Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates [1 ed.]
 9783428447855, 9783428047857

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EBERHARD SCHMIDT

Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 32

Beiträge zur Geschichte des preu13ischen Rechtsstaates

Von

Prof. Dr. Eberhard Schmidt

DUNCKER &

HUMBLOT I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04785 0

INHALT Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Zur Vorgeschichte Preußens Verfassung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit in der Mark Brandenburg unter den Askaniern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

II. Staat und Recht Rechtsentwicklung in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staat und Recht in Theorie und Praxis Friedrichs des Großen

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Rechtssprüche und Machtsprüche der preußischen Könige des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht .... .. . . .... 247 Kammergericht und Rechtsstaat .............. . ............ . .... .. 267 Die Justizpolitik Friedrichs des Großen .. . . . ... . ... .. . . ..... . .... . . 305 J ohann Heinrich Casimir von Oarmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Carl Gottlieb Svarez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

111. Strafrechtspflege Die Entwicklung der modernen Kriminalpolitik ............ . . . ..... 343 Die Kriminalpolitik Preußens unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. . ........... .. .................................. .. . . ...... 3·91 Strafrechtliche Vorbeugungsmittel im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

Quellenverzeichnis

..... . ............... . ......... . . . ...... . .... . ..... 451

VORWORT DER HERAUSGEBER Preußen als Staat ist mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. 2. 1947 untergegangen. Seine Auflösung erfolgte, weil die Siegermächte der Meinung waren, daß es von jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen sei. Die Gebiete, die bis dahin den preußischen Staat gebildet hatten, gehören heute zur UdSSR, zur Volksrepublik Polen, zur Deutschen Demokratischen Republik und zur Bundesrepublik Deutschland und sind in dieser auf fast alle Länder einschließlich Berlin aufgeteilt. Die Zerschlagung Preußens, die Hugo Preuss in seinen Entwürfen für eine neue Reichsverfassung 1919 vorgeschlagen hatte, die aber an dem Widerstand Preußens und der übrigen deutschen Einzelstaaten gescheitert war, wurde nun auf andere Weise, als Preuss es sich vorgestellt hatte, verwirklicht. Trotzdem wurde Preußen nach dem militärischen und politischen Zusammenbruch des Jahres 1945 für viele zum Prügelknaben, dem die Schuld am Aufstieg des Nationalsozialismus und damit am Untergang des Deutschen Reiches zur Last gelegt wurde. Friedrich Wilhelm I., der "Soldatenkönig", sein großer Sohn, der nun zu Friedrich II. herabgestuft wurde, und Bismarck wurden von den Meinungsmachern der angelsächsischen Welt, denen viele Nachkriegsdeutsche willig zu folgen bereit waren, zu Vorläufern und Wegbereitern des Nationalsozialismus erklärt. Der Gegensatz zwischen dem "Geist von Potsdam" und dem "Geist von Weimar", der schon die politischen Verhältnisse in der ersten deutschen Republik belastet hatte und mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten scheinbar durch den Sieg des "Geistes von Potsdam" überwunden worden war, führte nun zu einer Verdrängung des preußischen Staatsdenkens durch ausgeprägt individualistischliberale Vorstellungen. In der Würdigung des preußischen Staates blieb der Anteil, den Preußen als Kulturstaat, als Rechtsstaat und als Sozialstaat für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands geleistet hatte, völlig unbeachtet. Erst durch die Bemühungen von Hans-Joachim Schoeps wurde dieses "andere Preußen" 1 für die Deutschen in der Bundesrepublik wieder entdeckt. Mit der Errichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahre 19572 wurden die BedeuDas andere Preußen, Berlin 1952, 4. Auf!. 1974. Über den Aufbau und die Arbeit der Stiftung Preussischer Kulturbesitz vgl. das seit 1962 erscheinende Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz, von dem inzwischen fünfzehn Bände vorliegen. 1

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Vorwort der Herausgeber

tung der preußischen Kulturgüter und damit die Leistungen Preußens als Kulturstaat, für die neben den in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zusammengefaßten Bibliotheken und Museen das preußische Schul- und Hochschulwesen zeugen, auch für eine breite Öffentlichkeit wieder sichtbar. In die gleiche Zeit fällt eine intensive Beschäftigung deutscher Rechtshistoriker mit dem Beitrag Preußens zur rechtsstaatliehen Entwicklung in Deutschland, vor allem mit dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten3 • Die bevorstehende Jahrhundertfeier der deutschen Sozialversicherung sollte daran erinnern, daß diese letztlich auf in Preußen durch Hermann Wagener, den Mitarbeiter Bismarcks (seit 1866), entwickelte Vorstellungen eines "sozialen Königtums" (Lorenz von Stein) zurückgeht. Die Geschichte des preußischen Rechtsstaates war auch ein Thema, das Eberhard Schmidt seit seiner Dissertation über die Kriminalpolitik Preußens unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.4 und seiner Habilitationsschrift über "Fiskalat und Strafprozeß"6 immer wieder beschäftigt hat. Schmidt, am 16. 3. 1891 im märkischen Jüterbog geboren, ein Schüler des einflußreichen Strafrechtslehrers und Kriminologen Franz von Liszt, dessen Lehrbuch des Strafrechts er im Jahre 1921 übernommen und von der 23. bis zur 26. Auflage im Jahre 1932 fortgeführt hatte, hat die strafrechtliche und strafprozeßrechtliche Entwicklung in Deutschland über ein halbes Jahrhundert mit rechtsstaatliebem Geist erfüllt. Sein dreibändiger Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung (in zwei Auflagen zwischen 1952 und 1970 erschienen) hat die rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Auseinandersetzungen um einen rechtsstaatliehen Strafprozeß maßgeblich beeinflußt. Dem Militärstrafrecht (1936), dem Arzt im Strafrecht (1939) und dem Wirtschaftsstrafrecht (1950) hat Schmidt umfangreiche monographische Untersuchungen gewidmet. Sein rechtshistorisches Interesse, das er schon in seiner Dissertation und in seiner Habilitationsschrift bekundet hatte, fand mit der "Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege", die zwischen 1947 und 1965 drei Auflagen erlebte, seine Krö3 Hermann Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts für die Preussischen Staaten, Köln 1959; ders., Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, Berlin 1965; ders., Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preussens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts, Köln 1961; Gerd Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht. Die Vorträge des Carl Gottlieb Svarez vor dem preussischen Kronprinzen (1791- 92), Bonn 1959; Wolfgang Rüfner, VerwaltungsrechtsschUtz in Preussen von 1749-' 1842, Bonn 1962; Fritz Werner, Die Kronprinzen-Vorträge des. Geheimen Obertribunalrats Carl Gottlieb Svarez, VerwArch. Bd. 53, 1962, S. 1 ff.; Hermann Conrad ! Gerd Kleinheyer (Hrsg.), C. G. Svarez: Vorträge über Recht und Staat, Köln und Opladen 1960. • Berlin 1914. 5 Archivarische Studien zur Geschichte der Behördenorganil;ation und des Strafprozessrechts in Brandenburg-Preussen, 1921.

Vorwort der Herausgeber

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nung. Breite Wirkung erreichte auch seine zuerst 1927 und dann in zweiter Auflage 1929 erschienene und für Studienzwecke6 gedachte "Rechtsentwicklung in Preußen". In die Vorgeschichte Preußens führt eine der letzten Arbeiten Eberhard Schmidts, der Beitrag über Verfassung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit in der Mark Brandenburg unter den Askaniem7 • Diese Zeit liegt der heutigen so fern, daß sie keinen Anlaß zu gegenwartsbezogenen Vergleichen geben konnte. Dagegen ist das Preußen des 18. Jahrhunderts unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen der späteren Entwicklung, die ohne diese Grundlagen nicht denkbar ist, so nahe, daß die Darstellung der geschichtlichen Verhältnisse in eine kritische Betrachtung der in ihnen liegenden Probleme einmünden kann. Alle Arbeiten zum Verhältnis von Staat und Recht in der Geschichte des preußischen Staates, die wir Eberhard Schmidt neben seinem großen strafrechtlichen und strafprozeßrechtlichen Lebenswerk verdanken, sind p.icht nur von größter Bedeutung für die richtige Erkenntnis des Gewordenen, sondern geben auch maßgebliche Hinweise für die rechtsstaatliche Bewertung der Gegenwart. Schmidt zeigt in ihnen aber auch, in welchem Kampf mit den Staats- und Rechtsvorstellungen des Absolutismus Preußen im 18. Jahrhundert die Grundlagen für seine Entwicklung zum Rechtsstaat gelegt hat, auf denen dann im 19. Jahrhundert der Verfassungsstaat der konstitutionellen Monarchie aufbauen konnte. Mit seinen Untersuchungen hat Eberhard Schmidt in hervorragender Weise dazu beigetragen, die rechtsstaatliehen Möglichkeiten, die schon im preußischen Staat des 18. Jahrhunderts angelegt waren, sichtbar zu machen und damit für eine vorurteilsfreie Beurteilung dieses Staates Raum zu schaffen. Seine Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates verdienen es gerade in unserer Zeit, die um ein unvoreingenommenes Verständnis des preußischen Staates bemüht ist, der Öffentlichkeit in handlicher Form zugänglich gemacht zu werden. Die meisten der in diesem Band zusammengefaßten Arbeiten sind zuerst in Büchern, Sammelbänden, Jahrbüchern und Zeitschriften veröffentlicht worden und für den interessierten Leser aus diesem Grunde nur schwer erreichbar. An ihrer Sammlung und erneuten Veröffentlichung besteht nach der Überzeugung der Herausgeber deshalb ein besonderes Interesse. Mit diesem Band möc.~ten die Herausgeber aber nicht nur der Sache dienen: die Kenntnis vom Werden und Wesen des preußischen Staates verbreiten zu helfen; sie wollen auch einen Gelehrten 6

"Für den Studierenden ist das Buch einzig und allein geschrieben"

(Eberhard Schmidt im Vorwort zur 2. Auflage).

7 Die Mark Brandenburg unter den Askaniern (1134- 1320), Köln/Wien 1973, Viertes Kapitel, S. 119 ff.

Vorwort der Herausgeber

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ehren, der sich zu diesem Staat stets, im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland, bekannt und um die Erforschung seiner Rechtsgeschichte hoch verdient gemacht hat. Richard Lange hat diese Bedeutung Eberhard Schmidts anläßlich seines Todes am 17. 6. 1977 in der Zeitschrift für die gesamte StrafrechtswissenschaftS in treffender Weise gewürdigt: Er war "nicht nur landsmannschaftlieh Brandenburgerund damit Preuße. Er verkörperte das Beste der Idee Preußen: Selbstlose Pflichterfüllung, Dienst an der Sache bis zur Hingabe, mehr Sein als Scheinen, Toleranz und Humanität in jenem anspruchsvollen Sinne, dem er selber in seinem Werk über Staat und Recht unter Friedrich dem Großen Gestalt gegeben hat." Die Herausgeber danken der Witwe Eberhard Schmidts, Frau Elisabeth Schmidt, geb. Aschoff in Heidelberg, sowie den beteiligten Verlagen für die Genehmigung zum Nachdruck der in diesen Band aufgenommenen Arbeiten. Sie danken ferner dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Ministerialrat a. D. Prof. Dr. J. Broermann, für die Bereitwilligkeit, den Band in die von ihm herausgegebene Reihe "Schriften zur Verfassungsgeschichte" aufzunehmen. Für die Benutzung des Bandes wird darauf hingewiesen, daß die Seiten in diesem Band mit den bisherigen Seiten der einzelnen Beiträge nicht übereinstimmen und daß die Fußnoten, auch w enn sie in den einzelnen Beiträgen nicht fortlaufend numeriert w aren, hier stets durchnumeriert worden sind. Verweisungen innerhalb eines Beitrages sind entsprechend berichtigt worden. Wo bei Teilabdrucken auf hier nicht veröffentlichte Teile desselben Werkes verwiesen worden ist, sind die Fußnoten korrigiert worden. St. Martin/Heidelberg, im August 1980

Detlef Merten

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Bd. 89, 1977,

s. 871 ff.

Carl Hermann Ule

I. Zur Vorgeschichte Preußens

VERFASSUNG, VERWALTUNG UND GERICHTSBARKEIT IN DER MARK BRANDENBURG UNTER DEN ASKANIERN

Erster Abschnitt

Die Mark Brandenburg und das Reich I.

Albrecht der Bär ist 1134 von König Lothar mit der Nordmark belehnt worden. Auf die Frage, ob Albrecht mit dieser Belehnung im Sinne von Sachsenspiegel Landr. III 58, 1, 2 "des riches vurste" geworden ist, ob er im Sinne der Lehre vom älteren Reichsfürstenstande diesem schon vor 1134 angehört hat, soll hier nicht näher eingegangen werden1• Die Gebietsherrschaft, die jeder Inhaber eines Reichsfürstentums hat aufweisen müssen, hat, was die Nordmark betrifft, im Jahre 1134 räumlich und effektiv ein bestimmt begrenztes Gebiet noch nicht umfaßt; denn nach Osten hin waren die Grenzen der Nordmark völlig offen2 , und es kam gerade darauf an, wieweit der mit der Nordmark belehnte Markgraf seine Herrschaft über das ostelbische Slawenland durch Eroberung oder auf vertraglich-friedlichem Wege würde erstrekken können. Wie das unter Albrecht dem Bären und seinen Nachfolgern schrittweise geschehen ist, darüber ist bereits oben berichtet worden.

II. Die Belehnung Albrechts ist in die Zeit der deutschen Verfassungsgeschichte gefallen, in der sich schon entschieden hatte, daß das Lehnrecht in Deutschland nicht der Stärkung der königlichen Zentralgewalt dienen, daß es vielmehr gerade die Grundlage der erstarkenden Territorialgewalten abgeben sollte3 • Die in der rechtsgeschichtlichen Litera1 Zum Reichsfürstenstand vgl. Conrad S. 299; Bost bei Gebh.-Grundmann I S. 788; Mitteis, Der Staat des Mittelalters S. 257 ff.; Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte, S. 284; Mitteis-Lieberich S. 99; TelZenbach in: Adel und Bauer im deutschen Staat des Mittelalters, hrsg. von Th. Mayer 1967, S. 22 ff. 2 So auch Joh. SchuUze in "Forschungen" S. 121. Sehr deutlich in diesem Sinne auch Kötzschke-Ebert.

