenige Nothwendigkeit ist, dem zu Folge man nicht anders kann« (Metaphysik V. 1). Wenn nun auch diese Seite der Nothwendigkeit bis auf die Gegenwart stets im gewöhnlichen Sprachgebrauch stark genug hervortritt, so hat man in der Philosophie sie kaum einmal berücksichtigt, dagegen die andere Bedeutung, welche ebenfalls von Aristoteles angegeben ist, zum Gegensatz ausführlicher Erörterungen gemacht. Aristoteles nennt nothwendig a. a. O. die »Mitursachen« oder Bedingungen, die Mittel zum Zweck; z. B. »ist es nothwendig Arzenei zu nehmen, um gesund zu werden«. Ausserdem erklärt er für nothwendig das, was aus den Prämissen des Syllogismus folgt, also das, was man ohne direkte Erfahrung im Voraus wissen kann; ebenso nennt er das, was unter einer Voraussetzung sich ergiebt, vorzugsweise avapalov oder avd-^xr^. Die nahe Verbindung, in welcher bei Aristoteles Nothwendigkeit und Allgemeinheit als Eigenschaften der Ursache stehen, veranlasst ihn, beides völlig zu identificiren. Er definirt mehrmals: nothwendig ist dasjenige, »was immer geschieht«, wozu gelegentlich die Beschränkung tritt: »oder meistenteils«. Wie hieraus hervorgeht, sind alle modernen Bedeutungen der Nothwendigkeit bereits bei Aristoteles zu finden; auch die unerlaubte Uebertragung derselben auf das S e i n hat er bereits, indem er die »erste Ursache« als n o t h w e n d i g e x i s t i r e n d , und die Philosophie als Erkenntniss dieses nothwendigen Seins betrachtet. Die späteren
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D e r Begriff der Nothwendigkeit.
Unterscheidungen und Specifikationen des in Rede stehenden B e griffes haben für seine Bedeutung wenig Werth gehabt; Leibnitz unterscheidet hypothetische, logische, metaphysische, geometrische^ Schopenhauer dagegen logische, physische, mathematische und moralische, Struve endlich a. a. O. rationale, empirische und metaphysische Nothwendigkeit. Diese Unterscheidungen sind in der Hauptsache von den verschiedenen Objekten hergenommen, auf welche der Begriff der Nothwendigkeit angewandt wurde. Hingegen haben die Auseinandersetzungen Hume's einiges Licht in das frühere Dunkel gebracht; er verwarf die Anwendung der Nothwendigkeit auf das Sein und beschränkte sie auf das Geschehen, indem eh den Begriff einer nothwendigen Verknüpfung ausdrücklich aus einer Anzahl ähnlicher beständig mit einander verbundener Fälle herleitete. Bei Kant hat diese Einsicht Hume's keine scharfe Unterscheidung zwischen der Anwendung des Begriffs der Nothwendigkeit auf das Sein und Geschehen bewirkt; allerdings lehrt er, dass die Induktion aus der Erfahrung nichts anderes enthalte als die Wahrnehmung: es ist bisher immer, in allen Fällen so gewesen. Hierdurch ergiebt sich indirekt durch den Gegensatz als der Begriff der Nothwendigkeit, dass er dasjenige bezeichne, was in allen Fällen ohne Ausnahme geschehe. Andererseits hat Kant wieder ein zufälliges und nothwendiges Sein im Sinne des Dogmatismus, was schon Schopenhauer getadelt hat. Dieser hat nun durch seine Erörterungen bewirkt, dass man die Nothwendigkeit im Ganzen nur noch auf das Geschehen anwendet, und damit ist schon ein wesentlicher Schritt zur Feststellung des Richtigen gethan. Dagegen hat er auf lange Zeit- hinaus eine rein sachliche Auffassung unseres Begriffes sehr erschwert, indem er ihn ganz und gar an den Satz vom zureichenden Grunde band. Dieser soll der alleinige Ursprung des Begriffes der Nothwendigkeit sein, »als welcher schlechterdings keinen andern wahren Inhalt noch Beleg hat als den des Eintritts der Folge«, an d n e r andern Stelle »der Unausbleiblichkeit der F o l g e , wenn ihr Gnind gesetzt ist. Demnach ist jede Nothwendigkeit bedingt; absolute, d. h. unbedingte Nothwendigkeit also eine contradictio in adjecto. Nothwendig sein kann nie etwas anderes besagen als aus einem gegebenen Grunde folgen; beides sind Wechselbegriffe, welche als solche überall einer an die Stelle des Andern gesetzt werden können.« Schopenhauer hat ferner auch die moderne Verbindung von Nothwendigkeit und Gesetz angebahnt; »wir sehen die mechanischen, physikalischen, chemischen Wirkungen und auch die der Reize auf
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ihre respektiven Ursachen j e d e s M a l erfolgen«. Aus dieser Gesetzmässigkeit kann denn auch das zukünftig Eintretende vorhergesagt werden, womit wieder eine neuerdings häufig gebrauchte Definition der Nothwendigkeit aufgestellt ist. Schopenhauer meint nämlich, dass in Folge der moralischen Nothwendigkeit »jeder Mensch nach eingetretenem Motiv d i e Handlung vollziehen m u s s , welche seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter allein gemäss ist und demnach jetzt so unausbleiblich, wie jede andere Wirkung einer Ursache, erfolgt; wenn sie gleich nicht so leicht wie jede andere v o r h e r z u s a g e n ist, wegen der Schwierigkeit der Ergriindung und vollständigen Kenntniss des individuellen empirischen Charakters und der ihm beigegebenen Erkenntnisssphäre; als welche zu erforschen ein ander Ding ist als die Eigenschaften eines Mittelsalzes kennen zu lernen und danach seine Reaktion vorher zu sagen«. Die »psychologisch-metaphysische Analyse des Begriffs der Nothwendigkeit« von Dr. Heinrich v. Struve, Philosophische Monatshefte, Band X S. I ff. ist zu sehr durch die Rücksicht auf die folgende hier bereits citirte Abhandlung desselben Verfassers »über die Freiheit« beeinflusst, als dass sie zur Aufhellung des Begriffes der Nothwendigkeit einen wesentlichen Beitrag hätte liefern können. Struve's Behauptungen fanden in demselben Bande der philosophischen Monatshefte S. 248 ff. eine Entgegnung von R e i n h o l d H o p p e , welcher bere.its in früheren Schriften den Begriff der Nothwendigkeit eingehend behandelt hatte. Die kurz gefasste Summe der Untersuchungen Hoppe's ist, dass alle Nothwendigkeit lediglich r e l a t i v ist, weshalb man nach ihm bei dem Worte Nothwendigkeit immer sofort fragen müsse: Wem und wozu nothwendig? Hierdurch tritt die Nothwendigkeit ausschliesslich in das Verhältniss des M i t t e l s zum Zweck; die von Struve sogenannte empirische Nothwendigkeit, unter welcher die Unveränderlichkeit der Naturgesetze verstanden und aus dieser wieder die Nothwendigkeit des Geschehens abgeleitet wird, setzt Hoppe als Mittel oder als nothwendig für die Zwecke des e r k e n n e n d e n Menschen. »Durch seinen allgemeinen Willen zu erkennen, findet sich der Mensch in die Nothwendigkeit versetzt, bestimmte Hypothesen über den Lauf der Dinge als Gesetze aufzustellen, um so die Erscheinungen kennen zu lernen, wobei natürlich die Nothwendigkeit lediglich für den erkennenden Menschen besteht. Nun scheint es aber nach vulgärer Anschauungsweise, als ginge diese Sinnerklärung an der Hauptsache vorbei; denn nicht an einen Zwang, dem der Mengch, sondern dem sein Objekt, die Erscheinung unterworfen sei, pflegt man zu denken. Dies führt uns auf
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den dritten Punkt: die Nothwendigkeit der Thatsache. Fragen wir also auch hier: Wem und wozu ist die gesetzmässige Thatsache, z. B. das Fallen des schwebenden Steines nothwendig? Wofür ist sie Bedingung? Was wäre, wenn der Stein schweben bliebe? Würde er, würden die umgebenden Körper sich übler befinden? Würde er wegen Missachtung der Naturgesetze verklagt oder von Sehnsucht nach der E r d e gequält werden? Nichts von alle dem; nur den Menschen würden die Folgen berühren; er würde sein Naturgesetz korrigiren, im extremen Fall auf alles Erkennen verzichten. Allgemein: wenn die Erscheinung dem Naturgesetze widerspräche, so wäre die einzige Folge die Suspension des menschlichen Wissens. Wenn dem Gegenüber also Jemand noch der Meinung ist, die Nothwendigkeit sei einem andern als dem Menschen auferlegt, so mag er auch sagen, welches Ändere seiner Meinung oder der Möglichkeit nach darunter litte, wenn das Gesetz unerfüllt bleibt, sonst aber zugestehen, dass die F r a g e über das Müssen des Menschen hinaus bedeutungslos ist.« Gegenüber der allgemeinen Anschauung, dass eine Art von Nothwendigkeit in den Dingen läge, zu Folge deren sie sich nach einer bestimmten Weise verhalten müssten, findet Hoppe in einer hypothetisch angenommenen Ansicht Struve's einen wesentlichen Fortschritt. Vielleicht m u s s das Ding gar nicht, sondern es w i l l das Gesetz erfüllen; diese Annahme hat ganz dieselbe Berechtigung wie jene. »Das Entscheidende dabei ist, dass bei dieser Substitution des Wollens für das Müssen die ganze naturwissenschaftliche Doctrin dieselbe bleibt, was noch gar nicht Allen einzuleuchten scheint; aber dann bleibt sie doch auch dieselbe, wenn wir das Müssen und das Wollen ganz weglassen. In der gemeinen Anschauung hat sich die Vorstellung festgesetzt, als ob die Dinge t h e i l s m ü s s t e n , t h e i l s w o l l t e n ; der schwebende Stein m u s s fallen, die gespannte Seite w i l l sich zusammenziehen, der D a m p f w i l l sich ausdehnen, der Dampfkessel m u s s springen. Wie geht es nun zu, dass diese Vorstellungsweise, welche mit dem physikalischen Sachverständniss nichts zu thun hat, sich so konstant behauptet, dass sie vor der physikalischen Forschung nicht zurückweicht, sondern dieselbe begleitet?« Hoppe findet die Erklärung dafür in der allmäligen Umwandlung des ursprünglichen Gedankens: Der. Stein muss als fallend g e d a c h t w e r d e n , woraus zuletzt wird: Der Stein muss fallen. Zur Erklärung dieser Weglassung haben wir zu beachten, dass das objektive Denken die Elimination des subjektiven Aktes verlangt. »Soll der Inhalt des Gedankens für alle Menschen und alle Zeiten gelten, so muss er vom
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A k t e des Denkens gelöst auftreten, und dies geschieht hier ganz einfach durch Wegfall des Wortes. E s bleibt w e g bei allen vulgären und wissenschaftlich objektiven Urtheilen, muss aber wieder hergestellt werden, sobald wir das Urtheil analysiren, über seinen Sinn Rechenschaft geben wollen. Das Wort müssen hingegen, obw o h l es nur auf den einmaligen subjektiven A k t Bezug hat, wird beibehalten zur Unterscheidung des Urtheils aus dem Gesetze und aus der Wahrnehmung und kann dann formell nur dem Stein zugeschrieben werden. S o ist es wohl hinreichend erklärt, dass die Vorstellung von einem dem Dinge auferlegten Zwange im gemeinen Denken feste Wurzel gefasst hat, und dass sie bei der physikalischen Forschung ungeändert nebenher geht, eben sofern sie ihr gleichgültig ist. W i e aber ist es zu erklären, dass die Philosophen, für die sie meist gleichgültig w a r , durch eine solche tropische Redeweise dermassen gefangen sein konnten, dass sie sich über die Naturnothwendigkeit Jahrhunderte lang die K ö p f e zerbrachen und erst jetzt einer w a g t , die Vorstellung mit einer andern zu vertauschen, immer aber noch in der Meinung, es handle sich um eine F r a g e über die Dinge selbst, also ohne jeden Argwohn eines täuschenden T r o p u s ? Dies ist wohl schwerlich durch einen normalen Entwickelungsgang, vielmehr nur durch eine Verirrung im grössten Massstabe erklärlich.« V o n der »metaphysischen« Nothwendigkeit schweigt Struve und »liefert dadurch den vollen Beitrag zum Beweise, dass es eine solche nicht giebt.« A u f Grund seiner Erörterungen fasst H o p p e seine A n sicht über die Nothwendigkeit dahin zusammen S. 259: »Es giebt (neben mancherlei tropischem Wortgebrauch) nur einen einzigen Sinn der Nothwendigkeit: A ist nothwendig: heisst: Wenn A nicht ist, ist auch B nicht. W e r das B nicht auffasst, versteht auch die Nothwendigkeit von dem A nicht Ist hiermit vollständig der positive Inhalt des Be'grififs aufgewiesen, so wird es z u ' leichterer Verständigung nicht überflüssig sein, einige müssige und nicht zur Sache gehörige Vorstellungsweisen, die sich in den Begriff einzumischen pflegen, gleichfalls psychologisch zu erklären und sie dadurch auszuschliessen. In F o l g e dauernder Gewöhnung an die beständige Erfüllung der Bedingungen des Wissens von Seiten der Thatsachen bilden sich gedankenlose Menschen ein, dass diese beständige Erfüllung ihnen verbürgt sei, so leicht sie sich doch bewusst werden könnten, dass sie kein Testat in Händen haben. Die Gelehrten, anstatt den Irrthum zu enthüllen, stempeln die müssige Vorstellungsweise zu einem Desideratum in der Erklärung des Noth-
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wendigkeitsbegrififes. Die einfache Lösung ist: Es liegt nur ein psychisches Phänomen ohne intellektuellen Inhalt zur Erklärung vor, jede weitere Frage darüber ist gegenstandslos«. Wenn nun auch hiermit nur die Eine Seite des Begriffes der Nothwendidkeit erschöpfend kritisirt, die andere dagegen nicht ausdrücklich in Betracht gezogen worden ist, so wird doch gerade durch diese Kritik der häufigste Missbrauch des Begriffes aufgedeckt, und so die Möglichkeit der Korrektur gegeben. In der heutigen Naturwissenschaft ist es der zunächst aus menschlichen Handlungen abstrahirte Begriff der K r a f t , welcher durch anthropomorphistische Uebertragung in die Objekte Ursache und Nothwendigkeit zu objektiven Mächten gestempelt hat. Daher hat Avenarius a. a. O. S. 45 zunächst die Kraft aus der »reinen Erfahrung« eliminirt, da sie auf keine Weise wahrgenommen werden kann; mit ihr fallen auch die andern Anthropomorphismen. »Mit der Kraft fällt die Nothwendigkeit; denn die Kraft ist das Zwingende, die Nothwendigkeit der Zwang. W a s wir erfahren, ist immer nur: dass Eins auf das Andere folgt — weder Zwang erfahren wir noch Willkür, dass sie einander folgen. Sofern also die Vorstellung der Causalität Kraft und Nothwendigkeit oder Zwang als integrirende Beätandtheile des Folgevorganges verlangt, fällt sie mit diesen. Ist der Zwang zur Bestimmung eines Vorganges als causalen nöthig, so wird durch die Hineindenkung des Zwanges in den Folgevorgang erst die Causalität geschaffen, kaum anders als wie der Fetischismus den beseelten Gegenstand erst schafft, indem er eine menschliche Seele hineindenkt; und wie dann der Wilde den eingedachten Einfluss seines Fetisch's dadurch zugleich begreift, dass er den betreffenden Gegenstand beseelt gedacht hat, so erzeugt allerdings auch die Hineindenkung der zwingenden Kraft ein gewisses Begreifen des Erzwungenseins der Folge. — Dies ist aber ebenfalls nur ein naives, anthropopathisches, von dem des Wilden blos dem Grade, nicht dem Wesen nach verschiedenes Begreifen, denn das Bekannte, was ihm zu Grunde liegt, ist nur das Gewohnheitsbekannte des mit Kraftgefühl verbundenen menschlichen Erzwingens«. Eine andere nicht minder häufige Vermischung heterogener Verhältnisse findet in der Verknüpfung der Nothwendigkeit mit dem Vorausberechnen oder Vorauswissen statt. Das ganze apriorische Wissen knüpfte sich gewöhnlich an das Verhältniss von Ursache und W i r k u n g , indem man die letztere a priori durch reines Denken aus der ersteren ableiten wollte. Seitdem aber Schopenhauer die Nothwendigkeit von der Causalität abhängig gemacht hatte und in
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naturwissenschaftlichen, besonders materialistischer! Kreisen die nothwendigen Gesetze oder auch die »Nothwendigkeitsgesetze« den Rang eines Schlagwortes erhalten hatten, wurde die Nothwendigkeit wieder mit Aristoteles als die G e s e t z m ä s s i g k e i t betrachtet, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unbedingte und ausnahmslose Geltung hat und dadurch das Vorauswissen der Zukunft ermöglicht. Was die in dem Gesetze enthaltene Nothwendigkeit betrifft, so werden hoffentlich die oben citirten Auseinandersetzungen Hoppe's die erforderliche Aufklärung darüber verbreitet haben. Demnach kann es nicht die Nothwendigkeit sein, an welche die Möglichkeit des natürlich h y p o t h e t i s c h e n Vorauswissens geknüpft ist, sondern eine andere Bestimmung, welche sich aus dem richtig aufgefassten Begriff des Gesetzes ungezwungen ergiebt, ja mit ihm identisch ist. Dies ist der Begriff des A l l g e m e i n e n , aufweichen die Gesetzmässigkeit jederzeit reducirt werden kann und muss. In dem Allgemeinen und in nichts Anderem ist die Möglichkeit des Vofauswissens gegeben; eine Einsicht, welche, schon von Aristoteles erreicht worden ist, wenn er auch fälschlich das empirische, aposteriorische Wissen von der Existenz des Allgemeinen abhängig machtc. E r erklärt, dass es Wissen nur gebe, sofern es ein Nothwendiges und Allgemeines gebe; da er nun nothwendig definirt als das, »was immer oder meistentheils geschieht«, so hat er schon die Nothwendigkeit auf die Allgemeinheit zurückgeführt. Hiermit trifft auch in dem entscheidenden Punkte überein Avenarius a. a. O. S. 46. »Nun kann Nothwendigkeit freilich auch bedeuten, dass jedes Mal, wenn A eintritt, B folgen werde; drückt also genau genommen einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit (die Gewissheit) aus, womit der Eintritt der Folge erwartet wird und erwartet werden darf. Diese Gewissheit beruht auf der Erfahrung, insofern diese ein System combinirter Wahrnehmungsurtheile darstellt; denn einerseits ist in der Erfahrung B immer auf A gefolgt, andererseits niemals auf A ein Non — B.« Dieses immerwährende, ausnahmslose Aufeinanderfolgen ist aber eben ein A l l g e m e i n e s , welches gewöhnlich Gesetz genannt wird, und aus dem ein hypothetisches Vorauswissen möglich wird. Dass man hier statt der blossen Möglichkeit gewöhnlich die Nothwendigkeit, statt des Könnens ein Müssen annimmt, erklärt sich aus der üblichen Identificirung des Denkens und Seins und dem dadurch bestimmten Sprachgebrauch. Die strenge Wissenschaft kennt diese Identificirung des Denkens und Seins nicht, daher auch nicht die beliebte Nothwendigkeit; vielmehr betrachtet sie zunächst das Naturgesetz als möglich •— »nothwendig wird es erst zur Auf-
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Stellung weiterer hypothetischer Folgerungen« (Siehe Hoppe a. a. O S. 260.) In welcher eigenthümlichen Weise die Nothwendigkeit mit d e m Vorauswissen in Zusammenhang gebracht wird, und welche Schwierigkeiten sich hierbei ergeben würden, wenn man die Nothwendigkeit für etwas Anderes als einen menschlichen Gedanken hält, zeigt sich am besten durch eine nähere Untersuchung des Begriffes der Zufälligkeit, welcher seit Schopenhauer gewöhnlich als das kontradiktorische Gegentheil der Nothwendigkeit gilt. Hinsichtlich des Zufalls ist es nur die allernaivste Ansicht, welche ihn als eine objektive Macht betrachtet und in »Glück« und »Unglück« in dem gleichen Sinne zerlegt. Im Uebrigen ist die gewöhnliche Auffassung des Zufalls ebenfalls an das Vorauswissen geknüpft, indem man für zufällig alles dasjenige hält, was man nicht vorausgesehen oder vorher berechnet hat, was also gegen die Erwartung oder Absicht geschieht. Ganz in diesem Sinne definirt Aristoteles: »Zufällig ist alles, was weder nothwendig noch meistentheils geschieht, wie wenn Jemand beim Graben einen Schatz findet. Zufällig kommt man nach A e g i n a , wenn man gegen seine Absicht dahin kommt.« Bei Aristoteles ist demnach der Zufall durchaus nicht das Gegentheil seiner Nothwendigkeit, wie auch recht deutlich aus seiner Behauptung hervorgeht, dass die mathematischen Wahrheiten z u f ä l l i g e seien: »dass ein Dreieck zwei rechte Winkel hat, ist zufällig, aber ewig.« A u c h die populäre Ansicht vom Zufall bringt ihn nicht etwa mit der Nothwendigkeit, sondern mit dem Z w e c k in Verbindung, vergl. W i n d e l b a n d : »Die Lehren v o m Zufall«, S. 56. 64. Nach, dieser populären, Auffassung bestimmt sich im Allgemeinen auch die übliche Zurechnung der menschlichen Handlungen; was man voraus weiss oder voraus berechnet, wird als Verdienst oder Schuld angerechnet, nicht für Glück oder Unglück, also für Zufall gehalten. W ä r e nun dasjenige, was man voraus weiss, nothwendig im Sinne einer die Dinge beherrschenden, unwiderstehlichen Macht, so würde gerade das Nothwendige, Unabänderliche zugerechnet, was vollkommen absurd wäre. Indirekt ergiebt sich hieraus, dass zufällig wie nothwendig immer nur menschliche Auffassungen bezeichnen, die man freilich häufig genug objektivirt. Auch der übliche Sprachgebrauch bestätigt dies; wenn man alle Bedingungen eines Ereignisses genau berechnet zu haben glaubt, so hält man seinen Eintritt für »nothwendig« und sagt: »Es m u s s geschehen.« Wenn das betreffende Ereigniss nun aber, wie dies ja unzählige Male geschieht, trotz der vermeintlich sichern Berechnung doch nicht eintritt, danrti
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wird es klar, oder sollte wenigstens klar werden, dass man es nur mit dem Gedanken der Nothwendigkeit zu thun hatte. Nur insofern Zufall und Nothwendigkeit durch Vermittelung des Wissens in Zusammenhang gebracht werden, können sie als Gegensätze gelten, wobei allerdings ein weiter Spielraum gelassen ist. Die beiden Extreme würden sein eine absolute Nothwendigkeit, bei welcher Alles vollkommen genau vorhergewusst, und ein absoluter Zufall, bei welchem gar nichts berechnet würde. Die Regel aber bilden die Fälle, in welchen die Nothwendigkeit schon angenommen wird, wenn man die meisten Bedingungen erwogen hat, Zufall, wo nicht Alles berechnet worden ist. Hierdurch verwischt sich der Unterschied zwischen Nothwendigkeit und Zufall in dem Grade, dass sie gar nicht mehr principiell, sondern nur noch graduell von einander verschieden sind. Daher konnte Aristoteles die Nothwendigkeit ausdrücklich als homonym mit dem Zufall bezeichnen. Schopenhauer hat in seiner Kritik der Kant'schen Philosophie klar auseinander gesetzt, dass Nothwendigkeit und Wirklichkeit nur in Gedanken unterschieden werden können; indem er aber die Nothwendigkeit von der Causalität abhängig machte, hat er nicht wenig dazu beigetragen, die Auffassung derselben als objektiver Macht zu befestigen. Wenn es nach dem Bisherigen klar ist, dass Nothwendigkeit nur für das menschliche Denken existirt, so wird doch damit dieser Begriff keineswegs überflüssig, vielmehr müssen seine verschiedenen Seiten genau untersucht werden. Aristoteles hat dieselben im Ganzen richtig hervorgehoben; es giebt eine doppelte A r t von Nothwendigkeit, die eine, welche blos von menschlichen Zwecken ausgesagt wird, wobei das Nothwendige als Mittel zum Zweck erscheint. Diese Nothwendigkeit ist nicht gegen den Willen des Menschen gerichtet und wird daher von ihm nicht unangenehm empfunden. D i e andere A r t der Nothwendigkeit dagegen kümmert sich nicht um den Willen des Menschen und verursacht deshalb häufig genug Gefühle der Unlust oder des Schmerzes. Die vollständige Verschiedenheit dieser .beiden Arten von Nothwendigkeit wird dadurch am Klarsten gemacht, dass man für sie die entsprechenden Zeitwörter einsetzt. Für die erste Art ist dies w o l l e n , für die zweite m ü s s e n . Für die Befriedigung des Willens oder die Erreichung bestimmter Zwecke ist immer etwas nothwendig, nämlich als Mittel dazu: Es ist nothwendig zu essen, um zu leben oder man muss essen etc. Hier wird man ganz eben so gut sagen können, dass das Essen gewollt wird; die genauere psychologische Analyse ergiebt sogar, dass man G ö r i n g , Freiheit u. Zurechnungsfähigkeit.
