Über die Einteilung der Natur 1: Redaktion: Noack, Ludwig / Übersetzer: Noack, Ludwig 9783787333073

In seinem Hauptwerk De divisione naturae entwirft Eri(u)gena, der nach Augustinus und Anselm von Canterbury bedeutendste

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Über die Einteilung der Natur 1: Redaktion: Noack, Ludwig / Übersetzer: Noack, Ludwig
 9783787333073

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JOHANNES SCOTUS ERIUGENA

Über die Einteilung der Natur

Übersetzt von Ludwig Noack

FE LI X M EI NE R VE R LAG H AMB U RG

P HI LO S OPHISC HE BI BL IO THE K BAN D 8 6

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN eBook: ----

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg . Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§   und  UrhG ausdrücklich gestatten. www.meiner.de

INHALT

Vorbemerkung. Von Werner Beierwaltes .. . . . . . . . . . . .

VI

Bibliographische Hinweise .... ... .... . .. . ...... .. . XII

Johannes Scotus Eriugena Über die Einteilung der Natur* Erste Abteilung: Das wahrhaft Seiende und die sinnenfällige Welt..... .. ...... ...... ...... ......

1

1- 78) ..................... 3 Zweites Buch (Kapitel 1-35) ..................... 119 Drittes Buch (Kapitel 1-40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Erstes Buch

(Kapitel

Zweites Abteilung: Der Fall und das Heil des Menschen und die zukünftige Welt ........................ .

1- 27) ......... ......... ... 3 Fünftes Buch (Kapitel 1-40) .... .. . ... .. .......... 171

V iertes Buch (Kapitel

*

Die am Rande des Textes gegebenen, durch eine eckige Klam­

mer abgetrennten Ziffern bezeichnen die Kapitel nach der lateini­ schen Ausgabe von H.J. Floss (PL

122).

Die halbfett gesetzten, durch

eine runde Klammer abgehobenen Hinweisziffern verweisen auf die Abschnitte der

1876

gesondert veröffentlichen Erläuterungen: »Jo­

hannes Scotus Erigena. Sein Leben und seine Schriften, die Wissen­ schaft und Bildung seiner Zeit, die Voraussetzungen seines Denkens

und Wissens und der Gehalt seiner Weltanschauung« (PhB 88) von Ludwig Noack.

VORBEMERKUNG

Te solum omnium acutissimum Galliae transmisit Hibernia, ut quae nullus absque te scire poterat tuis eruditionibus obtineret[ ...] »Dich allein hat Hibernia als den scharfsinnigsten von Allen nach Gallien herübergesandt, damit jeder das, was er ohne Dich nicht wissen konnte, durch Deine Erudition erreiche[...]« dies die - trotz ihres ironisch-polemischen Kontextes - aus­ zeichnende Anrede des Bischofs Prudentius von Troyes1 an Johannes Scottus, genannt Eriugena, den in der Tat scharf­ sinnigsten, begrifflicher Konstruktivität fähigsten, universal gebildeten und wirkungsreichsten Philosophen und T heolo­ gen im frühen Mittelalter nach Marius Victorinus, Augusti­

nus und Boethius2. Schon vor 84 7 machte ihn Karl der Kahle

zum Vorsteher seiner Schola Palatina. Literarisch trat Eriu­ gena zunächst hervor durch die argumentativ differenzierte Schrift »De divina praedestinatione«

(851),

dann - im Auf­

trag Karls des Kahlen - durch die Neu-Übersetzung der Werke des Pseudo-Dionysius Areopagita

(860-62),

der da­

mals mit dem Apostelschüler identifiziert und deshalb als im höchsten Maße verbindliche Autorität geachtet wurde; da­ nach übersetzte er die »Ambigua« des Maximus Confessor und dessen »Quaestiones ad T halassium«, Werke, die die theologische Konzeption des Dionysius weiter entfalteten; von Eriugena stammt auch die Übersetzung der anthropolo­ gisch bedeutsamen Schrift »De imagine« oder »De hominis 1

De praedestinatione contrajoannem Scotum, c. XIV; Migne PL

2

Zur allgemeinen Orientierung vgl. M. Cappuyns, Jean Scot Eri­

115, S. 1194 A.

1933 (1964 impres­ Eriugena, Oxford 1988.

gene, sa vie, son oeuvre, sa pensee, Louvain, Paris

sion anastatique, Brüssel). J.J. O'Meara,

Einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Forschung geben die

Sammelbände von acht Eriugena-Colloquien in Dublin, Laon, Frei­

burg/Br., Montreal, Bad Homburg

(2), Todi und

Chicago. (Vgl. die

Bibliographischen Hinweise zu dieser Ausgabe unter B, a

1-8)

Vorbem er kung

VII

opificio« des Gregor von Nyssa. Nicht zuletzt durch seine Übersetzertätigkeit wurde Eriugena zum Vermittler der öst­ lichen, vom geniunen Neuplatonismus des Plotin, Porphy­ rios und Proklos wesentlich bestimmten Theologie an das lateinische Mittelalter, das sein theologisches Selbstverständ­ nis immer wieder in Auslegungen eben dieser Texte, insbe­ sondere des Corpus Dionysiacum, artikulierte. Durch seine Glossen zu Martianus Capellas »De nuptiis Mercurii et Philo­ logiae« führte er auch die im Karolingerreich sich erneu­ ernde Arbeit an der griechisch-römischen Bildungstradition fort3• Durch die Entwicklung eines logisch-dialektischen Ver­ fahrens der Argumentation versuchte er, die zentralen Ge­ danken der christlichen Offenbarung aufzuschließen. Durch den konsequenten Gebrauch dieser Methode wurde er zum Urheber der Wissenschaftlichkeit von Theologie im Mittel­ alter. Für sein philosophisch-theologisches Hauptwerk »Peri­ physeon« oder »De divisione naturae«

(864-866)4

ist vor

allem die theologische - neben der griechischen Patristik pri­ mär Augustinus - und indirekt die sie bestimmende philoso­ phische Tradition konstitutiv geworden. »Über die Naturen« oder»Einteilung der Natur« meint keinen Formalismus, son­ dern argumentativ verfahrende Reflexion auf die Gesamt­ heit dessen, was ist und nicht ist

(

=

natura), auf deren

Begründung und Hervorgang, deren in sich gestufte Struk­ tur und Bewegung. Die Auslegungen der »lerarchia Coele­ stis«

(865-870)

zielen auf Analoges und machen noch ein­

mal bestimmte Elemente im System von »Periphyseon« als »dionysisch« evident. Auch die Homelia über den Prolog des Johannes-Evangeliums und der Kommentar zu eben diesem Evangelium - Fragmente aus dem Spätwerk Eriugenas - füh3

Hierzu G. Schrimpf, Johannes Scottus Eriugena und die Rezep­

tion des Martianus Capella im karolingischen Bildungswesen, in: Eriugena, Studien zu seinen Quellen [Bilbiographie B. a 3] 135ff. 4

Der vollständige Text von» Periphyseon« findet sich in Migne PL

122„ ed. H.J. Floss, 1853. Buch 1 bis III liegen in einer kritischen Ausgabe von 1. P. Sheldon-Williams (unter Mitarbeit von L. Bieler) in den Scriptores Latini Hiberniae 7, 9 und 11 (Dublin 1968172/81) vor.

VIII

Werner Beierwaltes

ren bestimmte Fragen des Hauptwerks fort: negative Theo­ logie zum Beispiel, der nur in der Welt als einer »Theopha­ nie« zugängliche Gott,

deificatio des Menschen durch »Reini­

gung« und »Erleuchtung«, Chr:istus als der Prototyp des in seinen ursprünglichen Stand »restituierten« Menschen. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam war Eriugenas Denken für das spätere Mittelalter insbesondere in der Frage nach dem Sein Gottes, in kosmologischen Konzeptionen (zu nen­ nen ist hier z. B. die

Clavis Physica des

Honorius Augustodu­

nensis) und in der durch die negative Theologie des Diony­ sius geprägten Mystik. Die Verurteilung seines Werkes - die Manuskripte sollten eigentlich allesamt verbrannt sein durch Papst Honorius III. im Jahre

1225 konnte dessen Wei­

terwirken nicht stillstellen; sie beruhte ohnehin auf der pan­ theistischen und materialistischen »Pervertierung"5 eines Grundgedankens Eriugenas, in der die von Eriugena diffe­ renziert

durchgehaltene

Dialektik

von

Immanenz

und

Transzendenz eingeebnet worden ist. An der Wende zur Neuzeit wurde Eriugena für Cusanus zu einer hohen sach­ lichen Autorität, vor allem in dem Gedanken der trinitari­ schen Selbstreflexion und einer durch Denken oder reflexi­ ves Sehen konstitutierenden Schöpfung. Später erweckte die Philosophie des Deutschen Idealismus aufgrund analoger Fragestellung ein neues, in der Auseinandersetzung produk­ tives Interesse an Eriugenas Denken. Dieses eröffnete von dem durch die Philosophie Kants, Hegels und Schellings ge­ wandelten Stand des Bewußtseins her Aspekte, die in jeder philosophischen, hermeneutisch bewußten Reflexion auf diese Spitze mittelalterlichen Spekulation auch jetzt noch zu bedenken sind6. s

Alberich von Trois-Fontaines fügt in seiner Chronik zum Jahr 1225 dem Verurteilungsdekret Honorius' 111. eine Bemerkung bei, in der er die Albigenser und »die falschen Theologen« (u. a. wohl Amalrich von Bene und David von Dinant) für die Verdammung Eriugenas beschuldigt, qui verba bene forsitan suo tempore prolata et anti­

quis simpliciter intellecta male intelligendo pervertebant et ex eis suam heresim confirmabant (Mon. Germ. Hist. SS. 23,S. 915). 6

Vgl. hierzu meine Überlegungen in »Platonismus und ldealis-

IX

Vorbemerkung Nachdem im

19. Jahrhundert

insbesondere die Arbeiten

von Hjort, Staudenmaier, Christlieb, Huber und Kaulich ein intensives und anhaltendes Interesse an den wiederentdeck­ ten Werken Eriugenas hervorgerufen hatten, entschloß sich

]. H. von Kirchmann, 1870 den ersten Teilband der von Lud­ wig Noack erstellten Übersetzung von »De Divisione Na­ turae« in der

1868

begründeten »Philosophischen Biblio­

thek« herauszugeben; der zweite Teilband folgte

18747.

