Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts 9783161520969, 9783161507182

Abdingbares Recht tritt in großer Vielfalt und den unterschiedlichsten Formen auf. Das haben die bisherigen Modelle nur

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German Pages 494 [495] Year 2012

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kapitel: Der Begriff des abdingbaren Rechts
A. Die Bestimmung abdingbaren Rechts
1. Die Merkmale der Abbedingung
a) Das Abbedingungssubjekt
b) Das Abbedingungsobjekt
c) Der Abbedingungsakt
d) Die Abbedingungswirkung
2. Die Definition abdingbaren Rechts
3. Die Abgrenzung von verwandten Begriffen
a) Ausnahmenormen
b) Billiges Recht
c) Ordnungsnormen
4. Das Verhältnis abdingbarer Normen und verfügbarer Rechte
B. Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht
1. Das zwingende Recht
2. Die Ausschlussnorm
3. Billigkeitsnormen
4. Bedingbare Normen
C. Die ambivalenten Folgen abdingbaren Rechts
1. Die Entstehung von Handlungsoptionen
2. Die Entstehung von Abbedingungslasten
3. Zustimmung und Widerspruch (Opt-in und Opt-out)
4. Handlungsoption und Optionsrecht
D. Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen
1. Die Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts
2. Die Formulierung abstrakt-genereller Normen
3. Unterscheidung zwischen Gesetzgeber und Abbedingungsberechtigtem
4. Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm
5. Stand der Rechtsentwicklung?
E. Das Vorkommen abdingbarer Normen
1. Der rechtsgebietsübergreifende Charakter abdingbaren Rechts
a) Privatrecht
b) Öffentliches Recht
c) Strafrecht
2. Die Arten abdingbarer Normen
a) Gesetzliche, gewohnheitsrechtliche und vertragliche Normen
b) Auslegungsregeln
F. Die Übergangsformen zum zwingenden Recht
1. Die Einschränkungen der Abdingbarkeit
a) Die Einschränkung des Abbedingungssubjekts
b) Die Einschränkung des Abbedingungsakts
c) Die Einschränkung des Abbedingungsinhalts
d) Die Einschränkung der Abbedingungswirkung
2. Die faktische Abdingbarkeit
3. Die Verschränkung abdingbarer und zwingender Normen
G. Zusammenfassung
2. Kapitel: Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts
A. Der hypothetische Parteiwille
1. Das Modell des reinen Parteiwillens
a) Der konkrete Wille der Parteien
b) Der typische Wille der Parteien
2. Das Modell des korrigierten Parteiwillens
a) Der vernünftige Wille
b) Der rekonstruierte Wille
3. Gemeinsame Probleme des Willensmodells
a) Unvollständige Erfassung des geltenden Rechts
b) Der Mangel an Autonomie
c) Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe
d) Die fehlende Information der Parteien
4. Zwischenergebnis
B. Die Vorgabe der Rechtsordnung
1. Das Vorgabemodell
a) Notbehelf für Vertragslücken
b) Gerechte Vertragsgestaltung
c) Rechtsgeschichtliche Erfahrung
d) Leitbild des Gesetzgebers
2. Probleme des Vorgabemodells
a) Die unvollständige Erfassung des geltenden Rechts
b) Die Gefahr des Vertragsessentialismus
c) Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe
3. Zwischenergebnis
C. Die Nutzenmaximierung
1. Das Modell der Nutzenmaximierung
a) Nutzenmaximierung durch den Vertragsinhalt
b) Nutzenmaximierung durch die Vertragsverhandlungen
2. Probleme des Nutzenmodells
a) Die unvollständige Erfassung geltenden Rechts
b) Die Reduktion rechtsethischer Gründe auf den Nutzen
c) Die Fragwürdigkeit von Strafregeln
d) Die Ungewissheit der zu berücksichtigenden Faktoren
3. Zwischenergebnis
D. Zusammenfassung
3. Kapitel: Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts
A. Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen
1. Hilfe zum Vertragsschluss und die Verteilung der Verhandlungslast
2. Die Abhängigkeit vom Vertrauen in die Rechtsordnung
3. Information durch abdingbares Recht
B. Der Einfluss auf den Vertragsinhalt
1. Veränderung des Parteiwillens
2. Ergänzung der Vereinbarung
3. Auslegung der Vereinbarung
4. Der mittelbare Einfluss über andere Normen
a) Die Prägung der Unwirksamkeitsmaßstäbe
b) Der Ersatz unwirksamer und fehlender Klauseln
c) Der Einfluss durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
5. Die Prägung von Grundsätzen und Vertragstypen
C. Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts
1. Vorteile abdingbaren Rechts
a) Größere Autonomie der Parteien
b) Unmittelbarer Ausdruck der Parteiinteressen
c) Größere Effizienz
d) Höherer Anreiz zur Innovation
2. Nachteile abdingbaren Rechts
D. Zusammenfassung
4. Kapitel: Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts
A. Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung
1. Die Notwendigkeit einer rechtsethischen Rechtfertigung
a) Die Abbedingungslast
b) Die Verteilung von Rechten und Pflichten
c) Die Gestaltung fremder Angelegenheiten
d) Der Einwand unvermeidbarer Regelung
e) Der Einwand der möglichen Abbedingung
2. Die Notwendigkeit einer dogmatischen Rechtfertigung
a) Notwendigkeit einer europarechtlichen Rechtfertigung?
b) Die Notwendigkeit zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung
c) Die Maßstäbe der Rechtfertigung
B. Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht
1. Der Vorrang abdingbaren Rechts
2. Die Durchbrechung des Vorrangs
a) Der Schutz des Vertragspartners
b) Der Schutz Dritter
C. Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption
1. Rechtfertigung durch Zustimmung und aufgrund Zustimmung
2. Die Art der zu berücksichtigenden Gründe
3. Die Interessen der Vertragsparteien
a) Der Wert der Handlungsoption
b) Die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen
c) Die Möglichkeit zur Abbedingung
4. Die Interessen Dritter
5. Die Verteilungsfolgen
6. Die Kohärenz mit dem geltenden Recht
7. Die Optimierung der Handlungsoption
D. Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts
1. Die Möglichkeit zur Gestaltung abdingbaren Rechts
2. Die Anforderungen an den Inhalt abdingbarer Normen
a) Einfachheit des Vertragsrechts
b) Intuitiv erschließbare Nachbildung des Versprechens
c) Minimierung der auferlegten Lasten
d) Gleiche Beachtung der Parteien
3. Die Gestaltung des Abbedingungsakts
a) Das Erfordernis eines Abbedingungsakts
b) Der Inhalt des Abbedingungsakts
E. Zusammenfassung
5. Kapitel: Feststellung abdingbaren Vertragsrechts
A. Die Festlegung der Abdingbarkeit
1. Gesetzliche Festlegungen
2. Fehlen einer gesetzlichen Festlegung
3. Entbehrlichkeit einer Festlegung
B. Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung
1. Die Maßgeblichkeit rechtsethischer Gründe
2. Die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts
3. Die Widerlegung der Vermutung
a) Schutz des Vertragspartners und Dritter
b) Unabdingbarkeit von Grundsätzen?
c) Sanktion unredlichen Verhaltens?
4. Personelle und institutionelle Kompensation abbedungenen Rechts
a) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des Abbedingungsbelasteten
b) Schutzwürdigkeit des Abbedingungsbegünstigten
5. Formelle Kompensation abbedungenen Rechts
a) Verfahrens-, Form-, und Fristerfordernisse
b) Konkretisierung von Gefahren und Ansprüchen
c) Abbedingungsinitiative durch den Belasteten
6. Materielle Kompensation abbedungenen Rechts
a) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts
b) Begrenzter Umfang der Abbedingung
c) Ausgleich durch andere Normen
d) Gleichrichtung der Interessen
7. Zur Abwägung der einzelnen Gründe
C. Zusammenfassung
6. Kapitel: Einseitig abdingbare Normen
A. Vergleich mit dem Vertragsrecht
1. Modelle einseitig abdingbarer Normen
2. Wirkung einseitig abdingbarer Normen
3. Rechtfertigung einseitig abdingbarer Normen
4. Feststellung einseitig abdingbarer Normen
B. Zusammenfassung
Ergebnis
Literaturverzeichnis
Register
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 9783161520969, 9783161507182

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JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 165

Lorenz Kähler

Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts

Mohr Siebeck

Lorenz Kähler, geboren 1973; Studium der Rechtswissenschaft und der Philosophie in Heidelberg, London, Göttingen, Erfurt sowie Cambridge, Mass.; 2003 Promotion; 2007 MA der Philosophie; 2010 Habilitation; derzeit Professor an der Universität Bremen.

e-ISBN 978-3-16-152096-9 ISBN  978-3-16-150718-2 ISSN  0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012  Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Stempel-Garamond gesetzt und auf alterungs­beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Otters­weier gebunden.

Vorwort Abdingbares Recht ist allgegenwärtig. Bei nahezu jeder Norm stellt sich die Frage, ob man ihr durch eine anderweitige Gestaltung ausweichen kann. Im Privatrecht hat sich dazu die Möglichkeit durchgesetzt, gesetzliche Normen durch vertragliche Absprachen abzubedingen. Das ist die prominenteste, wenn auch nicht die einzige Form der Abbedingung. Die folgende Arbeit versucht, ein Verständnis für einige der damit verbundenen Phänomene zu gewinnen. Die Arbeit beruht auf einer Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2010 der Juristischen Fakultät in Göttingen vorlag. Danken möchte ich daher den Professoren Diederichsen, Lipp und von der Pfordten, die über ihre Betreuung und Begutachtung nicht nur die Mühsal des Verfahrens auf sich genommen, sondern vor allem zahlreiche Anregungen gegeben haben. Wertvolle Hinweise verdanke ich des Weiteren Jens-Hinrich Binder, Gralf-Peter Calliess, Aurelia Colombi Ciacchi, Nina Grasse, Fabian von Lübken, Matthias Kopp, Florian Möslein, Andreas Neumann, Nils Ole Oermann, Franziska Ritter, Alexander Schreiber, Simon Schwichtenberg und Imme-Elisabeth Timm. Möglich wurde die Arbeit nur durch die Begleitung meiner Frau Shiva Darkifard. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Bremen, im Mai 2012

Lorenz Kähler

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.  Kapitel: Der Begriff des abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . .

5

2.  Kapitel: Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts . . . . . . . . . . .

95

3.  Kapitel: Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts . . . . . . . . . . .

161

4.  Kapitel: Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts . . . . . . . . . .

229

5.  Kapitel: Feststellung abdingbaren Vertragsrechts . . . . . . . . . . .

345

6.  Kapitel: Einseitig abdingbare Normen . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Kapitel

Der Begriff des abdingbaren Rechts A. Die Bestimmung abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Die Merkmale der Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Abbedingungssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Abbedingungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Abbedingungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Abbedingungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Definition abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Abgrenzung von verwandten Begriffen . . . . . . . . . . . . . a) Ausnahmenormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Billiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ordnungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verhältnis abdingbarer Normen und verfügbarer Rechte . .

5



7 7 9 12 16 21 22 23 25 27 29

B. Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht . . . . . . . . .

33





33 36 39 42

C. Die ambivalenten Folgen abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . .

45



45 48 50 52

1. Das zwingende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausschlussnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Billigkeitsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedingbare Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Die Entstehung von Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entstehung von Abbedingungslasten . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustimmung und Widerspruch (Opt-in und Opt-out) . . . . . . 4. Handlungsoption und Optionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .





Inhaltsverzeichnis

D. Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen . . . .

54

1. Die Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . 2. Die Formulierung abstrakt-genereller Normen . . . . . . . . . . . 3. Unterscheidung zwischen Gesetzgeber und Abbedingungs berechtigtem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stand der Rechtsentwicklung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



54 56



57



60 61

E. Das Vorkommen abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . .

63



1. Der rechtsgebietsübergreifende Charakter abdingbaren Rechts . a) Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arten abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche, gewohnheitsrechtliche und vertragliche Normen b) Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 64 69 71 71 72

F. Die Übergangsformen zum zwingenden Recht . . . . . . . . . . . .

81





83 83 85 85 87 88 90

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

1. Die Einschränkungen der Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Die Einschränkung des Abbedingungssubjekts . . . . . . . . . b) Die Einschränkung des Abbedingungsakts . . . . . . . . . . . c) Die Einschränkung des Abbedingungsinhalts . . . . . . . . . . d) Die Einschränkung der Abbedingungswirkung . . . . . . . . . 2. Die faktische Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verschränkung abdingbarer und zwingender Normen . . . .

2. Kapitel

Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts A. Der hypothetische Parteiwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Das Modell des reinen Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der konkrete Wille der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der typische Wille der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Modell des korrigierten Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . a) Der vernünftige Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



96 96 98 101 105 105

XI

Inhaltsverzeichnis



b) Der rekonstruierte Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Probleme des Willensmodells . . . . . . . . . . . . . a) Unvollständige Erfassung des geltenden Rechts . . . . . . . . . b) Der Mangel an Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe . . . . . . . . . d) Die fehlende Information der Parteien . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



108 110 111 114 116 118 119

B. Die Vorgabe der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119





119 123 125 128 131 135 135 136 138 139

C. Die Nutzenmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140





140 140 141 145 145 147 149 155 157

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

1. Das Vorgabemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notbehelf für Vertragslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerechte Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgeschichtliche Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Leitbild des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme des Vorgabemodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unvollständige Erfassung des geltenden Rechts . . . . . . . b) Die Gefahr des Vertragsessentialismus . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Das Modell der Nutzenmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nutzenmaximierung durch den Vertragsinhalt . . . . . . . . . b) Nutzenmaximierung durch die Vertragsverhandlungen . . . . 2. Probleme des Nutzenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unvollständige Erfassung geltenden Rechts . . . . . . . . . b) Die Reduktion rechtsethischer Gründe auf den Nutzen . . . . c) Die Fragwürdigkeit von Strafregeln . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Ungewissheit der zu berücksichtigenden Faktoren . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3. Kapitel

Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts A. Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . .

162

1. Hilfe zum Vertragsschluss und die Verteilung der Verhandlungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Die Abhängigkeit vom Vertrauen in die Rechtsordnung . . . . . . 3. Information durch abdingbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . .

172 176

B. Der Einfluss auf den Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

1. Veränderung des Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzung der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der mittelbare Einfluss über andere Normen . . . . . . . . . . . . a) Die Prägung der Unwirksamkeitsmaßstäbe . . . . . . . . . . . b) Der Ersatz unwirksamer und fehlender Klauseln . . . . . . . . c) Der Einfluss durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Prägung von Grundsätzen und Vertragstypen . . . . . . . . .



179 183 188 191 192 194



198 204

C. Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts . . . . . . . . . . . .

206





206 206 211 213 220 223

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

1. Vorteile abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Größere Autonomie der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarer Ausdruck der Parteiinteressen . . . . . . . . . . c) Größere Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Höherer Anreiz zur Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachteile abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. Kapitel

Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts A. Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . .

230



230 231 232 235 237 240 242 242 249 254

1. Die Notwendigkeit einer rechtsethischen Rechtfertigung . . . . . a) Die Abbedingungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verteilung von Rechten und Pflichten . . . . . . . . . . . . c) Die Gestaltung fremder Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . d) Der Einwand unvermeidbarer Regelung . . . . . . . . . . . . . e) Der Einwand der möglichen Abbedingung . . . . . . . . . . . 2. Die Notwendigkeit einer dogmatischen Rechtfertigung . . . . . . a) Notwendigkeit einer europarechtlichen Rechtfertigung? . . . b) Die Notwendigkeit zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung c) Die Maßstäbe der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

Inhaltsverzeichnis

B. Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht .

256





256 260 260 272

C. Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption . . . . . . .

276





277 283 285 287 291 299 300 302 304 305

D. Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts . . . . . . . .

308





308 310 310 317 322 327 330 330 339

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

342

1. Der Vorrang abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchbrechung des Vorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutz des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutz Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Rechtfertigung durch Zustimmung und aufgrund Zustimmung . 2. Die Art der zu berücksichtigenden Gründe . . . . . . . . . . . . . 3. Die Interessen der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wert der Handlungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen . . . . . . . . c) Die Möglichkeit zur Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Interessen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Verteilungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Kohärenz mit dem geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Optimierung der Handlungsoption . . . . . . . . . . . . . . .

1. Die Möglichkeit zur Gestaltung abdingbaren Rechts . . . . . . . 2. Die Anforderungen an den Inhalt abdingbarer Normen . . . . . . a) Einfachheit des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Intuitiv erschließbare Nachbildung des Versprechens . . . . . c) Minimierung der auferlegten Lasten . . . . . . . . . . . . . . . d) Gleiche Beachtung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gestaltung des Abbedingungsakts . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Erfordernis eines Abbedingungsakts . . . . . . . . . . . . b) Der Inhalt des Abbedingungsakts . . . . . . . . . . . . . . . .

5. Kapitel

Feststellung abdingbaren Vertragsrechts A. Die Festlegung der Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345



347 351 356

1. Gesetzliche Festlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlen einer gesetzlichen Festlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entbehrlichkeit einer Festlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIV

Inhaltsverzeichnis

B. Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung . . . . .

360

1. Die Maßgeblichkeit rechtsethischer Gründe . . . . . . . . . . . . 2. Die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts . . . . . . . . . . 3. Die Widerlegung der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz des Vertragspartners und Dritter . . . . . . . . . . . . . b) Unabdingbarkeit von Grundsätzen? . . . . . . . . . . . . . . . c) Sanktion unredlichen Verhaltens? . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Personelle und institutionelle Kompensation abbedungenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des Abbedingungs belasteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzwürdigkeit des Abbedingungsbegünstigten . . . . . . . 5. Formelle Kompensation abbedungenen Rechts . . . . . . . . . . . a) Verfahrens-, Form-, und Fristerfordernisse . . . . . . . . . . . b) Konkretisierung von Gefahren und Ansprüchen . . . . . . . . c) Abbedingungsinitiative durch den Belasteten . . . . . . . . . . 6. Materielle Kompensation abbedungenen Rechts . . . . . . . . . . a) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts . . b) Begrenzter Umfang der Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleich durch andere Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gleichrichtung der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zur Abwägung der einzelnen Gründe . . . . . . . . . . . . . . . .



361 363 366 367 373 383



385



386 394 395 396 404 409 412 412 417 421 428 430

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

436

6. Kapitel

Einseitig abdingbare Normen A. Vergleich mit dem Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439





439 440 442 443

B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

444

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445 453 477

1. Modelle einseitig abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung einseitig abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung einseitig abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . 4. Feststellung einseitig abdingbarer Normen . . . . . . . . . . . . .

Einleitung Die Unterscheidung zwischen abdingbaren und zwingenden Normen prägt seit jeher das gesamte Recht. Sie deutet sich bereits im römischen Recht an. Zu einem erheblichen Grad hängt von ihr die Freiheit der Einzelnen ab. Erlaubt das Recht eine Abweichung, verlieren seine Normen an Bedeutung. Seine Herrschaft ist in Frage gestellt. Darf das Recht aber vom Willen der Einzelnen abhängen? Kann es seine Zwecke erreichen, wenn die Einzelnen über seine Anordnungen verfügen? Welche Autorität verbleibt dann dem Gesetzgeber? Das sind Grundfragen des Rechts, die mit der vielfach übersehenen Wirkung abdingbaren Rechts zusammenhängen. Trotz seiner Abdingbarkeit entfaltet es in bald offener, bald versteckter Weise einen ungeheuren Einfluss. Um diese Fragen zu untersuchen, bedarf es zunächst der Klarheit über den Begriff des abdingbaren Rechts. Umfasst es nur die Normen, von denen Vertragsparteien abweichen können, oder sämtliche Normen, deren Anwendung von ihren Adressaten abhängt? Dazu würden auch einseitige Verfügungen wie ein Testament zählen, die eine gesetzliche Anordnung ausschließen. Genügen aber einseitige Akte für eine Abbedingung, entsteht die Schwierigkeit, sie von der Aufgabe einer Norm durch den Gesetzgeber abzugrenzen. Auch sie erfolgt durch einen einseitigen Akt und nimmt einer Norm die Anwendbarkeit. Sind gesetzgeberische Akte daher eine Form der Abbedingung? Nur eine Definition abdingbaren Rechts vermag Klarheit darüber zu verschaffen. Sie ist das Thema des ersten Kapitels. Während die Definition angibt, was unter abdingbarem Recht zu verstehen ist, soll ein Modell seinen Charakter verdeutlichen. Indes ist ein Modell abdingbaren Rechts ebenso wenig offensichtlich wie dessen Begriff. Liegt ihm der hypothetische Wille seiner Adressaten zugrunde oder ein Befehl des Gesetzgebers? Enthält es das Leitbild einer ausgeglichenen Regelung oder lediglich einen Notbehelf für den Fall, dass alle anderen Regelungsmöglichkeiten versagen? Im   Zur Verankerung in den europäischen Rechtsordnungen Commission on European Contract Law, Principles of European Contract Law, p.  101; Hesselink, 1 ERCL 44, 57–62 (2005).    Corpus Iuris Civilis, D.2.14.38; D.11.7.20; dazu unten 1.E.1.b).    Vgl. Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  1: „der Gegensatz von zwingendem und dispositivem Recht [hängt] unmittelbar zusammen mit Grundfragen der Rechtsphilosophie“. 



Einleitung

einen Fall erscheinen abdingbare Normen als gerechte Ordnung, im anderen Fall als notwendiges Übel. Ob das eine oder das andere zutrifft, hängt davon ab, welche Eigenschaft abdingbaren Rechts man als zentral ansieht. Das kann von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet variieren. Am Gemeinwohl orientierte öffentlichrechtliche Normen wirken auf andere Weise als die an einem privaten Interessenausgleich ausgerichteten bürgerlich-rechtlichen Normen. Aufgrund dieser Vielfalt ist es im Rahmen der folgenden Untersuchung nicht möglich, den Charakter sämtlichen abdingbaren Rechts zu erfassen. Nach der Begriffsklärung im ersten Kapitel beschränkt sie sich deshalb ab dem zweiten Kapitel auf den paradigmatischen Fall abdingbaren Rechts, nämlich das private Vertragsrecht. Anders als das öffentliche Recht steht der Vertragsinhalt weithin im Belieben seiner Adressaten. Sie schulden niemandem Rechenschaft darüber, ob, mit wem und mit welchem Inhalt sie einen Vertrag schließen. Auf übergeordnete Ziele wie das Gemeinwohl sind sie nicht verpflichtet, so stark ihre Verträge es auch fördern mögen. Daher fällt im Vertragsrecht der Ausschluss der Abdingbarkeit schwerer als in anderen Rechtsgebieten. Da sich die Parteien abdingbaren Rechts bedienen können, aber nicht müssen, wird es vielfach als rechtliche Infrastruktur begriffen, die den Abschluss von Verträgen erleichtert oder gar erst ermöglicht. Wie jedoch der Ausbau von Straßen nicht nur die Fahrzeiten verkürzt, sondern auch Mobilitätsbedürfnisse weckt, gehen auch vom abdingbaren Recht vielfältige Wirkungen aus, die sich nicht auf die Erleichterung des Vertragsschlusses beschränken. Sieht es eine Regelung zugunsten der einen Partei vor, muss sich die andere Partei um eine Abweichung bemühen. Ihr wird damit eine Abbedingungslast aufgebürdet. Vielfach wird sie sich ihrer nicht entledigen. Dafür müsste sie nicht nur ihren Vertragspartner überzeugen, sondern auch die Sicherheit aufgeben, die sie in der Auslegung des sonst zum Zuge kommenden Rechts hat. Dieses setzt sich daher vielfach durch, ohne dass man daraus ableiten könnte, sein Inhalt sei für die Parteien ideal. Die Betrachtung der Wirkung abdingbaren Rechts ist damit für dessen Verständnis unumgänglich. Sie ist das Thema des dritten Kapitels. Die Wirkungen abdingbaren Rechts werfen zugleich die Frage nach seiner Rechtfertigung auf. Denn es prägt die Verhältnisse der Einzelnen, ohne dass diese ihm zugestimmt haben. Nur solange man abdingbares Recht als „bloßes Angebot“ versteht,  das der Gesetzgeber den Parteien unterbreitet und an ihrer Entscheidungsfreiheit nichts ändert, erscheint seine Rechtfertigung als entbehr   Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 271; Bachmann, Private Ordnung, S.  73, 379; sowie zum Europäischen Privatrecht Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, S.  86; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  223; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  176 mwN.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  25.    Duranton/Turner, American Economic Review 101, 2616.    Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S.  72; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertags, S.  148; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  107, 109 mwN.

Einleitung



lich. Wirkt es sich jedoch auf die Verteilung von Chancen, Risiken und Vermögen aus, beeinflusst es die Einzelnen ähnlich wie andere Eingriffe und bedarf ebenso wie diese einer rechtsethischen sowie verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Zwar ist seine Anwendung unentbehrlich, weil man anders die von den Parteien offen gelassenen Fragen nicht entscheiden kann. Dass die Rechtsordnung auf es angewiesen ist,  heißt aber nicht, dass der Gesetzgeber ihm einen beliebigen Inhalt geben darf. Daher bleibt die konkrete Ausgestaltung einer abdingbaren Norm rechtfertigungsbedürftig. Offen ist bei einer derartigen Rechtfertigung vor allem, aus welcher Quelle sie sich ergeben soll. Kommt es auf den Vertragswert für die Parteien, die Interessen der Rechtsgemeinschaft oder die berechtigten Erwartungen der Parteien an? Um dies zu entscheiden, bedarf es der Analyse einer Vielzahl von Gesichtspunkten. Die Parteien mögen etwa darauf vertrauen, dass das Recht ihnen keine Belastungen auferlegt, denen sie nicht zugestimmt haben. Ebenso können sie annehmen, dass subsidiär eine gerechte oder zumindest wirtschaftlich effi­ziente Regel zur Anwendung kommt. Dritte dürfen darauf vertrauen, durch Verträge nicht geschädigt zu werden, da sie an ihnen nicht beteiligt sind. Diese Ziele können miteinander in Konflikt geraten. Die effizienteste Regel muss nicht vorhersehbar sein, kann der Autonomie der Einzelnen widersprechen und auch aus anderen Gründen einer Rechtfertigung entbehren. Um über das Ob und das Wie der Abdingbarkeit einer Norm zu entscheiden, ist eine Abgrenzung und Abwägung dieser Faktoren unumgänglich. Dem widmet sich das vierte Kapitel. In einigen Fällen geben die Gesetze ausdrücklich an, ob ihre Vorschriften abdingbar oder zwingend sind, so etwa bei den jüngeren Normen zum Schutz des Verbrauchers, Mieters oder Arbeitnehmers. Demgegenüber lassen gerade die klassischen Normen des Schuldrechts diese Frage vielfach offen. Die Feststellung der Abdingbarkeit wird als schwierig10 oder gar als ein „ungeklärtes aktuelles Problem“11 empfunden. Höchstrichterliche Urteile12 wie Kommentare begnügen sich häufig mit der Behauptung, dass eine bestimmte Norm abdingbar oder zwingend sei, ohne dafür eine verallgemeinerbare Begründung anzu  Zu diesem Begriff von der Pfordten, Rechtsethik, S.  7 ff.   So bereits Weber, Rechtssoziologie, S.  123.    Etwa §§  475, 487, 511, 551 Abs.  4, 651m, 622 Abs.  4 S.  1, Abs.  5 BGB; 18 VVG. 10   Medicus, SR AT, S.  40, Rn.  88; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, S.  24, Rn.  52. 11   Kraft/Kreuz, Gesellschaftsrecht, S.  12; ähnlich im Völkerrecht, wo in Art.  53 WVK bezeichnenderweise auf eine Erläuterung zwingenden Rechts verzichtet wurde, Verdross, The American Journal of International Law 1966, 55, 57. 12   So etwa bei der Abdingbarkeit des Übergangs von Nebenrechten nach §  401 BGB: BGH, NJW 1991, 3025, 2026 (= BGHZ 115, 177, 181); jurisPK-BGB5-Knerr §  401 Rn.  23; MünchKommBGB5-Roth, §  401 Rn.  1; Staudinger2005-Busche, §  401 Rn.  7. Ähnlich die Feststellung von Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  94, 104 zur Abdingbarkeit der §§  119 ff. BGB.  



Einleitung

geben. Es fehlen Theorien.13 Wie sich zeigen wird, ist das kein Zufall. Es bedarf der Gewichtung einer Vielzahl von Faktoren. Dem dient das fünfte Kapitel. Abschließend soll ein Blick auf einseitig abdingbare Normen im sechsten Kapitel zeigen, dass die Einsichten zu den vertraglich abdingbaren Normen auch für andere Gebiete von Bedeutung sind. Die folgende Arbeit spricht damit fünf Themen an, nämlich Definition, Modell, Wirkung, Rechtfertigung und Feststellung abdingbaren Rechts. Erst ihre Gesamtheit ermöglicht sein Verständnis.

  Siehe zu einem ersten Entwurf Verfasser, JbJ.ZivR.Wiss. 2002, 181.

13

1. Kapitel

Der Begriff des abdingbaren Rechts Was ist abdingbares Recht? Die einfachste Antwort darauf lautet: Es ist das Recht, von dem der Adressat einer Norm abweichen kann. Sodann aber stellt sich die Frage: Wann kann er von ihr abweichen und wann handelt es sich stattdessen um zwingendes Recht? Will man eine zirkuläre Definition vermeiden, kann man dieses nicht wiederum durch das abdingbare Recht bestimmen. Zumindest einer der beiden Begriffe bedarf einer Definition, die über die bloße Unterscheidung vom anderen hinausgeht. Beginnen wir die Untersuchung daher mit einer Bestimmung abdingbarer Normen.

A.  Die Bestimmung abdingbaren Rechts Die deutschen Gesetze enthalten keine Definition abdingbaren Rechts. Gleichwohl verwenden sie seinen Begriff und grenzen ihn vom zwingenden Recht ab.  Die Rom-I-Verordnung umschreibt Letzteres als die Bestimmungen, von denen durch Vertrag nicht abgewichen werden kann. Abdingbares Recht wären demgegenüber diejenigen Normen, von denen Verträge abweichen dürfen. Entsprechend umschreibt §  307 Abs.  3 S.  1 BGB eine Abbedingung als „von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen“. Aus der Pandektistik stammt dafür der Begriff ius dispositivum. Daneben existieren vielzählige weiterer Bezeichnungen: Ergänzungs-,  Hintergrunds- und Auf  Vgl. §  40 BGB („Nachgiebige Vorschriften“); §  10 SeemG („Abdingbarkeit“).   So etwa Art.  27 Abs.  3, 34 EGBGB a. F.; §  13 Abs.  1 Nr.  1 EGGVG; §  14 ProdHaftG („Unabdingbarkeit“).    Art.  3 Abs.  3 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I); entsprechend zuvor Art.  27 Abs.  3 EGBGB a. F.; vgl. Staudinger2002-Magnus, Art.  34 EGBGB Rn.  10; MünchKommBGB4-Martiny, Art.  34 EGBGB Rn.  7; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87 (1989); Bridgeman, 33 Florida State University Law Review 683, 684 (2006); Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 116 (1993); Lehmann, 41 Vanderbilt Journal of Transnational Law 381, 419 (2008).    Ähnlich Art.  28 EGBGB a. F.: „mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht“; Art.  4 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I).    Kaser, SZ 1986, 1, 77 bezeichnet sie als „unrömisch“.    von Wächter, Pandekten, Bd.  1, S.  94 f. („ergänzende“ Normen); Endemann, BR, Bd.  1, S.  40; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  13; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  301; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  15; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäfts 



Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

fangregeln, Hilfs- und Ersatznormen, abweichungsoffene und präsumtive Normen,  nachgiebiges und subsidiäres Recht10 . Mehr und mehr werden dafür überdies englische Ausdrücke wie default rules11 oder Opt-in- und Opt-outNormen12 gebraucht. Abdingbares Recht betrifft zwar typischerweise Vertragsparteien, die eine vom Gesetz abweichende Bestimmung treffen. Jedoch gibt es Situationen, in denen nicht ein Vertrag, sondern eine einseitige Verfügung das gesetzliche Recht verdrängt. Dies ist unter anderem im Erbrecht der Fall. Per Testament lassen sich dort die gesetzlichen Normen ausschließen, §  1937 BGB. Darin unterscheidet sich dieses nicht von einem Erbvertrag, der von den erbrechtlichen Normen abweicht. Ob man einen Erben per Erbvertrag oder per Testament einsetzt, stellt zwar für die Bindung an diese Verfügung einen Unterschied dar, nicht aber für den Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts der §§  1922 ff. BGB. Da die Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge durch Vertrag eine Form der Abbedingung ist, lässt sich eine Verfügung per Testament als Abbedingung begreifen. lehre, S.  83; kritisch Bülow, AcP 64 (1881), 1, 78. Stammler, AcP 69 (1886), 1, 24 hingegen bezog die Bezeichnung „ergänzend“ nicht auf das den Vertrag ergänzende Gesetz, sondern das durch Vertrag ergänzte Gesetz.    von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, S.  9 09, der damit „default rules“ übersetzt; ähnlich auch Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 239 (1988).    Bachmann, JZ 2008, 11, 12.    Z. B. §  40 BGB zu §§  27 Abs.  1 u. 3, 28, 32, 33, 38 BGB. 10   BGH, WM 2003, 1974, 1975 zu §  744 Abs.  2 BGB; siehe auch Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  228, der von „staatlichem Folgenrecht“ spricht. Weitere Bezeichnungen sind „vermittelnde Gesetze“, von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  58; „privatrechtliche, oder private, oder abänderliche, oder nachgebende Privatrechtssätze“, Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S.  120; „ablehnbare Normen“, Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148; „Eventualvorschriften“, Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  302; „fakultative Normen“, von Hippel, Privatautonomie, S.  113; „Eigennormen“, Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  164. 11   Ursprünglich stand „default“ für Versäumnis, Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 192; kritisch daher Collins, The Law of Contract, p.  246, der auf den traditionelleren Ausdruck „implied terms“ verweist, dazu auch Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 822 (1992); Zimmermann, The Law of Obligations, pp.  22. Weitere Bezeichnungen sind „stopgate rule“, Rheinstein, Gesammelte Schriften, Bd.  1, S.  155, 228; „mutable rules“, Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 402 (1994); „background provisions“, Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 652 (2006), anders Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 490 (1989), der als „background rules“ die ergänzend anwendbaren und so auch zwingenden Normen bezeichnet; „fall-back provisions“, Maskin, 33 Florida State University Law Review 557 (2006); „gap fillers“, Gilette, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 167, 179 (1994); weitere Nachweise bei Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 91 (1989). 12   Etwa die deutsche Fassung von Art.  23 Abs.  1 S.  4 der Verordnung (EG) Nr.  1008/2008 vom 24.  9.  2008 (Luftverkehrsdienste); sowie BGH, NJW 2008, 3055, 3056 zu §  4a Abs.  1 BDSG; Diekmann, NJW 2007, 17 zu Art.  12 der Übernahmerichtlinie 2004/25/EG vom 21. April 2004.

A.  Die Bestimmung abdingbaren Rechts



Auch außerhalb des Erbrechts kommen einseitige Dispositionen über eine gesetzliche oder vertragliche Anordnung vor. Von einer Vielzahl an Normen kann man durch einen einseitigen Akt abweichen, sei es durch einen Verzicht13 oder eine sonstige einseitige Bestimmung. Sollen in einem Mietvertrag etwa die Betriebskosten verbrauchsunabhängig berechnet werden, so kann der Vermieter durch eine einseitige Erklärung einen verbrauchsabhängigen Maßstab festlegen, §  556a Abs.  2 BGB. Damit bedingt er den sonst anwendbaren Maßstab ab. Eine zweiseitige Disposition ist für eine Abbedingung daher nicht notwendig.14 Der Begriff der Abdingbarkeit ist deshalb nicht auf vertragliche Bestimmungen beschränkt, sondern umfasst auch einseitige Anordnungen.15 Charakteristisch für alle diese Abweichungen von einer gesetzlichen Norm ist, dass die Adressaten einer Norm eine andere Rechtsfolge bestimmen können. Verpflichtet dazu sind sie nicht. Zur Charakterisierung abdingbaren Rechts sind somit vier Elemente erforderlich: das Subjekt (1), das Objekt (2), der Akt (3) sowie die Wirkung der Abbedingung (4). Alle vier bedürfen einer Konkretisierung.

1.  Die Merkmale der Abbedingung a)  Das Abbedingungssubjekt Subjekt der Abbedingung ist diejenige Person, welche die abweichende Bestimmung treffen darf. Das ist typischerweise der unmittelbare Adressat einer Norm, d. h. derjenige, dessen Verhalten sie regelt.16 Dazu gehören etwa die Käufer und Verkäufer, deren Rechte und Pflichten die §§  433 ff. BGB bestimmen und die etwas davon Abweichendes festlegen dürfen. Das Recht gibt ihnen weithin abdingbare Regelungen vor. Denkbar ist jedoch auch, dass die Anwendbarkeit einer Norm nicht von den unmittelbaren Adressaten abhängt, sondern von den mittelbaren. Das sind diejenigen, deren Verhältnisse die Norm nicht direkt regelt, die aber an den Rechts13   Siehe etwa §  768 Abs.  2 BGB (Verzicht des Hauptschuldners); §  295 Abs.  1 ZPO (Verzicht auf eine Verfahrensrüge); ferner Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, S.  159 ff.; MünchKommBGB5-Schlüter, §  397 Rn.  19; Staudinger2005-Rieble, §  397 Rn.  62. 14   Weitere Beispiele einseitiger Abbedingung sind §  28 Abs.  2 HGB (keine Haftung für Altschulden bei Registereintragung); §  6 Abs.  3 VVG (Verzicht auf Beratung); §  52 Abs.  5 S.  3 AktG (weitere Anforderungen der Satzung an einen Nachgründungsvertrag). 15   Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S.  82; Ayres, Default Rules for Incomplete Contracts; Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1032 (2004); anders hingegen Painter, 76 New York University Law Review 665, 677 (2001). 16   Entsprechend Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S.  467; Brouwer/Hage, 15 European Review of Private Law 2007, 2, 9; hingegen bezeichnet Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  464 sie nur als mittelbare Adressaten, da er als primäre Adressaten diejenigen versteht, die eine Sanktion anordnen.



Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

verhältnissen der unmittelbaren Adressaten gleichwohl ein Interesse haben. So kann der Betriebsrat als mittelbarer Adressat einer für die Arbeitnehmer geltenden Norm mit dem Arbeitgeber eine Reihe von Normen abbedingen.17 Abbedingungsberechtigter und unmittelbarer Normadressat weichen dann voneinander ab. Denn zur Abbedingung berechtigt sind in diesem Fall nur Betriebsrat und Arbeitgeber, nicht aber die Arbeitnehmer. Die Abdingbarkeit durch die mittelbaren Adressaten zeigt zugleich, dass der zu einer Abbedingung Berechtigte nicht notwendig der von ihr Begünstigte sein muss. Der Betriebsrat etwa profitiert nicht unmittelbar davon, dass für die Arbeitnehmer günstige Normen zur Anwendung kommen, sondern soll deren Interessen treuhänderisch wahrnehmen. Begünstigter und Abbedingungsberechtigter können daher voneinander abweichen. Um auch derartige Konstellationen zu erfassen, darf man nicht nur die unmittelbaren Adressaten als Abbedingungsberechtigte begreifen. In aller Regel wird der Abbedingungsberechtigte derjenige sein, der unmittelbar von der Norm betroffen ist. So können etwa gewerbliche Verkäufer und Käufer die Gewährleistungsnormen der §§  434 ff. BGB abbedingen, die den Austausch zwischen ihnen ordnen. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum ein anderer als derjenige über ihre Abbedingung entscheiden sollte. Ausnahmsweise aber ist dazu der nur mittelbar Betroffene berechtigt. Vermietet etwa ein Eigentümer sein Haus, so beeinträchtigt der Lärm eines Nachbarn in erster Linie den Mieter. Gleichwohl ist nicht dieser, sondern der Eigentümer berechtigt, mit dem Nachbarn den Abwehranspruch abzubedingen.18 Er ist vom Lärm nur mittelbar über eine Mietminderung betroffen, §  536 Abs.  1 S.  1 BGB. Allein die Betroffenheit von einer Norm genügt somit nicht für eine Abbedingungsberechtigung. Auch weitere für jede Abbedingung geltende Qualifikationen des Abbedingungssubjekts sind nicht erforderlich. Im Grundsatz ist jede rechtsfähige Person zur Abbedingung geeignet. Denn das Recht hat keinen Grund, einer bestimmten Gruppe von Personen generell die Abbedingung von Normen zu untersagen. Wer ihm unterworfen ist, darf nicht prinzipiell von seiner Gestaltung ausgeschlossen sein. Den Adressaten einer Norm ist daher vielfach die Möglichkeit zur Abweichung eingeräumt. Natürliche Personen gehören dazu ebenso wie juristische Personen. Wichtig ist nur, dass es ein zur Abbedingung berechtigtes Subjekt gibt. Denn diese vollzieht sich nicht von selbst, sondern bedarf eines Gestalters.

17   Für vom Gesetz abweichende Arbeitszeiten etwa §§  7, 12, 21a Abs.  6 ArbZG; für das Heuerverhältnis bei Schiffen §§  89a, 140 Abs.  2 SeemG; für die vermögenswirksame Anlage von Arbeitslohn §  11 Abs.  6 VermBG. 18   Erman12-Ebbing, §  1004 Rn.  19; Palandt70 -Bassenge, §  1004 Rn.  45; Staudinger2006 Gursky, §  1004 Rn.  193.

A.  Die Bestimmung abdingbaren Rechts



b)  Das Abbedingungsobjekt Abbedingen lassen sich nur Normen, d. h. verbindliche Anordnungen einer Rechtsfolge19. Sie sind das Objekt der Abbedingung. Keine Art von ihnen ist davon prinzipiell ausgeschlossen. Stets lässt sich nämlich die Frage stellen, ob die Normadressaten für einen bestimmten Sachverhalt eine abweichende Regelung treffen dürfen, indem sie die Anwendbarkeit der Norm ausschließen. Ist dies zu bejahen, gehört die Norm zum abdingbaren Recht. Gleichwohl liegt bei einigen Normarten die Abdingbarkeit näher als bei anderen. Das ist etwa bei als Geboten formulierten Normen der Fall. Gebots- und Verbotsnormen sind zwar ineinander überführbar, 20 jedoch ist ihre Fassung als Gebot oder Verbot nicht gleichgültig. Verbotsnormen sollen ein bestimmtes Verhalten verhindern, während sie offen lassen, wie sich die Adressaten stattdessen zu verhalten haben. Das Verbot etwa, schneller als 100  km/h zu fahren, besagt nicht, welche Geschwindigkeit man einzuhalten hat. Gebotsnormen hingegen legen das Verhalten der Adressaten fest. Da aber nur selten eine einzige Verhaltensweise vertretbar ist und es meist verschiedene akzeptable Handlungen gibt, geht der mit Gebotsnormen einhergehende Eingriff sehr weit. Jedoch lässt er sich über eine Abdingbarkeit mildern. Bei als Verbot formulierten Normen bleibt demgegenüber von vornherein eine Vielzahl an Verhaltensweisen zulässig. Sie umfassen meist nur minimale Anforderungen. Hat der Gesetzgeber Gründe, unter der Vielzahl an Verhaltensweisen eine bestimmte zu verbieten, ist es daher unwahrscheinlich, dass er eine Abbedingung duldet. Es ist aus diesem Grund kein Zufall, dass die strafrechtlichen Verbote21 so gut wie nie dispositiv sind, während die vertragsrechtlichen Gebote der §§  434 ff. BGB zumindest unter Unternehmern fast durchgängig einen abdingbaren Charakter tragen. Die Möglichkeit zur Abbedingung hängt nicht davon ab, ob eine Norm einen abstrakten oder konkreten, generellen oder individuellen Charakter trägt. Auf bestimmte Sachverhalte konkretisierte Anordnungen wie Verwaltungsakte und Urteile können ebenso wie generelle Anordnungen abbedungen werden.22 So 19   Zum Normbegriff Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  4 ; ders., Allgemeine Theorie der Normen, S.  2; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  89 f.; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S.  16. Ähnlich wird zum Teil der Begriff der Regel in einem weiten Sinn gebraucht, etwa Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S.  38 ff.; Bachmann, Private Ordnung, S.  22; enger demgegenüber Weber, Rechtssoziologie, S.  55; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  24. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S.  35 ff. bestreitet die Existenz eines einheitlichen Normbegriffs. Dazu ferner Alexy, Theorie der Grundrechte, S.  40 ff. 20   Löffler, Einführung in die Logik, S.  237. 21   Dazu unten 1.E.1. 22   Nach Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  12 enthält dispositives Recht hingegen nur generalisierende Regeln. Zum Normcharakter individueller Normen Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  7; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  47, S.  292; Husserl, Rechtskraft und

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

mag etwa ein zum Unterhalt verurteilter Ehemann mit seiner Frau vereinbaren, dass die gerichtlich festgestellte Zahlungspflicht während eines bestimmten Sommers ruht. In diesem Fall kommt es zur Abweichung von einer individuellen Anordnung. Die abzubedingende Norm muss nicht auf eine Mehrzahl von Personen und Sachverhalten anwendbar sein. Allerdings werden vielfach generelle Normen abbedungen, weil bei ihnen das Bedürfnis größer ist, das Recht durch Abbedingung einem bestimmten Sachverhalt anzupassen. Die Norm behält dann zumindest in den anderen Sachverhalten einen Anwendungsbereich. Demgegenüber ist es kaum ein Unterschied, ob eine konkret-individuelle Norm abbedungen oder vollständig aufgehoben wird. Ihre Rechtsfolgen bleiben in beiden Fällen vollständig aus. Für die Adressaten einer Norm liegt eine Abbedingung umso näher, je konkreter deren Rechtsfolge ist. Denn umso eher fällt ihnen ein Widerspruch zu ihren Interessen auf. Möglich ist eine Abbedingung aber ebenso bei abstrakten Grundsätzen 23 , die unmittelbar keine bestimmte Handlung vorschreiben oder verbieten, sondern Wertungsmaßstäbe für die Beurteilung und Entwicklung anderer Normen aufstellen.24 Auch ihre Anwendbarkeit auf einen Sachverhalt lässt sich aufheben. So können religiöse Gemeinschaften für ihren Binnenbereich ethische Maßstäbe aufstellen, die von denen des staatlichen Rechts abweichen. Dabei mögen sie etwa dem Gewissen eine größere Bedeutung zusprechen, als dies das staatliche Recht vorsieht. Obwohl sich ein derartiger Vorgang von der Abweichung von einer konkreten Norm unterscheidet, ist er als Abbedingung zu verstehen. Auch bei ihm soll in bestimmten Sachverhalten eine verbindliche Anordnung nicht zur Anwendung kommen. Die abzubedingenden Normen müssen kein staatliches Recht sein. Denn ob eine Norm staatlichen oder nichtstaatlichen Ursprungs ist, geht nicht notwendig mit der Frage einher, ob die Normadressaten eine abweichende Bestimmung treffen dürfen. Zum abdingbaren nichtstaatlichen Recht gehört etwa privat gesetztes Recht, das die Parteien durch anderweitige Bestimmungen verdrängen können, 25 so etwa wenn sie mit einem Einzelvertrag von einem Rahmenvertrag abweichen. Das ist von der Konstellation zu unterscheiden, dass die Parteien die Rechtsgeltung, S.  27; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S.  91 f.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  196 ff. Daher lässt sich der Gegensatz von Normen und Rechtsgeschäft nicht durch den abstrakt-generellen Status charakterisieren, so aber Bachmann, Private Ordnung, S.  112. 23   Sie werden vielfach als Prinzipien beschrieben, siehe Dworkin, Taking Rights Seriously, pp.  22; Alexy, Theorie der Grundrechte, S.  75 ff.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, S.  177 ff.; Otte, in: Schilcher/Koller/Funk, Regeln, Prinzipien und Elemente des Rechts, S.  143 ff. sowie die weiteren Beiträge in diesem Band. 24   Enger hingegen Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  53; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  190. 25   So dürfen Betriebsvereinbarungen ausnahmsweise Tarifverträge nach §§  4 Abs.  3 TVG, 77 Abs.  3 S.  2 BetrVG verdrängen; ebenso sieht §  6 Abs.  1 der Ergänzenden Regeln für beschleunigte Verfahren der DIS Modifikationen durch die Parteien vor.

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Geltung einer von ihnen geschaffenen Norm durch einen Änderungsvertrag aufheben. Im einen Fall verliert die Norm lediglich ihre Anwendbarkeit auf einen bestimmten Sachverhalt, im anderen Fall ihre Geltung. Auch der BGH geht davon aus, dass Vertragsparteien durch langdauernde Übung eine vertragliche Absprache abbedingen können.26 Entsprechend müssen die abzubedingenden Normen nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber stammen, sondern können auf sonstige Normsetzer27 zurückgehen. Neben einer Einzelnorm kann auch eine Mehrzahl von Normen abbedungen werden. Nahe liegt dies insbesondere bei der Abbedingung eines Rechtsinstituts, etwa wenn das gesamte Recht der BGB-Gesellschaft auf ein bestimmtes Vertragsverhältnis keine Anwendung finden soll. Das internationale Privatrecht eröffnet sogar die Möglichkeit, die Anwendbarkeit einer ganzen Rechtsordnung auszuschließen.28 Diese Abbedingung von Rechtsinstituten und Rechtsordnungen lässt sich als summierte Abbedingung einzelner Normen begreifen. Allerdings treten dabei Besonderheiten auf, die sie von der Abbedingung von Einzelnormen abheben. So wissen die Abbedingungsberechtigten beim Ausschluss einer einzelnen Norm in der Regel, welche Frage sie beantwortet, während die Abbedingung eines gesamten Rechtsinstituts oder einer Rechtsordnung meist pauschal erfolgt. Dem Berechtigten unbekannte Normen werden dabei ebenso wie die ihm bekannten Normen abbedungen und er weiß häufig nicht, welche konkreten Regeln an die Stelle der abbedungenen Normen treten. Der im amerikanischen Recht vielfach verwendete Ausdruck des opt-out bezieht sich meist auf einen derartigen Ausschluss von ganzen Normkomplexen. 29 Dahinter steht die Vorstellung, dass man sich durch einen derartigen Akt von einem ganzen System verabschiedet. Auch in den Bewertungsmaßstäben unterscheidet sich die Abbedingung von Normkomplexen von der Abbedingung einer einzelnen Norm. So kann das Recht die Abwahl einer Rechtsordnung zulassen, selbst wenn dazu der Ausschluss von im nationalen Kontext zwingenden Normen gehört. Nur einige von ihnen setzen sich als international zwingende Eingriffsnormen gegen die Abwahl einer nationalen Rechtsordnung durch.30 26   So BGH, NJW 1985, 3076, 3077 für die von Eigenhändler und Unternehmer getroffene Vereinbarung, die Namen der Kunden nicht nennen zu müssen. 27   Der Begriff „Gesetzgeber“ wird daher im Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, in diesem weiten Sinn verstanden. 28   Art.  3 Abs.  3 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I). Zu den Unterschieden zwischen dem Ausschluss einzelner Normen und der Wahl einer anderen Rechtsordnung Kropholler, Internationales Privatrecht, S.  293. Die Anwendung kann auf einer Rechtswahl, aber auch auf einer objektiven Anknüpfung beruhen, Möslein, Dispositives Recht, S.  73 mwN. 29   Etwa Beyleveld/Brownsword, Consent in the Law, p.  355 zu opt-in und opt-out vom gesamten Vertragsrecht. 30   Zur Unterscheidung zwischen international und national zwingenden Normen siehe BGH, NJW 1968, 354, 355 (= BGHZ 48, 327, 331); 1998, 2358 (= BGHZ 138, 331, 334); 2006, 762, 765 (= BGHZ 165, 248, 256); 2009, 1747, 1749; Staudinger2002-Magnus, Art.  34 EGBGB

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Das zeigt, dass die Abbedingung einer Normordnung nicht nach den gleichen Maßstäben bewertet wird wie die Abbedingung einzelner Normen. Trotz dieser Unterschiede stellt die Abwahl einer Rechtsordnung ebenso wie der Ausschluss eines Rechtsinstituts eine Abbedingung dar. Einzelne Normen verlieren durch sie ihre Anwendbarkeit auf einen bestimmten Sachverhalt. Überdies lässt sich die Abbedingung einzelner Normen so steigern, dass am Ende sämtliche Normen eines Rechtsgebiets oder einer Rechtsordnung ausgeschlossen werden sollen. Begreift man den Ausschluss der Anwendbarkeit einer einzelnen Norm als Abbedingung, so gilt dies umso mehr für die ausgeschlossene Anwendbarkeit eines gesamten Normenkomplexes. Die Abbedingung von Rechtsordnungen stellt daher nur einen Sonderfall der allgemeinen Abbedingung von Normen dar. c)  Der Abbedingungsakt Wer eine Norm abbedingt, sorgt dafür, dass ihre Rechtsfolge nicht eintritt. Dies geschieht durch einen Abbedingungsakt, der den Eintritt der sonst vorgesehenen Rechtsfolge verhindert. Typischerweise besteht er im Abschluss eines Vertrages, bisweilen aber auch in einer einseitigen Anordnung wie der Errichtung eines Testaments. In der Folge entfaltet die Norm für den Sachverhalt keine Wirkung, so dass unerheblich wird, ob ihr Tatbestand erfüllt ist oder nicht. Nicht jedes Verhalten, das den Eintritt einer Rechtsfolge verhindert, stellt einen Abbedingungsakt dar. Denn nicht immer, wenn eine Rechtsfolge ausbleibt, geht dies auf die Entscheidung der Normadressaten zurück, die Anwendbarkeit einer Norm auszuschließen. Vielmehr kann dies schlicht darauf beruhen, dass der Tatbestand der Norm nicht erfüllt ist. Dann handelt es sich nicht um eine Abbedingung. Wer nicht heiratet, bedingt dadurch nicht das Eherecht ab, auch wenn dieses der Grund dafür ist, dass er seiner Partnerin keinen Heiratsantrag stellt. Ebenso bedingt derjenige das Diebstahlsverbot des §  242 StGB nicht ab, der eine Sache kauft, anstatt sie zu stehlen. In diesen Fällen verhindert er zwar ebenfalls den Eintritt einer Sanktion. Jedoch bedingt er dadurch keine Norm ab. Es stellt einen Unterschied dar, ob eine Rechtsfolge nicht eintritt, weil der Tatbestand nicht erfüllt ist oder weil sie von vornherein auf einen bestimmten Sachverhalt nicht anwendbar ist. Nur dem letzteren Fall liegt ein Abbedingungsakt zugrunde. Würde man für die Abbedingung nicht einen derartigen Akt verlangen, wäre nahezu jede Norm abdingbar. Denn bei fast jeder Norm kann der Adressat den Eintritt der Rechtsfolge durch sein Verhalten verhindern. Damit verlöre der Be-

Rn.  10 f.; MünchKommBGB4-Martiny, Art.  34 EGBGB Rn.  8 ; Kropholler, Internationales Privatrecht, 21 ff., 497 ff.; Lehmann, 41 Vanderbilt Journal of Transnational Law 381, 419 (2008).

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griff der Abbedingung seine Unterscheidungskraft.31 Überdies ginge der zentrale Aspekt einer Abbedingung verloren, dass die zunächst vorgesehene Rechtsfolge gerade deshalb nicht eintritt, weil der Normadressat das entschieden hat. Das ist bei den Normen des Strafgesetzbuchs kaum möglich.32 Dass etwa ein Kauf nicht bestraft wird, liegt allein daran, dass er den Tatbestand des §  242 StGB nicht erfüllt. Die Anwendbarkeit des §  242 StGB muss dafür nicht ausgeschlossen werden. Die Vermeidbarkeit einer Rechtsfolge ist somit kein geeignetes Kriterium, um zwingende von abdingbaren Normen abzugrenzen. Bereits kurz nach Entstehung des BGB hat Eugen Ehrlich diese mit einem unbeschränkten Begriff des abdingbaren Rechts entstehenden Probleme bemerkt.33 Er wies darauf hin, dass Windscheids Definition abdingbarer Normen als Rechtssätze, die es sich „gefallen [lassen], daß das betreffende Rechtsverhältnis anders geordnet werde“34 , fast das ganze Privatrecht erfasst. Denn nahezu immer ließen sich Konstellationen vorstellen, in denen die zunächst vorgesehenen Rechtsfolgen nicht einträten. Daraus folgerte Ehrlich, dass sich der nichtzwingende Charakter einer Norm nur auf „das Verhältnis des Rechtssatzes zur Willenserklärung“ beziehe.35 Beinhalte diese keinen Widerspruch zum geltenden Recht, liege keine Abbedingung vor. Worin das Verhältnis des Rechtssatzes zur Willenserklärung genau bestehen müsse, ließ er allerdings offen. Damit wäre sogar Windscheids Vorschlag vereinbar, abdingbare Rechtssätze als solche zu verstehen, die sich den Eintritt einer anderen Rechtsfolge „gefallen lassen“. Ehrlichs Bestimmung erlaubt daher im Gegensatz zum möglichen Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm keine Eingrenzung des Begriffs abdingbaren Rechts. Auch in der englischsprachigen Diskussion wird der Begriff der „default rules“ vielfach in einem weiten Sinn benutzt.36 Er meint dort alle Auffangregeln, die zur Anwendung kommen, solange keine andere Entscheidung getroffen ist. Ob ihre Nichtanwendung darauf beruht, dass sie abbedungen werden oder schlicht ein anderer Sachverhalt vorliegt, ist dafür irrelevant. Es genügt die Möglichkeit, den Eintritt der Rechtsfolgen einer Norm zu verhindern. Im Falle einer Verbotsnorm reicht es dafür aus, dass sich die Adressaten an sie halten. §  242 StGB als Strafnorm für den Diebstahl wäre nach diesem Verständnis eine 31   So die Unterscheidung zwischen „entrinnbaren“ und „unentrinnbaren“ Normen bei Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  2 f.; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  43. 32   Dazu im Einzelnen unten 1.E.1.c). 33   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  10. 34   Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  125. 35   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  10. 36   Etwa Rakoff, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 19, 23 (1993); Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 30 (1993); Ayres, 33 Florida State University Law Review 589, 601 (2006); Elhauge, Statutory Default Rules, pp.  41, 65, der darunter sämtliche gesetzlichen Auslegungsregeln versteht.

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„default rule“, da man eine Bestrafung dadurch verhindert, dass man eine Sache liegen lässt, anstatt sie einem anderen wegzunehmen. Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis ist sie hingegen keine abdingbare Norm, weil man dadurch nicht die Strafbarkeit für einen Diebstahl aufhebt. Man disponiert nicht über den staatlichen Strafanspruch, sondern verhält sich lediglich so, dass dieser nicht entsteht. Die Abbedingung einer Norm ist nicht mit der Vermeidung ihrer Rechtsfolgen zu identifizieren. Sie ist eine der Arten, diese zu verhindern, aber nicht die einzige. Das weite Verständnis von „default rules“ entspricht einem an den tatsächlichen Folgen orientierten Rechtsrealismus,37 der nicht nach der dogmatischen Konstruktion, sondern nach den durch sie bewirkten Ergebnissen fragt. Die dabei entstehende Begriffsunschärfe38 zeigt indes, wie wichtig eine Eingrenzung ist. Sowohl in der Auslegung als auch in der Rechtfertigung einer Norm spielt es eine entscheidende Rolle, ob sie an irgendein Verhalten der Einzelnen anknüpft, oder an eine bewusste Gestaltung der Rechtslage.39 Denn im letzteren Fall hat man es in stärkerer Weise als sonst mit einem Akt der Selbstbestimmung zu tun. Das Besondere des Abbedingungsakts besteht darin, dass die Rechtsfolge nicht eintritt, weil die Abbedingungsberechtigten eine abweichende Rechtsfolge angeordnet haben. Es ist ihre bewusste Entscheidung, welche die Anwendbarkeit einer Norm verhindert, und nicht eine Laune des Rechtssystems. Auch die Gründe der Dispositionsbefugnis werden damit besser aufzeigbar. Während der Einzelne etwa befugt ist, über sein Eigentum zu disponieren, kann er über den staatlichen Strafanspruch nicht verfügen. Ist der Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm damit das zentrale Merkmal eines Abbedingungsakts, so folgt daraus, dass der Normadressat diese weder durch die Abbedingung noch durch das ihr folgende Verhalten bricht.40 37   Ähnlich weit Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  24 (Summe der Rechtsregeln, die Anwendung finden, „wenn die vertragliche Regelung dem nicht entgegensteht“). Kritisch gegenüber solchen Ausdehnungen Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  65; Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  1. 38   Siehe Rakoff, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 19, 23 (1993), der deshalb allerdings eine Definition für ausgeschlossen hält. 39   Ähnlich sieht Flume, AT, Bd.  2, S.  5 den Unterschied zwischen Rechtsfolgen einer unerlaubten Handlung und derjenigen eines Kaufvertrags darin, dass bei dieser die Rechtsfolgen „im Hinblick auf die Vereinbarung gewährt werden“. 40   So die von Bülow, AcP 64 (1881), 1, 39 ff. kritisierte „Mutationstheorie“; ähnlich Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1032 (2004). Allerdings war diese Theorie eher gegen einen imaginären als einen realen Gegner gerichtet. Siehe zur späteren Diskussion Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  104: „Der Privatwille vermag eine dispositive Rechtsnorm ebenso wenig aufzuheben, als eine Rechtsnorm anderer Art.“; Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  10; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  72; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  45; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  77; zur römischrechtlichen Vorstellung Ankum, SZ 1980, 288, 314.

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Zum Bruch einer Norm kann es nur kommen, wenn sie als Maßstab für die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts bereit steht.41 Das ist von vornherein ausgeschlossen, wenn sie nicht anwendbar ist. Durch eine Abbedingung verstoßen die Adressaten aus diesem Grund nicht gegen die davon betroffene Norm,42 sondern verhindern deren Anwendung auf den einzelnen Sachverhalt. Unterlassen sie hingegen eine Abbedingung, wird ein Verstoß gegen die Norm ebenso sanktioniert wie der Bruch zwingenden Rechts. Eine abdingbare Norm ist dann in gleicher Stärke zwingend. Daher ist ihre Bezeichnung als nichtzwingende Norm43 im Hinblick auf die Abbedingungsmöglichkeit zwar korrekt, aber angesichts ihrer Verbindlichkeit bei fehlender Abbedingung missverständlich. Der Abbedingungsakt beinhaltet die Anordnung, dass eine Norm auf einen bestimmten Sachverhalt nicht angewandt wird. Die Abbedingenden können dies direkt formulieren, etwa durch den Satz „§ x wird ausgeschlossen.“ Verbreiteter jedoch ist eine indirekte Abbedingung. Sie besteht in der Anordnung einer Norm, die für denselben Tatbestand eine abweichende Rechtsfolge vorsieht.44 Räumt etwa der Verkäufer dem Käufer eine dreijährige Gewährleistungszeit ein, so hat sie nur einen Sinn, wenn sie die sonst eingreifende zweijährige Frist des §  438 Abs.  1 Nr.  3 BGB verdrängt. Das liegt näher als eine direkte Abbedingung, da die Normadressaten meist ein konkretes Ziel verfolgen und nicht unbedingt die sonst anwendbaren abstrakten Normen kennen, geschweige denn deren Anwendbarkeit verhindern wollen. Auch eine indirekte Abbedingung beruht darauf, dass die Adressaten die Anwendbarkeit einer Norm ausschließen. Dafür bedarf es der Anordnung einer Rechtsfolge, die mit der abdingbaren Norm nicht vereinbar ist. Wie diese Rechtsfolge formuliert wird, steht im Belieben der Adressaten,45 sofern das Recht dafür keine besonderen Anforderungen verlangt. Über den Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm hinaus muss der Abbedingungsakt nicht weiter eingegrenzt werden. So ist es insbesondere nicht notwendig, ihn auf Handlungen zu beschränken, bei denen der Abbedingende weiß, dass er von einer bestimmten Norm abweicht,46 oder dies zumindest er  Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  84.   Anders Riesenhuber-Schmidt-Kessel, Europäische Methodenlehre, §  17 Rn.  30, S.  503, wonach der individuelle Vertrag eine Systemstörung bewirke. Dagegen aber spricht, dass bereits das Gesetz die Abdingbarkeit vielfach voraussetzt und durch eine Abbedingung daher nicht „gestört“ werden kann. 43   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  9. 44   Das sehen alle europäischen Rechtsordnungen vor, Hesselink, 1 ERCL 44, 70 (2005). 45   A. A. Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  273, wonach abdingbares Recht die „Sprachmuster“ festlege, derer sich die Vertragsparteien für die von ihnen verfolgten Ziele bedienen müssten. 46   Gegen das Erfordernis einer Kenntnis Stammler, AcP 69 (1886), 1, 23; Endemann, BR, Bd.  1, S.  40; Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  104; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  13; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  358; ent41

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kennen muss47. Ebenso wenig ist erforderlich, dass die Adressaten auf die gesetzliche Regelung vertrauen oder ihren Vertrag „unbewusst unvollständig ausgestalten“48 . Selbst bei einer bewussten Vertragslücke findet dispositives Recht Anwendung, und zwar auch dann, wenn die Parteien nicht mit dessen Eingreifen rechnen. Bei vielen Abbedingungen dürfte ein derartiges Wissen sogar regelmäßig fehlen. Das Recht mag das zwar ausnahmsweise verlangen. 49 Aber es gibt keinen Grund, warum es stets ein derartiges Bewusstsein fordern sollte. Irren sich die Adressaten über das ihre Erklärungen ergänzende dispositive Recht, sind sie zur Anfechtung nicht berechtigt.50 Sie unterliegen einem bloßen Rechtsirrtum. d)  Die Abbedingungswirkung Einer Klärung bedarf des Weiteren die Wirkung einer Abbedingung. Ihre unmittelbare Folge ist der Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm. Das verhindert nicht nur deren einmalige Anwendung vor Gericht,51 sondern nimmt ihr für den jeweiligen Sachverhalt generell die Kraft, für einen bestimmten Sachverhalt eine Rechtsfolge festzulegen. Auch die Gesetze beschreiben die Wirkung abdingbarer Normen häufig damit, dass deren Anwendung ausgeschlossen wird.52 Sieht man dabei vom Unterschied zwischen der nur einmasprechend für die USA Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 262 (1985). Anders aber für atypische Absprachen Rohe, Netzverträge, S.  149: „Dispositives Recht kommt danach erst dann zum Zuge, wenn sich die Beteiligten darauf verlassen wollen.“ Für Kenntnis ebenfalls Möslein, Dispositives Recht, S.  264. 47   So die von Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  168 der h. M. zugeschriebene Position; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 256. Aufgrund der objektiv-typisierten Sorgfaltsmaßstäbe schränkt das Kennenmüssen die Anwendbarkeit abdingbarer Normen nicht ein. Zur rechtsethischen Forderung nach intuitiver Erschließbarkeit unten 4.D.2.b). 48   So Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  23. 49   Etwa BGH, NJW 2006, 1434, 1436: eine von §  178a VVG a. F. abweichende Vereinbarung durch Versicherungsnehmer und Versicherer setzt die Kenntnis voraus, dass dadurch Rechte der versicherten Person eingeschränkt werden. Zur Abbedingungshürde im Einzelnen unten 4.D.3. 50   BGH, NJW 1997, 653 (= BGHZ 134, 152, 156); 2002, 3100, 3103; MünchKommBGB5Kramer, §  119 Rn.  84; Staudinger2004-Singer, §  119 Rn.  67; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 125; Larenz, Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  94; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  24; Medicus, AT, S.  298, Rn.  751; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  53; Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  398; einschränkend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  267 ff.; a. A. Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  120 f. 51   Offen bleiben kann daher, ob die Anwendung einer Norm eine in ihr enthaltene oder eine über sie hinausgehende Eigenschaft ist, im letzteren Sinne Agamben, Ausnahmezustand, S.  51. 52   Etwa §  40 BGB. Auch Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  104 beschreibt den Unterschied zwischen der Aufhebung einer Norm und dem Ausschluss der Anwendbarkeit. Dem entspricht nach Kaser, SZ 1986, 1, 78 der Gebrauch des Begriffs mutari im römischen Recht, wonach die Parteien die Anwendung eines Satzes auf einen Fall

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ligen Anwendung einer Norm und ihrer generellen Anwendbarkeit ab, entspricht das der hier vorgeschlagenen Abgrenzung. Vom Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm unberührt bleibt ihre Geltung, d. h. ihre Zugehörigkeit zum bestehenden Recht.53 Denn die Normadressaten sind in aller Regel nicht zur Aufhebung oder Änderung der abdingbaren Norm befugt. Diese bleibt bei einer Abbedingung in Kraft.54 Sie vermag weiterhin, die unter sie fallenden Sachverhalte zu regeln. Es wäre auch verwunderlich, wenn Private über die Geltung des staatlichen Vertragsrechts bestimmen und es durch Abbedingung außer Kraft setzen dürften.55 Eine Abbedingung stellt die Autorität des Gesetzgebers daher nicht in Frage. Der Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm ist nicht mit einem Verlust ihrer tatsächlichen Wirkung zu verwechseln. Bei dieser geht es allein um die Frage, welche faktischen Folgen eine Norm hat. Sie können gering sein, selbst wenn die Geltung und Anwendbarkeit der Norm außer Frage stehen, etwa weil sich niemand an diese hält. Umgekehrt kann eine Norm die Geltung verlieren und gleichwohl die Wirklichkeit prägen, zum Beispiel wenn sich Einzelhandelsgeschäfte an die aufgehobenen Ladenöffnungszeiten halten. Der Anwendbarkeit einer Norm liegt ebenso wie ihrer Geltung nicht die faktische Frage zugrunde, ob eine Norm die Wirklichkeit prägt, sondern die normative Frage, ob und wie sie diese prägen soll.56 Die Antwort auf sie muss nicht pauschal „Ja“ oder „Nein“ lauten. Sie kann vielmehr differenziert ausfallen und an eine Fülle von Bedingungen geknüpft sein. So mag die Anwendbarkeit einer Norm von der Form, der Frist und dem Umfang der Abbedingung abhängen.57 Wie aber ist es möglich, dass die Adressaten die Anwendbarkeit einer Norm aufheben, ohne dass diese damit ihre Geltung verliert? Schließlich sind Normen ausschließen konnten. Dies sei von der Aufhebung der Geltung einer Norm („legi derogari“) zu unterscheiden. 53   Zum Geltungsbegriff siehe Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  9 f.; Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S.  217 ff., Rn.  334. Problematisch daher Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  3, der eine fehlende Abbedingung als „Geltungsvoraussetzung“ begreift; ähnlich die Definition dispositiven Rechts von Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO69, Einl III Rn.  31 als Vorschriften, „die nur mangels anderweitiger Bestimmung der Beteiligten gelten“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 54   Dazu zählt insbesondere die teilweise oder vollständige Aufhebung einer Norm, Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  89; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S.  193 ff. Insoweit ist Bülows Kritik an der Auffassung zuzustimmen, durch Abbedingung ändere man das geltende Recht („Mutationstheorie“), AcP 64 (1881), 1, 39 ff.; dazu oben 1.A.1.c), Fn.  40. 55   So die kaum ernsthaft vertretene und eher zur Ablehnung aufgebaute Mutationstheorie, oben Fn.  40. 56   Zur Unterscheidung Weber, Rechtssoziologie, S.  54; Stammler, Philosophie des Rechts, S.  148 f.; Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  3; Larenz, Methodenlehre, S.  190, 195; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S.  467. 57   Siehe etwa die Befristbarkeit von Mietverträgen nach §  550 S.  1 BGB, welche nur per Schriftform möglich ist. Im Einzelnen unten 5.B.5.a).

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mit dem Anspruch verbunden, die Wirklichkeit zu regeln, so dass es erstaunt, wenn sie einerseits gelten, andererseits jedoch nicht zur Anwendung kommen. Verständlich wird der Unterschied zwischen der Geltung und der Anwendbarkeit einer Norm, wenn man sich verdeutlicht, dass ihnen zwei voneinander unabhängige Fragen zugrunde liegen: Bei der Geltung geht es um die Frage, ob eine Norm überhaupt imstande ist, die Wirklichkeit zu regeln, bei der Anwendbarkeit um die Frage, welcher Bereich der Wirklichkeit von ihr erfasst wird. Können die Adressaten ihre Anwendung auf bestimmte Sachverhalte ausschließen, steht sie unter einem Vorbehalt. Ohne ihn sind geltende Normen auf alle Sachverhalte anzuwenden. Wäre die Anwendbarkeit einer Norm generell aufgehoben, verlöre sie hingegen ihre Geltung, da sie keinerlei Rechtsfolge mehr entfalten könnte. Anwendbarkeitsvorbehalte existieren in zwei Formen, nämlich einerseits als Norm- (aa) und andererseits als Tatbestandsvorbehalt (bb). Deren Zwecke weichen voneinander ab (cc). aa) Bei einem Normvorbehalt handelt es sich um eine Metanorm, die sich auf die abzubedingende Norm bezieht und die Abbedingungsberechtigten ermächtigt, die Anwendbarkeit einer Norm für bestimmte Sachverhalte auszuschließen.58 Typisch für sie sind Formulierungen wie „Paragraph p kommt nicht zur Anwendung, wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben.“ Dann soll die abdingbare Norm grundsätzlich sämtliche Fälle regeln, steht aber unter dem Vorbehalt einer anderen Norm. Der Normvorbehalt stellt eine Kollisionsregel dar, die den Widerspruch zwischen abzubedingender und abbedingender Norm auflöst, meist also zwischen Gesetz und Vertrag.59 Daher muss man die eine Abbedingung ermöglichende Metanorm nicht als Ermächtigung zur privaten Rechtssetzung auffassen. 60 Vielmehr kann man sie als Regelung der Kollision von Normen ansehen, die einerseits staatlicher und andererseits privater Herkunft sein können, aber nicht sein müssen. Die höherrangige Metanorm gehört zwar wiederum einer Rechts58   Zur Unterscheidung dieser Normebenen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, S.  9 0; ähnlich sprechen Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 6 (2006); McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 385 (2007) von „altering rules“, die bei einer abdingbaren Norm vorhanden sein müssen. 59   Dazu Verfasser, JbJ.ZivR.Wiss. 2002, 181, 192. Diese Möglichkeit einer zunächst intendierten umfassenden Anwendung ist nicht berücksichtigt bei Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S.  264; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  117, 215, die sämtlichem abdingbaren Recht einen „bedingten Sollensanspruch“ zusprechen, der die Reichweite abdingbarer Normen von vornherein begrenze. Überdies bleibt unklar, worin sich dieser „Sollensanspruch“ von der Geltung sowie Anwendbarkeit der Norm einerseits und einzelnen Tatbestandsmerkmalen andererseits unterscheiden soll. 60   Bülow, AcP 64 (1881), 1, 45 ff.; Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  10 f., der daher abdingbares Recht als Wechselbeziehung von ermächtigenden und subsidiär eingreifenden Normen ansieht, aaO., S.  15 f. Dazu im Einzelnen unten 5.A.3.

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ordnung an, typischerweise dem staatlichen Recht. Jedoch muss sie nicht im Gesetz verankert und kann auch durch Gewohnheitsrecht oder richterliche Rechtsfortbildung entstanden sein. bb) Der Tatbestandsvorbehalt ist Teil der abzubedingenden Norm und beschränkt deren Rechtsfolge von vornherein auf den Fall, dass sie nicht abbedungen ist. Die Norm trifft über weitere Fälle keine erst noch auszuschließende Regelung. Dies zeigen Formulierungen wie „Sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren .  .  .“ an. 61 Die gesamte Norm muss nicht erst verdrängt werden, um einer anderen Norm Raum zu verschaffen. Gleichwohl lässt sich nicht behaupten, derartige Normen könnte man aufgrund ihres von vornherein eingeschränkten Anwendungsbereichs nicht abbedingen. Denn auch sie haben zwei Teile, von denen der eine abbedungen wird. Dabei handelt es sich einerseits um die primäre Sachregelung und andererseits um die sekundäre Regelung der Anwendbarkeit. Im Unterschied zum Normvorbehalt sind beide lediglich in derselben Norm zusammengefasst. Klarer noch als bei der Abbedingung aufgrund eines Normvorbehalts wird bei der Abbedingung aufgrund des Tatbestandsvorbehalts deutlich, dass es nicht um die Aufhebung geltenden Rechts geht. Vielmehr sieht dieses selbst die Möglichkeit vor, dass bestimmte in ihm enthaltene Normen weiterhin in Geltung bleiben, aber ihre Anwendbarkeit auf einzelne Sachverhalte einbüßen. Ob das Recht dies in einem Tatbestands- oder in einem Normvorbehalt formuliert, ist im Ergebnis nicht entscheidend. Das kann auf rein sprachlichen Erwägungen beruhen. Um eine lange Norm verständlicher zu gestalten, mag der Vorbehalt einer anderen Regelung aus dem Tatbestand ausgegliedert und in einer weiteren Norm oder einem weiteren Absatz niedergelegt sein. 62 Damit werden diese kürzer und zugänglicher. 63 Umgekehrt lässt sich auch ein Normvorbehalt als Tatbestandsvorbehalt formulieren, indem man ihn in jede Norm aufnimmt, auf die er sich bezieht. Die Wahl zwischen Tatbestands- und Normvorbehalt kann sich daher allein an der Verständlichkeit ausrichten, ohne mit inhaltlichen Erwägungen einherzugehen. Allerdings entspricht ein Tatbestandsvorbehalt eher dem Ideal eines vollständig ausformulierten Gesetzes. Demgegenüber passt ein Normvorbehalt eher zum Ideal eines aufeinander abgestimmten und nach unterschiedlichen Normkategorien geordneten Systems. So bediente sich das an einer erschöpfenden Kasu  Etwa §§  101, 103, 246, 273 Abs.  1, 369 Abs.  1, 473, 520, 699 Abs.  2, 727 Abs.  1, 745 Abs.  2, 897, 919 Abs.  3, 1160 Abs.  1, 1172 Abs.  2, 1277 S.  1, 1296 S.  2, 1361a Abs.  4 BGB. 62   Vgl. dazu die Richtlinien zur Normgestaltung des Bundesministeriums der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, S.  49, Rn.  105. 63   Zum Zusammenhang zwischen Satzlänge, Komplexität und Verständlichkeit siehe Ateman, in: Zwirner/Bluhme, Beiträge zur quantitativen Linguistik, S.  171, 177; Lehrndorfer, Kontrolliertes Deutsch, S.  148 f. 61

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istik orientierte Preußische Allgemeine Landrecht eher der Tatbestandsvorbehalte, 64 während sich das an einem abstrakt-generellen System ausgerichtete BGB häufiger auf Normvorbehalte 65 stützt. cc) Trotz dieser Gemeinsamkeiten weichen die mit einem Tatbestands- oder einem Normvorbehalt verbundenen Zwecke voneinander ab. Der Normvorbehalt legt nahe, dass die abdingbare Norm grundsätzlich sämtliche Fälle regelt und lediglich ausnahmsweise die Anwendung einer anderen Norm erlaubt. Anders ist dies beim Tatbestandsvorbehalt, welcher der abzubedingenden Regel von vornherein einen begrenzten Anwendungsbereich zuweist. Dieser Unterschied tritt besonders deutlich hervor, wenn man nach der Befugnis der Normadressaten fragt, eine vom Gesetz abweichende Regelung zu treffen. Diese Frage drängt sich vor allem bei einem Normvorbehalt auf, da das Gesetz bei ihm eine auf den ersten Blick abschließende Regel anordnet. Dass die Parteien sie abbedingen können, wird erst verständlich, wenn man die Sekundärnorm betrachtet. Norm- und Tatbestandsvorbehalte können ihrerseits abdingbar sein. 66 Denn auch die Sekundärnorm hat einen Anwendungsbereich, über den die Normadressaten womöglich verfügen dürfen. Ermächtigungen zur Normsetzung kann man daher ebenso wie primäre Handlungsnormen als abdingbar oder zwingend einordnen. 67 So mögen sich Teilnehmer eines Marktes auf die Einhaltung eines Standards verständigen und miteinander vereinbaren, dass keiner von ihnen per individueller Vereinbarungen von ihm abweicht. Damit schränken sie die Abdingbarkeit des primären Standards ein, indem sie eine Inanspruchnahme der die Abbedingung erlaubenden Sekundärnormen ausschließen. Das erfolgt in einer Tertiärnorm. Die Rechtsordnung mag ihrerseits Regeln für diese Einschränkung formulieren, etwa wenn sie die Entstehung von Kartellen befürchtet. In diesem Fall hat man es mit einer Quartärnorm zu tun, welche die Vereinbarung von Tertiärnormen regelt. Der Regress ließe sich fortsetzen. 68

64   Etwa 1. Teil, 5. Titel, §  38; 1. Teil, 11. Titel, §  8 ; zum Ganzen Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148, 150. 65   Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  105; dazu im Einzelnen unten 5.A. 66   McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 395 (2007) spricht dabei von „meta-altering“ rules. 67   Zum Teil hingegen werden Ermächtigungsnormen ohne Verhaltensnormen als „freistellende Normen“ aufgefasst und von dispositiven Normen „im eigentlichen Sinn“ unterschieden, Wagner, Prozeßverträge, S.  56 f. mwN.  Aufgrund der subsidiär greifenden Ausschlussoder Billigkeitsnorm ist eine Norm ohne Handlungsanweisung allerdings schwer vorstellbar, dazu unten 1.B. 68   Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  97. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, S.  91 hält die Formulierung der Meta-Meta-Normschicht hingegen für belanglos.