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Zur Vorgeschichte Preußens

tur herrschende Meinung spricht noch heute von einem dem Könige obliegenden "Leihezwang", demzufolge der König verpflichtet gewesen ist, "ein dem Reiche anheimgefallenes Fahnlehen binnen Jahr und Tag wieder auszugeben" 4• Der Sachsenspiegel scheint diese Lehre zu bestätigen. Denn in ihm finden wir folgende Sätze: Ssp. Landr. III 53 § 3: "Man en muz kein gerichte teilen, noch g,a ntz liennoch teil[en], der deme ez gelegen iz, so daz da volge an si unde ez de lantlute liden sollen, ez en si ein sunderlich graveschaft, de in ein vanlen hore, de en muz man nicht ledig haben. Also en muz der Koning kein vanlen haben, her en verlies binnen iar unde tage." Ssp. Landr. III 60 § 1: "Der Keiser liet alle geistliche vursten len mit deme zeptre, alle wertliehe vanlen mit vanen. Kein vanlen muz her ledig haben iar unde tag." Schon Mitteis I Lieberich48 sehen in diesen Sätzen "kein normatives Recht", sondern lediglich einen Hinweis auf die "Rechtswirklichkeit". Diese Auffassung hat W. Goez in eingehender Untersuchung bestätigt. Er weist darauf hin, daß im Normalfall - und allein diesen habe der Ssp. im Auge - beim Mannfall ein erbberechtigter und erbfähiger Sohn vorhanden sei, auf den zwar beim Tode des väterlich-en Lehnsinhabers die Gewere am väterlichen Lehen nicht unmittelbar übergehe, der aber binnen Jahr und Tag das Lehen "muten" darf, womit er dem Senior gegenüber einen Anspruch auf Investitur mit dem väterlichen Lehen erwirbt4b. Wird also im Mannfall ein Fahnlehn vom König an den erbberechtigten und -fähigen Sohn des Verstorbenen neu verliehen, so folgt dies nicht aus einem dem König primär oblü=genden "Leihezwang"; vielmehr bedeutet das die Erfüllung eines aus (Lehn-) Erbrecht sich ergebenden und geltend gemachten Anspruchs eines erbberechtigten und erbfähigen Sohnes. In askanischer Zeit ist bei jedem Herrenfall ein erbberechtigter und -fähiger Sohn vorhanden gewesen, auf den die Markgrafschaft als königliches Lehen hat übergehen können. Bis zum Aussterben des s Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat S. 10 ff.; Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters S. 249; Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt S. 448 ff. Daß sich der Feudalismus nicht gegen das Reich als solches, sondern gegen die Zentralgewalt gerichtet hat, dazu W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft S. 263. 4 In diesem Sinne Conrad S. 256, 300, 301; Fehr S. 82; Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters S. 335 ff.; Mitteis-Lieberich S. 59, 95; Bosl bei Gebh.Grundmann I S. 647, 648. 4a Mitteis-Lieberich S. 95. 4b W. Goez S. 22, 23; vgl. vor allem auch W. Goez S. 237 ff., wo die Stellungnahme der Rechtsbücher eingehend erörtert wird.

Die Mark Brandenburg unter den Askaniern

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askanischen Hauses (1320) ist also die Herrschaft in der Mark Brandenburg immer vom Vater auf den Sohn übergegangen. Hatte der Markgraf neben der Mark Brandenburg noch andere Lehen, so hat in jedes dieser anderen Lehen ein anderer als der älteste Sohn folgen können. Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, wie sich beim Tode Albrechts des Bären das Vorhandensein einer Mehrzahl von Söhnen ausgewirkt hat4 c.

III. Der rechtliche Inhalt dessen, was "Markgrafschaft" bedeutet, ist nicht leicht zu bestimmen. Keine Urkunde gibt Auskunft, was insoweit gemeint gewesen ist, als Albrecht der Bär mit der Nordmark belehnt und mit einer Amtsgewalt ausgestattet w.orden ist, die dazu hat dienen sollen, die östlich der Eibe zu gewinnenden Gebiete territorial an das Reich anzugliedern und eine deutscher Rechtsauffassung entsprechende Ordnung dort zustande zu bringen. Sicher dürfte sein, daß der Markgraf mit der Markgrafschaft die volle Gerichtsherrlichkeit (iurisdictio) übertragen bekam. "Markgräfliche Gerichtsherrlichkeit in einer Mark und gräfliche Gerichtsherrlichkeit in einem Komitat war genau dasselbe5 . " Welche Probleme in dieser Beziehung der Sachsenspiegel6 aufgibt, welchen Einfluß die landesherrliche Gewalt für das Fehlen des Königsbannes gehabt hat, dazu wird im 3. Abschnitt dieses Kapitels Stellung genommen werden. Hier hat uns zunächst die Tatsache zu beschäftigen, daß die dem Markgrafen übertragene Amtsgewalt diesem im Verhältnis zum König eine Selbständigkeit gegeben hat, wie sie kein anderer Reichsfürst hat in Anspruch nehmen können 7• Das aber kann nur mit der dem Markgrafen übertragenen, in ihren Einzelheiten von vornherein gar nicht zu bestimmenden Erorberungs- und Besiedlungsaufgabe im Zusammenhang gestanden haben. Von ihrer erfolgreichen Erfüllung hing es ab, ob und inwieweit in dem räumlich ganz unbestimmten Gebiet der Nordmark dem Reich ein effektives Herrschaftsgebiet zuwachsen werde. Weit von der Reichsgewalt entfernt, hat der Markgraf diese Aufgabe ganz selbständig lösen müssen, wobei er, wie wir haben zeigen können, oft vor 4c Vgl. Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern S. 42, 43; dazu W. Goez S. 25 Anm. 20; Krabbo Reg. 395. s So 0. von Dungern nach einem Zitat bei Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft S. 246. Schlesinger selbst stimmt dieser Auffassung zu (S. 246, 255). Vgl. auch Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte S. 466, 467; dazu auch Kühns Band I S. 26 ff. 6 Ssp. Landrecht li 12 § 4, l i 12 § 6, III 64 § 7, III 65 § 1. 1 Zum folgenden Hintze S. 56 ff.; Eb. Schmidt, Rechtsentwicklung in Preußen S.4.

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Zur Vorgeschichte Preußens

unvorhersehbare Schwierigkeiten gestellt war, die er in Auseinandersetzung mit den politisch sich der Ausdehnung des markgräilichen Herrschaftsbereiches widersetzenden Gewalten der Dänen, Polen, Pommern und Böhmen hat bewältigen müssen. Da die Interessen des deutschen Königtums durch die Italienpolitik und durch die im altdeutschen Raum liegenden Aufgaben bestimmt wurden, war die Durchführung der Ostpolitik den territorialen Gewalten, d. h. den Markgrafen überlassen. So lag hier, wie Hintze 8 richtig gesehen hat, von allem Anfang an der Keim "zu einer förmlichen fürstlichen Landeshoheit". Nun ist die Tendenz zu solcher Entwicklung auch bei den anderen geistlichen und weltlichen Reichsfürsten des 12./13. Jahrhunderts zu beobachten. Die sogen. "Fürstengesetze" von 1220 und 1231/32 sind dafür ein deutliches Symptom9 • Die Bedeutung dieser "Fürstengesetze" ist zwar noch immer bestritten. Daß aber erst durch sie eine neue, die fürstliche Gewalt gegenüber der Reichsgewalt festigende und verselbständigende Situation geschaffen worden sei, läßt sich m. E. nicht behaupten. Die Fürstengesetze bestätigen weitgehend nur Privilegien, die bezüglich der Regalien den Fürsten seitens der Reichsgewalt längst erteilt gewesen sind10 • M. E. beurteilt Mitteis 11 die Situation ganz richtig, wenn er erklärt, "daß die Gesetze von 1220 und 1231/32 weniger normativen als symptomatischen Charakter tragen; sie bezeichnen das Maß, bis zu dem die Zersetzung schon fortgeschritten war; nicht die einzelnen Sätze, sondern der Geist und das Prinzip der Dokumente sind für ihre Wertung ausschlaggebend".

IV. Zu den wichtigsten Einnahmequellen des deutschen Königs haben bekanntlich die Regalien gehört. Die eingehenden Untersuchungen von Hans Thieme12 haben das interessante Ergebnis erbracht, daß es sich

a Hintze S. 56. o Die Confoederatio cum principibus ecclesiaticis von 1220; das Statutum

in favorem principum von 1231/32; dazu Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte S. 350; nach seiner Meinung sind bei diesen "Gesetzen" die Fürsten und der König "Vertragspartner" gewesen, während der König den Mainzer Landfrieden von 1235 als Gesetzgeber erlassen hat. Dazu Angermaier S. 29. to Vgl. dazu vor allem KHngelhöfer, Die Reichsgesetze von 1220, 1231132 und 1235, S. 11 ff., 65 ff. (jetzt auch abgedruckt in "Stupor mundi" - Wege der Forschung Band CI, 1966, S. 396 ff.). Der gleichen Auffassung auch Schlesinger, Die Landesherrschaft der Herren von Schönburg S. 37 ff.; derselbe, Kirchengeschichte Sachsens II S. 9; Maschke bei Leo Just Bd. 1, IV S. 61, 68; Conrad S. 272 ff., 310 ff. Bedeutsam für die Bewertung der Fürstengesetze jetzt auch Ernesto Sestan und Erich Sehrader in "Stupor mundi" S. 331 ff. bzw. S. 420 ff. u Mitteis, Der Staat des Hohen Mittelalters, S. 352.

Die Mark Brandenburg unter den Askaniern

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bei den Regalien zwar gewli.ß um nutzbare, für die königlichen Finanzen ergiebige und wichtige Hoheitsrechte gehandelt hat, daß es indessen eine einseitige Betrachtung ist, wenn man bei den Regalien nur diese eine Seite beachtet und dabei übersieht, daß die Regalien auch Verwaltung und pflegliche Betreuung der Vermögenswerte involvierten, die das Objekt der Regalien im einzelnen ausmachten. Der König hat Regalien übertragen können, und die aufkommenden landesherrlichen Territorialgewalten sind auf diese Weise vielfach in den Besitz von Regalien gelangt. Es ist nun auffallend, daß der Markgraf von Brandenburg von Anfang an Regalien in Anspruch genommen hat, ohne daß sich Übertragungen seitens des Königs im einzelnen ermitteln ließen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Übertragung der Markgrafschaft mit der darin liegenden "Jurisdictio" zugleich die umfassende Übertragung der Regalien mit beinhaltet hat13• Der Begriff "Jurisdictio" wäre für die damalige Zeit zu eng gefaßt, wollte man ihn nur auf die Gerichtsherrlichkeit beschränken. In der Gerichtsherrlichkeit gipfelt gewiß die Herrschaftsgewalt der Territorialfürsten; aber "Jurisdictio" geht darüber hinaus als Inbegriff aller Hoheitsrechte überhaupt. In diesem Sinne möchte ich Spangenberg 14 verstehen, wenn er erklärt, daß aus der Amtsgewalt des Markgrafen eine spezifische "iustitia quae spectat ad Marchiam" folgt, die eben gerade auch das Recht umfaßt, regalische Hoheitsrechte auszuüben. Sollte sich die markgräfliche Amtsgewalt in diesem Sinne nicht auffassen lassen, so wird man, wie dies auch sonst für den Erwerb der Regalien durch die landesherrlichen Territorialgewalten angenommen wird, einen gewohnheitsrechtliehen oder auch einen vom König stillschweigend geduldeten Erwerb annehmen können. Jedenfalls sollte man die von Mitteis 15 sehr mit Recht ausgesprochene Warnung beherzigen vor der Auffassung, "daß die ganze Landeshoheit aus usurpierten Reichsrechten entstanden" sei. Sicher werden auch Usurpationen vorgekommen sein. Nicht immer werden die domini terrae die Erteilung eines königlichen Regalienprivilegs abgewartet haben. Aber "die Fürsten haben nicht etwa die Reichsgewalt ausgeplündert und ausgeraubt" 16• Sie haben sich "viele Positionen aus eigener Kraft erkämpft dadurch, daß sie weit mehr leisteten, als wozu sie als Reichsbeamte verpflichtet gewesen 12 Hans Thieme, Die Funktion der Regalien im Mittelalter. Sonderausgabe der Wissenschaft!. Buchgesellschaft in der Reihe "Libelli", Bd. CCIV, 1968. Dazu Conrad S. 271, der übrigens auch schon das mit den Regalien verbundene Verwaltungsmoment erwähnt, sowie Mitteis-Lieberich S. 112. 13 So wohl auch von Heinemann, Albrecht der Bär, S. 99; vgl. auch Joh. Schultze, Die Mark Br. I S. 206. u Hof- und Zentralverwaltung S. 337. 15 Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, S. 359. 11 Mitteis a. a. 0 .

2 Schmldt

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Zur Vorgeschichte Preußens

wären" 17 • Daß die askanischen Markgrafen es an solchen Leistungen nicht haben fehlen lassen, das ist aus der Schaffung der Mark Brandenburg und ihrer staatlichen Ordnung und aus der gewaltigen Leistung zu ersehen, die in der Besiedlung und wirtschaftlichen Erschließung des Landes östlich der Elbe erbracht worden ist.

Die Regalien im einzelnen: 1. Das Zollregal (ius telonii) ist von den Askaniern von Anfang an, schon im 12. Jahrhundert, ausgeübt worden, ohne daß eine ausdrückliche Verleihung seitens des Königs nachweisbar wäre18• Zollstätten sind je nach dem Zweck des Zolles an zahlreichen Orten des Landes errichtet worden. Es wurden Wege-, Brücken-, Markt-, Durchfuhrzölle erhoben 19 • Spangenberg 20 verbindet den letzteren mit der Gewährung des Geleites (conductus), also Stellung einer den Transitverkehr schützenden Geleitmannschaft Daß bei der Ausübung des Zollregals eine die wirtschaftliche Lage der Städte und ihrer Bürger berücksichtigende, differenzierende Wirtschaftspolitik betrieben worden ist, zeigen die oft vorkommenden Zollbefreiungen21 , die etwa einer Stadt im ganzen Markengebiet schlechthin oder bezüglich bestimmter Handelsobjekte gewährt werden. Im Gegensatz zu Spangenberg vermag ich weder in der Anlegung von Zollstätten noch in der Bewilligung von Zollbefreiungen rechtswidrige Eingriffe in königliche Hoheitsrechte zu sehen, nachdem das Zollregal Bestandteil markgräflicher Hoheitsrechte geworden ist. 17 Mitteis weist insbes. auf die Leistung auf dem Gebiete der Justiz, der Verwaltung und der Behördenorganisation hin. Sehr beachtlich sind die Ausführungen von Hans Thieme (Anm. 12) zur Übertragung der Regalien durch königliches Privileg (S. 12): "Ein Mittel der Schaffung neuen Rechts ist das Privileg". Da das Mittelalter "keine eigentliche fürsorgliche Gesetzgebungstätigkeit mehr kennt, hilft man sich bei der Bewältigung von gemeinschaftswichtigen Aufgaben auf dem Umweg über Privileg und Regalität. Dem Beliehenen wird ein Pflichtrecht übertragen, d. h. eine Befugnis, deren Pflichtgehalt den Umfang des zugeteilten Rechts vollkommen ausfüllt." ts Spangenberg a. a. 0. S. 274; Joh. Schultze, Die Mark Br. I S. 206; vgl. auch Conrad S. 274. Hans K. Schutze, Adelsherrschaft S. 201 ff. 19 Beispiel für einen Durchgangszoll bei Krabbo Reg. 717 (für Neubrandenburg). 2o Spangenberg S. 273. Notwendig ist solche Verbindung von Durchgangszoll und Geleitsrecht nicht. 21 Beispiele bei Krabbo Reg. 398, 480, 524, 546, 600, 607, 664, 717, 733. Vielfach findet sich die Bestimmung, daß in einer Stadt Einfuhrzoll für kleinere Objekte (frische Fische, Butter, Käse, Eier, Grütze, Hülsenfrüchte, Flachs usw.) nicht zu zahlen ist. Diese geringen Objekte werden als "res minores" bezeichnet: Krabbo Reg. 835. Das Zisterzienserkloster Leubus darf 50 Last Heringe durch die ganze Mark frei von exactio, thelonium und "ungeld" durchführen: Krabbo Reg. 600. Die entsprechende Urkunde (1230) bei Riede! 2. Hauptteil, 6. Bd. S. 1 unter Nr. 2186.