Noacks Übersetzung, Frucht der ersten Phase der Wieder­ entdeckung Eriugenas und in der Abfassung wie Sprachge­ bung noch deutlich geprägt von den zeitgenössischen philo­ sophischen Intentionen, die den Prozeß dieser Wiederent­ deckung begünstigt hatten, bot die erste Übertragung von »De Divisione Naturae« ins Deutsche . Der Entschluß des Verlags, die auf der Edition des lateini­ schen Textes durch H.J. Floss (Migne PL

122,

Paris

1853)

gründende Übersetzung nach mehr als einhundert Jahren durch einen unveränderten Nachruck wieder verfügbar zu machen, trägt dem Umstand Rechnung, daß vor dem Ab­ schluß der seit

1968

im Erscheinen begriffenen kritischen

Edition des lateinischen Textes der seit langem verfolgte Plan, Eriugenas Hauptwerk in einer Neuübersetzung her­ auszubringen, in absehbarer Zeit kaum realisiert werden kann. Zu den Grundsätzen seiner Übersetzung schreibt Noack in

seiner Vorrede zur Ausgabe von 1870 (S. VII): »Indem der Übersetzer bemüht war, das lateinische Original nach der

neuesten kritischen Ausgabe von Floss ebenso wort- und sinn­ getreu wiederzugeben, als es die Natur der deutschen Spra­ che gestattet und der Anspruch einer lesbaren und fliessen­ den Darstellung es heischt, ist er nur selten in der Lage gewesen, allzulange und verschlungene, durch Schachtel­ sätze unterbrochene Perioden mittelst leichter Nachhülfen mus«, Frankfurt 1972, 188ff, und: Eriugena. Grundzüge seines Den­ kens, Frankfurt 1994, 313ff. 7

Vgl. hierzu R. A. Bast, Die Philosophische Bibliothek. Geschichte

und Bibliographie einer philosophischen Textreihe seit 1868, Ham­

burg 1991, 518-21.

X

Werner Beierwaltes

in kürzere und übersichtlichere Sätze aufzulösen oder Paren­ thesen als Zwischenbemerkungen des Autors unter den Text zu stellen. Die zur Wiedergabe philosophischer Kunstaus­ drücke gewählten deutschen Bezeichnungen sind folgende: Wesenheit (essentia), Bestandheit, bestandhaft (substantia, sub­

stantialis), Hinzutretendes, Zufälliges, zufällige Bestimmung, Zugehöriges (accidens), Entziehung (privatio), Beziehung (re­ latio), Eigenschaft (qualitas), Grössenbestimmung (quantitas), Verhalten (habitus, habitudo), Denken, Gedanke (intellectus), denkend, gedankenhaft (intellectualis), rein geistig (intelligibi­ lis), Vorstellungsbild (phantasia).« Bedauerlicherweise hat Noack seine eigene Maxime in sei­ ner Übersetzung selbst nicht durchweg eingehalten: Der phi­ losophisch-theologische Gedanke kommt in seiner deut­ schen Version oft nicht präzise genug heraus,

so daß

gelegentlich »Verdunkelungen« und »Verdeckungen« der Sache des Textes auf den Übersetzer zurückgehen. Verwir­ rend ist bisweilen im Deutschen auch der Wechsel der Ter­ mini, wo sie aufgrund der Sinngleichheit im jeweiligen Kon­ text hätten beibehalten werden sollen. An zahlreichen Stellen sind auch ganz offensichtige grammatikalische Fehler zu be­ dauern, die sinnentstellend wirken. Nur auf zwei von ihnen möchte ich hinweisen: In einer für Eriugenas Konzept der T heophanie zentralen Textpartie8 übersetzt Noack den Text zunächst richtig, dann aber mißversteht er die Fortsetzung der Genitive als attributive Adjektive zu dem jeweiligen No­ minativ: »Ist ja doch Alles, was gedacht und wahrgenommen wird, nichts Anders als die Erscheinung des Nicht-Erschei­ nenden, das Offenbarwerden des Verborgenen, die Beja­ hung des Verneinten, die Erfassung des Erfaßbaren, der 8

Periphyseon III 4; 58, 12ff: Omne enim quod intelligitur et sen­

titur nihil aliud est nisi non apparentis apparitio, occulti manifestatio, negati affirmatio, incomprehensibilis comprehensio, ineffabilis fa­ tus, inaccessibilis accessus, inintelligibilis intellectus, incorporalis cor­ pus, superessentialis essentia, informis forma, immensurabilis men­ sura, innumerabilis numerus, carentis pondere pondus, spiritualis incrassatio, inuisibilis uisibilitas, illocalis localitas, carentis tempore temporalitas, infiniti diffinitio, incircunscripti circunscriptio

( ... ]

XI

Vorbemerkung

Ausdruck des Unsagbaren [...] die überwesentliche Wesenheit, die formlose Form, das unmeßbare Mass, die unzählbare Zahl, das unwägbare Gewicht, die geistige Masse, die unsichtbare Sichtbarkeit, der unräumliche Raum, die zeitlose Zeit[ .. ]«9. Statt: »Wesen des .

Über-Wesentlichen, Gestalt [formende Form] des Gestaltlo­ sen, Maß des Unmeßbaren, Zahl des Unzählbaren, Gewicht des Gewichtlosen, Festwerden des Geistigen, Sichtbarma­ chung des Unsichtbaren, Ortwerdung des Ortlosen, Zeitlich­ keit [Verzeitlichung] des Zeitlosen [...]«. Intendiert ist in allen diesen Fällen die Affirmation des an sich negativen, über-seienden Gottes als Realisierung von dessen Wirken in Welt: »T heophanie«.-Am Ende seiner Übersetzung verdirbt Noack die Pointe in Eriugenas Blick auf das künftige Ge­ schick seines eigenen Werkes, indem er gerade das Adverb 'falso' falsch bezieht und dadurch »das falsche Licht der Phi­ losophen« konstruiert, wo Eriugena doch lediglich von dem eingebildeten Licht der »falsch Philosophierenden« oder der »Pseudo-Philosophen« sprechen möchte; dieses wird im eschatologisch erscheinenden göttlichen Licht zum »Dun­ kel«, während das noch nicht vollständig aufgeklärte Dunkel »der auf richtige Weise Erkennenden« [Philosophiereden] durch eben dieses Licht in Licht verwandelt wird: »[...] do­ nec veniat illa lux, quae de luce falso philosophantium facit tenebras, et tenebras recte cognoscentium convertit in lu­ cem«10. Trotz dieser Einschränkungen mag die Noacksche Über­ setzung einen Weg in Eriugenas differenzierte Gedanken­ welt eröffnen. V ielleicht kann dabei - im Vergleich -auch die englische Übersetzung von 1. P. Sheldon-Williams hilfreich sein11• Werner Beierwaltes

9

Noack S. 264.

10

Periphyseon V 40; 1022 C. Noack 416.

11

Eriugena, Periphyseon (The Division ofNature). Translation by

I. P. Sheldon-Williams, revised by John J. O'Meara, Montreal-Wa­ shington 1987.

BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE Zusammengestellt von Werner Beierwaltes

A. Lateinische Texte

1.

Ioannis Scoti Erigenae de Divisione Naturae Libri quinque diu desiderati, ed. T h. Gale, Oxford Reprint Frankfurt

2.

1681

(erste Ausgabe).

1964.

Joannis Scoti Opera quae supersunt omnia, ed. H.J. Floss (

=

J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, series latina,

tom.

122),

Paris

1853.

Reprint Turnhout

1967.

Kritische Ausgaben einzelner Werke 3.

Iohannis Scotti, Annotationes in Marcianum, ed. C. E. Lutz, Cambridge

1939.

Reprint New York

197 0

(bedarf einer

neuen Bearbeitung) - Glossen zu Buch I, hg. von E. Jeau­ neau, vgl. unter B c

4.

101- 166.

Texte critique, Traduction et Notes de Edouard Jeauneau,

1969 (

=

Sources Chretiennes

tion, Texte critique, Traduction, Notes et Index, Paris =

Sources Chretiennes

Iohannis Scoti Eriugenae Expositiones in Ierarchiam Coele­ stem, ed. J. Barbet, Turnhout

1975

(Corpus Christianorum,

Iohannis Scotti De Divina Praedestinatione Liber, ed. G. Ma­ dec, Turnhout

Mediaevalis L).

8.

197 2

180).

Continuatio Mediaevalis XXXI).

7.

180).

Jean Scot, Commentaire sur l'Evangile de Jean. Introduc­

(

6.

S.

Jean Scot, Homelie sur le Prologue de Jean. Introduction, Paris

5.

27,

197 8

(Corpus Christianorum, Continuatio

Iohannis Scotti Eriugenae Periphyseon (De Divisione Na­ turae), ed. I. P. Sheldon-Williams with the collaboration of L. Bieler, Buch 1-III, Dublin

196817 2/81

(Scriptores Latini Hi­

berniae VII/IX/XI). Lateinischer Text, englische Überset­ zung, Anmerkungen.

9.

Carmina: Iohannis Scotti Eriugenae Carmina, ed. by M. W. Herren (Scriptores Latini Hiberniae XII), Dublin

1993.

Bibliographische Hinweise

B.

XIII

Sekundärliteratur

a) Sammelbände (Colloquien der Society for the Promotion of Eriugenian Studies) 1.

T he Mind of Eriugena (Colloquium Dublin O'Meara and L. Bieler, Dublin

1970),

ed. J.J.

1973.

2. Jean Scot Erigene et l'Histoire de la Philosophie (Colloquium

3.

Laon 1975), ed. R. Roques, Paris 1977. Eriugena. Studien zu seinen Quellen (Colloquium Freiburg

1979).

Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wis­

senschaften, phil.-hist. Klasse, Jg. Beierwaltes, Heidelberg

4.

1980.

1980, 3.

Jean Scot Ecrivain (Colloquium Montreal Allard,

1984.

Abh., hg. v. W.

1983),

ed. G.-H.

Zur Wirkungsgeschichte seines Den­

5. ERIUGENA REDIVIVUS.

kens im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit (Collo­ quium Bad Homburg

1985).

Abhandlungen der Heidelber­

ger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Jg.

1987, 1.

Abh., hg. v. W. Beierwaltes, Heidelberg

1987.

6. Giovanni Scoto nel suo tempo. L'organizzazione del sapere in eta Carolingia, Atti del XXIV Convegno storico internazio­ nale, Todi

1987.

Accademia Tudertina, hg. v.C. Leonardi

und E. Menesto, Spoleto

1989.

7. Begriff und Metapher. Sprachform des Denkens bei Eriu­ gena (Colloquium Bad Homburg Heidelberger Klasse, Jg.

1990.

8.

Akademie

1990, 3.

der

1989),

Abhandlungen der

Wissenschaften,

phil.-hist.

Abh., hg. v. W. Beierwaltes, Heidelberg

Eriugena: East and West (Colloquium Chicago

McGinn, Washington

1994.

1991),

ed. B.

Die in diesen Bänden enthaltenen Abhandlungen werden im

folgenden unter c) nicht eigens aufgeführt.

b) Monographien des 19. Jahrhunderts 1. Christlieb, T., Leben und Lehre des Johannes Scotus Erigena

in ihrem Zusammenhang mit der vorhergehenden und un-

XIV

Bibliographische Hinweise

ter Angabe ihrer Berührungspunkte mit der neueren Philo­ sophie und Theologie, Gotha 1860.

2. Hjort, P„Johan Scotus Erigena oder von dem Ursprung ei­ ner christlichen Philosophie und ihrem heiligen Beruf, Co­ penhagen 1823.