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Die Unterscheidung zwischen abdingbaren Primärnormen und einer die Abbedingung ermöglichenden Sekundärnorm hat zahlreiche methodische Konsequenzen. 69 Folgt die Abdingbarkeit einer Norm nämlich aus einer Sekundärnorm, so lässt sich ihre Abdingbarkeit nicht durch Auslegung der im Gesetz formulierten Primärnormen klären. Es bedarf dann weiterer Kriterien, um die Abdingbarkeit einer Norm festzulegen.70

2.  Die Definition abdingbaren Rechts Fasst man die einzelnen Merkmale der Abbedingung zusammen, so ergibt sich folgende Definition: Eine Norm ist abdingbar, wenn ihr Adressat die Anwendbarkeit ausschließen kann, ohne dass sie dadurch ihre Geltung verliert.

Zentral für die Definition ist die Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm. Durch sie lässt sich die eingangs gestellte Frage klären, ob die Abbedingung ein Akt ist, den nur Private vornehmen können, oder einer, zu dem auch der Gesetzgeber berechtigt ist. Im Allgemeinen bedingt der Gesetzgeber keine Normen ab, sondern verändert ihre Geltung. Umgekehrt können Private im Allgemeinen keine für jedermann geltenden Normen setzen,71 sondern allenfalls deren Anwendbarkeit aufheben. Insofern ist die Geltungsveränderung eine Handlungsform des Gesetzgebers, die Abbedingung hingegen eine Handlungsform der ihm Unterworfenen. Indes zeigt die Definition zugleich, dass diese Unterscheidung an typische, aber nicht an notwendige Eigenschaften anknüpft. Begrifflich ist es keinesfalls ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber eine Norm abbedingt. Besondere Bedeutung hat dies für Verfassungsnormen. Auf den ersten Blick erscheint ihre Abbedingung zwar nicht möglich. Schließlich stellen sie grundlegende Entscheidungen eines Gemeinwesens dar, an deren Maßstab die übrigen Normen zu messen sind. Jedoch zeigt die Definition, dass ihre Abdingbarkeit möglich ist. Gerade weil sie ihre Geltung nur unter erschwerten Bedingungen verlieren, 72 69   Der Begriff lehnt sich an Hart, The Concept of Law, p.  91 an, weicht aber insoweit von ihm ab, als Harts Sekundärnormen wie etwa die Erkenntnisregel noch über den die Abdingbarkeit regelnden Normen stehen. Anders Bentham, Of Laws in General, p.  139, der zwischen primären Verhaltens- und sekundären Sanktionsnormen unterscheidet, bzw. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.  115, der umgekehrt von primären (Sanktions-)normen und sekundären (Verhaltens-)normen spricht; entsprechend Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  99 f. Die Systemtheorie deutet diese Unterscheidung primärer und sekundärer Normen häufig als Selbstreferentialität, etwa Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  52 ff., 127. 70   Siehe dazu im Einzelnen unten 5.A.2. 71   Eine Ausnahme ist das Gewohnheitsrecht, siehe Larenz, Methodenlehre, S.  433; Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S.  157 f., Rn.  232 ff. 72   Art.  79 GG.

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liegen Veränderungen in ihrer Abdingbarkeit nahe. Die Weimarer Reichsverfassung etwa erlaubte verfassungsdurchbrechende Gesetze, durch die der Gesetzgeber von der Verfassung abweichen konnte, ohne sie zu ändern.73 Dadurch kamen die jeweiligen Verfassungsnormen in einem bestimmten Sachverhalt nicht zur Anwendung, obwohl ihre Geltung unberührt blieb. Damit handelte es sich um eine Abbedingung. Auch das Grundgesetz erlaubt trotz seines Verbots verfassungsdurchbrechender Gesetze in Art.  79 Abs.  1 S.  174 an einigen Stellen den Ausschluss der Anwendbarkeit seiner Artikel. Aufgrund deren Tragweite ist es sinnvoll, zwischen ihrer vollständigen Abbedingung und der Abbedingung einer in ihnen enthaltenen Regel zu unterscheiden. Während die Abbedingung eines gesamten Artikels fern liegt, ist sie bei den aus ihm abgeleiteten Regeln vorstellbar. Dazu kommt es, wenn die Ausgestaltung eines Grundrechts dem Gesetzgeber überlassen ist. Ihm steht es dann frei, durch einfaches Gesetz die zunächst zur Anwendung kommende verfassungsrechtliche Regel zu verdrängen. Die Geltung der Grundgesetzartikel und ihrer Konkretisierungen bleibt damit unberührt. Bei den aus der Verfassung abgeleiteten Regeln ist daher ebenso wie bei einfachrechtlichen Normen zwischen ihrer Geltung und ihrer Anwendbarkeit zu unterscheiden.75 Wird allein Letztere ausgeschlossen, kommt es auch bei ihnen zur Abbedingung.

3.  Die Abgrenzung von verwandten Begriffen Der Begriff abdingbaren Rechts gewinnt durch die Abgrenzung von verwandten Begriffen an Klarheit.76 Sie ist bei ihm besonders notwendig, weil neben dem Begriffspaar abdingbares – zwingendes Recht ähnliche Begriffspaare bestehen, die häufig mit ihm verwechselt werden.77 Das liegt unter anderem daran, dass sich eine Vielzahl von Vorstellungen mit dem zwingenden Recht verbindet und 73   Siehe Art.  76 WRV; dazu Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, S.  187 f.; Maunz/Dürig53-Herdegen, Art.  79 Rn.  20; Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S.  278 f. mwN. 74   Maunz/Dürig53-Herdegen, Art.  79 Rn.  23 ff.; BeckOK-GG11-Dietlein, Art.  79 Rn.  5. 75   Im Einzelnen unten 1.E.1.b). 76   Die Definition eines Gegenstands soll nicht nur verdeutlichen, was er ist, sondern auch, was er nicht ist, Spinoza, Werke, Bd.  6 , Brief 50, S.  210; Gerring, Polity 1999, 357, 376; Jeand’Heur, in: Müller, Untersuchungen zur Rechtslinguistik, S.  17, 24, der dabei allerdings von der weitergehenden These ausgeht, dass es keine notwendigen Merkmale von Begriffen geben könne. 77   So etwa die Unterscheidung zwischen zwingenden Rechtsnorm und „Grundsatznormen mit programmatischem Charakter“, BVerwG, Beschluss vom 2.  9.  1998, 6 BN 6/983 zu §  1 Abs.  3 BNatSchG. Indes können auch Letztere sowohl zwingend als auch abdingbar sein. Gleiches gilt für die Bestimmung von Sumner, The Moral Foundations of Rights, p.  37, für den eine Norm zwingend („mandatory“) ist, wenn sie eine Handlung vorschreibt und sie den Betroffenen nicht freistellt. Das kann indes auch bei abdingbarem Recht der Fall sein.

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damit auch die Abgrenzung des abdingbaren Rechts in Zweifel zieht. So wird zwingendes Recht bisweilen als Verbotsgesetz verstanden, dessen Verletzung zur Rechtswidrigkeit der ihm zuwider laufenden Akte führt, 78 oder als striktes Gesetz, das ohne Ausnahme gilt. Entsprechend wäre abdingbares Recht die Masse derjenigen Normen, gegen die man ohne Sanktion verstoßen kann oder von denen Ausnahmen möglich sind. All das hat indes mit der beschriebenen Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm nichts zu tun. Daher ist eine Abgrenzung abdingbaren Rechts von Ausnahme(a), Billigkeits- (b) sowie Ordnungsnormen (c) erforderlich. a)  Ausnahmenormen Betrachtet man die Anwendung einer Norm als ihren Normalfall, so erscheint die Einschränkung ihrer Anwendbarkeit zunächst als Ausnahme. Dieser Ansicht war etwa Thudichum, als er schrieb: „Die Privatdispositionen verhalten sich also zum Gesetz wie die Ausnahme zur Regel“79. In diesem Punkt ähnlich behauptet in jüngerer Zeit Giorgio Agamben: „Der Ausnahmezustand definiert einen Zustand des Gesetzes, in dem die Norm zwar gilt, aber nicht angewandt wird“. 80 Trotz der Gegensätzlichkeit der Autoren haben sie die Vorstellung gemeinsam, dass die fehlende Anwendung der Norm eine Ausnahme sei. Abdingbare Normen scheinen in dieser Perspektive, den Normalfall zu regeln81 und nur als Ausnahme eine Abweichung zu gestatten. Der alltägliche Vorgang der Abbedingung ist indes kaum der Zustand einer Suspension des gesamten Rechts, wie ihn Agamben82 in der Folge von Carl Schmitt beschreibt. Er ist von einer Sekundärnorm vorgesehen, so dass mit ihm kein vom Recht unvorhergesehener Zustand eintritt. 83 Überdies ist die Verknüpfung abdingbaren Rechts mit dem Normalfall nicht notwendig. Vielmehr kann die Abbedingung einer Norm so üblich werden, dass ihre Anwendung zur Ausnahme wird. Das ist etwa bei der Pflicht zu Schönheitsreparaturen zu beobachten, die nach §  535 Abs.  1 S.  2 BGB der Vermieter trägt, jedoch typischerwei-

78   MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  146; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  31; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1076; sowie unten 1.B.1, Fn.  131. 79   Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148, 153. 80   Agamben, Ausnahmezustand, S.  4. 81   Hesselink, 1 ERCL 44, 72 (2005); ähnlich Endemann, BR, Bd.  1, S.  41; Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  254: „Aber das Vertragsrecht .  .  . drückt die normalen Bedingungen des Gleichgewichts aus“; Raiser, Das Recht der AGB, S.  293. 82   Agamben, Ausnahmezustand, S.  62; Schmitt, Politische Theologie, S.  13 ff. 83   Ein weiterer Unterschied zwischen der Abbedingung einer Norm und dem Eintritt eines Ausnahmezustands zeigt sich nach Agamben darin, dass in diesem die Gesetzeskraft fehlen soll, die er, um das Paradox eines Gesetzes ohne Gesetzeskraft zu beschreiben, als „Gesetzeskraft“ buchstabiert, Ausnahmezustand, S.  49.

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se auf den Mieter verlagert wird. 84 Die Abbedingung kann, aber muss somit keinen Ausnahmecharakter tragen. 85 Von den eine Ausnahme gestattenden Normen unterscheiden sich abdingbare Normen überdies dadurch, dass bei ihnen eine Abweichung erst aufgrund des Abbedingungsakts möglich wird. Demgegenüber erlauben Ausnahmenormen eine Abweichung bereits von Gesetzes wegen. So nimmt etwa §  581 Abs.  2 BGB den Landpachtvertrag von der Anwendung des Mietrechts aus, ohne dass es dafür einer gesonderten Entscheidung bedürfte. Gleichwohl lassen sich abdingbare Normen als Regelungen rekonstruieren, die eine Ausnahme zulassen. Denn einen Tatbestandvorbehalt kann man ebenso wie einen Normvorbehalt als Ausnahme für den Fall ansehen, dass ein Berechtigter die Norm abbedingt. Er lässt sich etwa als Aussage formulieren: „Ausnahmsweise gilt § x nicht, wenn die Parteien eine andere Bestimmung getroffen haben.“ Besonders nahe liegt diese Interpretation, wenn eine Abbedingung aufgrund der Durchsetzungskraft86 abdingbaren Rechts nur selten erfolgt. Oftmals entspricht die Rechtslage dem abdingbaren Recht. Funktionell ist es kein Unterschied, ob der Gesetzgeber für Ausnahmekonstellationen eine Sonderregel vorsieht oder den Adressaten eine Abbedingung gestattet. Durch beides ermöglicht er eine Anpassung an die individuellen Umstände. Sind Normen abdingbar, bedarf es daher in geringerem Ausmaß einer Ausnahmeregelung. Sie kommen daher ohne komplizierte Ausnahmetatbestände aus und sind somit einfacher. 87 Der Gesetzgeber mag davon ausgehen, dass die Normadressaten ihre Verhältnisse umfassend gestalten und er nur für den Ausnahmefall Normen vorgeben muss. 88 Wenn das Recht die Abdingbarkeit einer Norm erlaubt, so muss es die Abbedingung daher nicht als einen Sonderfall verstehen. Methodisch hat dies zur Konsequenz, dass ein die Abbedingung erlaubender Normvorbehalt nicht bereits wegen seines Ausnahmecharakters eng zu interpretieren ist.89 Abdingbare Normen sind aus diesen Gründen nicht unbedingt Ausnahmeregeln und eine Abbedingung nicht notwendig eine Abweichung vom Normalzustand.

84   BGH, NJW 1985, 480, 481 (= BGHZ 92, 363, 368); 2004, 2961, 2962: „Verkehrssitte“; Gramlich, Mietrecht10, §  535 Nr.  12; Blank/Börstinghaus-Blank, Miete3, §  535 Rn.  353. 85   Das gilt ebenso für zwingende Normen, Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  74; eingeschränkt zustimmend Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  43 mwN. 86   Unten 3. 87   Dazu im Einzelnen unten 3.C.1.c). 88   Zu dieser Vorstellung im Einzelnen unten 2.B.1. 89   Der Grundsatz einer engen Auslegung von Ausnahmevorschriften, etwa BGH, NJW 1959, 38, wird überwiegend eingeschränkt oder abgelehnt, Enneccerus/Nipperdey, AT, §  48, S.  296 f.; Larenz, Methodenlehre, S.  355 f.; Pawlowski, Methodenlehre, S.  219, Rn.  489a.

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b)  Billiges Recht Vom Begriffspaar abdingbares – zwingendes Recht abzugrenzen ist des Weiteren die Unterscheidung des billigen vom strikten Recht.90 Denn strikte Normen werden bisweilen auch zwingende Normen genannt91 und erscheinen damit auf den ersten Blick als das Gegenteil abdingbarer Normen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Ermessensentscheidung vorsehen.92 Dazu gehören die meisten schuldrechtlichen Ansprüche wie etwa die Primäransprüche auf Lieferung und Herstellung von Sachen. Demgegenüber handelt es sich um Billigkeitsnormen, wenn sie wie §  315 Abs.  1 BGB ein Ermessen vorsehen. Zwischen Ermessensnormen und abdingbaren Normen besteht indes kein begrifflicher Zusammenhang. Diese können sowohl zum Ermessensrecht zählen als auch zum strikten Recht. Der Grund für diese Unabhängigkeit beider Begriffspaare liegt darin, dass ihnen zwei unterschiedliche Fragen zugrunde liegen. Die Frage, ob eine Norm striktes Recht darstellt oder eine Billigkeitsentscheidung gebietet, betrifft ihren Inhalt. Es geht darum, ob dem Normanwender eine bestimmte Verhaltensweise vorgegeben oder ein Entscheidungsspielraum eröffnet ist. Allein deshalb, weil eine Norm dem Adressaten die Möglichkeit einräumt, eine Entscheidung nach Billigkeit zu treffen, verschafft sie ihm nicht die Möglichkeit, ihre Anwendbarkeit auszuschließen. Daher gehören nicht alle ermessenseröffnenden Normen zum abdingbaren Recht. Demgegenüber geht es bei der Frage nach der Abdingbarkeit einer Norm um ihren Status. Ein bestimmter Inhalt der abzubedingenden Norm ist mit ihm nicht vorgegeben. Aus diesem Grund kann striktes Recht sowohl zwingend als auch abdingbar sein. So ist der Gewährleistungsanspruch bei der Lieferung 90   Zum Begriff Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  306; Bork, AT, S.  38, Rn.  95; Köhler, BGB AT, §  3 Rn.  19 ff., S.  14; Pawlowski, AT, S.  36, Rn.  73. Terminologisch entspricht dies der Unterscheidung zwischen ius aequum und ius strictum, wobei Ersteres für eine Vielzahl unterschiedlicher teils rechtlicher, teils rechtspolitischer Vorstellungen diente, siehe Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1137a–1137b; Corpus Iuris Civilis, D. 2.14.52.3; D. 50.17.90; Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI: 341; Lange, SZ 1954, S.  319, 324; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  284; Behrends, in: Dilcher/Staff, Christentum und modernes Recht, S.  267, 283; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  50, S.  306. Dem entspricht weithin die viel diskutierte Unterscheidung zwischen „rules“ und „standards“, siehe Kennedy, 89 Harvard Law Review 1685, 1689 (1976); ders., 10 European Review of Private Law 2002, 7, 20; Schauer, Playing by the Rules, p.  104; Sullivan, 106 Harvard Law Review 22, 57 (1992); Kaplow, 42 Duke Law Journal 557 (1992); Peppet, 82 Texas Law Review 227, 235 (2003); Cohen, Encyclopedia of Law and Economics, 4400, p.  95. 91   Etwa Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, §  522 Rn.  26; MünchKommStGB1-Gemmeren, §  6 4 Rn.  66. Wie hier hingegen Bork, AT, S.  39, Rn.  95: „Auch billiges Recht .  .  . kann zwingendes Recht sein.“ 92   Pawlowski, AT, S.  36, Rn.  73 bestimmt strenges Recht hingegen so, dass dieses keine Ausnahmen vorsehe. Nach Otte, in: Schilcher/Koller/Funk, Regeln, Prinzipien und Elemente des Rechts, S.  143, 144 zeichnen sich dadurch Regeln im Gegensatz zu Prinzipien aus.

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mangelhafter Sachen nach §  437 BGB strikt, weil er unabhängig von einer Ermessensentscheidung entsteht. Gleichwohl ist er zwingend oder abdingbar, je nachdem, ob der Käufer ein Unternehmer oder Verbraucher ist, §  475 Abs.  1 BGB. Ebenso können Ermessensnormen zwingend oder abdingbar sein. So eröffnet die Leistungsbestimmung einer Partei gemäß §  315 BGB ein Ermessen und ist im Grundsatz abdingbar.93 Jedoch ist sie durch AGB nur begrenzt abdingbar und insoweit zwingend.94 Die Frage, ob die Anwendbarkeit einer Norm ausgeschlossen werden darf, ist somit streng von der Frage zu unterscheiden, ob sie ihrem Adressaten ein Ermessen einräumt. Abdingbare Normen und Ermessensnormen sind folglich nicht identisch. Der klassische Fall der Abbedingung ist ein zweiseitiger Akt, nämlich ein Vertragsschluss. Demgegenüber erfolgt eine Ermessensentscheidung typischerweise einseitig. Der Abschluss des Vertrages ist frei, das Ermessen vielfach gebunden. Ausgerichtet ist es meist an bestimmten vorgegebenen Zielen wie etwa der öffentlichen Sicherheit oder den Interessen beider Parteien. Der Entscheidende hat diese Ziele umzusetzen und ist dabei an zahlreiche Ermessensschranken gebunden. Demgegenüber ist die Abbedingung dem Berechtigten meist frei gestellt. Ihm bleibt die Entscheidung überlassen, ob, wie und wann er sie vornimmt. Wie er sich entscheidet, muss er nicht begründen.95 Aus diesem Grund kommt abdingbares Recht vor allem dort zur Geltung, wo man es mit inhaltlich nicht kontrollierbaren Entscheidungen autonomer Personen zu tun hat. Das ist vor allem im Privatrecht der Fall, daneben aber auch im Völkerrecht, das die Entscheidungen der souveränen Staaten kaum beschränkt.96 Wie das Privatrecht wird es deshalb zu einem erheblichen Teil97 durch Verträge geprägt, die von den sonst zum Zuge kommenden völkerrechtlichen Normen abweichen. Je stärker der Billigkeitscharakter einer Norm ist, desto schwerer fällt es dem Recht, ihre Abbedingung zu akzeptieren. Denn das dann auszuübende Ermessen erlaubt in stärkerem Maße als strikte Normen die Berücksichtigung von   BGH, NJW-RR 1986, 164, 165; BeckOK-BGB20 -Gehrlein, §  315 Rn.  1; MünchKommBGB5-Gottwald, §  315 Rn.  12; anders Staudinger2004-Rieble, §  315 Rn.  34 (kein „dispositives Recht, sondern bloße Auslegungshilfe“). 94   Zu diesen Grenzen OLG Saarbrücken, NJW 1988, 3210, 3211; MünchKommBGB5Gottwald, §  315 Rn.  20; Staudinger2004-Rieble, §  315 Rn.  227. 95   Das ist ein Ausfluss der privatrechtlichen Freiheit („Stat pro ratione voluntas“), Flume, AT, Bd.  2, S.  6 ; weitere Nachweise unten 4.B.2.a), Fn.  140. 96   BVerfG, JZ 1965, 355, 356 (= BVerfGE 18, 441, 448 f.): „Das Völkergewohnheitsrecht ist durchweg nachgiebiges Recht. .  .  . Nur einige elementare Rechtsgebote werden als vertraglich unabdingbare Regeln des Völkergewohnheitsrechts anzusehen sein.“; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Band  I /3, S.  536–537, 707 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/ Hopfauf12-Hillgruber, Art.  25 Rn.  13; zur Entwicklung Verdross, The American Journal of International Law 1966, 55. 97   Siehe als Beispiel einer abdingbaren Norm Art.  18 Abs.  1 S.  1 des Haftungsbeschränkungsübereinkommens für Seeforderungen vom 19.  11.  1976, BGBl.  1986 II, S.  786, 799. Generell Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band  I /3, S.  521 ff.; Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  11. 93

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Wertungen der Rechtsordnung. Die Disposition über sie schließt daher nicht nur eine Norm aus, sondern eine ihr zugrunde liegende Wertentscheidung der Rechtsgemeinschaft – und genau dies wird vielfach nicht hingenommen.98 Anders ist dies zumindest bei den strikten Normen, die wie Fristenregeln einen eher technischen Charakter tragen.99 Der Ausschluss ihrer Anwendbarkeit bedarf nicht im gleichen Maße einer Legitimation. Angesichts dieser Unterschiede ist es zur Vermeidung einer Begriffsverwirrung wichtig, die Verschiedenheit abdingbarer, billiger und strikter Normen im Auge zu behalten. c)  Ordnungsnormen Abdingbares Recht bedarf schließlich der Abgrenzung von Ordnungsnormen.100 Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen sie, bleibt es wirksam.101 Damit unterscheiden sie sich von Normen, bei denen jeder Verstoß zur Nichtigkeit des Rechts­ geschäfts führt. Typisch für Ordnungsnormen sind zwingende Verfahrens­ vorschriften, deren Bruch die Wirksamkeit einer späteren Entscheidung nicht berührt. Berücksichtigt ein Berufungsgericht etwa verspäteten Vortrag, so verletzt es das Prozessrecht, §  529 Abs.  1 ZPO. Gleichwohl hat eine dann getroffene Entscheidung Bestand.102 Die fehlende Sanktion der Ordnungsnormen erweckt den Eindruck, als ob das Recht eine Abweichung von ihnen duldet. Mit der älteren Sanktionstheorie103 ließe sich sogar in Zweifel ziehen, ob es sich bei ihnen überhaupt um Recht handelt.104 Im Fehlen einer Sanktion ähneln sie auf den ersten Blick dem abding  Dazu im Einzelnen unten 5.B.3.b)   Gegen diese Vorstellung Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  55 (der auf das Ziel einer gerechten Privatrechtsordnung verweist); Lieb, AcP 183 (1983), 327, 348 (der den unpolitischen Charakter einer Schuldrechtsreform für illusionär hält); Kennedy, 10 European Review of Private Law 2002, 7, 15 (der die Unvermeidbarkeit einer individualistischen bzw. altruistischen Sicht behauptet); Hesselink, 1 ERCL 44, 63, 81 (2005). 100   Unterschieden etwa in BGH, NJW 2000, 1186, 1188 (= BGHZ 143, 283, 288). 101   So etwa die Begriffsverwendung in BGH, NJW 1951, 807; 1973, 1371, 1372; 1990, 1354, 1355 (= BGHZ 108, 364, 368); 1995, 1756; NJW-RR 2008, 1741, 1742. Zum Teil werden sie auch als Sollvorschriften bezeichnet, etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO69, Einl III Rn.  32. Anders ist der Begriffsgebrauch, wenn unter ihnen Normen verstanden werden, deren Verletzung ein Rechtsgut nur abstrakt, aber nicht konkret gefährdet, etwa Köhler, Strafrecht AT, S.  409. Zum entsprechenden Verständnis von „directory norms“ Šarcˇevic´, New Approach to Legal Translation, p.  138; Dane, 23 Hofstra Law Review 1, 37 (1994). 102   BGH, NJW 2004, 1458, 1459; 2005, 1583, 1585 (= BGHZ 162, 313, 319); 2007, 3127, 3128; MünchKommZPO3-Rimmelspacher, §  529 Rn.  4 4; Musielak-Ball, ZPO8, §  529 Rn.  26. A. A. Lechner, NJW 2004, 3593, 3598. 103   Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI: 231; Bentham, Of Laws in General, p.  136; von Jhering, Der Zweck im Recht, S.  338; Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  26, 114 ff.; ders., Allgemeine Theorie der Normen, S.  115; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  9 ; neuerdings (aus philosophischer Perspektive) Stemmer, Normativität, S.  157; zur Kritik Hart, The Concept of Law, p.  26, 33; von der Pfordten, Rechtsethik, S.  75; Renzikowski, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S.  115, 118 mwN. 104   Gleiches gilt für die Normen, deren Verletzung nur auf Hinweis und nicht bereits von 98

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baren Recht. Auch dieses ermöglicht, von den vorgegebenen Verhaltensanforderungen sanktionslos abzuweichen. Daher werden beide bisweilen miteinander verwechselt.105 Umso wichtiger ist es, sich deren Unabhängigkeit zu verdeutlichen: Ordnungsnormen können, aber müssen nicht abdingbar sein. Dass etwa die Instanzgerichte verspäteten Vortrag verwerten können, ohne damit einen Revisionsgrund zu schaffen, besagt nicht, dass sie ihn verwerten dürfen. Ob die Normadressaten die Möglichkeit zu einer abweichenden Bestimmung haben, ist streng von der Frage zu unterscheiden, welche Folgen die Verletzung der Norm hat. Nicht alle Ordnungsnormen sind abdingbar; nicht alle von ihnen unterschiedenen Normen zwingend. Gleichwohl sind Ordnungsnormen in der Regel abdingbar.106 Denn ist die sanktionslose Verletzung einer Norm möglich, fehlt meist ein schützenswertes Interesse, eine anderweitige Disposition zu verbieten. Umgekehrt aber gilt nicht, dass abdingbare Normen in der Regel Ordnungsnormen sind. Sie sind typischerweise mit denselben Sanktionen ausgestattet wie zwingendes Recht.107 Die Unterscheidung abdingbarer Normen vom zwingenden Recht darf daher nicht zur Annahme verleiten, sie seien Recht minderer Güte,108 ein bloßer Vorschlag oder nur Vermutungen109 über Rechte oder Pflichten. Ihre Rechtsfolgen treten mit derselben Verbindlichkeit ein wie beim zwingenden Recht110 und haAmts wegen zu berücksichtigen ist. Nach der älteren Auffassung Burckhardts, Methode und System des Rechts, S.  170, sind zwingende Normen im Gegensatz zu abdingbaren Normen von Amts wegen durchzusetzen; widerlegt durch Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  117, 290. 105   So etwa BGH, NJW 2007, 448, 449; 2007, 930 f., wo die Rechte der Wohnungsinhaber zur Anwesenheit bei einer Durchsuchung als „zwingendes Recht und nicht lediglich [als] Vorschriften [bezeichnet wurden], die zur beliebigen Disposition der Ermittlungsorgane stehen“. Indes ging es nicht um die Disposition über eine Norm, sondern um die Folgen eines Verstoßes gegen sie. 106   Das verkennen Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  303, die sie als ausnahmslos zwingend einordnen. 107   Problematisch ist daher die Charakterisierung von Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 706 (1999): „Therefore, one can identify which laws are default and which are mandatory by examining the sorts of contract terms that are, and are not, enforceable.“ 108   An der Rechtsquellenqualität zweifelt etwa Riesenhuber-Schmidt-Kessel, Europäische Methodenlehre, §  17 Rn.  34, S.  504. Dagegen bereits Bülow, AcP 164 (1881), 1, 46 f.; Endemann, BR, Bd.  1, S.  40. 109   So Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 239 (1988). Siehe hingegen Dancy, Ethics Without Principles, pp.  31, der zwischen „prima facie duties“ und „contributory ought“ unterscheidet. 110   Deutlich in der Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993, Erwägung 13: „der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde“. Siehe Windscheid/Kipp, Lehrbuch, Bd.  1, S.  127: „Ein gewisser Zwang liegt auch in den sog. nachgiebigen Sätzen“. Hingegen bestreitet Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  228, die Verbindlichkeit dispositiver Normen mit dem Hinweis auf deren Abdingbarkeit; ähnlich versteht Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  217 die vorgegebene Handlung als „bloß erlaubt“. Stellt man mit Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  115 eine „com-

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ben dieselbe Verpflichtungskraft wie dieses. Sieht man vom Abbedingungsvorbehalt ab, sind ihre Anordnungen kategorisch und nicht nur hypothetisch.111 Solange die Parteien keine gegenteilige Absprache nachweisen können, müssen sie sich an die abdingbare Vorgabe halten. Die Rechtsfolge tritt mit derselben Unerbittlichkeit ein. Die Verletzung nicht abbedungener Gewährleistungsnormen etwa führt zu denselben Ansprüchen auf Schadensersatz wie die Verletzung zwingender Gewährleistungsnormen.

4.  Das Verhältnis abdingbarer Normen und verfügbarer Rechte Die Frage nach der Abdingbarkeit einer Norm setzt einiges voraus. Man muss verstehen, was eine Norm ist, und was es bedeutet, ihre Anwendbarkeit auszuschließen. Leichter fällt es, von verfügbaren Rechten zu sprechen. Denn ein Recht zu haben ist eine bereits in der Alltagssprache fest verwurzelte Vorstellung. Gleiches gilt für die Aufgabe oder den Verzicht auf ein Recht. Selbst die Unverfügbarkeit von Rechten und Rechtsgütern steht plastischer vor Augen als zwingende Normen. Entsprechend hat die philosophische112 und juristische Tradition die Verfügbarkeit von Rechten stärker thematisiert als die Abdingbarkeit von Normen und deshalb etwa nach angeborenen Rechten gefragt, über die der Einzelne nicht verfügen darf.113 Daher ist es kein Zufall, dass die Menschenrechtsdeklarationen von der Unveräußerlichkeit der in ihnen formulierten Rechte sprechen und nicht von der Unabdingbarkeit ihrer Artikel.114 Das ist jedoch insofern irreführend, als der Einzelne weithin auch auf Grund- und mand-and-control“-Regulierung einer Regulierung durch bloße Optionen gegenüber, so würde es zu Ersterer gehören. 111   Kants Unterscheidung zwischen hypothetischen und kategorischen Imperativen, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV: 414, deckt sich auch deshalb nicht mit der zwischen abdingbaren und zwingenden Normen, weil Letztere eine rechtliche und keine ethische ist, so dass offen bleiben kann, ob die von ihnen gebotenen Handlungen extrinsisch oder intrinsisch gut sind. 112   Etwa Hobbes, Leviathan, pp.  66, 112; Locke, Two Treatises of Government, 2nd Treatise, chapt. IV, §  23, p.  284; Rousseau, 4. Kapitel, Der Gesellschaftsvertrag, S.  34; McConell, Law and Philosophy 3 (1984), 25; siehe auch Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, S.  76 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  25 f. Ebenso konstatiert Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  9 für das Mittelalter die Auflösung des Rechts in „die Rechte“; ähnlich Dernburg, Pandekten, Bd.  1, S.  85. 113   Etwa Grotius, De jure belli ac pacis, 2. Buch, 2. Kap., I, S.  146 ff.; von Pufendorf, De iure naturae et gentium, Teil  1, III. Buch, II. Capitel, S.  568 ff.; Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit, I, §  1, S.  31, 34; Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  116 ff., S.  183 ff. 114   Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Präambel, Abs.  1; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, Präambel, Abs.  1; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, Präambel, Abs.  1; Art.  1 Abs.  2 GG. Möglich erscheint allenfalls, zwischen der Unübertragbarkeit (inalienability) und der Unaufgebbarkeit (indefeasability) zu unterscheiden, Feinberg, Rights, Justice, and the Bounds of Liberty, p.  241.

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Menschenrechte verzichten kann.115 Aus diesem Grund ist der Gesetzgeber dazu übergegangen, anstatt der Unveräußerlichkeit einzelner Rechte die Abdingbarkeit der sie konstituierenden Normen zu regeln. Anders als die Veräußerbarkeit eines Rechts, die entweder besteht oder nicht besteht, lässt sich die Abdingbarkeit einer Norm unter bestimmte Bedingungen stellen. Ist die Abbedingung einer Norm somit nur ein anderer Ausdruck für die Verfügung über ein Recht? Das hängt davon ab, ob jede Abbedingung eine Verfügung über ein Recht darstellt. Das ist nicht der Fall. Denn es gibt Normen, die kein Recht begründen, so dass ihre Abbedingung nicht mit der Disposition über ein Recht einhergeht. Nehmen die Bundesländer etwa die Abweichungskompetenz nach Art.  72 Abs.  3 GG in Anspruch, verfügen sie nicht über Rechte im engeren Sinn, auch wenn sie die sonst zur Anwendung kommenden Bundesnormen abbedingen. Gleiches gilt im Privatrecht für die Abbedingung von Naturalobligationen wie etwa aus Spiel und Wette nach §  762 BGB.116 Mit deren Abbedingung erfolgt keine Verfügung über ein Recht. Ferner gibt es eine Vielzahl von Normen, die kein bestimmtes Recht gewähren und deren Abbedingung folglich auch nicht zur Aufhebung eines Rechts führt. Das gilt etwa für die Fristberechnung der §§  186 ff. BGB. Allenfalls kann man sie als Teilregelung von Rechten begreifen.117 Aus diesen Gründen sind abdingbare Normen gegenüber verfügbaren Rechten der umfassendere und somit genauere Begriff. Er vermeidet die Unklarheit, die den Begriff eines Rechts umgibt.118 Gleichwohl besteht zwischen der Abdingbarkeit einer Norm und der Verfügbarkeit über ein Recht ein enger Zusammenhang: Ist ein Recht verfügbar, existiert mindestens eine abdingbare Norm, die mit der Verfügung ihre Anwendbarkeit verliert. Das ist diejenige Norm, die dem Inhaber ein Recht zuweist. Ist ein Recht hingegen unverfügbar, gibt es wenigstens eine zwingende Norm, die eine Disposition untersagt. Dass das Recht danach weiter beim bisherigen Inha-

115   Siehe BVerwG, NJW 1982, 840; 2004, 1191, 1192 (= BVerwGE 119, 123, 127); BeckOKGG11-Hillgruber, Art.  1 Rn.  73; Bleckmann, JZ 1988, 57, 59; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  III/2, §  86, S.  9 02 ff. mwN.; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  89 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  154 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  138 ff. Kritisch v. Mangoldt/Klein/Starck 6 , Art.  1 Abs.  3 Rn.  301; Sturm, FS Geiger, S.  173, 197; Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  19 ff., der einen Verzicht als vollständige Aufgabe von einer Einwilligung unterscheidet; offen gelassen von BVerfG, NJW 1982, 375. 116   Zwar wird §  762 BGB überwiegend als zwingend angesehen, Jauernig13-Stadler, §  762 Rn.  1; MünchKommBGB5-Habersack, §  762 Rn.  18. Jedoch dürfte das nicht für alle damit zusammenhängenden Fragen gelten wie etwa die Erstattbarkeit der Verzugskosten. 117   Vgl. Larenz/Wolf, AT, §  14 Rn.  8 , S.  241; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §  4 4, S.  363 ff.; Bork, AT, S.  119, Rn.  289 (zum Rechtsverhältnis); entsprechend Alexy, Theorie der Grundrechte, S.  224 für die Grundrechte; BGH, NJW 2010, 2789, 2791 für die Preisvereinbarung. 118   Dazu unten 1.C.1.

A.  Die Bestimmung abdingbaren Rechts

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ber bleibt, ergibt sich aus dem Kontinuitätsgrundsatz.119 Nach ihm behält man ein Recht, solange es nicht untergeht, man es nicht an andere überträgt oder es aufgibt. Dieser Grundsatz ist so selbstverständlich, dass er meist nicht ausdrücklich formuliert wird. Jede denkbare Alternative zu ihm ist so unpraktikabel und fernliegend, dass sie nicht erst gesetzlich ausgeschlossen werden muss. So würde etwa das generelle Erlöschen von Rechten mit Ablauf einer bestimmten Zeit eine längerfristige Planung vereiteln und den Anreiz zum Erwerb dauerhafter Rechtspositionen nehmen. Der Kontinuitätsgrundsatz erklärt daneben, warum die Verfügung über ein Recht auf die Abbedingung einer Norm zurückgeht. Die Berechtigten disponieren über diesen Grundsatz, indem sie bestimmen, dass anders, als von ihm vorgesehen, ein bestimmtes Recht fortan einem anderen zustehen soll. Durch diese Verfügung verliert der Kontinuitätsgrundsatz nicht seine Geltung. Er ist lediglich auf einen bestimmten Sachverhalt nicht anwendbar. Die Verfügung über ein Recht als Abbedingung einer Norm zu begreifen ermöglicht es, die Unterscheidung zwischen den veräußerlichen und unveräußerlichen Rechten auf den allgemeineren Unterschied zwischen zwingenden und abdingbaren Normen zurückzuführen. Unveräußerliche Rechte sind danach diejenigen, für die der Kontinuitätsgrundsatz unabdingbar ist. Ihr Inhaber soll das Recht behalten, selbst wenn er eine andere Bestimmung trifft. Er kann weder auf es verzichten noch es auf andere übertragen. Veräußerbaren Rechten hingegen liegen abdingbare Normen zugrunde. Denn über sie dürfen die Adressaten verfügen, ohne daran durch zwingende Normen gehindert zu sein. Die Aufgabe eines Rechts ist die stärkste Beeinträchtigung eines Rechts und insofern die weitreichendste Disposition über es. Mit ihr tritt ein anderer Zustand ein, als die Rechtsordnung zunächst vorsieht. Mindestens eine auf das jeweilige Recht bezogene Norm verliert dabei ihre Anwendbarkeit. Auch die Aufgabe eines Rechts ist daher eine Abbedingung. Im Begriff der Disposition über ein Recht deutet sich dies an. Er ähnelt dem Begriff des dispositiven Rechts.120 Verstünde man stattdessen nur die schuldrechtliche Einschränkung eines Rechts, nicht aber seine dingliche Aufgabe als Abbedingung, so wäre nicht verständlich, warum man beide einander annähern kann. Die schuldrechtliche Einschränkung eines Rechts lässt sich nämlich Stück für Stück so steigern, dass sie praktisch zur Aufgabe eines Rechts wird. Verleiht beispielsweise ein Eigen119   Vgl. Hart, The Concept of Law, p.  69, 93; Finnis, Natural Law and Natural Rights, p.  268. Zu unterscheiden ist er von einem verfassungsrechtlichen Kontinuitätsgebot, siehe Leiser, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S.  165 ff.; kritisch dazu Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  260. 120   Das gilt besonders für die Verwandtschaft von Dispositionen über das Eigentum und vertraglicher Disposition, vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  458.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

tümer eine Sache auf Dauer an einen anderen, verzichtet er zugleich auf ihre Rückforderung und ermächtigt den Entleiher zu ihrer Übertragung an Dritte, so hat er sie faktisch übereignet.121 Von seiner Eigentümerstellung verbliebe ihm nur der Titel. Da dies in der Wirkung einer Übereignung gleichkommt, wäre es unverständlich, wenn man dies als Abbedingung einer Norm verstehen wollte, nicht aber eine noch darüber hinausgehende dingliche Disposition. Rechte, über die man verfügen kann, sind somit abdingbar; unveräußerliche Rechte hingegen zwingend. Eine Sonderform der Veräußerung eines Rechts ist der Verzicht. Auch er ist eine Abbedingung, da der Verzichtende mit der Aufgabe eines Rechts122 die Anwendung der ihn begünstigenden Normen ausschließt. Anders als zunächst vorgesehen, kann er sich fortan nicht mehr auf sie berufen. Bisweilen wurden abdingbare Normen deshalb als verzichtbare Normen bezeichnet.123 Von den übrigen Formen der Abbedingung unterscheidet sich der Verzicht durch seinen einseitigen Charakter. Der Verzichtende muss sich nicht erst noch mit einem anderen verständigen. So wie die Veräußerbarkeit eines Rechts steht auch der Verzicht auf es eindrücklicher vor Augen als die Abbedingung einer Norm. Er scheint auch rechtsgeschichtlich früher als diese aufgetreten zu sein.124 In jüngerer Zeit hingegen spricht die Rechtswissenschaft seltener von der Unverfügbarkeit eines Rechts als vom zwingenden Charakter einer Norm. Die Unverzichtbarkeit und Unveräußerbarkeit bilden lediglich einen Spezialfall der Abbedingung und eignen sich deshalb nicht als generelle Bezeichnung. Da zudem kaum Rechte existieren, über die man nicht einmal ausnahmsweise disponieren kann, liegt es näher, ihren teilweise zwingenden Charakter zu thematisieren als ihre Unverfügbarkeit.125 Die Unterscheidung abdingbaren und zwingenden Rechts ist daher trotz geringerer Einprägsamkeit umfassender und damit geeigneter als die Unterscheidung veräußerlicher und unveräußerlicher Rechte.

121   Schuldrechtlich handelt es sich dann um eine Schenkung oder Leihe, siehe BeckOKBGB20 -Wagner, §  598 Rn.  6 ; MünchKommBGB5-Häblein, §  598 Rn.  9 ; Staudinger2005-Reuter, §  598 Rn.  7 f.; für das Wohnrecht auf Lebenszeit offen gelassen in BGH, NJW 1985, 1553, 1554. 122   Vgl. MünchKommBGB5-Schlüter, §  397 Rn.  1, 19; Staudinger2005-Rieble, §  598 Rn.  55, 62 ff.; Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, S.  2 mwN. 123   Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148. Zum Teil wird ein Verzicht aber auch von der Abbedingung unterschieden, Möslein, Dispositives Recht, S.  6 4 f. mwN. 124   Vgl. Corpus Iuris Civilis, D.2.11.4.4; D.2.14.2.1; Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, S.  76 ff., 82. 125   So etwa bei der aus Art.  101 Abs.  1 S.  2 GG folgenden und in §  355 ZPO konkretisierten Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, auf die nach BVerfG, NJW 2008, 2243, 2244 ein Verzicht möglich ist.

B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht

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B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht Um abdingbare Normen einzuordnen, ist es des Weiteren wichtig zu verstehen, welche alternativen Regelungen zu ihnen bestehen. Das Recht kann eine Frage entweder durch eine spezielle oder eine generelle Norm beantworten oder ganz auf eine Regelung verzichten. Eine spezielle Norm sieht bestimmte Rechte und Pflichten vor, eine generelle Norm macht diese von konkretisierungsbedürftigen Begriffen abhängig, indem sie etwa eine Billigkeitsentscheidung erfordert. Bei der Ausfüllung gesetzlicher Lücken stehen sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte vor dieser Wahl zwischen generellen und speziellen Normen. Die Unterscheidung zwischen generellen und speziellen Normen besteht unabhängig von derjenigen zwischen abdingbaren und zwingenden.126 Generelle und spezielle Normen können ebenso abdingbar wie zwingend sein. Eine Billigkeitsentscheidung etwa vermag, dieselbe zwingende Wirkung zu entfalten wie die konkrete Festlegung zwingenden Rechts in einer einzelnen Norm. Die meisten abdingbaren Normen jedoch sehen eine spezielle Regelung vor, enthalten also einzelne Rechte und Pflichten. Das gilt sowohl für die per Gesetz als auch für die per Rechtsfortbildung entwickelten Normen. Insoweit stehen sie nicht nur im Gegensatz zu einer zwingenden Regelung (1), sondern ebenso zu generellen Regelungen, die Rechte und Pflichten entweder pauschal (2) oder per Billigkeitsentscheidung (3) festlegen. Darüber hinaus unterscheiden sie sich von bedingbaren Normen, die nur zur Anwendung kommen, wenn die Normadressaten ihnen zustimmen (4).

1.  Das zwingende Recht Zwingendes Recht ist aufgrund seiner unbedingten Wirkung das direkteste Mittel, mit dem der Gesetzgeber seine Ziele verfolgen kann. Mit ihm nimmt er den Adressaten entweder die Möglichkeit, eine abweichende Absprache zu treffen, oder verbietet sie ihnen unmittelbar.127 Zwingende Normen müssen die Adressaten nicht unbedingt zu einem bestimmten Verhalten verpflichten oder ihnen eine bestimmte Handlung verbieten.128 Es genügt, dass sie unausweichliche Bedingungen aufstellen, wenn ein bestimmtes Ziel verwirklicht werden soll.129 Das ist etwa beim Vertrag zulasten Dritter der Fall, zu dessen Abschluss den Beteiligten die Kompetenz fehlt und der ihnen daher nicht erst noch verbo-

  Mayer-Maly, in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S.  123, 138.   Zur Unterscheidung Flume, AT, Bd.  2, S.  343; Deinert, Zwingendes Recht, S.  8 ff. 128   MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  46; anders noch die Vorstellung von Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 250. 129   Weber, Rechtssoziologie, S.  134 vermutete, dass diese Art der Regulierung im modernen rationalisierten Recht häufiger auftritt als ein unmittelbares Verbot. 126 127

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ten werden muss.130 Häufiger jedoch erklärt das zwingende Recht eine abweichende Absprache für rechtswidrig. Damit kann, aber muss nicht deren Nichtigkeit einhergehen.131 Denkbar ist auch, dass das Recht lediglich die Berufung auf die Norm verbietet132 oder beiden Parteien die Obliegenheit einräumt, die Unwirksamkeit gerichtlich geltend zu machen133 . Die Frage nach dem abdingbaren oder zwingenden Charakter einer Norm betrifft ihren Status, nicht aber ihren Inhalt.134 Unabhängig von diesem lässt sich entscheiden, ob die Normadressaten die Anwendbarkeit ausschließen dürfen. Der abdingbare oder zwingende Status einer Norm ist mit ihrem Inhalt somit nicht vorgegeben. Abdingbare und zwingende Normen können auf der Primärebene identisch sein, auch wenn sie sich auf der Sekundärebene durch die Abdingbarkeit unterscheiden. Deshalb führt die ältere Bezeichnung zwingenden Rechts als gebietende oder verbietende Vorschriften135 in die Irre. Denn auch abdingbare Normen gebieten und verbieten.136 Die Frage ist lediglich, ob sich an der Anwendbarkeit des Gebots oder Verbots etwas ändert, wenn die Normadressaten das Gegenteil bestimmen. Um zwingendes Recht handelt es sich dann, wenn dies nicht der Fall ist. Zwingende Vorgaben haben den Vorteil eines einheitlichen Rechts, von dem es keine Ausnahmen gibt. Alle Beteiligten können sich auf dieses einstellen und müssen nicht damit rechnen, dass Verträge oder einseitige Verfügungen es modifizieren. Im Vergleich zu einem pauschalen Ausschluss sämtlicher Rechte und 130   BVerfG, NJW 1987, 827, 828 (= BVerfGE 73, 261, 271); BGH, NJW 1972, 942, 943 (= BGHZ 58, 216, 220); 1974, 96 (= BGHZ 61, 359, 361); 1995, 3183, 3184; 2004, 3326, 327; Larenz, Schuldrecht, AT, S.  233; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  88; BeckOK-BGB20 -Janoschek, §  328 Rn.  5 ; MünchKommBGB5-Gottwald, §  328 Rn.  188. Zum historischen und philosophischen Hintergrund Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, S.  101 f.; von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  137; Mill, On Liberty and Other Essays, p.  115. Zum Zusammenhang mit einem Kartellverbot Bachmann, Private Ordnung, S.  145. 131   Diese ergibt sich aus der zwingenden Norm selbst oder aus §  134 BGB, siehe BGH, NJW 1985, 1020 (= BGHZ 93, 264, 267); 1990, 1354, 1355 (= BGHZ 108, 364, 368); 2000, 1186, 1187 (= BGHZ 143, 283, 286); BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  134 Rn.  9 ff.; jurisPKBGB5-Nassall §  134 Rn.  4 ff.; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  46; Staudinger2003Sack, §  134 Rn.  31; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1076; Boemke/Ulrici, AT, S.  193; Deinert, Zwingendes Recht, S.  8 ff. 132   So etwa mit der Formulierung „darf sich nicht berufen“ in §§  4 44, 475 Abs.  1 S.  1, 478 Abs.  4 S.  1 BGB; 1 Abs.  4 S.  2, 27 Abs.  2 S.  2 ErbbauRG; dazu Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  105, S.  70; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  248. 133   So tritt nach §  8 PreisklauselG die Unwirksamkeit einer unzulässigen Preisbindung erst mit gerichtlichem Urteil ein, sofern nichts anderes vereinbart ist. 134   Dazu bereits oben 1.A.3.b). 135   Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  303. 136   Theoretisch kann eine abdingbare Norm einen Verbotscharakter tragen, etwa wenn sie nur unter bestimmten Bedingungen (wie einer Vereinbarung nach Entstehung des Interessenkonflikts) abdingbar ist, im Übrigen aber ein Verbot im Sinne des §  134 BGB aufstellt, a. A. MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  46.

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Pflichten vermag es, differenzierter auf die einzelnen Sachverhalte einzugehen und dabei angemessenere Lösungen vorzusehen. Zudem müssen die Beteiligten bei ihm in der Regel nicht fürchten, dass es sie übervorteilt. Zugleich verhindert es dadurch, dass sie ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich gestalten und die generellen Regeln auf ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen. Um diesen gleichwohl gerecht zu werden, wird die Strenge zwingenden Rechts vielfach durch Billigkeitsausnahmen flankiert. Erklärt das Gesetz eine Norm im Grundsatz für zwingend, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass eine vertragliche Gestaltung ihrer Rechtsfolgen schlechthin ausscheidet. Denn denkbar bleibt, dass die Normadressaten einzelne Tatbestandsmerkmale konkretisieren dürfen. Das ist etwa bei der Anordnung der Vorsatzhaftung in §  276 Abs.  1 S.  1 BGB der Fall.137 Er definiert den Vorsatz nicht. Da den Parteien jedoch die Einhaltung einer unklaren Norm nicht zumutbar ist, dürfen sie ihn zumindest für den unbestimmten Randbereich festlegen.138 Damit können sie von der Anordnung abweichen, die anderenfalls zur Anwendung käme. Insofern ist §  276 Abs.  1 BGB abdingbar.139 Im Vergleich zu einer offenen Billigkeitsentscheidung haben die inhaltlich bestimmten zwingenden Normen den Vorteil größerer Voraussehbarkeit. Allerdings ist dieser Vorteil je nach den in ihnen verwendeten Begriffen mehr oder weniger stark. Verschiedene Übergangsformen zu einer Billigkeitsnorm sind möglich, so etwa wenn eine Norm nicht im Tatbestand, aber in der Rechtsfolge wertungsabhängige Begriffe verwendet. Bei der Anwendung dieser Begriffe kann das Recht auf die Entscheidung der Normadressaten Rücksicht nehmen. Obwohl derartige Normen in diesem Punkt dann abdingbaren Normen gleichen, bleiben sie zwingendes Recht. Das ist etwa bei der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach §  307 BGB der Fall. Sie hängt von einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ab,140 die auch berücksichtigt, wie stark die Parteien an der Absprache beteiligt waren. Gleichwohl ist sie zwingendes Recht, da dessen Anwendbarkeit der Disposition der Einzelnen entzogen ist. Liegt der Tatbestand vor, tritt zwingend die Rechtsfolge ein. Auf die Entscheidung der Adressaten kommt es insoweit nicht an. Darin liegt der Unterschied zum abdingbaren Recht.

  Dazu Verfasser, JZ 2007, 18 ff.   Dies lässt der amerikanische Uniform Commercial Code (UCC) ausdrücklich zu, wenn er in §  1–302 par. 2 s. 1 die Rücksicht auf Treu und Glauben, Sorgfalt und Vernünftigkeit zunächst für zwingend erklärt, dann aber in S.  2 ausdrücklich die Festlegung der Maßstäbe zulässt, an denen die Vertragserfüllung zu messen ist. 139   Zur Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen im Einzelnen unten 5.B.6.b). 140   BGH, NJW 1987, 1931, 1934 (= BGHZ 100, 157, 165); 2003, 1447, 1448 (= BGHZ 153, 344, 350); NJW-RR 2008, 818, 819; BeckOK-BGB20 -Schmidt, §  307 Rn.  30 f.; MünchKomm­ BGB5-Kieninger, §  307 Rn.  33 f. 137

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

2.  Die Ausschlussnorm Muss das Recht eine von den Parteien nicht geregelte Frage beantworten, so ist die einfachste Lösung eine Ausschlussnorm. Sie besagt, dass ohne gegenteilige Anordnung weder ein Recht, noch eine Pflicht, noch Einwendungen, Befugnisse und Obliegenheiten existieren.141 Auf diese Weise kann keine Lücke im Recht entstehen, weil jeder denkbare Fall negativ entschieden ist.142 Abweichungen von der Ausschlussnorm sind danach nur aufgrund einer Anordnung möglich, die auf Gesetz, Vertrag oder einseitiger Verfügung beruht. Eine ihrer Ausprägungen ist der in Art.  103 Abs.  2 GG und §  1 StGB verankerte Grundsatz keiner Strafe ohne Gesetz (nulla poena sine lege). Durch ihn gibt es trotz denkbarer rechtsethischer Strafbarkeitslücken keine Straflücken.143 Gesetzlich sind insoweit sämtliche Situationen geregelt. Im öffentlichen Recht schlägt sich die Ausschlussnorm im Grundsatz nieder, dass Eingriffe in Freiheit und Eigentum unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen, Art.  20 Abs.  3 GG.144 Fehlt eine Ermächtigung, ist eine Beeinträchtigung unzulässig. Auch im Privatrecht gibt es Bereiche, in denen die Ausschlussnorm angewandt wird. Das ist vor allem bei vertraglichen Primärpflichten der Fall. Was die Parteien einander nicht versprochen haben, müssen sie einander nicht gewähren, vgl. §  311 Abs.  1 BGB. Dafür ist unerheblich, wie stark das Interesse eines anderen an einer zusätzlichen Leistung ist. Auf eine Abwägung der beteiligten Interessen kommt es nicht an. In eingeschränkter Form gilt dies selbst für Nebenpflichten.145 Ist der Leistungsort nicht bestimmt, so muss der Schuldner nur an seinem Wohnsitz leisten, §  269 Abs.  1 BGB. Mehr hat er nicht versprochen. Seine Vertragsfreiheit beinhaltet nicht nur die Freiheit, Verträge zu schließen, sondern auch die Freiheit, von vertraglichen Verpflichtungen verschont zu 141   Zitelmann bezeichnet sie als allgemeinen negativen Satz, Lücken im Recht, S.  19; zustimmend Langhein, Das Prinzip der Analogie als juristische Methode, S.  120 ff.; dagegen mwN.  L arenz, Methodenlehre, S.  378; Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  49; Bydlinski, Methodenlehre, S.  236 f. Zur parallelen Diskussion im amerikanischen Recht Fried, Contract as Promise, pp.  69; Kostritsky, 73 Tulane Law Review 497, 498: „‚hands off‘ attitude“ (1998); Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1643 (2003). 142   Riesenhuber-Schmidt-Kessel, Europäische Methodenlehre, §  17 Rn.  33, S.  504. Zur parallelen Frage, ob erlaubt ist, was keine Norm verbietet, Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  16; ders., Allgemeine Theorie der Normen, S.  81, der diesen Satz allerdings für widersprüchlich oder tautologisch hält; Engisch, Beiträge zur Rechtstheorie, S.  25; Weinberger, Logische Analyse in der Jurisprudenz, S.  115 f. Gegen diese Parallele Fried, Contract as Promise, p.  69. 143   von Jhering, Der Zweck im Recht, S.  334 befürwortete demgegenüber noch Einschränkungen durch einen „höchsten Gerichtshof über dem Gesetz“. 144   Zur Ausprägung dieses Grundsatzes in der so genannten Wesentlichkeitstheorie BVerf­G NJW 1978, 807, 810 (= BVerfGE 47, 46, 79); 1998, 2515, 2519 (= BVerfGE 98, 218, 251); 2002, 2626, 2630 (= BVerfGE 105, 279, 305); 2009, 2267, 2275 (= BVerfGE 123, 267, 361); BVerwGE 60, 162, 181. 145   Vgl. Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  158, die trotz einer denkbaren Billigkeitslösung zur Zurückhaltung bei der Annahme von Nebenpflichten mahnen.

B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht

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bleiben.146 Daher handelt es sich bei §  269 BGB keinesfalls um eine technische Norm ohne Gerechtigkeitsgehalt,147 die das Recht beliebig vorschreiben kann. Er schützt den Einzelnen vielmehr vor Verpflichtungen, die er nicht übernommen hat. Gleiches gilt für Einwendungen. Auch sie entstehen nur aufgrund einer vertraglichen, gesetzlichen oder sonstigen Norm. Fehlt sie, so bleibt es nach der Ausschlussnorm bei der Durchsetzbarkeit des jeweiligen Anspruchs und darf man sich darauf verlassen, dass die vereinbarten Ansprüche durchsetzbar sind. Benötigt etwa ein Käufer die von ihm gekaufte Sache nicht, so kann er gleichwohl nicht vom Vertrag zurücktreten, sofern er dies nicht mit dem Verkäufer vereinbart hat oder ihm ein gesetzliches Rücktrittsrecht zusteht. Im Zweifel besteht weder ein Recht noch eine Einwendung. Die Ausschlussnorm liegt implizit einer Vielzahl privatrechtlicher Urteile zugrunde.148 Denn ein Gericht kann einer Klage nur stattgeben, wenn sich für den erhobenen Anspruch im Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vertrag eine Grundlage findet. Weist es eine Klage ab, dann beruht das folglich darauf, dass für sie eine Grundlage im Recht fehlt. Insoweit kommt die Ausschlussnorm zur Anwendung, selbst wenn sie nicht ausdrücklich formuliert ist. Daher hat sie auch im Privatrecht eine große Bedeutung.149 Sie bildet den Hintergrund, vor dem konkretisiertes abdingbares Recht erst verständlich wird, und ist gewissermaßen die Kontrastfolie, vor der sein Charakter hervortritt. Eine vertragliche Absprache lässt sich deshalb als teilweise Abbedingung der Ausschlussnorm verstehen.150 Anders als zunächst vorgesehen, räumen die Parteien einander bestimmte Rechte und Pflichten ein.

146   Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  117; BeckOK-BGB20 -Gehrlein/Sutschet, §  311 Rn.  2; MünchKommBGB5-Schmitt, vor §§  104 ff. Rn.  8 ; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  135; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  421; Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 568 (1982); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 840–841 (1992); Cohen, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, p.  25, 27. Zur dahinter stehenden Unterscheidung positiver und negativer Freiheit Berlin, Liberty, pp.  169. 147   So aber Medicus, SR AT, S.  40, Rn.  88 zu §  269 BGB; ders., AT, S.  134 Rn.  341; Roth, FS Schlosser, S.  761, 776; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 256. Zur Kritik dieser vor allem im AGB-Recht verbreiteten Vorstellung Larenz/Wolf, AT, §  43 Rn.  65, S.  788; HK-Zimmermann, vor §  1 Rn.  52; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  55; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  99 f. mwN.; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  249; siehe auch Kennedy, 10 European Review of Private Law 2002, 7, 15–17. 148   Vgl. Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  52; Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  34 ff. 149   In der Auslegung von Verträgen klingt sie in BGH, NJW 1997, 61 an, wonach „Verträge nach Möglichkeit so auszulegen sind, daß sie eine abschließende und widerspruchsfreie Regelung des einschlägigen Lebenssachverhalts bewirken.“ 150   Ähnlich verstand Zitelmann, Lücken im Recht, S.  19 jede positive Anordnung einer Rechtsfolge als Ausnahme vom allgemeinen negativen Satz.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Die Ausschlussnorm hat den Vorteil, dass ihre Ergebnisse gut voraussehbar sind und ihre Anwendung leicht fällt. Aus diesem Grund sind auch die Informationskosten gering.151 Zugleich begründet sie jedoch erhebliche Risiken, da sie es den Normadressaten auf Gedeih und Verderb überlässt, eine eigene Regelung zu treffen. Gelingt dies, so mag das die beste Lösung darstellen, weil sie ihre Verhältnisse autonom gestalten. Scheitert hingegen eine Vereinbarung, trifft die Ausschlussnorm einen der Beteiligten in voller Härte. Ihr formaler Rigorismus152 kann zu rechtsethisch nicht hinnehmbaren Folgen führen, weil sie unter den Interessen der Normadressaten nur eines erfasst, nämlich das Interesse, vor ungewollten Ansprüchen und Einwendungen verschont zu bleiben. Das Interesse an einer sachlich angemessenen Regelung übergeht sie. Diese Wirkung kann man etwa am Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft beobachten. Haben die Beteiligten keine Ehe geschlossen und ihre Verhältnisse auch nicht durch Vertrag geregelt, so gewährt ihnen das Recht nur in begrenztem Umfang Hilfe.153 Es versagt einen Ausgleich selbst dann, wenn ein Partner um des Anderen wegen seinen Beruf aufgegeben und die Kinder erzogen hat.154 Die Ausschlussnorm kommt ungemildert zur Anwendung. Das mag angesichts der allen offen stehenden Möglichkeit, über einen Eheschluss eine gewisse Sicherheit zu gewinnen, und der Schwierigkeit zur Würdigung intimster Verhältnisse richtig sein. Jedoch stellt dies dann nur das geringere Übel dar, um anmaßende Eingriffe in die Privatsphäre zu vermeiden und die Intimität der Ehe zu schützen. Denn dass innerhalb langjähriger Partnerschaften die Verweigerung jeglichen Ausgleichs in jedem Fall angemessen ist, wird kaum jemand behaupten. In Konstellationen, in denen der pauschale Ausschluss von Rechten und Einwendungen nicht hinnehmbar ist, etwa weil die Beteiligten ihre Verhältnisse nur begrenzt gestalten können, ist die Formulierung abdingbarer Normen angebracht. Anders als im Strafrecht und bei Grundrechtseingriffen ist die Ausschlussnorm im Privatrecht daher durch zahlreiche gewohnheitsrechtliche und richterrechtliche Normen durchbrochen. Für die jeweiligen Fallgruppen legen diese fest, was die Parteien einander schulden. Dies gilt insbesondere dann,   Zu diesem Aspekt im Einzelnen unten 3.A.3.   Deutlich etwa an Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  111, der ohne Einschränkung annahm, bei neuartigen Verträgen, zu denen noch keine Verkehrssitten bestehen, müssten nicht ausdrücklich vereinbarte Ansprüche abgewiesen werden. 153   Ausnahmen bestehen bei dem Bestand einer Gesellschaft, BGH, NJW 1980, 1520 (= BGHZ 77, 55, 56); 1982, 2863, 2864 (= BGHZ 84, 388, 390); 1997, 3371; 2006, 1268, 1270 (= BGHZ 165, 1, 10); sowie seit jüngerer Zeit bei der Schaffung von Vermögenswerten von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, die über das für das tägliche Zusammenleben Benötigte hinausgehen und nach §  313 BGB ausgleichbar sind, BGH, NJW 2008, 3277, 3280; BeckOK-BGB20 -Schöne, §  705 Rn.  178; MünchKommBGB5-Ulmer, Einl zu §  705 ff. BGB Rn.  81. 154   BGH, NJW 1986, 374; MünchKommBGB5-Wellenhofer, nach §  1302 Rn.  46. 151

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B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht

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wenn sich im Rechtsverkehr keine privaten Regelungsmechanismen etablieren und es insoweit zu einem Marktversagen kommt.155

3.  Billigkeitsnormen Der klarste Gegensatz zu einer pauschalen Verneinung von Rechten und Pflichten ist eine Billigkeitsentscheidung, die der Richter unter Abwägung aller beteiligten Interessen zu treffen hat.156 Maßgeblich ist dann, was dieser im Einzelfall als angemessen festlegt, auch wenn er sich dabei etablierter Grundsätze und Fallgruppen bedienen mag. Das erfordert eine Untersuchung und Abwägung der betroffenen Interessen. Das Ergebnis ist ihm nicht vorgegeben und aus diesem Grund nur begrenzt voraussehbar. Denkbar ist etwa, dass er so wie im Falle der Ausschlussnorm Ansprüche und Einwendungen verneint. Aber von vornherein steht das nicht fest. Er kann den Beteiligten auch Rechtspositionen zusprechen. Anders als bei einer speziellen abdingbaren Norm legt die Billigkeitsnorm den Parteien nicht die unbedingte Last auf, eine Absprache zu treffen, wenn sie eine bestimmte Rechtsfolge vermeiden wollen. Notwendig ist diese Absprache nur, wenn sie sich nicht auf die Ungewissheit der Billigkeitsentscheidung einlassen wollen. Ein Beispiel für eine derartige Lösung ist die Verteilung des Hausrats und der Wohnung bei einer Scheidung, §§  1568a, b BGB. Sie erfolgt im Gegensatz zur Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft aufgrund einer Billigkeitsentscheidung anhand der Umstände des Einzelfalls. Anders als bei der Ausschlussnorm oder einer konkretisierten Regel lässt sich im Voraus nicht angeben, womit die Beteiligten zu rechnen haben. Das kann als Anreiz für außerrechtliche Lösungen durchaus sinnvoll sein.157 Der Richter hat dann alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Herkunft der Güter und die Bedürfnisse der Betroffenen.158 Zu einer derartigen Billigkeitsentscheidung kommt es auch bei der gerichtlichen Beurteilung von Abfindungsklauseln in 155   Collins, The Law of Contract, p.  26; Hatzis, in: Grundmann/Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, p.  159, 166; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  93 (für AGB); Bachmann, Private Ordnung, S.  52 ff. 156   Etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  158 für die Ausfüllung von Vertragslücken: „Geboten ist nunmehr eine ‚Interessenabwägung auf objektiver Grundlage‘, d. h. die Ermittlung der Grenze, bis zu der ein Vertragsteil sich redlicherweise auf das Fehlen einer entsprechenden Klausel berufen darf.“ 157   Bernheim/Whinston, The American Economic Review 1998, pp.  9 02, 903–904 behaupten daher, es gebe Verträge mit anzustrebender „strategischer Unklarheit“; ähnlich Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1671 (2003), der auf Studien verweist, wonach eine unvollständige Entgeltregelung bisweilen zu vorzugswürdigen Ergebnissen führt; Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 289: „Oft ist .  .  . ein zweideutiger Vertrag besser als gar keiner.“ 158   Palandt70 -Brudermüller, §  1568a Rn.  5 ; §  1568b Rn.  9. Zur früheren Entscheidung nach billigem Ermessen gemäß §  1568b BGB bzw. §  2 HausratsVO a. F., siehe MünchKommBGB4Müller-Gindullis, §  2 HausratsVO Rn.  2 f f.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Gesellschaftsverträgen, die zu einer Entschädigung weit unter Wert führen würden. Da diese einerseits mit den §§  723 Abs.  3, 724 BGB nicht vereinbar sind und die Rechtsprechung andererseits das Interesse anerkennt, nicht in jedem Fall ein anteiliges Auseinandersetzungsguthaben zu zahlen, wird eine Entschädigung nach Treu und Glauben festgesetzt.159 Mit diesen Billigkeitsentscheidungen geht eine auch anderenorts zu beobachtende Materialisierung160 des Privatrechts einher. Gleichwohl sind derartige Erscheinungen eher die Ausnahme. Im Allgemeinen bestimmen spezielle zwingende oder abdingbare Regeln, was die Beteiligten einander schulden. Schweigt das Gesetz, schließen die Gerichte die Lücken durch spezielle Normen. Diese sind besser voraussehbar als die Anwendung der Billigkeitsnorm, so dass die Betroffenen ihre Verhältnisse damit eher nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Daher bietet es sich im Falle einer Gesetzeslücke vielfach an, den von ihr Betroffenen statt der Billigkeits- oder der Ausschlussnorm eine spezielle abdingbare Norm vorzugeben. Diese hat einerseits eine Sachregelung zu treffen, andererseits aber eine Anpassung an die Umstände des Einzelfalls zu ermöglichen.161 Das öffentliche Recht ermöglicht Letzteres dadurch, dass es generelle Regelungen über Verhältnismäßigkeitsund Zumutbarkeitsprüfungen abfedert. Das Privatrecht hingegen erlaubt eine Anpassung stattdessen durch die Abbedingung der Normen, welche die Parteien sonst mit zu großer Härte treffen würden.162 Ermessens- oder Billigkeitsentscheidungen sind im öffentlichen Recht aus diesem Grund häufiger als im Privatrecht. Sie reichen von der Stundung von

159   BGH, NJW 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 285); 1994, 2536, 2540 (= BGHZ 126, 226, 242); ähnlich BeckOK-BGB20 -Schöne, §  738 Rn.  4 4 (Entschädigung nach hypothetischem Willen); kritisch MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  738 Rn.  54. 160   BVerfG, NJW 2009, 1469, 1472: „Abmilderungen des strengen Formalismus, von dem das Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts .  .  . insgesamt geprägt war, zu Gunsten differenzierter Lösungen“; von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  299: „Die Forderung, dass die Regierung nicht bloß ‚formale‘, sondern ‚materiale‘ .  .  . Gerechtigkeit durchsetzen solle, wurde seit der französischen Revolution immer wieder gestellt.“; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S.  18; Raiser, FS DJT, S.  101, 129; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S.  245: „Anstelle der formellen muß vielmehr eine materielle Garantie treten“; Westermann, AcP 178 (1978), 151, 156; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 327; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277 ff.; Auer, Mate­ rialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S.  28 ff.; frühe Kritik bei Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S.  2, 66 ff.; kritisch zum Begriff HK-Zimmermann, vor §  1 Rn.  105. 161   Vgl. Stammler, AcP 69 (1886), 1, 27. 162   Vgl. BVerfG, NJW 1985, 1455, 1457 (= BVerfGE 67, 329, 347), das zum Ausgleich auf die Generalklauseln verweist; Kottke, System des subordinationsrechtlichen Verwaltungsvertrages, S.  49, der Ermessensnormen generell als dispositiv ansieht; Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  85. Hingegen sah Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  15 das Charakteristische des öffentlichen Rechts noch in seiner Typisierung.

B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht

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Gebühren163 bis hin zur Gewährung von Sozialleistungen164 . Ihre Ergebnisse sind allerdings nur begrenzt voraussehbar. Sie vermeiden zwar den eben beschriebenen Rigorismus der Ausschlussnorm, indem sie die Berücksichtigung der im Einzelfall betroffenen Interessen erlauben. Damit werden sie zugleich der Erwartung der Betroffenen gerecht, dass das Recht für die zu regelnden Konflikte eine angemessene Lösung bereithält. Dabei verlagern sie indes die Verantwortung vom Gesetzgeber auf den Richter. Er hat dann zu entscheiden, was im Einzelfall angemessen ist. Die abstrakte Vorgabe hilft ihm dabei nur begrenzt und lässt vor allem nicht die konfligierenden Interessen sowie ethischen Fragen erkennen, über die er zu befinden hat. Da sich die Ergebnisse der Billigkeitsnorm kaum voraussehen lassen, verlieren die Betroffenen an Planungssicherheit. Auch mit dieser Norm greift der Gesetzgeber in private Verhältnisse ein. Zudem schafft er mit ihr den Anreiz zu opportunistischem Verhalten. Denn Einzelne könnten dann die zu regelnden Fragen absichtlich offen lassen, indem sie darauf spekulieren,165 dass diese später zu ihren Gunsten beantwortet werden. Für eine Billigkeitsnorm spricht allerdings, dass sie eine flexible Berücksichtigung aller Umstände erlaubt und kaum Lücken lässt. Zudem treffen ihre Ergebnisse die Adressaten im Allgemeinen nicht unerwartet. Diese müssen damit rechnen, dass die Rechtsordnung für die von ihnen offen gelassenen Fragen eine Lösung anordnet, die sich auch gegen sie auswirken kann.166 Daher kann eine Billigkeitsnorm für sie insgesamt von Vorteil sein. Etwa bei begrenzter Regelungsfähigkeit eines Sachverhalts sind Konstellationen vorstellbar, in denen eine Billigkeitsnorm einer speziellen abdingbaren Norm vorzuziehen ist. Nicht jede Flucht in eine Generalklausel167 ist kritikwürdig.

163   Siehe etwa §§  19 VerwKostenG iVm 59 BHO; 21 Abs.  1 Landesgebührengesetz BW; 11 Abs.  2 S.  1 Nds. VerwaltungskostenG. 164   Etwa §§  324 Abs.  1 S.  2, 327 Abs.  2 SGB III; 76 Abs.  2 SGB IV. 165   Vgl. Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1680 (2006), nach dem unvollständige Verträge daher „embedded options“ schaffen. 166   Der BGH nimmt bisweilen sogar an, die Parteien überließen die Lösung offener Fragen den Gesetzesvorschriften, NJW 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); 1975, 1116, 1117; 1980, 2347, 2348 (= BGHZ 77, 301, 304); 1982, 2190, 2191; 1992, 1892; 2001, 818, 820; 2010, 1135, 1136; entsprechend BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  157 Rn.  38; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  122, kritisch aber S.  134. Entsprechende Behauptungen finden sich in den USA: Barnett, 86 Columbia Law Review 269, 305 (1986); ders., 78 Virginia Law Review 821, 860, 898 (1992); Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 64 (1993); Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1650 (2003). Generell Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §  132, S.  127: „Wer in dieser Wirklichkeit handeln will, hat sich eben damit ihren Gesetzen unterworfen“. Zur Kritik unten 3.B.2, Fn.  131. 167   So die These von Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S.  66 ff., der diesen Prozess als Verweichlichung und „Gefahr für Recht und Staat“ kritisiert, allerdings §  242 BGB als „königliche Regel“ bezeichnet, aaO., S.  6 ; dazu Diederichsen, Die Flucht des Gesetz-

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Das Recht hat somit verschiedene Möglichkeiten, mit ungeregelten Situationen umzugehen: Es kann wie im Strafrecht den subsidiären Ausschluss von Rechten und Pflichten anordnen; wie bei Grundrechtskollisionen des öffentlichen Rechts eine im Einzelfall zu findende Billigkeitslösung vorschreiben oder wie im bürgerlichen Recht eine spezielle abdingbare Norm vorgeben. Dispositives Recht ist daher ein Kompromiss zwischen einem pauschalen Ausschluss sämtlicher Rechte und einer kaum voraussehbaren Billigkeitslösung. Es gibt eine bestimmte Regel vor und erlaubt gleichwohl eine Anpassung an die Umstände des Einzelfalls.168 Diese Vorteile werden erst bewusst, wenn man es mit den sonst anwendbaren Billigkeits- oder Ausschlussnormen vergleicht.

4.  Bedingbare Normen Eine weitere Regelungsmöglichkeit eröffnen bedingbare Normen. Sie kommen im Gegensatz zu abdingbaren Normen erst aufgrund einer Bestimmung der Adressaten zur Anwendung. Anders als das abdingbare Recht stehen sie nicht unter dem Vorbehalt einer negativen Abwahl (opt-out), sondern unter dem einer positiven Annahme (opt-in).169 Ein Beispiel dafür ist die Kapitalgesellschaften durch §  325 Abs.  2a HGB eingeräumte Möglichkeit, eine Bilanz nicht nach HGB, sondern nach internationalen Rechnungslegungsstandards wie den IFRS zu erstellen. Sie sind dazu ohne eine derartige Festlegung nicht verpflichtet. Entschließen sie sich zu ihr, müssen sie allerdings die dann geltenden Standards befolgen. Ihr Bedingungsakt verpflichtet sie, hat aber den Vorteil, dass sie diese Standards nicht auf Richtigkeit überprüfen müssen.170 Auch an anderen Stellen hängen gesetzlich formulierte Rechte und Pflichten von Kapitalgesellschaften davon ab, wie sich Gesellschafter und Gesellschaft entscheiden.171 Bedingbar ist ferner das geplante Europäische Vertragsrecht, sofern es als wählbares und in diesem Sinne optionales Ingebers aus der politischen Verantwortung S.  25 ff.; HK-Zimmermann, vor §  1 Rn.  107; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S.  118 ff. 168   Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  177. Allerdings erschöpft sich darin nicht ihre Rolle. 169   Etwa in BGH, NJW 2008, 3055, 3058; siehe auch oben 1.A, Fn.  12 sowie unten 1.C.3. Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  3 definiert ähnlich als „gewillkürte“ Normenkomplexe solche, denen sich die Betroffenen unterwerfen können. 170   Dieser Vorteil spielt auch bei Mustersatzungen eine Rolle, Hommelhoff, ZGR Sonderheft Nr.  13, S.  36, 59. 171   Etwa §§  26 Abs.  1, 27 Abs.  4, 28 Abs.  2 (Nachschusspflicht); 29 Abs.  3 (Ergebnisverwendung); 38 Abs.  2 S.  1 GmbHG (Ausschluss der ordentlichen Abberufung eines Geschäftsführers). Im Anschluss an Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 16 (1993); 73 University of Chicago Law Review 3, 5 (2006) wird im Englischen dafür der Ausdruck „menu“ verwendet, etwa Listokin, What Do Default Rules and Menus Do?, p.  36; Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 839 (1995). Zum Teil wird auch von Anregungsnormen gesprochen, siehe Hommelhoff/Mattheus, AktG 1998, 248, 249; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  398 ff.

B.  Die alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht

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strument eingeführt wird. Damit hinge seine Anwendbarkeit von einer Bestimmung der Normadressaten ab.172 Bedingbare Normen beruhen ähnlich wie das abdingbare Recht auf einer Differenz zwischen der Geltung und der Anwendbarkeit einer Norm. Während die Einzelnen die Geltung der Norm nicht aufheben können, dürfen sie über deren Anwendbarkeit bestimmen. Bedingbare Normen lassen sich deshalb ebenso wie abdingbare Normen durch die Differenz zwischen Geltung und Anwendbarkeit definieren: Eine Norm ist bedingbar, wenn ihr Adressat die Anwendbarkeit begründen kann, ohne dass sie erst dadurch ihre Geltung erhält.

Bedingbare Normen treten daher neben abdingbare und zwingende Normen als dritte Regelungsart.173 Daneben sind keine weiteren Möglichkeiten der Kombination aus Geltung und vom Adressaten abhängiger Anwendbarkeit einer Norm ersichtlich. Jedoch kann man innerhalb der einzelnen Normarten weitere Unterarten unterscheiden.174 Dazu gehört innerhalb von bedingbaren Normen etwa die Unterscheidung zwischen Normen, die der Gesetzgeber als Möglichkeit nur vorgibt, und solchen Normen, deren Übernahme er empfiehlt (so genannte Anregungsnormen) 175 . Bedingbare Normen legen ihren Adressaten die Last auf, dass ihre Anwendbarkeit erst bestimmt werden muss. Wollen die Adressaten in den Genuss dieser Normen kommen, müssen sie dies bestimmen. Diese Art der Regelung bietet sich insbesondere dort an, wo die Normadressaten einerseits keine entsprechenden Normen formulieren wollen176 und es andererseits an einheitlichen Standards fehlt, die man ihnen vorschreiben könnte. Die internationale Rech-

172   Grünbuch der EU-Kommission „Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“, Kom(2010)348 endg; von Bar/Clive/ Schulte-Nölke, Principles, Definitions, and Model Rules of European Private Law, p.  37; zum Verhältnis zur Rechtswahl (Rom-I-Verordnung) Ciacchi, in: Somma, The Politics of the DCFR, pp.  3, 12. Auch die von der EU den Mitgliedsstaaten überlassenen freiwilligen Regeln ähneln bedingbaren Normen, so etwa Art.  12 der Übernahmerichtlinie 2004/25/EG vom 21. April 2004. 173   Vgl. Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  11; hingegen versteht Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  106 „ermächtigende“ Normen als Unterart abdingbaren Rechts. Überwiegend wird nur zwischen abdingbaren und zwingenden Normen unterschieden, siehe etwa Bülow, AcP 64 (1881), 1, 78; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  94 ff., S.  67 ff.; Grundmann, NJW 2002, 393, 395; Boemke/Ulrici, AT, S.  192; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87 (1989); Peppet, 82 Texas Law Review 227, 233 (2003). Zur Kritik MünchKommBGB4-Sonnenberger, Einl zu EGBGB Rn.  240 ff.; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 250; für die Anerkennung von Zwischenformen Mayer-Maly, in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S.  123, 127. 174   Dazu im Einzelnen unten 1.F.1. 175   Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 697 mwN. 176   Oben 1.B.2, Fn.  155.