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eigentlich nur diesen Willen als Begründung der Nothwendigkeit oder des Müssens anzugeben vermag. Nur wenn man leben will, muss man essen; eine Nothwendigkeit zu leben wird von Niemand nachgewiesen werden können, wenn man nicht immer wieder das Leben als Mittel zu bestimmten Zwecken annimmt. So drückt das Zeitwort müssen den Inhalt der Nothwendigkeit zunächst nach der Seite des vom Menschen gewollten Zweckes aus; zugleich aber bezeichnet es auch die von menschlichen Zwecken unabhängige oder gegen den Willen gerichtete Nothwendigkeit; z. B. der Mensch muss sterben, ein Ereigniss, welches gewöhnlich nicht gewollt wird, dessen Eintritt man aber nicht verhindern kann, Diese Art der Nothwendigkeit drückt daher nicht sowohl eine Thätigkeit, als vielmehr ein Leiden aus. Der gewöhnliche Sprachgebrauch wendet dafür nicht das Unpersönliche: »Es ist nothwendig«, an, sondern stets: »Ich m u s s « , um eben auszudrücken, dass es sich hier um etwas nicht Gewolltes handelt. Diese letztere Art der Nothwendigkeit kann man im Gegensatz zu der ersteren subjektiven die objektive nennen, da sie nichts mit den Zwecken des Menschen zu thun hat, der sich ihr daher meist entziehen will, aber nicht kann, wie dies z. B. bei der direkten Erkenntniss durch die sinnliche Wahrnehmung der Fall ist. Diese Art der Nothwendigkeit ist nun zwar in der citirten Abhandlung von Hoppe nicht ausdrücklich zum Gegenstand der Erörterungen gemacht, ihr Vorhandensein jedoch an mehreren Stellen indirekt und direkt anerkannt werden; S. 256: »Was jedem Willen Trotz bietet und bei aller Auffassung dasselbe bleibt, ist die Thatsache«. S. 257: »Wie wichtig es ist, das z w i n g e n d e E l e m e n t in den Thatsachen zu erkennen, zeigt der Unterschied der naturwissenschaftlichen und philosophischen Praxis seit Bako.« Hiermit ist deutlich ausgesprochen, was eine kurze Ueberlegung als unwiderleglich erweist, dass nämlich in den Thatsachen eine Nothwendigkeit anzuerkennen ist, welcher sich der Mensch zwar oft entziehen will, aber nicht kann. Diese Nothwendigkeit hat lediglich Bedeutung für den menschlichen Willen und wird ausserdem nur dann empfunden, wenn sie g e g e n denselben gerichtet ist. Demnach hat sie mit der ersteren Art der Nothwendigkeit, welche auf die Allgemeinheit des regelmässigen Geschehens reducirt wurde, durchaus keine Aehnlichkeit; vielmehr hängt sie in der Weise von dem häufig wechselnden Willen ab, dass sie selbst in Fällen von gleicher Beschaffenheit, soweit es sich um die objektiven Momente handelt, durchaus nicht immer gefühlt wird. Nur da, wo eine starke Ab-
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neigung gegen den Inhalt einer Thatsache vorhanden ist, macht sich das »zwingende Element« derselben in unliebsamer Weise geltend: »Was m u s s ich sehen, hören, erleben etc.« Aus diesem Zusammenhang der Nothwendigkeit mit dem Willen ergeben sich verschiedene irrthümliche Ansichten, welche den Gegensatz zwischen Freiheit und Nothwendigkeit falsch auffassen. Der Nothwendigkeit zu Folge m u s s man dasjenige, was man nicht will, d. h. wogegen man eine Abneigung hat. Rein psychologisch betrachtet, für das Gefühl des Subjekts stehen nun Müssen und Wollen im konträren Gegensatz: Man muss, wenn man nicht kann, wie man will, oder mit anderem, durchaus gleichbedeutendem Ausdruck, wenn man nicht die Freiheit hat zu handeln wie man will. Hiermit aber werden die Gegensätze des Müssens und Wollens für das Gefühl des Subjekts ganz und gar zu denen der Nothwendigkeit und Freiheit, worauf sich denn auch die populäre Auffassung der menschlichen Freiheit und Unfreiheit beschränkt. Schopenhauer hat bereits den durch die Erfahrung immer wieder bestätigten Satz aufgestellt, dass ohne näheres Nachdenken jeder sich für frei hält, »wenn er thun kann, was er will«. Für die kritische Betrachtung eines Anderen ist damit natürlich nur die rein negative Freiheit gegeben, bei welcher nach der positiven Fähigkeit nicht gefragt wird, weil in dem Worte »können« diese doppelte Beziehung enthalten ist und von Jedem ohne Weiteres für sich in Anspruch genommen wird. Für das Gefühl des Subjekts aber erhält der Begriff der Freiheit positive Bedeutung durch die eigentümlichen Beziehungen des natürlichen Willens zum Thun oder Handeln. Man thut dasjenige gern, was man will, und will das thun, was m a n g e r n thut; umgekehrt aber muss man, was man ungern thut, und thut ungern, was man muss, sodass sich eine vollkommene Identität von Wollen und Gernthun einerseits, Müssen und Ungernthun andererseits ergiebt. Nun aber thut man ungern überhaupt etwas nur, wenn man muss, oder, wo »Nothwendigkeita vorliegt; ist man dagegen frei, so thut man- nur das, was man gern thut, daher fühlt man sich nun auch frei, sobald man thun kann, was man gerne thut, oder was man will, womit wir wieder bei der oben angegebenen populären Auffassung der Freiheit des Willens angekommen sind. Nach dieser aber stehen Freiheit und Nothwendigkeit nicht mehr im kontradiktorischen Gegensatz zu einander, sondern vielmehr im konträren, weil man sich da frei fühlt, wo man mit Neigung handelt, dagegen sich unfrei oder gezwungen fühlt, wo man gegen seine Neigung, d. h. mit Abneigung handelt. Zwischen Wollen und Müssen, demnach auch zwischen
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dieser gefühlten Freiheit und Nothwendigkeit, oder auch zwischen Neigung und Abneigung liegt die Gleichgültigkeit, welche daher das kontradiktorische Gegentheil sowohl von Wollen als von Müssen ist. Da nun aber der Mensch von Natur nur seiner Neigung folgt und keine anderen eigenen Motive des Handelns kennt, so fehlt für die gewöhnliche Auffassung die Veranlassung zu handeln, wo nicht Neigung oder Nothwendigkeit eintritt. Hierdurch aber befestigt sich die Meinung von dem positiven Inhalt der Freiheit immer mehr, aber nur für das unmittelbare Gefühl des Subjektes selbst. Daher wird sich das letztere häufig da vollkommen frei fühlen, wo der kritische Beobachter vollkommene Unfreiheit annimmt; der Sklave seiner Neigungen und Leidenschaften fühlt sich durchaus frei, wenn er nur nicht gehindert ist, ihnen ganz und gar nachzugehen, während jeder Andere sofort sieht, dass hier eine »Nothwendigkeit« vorliegt, welche in vielen Fällen so stark wirkt, dass der Mensch sich ihr nicht mehr entziehen kann. Die Leidenschaften können so wirklich zu einer »objektiven« Macht werden, welche den Menschen bezwingt, zur Ursache, aus der die Wirkung seiner Handlungen »nothwendig« erfolgen. Diese Art der Nothwendigkeit dient nun wirklich zur Erklärung oder Begreifen nach dem Schema der Causalität, und hiermit sind wir wieder beim Begreifen angelangt. Es ist insoweit vollkommen berechtigt, als es seinen Inhalt lediglich aus dem Wissen entnimmt, wenn dasjenige, vermittelst dessen begriffen werden soll, eine gewusste Thatsache ist. So findet der Trieb zu begreifen wie alle natürlichen Triebe,, nachdem er der Herrschaft des Verstandes unterworfen worden ist, zwar keine absolute, aber doch eine relative Befriedigung. Durch diese vernünftige Art zu begreifen ist nun über die Frage der menschlichen Freiheit oder Unfreiheit nicht das Geringste entschieden. Ob in einem gegebenen Falle die Motive derartig wirken, dass sich das Subjekt ihrem Einflüsse nicht entziehen kann, also »mit Nothwendigkeit« handelt, oder ob das Gegentheil anzunehmen ist, diese Frage kann nicht durch den ganzen allmählig geschaffenen Apparat des Begreifens, Ursache, Gesetz und Nothwendigkeit im Sinne der Allgemeinheit entschieden werden. Sie ist überhaupt kein Objekt der metaphysischen oder der direkten erkenntnisstheoretischen Untersuchung. Die Erkenntnisstheorie muss nur herangezogen werden, um die unberechtigten Ansprüche der Metaphysik abzuweisen und die objektiven Mächte als Trugbilder und Gespenster aufzuzeigen, welche die vom Verstände nicht beherrschte Phantasie des Menschen sich erschafft, um zu »begreifen«, Unbekanntes durch Zurückführung auf Bekanntes sich zu assimiliren,
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kurz, worauf es im Grunde immer hinausläuft, sich selbst irgendwie in den Objekten wiederzufinden. Bei der Tragweite, welche diese Entscheidung für alle Gebiete des Wissens überhaupt, insbesondere aber für die Philosophie hat, mag nach den vorausgegangenen speciellen Erörterungen noch eine allgemeine Bemerkung gestattet sein, welche gegen eine Annahme allgemeiner Natur gerichtet ist. Diejenige erkenntnisstheoretische Ansicht, welche keinerlei Apriori zulässt, oder der Empirismus, wird auch nach seinen klar zu Tage liegenden philosophischen Erfolgen von seinen aprioristischen Gegnern gern etwas geringschätzig behandelt als ein Produkt flacher Köpfe, denen es am nöthigen Tiefsinn fehle u. s. w. Diese Schlagwörter entbehren auch jetzt noch nicht ganz aller Wirkung, weshalb eine kurze Berichtigung der üblichen Ansicht jedenfalls am Platze ist, vielleicht auch einigen Erfolg hat. Wenn man die Gegensätze der Oberflächlichkeit und des Tiefsinns auf ihren einzig möglichen Inhalt zurückführt, so reduciren sie sich in der Hauptsache auf Folgenfles: Oberflächlich ist d e r , welcher von den in Betracht kommenden sachlichen Momenten nur die nächstliegenden in Erwägung zieht, die übrigen aber nicht berücksichtigt, während der Tiefsinnige alle einschlagenden Momente heranzieht. Auf unsern speciellen Fall angewandt heisst dies, dass der Empiriker gewisse Momente übersieht, welche die Annahme irgend eines Apriori zum Zwecke des Erkennens nöthig machen. Nun glauben wir aber gegenseitig gezeigt zu haben, dass jedes Apriori nur dem Zwecke des Begreifens dient, wie ja auch die modernen Aprioristen selbst zugeben und hervorheben. Wenn es nun richtig ist, dass die bisherige Coordinirung des Begreifens und Wissens aufgegeben, das Begreifen durchaus dem Wissen subordinirt werden muss, weil es ein selbstständiges Begreifen ohne Irrthümer überhaupt nicht giebt; wenn ferner jedes Apriori nicht als die Wiederholung eines aposteriorischen Inhaltes, nebst dessen unbefugter Uebertragung in die Objekte oder in den Akt der Erkenntniss ist, so fällt damit nicht nur jeder sachliche Grund, irgend ein Apriori anzunehmen, sondern es ist vielmehr geboten, jedes Apriori durchaus abzuweisen. Nur wenn man den Zweck des naiven Begreifens festhält, darf man natürlich das ihm allein dienende Mittel, das Apriori, nicht aufgeben; das Gegentheil würde mehr als Oberflächlichkeit, nämlich einfach Unverstand sein. — Das Resultat unserer Untersuchung ist, dass die Nothwendigkeit nicht als objektive Macht ausserhalb des Menschen existirt, daher auch keinen äussern Zwang auf den Menschen ausüben kann. Nur
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wenn die Nothwendigkeit im Sinne des Zwanges gefasst wird, hebt sie die Freiheit auf; jede andere Art der Nothwendigkeit dagegen verträgt sich mit der Freiheit sehr wohl. Es hat sich uns ferner ergeben, dass in der Empfindung eine Nothwendigkeit besteht, welche gegen den menschlichen Willen gerichtet ist; sie findet statt bei allen Thatsachen in Vergangenheit-, Gegenwart und Zukunft, welche der Mensch durch seinen Willen ändern möchte, wozu er aber nicht die Macht hat. Diese, reiii psychologische Nothwendigkeit kann nun auch in der menschlichen Natur selbst begründet sein, ist daher für die Erörterung über Freiheit und Zurechnungsfähigkeit vor Allem in Betracht zu ziehen. Denn man darf nicht schliessen, dass, weil die Nothwendigkeit nicht objektiv, d.h. a u s s e r h a l b des Subjekts existirt, sie deshalb auch auf dem rein subjektiven Gebiet nicht zu finden sei; vielmehr giebt diese Art der Nothwendigkeit für den empirischen Standpunkt allein die Berechtigung, von Nothwendigkeit oder Unfreiheit, und Freiheit im Wollen und Handeln überhaupt zu reden. Diese Berechtigung muss gegen eine Weltanschauung sicher gestellt werden, welche sich selbst gewöhnlich als Empirismus bezeichnet, weshalb eine kurze Auseinandersetzung mit ihr über den vorliegenden Punkt um so mehr geboten ist. Der moderne Materialismus entnimmt zwar den Inhalt seiner Metaphysik der Hauptsache nach aus der Erfahrung, ist aber gerade auf demjenigen Gebiete, auf welches unsere Frage beschränkt ist, nämlich auf dem specifisch menschlichen, über den Standpunkt des naiven, aprioristischen Begreifens nicht hinausgekommen, und hat daher alle principiellen Irrthümer desselben als »Erfahrung« aufgenommen. Eine summarische Uebersicht wird die Continuität des materialistischen Begreifens mit dem früheren naiven darthun. Man objektivirte einst überall menschliche Vorstellungen und Gedanken, und erklärte die Welt im Ganzen ex analogia hominis, ohne die specifischen Unterschiede zu beachten, welche dies unmöglich machen. Diese werden durch die fortschreitende Wissenschaft allmählig gefunden, eine aprioristische Deduktion nach der andern verschwindet bei zunehmender Erkenntniss der empirischen Thatsachen. Es fallen aber, wie die Erfahrung lehrt, die für Wissen ausgegebenen Phantasiegebilde zunächst nur, soweit es sich um konkrete Fakta handelt; das Wissen wird ein anderes und damit zwar auch das Begreifen, das letztere aber nur seinem I n h a l t e nach. Die A r t des Begreifens jedoch bleibt im Ganzen dieselbe; nur hat sich das Verhältniss des Bekannten und Unbekannten im Laufe der Jahrhunderte verschoben, ja fast gänzlich umgekehrt. Im
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Anfange der Forschung kannte man der Hauptsache nach nur den Menschen, und erklärte aus ihm die unbekannte Natur, indem man überall in dieser es menschlich zugehen liess oder den Menschen wiederfand. Später tritt eine Wendung ein, durch welche der Mensch unbekannter, die Natur das Bekannteste wird, und jetzt wird dasselbe Princip des Begreifens wieder angewandt; man lässt es überall natürlich zugehen, findet überall die Natur im Menschen wieder, abermals ohne die specifischen Unterschiede zu beachtcn. Wie die Art und das Prinzip des Begreifens, so bleiben auch die diesem dienenden Begriffe Ursache, Nothwendigkeit u. s. w., welche mit dem Wissen im stengen Sinne nichts zu thun haben, unverändert bestehen, d. h. nur dem N a m e n nach, da sie unterdessen eine Umbildung erfahren haben, die von ihrer ursprünglichen Natur eben nichts als den Namen übrig gelassen hat. In ihrer früheren Fassung waren sie für die Erkenntniss der Natur untauglich, ihre spätere Umwandlung macht sie ungeschickt für die Erkenntniss des specifisch Menschlichen, welches zu b e g r e i f e n sie j a auch früher nie gedient hatten. Denn ursprünglich handelte es sich für den Menschen nur darum, die N a t u r zu begreifen, keineswegs aber sich selbst, da er ja sich selbst genau kennt oder wenigstens zu kennen glaubt. Daher finden die Begriffe, durch die man die Welt sich verständlich machen will, selbst auf einem relativ hohen philosophischen Standpunkte noch keine Anwendung auf deri Menschen. Bei Plato und Aristoteles, bei Carneades und andern Akademikern tritt das Bedürfniss, den Menschen zu begreifen, noch nicht auf; wo aber, wie bei den Stoikern, die allgemeine Weltanschauung mit den menschlichen Anforderungen in Widerspruch geräth, da behalten stets die letzteren Recht, wie auch bei Demokrit, Epikur und Lucrez die vollkommenste Naturnothwendigkeit neben dem freien Willen des Menschen besteht. Dass man diese naive Art zu philosophiren aufgiebt, muss an sich als ein entschiedener Fortschritt betrachtet werden; indessen bewirkt die A r t , wie dies gewöhnlich geschieht, wieder einen Rückschritt hinsichtlich des Inhaltes der Erkenntniss, der direkt hinter jene ursprüngliche Manier zurückführt. Die Frage nach der B e g r e i f l i c h k e i t d e s M e n s c h e n tritt mit voller Klarheit zuerst bei Spinoza auf, dessen Verfahren, den Menschen ex analogia naturae zu begreifen, seitdem viele Nachahmer gefunden hat. Das methodologische Prinzip dieses Verfahrens ist zuerst von Hume aufgestellt worden »Untersuchungen in Betreff des menschlichen Verstandes«, übersetzt von Kirchmann S. 85 : »Es scheint wirklich, dass man diese
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Frage über Freiheit und Nothwendigkeit am verkehrten Ende anfasst, wenn man mit der Untersuchung der Seelenvermögen, dem Einfluss des Verstandes und der Wirksamkeit des Willens beginnt. Man muss mit einer einfacheren Frage beginnen, nämlich mit der Wirksamkeit der Körper und des vernunftlosen Stoffes und der Mittel, weshalb man hier einen Begriff von Ursächlichkeit und Nothwendigkeit bilden kann, der mehr ist als regelmässige Verbindung der Dinge, und folgeweise Schluss der Seele von einem nach den andern. Wenn diese Bestimmungen in Wahrheit den ganzen Inhalt der Nothwendigkeit ausmachen, welche bei körperlichen Dingen angenommen wird, und wenn diese Bestimmungen, wie Jedermann anerkennt, auch bei Wirksamkeit der Seele bestehen, so ist der Streit zu Ende, oder er ist wenigstens dann nur noch ein Wortstreit. Solange man aber voreilig annimmt, dass man bei den Vorgängen der äussern Gegenstände noch einen weiteren Begriff von Ursächlichkeit und Nothwendigkeit habe, während man doch in den freiwilligen Handlungen der Seele nichts Weiteres finden kann, bleibt es unmöglich, die Frage zu einer bestimmten Entscheidung zu bringen, da man von irrthümlichen Voraussetzungen ausgeht. Der einzige Weg, sich nicht zu täuschen, ist, höher zu steigen, den geringen Umfang der Wissenschaft in Bezug auf körperliche Ursachen zu untersuchen, und sich zu überzeugen, dass Alles, was wir von ihnen wissen, sich auf die beständige Verbindung und die oben erwähnte Schlussfolgerung beschränkt. Es wird uns vielleicht schwer, dem menschlichen Wissen so enge Schranken zu setzen; aber wenn man diese Lehre auf die willkürlichen Handlungen ausdehnt, wird man keine Schwierigkeiten mehr finden. Denn da diese Handlungen offenbar eine regelmässige Verbindung mit den Beweggründen, Umständen und Charakteren haben, und da wir fortwährend von dem einen auf das andere schliessen, so muss man selbst in Worten sich zu der Nothwendigkeit bekennen, die man bereits in jeder Ueberlegung des Lebens und in jedem Schritt des eigenen Benehmens und Handelns anerkannt hat.« Hume's hier dargelegte Methode dient vortrefflich dazu, dasjenige zu leisten, was von ihm beabsichtigt war, nämlich seine vorgefasste Meinung nicht durch eingehende Untersuchungen widerlegt, sondern durch falsche Analogie bestätigt zu sehen. Sein Gedankengang ist folgender: In der Körperwelt nimmt man Verursachung und Nothwendigkeit an, weil man das innere Band der Verknüpfung zu kennen glaubt; im Geiste aber nimmt man Freiheit an, weil man hier nichts wahrnimmt als die zeitliche Folge. Nun ergiebt aber
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die philosophische Untersuchung, dass man auch in der Körperwelt nichts Anderes als Sequenz wahrnimmt. Trotzdem glaubt man hier an die Nothwendigkeit; also muss man auch an ihr Vorhandensein im Geiste glauben, und damit man dazu gelangt, muss man bei der Körperwelt anfangen und das da Gefundene auf das Gebiet des Geistes übertragen. Es leuchtet ein, dass hier die alte Identität von Denken und Sein in neuer Form, nämlich mit vertauschten Rollen, wiederkehrt. Ursprünglich findet man den denkenden Menschen überall in der Natur wieder, bei Hume aber und seinen materialistischen Nachfolgern setzt man den denkenden Menschen den nicht denkenden Dingen gleich — in beiden Fällen zeigt sich das charakteristische Merkmal des naiven Begreifens, die Nichtachtung der specifischen Unterschiede und in Folge davon die unmotivirte Uebertragung bekannter Bestimmungen auf unbekannte Gebiete. Früher wird das Sein dem Denken, später das Denken dem Sein gleichgesetzt. Hierdurch ist das Problem mit einem Male erledigt, jede nähere Untersuchung überflüssig geworden, weil man die Frage am »richtigen Ende angefasst« hat. Es giebt keine Nothwendigkeit in der Natur, aber auch keine Freiheit im positiven Sinne, deshalb giebt es beides auch nicht auf dem menschlichen Gebiete, vielmehr existirt hier wie dort die regelmässige Aufeinanderfolge, und diese nennt man ja populär Nothwendigkeit. Dieser Standpunkt ist eine Reaktion, welche mit dem Unberechtigten auch das Berechtigte entfernt. Dass Hume die Nothwendigkeit aus den Objekten beseitigt hat, ist einer der wesentlichsten Fortschritte der Erkenntniss; nur ist sie damit nicht auch eo ipso für das rein subjektive Gebiet des Denkens und Wollens aufgehoben, findet vielmehr hier eine durchaus berechtigte Anwendung, wie auch die Frage nach der Nothwendigkeit oder Freiheit des Wollens eine wohl begründete ist.