3. Huber, J„ Johannes Scotus Erigena. Ein Beitrag zur Ge­ schichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter, Mün­ chen 1861. Reprint Hildesheim 1960. 4. Kaulich, W„ Das speculative System des Johannes Scotus Eri­ gena, Prag 1860. 5. Ders„ Entwicklung der scholastischen Philosophie von Jo­ hannes Scotus Erigena bis Abälard, Prag 1863. 6. Staudenmaier, F. A„ Johannes Scotus Erigena und die Wis­ senschaft seiner Zeit. Mit allgemeinen Entwicklungen der Hauptwahrheiten auf dem Gebiete der Philosophie und Religion, und Grundzügen zu einer Geschichte der specu­ lativen Theologie, Frankfurt a. M. 1834, Reprint Frankfurt

1966. 7. Ders„ Die Philosophie des Christenthums oder Metaphysik der heiligen Schrift als Lehre von den göttlichen Ideen und ihrer Entwicklung in Natur, Geist und Geschichte.!. Band: Die Lehre von der Idee, Giessen 1840, 535-627.

c)

Neuere Literatur

1. Allard, G.-H„ The primacy of existence in the thought of Eriugena, in: Neoplatonism and Christian Thought, ed. D.J. O'Meara, Albany 1981, 89-96.

2. Allegro, C„ Giovanni Scoto Eriugena, Fede e ragione, Roma 1974. 3. Beierwaltes W„ Die Wiederentdeckung des Eriugena im Deutschen Idealismus,

in:

Platonismus und Idealismus,

Frankfurt 1972, 188-201.

4. Ders„ Eriugena. Aspekte seiner Philosophie, in: W. Beier­ waltes, Denken des Einen, Studien zur neu platonischen Phi­ losophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt 1985,

337-367. 5. Ders„ Eriugena. Grundzüge seines Denkens, Frankfurt 1994.

Bibliographische Hinweise

XV

6. Bett, H.,Johannes Scotus Erigena. A study in mediaeval phi­ losophy, Cambridge 1925. Reprint New York 1964. 7. Brennan, M., Materials for the Biography of Johannes Scot­ tus Eriugena, in: Studi Medievali, 3• Serie, 27, 1986, 413-460. 8. Cappuyns, M.,Jean Scot Erigene, sa vie, son oeuvre, sa pen­ see. Louvain-Paris 1933. Reprint Brüssel 1964. 9. Contreni, J.J., The Cathedral School of Laon from 850 to 960: Its Manuscripts and Masters, München 1978. 10. Courtine,J.-F., La dimension spatio-temporelle dans la pro­ blematique categoriale du De divisione naturae de Jean Scot Erigene, in: Les Etudes Philosophiques 35, 1980, 343 bis

367. 11. Cristiani, M., Dall'unaminitas all'universitas. Da Alcuino a Giovanni Eriugena. Lineamenti ideologici e terminologia

politica della cultura de! secolo IX., Rom 1978.

12. Dies., Lo spazio e il tempo nell'opera dell'Eriugena, in: Studi Medievali, 3• Serie, 14, 1973, 39-136. 13. dies., Nature - essence et nature - langage. Notes sur l'em­

ploi du terme NATURA dans Je Periphyseon de Jean Erigene,

in: Miscellanea Mediaevalia 13/2, 1981, 707-717.

14. Da! Pra, M., Scoto Eriugena ed il neoplatonismo medievale. Milano 1941, 19512. 15. d'Onofrio, G., Giovanni Scoto e Boezio: tracce degli »Üpus­ cula sacra« e della »Consolatio« nell'opera eriugeniana, in: Studi Medievali, 3• Serie, 21, 1980, 707-753.

16. Ders., Giovanni Scoto e Remigio di Auxerre: a proposito di alcuni commenti altomedievali a Boezio, in: Studi Medievali,

3• Serie, 22, 1981, 587-693. 17. ders., Ohre Ja teologia. Per una lettura dell' »Ümelia« di Gio­ vanni Scoto Eriugena sul prologo de! quarto Vangelo, in: Studi Medievali, 3• Serie, 31, 1990, 285-365.

18. ders., »lnoperans gratia«: Problemi de! neoplatonismo cristi­ ano ed ermeneutica trinitaria di atto e potenza in Giovanni Scoto Eriugena, in: Collana »Dialogo di Filosofia« N. 7, Rom

1990, 337-366. 19. Dräseke,J.,Johannes Scotus Eriugena und dessen Gewährs­

männer in seinem Werke De divisione naturae libri V., Leip­

zig 1902. Reprint Aalen 1972.

20. Ders., Zur Frage nach dem Einfluß des Johannes Scotus

XVI

Bibliographische Hinweise

Eriugena, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 50,

1907, 323-347. 21. Duclow, D. F., Divine nothingness and self-creation in]. Sco­ tus

Eriugena,

in:

The Journal

of

Religion

57,

1977,

109-123. 22. Flasch, K., Zur Rehabilitierung der Relation. Die Theorie der Beziehung bei Johannes Eriugena, in: Philosophie als

Beziehungswissenschaft, Festschrift für Julius Schaaf, hg.

W. F. Niebel und D. Leisegang, I, Frankfurt 197 1, 5 bis

25. 23. Gersh, St., From Iamblichus to Eriugena. An investigation of the prehistory and evolution of the Pseudo-Dionysian tradi­ tion (Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittel­ alterlichen Philosophie VIII), Leiden 1978.

24. Gregory T., Giovanni Scoto Eriugena. Tre Studi, Firenze 1963. 25. Ders., Note sulla dottrina delle »teofanie« in Giovanni Scoto Eriugena, in: Studi Medievali, 3• Serie, 4, 1963, 7 5-91. 26. Ders., L'escatologia di Giovanni Scoto, in: Studi Medievali, 3• Serie, 16, 1975, 497-535.

27. Jeauneau, E., Quatre themes Erigeniens (Conference Al­ bert-Je-Grand 1974), Montreal/Paris 1978.

28. ders., Etudes Erigeniennes, Paris 1987 (Sammlung der bis­ herigen Arbeiten zu Eriugena, incl. »Quatre Themes«).

29. Liebeschütz, H., Texterklärung und Weltdeutung bei Johan­ nes Eriugena, in: Archiv für Kulturgeschichte 40, 1958,

66-96. 30. Lucentini, P., Platonismo Medievale, Contributi per Ja storia dell'Eriugenismo, Firenze 1979.

31. Marenbon, J., From the circle of Alcuin to the school of Au­ xerre. Logic, theology and philosophy in the early Middle

Ages, Cambridge 1981.

32. Mazzarella, P., II pensiero di Giovanni Scoto Eriugena. Sag­ gio interpretativo, Padova 1957.

33. Noack, L., Johannes Scotus Erigena, in: L. Noack, Philo­ sophisch-geschichtliches Lexikon,

Leipzig

187 9, 449 bis

454. 34. O'Meara, D.J., The concept of natura in John Scottus Eriu­ gena (De divisione naturae Book I), in: Vivarium 19, 1981,

126-145.

Bibliographische Hinweise

XVII

35. O'Meara, J.J., Eriugena's use of Augustine, in: Augustinian Studies 11, 1980, 21-34. 36. Ders., Eriugena, Oxford 1988.

37. Piemonte, G. A., Notas sobre Ja »Creatio de nihilo« en Juan Escoto Eriugena, in: Sapientia 23, 1968, 38-59 und 115 bis

132. 38. ders., 'Vita in omnia pervenit'. EI vitalismo eriugeniano y Ja

influencia de Mario Victorino, in: Patristica et Mediaevalia 7,

1986, 3-48; 8, 1987, 3-38. 39. Roques, R., Remarques sur Ja signification de Jean Scot Er­ igene, in: Miscellanea Andre Combes, I, Roma-Paris, 1967 (Divinitas 11), 245-329.

40. Ders., Jean Scot (Erigene), in: Dictionnaire de Spiritualite, fase. LI V-LV, Paris 1973, 7 35-761.

41. Ders„ Libres sentiers vers l'erigenisme (Lessico Intellettuale Europeo IX), Roma 1975.

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Hinführung zu Periphyseon (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Neue Folge,

Band 23), Münster 1982.

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telalter, hg. v. H. Löwe, Stuttgart 1982, II 819-865.

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XVIII

49.

Bibliographische Hinweise

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Journal of the Warburg and Courtauld Institutes

23, 1960,

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ces Generales confecit G.-H. Allard, Montreal/Paris

1983.

e) Bibliographie Brennan, M„ A Guide to Eriugenian Studies. A Survey of Publications

1930-1987,

Fribourg-Paris

1989.

Erste Abtheilung des Werkes

über die Eintheilung der Natur.

Erstes bis drittes Buch.

Das wahrhaft Seiende und die sinnenfällige Welt.

Ueber die Eintheilung der Natur. Er

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10)

h.

L e h r e r. Oftmals habe ich erwogen und nach Kräften sorgfältig untersucht, wie sich alle im Geist erfassbaren oder die Anstrengung desselben üb ersteigenden D inge zu­ erst und zuhöchst eintheilen lassen in Solches, was i s t und was n i c h t i s t. Und als gemeinsam e Bezeichnung für dieses Alles bietet sich uns der Ausdruck N a t u r dar. Oder scheint es dir anders? S c htll e r. Nein ! Ich stimm e bei ; denn auch i ch finde es so, wenn ich den Weg der Vernunftforschung b etrete. L. N a t u r ist also, wie gesagt, der allgemeine Name für Alles, was ist und was nicht ist. Sch. So ist's in der Th a t ; denn Nichts in der Welt mag uns in den Sinn kommen, was unter diesen Ausd ruck nicht passen würde. L. Weil wir also darin übereinstim men, dass dieser Ausdruck ein allgemeiner ist, so wiinschte ich, du gäbest den G esichtspunkt seiner Eintheilung in bestimmte Unter­ schiede an ; oder ich will, wenn dir's recht ist, zuvor die Eintheilung versuchen, und an dir wird e s dann sein, die Unterschiede zu prtlfen. Scb. Beginne nur ; denn ich bin ungeduldi g, darüber den richtigen Gesichtspunkt von dir zu hören. L. Mir scheint die Eintheilung der Natur vier u nt e r (1 schiedene Formen anzunehmen. Sie theilt sich zunächst in eine solche , welche s c h a fft u n d n i c h t g e s c h a ffe n wird; sodann in eine solche, welche ge s c h a ffen wi r d -

4

Erstes Buch.