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nungslegung etwa kommt nur für einen Teil der Unternehmen in Betracht, so dass eine für alle geltende abdingbare Vorgabe wenig sinnvoll wäre. Von Vertragsmustern und unverbindlichen Regelungsentwürfen unterscheiden sich bedingbare Normen dadurch, dass sie zum geltenden Recht gehören. Bei ihrer Wahl geht ein Normadressat daher nicht das Risiko ein, dass sie für unwirksam erklärt werden. So wäre nach der Vorstellung der EU-Kommission bei der Wahl des Europäischen Referenzrahmens das zwingende nationale Vertragsrecht nicht mehr anwendbar.177 Damit würde die Gefahr gebannt, dass einzelne Teile des optionalen Vertragsrechts für unwirksam oder für nicht anwendbar erklärt werden. Anders ist dies bei der Wahl unverbindlicher Musterverträge oder Vertragsordnungen. Sie sind vor der Verdrängung durch zwingendes Recht nicht geschützt. Nicht jede auf den bewussten Willensentschluss eines Einzelnen zurückgehende Rechtsfolge beruht auf einer bedingbaren Norm.178 Denn dass die Rechtsfolge vom Willen eines Normadressaten abhängt, besagt nicht zwingend, dass er ihre Anwendbarkeit herbeiführen kann. So kommt es bei einem Diebstahl innerhalb der Familie zwar nur bei einem Antrag des Opfers zu einer Bestrafung. Diese hängt insofern von der Entscheidung des Opfers ab, §  248a StGB. Gleichwohl kann dieses nicht die Anwendbarkeit des §  242 StGB begründen. Sie bleibt unberührt. Lediglich bei der Anwendung des §  242 StGB wird das Vorliegen eines Strafantrags geprüft. Antragsdelikte sind daher keine bedingbaren Normen.179 Im Vergleich zu selbst formulierten Verträgen hat das bedingbare Recht den Vorteil, dass die Adressaten mit dessen Wahl eine externe Größe in Anspruch nehmen, die von ihnen unabhängig ist. So mögen sie etwa bei der Verwendung des Europäischen Referenzrahmens darauf verweisen, dass sie weder eine na­ tionale noch eine eigene Regelung verwenden, sondern Normen einer europäischen Institution. Das ist aufgrund der Unabhängigkeit europäischen Rechts von einer bestimmten nationalen Rechtsordnung und einzelnen Parteiinteressen ein Vorteil.180 Gleichwohl sind bedingbare Normen im Vertragsrecht so selten, dass sie schnell übersehen werden. Der Grund für ihr nur vereinzeltes Auftreten be177   Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM(2004)651 endg, S.  20, 22; kritisch Lurger, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen, Private Law and the Many Cultures of Europe, p.  177, 181; Ciacchi, in: Somma, The Politics of the DCFR, pp.  3, 16. 178   Zum Verhältnis von Abdingbarkeit und Vermeidbarkeit von Rechtsfolgen bereits oben 1.A.1.c). 179   Anders Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  7, der sie als gewillkürt ansieht. 180   Nach European Commission, Civil Justice in the European Union, Eurobarometer 292, p.  19 sprachen sich 57% der befragten Europäer für die Anwendung Europäischen Vertragsrechts aus, obwohl dessen Inhalt noch nicht feststeht.

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steht darin, dass die für ihre Anwendung erforderliche Bedingung einen Aufwand erfordert, der sich für die Einzelnen vielfach nicht lohnt. Für sie ist es meist zu mühsam, erst durch einen Bedingungsakt eine Regelung für anwendbar zu erklären. Anders ist dies nur, wenn sie wie bei der Verabschiedung einer Satzung ohnehin eine Regelung zu treffen haben. Können bedingbare Normen abdingbares Recht damit nicht ersetzen, so vermögen sie gleichwohl, es zu ergänzen.

C.  Die ambivalenten Folgen abdingbaren Rechts Vor dem Hintergrund der alternativen Regelungen zum abdingbaren Recht sind seine Auswirkungen auf das Recht besser beschreibbar. Sie tragen ebenso wie das abdingbare Recht einen ambivalenten Charakter. Denn neben Handlungsoptionen (1) begründet es Abbedingungslasten (2).

1.  Die Entstehung von Handlungsoptionen Ist eine Norm abdingbar, haben die Abbedingungsberechtigten die Möglichkeit, zwischen mindestens zwei Regelungen zu wählen. Entweder sie belassen es bei der vorgegebenen Norm oder sie schließen deren Anwendbarkeit aus. Somit schaffen abdingbare Normen eine Handlungsoption.181 Die Normadressaten gewinnen durch sie die Möglichkeit, ohne Formulierung einer eigenen Norm eine bestimmte Regelung zu nutzen oder eine eigene Gestaltung an ihre Stelle zu setzen.182 Aus diesem Grund werden abdingbare Normen gelegentlich auch als ermöglichende, ermächtigende oder permissive Normen bezeichnet (enabling oder facilitating rules).183 Das ist insofern zutreffend, als es bei einer zwingenden   Handlungsoptionen sind von Optionen zu unterscheiden, bei deren Ausübung ein Vertrag zustande kommt, also etwa ein Zwangsverkauf (call) oder Zwangskauf (put), siehe dazu Bork, AT, S.  262 f., Rn.  695 ff.; Ayres, Optional Law, p.  15. 182   Vgl. Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  12, der ein Wahlrecht als notwendiges, aber nicht hinreichendes Merkmal abdingbaren Rechts bestimmt; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  106. Da die Parteien auch ohne Geltung abdingbarer Normen einen Vertrag schließen können, kann man auch von einer Umwandlung einer schlichten in eine komplexe Handlungsoption sprechen, siehe Seebaß, in: Leist, Moral als Vertrag?, S.  174. Anders hingegen der Begriff von Optionsangeboten, da man diese in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss, Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  115 ff. 183   Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  46; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  45 f., der sie neben ergänzenden Normen für eine Unterart des nichtzwingenden Rechts hält, jedoch zugleich annimmt, dass auch diese „zugleich eine Ermächtigung enthalten“; Bachmann, Private Ordnung, S.  73, 379; ders., JZ 2008, 14. Hingegen grenzte Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  184 f. ermächtigende Normen von nichtzwingenden Normen ab. Zu den USA Easterbrook/Fischel, 89 Columbia Law Review 1416, 1417 (1989); Black, 84 Northwestern University Law Review 542, 543 (1990); 181

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Norm an einer entsprechenden Wahlmöglichkeit fehlt. Besonders deutlich tritt diese Handlungsoption bei einer speziellen abdingbaren Norm hervor. Denn dann geht es um eine bestimmte Norm, welche die Adressaten nicht erst zu vereinbaren haben. Im Vergleich zur generellen Verneinung von Rechten und Pflichten durch die Ausschlussnorm sowie zur offenen Bestimmung durch die Billigkeitsnorm gewinnen die Adressaten die Sicherheit, dass eine bestimmte Rechtsfolge eingreift. Auf diese Weise eröffnen vielfach erst abdingbare Normen die Möglichkeit, ohne größeren Aufwand einen bestimmten Vertrag zu schließen. Allerdings vermögen selbst zwingende Normen, eine derartige Rolle zu spielen. Wäre etwa das gesamte Kaufrecht zwingend, könnte man dennoch behaupten, dass man nur dank seiner Existenz einen Kaufvertrag ohne Verhandlung schließen kann. Ermöglichende Normen sind daher nicht identisch mit abdingbaren.184 Letztere Normen kommen auch dort vor, wo es auf eine ermöglichende Rolle des Rechts nicht ankommt. Das Gewährleistungsrecht etwa mag den Abschluss von Kaufverträgen erleichtern. Jedoch dürften Kaufverträge auch geschlossen werden, wenn es dieses nicht gäbe. Da abdingbares Recht im Vergleich zu den anderen Regelungsmöglichkeiten den Freiheitsraum der Normadressaten185 erweitert, lässt es sich als eine vom Gesetzgeber erbrachte Leistung begreifen.186 So kann etwa der Käufer einer mangelhaften Sache aufgrund der abdingbaren Normen der §§  437 Nr.  3, 280 ff. BGB vom Verkäufer Schadensersatz verlangen, selbst wenn er dies mit ihm zuvor nicht vereinbart hat und noch nicht einmal wusste, dass dies in Betracht kommt. Ebenso mag er diesen Anspruch im Voraus ausschließen und im Gegenzug eine Ermäßigung des Kaufpreises erreichen. Seine Verhandlungsposition wäre schlechter, wenn die Gewährleistung erst noch vereinbart werden müsste. Schreibt das Recht hingegen wie beim Verbraucherschutz ein zwingendes Gewährleistungsrecht vor, besteht diese Wahlmöglichkeit nicht. Die Adressaten müssen es hinnehmen und können darüber nicht verhandeln. Regelmäßig begründen abdingbare Normen ein Recht. Das gilt nach allen für es in Betracht kommenden Definitionen. Versteht man es als geschützte Wahlmöglichkeit oder Willensmacht187, so folgt dieses bereits daraus, dass eine Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 154. Anders der Sprachgebrauch von Hart, The Concept of Law, p.  41, der unter „enabling rules“ alle ermächtigende Regeln versteht (ob abdingbar oder nicht). 184   Black, 84 Northwestern University Law Review 542, 593 (1990). 185   Endicott, in: Horder, Oxford Essays in Jurisprudence, fourth series, p.  170: „Imposing obligations that the parties did not agree to is .  .  . a necessary feature of a regime that promotes freedom of contract.“ 186   v. Mangoldt/Klein/Starck 6 , Art.  2 Abs.  1 Rn.  145. 187   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  7; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  156; Hart, Essays on Bentham, p.  183, 188; dazu Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, S.  11 f. mwN.

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Handlungsoption entsteht, deren Inanspruchnahme vom Willen des Einzelnen abhängt. Das trifft insbesondere dann zu, wenn man die Verzichtbarkeit eines Rechts als seinen Kern versteht.188 Denn dann ist maßgeblich, dass die Betroffenen die Norm abbedingen und dadurch auf die zunächst vorgesehene Rechtsfolge verzichten können. Gleiches gilt, wenn man ein Recht als geschütztes Interesse189 ansieht. Denn die durch abdingbare Normen begründete Wahlmöglichkeit entspricht in aller Regel den Interessen der Adressaten – wie auch immer sie von ihr Gebrauch machen. Die §§  437 Nr.  3, 280 ff. BGB etwa schützen das Interesse der Käufer, indem sie im Falle einer verschuldeten Schlechtlieferung ein abdingbares Recht auf Schadensersatz gewähren. Verzichten die Käufer auf es, können sie eine Herabsetzung des Kaufpreises erreichen. Daran wird deutlich, dass die Abdingbarkeit des Schadensersatzanspruchs in ihrem Interesse liegt und insofern ein Recht begründet. Versteht man schließlich unter einem Recht eine Gestaltungsmöglichkeit,190 so ist dieses mit einer abdingbaren Norm ebenso gegeben. Denn sie ermöglicht, die Rechtslage nach dem Willen des Abbedingungsberechtigten zu gestalten. Die durch abdingbare Normen entstehenden Rechte sind entweder bedingt oder unbedingt. Letzteres ist der Fall, wenn ihre Entstehung von keinen weiteren Voraussetzungen abhängt; Ersteres, wenn über die abdingbare Norm hinaus weitere Voraussetzungen zu erfüllen sind.191 Durch die eben erwähnten §§  437 Nr.  3, 280 ff. BGB gewinnen die Käufer beispielsweise das Recht, vom Verkäufer Schadensersatz zu verlangen. Dieses Recht ist bedingt, da es vom Abschluss eines Vertrages und einer schuldhaften Schlechtlieferung abhängt. Unbedingt ist demgegenüber beispielsweise das von §  7 UWG vorausgesetzte Recht, von unerbetener Telefonwerbung verschont zu bleiben. Seine Entstehung ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. Die rechtsbegründende Funktion abdingbarer Normen hat eine wichtige Folge: Erklärt der Gesetzgeber sie für zwingend, so schafft er ein Recht ab. Das gilt, obwohl er meist vorgibt, damit Interessen zu schützen und die Position der Normadressaten zu verbessern. Der Rechtsverlust tritt besonders deutlich bei Gütern zum Vorschein, deren Wert von ihrer Veräußerbarkeit abhängt. Würde   So die im 19. Jahrhundert von Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S.  326 vertretene Theorie; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  57 f.; Sumner, The Moral Foundations of Rights, p.  43; ablehnend Sturm, FS Geiger, S.  174, 189; Wagner, Prozessverträge, S.  87. Anderes gilt hingegen, wenn man lediglich die Ausübbarkeit eines Rechts als seinen Kern ansieht, dazu Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, S.  18 mit Kritik an Jellinek, S.  27 ff. 189   von Jhering, Geist des römischen Rechts, 3. Teil, S.  329; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  60; Larenz/Wolf, AT, §  14 Rn.  14, S.  243; Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, S.  12 mwN. 190   Zu diesen Begriffen Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S.  42 ff., Rn.  63 ff. 191   Entsprechend unterscheiden Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  173; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 252, (schlechthin anwendbare) subsidiäre von (nur bei Abschluss eines bestimmten Vertrages anwendbaren) ergänzenden Normen. 188

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er etwa die Disposition über Geld verbieten, so verlöre es weitgehend seine Funktion. In geringerem Ausmaß gilt dies auch für andere Güter und Rechte. Auch ihr Wert hängt zum Teil von ihrer Übertragbarkeit ab. Wird sie ausgeschlossen, erleiden ihre Inhaber einen Verlust. Dass gleichwohl nicht sämtliche vertragsrechtlichen Fragen durch abdingbares Recht geregelt sind, hängt mit seinen Nachteilen zusammen. Die Adressaten können die mit ihm begründete Handlungsoption auch gegen ihre Interessen ausüben. Das geschieht etwa, wenn sie ohne angemessenen Ausgleich auf ein Recht verzichten. Zunächst aber gewährt ihnen abdingbares Recht eine Handlungsoption.

2.  Die Entstehung von Abbedingungslasten Dispositives Recht schafft nicht nur Handlungsoptionen, sondern auch Abbedingungslasten. Wollen die Adressaten das von ihm vorgegebene Ergebnis vermeiden, müssen sie eine abweichende Disposition treffen. Im Vergleich zur Ausschlussnorm benachteiligt es diejenigen, welche es verpflichtet. Sie müssen sich um eine anderweitige Anordnung bemühen. Will etwa der Verkäufer eine Haftung für die von ihm verkaufte Ware vermeiden, muss er das Gewährleistungsrecht abbedingen. Anders als bei der Geltung der Ausschlussnorm hat er seinem Vertragspartner zu erklären, warum er nicht haften möchte. Das ist eine Last, die es trotz ihrer Selbstverständlichkeit zu konstatieren gilt. Ähnliche Nachteile zeigen sich im Vergleich zur Billigkeitsnorm. Der durch abdingbares Recht Belastete hat zwar auch bei ihrer Geltung keine Gewissheit, dass er frei von jeglicher Pflicht bleibt. Indes hat er unter ihr wenigstens die Chance einer ihm günstigen Entscheidung. Wie schwer die Abbedingungslast ins Gewicht fällt, hängt von der Beziehung der Beteiligten untereinander sowie von der Zeit und den Kosten ab, die für eine abweichende Entscheidung erforderlich sind. Überdies spielen die Informa­ tionen der Parteien über die Notwendigkeit und Angemessenheit anderer Regelungen192 eine Rolle. Bereits die Initiative zur Abbedingung kann als unangebracht empfunden werden und eine auf Vertrauen beruhende Beziehung belasten.193 Schlägt etwa eine Frau ihrem Mann einen strengeren Haftungsmaßstab für Körperverletzungen als die sonst geltende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vor, legt sie den Vorwurf nahe, dass er sich rücksichtslos verhält. Dieser Vorwurf kann schwerer wiegen als der Vorteil eines strengeren Haftungsmaßstabs und wird daher vielfach unterbleiben. Deshalb hat sich die Rechtsprechung über den abdingbaren milden Haftungsmaßstab unter Ehegatten nach §  1359 BGB hinweggesetzt und verlangt von ihnen im Straßenverkehr die von   Im Einzelnen unten 3.A.   Klein-Woolthuis/Hillebrand/Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 818, 832 sowie unten 3.A.1, Fn.  34. 192 193

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allen erforderliche Sorgfalt.194 Die Abbedingungslasten sind zu groß, als dass man die Ehepartner auf eine vertragliche Gestaltung verweisen könnte. Dass von den Abbedingungslasten eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeht, erkennt auch der Europäische Gesetzgeber an. Bei der Regulierung von Flügen etwa erklärt er das Angebot fakultativer Leistungen wie zum Beispiel einer Gepäckversicherung für unzulässig, wenn der Verbraucher es erst ausschließen muss.195 Denn schon diese Pflicht belaste ihn zu sehr. Das ist bemerkenswert, da eine Abbedingung in diesem Fall vergleichsweise einfach ist. Meist genügt dafür ein Mausklick. Ebenso hält die Rechtsprechung es für unzulässig, dass ein Verbraucher einer Werbung erst per Erklärung widersprechen muss.196 Gemäß §  7 Abs.  2 Nr.  3 UWG sei eine positive Einwilligung erforderlich und eine dennoch erfolgende Werbung eine „unzumutbare Belästigung“.197 Die Autonomie des Einzelnen werde nicht dadurch gewahrt, dass er sich von der Anwendung der Norm befreien kann. Bereits die Obliegenheit dazu belaste übermäßig. Die Einsicht in das Gewicht einer Abbedingungslast liegt auch der LissabonEntscheidung198 des Bundesverfassungsgerichts zugrunde. Dabei hatte es unter anderem zu entscheiden, ob der Ministerrat Änderungen des EU-Vertrages ohne Ratifikation durch die nationalen Parlamente beschließen darf. Dies sieht Art.  48 Abs.  7 EU-Vertrag für das Abstimmungsverfahren vor und gibt den nationalen Parlamenten zum Ausgleich dafür das Recht, binnen sechs Monaten die Änderungen abzulehnen. Dem Bundesverfassungsgericht war dies nicht genug.199 Der Übergang von einer erforderlichen Zustimmung zu einer nur noch bestehenden Widerspruchsmöglichkeit würde zu einer übermäßigen Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland führen. Erneut kommt dabei das Argument zum Tragen, dass eine abdingbare Vorgabe die Autonomie des Betroffenen beeinträchtigt, weil er sich von ihr nur durch eine Abbedingung befreien kann. Es besteht die Gefahr, dass eine Abbedingung aus Nachlässigkeit oder fehlender Prioritätensetzung unterbleibt und einer Person damit gegen ihren Willen eine Entscheidung aufgezwungen wird. So unterschiedlich diese Beispiele sind, so einheitlich ist ihre Folge, dass abdingbare Normen die Normadressaten belasten.200 194   BGH, NJW 1970, 1271, 1272 (= BGHZ 53, 352, 355); 1988, 1208; BeckOK-BGB20 Hahn, §  1359 Rn.  7; MünchKommBGB5-Roth, nach §  1359 Rn.  16 ff. 195   Art.  23 Abs.  1 S.  4 der Verordnung (EG) Nr.  1008/2008 vom 24.  9.  2008 (Luftverkehrsdienste). 196   BGH, NJW 2008, 3055, 3057 (= BGHZ 177, 253, 263); anders aber zur Einwilligung in die Datenspeicherung nach §  4a Abs.  1 BDSG, BGH, aaO., 3056. 197   BGH, NJW 2008, 3055, 3057 (= BGHZ 177, 253, 263, 266) unter Verweis auf Art.  2 S.  2 lit.  f der Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG vom 12. Juli 2002. 198   BVerfG, NJW 2009, 2267 (= BVerfGE 123, 267). 199   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2282 (= BVerfGE 123, 267, 390 f.). 200   Gleichwohl gibt es Entscheidungen, in denen eine Entscheidungslast nicht als gravierend empfunden wird, so etwa BVerfG, NJW 2011, 1201, 1203, wo es um den Einwand ging, private Anteilseigner von Unternehmen, die mehrheitlich vom Staat übernommen werden,

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Abdingbare Normen begründen somit neben den Handlungsoptionen auch Abbedingungslasten. Sie tragen einen ambivalenten Charakter.201 Einerseits können ihre Adressaten zwischen mindestens zwei Regelungen wählen. Andererseits müssen sie dem nachkommen, um die Anwendung einer bestimmten Norm zu vermeiden. Ob die Vor- oder die Nachteile überwiegen, hängt von den Kenntnissen der Adressaten, den Schwierigkeiten einer Abbedingung und der für sie erforderlichen Zeit ab.

3.  Zustimmung und Widerspruch (Opt-in und Opt-out) Einen ambivalenten Charakter trägt auch der Abbedingungsakt. Denn einerseits beinhaltet er die Abwahl einer rechtlichen Vorgabe (opt-out), andererseits die Wahl einer sie ersetzenden Norm (opt-in). 202 Ob man eine Abbedingung als Zustimmung oder als Widerspruch, opt-in oder opt-out, bezeichnet, hängt daher vom Bezugspunkt ab. Jede Abbedingung ist sowohl Widerspruch zu einer sonst anwendbaren Norm als auch Zustimmung zu einer stattdessen angewandten. Bezugspunkt des Gesetzgebers ist meist die Norm, welche ohne Zustimmung der Betroffenen gilt. Ihre Abbedingung erscheint dann als Widerspruch (opt-out). Gibt er hingegen eine bedingbare Norm 203 vor, so gilt sie als Bezugspunkt. Da sie von der positiven Zustimmung der Betroffenen abhängt, wird dies zur Abgrenzung von einem erforderlichen Widerspruch als Zustimmungslösung bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist die bereits erwähnte Möglichkeit für Verbraucher, in die Telefonwerbung einzuwilligen (opt-in), §  7 Abs.  2 Nr.  2, 3 UWG.204 Die Wahl zwischen Widerspruchs- und Zustimmungslösung hat aufgrund der Abbedingungslasten eine große Bedeutung. Denn im Zweifel kommt die zunächst vorgesehene abdingbare Norm zur Anwendung und setzt sich wie viele andere Provisorien vielfach durch. Deutlich ist dies etwa bei der Organspende. Die Zahl der verfügbaren Organe und damit die Möglichkeit zur Lebensverlängerung hängen wesentlich davon ab, ob Körperteile nach dem Tode würden durch deren Grundrechtsbindung überstark belastet. Dem widersprach das BVerfG unter Hinweis auf die Ausstiegsmöglichkeit. 201   Ähnliche Bezeichnungen sprechen zum Teil einen anderen Aspekt an, so Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  55: „Dualismus“ (von Ergänzung und Ermächtigung); Möslein, Dispositives Recht, S.  43 ff., 120: „Dipolarität“ (zwischen Selbst- und Fremdbestimmung) mwN.  Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  136 schreibt dem gesamten Recht die Funktionen der Einschränkung und Befähigung zu; ebenso ist das Vertragsrecht nach DiMatteo, 47 American Business Law Journal 727, 781 (2010), zugleich freiheitsfördernd wie -beschränkend; ähnlich zur Spannung zwischen Selbstbestimmung und Selbstbindung etwa Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  87; Canaris AcP 200 (2000), 273, 279; Schapp, Über Freiheit und Recht, S.  25 f. 202   Siehe zu den Begriffen opt-in, opt-out bereits oben 1.A, Fn.  12. 203   Oben 1.B.4. 204   BGH, NJW 2008, 3055, 3057.

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einer Person nur dann verwendet werden dürfen, wenn diese dem zuvor zugestimmt hat (opt-in), oder bereits dann, wenn sie ihr nicht widersprochen hat (opt-out). 205 Regelmäßig ist die Verfügbarkeit von Organen höher, wenn man nur durch Widerspruch verhindern kann, dass die eigenen Organe nach dem Tod für andere verwendet werden dürfen. Auch hier hängt die Bezeichnung als Zustimmung oder Widerspruch vom Bezugspunkt ab. Statt nach der Zustimmung zur Verwendung der Organe lässt sich fragen, ob eine Person der sonst erfolgenden Mitbeerdigung dieser Organe zustimmen oder ihr widersprechen muss. Die Erlaubnis zur Organentnahme erscheint dann als Widerspruch zur Beerdigung, der Widerspruch gegen die Organentnahme hingegen als Zustimmung zu ihr. Die unterschiedliche Beschreibung derselben Entscheidung kann sich aufgrund des so genannten Präsentationseffekts (framing effect) 206 neben anderen Effekten auf die Häufigkeit der Abbedingung auswirken. Trotz dieser Möglichkeit, eine abdingbare Norm auf verschiedene Weise zu präsentieren, überwiegt die Betrachtung der Vorgabe abdingbare Normen als Widerspruchslösung (opt-out). 207 Dies hat mehrere Gründe. Erstens gibt der Gesetzgeber den Adressaten in aller Regel eine Norm vor und unterbreitet ihnen nicht nur über eine bedingbare Norm den Vorschlag, wie sie ihre Verhältnisse gestalten können. Ein Vorschlag ließe sich einfach übergehen. Das ist bei abdingbaren Normen nicht möglich, da sie ihre Rechtsfolgen entfalten, solange die Adressaten keine abweichende Bestimmung getroffen haben. Sie erscheinen fortan als Bezugspunkt. Zweitens hält der Gesetzgeber die Wahlfreiheit der Normadressaten meist für ausreichend berücksichtigt, wenn sie von der vorgegebenen Lösung abweichen können.208 Wenn überhaupt, so stellt er sich deshalb nur die Frage, ob sie von der vorgegebenen Norm abweichen dürfen, ohne zuvor zu fragen, ob sie ihr zunächst zugestimmt haben müssen. Selbst im Fall des so genannten opt-in zur Telefonwerbung dürfte im Vordergrund der als normal empfundenen Zustand stehen, keine Werbung zu erhalten. Daher geht es der Sache nach auch hier eher um einen Widerspruch (opt-out) zu diesem Zustand als um eine Zustimmung (opt-in). Drittens gibt es bei der Regelung einer Rechtsfrage nur selten allein zwei denkbare Antworten. Haben die Normadressaten eine Vielzahl an Regelungsmöglichkeiten, ist die Wahl einer von ihnen als Bezugspunkt schwer begründbar. Deshalb liegt es näher, die subsidiär zur Anwendung kommende abdingbare Norm als Bezugspunkt zu bestimmen (opt-out). Während sich etwa ohne 205   Nach einer Forsa-Umfrage, Die Organspendebereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland, S.  8 , 13, sind zwar 67% der Deutschen zur Organspende bereit, jedoch erklären dies lediglich 12%; siehe des Weiteren Gold/Schulz/Koch, Der Organspendeprozess, S.  84 ff. 206   Tversky/Kahnemann, Science, Vol.  211, 1981, pp.  453, 457; dazu Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211, 218 (1995); Sunstein, 1 American Law and Economics Review 115, 123 (1999); Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1100–1104 (2000). 207   Jüngst etwa Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  121 ff. 208   Bachmann, JZ 2008, 11, 14.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Schwierigkeit der Anspruch auf Nacherfüllung gemäß §  439 BGB angeben lässt, den Unternehmer ausschließen können, lassen sich kaum sämtliche Vereinbarungen angeben, die sie stattdessen treffen können. Ist die abdingbare Norm somit meist der Bezugspunkt, der die Betrachtung dominiert, so stellt das die Möglichkeit nicht in Frage, sie durch eine andere Norm zu verdrängen. Beide Aspekte – die Vorgabe einer Norm wie die Möglichkeit ihrer Abwahl – gehören zum abdingbaren Recht. Thematisiert man nur einen von ihnen, entsteht ein einseitiges Bild.

4.  Handlungsoption und Optionsrecht Da abdingbare Normen Handlungsoptionen eröffnen, liegt die Frage nahe, in welchem Verhältnis sie zu Optionsrechten stehen. Bei diesen handelt es sich um Gestaltungsrechte, bei deren Ausübung sich die Rechtslage ändert. 209 Mit der Inanspruchnahme einer Option kommt ein Vertrag zustande oder tritt mit ihr in Kraft. Bereits dies zeigt, dass sich Optionsrechte typischerweise von abdingbaren Normen unterscheiden. Denn bei einer Option sind die damit entstehenden Rechte und Pflichten vor ihrer Ausübung bekannt. Bei einer abdingbaren Norm hingegen sind die an ihre Stelle tretenden Normen vor der Abbedingung meist unbekannt. Zudem handelt es sich bei einer Abbedingung vielfach um einen zweiseitigen, bei der Optionsausübung jedoch in aller Regel um einen einseitigen Akt. Gleichwohl sind Ausnahmen denkbar. Manche Normen können auch einseitig abbedungen werden und die Wahlmöglichkeit kann so beschränkt sein, dass nur bestimmte Normen an ihre Stelle treten dürfen.210 In diesem Fall steht bereits vor der Abbedingung fest, welche Norm die abdingbare Regelung verdrängt. Maßgeblich ist daher ein anderer Unterschied: Eine mit abdingbaren Normen begründete Handlungsoption gewährt ihrem Inhaber im Gegensatz zu einem Optionsrecht nicht die Möglichkeit, allein die Rechtslage zu ändern. Bevor aus der Handlungsmöglichkeit ein Recht wird, müssen andere Bedingungen erfüllt sein, etwa dass ein Vertragspartner der Abbedingung zustimmt. Deshalb garantiert die Norm nicht, dass ein bestimmtes Recht in Anspruch genommen werden kann. Die Kaufvertragsparteien können etwa dank §  271 BGB ohne Verhandlung über die Lieferzeit einen Vertrag schließen, in dem diese Frage gleichwohl gelöst ist. Das wäre ohne §  271 BGB ausgeschlossen. Gleichwohl begründet dieser kein Optionsrecht. Im Allgemeinen hat niemand einen Anspruch auf den Abschluss eines Kaufvertrages, geschweige denn auf einen sol209   BGH, NJW 1968, 551, 552; jurisPK-BGB5-Backmann §  145 Rn.  56; MünchKommBGB5Kramer, vor §§  145 ff. Rn.  56; Casper, Der Optionsvertrag, S.  63; einschränkend Staudinger2004-Bork, §  145 Rn.  34: Gestaltungsrecht setzt bereits ein bestehendes Rechtsverhältnis voraus. 210   Siehe aber oben 1.A.1.c).

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chen mit einer bestimmten Lieferzeit. 211 Somit gibt es abdingbare Normen, die trotz der durch sie geschaffenen Handlungsoptionen kein Optionsrecht begründen. Anders als bei diesem muss der von ihnen Betroffene nicht bereits Inhaber einer bestimmten Rechtsposition sein. Gibt es auch umgekehrt Optionsrechte, die nicht mit abdingbaren Normen einhergehen? Nach der Definition abdingbaren Rechts hängt dies davon ab, ob eine Option stets ermöglicht, die Anwendung einer Norm auszuschließen. Zu betrachten sind dafür zunächst die nach der Ausübung der Option anzuwendenden Normen. Diese können, aber müssen nicht vom abdingbaren Recht abweichen. Der durch Ausübung der Option zustande kommende Kaufvertrag mag einen anderen Inhalt als das abdingbare Recht haben. Notwendig indes ist das nicht. Denkbar ist sogar, dass das durch Option entstehende Rechtsverhältnis einen vollständig zwingenden Charakter trägt. Anders ist dies hingegen bei den vor der Option anwendbaren Normen. Unter ihnen ist mindestens eine abdingbar, nämlich der Kontinuitätsgrundsatz. Seine Anwendung muss ausgeschlossen werden, damit sich durch die Ausübung der Option die Rechtslage ändert. Auf ihn waren wir bereits gestoßen, als wir das Verhältnis abdingbarer Normen zu verfügbaren Rechten thematisierten. 212 Jede Ausübung einer Option geht daher mit dem Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm einher. Insofern beruht jedes Optionsrecht auf einer abdingbaren Norm.213 Zu den vor der Ausübung einer Option zur Anwendung kommenden Normen gehört auch das Optionsrecht selbst. Es beinhaltet die Möglichkeit, die Rechtslage durch eine einseitige Erklärung zu ändern. Sie kann, aber muss nicht abdingbar sein. Die Option, im Falle von Mängeln entweder vom Kaufvertrag zurückzutreten oder den Kaufpreis zu mindern, §§  437 Nr.  2, 441 BGB, können Unternehmer etwa im Voraus ausschließen. Für Verbraucher hingegen ist sie vor Mitteilung des Mangels zwingend, §  474 Abs.  1 S.  1 BGB. Ebenso ist die Option, bei Eheschließung den Geburtsnamen des Mannes oder der Frau zum gemeinsamen Namen zu bestimmen, aufgrund seiner höchstpersönlichen Natur unverfügbar und insofern zwingend. 214 Eltern, welche die Aufgabe des Fa211   BGH, NJW 1994, 1060, 1065 (= BGHZ 124, 351, 366). Zum ausnahmsweisen Kon­ trahierungszwang siehe §  18 Abs.  1 S.  1 EnWiG; 21 Abs.  2 LuftVG; 22 PBefG, 42a UrhG; BVerfG, GRUR 2001, 266, 267; BGH, NJW 1975, 771 (= BGHZ 63, 282, 284 f.); 1990, 761, 762; 1999, 1326 (= BGHZ 93, 151, 152); Staudinger2004-Beckmann, §  433 Rn.  13; BeckOKBGB20 -Eckert, §  145 Rn.  12–18; MünchKommBGB5-Kramer, vor §§  145 ff. Rn.  10 ff.; Medicus, SR AT, S.  34 ff., Rn.  79 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  167; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  225 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S.  124 ff. mwN.  auf S.  4. 212   Oben 1.A.4. 213   Weitergehend Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  264: „In der Sache ist optionales Vertragsrecht dispositives Vertragsrecht.“ 214   BeckOK-BGB20 -Hahn, §  1355 Rn.  8 ; Staudinger2007-Voppel, §  1355 Rn.  51; a. A. MünchKommBGB5-von Sachsen Gessaphe, §  1355 Rn.  22 mwN.: eine vertragliche Bestimmung ist möglich, aber nicht einklagbar oder vollstreckbar.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

miliennamens durch ihre Kinder befürchten, können sie auch per notariellen Vertrag nicht von den Verlobten erwerben. Optionsrechte sind deshalb nicht notwendig abdingbar und führen bei ihrer Ausübung nicht unbedingt zur Anwendung abdingbarer Normen. Gleichwohl beruhen sie auf dem abdingbaren Kontinuitätsgrundsatz. Bei der Namensführung ist er in §  1355 Abs.  1 S.  3 BGB ausdrücklich niedergelegt: Treffen die Ehegatten keine andere Bestimmung, behalten sie ihre bisherigen Namen. Optionsrechte und die durch abdingbare Normen entstehenden Handlungsoptionen sind daher miteinander verwandt, aber gleichwohl voneinander zu unterscheiden.

D.  Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen Aufgrund der allgemeinen Bestimmung abdingbaren Rechts drängt sich der Eindruck auf, dass es nicht an eine bestimmte Rechtsordnung gebunden ist. Ist es deshalb eine universale Erscheinung, zu der es in jedem Rechtssystem kommt? Das liegt zunächst nahe, weil man von jeder Norm fragen kann, ob sie abdingbar ist und ein Rechtssystem dies kaum für sämtliche seiner Normen verneint. Gleichwohl ist die Entstehung abdingbarer Normen nicht selbstverständlich. Immerhin müssen die Einzelnen dafür die Befugnis erhalten, über die Anwendbarkeit einer Norm zu entscheiden. Daher ist genauer zu untersuchen, ob abdingbares Recht unvermeidbar ist (1) und welche Bedingungen seine Verbreitung begünstigen (2–4).

1.  Die Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts Theoretisch kann ein Rechtssystem ohne abdingbare Normen auskommen und sich mit zwingenden Normen begnügen. Es müsste dafür nur Normen enthalten, von denen deren Adressaten nicht abweichen dürfen. Das ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Denn es würde auf diese Weise die von ihm Betroffenen vollständig von einer Regelung ihrer Verhältnisse ausschließen. Es müsste Regeln vorgeben, die für alle Situationen passen. Zumindest in komplexen und schnelllebigen Gesellschaften ist dies kaum möglich. Sobald das Recht individuelle Rechte vorsieht, muss es Regeln enthalten, wie sich diese aufheben und übertragen lassen. Das setzt zumindest die Abdingbarkeit des Kontinuitätsgrundsatzes215 voraus. Darüber hinaus bedarf es in nahezu allen Rechtssystemen einiger spezieller abdingbarer Normen.216 Sobald sie die Möglichkeit zur Abweichung von ihren   Oben bei 1.A.4.   Zur Unterscheidung spezieller und genereller Normen oben 1.B.

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D.  Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen

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Anordnungen schaffen, müssen sie Auffangregeln für den Fall bereitstellen, dass die Adressaten gleichwohl untätig bleiben. Diese können allerdings an­ gesichts der Vielzahl zu bedenkender Fragen ihre Verhältnisse ebenso wenig umfassend regeln wie der Gesetzgeber217, ganz abgesehen davon, dass dafür exorbitant hohe Kosten anfielen. Wenigstens für Leistungsstörungen, die Übertragbarkeit von Rechten an Dritte und die Verjährung ist ein Mindestbestand abdingbaren Rechts unverzichtbar. Gleiches gilt für Auslegungsfragen. Sie entstehen bei nahezu jeder Norm. Denn selbst wenn erschöpfende Sachregeln existieren, bedarf es einer Entscheidung, wie diese auszulegen und anzuwenden sind.218 Zu bestimmen bleibt etwa, was im Fall eines Widerspruchs zwischen zwei Absprachen geschieht und wie offene Begriffe zu interpretieren sind. Die Abbedingungsberechtigten mögen zwar versuchen, Regeln dafür zu entwickeln. Aber auch diese bedürften der Interpretation. Abdingbare Auslegungsnormen kommen überdies umso mehr zur Geltung, 219 je stärker die Abbedingungsberechtigten vom vorgegebenen Recht abweichen und eine eigene Regelung treffen. Die Frage, welche Norm gilt, verschiebt sich dann zur Frage, wie man mit den geschaffenen Normen umgeht. Auch dafür ist abdingbares Recht erforderlich. 220 Aus diesen Gründen sind Appelle an den Gesetzgeber, sich in der Gestaltung abdingbaren Rechts zurückzuhalten und den Parteien die Regelung der eigenen Angelegenheiten zu überlassen, 221 allenfalls in Randbereichen sinnvoll. Ebenso wenig wie der Gesetzgeber ein vollständiges Regelungssystem aufzustellen vermag, sind die Einzelnen dazu in der Lage. Abdingbares Recht ist zumindest praktisch unvermeidbar. Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob es gilt, sondern welchen Inhalt es hat.

217   Weber, Rechtssoziologie, S.  123; von Hippel, Privatautonomie, S.  113; Macneil, 47 Southern California Law Review 691, 731 (1974); Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 640 (1989); Schwartz, 21 Journal of Legal Studies 271, 279 (1992); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 822 (1992); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1712 (1997); Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610 (1998); Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 744 (1999); Scott, 103 Columbia Law Review 1641 (2003); Scott/Triantis, 56 Case Western Reserve Law Review 187, 190 (2005); Shavell, 56 Emory Law Journal 439, 446 (2006); Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:1 (2001); Smith, Contract Theory, p.  277; Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  156. 218   Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1819 (1991). 219   Vgl. Hill/King, 79 Chicago-Kent Law Review 889, 919 (2004). 220   Vgl. Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  254; Weber, Rechtssoziologie, S.  123; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  178; Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1174 (2003). 221   Etwa Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1691 (2003); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 410 (1994).

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

2.  Die Formulierung abstrakt-genereller Normen Sind die Normen eines Rechtssystems nicht abstrakt-generell formuliert, so stellt sich bei ihnen kaum die Frage nach ihrer Abbedingung. Denn das Abbedingungsobjekt ist dann nicht erkennbar. Zwar ist eine Abbedingung auch bei impliziten und konkret-individuellen Normen möglich, solchen Normen also, die nicht ausdrücklich formuliert sind und deren Tatbestand auf einzelne Individuen, Orte, Zeiten oder Gegenstände verweist. 222 Bei ihnen aber ist das Bedürfnis zur Abbedingung geringer, da sie bereits auf den einzelnen Sachverhalt angepasst sind. Zudem liegt bei ihnen eine Abbedingung fern, weil individuelle Normen durch sie ihren Anwendungsbereich vollständig einbüßen. Ihre Abbedingung kommt einem Geltungsverlust gleich. Die Frage nach der Abbedingung von Normen stellt sich deshalb in erster Linie bei abstrakt-generellen Normen. Sie ermöglichen eine Anpassung an Umstände, die bei ihrer Verabschiedung nicht vor Augen standen, büßen damit aber ihren Regelungsgehalt nicht vollständig ein. Die Abdingbarkeit von Normen wird des Weiteren dadurch begünstigt, dass man das Recht als Normensystem und nicht als Inbegriff einzelner Rechte sowie Pflichten versteht. Denn erst dann stellt sich verstärkt die Frage nach dem Umgang mit Normkollisionen. Die Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und Geltung einer Norm ist eine von mehreren Reaktionen darauf. Zu ihr kommt es, sobald vertragliche Absprachen die sonst geltenden Vorgaben verdrängen können. Bereits im römischen Recht ist dies nachweisbar. 223 Selbst dort sind eine Vielzahl von Rechtsinstituten aber als Fallrecht224 entwickelt worden, das nicht in ein abstrakt-generelles Normensystem eingebettet war. Das Fallrecht war nicht mit dem Anspruch verbunden, sämtliche Fragen durch abstraktgenerelle Normen zu entscheiden. Entsprechend stand die Frage nach der Abdingbarkeit seiner Normen nicht im Vordergrund und blieb es den Parteien überlassen, eine Fülle von Fragen zu lösen 225 . Abweichungen von vorherigen Entscheidungen ließen sich auch ohne Abbedingung schlicht damit begründen, dass der Sachverhalt anders gelagert sei. Nicht der Umgang mit abstrakt-generellen Normen, sondern der mit einzelnen Rechten stand im Vordergrund. Folglich wurde der Verzicht auf Rechte eher thematisiert als die Abbedingung von Normen. 226 Paradigmatisch zeigt sich daran, dass die Frage nach der Ab-

222   Zu diesem Unterschied zwischen konkret-individuellen (singulären) und universellen Normen Günther, Sinn für Angemessenheit, S.  29 f. 223   Oben Einleitung, Fn.  2. 224   Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, S.  181 ff.; Mayer-Maly, Römisches Recht, S.  2, 25 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S.  144. 225   Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 95. 226   Siehe dazu aus dem Alten Testament Nehemia 5, 14; Nehemia 10, 32; Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, S.  8 0 ff., 138 ff. Weiterhin thematisieren die Gesell-

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dingbarkeit einer Norm umso stärker auftritt, je systematischer das Recht ausgebildet ist, und umso schwächer, je mehr es auf Kasuistik beruht. Ebenso beeinflusst die Art der Urteilsbegründung die Frage, wie stark in einem Rechtssystem die Abdingbarkeit von Normen zu Tage tritt. Solange es keiner verallgemeinerbaren Begründung bedarf, fallen Abweichungen von bisherigen Urteilen und den sie tragenden Normen nicht auf. Richter, die einen Rechtsstreit ohne Bezug auf abstrakt-generelle Normen entscheiden können, müssen auf deren Abdingbarkeit nicht eingehen. Ein auf Einzelfallentscheidungen aufbauendes Rechtssystem muss daher die Abbedingung abstraktgenereller Normen nicht thematisieren, selbst wenn diese gehäuft auftritt.227 Abweichungen von den bisherigen Entscheidungen hat es nicht durch abstraktgenerelle Kriterien zu begründen, zu denen auch die Abbedingung einer Norm zählt. Es genügt ihm, verschiedene Fallgruppen voneinander zu unterscheiden, deren unterschiedliche Behandlung man etwa mit den verschiedenen Vereinbarungen der Parteien begründet. Dass diese Unterschiede nur relevant sind, wenn man von der Abdingbarkeit der sonst maßgeblichen Normen ausgeht, fällt nicht auf. In voller Stärke stellt sich die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Abbedingung erst in einem auf formulierten abstrakt-generellen Normen aufbauenden Rechtssystem. Aus diesem Grund ist es kein Zufall, dass die Frage nach der Abdingbarkeit von Normen nach der Verabschiedung des BGB eine größere Aufmerksamkeit fand 228 als unter der Geltung des gemeinen Rechts. Erst die Kodifikation privatrechtlicher Normen ließ gehäuft die Frage aufkommen, welche von ihnen abdingbar sind.229

3.  Unterscheidung zwischen Gesetzgeber und Abbedingungsberechtigtem Die Thematisierung abdingbarer Normen wird durch die Unterscheidung zwischen Gesetzgeber und Abbedingungsberechtigten begünstigt. Diese ist nicht selbstverständlich. Denn dafür muss ein Rechtssystem seinen Adressaten die Möglichkeit zugestehen, über die Anwendbarkeit seiner Normen zu entscheiden. Theoretisch ist es zwar vorstellbar, dass sich der Gesetzgeber diese Möglichkeit selbst einräumt und bereits deshalb abdingbare Normen existieren. Das schaftsvertragstheorien zwar den Verzicht, nicht aber die Abdingbarkeit einer Norm, etwa Hobbes, Leviathan, p.  65. 227   Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  276 ff. 228   Etwa Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  1 f f.; Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  7 ff.; Hölder, KritVZ 1900, 477 ff.; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  62 ff.; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  125 ff.; zuvor bereits Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148 ff. 229   Entsprechendes gilt für die USA mit der Aufstellung des Uniform Commercial Code, Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 274 (1985).

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war etwa nach Art.  76 der Weimarer Reichsverfassung der Fall, die mit verfassungsdurchbrechenden Gesetzen die Möglichkeit vorsah, die Anwendbarkeit einer Norm auszuschließen, ohne ihr damit die Geltung zu nehmen.230 Der verfassungsgebende Gesetzgeber hatte dadurch die Möglichkeit zur Abbedingung der einfach gesetzlichen Normen geschaffen. Jedoch ist das inzwischen ausgeschlossen, Art.  79 Abs.  1 S.  1, 19 Abs.  1 GG. Der Gesetzgeber beschränkt sich darauf, die Rechtslage durch die Verabschiedung, Aufhebung und Veränderung von Normen zu gestalten. Der Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm erfolgt daher meist durch andere Personen als den Gesetzgeber. Diese müssen dafür über eine gewisse Autonomie verfügen. Sie sind zwar an die Gesetze gebunden, dürfen aber zumindest teilweise deren Anwendbarkeit ausschließen. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber sie nicht als unmündige Untertanen behandelt, die dem Recht unterworfen sind, ohne an ihm mitwirken zu dürfen. Die Betonung der Autonomie liegt einerseits bei Privaten nahe, die ihre Verhältnisse durch Verträge gestalten dürfen, und andererseits bei Hoheitsträgern jenseits der Zentralgewalt, denen wie den Bundesländern eine gewisse Autonomie zukommt. Denn in beiden Fällen stellt sich die Frage, wie man mit den von autonomen Personen geschaffenen konfligierenden Normen umgeht. Soll dabei eine Person nicht stets den Vorrang genießen, bietet es sich an, Normkollisionen über die Abdingbarkeit zu lösen. Auf diese Weise bleiben die Geltung der verdrängten Norm und damit auch die Autorität ihres Urhebers unberührt. Eine andere Möglichkeit zur Lösung von Normenkollisionen ist die Trennung von Zuständigkeiten. Ein derartiges Nebeneinander verschiedener Rechtsbereiche prägt etwa das Verhältnis vom Bundes- zum Landesrecht, Art.  70 ff. GG. Zur Frage nach der Abdingbarkeit des einen durch das andere kam es lange nicht, weil jedes nur für den eigenen Bereich galt. Der Vorrang des Bundesrechts nach Art.  31 GG spielte daher keine entscheidende Rolle. Die Föderalismusreform im Jahre 2007 erweiterte jedoch die Möglichkeiten zur Kollision von Bundes- und Landesnormen, indem sie die so genannte Abweichungskompetenz einführte.231 Diese gibt den Bundesländern die Möglichkeit, eine von einer Bundesnorm abweichende Regelung zu treffen. Da die Bundesnormen damit nicht ihre Geltung, sondern nur ihre Anwendbarkeit verlieren, handelt es sich ebenfalls um eine Abbedingung. Aufgrund der Trennung von Zuständigkeiten stellte sich auch im englischen Common Law zunächst kaum die Frage nach der Abdingbarkeit seiner Normen. Es herrschte die Vorstellung vor, dass es unabhängig von den staatlichen Gesetzen besteht und auf Gewohnheit sowie Vernunft beruht.232 Für den eng   Oben 1.A.2, Fn.  73.   Siehe etwa Art.  72 Abs.  3, ähnlich Art.  84 Abs.  1 S.  2 GG. 232   Lobban, A History of the Philosophy of Law in the Common World, pp.  16, 35, 225– 227; Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1290 (2000). 230 231

D.  Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen

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begrenzten Bereich des staatlichen Rechts wurde das Common Law als verdrängt angesehen. Beide Bereiche erschienen getrennt. Das Common Law passte sich den Verträgen an, aber es bestand nicht die Vorstellung, dass die Parteien über vorgegebene Normen verfügen. Eine Abbedingung der staatlichen Normen erschien mit der dem Parlament zugesprochenen Souveränität unvereinbar. Wegen der an einzelnen Entscheidungen orientierten Begründungspraxis standen abstrakt-generelle Vorgaben auch im Übrigen nicht im Vordergrund und damit auch nicht die Frage, ob sie durch anderweitige Absprachen für einzelne Sachverhalte verdrängt werden. Die Abdingbarkeit von Normen wurde folglich kaum thematisiert. 233 Anders war dies bei den seit dem 18. Jahrhundert aufkommenden Kodifikationen. Ihre abstrakt-generelle Formulierung des Vertragsrechts wäre von vornherein an der Vielfalt der Vertragspraxis gescheitert, wenn es nicht über die Abbedingung an sie anpassbar gewesen wäre. Denn diese Regeln sind so umfassend, dass zumindest ein punktueller Konflikt mit den Vereinbarungen der Parteien unvermeidbar wird. Unter derartigen Kodifikationen ist die Vorstellung eines konfliktfreien Nebeneinanders von staatlichen Gesetzen und privatrechtlichen Absprachen daher kaum noch aufrecht zu erhalten. Je stärker aber Kollisionen zwischen ihnen zu Tage treten, desto eher drängt sich ihre Lösung mithilfe der Abdingbarkeit von Normen auf. Allerdings ist es auch unter der Geltung einer Kodifikation nicht selbstverständlich, den von ihr Betroffenen eine Abbedingungsberechtigung zuzusprechen. Das ist nämlich mit der positivistischen Vorstellung schwer zu vereinbaren, sämtliches Recht ginge auf den Staat zurück. Ihr widerspricht die Annahme, Private könnten durch autonome Entscheidung die Anwendung einer Norm ausschließen. Als Ausweg bleibt dann nur, den möglichen Vorrang privater Disposition nicht zu thematisieren oder auf Fiktionen zurück zu greifen. So meinte etwa Oskar Bülow am Ende des 19. Jahrhunderts, dass eine Abbedingung die Ermächtigung des Gesetzes voraussetze, über eine bestimmte Norm zu verfügen.234 Wie genau diese Ermächtigung beschaffen sein müsse, blieb dabei offen und angesichts vielfach fehlender Quellen zur Frage, ob sich der Gesetzgeber überhaupt die Frage nach der Abbedingung einzelner Normen stellte, prekär. In der Anwendung abdingbaren Rechts hat dieses Kriterium zu Recht keine große Bedeutung erlangt. Denn die Ermächtigungen lassen sich im Einzelfall kaum nachweisen. Jedoch konnte Bülow auf diese Weise die etatistische Vorstellung eines alles bestimmenden Staates mit dem weit verbreiteten Phänomen abdingbarer Normen vereinbaren.

  Lenhoff, 45 Michigan Law Review 39, 41 (1946).   Bülow, AcP 14 (1881), 1, 9, 45 ff.; zur Ermächtigungstheorie unten 5.A.3.

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Mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Vertragsfreiheit235 fällt hingegen die Vorstellung leichter, dass Private über die Anwendbarkeit einer Norm verfügen. Aufgrund der Vielzahl der Gesetze bliebe von ihr kaum etwas übrig, wenn sie nicht die Freiheit zur Disposition über einzelne gesetzgeberische Vorgaben einschlösse. Der Gesetzgeber hält die Abdingbarkeit vertragsrechtlicher Normen inzwischen sogar für so selbstverständlich, dass er bisweilen auf ihre Angabe im Gesetz verzichtet und in den Gesetzesmaterialien auf die „allgemeine Vertragsfreiheit“ verweist. 236 Hinter dieser Annahme steht eine als umfassend verstandene Freiheit, in die der Gesetzgeber nur ausnahmsweise eingreifen darf. Wo er dies unterlässt, bleibt die Freiheit unbeschränkt. Mit der Abbedingung stellt man seine Autorität nicht in Frage. Denn zum einen setzt man sich mit einer Abbedingung zwar über die sachliche Primärnorm hinweg, nicht aber über eine ihre Anwendbarkeit regelnde Sekundärnorm.237 Zum anderen verbleibt dem Gesetzgeber innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen stets die Möglichkeit, seine Ziele durch zwingende Normen durchzusetzen. Die Frage nach der Abbedingung einer Norm liegt daher umso näher, je stärker die Stellung der von ihr betroffenen Rechtssubjekte ist. Umso leichter fällt die Annahme, sie dürften ihre Verhältnisse nicht nur selbstständig, sondern bisweilen auch gegen die sonst maßgeblichen Vorgaben gestalten. Insoweit liegt die Frage nach der Abdingbarkeit von Normen in Rechtssystemen besonders nahe, in deren Zentrum der Einzelne steht.238 Sie haben die geringsten Schwierigkeiten, ihm eine Abbedingungsberechtigung zuzusprechen.

4.  Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm Um eine Abbedingung zu erfassen, muss ein Rechtssystem fähig sein, zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm zu unterscheiden. Das ist in archaischen Rechtsordnungen kaum zu erwarten. Dazu müssten sie entweder Normen mit einem Tatbestandsvorbehalt oder Metanormen mit einem Anwendbarkeitsvorbehalt vorsehen. In jedem Fall sind ihre Normen damit komplexer, als wenn sie ohne Einschränkung ein bestimmtes Verhalten regeln. Sie 235   BVerfG, NJW 1961, 1395 (= BVerfGE 12, 341, 347); 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 231); 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181); v. Mangoldt/Klein/Starck 6 , Art.  2 Abs.  1 Rn.  145; im Einzelnen unten 4.A.2.b). 236   BT-Drucks 14/6040, S.  110. 237   Zur Unterscheidung oben 1.A.1.d). 238   Umgekehrtes gilt in kollektivistischen Rechtssystemen, Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  61: „Wir müssen also vor allem die Scheu vor zwingenden, die Vertragsfreiheit beschränkenden Normen ablegen .  .  . wo es das Wohl des Volksganzen verlangt.“ (1922). Zur Prägung des Rechts durch den Individualismus siehe von Jhering, Der Geist des Rechts, S.  286, trotz seiner Kritik am Liberalismus, S.  304 ff.; von der Pfordten, Rechtsethik, S.  536 ff.; ders., JZ 2005, 1069, 1071 ff.

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bedürfen dann nämlich so genannter Sekundärnormen, welche die Anwendung von Primärnormen bestimmen. 239 Darüber hinaus ist für die Abdingbarkeit einer Norm das Bewusstsein erforderlich, dass diese nicht auf alle Sachverhalte passt und von der Entscheidung seiner Adressaten abhängen soll. Je verbreiteter deshalb die Vorstellung ist, die Normen eines Rechtssystems enthielten eine gerechte Regelung – sei es aufgrund göttlicher Herkunft, Tradition oder demokratischer Legitimation – desto schwerer fällt es, ihre Abdingbarkeit zu begründen. Das gilt selbst noch im heutigen bürgerlichen Recht. Der abdingbare Charakter seiner Normen nimmt in dem Maße ab, in dem ihm ethische Maßstäbe entnommen werden. Über §  138 BGB erlangen sie Verbindlichkeit 240 und begrenzen damit die Abdingbarkeit. Umgekehrt liegt die Entstehung abdingbarer Normen dort nahe, wo Zweifel an der Steuerungsfähigkeit eines zentralen Gesetzgebers bestehen. Denn sie begünstigen die Entstehung konkurrierender Normen. Damit kommt verstärkt die Frage nach dem Rangverhältnis staatlicher und nicht staatlicher Normen auf. Eine flexible Möglichkeit, darauf zu reagieren, bietet die Abdingbarkeit von Normen. Besonders dringlich ist sie bei umfassenden abstrakten Regeln, da deren uneingeschränkte Anwendung auf sämtliche Konstellationen zu ungewollten Ergebnissen führt. Ihre Abdingbarkeit gleicht ihren umfassenden Charakter aus und ermöglicht eine Anpassung an den Einzelfall.

5.  Stand der Rechtsentwicklung? Überschaut man diese Voraussetzungen für die Formulierung abdingbarer Normen, so stellt sich die Frage, ob sie erst ab einem bestimmten Stand der Rechtsentwicklung Verbreitung finden. Dafür spricht zumindest, dass das Rechtssystem imstande sein muss, zwischen dem Abbedingungsberechtigten und dem Gesetzgeber sowie der Geltung und der Anwendbarkeit einer Norm zu unterscheiden.241 Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die Verbreitung abdingbarer Normen von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet variiert. Geht es wie im öffentlichen Recht in erster Linie um das Verhältnis des Einzelnen zum Staat, liegt die Verwendung abdingbarer Normen zunächst fern. Für die Errichtung des Staates bedarf es nämlich zwingender Normen, die ihm in wesentlichen Fragen die alleinige Entscheidungsmacht einräumen. Zu ihnen gehören insbesondere das Straf- und das Polizeirecht. Erst nach ihrer Etablierung lässt sich dieser Kernbestand zwingenden Rechts durch abdingbare Normen erweitern. Daher hat der öffentlich-

  Hart, The Concept of Law, p.  91.   Dazu unten 3.B.4.a). 241   Vgl. Möslein, Dispositives Recht, S.  35. 239 240

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

rechtliche Vertrag und mit ihm die Abdingbarkeit von Normen des öffentlichen Rechts erst in jüngerer Zeit ausdrückliche Anerkennung gefunden.242 Das Umgekehrte gilt für privatrechtliche Normen. Sie regeln in erster Linie das Verhältnis der Einzelnen untereinander. Damit berühren sie erst mittelbar die Belange des Staates. Sein Interesse an ihnen ist aus diesem Grund nicht offensichtlich. 243 Zu vermuten ist daher, dass der Staat als die zentrale Regelungsinstanz in diesem Bereich früh abdingbares Recht zulässt, weil es ihn zum einen weniger als in anderen Bereichen betrifft und er zum anderen mit einer umfassenden Regelung durch zwingendes Recht überfordert wäre. Durch vertragliche Dispositionen ist dann eine Anpassung an individuelle Verhältnisse erforderlich. 244 Erst wenn der Staat seinen Regelungsanspruch auf private Verhältnisse ausdehnt, wird er auch dort vermehrt zwingende Normen einsetzen. Das lässt sich am Verbraucherschutzrecht gut beobachten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Abgrenzung zwischen zwingendem und abdingbarem Recht zunächst als die zwischen öffentlichem und privatem Recht verstanden wurde, 245 inzwischen aber auf andere Weise geschieht 246 . Zu groß ist inzwischen der gesetzgeberische Gestaltungsanspruch, als dass man das Privatrecht vom zwingenden Recht ausnehmen könnte. Je stärker sein Regelungsanspruch wird, desto verbreiteter werden zwingende Normen. Fehlt hingegen ein zentraler Gesetzgeber, ist zu erwarten, dass sich diese Zusammenhänge umkehren. Denn dann treten andere Autoritäten an seine Stelle, die sich durch zwingende Normen kaum beschränken lassen. So hat sich etwa im Völkerrecht als einem Rechtssystem ohne zentrale Autorität erst nach und nach eine nennenswerte Zahl zwingender Normen etabliert.247 Im Vordergrund stand zunächst die Vorstellung einer unbegrenzten Souveränität der Einzelstaaten.248 Das Völkerrecht stützte sich daher anfangs vor allem auf abdingbare Regeln, von denen die einzelnen Staaten durch Vertrag abweichen durften. Die Vorstellung, dass diese an zwingende Vorgaben gebunden sein können, setzte sich erst spät

242   §§  54 ff. VwVfG, geschaffen mit Gesetz vom 25.  5.  1976; zur Entwicklung Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  28 ff. Entsprechend konstatierte Bülow, AcP 14 (1881), 1, 2 für die Anfänge des (öffentlichen) Prozessrechts seine „Überlastung mit absolut verbindlichen Regeln“. 243   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  23 sah den Gegensatz des öffentlichen und privaten Rechts noch darin, dass „in dem Privatrecht der einzelne Mensch für sich Zweck ist, und jedes Rechtsverhältnis sich nur als Mittel auf sein Daseyn oder seine besonderen Zustände bezieht.“ 244   Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S.  10: „[D]er Vertrag wird die Kategorie, in der die soziale Dimension menschlichen Lebens als disponibel, als in jeder ihrer Ausformungen kontingent gedacht wird.“ 245   Oben Einleitung, Fn.  2, dazu sogleich 1.E.1.b). 246   Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  84; sowie sogleich Fn.  259. 247   BVerfG, JZ 1965, 355, 356, weitere Nachweise oben 1.A.3.b), Fn.  96. 248   Verdross, The American Journal of International Law 1966, 55, 56.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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durch. 249 Die Entstehung völkerrechtlicher Normen dürfte damit spiegelbildlich zur Entwicklung des öffentlichen Rechts innerhalb der Staaten verlaufen. Erst eine ausführliche rechtsgeschichtliche Analyse kann diese Vermutungen belegen. Sie würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen. Wichtig ist an dieser Stelle nur, dass die Verbreitung abdingbaren Rechts keine Selbstverständlichkeit ist. Sie hängt von einer Fülle kontingenter Faktoren ab, so vor allem von der Rolle der zentralen normgebenden Autorität und ihrer Beziehung zu den einzelnen Rechtssubjekten. Sowohl die Dezentralisierung der Rechtssetzung als auch eine starke Stellung des Individuums begünstigen abdingbares Recht.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen Da die Verwendung abdingbarer Normen nach dem eben Dargelegten von kontingenten Umständen abhängt, lohnt es, genauer zu betrachten, ob sie in allen Rechtsgebieten vorkommen (1) und welche Arten von Normen zu ihnen zählen (2).

1.  Der rechtsgebietsübergreifende Charakter abdingbaren Rechts a)  Privatrecht Abdingbare Normen sind für das Privatrecht so typisch, dass man es bisweilen mit ihnen identifiziert hat. 250 Verträge sind nur möglich, weil den Parteien die Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse eröffnet ist. Dies setzt zumindest die Abbedingung des Kontinuitätsgrundsatzes voraus. Darüber hinaus enthält vor allem das Schuldrecht eine Fülle von Normen, die den Parteien die Verhandlungen erleichtern und ihnen zugleich die Möglichkeit zu einer Abweichung einräumen. Sie reichen von Regeln über den Zinssatz in den §§  246 f. BGB über einzelne Gewährleistungsrechte der §§  434 ff., 536 ff., 633 ff. BGB bis hin zu den deliktischen Regeln der §§  823 ff. BGB. Gleichwohl ist das Privatrecht nicht mit dem abdingbaren Recht identisch. Die Frage, ob die Adressaten einer Norm von ihr abweichen dürfen, ist eine andere als die, ob man es mit privatrechtlichen Verhältnissen zu tun hat. Bei diesen liegt die Möglichkeit zur Abbedingung zwar näher als im öffentlichen Recht, weil der Gesetzgeber am Vertragsverhältnis nicht beteiligt ist. Er hat daher ein geringeres Interesse an dessen Ausgestaltung, als wenn er wie im öffentlichen Recht einen Teil des von der jeweiligen Norm gestalteten Rechtsverhältnisses bildet.   AaO., 55, sowie oben 1.A.3.b), Fn.  96.   Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 2. Teil, S.  124, wonach sie nur ausnahmsweise, „wenn öffentliche Interessen bestimmend einwirken“, zwingend seien; zur Abgrenzung vom öffentlichen Recht sogleich 1.E.1.b). 249

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Jedoch gibt es auch im Privatrecht zahlreiche zwingende Normen. Sie verfolgen unter anderem das Ziel, am Vertrag nicht beteiligte Dritte zu schützen, die sich mangels Teilnahme an den Verhandlungen kaum gegen eine Abbedingung wehren können und gleichwohl von ihr betroffen sind. Das gilt insbesondere für das Sachenrecht, das die Verkehrsfähigkeit der Güter und Auswirkungen auf am Vertrag nicht beteiligte Dritte berücksichtigen muss.251 Diese Gesichtspunkte kommen ferner im Familienrecht zum Tragen, das in einem Geflecht verschiedener Personen einen Ausgleich schaffen muss. Ebenso finden sich im Schuldrecht zwingende Normen zugunsten benachteiligter, unterlegener oder aus anderem Grund als schützenswert empfundener Personen wie Arbeitnehmern und Handwerkern, Mietern und Verbrauchern. 252 Selbst in diesen Gebieten hat allerdings die Möglichkeit zur Abbedingung privatrechtlicher Normen eine bleibende Bedeutung. Denn zum einen ist der Schutz auch hier nicht absolut, sondern hängt von einem Zusammenspiel mit anderen Zwecken ab. Zum anderen bedarf er seinerseits der Ausgestaltung. Beides befördert die Abbedingung gesetzlicher Vorgaben. b)  Öffentliches Recht Weniger offensichtlich als im Privatrecht ist die Verwendung abdingbarer Normen im öffentlichen Recht. Lange Zeit hat man es für zwingend gehalten und dies in Anlehnung an die Digesten 253 sogar zu seinem Wesen erklärt. 254 Das war 251   Motive, Bd.  3, S.  3; Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, Sachenrecht, S.  101; MünchKommBGB5-Gaier, Einl zu §§  854 ff. Rn.  11; Staudinger2008-Seiler, Eckpfeiler des Zivilrechts, S.  967–968; Bork, AT, S.  39, Rn.  95; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  99, S.  69; §  15 Rn.  11, S.  252; Wilhelm, Sachenrecht 3, S.  6 f., Rn.  13 ff.; Pawlowski, AT, S.  33, Rn.  68. Für das amerikanische Recht Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1415 (2009): „Property is a system of mandatory rules, not modifiable by the agreement of the parties.“ 252   Siehe etwa §§  8a Abs.  5 Altersteilzeitgesetz (Insolvenzschutz), 648a Abs.  7 BGB (Bauhandwerkersicherung), 307–309, 553 Abs.  3 BGB; weitere Nachweise unten 5.A, Fn.  5. 253   Corpus Iuris Civilis, Papinianus, D.2.14.38: „Ius publicum privatorum pactis mutari non potest.“; Ulpian, D.11.7.20; D.26.7.5.7; D. 50.17.45.1: „Privatorum conventio juri publico non derogat.“; dazu von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  58; Bülow, AcP 64 (1881), 1, 100 ff., der sich gegen den Umkehrschluss auf die Abdingbarkeit des Privatrechts wendet; Ankum, SZ 1980, 288, 310 ff.; Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 108 ff.; ders., SZ 1986, 1, 75 ff.; Mohnhaupt, Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht, S.  125. 254   von Wächter, Pandekten, Bd.  1, S.  93; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  2; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  344: „Öffentliches Recht .  .  . ist seiner Natur nach kein Gegenstand rechtlichen Verkehres und privater Disposi­ tion“, einschränkend aber S.  342, 349; Bettermann, NJW 1954, 965; Thieme, JZ 1964, 81, 84; Kaser, SZ 1986, 1, 76: „Die Unabdingbarkeit der geltenden Rechtsordnung ist die Eigenschaft, die das Wesen des i.publ. ausmacht“; Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, S.  71 mwN.; Rheinstein, Gesammelte Schriften, Bd.  1, S.  156; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  43; ähnlich im IPR für Art.  9 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I), wo eine Orientierung am öffentlichen Interesse für notwendig gehalten wird, etwa BGH, NJW 2006, 762, 754; BAG, NZA 2002, 734, 737 (= BAGE 100, 130, 139); Kropholler, Internationales Privatrecht, S.  22. Zur Schweiz siehe

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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bereits deshalb problematisch, weil der im römischen Recht gebrauchte Begriff des öffentlichen Rechts keinesfalls identisch war mit dem erst später für ihn entwickelten Verständnis als Sonderrecht des Staates.255 Daher lassen sich die Digestenstellen zum öffentlichen Recht kaum auf unseren heutigen Begriff des öffentlichen Rechts übertragen.256 Sie formulieren nur, was auch heute noch für privatrechtliche Verträge gilt, dass sie sich nämlich über öffentlichrechtliche Interessen und die sie formulierenden Normen nicht hinwegsetzen dürfen, 257 §  134 BGB. Überdies kann man im Umkehrschluss zur betonten Abdingbarkeit des Privatrechts nicht behaupten, dass alle öffentlichrechtlichen Normen zwingend seien. Denn letztlich dient auch das öffentliche Recht zur Verwirklichung individueller Interessen 258 und hat aus diesem Grund keinen prinzipiellen Vorrang vor den Absprachen der Einzelnen, die nur mit einem anderen Mittel dasselbe Ziel zu erreichen suchen. Auch unabhängig vom Verständnis des römischen Rechts lässt sich die Möglichkeit abdingbaren öffentlichen Rechts nicht verneinen. An vielen Stellen gibt es abdingbares öffentliches Recht. 259 Dazu gehören insbesondere die Normen, von denen der Staat durch öffentlichrechtliche Verträge abweichen kann. So können die Gemeinden durch städtebauliche Verträge Vorgaben des Baugesetzbuchs abbedingen.260 Daneben prägen abdingbare Normen auch das bereits erwähnte Völkerrecht. 261 Allenfalls mag man daher als heuristische Regel formulieren, dass öffentliche Normen meist oder überwiegend unabdingbar sind.262 Schluep, Einladung zur Rechtstheorie, S.  212 Rn.  572; für die USA Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 616 (1982). 255   Ankum, SZ 1980, 288, 312; Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 104; ders., SZ 1986, 1, 6 f., 100; Mohnhaupt, Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht, S.  125, nach dem „ius publicum“ mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht wurde; Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  37 mwN. 256   Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  8. 257   Zum eingeschränkten Anwendungsbereich von Corpus Iuris Civilis, D.2.14.38 siehe Kaser, SZ 1986, 1, 76, wonach die Regel nicht für die „Gewährungs-“ oder „Erlaubnisssätze“ galt, durch die Private einzelne Befugnisse erwarben; von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  60; Wagner, Prozeßverträge, S.  59. Zur auch bei öffentlichen Interessen erforderlichen Abwägung unten 4.B.2.b). 258   Bleckmann, JZ 1988, 57, 59 sowie unten 4.B.2.b), Fn.  222 ff. 259   Bülow, AcP 14 (1881), 1, 108; Dernburg, Pandekten, Bd.  1, S.  69; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S.  82; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grund­ begriffe, S.  117, 292 f.; Stern, VerwArch (49), 1958, 106, 137; Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  72; Wagner, Prozessverträge, S.  89; Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  84 mwN.; für den Bereich des internationalen Privatrechts MünchKommBGB4-Martiny, Art.  34 EGBGB Rn.  12; BVerfG, NVwZ 2006, 191, 193 (= BVerfGE 114, 196, 226) zu §  131 Abs.  2 SGB V; BVerwG, NJW 1992, 1642, 1643 (= BVerw­ GE 89, 7, 10) zu §  123 Abs.  1 BauGB; NVwZ 2004, 747, 750 (= BVerwGE 119, 363, 373) zu §  82 Abs.  2 HambPersVG; zur Schweiz: BGE 90, I, 206, 211. 260   §§  11 f., 124, 171c BauGB; BVerwG, NJW 1969, 2162, 2163 zu §  129 Abs.  1 BauGB. 261   Siehe etwa BGH, NStZ 2007, 344 zum Verzicht auf die Untersuchung eines Angeklagten durch Beamte des eigenen Staates. 262   Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Pri-

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Denn als einseitig gesetzte Hoheitsakte gehen sie typischerweise mit einem Verbindlichkeitsanspruch einher, der einem Ausschluss ihrer Anwendbarkeit entgegensteht. Sie sind das Ergebnis komplexer Abwägungsprozesse, die sich innerhalb einer Vertragsverhandlung kaum wiederholen lassen, zumal daran nur ein Bruchteil der Betroffenen teilnimmt. Ebenso grenzt das Grundgesetz mit seiner bereits thematisierten Abweichungskompetenz263 die Zuständigkeit von Bund und Ländern mithilfe abdingbaren Rechts ab, Art.  72 Abs.  3. Dass es hier um den Ausschluss der Anwendbarkeit und nicht um die veränderte Geltung einer Norm geht, zeigt sich unter anderem daran, dass nach der Aufhebung des abbedingenden Landesrechts das Bundesrecht wieder auflebt. 264 Dies wäre bei einem Widerstreit von Geltungsansprüchen nicht der Fall. 265 Die Verwendung abdingbaren Rechts ist auch in diesem Bereich nicht überraschend, hat man es doch wie im Verhältnis zwischen dem Staat und den Einzelnen mit verschiedenen Subjekten zu tun, deren Regelungen aufeinander abzustimmen sind. Entsprechend tritt abdingbares Recht im EU-Recht auf, das den Mitgliedsstaaten bisweilen gestattet, die Anwendbarkeit seiner Normen auszuschließen.266 Abdingbare Normen lassen sich somit von zwingenden Normen nicht dadurch unterscheiden, dass sie „privatisierbar“ sind, d. h. deren inhaltliche Gestaltung auf Private übertragen werden könnte.267 Denn möglicherweise ist allein ein Hoheitsträger zu ihrer Abbedingung befugt. Im öffentlichen Recht treten abdingbare Normen ferner bei der Konkretisierung der Verfassung auf. Überantwortet sie das Grundgesetz dem einfachen Gesetzgeber, hat er zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum. Jedoch besteht keine Gewissheit dafür, dass er ihn ausfüllt. Aus diesem Grund muss das Grundgesetz zugleich eine Regelung für den Fall vorsehen, dass eine Konkretivatrechts 23 (1885), 148; Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  14; Bettermann, NJW 1954, 965; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  301; Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, S.  28; Westermann, AcP 208 (2008), 141, 149: „tendenziell vorrangig“; noch enger Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  75: es verbiete sich jede „pauschalierende Bedeutung“. 263   Oben 1.D.3. 264   BeckOK-GG11-Seiler, Art.  72 Rn.  28; Sachs5-Degenhardt, Art.  72 Rn.  40; ferner Hömig8-Schnapauff, Art.  72 Rn.  5. 265   So für einen sonstigen Widerspruch zwischen Bundes- und Landesrecht Maunz/Dürig53-Korioth, Art.  31 Rn.  20, mit Einschränkung für die Kollision konkretisierungsbedürftiger Normen in Rn.  23; Dreier 2, Art.  31 Rn.  43 f.; Sachs5-Huber, Art.  31 Rn.  23; Hömig8-Risse, Art.  31 Rn.  2. Anderes gilt aber für die Kollision von Bundes- und Landesverfassungsrecht BVerfG, NJW 1974, 1181, 1182 f. (= BVerfGE 36, 342, 367 f.); 1998, 1296, 1298 (= BVerfGE 96, 345, 364). 266   Etwa Art.  2 Abs.  4 –6 der Verordnung (EG) Nr.  1371/2007 vom 23.  10.  2007 (Rechte und Pflichten im Eisenbahnverkehr). Ähnlich für die USA Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 30 (1993). 267   Anders Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 706 (1999): „Default rules are those government-created rights and duties that are privatizable“.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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sierung unterbleibt. Auch diese Vorgabe ist Teil der Verfassung und wird durch ein einfaches Gesetz nicht beseitigt. Daher tritt bei ihr derselbe Unterschied zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm auf wie bei allen anderen abdingbaren Normen. Der einfache Gesetzgeber kann die subsidiär zum Zuge kommenden Auffangregeln abbedingen, aber nicht außer Kraft setzen. Er vermag nur, ihre Anwendbarkeit für einen Zeitraum auszuschließen, in dem ein von ihm verabschiedetes Gesetz gilt. 268 Tritt es außer Kraft, kommt wieder die von Verfassungs wegen geltende Auffangregel zum Zuge. Das zeigt, dass ihre Geltung unberührt bleibt, auch wenn ihre Anwendbarkeit ausgeschlossen werden kann. Ein Beispiel für eine derartige Abbedingung durch einfaches Gesetz ist die Ausgestaltung der Religionsfreiheit des Art.  4 GG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in der Kopftuchentscheidung entwickelt hat 269. Nach ihr darf eine Lehrerin solange ein Kopftuch in der Schule tragen, bis der Gesetzgeber das Gegenteil festlegt. 270 Tritt sein Verbot wiederum außer Kraft, kommt erneut die verfassungsrechtliche Erlaubnis zum Tragen. Sie ist daher abdingbar, auch wenn dies meist anders formuliert wird. So kann man Art.  4 Abs.  1 und 2 GG die Regel entnehmen: „Sofern der Gesetzgeber nichts anderes bestimmt, ist das Tragen von Kopftüchern im Schulunterricht erlaubt.“ Das ähnelt schon der Formulierung nach einem Tatbestandsvorbehalt des Vertragsrechts. So wie dort kommt die Norm nur zum Zuge, wenn keine andere Entscheidung getroffen wurde. Aufgrund des damit geltenden Anwendungsvorbehalts zählt diese Regel zum abdingbaren Recht.271 Die Kopftuchentscheidung zeigt exemplarisch, dass abdingbares Recht nicht allein im Privatrecht, geschweige denn nur im Vertragsrecht vorkommt. Das muss nicht erstaunen, da seine Definition nicht bestimmt, wer Adressat einer abdingbaren Norm ist und wie die Abbedingung erfolgt. Sie kann per Vertrag, aber auch per Gesetz, Verordnung oder einseitige Gestaltung geschehen. Stets hat man es mit dem Phänomen zu tun, dass die Rechtsordnung die Anwendbarkeit einer Norm unter den Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung stellt. Darüber hinaus zeigt die Kopftuchentscheidung, dass abdingbares Recht trotz 268   Umgekehrt markiert die fehlende Regelungsmöglichkeit einen zwingenden Charakter, weshalb im Parlamentarischen Rat – in bewusster Anleihe an das Arbeitsrecht – erwogen worden ist, die Menschenwürde als „unabdingbar“ zu kennzeichnen, Protokoll der 4. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates vom 23.  9.  1948, in: Pikart/Weber, Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd.  5 /I, S.  62 ff. 269   BVerfG, NJW 2003, 3111 (= BVerfGE 108, 282). 270   BVerfG, NJW 2003, 3111, 3115 (= BVerfGE 108, 282, 306). 271   Zur Analyse von Grundrechten als abdingbar siehe Farber, 33 Florida State University Law Review 913, 931 (2006). Für die Möglichkeit abdingbaren Verfassungsrechts spricht im Umkehrschluss die gelegentliche Betonung der Unabdingbarkeit einzelner Verfassungsnormen, etwa BVerfGE 32, 145, 156; BVerfG, NJW 1975, 819, 820 (= BVerfGE 39, 96, 109); 1976, 1443, 1445 (= BVerfGE 41, 291, 311); NVwZ 1983, 537, 541 jeweils zu Art.  30, 83 ff. GG.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

diesem Vorbehalt eine große Bedeutung hat. Denn die Bundesländer können zwar jederzeit eine andere Bestimmung treffen. Jedoch setzt dies voraus, dass eine Mehrheit für eine gegenteilige Regel stimmt. Das erfordert einen erheblichen Aufwand und ist keinesfalls selbstverständlich. Häufig bleibt es beim Status quo. Die vorläufige Regel wird zum Dauerzustand. So gibt es eine Reihe von Bundesländern, die das Tragen des Kopftuchs hinnehmen, 272 obwohl sich keine Mehrheit für seine ausdrückliche Zulassung finden würde. Bereits dies ist ein erster Hinweis darauf, welch große Rolle abdingbares Recht spielt. Eine Abbedingung grundgesetzlicher Vorgaben findet sich des Weiteren beim Grundrechtsverzicht.273 Auch er lässt sich nicht erfassen, solange man nicht zwischen der Geltung und der Anwendbarkeit einzelner Normen unterscheidet. Nur auf Letztere kann man verzichten. Im Verwaltungsrecht hingegen treten abdingbare Normen vor allem an zwei Stellen auf. Zum einen finden sie wie im Privatrecht dort Verwendung, wo Vorgaben an die Umstände des Einzelfalls anzupassen sind und dafür eine Beteiligung mehrerer Personen erforderlich ist. 274 Denn dann genügen einseitig nutzbare Ausnahmeklauseln nicht mehr. Vielmehr können dann nur gemeinsame Absprachen die sonst anwendbaren Vorgaben verdrängen.275 Darüber hinaus treten abdingbare öffentlichrechtliche Normen auf, wenn mehrere Entscheidungen mit öffentlichen Interessen vereinbar sind. Ihre Auswahl kann dann den Normadressaten überlassen werden. So steht Kleinunternehmern die Möglichkeit zu, auf die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht zu verzichten und sie damit abzubedingen, §  1a Abs.  4 UStG. Öffentliche Interessen werden dadurch nicht geschädigt, sondern allenfalls gefördert. Dem Einzelnen wird die Wahl gelassen, welche von mehreren jeweils mit öffentlichen Interessen zu vereinbarenden Normen auf ihn Anwendung findet. Von der Abdingbarkeit öffentlichrechtlicher Normen zeugt auch §  106 S.  1 VwGO, der für den Vergleich vor den Verwaltungsgerichten zwischen verfügbaren und unverfügbaren Streitgegenständen unterscheidet. 276 An diesen Beispielen zeigt sich erneut, dass abdingbares Recht vor allem dort eine Rolle spielt, wo man es mit Konflikten zwischen verschiedenen Rechtssubjekten zu tun hat, die über ein Mindestmaß an Autonomie verfügen: solchen

272   Etwa §§  88 ff. Hamburgisches SchulG; 100 ff.; SchulG Mecklenburg-Vorpommern; 30 ff. Schulgesetz Sachsen-Anhalt; anders hingegen §§  38 Abs.  2 S.  1 SchulG Baden-Württemberg; 51 Abs.  3 S.  1 Niedersächsisches Schulgesetz; Übersicht bei Wiese, Lehrerinnen mit Kopftuch, S.  28 ff. 273   Bleckmann, JZ 1988, 57, 58 sowie oben 1.A.4, Fn.  115. 274   Etwa §  39 Abs.  3 S.  2 BHO. Siehe zum Verzicht auf subjektive öffentliche Rechte auch BVerwG, NVwZ 1995, 280, 281; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG7, §  53 Rn.  29. Zur Parallele der Abdingbarkeit zu anderen Anpassungen an die Umstände des Einzelfalls bereits oben 1.A.3.b). 275   So in Art.  118, 118a GG; §§  4 Abs.  2 ARG; 69 S.  4 BLG; 10 Abs.  5 GOZ. 276   Siehe ferner Anlage 1, KV Nr.  1000 Abs.  4 RVG.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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zwischen Europäischer Union und Mitgliedsstaaten; Verfassungsgeber und einfachem Gesetzgeber; Bund und Ländern sowie Staat und Privaten. c)  Strafrecht Kaum vereinbar sind abdingbare Normen mit dem Strafrecht. Ihre Definition schließt zwar eine Abbedingung nicht aus. Jedoch stellt das Strafrecht strikte Verhaltensregeln auf, die fast unter allen Umständen einzuhalten sind. Ausnahmen berücksichtigt es durch die Notwehr- und Notstandsregeln, ohne dass es dafür einer Abbedingung bedürfte. Da es ohnehin nur ein Minimum von Verhaltsanforderungen enthält, liegt eine Abweichung fern. Dagegen spricht zudem die Schwere seiner Sanktionen. Man kann dem Einzelnen nicht die Freiheit nehmen und gleichzeitig zugeben, dass er unbestraft bliebe, wenn er die Norm abbedungen hätte. Denn der Vorwurf fehlender Abbedingung rechtfertigt keine derartige Sanktion. Strafrechtliche Verbotsnormen sanktionieren überdies vielfach nur ein Verhalten, das dem Willen anderer zuwider läuft. Haben diese ein wirksames Einverständnis erteilt, scheidet eine Strafbarkeit aus. Wer sich etwa mit Einverständnis des Eigentümers eine Sache nimmt, handelt rechtmäßig, ohne dass er dafür das Diebstahlsverbot abbedingen muss. Sein Einverständnis hebt nicht die Geltung einer Norm auf, sondern lässt ein einzelnes Tatbestandsmerkmal entfallen.277 Es fehlt am Abbedingungsakt. 278 Gleiches gilt für die Einwilligung, die man in gewissen Grenzen etwa in eine Körperverletzung erteilen kann.279 Auch sie berührt nicht die Anwendbarkeit einer Norm, sondern hebt die Rechtswidrigkeit der Handlung auf. 280 In eine Körperverletzung kann man sogar einwilligen, ohne eine rechtsverbindliche Vereinbarung zu treffen. Auf die Rechtsgeschäftsfähigkeit des Einwilligenden kommt es deshalb anders als bei einer Abbedingung nicht an.281 Die Einwilligung gleicht einer Abbedingung allerdings insoweit, als auch sie den Eintritt einer Rechtsfolge verhindert. 277   Anders Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 30 (1993), der ein Einverständnis im Strafrecht ebenso wie abweichende Absprachen im Vertragsrecht als Abbedingung auffasst. 278   Zum Abbedingungsakt oben 1.A.1.c). 279   §§  823 Abs.  1 BGB, 228 StGB; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  108 ff.; für Grundrechte siehe ferner Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  63 ff. 280   Etwa BGH, NJW 2009, 1155, 1157 (= BGHSt 53, 55, 63); BeckOK-StGB15-Eschelbach, §  228 Rn.  1; MünchKommStGB-Erb1, §  32 Rn.  4 4; Schönke/Schröder/Lenckner 28, vor §  32 ff. Rn.  33. Anders aber die auf Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 53 ff. zurückgehende Lehre, wonach die Einwilligung (generell) ein Rechtsgeschäft sei; dazu Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  35 ff., der sich ihr anschließt, aaO., S.  214; kritisch MünchKommBGB5-Wagner, §  823 Rn.  731. 281   BGH, NJW 1959, 811 (= BGHZ 29, 33, 36); 1964, 1177, 1178; 1988, 2946, 2947 (= BGHZ 105, 45, 47); BeckOK-BGB20 -Spindler, §  823 Rn.  15; MünchKommBGB5-Wagner, §  823 Rn.  731; BeckOK-BGB20 -Müller, §  1904 Rn.  5 ; a. A. Ohly, „Volenti non fit iniuria“, S.  318. Zum Strafrecht BGH, NJW 1953, 912 (= BGHSt 4, 88, 90 f.); BeckOK-StGB15-Eschelbach,

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Funktionell sind beide daher miteinander verwandt. Nicht zufällig spricht man davon, dass dem Einzelnen für eine Einwilligung die Dispositionsbefugnis über das einzelne Rechtsgut zustehen muss.282 Daran wird deutlich, dass man mit einer Einwilligung zwar keine strafrechtliche Norm abbedingt, diese aber eine Norm voraussetzt, welche dem Einzelnen ein bestimmtes Rechtsgut zuweist. Die Einwilligung ist damit ein Akt, der nur dank abdingbarer Normen möglich ist. Die aufgeführten Gründe gegen abdingbare Normen im Strafrecht folgen nicht aus seinem Begriff und sind daher kontingenter Art. Ausnahmen sind denkbar. Zu ihnen gehört etwa die Anwendbarkeit des StGB auf Schiffen, die unter deutscher Flagge fahren, §  4 StGB. Dies hängt davon ab, ob der Eigentümer ein Deutscher ist, §  1 Abs.  1 FlaggenRG. Durch die Gründung einer Auslandsgesellschaft ist dies aber ohne Schwierigkeit zu umgehen, so dass die Anwendung deutschen Strafrechts zumindest faktisch durch die Wahl der Flagge abdingbar ist.283 Es lässt sich ohne Schwierigkeit eine Norm vorstellen, welche die Anwendung des deutschen Strafrechts auf internationalen Schiffen unter einen Abdingbarkeitsvorbehalt stellt. Ähnlich plädiert Arzt innerhalb von Dauerbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die „Abdingbarkeit des materiellen Strafrechts“284 . Ob das zu überzeugen vermag, ist hier unerheblich. Wichtig ist die Einsicht, dass die Abdingbarkeit strafrechtlicher Normen zumindest denkbar ist. Gleiches gilt für die Bedingbarkeit des Strafrechts. Im Allgemeinen können die Einzelnen zwar nicht die Strafbarkeit einer Handlung begründen. Dies ist allein dem Gesetzgeber überlassen. Jedoch können sie ausnahmsweise die Strafbarkeit einer Handlung beeinflussen. So lässt sich durch eine Satzungsbestimmung eine strafrechtlich sanktionierte Treuepflicht schaffen.285 Deren Verletzung liegt der Strafbarkeit aufgrund Untreue gemäß §  266 Abs.  1 Var. 2 StGB zugrunde. Funktional handelt es sich daher um eine bedingbare Strafbarkeit. Zumindest begrifflich ist eine Bedingbarkeit strafrechtlicher Normen ebenso möglich wie deren Abdingbarkeit, auch wenn beide Ausnahmeerscheinungen sind. Häufiger tritt die Abbedingung strafprozessualer Normen auf. So können die Opfer von Straftaten durch eine verbindliche Erklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft auf die Stellung eines Strafantrags verzichten und damit die §  228 Rn.  13; differenzierend Schönke/Schröder-Cramer/Heine/Lenckner 28, vor §§  32 Rn.  39 f. mwN. 282   BGH, NJW 2004, 2458, 2459 (= BGHSt 49, 166, 171); BeckOK-StGB15-Eschelbach, §  228 Rn.  11; MünchKommStGB1-Hardtung, §  228 Rn.  2; Schönke/Schröder-Cramer/Heine/ Lenckner 28, vor §§  32 Rn.  37. 283   Zur faktischen Abdingbarkeit im Einzelnen unten 1.F.2. 284   Arzt, Gedächtnisschrift Blomeyer, S.  5, 12 f. 285   BGH, NJW 2011, 1747, 1749.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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Bestrafung des Täters verhindern. 286 Ebenso mag es im Rahmen einer Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagtem zu einer Disposition über Verfahrensrechte kommen, §  257c StPO; etwa wenn sie die Verwendung rechtswidrig erlangter Beweismittel vereinbaren. 287 All das zeigt, dass abdingbare Normen nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet begrenzt sind, sondern die Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit einer Norm und ihrer Geltung selbst im Strafrecht relevant ist.