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2. Auch das Münzregal ist von Anfang an von den Markgrafen ausgeübt worden22 • Sie haben die Münzstätten, die Münzbezirke (mynsziser), die Münzsorten23 bestimmt. Auch insoweit ist von einer besonderen Verleihung des Münzregals seitens des Königs nichts bekannt. Die einzelnen Münzsorten, die in den märkischen Münzstätten geprägt worden sind, hat Suhle 24 eingehend dargestellt. Die sehr schädlichen Folgen, die sich :fiür den Handelsverkehr innerhalb des Reiches aus der Territorialisierung des Münzwesens, d. h. aus der weitgehenden Aushöhlung des ursprünglich allein dem König zustehenden Münzregals trotz mancherlei Widerstand seitens des Reichs ergeben mußten, folgten vor allem aus dem Grundsatz, "daß der Pfennig nur da gelte, wo er geschlagen werde" 25. 3. Das Recht, Burgen zu bauen und Orte zu befestigen, ursprünglich ein durchaus königliches Recht, haben die Markgrafen, wie Conrad 26 bemerkt, "kraft ihres Amtes innerhalb des Markengebietes" ausgeübt. Königliche Verleihung ist also auch hier nicht erforderlich gewesen; auch dieses Recht gehört zu jener "iustitia quae spectat ad Marchiam". Der Reichsspruch vom 1. 5. 1231 27 , der allen Reichsfürsten das Recht 21usprach, Städte mit Mauern und Gräben zu befestigen, hat also für die Markgrafen von Brandenburg keine konstitutive Bedeutung gehabt. Übrigens dürfte gerade bei diesem Recht der innere Zusammenhang mit der Aufgabe des Markgrafen, die er kraft des ihm übertragenen Amtes zu erfüllen hatte, besonders deutlich auf der Hand liegen. Wer anders als der Markgraf hat in der Eroberungsepoche der askanischen Zeit beurteilen können, wo Befestigungen angelegt werden müßten, wenn Eroberung und militärische Sicherung zum Ziele führen sollten? 4. An Burgen haben sich vielfach Marktsiedlungen angeschlossen, aus denen sich dann Städte entwickelt haben. Auch das Marktregal hat ursprünglich dem König zugestanden28 • Aber die Entwicklung des Territorialstaats hat auch hier zu anderen Verhältnissen geführt. Das Recht, Märkte und Städte anzulegen, hatten sich die Territorialherren schon Suhle in: Das Landbuch der Mark Br., hrsg. von Joh. Schultze, S. 462. Dazu Suhle a. a. 0.; Fidicin, Kaiser Karls IV. Landbuch der Mark Br. s. 33 ff. 24 Suhle a. a. 0. S. 462 ff. 25 Conrad S. 272. 26 Conrad S. 265. Zum Reichsspruch von 1231 vor allem auch Klingelhöfcr (Anm. 10) S. 170 ff. Auf Seite 176 bemerkt Klingelhöfer treffend, die genauere Betrachtung der territorialen Verhältnisse zeige, daß die Machtbefugnisse bezüglich des Befestigungsrechtes der Territorialfürsten nicht erst mit den Fürstenprivilegien angebahnt worden seien. Dazu auch C. Haase in: Die Stadt des Mittelalters I S. 395, 396. 27 Vgl. oben Anm. 26. 28 Conrad S. 325. 22

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seit Heinrichs IV. Tod (1197) angeeignet29 • Durch die Fürstengesetze ist es dann verbrieft worden. Wie seit Aabrecht dem Bären Marktsiedlungen städtischen Charakters entstanden und im 13. Jahrhundert in allen Teilen der Mark Städte gegründet worden sind, darüber ist bereits berichtet worden. Daß bei den frühaskanischen Gründungen, die vor den Fürstengesetzen erfolgt sind, das königliche Marktregal beachtet worden, daß also königliche Genehmigung erforderlich gewesen sei, davon erfahren wir nichts. Joh. Schultze hätte das sicher erwähnt, wenn der Markgraf darauf angewiesen gewesen wäre. Auch insoweit hat man den Eindruck, daß die Markgrafen ausschließlich kraft ihrer Amtsgewalt gehandelt haben. 5. Zu den Regalien des Reichs hat das Stromregal gehört, das die Befugnis zur Errichtung von Wasserbauten aller Art, vor allem auch von Wassermühlen in sich schloß30 • Die askanischen Markgrafen haben dieses Mühlenregal, das sehr erhebliche Einnahmen erbrachte31 , aber auch die Vorsorge für die Versorgung von Städten und Dörfern involvierte, wenn nicht von Anfang an32, so doch sehr bald3 a für sich als landesherrliches Regal in Anspruch genommen. Da das Mühlenregal mit dem Stromregal zusammenhängt, hat es sich natürlich nicht auf die schon in slawischer Zeit benutzten aber auch späterhin in Gebrauch gebliebenen, lediglich dem Hausbedarf dienenden Hand- und Roßmühlen bezogen34 ; vielmehr ist es als das Recht zu verstehen, Wasser- oder Windmühlen zu bauen und in Betrieb zu halten, Mühlen also, die zur Versorgung eines oder mehrerer Dörfer dienten. Städte haben oft mehrere Mühlen betrieben. In erster Linie haben die Mühlen dem Mahlen von Getreide gedient; doch sind in Städten auch schon Lohund Walkmühlen für Gerber und Wollenweber vorgekommen35 • Der Markgraf übte sein Mühlenregal durch Verpachtung der Mühlen an gelernte Müller aus36 • Der sog. Mühlenzwang37 , demzufolge die Be29 Planitz S . 168. In dem Marktprivileg Albrechts des Bären von 1160 (Urkunden und erzählende -Quellen Nr. 32) wird ganz deutlich, daß Albrecht aus eigener Machtvollkommenheit das Marktregal verliehen hat. Nicht anders verfuhr übrigens Erzbischof Wichmann von Magdeburg, als er 1174 den Fernhandelsmarkt in Jüterbog errichtete: Urkunden und erzählende Quellen Nr. 13. so Conrad S. 275. st Spangenberg a. a. 0. S. 322 bringt nähere Berechnungen aus der Zeit Kaiser Karls IV. s2 Peschke S. 19. 33 Spangenberg, a. a. 0. S. 317. 34 Dazu Peschke S. 3, 4. ss von Nießen S. 446. - Nach den Ermittlungen Peschkes S. 16, 17 sind in der Mark die Windmühlen später aufgekommen als die Wassermühlen, offenbar erst in der Zeit der letzten Askanier. 36 Peschke S. 47 ff.

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wohner eines bestimmten Ortes gezwungen waren, ihr Getreide durch eine bestimmte Mühle mahlen zu lassen, schuf eine erhebliche Garantie dafür, daß sich der kostspielige Bau und Betrieb einer Mühle wirtschaftlich lohnte. Wie bei allen Regalien haben die Markgrafen auch das Mühlenregal an Grundherren, Städte oder auch an einzelne Bürger übertragen3s. Daß die Lokatoren bei Dorfgründungen als Entschädigung für ·ihre Bemühungen mit dem Schulzenamt oft zugleich die Mühlengerechtigkeit oder doch die Einkünfte aus der Mühlenpacht erhalten haben, ist bereits dargelegt worden39 • In welchem Ausmaß sich auch die Askanier schon durch Vergabungen ihrer Mühlengerechtigkeit entäußert haben, zeigt das Landbuch Kaiser Karls IV. von 137540 •

6. Das Judenregal, das sich erst im 12. Jahrhundert als Königsrecht entwickelt hat41 , kann, wie unsere Erörterungen über die Juden in den märkischen Städten ergeben haben42 , erst gegen Ende der Askanierzeit als markgräfliches Recht entstanden sein. Es bedeutet das Recht des Markgrafen, zu bestimmen, ob, wo und unter welchen Bedingungen (Vermögensverhältnisse; Beschränkung auf den Geldverleih) sich Juden in der Mark niederlassen dürfen. In der bereits erwähnten43 , von Markgraf Otto IV. am 4. 4. 1297 erlassenen sogen. Judenordnung für Näheres bei Peschke S. 34 ff. Spangenberg S. 319 f. ; Peschke S. 20 ff. Dazu Krabbo Reg. 718 (= Riedel 1. Hauptteil 13. Bd. S. 316 unter XI.) : bei Gründung der Stadt Lychen (23. 1. 37

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1248) erhalten die mit der Erbauung beauftragten Brüder Daniel und Eberhard de Parwenitz "duo molendina ad officium perfecture spectantia" (also zum Bürgermeisteramt gehörig) mit der Bestimmung, "quod nec nos, nec nostri heredes ipsos debeant aliqua alia structura" (d. h. durch Bau neuer Mühlen) "ipsis nociva ledere vel turbare". - Krabbo Reg. 766 (= Riedel 1. Hauptteil 23. Bd. S. 1 ff.): bei Gründung der Stadt Frankfurt a. 0. (1253) wird bestimmt, daß der Schulze zwei Mühlen, deren Lage bestimmt wird, haben soll. Wenn aber der Schulze "eczliche Molen in deme gebiete der egenanten Stad morchte gebowen", dann behalten sich die Markgrafen das Recht auf die Hälfte der Mühlenerträgnisse vor; die andere Hälfte erhält der Schulze. - Krabbo Reg. 813 (= Riedel 1. Hauptteil 18. Bd. S. 369 unter VI): bei Gründung der Stadt "Landisberg Nova" (Landsberg a. W.) im Jahre 1257 ist die Rede von Mühlen, die im Kladow-Fluß (einem in die Warthe mündenden Fließ) innerhalb des Stadtgebietes zu bauen sein werden; davon soll der Schulze partem tertiam erhalten; erbaut er aber auf den ihm lehnsweise überlassenen Hufen außerhalb des Stadtgebietes Mühlen, so zieht er allein alle Nutzungen. - Weitere Verfügungen über Mühlen: Krabbo Reg. 333, 524, 680, 690. - Auch Städten, die seit langem bestehen, muß das Recht, Mühlen zu bauen, besonders verliehen werden; vgl. Riedet 1. Hauptteil 15. Bd. S. 41 : Markgraf Otto und Konrad erlauben am 10. 7. 1291 der Stadt Stendal den Bau einer Mühle, und zwar völlig abgabenfrei. 39 Vgl. Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern S. 73. 40 Peschke S. 40, 41; Spangenberg S. 319. 41 Conrad S. 355 ff. 42 Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askantern S. 114 ff. 43 Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern S. 114; dazu Spangenberg S. 326, 327. Abdruck dieser Judenordnung bei Riedet, 1. Hauptteil 15. Bd., S. 44 unter LVII.

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Stendal dürfen wir eines der ältesten Zeugnisse für das markgräfliche Judenregal erblicken. Was diese Judenordnung für die Stendaler Juden bedeutet hat, das ist oben eingehend dargelegt worden. Nutzungen zog der Markgraf aus den Abgaben, die die Juden zu zahlen hatten. Aber auch hier zeigt sich die von Thieme betonte Funktion des Regals in der aus ihm fiür den Markgrafen sich ergebenden Pflicht, die Juden gegebenenfalls zu schützen. Wie bei allen Regalien bestand auch beim Judenregal die Möglichkeit, die Einnahmen aus dem Judenregal in ihrer Gesamtheit oder die von einzelnen Juden zu leistenden Abgaben zu verschenken, zu verleihen, zu verpfänden. In welchem Ausmaß sich Juden in der Mark niedergelassen haben, läßt sich erst für die nachaskanische Zeit feststellen 44 •

V. Eine eigenartige Entwicklung hat in der Mar k Brandenburg das neben den Regalien für den Markgrafen bedeutsame Besteuerungsrecht durchgemacht. Es handelt sich um die sogen. Bede (precaria, exactio, petitio), dem Wortlaut nach um eine bittweise erhobene Steuerleistung. Aber schon unter den ersten Askaniern dürfte es sich kaum noch um freiwillige Leistungen gehandelt haben. Spangenberg 45 rechnet die Erhebung der Bede zu der aus der markgräflichen Amtsgewalt hergeleiteten "iustitia quae spectat ad Marchiam". Das Eigentümliche der Bede hat darin bestanden, daß sie anfangs ganz unregelmäßig, meist aus Anlaß bestimmter, zu hohen Geldaufwendungen des Markgrafen nötigenden Ereignissen (etwa Aussteuer einer zu verheiratenden Prinzessin) erhoben worden ist. Das aber änderte sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Hintze 46 vermutet, daß das sehr hohe Lösegeld, das für 44 Die vorstehend für die Mark Brandenburg gemachten Angaben stellen einen winzigen Bruchteil der zahllosen, im Reich und in den Territorien ergangenen Bestimmungen über die Rechtsstellung der Juden dar. Die Landfrieden des 12. und 13. Jahrhdt. suchten ebenso wie die Rechtsbücher den Judenschutz rechtlich zu normieren. Ssp. Landrecht II 66 § 1 behandelt den Judenschutz in unmittelbarem Zusammenhang mit den Befriedungen bestimmter Personen, Befriedungen, die sich ergeben aus dem "alden vride, den die keiserliche gewalt bestetiget hat deme lande zu Sachsen mit der guten knechte wilkore von dem lande". Wichtig ist das Wormser Judenprivileg 1157, das 1236 allen Juden in Deutschland verliehen wird und den königlichen Schutz der Juden garantieren soll. Die Goldene Bulle 1356 statuierte das Judenregal der Kurfürsten. Vgl. zu alledem die eingehenden Darlegungen bei Conrad S. 305, 306. Trotz aller dieser Schutzbestimmungen ist die Lage der Juden nie ganz sicher gewesen; mit plötzlichen Haßentladungen mußte immer gerechnet werden. In der Heidelberger Bilderhandschrift des Ssp. werden die Juden durch spitze Hüte und Vollbart gekennzeichnet. Vgl. W. Koschorreck, Kommentar S. 21; dazu Bildteil Bl. 13, Rückseite, 3. und 4. Bildreihe. 45 Spangenberg S. 336 ff. 48 Hintze s. 66.