Kap. 1-3.

u nd s c h a ff t ; zum Dritten in eine solch e , we lch e g e s c h a ffe n w i r d und ni cht s c h a f ft; zum Vierten i n eine solche, welche n i c h t s c h a fft u n d n i c h t g e sc h a ffe n wi r d .SB) Von die sen vier Theilungen stehen sich je zwei einander entgegen , die dri tte d er erst en , d i e vierte der zweiten. Aber die v ier t e fällt unter Unmö g­ liche s , da ihr Unterschei dendes d a ri n besteht , dass sie nicht sein kann. Scheint d i r diese Eintheilung richti g zu s ein o d er n icht ? Sch. Gewiss r ich tig ; ich wUn scbe j edoch, dass du sie wiederholest, d amit der G ege nsatz besa g te r Formen deut­ licher hervorleuchte. L. Du sieh st, wenn ich n icht irr e , den Gegensatz der d ri t te n und d er ersten Form. Die erste n ämlich schafft, ohne ge sch affe n zu werden, und ihr steht d ieje nige ent­ gegen , welche geschaffen wird , ohne zu sch affen. Die z weite steht der vierten ge g enUber ; d enn j e ne wird ge­ sch affen und sch afft , während d agege n die vierte weder schafft, no ch geschaffen wird. Sch. Das sehe ich deutlich; aber viel m acht mir die vierte Form zu schaffen , die von dir h in z u ge fügt worden i s t. In B e t r eff der drei andern nämlich habe ich kein erlei D enn die erste tritt in der Ursach e Alles Bedenken. d essen h e rv or , was ist un d n ich t ist ; die zweite in den ursprUnglichen Ur sach en , und die dritte in de mjeni gen , was bei d er Hervorbringung in Zeit und Raum erkannt wird. Und darum finde ich es nöthi g , dass liber das Ein ze lne gen auere Erört erun gen gegeb en werden . L. Du urtheilst ganz richtig ; doch gebe ich es deinem Ermessen anheim, in welcher Ordnung der Gan g der Er­ ö rterung eingehalten werden soll , d. h. über welche Form d e r Natur zuerst zu verhandeln i st. Sch. Mir sch ei n t e s gerath e n, zuerst darüber zu r e den , was für ein Geisteslicht die erste gewährt. 2] L. Es se i so ; zuvor j e doch gl aube ich liber die vorerwähnte höchste und vornehmste Eintheilung von Allem, was ist un d n i cht ist, kur z reden zu müssen. Sch. Ganz richtig und z weckm ä ss i g ; denn ich sehe, dass die E r ö rt er ung von keinem andern Punkt ausgehen kann , n icht blos wei l sie der erste Unters chied i s t, son­ d ern weil dieser auch dunkler, als di e übrigen, zu s ein scheint und es auch wirklich ist.

Die vier Naturformen.

5

L. Der ursprüngliche maassgebende Unterschied heischt also bestimmte Weisen seiner Erklärung. Die e r s t e [3 We i s e scheint diejenige zu sein, gemäss welcher die Vernunft fordert, dass allem Sinnenfälligen oder Ueber­ sinnlichen vernUnftigerweise das Sein beigelegt werden könne, während dagegen dasjenige, was durch die Vor� trefflichkeit seiner Natur nicht blos dem Stoffe d. h. den Sinnen, sondern auch dem reinen Denken und der Ver­ nunft sich entzieht, nicht zu sein scheint. Und einzig und allein in Gott und im Stoffe, sowie in den Gründen und Seinsweisen aller von ihm gegründeten Dinge ist es möglich, dies richtig gewahr zu werden. Ist doch der­ jenige, welcher allein wahrhaft i s t, eben das Sein von Allem, wie der Areopagite D i o n y s i u s28) sagt: "Das Sein gehört Allem an, das Uebersein ist die Gottheit." Auch der Theologe G r e g o r23) beweist mit vielen Gründen, dass keine Bestandheit oder Wesenheit der sichtbaren oder unsichtbaren Schöpfung in i hrem Sein mit dem Denken oder der Vernunft erfasst werden könne. Denn wie Gott selbst, in sich selber über jedes Geschaffene hinaus lie­ gend, durch keinen Verstand erfasst wird, so ist auch in den heimlichsten Winkeln der von ihm geschaffenen und in ihm bestehenden Kreatur das ins Auge gefasste Wesen unbegreiflich. Was vielmehr in jeder Kreatur entweder mit leiblichen Sinnen wahrgenommen oder mit dem Den­ ken erfasst wird, ist eben nur ein für sich unbegreif­ liches Zubehör jedweden Seins. Mag dasselbe nach seiner Eigenschaft oder Grössenbestimmung oder l!'orm, nach seinem Stoff oder nach irgend einer Unterschiedenheit, nach Ort oder Zeit erkannt werden; so wird doch nicht erkannt, w a s es ist oder war um es ist. Dies ist also die erste und höchte Weise der Eintheilung dessen, was Sein und Nichtsein heisst. Dagegen kann diejenige Weise, welche gewissermassen als eine solche eingeführt werden zu können scheint, die durch Entziehung wesenhafter Bestimmungen festgestellt wird, nach meiner Meinung schlechterdings nicht angenommen werden. Denn ich sehe nicht, wie etwas, das durchaus nicht i s t, noch sein kann und auch nicht durch den V o r zug seines Daseins das Denken übersteigt, unter die Eintheilungen der Dinge aufgenommen werden könne, es müsste denn Jemand sa­ gen wollen, die bei seienden Dingen sich findenden Män-

6

Erstes Buch.

Kap. 4. 5.

gel und Entziehungen seien nicht durchaus Nichts , son­ dern sie seien in einer wunderbaren natürlichen Kraft derj enigen Dinge , deren Mängel oder Entziehungen oder Gegensätze sie sind , in d e r Art vorbanden , dass sie 4] gewissermassen s e i e n. Es folge nunmehr die z w e i t e Weise des Seins und Nichtseins , die bei unterschiedenen Ordnungen der geschaffenen Naturen in Betracht kommt. Sie fängt bei der erhabensten, zunächst in Gott gesetzten, reinen Verstandeskraft an und steigt bis zur äussersten Grenze der vernünftigen und vernunftlosen Kreatur herab oder , deutlicher zu reden , vom höchsten Engel bis zum letzten .Theile der vernünftigen oder vernunftlosen Seele, dem nährenden und W achsthum fördernden Leben näm­ lich ; denn dieser letzte Theil der allgemeinen Seele ist e s , der den Körper nährt und wachsen lässt. Und hier kann auf wunderbare Weise des Verständnisses j ede Ord­ nung mitsammt ihrer nächst niedrigem, welche die Körper­ welt ist und in der sieb jede Eintbeilung abgrenzt , Sein und Nichtsein genannt werden. Denn die Bejahung des Niederen ist die Verneinung des Höheren , ebenso die Verneinung des Niederen ist die Bejahung des Höheren ; und in gleicher Weise ist die Bejahung des Höheren die Verneinung des Niederen, und somit die Verneinung des Höheren die Bejahung des Niederen. Die Bejahung näm­ lich des Menschen , worunter ich hier den sterblichen verstehe , ist die Verneinung des Engels , die Verneinung des Menschen ist die Bej ahung des Engels und so gegen­ seitig. Denn wenn der Mensch ein vernünftiges , sterb­ liches , sichtbares Geschöpf ist , so ist in Wahrheit der Engel weder ein vernünftiges, noch sterbliches, noch sicht­ bares Geschöpf. Und wenn der Engel eine wesenhafte Denkbewegung im Umkreis Gottes und der Ursachen der D inge ist , so ist in W abrheit der Mensch keine solche auf Gott und die Ursachen der Dinge gerichtete wesen­ hafte Denkbewegung. Dieselbe Regel lässt sich bei allen himmlischen Wesenheiten bis hinauf zur allerobersten Ordnung beobachten , und sie wird nach oben in der höchsten Verneinung abgeschlossen , welche keine höhere Kreatur mehr voraussetzt. Es giebt aber drei solcher sogenannten Stufenordnungen. Die erste umfasst die Che­ rubim , die Seraphim und die Throne ; die zweite die Kräfte , die Mächte und die Herrschaften ; die dritte die

Die erste, zweite und dritte Seinsweise.

7

Fürstenthümer , die Erzengel und die Engel. .Abwärts aber ist es nur allein die Ordnung der Körper , welche eine nächst höhere entweder verneint oder bej aht , weil sie unter sich Nichts hat , was sie abzulehnen oder zu bestätigen hätte , sintemal sie zwar von allen ihr voran­ gehenden Ordnungen eingeführt wird , selber aber keine nachfolgende einführt. Unter diesem Gesichtspunkt also wird j ede Ordnung der vernünftigen und der übersinn­ lichen Natur als Sein und Nichtsein bezeichnet. Sie i s t nämlich , sofern sie von höheren Kreaturen oder von ihr selber erkannt wird ; sie i s t n i c ht , sofern sie von unter ihr stehenden begriffen zu werden nicht gestattet. Die dri tte Seinsweise wird nicht unpassend in dem- [5 j enigen wahrgenommen, wodurch die Fiille der sichtbaren Welt zu Stande kommt, sowie in den ihr vorausgehenden Ursachen , die in den Falten der Natur verborgen liegen. Denn was von den Ursachen s elber im gestalteten Stoff bei der Hervorbringung in Zeit und Raum erkannt wird , gilt herkömmlich als Sein ; was dagegen noch in den Falten der Natur enthalten ist , ohne im gestalteten Stoffe oder in Raum und Zeit und in anderem Zufälligen sichtbar zu werden, gilt ebenso herkömmlich als Nichtsein. Beispiele hiervon liegen auf der Hand und vorzugsweise in der menschlichen Natur. In j enem Ersten und Einzigen näm­ lich , den Gott nach seinem Bilde schuf, hat er zugleich die Menschen mitgesetzt , indem er sie n icht auf einmal in diese sichtbare Welt einführte , sondern die ursprüng­ lich geschaffene Natur in bestimmten Zeiten und Orten in einer nur ihm allein bekannten Reihe zum sichtbaren Dasein gelangen liess. Von diesen Erscheinungen nun, die in der Welt sichtbar werden oder geworden sind, wird gesagt, dass sie s i n d ; von denen dagegen, die noch verborgen oder zukünftig sind , wird gesagt , dass sie n i c h t s i n d. Z wischen der ersten und dritten Seinsweise besteht j edoch ein Unterschied . Die erzte zeigt sich all­ gemein bei Allem , was zugleich und auf einmal in den Ursachen und Wirkungen geschehen ist; die dritte zeigt sich vorzugsweise in demjenigen , was theils noch in seinen Ursachen verborgen ist, theils in Wirkungen offen liegt , worin eigentlich der Zusammenhang dieser Welt besteht . Zu dieser letzteren Seinsweise gehört auch jener Gesichtspunkt , welcher die Keimkraft in Thieren , Pflan-

8

Erstes Buch.

Kap. 6. 7.

zen und Bäumen ins Auge fasst. Denn so lange die Keimkraft noch heimlich in der Natur schweigt und noch nicht zum Vorschein kommt, wird von ihr das Nichtsein behauptet ; sobald sie j edoch in entstehenden und wach­ senden Geschöpfen oder in Blüthen und Früchten der Bäume und Pflanzen erschienen ist , wird von ihnen das 6]

Sein ausgesagt.