2.  Die Arten abdingbarer Normen Können abdingbare Normen in allen Rechtsgebieten auftreten, bleibt zu klären, ob sie dabei alle Arten von Normen umfassen. a)  Gesetzliche, gewohnheitsrechtliche und vertragliche Normen Die Disposition über eine gesetzliche Norm ist der klarste Fall einer Abbedingung. Bei ihr steht fest, dass die Adressaten eine Norm abbedingen und dieser nicht nur ein eingeschränkter Anwendungsbereich zukommt. Da die Geltung des Gesetzes meist außer Frage steht, lässt sich der Vorrang einer vertraglichen Norm nur über die Anwendbarkeit der gesetzlichen Norm konstruieren. Gleichwohl sind auch nichtgesetzliche Normen abdingbar. Denn die Definition abdingbaren Rechts knüpft nicht am gesetzlichen Status einer Norm an.288 So gibt es im Gewohnheitsrecht sowie unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Rahmenverträgen abdingbare Normen. Stets geht es um dasselbe Phänomen, nämlich den Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm. Der BGH erkennt diese Vielfalt abdingbaren Rechts an, indem er auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze sowie die Gesamtheit der wesentlichen sich aus der Natur des Vertrages ergebenden Rechte und Pflichten zum abdingbaren Recht zählt. 289 Das bringt deutlich zum Ausdruck, dass außergesetzliche Normen nach seiner Auffassung zum abdingbaren Recht gehören.290 Ob die Anwendbarkeit einer Norm ausgeschlossen werden darf, hängt schließlich nicht davon ab, ob sie gesetzlich formuliert ist. Gegenüber der zitierten Bemerkung des BGH ist lediglich anzufügen, dass es auch und gerade die nicht wesentlichen 286   BGH, NJW 1957, 1368, 1369; Schönke/Schröder-Sternberg/Lieben 28, §  77 Rn.  31; MünchKommStGB1-Hardtung, §  230 Rn.  8. 287   BGH, NJW 2006, 1361; StV 2008, 63, 65; BeckOK-StPO11-Graf, §  100a Rn.  88. 288   So bereits Bülow, AcP 64 (1881), 1, 90 f. 289   BGH, NJW 1984, 1182, 1183 (= BGHZ 89, 206, 211); NJW-RR 2004, 1206; BAG, NZA 2006, 324, 328; 2008, 680, 682. 290   Problematisch daher Larenz, NJW 1963, 737, 740 sowie BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828: Dispositives Recht sei „nichts anderes als eine in Gesetzesform gebrachte allgemeine Aussage darüber, was bei Verträgen bestimmter Art typischerweise durch den Vertragszweck gefordert wird“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Fast wortgleich zuvor Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  13.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Rechte und Pflichten sind, die einer Abbedingung unterliegen. Das gilt insbesondere für das Gewohnheitsrecht. Es kann sich zu vergleichsweise unwesentlichen Fragen wie etwa der Fristberechnung bilden. Daneben können auch vertragliche Normen abbedungen werden, 291 obgleich das bei ihnen nicht nahe liegt, weil sich die Parteien meist auf eine einmalige Vereinbarung beschränken. Daher stellt sich kaum die Frage, ob sie die Anwendbarkeit einer von ihnen getroffenen Vereinbarung durch eine weitere Vereinbarung einschränken können. Ausgeschlossen ist das aber nicht. Regeln sie ihre Beziehungen durch Rahmenverträge, kann im Einzelfall eine Abweichung geboten sein. Zu ihr kommt es ebenso, wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsräte aufgrund einer Ermächtigung des Tarifvertrages von diesem abweichende Absprachen treffen dürfen. 292 In all diesen Fällen wird über vertragliche Normen disponiert. Im Ergebnis ist es kaum ein Unterschied, ob man von einer gesetzlichen oder einer tarifvertraglichen Vorgabe abweicht. Stets muss man sich bei einer fehlenden Disposition an die subsidiäre Vorgabe halten. b)  Auslegungsregeln Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Regeln zur Auslegung von Gesetzen und Verträgen. Denn ihr Status als Rechtsnorm ist oftmals unklar. 293 Sie bestimmen den Umgang mit Primärnormen, begründen also anders als diese keine unmittelbaren Rechte oder Pflichten. Zu ihnen gehören insbesondere Regeln dafür, welche Rolle der Wortlaut, die Materialien sowie Systematik und Teleologie von Gesetzen und Verträgen bei der Auslegung spielen. Da das BGB anders als noch das Preußische Allgemeine Landrecht 294 auf die Formulierung derartiger Regeln verzichtet, tritt die Möglichkeit zu ihrer Abbedingung kaum zum Vorschein. Dazu besteht auch nur selten ein Bedürfnis, da es Gesetzgeber und Vertragsparteien stets freisteht, die Primärnormen so zu fassen, dass die durch Auslegungsregeln zu entscheidenden Fragen bereits inhaltlich bestimmt sind. Ist den Parteien beispielsweise unklar, ob sich die Lieferzeiten nach dem Handelsbrauch richten, können sie unmittelbar angeben, wann die Ware eintreffen soll. Die generelle Bedeutung der Handelsbräuche für ihre Verträge müssen sie dafür nicht festlegen. Gleichwohl ist auch bei Auslegungsnormen eine Abbedingung möglich. Nichts in ihrer Rolle als Sekundärnormen verbietet dies. 295 Bei ihnen stellt sich 291   A. A. Möslein, Dispositives Recht, S.  9, der den Begriff auf hoheitliches Recht beschränkt. 292   Etwa §§  6 Abs.  4 TV-L, 2 TV-ZUSI-L jeweils vom 12.  10.  2006. 293   Verneinend etwa Motive, Bd.  1, S.  155: „Vorschriften dieser Art sind im Wesentlichen Denkregeln ohne positiv rechtlichen Gehalt .  .  .“; ähnlich ihre Abgrenzung vom dispositiven Recht aaO., S.  18. 294  1. Teil, 5. Titel, §§  252 ff. Preußisches Allgemeines Landrecht. 295   Siehe bereits oben 1.A.1.d).

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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ebenso wie bei Primärnormen die Frage, ob ihre Anwendbarkeit der Disposi­ tion ihrer Adressaten unterliegt. Sinnvoll ist dies beispielsweise, wenn Vertragsparteien die Rechtsfolgen bei Vertragsschluss im Einzelnen nicht angeben können, aber zumindest die Grundsätze dafür bestimmen wollen, wie ihre Vereinbarung später ausgelegt werden soll. Fürchten sie etwa eine zu starke richterliche Intervention, mögen sie dem Wortlaut ihrer Vereinbarung ein besonderes Gewicht verleihen. Dazu können sie eine entsprechende Auslegungsklausel vereinbaren und den Verweis auf Vertragsentwürfe oder eine sonst vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung ausschließen. Das kommt in der Praxis auch vor. 296 Nach der entwickelten Definition fallen derartige Absprachen unter das abdingbare Recht. Denn durch sie bestimmen die Parteien, dass eine anderenfalls anwendbare und zum geltenden Recht gehörende Norm nicht zur Anwendung kommt. Dass Auslegungsregeln zu den abdingbaren Normen zählen, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Gesetzgeber sie so wie andere ungeschriebene Normen kodifizieren kann. Zu beobachten ist das etwa bei Normen, die fest­ legen, wie eine Vereinbarung „im Zweifel“ zu verstehen ist. 297 Sie dienen zur Auslegung von Verträgen und haben gleichwohl einen abdingbaren Status. Die Parteien können in doppelter Weise etwas Abweichendes festlegen. Zum einen haben sie die Möglichkeit, die in diesen Normen enthaltene Primärnorm auszuschließen, indem sie eine sie verdrängende Rechtsfolge vorsehen. Zum anderen können sie auch die Sekundärnorm abbedingen, indem sie etwa bestimmen, dass eine Neuverhandlung und nicht eine Zweifelsregel offen gelassene Fragen löst. 298 Allerdings stellt nicht jedes Verhalten eine Abbedingung dar, durch die der Normadressat den Eintritt einer Rechtsfolge verhindert.299 So wie man das Diebstahlsverbot des §  242 StGB nicht abbedingt, indem man eine Sache kauft, so bedingt man eine Vermutung nicht bereits durch ein Verhalten ab, das sie entkräftet. Das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Entkräftung durch Anordnung einer Rechtsfolge geschieht, welche die Vermutung verdrängt. Der mögliche Rechtsstatus einer Vermutungsnorm spielt vor allem bei der Auslegung gemäß §§  133, 157 BGB eine Rolle, die sich in erster Linie am Parteiwillen orientiert 300 und deshalb anderweitigen Vorgaben weichen muss. Dabei entsteht 296   Kraus/Scott, 84 New York University Law Review 1023, 1102 (2009) mit Verweis auf E. I. du Pont de Nemours & Co. and EarthShell Corp., Alliance Agreement, Art.  12h vom 25.  7.  2002. 297   Etwa §§  30 S.  2, 125 S.  2, 127 Abs.  1, 329 BGB. 298   Allgemein zu Nachverhandlungsklauseln BGH, NZBau 2005, 46; jurisPK-BGB5Pfeiffer, §  313 Rn.  70 f.; Horn, AcP 181 (1981), 256, 257. 299   Oben 1.A.1.c). 300   So die Konzeption der 1. Kommission zur Ausarbeitung des BGB, Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  2, S.  270 ff.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  222; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  157;

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

allerdings bisweilen der Eindruck, es handele sich bei den nicht kodifizierten Vermutungsregeln um tatsächliche Annahmen über die Willensermittlung301 und nicht um Rechtsnormen. Denn der Wille der Parteien ist als psychologisches Phänomen keine Norm. Dies hätte die Konsequenz, dass diese Vermutungen keine Rechtsqualität hätten und nicht zum abdingbaren Recht zählten.302 Sie wären Sachverhaltsannahmen, die den Parteiwillen konkretisieren oder „dem jeweiligen Vertrag immanente“ Einschränkungen darstellten.303 Die Auslegung wäre „das Zuendedenken des Vertrages aus seinem eigenen Zweckzusammenhang“,304 nicht aber eine Folge des geltenden Rechts. So stark der Unterschied zwischen einer am Parteiwillen orientierten Auslegung und sonstigen Normen indes auch ist, so wenig hat er mit der Frage zu tun, ob es sich um abdingbares Recht handelt. Jede Festlegung von Rechtsfolgen stellt eine Norm dar.305 Ob sie dem Parteiwillen zuwiderläuft oder ihm entspricht, ist dafür unerheblich. Der Wille ist keine Norm, sondern ein Sachverhalt, aus dem sich erst aufgrund einer Norm eine Rechtsfolge ergibt.306 Sollen einschränkend Flume, AT, Bd.  2, S.  310; erweiternd Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  202 ff. Zur Verbindung mit §  157 BGB MünchKommBGB5-Busche, §  133 Rn.  12 ff.; Medicus, AT, S.  125, Rn.  323. Zur Einschränkung durch den Empfängerhorizont unten 2.A.1.a), Fn.  11. 301   Klassisch dafür Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  58. Ferner Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  152; Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  10; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  383: „Redlichen Willen ermitteln heißt: im Rahmen empirisch möglichen .  .  . Willens das Ergebnis erzielen, das am ehesten Fairneß .  .  . entspricht“; Staudinger2004-Rieble, §  315 Rn.  63; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  99, S.  538, wonach die erläuternde Auslegung „den realen Willen und seine Bedeutung ermitteln will“; anders hingegen Larenz, Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  1, 76 ff., wonach es um den Sinn der Erklärung und nicht den Willen gehe, sowie ders., NJW 1970, 737, 740, wonach es „nicht einmal im vollen Umfang für die Auslegung“ zutreffe, dass sie Willenserforschung sei. Ähnlich Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 38 (1993), der zwischen „laws of meaning“ (ergänzendem abdingbaren Recht) und „laws of interpretation“ (bloßen Interpretationsregeln) unterscheidet; Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 505 (1989). Kritisch Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  45. 302   Etwa Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  23; Palandt70 -Ellenberger, §  133 Rn.  22. Für den Charakter als Rechtsnorm hingegen Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  106 ff. 303   BGH, NJW 2007, 1952, 1955 zum Recht der Wohnungseigentümergesellschaft, den Anspruch auf Herstellung des Gemeinschaftseigentums per Mehrheitsbeschluss an sich zu ziehen. 304   Larenz, NJW 1963, 737, 739 f.; ders., Methodenlehre, S.  301; ders./Wolf, AT, §  33 Rn.  8 , S.  620: „Auslegung des durch den Vertrag geschaffenen Sinnganzen“; siehe auch dens., Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  105: „Die Auslegung gilt nur für den einzelnen Fall“; Bunte, NJW 1984, 1145, 1148; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  277; Rohe, Netzverträge, S.  149; MünchKommBGB5-Säcker, Einl Rn.  147. 305   Zum Normbegriff oben 1.A.1.b), Fn.  19. 306   Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  11; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  233; Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  141; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S.  141 f.; anders hingegen Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  264, der bereits

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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die Grundsätze zur Vertragsauslegung307 rechtlich relevant sein, so müssen sie über die bloße Auslegung des Willens hinausgehen und einen Rechtsstatus annehmen. Aus diesen Gründen gehören die Grundsätze der Willensauslegung zum geltenden Recht, auch wenn der Wille selbst keine Norm ist. Folglich kann man bei ihnen angeben, ob es einen Berechtigten gibt, der ihre Anwendbarkeit ausschließen oder begründen kann und sie damit zum abdingbaren, bedingbaren oder zwingenden Recht zählen.308 Daher liegt die Einordnung einer Norm als Auslegungsregel und vermuteter Parteiwille entgegen einer vor allem bei Entstehung des BGB prominenten Ansicht309 quer zur Unterscheidung zwischen abdingbarem und zwingendem Recht. Es kann abdingbare und zwingende Auslegungsregeln 310 ebenso geben wie abdingbare und zwingende Vermutungen über den Parteiwillen. Vorstellbar ist etwa, dass der Gesetzgeber durch eine zwingende Norm sicherstellt, dass sich der Wille beider Parteien durchsetzt. Gegen den Versuch, Regeln über die Ermittlung des Parteiwillens von den abdingbaren Normen zu unterscheiden, spricht zudem die Offenheit und Unbestimmtheit des Willens. Ein unmittelbarer Verweis auf ihn ist vielfach Fik­ tion. Er bedarf einer Konkretisierung. Wie diese für das Recht zu geschehen hat, können indes nur Normen festlegen, die entweder zwingend, abdingbar oder bedingbar sind. So nimmt der BGH an, dass auch im frei finanzierten Wohnungsbau die Berechnungsmethoden für preisgebundenen Wohnraum anübereinstimmende Willenserklärungen für normerzeugend hält; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  45. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  13 f. verweist umgekehrt darauf, dass auch der Wille bereits durch den Vertrag vorgeprägt ist. Eine andere Frage ist, ob die an die Erklärung der Parteien anknüpfende Norm staatlichen Ursprungs ist. 307   Stellvertretend Larenz, Methodenlehre, S.  320 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, S.  126 f.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  613 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, S.  172 ff., Rn.  359 ff. 308   Oben 1.B. 309   Zur traditionellen Unterscheidung von Auslegungsnormen und abdingbaren (ergänzenden) Normen: Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  56; Jakobs/Schubert, Die Beratungen des BGB, Bd.  3, 1. Teil, S.  533; Bd.  3, 3. Teil, S.  433; Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  19; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  43. Diese Unterscheidung ist vielfach fortgeführt worden etwa Planck4, Einleitung XLVII; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  220 f. mwN.; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  173; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  300 f.; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  135; wohl auch Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  107, S.  539 (wo einschränkend allerdings vom dispositiven Gesetzesrecht die Rede ist). Frühe Kritik bei Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B.G.-B., S.  24 f. mwN.; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  101; Pawlowski, AT, S.  36, Rn.  74; skeptisch allerdings bereits Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S.  309. 310   A. A. Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  111; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  45 ff., der sie für eine Unterart des nichtzwingenden Rechts hält. Beispiel einer (zum Teil) zwingenden Auslegungsnorm ist §  309 Nr.  12 BGB, der eine Veränderung der Beweislast und damit eine Veränderung der sonst anwendbaren Vermutungsregeln für AGB verbietet.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

zuwenden sind, und zwar aufgrund einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen den Parteien.311 Den wenigsten Mietern dürfte bewusst sein, dass es einen Unterschied zwischen frei finanziertem und preisgebundenem Wohnungsbau gibt und für diesen spezielle Berechnungsmethoden gelten. Aus diesem Grund hat diese Auslegung kaum etwas mit dem tatsächlichen Willen der Parteien zu tun, sondern eher mit dem, was diese nach Auffassung des BGH vernünftigerweise vereinbaren würden.312 Die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung gleicht in diesem Fall das Fehlen einer gesetzlichen Regelung aus313 und ersetzt funktionell eine offene richterliche Rechtsfortbildung. Umso mehr sind derartige Annahmen als das zu erfassen, was sie sind – nämlich abstrakt-generelle Festsetzungen einer Rechtsfolge, die zur Disposition ihrer Adressaten stehen. Es handelt sich damit auch bei ihnen um abdingbares Recht.314 Selbst wenn eine Norm dem Willen der Parteien entspricht, schließt dies nicht ihre Abdingbarkeit aus. Denn die Frage nach dem Status als Norm ist strikt von der Frage nach ihrem Inhalt zu unterscheiden. Ob man es mit einer Norm zu tun hat, hängt allein davon ab, ob sie eine Rechtsfolge anordnet.315 Irrelevant ist dafür, wie stark sich in ihr der Wille der Parteien oder Gerechtigkeitsvorstellungen 316 des Gesetzgebers ausdrücken. Aus diesem Grund kann eine für die Auslegung von Verträgen gebrauchte Auslegungsregel sowohl eine abdingbare Norm darstellen als auch den Willen der Parteien ausdrücken. Anders als vielfach angenommen,317 sind abdingbare und so genannte ergänzende Regeln daher nicht notwendig verschieden. Auch Letztere können abdingbar sein,318 so wie ein inzwischen außer Mode gekommener Sprachgebrauch 319 ab311   BGH, NJW 2004, 2230, 2231; 2007, 2624, 2625; 2009, 2295, 2296; Schmidt-Futterer 9 Börstinghaus, §  558 Rn.  57. 312   Bezeichnenderweise verweist BGH, NJW 2004, 2230, 2231 auch darauf, dass diese Anwendung „in der Praxis zu sachgerechten Ergebnissen“ führt. 313   Zu entsprechenden Fiktionen im amerikanischen Recht Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 192. 314   Bridgeman, 33 Florida State University Law Review 683, 693 (2006); Ayres, 33 Florida State University Law Review 589, 591 (2006); Craswell, Contract Law: General Theories, p.  15, der allerdings lediglich eine Verwandtschaft zwischen beiden Arten von Regeln feststellt. 315   Zum Normbegriff oben 1.A.1.b), Fn.  19. 316   Nach Medicus, AT, S.  134, Rn.  341 weisen die „höchst subsidiären“ Auslegungsregeln „keinen Gerechtigkeitsgehalt“ auf; dazu bereits oben 1.B.2. 317   Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  56; Endemann, BR, Bd.  1, S.  40 f.; Planck4, Einleitung XLIX; Larenz/Wolf, AT, §  28, S.  530, Rn.  77; siehe auch S.  539, Rn.  105 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  104. Für die USA siehe Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 197. Hingegen betont Flume, AT, Bd.  2, S.  611 zu Recht, dass auch ergänzende Regeln zwingend sein können. 318   BGH, NJW 1996, 1213, 1215; 1996, 2092, 2093 (= BGHZ 133, 25, 33); Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  58, der diese Funktion auch zwingendem Recht zuspricht; Staudinger2006 -Schlosser, §  306 Rn.  11. 319   Etwa Endemann, BR, Bd.  1, S.  40; weitere Nachweise oben 1.A, Fn.  6 sowie 1.C.1.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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dingbare Normen generell als ergänzende bezeichnete. All dies bedeutet nicht, dass es zwischen Auslegungsregeln und sonstigen Normen keine Unterschiede gäbe. So genügen für die Abbedingung von Auslegungsregeln bereits Indizien eines anderweitigen Willens, während die Abbedingung der übrigen Normen oftmals einen deutlicheren Ausdruck voraussetzt.320 Jedoch haben diese Unterschiede in der Abbedingungshürde nichts mit der Frage zu tun, ob eine Norm im Grundsatz abdingbar ist. Historisch allerdings ist die vielfach vertretene Dreiteilung von abdingbaren, zwingenden und auslegenden Normen als Übergangsphänomen verständlich: Während die ältere Willenstheorie das gesamte Vertragsrecht als eine Summe von Regeln zur Auslegung des Parteiwillens verstand,321 begriffen Autoren wie Stammler und Bülow am Ende des 19. Jahrhunderts, dass nicht alle Normen auf diesen Willen zurückführbar sind.322 Ihnen fehlte jedoch größtenteils323 noch die Konsequenz, vertragsrechtliche Normen vollständig vom Willen der Parteien zu trennen und ganz dem staatlichen Recht zuzuordnen. Also behielten sie neben den abdingbaren Normen die auslegenden Normen bei, um wenigstens für einen Teilbereich die Willenstheorie zu retten. Sehr deutlich ist dieser Übergang bei Oertmann formuliert: „Die alten Gegner einer Scheidung [abdingbarer und auslegender Normen] lösten die Dispositivsätze in Auslegungsregeln auf, die modernen streben unverkennbar dahin, aus allen Auslegungsregeln echte Dispositivsätze zu machen.“324

Es brauchte folglich eine gewisse Zeit, bis der Inhalt und der Status einer Norm voneinander unterschieden waren. Auslegungsnormen standen zunächst neben abdingbaren Normen, als ob sie nicht beides zugleich sein könnten. Die spätere Erfassung von Auslegungsnormen als geltendes Recht hingegen kehrte äußerlich zur strikten Unterscheidung abdingbarer und zwingender Normen zurück, wie sie schon bei von Savigny nachweisbar ist.325 Jedoch hatte sich dabei die

320   Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  41 ff.; im Einzelnen unten 4.D.3. 321   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Bd.  3, S.  258; zur Entwicklung Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  34 ff. Siehe auch oben 2.A.1, Fn.  8. 322   Stammler, AcP 69 (1886), 1, 19 ff., der sie wegen des denkbaren Widerspruchs zum Willen als „gesetzliche Interpretationsregel“ einordnete, S.  24; ders., Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  57 sowie Fn.  309 mit Nachweisen zur späteren Einschränkung. 323   Anders etwa Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  25, der sich gegen die Unterscheidung abdingbarer und auslegender Normen wandte; auch Windscheid/ Kipp, Lehrbuch der Pandekten, Bd.  1, S.  4 49 sahen zwischen dispositiven und Auslegungsregeln „praktisch“ keinen Unterschied; zur Diskussion mwN.  Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  223. 324   Oertmann, aaO., S.  220. 325   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

Auffassung des abdingbaren Rechts gewandelt. Dieses wurde fortan nicht mehr als Wille der Parteien, sondern als Gebot der Rechtsordnung verstanden. Die Betonung der Auslegungsnormen erfüllte trotz aller begrifflichen Unschärfe eine nicht zu unterschätzende Freiheitsfunktion: Indem sie das Vertragsrecht als Ausdruck des Parteiwillens begriff, setzte sie dessen Verzerrung durch abdingbare Normen eine Grenze. Diese fiel weg, als man abdingbare Normen als Bestandteil der objektiven Rechtsordnung verstand und der Weg damit frei wurde, sie als Instrument zur Steuerung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzusetzen.326 Nur so waren die Umwälzungen im Privatrecht des 20. Jahrhunderts möglich, zu denen etwa die entwickelten Figuren vom Wegfall der Geschäftsgrundlage und vom Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zählten.327 Sie hätten sich allein mit dem Willen der Parteien kaum begründen lassen.328 Allerdings trat dabei die Einsicht in den Hintergrund, dass auch abdingbares Recht den Willen verzerrt und daher einer Rechtfertigung bedarf.329 Der Gesetzgeber darf es deshalb nicht beliebig zur ihm jeweils opportun erscheinenden Steuerung der politischen und sozialen Verhältnisse verwenden. Abdingbare Normen dürfen den Bezug zum Willen der Parteien nicht vollständig verlieren. Er kehrt nur in anderer Form wieder, und zwar als Anforderung, eine abdingbare Norm umso stärker zu rechtfertigen, je größer die den Parteien durch sie auferlegte Last ist.330 Die Zugehörigkeit der Auslegungsregeln zum abdingbaren Recht ist vor allem für die ergänzende Vertragsauslegung von Bedeutung. Auch sie erfolgt nach allgemeinen Regeln oder – wie der BGH formuliert – auf objektiver Grundlage.331 Im Zweifel gilt dasjenige als gewollt, „was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage 326   Das deutet sich bereits bei Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  43 an („Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse“), mit denen er nachgiebige im Unterschied zu auslegenden und ergänzenden Normen charakterisierte. 327   BGH, NJW 1956, 1193, 1194; 1959, 1676; 2002, 3625, 3626. 328   Vgl. Canaris, JZ 1995, 441, 444. 329   Im Einzelnen unten 4.C. 330   Unten 4.C.1; 4.C.3.b). 331   BGH, NJW 1953, 339, 341 (= BGHZ 7, 231, 235); 1953, 973, (= BGHZ 9, 273, 278), der zudem auf die „Schaffung und Schöpfung“ durch den Richter verwies; 1984, 1177, 1179 (= BGHZ 90, 69, 80); 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286); 1998, 1219; BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 121; Flume, FS DJT, S.  135, 197 f.: „nicht für ‚diesen‘ Vertrag .  .  ., sondern nur für ‚einen solchen‘ Vertrag“, zurückhaltender aber ders., AT, Bd.  2, S.  322 (die Frage hätte keine praktische Bedeutung); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  343; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  123; Staudinger2006 -Schlosser, §  306 Rn.  10; MünchKommBGB5-Busche, §  157 Rn.  28; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  429. Kritisch Larenz, NJW 1963, 737, 739, der den Begriff „objektiv“ auf den vom Willen der Einzelnen losgelösten Vertrag bezieht und nicht auf das objektive Recht; Medicus, AT, S.  135, Rn.  344, der die ergänzende Vertragsauslegung aus hypothetischem Willen, Üblichkeit und Billigkeit zusammengesetzt ansieht, unter denen es kein klares Rangverhältnis gebe; Staudinger2003-Roth, §  157 Rn.  4.

E.  Das Vorkommen abdingbarer Normen

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entspricht“.332 Unabhängig von diesem Inhalt schreiben diese Regeln damit eine Rechtsfolge vor. Das genügt für ihren Normstatus.333 Wollen die Parteien von ihnen abweichen, so reicht es, wenn sie einen gegenteiligen Willen andeuten. Ebenso können sie andere Auslegungsregeln festlegen. Insofern sind diese Regeln abdingbar. Dass die Auslegungsregeln nicht kodifiziert sind, ist für ihren Charakter als abdingbares Recht irrelevant. Es wäre auch merkwürdig, wenn man die abdingbaren Normen des Privatrechts durch den hypothetischen Willen der Parteien erklären würde,334 ergänzende Annahmen über diesen Willen aber von vornherein nicht als abdingbar auffassen wollte. Beide sollen schließlich Vertragslücken ausfüllen. Aus diesen Gründen führt die weit verbreitete Gegenüberstellung von abdingbarem Recht und ergänzender Vertragsauslegung335 in die Irre. Sie erweckt den unzutreffenden Eindruck, dass man zwischen dem abdingbaren Recht und der ergänzenden Vertragsauslegung wählen könne oder sogar müsse. Führt man sich die Definition abdingbaren Rechts vor Augen, wird jedoch klar, dass dies nur für den Vorrang der ergänzenden Auslegung zum kodifizierten abdingbaren Recht gelten kann.336 Zu entscheiden ist danach zwischen der Anwendung der gesetzlichen Normen und der ergänzenden Vertragsauslegung, nicht aber zwischen ihr und dem dispositiven Recht. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung geht es nicht darum, ob abdingbares Recht zur Anwendung kommt, sondern darum, welcher Art es sein soll. Auch 332   BGH, NJW 1992, 243; 1993, 1925; 1994, 2228, 2229; 2003, 2388; 2005, 3415; 2008, 2028, 2029; 2009, 751; NJW-RR 1996, 1210, 1211. Weiter noch geht die Ansicht, bei diesem hy­ pothetischen Willen sei auch „das Allgemeininteresse einzubeziehen“, BGH, NJW 1956, 377 (= BGHZ 19, 110, 112). Dem steht die subjektive Position gegenüber, wonach es um die Erfassung des individuellen Vertrages geht, etwa Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  4 4, mwN.  auf S.  88. 333   Vgl. Esser, Grundsatz und Norm, S.  255, der einen prinzipiellen Unterschied zwischen extensiver Auslegung und Analogie bestreitet; ferner oben 1.A.1.b), Fn.  19. 334   Dazu unten 2.A. 335   BGH, NJW 2010, 1135, 1136; Laband, AcP 73 (1888), 161, 163; Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  38, der jedoch auf die „geringe praktische Bedeutung“ der Unterscheidung verweist; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  300 ff.; Flume, AT, Bd.  2, S.  325; Larenz, NJW 1963, 737; ders./Wolf, AT, §  28 Rn.  109, S.  540 f.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  454; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  85; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  49; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  111, 122; Scherner, AT, S.  97; Riesenhuber-SchmidtKessel, Europäische Methodenlehre, §  17 Rn.  14, S.  496; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  2, 51, 201, 415. Von einer Zwischenstellung zwischen Vertrag und objektivem Recht sprechen Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  162 f., Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  104; ähnlich Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  283. 336   BGH, NJW 1997, 2592, 2593 (= BGHZ 135, 387, 392) spricht daher auch nur vom Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht. Gleichwohl können sich ergänzende und reguläre Auslegung unterscheiden, Larenz, Methode der Auslegung, S.  93 ff., 101 gegen Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  75.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

sie erfolgt nach Normen, die ihrerseits abdingbar sind und daher zum dispositiven Recht gehören.337 Deshalb ordnet der BGH die durch ergänzende Auslegung gewonnenen Rechte und Pflichten als Rechtsvorschriften und Vertragsrecht ein.338 Wäre es anders, müssten die allgemeinen Normen zur Anwendung kommen. Denn von einer Norm kann man nur aufgrund einer anderen Norm abweichen. Der Parteiwille vermag ohne Transformation in eine Norm nicht, eine andere Norm zu verdrängen. Das gilt für den realen Willen ebenso wie für einen hypothetischen. Die hinter der ergänzenden Vertragsauslegung maßgebliche Frage ist damit, ob man die allgemeinen oder die auf bestimmte Verträge zugeschnittenen speziellen abdingbaren Normen anwendet. Mit dem Status als abdingbares Recht hat dies nichts zu tun. Die Zugehörigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung zum abdingbaren Recht zeigt sich auch daran, dass die Rechtsprechung die aus der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnenen Normen bisweilen wahlweise auf allgemeine abdingbare Normen stützt.339 So nahm der BGH in ergänzender Vertragsauslegung an, dass für Dauerschuldverhältnisse ein ordentliches Kündigungsrecht bestehe.340 Dasselbe Ergebnis begründete er auch unabhängig davon mit dem geltenden Recht.341 Die Wahl der Begründung aber kann am Status der Norm nichts ändern. In ihr spiegelt sich lediglich die Sicherheit wieder, ob man die in richterlicher Rechtsfortbildung gewonnene Norm noch auf den Willen der Parteien oder schon auf allgemein geltende Normen zurückführt. Sobald eine Regel fest etabliert ist, stützen sie die Gerichte nicht mehr auf den Willen der Parteien, sondern auf eine offene Rechtsfortbildung. Die „Krücke“ einer am Einzelvertrag orientierten Auslegung wird entbehrlich.342 Für den Status als   Henckel, AcP 159 (1960), 106, 121; Larenz, Methode der Auslegung, S.  105; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  343 ff.; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  271; zurückhaltender Flume, AT, Bd.  2, S.  324; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  47, 102, der in atypischen Fällen den individuellen Willen, nicht aber eine objektive Norm für maßgeblich hält; siehe oben Fn.  335. 338   BGH, NJW 1984, 1177, 1178 (= BGHZ 90, 69, 76); 1996, 2092, 2093 (= BGHZ 133, 25, 33): „Rechte und Pflichten, die sich im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung aus der Natur eines bestimmten Vertrags ergeben, stehen ihrem Rechtscharakter nach dem vertragsergänzenden dispositiven Gesetz gleich, das nach §  6 II AGBG an die Stelle einer fehlenden oder unwirksamen Klausel tritt“; ferner NJW 1993, 721, 722 (= BGHZ 121, 13, 18); 1995, 2637, 2638; 1998, 1640, 1642 (= BGHZ 138, 118, 126 ff.); BAG, NJW 2007, 536, 537; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  271. 339   Vgl. Henckel, AcP 159 (1960), 106, 123. 340   BGH, LM Nr.  8 zu §  242 (Bc); NJW 1985, 2585, 2587; 1993, 326, 330 (= BGHZ 120, 108, 122). Für Kündigungen aus wichtigem Grund gilt inzwischen §  314 BGB. 341   BGH, NJW 1972, 1128, 1129 (entsprechende Anwendung der §§  553 a. F., 626, 723 BGB); NJW-RR 1993, 1460; ebenso Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.  276; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  331 f.; BeckOK-BGB20 -Sutschet, §  241 Rn.  29. 342   Vgl. Henckel, AcP 159 (1960), 106, 123; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  81, der allerdings Rechtsfortbildung und Vertragsergänzung für „ganz verschiedene Wirkungsbereiche hält“, aaO., S.  86; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  322. Eine Parallele zwischen ergänzender Vertragsauslegung und analoger Gesetzesauslegung 337

F.  Die Übergangsformen zum zwingenden Recht

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abdingbare Norm ist es jedoch unerheblich, ob bereits das Gesetz oder erst die Rechtsprechung sie formuliert. Das Gleiche gilt für die Fragen, ob die Auslegungsregeln für sämtliche Verträge oder nur für einige Vertragsarten gelten und ob sie revisibel sind oder allein der tatrichterlichen Würdigung unterliegen. Stets handelt es sich um Normen, bei denen sich die Frage nach ihrer Abdingbarkeit stellt. Vor diesem Hintergrund liegt der Unterschied zwischen den Regeln zur Vertragsauslegung und sonstigem abdingbaren Recht vor allem in den Hürden, die für eine Abbedingung zu überwinden sind.343 Ihre Gestaltung hat mit dem Status als abdingbares Recht nichts zu tun.344 Diese Hürden sind bei den Regeln zur Vertragsauslegung geringer. Der Richter hat bei ihnen zudem eine größere Flexibilität. Jedoch muss er begründen, warum eine bestimmte Norm zur Anwendung kommt. Denn der Voraussetzung nach enthält der Vertrag für die von ihm zu entscheidende Frage keine Regelung. Dass er für die gleichwohl entwickelten Lösungen auch Elemente des Vertrages berücksichtigt, steht der Möglichkeit und Erforderlichkeit verallgemeinerbarer Grundsätze zur Vertragsauslegung nicht entgegen. Diese können schließlich an die einzelnen Sachverhaltselemente anknüpfen. Erst eine allgemeine Begründung345 verleiht den angewandten Normen Legitimität. Mit ihrer Abdingbarkeit hängt sie aber nicht notwendig zusammen.

F.  Die Übergangsformen zum zwingenden Recht Um Klarheit über den Begriff des abdingbaren Rechts zu gewinnen, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Übergangsformen zum zwingenden Recht zu werfen. Bezeichnungen wie „halbzwingendes Recht“346 oder „relativ zwingende“ Normen 347 erwecken den Eindruck, als ob man zwingendes und abdingbares Recht zeigt sich auch in BGH, NJW 2003, 1317, 1317 f., wonach mangels Vereinbarung ein ortsüblicher Mietzins als vereinbart gilt. 343   Zum Teil wird er auch in der Orientierung an einem bestimmten Vertragstyp gesehen, etwa BGH, NJW 1979, 1818, 1819; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  4 4 ff., 92 f.; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  111, einschränkend Staudinger2003-Busche, §  157 Rn.  32 (individuelle wie objektive Kriterien) mwN. 344   Dazu im Einzelnen unten 4.D.3. 345   A. A. Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  93: „Der Richter darf deshalb den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls voll gerecht werden .  .  . den atypischen Besonderheiten des konkreten Falles nach Lust und Liebe nachgehen.“ 346   Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  104 ff., S.  70 f.; Bork, AT, S.  39, Rn.  97; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  248; Boemke/Ulrici, AT, S.  193; ähnlich Ayres/ Gertner, 101 Yale Law Journal 729, 743 (1992): „single-sided immutable rules“; weitergehend der Holländische Begriff des ¾-zwingenden (d. h. nur kollektiv abdingbaren) Rechts, Hesselink, 1 ERCL 44, 57 (2005). 347   Mayer-Maly, in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S.  123, 126 (für halbzwingende Normen); Lehmann, 41 Vanderbilt Journal of Transnational Law 381, 420 (2008) versteht

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

nicht scharf voneinander unterscheiden könne und es eher eine Vielzahl verwandter Erscheinungen gebe. Dem widerspricht die entwickelte Definition abdingbaren Rechts.348 Denn sie sieht nur zwei Möglichkeiten vor. Entweder kann die Anwendbarkeit einer Norm in mindestens einem Fall ausgeschlossen werden oder nicht. Im ersten Fall ist sie abdingbar, im zweiten Fall zwingend. Daneben gibt es nur die Möglichkeit, dass erst die Adressaten einer Norm deren Anwendbarkeit begründen, sie also bedingbar ist. Neben dem abdingbaren, dem bedingbaren und dem zwingenden Recht gibt es daher keine weitere Art verbindlicher Normen.349 Dies gilt auch für das so genannte weiche Recht (soft law).350 Es ist im Unterschied zum „harten“ Recht zu einem geringeren Grad verbindlich, weil es nicht in einem ordentlichen Rechtssetzungsverfahren geschaffen und nicht sanktioniert ist. Das geht aber nicht notwendigerweise mit einer Einschränkung der Anwendbarkeit einher.351 Sie kann so wie beim „harten“ Recht unabhängig von einer Disposition seiner Adressaten bestehen. Die Unterscheidung zwischen „hartem“ und „weichem“ Recht liegt damit quer zur Unterscheidung zwischen abdingbaren und zwingenden Normen.352 So mögen sich Vertragsparteien über einen nur als weiches Recht geltenden Brauch nicht hinwegsetzen dürfen, wohl aber können, weil ein Verstoß gegen ihn die Geltung ihres Vertrages nicht berührt.

darunter die international nicht zwingenden Normen, über die sich die Parteien nur bei einer Rechtswahl hinwegsetzen können. 348   Oben 1.A.2. 349   Vielfach wurde und wird nur zwischen dem zwingenden und dem abdingbaren Recht unterschieden, etwa Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  67; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  41, der allerdings weiter zwischen unentrinnbaren und entrinnbaren Normen unterscheidet; Köhler, BGB AT, §  3 Rn.  22 ff., S.  14 ff.; Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 239 (1988); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 390 (1994). Weitere Arten von Normen behaupten hingegen Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  56 (Privatverfügungen, Auslegungsnormen, zwingende und ergänzende Rechtssätze); Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  18 (sanktionierendes, auslegendes, nachgebendes und zwingendes Recht); Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  225; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  184 (zwingende, nichtzwingende, ermächtigende Normen); E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 566–567 (2006) („default rules“; „immutable rules“; „legal formalities“); Schauer, Playing by the Rules, p.  5 („rules of thumb“; „mandatory rules“). Zur vermeintlichen Abgrenzung abdingbarer und ergänzender Normen oben 1.E.2.b), Fn.  317. 350   Zum Begriff siehe Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  222. 351   A. A. Lehmann, 41 Vanderbilt Journal of Transnational Law 381, 419 (2008), der das soft law als dritte Kategorie anerkennt. 352   Anders die von Hesselink, 1 ERCL 44, 57 (2005) dem französischen Recht zugeschriebene Sicht, wonach abdingbares Recht über eine geringe Verbindlichkeit verfüge.

F.  Die Übergangsformen zum zwingenden Recht

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1.  Die Einschränkungen der Abdingbarkeit Lässt sich demnach jede Norm als abdingbar, bedingbar oder zwingend einordnen,353 muss es erstaunen, dass weitere Bezeichnungen wie das halbzwingende abdingbare Recht existieren. Sie suggerieren, dass es Übergangsformen zwischen abdingbaren und zwingenden Normen gibt. Der Kontrast zwischen der dies verneinenden Definition abdingbaren Rechts und der Vielfalt seiner Erscheinungsformen löst sich jedoch auf, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der Ausschluss der Anwendbarkeit ganz oder teilweise erfolgen kann. Insoweit ist die Abdingbarkeit einer Norm keine Alles-oder-nichts-Entscheidung. Normen können vielmehr eine Vielzahl von Regeln enthalten, die in unterschiedlicher Weise abdingbar sind. Ist bereits eine aus der Norm abgeleitete Regel abdingbar, erlangt die gesamte Norm einen abdingbaren Status, mögen die übrigen Regeln auch zwingend sein. Je nach dem, wie viele aus einer Norm abgeleitete Regeln abdingbar sind, ist die Norm mehr oder weniger abdingbar.354 Die Einschränkung der Abdingbarkeit kann alle ihre Merkmale355 erfassen, nämlich das Subjekt (a), den Akt (b), das Objekt (c) sowie die Wirkung (d) der Abbedingung. a)  Die Einschränkung des Abbedingungssubjekts Eine erste Limitierung der Abdingbarkeit besteht in der eingeschränkten Erteilung der Abbedingungsberechtigung. Erlaubt der Gesetzgeber nur bestimmten Personen die Abweichung von einer Norm, so entfaltet sie für die übrigen Personen eine zwingende Wirkung. Ob eine Norm abdingbar ist, hängt dann vom Status der jeweiligen Person ab. So gewährt eine Reihe von arbeitsrechtlichen Normen nur den Tarifvertragsparteien das Recht zur Abbedingung.356 Dem einzelnen Arbeitnehmer ist eine abweichende Absprache versagt, und zwar selbst dann, wenn er dafür eine höhere Entlohnung erhielte. Solche Normen werden vielfach als halbzwingend bezeichnet.357 Die Einschränkung der Abbedingungsberechtigung ist auf zweierlei Art möglich. Erstens kann man eine grundsätzlich abdingbare Norm formulieren   Oben 1.B.   Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 595 (1982); Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 31 (1993); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1738 (1997); Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 154; McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 401 (2007); Larenz/ Wolf, AT, §  3 Rn.  94 ff., S.  67 ff.; Bachmann, JZ 2008, 11, 13; Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  122; Verfasser, JbJ.ZivR.Wiss. 2002, 181, 199 ff.; anders Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  122, der trotz der Überschneidungen „eine klare und deutliche Differenzierung“ verlangt. 355   Oben 1.A.1. 356   Siehe etwa §§  622 Abs.  4 S.  1 BGB; 13 Abs.  2–3 BUrlbG; 7, 12, 21a Abs.  6 ArbZG; Otto, Arbeitsrecht, S.  89, Rn.  138. 357   Oben Fn.  346. 353

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

und besondere Anforderungen an die Abbedingungsberechtigten stellen. So enthält das Versicherungsvertragsgesetz mehrere Normen, von denen eine Abweichung zu Lasten des Versicherten zwar möglich ist, jedoch nur von diesem geltend gemacht werden darf.358 Dem Versicherten ist es verwehrt, sich darauf zu berufen. Er kann keine Abbedingung zu seinen Gunsten vornehmen. Zweitens kann man den zwingenden Charakter einer Norm anordnen und bestimmten Personen mit der Berechtigung zur Abbedingung privilegieren. Ein Beispiel dafür ist §  489 Abs.  4 S.  2 BGB, wonach nur die öffentliche Hand auf das Recht zur ordentlichen Kündigung eines Darlehensvertrages verzichten darf. Anderen Personen ist dies versagt. Ob der Gesetzgeber im Grundsatz die Abdingbarkeit einer Norm anordnet und nur einigen Personen gegenüber als zwingend gestaltet oder umgekehrt von der Unabdingbarkeit ausgeht, aber einem eingeschränkten Personenkreis eine Disposition ermöglicht, kann eine bloße Formulierungsfrage sein. In der Regel jedoch verbirgt sich dahinter die Entscheidung, ob er die nur für bestimmte Personen mögliche Abdingbarkeit als Privileg ansieht oder die den übrigen Personen gegenüber geltende Unabdingbarkeit als eine ihrem Schutz dienende Ausnahme. Soll der mit der Einschränkung der Abdingbarkeit einhergehende Eingriff in die Vertragsfreiheit verhältnismäßig erfolgen, bietet sich eine Differenzierung nach einzelnen Personenkreisen an. Denn sind nicht alle gleichermaßen schutzbedürftig, würde eine einheitliche zwingende Regelung die Freiheit einer Gruppe über Gebühr einschränken. Was etwa für den Verbraucher gilt, muss für den Unternehmer nicht verbindlich sein. Ist der zwingende Charakter einer Norm daher nur gegenüber bestimmten Personen gerechtfertigt, darf man ihn gegenüber den übrigen Personen nicht anordnen. Das gebietet die in Art.  2 Abs.  1 GG verankerte359 Vertragsfreiheit. So stark jedoch die personelle Einschränkung der Abdingbarkeit grundrechtlich begründet sein mag, so groß ist die Gefahr einer damit einhergehenden Refeudalisierung. Zu dieser kommt es, wenn nicht jedermann den gleichen Normen unterliegt, sondern ein abgestimmtes System von Privilegien und Lasten entsteht.360 Maßgeblich ist dann nicht mehr, was eine Person will und kann, sondern wer sie ist. Das widerspricht dem Ziel eines allgemeinen, für jedermann verbindlichen Gesetzes und kehrt die dem BGB ursprünglich zugrunde liegende Behandlung der Privaten als Freie und Gleiche um.361 Es widerspricht zudem der mit den Grundrechten verbundenen Intention, für ein Recht jenseits über  §§  30 Abs.  2, 98 S.  1 VVG.   BVerfG, NJW 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181); im Einzelnen unten 4.A.2.b). 360   Gegen diese Rollenabhängigkeit insbesondere des Verbraucherschutzes Lieb, AcP 183 (1983), 327, 354 ff.; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 336; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  5 („Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsteile“). 361   Motive, Bd.  1, S.  19; Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9, 72; Staudinger2004-Coing/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB, Rn.  33; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S.  89. 358 359

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kommener Privilegien zu sorgen. Mittelbar kann es der zu schützenden Gruppe sogar schaden, wenn sie nämlich aufgrund einer zwingenden Norm einen höheren Preis bezahlen muss, als das sonst der Fall wäre. Darauf werden wir später zurückkommen.362 b)  Die Einschränkung des Abbedingungsakts Eine weitere Möglichkeit zur Einschränkung der Abdingbarkeit betrifft den ihr zugrunde liegenden Akt. Für diesen lassen sich Verfahrens- und Formvorschriften aufstellen. Dazu gehören etwa das Erfordernis zur Benennung der entgegenstehenden gesetzlichen Norm, die Belehrung anderer Beteiligter oder das Abwarten einer bestimmten Frist.363 Eingeschränkt ist der Abbedingungsakt auch dann, wenn sich die Normadressaten entweder an eine gesetzliche Vorgabe halten oder eine Abweichung erklären müssen („comply or explain“). Das sieht das europäische Recht inzwischen für den Corporate Governance Kodex vor, der Grundsätze einer verantwortungsvollen Unternehmensführung enthält.364 Begründen Unternehmen nicht, warum sie den Kodex als unverbindlich ansehen, sind sie an ihn gebunden. Derartige Anforderungen an den Abbedingungsakt erschweren eine abweichende Absprache. Eine notarielle Beurkundung etwa lohnt sich nur bei gewichtigen Transaktionen wie einem Hausoder Unternehmenskauf. Im Extremfall vermögen abdingbare Normen, eine faktisch zwingende Wirkung zu entfalten. Eine abweichende Vereinbarung wird zu aufwendig. Gleichwohl ist mit den Einschränkungen des Abbedingungsakts der Inhalt der abbedingenden Norm nicht vorgegeben. Denn trotz der Anforderungen an das Verfahren bleiben die Normadressaten inhaltlich frei, Abweichendes zu vereinbaren. c)  Die Einschränkung des Abbedingungsinhalts Die häufigste Einschränkung der Abdingbarkeit knüpft am Inhalt der abzubedingenden Normen an. Er wird in diesem Fall für teilweise unverfügbar erklärt, und zwar unabhängig davon, wer die Abbedingung vornimmt und wie ihr Prozess ausgestaltet ist. Die Normadressaten dürfen von ihr dann zwar im Grundsatz abweichen, müssen dabei aber bestimmte Gestaltungen wählen. Obgleich sie die Norm verdrängen können, stellt der Gesetzgeber damit sicher, dass die Berechtigten sich nicht zu weit von ihr entfernen. Er vermeidet dadurch einer  Unten 3.C.   Etwa BGH, NJW 2005, 2543, 2544 (Notwendigkeit einer Belehrung); im Einzelnen unten 5.B.5.a). 364   Art.  46a Abs.  1 S.  2 lit b) der Richtlinie 78/660/EWG vom 25. Juli 1978, eingefügt durch Art.  1 Ziff. 7 der Richtlinie 2006/46/EG vom 14. Juni 2006; Nr.  3.10 S.  2 des Deutschen Corporate Governance Codex vom 6.  6 .  2008; dazu Binder, Regulierungsinstrumente, S.  296 ff. mwN.  Zur gegenteiligen Möglichkeit einer begründungslosen Gestaltung privater Verhältnisse siehe unten 4.B.2.a). 362

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

seits die Vorgabe einer zwingenden Norm. Andererseits begrenzt er den Gestaltungsraum durch den Ausschluss bestimmter Vereinbarungen. Ein Beispiel für diese Regelungstechnik ist der in §  276 BGB vorgesehene Haftungsmaßstab. Er ist grundsätzlich abdingbar, §  276 Abs.  1 S.  1 BGB. Gleichwohl schränkt sein Absatz 3 die Abdingbarkeit ein, indem er einen im Voraus vereinbarten Haftungsausschluss für Vorsatz verbietet.365 Diese Möglichkeit, Anforderungen an die abbedingende Norm zu stellen, hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens sind auch noch solche Normen teilweise abdingbar, die auf den ersten Blick einen zwingenden Charakter tragen. Der Gesetzgeber kann die Wahlmöglichkeiten der Normadressaten nämlich im Extremfall auf nur eine denkbare Alternative beschränken.366 Diese können dann nur noch zwischen zwei für sich genommen zwingenden Regelungen wählen.367 So steht dem Handelsvertreter ein im Voraus nicht ausschließbarer Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer zu, §  89a Abs.  1, 4 S.  1 HGB. Jedoch darf der Vertreter vor die Wahl gestellt werden, stattdessen eine Betriebsrente in Anspruch zu nehmen.368 Wählt er diese, darf man ihm den Ausgleichsanspruch versagen. Insofern ist der auf den ersten Blick zwingende §  89 HGB abdingbar. Zweitens schränkt die Möglichkeit, Anforderungen an die abbedingende Norm zu stellen, auch den Kreis der uneingeschränkt abdingbaren Normen erheblich ein. Denn vielfach sind diese insofern zwingend, als sich die Berechtigten bei der Gestaltung des abbedingenden Rechts an die Generalklauseln der §§  138, 242 BGB zu halten haben. Zu weit dürfen sie sich auch in diesem Fall nicht vom abdingbaren Recht entfernen. Erheblich unter einem Tarifvertrag liegende Löhne sind etwa selbst dann sittenwidrig, wenn die Parteien nicht an ihn gebunden sind.369 Eine Erweiterung der Abdingbarkeit findet sich demgegenüber im Interna­ tionalen Privatrecht. Es gestattet, von bestimmten im nationalen Recht zwin365   Ein weiteres Beispiel der Einschränkung der abbedingenden Norm ist §  556b Abs.  2 BGB, wonach eine Aufrechnung mit überbezahlten Betriebskosten trotz entgegenstehender Absprache möglich ist, wenn der Mieter dies einen Monat zuvor in Textform ankündigt. 366   Anders noch der Sprachgebrauch von Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  225: „wo nur zwischen zwei Möglichkeiten die Wahl gelassen wird, ist kein wahrer Dispositivsatz vorhanden, sondern nur eine gesetzliche Wahlmöglichkeit“. 367   Bachmann, JZ 2008, 11, 14 f. unterscheidet daher zwischen „weichen“ Optionsmodellen, bei denen der Berechtigte die abbedingende Norm frei gestalten kann, und „harten“ Optionsmodellen, bei denen er zwischen mehreren „zwingenden“ Modellen wählen kann. Dass ein Modell in sich nicht mehr gestaltbar und insofern zwingend ist, schließt indes nicht aus, dass seine Wahl nach abdingbaren Normen folgt. 368   BGH, NJW 2003, 3350, 3351; ähnlich Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Löwisch, HGB2, §  89b Rn.  140: Anrechnung möglich, wenn sich die Rechtsstellung verbessert. 369   Die Tarife allein sind zwar kein unmittelbarer Unwirksamkeitsmaßstab, wirken sich indirekt aber auf das stattdessen maßgebliche Lohnniveau aus, vgl. BAG, AP Nr.  30 §  138 BGB; NJW 2000, 3589, 3590; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  387; stärker MünchKommBGB5Armbrüster, §  138 Rn.  113: maßgeblich sei der Tarifvertrag oder ein darunter liegendes Lohnniveau.

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genden Normen durch Rechtswahl abzuweichen. Nicht alle national zwingenden Normen sind daher auch „international zwingend“.370 Dass die international nicht zwingenden Normen im nationalen Kontext gleichwohl als zwingend bezeichnet werden, ist aus pragmatischen Gründen zwar sinnvoll, da man in der Regel nur mit nationalen Normen zu tun hat. Dass eine Norm durch eine Rechtswahl abdingbar ist, liegt dabei fern. Will man sie aber umfassend charakterisieren, so darf man diesen denkbaren Ausschluss der Anwendbarkeit nicht übergehen und muss die nur national zwingenden Normen zum abdingbaren Recht zählen. Denn bei ihnen gibt es mindestens eine Konstellation, in der ihre Anwendung ausgeschlossen werden darf. d)  Die Einschränkung der Abbedingungswirkung Am seltensten sind Einschränkungen der Abbedingungswirkung. Ist den Norm­ adressaten daran gelegen, dass eine bestimmte Norm auf einen Sachverhalt keine Anwendung findet, so werden sie diese ohne Einschränkung abbedingen. Gleichwohl können sie die Abbedingungswirkung begrenzen und etwa anordnen, dass eine Norm nur eine bestimmte Zeit nicht zur Anwendung kommt. Danach ist diese Norm dann auf dieselben Sachverhalte wieder anwendbar. So fordert §  556 Abs.  3 S.  1 BGB, über die auf den Mieter abgewälzten Betriebskosten jährlich abzurechnen. Das ist angesichts §  556 Abs.  4 BGB auf den ersten Blick zwingend, weil dieser eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung einschränkungslos ausschließt. Eine längere Berechnungszeit etwa beeinträchtigt die Klarheit des Mieters über die noch zu erbringenden Zahlungen. Gleichwohl steht §  556 Abs.  3 BGB nach Auffassung des BGH einer einmaligen Verlängerung der Abrechnungsperiode nicht entgegen.371 Mit dem Wortlaut des §  556 Abs.  4 BGB ist das zwar kaum vereinbar, als teleologische Reduktion aber gleichwohl sinnvoll. Denn nur auf diese Weise ist es mit vertretbarem Aufwand möglich, die Abrechnung auf den Jahreskalender umzustellen. Letzteres kann auch für den Mieter von Vorteil sein und ist aufgrund der auf ein Jahr eingeschränkten Abbedingungswirkung hinzunehmen. Zu einer Einschränkung der Abbedingungswirkung kommt es ferner, wenn die Normadressaten die Anwendbarkeit einer Norm nur für eine bestimmte Beurteilung des Sachverhalts ausschließen. Sie mögen etwa vorsehen, dass in einem Gerichtsverfahren eine Norm nicht zum Zuge kommt, im Übrigen aber anwendbar bleibt. Das dürfte zumindest dann zulässig sein, wenn die Norm generell abdingbar ist. Denn umso eher erscheint dann auch eine nur punktuelle Abbedingung als akzeptabel. 370   Zur Unterscheidung Staudinger2002-Magnus, Art.  34 EGBGB Rn.  10 f.; weitere Nachweise oben 1.A.1.b), Fn.  30. 371   BGH, NJW 2011, 2878, 2879; a. A.: Palandt70 -Weidenkaff, §  556 Rn.  10; Staudinger2011Weitemeyer, §  556 Rn.  144.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

2.  Die faktische Abdingbarkeit Aufgrund der geschilderten Einschränkungen der Abdingbarkeit können Normen einen faktisch zwingenden Charakter annehmen.372 Im Extremfall vermag nur ein enger Kreis von Adressaten, sie mittels eines besonderen Verfahrens abzubedingen, und auch das nur in geringem Umfang. In den weitaus meisten Fällen bleiben sie dann aber unabdingbar. Das zeigt, dass eine Kluft zwischen den theoretischen und den tatsächlich umsetzbaren Möglichkeiten einer Abbedingung entstehen kann. Sie ist auch beim umgekehrten Phänomen zu beobachten, dass zwingende Normen faktisch abdingbar sind. Dass diese Möglichkeit besteht, erstaunt zunächst, weil formal dann keine Konstellation existiert, in der die Adressaten die Norm abbedingen dürfen. Jedoch schließt das häufig rechtliche Gestaltungen nicht aus, die wirtschaftlich zum selben Ergebnis führen. Dazu kommt es etwa bei Tatsachenbestätigungen 373 und Beweislastverträgen 374 . Dank dieser können die Adressaten einer Norm ein Ergebnis erzielen, das für sie sonst nur über deren Abbedingung erreichbar ist. Sie verfügen dann nicht über eine materiellrechtliche Vorgabe im engeren Sinn 375 , sondern treffen lediglich eine für den Prozess maßgebliche Absprache, welche Tatsachen einem Urteil zugrunde zu legen sind. Damit können sie jedoch faktisch ebenso wie mit einer Abbedingung den Eintritt einer Rechtsfolge verhindern. Denn diese bleibt ohne Wirkung, solange sich die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht nachweisen lassen. Im Ergebnis ist es kaum ein Unterschied, ob ein Anspruch an einer abweichenden Bestimmung der Parteien scheitert oder an der mangelnden Möglichkeit seines Beweises. Funktional sind beide Möglichkeiten äquivalent. Auf diese Folge ist insbesondere im Arbeitsrecht hingewiesen worden, wo Tatsachenvereinbarungen trotz des zwingenden Charakters eines Tarifvertrages möglich sind.376 Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer hohe Hürden für den Nachweis von Umständen, an die ein Tarifvertrag Vergünstigungen knüpft, 372   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 121 (1989); Kommission der EG, Ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht, Ein Aktionsplan, KOM(2003)68 endg, S.  12; Hesselink, 1 ERCL 44, 73 (2005); skeptisch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  224, 231. 373   Nach §  309 Nr.  12 b) BGB sind sie innerhalb von AGB nur für Empfangsbekenntnisse zulässig, welche die Beweislast verschieben. Dies erstreckt der BGH auch auf Beweiserleichterungen, NJW 1987, 1634, 1635; NJW-RR 1989, 817, 818; a. A. Staudinger2006 -Coester-Waltjen, §  309 Nr.  12 Rn.  11. 374   Zur Zulässigkeit siehe BGH, NJW 1987, 2435, 2436; 1998, 2967, 2968; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO69, Anh zu §  286 Rn.  7; Musielak-Foerste, ZPO8, §  286 Rn.  61 (soweit Norm materiellrechtlich abdingbar); Wagner, Prozeßverträge, S.  698. 375   Zur kontroversen Einordnung von Beweislastgrundsätzen siehe Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess, S.  26 ff.; MünchKommZPO3-Prütting, §  286 Rn.  137 ff. 376   BAG, NZA 1998, 434, 435; ErfurtKomm9-Franzen, §  4 TVG Rn.  45; Löwisch/Rieble, TVG, §  4 Rn.  355; a. A. Kempen/Zachert-Stein, §  4 Rn.  4 49. Zur Parallele von Tatbestandsund Rechtsvereinbarung ferner Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1039 für Anfechtung, Rücktritt und Widerruf.

F.  Die Übergangsformen zum zwingenden Recht

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so werden diese seltener in Anspruch genommen und sind insofern faktisch abbedungen. Wegen der damit verbundenen Gefahren verbietet §  309 Nr.  12 BGB die Vereinbarung derartiger Tatsachenbestätigungen durch AGB. Nur individualvertraglich sind sie zulässig. Ein ähnliches Phänomen tritt bei Tatsachenvereinbarungen im Maklerrecht auf. Sie umfassen meist Vereinbarungen über die Kausalität der Vermittlungsleistung. Vermag der Auftraggeber seine Vorkenntnis über ein zu vermittelndes Objekt nicht nachzuweisen, ist ihm der Einwand fehlender Kausalität in der Regel abgeschnitten.377 Wegen dieser Funktionsgleichheit zwischen einer Tatsachenvereinbarung und der Abbedingung des Kausalitätserfordernisses hält der BGH derartige Absprachen durch AGB für unwirksam.378 Dass er das zwingende Recht auch auf sie erstreckt, zeigt einmal mehr, dass sie ebenso wie eine Abbedingung den Schutzzweck einer Norm in Frage stellen können. Zu einer faktischen Abbedingung kommt es ferner, wenn Normen ihre Wirkung verlieren, weil sie bestimmte Vereinbarungen nicht erfassen, die ihrem Ziel zuwider laufen. So büßt die Haftungsbegrenzung einer GmbH ihre begrenzende Funktion zu einem erheblichen Teil ein, wenn ihre Geschäftsführer und Gesellschafter aufgrund einer Bürgschaft gegenüber den Vertragspartnern für die Verbindlichkeiten aufkommen müssen. Rechtlich handelt es sich zwar um getrennte Verhältnisse. Jedoch wird dadurch das Leitbild der Haftungsbegrenzung unterlaufen. Das mag ökonomisch sinnvoll sein, etwa weil die Geschäftsführer die Risiken der von ihnen geführten Gesellschaft am besten einzuschätzen vermögen. Gleichwohl bleibt zu konstatieren, dass sie entgegen der Intention des §  13 Abs.  2 GmbHG unbegrenzt haften. Ein ähnliches Phänomen faktischer Abbedingung kann bei Ordnungsnormen auftreten, bei denen eine Abweichung nicht sanktioniert wird.379 Sie verbieten zwar ein bestimmtes Verhalten und sind damit in aller Regel zwingend.380 Setzen sich die Parteien aber über sie hinweg, bleibt ihre Vereinbarung dennoch wirksam. Dass derartige Möglichkeiten faktischer Abbedingung bestehen, sollte nicht erstaunen und war dem BGB-Gesetzgeber bewusst.381 Denn er kann die Interessen der Normadressaten nur begrenzt verändern. Erlässt er ihnen zuwider laufende Normen, brechen sich die Interessen auf andere Weise Bahn. Daher ist es kein Zufall, dass sich zu zwingenden Normen vielfach ein Institut gesellt hat, das ihre Folgen mildert. So ist zur Bürgschaft die Forderungsgarantie gekom377   Vgl. Palandt70 -Sprau, §  652 Rn.  49; MünchKommBGB5-Roth, §  652 Rn.  180; Staudinger2003-Reuter, §  653 Rn.  31 ff. 378   BGH, NJW 1971, 1133, 1135; NJW-RR 1986, 346, 347; Palandt70 -Sprau, §  652 Rn.  67; kritisch MünchKommBGB5-Roth, §  652 Rn.  222. 379   Oben 1.II.2. 380   Oben 1.A.3.c). 381   Motive, Bd.  1, S.  18: „Der Grundsatz, daß das zwingende Recht der Privatwillkür keinen Raum läßt, kann unter Umständen im Prozesse vermöge der ihn beherrschenden Verhandlungsmaxime Einbuße erleiden.“

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

men, welche ohne Schriftformerfordernis auskommt.382 Ebenso hat das Leasing die Miete ergänzt und damit deren Gewährleistung eingeschränkt.383 Neben den Werkvertrag sind Bauherrengesellschaften getreten, die ihren Teilhabern größere Risiken als einem Besteller überbürden.384 Diese und weitere385 Gestaltungsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen, wenn man eine Norm als zwingend charakterisiert. Denn zwingende Normen lassen häufig die Möglichkeit ihrer Umgehung ebenso wenig erkennen wie dispositive Normen die Schwierigkeit ihrer Abbedingung. Für die wirtschaftliche Bedeutung einer Norm indes ist beides zentral.

3.  Die Verschränkung abdingbarer und zwingender Normen Nach der entwickelten Definition ist jede Norm entweder zwingend, bedingbar oder abdingbar.386 Übergangsformen treten allerdings insoweit auf, als sich abdingbare und zwingende Normen miteinander kombinieren lassen, so dass dann der Regelungskomplex als teils abdingbar, teils zwingend erscheint. Das ist insbesondere bei der Verschränkung von Normen und Metanormen der Fall. Zwingende Auslegungsregeln etwa können abdingbare Normen regieren, wie auch umgekehrt abdingbare Auslegungsregeln die Interpretation zwingender Normen zu beeinflussen vermögen.387 Zu einer ähnlichen Verschränkung abdingbarer und zwingender Normen kommt es bei so genannten Regelungsaufträgen.388 Mit ihnen ordnet der Gesetzgeber an, dass die Adressaten eine bestimmte Frage zu entscheiden haben, lässt dabei aber den Regelungsinhalt offen. Dies ist insbesondere im Gesell  BGH, NJW 1967, 1021, 1022; BeckOK-BGB20 -Rohe, §  415 Rn.  57; MünchKommBGB5Habersack, vor §  65 Rn.  19 mwN. A. A.: Larenz/Canaris, SR, AT, II/2, §  6 4 III 3b, S.  77. 383   Zur Zulässigkeit des Gewährleistungsausschlusses BGH, NJW 1977, 848, 849 (= BGHZ 68, 118, 123); 1989, 1279, 1280 (= BGHZ 106, 304, 309); 2006, 1066, 1067; MünchKommBGB5Koch, Finanzierungsleasing Rn.  91; Staudinger2004-Stoffels, Leasing Rn.  217. 384   Zur auf die Aufsicht eingeschränkten Gewährleistung siehe BGH, NJW 1999, 1705, 1706 (= BGHZ 141, 63, 66); BeckOK-BGB20 -Fischer, §  675 Rn.  73; Staudinger2008-Peters/Jacoby, vor §§  631 Rn.  164. Daneben bestand lange Zeit der Anreiz, die Grunderwerbsteuer zu reduzieren, was der BFH dann aber verhindert hat, siehe BFH, NZM 2000, 563, 564 mwN. 385   Dazu gehören etwa die Vereinbarung von den Eintritt einer Rechtsfolge verhindernden Bedingungen nach §§  158 ff. BGB, Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, S.  71, 76 ff.; die Umgehung des Rechts durch Schiedsverträge, da die Anerkennung der Schiedssprüche nur bei elementaren Verstößen versagt wird, BGH, NJW 2009, 1215, 1216; Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 727 (1999), skeptisch dazu MünchKommBGB4-Martiny, Art.  34 EGBGB Rn.  1; der (zeitweise) Klageverzicht BGH, NJW 1984, 669, 670; Eidenmüller, in: Breidenbach u.w., Konsensuale Streitbeilegung, S.  46, 57. Zur Umgehung zwingender gesellschaftsrechtlicher Regelungen Schmidt, Gesellschaftsrecht, §  56 I, S.  1626; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  3. 386   Oben 1.A.2. 387   Dazu bereits oben 1.E.2.b). 388   Dazu Bachmann, Private Ordnung, S.  376 f.; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  83, 383 ff. 382

F.  Die Übergangsformen zum zwingenden Recht

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schaftsrecht der Fall, wo nach §  3 Abs.  1 GmbHG und §  23 Abs.  3 AktG Firma, Sitz und Höhe des Stammkapitals zu bestimmen sind. Subsidiär festgelegt sind sie nicht. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem abdingbaren oder zwingenden Status des Regelungsauftrags und dem abdingbaren oder zwingenden Status der Normen, die in seiner Ausführung verdrängt werden. Die Regelungsaufträge sind in der Regel zwingend, da sie die Parteien nicht erheblich belasten. Zumindest theoretisch ist aber vorstellbar, dass der Gesetzgeber die Gründer einer Gesellschaft zur Regelung bestimmter Fragen anhält und ihnen zugleich erlaubt, von dieser Anordnung unter bestimmten Bedingungen abzuweichen. So mag er etwa die fehlende Bestimmung der Firma hinnehmen, wenn die Gesellschaft einen vorläufigen Namen wählt. Trotz ihres meist zwingenden Charakters lassen derartige Regelungsaufträge den Adressaten einen Freiraum zur Gestaltung ihrer Angelegenheiten, indem sie die zu treffenden Bestimmungen nicht vorgeben. Da subsidiär aber zumindest die Ausschluss- oder die Billigkeitsnormen eingreifen, muss es auch bei ihnen abdingbare Normen geben, die sich durch die Ausführung eines Regelungsauftrags verdrängen lassen. Anderenfalls gäbe es nichts, was die Parteien regeln könnten. Da die Rechtsfolge abdingbarer Normen bei fehlender Abbedingung zwingend eintritt, können spezielle abdingbare Normen Regelungsaufträge funktionell ersetzen. Der Gesetzgeber mag etwa statt des Regelungsauftrags zur Festlegung des Stammkapitals die abdingbare Norm aufstellen, dass sich das Stammkapital einer GmbH bei fehlender Festsetzung auf 30.000 A beläuft. Allerdings besteht zwischen Regelungsaufträgen und speziellen abdingbaren Normen ein gravierender Unterschied: Regelungsaufträge enthalten keine Reserveregelung, die bei einer fehlenden Vereinbarung zum Zuge kommt. Sie schaffen anders als abdingbare Normen eine ausgeglichene Verhandlungsgrundlage,389 da kein Beteiligter darauf vertrauen kann, dass bei einem Scheitern der Gespräche eine ihm genehme Regelung zum Zuge kommt. Allerdings fällt bei einem Regelungsauftrag auch die Sanktion für die Nichterfüllung schärfer aus als bei einer fehlenden Abbedingung einer Norm. Kommen etwa die Gesellschafter einer GmbH einem Regelungsauftrag nicht nach, darf ihr Gesellschaftsvertrag nicht in das Register eingetragen werden, §  9c Abs.  2 Nr.  1 GmbHG.390 Eine nicht abbedungene Norm bleibt demgegenüber weiterhin anwendbar. Wegen der Schärfe dieser Sanktion finden sich Regelungsaufträge vor allem dort, wo aufgrund einer ohnehin zu treffenden Regelung die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Parteien diese Aufträge erfüllen. Das ist beim Gesellschaftsvertrag aufgrund der unabhängig vom Regelungsauftrag erforderlichen   Dazu unten 3.A.   Entsprechend §  38 Abs.  4 Nr.  1 AktG.

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Kap. 1:  Der Begriff des abdingbaren Rechts

notariellen Beurkundung der Fall. Dank rechtskundiger Belehrung werden die an der Gründung Beteiligten die notwendigen Festsetzungen treffen. Bei formlosen Verträgen hingegen geschieht das nicht unbedingt. Hier bietet es sich eher an, für den Fall einer fehlenden Regelung eine abdingbare Norm vorzusehen.