III. Indeterminismus und Determinismus. Die Vertheidiger der Freiheit des Willens hiessen früher gewöhnlich Indeterministen, ihre Gegner Deterministen; diese beiden Parteien haben sich bis auf die Gegenwart in einer Weise bekämpft, welche vielfach an
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die philosophische Untersuchung, dass man auch in der Körperwelt nichts Anderes als Sequenz wahrnimmt. Trotzdem glaubt man hier an die Nothwendigkeit; also muss man auch an ihr Vorhandensein im Geiste glauben, und damit man dazu gelangt, muss man bei der Körperwelt anfangen und das da Gefundene auf das Gebiet des Geistes übertragen. Es leuchtet ein, dass hier die alte Identität von Denken und Sein in neuer Form, nämlich mit vertauschten Rollen, wiederkehrt. Ursprünglich findet man den denkenden Menschen überall in der Natur wieder, bei Hume aber und seinen materialistischen Nachfolgern setzt man den denkenden Menschen den nicht denkenden Dingen gleich — in beiden Fällen zeigt sich das charakteristische Merkmal des naiven Begreifens, die Nichtachtung der specifischen Unterschiede und in Folge davon die unmotivirte Uebertragung bekannter Bestimmungen auf unbekannte Gebiete. Früher wird das Sein dem Denken, später das Denken dem Sein gleichgesetzt. Hierdurch ist das Problem mit einem Male erledigt, jede nähere Untersuchung überflüssig geworden, weil man die Frage am »richtigen Ende angefasst« hat. Es giebt keine Nothwendigkeit in der Natur, aber auch keine Freiheit im positiven Sinne, deshalb giebt es beides auch nicht auf dem menschlichen Gebiete, vielmehr existirt hier wie dort die regelmässige Aufeinanderfolge, und diese nennt man ja populär Nothwendigkeit. Dieser Standpunkt ist eine Reaktion, welche mit dem Unberechtigten auch das Berechtigte entfernt. Dass Hume die Nothwendigkeit aus den Objekten beseitigt hat, ist einer der wesentlichsten Fortschritte der Erkenntniss; nur ist sie damit nicht auch eo ipso für das rein subjektive Gebiet des Denkens und Wollens aufgehoben, findet vielmehr hier eine durchaus berechtigte Anwendung, wie auch die Frage nach der Nothwendigkeit oder Freiheit des Wollens eine wohl begründete ist.
III. Indeterminismus und Determinismus. Die Vertheidiger der Freiheit des Willens hiessen früher gewöhnlich Indeterministen, ihre Gegner Deterministen; diese beiden Parteien haben sich bis auf die Gegenwart in einer Weise bekämpft, welche vielfach an
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die bekannten Streitigkeiten theologischer Sekten erinnert. Was die sachlichen Gründe nicht bewältigen, »schiebt man sich gleich in das Gewissen hinein«; an gegenseitiger Verketzerung fehlt es ebensowenig als an einer überreichen Fülle von Missverständnissen, welche sehr komisch wirken, sobald man, wie schon Hume, sieht, dass häufig beide Parteien im Grunde ganz dasselbe meinen, und nur durch die traditionelle Unklarheit und Leichtfertigkeit der Behandlung sich äusserlich • immer weiter von einander entfernen. Indessen ist der lange Streit durchaus nicht so unfruchtbar für eine endliche Lösung der Frage gewesen, wie dies zunächst den Anschein hat; auf beiden Seiten finden sich Untersuchungen von sehr ungleichem Werthe. Allerdings ziehen sich gewisse principielle Mängel und Fehler der Behandlung wie der bekannte rothe Faden durch die gesammten Verhandlungen des Indeterminismus und Determinismus hindurch. Der Mangel an Definitionen wie an eingehenden psychologischen Untersuchungen, der irreleitende Einfluss des naiven Begreifens, die Vermischung aller möglichen Arten von N o t w e n d i g keit, die Identificirung von Freiheit und Fähigkeit, von Wille und Verstand, von Bewusstsein, Denken und Wissen, von Wollen und Handeln — alles dies hat das Chaos geschaffen, welches gegenwärtig vorliegt. Indessen sind alle diese Fehler längst erkannt und gerügt worden, was freilich eine wesentliche Verbesserung des Standes unserer Frage deshalb nicht herbeiführen konnte, weil das Richtige überall zerstreut liegt, und eine Zusammenfassung bisher nicht stattgefunden hat. Unsere nächste Aufgabe wird es daher sein, das Material, soweit es uns bekannt ist und in Betracht zu kommen scheint, hier zusammenzustellen. Dies soll mit Beobachtung der chronologischen Reihenfolge in der Weise geschehen, dass den Gründen der einen Partei die Gegengründe der andern folgen, wodurch eine Uebersicht sowohl über die Entwickelung als über den gegenwärtigen Stand der Frage gewonnen wird. Die Wiederholung der nämlichen Argumente, welche von den Autoren nicht gescheut wurde, rechtfertigt sich zum Theil dadurch, dass die beigebrachten Gegengründe keine Widerlegung enthielten; freilich ist sie theilweise auch wohl aus Unkenntniss der Geschichte des Problems hervorgegangen. Im Vordergrunde des Streites steht von jeher ganz entschieden der Beweis für die Freiheit des .Willens aus dem Bewusstsein der Freiheit, und seine Bekämpfung durch direkte und indirekte Gegenbeweise. Dieser Beweis für die Freiheit des Willens stammt von A u g u s t i n : »moveri per se animum sentit, qui sentit in se esse
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voluntatem. Si volumus, non alius de nobis vult. Et iste motus animae spontaneus est.« — »Quid enim tarn in volúntate quam ipsa voluntas situm est?« Von Augustin hat ihn zunächst C a r t e s i u s übernommen: »Libertatis autem et indifferentiae, quae in nobis est, nos ita conscios esse ut nihil sit, quod evidentius et perfectius comprehendamus«. L i c h t e n b e r g : »Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, dass unser Wille frei ist, als dass Alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse. Könnte man also nicht einmal das Argument umkehren und sagen: Unsere Begriffe von Ursache und Wirkung müssen sehr unrichtig sein, weil unser Wille nicht frei sein köante, wenn sie richtig wären«. K a n t erklärt in der Vorrede zur 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft, dass das Bewusstsein der Freiheit die blosse klare Darstellung der Pflichten im Gegensatz aller Ansprüche der Neigungen bewirkt. F i c h t e sagt: »Ohne Bewusstsein der Freiheit kann keiner ein vernünftiges Wesen sein«. J a c o b i : »Der Mensch fühlt sich durch die Freiheit über die Natur erhaben«. S e h e Hing lehrt, dass das Gefühl der Freiheit einem Jeden unmittelbar eingeprägt sei, wenn es auch nicht so sehr auf der Oberfläche liege. Hiermit treffen von den neuern Denkern überein A d o l p h W a g n e r »die Gesetzmässigkeit in den scheinbar willkürlichen menschlichen Handlungen« S. 79: »das Gefühl und Bewusstsein der Verantwortlichkeit und der sittlichen Freiheit im einzelnen Falle sind Thatsachen, welche durch die innere Erfahrung jedes einzelnen auch dem Verstände so feststehen wie alle jene Gesetzmässigkeiten. Oder wer möchte aller Erfahrung zuwider mit D a n k w a r d t sagen, jeder Verbrecher fühle in seinem Innersten, er leide schuldig?« U l r i c i : Gott und der Mensch S. 600: »Im selbstbewussten Willen erhebt sich die Spontanität zum Bewusstsein der Freiheit. So fraglich es immer sein mag, ob die Freiheit realiter .existirt, und wie der Begriff derselben zu fassen sei, so ist es doch eine unbestrittene und unbestreitbare Thatsache des Bewusstseins, dass wir :— in den meisten Fällen wenigstens — uns frei, d. h. uns ungezwungen und selbstständig, weil durch selbsteigene Entscheidung und Bestimmung zu unserem Thun und Lassen entschlossen zu haben glauben, und dass wir uns in diesem Sinne Freiheit des Wollens beimessen. Auch die entschiedensten Gegner der Freiheit räumen dies Bewusstsein der Freiheit ein. An ihm hängt die ganze Frage, um die es sich handelt. Denn wer dies Bewusstsein nicht in sich fände, für den existirt die Frage gar nicht, der kann die Freiheit weder bejahen noch verneinen, weil er gar keine Vorstellung von ihr besitzt, und es auch schlechthin unmöglich sein würde, ihm dazu zu verhelfen,
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ebenso unmöglich, wie dem Blinden die Vorstellung der Farbe beizubringen«. — S. 603: »Wie aber auch die Entscheidung ausfallen möge, dass ist allgemein anerkannte Thatsache, dass sie das Bewusstsein der Freiheit nicht auszutilgen vermag. Auch der entschiedenste Determinist, der theoretisch die Willensfreiheit schlechthin leugnet, vermag im einzelnen Falle dem Bewusstsein freier E r schliessung sich nicht zu entziehen: es bleibt mithin, wenn auch mit dem Prädikat der T ä u s c h u n g , unverrückt bestehen. Ebensowenig vermag irgend ein Mensch die Regungen des mächtigen T r i e b e s zu beseitigen, welcher dem Bewusstsein der Freiheit entspricht, es bestärkt und bestätigt, indem er auf die A u s ü b u n g der Freiheit dringt. Dieser Trieb, der unter dem Namen des F r e i h e i t s t r i e b e s allgemeiner bekannt und anerkannt ist, äussert sich in dem Streben nach ungezwungener, ungebundener und möglichst unbeschränkter, nur von den eigenen Willensbeschlüssen, Ueberzeugungen und Meinungen bedingter Thätigkeit in W o r t und Handlung, — mithin nach ä u s s e r e r Geltendmachung eben jenes S e l b s t der Seele, das im Willen und Selbstbewusstsein sich selber setzt und erfasst«. S. 604: »Wie es sonach auch mit der Freiheit realiter stehen möge, — der Freiheitstrieb beweisst jedenfalls, dass die Freiheit, die wir zu besitzen glauben, ein natürliches B e d ü r f n i s s der menschlichen Seele ist: denn jedem Triebe liegt unzweifelhaft ein Bedürfniss zu Grunde. Wenn daher auch die Seele die Freiheit nicht wirklich besässe, so steht doch fest, dass sie von Natur nach ihr s t r e b t und ihrer b e d a r f . Den Widerspruch zu lösen, der darin liegt, dass der Seele von N a t u r das Bedürfniss der Freiheit mitgegeben ist, und das Bewusstsein ihres Besitzes sich ihr aufdrängt, und doch dieselbe N a t u r (als sogenannte Naturnothwendigkeit) die Freiheit unmöglich und das Freiheitsbewusstsein zur Illusion macht, — diesen Widerspruch zu lösen ist Sache der Leugner der Freiheit«. B a u m a n n »Philosophie als Orientirung über die Welt« S. 404 ff. »behauptet die Freiheit des menschlichen Willen und selbst des Verstandes, nicht eine absolute Freiheit, aber eine relative, vermöge deren die Entscheidung im theoretischen wie im praktischen Gebiete zuletzt und wesentlich v o m freien Willen des Menschen abhängt. Die Freiheit ist auch in theoretischen Dingen das natürliche Bewusstsein von Jedermann. Daher haben auch alle Menschen von Haus aus den Glauben an die Freiheit, sich der Erkenntniss der Wahrheit aus Gründen anschliessen zu können . . . . Ganz ähnlich wie im Theoretischen ist es mit unserer Freiheit im Praktischen, im Fühlen und Wollen . . . . Die Leugnung der Willensfreiheit im
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Praktischen ist unhaltbar; sie vermag das Bewusstsein des Menschen, frei zu sein, nicht zu erklären, nach ihr dürfte es gar nicht da sein. Dass die Menschen sich frei fühlen, haben auch die Leugner der sittlichen Freiheit immer zugestanden, sie haben aber gesagt, das Gefühl sei eine Täuschung, Freiheit heisse blos Unbekanntschaft mit der im bestimmten Falle vorhandenen Causalität oder Nothwend i g k e i t . . . . Die Leugnung der Freiheit hebt sich selbst auf. Leugnung der Freiheit ist Behauptung der Nothwendigkeit. Alles ist nach dieser Ansicht nothwendig, jeder Gedanke, jeder Satz, jedes Gefühl, jeder Wille ist gerade so, wie er im Augenblick aus dem Zusammenwirken aller geheimen und offenen Ursachen sein muss. Dass du die Freiheit leugnest, ist nothwendig; dass ich die Freiheit behaupte, ist gleichfalls nothwendig; meine Behauptung ist so nothwendig verursacht wie deine gegentheilige. Man darf daher nicht sagen: Nothwendigkeit ist die alleinige Wahrheit, sondern für mich ist es nothwendig, im Augenblick zu behaupten, der Wille ist unfrei; für dich ist es eben so nothwendig zu behaupten, er ist frei, und zwar beides ganz im Allgemeinen von allem und jedem Willen, den wir kennen. Dies ergiebt, dass die Sätze: der Wille ist frei, der Wille ist nicht frei, beide gleichzeitig mit gleicher Nothwendigkeit behauptet werden, d. h. es ergiebt einen völligen Widerspruch, aus welchem es kein Entkommen giebt. Denn was Wahrheit ist, erkennen wir nicht unabhängig von unserem Erkenntnissvermögen, sondern durch und vermittelst desselben; in dem Einen ist das Erkenntnissvermögen bestimmt, die Freiheit zu behaupten, in dem Andern, sie zu leugnen, und zwar beides mit gleicher Nothwendigkeit. Von Wahr und Falsch kann da gar keine Rede mehr sein; es hört wie beim theoretischen Erkennen Alles auf. Wäre die Lehre der Nothwendigkeit wahr, so dürfte kein Gedanke, kein Gefühl der Freiheit in keinem Menschen sein. Der Leugner der Freiheit kann dies Gefühl der Freiheit, deren Behauptung gleichwertig ist mit seiner Behauptung der Nothwendigkeit, und eben dadurch alles Behaupten umstürzt, — er kann das Gefühl der Freiheit nicht erklären, er muss es ansehen, wie etwas, das nichts sein sollte, wie ein Unkraut, von dem er nicht anzugeben weiss, wie es in seine Welt und unter seinen Weizen gerathen ist. Der Vertheidiger der Freiheit weiss sehr wohl, seinen Gegner zu verstehen; dieser Gegner leugnet die Freiheit und kann sie leugnen, eben weil er frei ist, weil er sich verschiedenen Ansichten zuwenden kann, weil er dem wissenschaftlichen Vorurtheil von der Causalität sich gefangen zu geben durch seine Freiheit im Stande ist, zumal der Leugner der
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Freiheit überdies gewöhnlich im Rechte ist mit seinen Einwendungen gegen die A r t , wie Freiheit gewöhnlich ist gefasst worden«. A u f andere Weise sucht S t r u v e das Bewusstsein der Freiheit als untrüglichen Beweis für ihre Realität geltend zu machen, Philosophische Monatshefte 10. Band 1874 S. 351. Die Behauptung cfer Deterministen, dass das Bewusstsein der Freiheit einfach als Täuschung aufzufassen sei, erklärt er für eine schlechte Analogie, eine völlig unberechtigte mit den Thatsachen nicht übereinstimmende Uebertragung physisch-mechanischer Theorien auf das psychologische Gebiet; »Was zuerst die vermeintliche Täuschung des Bewusstseins betrifft, so ist ein für alle mal zu beachten, dass unser Bewusstsein der einzige unmittelbare Erkenntnissinhalt ist, der für uns überhaupt zugänglich ist; wir schöpfen all unser Wissen und Erkennen ausschliesslich aus Thatsachen unseres Bewusstseins. Stellen wir die Thatsachen unseres Bewusstseins in Zweifel, so untergraben wir selbst das Fundament, auf dem wir stehen, so schneiden wir selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen. V o n Wissen und Erkennen kann dann überhaupt nicht mehr die Rede sein. W e r unmittelbare Thatsachen des Bewusstseins in Zweifel zieht, der darf überhaupt nichts mehr als sicher behaupten, am wenigsten eine Theorie vertheidigen, die diesen Thatsachen zuwider läuft. Niemand, der ohne Vorurtheil, ohne vorgefasste mechanische Anschauung die psychologische Collision als Thatsache in seinem Bewusstsein beobachtet, kann leugnen, dass das Bewusstsein sich die Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Motiven zuschreibt; dass es überzeugt ist, es wäge selbst den Werth der Motive miteinander a b , es entscheide sich selbst je nach der Werthschätzung dieser Motive für dieses oder jenes Streben, und endlich eine Handlung, die auf solcher Erwägung und Wahl beruht, für seine selbsteigene That hält, für die es sich selbst und keinen andern verantwortlich macht. P ä s s dieser ganze Prozess doch schliesslich im Grunde nicht die That unseres Bewusstseins sei, sondern die That des Motivs, dem das Bewusstsein nachhinkt, — davon wissen wir nun schlechterdings nichts, das kann nur der vorgefassten deterministischen Theorie zur Liebe behauptet werden. Und was fiir Gründe kann diese Theorie vorbringen, die sicherer wären, als das angeführte, unmittelbare Zeugniss des Bewusstseins, die im Stande wären, dieses Zeugniss der Täuschung zu zeihen? Alle Gründe, die hierbei der Determinismus anführt und anführen könnte, sind rein a l l g e m e i n e r Natur — entkeimen einer vorgefassten mechanischen Weltanschauung, die ja aber nach der streng wissenschaftlichen Methode nicht das P r i n c i p
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zur Erklärung der einzelnen Thatsachen abgeben darf, sondern dasR e s u l t a t der genauen und treuen Beobachtung dieser Thatsachen sein soll. Es wäre daher nichts weniger als wissenschaftlich, wenn wir die unmittelbare Thatsache unseres Bewusstseins, dass dasselbe selbst die Motive der Handlung abwägt und auf Grund eigener Einsicht und eigener Werthschätzung bestimmt, welchem von den Motiven es zur That verhelfen soll, leugnen und in eine Theorie einzwängen wollten, die aus ganz abstrakten allgemeinen Gründen diese Thatsache umzugestalten sucht und nicht als das gelten lassen will, als was sie sich selbst unmittelbarer darstellt.« — Diesen Berufungen auf das Bewusstsein der Freiheit stehen nicht minder zahlreiche Stimmen entgegen, welche die Beweiskraft desselben vollständig in Abrede stellen. Schon S p i n o z a erklärt, dass auch der geworfene Stein, wenn er das Bewusstsein seiner Bewegung hätte, sich für durchaus frei halten und glauben würde, er beharre nur deshalb in seiner Bewegung, weil er sie wolle. Gerade ebenso verhalte es sich mit der menschlichen Freiheit, welche alle zu haben sich rühmen, und welche nur darin besteht, dass die Menschen das Bewusstsein ihres Willens haben, die diese bestimmenden Ursachen aber nicht kennen. »So glaubt das Kind, dass es die Milch freiwillig begehrt, und ebenso hält der Knabe seinen Willen sich zu rächen, und der Furchtsame seinen Willen zu fliehen für einen freiwilligen. Ferner glaubt der Betrunkene, dass er aus freiem Entschluss der Seele das spreche, was er nüchtern gern verschwiegen hätte. So glaubt der Wahnsinnige, der Schwätzer, der Knabe und viele Andere dieser Art, aus freiem Beschluss der Seele zü sprechen, während sie doch ihre Begierde zu sprechen nicht bezähmen können . . . . Wenn wir träumen, dass wir sprechen, so glauben wir aus freiem Entschluss der Seele zu sprechen und sprechen doch nicht, oder wenn wir sprechen, geschieht es nur durch unwillkürliche Bewegung des Körpers. Wir träumen auch, dass wir den Menschen etwas verheimlichen und zwar mit demselben Entschluss der-Seele, mit dem wir wachend das, was wir wissen, verschweigen. Wir träumen endlich, dass wir nach dem Beschluss der Seele etwas vornehmen, was wir wachend nicht wagen, und so möchte ich doch wissen, ob es in der Seele zwei Arten von Beschliessungen giebt, phantastische und freie? Wenn man bis zu dieser tollen Annahme nicht gehen kann, so folgt, dass der Beschluss der Seele, welchen man für frei hielt, von der blossen Vorstellung oder von dem Gedächtniss sich nicht unterscheidet, und dass dieser Entschluss nichts ist, als jene Bejahung,