Die vi erte Weise sagt,

nach den

Philosophen , nicht uneben das wahrhafte Sein nur allein von demjenigen aus , was allein vom reinen Denken be­ griffen wird. Was dagegen durch Zeugung , durch Aus­ dehnung oder Zusammenziehung des Stoffs in räumlicher und zeitlicher Bewegung sich verändert , sich zusammen­ findet oder sich auflöst , von dem wird gesagt , dass es in Wahrheit n i c h t i s t, und dies gilt von allen Körpern , die entstehen und wieder vergehen können. Die fü n ft e 7] Weise des Seins vermag die Vernunft nur an der mensch­ lichen Natur ins Auge zu fassen. Hat diese die Würde des göttlichen Ebenbildes , worin sie eigentlich Bestand hat, durch die Sünde verlassen ; so hat sie mit Recht ihr Sein verloren und heisst deshalb Nichtsein. Wenn sie jedoch nach Herstellung der Gnade des eingeborenen Gottessohnes in den früheren Zustand ihrer Bestandheit, worin sie nach Gottes Bilde gegründet war, zurückgeführt wird , so fängt sie an zu s e i n und b eginnt in Dem zu leben , der nach Gottes Bilde geschaffen war. Zu dieser Weise des Seins scheint zu gehören , was der Apostel sagt : „Er beruft d a s, was nicht ist, als ein Solches, was ist, " d. h. diej enigen, welche im ersten Menschen verloren gegangen und gewissermassen in Nichtbestand geratheu sind, beruft Gott der Vater durch den Glauben an seinen Sohn zu gleichem S ein mit denen , welche bereits in Christus wiedergeboren sind. Indessen könnte dies auch von denen verstanden werden , welche Gott aus den ver­ borgenen Falten der Natur , wo sie als nichtseiend anzu­ sehen sind, täglich hervorruft , damit sie in Form und Stoff und in Anderem, worin Verborgenes erscheinen mag, sichtbar erscheinen. Möglicherweise könnte die nach­ spürende Vernunft ausser diesen Weisen des Seins noch Weiteres finden ; aber für j etzt ist hierüber, wie ich glaube , genug gesagt , wenn du nicht etwa anderer Mei­ nung bist. 39) Sch. Es wäre vollständig hinreichend , wenn mich

Die vierte und fünfte Seinsweise.

9

nicht dasj enige ein wenig beunruhigte , was vom heiligen A u g u s t i n 33) in seinem Sechstagewerke bemerkt wird. Es heisst hier nämlich , dass die Engelnatur nicht der Zeit, sondern der Wtirde nach vor jeder Kreatur geschaffen sei , und demnach hätte diesel be ausser ihren eigenen auch die Ursachen anderer Wesen, als sogenannte Proto­ typen und Musterbilder, zuvörders t in Gott, sodann in ihr selber und endlich die Kreaturen in ihren Wirkungen be­ trachtet. Denn ihre eigne Ursache verm o chte die Engel­ natur nicht zu erkennen , bevor sie zu ihrer Eigengestalt gelangte. L. Dies darf dich nicht anfechten ; erwäge nur ge­ nauer das Gesagte. Wenn wir sagen, dass die Engel die in Gott gesetzten ersten Ursachen der D i n ge erkannt hätten , so scheint es, als widersprächen wir dem Apostel, welcher beh auptet, dass Gott selber Uber jeden Ausdruck und Gedanken erhaben sei, und dass die Ursachen aller Dinge in ihm sind , mögen sie nun etwas Anderes oder nichts Anderes sein, als was er selber ist. D arum ist es nöthig , einen richtigen Mittel weg einzuhalten , damit es nicht den Anschein gewinnt , als ob wir entweder dem Apostel entgegen wären , oder das hohe und heilige An­ sehen der Meinung des Lehrers nicht beachteten. Un­ zweifelhaft ist daran festzuhalten , dass Beide wahr ge­ sprochen haben. Die Vernunft lässt zu , dass die jeden Gedanken Ubersteigende Ursache aller Dinge , nach dem Apostel , keiner Kreatur bekannt sei. „Denn wer (sagt er) hat des Herrn Sinn erkannt ? " Und anderswo : „ Der Friede C h r i s t i , welcher höher ist, als alle Vernunft. " Ist aber die All - Ursache entfernt von Allem , was von ihr geschaffen is t ; so sind ohne Z weifel die Grunde aller Dinge, welche ewig und un veränderlich in der All-Ursache sind, von allem durch sie Begrtindeten ganz und gar ent­ fernt. Aber ich glaube, dass man von der Wahrheit nicht abirrt, wenn man sagt, dass in den Gedanken der Engel nicht die Grtinde oder Musterbilder selbst, sondern gewisse für die denkende Natur erfassbare göttliche Erscheinungen dieser Grtlnde vorhanden sind. Und i ch glaube, dass der heilige A u g u s t i n habe sagen wollen, diese göttliche Er­ scheinungen seien in der engelischen Kreatur vor jeder Hervorbringung niederer Kreaturen sichtbar gewesen. Wir dtlrfen also unbedenklich sagen, dass die Engel zuvörderst

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Erstes B n c h .

Kap. 8 .

in Gott , sodann in i h nen selber die Ursachen d e r n iedri­ ger stehenden Kreatur sehen. Denn göttliche Wesenheit wird nicht blos Gott allein genannt ; auch j e ne S e i ns w e is e , worin er sich gewissermassen der rein denkenden und der vernünftigen Kreatur nach der Fassun g skraft jedes Einzelnen zeigt , wird oft von d e r heiligen Schrift Gott g e n a nn t. Und diese Seinsweise heisst bei d en Gri e chen T he o phan i e, d. h. Gott- Erscheinung. Es heisst z. B. : „ ich s ah Gott sitzen, " wenn man nicht Gottes Wesenheit selbst, sondern etwas von ihm Geschaffenes gesehen hat. Es ist also kein Wun d e r , wenn beim En gel eine dreifache Er­ kenntniss verstanden wird. Eine obere z un ächst , welche sich nach der erwähnten Seinsweise auf die ewigen Gründe der Dinge bezieht. Dann folg t , was der E ngel vom Hö­ h eren aufnimmt und in w u n d er barem und unaussprech­ lichem Gedächtniss wie einen Abdruck des Bildes gleich­ sam sich selber an vertraut. Un d kann er demn ach auf solche Art Höheres e rke nn en , wie dürfte man sagen , er besitze nicht auch e i n e gewisse Erkenntniss des Niedri­ � er e n ? D asj enige also , was mit Vernunft und reinem D enken be g r iffen werden kann , wird richtig S e i n ge­ nannt ; was aber Vernunft un d reines Denken tibersteigt, wird mit gle i c h e m Rechte N i c h t s e i n g en an nt. Sch. Was sollen wir nun von jener d e n H ei l ige n 8] verheissenen künftigen Seligkeit sagen, von der wir n ichts Anderes glauben, a l s dass sie ein reines und unmittelbares Schauen de r göttlichen Wesenheit selber sei ? Sagt doch der heilige J o h a n n e s : „ W i r sind nun G o t te s Kinder, und ist noch n ic h t e r s c hie n en , was wir sein werden ; wenn es aber ers c hi e ne n sein wird , werden wir ihm gl e i c h s ein ; denn wir werden ihn sehen , wie er ist. " Ebenso der Apostel P a u 1 u s : „ Wir sehen j etzt durch ei ne n S pi ege l in einem d u n k ele n Wo rt , dann aber von Ang e s i c h t zu Ange s i c h t. " Ebenso redet , wie ich glaube , der h e i l i ge A u g u s t i n 33) i m 12. B u c h vom Gottesstaate über das künf­ tige Schauen der göttlichen Wesenheit mit den W o r ten : „ D urch unsere Leiber w erden wir in jedem Körper , den wir erblicken werden , wohin wir auch unsere leiblichen Augen wenden mögen, den Herrn selbst m i t durchsichtiger Klarheit a n s c h a ue n . " D urch die angegebenen Gründe i s t e s nun a b e r auagemacht , dass die göttliche Wesenheit für kein geschaffenes Denken erfassbar ist , wie solches

Die höchste Ans chauung der göttlichen Wesenheit.

11

zweifelsohne vorzugsweise in den Engeln besteht. Uns dagegen wird keine an dere Seligkeit verh eissen , als die Gleichheit mit der Engelnatur. Wenn also die Höhe der göttlichen Wesenheit die reinste Kraft der Engel-Anschau­ ung tibereteigt, wie m ag die Seligkeit der Menschennatur im Stande sein , die Hö h e der göttlichen Wesenheit z u schauen ? L. Sch arfsinnig und aufmerksam ; denn nicht ohne Grund bist d u deshalb unruhig. Ich m eine j e doch , d a s s d i r das gentigen dtirfte , w a s w i r früher im Allgemeinen tiber j ede Kreatur angenommen h aben. Sch. Was denn ? B itte, wiederhole e s ! L. Haben wir n icht allgemein festgestellt , dass die göttliche Wesenheit an eich für keinen leiblichen Sinn, für keine Vernunft, für kein Denken eines Menschen oder Engels erfassbar sei ? Sch. Ich erinnere mich dessen u n d kann nicht leug­ nen 1 dass ich e s so angen o m m e n habe. Entweder wird aber, wie mir sch eint, die erwähnte Schlussfolgerung gänz­ l i ch aufgelöst, und wir werden dem gesch affenen Denken eine Anschauung der göttlichen Wesenheit an sich bei­ legen ; oder aber , wenn die Schlussfol gerung auf sichere Grün de gestützt und n icht auflösbar ist, so wird e s n öthig sein 1 dass du jene Weise der göttlichen An schauung, welche den Heiligen in der Zukunft verheissen i st, und in welcher die Engel immerfort stehen, mit wahren Grü nden und annehmbaren Beweisen erledigst. L. Ich wei s s n i cht , welche an dere Weise du im Auge hast, als jene, die w i r vorhin in der Ktirze e rörtert haben . Sch. Bitte, wiederhole doch, welch e du meinst ; denn ich erinnere mich d e s sen nicht. L. B esinnst du dich nicht, worüber wir einig gewor­ den waren , da wir vom Sechstagewerke des h . Vaters A u g u s t i n red eten ? Sch. Ich erinnere mich dessen z w ar 1 möchte dich aber nochmals d arüber reden hören. L . E s beunruhigte dich , wie ich glaube , dass ge­ d achter Vater sagte, die Ursachen der zu schaffenden Dinge, welche in Gott und Gott selber sind , h ätten die Engel z uvörderst in Gott und sodann in ihnen selber betrachtet, d anach aber hätten sie die Eigen arten und Unterschiede

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Erstes

Buch.