G.  Zusammenfassung Der Begriff des abdingbaren Rechts erschließt sich erst, wenn man seine einzelnen Merkmale analysiert. Zu ihnen gehören das Subjekt, das Objekt, der Akt und die Wirkung der Abbedingung. Diese beinhaltet, dass ein Abbedingungsberechtigter die Anwendbarkeit einer Norm ausschließt, ohne ihr dadurch die Geltung zu nehmen. Dazu muss ein Anwendbarkeitsvorbehalt bestehen, und zwar entweder in der abzubedingenden Norm selbst oder in einer auf sie verweisenden Metanorm. Das abdingbare Recht ist von Ausnahmenormen abzugrenzen. Sie sehen bereits von Gesetzes wegen eine Ausnahme vor, während eine Abbedingung die Entscheidung der Normadressaten voraussetzt. Ermessensentscheidungen sind mit ihr nicht notwendig verbunden. Schließlich unterscheiden sich abdingbare Normen von Ordnungsnormen, deren Verletzung die Wirksamkeit des zugrunde liegenden Aktes nicht berührt. Das ist bei abdingbarem Recht zwar ebenfalls vorstellbar. Notwendig indes ist es nicht. Denn die Verletzung abdingbarer Normen kann scharf sanktioniert sein. Die Verfügung über Rechte ist die klarste und historisch am leichtesten nachweisbare Abbedingung einer Norm (A). Abdingbares Recht steht im Kontrast zu zwingenden und bedingbaren Normen. Zwingende Normen hängen nicht von der Disposition der von ihnen Betroffenen ab. Demgegenüber werden bedingbare Normen erst durch die Entscheidung der Normadressaten anwendbar. Alle Normen lassen sich einer dieser drei Kategorien zuordnen. Innerhalb dieser drei Kategorien gibt es weitere Unterscheidungen, insbesondere die zwischen generellen und speziellen Normen. Letztere sehen eine bestimmte Rechtsfolge vor. Damit stehen sie im Kontrast zu einer ermessensabhängigen Billigkeitsnorm sowie zu einer Ansprüche und Einwendungen pauschal versagenden Ausschlussnorm. Ordnen hingegen abdingbare Normen eine bestimmte Rechtsfolge an, so müssen die Parteien keine eigene Regelung treffen und können die Rechtsfolge gleichwohl voraussehen. Zugleich verbleibt ihnen die Möglichkeit zur Abweichung. Abdingbare Normen stellen daher vielfach einen Kompromiss zwischen der vollständigen Steuerung der einzelnen Rechtsverhältnisse im Voraus und einer erst im Nachhinein zu treffenden Billigkeitsentscheidung dar (B). Abdingbares Recht trägt einen ambivalenten Charakter. Einerseits begründet es Handlungsoptionen, durch die seine Adressaten Verfügungen treffen können, ohne die Einzelheiten regeln zu müssen. Andererseits bürdet es den

G.  Zusammenfassung

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Adressaten eine Abbedingungslast auf. Diese müssen eine Disposition treffen, wenn sie die vorgesehene Rechtsfolge vermeiden wollen. Ambivalent ist auch der Abbedingungsakt. Indem er eine Rechtsfolge ausschließt, begründet er eine andere. Je nach Perspektive lässt sich dies als Widerspruch zu einer bestehenden Lösung (opt-out) oder als Zustimmung zu einer erst noch zu treffenden (opt-in) verstehen. Die damit entstehende Handlungsoption ist von einem Optionsrecht abzugrenzen. Anders als bei diesem ist der von ihr Betroffene nicht notwendigerweise bereits Inhaber eines Rechts (C). Die Frage nach der Abdingbarkeit einer Norm stellt sich in allen Rechtssystemen. Allerdings tritt sie regelmäßig erst dann zu Tage, wenn diese Systeme abstrakt-generelle Normen formulieren. Denn ansonsten fällt eine Abweichung von einer Vorgabe kaum auf. Die Formulierung abdingbarer Normen setzt voraus, dass ein Rechtssystem zwischen der Anwendbarkeit und der Geltung einer Norm ebenso unterscheidet wie zwischen dem Gesetzgeber und dem Abbedingungsberechtigten. Dafür muss der Gesetzgeber neben sich auch anderen Personen die Möglichkeit zugestehen, an der Gestaltung des Rechts mitzuwirken. Die Entstehung abdingbarer Normen ist daher vor allem dort zu erwarten, wo eine zentrale gesetzgebende Autorität fehlt oder es um Rechtsbeziehungen unter Privaten geht (D). Abdingbare Normen kommen in allen Rechtsgebieten vor. Während sie im Völkerrecht und Privatrecht verbreitet sind, finden sie sich im innerstaatlichen öffentlichen Recht seltener und im Strafrecht nur ausnahmsweise. Der umfassende Charakter abdingbaren Rechts zeigt sich an der Vielfalt seiner Erscheinungen. Zu ihnen gehören gesetzliche wie außergesetzliche Normen, Primärwie Sekundärnormen, Auslegungs- wie Sachnormen. Die Grundsätze zur ergänzenden Vertragsauslegung sind Teil des abdingbaren Rechts, auch wenn sie nicht gesetzlich geregelt sind (E). So klar sich das abdingbare Recht begrifflich vom zwingenden Recht unterscheidet, so vielfältig sind die Übergangsformen zu ihm. Denn der Gesetzgeber kann Subjekt, Akt, Objekt und Wirkung der Abbedingung einschränken. Im Extremfall hat man es dann mit formal abdingbaren Normen zu tun, deren Abbedingungshürde so hoch ist, dass sie keiner überwinden kann. Umgekehrt gibt es auch formal zwingende Normen, die sich so leicht umgehen lassen, dass sie faktisch einen abdingbaren Charakter annehmen. Möglich ist dies unter anderem durch Beweisabsprachen, die den Eintritt einer Rechtsfolge verhindern. Überdies kann es durch Regelungsaufträge zu einer Verbindung zwingender Vorgaben mit einem selbstgewählten Inhalt kommen (F).

2. Kapitel

Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts Um abdingbare Normen zu verstehen, braucht man mehr als die entwickelte Definition. Denn diese lässt die über die notwendigen Merkmale hinausgehenden Eigenschaften abdingbaren Rechts offen. Wünschenswert ist ein sie verdeutlichendes Modell. Es soll Auskunft über den Charakter abdingbaren Rechts geben und damit erklären, warum sich die Rechtsordnung nicht mit der Formulierung einiger weniger zwingender Normen begnügt und die Beantwortung der übrigen Fragen den Adressaten überantwortet. Ein sämtliche abdingbare Normen erfassendes einheitliches Modell ist nicht erkennbar. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Normen, ihren Zielen und den dabei zu beachtenden Interessen sind beträchtlich. Entwickelt worden sind jedoch Modelle für das private Vertragsrecht. Auf sie beschränkt sich auch die folgende Untersuchung. Wie sich bereits ergab, liegt bei ihm die Verwendung abdingbarer Normen näher als in anderen Gebieten. Sind sich die Parteien über eine Regelung einig, bedarf es eines besonderen Grundes, um sie ihnen dennoch durch zwingende Normen zu untersagen. Hat man es hingegen wie im öffentlichen Recht mit Normen zu tun, welche die Interessen einer Vielzahl von Personen zum Ausgleich bringen, liegt eine Abbedingung ferner. Es ist daher das private Vertragsrecht,  das im Zentrum der für das abdingbare Recht entwickelten Modelle steht. Selbst bei diesem ist jedoch zweifelhaft, ob man seine Vielfalt durch ein einheitliches Modell erfassen kann, das etwa behauptet, abdingbare Normen beinhalteten das Leitbild des Gesetzgebers oder den hypothetischen Parteiwillen. Derartige Modelle haben eine doppelte Funktion. Sie sollen abdingbare Normen einerseits erfassen und andererseits angeben, wie sie beschaffen sein sollten. Damit kommt ihnen sowohl eine deskriptive als auch eine normative Funktion zu. Ein Wechsel zwischen der deskriptiven und der normativen Funktion fällt zunächst kaum auf, weil die Vertreter der einzelnen Modelle am geltenden Vertragsrecht meist nur wenig ändern möchten. Seine Beschreibung akzeptieren sie als normativen Maßstab wie sie umgekehrt auch von einem normativen Modell meist behaupten, dass es einen Großteil des geltenden Rechts erfasst.   Oben 1.D.5.   Zum öffentlich-rechtlichen Vertrag siehe Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  12 ff. mwN., der den Vertrag für eine Kategorie des Rechts schlechthin hält.    Dazu unten 2.A–B.  

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

Um dies zu überprüfen, ist eine Analyse der einzelnen Modelle erforderlich. Sie ist sinnvoll, auch wenn diese das abdingbare Recht nur begrenzt erfassen. Denn das schließt nicht aus, dass diese Modelle die Vorstellungen des Gesetzgebers, der Richter und der Rechtswissenschaft prägen und schon dadurch eine Wirkung entfalten. Die Modelle knüpfen an einem der drei Pole an, in deren Spannungsfeld abdingbares Recht steht: an die Vertragsparteien, an das Recht und an die empirische Wirklichkeit. Jedem Modell liegt eine andere Frage zugrunde: In welchem Verhältnis steht die Abbedingung zum Willen der Parteien? In welchem Regelungszusammenhang steht die abdingbare Norm? Und schließlich: Was bewirkt eine Abbedingung? Die Antworten auf diese Fragen eröffnen jeweils eine andere Perspektive. Nach der ersten stellen abdingbare Normen den hypothetischen Willen der Parteien dar (A). Die zweite versteht sie als Vorgabe der Rechtsordnung (B) und die dritte als Mittel zur Effizienzsteigerung (C).

A.  Der hypothetische Parteiwille 1.  Das Modell des reinen Parteiwillens Nach vielfacher Ansicht formuliert abdingbares Vertragsrecht den mutmaßlichen oder hypothetischen Willen der Parteien. Es enthalte die Vereinbarungen, welche die Parteien bei einer Verhandlung getroffen hätten. Damit erspare es ihnen eine eigene Absprache und erleichtere den Vertragsschluss. Da ihr Wille maßgeblich sei, blieben sie die Herren der Verträge. Der Gesetzgeber verdränge sie nicht aus ihrer Rolle. Er setze keine eigenen Ziele durch, sondern leiste nur Vertragshilfe.

  Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  310, S.  597 (für die Auslegung); von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Bd.  3, S.  258; Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S.  119; Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  105; Windscheid/Kipp, Lehrbuch der Pandekten, Bd.  1, S.  450; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 253, 268; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  34 ff., 46; Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  156; Staudinger2004-Singer/Benedict, §  133 Rn.  4 4. Entsprechend in der amerikanischen Debatte Easterbrook/Fischel, 89 Columbia Law Review 1416, 1433, 1445 (1989). Zur Kritik Stammler, AcP 69 (1886), 1, 28 (für ergänzende Normen); Endemann, BR, Bd.  1, S.  40 f.; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  15 ff., 45; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  175; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  99; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  61; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  334; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 91 (1989); dies, 101 Yale Law Journal 729, 733, 758 (1992); Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 200; Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 154 (1993); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  84.    So Larenz, NJW 1963, 737, 738; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 

A.  Der hypothetische Parteiwille

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Auf diese Weise versucht das Willensmodell die Frage zu beantworten, warum die Rechtsordnung den Parteien Vorgaben für die zwischen ihnen geschlossenen Verträge machen darf. Denn wenn abdingbares Recht nur formuliert, was die Parteien selbst vereinbart hätten, dürfte es ihnen kaum schaden. Notwendig sei seine Vorgabe, weil die Parteien die regelungsbedürftigen Fragen häufig übersähen. Etwas anderes ist angesichts der Vielzahl an möglichen Fallgestaltungen und der Komplexität der dabei berührten Rechtsfragen auch kaum zu erwarten. Selbst Experten ist es nicht möglich, jede Frage im Voraus zu regeln. Dafür fehlen die Zeit und die Vorstellungskraft. Sogar die Regelungen des Gesetzgebers bleiben trotz seiner Möglichkeiten, Experten zu befragen, verschiedene Formulierungen zu diskutieren und die bisherigen Entscheidungen auszuwerten, lückenhaft.  Umso weniger können Private ihre Beziehungen umfassend regeln. Nahezu jeder Vertrag ist unvollständig. Entscheidend wird damit, nach welchem Maßstab die Vereinbarungen der Parteien zu ergänzen sind. Das Modell des hypothetischen Parteiwillens fordert dazu eine Ausrichtung an dem, was die Parteien vereinbart hätten. Insoweit entspricht es der Willenstheorie  , die versucht, sämtliche vertraglichen Rechte und Pflichten auf den Willen der Parteien zurück zu führen. Fehlt dieser, so erscheint der hypothetische Wille als nächstliegender Ersatz. Denn wenn jeder Regelung ein Wille zugrunde liegen muss und die Maßgeblichkeit eines S.  45; Bachmann, Private Ordnung, S.  240; mit anderem Akzent Graf, Vertrag und Vernunft, S.  194, nach dem das Recht durch die Vertragsergänzung einer Seite Hilfe leiste.    Zitelmann, Lücken im Recht, S.  10, 27; Canaris, Die Feststellung von Lücken, S.  59 ff.; Larenz, Methodenlehre, S.  370 ff.; Brehm, AT, S.  59 ff., Rn.  58 ff.    Siehe die Nachweise oben 1.D.1, Fn.  217.    von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Bd.  3, S.  258: „eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden“; Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S.  119, wonach es um die Auslegung des unvollständig ausgedrückten Willens gehe; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  310 ff.; Motive, Bd.  2, 26; Laband, AcP 73 (1888), 161, 162; Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  2, S.  271; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 268; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  178: „alle privaten Rechtsverhältnisse beruhen unmittelbar oder mittelbar auf dem Willen der Parteien“; Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  156. Zur Entwicklung Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  8 ff. Für die USA Fried, Contract as Promise, p.  6 ; Barnett, 86 Columbia Law Review 269, 280 (1986); Gordley, 69 California Law Review 1587, 1624 (1981). Zur Kritik von Jhering, Der Zweck im Recht, S.  54, 208; Bülow, AcP 64 (1881), 1, 84 f.; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  40; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  115 ff.; Larenz, Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  59 ff.; Raiser, FS DJT, S.  101, 124; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  198, 211, 288; Linzer, NYU Annual Survey of American Law 139, 143 (1988); Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 180 (2005). Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  4, will ebenfalls jegliches Recht auf einen Willen zurückführen; ebenso selbst für das Gewohnheitsrecht Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  555. Im Hintergrund der Theorie steht die idealistische Betonung des Willens: Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §  4, S.  14: „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille“; Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, S.  20 f.: „Das Wollen ist der eigentlich wesentliche Charakter der Vernunft“.

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

anderen Willens zur Fremdbestimmung führt, kann es nur der hypothetische Wille der Einzelnen sein, der eine Regelung legitimiert. Das gilt für individuelle Vertragsverhältnisse ebenso wie für Gesetze. Das Modell des hypothetischen Parteiwillens ist daher mit der Vorstellung eines hypothetischen Gesellschaftsvertrages verwandt, der die Verfassung rechtfertigen soll. Auch er soll den Maßstab für die Normen liefern, die sich nicht unmittelbar auf den Willen der Einzelnen zurückführen lassen. Doch was genau beinhaltet der hypothetische Wille? Ist es der gedachte Wille der tatsächlich Betroffenen oder der Wille, den sie typischerweise oder gar idealerweise ausprägen? Diese Antworten unterscheiden sich grundlegend und entfernen sich nach und nach vom Einzelnen. Betrachten wir sie der Reihe nach: a)  Der konkrete Wille der Parteien Der konkrete Wille der Parteien geht über ihre Vereinbarungen hinaus. Denn nicht alles, was sie wollen, schlägt sich in einer Abrede nieder. Vielfach halten die Parteien eine Vereinbarung für entbehrlich. Lassen sie eine Frage offen, liegt es zunächst nahe, die Antwort durch den Rückgriff auf ihren tatsächlichen Willen zu gewinnen, selbst wenn er im Vertrag keinen Ausdruck gefunden hat.10 Auf diese Weise werden die Parteien zu nichts gezwungen, was ihrem Willen widerspricht. Da es nach dem Empfängerhorizont allerdings darauf ankommt, wie sie eine Aussage verstehen durften11 und dies einen weiten Auslegungsspielraum eröffnet, ist dieser Fall selten. Vielfach vertraut man auf noch so schwache Indizien, um anzunehmen, dass ein übereinstimmender Parteiwille zumindest konkludent zum Vertragsinhalt wurde. Nur bei einer gesetzlich vorgegebenen Form muss der Wille einen stärkeren Ausdruck finden und im Text zumindest angedeutet sein.12

   Zur Vorstellung des Gesellschaftsvertrages Hobbes, Leviathan, pp.  89; Locke, Two Treatises of Government, 2nd Treatise, chapt. VIII, §  99, p.  333; Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, 6. Kapitel, S.  41 ff.; Kant, Gemeinspruch, AA VIII: 289; Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, S.  191 ff.; Rawls, A Theory of Justice, pp.  12; zur Parallele zwischen den Gesellschaftsvertragstheorien und dem privatrechtlichen Vertrag Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9, 67. Klassische Kritik des Gesellschaftsvertrag Mill, On Liberty and Other Essays, p.  83. 10   Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 253, 260. Ähnlich für das amerikanische Recht Lenhoff, 45 Michigan Law Review 39, 57 (1946); Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 192. 11   BGH, NJW 1980, 2279, 2280 (= BGHZ 91, 324, 328); 1994, 850; 1995, 953; 2007, 368, 369; NJW-RR 1994, 1107, 1109; Larenz, Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  72 mit Nachweisen zum historischen Hintergrund auf S.  5 ff.; Medicus, AT, S.  125 ff., Rn.  323 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  106; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  320 ff.; entsprechend in England Smith, Contract Theory, p.  271. 12   BGH, NJW 1958, 498 (= BGHZ 26, 204, 210); 1983, 672, 673 (= BGHZ 86, 41, 47); 2002,

A.  Der hypothetische Parteiwille

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Häufiger ist die Situation, dass die Parteien eine regelungsbedürftige Frage übersehen und sich zu ihr keine Gedanken machen. Das ist allerdings nicht bereits dann der Fall, wenn ein Vertrag eine bestimmte Frage offen lässt. Denn das beruht womöglich darauf, dass die Parteien mit der subsidiär anwendbaren Norm einverstanden sind und keinen Anlass zu ihrer Abbedingung sehen. Die fehlende Regelung kann deshalb sowohl auf ihrem Einverständnis mit dem abdingbaren Recht13 als auch auf dem mangelnden Wissen beruhen, dass eine bestimmte Frage einer Regelung bedarf.14 Das Schweigen der Parteien gibt darüber keine Auskunft. Haben die Parteien eine Frage übersehen, etwa weil auch eine abdingbare Auffangregel fehlt, ist es überaus schwer, anhand von äußeren Indizien den konkreten Parteiwillen abzuleiten. Dies gilt umso mehr, als der Wille beider Parteien gegensätzlicher Art sein kann. Will man gleichwohl ihren aktuellen Willen zugrunde legen, muss man ihre Verhaltensweisen, Vorlieben, Interessen und Überzeugungen analysieren. Von diesen wäre auf ihr mutmaßliches Verhalten zu schließen. Zumindest in Extremfällen kann das gelingen. Vor allem negativ lassen sich einige Vereinbarungen angeben, denen die Parteien keinesfalls zugestimmt hätten. Das kann sich etwa daraus ergeben, dass sie bereits in anderen Verhandlungen eine bestimmte Klausel abgelehnt haben. Dann schließt man von ihrem früheren Willen auf ihren aktuellen. Ebenso mag man ihre offensichtlichen Interessen und abstrakten Überzeugungen heranziehen. Auf horrende Verzugszinsen zum Beispiel würde sich kaum jemand einlassen. Positiv allerdings lässt sich das Ergebnis einer hypothetischen Vereinbarung nur angeben, wenn es eine sich aufdrängende Lösung gibt. Derartige Fälle mögen vorkommen. Haben die Parteien etwa offen gelassen, wer das Wahlrecht zwischen dem großen und dem kleinen Schadensersatz haben soll, so liegt die Annahme nahe, dass sie es dem Geschädigten zugeordnet hätten. Er kann besser als der Schädiger beurteilen, was zur Wiedergutmachung erforderlich ist. Jedoch sind die interessantesten einer Lösung bedürfenden Fragen gerade diejenigen, bei denen sich keinerlei Antwort aufdrängt. Fehlt es in derartigen Fällen an einer offenkundigen Lösung, lässt sich positiv kaum angeben, zu welchem Ergebnis die Verhandlungspartner gekommen wären. Wie sie sich verhalten, sieht man erst, wenn die jeweilige Situation eintritt. Man kann von Wahrscheinlichkeiten ausgehen, jedoch niemals ausschließen, dass die Parteien anders handeln. Schließlich sind sie je nach dem Verlauf der Verhandlung zu unterschiedlichen Kompromissen bereit. Diese hängen vom 3164, 3165; Staudinger2004-Hertel, vor §  125 Rn.  87; ablehnend MünchKommBGB5-Einsele, §  125 Rn.  37. 13   Weitergehend BGH, NJW 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103): „Soweit die Vertragsparteien bei Vertragsschluß keine vom Gesetz abweichende Regelung treffen, überlassen sie die Ausgestaltung den Gesetzesvorschriften“; weitere Nachweise oben 1.B.3, Fn.  166. 14   DiMatteo, 60 University of Pittsburgh Law Review 839, 900 (1999).

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wechselseitigen Entgegenkommen, der sich entwickelnden oder abnehmenden Sympathie, der Formulierung der zugrunde liegenden Frage sowie der Gesamtheit der zu treffenden Absprachen ab15 . Das Ergebnis zu einer einzelnen Frage lässt sich daher nicht feststellen, ohne die Antwort auf alle anderen regelungsbedürftigen Fragen zu beachten. Diese Abhängigkeit wird besonders an der Wechselwirkung zwischen den einzelnen Klauseln und dem Preis deutlich. Gegen einen genügend hohen finanziellen Ausgleich sind fast alle Risiken auf den anderen Verhandlungspartner abwälzbar. Kommt es zur Verhandlung, mögen die Parteien zwar aus Verhandlungstaktik zunächst behaupten, zu bestimmten Regelungen niemals bereit zu sein. Tatsächlich aber kann man nicht mit genügender Sicherheit ausschließen, dass sie dies gegen eine genügend hohe Entschädigung gleichwohl sind. Die Übernahme eines Risikos hängt schließlich maßgeblich von der Auswirkung auf den Preis ab. Dessen Beurteilung ist rechtlich indes nur begrenzt möglich und sinnvoll.16 Mit dem Verzicht auf sie schwindet die Möglichkeit festzustellen, worauf sich die Parteien verständigt hätten. Diese Unsicherheit in der Feststellung hypothetischer Verhandlungsergebnisse wird verstärkt durch deren Abhängigkeit vom Wissensstand der Parteien. Über Risiken, die sie nicht kennen, werden sie nicht verhandeln. Gegen Risiken hingegen, von denen sie im Einzelnen wissen, brauchen sie sich nicht unbedingt per Abbedingung abzusichern. Sie können diese aufgrund ihres Wissens leichter beherrschen und sich anderweitig versichern. Das Interesse an einer bestimmten Vereinbarung variiert mit dem Wissensstand der Parteien. In einer perfekten Welt mit voller Information sind andere Absprachen erforderlich als in einer Situation der Unwissenheit. Der Verweis auf ein hypothetisches Verhandlungsergebnis hängt damit von den Rahmenbedingungen ab. Unterstellt man den Parteien eine umfassende Kenntnis, fingiert man Personen, mit denen man es tatsächlich nicht zu tun hat und die andere Interessen haben als Personen, die wesentliche Risiken eines Vertrages nicht kennen. Daher kann man schlecht einerseits von den konkreten Verhältnissen der Einzelnen ausgehen und andererseits ihre hypothetischen Vereinbarungen für maßgeblich erklären. Denn diese verändern die Verhältnisse der Einzelnen. Zudem ist zweifelhaft, ob man eine Partei an einer Vereinbarung festhalten kann, die sie aufgrund ungewöhnlicher, anachronistischer und eigenwilliger Vorstel  Tversky/Kahnemann, Science, Vol.  211, 1981, pp.  453, 457; sowie unten 3.A.1.   Zur eingeschränkten Möglichkeit einer Preiskontrolle siehe Art.  81 Abs.  1 lit.  a , 82 S.  2 lit.  a EGV; §§  19 Abs.  4, 29 GWB; BGH, NJW 1977, 675, 677 (= BGHZ 68, 23, 33 ff.); 1984, 171, 172; 1987, 1828, 1829; 2007, 210, 211; 2009, 2051, 2052; Staudinger2005-Beckmann, §  433 Rn.  50 f.; allgemein Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  258 ff.; Canaris, JZ 1987, 993, 994; Gordley, 69 California Law Review 1587, 1620 (1981). Anders hingegen Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  156, die für eine „forcierte Preiskontrolle“ eintreten, „sofern die Entgeltkonditionen .  .  . systematisch diktiert werden.“; für Berücksichtigung des Preises bei Äquivalenzprüfung Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  274 ff. 15 16

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lungen zwar getroffen, dazu aber keinen Grund gehabt hätte. Zu einer solchen Vereinbarung will man sie kaum verpflichten. Indes müsste man dies, wenn es nur auf ihre konkreten Verhältnisse ankäme. Jede Annahme über ein hypothetisches Verhandlungsergebnis beruht somit auf Idealisierungen; jede Idealisierung aber entfernt sich von den konkreten Parteien. b)  Der typische Wille der Parteien Da die Parteien vom abstrakt-generell formulierten dispositiven Recht abweichen können und dies gerade der Sinn seiner Abdingbarkeit ist, wird es vielfach nicht als konkreter Wille, sondern als typisierter Wille der Parteien verstanden.17 Abdingbare Regeln enthielten danach diejenigen Vereinbarungen, die der größte Teil der Parteien in einer entsprechenden Situation oder unter Idealbedingungen treffen würde, die ihrem Willen am nächsten kommen oder die zur Erreichung des Vertragszweckes notwendig sind.18 Setzten sie sich in der Vertragspraxis durch, so solle man sie auch anwenden, wenn ein einzelner Vertrag zur jeweiligen Frage schweigt. Mangels gegenteiliger Vereinbarung sei dann davon auszugehen, dass die Vertragsparteien ebenso entschieden hätten. Ein derartiges Verständnis abdingbaren Rechts prägt etwa die Konkretisierung von Leistungspflichten. Geben die Parteien nur abstrakt an, was sie einander schulden, so wird häufig ihre typischerweise getroffene Vereinbarung als maßgeblich angesehen.19 So gilt etwa im Rahmen eines Mietvertrages „die übliche Benutzung“ als vereinbart.20 Sie deckt „alle mit dem Wohnen und der Benutzung von Geschäftsräumen typischerweise verbunden Umstände“ ab.21 Daher darf beispielsweise der Vermieter Dritten nicht untersagen, Branchenbücher in den Hausflur zu legen.22 Für den Inhalt des auch zu ihren Gunsten geschlossenen Mietvertrages ist die Vertragspraxis maßgeblich. Ebenso stark an der typischen Vereinbarung orientiert ist das BGB-Gesellschaftsrecht. Die Nichtan-

17   Laband, AcP 73 (1888), 161, 164; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  152; Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  13; Larenz, NJW 1963, 737, 740; anders aber ders., Richtiges Recht, S.  76 ff. (gerechter Interessenausgleich); Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  4 4, 46; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  50 f.; Huber, AcP 202 (2002), 179, 210; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  334; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  228; Epstein, Simple Rules for a Complex World, p.  153. Kritisch: Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 91 (1989); Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  7; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  121. 18   BGH, NJW 2010, 1135, 1136; BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828; Larenz, NJW 1963, 737, 740; Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  156, 231. 19   §§  434 Abs.  1 Nr.  2, 551 Abs.  1 S.  3, 612 Abs.  2, 631 Abs.  2, 633 Abs.  2 Nr.  2, 653 Abs.  2 BGB. 20   BGH, NJW 2007, 146, 147. 21   AaO., 147. 22   AaO., 147.

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wendung einzelner seiner Normen stützt der BGH darauf, dass sie in der Praxis regelmäßig abbedungen würden und überholt seien. 23 Der Vorteil derartiger Verweise auf den typischen Parteiwillen besteht darin, dass man diesen besser als den konkreten Parteiwillen erkennen kann.24 Die Gerichte müssen dazu keine Zeugen vernehmen oder individuelle Urkunden prüfen. Gegenüber dem Einzelnen brauchen sie nicht zu behaupten, dass sie besser als er anzugeben vermögen, worauf er sich eingelassen hätte. Abweichungen in Einzelfällen können sie außer Betracht lassen und sich auf ihr Wissen über die allgemeine Vertragspraxis stützen. Das ist einfacher, als wenn sie für jeden Vertrag erneut untersuchen müssten, was die Parteien wollten, und hat zugleich den Vorteil, dass sie irrationale Verhaltensweisen des Einzelnen ausklammern können. Jedoch lässt sich auch die allgemeine Vertragspraxis nicht ohne weiteres feststellen. Bisweilen ist sogar unklar, ob sie für bestimmte Gebiete überhaupt existiert. Offen ist dabei bereits, auf welche Personen es ankommt. Verschiedene Bezugsgruppen sind vorstellbar. 25 Sind etwa im eben geschilderten Fall der Verteilung von Branchenbüchern die Gepflogenheiten in der jeweiligen Straße, Stadt oder Region maßgeblich? Gilt als Vergleich ein Mietvertrag mit derselben Altersgruppe oder Mietern desselben Familienstands oder müsste man stattdessen nach einzelnen Klassen von Mietverträgen differenzieren? Das alles ist unklar. Unterschiedliche Gruppen bevorzugen verschiedene Regeln. Die Wahl der Bezugsgruppe kann die Auswahl der abdingbaren Regel bestimmen. Nur wenn alle dieselbe Norm wählten, ließe sich von einer verbreiteten Praxis auf die hypothetische Vereinbarung schließen. Gerade dann aber wird zwischen den Parteien kaum Streit herrschen. In den übrigen Fällen können sich selbst innerhalb derselben Gruppe verschiedene Absprachen durchsetzen.26 Niemand garantiert die Einheitlichkeit der Vertragspraxis. Ihre Besonderheit gegenüber einer zentralen Normierung ist gerade die Vielfalt der Regelungen. Überdies entsteht auch bei der Feststellung des typischen Willens die Schwierigkeit, dass sich die einzelnen Absprachen nur begrenzt isolieren lassen. Vielmehr beeinflussen sie sich wechselseitig. Deshalb bedürfte es bei der Übertragung einer Klausel von einem Vertrag auf den anderen einer kaum zu leistenden 23   BGH, NJW 1979, 1705, 1706; zustimmend Bunte, NJW 1984, 1145, 1147; Staudinger2003Roth, §  157 Rn.  26; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  157 Rn.  39; Erman12-Armbrüster, §  157 Rn.  19; JurisPK-BGB5-Backmann, §  157 Rn.  29; Staudinger2003-Habermeier, §  705 Rn.  13; MünchKommHGB2 -Grunewald, §  163 Rn.  3; kritisch gegenüber dieser Überalterungsthese Lieb, AcP 183 (1983), 327, 346 ff. Siehe auch unten 4.D.3. 24   So Huber, AcP 202 (2002), 179, 211. 25   Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1821 (1991); Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 62 (1993); Ayres/Gertner, 51 Stanford Law Review 1591, 1611 (1999); Hesselink, 1 ERCL 44, 48 (2005). 26   Etwa kann je nach drohendem Schaden ein unterschiedliches Interesse an Haftungsregeln bestehen, siehe Ayres/Gertner, 101 Yale Law Journal 729, 734 (1992).

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umfassenden Analyse sämtlicher Klauseln. Man kann daher eine in einem Vertrag offen gelassene Frage nicht schlicht dadurch lösen, dass man punktuell untersucht, wie andere Verträge sie beantworten. Dies gilt insbesondere aufgrund des bereits betonten Zusammenhangs27 jeder Klausel mit dem Preis. Solange man ihn nicht berücksichtigt, lassen sich die zugrunde liegenden Bedingungen von einem Vertrag kaum auf einen anderen Vertrag übertragen. Lange Gewährleistungsfristen etwa lassen sich auf zu Ramschpreisen verkaufte Ware nicht schon deshalb anwenden, weil sie sonst üblich sind. Eine Preiskontrolle aber, die festlegt, wann Ramschpreise beginnen, will man vermeiden.28 Überdies hängt die getroffene Vereinbarung wiederum von der sonst anwendbaren abdingbaren Norm ab, 29 so dass sie sich nicht unabhängig von ihr feststellen lässt. Auch die Vertragspraxis ist somit keine vom geltenden Recht unbeeinflusste Größe, die dessen Gestaltung zugrunde gelegt werden könnte.30 Auch bei einer Betrachtung des derzeit geltenden abdingbaren Rechts erscheint fraglich, ob man es auf den typischen Parteiwillen zurückführen kann. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen etwa lassen sich mit ihm nicht erklären. Anderenfalls müsste man behaupten, der hypothetische Wille der Käufer sei in England ein anderer als in Deutschland. Da sie indes das gleiche Ziel verfolgen, erscheint das wenig plausibel. Die geltenden abdingbaren Regeln sind überdies vielfach zu kompliziert, als dass sich die Parteien auf sie verständigt hätten, man denke nur an die komplexen Normen über den Umfang des vertraglichen Schadensersatzes nach den §§  249 ff. BGB.31 Sie mögen sinnvoll sein, weil sie ein aufeinander abgestimmtes System bilden. Indes lassen sie sich kaum vollständig auf den typischen Willen der Parteien zurückführen, weil diese regelmäßig bereits mit ihrem Verständnis überfordert sein dürften. Die Vertragspraxis ist damit zu heterogen, als dass man sie mittels einheitlicher Regeln wiedergeben könnte. Selbst wenn sich einheitliche Standards herausbilden, ist dies kein sicheres Zeichen dafür, dass sie dem Willen der Parteien entsprechen oder optimal sind. Sie beruhen womöglich auf Netzwerkeffekten,32 die eintreten, wenn die Anwendung einer Norm umso vorteilhafter ist, je mehr Personen sich an sie halten.33 Hat sich einmal ein Standard etabliert, können   Oben 2.A.1.a).   Oben 2.A.1.a), Fn.  16. 29   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 93, 115 (1989). 30   Dazu im Einzelnen unten 3.A. 31   Dazu die Übersicht bei BeckOK-BGB20 -Schubert, §  249 Rn.  8 ff.; MünchKommBGB5Oetker, §  249 BGB Rn.  16 ff.; Staudinger2005-Schiemann, §  249 Rn.  4 ff. 32   Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 830 (1995); Kahan/Klausner, 83 Vanderbilt Law Review 713, 725 (1997). 33   Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 265–272 (1985); Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 828 (1995); Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 216 (1995), der damit die häufige Wahl des New Yorker Rechts erklärt; Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1763 (1997); Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 152; kri27

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daher unabhängig von seinem Inhalt gute Gründe für seine Fortführung sprechen. Den Willen der Parteien aber geben sie nicht unbedingt wieder. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum es überhaupt auf den typischen Willen ankommen soll. Der Vorteil individueller Verträge besteht darin, dass die Einzelnen ihre Verhältnisse frei nach ihrem Willen gestalten können. Sie müssen sich dabei nicht dem Diktat der Mehrheit beugen.34 Dieser Vorteil ginge verloren, wenn man in allen ungeregelten Fragen die Ansicht der Mehrheit für maßgeblich erklärte. Dies gilt umso mehr, als eine Minderheit an einer bestimmten vertraglichen Gestaltung ein stärkeres Interesse haben kann als die Mehrheit, etwa weil die sonst zum Zuge kommende Regelung sie stärker belastet.35 Eine von der Mehrheit bevorzugte Regel kann daher sogar zu einem Verlust im Gesamtnutzen führen. Überdies können auch Mehrheiten irren. Es kommt zu Fällen des Marktversagens und der Monopolbildung, in denen die typischerweise praktizierten Regeln weder effizient noch rechtsethisch legitim sind. Setzt sich die Gruppe mit der größeren Marktmacht durch, 36 mag das hinnehmbar sein, wenn die andere Partei zustimmt. Zumindest für die übrigen Parteien aber stellt die etablierte Regel dann keinen tauglichen Maßstab dar. Allein der Umstand, dass sich die Parteien typischerweise auf eine bestimmte Regel verständigen, zeigt daher nicht, dass sich diese generell als abdingbare Norm eignet. Gelingt etwa der Nachweis, dass sich der Arbeitgeber in Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer meist durchsetzt, so bedeutet dies nicht, dass das abdingbare Recht arbeitgeberfreundlich beschaffen sein muss.37 Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.38 Aus diesen Gründen lässt sich die allgemeine Vertragspraxis nicht ohne weiteres der Gestaltung abdingbaren Rechts zugrunde legen. Sie bedarf der kritischen Würdigung. Sollte sich etwa herausstellen, dass sich die Mehrheit in einer Einzelfrage typischerweise diskriminierend verhält, so kann dies das Recht nicht hinnehmen. Gleiches gilt für Rationalitätsdefizite. Verzerren systematische Vorurteile („biases“) eine Entscheidung,39 verliert diese ihre Vorbildfunktisch für das Gesellschaftsrecht Hansmann, 8 American Law & Economics Review 1, 6 (2006). 34   Vgl. von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  42: „Die Sorgfalt des Staats für das positive Wohl der Bürger ist ferner darum schädlich, weil sie auf eine gemischte Menge gerichtet werden muß .  .  .“ 35   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 93, 112–113 (1989); Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1842 (1991); Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 615 (1998). 36   Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1766 (1997); kritisch Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 608, 615 (1982). 37   Vgl. Farnsworth, 68 Columbia Law Review 860, 880 (1968). 38   Arbeitnehmerfreundliche Vorgaben enthalten etwa §§  21 Abs.  4, 31 AGG; 7 Abs.  1 AEntG; 22 ArbnErfG; 9 AÜG; 25 BBiG; 17 Abs.  3 BetrAVG; 77 Abs.  4 BetrVG; 619 BGB; weitere Nachweise unten 5.A.1, Fn.  4. 39   Für eine Übersicht dazu siehe Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1184 (2000); Feldman, 18 Touro Law Review 503, 510 (2002); im Einzelnen unten 3.A.1.

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tion. Selbst wenn man die hypothetischen Vereinbarungen feststellen könnte, taugten sie damit nur begrenzt als Grundlage abdingbaren Rechts. Man kann die Parteien nicht für Fehler verantwortlich machen, die sie nicht begangen haben. Die bisher dargelegten Willensmodelle bedürfen aus diesem Grund der Einschränkung, dass die Parteien hypothetischerweise eine vernünftige Entscheidung treffen. Anderenfalls müsste man wenigstens eine Konstellation benennen, in der man eine nicht optimale abdingbare Norm allein deshalb anwendete, weil sie dem hypothetischen Willen der Parteien entspricht. Indes ist keine derartige Konstellation ersichtlich. Weithin begründen Gesetzgeber und Rechtswissenschaft abdingbare Regeln damit, dass sie in der Sache angemessen sind.40 Das ist kaum verwunderlich. Denn den Normadressaten ist kaum vermittelbar, dass sie sich einer Regel beugen sollen, die nicht einmal der Gesetzgeber für richtig hält. Der hypothetische Wille mag zwar als heuristisches Modell taugen, um eine sinnvolle abdingbare Norm zu finden. Allein maßgeblich ist er jedoch nicht, weil er als nur gedachte Größe keine rechtfertigende Kraft entfaltet.41 Entscheidend sind vielmehr die unabhängig von ihm bestehenden Gründe für die jeweiligen Normen. Erst sie vermögen diese zu rechtfertigen. Das entspricht auf abstrakter Ebene auch dem Willen der Parteien. Denn sie handeln nicht blind, sondern aus bestimmten Gründen. Die faktisch etablierte Lösung werden sie daher nur dann wählen wollen, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist.

2.  Das Modell des korrigierten Parteiwillens a)  Der vernünftige Wille Vermag der hypothetische Wille der Parteien den Inhalt abdingbaren Rechts nicht zu bestimmen, ist nach verbreiteter Auffassung maßgeblich, was die Parteien vernünftigerweise miteinander vereinbart hätten.42 So behauptet Kurt Ballerstedt, dass das Vertragsrecht „an Durchsichtigkeit und Lebendigkeit ge40   Für die Entstehung des BGB Planck, zitiert nach Mugdan, Bd.  1, S.  883 ff.; für die Begründung zur Schuldrechtsreform 2001 siehe BT-Drucks 14/6040, S.  79 ff., die selbst bei den abdingbaren Normen den hypothetischen Willen der Parteien nicht erwähnte. 41   Vgl. Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit, VII, §  1, Nr.  31–32, S.  191: „ein vermutheter consens ist ein uneigentlich so genannter“, die Verpflichtung folge nicht aus dem Einverständnis, sondern „unmittelbar aus dem Gesetz“; Dworkin, Taking Rights Seriously, p.  151; Schmidtz, 101 Ethics 89, 96 (1990); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 882 (1992); Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 120 (1993); Scanlon, What We Owe to Each Other, p.  155; Buckley, Just Exchange, p.  55; von der Pfordten, Rechtsethik, S.  469. Selbst Rawls, A Theory of Justice, p.  350 verweist daher zur Begründung der Verpflichtungskraft eines Versprechens auch auf die etablierte Praxis des Versprechens. Für begrenzte Rechtfertigung der hypothetischen Zustimmung hingegen Fried, Contract as Promise, p.  73. 42   Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  118, S.  543; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 285; Ballerstedt, FS Nipperdey, S.  261, 262: „Das ‚Interesse‘ ist für den Juristen nur insoweit beachtlich, wie es Ausdruck des rechtlichen Willens ist.“; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler

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winnt, wenn wir die Normen des Gesetzes als Ausdruck des rechtlichen, und das heißt des vernünftigen Willens des Schuldners oder vielmehr der Vertragspartner selbst begreifen.“43 Das hat den Vorteil, dass irrationale sowie schädigende Handlungen außer Betracht bleiben und selbst solche Regeln heranziehbar sind, die zwar sachlich geboten, für die davon Betroffenen aber unverständlich sind. Die Situation gleicht der Lage eines Patienten, welcher eine möglichst gute Behandlung wünscht, jedoch nicht weiß, worin diese besteht. Obwohl er die konkreten medizinischen Zusammenhänge nicht versteht, lässt sich die konkrete Behandlung rechtfertigen, sofern für sie die besten Gründe sprechen. Maßgeblich ist nach dieser Perspektive der vernünftige und nicht der tatsächliche Wille. Worin dieser Wille im Einzelnen besteht, ist allerdings schwer bestimmbar. Ist vernünftig, was die Parteien rationaler- oder redlicherweise vereinbart hätten oder die Richter und Rechtswissenschaftler als solches annehmen? Immerhin beruft sich eine Vielzahl miteinander kaum zu vereinbarender Theorien auf den hypothetischen Willen und lehnt sich dafür an den verschiedensten Philosophen an. Nach Aristoteles wären die Normen maßgeblich, welche am stärksten die Glückseligkeit fördern.44 Rawls hingegen sieht die Regeln als vernünftig an, welche die Parteien unter dem Schleier des Nichtwissens vereinbarten. 45 Mit Scanlon wären die Regeln zugrunde zu legen, welche die Parteien vernünftigerweise nicht ablehnen könnten.46 Die ökonomische Analyse des Rechts behauptet demgegenüber, die Parteien würden sich auf das verständigen, was ihren Nutzen maximiert.47 Die Aufzählung dieser Theorien ließe sich fortsetzen.48 Bereits ihre Vielzahl zeigt, wie stark die Vorstellungen eines vernünftigen Willens voneinander abweichen. Diese Offenheit entspricht dem Spielraum der gerichtlichen Praxis. Je nach den Umständen kann sie sich auf eine aus ihrer Sicht vernünftige Ergänzung des Vertrages berufen. Der Maßstab des hypothetischen Parteiwillens beHandelsgeschäfte, S.  123; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  17, siehe aber auch p.  84. 43   Ballerstedt, FS Nipperdey, S.  261, 271. 44   Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1129a. 45   Vgl. Rawls, A Theory of Justice, pp.  136. Rawls geht es zwar primär um die Feststellung von Gerechtigkeitsgrundsätzen. Da dafür aber ebenfalls eine hypothetische Übereinkunft maßgeblich sein soll, entstehen dieselben Fragen bei der Feststellung des hypothetischen Willens. Nach ihm sind Verteilungsfragen nicht durch Regulierung des (vertraglichen) Austauschs zu lösen, sondern durch öffentliche Umverteilungsinstitutionen („the transfer branch“), id., pp.  8 , 276; gegenteilig hingegen Kronman, 89 Yale Law Journal 472, 501 (1980), wonach auch das Vertragsrecht eine Umverteilung erreichen soll. 46   Scanlon, What We Owe to Each Other, p.  153. 47   Posner, Economic Analysis of Law, p.  96; Craswell, in: Benson, The Theory of Contract Law, p.  43 mwN. 48   Übersicht bei Kennedy, 10 European Review of Private Law 2002, 7, 10; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  35 ff.

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grenzt ihren Gestaltungsraum nur unwesentlich. Mit dem tatsächlichen Willen der Parteien hat dies allerdings nur noch wenig gemeinsam.49 Abdingbares Recht lässt sich dann allenfalls auf den abstrakten Wunsch der Parteien stützen, eine faire Lösung zu finden. Da aber offen ist, worin diese besteht, ersetzt man faktisch die Vielfalt dessen, was die Parteien hätten vereinbaren können, durch einheitliche Theorien darüber, was sie hätten vereinbaren sollen. Unter diesen Theorien lassen sich im Wesentlichen zwei Gruppen unterscheiden. Nach der einen kommt es allein auf die tatsächlichen Interessen oder Präferenzen der Parteien an. Diese seien frei von ethischen Wertungen zu optimieren.50 Besonders prominent ist diese Vorstellung in der ökonomischen Analyse des Rechts.51 Sie führt zu dem im Einzelnen noch vorzustellenden Nutzenmodell. Dieser Auffassung steht eine andere Gruppe von Theorien gegenüber, die den hypothetischen Willen durch rechtsethische Annahmen bestimmen will. Maßgeblich sei, was die Parteien redlicherweise gewollt hätten. Eine Absprache habe man daher nicht schon deshalb zu beachten, weil sie den Parteinutzen maximiert. Selbst die für beide Seiten effizienteste Lösung unterliege der ethischen Korrektur, etwa wenn es um den Schutz von Autonomie geht. So habe man statt nach dem Nutzen der Parteien nach den Normen zu fragen, auf die sie berechtigterweise vertrauen.52 Eine derartige Auffassung prägt beispielsweise die ergänzende Vertragsauslegung. Sie wird überwiegend53 als diejenige Regelung verstanden, welche die Parteien als redliche Vertragspartner nach Treu und Glauben vereinbart hätten.54 Entscheidend sei keine Prognose des tatsächlichen hypothetischen Verhaltens, sondern eine ethische Beurteilung. Dass sich eine bestimmte Person   Vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  209 ff.   Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 644: „the concept of hypothetical consent expresses nothing that is not already captured in the idea of rational self-interest“, 709 (1989). 51   Nachweise oben Fn.  47 sowie unten 2.C. 52   Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  233, 293; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  106; siehe auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  471 ff., 517, der die Zurechenbarkeit des Vertrauens für maßgeblich hält; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  117. 53   Bisweilen wird ohne Einschränkung auf den hypothetischen Willen verwiesen, z. B. BGH, NJW-RR 1999, 923, 924; NJW 2005, 1820, 1822; oder den typischen Willen, etwa BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828 (= BVerwGE 60, 162, 192 f.); Flume, AT, Bd.  2, S.  324; Roth, Vertragsänderung bei fehlgeschlagener Verwendung von AGB, S.  6 4; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  570; dagegen BAG, NJW 2007, 536, 538; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S.  102 f.; Canaris, Die Feststellung von Lücken, S.  53. 54   RGZ 126, 196, 206; BGH, NJW 1953, 937, 938 (= BGHZ 9, 273, 278), der damit zugleich eine richterliche Vertragsgestaltung nach §  242 BGB ablehnt, aaO.; 1954, 799, 800 (= BGHZ 12, 337, 342 f.); 1955, 337 (= BGHZ 16, 71, 76); 1975, 1116, 1117; 1984, 1177, 1178 (= BGHZ 90, 69, 75); 1985, 621, 622 f.; 1990, 2620, 2621 (= BGHZ 111, 214, 218); 1998, 1219, 1220; 2008, 872, 875; Palandt70 -Ellenberger, §  157 Rn.  7; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  177, S.  543. Kritisch Flume, AT, Bd.  2, S.  327; vermittelnd Erman12-Armbrüster, §  157 Rn.  20 (objektive Auslegung nach Erschöpfung der Hinweise aus konkretem Vertrag). 49

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wahrscheinlich durchsetzen würde, reicht danach nicht aus, um einen offenen Punkt zu ergänzen. Ein dank seiner Personal- und Rechtsabteilung überlegener Arbeitgeber etwa hat keinen Anspruch auf eine Vertragsergänzung zu seinen Gunsten, nur weil er sich vermutlich durchsetzen würde. Entscheidend wird damit ein idealer und kein realer Wille.55 Man hat es nicht mit konkreten, sondern mit idealisierten Parteien zu tun. b)  Der rekonstruierte Wille Um den konkreten Parteiwillen nicht durch eine Idealisierung zu verfremden, liegt es nahe, abdingbares Recht so weit wie möglich auf den getroffenen Absprachen der Parteien aufzubauen. Deren Wertungen sind daher nach einer weiteren Auffassung auf die offenen gebliebenen Fragen zu übertragen. Maßgeblich sei, was die Parteien von ihrem eigenen Standpunkt aus sinnvollerweise bevorzugt hätten.56 Ihr Wille müsse rational rekonstruiert werden. Der Gesamtheit ihrer Absprachen sei zu entnehmen, wie sie eine offene Frage entschieden hätten. Das führe zu einem Kompromiss zwischen einem konkreten und einem rationalen Parteiwillen. Entscheidend sei nicht, was die Parteien in einer Idealwelt wollten, sondern wie sie sich in der realen Welt unter den jeweils konkreten Verhältnissen rational verhielten.57 Im Unterschied zu den anderen Modellen beruht diese Rekonstruktion des Parteiwillens weder allein auf der tatsächlichen Feststellung des Parteiverhaltens noch allein auf einer Annahme über die vernünftigste Lösung. Vielmehr versucht sie, beides zu kombinieren. Das bisherige Verhalten der Parteien berücksichtigt sie dabei so weit wie möglich. Bleibt in verschiedenen Verträgen dieselbe Frage unbeantwortet, so wäre es möglich, sie auf unterschiedliche Weise zu beantworten. Alles hängt dann von den individuellen Verhältnissen ab. Haben die Parteien etwa ihre Verpflichtungen nach Verantwortungsbereichen strikt getrennt, so spricht das dafür, auch die nicht geregelten Risiken nur einer 55   Deutlich etwa am Maßstab einer vernünftigen Person, siehe DiMatteo, 60 University of Pittsburgh Law Review 839, 916 (1999); Feldman, 18 Touro Law Review 503, 526 (2002); zur Maßgeblichkeit des hypothetischen Willens auch Katz v. Oak Industries, Inc., 508 A.2d. 873, 880 (Del. Ch. 1986); Wisconsin Real Estate Inv. Trust v. Weinstein, 781 F.2d 589, 589 (7th Cir. 1986). Dagegen Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 597–598 (2003): „Drafters and courts therefore should ask what parties would want, not what parties should want.“; ebenso argumentiert Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 411 (2009) für die Lückenfüllung mit den Normen, die sich faktisch durchsetzen würden („bargain-mimicking terms“). 56   So etwa Larenz, NJW 1963, 737, 738, wonach dispositive Normen „grundsätzlich nur diejenigen Folgen herbeiführen wollen, die im Sinne der von den Parteien getroffenen Abmachungen liegen“; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  117, S.  543. Dem ähnelt die Vorstellung, abdingbares Recht müsse den im jeweiligen Vertragsverhältnis impliziten Normen entsprechen, Macneil, 47 Southern California Law Review 691, 710 (1974); Linzer, NYU Annual Survey of American Law 139, 151 (1988). 57   Kostritsky, 73 Tulane Law Review 497, 512 (1998); ders., 32 Arizona State Law Journal 1283, 1329 (2000).

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Seite zuzuweisen. Ein derartiges individualisiertes Verständnis abdingbarer Normen ist etwa bei der Auslegung von Erbverträgen anzutreffen. Stärker als in anderen Rechtsgebieten versucht man dabei, den individuellen Verhältnissen der Erblasser gerecht zu werden. Ihr mutmaßlicher Wille wird erforscht, §  133 BGB, wobei der Wortlaut der Erklärung und deren Umstände nur als Anhaltspunkte dienen.58 Eine derartige Rekonstruktion des Parteiwillens ähnelt in vielfacher Hinsicht der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens. Diese beansprucht ebenfalls, offene Fragen nicht schlicht durch das zu beantworten, was der Richter für das Sinnvollste hält. Dieser sei vielmehr zum „denkenden Gehorsam“ verpflichtet. Er dürfe seinen Willen nicht an die Stelle des gesetzgeberischen Willens setzen und müsse zugleich darauf achten, dass sich die Einzelnormen zu einer stimmigen Gesamtkonzeption fügen.59 Nur in dieser Einbettung könne nach der hypothetischen Regelung des Gesetzgebers gefragt werden. 60 So harmonisch die Vorstellung einer den Parteiwillen bloß nachzeichnenden Rekonstruktion auf den ersten Blick wirkt, so weit reichen auch die zusätzlichen von ihr vorausgesetzten Annahmen. Man mag nach den Normen fragen, die am besten zu den Versprechen der Parteien passen. 61 Indes beantwortet dies nicht die Fragen, zu denen die Parteien nichts gesagt haben. Wo die Parteien schweigen, bringt sie auch keine Theorie zum Sprechen. Dies gilt umso mehr, als ein Vertrag noch weniger als ein Gesetz eine Grundlage für die Lösung offener Fragen bietet. Bereits die Frage, ob er eine ergänzungsbedürftige Lücke enthält, ist nur mittels Annahmen über den Umfang der erforderlichen Absprachen möglich. 62 Sie lassen sich indes nur begrenzt aus den übrigen Äußerungen der Parteien entnehmen. Stets bleibt zu begründen, warum nicht die Aus-

58   BGH, NJW 1983, 672, 673 (= BGHZ 86, 41, 46); 1993, 256; 2001, 104, 105; 2002, 747, 748; NJW-RR 2000, 1002, 1003; Flume, AT, Bd.  2, S.  291: „Ziel dieser Auslegung ist es festzustellen, welcher Gedanke gedacht worden ist“, 299; Larenz, Methodenlehre, S.  347; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  458; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  319 ff.; Staudinger2006 -Kanzleiter, vor §§  2274 ff. Rn.  30; MünchKommBGB5-Musielak, vor §§  2274 ff. BGB Rn.  32; zurückhaltender Palandt70 -Edenhofer, §  2084 Rn.  4 ; §  2279 Rn.  1. 59   Zum Gebot der Folgerichtigkeit BVerfG, NJW 1998, 3769 (= BVerfGE 99, 88, 95); 2002, 1103, 1105 (= BVerfGE 105, 73, 126); krit. BeckOK-GG11-Kischel, Art.  3 Rn.  133 ff.; zur Stimmigkeit des Gesetzes ferner Larenz, Methodenlehre, S.  194. 60   Etwa Art.  1 Abs.  2 Schweizer ZGB; BVerfG, NJW 1973, 1491, 1493 (= BVerfGE 35, 263, 279 f.); BVerwGE 11, 263, 264; 45, 85, 90; einschränkend BVerwG, NJW-RR 1996, 393, 395 (= BVerwGE 99, 362, 370 f.); Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  62 f.; kritisch Pestalozza, NJW 1981, 2081, 2086. 61   Patterson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 235, 252 (1993). 62   Larenz, NJW 1963, 737, 738; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  285; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  97; vgl. auch BGH, NJW 1953, 973 (= BGHZ 9, 273, 277); 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); NVwZ 2004, 376. Entsprechendes gilt für die Feststellung von Gesetzeslücken, Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  198.

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schlussnorm oder die Billigkeitsnorm anzuwenden ist, 63 d. h. ein Anspruch pauschal verneint oder einer individualisierten Interessenabwägung unterworfen wird. Zwar mögen die Parteien abstrakte Präferenzen für die Ergänzung des Vertrages haben. So können sie wirtschaftlichen Interessen eine größere Bedeutung beimessen als der Möglichkeit autonomer Entscheidung. Selbst in diesem Fall aber bleibt die genaue Gewichtung dieser Präferenzen offen. Bei der Lückenfüllung sind nach alldem zusätzliche Annahmen unvermeidbar. Sie führen zur Bildung abdingbaren Rechts, das nicht auf dem Parteiwillen beruht, sondern mit ihm bestenfalls vereinbar ist. Selbst wenn man davon absieht, dass es derartiger zusätzlicher Annahmen bedarf, stößt die Individualisierung der ergänzenden Auslegung auf Grenzen. 64 Denn die Vertragspraxis ist auf allgemeine Regeln angewiesen. Zu groß wären anderenfalls die Unsicherheiten über das anwendbare Recht; zu zahlreich die zu beachtenden Quellen und zu widersprüchlich das zu berücksichtigende Verhalten der Parteien. Gerade auch in den Fällen, die nicht vor Gericht kommen, müssen die Rechte sowie Pflichten der Parteien bestimmbar sein. Es bedarf klarer Regeln, die ohne eine umfassende Interessenanalyse feststehen. Nur in Ausnahmefällen ist daher eine rationale Rekonstruktion des individuellen Parteiwillens möglich.

3.  Gemeinsame Probleme des Willensmodells In der bisherigen Betrachtung der Willensmodelle traten einige Probleme hervor, die weitgehend mit ihrer jeweiligen Version zusammenhingen. Die Schwierigkeit der Feststellung individuellen Verhaltens etwa prägte vor allem die reine Willenstheorie. Umso interessanter sind die Probleme, die alle Willensmodelle betreffen. Denn sie stellen diese insgesamt in Frage und nicht nur eine Version von ihnen. Implizit geht das Willensmodell von der voluntaristischen Annahme aus, die Rechtfertigung einer Norm müsse allein auf dem Willen der von ihr Betroffenen aufbauen. Das ist im Ansatz wenig plausibel. Will man den Einzelnen als ganze Person ernst nehmen, so darf man ihn nicht allein unter einem Aspekt würdigen. Neben seinem Willen verlangen die Interessen nach Beachtung, 65 die sich noch nicht in einem bestimmten Willensentschluss niedergeschlagen haben und denen er sich nicht einmal bewusst sein muss. Sie lassen sich nicht von vornherein als irrelevant übergehen. 66 Darüber hinaus erfasst das Willensmodell das geltende Recht nicht vollständig (a), verkennt die Autonomie der   Oben 1.B.2–1.B.3.   Oben 2.A.1.b). 65   Interesse wird hier und im Folgenden vom Willen unterschieden, um solchen Interessen Rechnung zu tragen, die dem Einzelnen nicht bewusst sind, dazu Patzig, Der Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Interessen und seine Bedeutung für die Ethik, S.  20 ff. 66   von der Pfordten, Normative Ethik, S.  52 ff. 63

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Einzelnen (b), gibt die maßgeblichen Gründe nicht an (c) und übersieht, dass die getroffenen Regeln den Parteien unbekannt sind (d). a)  Unvollständige Erfassung des geltenden Rechts Betrachtet man die abwechslungsreiche Geschichte und komplexe Systematik des Privatrechts, so liegt es fern, es auf den hypothetischen Willen der Parteien zurückzuführen. 67 Denn in seiner nunmehr entwickelten Gestalt beruht es kaum auf dem, worauf sich die Parteien typischerweise verständigen. Die für es grundlegende Unterscheidung zwischen Allgemeinem sowie Besonderem Teil des BGB etwa und die Herausbildung einzelner Vertragstypen entspringen keiner hypothetischen Vereinbarung. Diese beruhen vielmehr auf einer Systematisierung des historisch gewachsenen Pandektenrechts, 68 auch wenn im Allgemeinen Teil die Vorstellung eines Urvertrages unter freien Personen69 nachgewirkt haben mag. In erster Linie ging es um die Erfassung der als Natur der Sache begriffenen Vertragsstrukturen. Sie sollten in einem stimmigen und soweit als möglich vollständigen Normensystem formuliert werden.70 Die dafür erforderliche Bildung abstrakter oberster Rechtssätze und Begriffe in der Folge von Pufendorf71, Thomasius72 und Wolff73 war vornehmlich um Systembildung bemüht, nicht aber um die Erfassung der Vertragspraxis. Es wäre daher ein außerordentlicher Zufall, wenn das gewachsene Vertragsrecht der hypothetischen Übereinkunft der Parteien entspräche. Das käme der gewagten Behauptung gleich, dieses Recht sei der alternativlose Ausdruck der Vernunft, wie sie sich in 67   Schapp, DB 1978, 621, 624: „Die Vorstellung, irgendwann hätten sich einfach die Parteien hinsetzen können und alle denkbaren Konflikte vertraglich regeln können und das Ergebnis wäre dann das Vertragsrecht des BGB gewesen, ist abwegig.“; ders., Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  61; Medicus, AT, S.  134, Rn.  343; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  114; zur Kritik an der Willenstheorie bereits oben 2.A.1, Fn.  8. 68   Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  475 ff.; ders., Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S.  4, 9; Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9 : „Das BGB ist eine romanistische Kodifikation.“; Staudinger2008-Coing/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB, S.  8. 69   Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  377 ff., S.  229 ff.; Weber, Rechtssoziologie, S.  266 f.; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S.  5 ; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  101; zum Gesellschaftsvertrag oben 2.A.1, Fn.  9. 70   Planck, zitiert nach Mugdan, Bd.  1, S.  883. 71   Etwa die Vertragseinteilung von Pufendorf, De iure naturae et gentium, Teil  2, V. Buch, II. Capitel, S.  37 ff. 72   Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit IV, §  1, S.  104, der selbst die natürlichen Gesetze durch die „Grund-Regel“ erklären wollte, man solle Gott und dem Oberherrn gehorchen. 73   Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  377 ff., S.  229 ff. Zum Einfluss von Pufendorf, Thomasius und Wolff auf das Schuldrecht siehe Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  310 ff.; ders., Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S.  5.

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jedem anderen Land mit gleichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen auf Dauer durchsetzen würde. Ebenso wäre auch der rechtsgeschichtliche Wandel nicht erklärbar, wenn das abdingbare Recht allein auf dem hypothetischen Willen der Parteien beruhen sollte. Denn es ist nicht plausibel, dass dieser Wandel stets auf eine Änderung des Parteiwillens zurückgeht. Zweifel an dieser Rückführung kommen etwa dann auf, wenn der Gesetzgeber zwingende Normen für abdingbar erklärt, wie das bei der Schuldrechtsreform bei der Verabschiedung von §  202 BGB im Vergleich zu §  225 BGB a. F. der Fall war. Beruhten abdingbare Normen ausnahmslos auf dem hypothetischen Willen der Parteien, müsste mit derartigen Änderungen ein fundamentaler Wechsel in der Begründung einhergehen. Von Schutzerwägungen müsste ein Übergang auf den Willen der Parteien zu verzeichnen sein. Nach den Gesetzesbegründungen ist dies indes kaum der Fall.74 Maßgeblich sind davon unabhängige Sachargumente über die den Parteiinteressen nahekommendste Lösung. Das Kriterium des hypothetischen Willens spielt dafür kaum eine Rolle. Auch an einzelnen Normen zeigt sich, dass abdingbares Recht, wenn überhaupt, so nur unter weit reichenden Annahmen durch den hypothetischen Willen erklärbar ist. Denn einige abdingbare Normen erlegen den Parteien erhebliche Lasten auf, die sie in einer freien Vereinbarung kaum auf sich nehmen würden. Das gilt etwa für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages75 . Die Parteien werden indes kaum eine Last akzeptieren, von der sie nicht unmittelbar profitieren. Dritten, mit denen sie keinen Kontakt haben, werden sie kaum Vorteile zuwenden. Ausnahmsweise mag es ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse entsprechen, auch diese zu schützen, weil sie damit den Umgang mit ihren Vertragspartnern erleichtern. Kann sich etwa eine Mutter darauf verlassen, dass ihr Kind im Warenhaus vor Unfällen geschützt ist, so wird sie dieses eher betreten, als wenn sie befürchtet, dass es dort zu Schaden kommt.76 Jedoch dürfte sie kaum annehmen, dass der Schutz dort höher ist als im allgemeinen Verkehr. Es waren daher nicht Klauseln aus der Vertragspraxis oder Überlegungen zu hypothetischen Verhandlungen, aus denen die Recht74   BT-Drucks 14/6040, S.  101. Ferner wurden die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche für den Verbraucher durch die Schuldrechtsreform 2002 unter Hinweis auf die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999 zwingend, §  475 BGB, BT-Drucks 14/6040, S.  80, während die Verjährungsvorschriften unter Hinweis auf die Vertragsfreiheit durch §  202 BGB abdingbar wurden, BT-Drucks 14/6040, S.  110. Der hypothetische Wille blieb stets unerwähnt. Zur Vergleichbarkeit der Motive bei abdingbaren und zwingenden Normen bereits Stammler, AcP 69 (1886), 1, 26. 75   Etwa BGH, NJW 1956, 1193, 1194; 1959, 1676, 1677; 1976, 712, 713 (= BGHZ 66, 51, 56 f.); 1984, 355; 1995, 392, 393 (= BGHZ 127, 378, 380 f.); 2002, 3625, 3626; Larenz, NJW 1956, 1193; BeckOK-BGB20 -Janoschek, §  328 Rn.  45 ff.; MünchKommBGB5-Gottwald, §  328 Rn.  106 ff.; Staudinger2004-Jagmann, §  328 Rn.  83 ff.; zur Entwicklung Zenner, NJW 2009, 1030 ff. 76   Vgl. BGH, NJW 1976, 712 (= BGHZ 66, 51).

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sprechung die Einbeziehung Dritter in den Vertrag ableitete, sondern Schutzerwägungen gegenüber den von einem Vertrag typischerweise Betroffenen.77 Es wäre auch erstaunlich, wenn die Parteien in einer hypothetischen Verhandlung zu einem Ergebnis kämen, für dessen Entwicklung die Rechtsordnung Jahrzehnte gebraucht hat. Zu einzelnen abdingbaren Normen konstatiert die Rechtsprechung bisweilen sogar ausdrücklich, dass sie nicht das Ergebnis hypothetischer Verhandlungen sind. So hat der BGH die gesetzlichen Anwaltsgebühren von denjenigen Gebühren unterschieden, die sich am Markt durchsetzen ließen.78 Das ist angesichts des ihnen zugrunde liegenden Mischmodells auch nachvollziehbar. Danach werden Angelegenheiten mit geringem Streitwert im Vergleich zum Zeitaufwand geringer vergütet als Angelegenheiten mit hohem Streitwert. Das entspricht jedoch für den jeweiligen Einzelfall kaum dem hypothetischen Willen der Parteien. Eher wäre zu erwarten, dass sie bei geringen Streitwerten eine zeitabhängige Vergütung vereinbaren oder im Vergleich zu hohen Streitwerten prozentual eine höhere Verfügung vorsehen. Dass eine Norm abdingbar ist, besagt daher nicht in jedem Fall, dass sie dem Ergebnis einer hypothetischen Verhandlung entspricht. Das zeigt sich auch an der Frage, ob man für vertragliche Pflichtverletzungen im Grundsatz unbeschränkt haftet. Das BGB bejaht dies für den Fall des Verschuldens, §§  249 ff., 280 ff. BGB. Ohne gegenteilige Vereinbarung ist es den Parteien nicht zumutbar, ohne Ausgleich eine Schädigung hinzunehmen. Auf eine hypothetische oder in anderen Fällen getroffene Vereinbarung lässt sich dies indes kaum zurückführen.79 In der Vertragspraxis ist aufgrund einer potentiell unbegrenzten Haftung vielmehr eine Haftungsbegrenzung üblich. 80 Die Feststellung, was die Parteien vernünftigerweise vereinbart hätten, setzt weitreichende Annahmen über ihre Interessen und deren Durchsetzung voraus. 81 Der konkrete Wille tritt in den Hintergrund. Es ist dann nur noch ein rhetorischer Unterschied, ob man Lücken durch das ergänzt, was man für vernünftig hält, oder den Parteien unterstellt, die jeweilige Regelung gewollt zu haben. Denn es ist kein Fall ersichtlich, in dem ein Richter etwas für sinnvoll erklärt, was dem hypothetischen Willen der Parteien widerspräche. Das ist nicht verwunderlich. Der Parteiwille entsteht nicht aus dem Nichts, sondern beruht auf Gründen. Will man ihn nachbilden, genügt es nicht, pauschal nach dem Willen der Parteien zu fragen, sondern bedarf es einer Analyse der mit ihm 77   Der BGH hielt es für unerheblich, ob diese Einbeziehung der Tochter dem hypothetischen Parteiwillen entspricht, NJW 1976, 712, 713 (= BGHZ 66, 51, 56). 78   BGH, NJW 2005, 2142, 2144 (= BGHZ 162, 98, 106); BVerfG-Sondervotum Gaier, NJW 2007, 2102, 2104. 79   Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  292. 80   Siehe etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  8 0, Rn.  222 f. 81   Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  100: „Entscheidend ist im Ergebnis nicht, was mutmaßlich gewollt ist, sondern was normativ gewollt sein soll“.

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verbundenen Erwägungen. Mangels ihrer Kenntnis lassen sie sich aber nicht von den Gründen unterscheiden, die der Gesetzgeber selbst für überzeugend hält. Die Willensmodelle stehen generell vor dem Dilemma, entweder Rationalitäts- und Gerechtigkeitsdefizite des hypothetischen Willens in Kauf zu nehmen oder diesen Parteiwillen für irrelevant zu erklären. Da sie zu Ersterem nicht bereit sind, kommt es faktisch auf das an, was der Gesetzgeber, Rechtswissenschaftler oder Richter für sinnvoll hält. Mit dem hypothetischen Willen allein lässt sich das Vertragsrecht daher nicht erfassen. b)  Der Mangel an Autonomie Sind die geltenden abdingbaren Normen damit nicht auf den hypothetischen Willen zurückführbar, stellt sich die Frage, ob sie wenigstens so beschaffen sein sollten. Dabei ist zwischen dem hypothetischen Willen als Grund und als Maßstab abdingbarer Normen zu unterscheiden. 82 Grund abdingbarer Normen wäre er, wenn ihre Rechtfertigung darauf beruhte, dass die Parteien ihnen hypothetischerweise zugestimmt hätten. Ist er hingegen ihr Maßstab, so werden sie inhaltlich so ausgestaltet, dass sie diesem Willen entsprechen. Ein notwendiger Zusammenhang mit ihrer Rechtfertigung besteht dann nicht. Sie kann auch auf anderen Quellen beruhen, wie etwa einer Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers. Als alleiniger Grund abdingbaren Rechts ist der hypothetische Wille zur Rechtfertigung eines Vertrages ungeeignet. Die Parteien haben ihm zu keinem Zeitpunkt zugestimmt. Ihr mutmaßliches Einverständnis verpflichtet nicht. 83 Es fehlt sowohl ihr Entschluss als auch ihr Versprechen. Beide verleihen einem Vertrag erst die Legitimität. Solange man die Freiheit der Parteien respektieren will, kann man ihre Zustimmung daher nicht fingieren. Auch sonst reicht ein nur gedachtes Geschehen nicht aus, um eine Verbindlichkeit zu begründen. Hypothetische Gesetze muss man nicht einhalten. 84 Für hypothetische Verbrechen wird man nicht bestraft. Hypothetische Ehen kann man nicht eingehen. Entsprechend vermag ein hypothetischer Vertrag nicht zu verpflichten. Er ist nicht defizitär, sondern illusionär. 82   Ihr entspricht die Unterscheidung zwischen einem bestimmenden („determinative“) und einem aufdeckenden („revelatory“) Charakter der hypothetischen Verhandlung, siehe Oderberg, Moral Theory, p.  6 4. 83   Dworkin, Taking Rights Seriously, p.  151; Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1825 (1991); weitere Nachweise oben 2.A.1.b), Fn.  41. 84   Daher ist auch der bei der Auslegung von Normen und bei der AGB-Kontrolle gelegentlich befürwortete Maßstab einer hypothetischen gesetzlichen Regelung problematisch; so etwa Zitelmann, Lücken im Recht, S.  23; Gilles, NJW 1983, 2819, 2820 (heutige hypothetische Gesetzgebung) unter Kritik an BGH, NJW 1983, 2817 (historische hypothetische Gesetzgebung); Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  271; ähnlich Elhauge, Statutory Default Rules, pp.  115, der die mutmaßlichen gesetzgeberischen Präferenzen für maßgeblich hält.

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Ist man aber an einen hypothetischen Vertrag nicht gebunden, so stellt sich die Frage, warum hypothetische Klauseln verpflichten sollen. Gilt für sie nicht ebenso, dass die Parteien ihnen zustimmen müssen? Reichte die hypothetische Zustimmung aus, käme es auf die tatsächliche Entscheidung der Einzelnen nicht an. Sie wäre sogar weithin überflüssig. Denn es genügte der Nachweis, dass die Parteien einer Verabredung mutmaßlich zugestimmt hätten. Doch damit wären sie ihrer Autonomie beraubt, der Möglichkeit also, die eigenen Verhältnisse nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Ihre Entscheidungen hätten kein Eigengewicht mehr. Eine hypothetische Zustimmung vermag daher eine abdingbare Norm ebenso wenig zu rechtfertigen wie einen gesamten Vertrag. Deshalb betont der Bundesgerichtshof zu Recht, dass der hypothetische Parteiwille „keine unmittelbaren Berührungspunkte mit der Parteiautonomie“85 hat. Es bedarf anderer Gründe, um die durch sie gefundene Lösung zu rechtfertigen. All dies schließt allerdings nicht aus, dass die hypothetische Zustimmung bei der Gestaltung abdingbaren Rechts eine Rolle spielt. Denn von der Frage, wo­ rauf dieses beruht, unterscheidet sich die Frage, an welchem Maßstab es auszurichten ist. Steht etwa fest, dass die Parteien eine Norm abgelehnt hätten, so ist dies ein Anzeichen dafür, dass sie ihren Interessen widerspricht. Das Gedankenexperiment einer hypothetischen Verhandlung kann helfen, die für und gegen eine bestimmte Gestaltung sprechenden Gründe zu finden. Das gilt insbesondere für diejenigen Normen, welche die Parteien auf jeden Fall gebilligt hätten. Was dann die Zustimmung trägt, ist allerdings nicht die hypothetische Wahl, sondern der Umstand, dass eine Norm die Interessen der von ihr Betroffenen umsetzt. 86 Die hypothetische Zustimmung ist dafür ein Indiz, aber kein Grund. Hypothetische Verhandlungen stellen somit zwar ein Gedankenexperiment dar, das die eigene Vorstellungskraft schärft und insofern einen heuristischen Wert hat. 87 Sie sind aber weder der Grund, aus dem abdingbares Recht eine Bindung entfaltet, noch ein ausreichender Maßstab für seine Gestaltung. Rechtfertigen können es letztlich nur die hinter ihnen stehenden Gründe. Der Verweis auf den hypothetischen Willen verdunkelt diese eher, als dass er sie erhellt. 88

85   BGH, NJW 1986, 1429, 1431 (= BGHZ 96, 313, 320 f.); ähnlich bereits BGH, NJW 1953, 339, 341 (= BGHZ 7, 231, 235); 1979, 1779, 1780 (= BGHZ 74, 193, 199). Kritisch Staudinger2003-Roth, §  157 Rn.  4 ; Medicus, AT, S.  135, Rn.  343; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  282. 86   Leist, Moral als Vertrag?, S.  20. 87   Oben 2.A.1.b). 88   Vgl. Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1878 (1991): „The conception of the hypothetical bargain is no more than a misleading metaphor .  .  .“

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c)  Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe Unabhängig von der fraglichen Legitimation des hypothetischen Willens besteht das Problem seiner mangelnden Bestimmbarkeit. Da sich die Interessen der Parteien einander in aller Regel widersprechen, ist offen, worauf sich diese verständigen würden. Was die eine Seite gewinnt, verliert die andere Seite. Erst die Einigung der Parteien vermag deshalb den Interessenkonflikt zu lösen. Sie ist daher nicht entbehrlich. Da man von vornherein keiner Vertragspartei den Vorzug geben kann, fällt die Entscheidung schwer, welche Partei sich hypothetisch durchsetzen würde. Anzunehmen ist eine Zustimmung der einen Partei allenfalls dann, wenn sie an anderer Stelle etwas gewinnt. Gerade bei einem wechselseitigen Geben und Nehmen steht aber schon aufgrund der zahlreichen dafür bestehenden Möglichkeiten kaum fest, wie es ausgeht. Auch die Verhandlungspraxis zeigt, dass die Parteien über viele Punkte regelmäßig keine Einigkeit erzielen. 89 Es ist aus diesen Gründen kein Zufall, dass der hypothetische Parteiwille auf unterschiedlichste Weise konkretisiert wird. Der BGH hat in einem früheren Urteil sogar beabsichtigt, in ihn „das Allgemeininteresse einzubeziehen“.90 Das verdeutlicht, dass es bei der Konstruktion des hypothetischen Willens nicht um eine kaum zu treffende psychologische Einschätzung geht, wie sich die Mehrheit der Parteien tatsächlich verhält, sondern um die normative Entscheidung, wie eine von ihnen nicht geregelte Frage sinnvoll zu lösen ist. Sobald dabei Allgemeininteressen maßgeblich werden, gibt es keinerlei als gerecht angesehene Lösung, die man nicht den Parteien unterstellen könnte. Mit der Autonomie der Einzelnen, die ihre Verhältnisse auch gegen Mehrheitsvorstellungen und Mehrheitsinteressen gestalten können, hat dies nichts mehr zu tun. Überdies ist offen, worin dieses Allgemeininteresse im Einzelnen besteht. Das Ergebnis hypothetischer Verhandlungen ist auch deshalb schwer zu bestimmen, weil es davon abhängt, welche Norm bei ihrem Scheitern zum Zuge kommt. Die Parteien haben nur dann einen Grund zu einer Vereinbarung, wenn sich ihre Lage durch sie verbessert. Das aber bedeutet, dass man das hypothetische Verhandlungsergebnis nur feststellen kann, wenn man die anderenfalls anzuwendende Norm kennt. Ist es die Ausschluss-, die Billigkeits- oder eine konkrete abdingbare Norm? 91 Für jede dieser Möglichkeiten lassen sich Gründe anführen und keine ist schlechterdings unvernünftig. Parteien, denen an einer gerechten Lösung mehr gelegen ist, als an deren Vorhersehbarkeit, könnten es bei einer Billigkeitsentscheidung belassen. Anderenfalls würden sie womög89   Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  68, Rn.  196; Shavell, 56 Emory Law Journal 439, 448 (2006). 90   BGH, NJW 1956, 377 (= BGHZ 19, 110, 112); ähnlich BGH, NJW 1953, 340, 341 (= BGHZ 7, 231, 235): „vernünftige Interessenabwägung auf rein objektiver Grundlage“; 1998, 1219 sowie die Nachweise oben 1.E.2.b), Fn.  331. 91   Zu diesen Möglichkeiten oben 1.B.

A.  Der hypothetische Parteiwille

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lich die Ausschlussnorm vorziehen. Ist jedoch die subsidiär anwendbare Norm nicht klar und beruht die Feststellung des hypothetischen Verhandlungsergebnisses auf ihr, droht ein Regress. Abdingbare Normen sollten aus einer hypothetischen Vereinbarung folgen, die wiederum von den bei ihrem Scheitern zur Anwendung kommenden Normen abhängt. Ihr Inhalt aber müsste seinerseits von einer hypothetischen Übereinkunft abhängen. Dieser Regress wird durch den so genannten Besitzeffekt (endowment effect) verstärkt.92 Die Parteien tendieren danach dazu, Rechte und andere Güter höher zu bewerten, wenn sie diese bereits besitzen, als wenn sie diese erst noch erwerben müssen. Daher ist es etwa ein Unterschied, ob sie auf die gesetzlich bereits eingeräumten Gewährleistungsrechte gegen einen Preisnachlass verzichten oder sie erst zu vereinbaren haben. Unabhängig vom Ausgangszustand kann man deshalb nicht angeben, zu welchem Ergebnis sie hypothetischerweise kämen. Das hängt zu einem erheblichen Teil schlicht davon ab, was ihnen vorgegeben ist. Dieser Effekt tritt unabhängig von den Verhandlungskosten auf und ist auch in einer hypothetischen Vereinbarung kaum vermeidbar.93 Oftmals mögen die Parteien zwar im abstrakten Ziel übereinstimmen, eine gerechte oder wirtschaftlich sinnvolle Absprache zu treffen. Zum Teil legen sie diese Ziele sogar ausdrücklich nieder, etwa in der salvatorischen Klausel, dass im Falle der Unwirksamkeit einer Absprache diejenige Klausel gelten soll, die den wirtschaftlichen Interessen der Parteien möglichst nahe kommt.94 Das hilft dem Gesetzgeber und dem Richter bei der Formulierung abdingbarer Normen aber kaum weiter. Denn offen bleiben dabei diejenigen Gründe, welche die Konkretisierung derartiger Normen bestimmen.95 Diese sind notwendig, weil auch hypothetische Vereinbarungen nicht auf Willkür beruhen dürfen. Die an ihnen Beteiligten müssen für ihre Vorschläge Gründe anführen. Diese aber lassen sich nicht allein durch die Vorstellung einer hypothetischen Verhandlung feststellen. Nicht dass die Parteien darin etwas vereinbarten, ist maßgeblich,   Thaler, 1 Journal of Economic Behavior and Organization 39, 44 (1980); Ayres/Gertner, 51 Stanford Law Review 1591, 1599 (1999), die vom „iron law of default inertia“ sprechen; Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 7 (2006); Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1107 (2000); ders., 97 Northwestern University Law Review 1227, 1229 (2003); Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 112 (2002); Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 670–681 (2006); DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 896 (2006); kritisch Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1761 (1997); Listokin, What Do Default Rules and Menus Do?, p.  6 . 93   Im Einzelnen unten 3.B.1. 94   In AGB wird eine einseitige Ersetzung überwiegend für unwirksam gehalten, BGH, NJW 1999, 1865, 1866 (= BGHZ 141, 153, 157); 2002, 894, 895; 2005, 2225, 2226; BeckOKBGB20 -Schmidt, §  306 Rn.  17; Jauernig13-Stadler, §  306 Rn.  4 ; MünchKommBGB5-Basedow, §  306 Rn.  29; a. A. Staudinger2006 -Schlosser, §  306 Rn.  18; zweifelnd auch Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  60; differenzierend nach Bestimmtheit der Ersatzklausel Hager, Gesetzesund sittenkonforme Auslegung, S.  202. 95   Vgl. Endemann, BR, Bd.  1, S.  42; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  236. 92

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

sondern, warum sie dazu bereit wären. Daher verweisen die Begründungen der einzelnen abdingbaren Normen kaum auf hypothetische Verhandlungen, sondern auf davon unabhängige Gründe. Diese sind unverzichtbar. d)  Die fehlende Information der Parteien Ein letztes Problem des Willensmodells besteht darin, dass es den Prozess der Vertragsverhandlung vernachlässigt. Es konzentriert sich auf das durch sie erzielte Ergebnis, ohne zu fragen, wie es zustande kommt. Der Verhandlungsprozess aber hat ebenso wie der Ausgangszustand eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für das Verhandlungsergebnis. Es ist ein Unterschied, ob sich die Parteien auf eine bestimmte Lösung verständigen oder ob das Gesetz ihnen diese auch ohne ihre Kenntnis vorgibt. Denn während die durch Verhandlung erzielte Lösung beiden Parteien bewusst ist, lässt sich dies von einer vorgegebenen abdingbaren Norm nicht unbedingt annehmen. Verhandeln die Parteien etwa über einen Haftungsausschluss, so wird ihnen spätestens in diesem Moment das mit ihm geregelte Risiko bewusst, und zwar unabhängig davon, wie sie es letztlich verteilen. Beide Seiten können sich auf die dann getroffene Absprache einstellen und in der Folge etwa eine Versicherung abschließen oder ihre Investition begrenzen. Gilt eine Haftungsbeschränkung hingegen von Gesetzes wegen, besteht die Gefahr, dass die Parteien sie mangels Verhandlung übersehen und sich in ihrem Verhalten nicht auf sie einstellen. Es fehlt der durch Verhandlung und Formulierung des Vertrages eintretende disziplinierende Effekt.96 Aufgrund derartiger Folgen muss das optimale Verhandlungsergebnis nicht mit der Norm übereinstimmen, die man idealerweise den einzelnen Verträgen vorgibt. Es kann auf Informationen beruhen, welche die Parteien erst durch die Verhandlung gewinnen. Die vorgegebene Norm muss demgegenüber auch die Situation erfassen, dass die Parteien die verteilten Chancen und Risiken verkennen. Die optimalen Ergebnisse einer hypothetischen Verhandlung entsprechen daher nicht unbedingt den Klauseln, die man den Parteien für den Fall vorgeben sollte, dass sie nicht miteinander verhandeln. Wenn daher überhaupt hypothetische Verhandlungsergebnisse maßgeblich sein sollen, so richten sie sich nicht nach der Klausel, die unter Idealbedingungen vereinbart wird, sondern nach der Norm, die für die Situation einer fehlenden Vereinbarung optimal ist.97 Sie muss sowohl den Fall berücksichtigen, dass eine Vereinbarung zu einem Punkt scheitert, als auch den Fall, dass über ihn noch nicht einmal verhandelt wird und wegen der Informationskosten womöglich nicht verhandelt werden kann. Klauseln, die in einer Idealwelt optimal sind, müssen deshalb in der realen Welt nicht ideal sein.   Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1826 (1991).   Vgl. Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1442 (2009).