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welche jede Vorstellung als solche nothwendig enthält. Daher entstehen diese Entschlüsse der Seele mit derselben Nothwendigkeit in ihr wie die Wahrnehmungen der wirklich existirenden Dinge. Wer also glaubt, aus freiem Beschluss der Seele zu sprechen oder zu schweigen oder etwas zu thun, der schläft mit offenen Augen«. Mit diesem Determinismus stimmt L e i b n i t z vollständig überein, indem er sagt, die Magnetnadel könne sich ebensowohl ihrer Richtung nach dem Nordpol freuen in der Meinung, sie richte sich dahin unabhängig von irgend einer Ursache, da sie die unmerkbaren Bewegungen der magnetischen Materie nicht empfindet. Auch die Menschen nehmen nicht immer die häufigen und unmerklichen Ursachen wahr, von denen ihr Wille abhängt; e b e n s o w e n i g a b e r f ü h l e n sie ihre e i g e n e U n a b h ä n g i g k e i t . B a y l e gebraucht das Gleichniss der Windfahne: Unbekannt mit der unsichtbaren Gewalt, welche sie richtet, würde sie, wenn sie Bewusstsein hätte, in jeder Wendung eine Folge ihrer eigenen Bestimmung zu sehen glauben, während sie kein Haar breit von der Richtung abweicht, noch abweichen kann, welche ihr durch die Bewegung der Luft angewiesen wird. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir sind; dass unser Sein in einer höheren Ursache begründet ist, dessen sind wir uns nicht bewusst, und dies würden wir auch nicht erkennen, wenn diese Erkenntniss nicht die Folge anderer Ueberlegungen wäre. So steht es auch mit dem Bewusstsein unserer Freiheit. Das deutliche Bewusstsein, dass, wenn wir handeln, wir handeln, weil wir so und nicht anders wollen, verhindert uns zu unterscheiden, ob dieses Wollen seinen letzten Grund in uns selbst hat oder ob es durch dieselbe Ursache, davon unser Sein begründet ist, verursacht wird. Um diese Frage zu entscheiden, muss man seine Zuflucht zur Reflexion nehmen. Man kann aber auf diesem Wege niemals zu dem Ergebniss gelangen, dass unser Wille die Ursache unseres Wollens sei. Nimmt man nämlich an, wir wären bei unserem Wollen ganz passiv, so würden wir dessen ungeachtet dasselbe Gefühl unserer Freiheit haben, aus dem einfachen Grunde, dass unser Wollen ein Wohlgefallenfinden ist an dem, was wir wollen, wodurch alle Vorstellung eines äussern Zwanges von dem Gewollten entfernt wird (bei Schotten »der freie Wille« S. 30). H u m e »hat oft nach dem Grunde gesucht, weshalb Jedermann, obgleich er die Lehre der Nothwendigkeit ohne Zaudern in seinem Handeln und in seinem Denken anerkannt, doch so schwer sich entschliesst, sie in Worten anzuerkennen und zu allen Zeiten eher sich zur entgegengesetzten Meinung bekennt. Die Sache kann
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vielleicht so erklärt werden. W e n n man die Wirksamkeit der Körper und die Hervorbringung der Wirkungen aus ihren Ursachen untersucht, so findet sich, dass all unser Denken uns in der Kenntniss dieser Beziehung nicht weiter bringt als zu der einfachen Bem e r k u n g , dass gewisse Dinge beständig miteinander verbunden sind, und dass die Seele durch einen gewohnten Gedankengang bei dem Eintritt des einen zum Glauben des andern bestimmt wird. Obgleich dies Ergebniss menschlicher Unwissenheit sich aus der genauesten Untersuchung der F r a g e ergiebt, so neigen die Menschen doch sehr zu der Meinung, dass sie tiefer in die Kräfte der Natur eindringen und etwas gleich einer nothwendigen V e r k n ü p f u n g zwischen Ursache und Wirkung erkennen. W e n d e n sie sich dann zur Betrachtung der Vorgänge in ihrer eigenen Seele und fühlen sie da keine solche Verknüpfung zwischen Beweggrund und Handlung, so entnehmen sie daraus, dass ein Unterschied in den Wirkungen besteht, je nachdem sie aus körperlicher Kraft oder aus Gedanken und Einsicht entspringen. Ist man aber einmal überzeugt, dass man nichts weiter von der Ursächlichkeit jeder Art k e n n t , als blos die beständige Verbindung von Dingen, und folgeweise die Folgerung von dem Einen auf das Andere in der Seele, und findet m a n , dass diese zwei Umstände allgemein bei Handlungen statt h a b e n , so wird man geneigter sein, auch hier dieselbe Nothwendigkeit wie bei allen Ändern Ursachen anzuerkennen« . . . . »Das Ueberwiegen der Lehre von der Freiheit lässt sich aus einem andern G r u n d e erklären; nämlich aus einer falschen Empfindung oder anscheinenden W a h r n e h m u n g von einer Freiheit oder Willkür bei vielen unserer Handlungen. Die Nothwendigkeit eines Geschehens, sei es in der Natur oder in der Seele, ist eigentlich keine Bestimmung in dem wirkenden, sondern in d e m denkenden oder verständigen W e s e n , welches das Geschehen betrachtet; sie besteht wesentlich in der Nöthigung des Denkens bei dem Schluss von vorhergehenden Dingen auf den Eintritt dieses Geschehens. Deshalb ist die Freiheit als Gegensatz der Nothwendigkeit nur das F ü h l e n , dass diese Nöthigung hier fehlt und eine gewisse Ungebundenheit und Unbestimmtheit, die man bei dem Uebergehen oder Nichtübcrgehen von der Vorstellung eines Dinges zu der eines folgenden empfindet. Obgleich man bei der B e t r a c h t u n g des menschlichen Handelns selten eine solche Ungebundenheit und Unbestimmtheit empfindet, sondern meist mit ziemlicher Gewissheit aus den Beweggründen und Neigungen des Handelnden auf sie schliessen kann, so trifft es sich doch o f t , dass man bei dem e i g e n e n H a n d e l n etwas dem Aehnliches empfindet. Da nun das Giiring
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Aehnliche leicht verwechselt wird, so hat man diesen Umstand für einen vollen, ja anschaulichen (intuitiven) Beweis der menschlichen Freiheit genommen. Wir fühlen, dass unsere Handlungen in der Regel von unserem Wollen abhängen und meinen zu fühlen, dass der Wille selbst von nichts a b h ä n g t ; denn wenn dieses bestritten wird, macht man den Versuch und b e m e r k t , dass er sich leicht nach jeder Richtung hinwendet und ein Bild von sich (oder eine Velleität, wie die Schule sagt) selbst nach der Seite hin, wo er nicht bleibt, erzeugt. Nun meint m a n , dass dieses Bild oder diese vermeintliche Bewegung zu dieser Zeit in der Sache selbst hätte vollführt werden können; weil m a n , wenn es bestritten wird, bei einer zweiten Probe findet, dass man es jetzt kann. Man bedenkt nicht, dass hier der phantastische W u n s c h , die Freiheit darzulegen, der Beweggrund des Handelns ist. W e n n wir auch uns einbilden, in einem solchen Falle die Freiheit in uns zu fühlen, so kann doch sicherlich ein Zuschauer dies Handeln aus unserem Charakter und Beweggrunde folgern, und ist dieses nicht, so weiss er doch, dass er es vermöchte, wenn er vollständig mit den Umständen und unserem T e m p e r a m e n t und mit den -geheimen Triebfedern unserer Natur und Stimmung bekannt wäre. Das ist aber die wahre Bedeutung der Nothwendigkeit nach der oben gegebenen Lehre.« Bardiii a. a. O. weist die Ergebnisse des unmittelbaren Bewusstseins von der wissenschaftlichen Untersuchung unserer Dinge als unzureichend und irreleitend a b , da sie nach ihm nur die Wirkungen, nicht aber die sie bewirkenden Ursachen aufweisen. »Wenn wir w o l l e n , so werden wir uns in demselbigen Augenblicke auch dieses Wollens b l o s a l s e i n e s W o l l e n s (seiner F o r m nach) — m i t hin als einer blossen Willkür, nicht aber der es bewirkenden Kraft (seiner Materie nach) bewusst . . . . Es ist mir an sich ganz gleichgültig, ob ich rechts oder links in meinem Zimmer auf und nieder g e h e , jedoch entschliesse ich mich diesmal rechts zu g e h e n . . Will ich nun bei dem stehen bleiben, was von diesem Entschlüsse im Augenblicke seines Entstehens in meinem Bewusstsein vorkommt, So finde ich darin nichts von ihm ausgedrückt als seine F o r m : mein Bewusstsein sagt mir nichts weiter hierüber, als: ich ging rechts, weil ich rechts gehen w o l l t e . Es kann dcmnach vermöge der Natur meines Bewusstseins nicht anders sein, als dass mir mein Entschluss eben als ein Entschluss, mein Wollen als ein Wollen dargestellt wird, und wie es mir geht, so geht es in gleichen Fällen allen Menschen etc.« H e r b a r t misst das Bewusstsein der Freiheit und Unfreiheit mit
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doppeltem Maasse, indem er erklärt IX. 262: »Wer sich für unfrei hält, ist es — W e r sich für frei hält, ist es darum noch nicht.« Sigwart »Das Problem von der Freiheit und Unfreiheit des menschlichen Wollens« S. 100 glaubt zwischen Selbstthätigkeit und Bewusstsein derselben einerseits, und Freiheit undBewusstsein der Freiheit andererseits scharf unterscheiden zu müssen. Dieses letztere schlösse in sich, dass unser Wollen und Handeln auch nicht durch innere sogenannte psychologische Momente bestimmt sei und wir auch von dieser Unbestimmtheit Bewusstsein haben. »Dieses Bewusstsein haben wir aber unmittelbar nicht und können es unmittelbar nicht haben, und es ist eine psychologische Täuschung, wenn man sich für die Freiheit auf das unmittelbare Bewusstsein, auf die innere Erfahrung beruft. Denn wenn diese Erfahrung nicht eine oberflächliche ist, sondern auf genauer und gründlicher Selbstbeobachtung beruht, so zeigt schon sie, dass viele, wohl die meisten unserer Handlungen die nothwendigen Folgen unseres inneren Zustandes und unserer inneren Verfassung sind, der unwillkürliche Ausdruck irgend einer bestimmten Beschaffenheit und Richtung unseres geistigen Lebens, von welcher wir gar oft nicht einmal Rechenschaft geben können, wie wir dazu gekommen sind . . . . Gesetzt aber auch, wir seien uns solcher innerer Bestimmungsgründe nicht bewusst, so ist in jedem Falle der Schluss von dem Mangel des Bewusstseins auf das Nichtvorhandensein ungültig . . . . Jener psychologischen Täuschung setzt man die einfache Ueberzeugung entgegen, dass doch wohl Niemand noch anders gehandelt hat als wie e r i s t — nach seinem wesentlichen Charakter und seiner augenblicklichen Stimmung. Endlich aber ist besonders darauf hinzudeuten, dass gerade d a , w o die vollkommenste, entschiedenste innere Determination ist, auch das vollkommenste entschiedenste Gefühl der Freiheit sein müsste, vorausgesetzt, dass man von jener Determination kein Bewusstsein hätte.« Diesen letzteren Gedanken findet Sigwart zum Ausdruck gebracht in den oben angeführten Vergleichungen mit dem Stein, der Magnetnadel und der Windfahne bei Spinoza, Leibniz und Bayle. S c h o p e n h a u e r »über die Freiheit des Willens« S. 4 1 will «die Entstehung des so wichtigen Irrthums«, als ob in unserem Selbstbewusstsein die Gewissheit einer Freiheit unseres Wollens liege, »dadurch aufs Deutlichste erläutern, dass er uns einen Menschen vorführt, der etwa auf der Gasse stehend zu sich sagte«: »»Es ist 6 Uhr A b e n d s , die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spaziergang machen; oder ich kann in den Club gehen; ich kann auch auf den Thurm" steigen, die Sonne untergehen zu sehen; ich 5*
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kann auch ins Theater gehen; ich kann auch diesen oder aber jenen Freund besuchen; ja ich kann auch zum T h o r hinauslaufen in die weite Welt und nie wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause zu meiner Frau.«« Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: »»Ich kann hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meer und Sturm), ich kann reissend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Stromes), ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (ja! nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die L u f t steigen ( j a ! nämlich im Springbrunnen), ich kann endlich gar verkochen und verschwinden (ja! bei 80 Grad Wärme); thue jedoch von dem Allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig u n d klar im spiegelnden Teiche.«« Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder Andern eintreten; ebenso kann jener Mensch, was er zu thun können wähnt, nicht anders als unter derselben Bedingung etc.« Demgemäss findet Schopenhauer, dass wohlbegründete Wahrheiten, wie die von der strengen Necessitation aller Willensakte von den Aussagen des »einfältigen Selbstbewusstseins« nicht weiter angefochten werden. S c h ö l t e n a. a. O. S . 99 fragt ganz ähnlich: »Wo soll es hinaus in dem Reiche der Wahrheit, wenn eine einfache B e r u f u n g auf Gefühl oder Bewusstsein jeden Beweis zu ersetzen v e r m a g , und wenn einem Jeden auch gegen die deutlichsten Beweise des Gegentheils das Recht zugestanden wird, etwas als Wahr zu setzen einfach deshalb, weil er sagt, er sei sich dessen innerlich bewusst? Welchen Irrthum giebt e s , der auf solche Weise nicht zur Wahrheit gemacht werden k a n n , oder was ist einem Mystiker zu antworten, wenn er sich nicht auf B e w e i s e , sondern auf sein Bewusstsein beruft, dass Gott ihm gebe diese Dinge also zu glauben? Ist denn nicht solch ein subjektives Sichbewusstsein die Ursache einer Menge verkehrter Meinungen und Handlungen auf religiösem und sittlichem Gebiete gewesen, von welchen später durch vernünftige Einsicht klar geworden ist, dass sie auf Selbstbetrug beruhten? Allein das Bewusstsein, dass wir mit Freiheit wollen, ist a l l g e m e i n . Wenn indess diese Allgemeinheit auch zugegeben werden miisste, so entscheidet sie doch nichts. Auch das Bewusstsein, dass der Mensch aus zwei Substanzen dualistisch zusammengesetzt sei, war allgemein, dennoch beweist die Wissenschaft das Gegentheil. J e allgemeiner etwas anerkannt wird, desto grösser ist die .Gefahr, dass, wenn die allgemeine Anerkennung sich selbst nicht gehörig
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'Rechenschaft geben kann, das Erkannte nicht wahr sei. Nur Wenige sind im Besitze der Wahrheit. Ein Entscheiden der Wahrheit selbst durch allgemeines Stimmrecht kann hier nicht zugelassen werden, und Galilei bleibt gegen das allgemeine Bewusstsein, d. h. gegen den Selbstbetrug seines Jahrhunderts fest dabei stehen, dass die E r d e sich um die Sonne bewege! Allein ruht denn das Bewusstsein im Sinne des Indeterministen frei zu sein auch auf Selbstbetrug? Ich glaube, dass schon das Beispiel vom A u f h e b e n der rechten und linken Hand (Vergl. S. 98) vollständig bewiesen hat, wie Jemand sich einbilden kann, frei gewollt und gehandelt zu haben, obgleich er in seinem Wollen ganz und gar determinirt war. Doch woher dieser Selbstbetrug? Kctfni er psychologisch erklärt werden? Gewiss. Derjenige, welcher uns versichert, dass er sowohl die eine als die andere Hand aufheben könne, redet die Wahrheit, insofern er durch das Thun oder Lassen thatsächlich beweist, dass er das Vermögen zu beiden hat, und dass er nicht ein Wesen ist, das, in seinen Muskeln erlahmt, ausser Stande ist, die Hand aufzuheben. Wenn er auch in dem einen Augenblick unterlassen hat, die rechte Hand aufzuheben, so hat er doch das Bewusstsein und zwar mit R e c h t , dass er diese ebensogut wie die Linke erheben könne. Wenn er jedoch zugleich behauptet, ich würde sie auch in demselben Augenblicke haben aufheben können, so versteckt sich da der Selbstbetrug. Weil er im Allgemeinen das Vermögen hat, die Hand zu erheben oder nicht, konnte er darum auch w o l l e n , sein physisches Vermögen in jenem Augenblicke zu gebrauchen? Nein, denn in jenem Augenblicke war sein Wille durch die Neigung, von seiner Freiheit einen Beweis zu geben, determinirt. Der Fehler liegt hier darin, dass diese Person sich einbildet, was sie im Allgemeinen unter andern inneren und äusseren Umständen wollen kann, das hätte sie unter d i e s e n bestimmten inneren und äusseren Umständen ebenso wollen können. Nicht anders steht es im Sittlichen etc.« S. 1 0 4 : »Wie wenig die Berufung auf unser Bewusstsein für das Dasein des freien Willens entscheidet, fallt ins A u g e , wenn man bedenkt, dass dieses Bewusstsein nicht von einigen T h a t e n , sondern von jeder T h a t , die mit Bewusstsein begangen wird, uns verkündigt, dass wir sie in diesem Augenblick, wenigstens was unsern Willen betrifft, auch hätten unterlassen können. Man frage Jemand, der Jahr und T a g gewohnt war, am Zaune seines Nachbars Aepfel zu stehlen, o b , als er es das letzte Mal gethan, er dies thun musste, und nicht auch hätte lassen können, und umgekehrt frage man einen
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ehrlichen Mann, ob er nicht ebenso gut auch anders hätte handeln können, so werden beide antworten: Wir haben mit freiem Willen gehandelt und sind uns dessen bewusst.« Vom materialistischen Standpunkte aus führt das Bewusstsein der Freiheit des Willens im Sinne der Willkür auf die Unkenntniss der Ursachen zurück K n a p p , »System der Rechtsphilosophie« S. 68 ff. »Die Denkoffenbarungen werden so lange — aber auch nicht weiter — unbegriffen und für den Wundergläubigen ein Wunder sein, als dem Auge die Verwickelung der Nervenröhren eine labyrinthische bleibt. Diese anatomische, also auch nur mit Scalpell und, Mikroskop tilgbare Unwissenheit wird bei den Affecten gleichgültig hingenommen, nicht aber bei den.Handlungen, indem hier das phantastische Denken eine verdeckende Ersatzeinbildung — der W i l l k ü r — schafft. Weil nämlich eine jede Handlung ihrer Natur nach stets bewusst geschieht, so wird das Bewusstsein für ihre Quelle und zureichende Ursache gewonnen und so die phantastische Vorstellung der Willkür erzeugt, die, da sie ein lösbares Räthsel in ein unlösbares verwandelt, beruhigend auf das einheitseilige Denken wirkt. Die Willkür ist ein unentbehrlicher Ausdruck für die unumgängliche Bezeichnung des weitgreifenden Unterschiedes, der zwischen den bewusst und den unbewusst verursachten Denkoffenbarungen waltet und somit die Handlung von den Affecten trennt. Die Annahme aber, dass die ursächliche Reihe, aus der das Handeln folgt, in dem Bewusstsein beginne, dass also dem Bewusstsein eine besondere ursprüngliche Kraft der Verursachung, und dass demnach dem Handeln Unabhängigkeit von dem Gesammtstoss der Ursachen zukomme, ist nichts als die phantastische Potenzirung jenes wirklichen Unterschiedes von Affect und Handlung, aus dem hier gerade so die Vorstellung der Willkürlichkeit gebildet wird, wie aus der körperlichen Unbetastbarkeit die geistige Immaterialität. Die Willkür bezeichnet daher in Form einer groben Beiseitsetzung der feinsten physiologischen Fragen doch nur einen allbekannten Unterschied, der, weil er sich schon in der Kindheit aufdrängt, diese unklare, doppelzüngige Auffassung der Willkür zu der verdächtigen Rangesstufe der angeborenen, durch sich selbst klaren Ideen erhebt. Wer dieser Meinung, wie jetzt noch die besten Leute thun, aus gedankenloser Unbefangenheit nachschleicht, der wird bei dem ersten Aufblitz eines naturumfassenden Denkens erkennen, dass nichts so nothwendig ist als die Nothwendigkeit, dass also jene Willkür Einbildung ist; wer aber noch geflissentliche Worte für das Phantasma