Kap. 8 . 9.

der Kreaturen selbst erkannt , da ja doch keiner Kreatur die göttliche Wesenheit selber mit den in ihr vorhandenen ersten Gründen wesentlich begreiflich sein könne . Sch. Ich versteh' es wohl. L. Erinnerst du dich, was ich darauf antwortete ? Sch. Allerdings erinnere ich mich dessen, wenn mich das Gedächtn iss n icht trügt. D u s ag t es t näml ich , nicht sowohl die Ursachen der Dinge selbst , die im göttlichen Wesen bestehen , hätten die Engel gesehen , sondern ge­ wisse göttliche Erscheinungen , welche die Griechen , wie du meinst , Theoph anien 47) nennen , und welche mit dem Namen der ewigen Ursachen , deren Bilder sie sind , be­ nannt würden. Auch fügtest du hinzu, nicht blos das un­ veränderlich in sich selber bestehen d e göttliche Wesen werde Gott genannt , sondern auch die Theophanien sel­ b er, welche aus diesem Wesen und durch dasselbe in der denkenden Natur ausgeprägt werden , würden mit dem Namen Gott bezeichnet. L. Du behältst gut ; denn so h ab ' ich gesagt. Sch. Aber wie gehört dies zur vorliegenden Frage ? L. Sehr nahe , soviel ich sehe. Denn auf dieselbe Weise, glaube ich, sehen auch die Engel stets Gott, und ebenso werden die Gerechten sowohl in diesem Lebe n , so lange die Seele sich im Zustande des Entrückt­ seins befindet , als auch künftig gleich den Engeln Gott sehen. Wir werden also nicht Gott an sich selber sehen, weil ihn so nicht einmal die Engel sehen ; denn dies ist j eder Kreatur un möglich , sintern al Er allein ( wie der Apostel s agt) die Unsterblichkeit hat und in einem Lichte wohnt , da Niemand zukommen kann. Wir werden viel­ mehr nur gewisse von ih m in uns b ewirkte Gotteserschei­ nungen erblicken. Denn ist nicht Jedweder n ach der Höhe seiner Heiligkeit und Weisheit von einer und der­ selben Gestalt, nach w elcher Alles ringt, dem Worte Got­ tes gebildet ? Redet sie doch von sich im Evangelium : n lm Hause meines Vaters sind viele 'Vohnungen " , indem sie sich selber das Haus des Vaters nennt. Und während sie unveränderlich eine und diesel b e bleibt, erscheint sie gleichwohl auf vielfache Weise denen , welchen es be­ schieden ist, bei sich einzukehren. Denn Jedweder , wie gesagt , wird die Kenntniss des eingebornen Wortes Got­ tes in sich selber besitzen , soviel ihm aus Gnaden gc-

Die Gotteserscheinunge n .

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währt wird. Wie gross nämlich d i e Zahl der Erwählten sein wird, ebensogross wird die Zahl der Wohnungen sein, und wie viele heilige Seelen gewesen sind , ebensogross wird der Besitz von Gotteserscheinungen sein. Sch . Dies gilt al s wahrscheinlich. L. Du sagst richtig : wahrscheinl ich ; denn wer würde erhärten können , dass es sic h in Betreff solcher Dinge ewig so verhalte , so lange noch in diesem gebrechlichen und mühseligen Fleische dem Menschen die Kraft auszu­ gehen scheint ? Sch. Ich wlinschte jedoch, du eröffnest mir kurz, was [9 du in Betreff der Gottesersch einung vermuthest, d. h. was und woher und wo sie sei, und ob sie ausserhalb oder innerhalb uns selber gebi ldet wird. L. Hohes suchst d u , und ich weiss nicht, was es Höheres für die menschliche Nachforsch ung geben könnte. Doch will ich sagen, was ich über diesen Gegenstand in den Büchern der h. Väter , die darüber zu reden wagten, finden konnte. Sch. Bitte, sag' es ! L. Du fragst also, was und woher und wo die Gottes­ ers cheinung sei ? Sch. In der That. L. Wi r fi n d en, dass der Mönc h M a x i m u s , ein gött­ li cher P h ilos o ph , in der Erklärung der Reden des Theolo­ gen G r e g o r d iese Theoph anie tief- und scharfsinnigst erörtert hat. Er sagt nämlich : " Eine Gott - Ersch einung wird nu r al lein von Gott gewirkt und entsteh t aus dem Herabsteigen des gö t tli c h en W o r te s , d. h. d e s eingeb ornen Sohnes, der die Weisheit des Vaters i st, zu der von ihm gesch affenen und gereinigten menschlichen Natur und aus der du rch die göttliche Liebe gewirkten Erhöhung der menschlichen Natur zu gedachtem Worte." Unter dem Herabsteigen verstehe ich hier nicht dasj enige , welches bereits bei der Menschwerdun g geschehen ist, sondern dasjenige, welches durch die Vergottung oder das Gott­ werden der Kreatur geschieht. D ie Gott- Erscheinung ent­ steht also aus einem durch die Gnade vermittelten Herab­ steigen der göttl i chen Weisheit zur mensch l ichen Natur und aus einer durch die Liebe vermittelten Erhöhu n g d ieser Natur zur Wei sheit selbst. Diesem Sinne s cheint der heilige Vater A u g u s t i n beizustimmen, wel cher das Wort

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Erstes Buch.

Kap. 9 . 1 0.

des Apostels von dem , der uns zur Gerechtigkeit und Weisheit geworden ist , also erklärt : " Die Weisheit des Vaters , in welcher und durch welehe Alles gemacht ist, und welche n i cht geschaffen , sondern schaffen d ist , ent­ steht in unsern Seelen durch ein unaussprechliches Herab­ steigen ihrer B a rm h erz igke it und g e stal tet sich auf un­ aussprechliche Weise in unserm Denken zu einer Weis­ heit, die gleichsam zusammengewachsen ist aus dem zu uns Herab steigenden und in uns Wohnenden einerseits und aus unserm eignen Denken an d er er seit s , welches von j enem i n Liebe aufg eno m m en u n d u m gewan de l t worden ist. " Ebenso sagt er von der G e r e cht ig k eit und d en übri­ gen Kräfte n , dass sie nicht anders entstehen , als aus einer wun derbaren und unaussprechlichen Zusammenbil­ dung un sers Denkens mit der göttl i chen Weisheit. " So­ · weit n äm l ich (s agt M a x i m u s ) d a s menschliche D enken du rch Liebe au fs t e ig t , ebensoweit steigt die göttli c h e Weis­ heit d u rch B ar m h e rzigkeit herab. " Eben d i e s e göttl iche Weish e i t i s t Urs a c h e und B e standheit aller T ug e n d e n . Jede Gott- E rscheinung al s o , cl . h. j e d e Tugend wird b e­ reits in d ies em Leben, in welchem sie bei den Würdigen s ich zu bilden b eg innt , die auch i m künftigen Leben die Vollendung der gött l i chen Sel i g k e i t e m pfan ge n werden, n icht v o n a usse n h e r, sondern i n i h n e n selber sowohl aus Gott, a l s aus ih nen selbst bewirkt. Sch. V o n Gott aus gesch i e h t es a l s o , d a s s in der En gel - und Menschenn atur, wenn sie erleuchtet, gerei n i g t und durch Gnade vo l l en d et ist, d i e Gott-Erscheinung durch Herabsteigen der gö t t l i ch e n Weisheit und d u rch A u fstei g e n des mensch l i chen un d engelischen Denkens entsteht. 10] L. Sicher ; denn dazu stim m t , was M a x i m u s sagt. Soweit also die Seele die Tugend erfasst , ebenso weit wird sie selber Tugend. Suchst dn davon B e i spiele, so sind solche von eben d emse lben M a x i m u s aufs Ueber­ z e u g en d s t e vo r g eb r ach t worden . " So w i e n äm l i c h ( sagt d erselbe) die von der Sonne erleuchtete L u ft blos Licht zu sein s c h e in t , nicht als ob sie ihre Natur ei n biis ste , sondern weil das Licht in ihr so Uberwiegt, dass sie sel­ ber für Licht gi l t ; s o heisst auch die mit Gott verbunden e menschliche Natur Gott in Al l e m , n icht als ob sie auf� h ö r te , menschliche Natur zu sein , sondern weil s i e die Theiln a h m e an der Gottheit emp fängt, so dass i n ihr n u r

Die Möglichkeit der Gotte sersch einungen .

15

Gott a l le i n

z u sein scheint. " J9 ungezeugten Wo r te des Vaters , als der All-Form , jede beso n dere Form gesc h a ffen , m ag sie nun wesent l i ch sein oder aus der Eigenschaft s t amm e n und mit dem Stoffe verbunden den K örper erzeugen. Von derselben hö c hs t en Form komm t auch jede Formlosigkeit ; denn dass aus formloser Form in ausnehmender Weise die Formlo s ig keit 1 als das Beraubtsein von allen Fo rm en , ge s chaffen ­

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Erstes Buch.

Kap. 59. 60.

werde, ist gar nicht zu verwundern, da ja aus dem e i n e n Urquell nicht blos Gleichartiges , sondern auch Un gleich­ artiges und nicht blos dasjenige hervorgeht , welche m in ausnehmender Weise , sondern auch dasjenige , welchem durch Entziehung ein Sein oder Nichtsein beigelegt wird. Leuchtet es dir also nunmehr deutlich ein , dass wir nicht ohne Grund auf die Gewährschaft des heiligen G r e ­ g o r von Nyssa hin behauptet haben, die Körper entstän­ den aus dem Zusamm entreten zufäll iger Bestimmungen ? Du siehst j a, dass auch andere griechische und lateinische Schriftsteller die Entstehung der Körper aus Uukörper­ lichem behaupten. Aber die Meinung des erwähnten Va· ters G r e g o r mag doch in unsere Erörterung eingeflochten werden. Indem derselbe in seinem Buch vom B ilde Den­ jenigen entgegentritt , welche d en Stoff als gleich ewig mit Gott bezeichnen , sagt er Folgendes : " Keineswegs ausserhalb des folgerichtig Gefundenen liegt jene Annahme, wonach der Stoff aus einem Denkbaren und Unstofflichen bestehen soll. Wir fanden j a , dass jeder Stoff aus ge­ wissen Eigenschaften besteht und , wenn er von diesen entblösst wird , auf keine Weise flir sich erfasst werden kann. Das Denkbare ist aber auch eine Ansch auung vom Unkörperlichen . Wenn wir nämlich ein beliebiges Thier oder Gewächs oder sonst irgen d ein Wesen von stofflicher Besch affenheit i n der Ansch auung voraussetzen, so denken wir nach unserer Einsicht in Betreff des fraglichen Gegen­ standes Vieles , was im Einzelnen eine unverworrene Be­ ziehun g auf den Gegenstand hat. Bei der Farbe verhält e s sich anders als bei der Schwere , bei einer Grössen­ bestimmtheit an ders als bei dem auB der Wahrnehmung der Eigenthümlichkcit ergebenden Denken. Denn so wenig wie Weichheit mit Ellenlänge , ebenso wenig wird An­ deres , was wir angeführt haben , vernlinftigerweise mit einander oder mit dem Körper verwechselt. Denn bei j edem dergleichen wird an die besondere Ursache ged ach t, woraus dasselbe erklärt wird , und nichts von dem , was man Uber einen Gegenstand vorbringt, wird mit einer an­ deren Eigensch aft verwechselt. Wenn also die Farbe gedacht wird , so wird auch Festigkeit und Grösse und das übrige Zugehöri g e gedacht. Wird j edoch von diesem Allen irgend Etwas · dem Gegenstand entzogen , so wird damit zugleich die ganze Verfassung des Körpers aufge-

En tstehung

der

Körper.