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Markgraf Otto IV. nach dessen Gefangennahme in der Schlacht bei Frohse (10. 1. 1278) hat aufgebracht werden müssen und zu hohen Forderungen an Ritterschaft und Städte geführt hat, den Widerstand der mit dieser "Bede" in Anspruch Genommenen ausgelöst hat, so daß sich die Markgrafen genötigt sahen, mit den verschiedenen Gruppen der Ritterschaft und der Städte über eine erträgliche Umwandlung dieser Besteuerungsform zu verhandeln. Diese Verhandlungen zogen sich von 1279 bis 1282 hin und haben zu den sogen. Redeverträgen geführt, die die Stendaler und die Salzwedeler Linie des askanischen Hauses getrennt mit ihren Untertanen führten 47 • Grundsätzlich wurde den Markgrafen beider Linien das Recht zur Erhebung der außerordentlichen Bede durch eine einmalige, fixierte Summe abgekauft. Dafür sollte eine an zwei Terminen innerhalb des Jahres zu entrichtende ordentliche Steuer bestimmter Höhe gezahlt werden. Für bestimmte Fälle von Landesnot werden Vorbehalte für die Erhebung einer außerordentlichen Bede gemacht. Zur Zahlung der an die Stelle der unregelmäßigaußerordentlichen Bede getretenen Steuer, für die sich die Bezeichnung "Bede" bald wieder einbürgerte, sollten alle Untertanen verpflichtet sein. Aber die Markgrafen mußten durch besondere Privilegien der Geistlichkeit und dem Adel Befreiungen zugestehen48 • Von den Städten ist die landesherrliche Steuer als Gemeindelast ("orbede") zu tragen gewesen. Die Markgrafen haben schon in askanischer Zeit die Bede weitgehend veräußert. Nach dem Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375 ist den Markgrafen die Bede nur noch in wenigen Dörfern der verschiedenen Landesteile verblieben49 • 47 Zu den Bedeverträgen vgl. die eingehende Darstellung bei Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung S. 336 ff., sowie Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat S. 45 ff.; ferner Hintze S. 66 ff. ; Joh. Schultze, Die Mark Br. I S. 237 ff.; Oesterreich bei Gebh.-Grundmann II S. 395; Schtesinger, ebenda S. 744. - Wichtig Krabbo Reg. 1204 (Verhandlungen der Johanneischen Linie mit den Stendaler Bürgern; Reg. 1253 (Vertrag der Johanneischen Linie mit den Vasallen der Altmark; Abdruck dieses Vertrages bei Riedet 3. Hauptteil, 1. Band S. 10 unter Nr. 9) ; Reg. 1263, 1264 (den Städten Tangermünde und Stendal wird befohlen, die mit den Vasallen des Havellandes und Havelbergs getroffenen Vereinbarungen zu beachten); Reg. 1282, 1284 (entsprechende Verhandlungen der Ottonischen Linie); Reg. 1345 (Befreiung der Prenzlauer von der Bede; Otto IV. und Konrad); Reg. 1976 (Otto IV. und Woldemar verkaufen 1305 die Bede des Landes Gardelegen an die dortigen Lehnsträger). 48 Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung S. 345 ff.; Hintze S. 67. Bemerkenswert ist, daß im Jahre 1150 König Konrad III. noch in der Lage gewesen ist, das Bistum Havelberg vor Steuerforderungen des Markgrafen zu schützen. Spangenberg S. 336 teilt den Wortlaut der Befreiung mit: "ut nullus dux, nullus marchio, nullus comes seu vicecomes, nullus advocatus seu subadvocatus aliquam exaccionem exinde extorquere audeat, nullus sibi aliquid dominium ibi usurpare praesumat, nullus petitiones publicas ibi faciat." 49 Spangenberg a. a. 0. S. 370.

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VI. Wenn der deutsche König den Markgrafen von Brandenburg auch mit einer sehr umfassenden Amtsgewalt ausgestattet hat, so wird er sich damit nicht des Rechtes begeben haben, die Art und Weise der Ausübung dieser Amtsgewalt zu kontrollieren, ·Um gegebenenfalls Mißbräuchen entgegenzutreten. Eine solche Kontrolle aber setzt die Präsenz eines königlichen Beamten auf märkischem Gebiet voraus. Was läßt sich insofern für die askanische Zeit feststellen? Rechtlich hat das vom Markgrafen eroberte ostelbische Slawenland als Königsgut50 gegolten. Wenn die Könige in der Lage gewesen wären, im 12. Jahrhundert auf den zu festem Besitz erworbenen Teilen der Nordmark königliche Ostpolitik auf eigene Faust zu treiben und auf dem Königsgut königliche Herrschaft effektiv zur Geltung zu bringen, so hätten königliche Burggrafen auf Königsburgen die Rechte des Königs wahrnehmen und seine Hoheitsgewalt repräsentieren müssen. Aber das ist nun gerade von Anfang an für die aus der markgräflichen Amtsgewalt entstandene territoriale Landeshoheit der Askanier bezeichnend gewesen, daß sich nur ganz geringe Ansätze zu einer Präsenz könglicher Repräsentanten auf märkischem Gebiet feststellen lassen. Folgen wir den eingehenden und m . E. sehr klärenden Untersuchungen Joh. Schultzes51 , so können wir allein auf der Brandenburg die Existenz eines königlichen Burggrafen52 feststellen. Dem Bischof von Brandenburg hat als Bischofssitz nur die Hälfte der Burg zur Verfügung gestanden. Die andere Hälfte ist - die ottonische Reichs-Ostpolitik übt hier letzte, schon anachronistisch anmutende Wirkungen aus - als Königsgut angesehen und daher, wie wir schon berichtet haben, auf einer Gerichtsversammlung (einem "bottingh") von den dort versammelten Baronen als "regale castrum, cambera imperialis" bezeichnet worden53 • Hier ist der Sitz eines königlichen Burggrafen, von dem berichtet wird, daß er unter Königsbann gerichtet habe54 • Die Institution dieses Burggrafen kann wohl keinen anderen so W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft S. 242; Joh. Schultze in "Forschungen" S. 70. 51 Vor allem Joh. Schultze in "Forschungen" S. 70 ff., 88 ff., 94. Treffend auch Gerd Heinrich, Die Grafen von Arnstein, S. 429, 430. 52 Kühns Band I S. 92 ff. und von Sommerfeld S. 126 ff. halten die Burg-

grafen für markgräfliche Beamte, verkennen also, daß die Burggrafen in Arneburg und Brandenburg im Dienste des Königs standen. Vgl. dazu auch Hintze S. 58, der offenbar die gleiche Auffassung vertritt wie Joh. Schultze. 53 Vgl. Eb . Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern, S. 105. Krabbo Reg. 398 (Dezember 1170). Krabbo setzt die Urkunde von 1170 mit der Erzkämmererwürde in Zusammenhang. Vgl. dazu Joh. Schultze, Die Mark Br. I S. 97, 98.

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Zweck gehabt haben als den, des Reiches Ansprüche auf die Brandenburg als den wichtigsten Havelort östlich der Elbe zu erhalten und von hier aus die Ausübung der markgräflichen Amtsgewalt zu kontrollieren. Daher ist auch anzunehmen, daß dieser königliche Burggraf bald nach der Inbesitznahme der Brandenburg durch Albrecht den Bären (1250) auf der Brandenburg erschienen ist. Auch Joh. Schultze 55 folgert aus einer von Markgraf Otto II. ausgestellten Urkunde von 1187, daß die Einsetzung der Burggmfen vor 1157 erfolgt sein muß; denn in dieser Urkunde erwähnt Markgraf Otto II., daß seine, Ottos, und des damaligen Burggrafen Siegfried Eltern und dann auch deren Söhne an Kämpfen beteiligt gewesen seien, bei denen viel heidnisches Blut vergossen worden sei. Da solche Kämpfe von erheblichem Ausmaß zwar vor, nicht aber nach 1157 mit heidnischen Widersachern ausgefochten werden mußten, so dürfte Joh. Schultzes Zeitberechnung wohl das Richtige treffen. Kein Zweifel kann bestehen, daß die aus dem freiedlen Geschlecht der J abilinze56 stammenden Burggrafen auf der Brandenburg als königliche Amtsträger neben den Markgrafen eine im einzelnen kaum erkennbare Rolle gespielt haben. Wenn das Verhältnis gelegentlich schlecht gewesen ist, so wird das seinen Grund darin gehabt haben, daß Meinungsverschiedenheiten bezüglich markgräflicher Maßnahmen entstanden oder Übergriffe des Burggrafen57 vorgekommen sind. Das Bestreben der askanischen Markgrafen ist begreiflicherweise von vornherein darauf gerichtet gewesen, den königlichen Burggrafen und seine amtliche Tätigkeit auf der Brandenburg auszuschalten. Joh. Schultze58 berichtet über einen dafür bezeichnenden Vorgang aus dem 54 Joh. Schultze in "Forschungen" S. 89 führt das darauf zurück, daß "der Ort unter Königsschutz stand und hier ein Burggraf anstelle des Königs Gericht hielt". Aber über wen und bezüglich welcher Sachen? Sehr klar ist das Ganze nicht. Außer auf der Brandenburg gab es nur noch in Arneburg einen königlichen Burggrafen. Gegen von Sommerfelds (S. 126 ff.) Auffassung, daß daraus auf eine markgräfliche Organisation zu schließen sei, Joh. Schultze in "Forschungen" S. 89 zu Anm. 47. - Über den Burggrafen von Arneburg vgl. Hans K. Schulze S. 73 ff. 65 Joh. Schultze in "Forschungen" S. 89. 56 Joh. Schultze a. a. 0. S. 81 zu Anm. 46. Ob "Jabilince" das heutige Belzig gewesen ist, läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen; vgl. Krabbo Reg. 78. In diesem Reg. zu 1139/40 wird berichtet, daß Albrecht der Bär einen Grafen Siegfried von Jabilince wegen einer gegen Albrecht gerichteten Verschwörung habe töten lassen. Krabbo hält es für möglich, daß der Getötete ein Vasall Albrechts gewesen sei. Aber mehr als Vermutung dürfte das nicht sein. 57 Vgl. Krabbo Reg. 556. Danach hat im Jahre 1215 Markgraf Otto II. die Bürger von Stendal auf deren Bitten gegen Bedrückungen seitens der Burggrafen in Schutz genommen, in dem er sie von der Verpflichtung, vor dem Burggrafen zu erscheinen, befreite. 58 a. a. 0. S. 98 ff. Genaue Schilderung des Ereignisses bei Krabbo Reg. 430.

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Jahre 1179: Als am 1. Juli dieses Jahres Kaiser Friedrich dem Brandenburger Domkapitel seine Besitz- und Immunitätsrechte bestätigt hatte, erteilte Markgraf Otto vier Monate später dem Domkapitel ein gleiches Privileg. Dabei leistete er sich insofern einen offensichtlichen Übergriff in des Königs Rechte, als er die Besitzbestätigung auch auf den Ort erstreckte, auf dem die Kirche selbst errichtet war. Indem er außerdem noch durch die Worte "in urbe nostra" markgräfliches Eigentum an der Burg in Anspruch nahm, brachte er deutlich genug zum Ausdruck, wie sein dominium terrae auf den Ort Brandenburg zu erstrecken er bestrebt war und wie damit natürlich der Anspruch der markgräflichen Territorialhoheit über die Brandenburger Domkirche betont wurde. So jedenfalls deutet Joh. Schultze, und zwar m. E. durchaus mit Recht, die eigenartige Privilegienerteilung, die als solche für das Domkapitel nach Erteilung des kaiserlichen Privilegs eigentlich doch gar nicht mehr erforderlich gewesen ist. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß die Markgrafen auch sonst Mittel und Wege gefunden haben, dem Burggrafen des Königs, je mehr sich ihre landesfürstliche Position mit der Ausdehnung ihrer Herrschermacht nach Osten hin verfestigte, seine Schattenrolle fühlen zu lassen. Er ist dann auch kaum noch in Erscheinung getreten und ist aus dem Blickfeld ganz verschwunden, nachdem Friedrich II. mit dem statutum in favorem principum (1232) die Markgrafen als die domini terrae anerkannt hatte59 • Von der Seite des Reiches her sind seitdem hemmende Einwirkungen auf die territoriale Verselbständigung und auf die Entwicklung landesfürstlicher Hoheitsgewalt der Markgrafen nicht mehr in Betracht gekommen.

VII. 1. Aber die Mark Brandenburg ist selbstverständlich ein Glied des Deutschen Reichs geblieben, ja, die askanischen Markgrafen sind zu den einflußreichsten Reichsfürsten emporgestiegen, indem sie das Erzkämmereramt erlangten, von dem aus sie dann in den Besitz der Kurwürde gelangen konnten. Nach Jahr und Tag kann die Erlangung des Erzkämmereramtes nicht datiert werden. Nach Hintzes Auffassung60 ist das Erzamt von Otto I. erstmalig auf dem Hof- und Reichstag zu Mainz im Jahre 1184 ausgeübt worden. Daß aber schon Albrecht der Bär mit diesem Erzamt ausgezeichnet worden ist, bezeichnet Joh. Schultze61 als unbestrittene Aufsu Joh. Schultze a. a. 0. S. 90. uo Hintze S. 42; dazu Krabbo Reg. 454; vgl. aber auch Reg. 398 mit den angeführten Anmerkungen Krabbos.

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fassung der Historiker. Dem zu widersprechen sehe ich keinen Anlaß. Aus mehrfachen Gründen könnte Albrecht der Bär das Amt des Erzkämmerers erhalten haben: etwa als Entschädigung für den Verlust des Herzogtums Sachsen oder als Auszeichnung dafür, daß er mit der Eroberung der Brandenburg und der Gewinnung des Havellandes seinen ersten großen Erfolg aufzuweisen hatte62 • Daß Albrecht seine reichsfürstliche Stellung im Dienste des Reiches zur Geltung gebracht hat, ist vielfach bezeugt, etwa durch Teilnahme an Hof- und Reichstagen63 oder durch Beteiligung an kriegerischen Unternehmungen des Königs64 • Im Titel der askanischen Markgrafen ist ein Hinweis auf das Erzkämmereramt im allgemeinen nicht zu finden. Otto IV. hat sich einmal im Jahre 1277 als imperialis aulae camerarius bezeichnet65 • 2. Nach dem Sachsenspiegel (Landrecht III 57 § 2) ist bei den zu "keisers kore" bevufenen Laienfürsten die Kurwürde mit dem von dem betr. Laienfürsten bekleideten Erzamt verbunden: "Under den leyen ist der erste an der kore der phalenzgreue von dem rine, des riches trucsesse, der andere der marschalk, der herczoge von sachsen, der dritte der kemerer, der marcgreue von brandenburk66 ." So vertritt der Sachsenspiegel die "Erzämtertheorie" 67 , die freilich in der rechtshistorischen Forschung eine umstrittene Sache ist. Dies hier eingehend zu erörtern, würde aus dem Rahmen dieser Arbeit herausfallen, wie hier auch nicht 81 Joh. Schultze in "Forschungen" S. 93 ff. Zweifelnd allerdings von Sommerfeld S. 84. Eberhard Faden in: Geschichte der deutschen Länder Bd. 1 S. 519 ff. behauptet (freilich ohne -Quellenangabe), daß die Verleihung des Erzkämmereramtes zuerst 1157 bezeugt sei. 82 Auf diese Möglichkeit weist Krabbo zu Reg. 398 hin. 83 Krabbo Reg. 348, 454. 64 Krabbo Reg. 303. 85 Joh. Schultze in ,.Forschungen" S. 95; Krabbo Reg. 1105. Krabbo hält

dies für den einzigen Fall, daß ein askanischer Markgraf den Kämmerertitel geführt hat; erst der falsche Woldemar habe sich das im Jahre 1349 geleistet. Dem scheint die bei Riedel 1. Hauptteil 8. Bd. S. 207 unter CLV abgedruckte Urkunde vom 29. 8. 1311 zu widersprechen, in der sich Markgraf Woldemar als "sacri imperii Romani archicamerarius" bezeichnet. Nach Krabbo aber soll diese Urkunde zum Jahre 1349 gehören und vom falschen Woldemar ausgestellt sein. 66 In der Heidelberger Bilderhandschrift befindet sich eine bildliehe Darstellung auf Blatt 21 Reihe 1 (geistliche Fürsten) und Reihe 2 (die drei Laienfürsten). Der König trägt den roten Rock, die drei Laienfürsten den grünen. Bemerkenswert ist die auf den König hinweisende Zeigegebärde (ausgestreckter Zeigefinger; die anderen Finger fest eingekrümmt mit anliegendem Daumen): W. Koschorreck, Kommentar S. 20 (Kleiderfarbe), S . 26 (Zeigegebärde). 67 Conrad S . 217/18; M . Lintzel S. 15; Mitteis-Lieberich S. 105/6. Die ganze Frage ist noch immer problematisch. Vgl. Heinrich Mitteis, Die Königswahl S.l56 ff.