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der Willkür macht, dem kann nicht durch örtliche Behandlung, sondern nur — wenn überhaupt von Grund aus geholfen werden . . . . In der phantastischen Willkür steckt ein doppelter Irrthum; einmal indem sie das Bewusstsein für die Quelle der bewussten Handlungen nimmt, während doch dieses nur eine begleitende Erscheinung ist; sodann, dass sie die Bildung der Vorstellungen, die gesetzroässig durch äussere Reize und durch Association geschieht, wegen Verwickelung dieser Gesetze für ungesetzmässig hält. V o m psychiatrischen Standpunkte aus widerlegt die Beweiskraft des Bewusstseins der Freiheit apagogisch Maudsley »Physiologie und Pathologie der Seele« S. 1 5 3 : »Wann sind die Menschen am festesten überzeugt, dass sie mit voller Willensfreiheit sprechen und handeln? Wenn sie betrunken oder irrsinnig sind oder träumen. Man kann daraus den höchst bemerkenswerthen Schluss ziehen, dass sich die Menschen dann für am freiesten halten, wenn sie am meisten Sklaven sind. Ein Individuum urtheilt über denselben Gegenstand sehr verschieden im trunkenen und im nüchternen Zustande; ist es aber seinem eigenen Ermessen nach weniger frei zur Zeit des Urtheilsr Leidenschaften verkehren anerkanntermassen das Urtheil, indem sie es nach dieser oder jener Richtung hin bestechen. Wird es aber Jemand gelingen, von einem leidenschaftlich erregten Menschen das Geständniss zu erlangen, dass er mit vollkommener Willensfreiheit handele? Man lege dieselben Argumente einem Menschen vor, der durch irgend ein freudiges Ereigniss erhoben und einem andern, der durch ein trauriges niedergedrückt ist, einem, der sich im Vollgenusse seiner Gesundheit befindet, und einem andern, der auf dem Krankenlager oder gar dem Todtenbette liegt, wie verschieden werden ihre Urtheile ausfallen: Doch was Andere darüber sagen m ö g e n , Jeder wird in dem betreffenden Moment seinen Schluss für richtig halten, wie auch ein Schlafender vollkommen von der Realität seiner T r ä u m e überzeugt ist. Ein Sachkundiger kann oft mit Sicherheit voraussagen, wie ein Irrer unter gewissen Verhältnissen handeln wird mit derselben Sicherheit, mit der man nach bekannten Naturgesetzen gewisse Ereignisse voraussagen kann, und doch hält sich wohl Niemand für so frei wie ein Irrer. Woher kommt aber diese falsche Meinung? Sie kommt einfach daher, dass das Bewusstsein nur den momentanen Zustand der Seele enthüllt, nicht aber die lange Reihe der Ursachen, von denen jener abhängig ist. E s ist eine absichtliche Selbsttäuschung, zu sagen, dass die Handlungen vom Willen abhängig sind und dann nicht auch zu fragen, wovon
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der Wille abhängt . . . . Wie wir in der Natur von einem Ereigniss ' auf eine Ursache und von dieser wieder auf eine vorausgehende schliessen und so fort, bis wir zu einer ersten Ursache gelangen, so ergiebt uns eine richtige Beobachtung der Seele, dass sie zu diesem oder jenem Willensakt durch diese oder jene Ursachen bestimmt wird, diese wieder durch andere und so fort, bis wir die ganze Reihe von Begehrungen, A b n e i g u n g e n , Hoffnungen und Befürchtungen durchgemacht haben, deren Endresultat die Ueberlegung ist, die dem letzten Begehren oder Widerstreben, das wir einen Willensakt nennen, vorausgegangen ist. Diejenigen, die fest glauben, mit freiem Willen zu handeln, sagt Spinoza, träumen mit offenen Augen«. J . C. Fischer: »die Freiheit des menschlichen Willens und die Einheit der Naturgesetze« S . 160 modificirt das Bewusstsein der Freiheit folgendermassen: »Der Wille, soweit das unaufgeklärte Bewusstsein die Vorstellung einer besonderen K r a f t damit verbindet, ist lediglich das Bewusstsein des K ö n n e n s ; das Bewusstsein* von d e m , was wir kraft unserer körperlichen und geistigen Beschaffenheit auszuüben vermögen; das Bewusstsein von den im L a u f e des Lebens uns erworbenen und angeeigneten Fähigkeiten; das Bewusstsein von d e m , was wir schon geübt und was wir glauben, bei jeder Gelegenheit wieder üben zu können. Dies ist wohl die richtige Interpretation dessen, was im Bewusstsein der Menge als Wille lebt. Wir finden in uns, wenn wir genau zusehen, das Bewusstsein nicht der Freiheit unseres Wollens, sondern der Freiheit unseres Könnens.« — Andere Beweise für den freien Willen widerlegt Schölten a. a. so den aus dem Selbstbewusstsein S. 105 — 1 0 7 , den aus dem griff des Willens S. 1 0 8 — 1 1 1 , den aus dem Bestehen der Idee freien Willens S . 1 1 1 — 1 1 2 , den aus der L e h r e von den freien sachen S. 1 1 4 — 1 1 9 . —
O., Bedes Ur-
In naher Verbindung mit dem direkten Bewusstsein der Freiheit stehen einige andere sogenannte Thatsachen des Bewusstseins, welche auf die Nothwendigkeit, die Freiheit des Willens anzunehmen, hinführen sollen, und häufig als indirekte Beweise für dieselbe vorgebracht werden. Hierher gehören die Thatsachen der Zurechnung, der Eigenmächtigkeit und Verantwortlichkeit, welche die menschsichen Handlungen begleiten, sowie Schuld und Verdienst, L o b und T a d e l , ferner Gewissen und Reue. Schon B e r k e l e y behauptet, die Begriffe von Schuld, Verdienst u. s. w. gingen im menschlichen
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Geiste allen Untersuchungen voran, und deshalb sei der Mensch zurechnungsfähig und frei. S c h o p e n h a u e r hat im Anschluss an Kant die Verantwortlichkeit des Menschen zwar nicht als Erscheinung, aber auf Grund seines intelligiblen Charakters gelehrt: S. Grundlage der Moral S. 1 7 5 : »Es bleibt w a h r , dass unsere Handlungen von einem Bewusstsein der Eigenmächtigkeit und Ursprünglichkcit begleitet sind, vermöge dessen wir sie als unser Werk erkennen, und jeder mit untrüglicher Gewissheit sich als den wirklichen Thäter seiner T h a t e n , und für dieselben moralisch verantwortlich fühlt. D a nun aber die Verantwortlichkeit eine Möglichkeit anders gehandelt zu haben, mithin Ereiheit auf irgend eine Weise voraussetzt, so liegt im Bewusstsein der Verantwortlichkeit mittelbar auch das der Freiheit. Zur Lösung dieses aus der Sache selbst hervorgehenden Widerspruchs ward nun Kants tiefsinnige Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, welche der innerste Kern seiner ganzen Philosophie und eben deren Hauptverdienst ist, der endlich gefundene Schlüssel« S. 7 7 : »dem gegebenen Individuo ist in jedem gegebenen einzelnen Falle schlechterdings nur E i 11 e Handlung möglich: operari sequintur esse. Die Freiheit gehört nicht dem empirischen, sondern allein dem intelligiblen Charakter an. Das operari eines gegebenen Menschen ist von Aussen durch die Motive, von Innen durch seinen Charakter nothwendig bestimmt: daher Alles, was er thut, n o t wendig eintritt. A b e r in seinem esse, da liegt die Freiheit. E r hätte ein Anderer s e i n können: und in dem, was er i s t , liegt Schuld und Verdienst. Denn Alles, was er thut, ergiebt sich daraus von selbst als ein blosses Corollarium . . . . S o strenge auch die N o t w e n d i g k e i t ist, mit welcher bei gegebenem Charakter die Thaten von den Motiven hervorgerufen werden, so wird es dennoch keinem, selbst dem nicht, der hiervon überzeugt ist, je einfallen, sich dadurch disculpiren und die Schuld auf die Motive wälzen zu wollen: denn er erkennt deutlich, dass hier der Sache und den Anlässen nach, also objective, eine ganz andere, sogar eine entgegengesetzte-Handlung sehr wohl möglich w a r , ja eingetreten sein würde, wenn nur E r ein anderer gewesen wäre. D a s s aber er, wie es sich aus der Handlung ergiebt, ein solcher und kein anderer ist, — das ist e s , wofür er sich verantwortlich fühlt: hier im esse liegt die Stelle, welche der Stachel des Gewissens trifft. Denn das Gewissen st eben nur die aus der eigenen Handlungsweise entstehende und mmer intimer werdende Bekanntschaft mit dem eigenen Selbst. Daher wird vom Gewissen zwar auf Anlass des operari doch eigent-
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lieh das esse angeschuldigt. Da wir uns der Freiheit nur mittelst der Verantwortlichkeit bewusst sind, so muss, wo diese liegt, auch jene liegen: also im esse. Das operari fällt der Nothwendigkeit anheim. Aber wie die andern, so lernen wir auch uns selbst nur empirisch kennen, und haben von unserem Charakter keine Kenntniss a priori. Vielmehr hegen wir von diesem ursprünglich eine sehr hohe Meinung, indem das quisque praesumitur bonus, donec probetur contrarium, auch vor dem innern F o r o gilt«. Diese Erörterungen Schopenhauers führen uns diejenigen Gesichtspunkte vor, welche für die Lösungsversuche unseres Problems in erster Linie massgebend zu sein pflegten, und gewähren dadurch einen deutlichen Einblick in die eigenthümlichen Verwickelungen, von welchen die Behandlung der Frage gedrückt wird. Auf den ersten Blick erscheint die Heranziehung so vieler Momente und ihre Verwendung befremdlich: Zurechnung und Verantwortlichkeit, Reue und Gewissen sollen dem Problem der Freiheit des Willens nicht nur nicht fremd sein, sondern im Gegentheil die richtige Lösung desselben sichern. Indessen braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, dass in dem Begriffe der Freiheit von jeher ganz heterogene Dinge zusammengeworfen wurden, um den Zusammenhang von Zurechnung etc. mit ihm zu finden: die Selbstbestimmung und die F ä h i g k e i t d e r W a h l zwischen mehreren H a n d l u n g e n ist es, welche hier stets in Betracht gezogen worden ist. Mit dieser, für die gewohnte Auffassung geradezu selbstverständlichen Bestimmung ist nun wenigstens für den, welcher sich an den üblichen Wortlaut hält, sogleich eine weitere Verschiebung des Problems gegeben: aus dem rein subjectiven, innern Gebiete des W i l l e n s sind wir in das objektive Gebiet des H a n d e l n s übergetreten. In der T h a t ist es nicht die Freiheit des Willens, sondern die des H a n d e l n s , welche fast ausschliesslich den Gegenstand der Untersuchung bei Indeterministen und Deterministen gebildet hat; und hieraus ist weiter zu erklären, wie eine ganz einseitige und darum falsche Auffassung und Lösung des Problems den Beifall vieler Denker gefunden hat. Alle Handlungen sind, vom Standpunkte der praktischen Werthschätzung aus betrachtet, entweder nützlich oder schädlich, oder keins von beiden, indifferent; der von dieser allgemeinen Werthschätzung gewöhnlich getrennten, speciellen m o r a l i s c h e n Beurtheilung zu Folge sind sie entweder gut oder böse, oder keins von beiden, Adiaphora. Nun verlangt die Moral Unterlassung der bösen und Ausführung der guten Handlungen, wie auch im Allgemeinen der Mensch will, dass Andere ihm nützen, nicht aber schaden. Da nun offenbar die F r a g e
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nach der Freiheit oder Unfreiheit des Willens im üblichen Sinne ein eminent moralisches Interesse hat, so wurde demgemäss ihre Beantwortung gewöhnlich vom Standpunkte desselben aus versucht, die theoretisch nicht zu beseitigenden, theilweise entgegenstehenden Momente aber ignorirt. S o kam e s , dass die F r a g e , welche an sich rein theoretisch und durchaus allgemeiner Natur ist, auf das specielle praktische Gebiet der Moral beschränkt wurde, und sich allmälich ein Begriff von »moralischer Freiheit« entwickelte, welchen man mit seinem kontradiktorischen Gegentheil, der moralischen Nothwendigkeit, unbedenklich identificirte. Hierdurch aber wird der endlose Streit der Indeterministen und Deterministen der Hauptsache nach zum blossen Wortstreit, für welchen ihn schon Hume erklärte. Dies wäre nun freilich ohne die positive Auffassung des Freiheitsbegriffes nicht möglich gewesen. D a man aber beiderseits das moralische Interesse als letzten Zweck hatte, so brauchte man ein Doppeltes: die F r e i h e i t von unrrioralischen Einflüssen und die F ä h i g k e i t zu moralischen Handlungen, welche letztere sich leicht zur moralischen N o t h w e n d i g k e i t umgestaltete. J e nachdem nun Einer mehr die Freiheit von unmoralischen Einflüssen oder die Fähigkeit zu moralischen Handlungen in den Vordergrund stellte, hielt er sich selbst und wurde von Anderen für einen Indeterministen oder Deterministen gehalten. Denn beiden Parteien kam es ausschliesslich darauf a n , durch ihre Theorie die Moral, in concreto die Zurechnung und Verantwortlichkeit des Subjekts zu retten; wie sich j a jede Partei ausdrücklich rühmte, dies allein leisten zu k ö n n e n , während in der That keine von beiden dazu im Stande war. Dass es sich thatsächlich nur um die für die Praxis in Betracht kommende Seite der Frage handelte, geht am deutlichsten aus der Aufstellung der Lehre von der phänomenalen Unfreiheit und der i n t e l l i g i b l e n F r e i h e i t hervor, einer sonderbaren Verbindung von immanentem Determinismus und transcendentem Indeterminismus, welche lediglich den Zweck hatte, die absolute Zurechnung und Verantwortlichkeit zu sichern. Nur dieses grosse praktische Interesse überhaupt macht es einigermassen erklärlich, dass so viele bedeutende Denker in der Frage nach der Zurechnung sich in den stärksten Widersprüchen bewegen. Für Kant und die übrigen Anhänger der intelligibeln Freiheit sind freilich diese Widersprüche willkommen, da sie auf die /on vornherein beabsichtigte, transcendente Lösung führen. Daher rannte Kant mit voller Klarheit auseinandersetzen, dass man Hand: ungen" auch da zurechne, wo man es vernünftiger Weise nicht
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könne — und zwar aus einem Gesetz der V e r n u n f t : »ob man nun gleich die Handlung durch die Reihe bestimmender Ursachen bestimmt zu sein glaubt, so tadelt man nichts desto weniger den Thäter und zwar nicht wegen seines unglücklichen Naturells, nicht wegen der auf ihn einfliessenden Umstände, ja sogar nicht wegen seines vorher geführten Lebenswandels; denn man setzt voraus, man könne es gänzlich bei Seite setzen, wie dieser beschaffen gewesen, und die verflossene Reihe von Bedingungen als ungeschehen, diese That aber als gänzlich unbedingt in Ansehung des vorigen Zustandes ansehen, als ob der Thäter damit eine Reihe von F o l g e n ganz von selbst anhebe. Dieser Tadel begründet sich auf ein Gesetz der Vernunft, wobei man diese als eine Ursache ansieht, welche das Verhalten des Menschen unangesehen aller genannten empirischen Bedingungen anders habe bestimmen können und sollen etc.« Die hierin enthaltene Antinomie der theoretischen und praktischen V e r n u n f t ist am Klarsten formulirt worden von F o r b e r g »Ueber die Gründe und Gesetze freier Handlungen« S. 4 5 : »Die theoretische Vernunft besteht auf ihrem Rechte, überall und also bei freien Willenshandlungen nach zureichenden Gründen zu forschen. Wir erkennen dieses Recht wie billig an, wir zeichnen ihr den W e g v o r , den sie bei ihrem Forschen zu nehmen habe, kündigen ihr aber gleich im V o r a u s a n , dass sie einen W e g betrete, den es ihr unmöglich sei, jemals zu E n d e zu bringen. Die praktische Vernunft fordert die Rechtfertigung ihrer zurechnenden Urtheile, die sie allen Spekulationen zum Trotz weder gesonnen noch vermögend ist, aufzugeben«. Aehnlich Schelling »Ueber die menschliche Freiheit« S. 469: »Daher ohnerachtet der unleugbaren Nothwendigkeit aller Handlungen und obgleich jeder, wenn er auf sich aufmerksam ist, sich gestehen muss, dass er keineswegs zufällig oder willkürlich böse oder gut ist, der Böse z. B . sich nicht weniger als gezwungen vorkommt (weil Z w a n g nur im Werden, nicht im Sein empfunden werden kann), sondern seine Handlungen mit Willen, nicht gegen seinen Willen thut. Dass Judas ein Verräther Christi wurde, konnte weder er selbst, noch eine Creatur ändern, und dennoch verrieth er Christum nicht gezwungen, sondern willig und mit völliger Freiheit. S o Luther im Traktat de s e f v o arbitrio^ mit Recht, wenn er auch die Vereinigung einer solchen unfehlbaren Nothwendigkeit mit der Freiheit der Handlungen nicht auf die rcchte A r t begriffen. Ebenso verhält es sich mit dem Guten, dass er nämlich nicht zufällig oder willkürlich gut und dennoch so wenig gezwungen ist, dass vielmehr
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kein Z w a n g , j a selbst die Pforten der Hölle nicht im Stande wären, seine Gesinnung zu überwältigen. In dem Bewusstsein, sofern es blosses Selbsterfassen und nur idealisch ist, kann jene freie That, die zur Nothwendigkeit wird, freilich nicht v o r k o m m e n , da sie ihm wie dem Wesen vorangeht, es erst macht; aber sie ist darum doch keine T h a t , von der dem Menschen überall kein Bewusstsein geblieben; indem derjenige, welcher etwa, um eine unrechte Handlung zu entschuldigen, sagt: S o bin ich nun einmal, doch sich wohl bewusst ist, dass er durch seine Schuld so ist, so sehr er auch Recht hat, dass es ihm unmöglich gewesen anders zu handeln. Wie oft geschieht es, dass ein Mensch von Kindheit an zu einer Zeit, da wir ihm empirisch betrachtet kaum Freiheit und Ueberiegung zutrauen können, einen Hang zum Bösen zeigt, von dem vorauszusehen ist, dass er keiner Zucht und Lehre weichen w e r d e , und der in der F o l g e wirklich die argen Früchte zur Reife bringt, die wir im K e i m e vorausgesehen hatten; und dass gleichwohl Niemand die Zurechnungsfähigkeit derselben bezweifelt und von der Schuld dieses Menschen so überzeugt ist, als er es nur immer sein könnte, wenn jede einzelne Handlung in seiner Gewalt gestanden hätte. Diese allgemeine Beurtheilung eines seinem Ursprünge nach ganz bewusstlosen und sogar unwiderstehlichen Hanges zum Bösen als eines Actus der Freiheit weist auf eine That und also auf ein Leben vor diesem L e b e n hin, nur dass es, nicht eben der Zeit nach vorangehend gedacht werde, indem das Intelligibele überhaupt ausser der Zeit ist. Weil in der Schöpfung der höchste Zusammenklang und Nichts so getrennt und nach einander ist, wie wir es darstellen müssen, sondern im Früheren auch schon das Spätere mitwirkt und Alles in Einem magischen Schlag zugleich geschieht: so hat der Mensch, der hier entschieden und bestimmt erscheint, in der ersten Schöpfung sich in bestimmter Gestalt ergriffen und wird als solcher, der er von Ewigkeit ist, geboren, indem durch jene That sogar die Art und Beschaffenheit der seiner Corporisation bestimmt ist«. IJ)urch diese L e h r e will Schelling »den grössten Anstoss in der Lehre der Freiheit, nämlich die angenommene Zufälligkeit der menschlichen Handlungen iin Verhältniss zu der im göttlichen Verstände zuvor entworfenen Einheit des Weltganzen beseitigt« haben. Schopenhauer, Freiheit des Willens S. 96: »Jenes von Kant dargelegte Verhältniss des empirischen zum intelligibeln Charakter beruht .ganz und gar auf dem, was den Grundzug seiner gesammten Philosophie ausmacht, nämlich auf der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich; und wie bei ihm die vollkommene