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löst , und wir mlissen folgerichtig das Zusammentreffen desjenigen, von dessen Abwesenheit wir die Auflösung des Körpers abhängig finden, als die Schöpfung der stofflichen Natur annehmen. Einerseits giebt es nämlich keinen Kör­ per, dem nicht Wesenheit und Figur, Festigkeit und Ent­ fernung 1 Schwere und anderes dahin Gehörige zukommt ; keins von diesen ist aber selber Körper , sondern augen­ scheinlich etwas vom Körper Unabhängiges. Ebenso bringt andererseits das hier Aufgeführte, wo e s n u r irgend zusammentrifft , die körperliche Bestandheit zu Stande. Wenn jedoch das Verständniss der Einzelheiten gedanken­ haft ist, und auch Gott eine gedankenhafte Natur heisst, so ist e s auch nichts Unfolgerichtiges , dass aus einer unkörperlfohen Natur diese gedankenm ässigen Veranlas­ sungen zur Erzeugung der Körper von der die gedanken­ haften Kräfte begrUndenden gedankenh aften Natur selber eingesetzt worden sind , während ihr gegenseitiges zu­ sammentreffen die stoffliche Natur zur Zeugung hinführt. " Siehst du nicht hieraus , dass der von erwähntem (60 Lehrer vorgebrachte gewichtige Beweisgrund ausreicht ? Wäre der K örper etwas Anderes als ein Zusammentreffen von zufälligen Bestimmungen der Wesenheit, so wtirde er in sich selber auch n ach deren Entziehung für sich fort­ bestehen , sintemal j edes durch sich bestehende Subj ekt, um zu sein , der zufälligen Bestimmungen ebensowenig bedarf wie die Wesenheit selbst. Denn diese besteht stets und unveränderlich durch ihre n atiirlichen HUlfs­ mittel mit oder ohne die zufälligen Bestimmungen , mag nun dasjenige in ihr verbleiben , was ohne sie nicht sein kann , oder mag von ihr weichen , was im Denken oder in thatsächlicher Wirksamkeit von ihr losgetrennt werden kann. Dagegen kann ein Körper nach Abzug der zufälli­ gen Bestimmungen in keiner Weise für sich bestehen, weil er sich auf keine Bestandheit grUndet. Denn ent­ ziehen wir dem Körper die Grösse , so ist er nicht mehr Körper, der ja in den Räumen der einzelnen Glieder ent­ halten ist ; entziehen wir ihm die Eigenschaft , so bleibt nur Unförmiges und Nichts zurUck. Ebenso verhält es sich mit dem librigen Zubehör , worin der Körper befasst zu sein scheint. Dass er also ohn e zufällige Bestimmun­ gen für sich nicht bestehen kann, ist nicht anders zu ver­ stehen, als dass er eben nur durch deren Zusammentreten

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Kap. 61. 62.

sein R e i n h at. W i e w är e es also zu verwundern od er wid er d i e Ver n u nft , wenn wir in ähnlicher W e i s e ann e h m e n , der prächtige B o e t h i u s 2) h ab e u n t er e i n e m w an d e l b a r e n D i n g n i chts anders als de n stofflichen Kör­ per ve r s t an d e n , welcher n a ch den e i g e n e n Worten des­ s e lben aus d e m Z u s a mm e n t ri t t e s ol ch e r D i n g e g e b i lde t ist , de n e n wahres Sein zukom m t ! Und wenn sie so b e ­ trachtet werden, m ü ss e n s i e n o t h w en d i g e in e V e ränd erun g erl e i d e n . Auch i s t dies um so w en i g e r zu v e r wun d e rn , als j a d i e für s i c h unverän d e r l i c h e n D i ng e m itte l s t reinen Geistesblickes i n i h r e r E i n fach h e i t a nde rs an g e s c h a u t w e r­ d e n , a l s s i e s i c h i n F olg e jenes Zusam mentretens in s t o ff­ licher Gestalt dem leiblichen Sinne d arstellen. S e h e n wir j a doch d a s fü r s i c h Einfache und Unverg ängliche durch s e i n e Ve r e in i gu n g g e r a d e z u ein Zusam mengesetztes u n d Verg ängliches zu S tan d e bringen. Und w e m wäre es un­ b ekann t , dass d ie M a s s e un serer E r dku ge l selbst aus vier e infachen Grundstoffen ge b ild e t i st, und d a s s , während sie s e l b er d o c h v e r g än glich und auflösbar i s t , g l e i c hwohl die E l e me nt e , woraus sie besteht, i n i h r e r una uflöslichen E i n­ fac hh e i t verh arren ? Und eben d ie s e s i n d es, w e l c h e d i e Vernunft ü b e r h a u p t in fa s t a l l e n Kö r p e r n ersch aut. Hier­ über gl aub e i c h j e d o c h genug gesagt zu h a b e n . 55) Sch. Ohne Z we i fe l genug , und ich s e h e , dass j e t z t zur Bet r a ch t u ng d er ü b r i ge n K a t e g or i en übergegan gen wi>.rden d a r f. D enn i n B e treff j e ne r n o c h l än g er z u z we i ­ fel n , i s t o h n e F r a g e n ur die Sache Solcher , w e l c h e d i e Natu ren der D in g e nur oberflächl i ch ins A u g e fas sen. Und darum erfüllt m i c h meine Langs amkeit in v i ele n Stücken m i t Scham u n d Rene. L . Du h ast w e der Ur s a c h e z u r S ch a m , n o c h z u r Re u e . D en n o bw o h l d e r Ge g e n s t a n d un s e r er Erör t e ru n g für d ie Weisen so durchsichtig ist, d a s s Keiner v o n i h n e n d a b e i ve r we i lt ; so mag dies doch für Un geü b t e , die vom N i e dr i g e r e n zum H ö h e r e n vorwärts s chr eit e n , von 61]

Nutzen sein. Sch. Ohne Zweifel , und

d i e s ist

g er ad e

m e i n Fal l ;

fahre also fort ! 6 2] L. Noch z w ei K a t e g o r i e n s in d , wenn ich nicht irre , z u b etrachten librig : d a s Thun und d a s Leiden . Denn bei Ge l e g e nh eit un s e r e r Erö r te r un g über den Raum h aben wir , sow eit e s das Bedürfniss d e r vorliegenden

Thun und Leiden keine BeS'ti mmungen Gottes.

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Untersuchung erh eischte , auch b ereits Einiges Uber d i e Z e i t vorgebracht. Sch. Ich er warte j etzt von dir n ichts weiter über Raum u n d Zeit z u h ören ; denn e s genUgt mir das dar­ über b ereits Gesagte , und wer ja ü b e r a l l e s Einzelne reden wo llte , w a s d i e Vernunft zu b etrachten verlangt, würde kaum zu e i n e m Ende der Erörterun gen gelangen. L . Erwäge n u n m e h r , ob Thun und Leiden von Gott eige n tlich ausge s agt werden, o d e r ob sie gleich d e n übri­ gen Kate g orien nur als Uebertragun gen gelten können. Sch. Als U ebertragu n g e n doch w o h l ; denn wie w äre z u glau b e n , dass diese beiden von der Regel der übrigen abwichen , d a sie doch von g e ri nger e m Belang z u sein scheinen. L. Sage doch, was du davon h ältst, o b nicht Bewegen und Bewegtwerden so viel als Thun und Leiden ist. Sch. Ich fasse e s nicht anders auf. L. Ebenso, d e nke ich, Lieben un d Geliebtwerden. Sch. Es geschieht n ach der gle ichen Regel , und Jeder, der in den freien Künsten erfahren i s t 1 weiss auch , dass dergleichen Worte Activa u n d Passiva h e issen . L. W e n n also diese Worte die Bedeutung e i n e s Thuns u n d Leidens h ab en , so werden s i e j a nicht eigen tli c h , sondern nur durch Uebertragung von Gott g ebraucht u n d nicht w i r k l i ch , son dern n u r ge wissermassen von i h m aus­ gesagt. D e n n i n Wirklichkeit i st Gott n i c h t th ätig, noch handelt er ; er bewegt weder , noch wird er b ewe gt ; er liebt weder, noch wird er g e l i ebt. Sch. IJetzteres bedarf d o c h e i n i g e r Ueberlegun g , da die Autorität der ganzen heiligen Schrift und der heiligen Väter zu widerstreiten sch e int. D u weisst j a , wie o ft die h eili g e Schrift ausdrücklich sagt , d a s s Gott h andle und leide 1 liebe und geliebt werde , sehe u n d gesehen werde, bewege und b ew e gt werde, und dergleichen mehr. Weil j edoch d i e s e Beispiele zahllos sind und dem , der danach s u c ht , allerwärts aufstossen 1 so dürfen sie , u m Weitläufigkeit z u vermeiden , fli g l i c b U b ergangen werden. Es m ag genügen 1 auf das e i n e B eisp i e l aus dem Evan­ gelium hinzu weisen : „ Wer mich lieb t , wird von m e i n e m Vater g e l i e b t werden, und ich w e r d e i hn lieben und w e r d e mich ihm o ffe n b aren ! " E b e n s o hat der h. A u g u s t i n 33) in seinem S e chstagewerke 1 wo er von der gö ttlichen B e w e-

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Kap. 62.

gung redet, sich also au sgesprochen : n Der Schöpfergeist beweg t sich ohne Zeit und Raum, er bewegt den geschaf­ fenen Geist unräumlich durch die Zeit ; er bewegt den Körper durch Zeit und Raum . " Wenn also , wie gesagt, Thun und Leiden nicht in Wirklichkeit oder nicht eigent­ lich von Gott ausgesagt werden , so folgt darauii auch, dass er weder bewegt, noch bewegt wird, da ja Bewegen ein Thun , Bewegtwerden ein Leiden ist. Wenn er aber weder thätig ist , noch leidet , wie kann gesagt werden, d ass er liebe und von Allen geliebt werde , die von ihm gesch affen sind ? Denn Lieben ist die Bewegung eines Handelnden und Geliebtwerden eines Leidenden, und Be­ wegung ist die Ursache wie das Ziel. So redend folge ich jedoch nur dem allgemeinen Sprachgebrauche ; erforscht m an jedoch die Natur der Dinge genauer , so wird man finden , dass viele Worte , die nach ihrem nächsten und oberflächlichen Sinne ein Thun zu bezeichnen scheinen, für den Verstand gleichwohl ein Leiden bedeuten. Denn wer da liebt oder Zuneigung h at, der leidet ja ; wer aber geliebt wird, ist handelnd. Liebt aber Gott sein Geschöpf, so scheint er j a bewegt zu werden ; denn er bewegt sich in seiner Liebe ; und wenn er von Denen geliebt wird, die d a lieben können, gleichviel ob sie den Gegenstand ihrer Liebe kennen oder nicht kennen , ist e s dann nicht klar, dass e r bewegt, d a es ja doch die Liebe seiner Sch önheit ist, d ie sie bewegt ? Meinestheils vermag ich also nicht e inzusehen, wie gesa gt werden kann, dass Gott weder be­ wege , noch b ewegt wei«'le , damit es nicht scheinen soll, dass er thätig sei und leide. Es ist darum meine instän­ dige B itte, dass du mir diesen Knoten lösest ! L. Glaubst du , dass beim Handeln der Handelnde, das Handelnkönnen und das wirkliche Handeln etwas An­ deres oder eins und d asselbe sei ? Scb. Ich glaube, dass diese drei nicht eins und das· selbe , sondern verschieden sind. Denn der Liebende ist die Bestandheit einer bestimmten Person , welcher eine bestimmte Möglichkeit des Handelns zukommt , mag er nun h andeln oder nicht. Und wenn dann diese Bestand­ heit selbst sich durch die Möglichkeit dazu bewegt hat, etwas zu thun , so sagt man , sie handle. Es scheinen somit ihrer Drei zu sein : die Bestandheit nämlich , der die Möglichkeit des Handelns beiwohnt , und von dieser

Thun und Leiden in Bezug auf Gott.