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erörtert werden kann, in welchem Sinne in Ssp. 111 57 § 2 das Wort "Kore" zu verstehen ist68 , Die Wahl der deutschen Könige, die in der Askanierzeit die Königswürde erlangt haben, erfolgte zunächst nicht nach der festen Regel, die erstmalig im Sachsenspiegel, später dann in der Goldenen Bulle (1356) getroffen worden ist. Mit der Zurückdrängung des Geblütsrechts setzte sich das freie Wahlrecht durch. Heinrichs VI. Erbreichsplan ist am Widerstande des Papsttums und des Erzbischofs von Köln gescheitert69 • Ursprünglich ist die Königswahl eine Angelegenheit des ganzen Volkes gewesen; aber dieser Gedanke ist bald verblaßt, und das Wahlrecht geht auf die geistlichen und weltlichen Fürsten über, bis sich schließlich der Kreis der sieben Kurfürsten bildete70 • Die erste in die Askanierzeit fallende Königswahl ist diejenige des Staufers Konrads 111. gewesen. Er wurde unter Führung des Erzbischofs Albero von Trier von dessen Anhängern, einer Minderheit von Fürsten, am 7. 3. 1138 (noch vor dem an sich auf Pfingsten angesetzten Wahltermin) gewählt7 1• Daß Albrecht der Bär zu den Wählern gehört habe, ist wohl nicht anzunehmen72 • Daß Albrecht sich dem Staufer anschloß, ergab sich aus seinem politischen Gegensatz zu den Welfen. Mit Sicherheit aber darf angenommen werden, daß Albrecht der Bär zu den Fürsten gehört hat, die 1152 einstimmig den Staufer Friedrich I. gewählt haben 73 • Daß Markgraf Otto II. bei der Doppelwahl 1198 den Staufer Philipp gewählt hat, ergibt sich aus einem Schreiben, das Otto II. Anfang des Jahres 1199 zusammen mit 3 Erzbischöfen, 9 Bischöfen, 4 Äbten und 9 weltlichen Fürsten gemeinsam an Papst Innocenz 111. gerichtet hat mit der Mitteilung, daß sie nach Heinrichs VI. Tod Philipp von Schwaben zum römischen König gewählt hätten 74 • Bestätigt wird dies durch ein weiteres Schreiben an Innocenz 111. vom H erbst 1201 oder Anfang des Jahres 1202, worin Otto II. und 30 andere geistliche und weltliche Fürsten dagegen protestierten, daß Cardinales Es geht um die Frage, ob "kore" als "Vorwahlrecht" oder als Recht, als erster den Namen des Gewählten zu verkünden, aufzufassen ist. Dazu Lintzel S. 23, wonach Eike zwischen Wahl und Kur unterscheidet. 69 Zur Entwicklung des Wahlrechts: Conrad S. 216 ff., Lintzes pass., Bo~;l bei Gebh.-Grundmann I S. 798 ff.; Mitteis Die deutsche Königswahl und ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, 1944. 10 Conrad S. 216; Lintzel S. 39 ff. 71 Hampe-Baethgen S.126; Jordan bei Gebh.-Grundmann I S. 376 ; Maschke bei Leo Just Bd. 1, IV S. 29; von Raumer S. 19 (er bezeichnet den 22. 2. 1138 als Wahltag). 72 Krabbo Reg. 59a. 73 Krabbo Reg. 196 ff. 74 Krabbo Reg. 502 vermerkt, daß über eine Beteiligung Ottos II. an der Wahl Philipps (6./8. 3. 1198) nichts bekannt sei. Das aber dürfte sich durch die in der folgenden Anmerkung zitierten Regesten widerlegen.

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bischof Guido von Palestrina durch Anerkennung des Gegenkönigs Ottos IV. sich in das Wahlrecht der deutschen Fürsten einmische75 • Als sich der Kreis der Königswähler auf die in Ssp. Landrecht III 57 § 2 genannten drei geistlichen und vier weltlichen Fürsten zu konzentrieren begann, ist der Markgraf von Brandenburg sofort Mitglied dieses bevorzugten Kreises gewesen76. Als Zugehöriger zu diesem Kreis hat Markgraf JohannI. 1252 bei der Wahl Wilhelms von Holland mitgewirkt17• Das Königswahlrecht des askanischen Hauses ist in Schwierigkeiten geraten, nachdem die Brüder JohannI. und Otto III. in den Jahren 1258, 1260 und 1266 die Landesteilung mit der Folge durchgeführt hatten, daß nun zwei markgräfliche Linien, die ältere Johanne'ische und die jüngere Ottonische Linie, vorhanden waren78 • Es fragt sich, welche Bedeutung die Landesteilung für das Verhältnis der Mark Brandenburg zum Reich gehabt hat7 9 , insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Ausübung der Kurstimme bei den folgenden Königswahlen. Krabbo 80 hat gezeigt, wie bedeutsam es gewesen ist, daß die zur gesamten Hand investierten Markgrafen nicht eine die Gesamtbelehnung aufhebende Realteilung vorgenommen und wie sich Johann und Otto bemüht haben, gerade dies zu vermeiden. Die beiden Markgrafen haben also die Landesteilung sozusagen "unter sich abgemacht"81. Dem Reich gegenüber ist daher die Mark Brandenburg eine territoriale Einheit geblieben: Die Belehnung seitens des Reichs erfolgte für alle regierenden Glieder der beiden Linien zur gesamten Hand. Aber die Erzkämmererwürde fiel an den jeweils ältesten der regierenden Brüder. Bei den auf die Landesteilung folgenden Königswahlen ist es nicht ganz ohne Schwierigkeiten abgegangen, da die jüngere 75

Krabbo Reg. 508, 515.

In diesem Sinne möchte ich Hintze (S. 42) verstehen, wenn er sagt, daß erstmalig JohannI. das Wahlrecht als Mitglied des bevorzugten Wählerkreises bei der Wahl Wilhelms von Holland ausgeübt habe. Hintze will damit gewiß nicht behaupten, daß askanische Markgrafen bei früheren Königswahlen als Wähler nicht beteiligt gewesen seien. 11 Krabbo Reg. 712a und vor allem Reg. 742. 78 Vgl. des Näheren Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern S. 53 f. 79 Vgl. dazu Bauch, Die Markgrafen JohannI. und Otto lU. in ihren Beziehungen zum Reich.- Zur Bedeutung der Landesteilung überhaupt: Krabbo, Die Teilung der Mark Br. (43. und 44. Jahresbericht des Histor. Vereins in Brandenburg a. H., 1962, S. 77 ff.). Ferner Krabbo Reg. 824, 888. Dazu Johannes Schuttze, Die Mark Br. I S. 168 ff. Auf gewisse Divergenzen zwischen Krabbo und Joh. SchuUze (S. 170, Anm. 123) ist hier nicht einzugehen. so Krabbo (Anm. 79) S. 87; Joh. SchuUze a. a. 0 . S. 171. 81 Krabbo a. a. 0. S. 96; Joh. Schultze a. a. 0. S. 171. In diesem Sinne auch von Sommerfeld S. 123. 76

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Linie mit der die Kurstimme grundsätzlich in Anspruch nehmenden älteren Linie immer wieder zu konkurrieren versuchte. Die erste Königswahl, die nach der Landesteilung stattgefunden hat, ist die Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) gewesen. Unter den fürstlichen Wählern ist sicher Markgraf Johann II., das Haupt der älteren Johanneischen Linie, gewesen. Otto V., das Haupt der Ottonischen Linie, ist am 27. Oktober 1273 in Aachen nachgewiesen, da er an diesem Tage dort dem König Rudolf zwei "Willebriefe" ausgestellt hat. Krabbo glaubt daraus folgern zu dürfen, daß Otto V. bei der am 24. Oktober in Aachen vollzogenen Krönung zugegen gewesen ist und auch am Krönungsmahl teilgenommen hat, das am 25. Oktober veranstaltet worden ist. Nicht sicher aber läßt sich aus alledem schließen, daß Otto V. auch an der in Frankfurt am 1. Oktober vollzogenen Wahl als solcher teilgenommen hat. Wir können nur feststellen, daß die Ottonische Linie auffällig in Erscheinung getreten ist82 . Bei der nächsten Königswahl, bei der am 5. Mai 1292 Graf Adolf von Nassau gewählt worden ist, kommt es zwischen Otto IV. (Johannei'sche Linie) und Otto V. (Ottonische Linie) zum Streit um die Berechtigung zur Ausübung der Kurstimme. Wer dann von beiden die Kurstimme tatsächlich geführt hat, ist zwar nicht ganz sicher festzustellen; doch spricht vieles dafür, daß sich Otto IV. als Vertreter der älteren Linie durchgesetzt hat, zumal Graf Adolf von Nassau vor der Wahl Verbindung mit ihm aufgenommen hat83 . Als es im Jahre 1298 zur Absetzung Adolfs von Nassau kommen sollte, berief Erzbischof Gerhard von Mainz eine Fürstenversammlung nach Mainz ein, zu der nicht nur Markgraf Otto IV. (J ohann. Linie), sondern auch die Markgrafen Heinrich und Herrmann von Brandenburg84 erschienen. Krabbo nimmt an, daß nur Otto IV. mit dem Pfeil bei der Absetzung als Führer der brandenburgischen Stimme fungiert hat, wie er dann auch bei der darauf folgenden Wahl des Herzogs Albrecht von Österreich zusammen mit den Kurfürsten von Mainz und von Sachsen die Wahl durchgeführt hat85 • Bei der Wahl des Grafen Heinrich von Luxemburg hat zwar nur Markgraf Woldemar (Johann. Linie) die Kurstimme geführt; er hat aber zugleich seinen Oheim Otto vertreten86 . Bei der letzten Königswahl vor dem Aussterben des askanischen Hauses - es hat sich um die Wahl Ludwigs von Bayern am 20. Oktober 1314 gehandelt - hat nur Markgraf Woldemar die brandenburgische Kurstimme geführt87. 82

83 84

85

8e

Krabbo Krabbo Krabbo Krabbo Krabbo

Reg. 1049 und 1056. Reg. 1541. Reg. 1703, 1704. Reg. 2080, 2086, 2090, 2091. Reg. 2092.

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Als Ergebnis der vorstehenden Ausführungen wird man feststellen dürfen, daß die Johannelsche Linie gegenüber der sich rührenden Konkurrenz der Ottonischen Linie "sich stets als die wahlberechtigte (im engeren Sinne) behauptet hat" 88 und daß innerhalb der Johanne'ischen Linie das Kurrecht der Primogenitur zugekommen ist. Die Entwicklung des Kurrechts innerhalb des askanischen Hauses ist zwar von Unsicherheiten und Konkurrenzbemühungen der jüngeren Linie nicht frei gewesen, weist aber doch schon auf die Grundsätze hin, die dann in der Goldenen Bulle von 1356 die feste Regelung von Reichs wegen gebracht haben. An einen askanischen Fürsten ist die Königswürde nicht gekommen. Bestrebungen in dieser Beziehung sind aber sowohl 1256 wie 1308 im Gange gewesen89 . Otto III. ist 1256 zur Annahme der Königswürde bereit gewesen (Urkunde bei Riedel, 2. Hauptteil, 1. Band, S. 48 unter LXXI.) 1308 ist Ottos IV. Wahl erörtert worden und in Frage gekommen90. Für die stetige Entwicklung des askanischen Landesfürstentums wäre es wohl kaum von Vorteil gewesen, wenn ein Markgraf von Brandenburg als deutscher König die dynastischen Bestrebungen und Gvundsätze seines Hauses zugunsten der mit der Führung der Reichspolitik zusammenhängenden Notwendigkeiten hätte zurückstellen müssen. Zweiter Abschnitt

Verfassung und Verwaltung der Mark Brandenburg I.

Wenn ich von einer "Verfassung" der Kurmark Brandenburg zu sprechen unternehme, so liegt es mir fern, dabei an staatliche Verhältnisse mit "Verfassungen" im modernen staatsrechtlichen Sinne zu denken. Es geht darum, die Landesherrschaft in ihrer Eigenart und in 87 Krabbo Reg. 2359. Bezüglich der Wahl von 1314, die ja eine Doppelwahl gewesen ist (Ludwig der Bayer und Friedrich von Österreich) ist vieles recht zweifelhaft. Krabbo Reg. 2359 setzt sich mit den Streitfragen auseinander. Aufschlußreich Krabbo Reg. 2362. Vgl. zu der Doppelwahl von 1314 Mitteis, Die deutsche Königswahl, S. 213 ff. (nach heutigem Standpunkt hält Mitteis nur Ludwigs Wahl für gültig). Heimpel bei Leo Just Bd. 1 V S. 47, 48; Grundmann bei Gebh.-Grundmann I S. 427 ff. 88 Vgl. Krabbo in seinen Bemerkungen zu Reg. 2359. 89 Zu 1256: Krabbo Reg. 796, 798, 799. Markgraf Johann von Brandenburg und Herzog Albrecht von Sachsen sprechen sich für Ottos Geeignetheit zur Erlangung der Königswürde aus. oo Zu 1308: Krabbo Reg. 2080, 2086, 2089, 2091.