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empirische Realität der Erfahrungswelt zusammen besteht mit ihrer transcendentalen Idealität; ebenso die strenge empirische Nothwendigkeit des Handeln» mit dessen transcendentaler Freiheit. Der empirische Charakter nämlich ist, wie der ganze Mensch, als Gegenstand der Erfahrung eine blosse Erscheinung, daher an die Formen aller Erscheinung, Zeit, Raum und Kausalität gebunden und deren Gesetzen unterworfen: hingegen ist die als Ding an sich von diesen Formen unabhängige und deshalb keinem Zeitunterschiede unterworfene, mithin beharrende und unveränderliche Bedingung und Grundlage dieser ganzen Erscheinung sein i n t e l l i g i b l e r C h a r a k t e r , d. h. sein Wille als Ding an sich, welchem, in solcher Eigenschaft, allerdings auch absolute Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Gesetze der Causalität (als einer blossen Form der Erscheinungen) z u k o m m t . . . Vermöge dieser Freiheit sind alle Thaten des Menschen sein eigenes Werk; so nothwendig sie auch aus dem empirischen Charakter bei seinem Zusammentreffen mit den Motiven hervorgehen . . . Demzufolge ist zwar der Wille frei, aber nur an sich selbst und ausserhalb der Erscheinung; in dieser hingegen stellt er sich schon mit einem bestimmten Charakter dar, welchem alle seine Thaten gemäss sein und daher, wenn durch die hinzugetretenen Motive näher bestimmt, nothwendig so und nicht anders ausfallen müssen. Dieser Weg führt, wie leicht abzusehen, dahin, dass wir das Werk unserer Freiheit nicht mehr, wie es die gemeine Ansicht thut, in unsern einzelnen Handlungen, sondern im ganzen Sein und Wesen (existentia et essentia) des Menschen selbst zu suchen haben, welches gedacht werden muss als seine freie That, die blos für das an Zeit, Raum und Kausalität geknüpfte Erkenntnissvermögen in einer Vielheit und Verschiedenheit von Handlungen sich darstellt, welche aber, eben wegen der ursprünglichen Einheit des in ihnen sich darstellenden, alle genau denselben Charakter tragen müssen und daher als von den jedesmaligen Motiven, von denen sie hervorgerufen und im Einzelnen bestimmt werden, streng necessitirt erscheinen. Demnach steht für die Welt der Erfahrung das Operari sequitur esse ohne Ausnahme fest. Jedes Ding wirkt gemäss seiner Beschaffenheit, und sein auf Ursachen erfolgendes Wirken giebt diese Beschaffenheit kund. Jeder Mensch handelt nach dem wie er ist, und die demgemäss jedesmal nothwendige Handlung wird, im individuellen Falle, allein durch die Motive bestimmt. Die F r e i h e i t , welche daher im Operari nicht anzutreffen sein kann; m u s s im Esse l i e g e n . . . . A n d e m , w a s wir t l i u n , e r k e n n e n w i r , w a s w i r s i n d . Hierauf, und nicht auf den vermeinten libero
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arbitrio indifferentiae, beruht das Bcwusstsein der Verantwortlichkeit und die moralische Tendenz des Lebens. Es kommt Alles darauf an, was Einer i s t : was er t h u t , wird sich daraus von selbst ergeben, als ein nothwendiges Korollarium« etc. Diese »tiefsinnige« Lehre Kants, Schellings und Schopenhauers unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von allen andern transcendenten Lösungsversuchen philosophischer Probleme, welche die zu überwindenden Schwierigkeiten nicht beseitigen, sondern einfach weiter hinausrücken. Schopenhauer rühmt sich j a selbst, die Freiheit des Willens »nicht aufgehoben, sondern blos hinausgerückt« zu haben, eine Aeusserung, welche deutlich zeigt, dass auch hier nichts Anderes gethan, als der empirisch aufgenommene Bewusstseinsinhalt noch einmal gesetzt, und nichts weiter erreicht ist, als dass, um mit Hegel zu reden, eine Gosse konstruirt wurde, in welcher die ungelösten Widersprüche oder »Antinomieen« zusammenlaufen. Dass die Hypothese der intelligibeln Freiheit unbrauchbar ist, weil sie das nicht leistet, was sie leisten sollte, nämlich absolute Zurechnung und Verantwortlichkeit zu begründen, ist bereits früher schlagend erwiesen worden von Jacobi, Schleiermacher, Herbart und Romang, neuerdings wieder von Liebmann a. a. O. und J. B. Meyer in den »philosophischen Zeitfragen«. Durch die gründlichen Erörterungen dieser Denker ist sie als Theorie im Ganzen wohl als definitiv beseitigt zu betrachten, hat aber, wie jede von bedeutenden Männern aufgestellte Lehre, nachhaltige Wirkungen ausgeübt, welche erst noch im Einzelnen zu überwinden sind. Zunächst gab sie dem gewöhnlichen Determinismus eine wesentliche Stütze, welche er seitdem im Streit mit dem Indeterminismus stets gewissenhaft benutzte. Die Theorie von der Nothwendigkeit alles Geschehens, der alles beherrschenden Caüsalität und Naturgesetzlichkeit gewährte dem Determinismus eine theoretische Grundlage, deren er bis dahin entbehrt hatte, und verstärkte dadurch das Bewusstsein der Ueberlegenheit über die Gegner, welches den Deterministen stets eigen war. Vorher wussten sie sich nur in Uebereinstimmung mit der herrschenden Theologie; jetzt kam ihnen die theoretische Philosophie entgegen und lieferte ihnen Waffen, welche freilich für die praktischen Zwecke des gewöhnlichen Determinismus ohne transcendenten Indeterminismus allzu scharf waren. Die Vereinigung von absoluter Nothwendigkeit und absoluter Freiheit im empirischen und intelligibeln Charakter desselben Subjekts genügt, wie es ohne nähere Prüfung scheint, nicht nur allen Anforderungen der Moral aufs B e s t e , sondern hat auch den theoretischen Vorzug, dass ihre
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Vertreter den empirischen Thatsachcn keine Gewalt anzitthun brauchen und den Begriff der N o t w e n d i g k e i t in seinem für unsere F r a g e allein in Betracht kommenden natürlichen Sinne anwenden können, da die für die Zurechnung erforderliche, durch die Nothwendigkeit ausgeschlossene Freiheit anderweitig vollkommen gesichert ist. Dieses Vortheils entbehrten die Vertreter des üblichen Determinismus und mussten daher ihre Theorie mit den moralischen Postulaten auf andere Weise in Einklang zu setzen versuchen. Der Determinismus benutzt gewöhnlich verschiedene Arten der Nothwendigkeit bunt durcheinander; nur derjenigen sucht er auf alle Weise zu entgehen, welche er für seine Begründung der Zurechnung allein in Betracht ziehen sollte, nämlich der Nothwendigkeit im Sinne eines Z w a n g e s , welchem sich der Mensch nicht entziehen kann. Dies findet sich schon in verschiedenen Schriften des vorigen Jahrhunderts mit mehr oder weniger Naivität durchgeführt und reicht bis auf die unmittelbare Gegenwart. Ulrich, »Eleutheriologie oder über Freiheit und Nothwendigkeit« 1788, bezeichnet als einen Deterministen denjenigen, welcher lehrt, dass alles, was geschieht, seine entscheidenden Gründe habe; unter diesen letzteren versteht er solche, »auf welche, wenn sie sich mehrmals vollkommen so einstellten, auch immer ohne Ausnahme dasselbe erfolgen würde. Entscheidende Gründe setzen daher Einförmigkeit, Gesetzmässigkeit, Regelmässigkeit, Ordnung, Nothwendigkeit«. Hiernach sollte man nun doch gewiss erwarten, dass es sich um eine zwingende, absolute Nothwendigkeit handle; statt .dessen aber »lehrt der Determinist nur eine wahre, allgemeine, b e d i n g t e Nothwendigkeit«. D e m Indeterminismus, gegenüber macht er es sich sehr leicht. Dieser soll sich nämlich »einbilden, dass der menschliche Geist oder auch ein jedes vernünftige Wesen das Vermögen besitze, unter vollkommen denselben innern und äussern Umständen in vollkommen demselben ganz unverändert gedachten Zustande wollen und nicht wollen oder auch das Gegentheil von d e m , was er nun wirklich beschliesst, wollen zu können«. Die richtige Kritik, welche hier dem Missbrauch des Wortes »können« gegenüber geübt wird, fehlt leider ganz, w o es sich um den principiell gleichen Missbrauch des Begriffs der Nothwendigkeit handelt. Daher wird der Indeterminismus mit grosser Geringschätzung behandelt S. 102 ff.: »Der Indeterminismus hat nichts für sich, dagegen soviel wider sich. Denn er macht in A n sehung unserer Vorsätze und Iintschliessungen eine Ausnahme vom Grundsatz der entscheidenden Ursachen, ohne auch nur einen Grund fiir sich zu haben lind handelt also gegen eine gesunde Vernunftlehre.
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E r kann ferner weder die göttliche Freiheit, noch das untrügliche göttliche Vorhervvissen nebst der Wahrscheinlichkeit der Vorsehung, ja nicht einmal die Aussicht auf Bestätigung im Guten in der Ewigkeit retten. Endlich führt er auf praktischem Gebiete zum Leichtsinn durch seine Behauptung, dass wir jedes Mal K r a f t genug hätten, auch den allerstärksten und wirksamsten Bewegungsgründen geradezu und unmittelbar zu widerstehen. — »Ganz anders der Determinist. Der vernünftige und sich selbst verstehende Determinist hat alle diese Gründe nicht wider sich und noch vieles Andere für sich«. E r bleibt dem Grundsatze entscheidender Ursachen auch auf dem Gebiete des menschlichen Handelns getreu, und keine Erfahrung ist möglich, die ihn nöthigen könnte, eine Ausnahme davon zu machen. Seine Lehren stimmen mit Religion und Sittlichkeit auf das Vollkommenste überein; er weiss ohne die mindeste Schwierigkeit ganz untrüglich die geringsten Kleinigkeiten, auch den geheimsten Z u g unserer Gedanken und Begierden. Kein System beugt dem Leichtsinn in Ansehung unserer früh anzufangenden Besserung so kräftig vor als dieses; nur nach ihm ist Bestätigung im Guten zu seiner Zeit möglich. Der Determinist kann ins Besondere die Sittenlehren auf das Vollständigste ausüben: der Person Freund — der moralischen Mängel und Fehler abgesagte Feind. Kein pöbelhafter Unwille oder Hass und Rache kann sich seiner bemeistern; auch den Neid und alle Art von Unzufriedenheit mit dem L a u f der Dinge reisst er mit der Wurzel aus. E r legt den Grund zu einer befriedigenden Theodice und beruhigt endlich das Subjekt vollständig in Ansehung aller seiner Handlungen«. Bei diesen Vorzügen des Determinismus bleibt es nur wunderbar, dass es überhaupt noch Anhänger der entgegengesetzten Ansicht geben konnte. — Später wuchs die Zahl der Argumente auf beiden Seiten beträchtlich, sodass kaum ein Punkt zu finden sein dürfte, über welchen nicht mehr oder weniger Gründe nebst den entsprechenden Gegengründen vorgebracht wurden. Daher wurde es allmälich üblich, diese Gründe und Gegengründe zusammenzustellen, kritisch zu beleuchten und das Facit aus ihnen zu ziehen, das allerdings oft vor allen Gründen feststand. Eine der gründlichsten und scharfsinnigsten Abhandlungen über unsern Gegenstand, die bereits citirte Schrift von H. C. W. Sigwart vom Jahre 1 8 3 9 enthält unseres Wissens das Wesentlichste, was bis dahin von deterministischer wie indeterministischer Seite in das Feld geführt worden ist; auch der Inhalt vieler späterer Schriften geht in der Hauptsache nicht über sie Göring,
F r e i h e i t u. Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t .
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hinaus. Wir geben daher von ihrem reichlichen Material dasjenige, was für den empiristischen Standpunkt in Betracht kommt, an dieser Stelle wieder, weil gerade aus der gewissenhaften Darstellung und besonnenen Kritik Sigwart's sich am Deutlichsten das Resultat ergiebt, zu welchem er am, Ende selbst gelangt, dass nämlich der Streit unentschieden geblieben sei — ein Urtheil, dessen Unparteilichkeit um so mehr anzuerkennen ist, als Sigwart aus theologischen Gründen sich zum Determinismus bekannte. Hinsichtlich des Begriffes der Freiheit stimmen beide Parteien darin überein, dass die Freiheit schlechthin »unbegreiflich« sei; nur versteht jede Partei etwas Anderes unter dieser Unbegreiflichkeit. Die Indeterministen erklären sie für »unbedingt und nicht weiter ableitbar«, die Deterministen aber für »unbestimmt und undenkbar«, mithin für ein »Nichts oder ein schlechthin Zufälliges«. . Praktisch betrachtet, wäre diese Freiheit, sich ohne bewegende Gründe für A und non A entscheiden zu können, nur »ein Vorrecht, ganz unvernünftig zu handeln«. Die Indeterministen geben nicht die naheliegende Antwort, dass die meisten Handlungen zu der Annahme führen könnten, als ob man allgemein von jenem Vorrechte einen sehr ausgiebigen Gebrauch machte; sie behaupten nur, ihre Theorie sei durch jene Behauptung entstellt. Sie lehre gar nicht, dass das freie Wesen ohne Gründe und ohne Bewusstsein der Gründe wolle, sondern nur, dass, wenn Gründe im Bewusstsein vorhanden sind, das Wollen dadurch nicht nothwendig bestimmt, bewegt oder getrieben werde, etwa wie die Wagschale durch das darein gelegte Gewicht; die Gründe haben an und für sich kein Gewicht, sondern erst, wenn der Wille sich damit verbindet, und das sei Wahl, Willkür. Hierauf hat der Determinist es leicht, das Dilemma aufzustellen: entweder handelt der Mensch aus Gründen, dann ist er nicht frei — oder ohne Gründe, dann handelt er unvernünftig. Der Indeterminist wählt das Letztere und behauptet, auf Thatsachen gestützt, es gebe ein grundloses, unvernünftiges Wollen, und das sei eben das Wesen der Freiheit. Hiergegen hat der Determinist nichts Anderes als die Berufung auf die Praxis und fragt demgemäss, welchen Werth eine solche Freiheit habe? Sigwart kommt hier dem Determinismus mit einem theoretischen Argument zu Hülfe, ist aber darin nicht gerade glücklich: er behauptet, dass es ein Wollen ohne Gründe nicht geben könne, »weil dadurch das Leben des Geistes auf eine un- und widernatürliche Weise getheilt und zerrissen werdea. Die richtige Antwort auf diesen Einwand hat er später selbst gegeben, indem er S. 109 den Determinismus, der hier wohl auch
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Sigwarts Ansicht ausspricht, sagen lässt: »Die psychologische Wahrheit, von welcher als einer wohl allgemein zugegebenen ausgegangen Averden muss, ist, dass der Mensch verschiedene, zum Theil widerstrebende, entgegengesetzte Triebe hat, die sich, so zu sagen in zwei Partien theilen, auf der einen Seite der vernünftige sittliche T r i e b , auf der andern die sinnlich-egoistischen Triebe« etc. Man braucht nur den Gegensatz zum »vernünftigen Trieb« ausdrücklich aufzustellen, um sofort das oben von Sigwart geleugnete »unvernünftige Wollen« zu haben. Noch deutlicher heisst es S. 98: »Manche psychologische Erscheinungen lassen keinen Zweifel daran zu, dass auch ohne Vermittelung (bewusster) Vorstellungen, Gedanken, Gefühle aus dem Grunde der Seele ein Wollen hervorbricht«. S. 106: »Sofern der Mensch nicht nach blindem Triebe und Drange handelt (was übrigens auch vorkommt, nachdem sich das Selbstbewusstsein schon längst entwickelt hat) . . . .« Ebensowenig kommt es zu einer Entscheidung über diejenigen Thatsachen des Bewusstseins, welche i n d i r e k t zum Indeterminismus oder Determinismus führen sollen: dass der Mensch bereut, sich Vorwürfe macht, sich selbst als Urheber seiner Handlungen anklagt, sich dieselben zurechnet, und der Belohnung, wie der Strafe für würdig hält, suchen beide Parteien vergebens nur aus ihrer Theorie zu erklären. Die Deterministen nehmen hier ihre Zuflucht zur Beschränkung auf die Theorie, indem sie behaupten, die zwei Urtheile: eine Handlung ist nicht recht oder gut, und: die Handlung ist nothwendig, schlössen einander gar nicht aus. W o bleibt aber dabei die Zurechnung? — Wenn der Mensch glaubt, dass er dasjenige, was er nach seiner gegenwärtigen Ueberzeugung hätte thun oder lassen s o l l e n , auch hätte thun oder lassen k ö n n e n , so ist dies nach dem Determinismus eine psychologische Selbsttäuschung, die im Allgemeinen davon herrührt, dass er alle die innern und äussern Ursachen, die auf sein Thun und Lassen einwirkten, und den Einfluss derselben nicht gepau kennt und nicht richtig zu schätzen weiss, insbesondere aber darin liegt, dass er verschiedene innere Zustände und äussere Verhältnisse, namentlich den Zustand vor und während der Handlung und den nach der Handlung, mit einander verwechselt; und demnach oft meint, dass, was in dem einen möglich und wirklich ist, ebenso in dem andern möglich gewesen wäre. Daraus erklärt sich auch das Gefühl der Reue, welches in Absicht auf Vergangenheit auf einer psychologischen Selbsttäuschung beruht, aber in Absicht auf Zukunft zu jenen bewegenden inneren Ursachen gehört, wodurch der Mensch dem Ziele seiner Bestimmung entgegen6*
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geführt werden soll; daher man mit vollem Grunde sagt: Nur diejenige Reue sei von rechter oder vernünftiger Art, aus welcher gute Handlungen als ihre Früchte hervorgehen. Hiergegen fragt der Indeterminismus, was denn die Unterscheidung eines » S o l l e n s « von der Wirklichkeit noch für eine Bedeutung haben könne, wenn das Wirkliche nothwendig, und das Nothwendige wirklich sei? Damit drängt er seine Gegner zu dem Zugeständnisse: »Das Urtheil ist freilich nicht zulässig: ich h ä t t e anders handeln sollen; wohl aber das: i c h s o l l e i n A n d e r e r w e r d e n , ich b i n n i c h t , w a s ich w e r d e n soll«. Dabei bleibt aber die frühere Schwierigkeit ungelöst; sie ist nur aus dem Handeln in das Sein verlegt. Deshalb kann der Determinist mit dem moralischen Sollen konsequenter Weise überhaupt nichts anfangen und muss daher »alle moralische Beurtheilung menschlicher Gesinnungen und Handlungen, den Gegensatz zwischen Gut und Bös, aufheben«, was in der That auch in den deterministischen Systemen geschehen ist. Zum Schlüsse legt sich der Verfasser selbst die Frage vor, o b er denn glaube, den Widerstreit zwischen Determinismus und Indeterminismus auf eine allgemeine, für jeden denkenden Menschen überzeugende Weise entschieden zu haben? Auf diese Frage antwortet er ohne Zaudern und Bedenken mit: Nein! Dieses offene Zugeständniss eines über die Frage gründlich unterrichteten und sehr besonnen urtheilenden Deterministen ist das Vernünftigste, was von einem innerhalb der Parteien Stehenden über den Streit der Indeterministen und Deterministen jemals vorgebracht worden ist. — Aus dieser summarischen Uebersicht lässt sich die' nicht ganz leichte Begriffsbestimmung des Determinismus und Indeterminismus gewinnen, soweit beide nämlich noch an ihrem ursprünglichen Standpunkte konsequent festhalten: Als Determinist würde der zu bezeichnen sein, welcher die moralischen Thatsachen, Reue und Gewissen, und die moralischen Postulate, Zurechnungsfähigkeit und Verantwortlichkeit, nur unter der Voraussetzung der N o t w e n d i g k e i t des Handelns erklären und begründen zu können glaubt, während der Indeterminist genau dasselbe durch die Annahme der F r e i h e i t des Handelns leisten will. Die Methode der Behandlung ist auf beiden Seiten dieselbe, durch den allgemeinen Stand der früheren Forschung und Philosophie hinlänglich erklärte; der Mangel an speciellen wissenschaftlichen Untersuchungen, die ausschliessliche Anrufung allgemeiner metaphysischer Gründe, wie die Beschränkung auf das moralische Gebiet sind beiden gemeinsam.