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Möglichkeit als einer bestimmten Ursache stammt die be­ stimm t e H andlung als W i rk ung her , mag sich diese nun rückwirkend auf den Handelnden selber b eziehen oder aut eine andere Perso n üb ergehen . L. Du unterscheidest richtig ! Was dünkt dich nun, ist nicht dieselbe Unterscheidung au c h. bei Dem , der da leidet, vorzunehmen ? E t wa s Anderes w ä re dann der Lei dende , etwas Anderes das Leiden k önnen und etwas An­ deres das Leiden se lbs t, mag nun Jemand von sich selber oder von einem Andern leiden. S ch. S o möcht e auch ich unterscheiden ! L. Somit sind also diese d r ei sowohl bei Denen, die da lieben , als bei denen , Die geliebt werden , nicht von gleicher N atur. Sch. Gewiss nicht , denke ich ! Ist doch die Natur der Bestandheiten eine andere als die der zufäl ligen Be­ stimmungen. Denn der Thätige o der Leidende ist Be­ standheit ; das Handeln- oder Leidenkönnen aber, wie das Handeln und Leiden selbst sind nur zufällige Bestim­ mungen. L. Ich wundere mich , wie du dasj enige vergessen konntest, was von uns im Frü heren , wie ich glaube , so­ wohl gesucht als ge fu nden und festgesetzt worden i st. Sch. Rufe mir ' s doch ins Gedächtniss zurück, was du damit sagen willst ; denn ich leugne nicht , dass ich aus Gedächtnissschwäche nachlässig und ve rg e sslich bin. L. Du erinnerst dich doch , wie wir erschlossen ha­ ben , dass Wesenheit , Kraft und Wirksamkeit gewisser­ massen eine untrennbare und unvergängliche Dreiheit un­ serer Natur bilden, sofern dieselben in wunderbarem Ein­ klange der Natur mit einander verbunden sind , so dass diese Drei Eins und das e i n e Drei nicht sowohl ve r schie dene Naturen, sondern eins und dasse l be sind , n icht wie Bestandheit und ihr Zugehöriges, sondern als eine wesen­ hafte Einheit und als ein bestandhafter Unterschied von Dreien in Einern . Sch. Wohl erinnere ich m ich des s en und will es fer nerhin nicht in Vergessenheit gerathen lassen ; denn das augenscheinlich e Abbild des Schöpfers in Vergessenheit gerathen zu lassen , ist sehr thöricht und kläglich. Ich sehe indessen nicht, worauf dies abzielen soll ; es müsste denn sein, du h ättest dabei im Auge, dass drei u nt e r ein­

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Kap. 62. 63.

ander Versch i e d e n e z wa r n ach dem Subj e k te E in s , n ach S e iten des Hinz utretenden aber Drei seien , welche D r e i j edoch v o n den fr ü h e r e n D r e i e n we it a b l i e ge n . E s wären hiernach m e h r e r e Fäl l e m ög l i ch. E nt we d er s in d j en e Drei, von denen w i r g e s agt haben, dass sie zu e i n e r B e standheit g e h ö r e n , n äm l i ch W es e n h eit , Kraft und W i r k s am keit , allein w ah r h a ft. D a n n aber w ü r d e d a s von m i r j etzt Hi n zu g efü g te , n ämlich d i e Bestan d h e i t mit ihrem Zubehör, d . h. mit d e r Möglichkeit des H a n d e l n s und der Wir k ung d i e s e r Mög lich k e i t , als ein U e berflü s s i g e s und von d er Vern u n ft ganz Aus geschlo s s e n e s z u gelten h aben. Oder e s w ü r d e d a s Ge g en t h e i l s t a ttfind e n , o der e s fän de s i ch sogar (und d i e s scheint mir das Ri c h t i g e r e zu se in ) in d er N atur der D inge d a s Eine wie das An dere und wäre durch seine natürlichen Unterschiede g e t re n n t. O b dies j edoch anz un eh m e n s e i o d er n i c ht, d arüber zu entscheiden, ü b erla s s e i ch d e i nem Ur t h ei l e . L. Was du zuletzt vorgebracht h ast, s ch e i n t m ir mit d er Vernun ft überein z u stim men . Ich gl a ub e , d a s s D er­ j e n i g e von d e r W a h rh e it n i c h t abweichen wird , welcher b eha u p t e t , dass d i e Wesensd reih e i t , n ä m l ich die Wesen­ h e i t, die Kraft und d i e Wirk s a m k e i t , allen Naturen u nd vo r zu gs wei s e den ver n ü n ft igen und denken d e n einwohne. Und d i e s e Dreiheit kann i n allen Naturen, d e u en s i e ein­ wohnt , w e d e r verm e h r t n o ch vermindert werden. Die n achfolg e n d e Dreiein igkeit giebt sieb g l eichsam als e in e Wirku n g der vorhergeh e n d en zu erkennen ; denn es wider­ streitet ja wohl der W a h r h e i t n ic h t , wenn wir sagen, dass aus der a llen Kre a t ur e n ge m e i n s a m en e i n e n und allge­ m e i n e n W e s e n h ei t , welche Allen zugehört, die an ihr Theil haben und da rum ke in e m Ei n zeln en a ll e in ei ge n tb ü ml i ch i st, durch n atürlich en He r vor gan g e i ne e i g e n t h ü m liche Be­ stan dheit ausströme, die eben nur d e mj e n i g en Einzelwesen allein zugeh ört , dessen Eigenthümlichkeit s i e ausm acht. Un d dieser Bestandheit w o h n t e in e e i g e nt hüml i che Mög­ lichkeit ein, die nu r eben allein aus der allgemeinen Kraft d e r erwähnten Wesenheit h ergenommen ist. Gleiches muss von der e i g en th tim l i ch en Wirksamkeit der besonder­ s ten Bestandbeit und Möglichkeit ge s agt we r d e n , dass s i e n äml ich n i rge n d s anderswoher kom m e als aus der al lg e ­ meinen W i r k s a m keit e b end e r se lben allg em e i nen Wesenheit und Kraft. A u c h ist e s n i cht zu verwundern, we n n d iese

Dreifaches Verständ niss der Di nge.

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in den Einzelwesen wa h r ne h mb a re D r ei h eit gle ichsam als hinzut r etende erste Erscheinungsweise der erw ä hn t en all­ gemeinen D reieinigkeit zu g e l t e n h at, sintemal sie selber durch sich Eins is t und in Allem , was aus ihr und in ihr da ist , unwandelbar beharrt und weder verm ehrt , noch v e r minde rt, weder verde rbt, noch vernichtet werden kann, während dagegen jene in den Einzelwesen wahrnehmbare Dreiheit vermehrt und vermindert und m annich fa c h ver­ ändert we r d en kann. 61) Sind doch eben n icht Alle der all­ gemeinen Wesenheit , Kraft und W i rksa m keit in g l eichem Maasse th eilhaftig, sondern Einige mehr, Andere weniger, nur dass Keiner der Th e i l n a hme d aran ganz entbehrt. Auch bleibt sie selber in Allen , die a n ihr Theil haben; eine und di e se l be und bietet sich Keinem mehr oder we­ n i ger zur T hei l nahme dar , g e rade s o wie das Licht der Augen, welches ja eben s o ganz in d e n Einzelnen ist wie in s ich selber. Ve r mehrt - oder Vermindertwerden ist aber ein Zuwachs oder ein Abgang in der Theilhabu n g und wird darum nicht unpasse n d e in Z u fä llig e s g e nann t. Was stets e s selber bleibt, heisst ja mit Recht wahre [63 Bestan d heit ; was sich dagegen ve rän d e r t , tritt entweder aus der unbe s t ä ndigen Veränderlichkeit der Bestandheit oder aus der T hei lh a bung des Zufäl ligen hera us , m ag nun l etz t eres dem Bereiche des Natürlichen o d e r des nicht Natürlichen ang e hö r en . Dass aber manche zufällige Be­ s t imm u n g en gerade z u B e stan d he ite n g e n annt w erd en , weil sie anderes Zufällige b eg rü n d en , darüber wirst du dich nicht w u n d ern , wenn du siehst, d ass z u r Grösse, die ohne Zweifel eine zufällige B e s t i m m ung der Bestandheit ist, anderes Zufällige hi n z ut r i t t , wie z. B. die dem Grössen­ verhältniss zuge h örige F a rbe , was unter die bleiben den Bewegungen der Dinge ge rechnet wird. Denn die Zeit ist ein bes t i m m t es Verhältnissmaass des Ve rzugs und der Bewegung ver än der l ich e r Din ge. Sch. Hierin l ässt sich, gl a ube ich, der Zweck unseres Vorh abens nicht verkennen ; ich wü n s cht e jedoch , dass du kurz und einleuchtend über diese letzte Ansicht ent­ scheidest. L. Lass un s , wenn es dir b eliebt, al s den vom Schöpfer eing es etzten unveränderlichen Bestand und festen Grund ein dreifaches Verständniss der Di n ge a nn e hme n , n ach Seiten der W esen h eit, der Kraft und de r W i r ks a m k eit.

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Erstes

Buch.

Kap. 63.

Sch. Es muss dies angenommen werden. L. Darnach ist jene Dreiheit zu erwägen , die sich in den Einzeldingen zu erkennen giebt und von der ersten wesentlichen Dreiheit wie die Wirk ung einer vorhergehen­ den Ursache ausgeht. Ferner sind ihre uranfänglichen Bewegungen und zufälligen Bestimmungen zu e rwäg e n. Sch. Auch dies muss ich zugestehen. L. Was aber zu jener n achfolgenden Dreiheit auf natlirliche oder auf zufällige Weise, sei es von innen oder von aussen her, hinzutritt, scheint ein Zugehör der zufäl­ ligen Bestimmungen zu sein. Sch. Auch di e s er Schlussfolgerung widerstehe ich nicht. Denn wenn es n ach Aristoteles zehn sogenannte Katego­ rien 35) oder Grundbegriffe der Dinge giebt, und wir finden, dass dieser Eintheilung der Dinge kein Grieche oder La­ teiner entgegensteht ; so sehen wir dagegen , dass unter ein er einzigen Kategorie alle sogenannten ersten Wesen­ heiten beschlossen sind , weil sie durch sich selber sind und zu ihrem Sein keines Andern bedürfen, da sie ja vom S chöpfer wie unveränderliche Grundlagen so festgesetzt sind. Sie bestehen also , w i e oft gesagt , nach Aehnlich­ keit der ersten Ursache in wunderbarer und unveränder­ licher Dreiheit als Wesenheit , Kraft und Wirksamkeit. Dagegen gelten die übrigen neun Kategorien nicht ohne Grund als blos zufäll ige Bestimmungen , da sie j a nicht für s ich selber , sondern nur in j ener Wesens