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B.  Die Vorgabe der Rechtsordnung

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Soll das Willensmodell dies berücksichtigen, verliert es weiter an Aussagekraft. Denn es entfernt sich dann von der Vorstellung einer idealen Vereinbarung und wendet sich stattdessen der Frage zu, welcher Norm die Parteien in der tatsächlich bestehenden Situation zustimmen sollten. Das aber lässt sich mangels tatsächlicher Vereinbarung kaum angeben. Diese hängt von den einzelnen Gründen ab, welche die Parteien überzeugen. Für sie ist eine hypothetische Verhandlung bestenfalls ein Indiz. Die argumentative Kraft dieser Gründe beruht nicht auf ihr. Maßgeblich bleiben letztlich allein diejenigen Sachgründe, auf denen abdingbare Normen beruhen. Der Wille kann sich an ihnen orientieren, sie aber nicht ersetzen.

4.  Zwischenergebnis Das Modell des hypothetischen Parteiwillens ist ebenso verbreitet wie umstritten. Teils wird es durch den konkreten Willen der Parteien, teils durch ihren typischen und zum Teil durch einen normativ korrigierten Willen konkretisiert. Diese Modelle allein können das geltende Recht weder erfassen noch legitimieren. Es lässt sich kaum feststellen, zu welchem Ergebnis hypothetische Verhandlungen kommen würden. Dazu bedarf es zusätzlicher Annahmen. Diese beruhen auf Gründen, die der Verweis auf den Willen der Parteien eher verdeckt als offen legt. Trotz dieser Probleme können hypothetische Verhandlungen als Gedankenexperiment eine wichtige Rolle spielen. Denn sie verdeutlichen zumindest, dass man den Parteien keine Norm vorgeben darf, die diese in jedem Fall ablehnen würden.

B.  Die Vorgabe der Rechtsordnung 1.  Das Vorgabemodell Abdingbare Normen sind den Parteien unvermeidbar vorgegeben. Sie müssen sie abbedingen, wollen sie den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge verhindern. An diesem Phänomen knüpft ein weiteres Modell abdingbaren Rechts an. In ihm stehen nicht die Parteien im Vordergrund, sondern die für sie geltenden Normen. Es liegt etwa der Auffassung von Bülow zugrunde, das Gesetz sei „objectivrechtlicher Kernpunkt, die Geltungsursache, die Quelle aller rechtsgeschäftlichen Bestimmungen“.98 Nicht das Gesetz ergänzt danach den zunächst maßgeblich Parteiwillen, sondern umgekehrt der Parteiwille die gesetzliche

  Bülow, AcP 64 (1881), 1, 78; im Anschluss daran auch Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  45; zum Hintergrund siehe Weick, NJW 1978, 11, 13. 98

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

Vorgabe.99 Stärker als das Willensmodell erfasst es daher die Zwangswirkung abdingbarer Normen und ihren Status als objektives Recht.100 Dieser Aspekt abdingbaren Rechts zeigt sich besonders darin, dass sich die Parteien gegen seine Anwendung nicht mit dem Einwand wehren können, dass sie hypothetischerweise etwas anderes vereinbart hätten.101 Das drückt das Vorgabemodell klarer aus als das Willensmodell. Zudem verdeutlicht es, dass man es mit Normen zu tun hat, die mit der übrigen Rechtsordnung eine Einheit bilden. Im Gegensatz zum Willensmodell wird das Vorgabemodell selten ausdrücklich formuliert. Das liegt unter anderem daran, dass es unterschiedlich präzisiert, worin genau die Vorgabe des Rechts besteht. Entscheidend ist dafür, wie man das Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag begreift und sich einen idealen Vertrag vorstellt. Nach dem Ideal eines vollständigen Vertrages regeln die Parteien alle Rechte und Pflichten.102 Dem Gesetzgeber verbleibt kein Regelungsraum. In dieser Idealwelt spielt abdingbares Recht demnach keinerlei Rolle. Es gewinnt seine Berechtigung nur, weil die Parteien in einer realen Welt vor demselben Problem stehen wie der Gesetzgeber: Sie können nicht alles regeln, was sie regeln sollten. Sie sind auf abdingbares Recht angewiesen,103 das die Verträge ergänzt und Vertragslücken auffüllt. Die Bezeichnung als „Ergänzungsregel“ drückt diese Funktion ebenso aus wie die in der amerikanischen Diskussion verbreiteten Formulierungen „default-“ und „gap-filling rules“.104 Diese gehen auf die Vorstellung zurück, dass man den Vertrag auf die privat ausgehandelten Absprachen begrenzen könne.105 Ergänzungen durch den Gesetzgeber und den Richter wären nur ein Notbehelf.   Dazu Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  254: „[Das Vertragsrecht] ist nicht mehr nur eine nützliche Ergänzung der Privatübereinkünfte, sondern ihre Grundnorm.“ 100   Bülow, AcP 64 (1881), 1, 83. 101   Im Einzelnen dazu unten 4.D.3. 102   Harris/Veljanovski, in: Daintith/Teubner, Contract and Organisation, p.  110–111; Ayres/Gertner, 101 Yale Law Journal 730 (1992); Scott/Triantis, 56 Case Western Reserve Law Review 187, 190 (2005) mit Hinweis auf den abweichenden Begriff unvollständiger Verträge unter Ökonomen („incomplete if it fails to provide for the efficient set of obligations in each possible state of the world“); Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, pp.  3, 72; Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1037 (2004); Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  156; kritisch Canaris, FS Steindorf, S.  519, 548; Medicus, JuS 1996, 760, 764. Siehe auch oben 2.A.1, Fn.  7. 103   Barnett, 78 Virginia Law Review 821 (1992); Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610 (1998); Robertson, The Law of Obligations, p.  87, 97; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  56, 66, wonach abdingbares Recht auf eine Defizienz vertraglicher Regelungen reagiere; oben 1.D.1, Fn.  217. 104   Zu diesen Begriffen oben 1.A. 105   Zu dieser im Common Law des 19. Jahrhunderts verbreiteten Vorstellung Gilmore, The Death of Contract, p.  16; Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1290 (2000); Feinman, 30 University of California Los Angeles Law Review 829, 832 (1980), der aaO., 831 auch die ältere Perspektive beschreibt: „In the eighteenth century image .  .  . Contractual obligations 99

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Dem entgegengesetzt ist die Vorstellung, dass der ideale Vertrag auf einem System ausgewogener und gerechter Regeln beruht, welche die Interessen der Parteien bestmöglich verwirklichen. Es sei in den Normen verkörpert, die ein gerechter Gesetzgeber formulieren würde. Sofern die Umstände die gleichen sind, gäbe er verschiedenen Parteien dieselben Regeln vor. Er müsste sich dabei nicht an einer Regelung der Parteien orientieren, sondern umgekehrt die Parteien an ihm.106 Seine Regelungen wären dabei so umfassend, dass sie jede denkbare Konstellation berücksichtigten.107 Die Parteien könnten dabei ohnehin nur wiederholen, was bereits als ideales System feststünde. Denn die Gründe, die ihren Vereinbarungen zugrunde lägen, seien keine anderen als die des idealen Rechtssystems. Anders als im Ideal eines vollständig verhandelten Vertrages würde der Vertrag hier auf einem perfekt abgestimmten Normsystem beruhen, dessen Anwendbarkeit man nur durch einfache Zustimmung begründen müsste. In dieser Idealwelt wäre die Vereinbarung der Parteien denkbar knapp. Abdingbare Normen sind nach dieser Perspektive nur erforderlich, weil das Recht nicht auf alle Situationen eingehen kann. Nur daher muss es „die Autonomie der Individuen zu Rathe und zu Hülfe“ ziehen.108 Deshalb hat es ihnen die Möglichkeit zur Abweichung einzuräumen. Abdingbare Normen gälten, weil das Gesetz unvollständig und unvollkommen ist,109 nicht aber weil der Vertrag unvollkommen wäre. Nach dieser Sicht erscheint nicht die Vereinbarung der Parteien, sondern die gesetzliche Regel als Normalfall und die Abweichung von ihr als rechtfertigungsbedürftig.110 Nicht der freie Vertrag stände im Vordergrund, sondern der gerechte.111 Zu perfektionieren wäre nicht der einzelne Vertrag, sondern die ihn prägende Rechtsordnung. Ein vollständig verhanarose not solely or even principally from agreement, but from implied community standards of behavior.“ Zur Willenstheorie oben 2.A.1.a), Fn.  8. 106   Etwa Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  118: „Im Idealfall sollten die Parteien durch ihre rechtsgeschäftliche Entscheidung ihr Verhältnis so zu regeln vermögen, wie es der Gesetzgeber selbst regeln würde“, 134, 137. 107   Das Pendant zum idealen Gesetzgeber ist Dworkins Vorstellung von Herkules, einem idealen Richter, Taking Rights Seriously, pp.  105. 108   Bülow, AcP 14 (1881), 1, 15. 109   Bülow, Geständnissrecht, S.  131 f. 110   BGH, NJW 1977, 1292, 1293 (= BGHZ 68, 212, 215) für schwerwiegende Eingriffe in die Stellung eines Gesellschafters; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49 III, S.  301: „Die Parteien dürfen von nachgiebigen Vorschriften dann und insoweit abweichen, als dafür sachliche Gründe .  .  . vorliegen“; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  166, wonach bei ungleichen Parteien eine Abweichung „den Schluß zu[lässt], dass eine der Parteien ihr ökonomisches Übergewicht i. w. S. unangemessen ausgenutzt hat“; Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  178; Sack, WRP 1985, 1, 5; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  32; einschränkend Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 278. Zur AGB-Kontrolle siehe BGH, NJW 1970, 1596, 1598; 1984, 1182, 1183: „Denn je stärker der Gerechtigkeitsgehalt des verdrängten Rechtssatzes ist, desto gewichtiger müssen die Gründe für eine Abweichung sein .  .  .“; 1999, 1865, 1866 (= BGHZ 141, 153, 157); 2009, 835, 836; Schapp, DB 1978, 621, 623. Zur Kritik Flume, FS DJT, S.  135, 169 sowie unten 4.A.1.e), Fn.  53. 111   Bezeichnend etwa die Überschrift von Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfrei-

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

delter Vertrag, der jede dispositive Norm durch eine abweichende Vereinbarung ersetzt, erschiene als ein „Monstrum“.112 Grund dafür ist weniger die enorme Mühe der Parteien, die ein derartiger Vertrag erforderte, sondern die Annahme, dass er ungerecht sei, weil er etwa gegen das dem abdingbaren Recht zugrunde liegende Äquivalenzprinzip verstoße.113 Die Rechtspraxis genügt weder der Vorstellung einer perfekten Vertragsordnung noch dem Ideal eines vollständigen Vertrages. Gleichwohl wird sie von beiden Vorstellungen beeinflusst, sei es in offener, sei es in versteckter Weise. Während den Parteien nach der einen Auffassung eine vollständige Regelung ihrer Verträge obliegt, vermutet die andere, dass sich die Parteien mit jeder Abbedingung von der gerechten Vertragsordnung entfernten. Allzu schnell entsteht dann der Vorbehalt, dass deren Abbedingung nicht zu weit gehen dürfe.114 Der Unterschied dieser Vorstellungen schlägt sich auch im idealisierten Kontrast zwischen der angloamerikanischen und der deutschen Vertragspraxis wieder. Während sich die Erstere stärker um Vollständigkeit bemüht115 und daher erheblich längere Verträge formuliert, beschränkt sich die Letztere eher auf die vom Gesetz abweichenden Klauseln. Beide vermischen sich allerdings durch wechselseitige Einflüsse in einer globalisierten Wirtschaft. Die Antwort auf die Frage, welche dieser Vorstellungen man für richtig hält, hängt davon ab, wie man die Vorgabe des abdingbaren Rechts versteht. Während das Ideal des vollständigen Vertrages die abdingbaren Normen als Notbehelf betrachtet (a), ändert sich dieses Verständnis, sobald man sie als gerechte Gestaltung eines Vertrages (b), als rechtsgeschichtliche Erfahrung (c) oder Leitbild des Gesetzgebers (d) auffasst. Betrachten wir diese Vorstellungen der Reihe nach:

heit, S.  118: „Die Freiheit zur gerechten Interessenabwägung“, auch wenn er eine Bindung an die materielle Gerechtigkeit verneint. 112   Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  61; zurückhaltender Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  53. 113   AaO., S.  59 ff.; für dessen Geltung ferner Canaris, Iustitia distributiva, S.  54; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  156, 184. Kritisch gegenüber der Äquivalenz als Maßstab des Vertrages Henckel, AcP 159 (1960), 106, 119; Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 59 f.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  464. 114   Vgl. §  307 Abs.  2 BGB, dazu unten 3.B.4.c). 115   Dazu trägt auch das Restatement (second) of Contracts, §  33 comment c (1981) bei: „The more terms the parties leave open, the less likely it is that they have intended to conclude a binding agreement .  .  .“; anders inzwischen aber §  2–204 (3) UCC; siehe zur Vertragslänge Lundmark, 49 American Journal of Comparative Law 121, 130 (2001); Hill/King, 79 Chicago-Kent Law Review 889 (2004); siehe aber zur jüngeren Entwicklung in Deutschland Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  8 0, Rn.  222, wonach die Vertragslänge aus „Angst vor dem Richter als Gestaltungsfaktor“ in den letzten Jahren erheblich angewachsen ist.

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a)  Notbehelf für Vertragslücken Nach dem eben beschriebenen Ideal eines vollständig verhandelten Vertrages stellt abdingbares Recht einen Notbehelf dar.116 Es komme nur dann zur Anwendung, wenn die Parteien keine eigene Bestimmung getroffen hätten. Genau dies aber sei nach Möglichkeit zu vermeiden und nur legitim, um eine sonst infolge von Unbestimmtheit eintretende Nichtigkeit zu verhindern.117 Denn fast jede abdingbare Norm verzerre das Ergebnis der Verhandlung, indem sie der einen Seite ein Recht und der anderen Seite eine Pflicht zuweist. Darauf könnten sich die Parteien zwar einstellen und ihre Kalkulationen anpassen. Jedoch müssten sie sich dann über das geltende Recht informieren. Das vermögen sie vielfach nur in begrenztem Umfang. Zu vielgestaltig sind die Konstellationen, in denen abdingbare Normen den Vertrag beeinflussen. Etwa gibt es derartig viele Regeln über den Umfang des Schadensersatzes nach §§  249 ff. BGB, dass kaum jemand sie im Einzelnen überblickt, wenn er einen Vertrag schließt. Jeder Vertrag bleibe daher ein Wagnis. Das mit ihm verbundene Risiko einer Verzerrung des Parteiwillens ist nach dem Notbehelfsmodell über eine Begrenzung abdingbaren Rechts auf ein Minimum zu beschränken. Für das Verständnis abdingbarer Normen als Notbehelf spricht ferner, dass sich die Interessen der Parteien im Voraus kaum beurteilen und gewichten lassen. Der Gesetzgeber kennt ihre Verhältnisse nicht, so dass er etwa die Auswirkungen seiner vorgegebenen Fristen und Gewährleistungsrechte, Auskunftsansprüche und Kontrollrechte kaum überblickt. Anders als die Parteien vermag er nicht einzuschätzen, welche Regeln für sie angemessen sind. Seine abstrakten Überlegungen können die konkreten Parteiinteressen bestenfalls annähernd erfassen. Stellt er gleichwohl eine abdingbare Norm auf, so besteht ein erhebliches Risiko, dass er diese Interessen falsch gewichtet. Den Parteien verbleibt zwar die Möglichkeit, dies durch Abbedingung der Normen zu korrigieren. Aber es ist ungewiss, ob es dazu kommt. Abdingbares Recht ist nach dieser Perspektive ein bloßer Notbehelf, den man nur zurückhaltend einsetzen sollte. Ein derartiges Verständnis abdingbarer Normen findet sich besonders häufig im Gesellschaftsrecht.118 Dort gelten für die Offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die Partnerschaft subsidiär die Normen der BGB116   BGH, NJW 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286), 1997, 2592, 2593 (= BGHZ 135, 387, 392); ähnlich bereits RGZ 131, 343, 351; Endemann, BR, Bd.  1, S.  40, der es aber zugleich als „sachentsprechend“ ansah, aaO., S.  42; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  110, S.  541 zu den ergänzenden Normen; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  169; kritisch Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  177; Grundmann, in: ders./Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, p.  3, 4. Davon zu unterscheiden ist das Verständnis des Vertragsrechts als Notbehelf („safety valve“) neben informellen Mechanismen, Hillman, The Richness of Contract Law, p.  272. 117   So Medicus, AT, S.  134, Rn.  341 zu „höchst subsidiären Normen“ wie §  271 Abs.  1 BGB; ähnlich Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  101, S.  538. 118   Überblick dazu bei Binder, Regulierungsinstrumente, S.  72 ff.

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

Gesellschaft.119 Sie vermögen indes nur unzureichend, die Vielfalt der handelsrechtlichen Gesellschaften zu erfassen. Die von §  709 BGB vorgesehene gemeinschaftliche Geschäftsführung aller Gesellschafter etwa ist in Publikumsgesellschaften wenig praktikabel. Ähnliches gilt für die leichte Kündbarkeit gemäß §  723 BGB, die dem Charakter der auf Dauer angelegten Gesellschaften nicht gerecht wird. Daher scheuen sich die Gerichte vielfach, das Recht der BGB-Gesellschaft auf diese anzuwenden und versuchen stattdessen, über eine extensive Auslegung der jeweiligen Gesellschaftsverträge eine Lösung zu finden.120 Sie begründen dies unter anderem mit dem Charakter der §§  705 ff. BGB als „letztem Notbehelf“.121 Abdingbares Recht trägt einen derartigen Charakter des Weiteren dort, wo es ausdrücklich nur für den Fall gilt, dass die Verhandlungen zwischen den Parteien scheitern. Ihnen steht es dann nicht nur frei, eine eigene Abrede zu treffen, sondern sie sollen dies nach der gesetzlichen Intention auch tun. So liegt es bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea) in erster Linie an Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Art und Weise der Mitbestimmung zu regeln.122 Nur für den Fall, dass ihre Verhandlungen scheitern, gibt das Gesetz eine Auffangregel vor.123 Es ist ein Notbehelf, der nur greift, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben. So wirksam dieses Verständnis abdingbaren Rechts in den beschriebenen Bereichen auch ist, so wenig vermag es, die Gesamtheit abdingbarer Normen zu charakterisieren. Denn eine Vielzahl von ihnen hat den Zweck, einen gerechten Interessenausgleich zu schaffen.124 Das zeigt sich bereits an der Grundfrage, ob das deutsche Vertragsrecht oder ein anderes Vertragsrecht das Verhältnis zwischen den Parteien bestimmt. Dies obliegt zwar der freien Wahl der Parteien.125 Das lässt sich jedoch kaum so deuten, dass das gesamte abdingbare Privatrecht ein bloßer Notbehelf ist, der nur ausnahmsweise greift, wenn die Parteien kein anderes Recht gewählt haben. Ihnen steht vielmehr das Privileg einer anderen Rechtswahl nur dann zu, wenn der Vertrag Berührungspunkte mit einer anderen Rechtsordnung hat.126 Das deutsche Recht soll nach der gesetzgeberischen Intention im Grundsatz die in Deutschland geschlossenen Verträge regeln.   §§  105 Abs.  3, 161 Abs.  2 HGB; 1 Abs.  4 PartGG; 1 EWIVAG.   BGH, NJW 1992, 892, 895 (= BGHZ 116, 359, 371); 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286); 1997, 2592, 2593 (= BGHZ 135, 387, 392). 121   BGH, aaO.; zustimmend Staudinger2003-Roth, §  157 Rn.  26; Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn-Wertenbruch, HGB2, §  105 Rn.  63. 122   §§  11 ff. SE-BeteiligungsG in Umsetzung von Art.  3 f f. Richtlinie 2001/86/EG vom 8. Oktober 2001. 123   §  22 Abs.  1 Nr.  2 SE-BeteiligungsG in Umsetzung von Art.  7 Richtlinie 2001/86/EG vom 8. Oktober 2001. 124   Dazu sogleich 2.B.1.b). 125   Art.  3 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I). 126   Gemäß Art.  3 Abs.  3 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I) bleibt es sonst bei der Anwendung des zwingenden nationalen Rechts. 119

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Schließlich sorgen die Generalklauseln im Zusammenspiel mit den Grundrechten dafür,127 dass sich das zwischen den Parteien vereinbarte Recht nicht allzu weit von einem gerechten Interessenausgleich entfernt. Das gilt insbesondere bei Abweichungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, §  307 Abs.  2 BGB.128 Es entspricht regelmäßig auch der Intention des Gesetzgebers, die Sachverhalte angemessen zu regeln, selbst wenn er den Parteien zugleich die Möglichkeit der Abbedingung belässt. Daher formuliert er eine Ermächtigung zur Abbedingung vielfach so, dass diese als Ausnahme erscheint.129 Mit dem Verständnis abdingbaren Rechts als Notbehelf lassen sich ebenso wenig die Form- und Fristbedingungen erklären, die bisweilen für eine Abbedingung gelten.130 Sind sie nicht erfüllt, so bleibt es bei der Anwendung abdingbaren Rechts. Würde es nur einen Notbehelf beinhalten, müsste es stattdessen jedem erkennbaren Parteiwillen weichen. Den Parteien ist es aufgrund der Vielzahl an regelungsbedürftigen Fragen kaum möglich, in allen Fragen eine eigene Regelung zu treffen.131 Ist die Anwendung abdingbaren Rechts somit praktisch unvermeidbar, kann das Recht nicht auf einen angemessenen Interessenausgleich verzichten und einen bloßen Notbehelf vorsehen. Denn es bleibt die Gefahr, dass sich dieser mangels Parteivereinbarung durchsetzt. Die Frage ist nicht, ob die gesetzliche Regelung für sämtliche Verhältnisse angemessen ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob die mit einer bestimmten abdingbaren Norm verbundenen Risiken größer sind als die mit der Ausschluss- oder Billigkeitsnorm verbundenen. Dies hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Zu ihnen gehören die Kenntnisse der Parteien vom anwendbaren Recht und den zu regelnden Fragen, ihre Verhandlungsmöglichkeiten und die Kosten der Abbedingung. Das Notbehelfsmodell ist daher weder ein geeigneter Maßstab für das abdingbare Recht noch vermag es, dieses vollständig zu erfassen. b)  Gerechte Vertragsgestaltung Dem Notbehelfsmodell entgegengesetzt ist die Vorstellung, dass abdingbares Recht die von den Parteien offen gelassenen Fragen ausgewogen regelt.132 Kommt   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 256); 1994, 36, 39 (= BVerfGE 89, 214, 233); Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  176 ff. mwN.; zur Kritik Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 202 ff. 128   BGH, NJW-RR 2005, 394, 395, im Einzelnen unten 3.B.4.c). 129   Etwa §  1193 Abs.  2 S.  1 BGB: „Abweichende Bestimmungen sind zulässig.“ 130   Etwa die für die Befristung von Wohnungsmietverträgen erforderliche Form, §  550 S.  1 BGB; unten 5.B.5.a). 131   Siehe die Nachweise oben 1.D.1, Fn.  217. 132   BGHZ 17, 1, 3; BGH, NJW 1975, 647; 1975, 2345, 2346; 1980, 1953, 1954 (= BGHZ 77, 126, 132); 2006, 1056, 1058; NJW-RR 2002, 1136, 1137; 2005, 394, 396; Stammler, AcP 69 (1886), 1, 27, wonach der Gesetzgeber „in objectivem Interesse subsidiäre Rechtsnormen ausstellte“; Raiser, Das Recht der AGB, S.  293; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  301; Wolf, 127

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es zum Zuge, dann sorge es für eine ausgeglichene Lösung. Damit sei es kein bloßer Notbehelf, sondern stelle eine sinnvolle Gestaltung des Vertrages dar. Es gebe „die objektiv richtige Folge im Voraus“ an133 und beinhalte eine gerechte Ordnung. Umso eher erfordere auch eine Abweichung von ihr eine Begründung.134 Dieses Verständnis war zum Teil bei der Entstehung des BGB wirksam. Nach Gottlieb Planck findet sich „auf jeder Zeile des Obligationenrechts die Spur .  .  . soweit es mit der Gerechtigkeit und Billigkeit vereinbar ist, den sozial Schwachen, den wirthschaftlich Schwachen zu Hülfe zu kommen“.135 Es war danach keine neutrale Ordnung, sondern der Versuch, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Darüber hinaus prägt dieses Verständnis vor allem die Auslegung der Generalklauseln. Denn in ihrer Konkretisierung greifen die Gerichte vielfach auf das abdingbare Recht zurück.136 Das ist nur möglich, wenn man es als Konkretisierung von Treu und Glauben und damit als eine gerechte Vertragsordnung begreift. Besonders stark ist seine Rolle bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass einer Reihe abdingbarer Normen nicht nur Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde liegen und wertet daher eine Abbedingung als Indiz für einen Missbrauch.137 Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  35; Larenz, Richtiges Recht, S.  76; Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  177; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  305, 491 f.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  25; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  59 ff.; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  135; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  163; Canaris, Iustitia distributiva, S.  54: dispositives Gesetzesrecht sei „weitgehend als Versuch zu einer Konkretisierung der Gebote der iustitia distributiva“ anzusehen; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  190; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  427; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  109; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  106, auch wenn er der Kodifizierung auf S.  113 ff. „aleatorische Züge“ attestiert; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  124; Lurger, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen, Private Law and the Many Cultures of Europe, p.  177, 194; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 21; kritisch Graf, Vertrag und Vernunft, S.  335 ff.; Hesselink, 1 ERCL 44, 55 (2005); vermittelnd Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 80 („hybride Vertragstheorie“). 133   Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  58. 134   BGH, NJW 1970, 1596, 1598; 2009, 835, 836; weitere Nachweise oben 2.B.1, Fn.  110. 135   Planck, zitiert nach Mugdan, Bd.  1, S.  885. 136   BGH, NJW 1964, 1123 (= BGHZ 41, 151, 154); 2007, 3344, 3345; NJW-RR 2008, 818, 821; Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  43; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  301; Simitis, Gute Sitten und Ordre Public, S.  177; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  204. 137   BGH, NJW 1964, 1123 (= BGHZ 41, 151, 154); 1979, 212, 213 (= BGHZ 72, 222, 226); 1984, 1182 (= BGHZ 89, 206, 211); 1985, 57; 1991, 1886, 1887 (= BGHZ 114, 238, 240); 1993, 1133, 1134; 2007, 3344, 3345; NJW-RR 2004, 1206, 1207; 2008, 818, 821; ebenso Raiser, Das Recht der AGB, S.  295; Werp, Die Grenzen der Abdingbarkeit, S.  47; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  427, die dies mit dem Pareto-Kriterium identifizieren. Zur Kritik Larenz/Wolf, AT, §  43 Rn.  65, S.  788; Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  221, wonach nur eine grundlegende Veränderung verhindert werden soll; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  317; siehe auch oben 1.B.2, Fn.  147. Nach Weber, Rechtssozi-

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Gegen eine derartige Bewertung abdingbaren Rechts spricht, dass der Gesetzgeber die ideale Lösung von Interessenkonflikten ebenso wenig kennt wie die Natur der Sache.138 Aus dem Wesen eines Vertrages lassen sich keine Schlussfolgerungen ziehen.139 Allein aus der Tatsache, dass die Parteien eine bestimmte Vereinbarung getroffen haben, folgt nicht, dass zwischen ihnen weitere Pflichten bestehen, so sinnvoll diese auch immer sein mögen. Vielmehr bedarf es dafür zusätzlicher Gründe.140 Es muss deutlich werden, warum die durch eine abdingbare Norm belastete Partei eine Pflicht übernehmen soll. Der Verweis auf eine gerechte Gestaltung des Vertrages allein genügt dafür nicht, da keine Pflicht zu seinem Abschluss besteht. Dies gilt umso mehr, als Verträge auf verschiedene Weise ergänzbar sind. So haben einander im Laufe der Rechtsgeschichte verschiedene Verjährungsfristen abgelöst.141 Schon daher befremdet die Annahme, eine bestimmte kodifizierte Verjährungsfrist sei das einheitliche Ergebnis einer gerechten Vertragsgestaltung und eine Abweichung von ihr ein Missbrauch. Zu berücksichtigen sind vielmehr die unterschiedlichen Verhältnisse der Parteien. Was für sie am besten ist, hängt von den vielfältigsten variierenden Interessen und Absichten der Parteien ab.142 Unterschiedliche Käufer haben etwa verschiedene Erwartungen an die Haltbarkeit der erworbenen Sache, obwohl sich das in der Leistungsbeschreibung nicht niederschlägt. Trotz gleicher Hauptleistungen müsste eine Interessenabwägung aus diesem Grund bei unterschiedlichen Parteien zu verschiedenen Ergebnissen führen. Selbst Nebenleistungen, die zur Vertragserfüllung erforderlich sind, lassen sich nicht ohne weiteres durch abdingbare Normen vorgeben. Denn auch Dritte können sie erbringen. Wer etwa die Pflicht zum Transport eines zerbrechlichen Gutes übernimmt, verpflichtet sich damit nicht zu dessen Verpackung, selbst wenn ohne sie der Transport nicht erfolgen kann. Der Vertragspartner kann sich darum selbst kümmern oder dies Dritten überlassen. Kaum eine Pflicht ist deshalb mit Notwendigkeit der einen oder anderen Partei aufzuerlegen. Gewährleistungsfristen können ebenso wie Verjährungsnormen auf die verschiedenste Weise ausgestaltet sein. Die Annahme, dass geologie, S.  123 ging es beim abdingbaren Recht in erster Linie um Zweckmäßigkeitserwägungen. 138   von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  39 ff.; Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 256. 139   Zur Kritik am „Wesen des Wesens“: Scheuerle, AcP 163 (1963), 429, 430 ff.; Weick, NJW 1978, 11, 14; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  63; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  225; anders Flume, FS DJT, S.  135, 149 „dem ‚Wesen‘ des Rechtsgeschäft müssen .  .  . auch die Lösungen der Probleme entsprechen.“ 140   Zur Rechtfertigung aufgrund Zustimmung, die über eine Rechtfertigung durch Zustimmung hinausgeht, unten 4.C.1. 141   Siehe den Überblick bei Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd.  I, S.  77, 115 ff. 142   Zur Heterogenität der Parteiinteressen siehe den Überblick bei Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  269.

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rade die gegenwärtig gewählte Lösung von der Natur eines bestimmten Vertrages vorgegeben oder die einzig gerechte sei, erscheint deshalb als gewagt. Selbst ein rigoroser und auf den ersten Blick als unbillig erscheinender Ausschluss von Rechten und Pflichten kann seine Funktion darin haben, die Erfüllungsbereitschaft des Schuldners zu signalisieren.143 Er hat dann seinen Sinn nicht darin, einen Sachverhalt angemessen zu regeln, sondern darin, dass er gerade durch seine Unangemessenheit einen Anreiz zur Verhandlung setzt und zeigt, wie wichtig dem Schuldner die Erfüllung ist. Allein aus den versprochenen Leistungen ergeben sich daher ohne zusätzliche Annahmen keine weiteren Rechte und Pflichten. Kommt es aber auf die variierenden Gründe an, die für und gegen eine bestimmte abdingbare Norm sprechen, so ist es nicht selbstverständlich, dass diese einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Vertragspartner schafft.144 Die sie tragenden Gründe müssen im Einzelnen ausgewiesen und gerechtfertigt werden. Nicht allein deshalb, weil eine abdingbare Norm gilt, lässt sich annehmen, dass sie die Interessen der Betroffenen optimal ausgleicht oder zumindest der Gesetzgeber dies so einschätzt. Denn nicht nur kann er sein Regelungsziel verfehlen. Denkbar bleibt auch, dass seine Lösung nach eigener Einschätzung eine vorläufige oder nur eine von mehreren denkbaren ist. Selbst seiner Intention nach muss abdingbares Recht nicht die einzig gerechte Regelung einer offen gelassenen Frage beinhalten. c)  Rechtsgeschichtliche Erfahrung Um dem hohen und kaum einlösbaren Anspruch einer gerechten Vertragsordnung zu entgehen, werden abdingbare Normen vielfach als gewonnene Erfahrung der Rechtsgemeinschaft begriffen.145 Mit ihnen ist dann nicht mehr der Anspruch verbunden, die Interessenkonflikte zwischen den Parteien auf ideale Weise zu lösen. Sie sollen nur noch eine in der Rechtsgeschichte und in der Praxis bewährte Lösung beinhalten. Je stärker man allerdings die so gewachsenen 143   Zu diesem so genannten „signaling“ Hviid, 16 International Review of Law and Economics 233, 235 (1996); Posner, Economic Analysis of Law, p.  128; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  480 f.; Klein-Woolthuis/Hillebrand/Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 833. 144   BGH, NJW 1987, 3126; weitere Nachweise oben 2.B.1.b), Fn.  132, 143. 145   Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  254: „[Das Vertragsrecht] beherrscht uns mit der Autorität der herkömmlichen Erfahrung und stellt die Basis unserer Vertragsbeziehungen dar.“; Hesselink, 1 ERCL 44, 64 (2005); Knütel, AcP 175 (1975), 44, 58 zu §  554 Abs.  2 BGB a. F.; Schapp, DB 1978, 621, 624: „Frucht jahrhundertealter juristischer Kultur“; Canaris, AcP 190 (1990), 410, 449; Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 262; Kübler, Gesellschaftsrecht, S.  17 zu gesellschaftsrechtlichen „Organisationsmodellen“; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  115; Bridgeman, 33 Florida State University Law Review 683, 691 (2006); Binder, Regulierungsinstrumente, S.  178. Ablehnend Stammler, AcP 69 (1886), 1, 26 f.

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Normen als geronnene Vernunft begreift, desto enger wird die Verbindung zum Verständnis abdingbarer Normen als natürliche Rechte und Pflichten, die eine gerechte Lösung vorgeben. So bezeichnete etwa Franz Wieacker die Rezeption des römischen Obligationenrechts als Aufnahme der „aufs höchste verfeinerten schuldrechtlichen Kasuistik der klassischen Jurisprudenz mit ihren unermesslichen Reserven an zeitloser Rechtsvernunft“146 . Ähnlich wie bei Abweichungen von natürlichen Vertragspflichten erscheint eine Abbedingung in dieser Perspektive als rechtfertigungsbedürftig.147 Denn wer darf sich schon über eine über zweitausendjährige Rechtstradition148 hinwegsetzen? Abdingbares Recht als geronnene Erfahrung zu begreifen hat den Vorteil, dass man sich einerseits nicht vom Anspruch verabschiedet, einen gerechten Interessenausgleich zu schaffen, andererseits aber nicht behaupten muss, dieser sei bereits ideal. Abdingbare Normen sind danach diejenigen, die nach bisheriger Erfahrung für einen angemessenen Interessenausgleich sorgen. Bewähren sie sich nicht, werden sie korrigiert. Verzerrt eine abdingbare Norm typischerweise den Parteiwillen, so wird sie angepasst. Jedenfalls manche Änderungen des Schuldrechts lassen sich auf diese Weise verstehen. In ihrer Begründung heißt es dann etwa, die bisherigen Normen würden der Praxis nicht gerecht und in ihr regelmäßig abbedungen.149 Das geltende Recht erscheint dann als das Ergebnis gerichtlicher Entscheidungen und der sie begleitenden dogmatischen Diskussion. Sein geschichtlicher Wandel wird mit diesem Modell besser erklärbar als durch Modelle, die eine Ideallösung beanspruchen. Es erklärt sie durch Anpassung an die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umstände. Diese Perspektive passt gut zu privatrechtlichen Kodifikationsprojekten, die weite Teile des praktizierten Vertragsrechts zusammenfassen sollen und damit verdeutlichen, dass Privatrechtsgesetzgebung mehr als nur die fortschreitende Einschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingende Normen ist.150 Dabei bauen sie auf den rechtsgeschichtlichen Erfahrungen auf. Das war bei der Schaffung des BGB der Fall151 und ist auch gegenwärtig bei der Erarbeitung des Com  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  238.   So etwa Schapp, DB 1978, 621, 623 für eine Abweichung durch AGB. Weitere Nachweise oben 2.B.1, Fn.  110. 148   Schapp, aaO.; Werp, Die Grenzen der Abdingbarkeit, S.  46. 149   So etwa bei der Aufhebung des §  454 BGB a. F. (Ausschluss des Rücktrittsrechts bei Vorleistung), BT-Drucks 14/6040, S.  204; entsprechend bei der Kodifikation des AGB-Gesetzes, dazu Schapp, DB 1978, 621, sowie im Handelsrecht, Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  112 mwN. 150   Siehe aber die „Forderungen an den Gesetzgeber“ durch Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S.  131. 151   Planck, DJZ 1899, 181, 182 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  475 ff.; Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9, 10; Nachweise zur älteren Diskussion bei Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  8 0, sowie oben 2.A.3.a), Fn.  68. 146 147

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mon Frame of Reference im Europäischen Privatrecht sichtbar. Er erhebt den Anspruch, die „bestmögliche“ Lösung zu wählen.152 Interpretiert man die geltenden schuldrechtlichen Normen in diesem Sinne, erhalten sie eine besondere Dignität. Sie lässt Zweifel aufkommen, ob die Parteien von ihm abweichen dürfen.153 Allerdings lässt sich aus dem Umstand, dass eine abdingbare Norm über längere Zeit Bestand hatte, nicht der Schluss ziehen, dass sie zwischen den Parteien einen gerechten Interessenausgleich schafft. Denn Normen, die sich als Verhandlungsgrundlage bewährt haben, sind nicht unbedingt mit den Normen identisch, welche die konfligierenden Interessen optimal ausgleichen. Ihre geschichtliche Bewährung widerspricht daher nicht einer Abbedingung. Für die Vielzahl der verkauften Güter mögen sich etwa Erfahrungswerte herausbilden, innerhalb welcher Zeit die meisten Fehler auftreten. Sie sprechen dann für eine bestimmte Gewährleistungsfrist. Darauf folgt indes nicht, dass sie im Einzelfall angemessen ist. Auch die Rechtsprechung kennt Fälle, in denen das abdingbare Recht „den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr gerecht“ wird und einer ergänzenden Auslegung weichen muss.154 Beabsichtigen die Parteien etwa eine langfristige Bindung und wollen durch großzügige Gewährleistungsfristen ihre Erfüllungsbereitschaft unterstreichen, so müssen sie deshalb die gesetzlichen Gewährleistungsnormen abbedingen, so stark diese auch auf geschichtlicher Erfahrung beruhen. Die Privatrechtsgeschichte erhält einen einseitigen Charakter, wenn man sie nur als Geschichte der geltenden Normen versteht und nicht gleichzeitig als Geschichte der Vereinbarungen, mit denen die Parteien von ihnen abweichen. Die Gerichte sind nicht erst angesichts der modernen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse herausgefordert, die Grenze zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht zu bestimmen. Wenn sich keine zwingende Norm durchsetzt, so deutet dies darauf hin, dass die Abbedingungsmöglichkeit zentral bleibt. Unter den traditionell frei gestaltbaren Gewährleistungsfristen etwa konnte sich keine für alle Verhältnisse passende Norm durchsetzen. Erst in jüngerer Zeit wurde ihre Abdingbarkeit zugunsten des Verbraucherschutzes eingeschränkt.155

152   Kommission der EG, Ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht, Ein Aktionsplan, KOM(2003)68 endg, S.  19 Nr.  62; ähnlich Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM(2004)651 endg, S.  12; zustimmend von Bar/Swann, 11 European Review of Private Law 595, 603 (2003); zur Kritik Legrand, 60 Modern Law Review 44 (1997); Möslein, Legal Innovation in European Contract Law, p.  7 mwN. 153   Sack, WRP 1985, 1, 5, der einen „sachlich gerechtfertigten Grund für die Abweichung von Wertvorstellungen [verlangt], die in dispositivem Gesetzesrecht zum Ausdruck gekommen sind“; oben 2.B.1.b), Fn.  134 sowie unten 3.B.3. 154   BGH, NJW 1979, 1705, 1706; weitere Nachweise oben 2.A.1.b), Fn.  23. Zum Ganzen auch unten 4.D.3. 155   §§  438, 475 BGB.

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Dass sich eine abdingbare Norm durchgesetzt hat, zeigt daher nicht, dass sie optimal ist und den Parteien vorgegeben werden sollte. Dafür bedarf es vielmehr im Einzelnen nachzuweisender Gründe. So wie bei den anderen Modellen kommt es auf die das abdingbare Recht tragenden Gründe an. Sie müssen belegen, dass die abdingbaren Normen einen geeigneten Hintergrund für die Verhandlungen der Parteien bilden und auch im Falle fehlender Abbedingung den Parteiwillen nicht zu stark verzerren. Die Rechtsgeschichte kann dafür allenfalls Indizien liefern. d)  Leitbild des Gesetzgebers Lassen sich abdingbare Normen weder als Ausdruck natürlicher Rechte und Pflichten noch als geronnene Vernunft begreifen, so bleibt die Möglichkeit, sie zumindest als Leitbild des Gesetzgebers und der Rechtsordnung zu verstehen.156 Damit verbinden sich zwei Vorstellungen: Erstens geht es um das für den Gesetzgeber selbst maßgebliche Leitbild. Es muss weder das ideale noch das bewährte Recht beinhalten, sondern charakterisiert die Ideen, für die er sich entschieden hat. Gegenüber der Vorstellung idealer oder natürlicher Vertragspflichten hat diese Beschränkung mehrere Vorteile. Das Modell muss nicht behaupten, dass es die gerechtesten oder die in der Natur der Sache liegenden Normen enthalte, auch wenn dies häufig zusätzlich angeführt wird157. Eine Reihe schwer begründbarer moralischer, empirischer und ökonomischer Annahmen kann daher offen bleiben. Je skeptischer man ihnen gegenüber ist, desto näher liegt es, sie der Entscheidung des Gesetzgebers zu überlassen und ihm eine „objektive Wertentscheidung“158 zu unter156   Dernburg, Pandekten, Bd.  1, S.  70: „was der Gesetzgeber für das dem Verhältnis Entsprechende und dem öffentlichen Nutzen Förderliche hält“; Endemann, BR, Bd.  1, S.  41; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  100, S.  69, §  43 Rn.  62, S.  787; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  166; Werp, Die Grenzen der Abdingbarkeit, S.  47; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  555; zur Entwicklung der Vorstellung siehe Staudinger2005-Oechsler, Eckpfeiler des Zivilrechts, S.  499 ff. Siehe auch Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 208 (2005). Beispiele: BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 294) sowie NJW 2007, 2098, 2100 (= BVerfGE 118, 1, 18) zu gesetzlichen Gebührenordnungen; BGH, NJW 1984, 2160 (= BGHZ 91, 316, 320) zum Verbot, in AGB die Vergütung von Fahrtzeiten vorzusehen; 1987, 1931, 1933 f. (= BGHZ 100, 157, 163 ff.) zur Zug-um-Zug-Lieferung; 2007, 2325, 2327 zu §  9 Abs.  4 ErbbauRG; 2009, 2051, 2052 für Nebenpflichten im Bankvertrag; generell BGH, NJW-RR 2005, 394, 396. Kritisch Weick, NJW 1978, 11, 13; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  307. Verwandt ist damit die Vorstellung der Leitideen der Verfassung, BVerfG, NJW 1953, 1137, 1138 (= BVerfGE 2, 380, 403); 1957, 417, 419 (= BVerfGE 6, 55, 81); 1997, 929, 930 (= BVerfGE 95, 96, 130). 157   Etwa BGH, NJW-RR 2005, 394, 396: „Bei der Prüfung der Frage, inwieweit Regelungen des dispositiven Rechts Leitbildfunktion beanspruchen, ist zunächst davon auszugehen, dass gesetzliche Regelungen grundsätzlich auf einen angemessenen Interessenausgleich der Vertragsparteien ausgerichtet sind.“ 158   Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  45 [Hervorhebung hinzugefügt].

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stellen. Das ist „objektiver“ als ein purer auf die Entscheidung des Gesetzgebers verweisender Dezisionismus, jedoch „subjektiver“ als ein uneingeschränkter Verweis auf eine objektive Wertordnung. Aus diesem Grund ist das Leitbildmodell stärker als die bisher vorgestellten Modelle am demokratischen Gesetzgeber orientiert.159 Es versucht, dessen Entscheidung ernst zu nehmen und auf andere Bereiche zu übertragen. Das ist vor allem dann von Vorteil, wenn es weniger auf den Inhalt des abdingbaren Rechts ankommt als vielmehr darauf, dass sich der Rechtsverkehr auf eine einheitliche Regel einstellt. In dieser Koordinationsfunktion abdingbaren Rechts liegt die zweite mit dem Leitbildmodell verbundene Vorstellung. Bei ihr geht es nicht um das für den Gesetzgeber selbst, sondern um das für den Rechtsverkehr maßgebliche Leitbild. Auch wenn dieser in Einzelheiten von den abdingbaren Vorgaben abweichen kann, besteht die Erwartung, dass er ihnen insgesamt folgt. Das Leitbild soll den Rechtsverkehr prägen. Davon ging der Gesetzgeber etwa bei der Schuldrechtsreform aus, als er den neuen Verjährungsfristen eine „Ordnungsund Leitbildfunktion“ zusprach.160 Das lässt anders als die Vorstellung eines idealen oder gerechten Vertrages offen, ob es andere, mindestens ebenso gute Lösungen gibt. Denn nur die bestehende ist vom Gesetzgeber gewählt. Stellen sich alle Parteien auf sie ein, treten in ihrer Anwendung Synergieeffekte auf, weil die geltenden Normen allen bekannt sind und dogmatisch stärker durchdrungen werden als sonstige vereinbarte Klauseln, die nicht als allgemeiner Orientierungsmaßstab dienen können. Aufgrund dieser Koordinationsfunktion setzen sich gesetzliche Normen vielfach selbst dann durch, wenn die Einzelnen von ihnen abweichen dürfen. In spieltheoretischer Terminologie kann man von einem so genannten Nash-Gleichgewicht sprechen, bei dem kein Beteiligter durch ein einseitiges Abweichen von einer Vorgabe gewinnt.161 Das schließt die Existenz anderer Gleichgewichte nicht aus. Solange sich aber die Praxis an der gesetzlichen Vorgabe orientiert, ist eine Abbedingung von Nachteil. Aufgrund der Autorität des Gesetzgebers wird eine Abweichung von abdingbaren Normen bisweilen als legitimationsbedürftig empfunden.162 Zwar genügt dafür in der Regel die freie nicht weiter begründungsbedürftige Entscheidung   Hesselink, 1 ERCL 44, 63 (2005); von Westphalen, NJW 2009, 2977, 2982; ders., NJW 2010, 2254, 2262. 160   Regierungsentwurf zur Schuldrechtsreform vom 4.  8.  2000, S.  293; entsprechend die Pflicht zur Erhaltung der Mietsache, BT-Drucks 14/4553, S.  40; ferner BVerfG, NJW 2007, 2098, 2098 f. (= BVerfGE 118, 1, 19), das den gesetzlichen Anwaltsgebühren eine Leitbildfunktion zuspricht. 161   Nash, Non-cooperative Games, p.  5 ; Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 800 (1995) spricht insoweit von „focal points“; siehe zu entsprechenden Netzwerkeffekten oben 2.A.1.b), Fn.  33. 162   Etwa BGH, NJW 2009, 835, 836; Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 278, die von einem „Aufgreiftatbestand“ dispositiven Rechts spricht, der im Falle einer Abweichung eine Kontrolle eröffne, siehe bereits oben 2.B, Fn.  110. 159

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der Parteien. Jedoch versagt sie, wenn weitere Gründe gegen die Zulässigkeit einer Abbedingung hinzutreten. Im Zusammenspiel mit ihnen trägt der Umstand einer Abweichung vom gesetzgeberischen Leitbild dann zur Unwirksamkeit einer Klausel bei.163 Hinter der Beschreibung abdingbarer Normen als Leitbild steht häufig die Skepsis gegenüber einer Vertragspraxis, welche die gesetzlichen Normen systematisch abbedingt. Auch negativ spielt die Frage, ob eine Norm ein Leitbild enthält, eine Rolle, nämlich wenn es darum geht, den abdingbaren Status einer Norm zu begründen. Dann genügt es dem BGH bisweilen, auf den fehlenden Leitbildcharakter einer Norm zu verweisen.164 Das Verständnis abdingbarer Normen als Leitbild hat zur Folge, dass man die Hürden für einen Vertragsschluss niedrig halten kann.165 Denn der Vertragsinhalt genügt aufgrund der Anwendung dieser Normen dann auch ohne weitere Verhandlung minimalen Standards. Fehlen hingegen derartige Leitbilder, tragen die Parteien eine größere Verantwortung bei der Gestaltung ihrer Verträge. Das legt nahe, höhere Hürden für einen Vertragsschluss aufzustellen und etwa zu verlangen, dass die Parteien alle wesentlichen Fragen bedenken und verhandeln.166 Daher ist es kein Zufall, dass das Common Law mit dem Erfordernis einer Gegenleistung („consideration“) 167 eine zunächst kaum verständliche Hürde für einen Vertragsschluss aufstellt, damit aber zugleich den Mangel an dogmatisierten Regeln für die Vertragsdurchführung ausgleicht.168 Nach ihm liegt es in stärkerem Maße an den Parteien, den Inhalt des Vertrages festzulegen. Dies wird durch das Erfordernis einer Gegenleistung zu einem gewissen Grad garantiert. Dieser Zusammenhang zwischen der Maßgeblichkeit von Leitbildern und den Anforderungen an einen Vertrag zeigt sich des Weiteren daran, dass das Common Law in stärkerem Maße als das deutsche Recht Verträge für unwirksam erklärt, die wesentliche Fragen offen lassen.169 163   So insbesondere bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, BT-Drucks 14/6040, S.  149; BGH, NJW 1987, 1931, 1933 f. (= BGHZ 100, 157, 163 ff.) zur Zug-um-ZugLieferung bei Reiseverträgen. 164   Etwa BGH, NJW 1980, 1953, 1954 (= BGHZ 77, 126, 132) zu §  651h BGB; 1991, 1751 zu §  568 a. F. BGB (entspricht §  545 S.  1 BGB); zur Kritik Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  82 ff. 165   Zu den Möglichkeiten eines konkludenten Vertragsschlusses siehe BGH, NJW 1992, 171, 172 (= BGHZ 115, 311, 314); 2003, 3131; 2005, 2620, 2621; NJW-RR 2004, 928; MünchKommBGB5-Kramer, §  145 Rn.  3; Staudinger2003-Bork, §  145 Rn.  16. 166   Oben 2.B.1, Fn.  105. 167   Restatement (second) of Contracts, §  17(1) (1981). 168   Entsprechendes gilt für die Auflösung dieses Erfordernisses, Gilmore, The Death of Contract, p.  53, der vom Zusammenbruch der „consideration theory“ spricht und dazu bemerkt: „a free and easy approach to the problem of contract formation goes hand in hand with a free and easy approach to contract dissolution and excuse“. 169   Siehe Baer v. Chase, 392 F.3d 609, 618–621 C.A.3 (N. J.), 2004, wo ein Dienstvertrag mangels Bestimmung des Lohns als unwirksam bewertet wurde, was §  612 Abs.  2 BGB verhindern würde; Lord, in: Williston on Contracts4, §  4 :21; klassisch Varney v. Ditmars, 217

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Ebenso wie beim Verständnis des Vertragsrechts als gerechte oder geschichtlich bewährte Ordnung steht das Leitbildmodell in der Gefahr, die Abdingbarkeit seiner Normen zu vernachlässigen und ihnen mit Verweis auf das aus ihnen abgeleitete Leitbild eine zwingende Wirkung zuzusprechen. Zum abdingbaren Recht gehören jedoch nicht nur die primären als Leitbild verstandenen Sachnormen, sondern auch die ihre Abbedingung ermöglichenden Sekundärnormen.170 An ihnen kann man sich ebenso orientieren. Bei einer Abbedingung geht es somit nicht um die Frage, ob man vom Leitbild abweichen darf, sondern um die Frage, welches Leitbild sich durchsetzt. Das kann sowohl die in der Primärnorm formulierte Vorgabe sein als auch ihre in der Sekundärnorm enthaltene Abdingbarkeit. Die Spannung zwischen der privatautonomen Absprache und dem Wertungsgehalt der abbedungenen Normen ist deshalb bereits im Gesetz angelegt. Um sie zugunsten der Primärnorm aufzulösen, bedarf es zusätzlicher Gründe, die sich ihr nicht entnehmen lassen. Dient das Leitbildmodell damit vielfach der Transformation abdingbarer Normen in zwingendes Recht und der Einschränkung der Vertragsfreiheit, so wird mit ihm umgekehrt bisweilen auch die Disposition über gesetzliche Vorgaben begründet. Unterstellt man nämlich den abdingbaren Normen ein hinter ihnen stehendes Leitbild, so kann die Abweichung von diesem einen Grund darstellen, die Anwendbarkeit seiner Normen in Frage zu stellen. Es käme dann nicht auf einen Abbedingungsakt an. So meint etwa Westermann, bei der Anwendung des abdingbaren Gesetzesrechts sei „von Fall zu Fall zu prüfen, ob die konkrete Situation in diesem Punkte dem Leitbild entspricht, das den Gesetzgeber zu der jeweiligen Ergänzung bewogen hat“.171 Wenn das nicht der Fall sei, müsse man die gesetzlichen Normen nicht anwenden. Statt auf eine Subsumtion unter die jeweilige Norm käme es auf die Entscheidung an, ob ein Vertrag einem bestimmten Leitbild entspricht. Eine Abweichung vom Leitbild würde auf diese Weise einer abdingbaren Norm auch ohne Abbedingungsakt den Anwendungsbereich entziehen. Das verkennt indes, dass abdingbare Normen schon wegen des Vorrangs des Gesetzes solange zur Anwendung kommen müssen, wie sie nicht abbedungen werden.172 Stellt man sie unter den Vorbehalt von Leitbildern, löst man sie in Billigkeitsnormen auf. Ein Leitbildmodell ist als allgemeines Modell abdingbaren Rechts daher weder zu seiner Beschreibung noch zu seiner Legitimation geeignet. Gleichwohl kann man die hinter den einzelnen abdingbaren Normen stehenden Gründe häufig auf wenige Grundgedanken oder einen idealisierten Vertrag zurückführen. Insofern kann die Beschreibung eines Leitbilds das Verständnis gesetzN. Y. 223, 228 (1916); ferner Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1648 (2003); Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1665 (2006). 170   Oben 1.A.1.d). 171   Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  49. 172   Oben 1.A.1.c), sowie unten 4.D.3.

B.  Die Vorgabe der Rechtsordnung

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licher Normen erleichtern. Maßgeblich aber bleiben dann letztlich die hinter den Normen stehenden Gründe. Sie sind offen zu legen, zu begründen und zu diskutieren. Ihnen hat der Gesetzgeber schließlich keinen Vorrang vor einer gegenteiligen Entscheidung der Parteien zugesprochen. Aus Leitbildern kann und sollte man ebenso wenig judizieren wie aus sonstigen Bildern.173

2.  Probleme des Vorgabemodells Die Vorgabemodelle stoßen auf eine Reihe unterschiedlicher Schwierigkeiten. Zu ihrer Verdeutlichung ist es sinnvoll, sie gemeinsam zu betrachten. Dabei ist vor allem interessant, ob diese notwendig mit dem Vorgabemodell verbunden sind oder nur einer seiner Ausgestaltungen anhaften. a)  Die unvollständige Erfassung des geltenden Rechts Die Interpretation abdingbaren Rechts als Notbehelf oder Leitbild lässt sich, wie wir gesehen haben, für einige der geltenden Normen belegen.174 Da sie einander ausschließen, zeigt dies zugleich, dass es zu diesen Interpretationen auch Gegenbeispiele gibt. Sie erfassen das geltende abdingbare Recht nur unvollständig. Gleiches gilt für die anderen Vorgabemodelle. Um etwa festzustellen, ob das geltende Recht mit dem Modell gerechter Vertragsgestaltung vereinbar ist, müsste man wissen, was in der Natur des Vertrages liegt oder aus anderen Gründen als gerechteste Lösung anzusehen ist. Bereits dies ist außerordentlich umstritten und kaum feststellbar. Es leuchtet etwa nicht ein, dass es stets nur eine gerechte oder in der Natur der Sache liegende Lösung geben soll und nicht eine Pluralität denkbarer Lösungen, die nach den jeweiligen Parteiinteressen angemessen sind. Immerhin existieren Normen, die wie die Verjährungsvorschriften vielfach geändert wurden, so dass zumindest nicht alle ihrer Ausprägungen als gerechte Vertragsgestaltung erscheinen. Daher lässt sich die Behauptung, die geltenden Normen enthielten eine gerechte Vertragsordnung, nicht ohne weiteres belegen. Sie beruht auf kontingenten Gründen und nicht auf einer notwendigen Eigenart abdingbaren Rechts. Gleiches gilt für die These, abdingbare Normen verkörperten die gewonnene Erfahrung der Rechtsgeschichte. Einige Normen mögen zwar durch Erfahrung bewährt sein, da sie vor ihrer Kodifikation bereits als Gerichtspraxis etabliert waren.175 Jedoch gilt dies nicht für alle Normen. In neuen Gebieten kann sich der Gesetzgeber kaum auf eine Erfahrung stützen. Sie fehlte etwa bei der Ein173   Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S.  175. Zumindest bedarf es einer Rationalisierung, wie sie Volkmann, in: Krüper/Merten/Morlok, An den Grenzen der Rechtsdogmatik, S.  77, 87 vorschlägt. 174   Oben 2.B.1.d). 175   Etwa die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, §  313 BGB, siehe BT-Drucks 14/6040, S.  174.

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

führung der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, die sich an die Reformvorschläge der Lando-Kommission anlehnte und nicht in Reaktion auf eine vertragliche oder gerichtliche Praxis aufgestellt wurde.176 Eine über lange Zeit vorgegebene abdingbare Norm muss sich zudem nicht bewährt haben. Denn zu der gewonnenen Erfahrung gehört dann auch, dass sie über lange Zeit hinweg abdingbar war. Vor allem aber fehlt die Erfahrung, welche Wirkung eine alternative Norm gehabt hätte. Keines der Vorgabemodelle vermag somit, das geltende Vertragsrecht vollständig zu erfassen. b)  Die Gefahr des Vertragsessentialismus Ein zweites Problem der Vorgabemodelle besteht in ihrem bald offenen, bald verdeckten Essentialismus. Darunter ist die an Aristoteles angelehnte Annahme177 zu verstehen, einem Vertragstyp liege ein feststehendes Wesen zugrunde, aus dem sich die einzelnen Rechte und Pflichten ergäben. Diese werden daher vielfach als die einem bestimmten Vertragstyp zukommenden natürlichen Rechte und Pflichten aufgefasst. Diese Vorstellung ist auch noch in der Interpretation abdingbaren Rechts als rechtsgeschichtliche Erfahrung oder gesetzgeberisches Leitbild spürbar. Denn sie suggerieren, es gebe eine einheitliche für sämtliche Vertragsverhältnisse geltende ideale Lösung. Das Problem derartiger Annahmen besteht darin, dass weder eine Methode feststeht, um ein solches Wesen eines Vertrages festzustellen, noch bereits im Ansatz plausibel ist, dass es ein derartiges Wesen überhaupt gibt.178 Oftmals ist die vorgegebene Lösung nur eine von mehreren denkbaren. Etwa sind je nach Kontext unterschiedlich lange Gewährleistungsfristen sinnvoll, welche zum Charakter eines kurzfristigen oder langfristigen Vertrages beitragen. Man hat es nicht mit einer einzigen idealen Lösung zu tun, sondern mit einer Pluralität an denkbaren Vorgaben. Sollen die Parteien frei sein, ihre Absprachen nach eigenen Vorstellungen zu treffen, kann man sie kaum an einem verbindlichen Leitbild festhalten. Die Behauptung, dass die durch die Parteien nicht geregelten Fragen eines Vertrages nur auf eine Weise lösbar sind, wird zudem zweifelhaft, wenn man den Zusammenhang ihrer Absprachen mit dem Preis betrachtet. Was auch immer als wesentlich oder angemessen gilt, kann sich durch den Preis verändern. Er vermag, eine nachteilige Absprache auszugleichen. Daher ist eine Fülle von Abreden mit den auf einem bestimmten Vertragstyp beruhenden Vorstellungen vereinbar. Ob ein Verkäufer etwa ein Auto mit einer zwei- oder dreijährigen   BT-Drucks 14/6040, S.  91, 96.   Aristoteles, Topik, I, 5, 102 a u. b, was sich allerdings nicht auf den Vertrag bezieht; ferner DiMatteo, 60 University of Pittsburgh Law Review 839, 858–859 (1999). Dazu bereits oben 2.B.1.b), Fn.  144. 178   Zur generellen Kritik an der Wesensvorstellung Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.  2, S.  15 ff.; Scheuerle, AcP 163 (1963), 429, 460 ff.; oben 2.B.1.b), Fn.  144. 176

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Garantiezeit veräußert, ist für ihn kaum entscheidend, solange davon weder der Umsatz noch der Gewinn abhängen. Ähnliches dürfte für einen Händler gelten, der aufgrund der hohen Zahl der von ihm erworbenen Autos nur darauf Wert legt, dass sie sich im Durchschnitt rentieren. Solange der Preis die Länge der Gewährleistung angemessen berücksichtigt, bleiben die Parteiinteressen unverzerrt. Die Möglichkeit, die Nachteile einer Regelung durch eine andere Absprache auszugleichen, zeigt damit, dass man jedenfalls nicht unabhängig vom Preis von natürlichen Rechten oder Pflichten ausgehen kann. Ein weiteres Problem des Vertragsessentialismus besteht darin, dass er ein Merkmal eines Vertrages ohne sichtbaren Grund vor anderen Merkmalen heraushebt und für prägend erklärt. Indes lassen sich unterschiedliche Eigenschaften eines Vertrages als zentral ansehen,179 so dass es eines Kriteriums bedürfte, um wesentliche von unwesentlichen Eigenschaften zu unterscheiden. Dieses ist jedoch nicht ersichtlich. Die Heraushebung einiger wesentlicher Merkmale gegenüber anderen erschwert zudem die Entwicklung neuer Vertragstypen. Diese werden eher durch punktuelle Änderungen bereits bekannter Verträge gebildet, als dass die Parteien vollständig neue Rechte und Pflichten vorsehen. Entsprechend problematisch wäre es, wenn man derartige Entwicklungen verhindert, indem man für bestimmte Verträge von vornherein nur eine oder mehrere Klauseln als zentral ansieht und Änderungen in den übrigen übergeht. So kennzeichnet etwa das Leasing, dass der Leasingnehmer anders als beim Mietvertrag die Gefahr für den Untergang und die Beschädigung der Sache trägt.180 Die Anerkennung des Leasings war nur möglich, indem man die mietrechtlichen Gewährleistungsrechte für nicht wesentlich und verzichtbar hielt. Auch Franchisingverträge, die eine Vielfalt unterschiedlicher Vertragselemente bündeln, lassen sich mit der überkommenen Vertragstypologie zwar nur schwer erfassen,181 bauen aber auf bekannten Elementen auf. So wichtig die Systematisierung des Vertragsrechts mittels der zentralen Merkmale eines Vertrages daher ist, so wichtig ist es zugleich, die Entwicklung neuer Vertragstypen nicht durch essentialistische Annahmen über ein Wesen, ein Leitbild oder eine ähnlich unverrückbare Vorgabe zu erschweren. Sobald man aus einem Vertrag mit angeblicher Notwendigkeit essentialistische Annahmen über einzelne Rechte und Pflichten ableitet, erscheinen diese ohne Alternative und wird die Notwendigkeit zu ihrer Rechtfertigung verdeckt. 179   BGH, NJW-RR 2005, 394, 396: „Allerdings stellen sie [die abdingbaren Normen] zumeist nicht den einzig denkbaren Interessenausgleich dar, sondern nur eine von mehreren vertretbaren Ausgleichsmöglichkeiten.“; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  230; Staudinger2004-Stoffels, Leasing Rn.  124. 180   BGH, NJW 1977, 195, 196; 1977, 848, 849 (= BGHZ 68, 118, 123); 1985, 1544, 1545; BeckOK-BGB20 -Ehlert, §  535 Rn.  47; Palandt70 -Weidenkaff, vor §  535 Rn.  37, 53; Staudinger2004-Stoffels, Leasingrecht, Rn.  76, 82. 181   Zu diesen Problemen ErfurtKomm9-Preis, §  611 BGB Rn.  30; MünchKommBGB5Harke, §  581 Rn.  19 f.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  180 ff. mwN.

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

Denn dann gibt es für eine offen gelassene Frage vermeintlich nur eine richtige Lösung, die sich aus dem Vertrag ergeben soll. Das verdeckt die mit ihr verbundenen Wertungen. Sie haben sich in einer Abwägung mit anderen Gründen zu bewähren und notfalls zurückzutreten. Dafür ist ein Bezug auf den die Norm tragenden Zweck182 und den mit ihm verbundenen Gründen unentbehrlich. Ihre Gewichtung ist nicht mit dem abdingbaren Recht vorgegeben. c)  Die Unbestimmtheit der maßgeblichen Gründe Der eben geschilderte Essentialismus des Vorgabemodells baut nicht nur auf unbegründeten metaphysischen Annahmen über das Wesen eines Vertrages auf. Er lässt auch die Gründe offen, auf denen abdingbare Normen letztlich beruhen. Das betrifft alle geschilderten Vorgabemodelle. So wäre im Falle des Notbehelfsmodells nachzuweisen, dass die einzelnen Normen nur ein Notbehelf sind und nicht eine vom Gesetzgeber als angemessen eingeschätzte Regelung. Ohne eine rechtsethische Bewertung der jeweiligen Normen ist das nicht möglich. Sie aber beruht auf Gründen, die mit der Einordnung einer Norm als Notbehelf nicht feststehen. Ebenso hätte das Erfahrungsmodell zu widerlegen, dass andere Normen als die geltenden in gleicher Weise einsetzbar wären. Auch dies setzt eine weitreichende Begründung voraus, die das Modell nicht liefert. Ebenso wenig bestimmt das Modell der gerechten Vertragsgestaltung die Gründe, aus denen eine Norm als gerecht eingestuft wird. Dafür bedarf es einer Reihe von Annahmen darüber, was die Parteien typischerweise erwarten und bezwecken. Sie sind offen zu legen und zu begründen. Da zumindest die Vorstellung einer bestimmten Vertragsnatur die dafür maßgeblichen Gründe nicht begrenzt, lässt sich eine Fülle einander widersprechender Rechte und Pflichten mit ihr vereinbaren. Nicht einmal abstrakt steht fest, woran die Gestaltung abdingbaren Rechts auszurichten ist. Die effizienteste, gerechteste oder typischerweise angestrebte Lösung kann man dazu ebenso zählen wie diejenige, welche die geringsten Kosten verursacht oder die Parteien am wenigsten überrascht. Ähnlich wie beim Willensmodell werden damit unabhängig von ihm bestehende Gründe maßgeblich. Das Modell der gerechten Vertragsgestaltung ist deshalb zwar nicht falsch, aber ohne weitere Konkretisierung zu unbestimmt. Das gilt auch für das Leitbildmodell. Soll es das geltende Recht nicht nur erfassen, sondern ihm als Maßstab dienen, müsste es die rechtsethische Legitimation des jeweiligen Leitbildes nachweisen. Dafür allerdings hätte es die einzelnen, seine Normen tragenden Gründe anzugeben. Das gilt umso mehr, als oftmals verschiedene Leitbilder dieselben Normen rechtfertigen. Schließlich bliebe darzulegen, wie detailliert das Leitbild sein soll. Das eben bereits erwähnte Lea182   Zur Maßgeblichkeit dieser Zwecke Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  23, 56; von Jhering, Der Zweck im Recht, S.  54 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  91 ff.; von der Pfordten, JZ 2008, 641, 648.

B.  Die Vorgabe der Rechtsordnung

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sing etwa bedient sich weitgehend der mietrechtlichen Normen183 und ließe sich dann als eine Unterart der Miete verstehen. Man könnte es aber bei schärferer Betrachtung auch als eigene Vertragsart ansehen oder es im Gegenteil noch in einzelne Unterarten wie das Finanzierungs- und das Operatingleasing unterteilen. Erneut bedarf es weiterer Gründe, um unter der Vielzahl der bestehenden Leitbilder eines als maßgeblich auszuzeichnen.

3.  Zwischenergebnis Abdingbare Normen lassen sich als Vorgabe der Rechtsordnung verstehen, auf die sich die Parteien einstellen müssen. Verschiedene Modelle versuchen, diese Vorgabe zu konkretisieren. Das gilt insbesondere für ihr Verständnis als Notbehelf für Vertragslücken, als natürliche Vertragspflichten, als geronnene Erfahrung oder als Leitbild des Gesetzgebers. Im geltenden Recht lassen sich für jedes einzelne Modell zwar Normen finden, die mit ihm vereinbar sind. Jedoch lässt sich keines verallgemeinern. Zur Erfassung des geltenden Rechts sind sie daher nur begrenzt geeignet. Auch als rechtsethischer Maßstab können sie kaum dienen. Sie lassen sowohl die Ziele offen, die das abdingbare Recht verfolgt, als auch die Gründe, auf denen es letztlich beruht. Gleichwohl sollte man die Wirkung dieser Modelle nicht unterschätzen. Denn aus ihnen werden faktisch Argumente abgeleitet, die Vorstellungen und Entscheidungen prägen. So berufen sich die Gerichte zur Einschränkung der als nachteilig empfundenen abdingbaren Normen bisweilen auf das Notbehelfsmodell,184 während sie sich zur Einschränkung der Parteiabsprachen auf das Leitbildmodell beziehen185 . Das zeigt, dass es genauerer Kriterien für die Frage bedarf, wann man ein bestimmtes Modell zugrunde legen darf und was dieses im Einzelnen besagt. Anderenfalls entsteht die Gefahr einer Scheinlegitimation, da man ein Modell dann heranzieht, wenn es zum angestrebten Ergebnis passt, es in den anderen Fällen aber übergeht.

183   BGH, NJW 1977, 195, 196 sowie oben 2.B.2.b), Fn.  180; kritisch Canaris, AcP 190 (1990), 410, 448 „eigenständiges ungeschriebenes Leitbild“; kritisch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  307. 184   Oben 2.B.1.a). 185   Oben 2.B.1.d).

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

C.  Die Nutzenmaximierung 1.  Das Modell der Nutzenmaximierung Das Nutzenmodell betrachtet abdingbares Recht als Mittel zur Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz.186 Es begreift dieses als „verlängerten Arm des Marktes“.187 Auf einer deskriptiven Ebene versucht es zu zeigen, dass dispositive Normen eine effiziente Verteilung von Gütern fördern. Auf einer normativen Ebene behauptet es, dass sie entsprechend zu gestalten seien.188 Dabei nimmt es meist stillschweigend an, dass der Nutzen einer Handlung auf ihren Folgen beruht und sich durch den Wohlstand aller Betroffenen ausdrücken lässt oder ihm zumindest nahe kommt189. Die Maximierung kann sowohl an den Vertragsinhalt (a) als auch an die Vertragsverhandlung (b) anknüpfen. a)  Nutzenmaximierung durch den Vertragsinhalt Soll abdingbares Recht den Nutzen der Beteiligten maximieren, so liegt es zunächst nahe, die substantiell effizientesten Regeln zugrunde zu legen.190 Deren Anwendung soll zu optimalen Ergebnissen führen. Abdingbares Vertragsrecht enthielte danach die in einem perfekten Markt vereinbarten Normen („market mimicking“).191 Bei ihnen wäre der Vertragswert – von externen Kosten für Dritte abgesehen – am höchsten. Dieser ergibt sich aus der Summe der nach Wahrscheinlichkeit gewichteten Nutzenerwartungen der Parteien. Maßgeblich würden damit in aller Regel die Normen, welche die Mehrheit der Parteien bevorzugt („majoritarian defaults“).192 186   Stellvertretend Posner, Economic Analysis of Law, pp.  93; Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, pp.  3, 68; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87 (1989); Craswell, 88 Michigan Law Review 489 (1989); Johnston, 100 Yale Law Journal 615 (1990); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  426 ff.; Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 48 ff. 187   Schäfer/Ott, aaO., S.  113. 188   Meist wird zwischen „positive“ and „normative economic analysis“ unterschieden, etwa Posner, Economic Analysis of Law, p.  24; Hadfield, in: Richardson/Hadfield, The Second Wave of Law and Economics, p.  50, 57. 189   Zur Diskussion einerseits Posner, Economic Analysis of Law, pp.  10; andererseits Coleman, Market, Morals, and the Law, pp.  111; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  170 ff., 181 ff. 190   Die Unterscheidung zwischen formell und substantiell optimalen Normen entspricht weitgehend der Unterscheidung zwischen „market facilitating approach“ und „market mimicking approach“, dazu etwa Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1256 (2003); ders., 83 Cornell Law Review 608, 668 (1998); zur weiteren Diskussion Hermalin/ Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, p.  3, 87–88. 191   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 669 (1998); Hatzis, in: Grundmann/Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, pp.  159, 164; Eidenmüller, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S.  13, 24. 192   Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 569 (2003); zur weiteren Diskussion Herma-

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Aus diesen Annahmen folgt eine Reihe konkreterer Grundsätze. Risiken habe etwa derjenige zu tragen, der sie am besten versichern kann („cheapest insurer“) 193 . Die Partei, die eine Pflicht am kostengünstigsten erfüllen könne, habe sie zu übernehmen, da sie dafür über den Preis entschädigt werde. Bei jeder von den Parteien nicht geregelten Frage sei demnach zu prüfen, welche Verteilung von Rechten und Pflichten den Nutzen aller Betroffenen am meisten steigert. Das entspreche zugleich dem hypothetischen Willen der Parteien, da sie von diesem Nutzen profitierten.194 Obwohl eine Norm zunächst nur einer Vertragsseite dient, könne die andere ihr zustimmen, da der durch sie entstehende Mehrwert zwischen ihnen aufgeteilt werde.195 Auf die Zustimmung kommt es nach dem Nutzenmodell aber nicht an. Maßgeblich ist die Effizienz der dadurch geregelten Verträge. Individuelle Härten in einzelnen Verträgen sind mit dem Nutzenmodell vereinbar. Denn die Anwendung abdingbarer Normen mag zwar im Einzelfall zu einem Verstoß gegen die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen oder zu einer Fehlverteilung von Gütern führen, indem etwa einer Person Risiken zugewiesen werden, die sie weder kennt noch kennen kann. Jedoch genügt es, dass abdingbare Normen insgesamt den Nutzen der von ihnen Betroffenen steigern. Insofern unterscheidet das Nutzenmodell nicht zwischen abdingbarem und zwingendem Recht. Auch bei Letzterem käme es auf eine Nutzenmaximierung an. Dass eine Norm abdingbar ist, kann es jedoch dadurch erklären, dass dann die Wahrscheinlichkeit einer nutzenmaximierenden Verteilung von Rechten und Pflichten größer ist als bei einer zwingenden Vorgabe. Widerspreche sie den Interessen der Parteien, verbleibe diesen die Möglichkeit zu einer abweichenden Absprache. b)  Nutzenmaximierung durch die Vertragsverhandlungen Abdingbare Normen tragen auch über ihren Einfluss auf die Vertragsverhandlungen zu einer effizienten Güterverteilung bei. Denn sie ersparen den Parteien die Formulierung, Verhandlung sowie Überprüfung196 einer Vielzahl von Klaulin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, p.  3, 87; BenShahar, 109 Columbia Law Review 396, 398 (2009), der auf den Unterschied zu den auf einem Markt ausgeprägten Regeln („market-mimicking defaults“) verweist; Cohen, Encyclopedia of Law and Economics, 4400, pp.  86; Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 48 ff. 193   Posner, Economic Analysis of Law, pp.  104; Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 77 (1991); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  407. 194   Posner, Economic Analysis of Law, p.  16, 251; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  84: „theories of hypothetical consent add nothing to the basic welfare arguments“; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  191. 195   Zur Beschreibung und Kritik dieses Arguments Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 397 (2009). 196   Zur Analyse der einzelnen Faktoren Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:30 (2001); Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1428 (2009).

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

seln und senken damit die Transaktionskosten.197 Das ist insbesondere dann von Vorteil, wenn es sich angesichts des begrenzten Umfang eines Vertrages nicht lohnt, seinen Inhalt im Einzelnen zu verhandeln. Die durch abdingbares Recht eintretenden Kostenvorteile hängen davon ab, zu welchem Grad die Normen den Nutzen der Parteien maximieren. Je stärker das der Fall ist, desto weniger müssen die Parteien eine abweichende Vereinbarung treffen. Umgekehrt aber führt eine substantiell ineffiziente Norm nicht nur dazu, dass die von ihr geregelten Verträge suboptimal sind. Vielmehr drängt sie die Parteien auch zu einer Abbedingung und verursacht damit Kosten. Zumindest theoretisch kann es jedoch nach dem Nutzenmodell in einigen Konstellationen sinnvoll sein, den Parteien eine, für sich genommen, suboptimale Norm vorzugeben. So kann die Situation entstehen, in der es aufgrund der Vielgestaltigkeit der zu regelnden Vertragsverhältnisse keine Norm gibt, die für die Mehrheit sämtlicher Verträge eine angemessene Regelung trifft. Dann besteht unabhängig davon, welche abdingbare Norm gilt, in einer Vielzahl von Fällen der Anreiz zur Abbedingung. Um die bei der Abbedingung entstehenden Kosten zu minimieren, ist dann die Norm optimal, bei der eine Abweichung am leichtesten fällt, etwa weil die dafür entstehenden Informationskosten am geringsten sind. Das kann, aber muss nicht zugleich diejenige Norm sein, deren Anwendung auf die einzelnen Verträge die besten Folgen nach sich zieht. Einfache und schnell zu überblickende Normen können leichter abdingbar sein als komplizierte, jedoch inhaltlich ausgewogene Normen. Etwa mag ein detailliert formuliertes Werkvertragsrecht wie die Vergabeund Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) die Rechte und Pflichten der Parteien zwar besser als die §§  631 ff. BGB regeln. Jedoch geht es aufgrund seines Umfangs und seiner Komplexität mit höheren Kosten für diejenigen einher, die seinen Inhalt verstehen wollen und eine abweichende Absprache bevorzugen. Dem Rechtsverkehr ist mit dem einfacheren BGB-Werkvertragsrecht daher besser gedient. Aufgrund des Einflusses auf den Verhandlungsprozess kann 197   Der Sache nach bereits Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  53: „erspart das B. G.-B. den Parteien die Mühe, in jedem einzelnen Fall .  .  . ihren Willen in ausführlicher Schriftform zu fixieren“; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.  424 f.; Posner, Economic Analysis of Law, p.  98; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 93 (1989); dies., 101 Yale Law Journal 729, 731 (1992); Easterbrook/Fischel, 89 Columbia Law Review 1416, 1445 (1989); Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 826 (1995); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1756 (1997); Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1299 (2000); Painter, 76 New York University Law Review 665, 684 (2001); Peppet, 82 Texas Law Review 227, 236 (2003); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  16; Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 154; Hatzis, in: Grundmann/Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, p.  159, 166; Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1714 (2006); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  426; Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S.  121. Kritisch zur Terminologie Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:2 (2001), der die Kosten im Verständnis der Klauseln thematisiert.