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Dieser Grundcharakter des Determinismus und Indeterminismus hat sich aber nicht lange rein erhalten; im Verlaufe des Streites machten beide Parteien sich wesentliche Zugeständnisse, welche einem Aufgeben des ursprünglichen Standpunktes gleich kamen, wenn auch der Name noch lange beibehalten wurde. Anfänglich hatte man allgemein die Wahlfreiheit, unter der stets die Wahlfähigkeit verstanden wurde, als unentbehrlich für die moralische Zurechnung betrachtet; diese Wahlfähigkeit blieb insofern Freiheit, als sie ursprünglich durch k e i n e , später durch keine z w i n g e n d e n Gründe bestimmt sein sollte. Im ersteren Falle hatte man die absolute Freiheit des Willens gerettet, freilich um den Preis der Vernünftigkeit des Handelns, denn es war eine Freiheit von vernünftigen Gründen; im andern Falle gab man die Abhängigkeit von Gründen zu, hatte also keine absolute Freiheit des Handelns und damit auch des Wollens mehr, wodurch der gemässigte Indeterminismus mit einem gemässigten Determinismus bereits in Uebereinstimmung gesetzt war. Diese Uebereinstimmung wurde durch die Anforderungen der Moral noch sehr erweitert; die Wahlfähigkeit als Freiheit von unmoralischen Einflüssen genügte nicht, sie führte nur zur blossen M ö g l i c h k e i t des moralischen Handelns, wobei die Wahl auch nach der unmoralischen Seite fallen konnte. Man brauchte daher für die Moral N o t h w e n d i g k e i t , um zu erreichen, dass das Subjekt nicht anders als moralisch handeln könne. Durch diese Nothwendigkeit sind alle unmoralischen Handlungen ausgeschlossen, der Mensch ist f r e i von ihnen, und darin besteht die sittliche Freiheit, welche mit der sittlichen Nothwendigkeit zusammenfällt, Eins und dasselbe ist. Auch diese Identificirung von Freiheit und Nothwendigkeit findet sich schon bei Augustin, der zwischen der niederen Freiheit das p o s s e n o n peccare, der spätem indeterministischen Wahlfreiheit, und der höchsten sittlichen Freiheit des n o n p o s s e peccare unterscheidet. Auch Giordano Bruno, einer der Vorläufer der Identitätsphilosophie, stellte ausdrücklich den Satz auf: »necessitas et libertas sunt unurn«. Dass diese Coincidenz der Gegensätze sich auch bei Hegel und seiner Schule findet, kann nicht weiter befremden; auf einen präcisen Ausdruck hat sie Frauenstädt in der oben erwähnten Schrift gebracht S. 2 ff.: »Die Freiheit schliesst die Nothwendigkeit so wenig aus, dass sie vielmehr ohne dieselbe nicht gedacht werden kann . . . . Die absolute Nothwendigkeit ist von der Freiheit nicht verschieden . . . . Nur das absolut Nothwendige, oder, was dasselbe ist, das Freie . . . . Die wahre Nothwendigkeit ist dem-
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nach von der Freiheit nicht verschieden. Freiheit und N o t w e n d i g keit gehören untrennbar zusammen.« Schölten versucht sogar eine A r t von Begründung des Satzes, dass Freiheit und Nothwendigkeit identisch seien a. a. O. S. 57: »Die Freiheit, welche wir in verschiedener Hinsicht beobachtet haben, darin ein Wesen durch nichts, ebensowenig durch äussere Ursachen,, als durch einen inneren Mangel, gehindert wird, zu sein, was es nach Anlage -und Bestimmung sein soll. W o solche Hemmung nicht stattfindet, da wird die F r e i h e i t zugleich N o t h w e n d i g k e i t . Wird der Perpendikel nicht still gestellt, so bewegt er sich frei, aber gerade dadurch, dass er nicht gehindert wird, mit Nothwendigkeit. Dass der V o g e l ungehindert fliegen kann ist Freiheit; allein da das Fliegen in seiner Natur begründet ist, so ist es grade in dem Zustande der Freiheit unmöglich, dass er nicht flöge, und fällt die Freiheit zusammen mit der Nothwendigkeit. Der thierische Mensch als solcher ist frei, wenn er durch keine äusseren Ursachen abgehalten wird, seinen Lüsten zu folgen; allein, dass er ihnen in diesem bestimmten Zustande des thierischen Lebens folgt, geschieht doch wieder mit Nothwendigkeit. E r m u s s ihnen folgen. In diesem Zustande etwas Anderes von ihm zu verlangen, wäre ungereimt . . . . Das ungehinderte Vermögen des Verstandes zu erkennen, dass die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten sind, ist Freiheit, insofern keine äussere Macht uns mechanisch weder zwingen noch hindern kann, dies zu erkennen, und kein Mangel an Entwickelung des Verstandes die Erkenntniss davon beeinträchtigt. A u c h diese Freiheit wird, jedoch Nothwendigkeit; weil der Mensch bei einiger Entwickelung des Verstandes kraft seiner verständigen Natur diese Wahrheit erkennen muss. A u c h bei der sittlichen oder höchsten Freiheit, d. i. in dem Zustand, in welchem der Mensch seine sittliche Natur ohne Beeinträchtigung wirken lässt, werden Freiheit und Nothwendigkeit identisch . . . . Der sittliche Mensch ist zu einer solchen Höhe der Entwickelung gekommen, dass ihm das Thun des Bösen unmöglich geworden ist, nicht weil er es nicht will, sondern weil er es nicht wollen kann. Solche Nothwendigkeit ist deshalb die höchste Freiheit etc.« Diese A r t , den Streit des Determinismus und Indeterminismus zu schlichten, ist noch viel einfacher und durchschlagender, als die vermittelst der Hypothese der intelligibeln Freiheit. Nur k o m m t man damit durchaus nicht weiter, sondern ist gerade auf den Punkt zurückversetzt, wo man die Untersuchung der Frage von vorn anfangen muss. Denn dass ä u s s e r e Freiheit vorhanden sein muss,
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ehe man überhaupt über die Freiheit des Wollens und Handelns eine Untersuchung anstellen kann, versteht sich von selbst; ob aber aus der Naturanlage die einzelnen Handlungen mit Nothwendigkeit hervorgehen oder nicht, das ist eben der eigentliche Kernpunkt der Frage. »Spinoza nennt das sich von selbst verstehende Abfliessen, dass aus der Natur nothwendige Erfolgen, dem sich so gar nichts in den Weg stellt, — F r e i h e i t ; e r h ä t t e e s g e r a d e s o g u t N o t h w e n d i g k e i t n e n n e n k ö n n e n « (Baumann, die Lehren von Raum, Zeit etc. II. 229). Was Spinoza zu thun durch sachliche Gründe nicht verhindert gewesen wäre, das hat Schopenhauer wirklich gethan; der von ihm so oft nachdrücklich betonte Satz: »Operari sequitur esse«, auf dem Spinoza's »Freiheit« beruht, bildet den Mittelpunkt seines Determinismus. — Die oben zusammengestellten Argumente, mit welchen der Beweis fiir die Freiheit aus dem Bewusstsein derselben bekämpft wurde, erscheinen genügend, um die Frage als nach keiner Seite hin entschieden zu betrachten. Das naive Bewusstsein der Freiheit beweist nichts; soviel, aber auch nicht das Geringste mehr hat sich uns ergeben. Auch die Vorigen herangezogenen Thatsachen des Bewusstseins, der Zurechnung etc. ergeben dasselbe Resultat; sie beweisen weder die Freiheit nocla die Unfreiheit. Somit dürfen wir in die Untersuchung des einen Theils unseres Problems, der Frage nach der Freiheit eintreten, ohne von der psychologischen Thatsache des naiven Freiheitsbewusstseins einen präjudicirenden Einfluss nach irgend einer Seite hin befürchten zu müssen, da seine völlige Bedeutungslosigkeit für die wissenschaftliche Untersuchung wohl ausser Zweifel steht. Hinsichtlich des zweiten Theils, der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit, haben wir zunächst die entsprechende negative Aufgabe zu erfüllen, nämlich zu zeigen, dass die hierher gehörigen Aussagen des naiven Bewusstseins über Zurechnung und Verantwortlichkeit, Reue und Gewissen an wissenschaftlicher Bedeutung mit dem Bewusstsein der Freiheit ganz und gar auf einer Linie stehen. Die von Kant und den übrigen Anhängern der intelligibeln Freiheit so stark hervorgehobenen Widersprüche, in welche man durch die von Jenen als empirische Thatsache angenommene absolute Zurechnung gerathen soll, existiren allerdings, aber nur zum Theil und in ganz anderer Weise, und bedürfen zu ihrer Beseitigung keiner Anleihe an das Transcendente. Vor Allem ist die Behauptung grundfalsch, welche von Jenen als selbstverständlich angesehen wird, dass Jeder sowohl sich selbst als auch allen Andern ohne Ausnahme
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Alles zurechne. Dies setzt eine Consequenz des Denkens voraus, welche ohne gründliche Bildung von keinem Menschen erreicht w i r d ; daher zählt die grosse Mehrzahl Inkonsequenzen und »Widersprüche aller A r t zu ihrer täglichen Speise«. Diese Erfahrung allgemeiner Natur wird durch das Verhalten des naiven Bewusstseins bei der Zurechnung durchaus bestätigt; hier kann man täglich eine Inkonsequenz beobachten, welche mit grosser Regelmässigkeit stets wiederkehrt: der naive Mensch hat ein doppeltes Maass nicht nur für sich selbst und für A n d e r e , sondern auch noch für gute und schlechte Handlungen. Dies drängt sich sofort auf: schon Aristoteles hat die Beobachtung gemacht, dass man meist die für gut gehaltenen Thaten sich selbst zurechnet, die schlechten dagegen auf Rechnung des Zufalls setzt, während man bei der Beurtheilung anderer gerade umgekehrt verfährt. Abgesehen von dieser so zu sagen principiellen Inkonsequenz urtheilt man aber nun über die Handlungen Anderer gewöhnlich sehr konsequent, d. h. auf Grund derselben Voraussetzung, welche durch keine Erfahrung korrigirt wird, dass nämlich wenigstens die schlechten Handlungen Andern unbedingt zuzurechnen seien. Bardiii a. a. O. S. 2 1 sagt sehr richtig: »Je roher die Menschheit noch ist, desto unbarmherziger sind die Zumuthungen, die sie auf die Voraussetzung der Meisterschaft des Menschen über sich gründet, desto unbedingter richtet und desto rascher bestraft sie. W a s nicht schlechthin zum physischen Bedürfnisse desselben gehört, das wird, ohne die Möglichkeit sonstiger Bestimmungsgründe auch nur einer Ueberlegung zu würdigen, ganz allein als F o l g e seiner eigenen freiwilligen Wahl betrachtet, ja selbst seine physischen Uebel haben seinen unbedingt freien Willen zu ihrer ersten ursprünglichen und den Zorn des Himmels zu ihrer zweiten Quelle«. Ganz im Gegensatz dazu findet der Mensch bei seinen eigenen Handlungen stets irgend welche äussere oder innere G r ü n d e , aus welchen er die Verantwortlichkeit für dieselben, soweit sie einer Übeln Beurtheilung unterliegen, von sich abzuwälzen versucht. Abgesehen von der natürlichen Eigenliebe ist dies nun freilich zu einem guten Theile gewiss auf die bessere Einsicht in die treibenden Motive und begleitenden Umstände zurückzuführen, welche jeder bei sich selbst, wenn auch vielleicht nicht mit der wiinschenswerthen Klarheit und Vollständigkeit erkennt, während er sich kaum jemals die Mühe giebt, bei der Beurtheilung anderer die gleiche Rücksicht zu nehmen. In F o l g e dieses alltäglich oft genug zu konstatirenden Verfahrens verliert das Urtheil der grossen Menge über Schuld und Verdienst
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allen Anspruch, für die wissenschaftliche Untersuchung überhaupt in Betracht gezogen zu werden, wie dies bereits von Dittes in seiner gekrönten Preisschrift »über die sittliche Freiheit« S. 30 klar auseinander gesetzt ist. Er bemerkt hier sehr treffend, dass sich nicht blos fragen lässt: » W e m wird zugerechnet«, sondern auch: » W e r rechnet zu?« Er begründet dies damit, dass die Zurechnung im Bezug auf G l e i c h e s sich sehr verschieden gestaltet, wenn sie von verschiedenen Personen vollzogen wird. »Wir, d. h. jeder, der auf der Höhe praktischer Vernunft steht, rechnen dem Tiger seinen Blutdurst, dem Lamm seine Sanftmuth nicht zu; wir rechnen überhaupt blos zu, wo uns ein bestimmter Wille vorliegt. Aber das Kind, der Wilde, selbst die weniger Gebildeten inmitten unser civilisirten Gesellschaft urtheilen ganz anders. Das Spielzeug, der Stein, Unkraut und Weizen, nützliche und schädliche Thiere werden nicht blos als belebt, sondern auch als wollend, als gut und böse aufgefasst, gelobt, und belohnt, gehasst und gezüchtigt, wobei sich sehr häufig von Seiten der Zurechnenden ein hoher Grad persönlicher Theilnahme und Liebe, persönlicher Gereiztheit und Grausamkeit zu erkennen giebt«. Dem menschlichen Unverstände ist hier, wie überall, keine Grenze gesetzt, und so wird es wohl in der That kaum ejne noch so unfreiwillige Handlung, oder auch nur ein blosses Leiden und Dulden geben, welches nicht irgend einmal als Verdienst oder Schuld angerechnet würde. Ein drastisches Beispiel einer Zurechnung, welche absolut jedes Grundes entbehrt, hat Bahnsen aus einer Schülerarbeit beigebracht »Beiträge zur Charakterologie« I. S. 49: »Der Mensch wird überall zu wenig gefragt, ob er mit dem zufrieden, was mit ihm vorgenommen werden soll; er wird nicht einmal gefragt, ob er zur Welt kommen wolle oder nicht, und das ist ein grosses Uebel, denn man geräth in grosse Verlegenheiten, blos weil man auf der Welt ist, u n d a n d e r e L e u t e n e h m e n es e i n e m n o c h dazu übel«. Wenn der römische Dichter sagt: Genus et proavos et quae non fecimus ipsi, vix ea nostra puto,_so ist das nicht die Ansicht der Mehrzahl, konsequent aufgefasst nicht einmal die der meisten sogenannten Gebildeten. Die Regel ist vielmehr, dass man gerade solche Vorzüge und Mängel am höchsten anrechnet, bei welchen ihre Inhaber ganz und gar keine Mitwirkung für sich in Anspruch nehmen können. Beispiele und Belege hierfür beizubringen, hiesse Eulen nach Athen tragen, da man sich in unserer heutigen Gesellschaft kaum bewegen kann, ohne jene Erfahrung auf Schritt und Tritt zu machen. Man
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III. Indeterminismus und Determinismus.
darf daher behaupten^ dass die vom naiven Bewusstsein beliebte Art der Zurechnung eigener und fremder Handlungen auf jeder anderen Grundlage mehr beruht als auf der sachlichen, welche allein von der wissenschaftlichen Untersuchung zu berücksichtigen ist. — Mit der Zurechnung stehen die gewöhnlich auch herangezogenen Momente der R e u e und des G e w i s s e n s im engsten Zusammenhange, ebenso das meist von der Theorie nicht berücksichtigte, aber jn der Praxis wohl häufiger als die Reue anzutreffende Gefühl der Z u f r i e d e n h e i t m i t s i c h s e l b s t , welche das konträre Gegentheil der Reue ist. Allerdings umfasst das Gewissen mit der Reue auch die Zufriedenheit mit sich selbst, doch wird die letztere in der Regel nicht zum Gegenstand einer näheren Untersuchung gemacht. Rein theoretisch betrachtet sind Reue, Selbstzufriedenheit und das Gewissen als »richtendes und strafendes« nichts anderes als specielle Aeusserungen der allgemeinen Zurechnung: das naive Bewusstsein nimmt an, dass es zu jeder Zeit thun kann, was es will, aus freier Entschliessung alle seine Thaten thut. Das Gewissen im obigen Sinne urtheilt nun über die in der Vergangenheit vollendete That, dass der Mensch sie entweder thun sollte (Selbstzufriedenheit), oder nicht thun sollte (Reue). Das »Können« wird dabei gewöhnlich als selbstverständlich vorausgesetzt und zwar auch mit relativem Recht, nachdem es einmal in der Zurechnung als ein für alle Mal bestehend angenommen worden ist. Demnach bringen Reue, Selbstzufriedenheit oder das beide enthaltende Gewissen zunächst kein neues Moment für die Entscheidung unseres Problems, haben vielmehr ganz den gleichen wissenschaftlichen Werth wie die Zurechnung überhaupt. Doch haben sie nicht nur diese retrospektive Bedeutung, in welcher sie die Folgen einer Handlung für das Subjekt zum Gegenstand ihrer Kritik machen, sondern sie können einen entscheidenden Einfluss auf das zukünftige Verhalten des Subjekts gewinnen, und sind daher in dieser Beziehung von jeder Untersuchung über die Zurechnungsfähigkeit mit in Betracht zu ziehen. '
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
IV. Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes, des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, und ihrer wechsleseitigen Beziehungen. Die Hindernisse, mit welchen die Psychologie zu kämpfen hat, sind doppelter Art; äussere und innere Ursachen vereinigen sich, um die psychologischen Untersuchungen möglichst zu erschweren. In ersterer Hinsicht ist es der engste Zusammenhang der psychologischen Objekte mit den stärksten menschlichen Interessen, welcher eine unbefangene Auffassung der psychischen Thatsachen äusserst schwierig macht. Wenn eine getreue, von Vorurtheilen sich frei erhaltende Beobachtung im Allgemeinen nur Wenigen gelingt, weil nur zu leicht vorgefasste Meinungen sich überall eindrängen, so wird sie noch seltener da möglich sein, wo ihr Gegenstand ein so lebhaftes, nicht blos theoretisches Interesse mit sich führt wie die psychologischen Probleme. Die andere Schwierigkeit liegt darin, dass es auf psychologischem Gebiete nicht überall möglich ist, direkte Beobachtungen anzustellen. W o aber diese aufhören, stellt sich sofort die Unklarheit, mit ihr das Bedürfniss zu begreifen, und damit die individuelle Willkür ein. Diese allgemeinen Schwierigkeiten finden nun ganz besonders bei der Untersuchung des Willens und seines Verhältnisses zu den übrigen psychischen Funktionen statt; denn der Wille wird nicht direkt wahrgenommen, sondern mittelbar erschlossen, womit der Willkür sofort der Zugang gestattet ist. Die Behauptung, dass der Wille Gegenstand einer indirekten Erkenntniss sei, geht zunächst gegen die populäre Auffassung, welche nichts für unmittelbar bekannter hält als den eigenen Willen; nicht minder aber gegen die Lehren der üblichen Psychologie, welche Willen und Bewusstsein in unzertrennlichen Zusammenhang bringt, daher einen an sich unbewussten Willen nicht anerkennt. Es wird sich also darum handeln, den thatsächlichen Beweis zu führen, dass der Wille nicht unmittelbar vom Bewusstsein erfasst wird. Um einem seit Schopenhauer naheliegenden Missverständnisse vorzubeugen, mag ausdrücklich bemerkt sein, dass hier mit dem Wort Wille nicht irgend welche psychologische oder metaphysische Entität, sondern
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
lediglich eine abstrakte Zusammenfassung bestimmter psychischer Funktionen bezeichnet wird, wie man in gleicher Weie ja auch die Worte Denken, Intellekt etc. gebraucht. Die ausführliche Erörterung des Verhältnisses zwischen Wille, Gefühl und Intellekt nebst der Bekämpfung entgegenstehender Ansichten hat der Verfasser gegeben im System der kritischen Philosophie Band I, S. 60—96, und 194—229; unter Verweisung darauf begnügt er sich hier, die Hauptgesichtspunkte nebst den entscheidenden Gründen kurz anzuführen, und durch einige Beispiel die dort entwickelte Theorie zu illustriren. Bei dem Willen wiederholt sich, was wir schon einige Male gefunden haben, dass wir uns nämlich deshalb so leicht über ihn täuschen, weil er uns durch die tägliche Praxis ganz genau bekannt zu sein scheint. Wir haben gewöhnlich keinerlei Verstandesoperationen nöthig, um das Vorhandensein eines Willens und seiner Richtung zu erkennen. Deshalb entgeht es uns, dass diese Vertrautheit mit unserem Willen lediglich ein Produkt der E r f a h r u n g ist, und dass wir ohne die letztere überhaupt keine Erkenntniss vom Dasein eines Willens in uns haben würden. So glauben wir, um ein alltägliches Beispiel zu gebrauchen, das Dasein des Hungers, oder des Willens zu essen unmittelbar in unserem Bewusstsein zu haben; sehen wir aber näher zu, was uns in diesem Falle eigentlich direct gegeben ist, so stellt sich heraus, dass wir nur ein Gefühl des Unbehagens empfinden und nichts Anderes. Unsere Deutung dieses Gefühles beruht auf früheren Erfahrungen, wie man darüber ja nicht in Zweifel sein wird, dass ein neugeborenes Kind etwa das nämliche Gefühl, keineswegs aber di5 Kenntniss davon haben wird, dass demselben der Trieb nach Nahrung zu Grunde liegt. Daher würde ein unter unseren gewöhnlichen Verhältnissen geborenes Kind, welches man seinem Schicksale preisgäbe, gar keinen andern Inhalt seines Bewusstseins haben, als das durch den unbefriedigten Nahrungsbetrieb verursachte Schmerzgefühl, und würde sterben, ohne auch nur die geringste noch so dunkle Ahnung davon gehabt zu haben, dass jenes Gefühl mit dem Nahrungstriebe in so engem Zusammenhange stand. Erst dadurch, dass dieser Trieb durch fremde Hülfe oft befriedigt wird, lernt das Kind allmählich von seinem Gefühle aus die Existenz des Triebes e r schliessen. Was in diesem Falle sich der analysirenden Betrachtung ergiebt, dasselbe gilt nun auch von allen übrigen Gefühlen, welche niemals ohne einen ihnen zu Grunde liegenden Trieb vorhanden sind, mag
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