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ihren Funktionsformen und -möglichkeiten zu verstehen•. Ob das territoriale Gebilde der Mark in der Askanierzeit schon als "Staat" zu verstehen ist, bleibe dahingestellt. Das Verhältnis des Landesherrn zu Land und Leuten hat "privatrechtlich-patrimonialen" Charakter, ähnelt dem eines Gutsbesitzers zu seinem Gut2 ; daher die Möglichkeit, Landesteilungen vorzunehmen oder Landesteile zu veräußern. Die Regierungsgewalt des Markgrafen ist kein geschlossenes, einheitliches Hoheitsrecht, sondern ein Büschel einzelner, auf mannigfachen Erwerbstiteln beruhenden Rechte, die eben jener privatrechtlich-patrimonialen Auffassung unterlagen, also auch veräußert werden konnten. Von einem Territorialstaat sollte erst seit Beginn der Neuzeit gesprochen werden, nachdem sich die landesherrliche Gewalt unter dem Einfluß von Reformation und Rezeption im Hinblick auf das alles umfassende ius politiae zu einer einheitlichen Obrigkeitsgewalt unveräußerlicher höchstpersönlicher Art entwickelt hatte3 • Man muß diese rudimentäre Beschaffenheit der markgräflichen Herrschaftsmöglichkeiten im Auge behalten, um die eigenartige Gestaltung des Verhältnisses von regierendem Landesfürsten und regierten Schichten der Bevölkerung zu verstehen und alle Anklänge an moderne "staatlich2" Verhältnisse von vornherein auszuschalten 4•

li. Die innere Ordnung der Kurmark Brandenburg knüpft an die Person des Markgrafen an5 • Sie ist von den jeweiligen Aufgaben in bezug auf Eroberung und Sicherung des Landes bestimmt worden und in mannigfachen Differenzierungen von den Ergebnissen der Besiedlung und Kultivierung abhängig gewesen. Der Markgraf ist jederzeit der höchste Amtsträger, der Inhaber oberster Befehls-, Gerichts- und Exekutivgewalt gewesen. Den Inbegriff seiner Amtsgewalt haben wir im vorigen Abschnitt zu bestimmen versucht. 1. Nach der Inbesitznahme der Brandenburg im Jahre 1150 und nach ihrer Wiedereroberung im Jahre 1157 hat Albrecht der Bär dort für t

2

Vgl. W. Schlesinger, Beiträge II S. 38. Tümpel S. 15.

a Eb. Schmidt, Rechtsentwicklung in Preußen, S. 4, 6, unten abgedruckt

S. 65 ff.; Hartung S. 58 ff.

4 Wie wichtig dieses Fernhalten aller Assoziationen an den Begriff des Staates im modernen Sinne ist, das ist das Thema zahlreicher Erörterungen. In dem von Hellmut Kämpf herausgegebenen Band "Herrschaft und Staat im Mittelalter" (Wege der Forschung Bd. li, 1964) sind es insbesondere die Aufsätze von Otto Brunner (S. 1 ff.), Heinrich Mitteis (S. 20 ff.), Th. Mayer (S. 284 ff.), Ludwig Zimmermann (S. 355 ff.), auf die ich verweisen möchte. 5

Hintze S . 56.

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sich keine feste Residenz geschaffen, wie sie bei dem Wendenfürsten Pribislaw bestanden hat. Zu keiner Zeit haben die askanischen Markgrafen eine bestimmte Burg oder Stadt zum Mittelpunkt ihrer Herrschaft und zu ihrer Residenz gemacht. Ein Schloß, von dem aus ständig hat regiert werden können, hat erst der Hohenzoller Friedrich li. (1442) in Cölln errichten lassen. Zwar hat Otto II. in einer von Joh. Schultze6 erwähnten Urkunde vom 28. Mai 1177 die "urbs videlicet Brandeburch" als "caput marchiae nostrae" bezeichnet; aber einen längeren Aufenthalt haben die Markgrafen dort nie genommen7 • Nach der Gründung der Doppelstadt Berlin-Cölln haben die Markgrafen dort ein ihnen verfügbares Gebäude ("Hohes Haus"; "Alter Hof") einrichten lassen8 , ohne daß in diesem daraus eine feste Residenz entstanden wäre. So haben die askanischen Markgrafen ihren Aufenthaltsort ständig gewechselt9 • Das hatte politische und wirtschaftliche Gründe. Politisch ist es wichtig gewesen, daß der Markgraf die Präsenz seiner Amtsgewalt bald hier, bald dort in Erscheinung treten ließ. Wirtschaftlich wurde der ständige Wechsel des Aufenthaltsortes durch die Naturalwirtschaft jener Zeit entscheidend bedingtl 0 • Die Versorgung des Markgrafen, seiner Hofhaltung und seiner militärischen Begleitung an einer festen Residenz würde Lebensmitteltransporte erforderlich gemacht haben, die bei dem noch sehr primitiven, eventuell auch nicht recht gesicherten Zustand der durch das Land führenden Verbindungswege außerordentlich langwierig und schwierig gewesen wären11 • 2. Den fränkischen, wie den mittelalterlichen "Staat" charakterisiert es, daß neben dem König bzw. neben dem Landesfürsten "der Adel als tragender Pfeiler der staatlichen Ordnungen" 12 eine bedeutsame politische Rolle gespielt hat. Wir haben gesehen, daß der Wendenkreuzzug 6 Joh. Schultze in "Forschungen" S. 159/60. Ein Fundort der Urkunde wird nicht angegeben. Bei KTabbo ist sie nicht enthalten. 7 Joh. Schultze a. a. 0. weist darauf hin, daß auf der Burginsel, die dem Bistum nur zur Hälfte eingeräumt war, noch bis gegen 1200 der königliche Burggraf (dazu oben S. 24 ff.) residiert hat. Nach dessen Verschwinden haben die Markgrafen dem Bistum die ganze Burginsel überlassen, so daß die Brandenburg als Residenz gar nicht in Betracht gekommen ist. s Joh. Schultze in "Forschungen" S. 166, der aber zu weit geht, wenn er (S. 167) es als bewundernswert bezeichnet, daß sich die Markgrafen "gerade in Berlin einen festen Wohnsitz sicherten". BeTthold Schulze in: Berlin, 9. KapitelS. 65 bezeichnet das "Hohe Haus" als "Absteigequartier". Vgl. auch KaebeT S. 5. Abbildung der 1931 wiederentdeckten Ruinen des "Hohen Hauses" bei BeTthold Schulze a. a. 0. hinter S. 64. e Hintze S. 59; Joh. Schultze in "Forschungen" S. 164 ff. 10 Wie das ja auch in fränkischer Zeit der Fall gewesen ist: ConTad S. 96. 11 Hintze S. 59. 12 Teilenbach in: "Adel u. Bauern im deutschen Staat des Mittelalters". S. 22. Vgl. ferner: Th. MayeT ebenda S. 6 ff., ConTad S. 269 ff., Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte S. 636 ff.; Mitteis-LiebeTich 8 . 107 ff.

3 Schmldt

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1147 eine Reihe edelfreier Geschlechter über die Elbe in die Prignitz geführt hat. Aber gerade diese Edelfreien sind es nicht gewesen, die neben dem Markgrafen in der Verwaltung der Markgrafschaft als solche führend gewesen sind. Vielmehr hatten sie zunächst ganz selbständige, dem Markgrafen unzugängliche dynastische Herrschaften gebildet, bis sie dann im 13. Jahrhundert der erstarkenden und sich räumlich ausweitenden Landeshoheit haben weichen müssen13 • Wenn der Markgraf einigen dieser Edelfreien in Nachahmung der hohen Hofämter beim Königtum ein "Erbhofamt" verlieh, wie etwa den Gänsen von Putlitz das Erbmarschallamt, so hat das, wie Hintze 14 gezeigt hat, keinerlei praktische Bedeutung für die markgräfliche Hof- und Landesverwaltung gehabt; vielmehr ist es lediglich eine "leere Dekoration und Titulatur ohne wirkliche Amtsfunktion" gewesen. Die Adelsschicht, mit deren Hilfe die askanischen Markgrafen ihre Herrschaft über das Gebiet der Mark Brandenburg in kriegerischen Auseinandersetzungen mit einheimischen und randnachbarlichen Gegengewalten ausbreiteten, ist in erster Linie die der Ministerialen 14a gewesen. Ihre gehobene Stellung gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung beruht nicht auf freier Geburt, sondern auf den kriegerischen Leistungen, die sie als ein neuer Berufsstand von Panzerreitern in den Kriegszügen der Markgrafen vollbrachten. Die Entwicklung dieses kriegerischen Berufsstandes und seine Verschmelzung mit dem durch freie Geburt ausgezeichneten "Rittertum alter Art" hatte im Zeitalter der Salier und Staufer zur Entstehung der Reichsministerialität geführt. Auf diese Reichsministerialen hatten sich die Staufer bei ihren Auseinandersetzungen mit dem hohen Adel in erster Linie gestützt15 • Aber auch bei den seit dem Investiturstreit sich gegen die Reichsgewalt bildenden Landesherrschaften hat dieser neue Berufsstand von Dienstmannen oder Ministerialen große Bedeutung erlangt, zumal nach dem Investiturstreit zahlreiche Reichsministerialen in landesherrliche Dienste übergetreten sind. Auch im Verhältnis zum Landesfürsten ist es der Kriegsdienst als Panzerreiter gewesen, der den Dienstmann ohne Rücksicht auf die Freiheit oder Unfreiheit •s einer Abkunft in den neuen Ritterstand erhob. Der Unterschied zwischen dem ehedem freigebore1s s. dazu Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern 47. 14

Hintze S. 59.

s. 33,

ua Über die Ministerialität der Markgrafen von Brandenburg ausführlich Hans K. Schulze, Adelsherrschaft S. 113 ff. ts Bosl in: Adel und Bauerntum, S. 74 ff.; Conrad S. 296 ff.; Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte S. 660; Th. Mayer in: Adel und Bauerntum S. 20, 21; vgl. auch Waas S. l17 ff.; Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte S.106; ferner Schlesinger, Kirchengeschichte II S. 29: "Das 12. Jahrhundert ist das große Jahrhundert der Miniiterialität."

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nen, adeligen Ritter und dem Ministerialen ebnet sich ein, je mehr der Ministeriale in ritterliche Lebensform und Wesensart hineinwächst1 6 • In korporativen Zusammenschlüssen der Ministerialen ist seit dem 11. Jahrhundert ihr soziales Aufstreben, ihr Standesbewußtsein, ihre politische Bedeutung hervorgetreten17 • Der SachsenspiegeP8 weist den Ministerialen ("der vrien herren man") neben den Schöffenbarfreien ("die schephenbaren vrien lute") den fünften Heerschild zu. Die wirtschaftliche Basis der Ministerialen ist das Dienstmannengut Mit der Erwerbung der Lehnsfähigkeit werden diese Dienstmannengüter zu Ritterlehen19 ; die Dienstmannen werden Vasallen nach Lehnsrecht mit eigenem Heerschild in der Heerschildordnung 20 • Auf der aus dem Lehnsgut sich ergebenden Bindung, nicht mehr auf einer nur persönlichen Abhängigkeit beruhen die insbesondere auf Heeresfolge und Landesschutz bezüglichen Verpflichtungen des neuen Ritterstandes gegenüber dem Landesherrn als ihrem Lehnsherren. In diesem Sinne spricht Georg Winter21 von einer "Verdinglichung der Ministerialität". Die Verschmelzung der unfreien Dienstmannen mit den Rittern freier Abkunft ist noch in askanischer Zeit so gut wie abgeschlossen gewesen22. I!I.

Auf dieses aus dem Ministerialenstand hervorgehende Rittertum ist der Markgraf in erster Linie angewiesen, soweit es sich um Schutz des Landes und um die Durchführung von Verwaltung und Rechtspflege gehandelt hat. Mit Hintze 23 unterscheiden wir in der Umgebung des Markgrafen einen "weiteren Hof" und einen "engeren Hof". Für den letzteren Hierzu Seidlmayer bei Leo Just Band 1, VI S. 45; vor allem Waas 128 ff., 136 ff. 17 Conrad S. 297; Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung S. 23. 1s Ssp. Landr. I 3 § 2. In der Heidelberger Bilderhandschrift werden zu Lehnrecht die Heerschilde durch Wappen gekennzeichnet. Für die Heerschilde 1 bis 4 sind bekannte Wappen gewählt, für den 5. und 6. Heerschild dagegen unbekannte Wappen. Vgl. W. Koschorreck, Kommentar S. 16. 19 Conrad S. 297; G. Winter, Die Ministerialität in Brandenburg S. 47 ff. 16

s. 120 ff.,

Conrad S. 82. Winter S. 30 ff. 22 Conrad S. 297; Winter S. 31. Dafür, daß Dienstherren ihre Ministerialen haben austauschen können, bringt Krabbo Reg. 974 ein Beispiel: Otto V. und 20 21

Albrecht III., marchiones Brandenburgenses, geben tauschweise dem Erzbischof Konrad von Magdeburg ihren Ministerialen Borchardum de Bertensleve und empfangen dafür den Ministerialen dominum Bodissem de Walslaven. Ob dabei auch ein Wechsel der Dienstmannengüter vollzogen worden ist, läßt sich dem Reg. 974 nicht entnehmen; ich möchte das aber nicht annehmen. 2s

3*

Hintze S . 59.

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dürfte sich in der Mark Brandenburg frühzeitig auch die Bezeichnung "Kammer" 24 eingebürgert haben. 1. Den "weiteren Hof" haben die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Hoftage oder Vasallenversammlungen dargestellt. Hintze 25 führt diese Hoftage auf die placita oder Gerichtstage zurück, die der Markgraf zunächst noch an des Königs Statt, also als Repräsentant königlicher Gerichtsherrlichkeit an verschiedenen Orten des Landes veranstaltet hat. Mit der Lockerung der Verbindung zum Reich, mit der Verfestigung der markgräflichen Position tritt der landesfürstliche Charakter der Hoftage mehr und mehr hervor. Hintze 26 hat in diesen Veranstaltungen des "weiteren Hofes" die Vorläufer einerseits der nach Ausbildung des Ständestaates stattfindenden Versammlungen der organisierten Stände, andererseits des fürstlichen Hofgerichts gesehen, in dem der Markgraf selbst die höchste Gerichtsbarkeit ausübte. In dieser letzteren Beziehung möchte ich Hintze durchaus zustimmen27 • Was aber die späteren Ständetage der im dualistischen Ständestaat organisierten Landstände betrifft, so darf m. E. der bedeutsame Unterschied nicht übersehen werden, der zwischen diesen Ständetagen und jenen Versammlungen des weiteren Hofes bestanden hat28 • Zu den Veranstaltungen des weiteren Hofes hat der Markgraf die ihm lehnsrechtlich verpflichteten Vasallen berufen, die diesem Ruf auf Grund ihrer Lehnspflicht haben folgen müssen. Wer, wie die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg29 oder die edelfreien Geschlechter der Prignitz, lehnsrechtlich nicht gebunden gewesen ist, hat auch keine Pflicht zur Teilnahme an den Veranstaltungen des weiteren Hofes gehabt. Dagegen haben die Ständetage der späteren organisierten Landstände nicht auf lehnsrechtlicher Verpflichtung zur Teilnahme, sondern darauf beruht, daß die Stände zu politischer Macht gekommen waren, und zwar dadurch, daß sie mehr und mehr landesherrliche Hoheitsrechte durch Vergabung geldbedürftiger Markgrafen an sich gebracht hatten; diese politische Macht hat auf den Ständetagen dem Markgrafen 24

25 26 21

Hartung S. 47; Eb. Schmidt, Kammergericht und Rechtsstaat S. 2. Hintze S. 59. Hintze a. a. 0. Vgl. Eb . Schmidt, Kammergericht und Rechtsstaat S. 1, 2. - Als placita

generalia oder placita communia werden Gerichtstage, die an des Makgrafen Statt vom Vogt veranstaltet werden, noch lange bezeichnet. Vgl. Krabbo Reg. 316 (1162 läßt Albrecht der Bär durch seinen zum Vogt bestellten Ministerialen Everardus dreimal jährlich placita generalia zur Aburteilung bestimmter Delikte veranstalten). Vgl. ferner Krabbo Reg. 694 (1294 werden die Leute des Klosters Lehnin von der Teilnahme an den placita communia befreit). 2s Sehr klärend Joh. Schultze in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 106. Jahrgang, 1970, S. 67 ff. 2o Vgl. Eb. Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern S. 31 ff.