C.  Die Nutzenmaximierung

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sich somit eine Norm als optimal erweisen, deren Anwendung auf die Verträge zu schlechteren Ergebnissen führt als eine den Parteiinteressen besser angepasste, aber schwerer abdingbare Norm. Ob der Einfluss auf den Inhalt oder auf die Verhandlungen überwiegt, hängt von einer Reihe empirisch variabler Faktoren ab. Die Wahl zwischen ihnen lässt sich aus diesem Grund nur begrenzt mit abstrakten Überlegungen entscheiden. Die Effizienz abdingbaren Rechts kann auch darauf zurückgehen, dass es die Parteien zur wechselseitigen Information über ihre Verhältnisse zwingt. Darauf haben vor allem Ian Ayres und Robert Gertner hingewiesen.198 Mit der Gestaltung abdingbarer Normen ließen sich die Verhandlungsanreize so setzen, dass jede Partei aufgrund der Abbedingungsinitiative ihres Verhandlungspartners Rückschlüsse auf dessen Wissen ziehen könne. Wer etwa mit besonderem Eifer auf eine Haftungsbegrenzung drängt, offenbare dadurch, dass er große Schäden erwarte. Das könne ein Indiz für die aus seiner Sicht mit dem Vertrag verbundenen Risiken sein. Umgekehrt sei es ein Zeichen für die Zuverlässigkeit eines Vertragspartners, wenn er es bei einer unbeschränkten Haftung belässt oder sogar zu überhöhten Vertragsstrafen bereit ist.199 Das schaffe die Sicherheit, dass er die Verträge erfüllt. Da diese Informationseffekte vor allem dann einträten, wenn es zu einer Verhandlung kommt, müsse das Recht den Parteien bisweilen Regeln vorgeben, die sie nicht vereinbaren würden und damit Anreize zu abweichenden Absprachen setzen. Dies widerspricht diametral der traditionellen Vorstellung, abdingbares Recht solle sich nach dem hypothetischen Willen der Parteien richten. 200 Denn den Parteien sind nach der Vorstellung von Ayres und Gertner womöglich Normen vorzugeben, die in den Verhandlungen abbedungen würden. Derartige Vorgaben haben Ayres und Gertner daher als Strafregeln („penalty defaults“) 201 bezeichnet. Mit dieser Straffunktion ließe sich nach ihrer Ansicht etwa die vom Common Law vorgesehene Haftungsbegrenzung auf voraussehbare Schäden verstehen.202 Diese wiche von der vollständigen Entschädigung ab, welche die Parteien unter Idealbedingungen vereinbarten.203 Jedoch fördere sie die Offenlegung dro198   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 98 (1989); dies., 51 Stanford Law Review 1591 (1999). 199   Zum „signaling“ siehe die Nachweise oben 2.B.1.b), Fn.  143. 200   Oben 2.A. 201   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 95 (1989); inzwischen bezeichnet dies Ayres als Dramatisierung, 33 Florida State University Law Review 589 (2006). 202   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 101 (1989) unter Hinweis auf Hadley v. Baxendale, 156 English Report 145 (1854). Dazu des Weiteren Johnston, 100 Yale Law Journal 615 (1990); Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1330 (2000); Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1119 (2006); E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 574 (2006). Andererseits Gilmore, The Death of Contract, p.  54: „why such an essentially uninteresting case, decided in a not very good opinion by a judge otherwise unknown to fame, should immediately have become celebrated .  .  . is one of the mysteries of legal history.“ 203   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 101 (1989).

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hender Schäden und führe damit zu einem besseren Informationsaustausch zwischen den Parteien. In der Folge könnten die Parteien ihr Verhalten besser der jeweiligen Situation anpassen und würden etwa für die Sicherung des Transports weder zu wenig noch zu viel ausgeben. Gewährte das Recht den vollen Schadensersatz, spräche der potentiell Geschädigte demgegenüber die drohenden Schäden in den Verhandlungen nicht an, weil er dadurch seine Position schwächte.204 Strafregeln hingegen zwängen die Parteien zu einer Übermittlung von Informationen und vermieden die mit Informationsasymmetrien verbundene Ineffizienz. Diese ebenso ingeniöse wie provokante Sicht abdingbaren Rechts hat in den USA zu einer intensiven Debatte geführt.205 Suboptimale Normen, welche die Parteien zur Offenlegung ihrer Absichten zwingen, sind in der deutschsprachigen Diskussion ebenfalls bekannt, 206 obgleich eher unwahrscheinlich ist, dass sie auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruhen. So mag man etwa kritisieren, dass der Gesellschafter einer OHG anders als die Kommanditisten einer KG mit dem Tode automatisch aus der Gesellschaft ausscheidet, ohne dass die Erben seinen Anteil übernehmen, §§  131 Abs.  3 Nr.  1, 177 HGB. 207 Das hat den Nachteil, dass entweder erhebliche Auszahlungsansprüche auf die OHG zukommen oder das Unternehmen im Falle vereinbarter Abfindungsklauseln erhebliches Vermögen verliert. Gleichwohl erfüllt §  131 Abs.  3 HGB eine wichtige Funktion. Denn er zwingt die Gesellschafter dazu, die Nachfolgeregelung selbstständig zu gestalten, und verhindert dadurch spätere Auseinandersetzungen. Ob dieser Vorteil die mit dieser Lösung verbundenen Nachteile überwiegt, hängt zwar von einer Reihe schwer zu beurteilender empirischer Faktoren ab, ist aber jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen. Nach dem Nutzenmodell kommt es letztlich nicht darauf an, ob die jeweilige Norm inhaltlich angemessen ist, sondern darauf, ob die durch sie eintretenden Konsequenzen denen einer anderen Gestaltung vorzuziehen sind. Es zielt nicht auf für sich genommen perfekte Vertragsinhalte, sondern auf optimale Folgen   AaO., 99.   Stellvertretend Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 6 (1993); ders., 73 University of Chicago Law Review 3, 4 (2006), der sie als „revolution“ bezeichnet; Johnston, 100 Yale Law Journal 615, 625 (1990); Hviid, 16 International Review of Law and Economics 233 (1996); McJohn, 31 Suffolk University Law Review 39 (1997); Korobkin, 79 Oregon Law Review 23, 42, 58 (2000); Maskin, 33 Florida State University Law Review 557, 668 (2006); E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563 (2006); dazu die Entgegnung von Ayres, 33 Florida State University Law Review 589 (2006); Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401 (2009); zur Übertragung auf die Gesetzesinterpretation Elhauge, Statutory Default Rules, pp.  151. 206   Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  23 sieht die Funktion einer Klarstellung („indem es Fragen regelt, um die Parteien zu zwingen, zu ihnen Stellung zu nehmen“), hält aber an der Rückführung auf den Parteiwillen fest. 207   MünchKommHGB2 -K. Schmidt, §  131 Rn.  63; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Lorz, HGB2, §  131 Rn.  40. 204 205

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– wie auch immer die dazu führenden Normen im Einzelnen beschaffen sind. Allein dem Regelungsgehalt nach perfekte Normen gehen nicht unbedingt mit optimalen Ergebnissen einher. So kann eine suboptimale Gestaltung des Rechts den positiven Effekt haben, wirkungsvollere außerrechtliche Mechanismen zur Konfliktlösung zu stärken. 208 Diese werden geschwächt, wenn der Gesetzgeber es den Parteien durch abdingbares Recht erleichtert, die Konflikte mit rechtlichen Mitteln zu klären. Etwa mag die genaue Definition von Rechten und Pflichten Konflikte in einer Wohnungseigentümergemeinschaft fördern, weil die Beteiligten nicht mehr davor zurückschrecken, ihre Rechte durchzusetzen.209 Es kann daher sogar von Vorteil sein, abdingbare Normen im Unklaren zu lassen oder aus einem anderen Grund suboptimal zu gestalten. Ein Vorteil des Nutzenmodells liegt darin, dass es diese Wirkungen abdingbaren Rechts verdeutlicht. Sie fallen kaum auf, wenn man nur nach seiner Übereinstimmung mit abstrakten Gerechtigkeitsvorstellungen fragt. Allerdings bleibt zu zeigen, dass derartige Konstellationen nicht nur eine theoretische Möglichkeit sind, sondern bei der jeweils zu beurteilenden Norm auch tatsächlich bestehen. Dafür wäre im Beispiel der Wohnungseigentümer etwa zu untersuchen, ob eine klare Fassung der Rechte neben den durch sie geförderten Konflikten andere Streitigkeiten verhindert. Erst nach einer Abwägung dieser Vorund Nachteile ließe sich darauf schließen, dass der Verzicht auf eine klare Regelung zu einem größeren Nutzen führt.

2.  Probleme des Nutzenmodells a)  Die unvollständige Erfassung geltenden Rechts Die Beschränkung des Nutzenmodells auf die Wirkungen abdingbaren Rechts zeigt, dass es dieses allein instrumentell versteht.210 Ihm geht es um den konsequentialistisch verengten Nutzen der Beteiligten. Das Recht ist nur eines unter mehreren Mitteln, ihn zu erreichen. Wie es wirkt – ob durch bewusste Aufnahme der Parteien oder unbewusste Effekte – ist für es unerheblich. Das ist aber kaum mit der Vorstellung freier und selbstverantwortlicher Personen zu vereinbaren, denen man nicht beliebige Normen vorgeben darf. Will man ihre Entscheidungsfreiheit ernst nehmen, kommt es nicht nur darauf an, ob ihnen eine 208   Macneil, 47 Southern California Law Review 691, 731, 785 (1974); siehe auch oben 1.B.3, Fn.  157. 209   Dass die Verrechtlichung eines Vertragsverhältnisses Konflikte verschärfen kann, zeigt etwa eine Untersuchung in Israel, in der Eltern ihre Kinder aus einem Kindergarten häufiger zu spät abholten, nachdem eine Strafe dafür eingeführt wurde, Gneezy/Rustichini, 29 Journal of Legal Studies 1, 8 (2000). Offenbar wurde die Strafe überwiegend als Preis verstanden, der eher akzeptiert wurde als der ohne formale Sanktion erfolgende Vertragsbruch. 210   Etwa Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 99 (1989); Craswell, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 91, 99 (1993); kritisch Coleman, Market, Morals, and the Law, pp.  113.

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Norm nutzt, sondern auch die Art und Weise, wie dies geschieht. Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Daher ist es fragwürdig, den Parteien unklare Normen in der Hoffnung vorzugeben, sie würden dadurch zu außerrechtlichen Lösungen greifen. Denn sie werden damit womöglich zu etwas gedrängt, was sie nicht wollen. Zumindest auf den ersten Blick spricht viel dafür, ihnen die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich des Rechts bedienen, und ihnen dafür keine künstlichen Hindernisse in den Weg zu legen. Ein rein instrumentelles Verständnis ist auch mit dem Verständnis des Gesetzgebers vom Vertragsrecht kaum vereinbar. Er verfolgt mit abdingbaren Normen in der Regel das Ziel, einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Parteien zu erreichen.211 Das müssen nicht diejenigen Normen sein, die gesamtwirtschaftlich am effizientesten sind. Solange beide Ziele nicht für unterschiedliche Normen sprechen, 212 fällt der Unterschied zwischen ihnen nicht auf und kann das Nutzenmodell abdingbare Normen erfassen. Etwas anderes aber gilt für den Konflikt zwischen Effizienzerwägungen und der Autonomie der Einzelnen. Dann stößt es zumindest in seiner beschreibenden Funktion an Grenzen. Das gilt etwa für §  616 BGB, der dem Dienstherrn die Pflicht auferlegt, dem Dienstverpflichteten eine Vergütung trotz dessen kurzzeitiger Verhinderung zu zahlen. 213 Der Dienstverpflichtete erhält auf diese Weise eine Vergütung, ohne dass er etwas leisten muss. Sein Verhinderungsrisiko trägt der Dienstherr, obwohl dieser davon nicht profitiert. Er kann es schlechter als der Dienstverpflichtete beherrschen und nicht unbedingt besser versichern. Denn die dafür erforderliche Prämie hängt von den persönlichen Verhältnissen des Dienstverpflichteten und deren Angehörigen ab. Sie kann der Verpflichtete besser als sein Dienstherr beurteilen. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme unplausibel, dass §  616 BGB eine minimale Lohnkürzung verhindern solle, die mehr Aufwand verursacht als Nutzen bringt.214 Dafür bedürfte es keinerlei Regelung. Der Dienstherr würde in diesen Fällen bereits aus eigenem Interesse eine Kürzung unterlassen. Zudem sind die von §  616 BGB erfassten Fristen von mehreren Wochen 215 so lang, dass eine Kürzung jedenfalls nicht an ihrer geringfügigen 211   Etwa bei der Schuldrechtsreform BT-Drucks 14/6040, S.  8 0 („Steuerung der Vertragsgerechtigkeit“); 94 („sachgerecht und überzeugend“); 129, 143. 212   Zurückhaltend Posner, Economic Analysis of Law, p.  27; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  335 ff. 213   Zur Abdingbarkeit siehe BGH, NJW 1979, 422, 425 (= BGHZ 73, 16, 27); BAG, NJW 1960, 738 (= BAGE 8, 285, 292); 1980, 903; 1985, 2214, 2215; NZA 1997, 785, 786; BeckOKBGB20 -Fuchs, §  616 Rn.  4 ; MünchKommBGB5-Henssler, §  616 Rn.  66; Staudinger2002-Oetker, §  616 Rn.  141. Sie wird durch die Abschaffung des die Abdingbarkeit ausschließenden §  616 Abs.  1 S.  3 BGB a. F. besonders deutlich 214   Staudinger2002-Oetker, §  616 Rn.  15, der dies auf die Regel „minima non curat praetor“ zurückführt. 215   Meist werden dafür sechs Wochen genannt, BGH, NJW 1979, 422, 425 (= BGHZ 73, 16, 28); BAG, NJW 1960, 741, 743 (= BAGE 8, 314, 331); JurisPK-BGB5-Legleitner, §  616 Rn.  11;

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Auswirkung scheitert. §  616 BGB soll den Dienstverpflichteten eher vor einem Ausfall von Einkommen bewahren, auf das er existentiell angewiesen ist.216 Mit dem Nutzenmodell lässt sich das kaum erklären. Es ist nicht ersichtlich, dass es den Gesamtnutzen steigert, wenn Arbeitgeber Krankheiten und kurzzeitige Ausfälle versichern. Denn dem Nutzen der Arbeitnehmer stehen mindestens ebenso hohe Kosten der Arbeitgeber gegenüber. Vollständig vermag dieses Modell somit das abdingbare Recht ebenso wenig zu erfassen wie die anderen bisher beschriebenen Modelle. b)  Die Reduktion rechtsethischer Gründe auf den Nutzen Unabhängig von der begrenzten Erfassung des geltenden Rechts stellt sich die Frage, ob das Nutzenmodell als normativer Maßstab für das abdingbare Recht taugt. Privatrechtliche Verträge sollen die Interessen der Beteiligten fördern, so dass man bei der Gestaltung der für sie geltenden Normen nicht umhin kommt, deren Wirkungen zu analysieren. Dafür liefert das Nutzenmodell wichtige Einsichten. Das ist bei Verträgen zwischen Unternehmern offensichtlich, gilt aber auch für Geschäfte mit Verbrauchern. Daher ist die ökonomische Analyse unverzichtbar. Offen ist allein, ob sie als Maßstab abdingbarer Normen aus­ reicht. Genau in diesem Punkt entsteht das Problem, dass das Nutzenmodell die Vielfalt der zu berücksichtigenden rechtsethischen Gesichtspunkte auf ein einziges Ziel reduziert. 217 Der nach diesem alles entscheidende Nutzen ist zwar weit zu verstehen 218 und kann neben den Folgen einer Handlung auch Aspekte ihrer Ausführung umfassen. Gleichwohl klammert er eine Reihe von Gesichtspunkten aus. Dies gilt insbesondere für die Autonomie der Vertragsparteien, die nur insofern Berücksichtigung findet, als sie sich in einem Nutzen niederschlägt. Ein Eigengewicht oder gar eine dominierende Rolle fehlt ihr. 219 Indes MünchKommBGB5-Henssler, §  616 Rn.  60. Das entsprach dem bis 1994 geltenden §  616 Abs.  2 S.  2 BGB a. F. Strenger: Palandt70 -Weidenkaff, §  616 Rn.  9 : wenige Tage. 216   Motive, Band  2, S.  463: „Gründe der Humanität“; Planck, DJZ 1899, 181, 183; BAG, NJW 1956, 77, 78 (= BAGE 1, 338, 340); BGH, NJW 1956, 1473 (= BGHZ 21, 112, 114 f.); Jauernig13-Mansel, §  616 Rn.  1: „sozialpolitisch motiviert“; kritisch Staudinger2002-Oetker, §  616 Rn.  15; MünchKommBGB5-Henssler, §  616 Rn.  2. 217   Das wird auch von ihren Vertretern bisweilen anerkannt, etwa Posner, Economic Analysis of Law, p.  28: „there is more to justice than economics“; Hadfield, in: Richardson/Hadfield, The Second Wave of Law and Economics, pp.  50, 57: „Efficiency analysis in the second wave .  .  . may well be done with greater appreciation of the partial nature of the analysis.“; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  187. Kritisch Bachmann, Private Ordnung, S.  24 mwN.; von der Pfordten, Rechtsethik, S.  373 ff. 218   So die traditionelle Annahme des Utilitarismus, Mill, On Liberty and Other Essays, p.  15: „it must be utility in the largest sense“; Posner, Economic Analysis of Law, p.  11; siehe auch Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  124. 219   Siehe dazu Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, p.  3, 14–15; Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 544 (2003).

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kommt ihr selbst in wirtschaftsrechtlichen Verträgen eine zentrale Bedeutung zu. Denn auch mit ihnen verwirklichen sich die Beteiligten, 220 ohne dass sich dies stets im Nutzen ausdrückt. Verpflichtungen, welche die Selbstbestimmung der Einzelnen übergehen, können ökonomisch sinnvoll sein und bleiben rechts­ ethisch gleichwohl kritikwürdig. So ist zumindest vorstellbar, dass der Nutzen von Käufern eines Geräts steigt, wenn ihnen das abdingbare Recht den Anspruch auf ein Nachfolgemodell einräumt. Dann können sie sich dauerhaft auf Geräte dieses Typs einrichten, Personal schulen und auf das Modell angepasste Zusatzgeräte erwerben. Sie blieben von den Kosten verschont, die ein Wechsel des Gerätetyps mit sich brächte. Der bisherige Hersteller wird das Nachfolgemodell seinen bisherigen Abnehmern zwar in der Regel schon aus eigenem Interesse anbieten. Dass dies geschieht, wäre bei der Gewährung eines entsprechenden Rechts aber sicherer. Gleichwohl sieht das geltende Recht aus gutem Grund keinen derartigen Anspruch auf ein Nachfolgemodell vor. 221 Denn dafür fehlt es am Entschluss des Verkäufers. Er muss sich nicht darauf einstellen, mehr zu liefern, 222 als er versprochen hat. Für Nebenleistungen mag eine abdingbare zusätzliche Verpflichtung hinnehmbar sein. Für Hauptleistungen hingegen ist sie es nicht. Sollen Verträge auf der freien Entscheidung der Beteiligten beruhen, darf sie das Gesetz daher nicht beliebig erweitern. Die Entscheidungsfreiheit spielt auch noch dann eine Rolle, wenn sie den Nutzen der Beteiligten beeinträchtigt. 223 Diese Freiheit ist umso wichtiger, je stärker es um höchstpersönliche Fragen geht. So mag es angesichts der Gefahren im Straßenverkehr den Nutzen von Businsassen maximieren, wenn sie sich mit einem Transportvertrag dazu verpflichten, im Falle eines Unfalls einander Blut zu spenden. Denn tritt ein solcher ein, sind Vereinbarungen über eine Bluttransfusion kaum zu erwarten. Gleichwohl wäre eine solche die Entscheidung der Einzelnen vorwegnehmende Norm mit deren Autonomie nicht vereinbar. Es muss ihre Entscheidung bleiben, ob und wem sie ihr Blut spenden. Die Rechtsordnung darf sich weder durch zwingende noch durch abdingbare Normen zur Herrin aufschwingen, die ohne   Wright, The American Economic Review 1949, 27, 31.   Zum ausnahmsweise bestehenden Kontrahierungszwang siehe BGH, NJW 1990, 761, 762; weitere Nachweise oben 1.C.4, Fn.  211. 222   Daher darf insbesondere die ergänzende Auslegung nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands führen, RGZ 87, 211, 214; 129, 80, 88; 136, 178, 185; BGH, NJW 1953, 973 (= BGHZ 9, 273, 278); 1953, 937, 938 (= BGHZ 9, 273, 278); 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); 1980, 2347 (= BGHZ 77, 301, 304); 2002, 2310, 2311; 2009, 1482, 1484; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  120, S.  544; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 107; MünchKommBGB5-Busche, §  157 Rn.  55; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  15; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  126; einschränkend Flume, AT, Bd.  2, S.  327; Staudinger2003-Busche, §  157 Rn.  40; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  310; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  220; kritisch Schmidt-Kessel, ZVGlRWiss 96 (1997), 101, 141. 223   Anders für einen Kontrahierungszwang zu Bedingungen des dispositiven Rechts Wolf, JZ 1976, 41, 43 f. 220 221

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Not solche existentiellen Fragen entscheidet. Die Möglichkeit zur Abbedingung einer derartigen Pflicht könnte den mit ihr verbundenen Freiheitseingriff nicht ausgleichen. Neben der Autonomie der Parteien bestehen andere rechtsethische Gründe, die sich nicht auf den Nutzen der Beteiligten reduzieren lassen. Das gilt etwa für die Gleichheit der Einzelnen, sofern man in ihr einen selbstständigen Wert erblickt. Führt eine Norm zu einer einseitigen Verteilung von Chancen oder Risiken, ist dies zumindest auf den ersten Blick ein Grund dafür, eine andere Norm zu wählen. Es kommt nicht nur darauf an, wie der Gesamtnutzen beschaffen ist, sondern auch darauf, wie er verteilt wird. 224 Eine alleinige Orientierung am maximierten Vertragswert berücksichtigt das nicht. Ebenso lässt sich der Schutz vor Diskriminierung nicht auf eine Nutzenfunktion beschränken. Auch wenn diskriminierende Normen den Nutzen der Vertragsparteien mehren, darf das Recht sie ihnen nicht vorgeben und sie auf die Möglichkeit zur Abbedingung verweisen.225 Denn bereits die Obliegenheit, sich von einer Diskriminierung zu befreien, belastet. Daher wären etwa abdingbare Kündigungsfristen, deren Länge nach Geschlecht und ethnischer Herkunft variiert, selbst dann unzulässig, wenn sie sich wegen der Ersparnis von Transaktionskosten als nutzenerhöhend herausstellen sollten. Auf die Prüfung, ob dies der Fall ist, kann sich das Recht nicht einlassen. Es hat bereits bei der Anordnung abdingbarer Normen die Freiheit und Gleichheit der Einzelnen zu achten. c)  Die Fragwürdigkeit von Strafregeln Besondere Probleme werfen die so genannten Strafregeln („penalty defaults“) auf. Selbst unter den Anhängern des Nutzenmodells ist umstritten, ob es sie im geltenden Recht gibt. 226 Dabei besteht zunächst die Schwierigkeit, dass sie diesem Begriff verschiedene Bedeutungen zuschreiben. Mit einer Strafregel im weiten Sinn hat man es zu tun, wenn sie eine Partei mittels der ihr auferlegten Abbedingungslast zu einer Information der anderen Partei zwingt.227 Die Bezeichnung „Strafe“ knüpft hier an die für eine Partei ungünstige Rechtsfolge an. Dieses Phänomen ist indes derart weit verbreitet, dass sich ein Großteil der ab  Dazu auch unten 4.C.5.   Zu unterscheiden ist dies von der Konstellation, dass die Beteiligten ein Interesse an der Diskriminierung haben, was von Anfang an nicht in die Interessenabwägung einfließen soll, Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  50. 226   E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 585 (2006); dagegen Ayres, 33 Florida State University Law Review 589 (2006). 227   Für ein weites Verständnis etwa Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 390 (1994): „an information-forcing default rule causes parties to focus on an important contracting problem“; Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 97–99 (1989); Ayres, 33 Florida State University Law Review 589, 602 (2006); Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 693: Auffangregel, „die für mindestens eine Partei so ungünstig ist, dass sie auf die Aushandlung einer abweichenden Vereinbarung drängen wird“. 224

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dingbaren Normen als Strafregeln bezeichnen ließe und der Begriff seine Unterscheidungskraft verlöre. Denn die meisten Normen sehen bei einer Verletzung eine ungünstige Rechtsfolge vor.228 Deshalb hat fast immer eine Seite den Anreiz, sie abzubedingen 229 und die eigenen Interessen dadurch der Gegenseite zu offenbaren. Anders ist dies, wenn man den Begriff beschränkt und als Strafregeln die Normen versteht, welche die Parteien in einer hypothetischen Vereinbarung über die Verteilung der Rechte und Pflichten ablehnen würden. 230 In diesem Fall gibt das Recht eine Norm vor, von der es selbst annimmt, dass ihre Anwendung dem Willen der Parteien widerspricht. Der Begriff der Strafe knüpft hier nicht daran an, dass die Norm eine Seite belastet, sondern daran, dass sie etwas vorsieht, was beide Parteien ablehnen würden. Die erforderliche Abbedingung ist zwar zunächst ein Nachteil, wird aber dadurch aufgewogen, dass die Parteien durch sie zu einer besseren Vereinbarung kommen. Ein Beispiel dafür ist der abdingbare Ausschluss jeglichen Schadensersatzes. Für sich genommen ist er zwar unangemessen und würde in einer Verhandlung der Vertragsbedingungen abgelehnt. Jedoch kann er nach dieser Auffassung als abdingbare Vorgabe aufgrund des mit ihr verbundenen Informations- und Verhandlungsanreizes sinnvoll sein. Eine derartige Norm gewinnt ihre Bedeutung folglich erst dadurch, dass sie abbedungen werden soll. Im Folgenden werden nur derartige Normen als Strafregeln bezeichnet. Gegen ihre Verwendung spricht vor allem, dass eine Abbedingung vielfach unterbleibt und sich dadurch mit der Vorgabe einer Strafregel eine selbst aus gesetzgeberischer Sicht unangemessene Norm durchsetzen würde.231 Die Ursachen dafür sind zahlreich. Zu ihnen gehört neben den entstehenden Transak­ tionskosten vor allem das so genannte Unterlassungsvorurteil (omission bias). Danach werden die mit einer Handlung verbundenen Risiken als gravierender bewertet als die mit einer Unterlassung verbundenen Risiken. 232 Das geht darauf zurück, dass die Parteien Risiken, die durch ihre Handlungen entstehen, typischerweise als gewichtiger empfinden als Risiken, die ihnen durch Unterlassungen erwachsen. Wissen sie nicht, ob sich eine Abbedingung lohnt, belas  Bisweilen wird sogar behauptet, es gebe kein Recht ohne Sanktion, Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  26, 114 ff.; weitere Nachweise oben 1.A.3.c), Fn.  103. 229   Zum Sonderfall, dass eine Klausel beide Seiten gleichmäßig belastet, siehe unten 5.B.6.d). 230   So etwa Peppet, 82 Texas Law Review 227, 236 (2003). E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 572 (2006) bezeichnet hingegen die Normen als Strafregeln, welche den Vertragswert nicht optimieren. 231   Dazu im Einzelnen unten 3.A-B. 232   Ritov/Baron, 3 Journal of Behavioral Decision Making 263, 275 (1990); dies., 5 Journal of Risk and Uncertainty, 49, 59 (1992); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1765 (1997); Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1610, 1613 (1998); skeptisch Sloof/Oosterbeek/ Sonnemans, 163 Journal of Institutional and Theoretical Economics 5, 20 (2007). 228

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sen sie es im Zweifel beim vorgegebenen Recht. Das gilt selbst dann, wenn sie eine von ihm abweichende Norm ebenfalls nicht abbedingen würden und keine Kosten für die Abbedingung anfallen.233 Die Parteien unterschätzen danach tendenziell die Gefahren durch eine fehlende Abbedingung, während sie die mit ihr verbundenen Gefahren eher überschätzen. Der Gesetzgeber kann sich im Normalfall nicht darauf verlassen, dass die Parteien eine Norm abbedingen. Aufgrund dieser Abbedingungshürden bleiben die Parteien vielfach in suboptimalen Regeln „gefangen“ (lock-in-Effekt). 234 Gälte eine andere abdingbare Norm, hielten sie ebenfalls an ihr fest, obwohl sich ihre Interessen dadurch nicht änderten. Was sie abbedingen und was nicht, hängt nicht nur von ihren Interessen ab, sondern auch vom bereits bestehenden Recht. Weigert sich jemand etwa, eine strikte Haftung zu übernehmen, so ist dies nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass er von großen Risiken ausgeht. Denkbar ist auch, dass er in diesen Fragen prinzipiell nicht mit sich verhandeln lässt, auf anderenorts etablierte Standards vertraut 235 oder mit der Vereinbarung einer abweichenden Verschuldenshaftung überfordert ist. Das wirtschaftliche Interesse, das eine Abbedingungsinitiative verdeutlichen soll, hängt von mehreren Faktoren wie vom erwarteten Schadensausmaß, der Schadenswahrscheinlichkeit und der Möglichkeit zur Versicherung ab. Welcher von ihnen für eine Abbedingungsinitiative maßgeblich ist, bleibt in der Regel offen. So lässt sich kaum beurteilen, ob es sich bei einem Abbedingungsvorschlag nur um eine Vorsichtsmaßnahme handelt oder ob dahinter eine tatsächliche Gefahr steht. Daher ist der durch die Verweigerung einer Abbedingung erzielbare Informationswert begrenzt.236 Dies gilt umso mehr, als es nicht nur darauf ankommt, ob eine Partei an der Abbedingung einer Norm interessiert ist, sondern auch darauf, in welchem Ausmaß dies der Fall ist. Das hängt von einer Gesamtkalkulation ab, die sich in der Verhandlung der einzelnen Klauseln nicht unbedingt niederschlägt. Über einzelne Klauseln wird – wenn überhaupt – häufig unabhängig vom erst am Ende festgesetzten Preis verhandelt, so dass die Kostenbewertung der einzelnen Klauseln durch die Verhandlungspartner nur selten zu Tage tritt. Initiiert der durch eine Norm Belastete die Abbedingung, so muss das nicht an einer Kalkulation im einzelnen Fall liegen, sondern kann ebenso auf seine Erfahrung mit anderen Verträgen zurückgehen. Die Risikoeinschätzungen der Parteien im Einzelfall lassen sich somit aus den Verhandlungen nur begrenzt ablesen. Entsprechend problematisch ist es, den Parteien durch Strafregeln unangemessene Normen in der Annahme vorzugeben, sie könnten durch die Verhandlungen

  Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1590–1591 (1998).   Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 694. 235   Zur dadurch entstehenden „Modularisierung“ von Verträgen Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1453 (2009). 236   Optimistischer Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 68 f. 233

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

der einzelnen Klauseln Rückschlüsse ziehen und dann selbst für eine angemessene Regelung sorgen. Das zeigt sich selbst am Beispiel von Haftungserweiterungen, die zur Illustration von Strafregeln vielfach herangezogen werden. Zwar kann man etwa die Bitte nach einer Haftungserweiterung als Hinweis auf einen drohenden hohen Schaden deuten. Denkbar ist aber auch der Schluss, der Verhandlungspartner versuche nur an allen Stellen, eine ihn begünstigende Vertragsgestaltung durchzusetzen. Empirische Untersuchungen von Vertragsstrafenklauseln bestätigen diese Offenheit. Allein die Bereitschaft zur Vereinbarung derartiger Klauseln hat keinen signifikanten Einfluss auf die Einschätzung, inwieweit der dies Vorschlagende vertrauenswürdig ist. 237 Genau davon allerdings hängt ab, ob man seinen Angaben zur Leistungserfüllung vertraut. Im Regelfall dürfte daher der durch eine Abbedingungsinitiative eintretende Informationseffekt gering sein. Überdies können Vertragsverhandlungen eine Eigendynamik entfalten, in der ein Obsiegen zum Selbstzweck wird und ihr Informationswert damit weiter sinkt.238 Ein Beharren auf einer Position muss nicht auf ein bestimmtes Sachinteresse deuten, sondern kann ebenso auf Rechthaberei beruhen. Sind Anwälte oder Angestellte mit der Verhandlung betraut, besteht zudem das Problem, dass deren Interessen nicht identisch sind mit denen der Auftraggeber (principalagent-problem). Sie versuchen zwar, das aus ihrer Sicht Günstigste zu erreichen, können Ausmaß und Gewicht der Risiken aber nicht vollständig beurteilen. Ihr Verhalten lässt daher ebenfalls nur bedingt Rückschlüsse darauf zu, für wie gewichtig die Parteien die bestehenden Risiken halten. Überdies müssen sie diese Risiken nicht kennen. Verträge werden vielfach unter Unsicherheit geschlossen, so dass das Verhalten der Parteien in der Verhandlung schon daher nicht unbedingt zeigt, welche Risiken tatsächlich bestehen. Der mit Strafregeln angestrebte Informationswert hängt entgegen der im Nutzenmodell sonst maßgeblichen Idealvorstellung eines homo oeconomicus davon ab, dass die Parteien nicht unter Idealbedingungen verhandeln.239 Denn unter Idealbedingungen verfügten die Parteien ohnehin über ein umfassendes Wissen. Zudem fielen keine Transaktionskosten an, so dass die Parteien jede Klausel gesondert erörtern könnten. Rückschlüsse aus einer Abbedingungsinitiative ließen sich kaum ziehen, zumindest aber könnte das Recht sie nicht fördern. Strafregeln wirken sich somit allenfalls unter nicht idealen Bedingungen   DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 897 (2006).   McJohn, 31 Suffolk University Law Review 39, 47 (1997); Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 27. 239   Ayres/Gertner, 101 Yale Law Journal 729, 732, 737, 746 (1992); dazu die Kritik von Johnston, 100 Yale Law Journal 615, 625 (1990): „strongly dependent upon special underlying assumptions“; E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 570 (2006): „efficient .  .  . if one makes special assumptions“; zu den Grenzen des homo oeconomicus mwN. Jolls/ Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 14; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  65 ff. 237

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auf die Entscheidungen der Parteien aus. Dann erst legt die Initiative zur Abbedingung einer Klausel nahe, dass die den Vorschlag unterbreitende Partei das zu regelnde Risiko für größer hält als die Kosten der Abbedingung. Gerade aber unter nicht idealen Bedingungen ist ein Schluss vom Verhandlungsverhalten auf eine hinter ihm stehende Risikobewertung nur begrenzt möglich. Denn dann fallen zum einen Verhandlungskosten an, die den Wert der durch eine Abrede bewirkten Information übersteigen können. Will eine Partei es deshalb beim vorgegebenen Recht belassen, bedeutet das nicht unbedingt, dass sie an ihm ein großes Interesse hat. Es kann schlicht daran liegen, dass ihr die Verhandlungskosten für eine abweichende Absprache als zu groß erscheinen.240 Die Weigerung, eine Klausel zu verhandeln, kann damit auf vielen Gründen beruhen, so dass die mit ihr einhergehende implizite Information mehrdeutig und schwer verwendbar ist. Zudem ist unter nicht idealen Bedingungen auch die Rationalität der Akteure begrenzt.241 Ihnen ist es keineswegs gleichgültig, ob sie ein bestimmtes Risiko tragen und dafür über den Preis entschädigt werden. Sie sind vielfach nicht risikoneutral, sondern risikoscheu. 242 Eine unbegrenzte Haftung etwa lehnen auch diejenigen ab, die sich ihrer Sache sicher sind. Aus einer Abbedingungsinitiative lassen sich daher kaum Rückschlüsse ziehen. Gegen die Verwendung von Strafregeln spricht ferner, dass die durch sie erstrebte Informationsübermittlung auf leichtere Weise gewährleistet werden kann. Dafür ist eine Aufklärungspflicht tauglicher, die während der gesamten Vertragsdauer und nicht nur während der Verhandlungen gilt. Im viel diskutierten Fall einer Haftung für Transportschäden 243 liefe etwa eine nur beim Vertragsschluss bestehende Obliegenheit des Gläubigers, den Schuldner auf denkbare Schäden hinzuweisen, ins Leere, wenn er erst danach von einem Risiko erfährt. Nur eine auch nach Vertragsschluss bestehende Aufklärungspflicht zwingt ihn zu dieser Information.244 Aus diesem Grund besteht die abdingbare245 Obliegenheit zum Hinweis auf einen ungewöhnlich hohen Schaden nach §  254 Abs.  2 S.  1 BGB nicht nur während der Verhandlungen, sondern auch nach ihnen. Das dürfte dem abstrakten Willen der Parteien entsprechen, einander einen Schaden nur insoweit ersetzen zu müssen, wie ihn der Geschädigte nicht

  Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 234 (1995).   Vgl. E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 586 (2006): „Ayres-Gertner analysis is .  .  . too complicated and indeterminate for judges to use“. 242   Posner, Economic Analysis of Law, p.  11; Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 234 (1995); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  409. 243   Hadley v. Baxendale, 156 English Report 145 (1854), oben 2.C.1.b), Fn.  202. 244   Vgl. Maskin, 33 Florida State University Law Review 557, 561 (2006). 245   Die Abdingbarkeit ergibt sich im Umkehrschluss aus §§  254 Abs.  2 S.  2, 278 S.  2, 276 Abs.  3 BGB; siehe auch MünchKommBGB5-Oetker, §  254 Rn.  65; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  254 Rn.  26; Staudinger2005-Schiemann, §  254 Rn.  16. 240 241

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

selbst verursacht hat.246 Schließlich berücksichtigt diese Obliegenheit besser als eine Haftungsbegrenzung, dass für den Erwerb und die Übermittlung der für sie erforderlichen Informationen Kosten entstehen.247 Aus diesen Gründen kann man sie nicht ohne weiteres der Partei zuweisen, die von den Informa­ tionen nicht profitiert. 248 Sie hätte zu deren Erwerb anderenfalls keinen Anreiz. Hingegen erlaubt der Mitverschuldenseinwand, beide Parteien unter Rücksicht auf die jeweils entstehenden Informationskosten in die Verantwortung zu nehmen. Statt eine Partei mittels einer Strafregel zur Information zu zwingen, erhalten beide Parteien den Anreiz zur Schadensverhütung. Die Diskussion von Strafregeln klammert zudem das Problem aus, dass es der Gesetzgeber ist, der sie den Parteien vorgeben müsste. Seine Berechtigung dazu erscheint indes zweifelhaft. Denn da das Vertragsrecht zunächst allein das Verhältnis der Parteien untereinander regelt, 249 bedarf ein Eingriff in ihre Vereinbarungen eines Grundes. Daher ist es bereits im Ansatz fragwürdig, wenn der Gesetzgeber den Parteien bewusst unangemessene Regeln vorgibt, um sie zu einem ihm genehmen Verhalten zu motivieren. Will man ihre Entscheidungsfreiheit ernst nehmen, darf man sie nicht als bloße Steuerungsobjekte behandeln, sondern muss ihren Willen respektieren.250 Das spricht dagegen, ihnen Regeln vorzuschreiben, von denen man selbst annimmt, dass sie ihrem Willen zuwider laufen. Zumindest bedarf es dafür einer Rechtfertigung, die mehr als einen einfachen Nutzenvorteil bietet. Festzuhalten ist somit, dass es bessere Wege als eine Abbedingungsobliegenheit gibt, um Parteien zur Übermittlung von Informationen zu zwingen. Der Gesetzgeber sollte den Parteien im Allgemeinen keine Strafregeln in der Hoffnung vorgeben, sie würden diese abbedingen. Bezeichnenderweise ist es schwierig, Beispiele für Strafregeln zu finden. 251 Theoretisch lassen sich zwar Konstel246   Dies ist ein Unterfall widersprüchlichen Verhaltens, BGH, NJW 1961, 655, 657 (= BGHZ 34, 355, 363); 1974, 797, 798; NJW-RR 2006, 813, 814; Palandt70 -Grüneberg, §  254 Rn.  1; kritisch MünchKommBGB5-Kramer, §  254 Rn.  4 ; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  254 Rn.  1; Staudinger2005-Schiemann, §  307 Rn.  4. 247   Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1414–1415 (2009). 248   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 107 (1989) bemerken dies, beschränken aber ihr Plädoyer für Strafregeln auf den nicht weiter bestimmten Fall, dass durch sie der Gesamteffekt der „socially useful information“ gesteigert wird. Zu den Kosten des Informationserwerbs siehe Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  40 ff. 249   Zu Auswirkungen auf Dritte siehe unten 4.B.2.b), 4.C.4. 250   Demgegenüber sieht Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  4 41 keinen Widerspruch zur Privatautonomie, da autonome Entscheidungen gefördert würden. Auch der Zwang zu einer eigenen Entscheidung kann aber paternalistisch sein. 251   Johnston, 100 Yale Law Journal 615, 619 (1990) hat trotz einer umfangreichen Untersuchung zu der von Ayres und Gertner angeführten Haftungsreduktion keinen einzigen tatsächlichen Fall gefunden, in dem der Auftraggeber um eine Haftungserweiterung bat und damit dem Transporteur die von ihnen postulierte Information übermittelte; Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1061 (2004): „At the end of the day, penalty defaults have no place in our inheritance law.“; E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 565 (2006).

C.  Die Nutzenmaximierung

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lationen vorstellen, in denen sie angebracht wären. Für die unter Ungewissheit erfolgende Gestaltung abdingbaren Rechts aber muss es im Zweifel bei den Normen bleiben, die auch bei fehlender Abbedingung sinnvoll sind. d)  Die Ungewissheit der zu berücksichtigenden Faktoren Um nach dem Nutzenmodell die Auswirkung abdingbarer Normen zu beurteilen, sind in der Regel eine Fülle von Faktoren zu berücksichtigen: die Verhandlungs- und Informationskosten, die Kenntnisse der Parteien, die Wahrscheinlichkeit der zu regelnden Risiken und vieles mehr. Sie hängen vom jeweiligen Umfeld ab, können sich ändern und sind schon von daher meist ungewiss.252 Je nach Situation sind andere Normen optimal. Ist etwa die Rechtsberatung kostengünstig und der Wert der Leistungen hoch, ist ein differenziertes Regelwerk geeigneter als die für Massengeschäfte tauglichen einfachen und damit leicht erfassbaren Normen. Zudem ist das Gewicht dieser Faktoren für die Vielzahl der zu regelnden Situationen nur schwer einschätzbar. Abdingbare Vertragsnormen sind in aller Regel so abstrakt gefasst, dass sie eine kaum überschaubare Menge von Sachverhalten regeln und in den unterschiedlichsten Bereichen anwendbar sind. Entsprechend schwer fällt die Einschätzung der mit ihnen verbundenen Wohlfahrts­ effekte. 253 Will man Schlussfolgerungen für die Fassung des allgemeinen Vertragsrechts ziehen, darf man ihre Untersuchung nicht auf bestimmte Bereiche begrenzen. Denn je nach Kontext sind andere Normen optimal. Haftungsbegrenzungen zum Beispiel, die in technischen Großprojekten aufgrund der Unkalkulierbarkeit der Risiken sinnvoll sind, können im Bereich der Arzthaftung zu nicht hinnehmbaren Fehlanreizen führen. Die am Nutzenmodell ausgerichtete Optimierung des Vertragswerts mittels abdingbarer Normen ist somit außerordentlich schwierig.

252   Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 603 (1982); Barnett, 86 Columbia Law Review 269, 271 (1986); Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 82 (1991); Schwartz, 21 Journal of Legal Studies 271, 282 (1992); ders., 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 396 (1994); Yen, 51 Ohio State Law Journal 517, 545 (1990); Ayres/Gertner, 101 Yale Law Journal 729, 759 (1992); Korobkin, 79 Oregon Law Review 23, 42, 58 (2000); Hesselink, 1 ERCL 44, 49 (2005); Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1154 (2006), der die Auswirkungen daher experimentell zu schätzen versucht; Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 403 (2009). Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius, Rechtswissenschaftstheorie, S.  51, 65 versteht die ökonomische Analyse hingegen als „empirisch-spekulative Verhaltensbewertung“. Allerdings besteht die Ungewissheit auch bei zwingenden Eingriffen, vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  263 sowie unten 3.C.1.c). 253   Hviid, 16 International Review of Law and Economics 233, 242 (1996); Craswell, Contract Law: General Theories, p.  8 ; Cohen, Encyclopedia of Law and Economics, 4400, p.  97: „Most of the economic arguments .  .  . have counterarguments. Therefore the institutional and contractual context matters greatly in deciding what approach efficiency-minded courts should take.“

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

Daneben erschweren auch Lerneffekte254 die Einschätzung, wie sich abdingbare Normen auswirken. Diese treten auf, wenn es zu einem Wechselspiel zwischen einer abdingbaren Vorgabe und der Rechtspraxis kommt. So wie sich diese auf die vorhandenen Normen einstellt, geht der Gesetzgeber bei deren Veränderung wiederum von den typischen Vereinbarungen der Parteien aus. Was optimal ist, hängt dann auch davon ab, welches Stadium dieses Wechselspiel erreicht hat. Im Laufe der Zeit entfalten abdingbare Normen deshalb andere Wirkungen. Verallgemeinerungen sind deshalb kaum möglich. Haftungsbeschränkungen etwa, die anfangs zu unvorhergesehenen Einbußen der Geschädigten führten, können sich auf lange Sicht positiv auswirken, wenn durch sie die Preise für die gehandelten Güter sinken und sich die Beteiligten anderweitig versichern. Die Folgen abdingbarer Normen lassen sich damit kaum abschätzen. In der Ungewissheit dieser Faktoren zeigt sich die mit konsequentialistischen Theorien allgemein verbundene Überforderung des Entscheidenden.255 Es ist dem Gesetzgeber wie dem Richter in aller Regel unmöglich, sämtliche Folgen einer Norm abzusehen.256 Diese Ungewissheit spricht dafür, auf eine zentrale Steuerung der Rechtsverhältnisse zu verzichten und den Parteien stattdessen eine Gestaltung ihrer Verhältnisse zu ermöglichen. Darauf werden sie zwar vielfach verzichten. 257 Dennoch sollten sie aber zumindest die Möglichkeit dazu behalten. Das spricht dafür, die Hürde zur Abbedingung vertragsrechtlicher Normen durch deren übersichtliche Gestaltung niedrig zu halten.258 Dies wäre nicht der Fall, wenn aufgrund eines komplexen Vertragsrechts die Informationskosten zu hoch sind, um Voraussetzungen und Folgen einer Abbedingung festzustellen. Ziel abdingbaren Rechts ist insofern nicht die unmittelbare, sondern die mittelbare Interessenmaximierung. Sie beruht auf einer eigener Entscheidung der Parteien. Darin kehrt das klassische Argument wieder, das vielfach gegen die Möglichkeit einer Bestimmung privater Verhältnisse durch den Staat angeführt wurde: Da die Gesamtheit der zu berücksichtigenden Interessen unüberschaubar ist und jeder seine eigenen Interessen am besten kennt, ist er und nicht der Staat dazu berufen, sie zu verwirklichen.259 Man sollte daher abdingbare Normen im 254   Dazu Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 786 (1995); Eidenmüller, JZ 2011, 814, 815 mwN. 255   Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, S.  194, 200 f., 229 ff.; zur Kritik des Konsequentialismus ferner von der Pfordten, Normative Ethik, S.  191 ff. mwN. 256   Oben 2.A.1. 257   Dazu im Einzelnen unten 3.B. 258   Im Einzelnen dazu unten 4.D.2. 259   von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  28; Mill, On Liberty and Other Essays, pp.  16, 247; von Hayek, The Road to Serfdom, p.  79; ders., Recht, Gesetz und Freiheit, S.  15; siehe auch Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  2; Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211 (1995); Feldman, 18 Touro Law Review 503, 510 (2002) mwN.  K ritisch Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1167 (2003).

C.  Die Nutzenmaximierung

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Zweifel nicht als Instrument zur unmittelbaren Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft einsetzen, sondern sie so formulieren, dass die Einzelnen darüber selbst bestmöglich entscheiden können. 260 Eine Disziplinierung aufgrund einer Strafregel ist damit kaum vereinbar.

3.  Zwischenergebnis Das Modell der Nutzenmaximierung stellt die Wirkung abdingbaren Rechts in den Mittelpunkt seiner Beschreibung. Es begreift dieses als Steuerungsmittel, um den Gesamtnutzen zu optimieren. Maßgeblich ist danach die Norm, unter deren Geltung der Vertragswert maximal ist. Der Einfluss abdingbaren Rechts auf den Nutzen der Parteien geschieht dabei auf zweierlei Weise. Zum einen kann es den Parteien die Normen vorgeben, die ihren Interessen am besten entsprechen. Sie müssen die Verträge dann nicht mehr verhandeln und sparen damit die dafür erforderlichen Kosten. Zum anderen kann das Recht versuchen, die Vertragsverhandlungen zu beeinflussen. Legt es einer Partei etwa eine Last auf, hat diese den Anreiz zur Abbedingung und kann dadurch zur Offenlegung von Informationen gezwungen werden. Dann handelt es sich um so genannte Strafregeln im weiten Sinn („penalty default rules“). Soweit die geltenden abdingbaren Normen eine interessengerechte Lösung treffen, ersparen sie den Parteien zwar die Vertragsverhandlungen und mehren dadurch ihren Nutzen. Insofern erfasst das Nutzenmodell eine wichtige Funktion abdingbaren Rechts. Indes ist fraglich, ob dies der Grund für dessen Geltung ist oder lediglich eine seiner Folgen. Denn vielfach hat der Gesetzgeber nicht allein die Verhandlungskosten im Blick, sondern will eine gerechte Lösung treffen. Daher lassen sich für Strafregeln im engeren Sinn, die den Parteien bewusst einen unangemessenen Vertragsinhalt vorgeben, kaum Beispiele finden. Zumindest der Gesetzgeber wird ihnen nur im Extremfall eine derartige Funktion zusprechen. Gegen das Nutzenmodell spricht des Weiteren, dass es die zu berücksichtigenden rechtsethischen Gründe auf Nutzenerwartungen verkürzt. Aus diesem Grund wird es der Autonomie der Vertragsparteien nicht gerecht. Das zeigt sich besonders deutlich an den von ihm befürworteten Strafregeln. Denn der Gesetzgeber muss damit rechnen, dass deren Abbedingung unterbleibt und aus diesem Grund die intendierte Informationsübermittlung scheitert. Diese lässt sich zudem leichter durch unmittelbare Aufklärungspflichten fördern. Strafregeln schaffen damit die Gefahr interessenwidriger Verträge, ohne dass dies durch ein Informationsbedürfnis gerechtfertigt wäre. 260   Ähnlich unterscheidet Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 390 (1994) zwischen „problem-solving defaults“ und „equilibrium-inducing defaults“ (welfare maximizing), wobei er aufgrund fehlender Information beide für schwer feststellbar hält, aaO., p.  410.

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

D.  Zusammenfassung Abdingbare Normen stehen im Spannungsfeld dreier Größen: den Vertragsparteien, dem Recht und den von ihm ausgehenden Wirkungen. Jede von ihnen bildet das Zentrum eines anderen Modells. Das Willensmodell versucht, abdingbare Normen auf den hypothetischen Willen der Parteien zurückzuführen. Dieser wird auf verschiedene Weise bestimmt, nämlich als konkreter, typischer, rationaler oder redlicher Wille. Diese Konkretisierungen entfernen sich Schritt für Schritt von der Frage, was die Parteien vereinbart hätten, und gehen zur Frage über, was diese hätten vereinbaren sollen. Darin zeigt sich das zentrale Problem des Willensmodells. Trotz seiner Betonung des Willens verkennt es, dass eine hypothetische Zustimmung niemanden verpflichtet, und es daher anderer Gründe bedarf, um abdingbares Recht zu rechtfertigen (A). Anders als das Willensmodell thematisiert das Vorgabemodell die Beziehung abdingbarer Normen zum geltenden Recht. Es betont, dass abdingbare Normen Teil der Rechtsordnung sind und der Parteiwille allein sie nicht zu erklären vermag. Seine prominenteste Variante ist das Verständnis abdingbaren Rechts als Leitbild des Gesetzgebers. Andere interpretieren es als Notbehelf für vertraglich ungeklärte Fragen, als natürliche oder gerechte Vertragsgestaltung oder Ergebnis rechtsgeschichtlicher Erfahrung. All diese Modelle erfassen bestenfalls einen Teil des abdingbaren Rechts. Sie nehmen nicht ernst, dass die Abdingbarkeit einer Norm ebenfalls zu ihrem Leitbild, zur Natur des Vertrages und zur rechtsgeschichtlichen Erfahrung zählt (B). Das Modell der Nutzenmaximierung schließlich begreift abdingbare Normen als Mittel zur Maximierung des Vertragswerts. Dies geschieht durch ihren Einfluss auf die Vertragsverhandlungen und den Vertragsinhalt. Es befürwortet die Verwendung von Strafregeln, die den Parteien eine Norm vorgeben, die sie nicht vereinbaren würden. Sie kann den Gesamtnutzen erhöhen, wenn sie die Parteien dadurch zur Offenlegung von Informationen zwingt. Der Vorteil dieses Modells liegt darin, auf die Wirkungen abdingbarer Normen hinzuweisen. Allerdings reduziert es dabei ohne überzeugenden Grund die zu beachtenden rechtsethischen Gesichtspunkte auf Nutzenerwartungen. Zudem hängen seine Schlussfolgerungen von schwer einschätzbaren empirischen Faktoren ab (C). Die einzelnen Modelle betonen verschiedene Aspekte abdingbaren Rechts. So schärft das Willensmodell das Bewusstsein dafür, dass abdingbare Normen die Erwartungen der Parteien zumindest nicht enttäuschen dürfen. Das Vorgabemodell verdeutlicht, dass abdingbares Recht in einem Zusammenhang mit anderen Normen der Rechtsordnung steht und daher auch deren Wertungen berücksichtigen muss. Das Nutzenmodell schließlich wirft die Frage nach der Wirkung abdingbaren Rechts auf. Sie gilt es zu bedenken, selbst wenn man letztlich eine die Nutzenerwartungen nicht optimierende Norm bevorzugt.

D.  Zusammenfassung

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Die Bewertung abdingbarer Normen durch die einzelnen Modelle muss im Ergebnis nicht unterschiedlich ausfallen. So kann eine Vorgabe der Rechtsordnung zugleich dem hypothetischen Willen der Parteien entsprechen und den Vertragswert maximieren. Sie kann sowohl „rettender Lückenbüßer“261 als auch ausgewogen gestaltet sein. Gleichwohl ist die Harmonie dieser Modelle nicht selbstverständlich und beruht auf dem nicht näher begründeten Optimismus, dass sie miteinander nicht in Konflikt geraten. Genau dieser aber tritt gelegentlich auf. So kann eine den Vertragswert maximierende Norm dem hypothetischen Willen der Parteien widersprechen. Gleiches gilt für Notbehelfsregeln. Ebenso müssen die für ausgeglichene Vertragsverhandlungen optimalen Normen nicht zugleich mit den Regeln übereinstimmen, welche die Parteien idealerweise vereinbaren. Da die Modelle damit zumindest teilweise voneinander abweichen, kann keines von ihnen das geltende Recht vollständig erfassen. Sie knüpfen nicht an notwendige, sondern an typische Eigenschaften abdingbarer Normen an und gehen dadurch über die im ersten Kapitel entwickelte Definition hinaus. Solange man sich nicht jeweils vor Augen führt, wovon sich der Gesetzgeber und die Rechtswissenschaft bei einer Norm leiten lassen, bringen diese Modelle daher die Gefahr mit sich, die Vielfalt und den Reichtum des abdingbaren Rechts zu verkürzen. Dass einer Reihe abdingbarer Normen ein bestimmtes Modell zugrunde liegt, erlaubt keine Verallgemeinerung und Übertragung auf andere Normen. Man würde andernfalls den Fehler wiederholen, der bereits bei der Betrachtung des Vorgabemodells zu Tage trat, nämlich die Wirklichkeit auf eine vermeintliche Essenz zu reduzieren und damit zu verkennen.262 Will man sämtliches abdingbares Recht erfassen, kann man deshalb über die Definition hinaus keine generellen Aussagen treffen, die auf jede abdingbare Norm zutreffen. Das gilt insbesondere für die Behauptung, dass abdingbare Normen dem hypothetischen Willen der Parteien entsprechen oder auf rechtsgeschichtlicher Erfahrung beruhen. Derartige Umstände sind kontingent und bedürfen eines Nachweises anhand der jeweils zu beurteilenden Norm. Allein die Abdingbarkeit einer Norm besagt nicht, dass sie dem hypothetischen Willen der Parteien entspricht, eine gesetzgeberische Leitentscheidung verkörpert oder durch eine andere Modellvorstellung charakterisierbar ist. Dies gilt es gerade auch angesichts einer gerichtlichen Praxis zu betonen, die bisweilen ohne nähere Begründung eines der beschriebenen Modelle für maßgeblich hält.263 Solange eine derartige Begründung nicht erfolgt, genügen die einzelnen Modelle weder zur vollständigen Charakterisierung abdingbaren Rechts noch zu   Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  48.   Oben 2.B.2.b). 263   So zum hypothetischen Willen BGH, NJW 2005, 1820, 1822; zum Leitbildmodell BGH, NJW 1987, 1931, 1933 f. (= BGHZ 100, 157, 163 ff.); zur Vorstellung einer gerechten Vertragsordnung BGH, NJW 2007, 3344, 3345. 261

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Kap. 2:  Die Modelle abdingbaren Vertragsrechts

seiner Rechtfertigung. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass sie wahlweise herangezogen werden, um ein bereits gefundenes Ergebnis zu rechtfertigen. Soll eine Norm eng ausgelegt werden, lässt sich dafür das Notbehelfsmodell anführen, wonach abdingbares Recht nicht mehr als eine jederzeit verdrängbare Ersatzlösung darstellt. 264 Eine erweiterte Auslegung hingegen kann sich auf die Vorstellung abdingbaren Rechts als eines gesetzgeberischen Leitbilds stützen, das auf ungeregelte Gebiete ausstrahlt. In jedem Fall kann man auf den hypothetischen Parteiwillen verweisen, der sich fast stets so interpretieren lässt, dass er mit der für vernünftig gehaltenen Lösung übereinstimmt. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft steht mit den verschiedenen Modellen daher zwar ein Instrumentarium zur Verfügung, um Normen entweder weit oder eng auszulegen. Sollen diese Modelle jedoch mehr als ein schmückendes Beiwerk sein, muss man sich die hinter ihnen stehenden Gründe im Einzelnen verdeutlichen und auf ihre Plausibilität prüfen. Das setzt zunächst voraus, dass man die Wirkung abdingbaren Rechts kennt. Sie ist das Thema des folgenden Kapitels.

  BGH, NJW 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286) sowie oben 2.B.1.a).

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3. Kapitel

Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts So vielgestaltig abdingbare Normen sind, so unterschiedlich ist ihre Wirkung. Sie geben den Parteien einen Rahmen für die Vertragsverhandlungen vor und bestimmen, was gilt, wenn über eine Frage keine Einigung erzielt wird. Damit ergänzen sie die Verträge und verändern die versprochenen Leistungen. Zudem bilden sie die Grundlage abstrakter Rechtsprinzipien und prägen die Vorstellungen von Richtern, Anwälten und Rechtswissenschaftlern. Diese Wirkung abdingbarer Normen ist nicht selbstverständlich. Denn da die Parteien von ihnen abweichen können, kommt es zumindest auf den ersten Blick allein auf ihre Interessen an. Entweder stimmen sie mit dem abdingbaren Recht überein. Dann besteht für eine Abbedingung keine Notwendigkeit. Oder aber sie erfordern eine andere Regelung. Dann können die Parteien sie selbst treffen. Die Ergänzung der Verträge durch abdingbare Normen bedeutet daher nicht, dass diese dem Vertrag einen anderen Inhalt geben, als er ohne sie hätte. Ihre Relevanz ist deshalb nicht offensichtlich. Unter idealen Bedingungen ausreichender Zeit, fehlender Verhandlungskosten und vollständiger Information läge vielmehr nahe, dass die Parteien zu allen Fragen eine eigene Vereinbarung treffen. Der Inhalt der ihnen vorgegebenen Normen würde dafür keine Rolle spielen. Entsprechend dieser auf Coase zurückgehenden Theorie könnten abdingbare Normen die Verteilung von Rechten und Pflichten nicht beeinflussen, weil die Parteien notfalls eine vom vorgegebenen Recht abweichende Absprache träfen. Anderes aber gilt unter nicht idealen Bedingungen, wenn Kosten für die Verhandlung entstehen, die Zeit begrenzt ist und die Parteien das geltende Recht nicht im Einzelnen kennen. Denn dann setzt es sich durch, selbst wenn es für die Parteien nicht optimal ist. Aus diesen Gründen lohnt es, die Wirkungen abdingbarer Normen im Einzelnen zu betrachten. Sie lassen sich in den Einfluss auf die Vertragsverhandlungen (A) und auf den Vertragsinhalt (B) unterteilen. In beiden unterscheiden sie sich von den Wirkungen zwingenden Rechts (C).

   Coase, 3 Journal of Law and Economics 1, 15 (1960); Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, pp.  3, 25; zum (nur begrenzt möglichen) experimentellen Nachweis Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 251 (1988).

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

A.  Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen Wenn Richter einen Vertrag beurteilen, ist er in aller Regel bereits geschlossen. Erst im Nachhinein müssen sie darüber befinden, was die Parteien vereinbart haben. Die richterliche Entwicklung des Privatrechts geschieht daher häufig in Reaktion auf schon geschlossene Verträge. Die dann aufgestellten Regeln sollen in erster Linie die bestehenden Konflikte lösen. Erst mittelbar beeinflussen sie auch die Entscheidung künftiger Fälle. Das legt nahe, Verträge als eine ursprüngliche, nicht weiter zu hinterfragende Größe zu verstehen, an die das Recht anknüpft. Diese Sicht ist zumindest mit der Willenstheorie gut vereinbar, nach der sämtliche vertraglichen Rechte und Pflichten auf den Willen der Parteien zurückzuführen sind. Denn sie fasst die Vereinbarung der Parteien als Ausdruck eines sakrosankten Willens auf, der keiner weiteren Begründung bedarf. Das Recht reagiert auf ihn und nicht umgekehrt der Wille auf das Recht. Karl Larenz hat Verträge aus diesem Grund als „rechtslogisches a priori“ bezeichnet. Ähnlich spricht Jürgen Oechsler dispositivem Recht die Rolle einer „nachschaffenden Auslegung“ zu. Stets geht es danach darum, die Vereinbarung als gegeben hinzunehmen und erst dann die Rechtsnormen auf sie anzuwenden. Überzeugend an dieser Perspektive ist, dass Parteien eine Vereinbarung zu treffen vermögen, ohne dass eine staatliche Rechtsordnung sie dazu ermächtigt. Sie können auch unabhängig vom Staat eine Vereinbarung treffen, was sich etwa am Phänomen transnationaler Verträge zeigt.  Ebenso nachvollziehbar ist die Schlussfolgerung dieser Sicht, dass Private durch den Vertragsschluss nicht nur in Ausführung einer staatlichen Ermächtigung handeln. Sie setzen ihren Willen um und nicht den des Staates. Indes besagt diese Möglichkeit, Verträge unabhängig von der geltenden Rechtsordnung zu schließen, wenig über den Inhalt, den sie unter ihr annehmen. Denn diese prägt bereits die Frage, was die Parteien einander versprechen. Sie können und müssen sich darauf einstellen, was das Recht ihnen vorgibt. Es verteilt die Verhandlungslast (1), informiert die Parteien über regelungsbedürftige Fragen (2) und entfaltet dabei eine umso stärkere Wirkung, je größer das Vertrauen der Parteien in die Rechtsordnung ist (3).

   Stellvertretend von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Bd.  3, S.  258; weitere Nachweise oben 2.A.1, Fn.  8.    Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 27 (1941), 130, 163; kritisch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  269.    Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S.  108; ders., Methodenlehre, S.  197.    Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  344 ff.    Zur Diskussion mwN.  Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S.  134, 286 ff.; Bachmann, Private Ordnung, S.  37 ff.; sowie unten 5.A.3.

A.  Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen

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1.  Hilfe zum Vertragsschluss und die Verteilung der Verhandlungslast Der größte Einfluss abdingbaren Rechts liegt in seiner Erleichterung der Verhandlungen. Dank abdingbarer Normen können sich die Parteien auf die für sie wesentlichen Fragen konzentrieren und die übrigen Fragen ungeregelt lassen. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, die zentralen Punkte in wenigen Paragraphen auf knappem Raum zusammenzufassen. Ihr Wille kommt damit klarer zum Ausdruck und der Vertrag wird leichter umsetzbar, als wenn die maßgeblichen Klauseln in einem Meer von Regelungen untergingen, in denen alle denkbaren Fragen zu beantworten wären. Zwar könnten die Parteien theoretisch alle für ihren Vertrag relevanten Fragen selbst entscheiden. Dies indes erfordert viel Zeit und setzt die Bereitschaft voraus, eine Frage überhaupt zu verhandeln. Das ist angesichts standardisierter Geschäftsabläufe inzwischen nur in einem Bruchteil der Konstellationen möglich. Überdies setzt dies das Wissen voraus, dass es auf die jeweilige Frage ankommt. Dieses Wissen fehlt vielfach. Die meisten Parteien kennen weder die Einzelheiten des Vertragsrechts noch die von ihm geregelten Risiken. Zur Information der Parteien untereinander besteht kaum ein Anreiz. Weiß eine Seite etwa um die ihr drohende Gefahr einer hohen Haftung, wird sie zwar einen Aufpreis verlangen oder sie begrenzen. Der Vertragspartner indes wird den ihm drohenden Schaden nicht ohne Not ansprechen, um seine Verhandlungsposi­ tion nicht zu verschlechtern.  Er könnte bei einer Verhandlung nur verlieren. Schon aufgrund dieser Informationsasymmetrien lässt sich nicht annehmen, dass die Parteien alle Einzelheiten regeln. Die vereinbarten Haftungspauschalierungen zeigen sogar im Gegenteil, dass sie viele Fragen weder beurteilen wollen noch beurteilen können. Das wäre schlicht zu aufwendig. Zudem liegt die Beantwortung der durch das abdingbare Recht beantworteten Fragen zum Teil so nahe, dass sich die Formulierung entsprechender Klauseln für den Einzelnen nicht lohnt. Dass man eine unmögliche Leistung nicht erbringen muss und von einem nichts Unzumutbares verlangt wird, ist so selbstverständlich, dass man es kaum vereinbaren muss. Gleichwohl sorgt das Recht in diesen Fragen für Klarheit, §  275 BGB. Seine Erleichterung der Vertragsverhandlungen geht so weit, dass es den Parteien bisweilen sogar die Last

  Kesan/Shah, 82 Notre Dame Law Review 583, 601 (2006).   Johnston, 100 Yale Law Journal 615, 629 (1990); Ayres/Gertner, 101 Yale Law Journal 729, 732 (1992); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 822 (1992). Im deutschen Recht mildert die Obliegenheit gemäß §  254 Abs.  2 S.  1 BGB diesen Anreiz nur für ungewöhnlich hohe Schäden.    Deutlich etwa an der einschränkenden Regelung des §  309 Nr.  5 BGB, die in Reaktion auf eine ausufernde Gerichtspraxis erfolgte, BT-Drucks 14/6040, S.  155; siehe auch Staudinger2006 -Coester, §  309 Nr.  5 Rn.  2.  

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

abnimmt, die Vergütung für die erbrachten Leistungen festzulegen.10 Darüber hinaus schützt es sie voreinander, indem es Regelungen für Fehlentwicklungen bereithält. Die Gewährleistungsnormen der §§  280 ff., 434 ff. BGB etwa beugen Pflichtverletzungen durch umfassende Sanktionen vor. Die Parteien müssen sie nicht erst noch aufstellen. Diese Erleichterung der Verhandlungen schlägt sich in einer Verringerung der dafür anfallenden Kosten nieder.11 Mitunter lohnt sich ein Vertragsschluss für die Parteien sogar erst dann, wenn abdingbares Recht ihren Vertrag ergänzt und sie daher nur wenige Klauseln selbst formulieren sowie auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen müssen. Meist genügt die Angabe der verkauften Sache und des vereinbarten Preises. Alles andere regelt das abdingbare Recht. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung in den USA, dass die an der Börse gehandelten Unternehmen in ihren Satzungen kaum vom abdingbaren Recht abweichen, während die sonstigen nur von wenigen Aktionären gehaltenen Unternehmen darin umfangreiche eigene Regelungen aufstellen.12 Offenbar ist bei den öffentlich gehandelten Unternehmen das Bedürfnis größer, sich an das vorgegebene Recht zu halten und damit nach außen zu signalisieren, dass die Satzungen keine Überraschungen enthalten.13 Das senkt die Kosten zur Information über das gehandelte Unternehmen. Gleiches dürfte für Verträge gelten. Auch bei ihnen ermöglicht das bereitstehende abdingbare Recht einen schnellen und unkomplizierten Vertragsschluss, obwohl die Parteien einander nicht unbedingt kennen. Anders wäre es, wenn sie jeweils eine Vielzahl von Klauseln prüfen müssten. Abdingbares Recht entlastet nicht nur die Parteien, sondern auch die Gerichte. Sie können mit seiner Hilfe die vertraglich nicht geregelten Fragen entscheiden. Das schafft bereits in den Verhandlungen eine größere Sicherheit und erspart den Parteien die Vorsorge für eine Vielzahl von Risiken.14 Der Rückgriff auf abdingbares Recht ist umso attraktiver, je mehr Parteien es verwenden. Denn auf diese Weise steigt die Sicherheit im Umgang mit ihm. Es wird bekannter und die Gerichte lösen nach und nach die mit ihm verbundenen Zweifelsfragen.15 Das wiederum erleichtert die Abstimmung verschiedener Verträge. Da  §§  612 Abs.  2, 632 Abs.  2 BGB, siehe auch BGH, NJW 2003, 1317, 1318 für die Bestimmung des „angemessenen oder ortsüblichen Mietzinses“. 11   Siehe die Nachweise oben 2.C.1.b), Fn.  197. 12   Hansmann, 8 American Law & Economics Review 1, 4 (2006). 13   Hansmann, aaO., 8, erklärt dieses Phänomen hingegen damit, dass die Unternehmen damit die Anpassung ihrer Satzungen vermeiden wollen und dies dem abdingbaren Recht überlassen. Dagegen aber spricht, dass dieses Bedürfnis bei öffentlich gehandelten Unternehmen kaum größer sein dürfte als bei den sonstigen Unternehmen. 14   Medicus, AT, S.  133, Rn.  340; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  226. 15   Bei einer im Namen der Billigkeit geschehenen Durchlöcherung der Normen ist allerdings auch denkbar, dass im Laufe der Rechtsprechungsentwicklung die Rechtssicherheit sinkt. 10

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durch werden abdingbare Normen zum öffentlichen Gut,16 dessen Wert durch mehrfachen Gebrauch zunimmt.17 Die Parteien können sich auf die für sie wesentlichen Punkte konzentrieren und sind eher in der Lage, eine rationale Entscheidung zu treffen. Neben diesen positiven Folgen abdingbaren Rechts gilt es, die mit ihm einhergehenden Nachteile zu bedenken. Der größte besteht darin, dass es den Parteien eine Abbedingungslast auferlegt.18 Um sich ihrer zu entledigen, fallen Kosten an. Daher sind abdingbare Normen zwar für die Mehrzahl der Fälle, nicht aber in jedem einzelnen von ihnen vorteilhaft.19 Sie können den Vertragsschluss sogar erschweren. Indem das Recht dem Vermieter etwa durch §  535 Abs.  1 S.  2 BGB die Pflicht zur Schönheitsreparatur aufbürdet, belastet es die Verhandlung. Die Parteien müssen diese Pflicht erst abbedingen, bevor sie der Mieter übernehmen kann. 20 Unter der Geltung abdingbaren Rechts hat es jede Partei hinzunehmen, dass beim Scheitern der Verhandlungen eine ihr nachteilige und der anderen Seite günstige Regel zur Anwendung kommt. Abdingbare Normen verändern somit die Verhandlungsmacht.21 In der Regel muss sich nur eine Seite darum bemü­ hen, eine vom Gesetz abweichende Norm durchzusetzen. Sieht man vom Sonderfall einer beide Parteien belastenden oder begünstigenden Norm ab, ist abdingbares Recht deshalb in den wenigsten Fällen neutral.22 Nur indirekt hat auch die belastete Seite ein Interesse an der Abbedingung, weil ein Vorteil für ihren Vertragspartner dessen Bereitschaft zum Vertragsschluss vergrößert. Zumindest theoretisch können sich die Parteien zwar den durch eine Abbedingung entstehenden Mehrwert teilen.23 Da dies aber einen gewissen Aufwand

16   Easterbrook/Fischel, 89 Columbia Law Review 1416, 1445 (1989); Gordon, 89 Columbia Law Review 1549, 1568 (1989); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 399 (1994); Listokin, What Do Default Rules and Menus Do?, p.  12; Bachmann, Private Ordnung, S.  52; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  365. 17   Zur Definition siehe Cowen, Public Goods, in: The Concise Encyclopedia of Economics. 18   Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  98; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  156 ff. 19   Daher ist es allenfalls nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium (die Vorteile übersteigen die Nachteile) effizient, nicht aber nach dem Pareto-Kriterium (mindestens einer gewinnt, keiner verliert), Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1756 (1997); Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  379, der Letzteres gleichwohl für die ergänzende Vertragsauslegung anwenden will, aaO., S.  418. 20   Kappes, NJW 2006, 3031. 21   BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 294), wonach Mindesthonorare die Verhandlungsposition des Architekten stärken; Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 257 (1988); Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  556; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  106. 22   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 673 (1998). 23   Oben 2.C.1.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

erfordert, kommt es nicht stets dazu und bleibt die Gefahr, dass abdingbares Recht eine Seite stärker als die andere Seite belastet. Dass abdingbares Recht den Parteien den Anreiz zur Verhandlung nimmt, beeinträchtigt ferner die Eigenständigkeit der Parteien und ist insofern ein Nachteil. Es legt ihnen nahe, sich auf eine fremde Vorgabe zu verlassen. Der Gesetzgeber trifft eine Entscheidung, obwohl dies die Parteien vielfach selbst könnten. Anders als in einer Verhandlung vergewissern sie sich nicht, welche Leistungen für sie wichtig sind. Das beeinträchtigt die Fähigkeit, die eigenen Interessen zu formulieren und durchzusetzen.24 Zu beobachten sind derartige Auswirkungen etwa im Arbeitsrecht. Es nimmt Arbeitnehmern den Anreiz, ihren Vertrag zu verhandeln.25 Das liegt zum einen an der Vielzahl seiner zwingenden Normen, die kaum Verhandlungsspielraum lassen, 26 zum anderen aber auch daran, dass seine Normen den Arbeitnehmer vielfach begünstigen.27 Durch eine Verhandlung kann dieser daher nur verlieren. Man mag das mit seiner „strukturellen“ Unterlegenheit rechtfertigen, 28 sollte sich dann jedoch darüber klar sein, dass man ihm damit die Fähigkeit abspricht, die eigenen Interessen in Verhandlungen durchzusetzen. Der Arbeitgeber hat in diesen Fällen zwar einen umso größeren Anreiz zu Verhandlungen. Da er dem Arbeitnehmer aber nur wenig anzubieten hat, kann er ihn nur vor die Wahl stellen, entweder bestimmte abweichende Absprachen zu akzeptieren oder auf einen Vertragsschluss zu verzichten. Die abdingbare Vorgabe schadet auf diese Weise der Formulierung und Regelung widerstreitender Interessen. Im Extremfall hält abdingbares Recht die Parteien sogar ganz von einem Vertragsschluss ab, nämlich wenn die entstehenden Verhandlungskosten den zu erwartenden Gewinn übersteigen. So mag etwa die unbegrenzte Haftung der BGB-Gesellschafter gemäß §  714 BGB zwar abdingbar sein. 29 Indes ist eine derartige Vereinbarung nur innerhalb vertraglicher Beziehungen zu erwarten, weil 24   Klassisch für dieses Argument von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  32. 25   Münchener Vertragshandbuch 3-Kallmann, Bd.  4, IV.8, S.  605, merkt etwa an, dass man bei den tarifgebundenen Arbeitnehmern individualvertraglich nur einzelne erhebliche Punkte regeln dürfe; den Mustervertrag von 19 Paragraphen beschränkt er auf zwei Seiten. Auch der Mustervertrag der IHK Frankfurt beschränkt sich auf 14 Paragraphen, die in erster Linie die gesetzlichen Regelungen wiedergeben. 26   So die für zwingend gehaltene Haftungsteilung, BAG, NZA 1994, 1083, 1086; MünchKommBGB5-Henssler, §  619a Rn.  14 mwN.; zum Ganzen Otto, Arbeitsrecht, S.  89, Rn.  137. 27   Etwa §§  615, 616, 620 BGB. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  168: im Grunde könne man „das gesamte Arbeitsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht bezeichnen“. 28   BVerfG, NJW 1991, 2549, 2551 (= BVerfGE 84, 212, 229); 1996, 185, 186 (= BVerfGE 92, 365, 395); 2007, 286, 287 mwN.; BAG, NZA 2007, 853, 854 (= BAGE 122, 182, 186); einschränkend aber BAG, NZA 2002, 800, 804 (nicht bei der Anfechtung von Aufhebungsverträgen). 29   BGH, NJW 1999, 3483, 3484 (= BGHZ 142, 315, 318); Erman12-Armbrüster, §  714 Rn.  18; Palandt70 -Sprau, §  714 Rn.  11, 18. Zu Einschränkungen durch §  242 BGB BGH, BeckRS 2008, 13187 (= BGHZ 177, 108, 115).

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es praktisch ausgeschlossen ist, mit sämtlichen möglichen Gläubigern eine abweichende Absprache zu treffen. Bei den über das Vertragsverhältnis hinausreichenden Normen scheidet eine Abbedingung aufgrund prohibitiver Kosten damit vielfach aus. Abdingbares Recht kann auch aufgrund der von ihm verursachten Informationskosten den Vertragsschluss erschweren. Je zahlreicher und komplexer seine Regelungen werden, desto weniger sind die Parteien in der Lage zu beurteilen, in welchen Fragen eine Abbedingung geboten ist. Sie stehen dann vor der Wahl, die Anwendung abdingbaren Rechts trotz aller Unsicherheit in Kauf zu nehmen oder aber teuren Rechtsrat einzuholen. Beides erschwert den Vertragsschluss und drängt einzelne Teilnehmer womöglich aus dem Markt. Der Einfluss abdingbaren Rechts entfaltet sich auch in der umgekehrten Konstellation, wenn sich der Vertragsschluss für beide Parteien unabhängig davon lohnt, wie es die von ihm geregelte Frage löst.30 Dann haben beide Seiten einen Anreiz zum Vertragsschluss, ohne dass es darauf ankommt, wie die Verhandlungen verlaufen. Sie mögen sich etwa darüber streiten, ob die Verjährungsfrist drei oder vier Jahre betragen soll. Jedoch wird dies ihre Gewinnerwartungen nicht immer maßgeblich beeinflussen. Jede Partei hat dann einen Grund, dem Vertrag zuzustimmen, selbst wenn sie sich in dieser Frage nicht durchsetzt. Einigen sie sich nicht und schließen dennoch den Vertrag, besteht an seiner Wirksamkeit kein Zweifel.31 Sein Inhalt richtet sich dann nach dem abdingbaren Recht.32 Eine der wesentlichen Funktionen dispositiver Normen ist somit die Klärung der durch eine Verhandlung nicht entscheidbaren Fragen. Im Idealfall wirkt abdingbares Recht damit als eine neutrale streitlösende Instanz. Ebenso kann es aber die Verhandlungen verzerren, indem es eine Seite unterstützt und ihr den Zwang zur Einigung nimmt. Es gibt ihr dann den Anreiz, die Verhandlungen in einer Frage scheitern zu lassen, weil dann eine ihr vorteilhafte Norm zur Anwendung kommt.33 Abdingbares Recht setzt sich ferner durch, wenn die Parteien einander vertrauen und deshalb auf die Regelung einer Frage verzichten. Abdingbares Recht vermag dieses Vertrauen nur begrenzt zu ersetzen. Die Abbedingung von Normen bleibt aus, weil die Initiative dazu als entbehrlich empfunden wird und das Vertrauen der Verhandlungspartner erschüttert,34 sich selbst über die auftre30   In der umgekehrten Konstellation einer Abhängigkeit des Vertrages von einer einzelnen Klausel droht der Verhandlungsabbruch, Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 230 (1995). 31   §  154 BGB steht dem nicht entgegen, BGH, NJW-RR 1988, 970, 971; NJW 2002, 817, 818; 2006, 2843. 32   Eine andere Frage ist, ob dieses dem Gesetz oder einer ergänzenden Vertragsauslegung entnommen wird, dazu BGH, NJW 1975, 1116, 1117; 2002, 817, 818. 33   Johnston, 100 Yale Law Journal 615, 619 (1990); Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 234 (1995). 34   Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 70 (1993); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1756 (1997); Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

tenden Fragen zu verständigen. Sie vermittelt den Eindruck, dass die andere Partei in jeder Frage ihre eigenen Interessen durchzusetzen versucht35 und eher am Recht als an einer einvernehmlichen Kooperation interessiert ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Parteien an einer Abbedingung ein Interesse haben und diese zu einer besseren Verteilung der Chancen und Risiken führt. Das ist beispielsweise bei Personengesellschaften wie KG, OHG oder einer Partnerschaft zu beobachten, in denen die Gesellschafter in persönlichen Beziehungen zueinander stehen und sich darauf verlassen, auftretende Konflikte selbst zu lösen. Obwohl die Vorgaben des Rechts auf ihre Verhältnisse vielfach nicht passen, bedingen sie diese nur zum Teil ab. Dass die Teilhaber derartiger Gesellschaften keine abbedingenden Regeln formulieren, liegt nicht unbedingt daran, dass sie mit ihnen einverstanden sind, sondern vielmehr daran, dass sie ihre Verhältnisse nicht vollständig per Vertrag regeln wollen. Wer auf einer detaillierten Regelung besteht, erscheint leicht als jemand, der allein auf seinen Vorteil bedacht ist. Das schreckt seine Verhandlungspartner ab. Denn es nährt den Verdacht, dass man sich mit ihm nur schwer verständigen kann.36 Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung motiviert daher zwar einerseits vertragliche Absprachen. Andererseits aber kann sie zugleich eine vertragliche Vereinbarung verhindern, wenn sich die Risiken nach Art und Ausmaß einer Regelung entziehen. Diese fällt leichter, wenn die Risiken bekannt sind.37 Je stärker die Ungewissheit über die zu regelnden Risiken und das Vertrauen auf eine notfalls zu erzielende Verständigung ist,38 desto eher verzichten die Parteien daher auf eine das abdingbare Recht verdrängende Vereinbarung. Dieser Verzicht kann ihnen untereinander sogar als Vertrauensbeweis dienen. Das Recht erkennt dies nur begrenzt an, da es Absprachen ohne Rechtsbindungswillen die Verbindlichkeit abspricht 39 und getroffene Absprachen nicht wegen einer außerrechtlichen Regelung für unverbindlich erklärt. in Civil Law Countries, p.  149, 154; Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 656 (2006); generell zur möglichen Belastung des Vertrauens durch Verträge Klein-Woolthuis/Hillebrand/Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 818, 832 mwN. 35   Nach Buckley, 19 Hofstra Law Review 33, 49–50 (1990) kann die Tendenz zu harter Verhandlungsführung volkswirtschaftlich ineffizient sein. 36   Buckley, 19 Hofstra Law Review 33, 49 (1990). 37   L. Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 66 (1993); zu den außerrechtlichen Sanktionen siehe E. Bernstein, 74 Oregon Law Review 189, 218–219 (1995). 38   Dazu Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  68, Rn.  196, wonach man mindestens einmal in den Vertragsverhandlungen höre: „Darüber werden wir uns dann schon einig“; Shavell, 56 Emory Law Journal 439, 448 (2006). Das kann aufgrund der Verhandlungskosten rational sein, Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1681 (2006). Zu den Neuverhandlungsklauseln Horn, AcP 181 (1981), 256, 257 ff. 39   Vgl. §  117 BGB; BGH, NJW 1962, 295, 297 (= BGHZ 36, 84, 88); 1984, 1533, 1536 (= BGHZ 88, 373, 382); MDR 1964, 570; Staudinger2004-Singer, §  117 Rn.  10; BeckOK-BGB20 Eckert, §  145 Rn.  35 ff.