derselbe nun bcwusst oder unbewusst sein. Diese Einsicht wird dadurch verhindert oder erschwert, dass der Mensch geneigt ist, nicht nur den gesammten Inhalt seines eigenen Bewusstseins stets zu objektiviren, sondern auch umgekehrt zu schliessen, dass dasjenige, was er nicht in seinem Bewusstsein findet, überhaupt nicht existirt. Die Erkenntniss des Triebes entsteht erst durch die Erfahrung; mithin wird durch diese der Trieb erst b e w u s s t , vom Subjekt als Trieb erkannt. Dies hat aber auf seine E x i s t e n z nicht den geringsten Einfluss; er ist objektiv vorhanden, auch wenn er vom Subjekte nicht erkannt wird. Dies führt uns weiter von der konstatirten Existenz des unbewussten Willens auf die Bestimmung seiner Beschaffenheit; der unbewusste Trieb unterscheidet sich objektiv vom Bewusstsein gar nicht, nur für das Bewusstsein oder Wissen des Subjekts, keineswegs aber für die Existenz und Beschaffenheit des Triebes, macht es einen Unterschied, ob er gewusst wird oder nicht. Durch die Mittelbarkeit der Erkenntniss des Willens allein ist es zu erklären, dass man sich über seinen eigenen Willen täuschen kann, was im gewöhnlichen Leben eben so bekannt als unbegreiflich ist. Wenn der Wille direkt vom Bewusstsein erfasst würde, so wäre eine Täuschung über ihn unmöglich, um so mehr als seine blos subjektive Beschaffenheit ein objektives Korrektiv überhaupt unmöglich macht. Denn es kann von einem an sich wahren und falschen Willen überhaupt nicht die Rede sein, sondern nur von wahrer oder falscher Auffassung des Willens seitens des Subjekts, und diese letztere würde bei direkter Wahrnehmung ebenso wenig vorkommen können, als man sich hinsichtlich des Inhaltes eines Gefühls irren kann. Ueberhaupt ist ja allgemein anerkannt, dass nicht die unmittelbare Wahrnehmung täuscht, sondern stets die Deutung derselben, also das mittelbare Urtheil als Ursache der Täuschung anzusehen ist. Mit der indirekten Erfassung des Willens hängt es nun auch zusammen, dass der Wille nur Gegenstand des sogenannten abstrakten Vorstellens, d. h. nur durch den Begriff bezeichnet werden kann, niemals aber Objekt der direkten konkreten Vorstellung wird, wie ja auch seine Merkmale sämmtlich entweder dem Gebiete des Gefühls oder dem des Intellekts entnommen sind. Demnach hat der Wille in seiner Ursprünglichkeit mit dem Bewusstsein oder dem Intellekt nicht das Geringste gemein, und wird auch, wie die Erfahrung deutlich genug lehrt, meist durch die nachträgliche Aufnahme in das Bewusstsein nicht wesentlich ver-
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
ändert. Das letztere kann daher nicht als das charakteristische Merkmal des Willens angesehen werden, sondern ist für den Willen ein rein accidentelles Moment. Nur für das Bewusstsein des Subjekts macht es einen Unterschied, ob es vom Dasein eines Willens weiss oder nicht, ebenso in zweiter Linie für die B e f r i e d i g u n g des Willens, zu welcher das Bewusstsein die Mittel beschafft. Demnach versteht es sich von selbst, dass Niemand sagen kann: »Ich will«, bevor er die Erkenntniss seines Willens hat. Für die Frage nach dem Wesen des Willens kommt aber nicht dies in Betracht, sondern ob die Kenntnissnahme seitens des Bewusstseins das Wesen des Willens verändert oder unverändert lässt; eine Frage, welche von der Erfahrung deutlich genug beantwortet wird. Wählen wir wieder das Beispiel des Verlangens nach Nahrung, so können wir aus dem bewussten Begehren, d. h. aus dem auf die richtige Ursache bezogenen Schmerzgefühl, sowie aus den Gefühlen nach .der Befriedigung schliessen, dass auch der unbewusste Wille ganz denselben Inhalt hat und dieselben Gefühle verursacht, wie die Erfahrung an kleinen Kindern täglich zeigt. Hiermit haben wir den Zusammenhang des Willens mit dem Bewusstsein oder Verstand verneint, ihn dagegen mit dem Gefühl in unzertrennliche Verbindung gebracht und zwar in der Weise, dass der Wille als Ursache, das Gefühl als Wirkung anzusehen ist. Daraus folgt, dass überall, wo Wille, auch Gefühl ist, und umgekehrt; ebenso, wo kein Wille, auch kein Gefühl, und umgekehrt, wie a. a. O. S. 60—107 im Einzelnen nachzuweisen versucht wurde. Jedes Gefühl ist entweder Lust oder Unlust, Freude oder Schmerz, und zwar ist Lust oder Freude Wirkung des befriedigten, Unlust oder Schmerz Wirkung des unbefriedigten Willens. Daher ist im Naturzustande das ganze Streben und Handeln des Menschen auf Erreichung und Erhaltung der Lustgefühle, wie auf Beseitigung und Fernhaltung der Unlustgefühle gerichtet, wie durch die Erfahrung genügend konstatirt ist — Beweis genug, dass der bewusste Wille seinem Inhalte und seiner Richtung nach sich vom unbewussten nicht unterscheidet. Wir haben somit die Berechtigung, alle die verschiedenen Nuancen des Willens, welche durch die Worte Trieb, Begierde, Neigung, Verlangen, Streben u. a. bezeichnet werden, mit Rücksicht auf ihre Wesensgleichheit unter dem Namen Willen zusammenzufassen. Hierdurch fällt die andere Unterscheidung in einen unbewussten niedern und in einen bewussten höhern Willen, oder, was sachlich dasselbe war, die Gegenüberstellung von Trieb, Begierde etc. einerseits und Willen andererseits; statt ihrer tritt die Unterscheidung von Wrille
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
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und Verstand ein. Das charakteristische Merkmal des Willens ist seine Richtung auf die Beseitigung der Unlust und Realisirung der Lust, welche vor und nach dem Bewusstwerden des Willens ganz unverändert bleibt, während dem Verstände diese Beziehung zu den Gefühlen durchaus fehlt. Wenn somit Wille und Verstand an sich nichts gemein haben, so entsteht die Frage, wie man dazu kommen konnte, beide in die engste Verbindung zu bringen, einen ursprünglichen verständigen Willen und einen wollenden Verstand anzunehmen, oder gar beide vollständig zu identificiren. Die Erklärung dieser unerlaubten Vermischung finden wir darin, dass man meist keine Untersuchung des Willens und Verstandes an sich, in Rücksicht auf ihre eigene, innere Beschaffenheit anstellte, sondern ihre Natur blos aus ihrer äussern Erscheinung oder Wirkung, dem H a n d e l n , festzustellen suchte. Jeder Wille ist auf Veränderung des gegenwärtigen Zustandes gerichtet und wird dadurch ein Motiv zum Handeln. Nun kennt im Stande der Natur, wie der frühesten Kindheit, der Mensch überhaupt nichts, was ihn zum Handeln veranlassen könnte, von äusserem Zwang natürlich abgesehen, als seine natürlichen Triebe, und handelt also stets in Folge vorausgegangener Willensakte. Durch die Erziehung ändert sich dies; der Mensch erlangt durch überwiegende Ausbildung des Verstandes eine relative Unabhängigkeit von seinen Trieben, er handelt nicht mehr ausschliesslich unter ihrem Einfluss, sondern auch auf Grund der Motive, welche ihm der objektiv urtheilende Verstand giebt. Daher sind im Zustande der Bildung die Motive des Handelns doppelter Natur, indem sie entweder vom Willen im Sinne der natürlichen Triebe und Neigungen, oder vom Verstände ausgehen. Die naive Auffassung erkennt dies indirekt an, wenn sie in denjenigen Fällen, wo kein Wille, aber auch kein äusserer Zwang vorliegt, als Veranlassung des Handelns eine vom Verstand gesetzte Nothwendigkeit, z. B. die des Mittels zum Zweck, angiebt: »Ich will nicht, aber ich muss«; d. h. der Verstand nöthigt mich, augenblicklich ohne, oder auch gegen meinen Willen zu handeln, da diese Handlung als Mittel für einen gewollten späteren Zweck dient. Dies ist der unverfälschte Ausdruck des mangelnden Willens oder der Abneigung zu handeln, welche vom Verstände mit Rücksicht auf irgend welche bestimmende Momente überwunden wird. Dass auch in solchen Fällen die entferntere Ursache des verstandesmässigen Handelns der Wille sein kann, ist nicht zu bestreiten, kommt aber zunächst nicht in Betracht, da es sich nur um
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
die zu der in Rede stehenden Handlung u n m i t t e l b a r treibenden Motive handelt. Die übliche psychologische Ansicht hat sich ausschliesslich daran gehalten, dass in derartigen Fällen ein äusserer Zwang nicht vorliegt, der Mensch also »freiwillig«, d. h. mit seinem W i l l e n handelt oder seine Handlung will. Dies ist nur in Bezug auf die eine in Betracht kommende Seite des Handelns richtig, erklärt aber nicht die Thatache, auf welche sich die naive Auffassung mit gutem Rechte beruft, dass nämlich in allen solchen Fällen das Gefühl des Nichtwollens, der Abneigung zu handeln deutlich und unmissverständlich empfunden wird. Nur weil diese Thatsache ignorirt wurde, konnte die Psychologie dazu gelangen, Willen und Verstand vollständig zu identificiren. Am deutlichsten tritt dies hervor in der üblichen Behauptung, dass Wollen gleich W ä h l e n und Wählen nicht ohne Wissen, Wollen daher nur durch Wissen möglich sei. Diese Identificirung des Wollens und Wählens ist nun gerade der Grundirrthum, welcher die falschen Theorien über die Natur des Willens zum grössten Theil veranlasst hat. Ihm gegenüber muss durchaus daran festgehalten werden, dass der Wille vorhanden ist, ehe das Wissen eine Wahl ermöglicht, dass ferner auch der bewusste Wille mit voller Entschiedenheit auf ein e i n z i g e s Objekt gerichtet sein kann, wodurch die Möglichkeit des Wählens von selbst wegfällt. Ueberhaupt besteht eine Art von Gegensatz zwischen Wollen und Wählen, dergestalt, dass das letztere erst dann eintritt, wenn der natürliche unbewusste Wille irgendwie gehemmt ist. Gewöhnlich handelt es sich dann um entgegengesetzte Willensrichtungen desselben Subjektes, die vermöge ihrer annähernd gleichen Stärke der Entscheidung des urtheilenden Verstandes bedürfen, damit eine von ihnen aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergehen kann. In solchen Fällen hat wenigstens die Wahl mit dem Willen noch das gemeinsam, dass eine, wenn auch durch entgegenstehende Momente abgeschwächte W e r t h s c h ä t z u n g des schliesslich gewählten Objektes stattfindet, ohne die ein eigentliches Wollen überhaupt nicht denkbar ist. Es kommt aber auch vor, dass Jemand unter dem Druck äusserer Umstände eine Wahl zwischen zwei Dingen zu treffen hat, die er beide n i c h t w i l l , sondern an sich in gleichem Maasse verabscheut. Wenn ein lebenslustiger Mensch plötzlich in die Lage geräth, zwischen verschiedenen Todesarten wählen zu müssen, deren eine seinem Leben in der nächsten Stunde ein Ende machen wird, so will dieser sicherlich keine von allen Todesarten, aber er kann eine von ihnen w ä h l e n . Dieses Eine Beispiel dürfte
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P s y c h o l o g i s c h e l'ntersuchung des W i l l e n s und Verstandes etc.
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genügen, um die Verschiedenheit zwischen Wille und Wahl ausser Zweifel zu setzen. Die Psychologie hat auch, wenn schon mit anderen Namen, bereits eine Art von Unterscheidung zwischen Wille und Verstand, oder Wollen und Wählen aufgestellt, indem sie den niedern von dem höhern Willen trennt. Dass nun aber der sogenannte höhere Wille nichts anderes als Verstandesentscheidung ist, hat der Verfasser ausführlich nachzuweisen gesucht a. a. O. I, S. 78—95, weshalb hier nur die dort gewonnenen Resultate zusammengestellt V i e r den. A l s das charakteristische Merkmal de.s Willens ist immer nur sein Zusammenhang mit den Gefühlen der Lust oder Unlust, niemals aber seine Verbindung mit dem Bewusstsein oder Selbstbewusstsein anzusehen. Das letztere kann, wenn man zugleich das bewusste Denken darunter versteht, den Willen unterdrücken, d. h. k verhindern, dass er eine Handlung nach sich zieht. Dies ist ein Ergebniss der Erziehung und Bildung, welche ja überhaupt darauf gerichtet sind, den Willen unter die Herrschaft des Verstandes zu bringen. Daher müssen bei jedem gebildeten Subjekt zwei Arten von Motiven des Handelns durchaus von einander geschieden werden: erstens die natürlichen Triebe, welche durch die sie begleitenden Gefühle bewusst, von dem Verstände acceptirt und mit Ueberlegung befriedigt werden, wobei die Thätigkeit des Verstandes sich darauf beschränkt, die Mittel zur Befriedigung der Willensregungen zu beschaffen; zweitens die eigentlichen, vom Willen nicht beeinflussten, Entscheidungen des Verstandes. Weil für diese beiden Arten von Motiven- der Sprachgebrauch nur das Eine W o r t Wille hat, und weil ferner in beiden Fällen Handlungen erfolgen, die man als Wirkung des Willens ansehen zu müssen glaubte, deshalb hat ftian fälschlich theils beide gemeinschaftlich als Wille bezeichnet, theils nur die letztere A r t als Wille gelten lassen, den man so, oft ohne es zu wollen, zu einer Species des Verstandes machte. Schon Aristoteles begeht diese Verwechselung, indem er behauptet: »Wenn die Seele etwas Gutes oder Schlechtes b e j a h t oder v e r " n e i n t , so verabscheut sie es oder verlangt danach«, worin Cartesius und Spinoza nebst vielen neuern Philosophen ihm gefolgt sind. Diese Ansicht entspringt aus der falschen Deutung der Erfahrungst a t s a c h e , dass der Mensch seiner Begierde nachgeben und widerstehen kann, sobald er durch Erziehung gewöhnt worden ist, die auftauchende Begierde nicht s o f o r t zu befriedigen, wie er dies im natürlichen Zustande thut. Dies ist aber keineswegs ein A k t theoretischer Bejahung oder Verneinung: ein solcher würde vielmehr oft G bring,
F r e i h e i t n. Z u r e e h n m i g s f ä h i g k e i t .
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
das Gegentheil ergeben und konstatiren müssen, dass der Wille in der That vorhanden ist. Diesen rein theoretischen Akt kann man nun wirklich durch Selbstbeobachtung direkt konstatiren; man findet oft den entschiedenen Willen zu einer Handlung in sich vor, b e j a h t also die Existenz dieses Willens, f o l g t i h m a b e r n i c h t , weil der Verstand davon abhält. Ebenso entschliesst man umgekehrt sich nicht selten zu Handlungen, zu welchen gar kein Wille treibt, gegen welche vielmehr eine entschiedene Abneigung Vorhanden ist. Demnach ist es neben dem Willen der Verstand, von welchem unsere Handlungen ausgehen; aber nur Dies und nichts Anderes haben Verstand und Wille mit einander gemein. Dass beide häufig sich mit einander verbinden, das Objekt des Willens unverändert zugleich Objekt der verstandesmässigen Erschliessung wird, ist dadurch natürlich nicht ausgeschlossen; ebensowenig, dass der Wille häufig durch die Vermittelung der Vorstellung erregt wird. Auf Grund der früher gänzlich fehlenden Beobachtung der psychologischen Thatsachen sind viele neuere Philosophen und Psychologen dazu gelangt, den unzertrennlichen Zusammenhang des Willens mit dem Gefühl, wie auch die Existenz eines an sich unbewussten Willens anzunehmen. Von den Empirikern, deren Zustimmung für uns ganz besonderen Werth hat, weist unter Andern John Stuart Mill in der Abhandlung über das Nützlichkeitsprincip (ges. Werke, autorisirte Uebersetzung Bd. I, S. 170) nach, »dass in Wirklichkeit nichts Anderes gewünscht wird als Glückseligkeit. Was sonst noch in einer anderen Weise, denn als ein Mittel zu einem ausserhalb der Sache liegenden Zwecke und schliesslich zur Glückseligkeit gewünscht wird, wird insofern gewünscht, als es ein Bestandtheil der Glückseligkeit ist, und wird für sich selbst nicht gewünscht, wenn es nicht zu einem solchen geworden ist« . . . . »Geschultes Selbstbewusstsein und Selbstbeobachtung, unterstützt durch Beobachtung Anderer . . . . unparteiisch befragt, werden die Antwort ertheilen, dass ein Ding wünschen und es vergnüglich finden, ein Ding verabscheuen und es als leidvoll betrachten, völlig untrennbare Erscheinungen sind, oder besser: zwei Seiten einer und derselben Erscheinung — genau gesprochen: zwei verschiedene Arten der Benennung für ein und dieselbe psychologische Thatsache: dass ein Ding (abgesehen von seinen Folgen) für wünschenswerth halten und es für vergnüglich halten ein und dieselbe Sache ist, und dass eine Sache anders wünschen als in dem Verhältnisse, wie die Vorstellung von der-
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
•selben vergnüglich ist, eine physische und metaphysische Unmöglichkeit ist. Dies scheint mir so augenfällig, dass ich kaum erwarte, es angefochten zu sehen, und der Einwurf, den man erheben wird, wird nicht darin bestehen, dass unser Wünschen in letzter Instanz möglicherweise auf andere Dinge gerichtet sein könne als auf Vergnügen und Freisein von Leid, sondern darin, dass der Wille ein von Wünschen Verschiedenes ist. Dass eine Person von befestigter Tugend oder sonst irgend Jemand, dessen Gesinnungen feststehen, dieselben verwirklicht ohne einen Gedanken an das Vergnügen, welches er empfindet, wenn er dieselben ins Auge fasst, oder das er von ihrer Ausfuhrung erwartet, und dass er denselben auch dann treu bleibt, wenn sich diese Vergnügen sehr vermindern, durch Veränderungen in seinem Charakter sowohl als durch eine Abnahme seiner passiven Empfänglichkeit, oder wenn sie auch durch das Leid aufgewogen werden, welches sein gesinnungstreues Handeln über ihn bringen kann, — Alles das gebe ich vollkommen zu, ich habe es an einem andern Orte so bestimmt und nachdrücklich ausgesprochen, wie nur Irgendeiner. Wille, die aktive Erscheinung ist verschieden vom Wünschen, dem Zustande des passiven Empfindens, und wenn er auch aus diesem hervorgewachsen ist, so kann er doch seiner Zeit Wurzel fassen und sich vom Mutterstock frei machen, und zwar in so hohem Grade, dass wir im Falle einer gewohnheitsmässigen Gesinnung, anstatt das Ding zu wollen, weil wir es wünschen, es oft nur darum wünschen, weil wir es wollen Viele indifferente Dinge, welche die Menschen ursprünglich aus einem Beweggrunde irgend einer Art thaten, fahren sie fort aus Gewohnheit zu thun. Zuweilen geschieht dies unbewusst, indem das Bewusstsein nach der That eintritt; zu anderen Zeiten mit einem bewussten Wollen, aber mit einem Wollen, welches gewohnheitsmässig geworden ist, und durch die Gewohnheit in Thätigkeit gesetzt wird, vielleicht in Widerspruch mit einer überlegten Wahl, wie dies oft bei solchen der Fall ist, welche Gewohnheiten eines lasterhaften oder schädlichen Genusses angenommen haben. Eine dritte und letzte Möglichkeit ist die, dass der gewohnheitsmässige Willensakt in dem besonderen Falle nicht im Widerspruche steht mit der allgemeinen Gesinnung, die zu anderen Zeiten vorherrscht, sondern mit derselben übereinstimmt, wie in dem Falle einer in der Tugend befestigten Person und aller Jener, welche mit Ueberlegung und Beharrlichkeit auf ein festes Ziel hinarbeiten. Die Untersuchung zwischen Wille und Wunsch ist, so verstanden, eine unbestreitbare und höchst wich7*
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Psychologische Untersuchung des Willens und Verstandes etc.
tige psychologische Thatsache; aber die Thatsache besteht allein .darin, dass der Wille gleich allen andern Theilen unseres Wesens der Gewohnheit unterworfen ist, und dass wir aus Gewohnheit etwas wünschen können, was wir nicht länger mehr um seiner selbst willen wünschen, weil wir es wollen. Deshalb aber ist es nichtsdestoweniger wahr, dass der Wille seinem Ursprünge nach ganz und gar aus dem Wünschen herauswächst, wobei unter Wünschen ebensowohl der zurückstossende Einfluss der Leidempfindung, wie das Anziehende des Vergnügens verstanden ist« . . . . Diese Erörterungen Mill's erscheinen hinsichtlich ihrer sachlichen Unterscheidungen im Wesentlichen durchaus klar und richtig; blos die Gegenüberstellung von »Wille«, als » a k t i v e r Erscheinung«, und »Wünschen« als »Zustand des p a s s i v e n Empfindens« ist zu berichtigen, da Wünschen nicht minder »aktiv« ist als Wollen. Nur hinsichtlich der Terminologie befindet sich Mill noch mit der frühern Psychologie in Uebereinstimmung, wenn er den rein verstandesmässigen Akt des Entschlusses zum Handeln »Wille« nennt. Man. kann daher seinen Auseinandersetzungen beistimmen, sobald man statt »Wille« Verstand oder Wahl setzt. Noch schärfer und unzweideutiger erklärt sich über die in Rede stehenden Funktionen und Verhältnisse Ribot, »die Erblichkeit«. »Wie der Verfasser der Ethik (Spinoza) S. 96 tiefsinnig bemerkt, ist die letzte Erklärung aller Empfindungserscheinungen in der Thatsache des Verlangens zu suchen, »»da das Verlangen Lust mit Bewusstsein ihrer (?) selbst (»sui«) ist und die Lust das Wesen des Menschen selbst, insofern letzteres zu Handlungen der Selbsterhaltung vorbestimmt wurde.«« Das Verlangen liegt der leiblichen und geistigen Verfassung des Menschen zu Grunde, insofern diese dahin strebt, zu sein, glücklich zu sein, zu leben und sich zu entwickeln. Es hat seine letzte Wurzel im Gebiete des Unbewussten und wir wissen nicht, wie es in dieser Gestalt eines bestimmten Hanges, die es kennzeichnet, zu unserem Bewusstsein gelangen kann. Das Verlangen ist ebenso wie der Gedanke eine Form des Unbegreiflichen, und eine unbekannte Grösse, ein x muss dazu dienen, alle Erregungserscheinungen zu erklären. Man kann die unbegrenzte Mannigfaltigkeit der Leidenschaften, Erregungen und Gefühle sehr wohl auf zwei allgemeine Zustände zurückführen, auf den des Behagens und des Missbehagens oder auf eine Förderung und Hemmung unseres Wesens. Aber der Grund beider ist das Verlangen. Nur darum empfinden wir Genugthuung oder Schmerz, weil in uns
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Neigungen wohnen, denen Genüge oder Abbruch geschehen kann. In der T h a t , wenn wir Freude oder Schmerz empfinden, so wollen wir das eine erhalten und das andere zerstören; a b e r d i e s e r b e w u s s t e W ü n s c h , den man hin und w i e d e r f ü r e i n e W i r k u n g h a t a u s g e b e n w o l l e n , i s t in d e r T h a t n u r d i e w e i t e r e E n t w i c k e l u n g d e s u r s p r ü n g l i c h e n und u n b e w u s s t e n B e g e h r e n s . Dieser Zustand der S p a n n u n g , den wir Begierde nennen, und der unser ganzes Leben hindurch anhält, ist jeden Augenblick Abänderungen ausgesetzt. Daher stammt unsere Freude und unsere Pein, und beide sind nur einzelne Momente eines andauernden V o r g a n g e s , so dass man das Begehren wohl dem Einschlage vergleichen k a n n , in welchen die Lebensschicksale alle unsere Erregungen hineinweben.