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gegenüber zur Geltung gebracht werden sollen, um den politischen Wünschen der Stände Nachdruck zu verleihen30 • In askanischer Zeit hat sich die Entwicklung zum Ständestaat allenfalls vorzubereiten begonnen; die volle Entwicklung erfolgt erst im 14. und 15. Jahrhundert. Freilich, schon die Hedeverträge (1279 bis 1283) sind deutliche Zeichen dafür gewesen31 , wie der Übergang markgräflicher Hoheitsrechte in den Besitz von Adel und Städten den innenpolitischen Umschwung zum Ständestaat angebahnt hat. Alles in allem aber dürfte es wohl richtiger sein, in den Ständetagen des späteren dualistischen Ständestaates eine Neubildung auf Grund veränderter Rechtsposition der landesherrlichen Lehnsträger zu sehen, die sich von dem "weiteren Hof" der askanischen Zeit grundsätzlich unterscheidet32• 2. Der "engere Hof" des Markgrafen umfaßt die Persönlichkeiten, die in unmittelbarer Umgebung des Landesherren (in seiner "Kammer") die täglich anfallenden Angelegenheiten der Hof- und Landesverwaltung nach Geheiß des Markgrafen erledigt haben. Aus der Sicht des Landesherrn dürften Hof- und Landesverwaltung zunächst und wohl auch noch später auf lange Zeit keine getrennten oder überhaupt trennbaren Aufgabenbereiche gewesen sein33 • Den Anschauungen des aus dem Territorium sich entwickelnden Territorialstaates hat es entsprochen, daß der Landesherr Land und Leute als Objekte einer eigentumsgleichen Beherrschung angesehen hat34 • Eine straffe Organisation mit genauen Zuständigkeitsabgrenzungen, wie sie moderne Verwaltung charakterisiert, darf bei dem "engeren Hof" nicht vorausgesetzt werso Auch Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat, S. 24 ff., 44 ff. und pass., betont allenthalben den Erwerb von Hoheitsrechten als Grundlage der ständestaatliehen Entwicklung. Sehr deutlich in dieser Hinsicht Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, S. 360, 361. st Joh. Schuttze (oben (Anm. 28) S. 74 weist insbesondere auf den fast revolutionären Auftritt der Ritterschaft gegenüber dem Markgrafen der Ottonischen Linie am 28. 8. 1280 hin, der zu weitgehenden Verpflichtungen des Markgrafen bezüglich der Steuererhebung geführt hat. Dazu auch Spangenberg (Anm. 30) S. 48; Krabbo Reg. 1223. sz Der Reichsspruch von 1231, der die Landesherren auf die Zustimmung der "meliorum et majorum terrae" verweist, wenn es darum geht, "consuetudines vel nova iura facere", hat sich zunächst nicht auf den lehnsrechtlich gebundenen landsässigen Adel bezogen, sondern auf die auf freiem Eigen sitzenden geistlichen Herrschaften und freien Dynasten: Joh. Schuttze (Anm. 28) S. 70, 71. Der neue ritterschaftliehe Adel ist, wie Hartung S. 54 m . E. richtig bemerkt, in die vom Reichsspruch gemeinten Rechte des hohen Lehnsadels eingerückt. Den Grund dafür kann nur der im Text erwähnte Erwerb von Hoheitsrechten abgegeben haben. ss Hartung S. 36 kennt für das ältere mittelalterliche Territorium überhaupt nur Hof'verwaltung, nicht aber besondere Landesverwaltung. Vgl. im einzelnen Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung S. 46 ff. 34 Sogen. Objektstheorie. Vgl. Eb. Schmidt, Rechtsentwicklung in Preußen S. 7, 8, abgedruckt unten S. 65 ff.

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den. Auch dürfte häufiger Wechsel im Personalbestand stattgefunden haben35• Einzelne besondere Ämter sind sicher schon in askanischer Zeit zwecks Wahrnehmung spezieller Funktionen innerhalb des engeren Hofes zu unterscheiden gewesen. Hintze und Hartung36 erwähnen als besonders wichtiges Hofamt das des Drosten, des späteren Hofmeisters, als des Leiters des gesamten Hofhaltes. Das reisige Gefolge des Markgrafen hat unter Aufsicht und Befehl eines Marschalls37 ges·t anden. Die persönliche Bedienung des Markgrafen lag den "Kämmerern" ob. Die Notwendigkeit, wichtige Regierungshandlungen aufzuzeichnen, Urkunden auszustellen, einen amtlichen Schriftwechsel zu führen, hat sich mit der Vergrößerung der obrigkeitlichen Aufgaben im wachsenden Territorialbereich sicher ziemlich früh einstellen müssen. Da die Schreibkunst nur von Geistlichen beherrscht zu werden pflegte, haben auch nur solche in der Funktion eines Notars oder Protonotars zum engeren Hof herangezogen werden können. Das später so wichtige Kanzleramt hat hier seinen Ursprung38 • Den ganzen vom engeren Hof repräsentierten Verwaltungskörper haben wir uns so vorzustellen, daß er den Markgrafen am jeweiligen Aufenthaltsort ständig umgab und wie eine große Familie am Hofe selbst mit dem Markgrafen und seinen Familienangehörigen versorgt wurde. J eder Aufenthaltswechsel des Markgr afen mußte denn auch den ganzen engeren Hof jedesmal in Bewegung setzen. IV. Wir sind davon ausgegangen, daß, soweit nicht Geistliche in der Hofund Landesverwaltung benötigt worden sind, markgräfliche Ministerialen, die den Landesadel repräsentieren, die Hofämter inne hatten. Die Ministerialen aber sind im Besitz von Lehngütern gewesen. Damit entstand die Gefahr, daß die Vererblichkeit der Lehen39 sich auf die Ämter erstreckte und daß auf diese Weise - wie das ja die Entwicklung der Reichsverfassung gezeigt hat - die Lehns- und Amtsträger der Landeshoheit des Markgrafen dadurch abträglich werden konnten, daß sich - zumal im Hinblick auf die korporativen Zusammenschlüsse der Ministerialen - von Amt und Lehen aus politische Ges& Nach Hintze S. 59 dürfte der häufige Personalwechsel im engeren Hof mit dem häufigen Residenzwechsel zusammengehangen haben. se Hintze S. 59; Hartung S. 47. 37 Hintze und Hartung a. a. 0. ss Insbes. Hartung S. 47, 48, der schon für das Ende des 13. Jahrhdts. überall eine ausgebildete Kanzlei annimmt; ebenso auch Conrad S. 314, 315. 39 Zur Vererblichkeit der Dienstmannenlehen vgl. G. Winter S. 4.

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genmächte entwickelten. Die Markgrafen haben das zu verhindern gewußt, indem sie die Verwaltungsämter, mit Hintze 40 zu sprechen, "nicht in Lehns-, sondern in Amtsweise" an Ministerialen übertragen haben. Amt und Lehen wurden also getrennt. Das Amt hat daher dem Ministerialen jederzeit entzogen werden können. So haben die Markgrafen einen Kreis von besonders verpflichteten, allein auf die landesherrlichen Interessen eingeschworenen Personen - sogen. "viri prudentes, discreti, sapientes" - um sich bilden können, denen die Hofämter anvertraut wurden. Diese auch als consilarii bezeichneten Ratgeber wurden durch besonderen Diensteid verpflichtet und für die Zeit ihrer Dienstleistung besonders besoldet41 • Hintze 42 faßt diese Entwicklung dahin zusammen: "Aus dem Ministerialitätsverhältnis begann so ein Beamtenverhältnis herauszuwachsen." Ob und inwieweit die askanischen Markgrafen auch Personen, die nicht zum Kreise ihrer Ministerialen gehört haben, mit Hofämtern haben betrauen können, darüber lassen sich, wenn wir insoweit von den oben erwähnten schriftkundigen Geistlichen absehen, für die Askanierzeit wohl keine bestimmten Angaben machen. Daß den Ministerialen ein Anspruch darauf zugestanden hätte, daß die Markgrafen nur Angehörige ihres Standes in den engeren Hof hätten berufen dürfen, ist nicht anzunehmen. Auch Hartung 43 spricht sich dagegen aus und weist darauf hin, daß Albrecht I. von Österreich sogar Landfremde berief, aus denen er einen Rat von "Heimlichen" bildete. Die weitverzweigten verwandtschaftlichen und politischen Beziehungen der askanischen Markgrafen lassen es nicht als ausgeschlossen erscheinen, daß auch sie den engen Kreis der territorialen Ritterschaft gesprengt haben können, um deren Einfluß auf Hof- und Landesverwaltung einzuschränken.

V. Die dem Markgrafen als dem Landesherrn obliegenden Aufgaben beziehen sich einerseits auf die innere Verwaltung des Landes, auf die (unten besonders zu erörternde) Rechtspflege, andererseits auf den Schutz seines Herrschaftsgebietes gegen Beeinträchtigungen von außen her und auf Friedenswahrung im Innern, soweit das Fehdewesen ein Eingreifen des Landesherrn erforderte.

•o Hintze S. 59, 60; Winter a. a. 0. S. 20 (vom alten Lehnswesen wird das neue Ämterwesen unterschieden). 4t Hintze S . 60; Hartung S. 48. 42 Hintze a. a. 0. 43 Hartung S. 48, 49. So auch für die Markgrafen im sorbischen Gebiet Kötzschke in der Festgabe für Seliger S. 100 ff.

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Was die innere Verwaltung des Landes betrifft, so sei hier an das erinnert, was bereits über die aus den Regalien sich ergebende Notwendigkeit zu fördernder und pfleglicher Behandlung der Regalienobjekte ausgeführt worden ist44• Sodann ist an die vielgestaltigen Aufgaben zu denken, die der Besiedlungsvorgang, der sich ja in erheblichem Maße unter der Ägide des Markgrafen vollzogen hat, mit sich gebracht hat: Zuteilung von Land zur Anlegung von Städten und Dörfern, Bestellung der Lokatoren oder der insbesondere bei Stadtgründungen erforderlichen Unternehmerkonsortien. Auch eine Art polizeilicher Tätigkeit zum Schutze von Straßen und Brücken war durch die Vögte, Landreiter und bedelli auszuüben. Natürlich sind die Aufgaben askanischer Territorialregierung, was ihren Inhalt und Umfang betrifft, nicht entfernt mit dem zu vergleichen, was späterhin der Territorialstaat des 16. und 17. Jahrhunderts oder gar der Staat des Absolutismus zu leisten hatte. Wenn man die Geschichte der askanischen Zeit, wie sie Joh. Schultze in Band I seines großen Werkes über die Mark Brandenburg geschildert hat, überblickt, so gewinnt man den Eindruck, daß die ständigen Auseinandersetzungen und Konflikte mit anderen zum Deutschen Reich gehörenden Territorialgewalten geistlicher und weltlicher Art, aber auch die nicht abreißenden Kriege mit den Nachbarmächten der Dänen, Polen, Pommern, Mecklenburger die Hauptlast der markgräflichen Leistungen und Pflichten dargestellt haben. Sicher ist dieser Eindruck nicht falsch. Ob man bei diesen, meist mit den Waffen ausgetragenen Konflikten von Kriegen oder Fehden spricht, dürfte letztlich belanglos sein. Vielleicht sollte man die Kämpfe mit den nicht zum Deutschen Reich gehörigen Nachbarmächten als Kriege von den Konflikten mit den deutschen Territorialmächten als Fehden unterscheiden. Die Jahrhunderte der Askanier gehören ja noch völlig dem Zeitalter des Fehderechts an45 • Die Ritterfehde und die bäuerliche Blutrache sind rechtlich durchaus anerkannte, den Verfassungszustand der Zeit mitprägende Erscheinungen gewesen als Formen einer im Wege der Selbsthilfe erfolgenden Rechtswahrung. Otto Brunner und Heinrich Mitteis 46 haben gezeigt, daß man das Fehdewesen völlig mißversteht, Oben S. 17. Zum Fehderecht vgl. Conrad S. 435 ff.; His, Das Strafrecht des Mittelalters I S. 2 ff., 263 ff.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege S. 47 ff., ferner die unten in Anm. 46 bezeichneten Schriften von Brunner und Mitteis. Zur Landfriedensgesetzgebung His a. a. 0. S. 8 ff., neuerdings umfassend Angermaier, Königtum und Landfriede im deutschen Mittelalter (dazu Götz Landwehr in: Der Staat, 7. Band, 1968, S. 49 ff.); ferner Gernhuber, Die Landfriedensgesetzgebung in Deutschland bis zum Mainzer Landfrieden von 1235, 1962. 46 Otto Brunner, Land und Herrschaft, 4. Auflage 1958. Dazu Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte S. 343 ff. 44

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wenn man es als außerrechtliches Gewaltphänomen, als "Faustrecht", grundsätzlich also als rechtswidrige Rechtsfriedensstörung auffaßt. Im Fehderecht sind Rechtsvorstellungen aus germanischer und fränkischer Zeit lebendig geblieben. Das Fehderecht ist daher im mittelalterlichen Rechtsbegriff enthalten als "eine völlig legale, auf dem nicht weiter ableitbaren Eigenrecht autonomer Teilgewalten beruhende Institution, die aber die Staatshoheit grundsätzlich nicht in Frage stellte" 47 . So hat das Fehderecht zweifellos auch im askanischen Herrschaftsbereich die in allen anderen deutschen Rechtsbereichen üblich gewesene Rolle gespielt48. Um so mehr muß auffallen, daß der Sachsenspiegel, der das Recht der Ritter und Bauern so eingehend behandelt, die Tatsache, daß das Fehderecht ein Bestandteil des damals im Reich und in den Territorien maßgebenden Verfassungsrechts gewesen ist, völlig ignoriert49. Es ist nicht anzunehmen, daß damit etwa das völlige Fehdeverbot, das in Friedrichs I. Landfrieden von 1152 ausgesprochen worden ist, als ostfälisch-märkisches Recht hat anerkannt werden sollen. Eike von Repgow, selbst ein Ritter und Schöffe, hat dem Rechtsleben seiner Zeit viel zu nahe gestanden, als daß ihm der Gedanke hätte kommen können, die Existenz eines ganz echten Rechtes zur Fehde angesichts der Unzulänglichkeit damaliger Justizgewährung zu leugnen. Ssp. Landrecht II 66 § 1 nimmt denn auch selbst auf die Reichslandfriedensgesetzgebung Bezug, nicht auf den Mainzer Landfrieden von 1235, den Eike noch nicht gekannt hat, wahrscheinlich aber wohl auf die Treuga Henrici von 1224. Das Fehderecht steht hinter den Bestimmungen des Sachsenspiegels, in denen die Befriedung bestimmter Personen, Orte, Gegenstände und Tage festgesetzt50, sowie hinter den Bestimmungen, in denen der Bruch des Friedens als eine zu richtende Missetat bezeichnet wird und in denen das Waffentragen verboten bzw. mit Einschränkungen erlaubt wird5 1, 47 Mitteis (Anm. 46) S. 350, 351. 48 Dazu Kühns Bd. I S.17 ff.; Bd. II S.105 ff. Die von Kühns beigebrachten Beispiele fallen allerdings in die nachaskanische Zeit. 49 His, Das Strafrecht des Mittelalters, Bd. I, S. 17, 18. so Ssp. Landrecht II 66 §§ 1, 2. In der Heidelberger Bilderhandschrift zu § 66 § 1 zeigt der König auf die Lilie als Friedenssymbol; vor ihm stehen ein Mönch, ein Weltgeistlicher, eine durch Haube gekennzeichnete Frau, ein Mädchen und ein Jude (spitzer Hut, Vollbart). Die befriedeten Sachen werden dargestellt durch eine Kirche, eine Mühle, ein Wasserrad und einen Pflug. Diese Objekte gelten wohl auch zugleich für das "binnen sinen gruben un sime czune". Der befriedete Donnerstag ist dargestellt durch eine Abbildung der Himmelfahrt Christi, der Freitag durch ein Bild der Erschaffung Adams und des gekreuzigten Christus, der Sonnabend durch eine Abbildung Christi im Grabe und einer Priesterweihe. Vgl. W. Koschorreck, KommentarS. 76. 51 Ssp. Landrecht II 66 § 1, § 2, § 3. Die Heidelberger Bilderhandschrift illustriert die §§ 2 und 3. Nach § 2 darf ein Schwert getragen werden im Reichsdienst und zum Turnier. Das Bild zeigt einen Reiter, der an seinem grünen Kleid als Ritter kenntlich ist, mit Schwert und Schild; er führt ein

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Daß also in der Askanierzeit das Fehderecht gegolten hat, das kann m. E. nicht bezweifelt werden. Sucht man in Krabbos Regesten nach Beispielen, so fällt zunächst auf, daß der Markgraf selbst recht oft mit anderen Reichsfürsten in Fehden gerät, die durch bewaffnete, auf Zerstörungen und Verwüstungen gerichtete Einfälle in das Gebiet des Fehdegegners ausgetragen werden52• Zwischen den askanischen Markgrafen und ihrem Nachbarn, dem Erzbischof von Magdeburg, ist es sehr oft zu derartigen Fehdezügen gekommen. Solche sich als innerdeutsche Fehden darstellenden kämpferischen Auseinandersetzungen werden mitunter durch sogen. "Landfriedensbündnisse" abgeschlossen53• Mitunter ist dabei ein Schlichter oder Schiedssprecher54 tätig. Mit den Landfriedensgesetzen der Staufer aber sind solche "Landfriedensbündnisse" nicht zu vergleichen. Angermaier55 sieht in ihnen mit Recht zumeist nur Waffenstillstandsvereinbarungen. Fehdemäßige Auseinandersetzungen kommen aber auch zwischen Städten und ihren politischen Gegnern vor und sicher auch zwischen Städten und Adligen wie auch zwischen Adligen untereinander. Der Markgraf sieht in solchen Fällen seine Aufgabe gegebenenfalls darin, durch Herbeiführung von Sühneverträgen den inneren Frieden wiederherzustellen56 • hinter ihm gehendes Pferd, das einen Helm und ein Ritterkleid trägt, am Zügel; ein Reiter ohne Schwert (versehentlich fortgelassen?) folgt. - § 3 erlaubt Waffentragen denen, die einem Gerüft folgen, sofern sie "zu iren iaren kommen sin". Geistliche, Frauen, Küster und Hirten dürfen nicht Waffen tragen. Das dazu gehörige Bild zeigt einen Mann, der von einem Turm herab das Gerüft erhebt; vor dem Turm stehen Leute mit bäuerlichen Waffen (Spieße!), die dem Gerüft folgen. Rechts davon vier Personen, die dem Turm den Rücken kehren, die entgegengesetzte Richtung einschlagen und damit zeigen, daß sie dem Gerüfte nicht zu folgen brauchen. Vgl. W. Koschorreck, Bilderhandschrift, Kommentar S. 78 zu 5 und 6. 62 Beispiel: Krabbo Reg. 788: Herzog Barnim von Pommern fällt in die Mark ein. Zur Vergeltung verwüstet der Markgraf Stargard und Kolberg (1255). sa Krabbo Reg. 1554 (21. 8. 1292: Die Brandenburger Markgrafen schließen mit Herrn Godeken, Bischof Gottfried von Schwerin und Fürst Wizlaw von Rügen und anderen einen Landfrieden auf zehn Jahre. - Reg. 2639 (16. 4. 1318): Erzbischof Burchard von Magdeburg schließt mit Markgräfin Agnes von Brandenburg einen Vertrag auf drei Jahre, daß sie sich gegenseitig keinen Schaden zufügen wollen. 54 Krabbo Reg. 2133, 2134: Graf Albrecht von Anhalt fällt einen Schiedsspruch zwischen Markgraf Friedrich von Meißen und Markgraf Woldemar von Brandenburg (12. 7. 1309). 55 Angermaier S. 47 ff. 56 Krabbo Reg. 2321: Bei einem Konflikt zwischen der Stadt Magdeburg und dem dortigen Erzbischof ist letzterer gefangen gesetzt worden. Markgraf Woldemar kommt im Januar 1314 nach Magdeburg und stiftet einen Sühnevertrag zwischen beiden Gegnern. Da aber der Erzbischof diesen Sühnevertrag durch Belagerung der Stadt Magdeburg bricht, muß ein neuer Sühnevertrag gestiftet werden, zu dessen Vollzug Markgraf Woldemar in Magdeburg erscheint (Krabbo Reg. 2357). - Bei einem Konflikt zwischen Altstadt und Neustadt Salzwedel stiftet Markgraf Johannes V. 1315 Einigung: Krabbo Reg. 24 ff.

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Daß die Reichslandfrieden des 12. und 13. Jahrhunderts, die um Einschränkung der Fehden und ihrer oft verheerenden Folgen bemüht ge· wesen sind, nur einen geringen Effekt gehabt haben. darf hier als bekannt vorausgesetzt werden. Den deutschen Königen fehlte die dazu erforderliche Macht. Auch hätte dem Gedanken der Selbsthilfe, die den Sinn der Fehde ausmachte, nur durch Einrichtung einer überall und jederzeit wirksamen Justizgewährung Abbruch getan werden können. Im Mainzer Landfrieden von 1235 ist das zwar erkannt worden57; aber auch durch ihn ist wenig erreicht worden, was für die Mark Brandenburg durch die inneren Erschütterungen, die in nachaskanischer Zeit durch ein durch nichts zu bändigendes Raubritterwesen bewirkt worden sind, deutlich genug gemacht wird58. König Albrecht (1298- 1308), der in seiner Landfriedensregelung von 1298 und seinem gleichzeitig an die Fürsten gerichteten Mandat zum energischen Einschreiten gegen Landfriedensbrecher aufrief, hat - ein Zeichen für die Ohnmacht des Königs selbst - Markgraf Otto IV. (1302) zwecks Effektuierung seiner Friedensbemühungen zum "iudex pacis per Saxoniam" ernannt59 • Otto IV. hat es auch in dieser Eigenschaft an Bemühungen nicht fehlen lassen60, indem er sich um das Burgenwesen kümmerte, insbesondere dort, wo eine bestimmte Burg eine Gefahr für die Friedenserhaltung werden konnte. Ob freilich damit für die Sache des Friedens viel gewonnen gewesen ist, muß durchaus bezweifelt werden.

VI. Die Aufgaben, die dem Markgrafen nach den vorstehenden Ausführungen obgelegen haben, sind, je größer das brandenburgische Territorium wurde, von ihm und seinen Hofbeamten allein nicht zu bewältigen gewesen. So ergab sich die Notwendigkeit einer Dezentralisierung, d. h.: für Jurisdiktion und Verwaltung haben Mittelinstanzen zwischen der markgräflichen Zentrale und den lokalen Obrigkeiten in den Städ57 Es heißt unter 8 des deutschen Textes: "Wir setzen und gebieten, swaz schaden iemen an deheiner slahte dinge gesche, daz er daz selbe niht enrech.e, ern chlag ez airerst sinem rihter und volge siner ch.lage ze ende als reht ist; ez ensi, daz er da ze hant si und sines libes oder sines gutes erz muzze tun ze notwere." 58 Zu allem Vorstehenden : Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrech.tspflege, S. 47 ff. 69 Krabbo Reg. 1844, 1850. Dazu Angermaier S. 93, 94. eo Beispiel: Am 1. 8. 1295 droht Otto IV. dem Herzog von Lüneburg an, er werde als "iudex pacis Regiae per Saxoniam generalis" der Stadt Bildesheim gegen den Herzog Beistand leisten, falls es mit den schweren Besorgnissen der Hildesheimer vor "violentiis, effractionibus et incendiis" seitens des Lüneburgers seine Richtigkeit habe: Riedel, 2. Hauptteil, 1. Bd. S. 213 unter Nr. CCLXXVI.

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ten und den Dörfern eingerichtet werden müssen. Gegen eine veraltete Auffassung, wonach das Land bei der Besiedlung in Burgwardei-Bezirke eingeteilt worden sei und diese Bezirke Burggrafen als Unterrichtern und Verwaltungmittelinstanzen unterstellt gewesen seien61, hat sich bereits Hintze 62 gewandt. Soweit in askanischer Zeit noch Burggrafen in die Erscheinung getreten sind, hat es sich, wie schon dargelegt worden ist63, um sehr bald verschwindende Reste einer königlichen Verwaltung gehandelt, die sich der markgräflichen Territorialherrschaft gegenüber nicht hat halten können. In der Mittelinstanz sind die Aufgaben der Verwaltung und Jurisdiktion in askanischer Zeit durch markgräfliche Vögte erledigt worden. Diese Vögte haben von einer Burg oder Stadt aus ihres Amtes gewaltet. Wann die Askanier genötigt gewesen sind, mit der Einrichtung solcher Vogteien zu beginnen, läßt sich nicht feststellen. Im 13. Jahrhundert ist die Institution fest ausgebildet64 • Die Vögte, die die markgräfliche Autorität zu repräsentieren hatten, haben natürlich dem neuartigen Ritterstande angehört, zu dem sich das markgräfliche Ministerialenturn entwickelt hat65• Aber wie bei den Beamten des engeren Hofes ist es auch hier entscheidend gewesen, daß die vogteiliehen Befugnisse nicht in Lehns-, sondern in Amtsweise übertragen worden sind66 • Die Anzahl der Vögte wird von der territorialen Ausdehnung des markgräflichen Herrschaftsbereiches abhängig gewesen sein. Hintze67 gibt ihre Zahl auf etwa 30 an; auf die gleiche Zahl kommt annähernd auch Kühns 68 • Aber das scheint mir zu hoch gegriffen, was insbesondere bei Kühns darauf zurückzuführen ist, daß er die königlichen Burggrafensitze (wie Arneburg) und die Sitze dynastischer Burggrafen im Bereich der Herrschaftsgebiete der Edelfreien in der Prignitz mitzählt. In der Karte, die Joh. Schultze dem Zweiten Bande seines Werkes über die Mark Brandenburg beigegeben hat, sind für das Jahr 1319, wenn ich recht zähle, 15 bis 16 markgräfliche Vogtei81 W. von Sommerfeld, S. 126 ff., erwähnt die Vogteien überhaupt nicht, sondern kennt nur Burggrafen und Burggrafschaften, übersieht aber, daß die Burggrafen in frühaskanischer Zeit keine markgräflichen Amtsträger gewesen sind. Ebenso unrichtig Kühns Bd. I S . 92, der ebenfalls den Charakter der Burggrafen verkennt und ein Nebeneinander von Burgwardeien und Vogteien als markgräflichen Institutionen annimmt.

Hintze S. 40, 58. Oben S. 24 ff. 84 Hintze S. 58. Von den markgräflichen Vögten ist die Rede bei Krabbo Reg. 480 (1193), 536 (1208), 645 (1237), 671 (1241), 689 (1244), 710 (1247) usw. 65 Krabbo Reg. 316: Dem Ministerialen Everus wird 1162 die Vogtei über Leitzkau übertragen. Dazu G . Winter a. a. 0. S. 18, 19. 88 Hintze S. 58; ebenso Winter S. 62; vgl. auch Spangenberg S. 18, 19. 87 Hintze S. 58. 88 Kühns Bd. I S. 101 ff. 82 63

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sitze angegeben. In der Prignitz, wo sich nach der Eroberung durch die freiedlen Geschlechter zunächst selbständige dynastische Herrschaften gebildet hatten, dürften Vögte dieser Herren deren Herrschaftsgewalt ausgeübt haben. Der Markgraf hat sich hier, wenn ich die Eintragungen auf der Schultzeschen Karte richtig würdige, mit einem oder zwei Vögten begnügen können. Aber ob nicht im 13. Jahrhundert, als sich der Markgraf den freiedlen Geschlechtern gegenüber durchsetzte, ehemals freiherrschaftliche Vögte zu markgräflichen geworden oder durch markgräfliche ersetzt worden sind, müßte wohl noch genauer untersucht werden. Für die Niederlausitz gibt die Karte markgräfliche Vögte überhaupt nicht an. Ich möchte das Fehlen markgräflicher Vögte in diesem Gebiete darauf zurückführen, daß die großen Standesherrschaften dieses Gebietes kleine Staaten im Staate waren und hier - der eigenartigen Geschichte der Niederlausitz entsprechend, die fast immer nur Nebenland größerer Nachbarterritorien war und infolgedessen ständig den Landesherrn wechselte - markgräfliche Beamte nicht zu dulden brauchten69 • Dafür, daß schon in askanischer Zeit die Notwendigkeit bestanden habe, die Amtswaltung der Vögte durch eine besondere Kontrollinstanz (Landvögte; Landeshauptleute) beaufsichtigen zu lassen, fehlt es, wenn ich recht sehe, an Zeugnissen. Was Kühns 10 darüber berichtet, gehört durchaus der nachask,anischen Zeit an. Hintze erwähnt derartige Kontrollinstanzen für die askanische Zeit nicht. Man würde sich von der märkischen Vogteiverfassung ein falsches Bild machen, wenn man sie sich als eine konstante, überall in Stadt und Land durchgreifende, die markgräfliche Autorität lückenlos repräsentierende Einrichtung vorstellen würde. Schon früh haben die askanischen Markgrafen insbesondere geistliche Institutionen von der Vogtei befreit. Dafür einige Beispiele: Im Jahre 1193 bestätigt Markgraf Otto II. dem Kloster Lehnin alle aus Schenkungen seines Vaters erworbenen Besitzungen; auch "befreit er das Kloster mit seinem Gebiet und dessen Bewohnern von aller Unterordnung unter die markgräflichen Richter, Vögte, bedelli, namentlich von dem