A.  Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen

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Selbst wenn die Parteien eine umfangreiche vertragliche Vereinbarung treffen, bleiben vielfach regelungsbedürftige Fragen offen. Dies liegt neben der Menge der zu entscheidenden Fragen teils am Misstrauen, sich auf eine neue und unbekannte Regelung einzulassen,40 teils an der Vorsicht, bestimmte Risiken anzusprechen,41 und teils an der Entscheidungsunlust der Parteien42 . Es kann von Vorteil sein, denkbare negative Entwicklungen des Vertragsverhältnisses weder zu thematisieren noch zu regeln. Anders als die Beschreibung einer versprochenen Leistung baut etwa eine Diskussion der Leistungsstörungen auf Szenarien auf, deren Vorstellung einen Vertragsschluss erschwert.43 Denn sie führt das mögliche Scheitern plastisch vor Augen. So wie die Lektüre der Nebenwirkungen eines Medikaments abschreckt, wird auch die Bereitschaft zum Vertragsschluss kaum dadurch gefördert, dass man mögliche Unfälle erörtert. Empirisch lässt sich die Tendenz, es im Zweifel beim abdingbaren Recht zu belassen, durch drei Effekte plausibilisieren. Dazu gehört zunächst der so genannte Überoptimismus (over-optimism), wonach Personen positive Entwicklungen tendenziell überschätzen und Risiken unterschätzen.44 Entsprechend unterbleibt vielfach eine vom abdingbaren Recht abweichende Regelung dieser Risiken. Dieser Effekt tritt insbesondere bei der Einschätzung von als kontrollierbar empfundenen Ereignissen ein.45 Zu ihnen gehören die meisten durch abdingbares Recht verteilten Risiken. Denn eine Haftung entsteht aufgrund des Verschuldensprinzips erst dort, wo eine Pflicht schuldhaft verletzt wurde und damit kontrollierbar war, §§  276, 280 BGB. Die Notwendigkeit einer Regelung derartiger Risiken wird typischerweise als geringer empfunden werden, als sie es tatsächlich ist. Zudem tendieren Parteien aufgrund des so genannten Verfügbarkeitsvorurteils (availability-bias) 46 dazu, die Risiken zu überschätzen, für die sie ein Bei  Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 665 (2006).   Ben-Shahar/Pottow, aaO., 651, 656 (2006); zur fehlenden vertraglichen Festlegung grundlegend Macaulay, 28 American Sociological Review 55, 60 (1963). 42   Sie geht unter anderem auf die Tendenz zurück, Entscheidungen zu vermeiden, die man im Nachhinein bedauert, Thaler, 1 Journal of Economic Behavior and Organization 39, 52 (1980); Schwartz, 21 Journal of Legal Studies 271, 273 (1992). 43   Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, S.  163, Teil  2, Rn.  319: „.  .  . aus taktischen Gründen selten empfehlenswert, .  .  . Rechtsfolgen individuell zu definieren“; S.  178, Teil  2, Rn.  348: „In der Praxis wird es geradezu vermieden, über Risiken zu sprechen, die nicht völlig offensichtlich sind“. 44   Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211 (1995); Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1091 (2000); Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 47; Eidenmüller, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S.  13, 26; Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  71 ff. 45   Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1092 (2000) mwN. 46   Tversky/Kahnemann/Slovic, Judgment under Uncertainty, pp.  163; Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211, 220 (1995); Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1085 (2000); Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 37; zur Kritik des Einflusses kognitiver Defizite siehe Buckley, Just Exchange, pp.  72. 40 41

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

spiel kennen. Spricht ein Verhandlungspartner ein bestimmtes Risiko an, führt er es dem anderen vor Augen. Er läuft deshalb nicht nur Gefahr, dass der andere Partner das Vertrauen in die Geschäftsbeziehung verliert,47 sondern begründet zusätzlich das Risiko, dass dieser die vorhandenen Gefahren überschätzt. Denn er wird aufgrund der Verhandlung womöglich annehmen, sein Verhandlungspartner sehe das angesprochene Risiko als besonders hoch an. Daher ist kaum zu erwarten, dass sich ein zum Geschäftsführer zu bestellender Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber darüber verständigt, ob sein Angestelltenverhältnis im Falle einer Kündigung wieder auflebt. Dies ist nur dann relevant, wenn er als Geschäftsführer scheitert. Wer dies thematisiert, läuft Gefahr, Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Eignung zu säen. Aus diesem Grund hat die von der Rechtsprechung entwickelte Vermutung eine große Bedeutung, dass die Parteien im Zweifel die Beendigung des Arbeitnehmerverhältnisses beabsichtigen.48 Schließlich dürfte auch der so genannte Ankereffekt (anchoring effect) 49 die Wirkung abdingbaren Rechts vergrößern. Denn danach beeinflusst eine zunächst genannte Größe selbst dann die Einschätzung einer Frage, wenn sie in keinem Zusammenhang mit ihr steht. Vergleichsvorschläge etwa prägen die Erwartungen auch dann, wenn sie abgelehnt werden. Ein späteres Entgegenkommen stößt umso eher auf Akzeptanz, je dichter es am ursprünglichen Vorschlag liegt.50 Ein unrealistischer, aber veränderbarer Vorschlag ist danach günstiger als ein realistischer, jedoch kaum verhandelbarer. Kennen die Parteien die abdingbaren Normen, so können diese als Ausgangsgröße die Verhandlungen beeinflussen. Dies gilt umso mehr aufgrund der nachgewiesenen Tendenz, Verluste stärker zu vermeiden als Gewinne zu verwirklichen.51 Dem Inhaber eines Rechts erscheint der durch eine Abbedingung eintretende Verlust deshalb typischerweise als gravierender als der Gewinn, den er an anderer Stelle durch sie erhält. Er wird sich deshalb seltener zu einer Abbedingung gegen Entschädigung einlassen, als dies rational wäre. Bereits in der Wortwahl und Perspektive ist es ein Unterschied, ob man ein gesetzlich vorgesehenes Recht abbedingt oder ein außergesetzliches Recht erlangt. Was das Gesetz vorgibt, ist deshalb nicht gleichgültig. Der Ankereffekt tritt im abdingbaren Recht vor allem dann auf, wenn die Parteien es als Vergleichsgröße wählen. Das ist nicht immer der Fall. Etwa kann

  Hill/King, 79 Chicago-Kent Law Review 889, 900 (2004).   BAG, NJW 2007, 396, 397 (= BAGE 118, 278, 282 f.); 2007, 3228, 3230 (= BAGE 123, 294, 300); 2009, 2078, 2079; ErfurtKomm9-Müller-Glöge, §  623 Rn.  5 ; BeckOK-BGB20 -Hesse, §  620 Rn.  74. 49   Tversky/Kahnemann/Slovic, Judgment under Uncertainty, pp.  14; Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1101 (2000). 50   Korobkin/Ulen, aaO., 1100–1102 (2000) mwN. 51   Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1610, 1625 (1998); ders., 83 Cornell Law Review 608, 655 (1998); ders., 97 Northwestern University Law Review 1227, 1254 (2003). 47

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auch ein Vertragsmuster diese Funktion übernehmen.52 Ebenso mag den Parteien das Wissen fehlen, dass bestimmte abdingbare Normen ihre Verträge regeln. Dann vermögen sie kaum zu beurteilen, ob ihnen eine Klausel im Vergleich zum geltenden Recht nutzt oder schadet. Ein vertraglich begründeter Anspruch lässt sich womöglich als Gewinn darstellen, obwohl er die gesetzliche Vorgabe unterschreitet. Statt beispielsweise den Kauf einer Sache mit einer nur einjährigen Gewährleistungszeit als einen Verzicht auf die gesetzliche vorgesehene Gewährleistung zu verstehen, können Verkäufer ihn auch so präsentieren, dass die Käufer durch ihn zumindest eine einjährige Sicherheit gewinnen. Der so genannte Präsentationseffekt (framing effect) 53 kann damit dem Ankereffekt entgegen wirken. Je nach Verwendung stärkt oder schwächt er die Wirkung abdingbaren Rechts. Aus diesem Grund sind die Folgen abdingbaren Rechts vielgestaltig und komplex. Sie zeigen sich auch indirekt an der häufigen Empfehlung, auf der Grundlage eines eigenen Regelungsvorschlages zu verhandeln.54 Denn dann kehrt sich die Verhandlungslast um. Aufgrund der Knappheit der Zeit verhandeln die Parteien in der Regel nicht alle Klauseln und setzen Änderungen nur bei gravierenden Punkten durch. Ein als Verhandlungsgrundlage akzeptierter Vorschlag wirkt dann ähnlich wie abdingbares Recht. Im Zweifel bleibt es bei ihm. Anders als ein Verhandlungsvorschlag stellt das abdingbare Recht den Parteien jedoch noch nicht einmal frei, es als Verhandlungsgrundlage zu wählen. Die Abwahl der deutschen Rechtsordnung als ganzer ist nur möglich, wenn die Parteien zugleich ein anderes Recht wählen.55 Dispositive Normen sind nach alldem kein bloßer Vorschlag, der sich aufgrund der Möglichkeit zur Abbedingung auf das Ergebnis nicht auswirkt. Es beeinflusst vielmehr die Chancen und Fähigkeiten der Parteien, sich in einer Verhandlung durchzusetzen. Sie verhandeln „im Schatten des Rechts“.56 Dieses spricht ihnen verschiedene Positionen zu. Daher kann man zwar zwischen dem   Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1601 (1998); ders., 97 Northwestern University Law Review 1227, 1274 (2003). 53   Tversky/Kahnemann, Science, Vol.  211, 1981, pp.  453, 457; weitere Nachweise oben 1.C.3, Fn.  206. 54   Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1608, 1627 (1998); Prentice, 56 Vanderbilt Law Review 1663, 1712 (2003); Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, S.  108, Teil  2, Rn.  200; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  65, Rn.  184. 55   Art.  3 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I). Zu den entsprechenden Art.  27 Abs.  1 S.  1, 28 Abs.  1 S.  1 EGBGB a. F. war lediglich umstritten, ob jenseits einer nur materiellrechtlichen Verweisung ein anderes als das staatliche Recht gewählt werden konnte. Das wurde überwiegend abgelehnt, MünchKommBGB4-Martiny, Art.  27 Rn.  29, 33; Staudinger2002-Magnus, Art.  27 Rn.  45; BeckOK-BGB16 -Spickhoff, Art.  27 Rn.  28; anders aber Soergel12-von Hoffmann, Art.  27 Rn.  28 für den Verweis auf allgemeine Rechtsgrundsätze. 56   Der Ausdruck „bargaining in the shadow of the law“ wird Mnookin/Kornhauser, 88 Yale Law Journal 950, 968 (1979) zugeschrieben; siehe Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 651 (1989). Der Gegenbegriff ist „shadow of the 52

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Vertrag als den Absprachen der Parteien und der gesamten zwischen ihnen geltenden Vereinbarung unterscheiden, zu der auch die sie ergänzenden gesetzlichen Regeln gehören.57 Jedoch prägen Letztere bereits ihre Absprachen, so dass sich diese deshalb nur begrenzt als das unabhängig vom Recht existierende „wirklich“ Gewollte verstehen lassen. Ändern sich die abdingbaren Regeln, werden zumindest rationale Parteien sich darauf einrichten und andere Vereinbarungen treffen als vorher. Sie reagieren dann auf das Recht, nicht nur das Recht auf sie. Es mag sein, dass zwei Menschen „ohne die Garantie, Kontrolle und Korrektur einer Rechtsordnung“ eine Vereinbarung treffen können.58 Entscheidend aber ist, dass sie dies in aller Regel nicht tun, weil sie eine Rechtsordnung umgibt, die bereits zahlreiche Normen enthält 59 und ihren Willen mitformt. Man kann ihre Abreden somit nicht so auslegen, als ob sie im rechtsleeren Raum geschlossen wären. Ähnlich wie der Kontext einer Äußerung ihre Bedeutung mitbestimmt, 60 hängt der Sinn einer Vereinbarung auch vom sonst zum Zuge kommenden abdingbaren Recht ab.

2.  Die Abhängigkeit vom Vertrauen in die Rechtsordnung Neben dem Vertrauen der Parteien zueinander kann auch ihr Vertrauen in die Rechtsordnung die Wirkung abdingbaren Rechts verstärken. Denn hält das Recht nach ihrem Eindruck eine für sie passende Lösung bereit, werden sie auf eine eigene Lösung eher verzichten, als wenn sie davon ausgehen, dass der Gesetzgeber ihre Vertragsverhältnisse nicht zu beurteilen vermag. 61 Nur soweit sie future“ (man ist künftig auch unabhängig vom Recht auf den Verhandlungspartner angewiesen), Klein-Woolthuis/Hillebrand/Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 832. 57   Etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  345; Endicott, in: Horder, Oxford Essays in Jurisprudence, fourth series, p.  151; ähnlich §  2–204 (1) UCC. Abweichend in der Pandektenwissenschaft, wo ein „Vertrag“ als Übereinkunft mit Namen und Verpflichtungsgrund von einer „Vereinbarung“ ohne diese unterschieden wurde, siehe Heineccius, zitiert nach Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  3, S.  11. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  204 unterscheidet hingegen zwischen der „Befriedigung entgegengesetzter oder doch nicht kongruierender Interessen“ (Vertrag) und der „Willenseinigung zum Zweck der Befriedigung gemeinsamer“ Interessen (Vereinbarung). 58   Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S.  39 ff.; von Hippel, Privatautonomie, S.  93; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  89; ablehnend Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S.  141 f. 59   Vgl. Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  255: „Zusammenfassend können wir sagen, daß der Vertrag sich nicht selber genügt; er ist nur möglich dank einer Reglementierung des Vertrages, die sozialen Ursprungs ist.“; Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 152: „This institutional dimension is not a complement but the main feature of the contractual process“. 60   Searle, Expression and Meaning, p.  117. 61   Zum Zusammenhang von Vertrag und Vertrauen siehe Klein-Woolthuis/Hillebrand/ Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 832–835; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  278;

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ihm vertrauen, werden sie sich auf die Regelung der Hauptleistungen beschränken. Abdingbares Recht kann das Vertrauen auf das Recht sowie auf den durch es mitkonstituierten Markt unterstützen, indem es die Parteien sowie Gerichte von der Entwicklung einer eigenständigen Lösung entlastet 62 und die aus seiner Sicht angemessene Lösung vorgibt63 . Diese Wirkung ist umso stärker, je weniger die Parteien die regelungsbedürftigen Fragen beurteilen können. Um von einer Abbedingung abzusehen, muss das Recht ihnen keine ideale Lösung bereitstellen. Dafür reicht es vielmehr aus, dass sie diese Fragen selbst nicht besser regeln können, etwa weil sie über wenig Erfahrung in der Formulierung von Vertragsklauseln verfügen. Je höher das Vertrauen der Parteien in eine Rechtsordnung und die sie interpretierenden Gerichte ist, desto stärker ist daher die Wirkung abdingbaren Rechts. Umgekehrt führt ein Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber und den Gerichten dazu, dass die Parteien abdingbare Normen möglichst vollständig durch eigene Klauseln ersetzen. 64 Ob das eine oder das andere geschieht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, so insbesondere von den Erfahrungen, über welche die Parteien im Umgang mit Verträgen und ihrer Interpretation vor Gericht verfügen. Im Extremfall mögen die Parteien alles blind unterschreiben, weil ihnen nach ihrem Eindruck am Ende ohnehin der Richter hilft. Möglicherweise machen sie auch die gegenteilige Erfahrung, dass sie sich vor gerichtlichen Überraschungen nur dadurch schützen können, dass sie alles selbst formulieren. Die Wirkung abdingbaren Rechts hängt damit auch von der Erwartung ab, was vor Gericht passiert. Für die Häufigkeit einer Abbedingung spielen des Weiteren die Kosten eine Rolle, die bei der Information über das geltende Recht anfallen. Sind diese höher als die Vorteile einer eigenen Regelung, werden zumindest rationale Parteien sie unterlassen. Die Parteien handeln dann in rationaler Ignoranz, 65 indem sie aus guten Gründen auf eine Information verzichten. Das setzt allerdings die zum EU-Binnenmarkt Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  133 ff.; sowie oben 3.A.1. 62   Vgl. Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 474 (2004). 63   Zu dieser expressiven bzw. symbolischen Funktion Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  211; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  61 mwN., der auch auf die von abdingbarem Recht ausgelöste Reflektion durch die Parteien hinweist, aaO., S.  95. 64   Lundmark, 49 American Journal of Comparative Law 121, 130 (2001) erklärt mit diesem fehlenden Vertrauen in das Recht und die Gerichte den längeren Umfang anglo-amerikanischer Verträge; vgl. Hill/King, 79 Chicago-Kent Law Review 889, 924 (2004); sowie oben 2.B.1, Fn.  115. 65   Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 600 (1982); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 888 (1992); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  103; vgl. auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  123; einschränkend Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 191 (2005). Da fehlende Information daher auf einer freien Entscheidung beruhen kann, rechtfertigt sie allein keinen paternalistischen Eingriff, Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  49.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Erwartung voraus, dass das abdingbare Recht ihre Vereinbarung nicht grundlegend verzerrt. Diese Abhängigkeit vom Vertrauen in die Rechtsordnung besteht selbst noch für die bereits thematisierten Strafregeln, mit denen der Gesetzgeber die Parteien zur Offenlegung von Informationen zwingen will. 66 Denn die Parteien können aus der Bitte zur Abbedingung einer Norm allenfalls dann einen Rückschluss ziehen, wenn die sonst anwendbaren abdingbaren Normen ihren Interessen entsprechen. Ist das allerdings kaum der Fall, wird die Bitte um Abbedingung üblich und kann der Einzelne aus ihr kaum Rückschlüsse auf besondere Risikoeinschätzungen oder Präferenzen seines Vertragspartners ziehen. Das Vertrauen, das der Gesetzgeber durch die Vorgabe angemessener Regeln gewinnt, geht umso stärker verloren, je mehr er die Parteien durch die unangemessene Gestaltung abdingbarer Regeln zur Abbedingung zwingt. Schon deshalb kann er von dieser Gestaltung abdingbaren Rechts nur begrenzt Gebrauch machen. 67 Das Gleiche gilt, wenn der Gesetzgeber abdingbares Recht zur Umverteilung von Vermögen nutzt. Je stärker er die vorgegebenen Normen zuungunsten einer Partei gestaltet, desto eher wird diese versuchen, sie durch eine eigene Klausel zu ersetzen. Das durch die interessengerechte Gestaltung abdingbarer Normen gewonnene Vertrauen ist damit ein Pfund, das der Gesetzgeber auch verlieren kann. Je geringer das Vertrauen in ihn ist, desto eher werden die Parteien eine eigene Regelung treffen. Am deutlichsten zeigt sich die Abhängigkeit abdingbaren Rechts vom Vertrauen in die Rechtsordnung bei der Wahl des anwendbaren Rechts. Denn welches Recht die Parteien auch immer wählen, können sie nicht vermeiden, dass ihnen unbekannte Normen zur Anwendung kommen. Ein minimales Vertrauen in es ist unentbehrlich. Dieses Vertrauen ist nicht notwendigerweise durch bisherige Erfahrungen mit dem jeweiligen Recht geprägt, sondern kann durch andere kulturelle und politische Faktoren beeinflusst werden. So sprachen sich 2008 in einer Umfrage 57% der befragten Europäer dafür aus, bei grenzüberschreitenden Verträgen Europäisches Vertragsrecht anzuwenden. 68 Dies ist bemerkenswert, weil es dieses Recht zum Zeitpunkt der Umfrage nicht gab und daher ausgeschlossen war, dass sich die Befragten von seinem Inhalt leiten ließen. Ebenfalls lehnte eine Mehrheit von Unternehmern die Wahl eines außereuropäischen Vertragsrechts selbst unter der Bedingung ab, dass allein dieses ihren Zielen dient (63%). 69 Dies zeigt, dass es bei der Wahl des anwendbaren Rechts nicht nur auf dessen Inhalt ankommt, sondern auch auf weitere Faktoren wie das Vertrauen in die Rechtsordnung.   Oben 2.C.1.b), 2.C.2.c).   Zu weiteren Schwierigkeiten siehe oben 2.C.2.c). 68   European Commission, Civil Justice in the European Union, Eurobarometer 292, p.  19. 69   Popham/Plews, The Clifford Chance Survey on European Contract Law, p.  18. 66 67

A.  Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen

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Da die Parteien das abdingbare Recht nur begrenzt kennen, wirkt es ähnlich wie Allgemeine Geschäftsbedingungen.70 Auch diese sollen den Vertragsschluss durch standardisierte Normen erleichtern. So wie bei ihnen hängt die Frage, wie intensiv man die anwendbaren Normen verhandelt, unter anderem vom Vertrauen zum Normgeber ab. Fehlt es, so verzichten die Parteien auf das Regelwerk entweder ganz oder versuchen, so viele Einzelheiten wie möglich zu verhandeln. Der Unterschied zwischen abdingbarem Recht und AGB ist allerdings, dass diese für eine Anwendung in den Vertrag einbezogen werden müssen, §  305 Abs.  2 BGB, während abdingbares Recht unabhängig davon zur Anwendung kommt. Zudem gelten für AGB eine Reihe von Wirksamkeitsanforderungen, §§  305 ff. BGB, während die Anforderungen an das geltende abdingbare Recht auf wenige verfassungsrechtliche Minimalforderungen beschränkt sind. Aufgrund der Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung und der Anwendung der Generalklauseln ist die Verfassungswidrigkeit einer abdingbaren vertragsrechtlichen Norm eher die Ausnahme.71 Im Übrigen aber ähneln sich dispositive Normen und AGB: Stets geht es um eine standardisierte Regelung, von der die Parteien abweichen dürfen, jedoch angesichts des dafür erforderlichen Aufwandes, der dafür notwendigen Information72 sowie der Autorität des Vorgegebenen73 nur begrenzt abweichen können. Diese Ähnlichkeit zwischen abdingbarem Recht und Allgemeinen Geschäftsbedingungen zeigt sich am stärksten an Regelwerken wie der VOB, die formal lediglich den Status von AGB haben,74 aufgrund ihrer geringeren Kontrolle aber wie gesetzliche Normen wirken. Zwischen Privatparteien kommen sie wie andere AGB nur nach Einbeziehung zur Anwendung, 75 sind jedoch gleichwohl weit verbreitet. Neben den Vorteilen, die mit der wiederholten Verwendung derselben Normen einhergehen,76 liegt dies auch am Vertrauen der Parteien darauf, durch die VOB/B nicht benachteiligt zu werden. Gesichert wird dies durch

  Binder, Regulierungsinstrumente, S.  113.   Bejaht meist bei einem Gleichheitsverstoß, etwa §  622 Abs.  2 a. F. BGB (unterschiedliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte), BVerfG, NJW 1990, 2246, 2248; §  1355 Abs.  1 S.  2 BGB a. F. (Name des Manns maßgeblich bei fehlender Bestimmung des gemeinsamen Ehenamens), BVerfG, NJW 1991, 1602 (= BVerfGE 84, 9, 18); §§  1628, 1629 Abs.  1 BGB a. F. (= BVerfGE 10, 59, 76) (Stichentscheid des Vaters). 72   Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1404 (2009). 73   Vgl. Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  3. 74   BGH, NJW 1987, 2373, 2374; 1988, 142, 143 (= BGHZ 101, 369, 374); Staudinger2003-Peters, vor §§  631 ff. Rn.  82; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A1, Systematische Darstellung III Rn.  14; Englert/Motzke/Katzenbach 2, VOB/C, Teil  C im System des Bauvertrages Rn.  5. 75   BGH, NJW 1983, 816, 817 (= BGHZ 86, 135, 137 ff.); 1990, 715 (= BGHZ 109, 192, 194 ff.); 1994, 2547; Englert/Motzke/Katzenbach 2, VOB/A, Systematische Darstellung Rn.  266. 76   Zu den Netzwerkeffekten siehe oben 2.A.1.b), Fn.  33. 70 71

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

die Beteiligung von Vertretern der Auftragnehmer und Auftraggeber bei der Erstellung der VOB.77 Neben dem Vertrauen der Parteien auf die subsidiär anwendbaren Normen kann auch umgekehrt das abdingbare Recht ein Vertrauen des Gesetzgebers gegenüber den Parteien ausdrücken. Denn bei seiner Entscheidung über den zwingenden oder den abdingbaren Status einer Norm hat er die Einschätzung zu treffen, ob die Parteien von der Möglichkeit der Abbedingung einen verantwortlichen Gebrauch machen. Bejaht er das, wird er die Normen abdingbar formulieren und Ausnahmefälle durch Generalklauseln einschränken. Erwartet er hingegen einen Missbrauch, wird er sie zwingend ausgestalten.

3.  Information durch abdingbares Recht Abdingbares Recht beeinflusst die Vertragsverhandlungen des Weiteren durch die mit ihm einhergehenden Informationen. Es übermittelt sie auf unterschiedliche Weisen. Eine von ihnen klang bereits bei der Diskussion der Strafregeln an.78 Wenn eine Partei aufgrund des abdingbaren Rechts den Anreiz hat, der anderen Partei die Abbedingung einer Norm vorzuschlagen, so können ihre Interessen und Risikoeinschätzungen hervortreten.79 Derartige Regeln werden auch informationserzwingende Regeln genannt (information forcing rules) 80 . Wie wir indes bereits sahen, ist diese Wirkung begrenzt, weil die Initiative zur Abbedingung in aller Regel zu mehrdeutig ist, um daraus Schlüsse zu ziehen. 81 Unabhängig davon können die Parteien dem abdingbaren Recht bereits im Vorfeld der Verhandlungen die Information entnehmen, welche Fragen der Gesetzgeber und die Gerichte als regelungsbedürftig ansehen. 82 Bei der Vielfalt der Verträge ist das ein großer Vorteil. Die Parteien profitieren auf diese Weise von den Erfahrungen des Rechtssystems. Haben die Gerichte etwa für den Fall, dass eine dem Kreditgeber eingeräumte Sicherheit die offene Forderung weit übersteigt, einen abdingbaren Freigabeanspruch gewährt, 83 so zeigt das den Kreditnehmern in anderen Fällen, dass sie diese Frage regeln sollten. Dem abdingbaren Freigabeanspruch können sie den Hinweis entnehmen, dass sich eine Bank womöglich trotz Übersicherung weigert, die ihr eingeräumten Sicher77   Zur Zusammensetzung des für die Erstellung der VOB verantwortlichen Deutschen Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen siehe §§  1 Abs.  1, 3, 16 Abs.  3 seiner Satzung. 78   Oben 2.C.1.b), 2.C.2.c). 79   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 97 (1989); oben 2.C.1.b). 80   Ayres/Gertner, aaO., 97–99; dies., 101 Yale Law Journal 729, 735 (1992). 81   Oben 2.C.2.c). 82   Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  52; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S.  157 f.; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  106. 83   BGH, NJW 1996, 2092, 2093 (= BGHZ 133, 25, 32 f.); 1998, 671, 673 (= BGHZ 137, 212, 219); NJW-RR 2007, 989, 990.

A.  Der Einfluss auf die Vertragsverhandlungen

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heiten freizugeben. Insoweit kommt abdingbarem Recht eine Warnfunktion zu. 84 Darüber hinaus können die Parteien die Vorschläge der anderen Partei vor dem Hintergrund der bestehenden abdingbaren Normen besser einordnen. Räumt der Verkäufer dem Käufer eine dreijährige Gewährleistungszeit ein, so erleichtert ihre Gegenüberstellung mit der gesetzlich vorgesehenen zweijährigen Frist den Schluss, dass der Verkäufer sein Gut als verlässlicher einschätzt, als das typischerweise der Fall ist. Abdingbares Recht informiert auf diese Weise nicht nur über die Regelungsbedürftigkeit der von ihm beantworteten Fragen, sondern auch über die typischen oder gar bewährten Antworten85 auf sie. Diese Information verliert erst an Wert, wenn eine Norm fast durchgehend abbedungen wird. Denn dann gibt sie keinerlei Hinweis auf das Übliche. Gleiches gilt für die mit abdingbarem Recht einhergehenden Wertungen. Auch sie vermögen die Vertragsverhandlungen zu beeinflussen, indem die Parteien sie als angemessen ansehen. Es ist ein Unterschied, ob eine Partei eine Nebenpflicht neu begründen muss oder darauf verweisen kann, diese Pflicht sei in ähnlicher Form gesetzlich bereits vorgegeben. Im letzteren Fall verstärkt die Tendenz zur Normkonformität die Bestrebung, die vorgegebenen, wenn auch abdingbaren Normen einzuhalten. Sie stammen von einer unabhängigen Autorität. 86 Dies ist umso wichtiger, als die Einschätzungen, was gerecht ist, häufig von so genannten Referenztransaktionen abhängen, die als Maßstab zur Bewertung der eigenen Handlungen dienen. 87 Sofern das abdingbare Recht die Vorstellungen über diese Referenztransaktionen beeinflusst, wirkt es sich auch auf diese Weise auf die Verhandlungsvorschläge aus. 88 Das ist etwa bei den anwaltlichen Gebührensätzen der Fall. Das RVG gibt sie nur abdingbar vor. Gleichwohl fällt eine Abweichung von ihnen schwer. 89 Ein großer Teil der Rechtssuchenden will sich auf etwas anderes als die gesetzlichen Gebühren nicht einlassen. Nicht zufällig wird über ihre Erhöhung vehement gestritten.90 Der Verzicht auf eine Abbedingung hat für die Parteien den Vorteil, dass die Gerichte über die Auslegung der dann zum Zuge kommenden abdingbaren 84   Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  52; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  111 f.; Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1271 (2003). 85   Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 109 (2002). 86   Siehe BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 294); McJohn, 31 Suffolk University Law Review 39, 49, 55 (1997); zur Erleichterung von Verhandlungen durch eine neutrale Instanz Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  48, Rn.  128. 87   Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 26, 33. 88   Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1764 (1997). 89   Das stellt auch das BVerfG fest, NJW 2007, 2098, 2099 (= BVerfGE 118, 1, 18), hält sie aber mit der Vertragsfreiheit vereinbar. Kritischer das Sondervotum von Gaier, aaO., 2102, 2104. 90   Siehe etwa die Stellungnahmen der Bundesrechtsanwaltskammer, veröffentlicht unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/national/anwaltsverguetung/ (Stand: 5.  8.  2011).

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Normen häufig befinden und ihre Entscheidungen insoweit besser voraussehbar sind.91 Entsprechend verringert sich das Risiko eines überraschenden Urteils. Denn während sich die Parteien bei der Anwendung abdingbaren Rechts weitgehend darauf verlassen, dass die Gerichte es so wie bisher interpretieren,92 fehlt diese Erfahrung bei der eigenen Gestaltung von Verträgen.93 Für neue Vertragsklauseln gibt es beispielsweise keine Kommentare. Die Auslegung abdingbaren Rechts durch die Gerichte ist daher mit weniger Unsicherheiten behaftet als die Auslegung neu formulierter vertraglicher Normen. Neben Informationsvorteilen schafft das abdingbare Recht allerdings auch Informationslasten.94 Denn wollen die Parteien Überraschungen vermeiden, müssen sie wissen, welche ergänzenden Normen zum Zuge kommen. Diese Obliegenheit fällt umso gravierender ins Gewicht, je schwerer eine Information über das geltende Recht zu erlangen ist. Am leichtesten fällt dies bei der Ausschlussnorm. Bei ihr können sich die Parteien darauf verlassen, dass sie mangels einer Absprache weder Rechte noch Pflichten haben. Ebenfalls gering sind die Informationskosten, wenn das Gesetz eine für alle oder zumindest den Rechtskundigen vertraute allgemeine Lösung vorsieht.95 Dies ist etwa bei den gesetzlichen Zinssätzen der Fall, die mangels einer abweichenden Vereinbarung gelten, §§  246 BGB, 352 HGB. Sie müssen aus diesem Grund nicht als Strafregel gedeutet werden, welche die Parteien zur Offenlegung ihrer Rentabilitätsinteressen zwingen,96 sondern können als Lösung begriffen werden, die den Informationsaufwand minimiert. Anstatt komplexe Regeln darüber aufzustellen, welcher Zinssatz angemessen ist, begnügt sich das Gesetz mit einer abdingbaren Vorgabe. Diese können die Parteien besser erkennen, als wenn sie jeweils untersuchen müssten, welcher Zinssatz ihren Vertrag bestimmt. Abdingbare Normen verändern damit die Informationen der Parteien auf vielfältige Weise und beeinflussen dadurch die Vertragsverhandlungen.

91   Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:8 (2001); Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1415 (2009). 92   Zur geringen Zahl an Rechtsprechungsänderungen Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  101 ff. 93   Arruñada, in: Daffains/Kirat, Law and Economics in Civil Law Countries, p.  149, 154; sowie oben 3.A.1. 94   Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  98; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  150 ff. 95   Aufgrund der so genannten „Fairness heuristic“ besteht eine Tendenz, die einem vertrauten Gerechtigkeitsvorstellungen für Recht zu halten, Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 120 (2002); einschränkend Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1759 (1997). 96   Ayres, 33 Florida State University Law Review 589, 590 (2006) hingegen hält einen abdingbaren fünfprozentigen Zinssatz für „a particularly striking example of a penalty default“.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt Abdingbare Normen wirken sich auf den Vertragsinhalt nicht nur über die Verhandlungen aus. Das geschieht auch auf andere Art und Weise. Sie verändern die Parteiinteressen (1), ergänzen die Verträge (2), bestimmen deren Auslegung (3), wirken mit anderen Normen zusammen (4) und bilden die Grundlage für die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze (5).

1.  Veränderung des Parteiwillens Nach klassischer Vorstellung schließen die Parteien einen Vertrag, um ihren Willen umzusetzen.97 Wie dieser Wille entsteht, ist danach für das Recht unerheblich. Er sei ihm vorgegeben und ihm müsse es sich anpassen. Abdingbares Recht trete nur als Ergänzung hinzu.98 Gerade dies beinhalte die Anerkennung der Privatautonomie als einer dem Recht vorgegebenen Größe. Dieses Bild bleibt indes unvollständig, so lange man nicht auch umgekehrt berücksichtigt, dass das abdingbare Recht den Willen der Parteien beeinflusst.99 Es stellt nicht nur Hürden für seine Umsetzung auf, sondern wirkt sich bereits auf seinen Inhalt aus. Dies geschieht aufgrund von mehreren experimentell inzwischen nachgewiesenen Effekten. Der bekannteste von ihnen ist der so genannte Besitzeffekt (endowment effect), nach dem Personen ein Gut oder ein Recht stärker schätzen, wenn sie bereits über es verfügen, als wenn sie es erst noch erwerben müssten.100 Besitzt man eine Sache, verlangt man für ihren Verkauf typischerweise mehr, als man selbst für ihren Erwerb ausgeben würde (offer-asking-gap).101 Tritt dieser Effekt auch bei der Anwendung abdingbarer Vertragsrechtsnormen auf, so schätzen die Parteien die durch sie entstehenden Rechte höher ein, als wenn ihnen eine andere Norm vorgegeben wäre. Sie würden diese dann entweder nicht abbedingen oder dafür ein größeres Entgegenkommen der anderen Seite verlangen, als wenn diese Rechte erst durch ihre Vereinbarung entstünden. Etwa dürf  Zur Willenstheorie oben 2.A.1, Fn.  8.   Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  83. Daher auch die Bezeichnung als ergänzendes Recht, aaO., sowie Endemann, BR, Bd.  1, S.  40; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  15; weitere Nachweise oben 1.A; Fn.  6 . 99   Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 73 (1991); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 391 (1994), der dies bewirkende Regeln „transformative defaults“ nennt; Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 667 (1998); Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 293, der von „feedback-Effekten“ spricht. Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  2, Rn.  5 : „Die Gestaltung .  .  . der lex contractus, erfolgt .  .  . auch in Prognose und Vorwegnahme künftiger Subsumtionsvorgänge, etwa der Subsumtion eines bestimmten denkbaren Störfalls unter den Vertrag und das ergänzende Gesetzes- und Richterrecht.“ 100   Thaler, 1 Journal of Economic Behavior and Organization 39, 44 (1980); weitere Nachweise oben 2.A.3.c), Fn.  92. 101   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 625 (1998) mwN. 97

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

ten Private danach trotz finanziellen Ausgleichs seltener zur Vereinbarung einer kürzeren Frist als der durch §  438 BGB vorgesehenen bereit sein, als wenn ihnen keine Verjährungszeit vorgegeben wäre. Selbstverständlich ist das nicht, da es bei einer Abbedingung vertragsrechtlicher Normen um erst noch zu erwerbende Rechte geht. Es handelt sich bei ihnen daher nur um die Aufgabe eines virtuellen und keines realen Besitzes.102 Verschiedene Experimente zeigen indes, dass dieser Effekt auch bei derartigen vertragsrechtlichen Normen eintritt.103 Russell Korobkin hat dazu die Bereitschaft von Prozessparteien untersucht, vorgegebene Kostenregelungen abzubedingen. Die Teilnehmer bevorzugten dabei stets die abdingbare Vorgabe, und zwar unabhängig davon, ob diese in einer §  91 ZPO entsprechenden erfolgsabhängigen Kostenverteilung bestand oder in der so genannten american rule, bei der jede Seite für ihre eigenen Kosten aufkommt.104 Die Mehrheit richtete sich stets nach dem abdingbaren Recht. Entsprechend waren in einer Untersuchung von Larry DiMatteo 75% der Teilnehmer „um keinen Preis“ bereit, eine vorgegebene Vertragsstrafenklausel abzubedingen. Demgegenüber hätten nur 32% einen angegebenen Höchstpreis für ihre Vereinbarung gezahlt.105 In beiden Fällen prägte die abdingbare Vorgabe die Interessen der Parteien, was sich an der getroffenen Vereinbarung ablesen ließ. Dieser Effekt dürfte durch die Macht der Gewohnheit106 und die mit einer gesetzlichen Norm verbundene Autorität noch steigen. Sind Personen für ihre Entscheidungen verantwortlich, verstärkt sich die Tendenz, es beim status quo zu belassen.107 Das dürfte die Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts miterklären. Aus dem Umstand, dass die Parteien nicht von einer etablierten abdingbaren Norm abweichen, lässt sich daher nicht ableiten, dass diese unveränderliche Interessen optimal umsetzt.108 Denn das gleiche Phänomen könnte ebenso bei einer anderen abdingbaren Vorgabe auftreten. Abdingbares Recht kann deshalb den Vertragsinhalt selbst dann beeinflussen, wenn die Verhandlungskosten zu vernachlässigen sind. Die Parteien bedingen eine Norm meist nur dann ab, wenn sie daran ein erhebliches Interesse haben, 102   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 631 (1998); ders., 97 Northwestern University Law Review 1227, 1245 (2003) spricht deshalb von „illusory endowment“; siehe auch Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 256 (1988). 103   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 645 (1998); DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 895 (2006); zuvor bereits Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 252, 260 (1988), der dies als „general hesitation effect“ beschreibt. 104   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610, 647 (1998). 105   DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 897 (2006). 106   Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie, S.  33. Daher wird dieser Effekt auch status quo bias genannt, Ayres/Gertner, 51 Stanford Law Review 1591, 1599 (1999); Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1111 (2000); ders., 83 Cornell Law Review 608, 633 (1998). 107   Tetlock/Boettger, 7 Journal of Behavioral Decision Making 1, 9 (1994). 108   Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1113 (2000).

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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und nicht schon dann, wenn sie als Gesetzgeber eine andere Norm bevorzugen würden.109 In den bisherigen Studien wussten die Befragten allerdings nicht, ob sich eine Abbedingung für sie lohnt. So wurde ihnen in der Studie von DiMatteo nicht mitgeteilt, wie wahrscheinlich ein Vertragsbruch ist und welche Schäden zu erwarten sind.110 Deshalb konnten sie nicht einschätzen, ob der Aufpreis für eine Vertragsstrafenklausel den vermutlichen Schaden übersteigt. Dass sie die ihnen vorgegebenen Normen nicht abbedangen, lag somit nicht unbedingt an irrationalen Präferenzen,111 die sich nur mit einem Besitzeffekt erklären ließen. Womöglich ging dies schlicht darauf zurück, dass sie dafür keinen Grund sahen.112 Ihn zu verlangen ist zumindest dann nicht irrational, wenn man darauf vertrauen kann, dass die durch die Rechtsordnung oder – wie im Experiment – durch eine neutrale Instanz vorgegebene Norm den eigenen Interessen gerecht wird. Damit stimmt überein, dass der Besitzeffekt umso größer ist, je schwieriger die Vor- und Nachteile des jeweiligen Zustands zu beurteilen sind.113 Umgekehrt aber bestätigten Experimente unter voller Information der Beteiligten das dem Besitzeffekt entgegengesetzte Coase-Theorem,114 wonach der Ausgangszustand in einer Verhandlung keine Rolle spielt. Die Ungewissheit über die Bedeutung einer Abbedingung dürfte die Vertrags­ praxis erheblich prägen. Denn die Bewertung der Vertragsklauseln hängt von einer Vielzahl kaum einschätzbarer Faktoren ab. So ist etwa bei einer Haftungsreduktion einzuschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintritt, welches Ausmaß dieser durchschnittlich hat und wie teuer eine anderenorts abzuschließende Versicherung ist. Stehen all diese Faktoren nicht fest, wissen die Vertragsparteien nicht, ob sie durch die Abbedingung verlieren oder gewinnen. Dass sie in dieser Lage das vorgegebene Recht nicht abbedingen, ist angesichts der dafür entstehenden Kosten verständlich. Diese sind zumindest gewiss. Dispositive Normen wirken damit letztlich so wie etablierte Gewohnheiten: Gibt es keinen Grund zur Änderung, bleiben sie bestehen.

109   Das ist selbst bei wiederholten Vertragsverhandlungen der Fall, Korobkin, 97 North­ western University Law Review 1245 (2003). 110   DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 893 (2006). 111   So DiMatteo, aaO., 921. 112   Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 112 (2002) vermutet ebenfalls, dass dieser Effekt auf der mit einer Norm einhergehenden Information beruht, sieht dadurch aber den Besitzeffekt nicht in Frage gestellt. Eine alternative Erklärung ist die Tendenz, Handlungen zu vermeiden, die man später bedauert (regret avoidance), siehe Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1610, 1625 (1998); ders., 97 Northwestern University Law Review 1227, 1254 (2003); zur Kritik Buckley, Just Exchange, p.  77: „a useful adaptive strategy“. 113   Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1237 (2003). 114   Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 252 (1988) mwN.; zum Coase-Theorem oben 3.A, Fn.  1.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Auch das so genannte Unterlassungsvorurteil (omission bias) dürfte die Durchsetzung abdingbaren Rechts fördern.115 Danach wird ein negatives Ergebnis schlechter bewertet, wenn es auf eine Handlung zurückgeht, als wenn es auf einer Unterlassung beruht. Wenn Kinder etwa krank werden, weil ihre Eltern eine Impfung ablehnten, empfinden diese die Krankheit als weniger problematisch, als wenn sie auftritt, weil sie einer Impfung zustimmten.116 Da eine Vielzahl abdingbarer Vertragsnormen Risiken verteilen und in einer Situation zur Disposition stehen, in der die Vertragspartner die künftige Entwicklung nur begrenzt abschätzen können,117 dürfte dieser Effekt eine erhebliche Rolle spielen.118 Im Zweifel wird eine gesetzliche Risikoverteilung nicht verändert. Ferner verstärkt der Effekt der Normeinhaltung (norm compliance) die Wirkung abdingbarer Normen.119 Danach ist ihren Adressaten daran gelegen, sich an die vorgegebenen Normen zu halten, und zwar selbst dann, wenn diese keine weiteren Vorteile bieten. Dies lässt sich durch die Autorität des Gesetzgebers sowie mit den durch die Normeinhaltung einhergehenden Gewinnen an Reputation und Selbsteinschätzung erklären.120 Unternehmer etwa haben dadurch den Anreiz, die gesetzlichen Gewährleistungsfristen unverändert zu lassen, um ihren Ruf als rechtschaffende Handelspartner zu wahren, selbst wenn ihnen eine Abbedingung möglich wäre. Diese Bestrebung zur Normeinhaltung dürfte auch mit dem bereits thematisierten Vertrauen in die Rechtsordnung zusammenhängen. Denn je größer das Vertrauen in das Recht ist, desto größer dürfte die Bereitschaft sein, sich an den vorgegebenen Normen zu orientieren.121 Halten die Parteien die rechtlichen Normen hingegen für ungeeignet, dürften sie unabhängig von ihren sonstigen Interessen kein Interesse an deren Beibehaltung haben. Wie stark die einzelnen Effekte die Interessen der Parteien prägen, ist schwer zu ermitteln und bisher kaum untersucht. Das hängt unter anderem davon ab, wie gut die Parteien das Recht kennen, wie häufig sie verhandeln und wie stark das Vertrauen in die Rechtsordnung ist. Gut dokumentiert allerdings ist, dass sich das abdingbare Recht oftmals durchsetzt (stickiness of default rules), auch 115   Ritov/Baron, 5 Journal of Risk and Uncertainty 49, 59 (1992) konnten in mehreren Befragungen nachweisen, dass das Unterlassungsvorurteil einen stärkeren Effekt als der Besitzeffekt hat und diesen überlagern kann. 116   Ritov/Baron, 3 Journal of Behavioral Decision Making 263, 275 (1990). 117   Hesselink, 1 ERCL 44, 68 (2005). 118   Entsprechendes gilt für die Verhandlung von Vertragsvorschlägen, siehe Korobkin, 51 Vanderbilt Law Review 1583, 1602, 1627 (1998). Nach seiner Studie nimmt das Unterlassungsvorurteil mit der Ungewissheit über die Konsequenzen einer Handlung ab. Allerdings erklärt er dies mit der Bestrebung, Bedauern zu vermeiden (regret avoidance), aaO., p.  1624. 119   Korobkin, 79 Oregon Law Review 23, 44, 53 (2000); sowie bereits oben 3.A.3. 120   Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 414 (1994); Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1836 (1991); Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1271 (2003). 121   Binder, Regulierungsinstrumente, S.  105.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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wenn die genauen Ursachen dafür nicht feststehen. Das gilt selbst dann, wenn sich die abdingbare Vorgabe verändert.122 Paradigmatisch dafür ist eine Untersuchung zu Kfz-Versicherungen in den USA. Deren Inhalt hängt von der abdingbaren Vorgabe des Rechts ab. Lediglich 20% der aufgrund einer Haftungsbegrenzung nur zum Teil  Versicherten waren gegen Aufpreis bereit, eine Vollversicherung abzuschließen. Demgegenüber wollten bei deren Vorgabe 75% der Versicherten trotz möglicher Herabsetzung der Prämie nicht in eine Teilversicherung wechseln.123 Aus der fehlenden Abbedingung einer Norm kann man daher nicht ableiten, dass diese für die Parteien optimal ist. Denn möglicherweise würden die Parteien auch eine andere abdingbare Norm beibehalten. Aufgrund dieser Wirkung ist es riskant, den Parteien bewusst eine unangemessene Norm in der Hoffnung vorzugeben,124 dass sie diese an ihre eigenen Verhältnisse anpassen („penalty default“). Aufgrund der beschriebenen Durchsetzungskraft abdingbarer Normen ist nämlich ungewiss, ob es dazu kommt. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass die Parteien an ihnen festhalten, obwohl sie von einer Abbedingung profitieren würden.125 Bereits die Möglichkeit derartiger Effekte spricht dafür, den Parteien im Zweifel keine Strafregel, sondern eine inhaltlich ausgewogene Norm vorzugeben.126 Denn nur so kann man verhindern, dass sich eine Norm durchsetzt, die bereits nach Einschätzung des Gesetzgebers suboptimal ist.

2.  Ergänzung der Vereinbarung Bedingen die Parteien das dispositive Recht nicht ab, so ergänzt und verändert es ihre Vereinbarung. Trotz des Verzichts auf eine Regelung bleibt diese wirksam, weil abdingbare Normen die Lücken ausfüllen.127 Bisweilen wird dies als   Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 670–681 (2006); Listokin, What Do Default Rules and Menus Do?, p.  6 ; Kesan/Shah, 82 Notre Dame Law Review 583, 589 (2006); anders hingegen Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  235, wonach abdingbare Normen im Wirtschaftsverkehr regelmäßig abbedungen würden; Black, 84 Northwestern University Law Review 542, 557 (1990) (für das US-Gesellschaftsrecht); zum Besitzeffekt auch oben 2.C.2.d), Fn.  92. 123   Johnson et al., 7 Journal of Risk and Uncertainty 35, 48 (1993). 124   Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 6 (1993); ders., 73 University of Chicago Law Review 3, 4 (2006); dazu oben 2.C.2.c). 125   Anders Posner, Economic Analysis of Law, p.  98, wonach ineffiziente Normen nur zur Erhöhung der Transaktionskosten führen; Ackermann, in: Furrer, Europäisches Privatrecht im wissenschaftlichen Diskurs, S.  417, 418; Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 83. 126   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 676 (1998); Ben-Shahar/Pottow, 33 Florida State University Law Review 651, 669 (2006); Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S.  209 f. 127   Medicus, AT, S.  134, Rn.  341; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  101, S.  538; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  16. 122

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Reservefunktion des abdingbaren Rechts bezeichnet.128 Sie ist besonders dort wirkungsmächtig, wo sich die Parteien über eine Frage nicht einigen können und gleichwohl den Vertrag schließen. Denn dann bleibt es nicht deshalb bei der abdingbaren Norm, weil sich die Parteien gegen eine Abbedingung entschlossen haben, sondern schlicht deshalb, weil sie sich nicht über eine Alternative einigen konnten. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, von einer abdingbaren Norm abzuweichen, und der begrenzten Zeit der Verhandlung ist dies ein nahe liegendes und inzwischen auch experimentell bestätigtes Szenario.129 Die Ergänzung der Vereinbarung erfolgt unabhängig vom Willen der Parteien. Diese müssen weder die vertraglichen Klauseln noch die abdingbaren Normen kennen.130 Das ist angesichts deren unüberschaubaren Zahl auch nicht zu erwarten. Die Annahme, die anzuwendenden Normen entsprächen ihrem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen, ist vielfach eine Fiktion.131 Die Parteien wissen nicht, an welchen Stellen und mit welchem Inhalt das Recht ihre Vereinbarungen ergänzt. Jeder Vertrag bleibt deshalb ein Wagnis.132 Er enthält mehr als das, was die Parteien miteinander vereinbaren. Entsprechend handelt das Vertragsrecht nicht nur von der Auslegung der Parteivereinbarungen.133 Die ergänzende Wirkung geht vom abdingbaren Gesetzesrecht ebenso aus wie von den gerichtlichen Entscheidungsregeln, die dieses konkretisieren und ihrerseits ergänzen. Sie sind ebenfalls abdingbar, insoweit sie davon abhängen, ob die Parteien etwas Gegenteiliges vereinbart haben.134 Zur richterlichen Ergänzung der Verträge kommt es erst zu einem Zeitpunkt, in dem diese bereits geschlossen sind und Gegenstand einer gerichtlichen Erörterung werden. Die Parteien können sie daher nur vorweg nehmen, wenn es bereits in der Vergan  BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 294); Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  26; Grundmann, NJW 2002, 393, 395 („Reservevertragsordnung“); Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  68 zu den Kodifikationen des 19. Jahrhunderts (ALR, ABGB, Code civil); Grundmann, JZ 2005, 860, 864; siehe auch oben 2.B.1.a). 129   Sloof/Oosterbeek/Sonnemans, 163 Journal of Institutional and Theoretical Economics 5, 20 (2007). 130   Oben 1.A.1.c). Bei AGB genügt die Möglichkeit zur Kenntnis, BGH, NJW 1992, 1232, 1233 (= BGHZ 117, 190, 198); 2002, 370, 372 (= BGHZ 149, 113, 118); vgl. BeckOK-BGB20 Becker, §  305 Rn.  55; Jauernig13-Stadler, §  305 Rn.  19. Auch individualvertraglich ist keine Kenntnis erforderlich, Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  135; sowie zu §  401 BGB: Staudinger2005-Busche, §  401 Rn.  7. Entsprechend im Common Law, siehe Robertson, The Law of Obligations, p.  87, 99. 131   Larenz, Die Methode der Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  103; Hager, Gesetzesund sittenkonforme Auslegung, S.  135; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  120 f., 156 f., der dies als normiertes Schweigen der Parteien deutet; Lenhoff, 45 Michigan Law Review 39, 64 (1946); Gilette, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 167, 179 (1994); Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 204, 215 (2005); Beyleveld/ Brownsword, Consent in the Law, p.  354; oben 2.A.1.a). 132   Oben 2.B.1.a). 133   Vgl. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  138 f.; Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 503 (1989); Bix, Contract Law Theory, p.  9. 134   Zum abdingbaren Charakter derartiger Normen siehe oben 1.E.2.b). 128

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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genheit ähnliche Urteile gab. Bei einer erstmaligen Entscheidung jedoch müssen sie die Ergänzung dulden, ohne sie per Abbedingung vermeiden zu können. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist es für sie aus diesem Grund häufig kein Unterschied, ob das Recht eine zwingende oder eine abdingbare Norm formuliert. Diese kommt in jedem Fall zum Zuge. Auch die Gerichte können dann offen lassen, ob es sich um eine zwingende Vorgabe handelt. Sie können als bloße Ergänzung ausgeben, was der Sache nach eine erhebliche Korrektur beinhaltet.135 Die Gefahr, dass derartige ungeschriebene und durch die Gerichte erst nach Vertragsschluss formulierte Normen den Parteiwillen verzerren, ist groß. Sie tritt besonders bei Dauerschuldverhältnissen auf, da diese zu einem Zeitpunkt abgeschlossen werden, in denen die folgende Entwicklung der Rechtsprechung unbekannt ist. Die Anwendung neu formulierter richterlicher Normen auf diese Verträge trifft die Parteien besonders hart. Erheblich ist diese Gefahr einer Verzerrung des Parteiwillens auch beim Abschluss von Vorverträgen. Denn nach der Intention der Parteien enthalten diese keine endgültige Regelung. Scheitert jedoch eine spätere Vereinbarung, können sie gleichwohl auf Leistung klagen und dabei das abdingbare Recht zugrunde legen.136 Widerspricht eine abdingbare Norm dem Parteiwillen, lässt sich zwar bisweilen eine stillschweigende Abbedingung annehmen.137 Jedoch ist das nicht schon bei jeder durch abdingbares Recht eintretenden Belastung einer Seite der Fall, da diese so gut wie immer eintritt. Zu ihr müssen daher gewichtigere Hinweise für diesen Willen hinzutreten. Das ist etwa anzunehmen, wenn eine Absprache bei Anwendung der abdingbaren Norm ihren Sinn verliert. Daneben gibt es einen Graubereich, in dem die Ergänzungen des abdingbaren Rechts zwar erheblich sind, aber die Schwelle einer stillschweigenden Abbedingung nicht erreicht ist. So kann etwa die bereits erwähnte Pflicht des Vermieters, Schönheitsreparaturen auszuführen, mit erheblichen Zusatzkosten verbunden sein, den Gewinn aufzehren und der Verkehrssitte zuwider laufen. Gleichwohl bedarf es selbst dann zu ihrer Abbedingung einer Vereinbarung.138 135   Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  464 spricht daher von einer Wiedergewinnung der mit der Vertragsfreiheit aufgegebenen Kontrolle. 136   BGH, NJW-RR 1994, 317, 319; NJW 2006, 2843, 2845; BAGE 119, 1, 14 f.; Staudinger2003-Bork, vor §§  145 Rn.  6 4; MünchKommBGB5-Häublein, §  535 Rn.  18. 137   Etwa BGH, NJW 1961, 917 (Abbedingung der Garantiehaftung des Vermieters); 1993, 2622 (Abbedingung eines Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechts im offenen Treuhandkonto); NJOZ 2002, 833, 834 (Abbedingung einfacher Schriftformklauseln); BAG, NJOZ 2003, 1910, 1912 (zu §  1 I BeschFG); MünchKommBGB5-Berger, vor §  488 Rn.  63 (Abbedingung der Aufrechenbarkeit); Staudinger2003-Habermeier, §  713 Nr.  2 (Abbedingung des Auftragsrechts). 138   BGH, NJW 2004, 2961, 2962; Schmidt-Futterer 9 -Langenberg, §  538 Rn.  115; a. A. RGZ 112, 149, 151; BGH, LM BGB §  675 Nr.  3; BB 1952, 42; 1984, 1191; NJW 1966, 502, 503: „Wer sich dem Handelsbrauch nicht unterwerfen will, muß ihn ausdrücklich ausschließen“; 1979, 1705, 1706; Erman12-Armbrüster, §  157 Rn.  11; MünchKommHGB2-Schmidt, §  346 Rn.  38;

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Wie weit diese Ergänzung der Vereinbarungen geht, wird deutlich, wenn man die Zahl der getroffenen Absprachen der Zahl der aufgrund abdingbaren Rechts bestehenden Rechte und Pflichten gegenüberstellt. Selbst bei ausführlichen Mietverträgen bleibt meist eine Fülle von Details ungeregelt, so etwa die Frage, welche Zinsen bei verspäteter Zahlung anfallen, wie hoch der Schadensersatz für zerstörte Einrichtungen ist oder ab welcher Verschlechterung der Wohnung man ausziehen und dem Vermieter die Umzugskosten in Rechnung stellen darf. Selbst der Gesetzgeber ist außerstande, diese Fragen zu regeln, und überlässt ihre Antwort den Gerichten sowie der Rechtswissenschaft.139 Sie konkretisieren und gestalten die abdingbaren Vorgaben. Die Zahl der erst durch abdingbares Recht geregelten Fragen übertrifft deshalb die Zahl der durch den Vertrag geregelten Fragen. Man mag einwenden, dass nicht alle Fragen dieselbe Bedeutung haben und die durch die Parteien beantworteten die wichtigsten sind, während den ungeregelten Fragen nur ein geringes Gewicht zukommt. Aber verdeutlicht man sich die Vielzahl der Situationen, die über einen langen Zeitraum eintreten können, so erscheint es zumindest für Dauerschuldverhältnisse als unwahrscheinlich, dass der formulierte Vertrag alle wesentlichen Fragen regelt. Dies ist auch an der Entscheidungspraxis der Gerichte erkennbar. Zumindest in den veröffentlichten Entscheidungen steht vielfach die Auslegung gesetzlicher und richterrechtlicher Normen im Vordergrund, nicht aber eine individuelle Vereinbarung der Parteien. Das wäre nicht erklärbar, wenn größtenteils derartige Vereinbarungen die Vertragswirklichkeit bestimmen würden. Die Änderungen der Schuldrechts­ reform etwa sind vielfach als Änderungen der vertraglichen Rechte sowie Pflichten dargestellt, diskutiert und empfunden worden, nicht jedoch nur als eine Veränderung der Verhandlungspositionen.140 Sie betrafen indes zu einem erheblichen Teil abdingbares Recht. Dass es mit der Reform zu einer Änderung der Vertragspraxis kam, lässt sich daher nur mit seiner Durchsetzungskraft erklären. Aufgrund dieser Ergänzung der Parteivereinbarung ist schwer nachweisbar, dass ein Vertrag lückenhaft ist.141 Denn fast immer hält das Recht eine Regelung bereit, sei es in Gestalt einer speziellen Norm oder in Gestalt der Ausschluss-

Roth, Vertragsänderung bei fehlgeschlagener Verwendung von AGB, S.  52; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  454. Für die USA Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1443 (2009) mwN. 139   So bei der Verteilung der Schönheitsreparaturen nach §  535 Abs.  1 S.  2 BGB, für die der Gesetzgeber nicht annimmt, dass sich seine Regelung durchsetzt, BT-Drucks 14/4553, S.  40. 140   Etwa bei der Reform des Leistungsstörungsrechts, BT-Drucks 14/6040, S.  133 ff. 141   Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  186 f.; Gilette, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 167, 169–172 (1994); a. A. MünchKommBGB5-Busche, §  157 Rn.  38: Lückenfeststellung unabhängig vom abdingbaren Recht. Zur gleichwohl möglichen Abbedingung unten 4.D.3.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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oder Billigkeitsnorm.142 Die dadurch begünstigte Partei kann stets argumentieren, sie habe sich auf diese ersatzweise anwendbaren Normen verlassen143 und bewusst keine weitere Vereinbarung angestrebt. Sie muss nicht auf einer Regelung aller Fragen bestehen, die nach ihrer Sicht regelungsbedürftig sind. Denn sie kann auf die Anwendung abdingbarer Normen vertrauen, auch wenn man den fehlenden Ausschluss einer Norm nicht als konkludente Zustimmung werten kann.144 Abdingbares Recht entfaltet seine Wirkung nicht nur dann, wenn die Parteien eine Frage offen lassen, sondern auch dann, wenn das Gericht eine getroffene Regelung der Parteien übergeht, einschränkend auslegt oder aufgrund eines Widerspruchs zu einer anderen Klausel außer Betracht lässt. Die Feststellung, dass eine Regelung fehlt, setzt nämlich bereits umfangreiche und durch das abdingbare Recht beeinflusste Wertungen voraus. In dieser Wirkung gleicht abdingbares Recht Beweislastnormen.145 Diese können überaus folgenreich sein, indem sie hohe Anforderungen an die Entkräftung einer Vermutung aufstellen. Theoretisch bleibt es zwar möglich, das Gegenteil darzulegen. Jedoch gelingt das nur selten. Ähnlich setzt sich vielfach die abdingbare Vorgabe durch, weil eine beabsichtigte Abweichung von ihr scheitert. Indem dieselben abdingbaren Normen die Verträge der Parteien ergänzen, fördern sie deren Standardisierung.146 Die Vertragsverhältnisse gleichen sich an. Diese Standardisierung fällt besonders auf, wenn verschiedene Parteien ihre Verträge in unterschiedlicher Weise formulieren und gleichwohl dieselben Normen zum Zuge kommen. Sie wird dadurch gefördert, dass sich die Gerichte in der Entwicklung dieser Normen an den typischen Interessen der Parteien orientieren und dabei nicht allen Interessen gerecht werden können.147 Die von ihnen   Oben 1.B.   BGH, NJW 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); weitere Nachweise oben 1.B.3, Fn.  166. 144   Oben Fn.  131. 145   Weitergehend meint Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  43, dass „die Dispositivnormen als solche alle den Charakter von Beweislastregeln“ tragen (wogegen aber spricht, dass dem Gesetzgeber freisteht, beide Fragen unterschiedlich zu regeln); zur Ähnlichkeit ferner Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1737 (1997); Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 239 (1988); zur Abgrenzung oben 1.A.3.c), Fn.  109. 146   Dazu Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S.  96 ff., 145 ff.; Macaulay, 28 American Sociological Review 55, 58 (1963); Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1408 (2009). 147   Stellvertretend für dieses Phänomen zu enger oder zu weiter Normen („over- and underinclusiveness“) Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1137b; von Pufendorf, Acht Bücher vom Natur und Völkerrecht, Teil  2, V. Buch, VII. Capitel, S.  209 ff.; Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  4 4; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61; Kaplow, 42 Duke Law Journal 557, 573, 586 (1992); Feinman, 30 University of California Los Angeles Law Review 829, 844 (1980); Schauer, Playing by the Rules, p.  31; Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, p.  3, 71; BVerfG, NJW 1985, 1455, 1457 (= BVerfGE 67, 329, 347); BGH, NJW 1954, 1481, 1482 (= BGHZ 14, 138, 144). 142 143

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

entwickelten Regeln sollen schließlich handhabbar bleiben und dürfen nicht allzu komplex werden. Überdies fördern abdingbare Normen die Standardisierung von Verträgen auch dadurch, dass sie die Notwendigkeit zu einer Abbedingung verringern. Während die Parteien bei der Anwendung der Ausschluss- oder der Billigkeitsnorm148 einen großen Anreiz haben, eine ihren Interessen gerecht werdende eigene Absprache zu treffen, ist dieser bei einem entwickelten System abdingbaren Rechts geringer. Die Ergänzung durch abdingbares Recht und die Standardisierung von Verträgen gehen daher Hand in Hand. Für die Gerichte wie die Rechtswissenschaft führt dies zu einem Zielkonflikt zwischen der allgemeinen Dogmatik und der Individualität des jeweils zu beurteilenden Vertrages: Je stärker sie die Dogmatik eines Rechtsgebiets entwickeln, desto größer wird die Zahl der abdingbaren Normen. Entsprechend geringer wird dann aber auch die Orientierung am individuellen Vertrag und das Vermögen der Parteien, ihn nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

3.  Auslegung der Vereinbarung Eine weitere von abdingbarem Recht ausgehende Wirkung liegt in seinem Einfluss auf die Auslegung von Verträgen. Sie erfolgt zunächst unmittelbar aufgrund von abdingbaren Auslegungsmaßstäben. Sie werden zwar häufig als Erfahrungssätze darüber formuliert, wie man bestimmte Verträge zu verstehen habe, und deshalb mitunter auch als bloße Konkretisierung des Parteiwillens aufgefasst.149 Dies ändert jedoch weder etwas an ihrem Charakter als Rechtsnorm noch an ihrer Abdingbarkeit.150 Aus diesem Grund darf man sich das Verhältnis eines Vertrages zum abdingbaren Recht nicht so vorstellen, dass zunächst der Vertragsinhalt ermittelt und dann durch abdingbares Recht ergänzt wird. Vielmehr haben abdingbare Normen bereits einen Einfluss auf die Annahme darüber, was als Vertragsinhalt zählt. Besonders deutlich wird dies, wenn sich die Auslegung daran orientiert, „was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht“.151 Sie soll nach beiden Seiten hin interessengerecht erfolgen.152 Da das abdingbare Recht zur Rechtsordnung gehört, prägt es damit auch diese Maßstäbe.153 Ebenso wird die Vernünftigkeit einer Lösung an   Oben 1.B.2–3.   Oben 2.A.1. 150   Oben 1.E.2.b). 151   BGH, NJW-RR 1996, 1210, 1211; NJW 2009, 751; weitere Nachweise oben 1.E.2.b), Fn.  332. 152   BGH, NJW-RR 1992, 1386, 1387; 1995, 1201, 1202; 2000, 805, 806 (= BGHZ 143, 175, 178); NJW 1994, 2228, 2229; 1998, 3268, 3270. 153   Vgl. Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1735 (1997); anders Singer, Selbstbestim148 149

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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den Wertungen der Rechtsordnung gemessen.154 Sie beruhen im Vertragsrecht zu einem erheblichen Teil auf abdingbarem Recht.155 Selbst wenn es daher nicht unmittelbar zur Anwendung kommt, beeinflusst es die Vertragsauslegung. Dem widerspricht nicht der Grundsatz, dass derjenigen Auslegung der Vorzug gebührt, bei welcher der zu interpretierenden Klausel eine tatsächliche Bedeutung zukommt.156 Zwar verliert eine Klausel umso eher an Bedeutung, je mehr man sie an das abdingbare Recht anpasst, weil ohne sie eine inhaltsgleiche Norm zum Zuge käme.157 Allerdings ist sie nicht allein wegen einer Übereinstimmung mit dem vorgegebenen Recht funktionslos. Denn ihre Regelungen werden nicht dadurch hinfällig, dass sie bereits im Gesetz enthalten sind. Sie bleiben konstant, während sich das Gesetz wandeln kann. Überdies steht eine vertragliche Vereinbarung den Parteien klarer vor Augen als das Gesetz.158 Aus diesen Gründen werden Verträge nicht so ausgelegt, dass im Zweifel eine vom abdingbaren Recht abweichende Interpretation maßgeblich ist. Vielmehr orientiert sich die Auslegung an ihm.159 Vertragliche Absprachen werden umso eher als interessengerecht angesehen, je stärker sie abdingbaren Normen entsprechen. Vielfach gelten diese im Zweifel als nicht ausgeschlossen160 oder als nicht erweitert161. So werden etwa Haftungsfreizeichnungen eng ausgelegt.162 mung und Verkehrsschutz, S.  48, wonach die objektiv-normative Auslegung allein der Selbstbestimmung verpflichtet sei. 154   BGH, NJW 1995, 3183, 3194; NJWE-MietR 1996, 56, 57; NZM 2003, 491, 492 sowie zur Auslegung von Prozesserklärungen BGH, NJW 1992, 243; 1993, 1925; NJW-RR 2006, 1554, 1555; Staudinger2004-Singer/Benedict, §  133 Rn.  55. 155   Etwa die von §  276 BGB vorgesehene Verschuldenshaftung, im Einzelnen unten 3.B.5. 156   BGH, NJW-RR 1992, 517; NJW 1998, 2966; 2005, 2618, 2619; WM 1998, 1535, 1536; 2005, 1031, 1032; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  133 Rn.  8 ; Jauernig13, §  133 Rn.  10; MünchKommBGB5-Busche, §  133 Rn.  60. 157   Eine Funktion hat die Wiederholung, wenn sich später das Gesetz ändert, der Vertrag aber noch bestehen bleibt und daher auch weiterhin zum Zuge kommt, etwa BGH, NJW 2003, 2739, 2740. 158   Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1775 (1997). 159   Siehe aber Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  160; Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1735 (1997), der dies für ein rechtsordnungsübergreifendes Phänomen hält; Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 283, 305 (1985), welche darin einen „institutional bias“ erblicken; kritisch Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  107. 160   Etwa BGH, NJW 1959, 38; 1978, 261; 1979, 2148; NJW-RR 2004, 1243, 1246 (= BGHZ 158, 354, 366); 2007, 464, 465 (= BGHZ 170, 182, 184) zu Ausschlussklauseln in einer Versicherung; NJW 2009, 1875 zur Haftungsprivilegierung zwischen Ehegatten; Staudinger2006 Coester, §  307 Rn.  4 43; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  276 Rn.  47; zu dieser Wirkung ferner Hesselink, 1 ERCL 44, 70 f. (2005). 161   BeckOK-BGB20 -Faust, §  4 43 Rn.  35; Staudinger2004-Matusche-Beckmann, §  4 43 Rn.  31 für die Übernahme der verschuldensunabhängigen Haftung. 162   BGH, NJW 1952, 657, 658 (= BGHZ 5, 111, 115); 1975, 645 (= BGHZ 63, 333, 334); 1978, 261; 2005, 3208, 3211; NJW-RR 2002, 1257, 1258; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  276 Rn.  47; Staudinger2004-Singer/Benedict, §  133 Rn.  62; Blank/Börstinghaus3, §  535 Rn.  354 (bei Schönheitsreparaturen); Huber, AcP 202 (2002), 179, 206; Staudinger2006 -Schlosser, §  305c Rn.  113

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Das entspricht kaum dem hypothetischen Willen der Parteien, wohl aber dem abdingbaren Recht. In gleicher Weise werden Haftungsnormen im Zweifel so verstanden, dass sie der abdingbaren Verschuldenshaftung entsprechen.163 Wo die Parteien etwa eine Vertragsstrafe für ein Verhalten vorsehen, das sie nicht näher charakterisieren, gilt sie als auf schuldhafte Vertragsverletzungen beschränkt.164 Der Einfluss abdingbaren Rechts in der Auslegung von Verträgen ist angesichts des weiten Beurteilungsraums der Gerichte beträchtlich. Die Vertragsauslegung ist nicht an den Wortlaut gebunden, sondern hat den Parteiwillen zu erforschen, §§  133, 157 BGB.165 Da dieser aber nicht offenkundig ist, lassen sich Verträge im Ergebnis so interpretieren, dass sie dem abdingbaren Recht entsprechen. Verwenden die Verträge etwa gesetzliche Formulierungen, so werden sie wie diese verstanden.166 Je stärker eine Vereinbarung hingegen vom abdingbaren Recht abweicht, desto höher ist auch das Risiko ihrer einschränkenden Auslegung. Das mit jeder eigenständig formulierten Klausel einhergehende Risiko, dass die Richter sie anders verstehen als die Parteien, ist daher nicht gleich verteilt. Es betrifft besonders die Klauseln, die dem gesetzlichen Leitbild zuwider laufen. Deutlich wird dieser Einfluss abdingbaren Rechts auch an der Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts. Nach ständiger Rechtsprechung sind Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben verstehen durfte.167 Dieser Horizont wiederum wird durch das abdingbare Recht geprägt. Schreibt das Gesetz etwa durchgehend eine verschuldensabhängige Haftung vor, braucht der Empfänger weder eine strikte Haftung noch eine Freistellung zu erwarten. Schränken die Parteien wesentliche abdingbare Rechte ein, müssen sie dies deutlich angeben.168 Schließlich prägt das abdingbare Recht die Auslegungsmaßstäbe auch durch die ergänzende Vertragsauslegung.169 Die dafür entwickelten Grundsätze kon(bei AGB); ähnlich für Risikoausschlüsse BGH, NJW 2009, 1147, 1148 mwN.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  119. 163   Huber, AcP 202 (2002), 179, 209. 164   BGH, NJW-RR 1997, 686, 688; BeckOK-BGB20 -Janoschek, 339 Rn.  6 ; Jauernig13Stadler, §  339 Rn.  19; MünchKommBGB5-Gottwald, §  339 Rn.  34. 165   BGH, NJW 1956, 665 (= BGHZ 20, 109, 110); 1993, 256; 2002, 1038, 1039; NJW-RR 2006, 281, 282. Der Wortlaut bildet lediglich den Ausgangspunkt, BGH, NJW 1994, 188, 189 (= BGHZ 124, 39, 45); oben 2.A.2.b), Fn.  58. Zum Ganzen Staudinger2006 -Singer/Benedict, §  133 Rn.  45 ff.; MünchKommBGB5-Busche, §  133 Rn.  12 ff.; Larenz, Methodenlehre, S.  347. 166   Etwa BGH, NJW 2010, 2879, 2880. 167   BGH, NJW 2007, 368, 369 sowie oben 2.A.1.a), Fn.  11. 168   Etwa BGH, NJW 1995, 2629; 2008, 2106, 2109; im Einzelnen unten 4.D.3. In gleicher Weise darf bei einer Vergabe von Bauleistungen der Bieter Auslegungszweifel zugunsten einer der VOB/A entsprechenden Auslegung lösen, BGH, NJW 1997, 1577, 1578 (= BGHZ 134, 245, 248); vgl. zuvor schon BGH, NJW 1994, 850 (= BGHZ 124, 64, 68). 169   Etwa BGH, NJW-RR 2008, 562, 563, der zur Ausfüllung einer Vertragslücke §  315 BGB heranzieht; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 121.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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kurrieren zwar mit dem kodifizierten Recht.170 Dies steht ihrem Status als abdingbares Recht jedoch nicht entgegen.171 Die ergänzende Vertragsauslegung hat sogar eine noch stärkere Wirkung als anderes dispositives Recht, da ihre Ergebnisse im Voraus schlechter als bei diesem erkennbar und somit schwerer abdingbar sind. Zudem lassen sich bei ihr noch weniger Anhaltspunkte für den Willen der Parteien zugrunde legen als bei der Auslegung der übrigen Klauseln. Ob die Abbedingung einer Norm umgekehrt auch die Auslegung gesetzlicher Normen beeinflusst, hat jüngst Thomas Ackermann in einer „methodologischen Randbemerkung“ thematisiert.172 Nach seiner Auffassung ist die Abdingbarkeit einer Norm ein Grund, nicht dem aus den Gesetzesmaterialien zu gewinnenden gesetzgeberischen Willen den Vorzug zu gegeben, sondern einer „sachgerechten, zu konsistenten Wertungen führenden Lösung“. Anderenfalls träfen die Parteien eine ihren eigenen Vorstellungen entsprechende Regelung.173 Dadurch entstünden lediglich Transaktionskosten. Dieses bei der Abweichung von den Parteivorstellungen bestehende Risiko lässt sich in der Tat kaum bestreiten. Je weniger der Gesetzgeber Rücksicht auf die Vorstellungen der Parteien nimmt, desto näher liegt eine Abbedingung. Die vielfältige Wirkung abdingbarer Normen zeigt jedoch, dass der Gesetzgeber sie durchaus als Mittel zur Verwirklichung von Zielen einsetzen kann, die den Vorstellungen der Parteien widersprechen. Ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.174 Jedenfalls genügen Transaktionskosten allein nicht, um eine gesetzgeberische Intention für unerheblich zu erklären. Tritt diese in den Materialien zu Tage, ist sie ebenso wie bei der Auslegung anderer Normen zu berücksichtigen.175 Alles andere wäre mit der Bindung an Recht und Gesetz nach Art.  20 Abs.  3 GG nicht vereinbar.

4.  Der mittelbare Einfluss über andere Normen Abdingbares Recht entfaltet seine Wirkung nicht nur direkt, sondern durch andere auf es verweisende Normen auch indirekt. Es prägt die Maßstäbe für die Unwirksamkeit einer Vereinbarung (a), die Ausfüllung von Lücken (b) und die Bewertung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (c).

  Etwa BGH, NJW 1979, 1705, 1706.   Oben 1.E.2.b) 172   Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S.  401. 173   AaO., S.  402. 174   Dazu unten 4.C–D. 175   Larenz, Methodenlehre, S.  328 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, S.  193 f., Rn.  411. 170 171

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

a)  Die Prägung der Unwirksamkeitsmaßstäbe Im Zusammenspiel mit dem zwingenden Recht wirkt sich abdingbares Recht zunächst auf die Frage aus, welche Absprachen zulässig sind. Das ist vor allem dort zu beobachten, wo es die Auslegung von Begriffen wie der guten Sitten bestimmt.176 Es ist den Gerichten und der Rechtswissenschaft besser erkennbar als außerrechtliche Größen und in seiner Legitimation schwerer angreifbar. Daher wird es bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe wie der guten Sitten oder der Beurteilung der Geschäftsgrundlage177 gern herangezogen. Sein Einfluss ist besonders stark, wenn ihm die bereits beschriebene Leitbildfunk­ tion zugesprochen wird.178 Denn dann kann man es als allgemeingültige Bestimmung darüber ansehen, „was als die normale, regelmäßig oder schlechthin ‚die gesetzliche‘ Ordnung der Dinge anzusehen“ ist.179 Diese Wirkung ist umso größer, je mehr sich die Parteien vom abdingbaren Recht entfernen.180 So sind Abweichungen von gesetzlich vorgesehenen Honoraren zwar zulässig. Jedoch spielen diese als Vergleichsmaßstab gleichwohl eine Rolle, etwa wenn es um die Herabsetzung abweichender Anwaltshonorare nach §  3a Abs.  2 RVG geht.181 Diese Wirkung ist auch bei der Abkehr von anderen grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers spürbar. Denn ihr setzt das abdingbare Recht im Zusammenspiel mit den Generalklauseln Grenzen. Es stellt gewissermaßen einen Anker dar, der abweichende Absprachen einerseits zulässt, andererseits aber ihre maximale Reichweite begrenzt.182 Ebenso wie das zwingende Recht dient es deshalb als „Wachtposten“ gegenüber der Wahrnehmung der Vertragsfreiheit.183 So steht es Ehepartnern im Grundsatz frei, Regelungen für den Fall einer Scheidung zu treffen. Jedoch kontrollieren die Gerichte diese umso intensiver, je stärker eine Vereinbarung in den Kernbereich der abdingbaren Rechte eingreift.184 Daher begründet der Verzicht auf den Betreuungsunterhalt eher die Sittenwidrigkeit als ein Verzicht auf den Zugewinn  BGH, NJW-RR 2008, 818, 821; Raiser, Das Recht der AGB, S.  293 ff.; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  53; Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  177; Sack, WRP 1985, 1, 5; ferner oben 2.B.1.b), Fn.  136. 177   Etwa BGH, NJW 2006, 2771, 2772, wo der BGH aus dem nach §  556a I BGB dem Vermieter auferlegten Vermietungsrisiko schließt, die Geschäftsgrundlage einer entsprechenden Vereinbarung sei nicht entfallen. 178   Oben 2.B.1.d). 179   Endemann, BR, Bd.  1, S.  41; siehe auch oben 1.A.3.a), Fn.  81. 180   Sack, WRP 1985, 1, 5, der allerdings jede Abweichung von im Gesetz formulierten Wertvorstellungen für rechtfertigungsbedürftig hält. Zur Kritik unten 4.A.1.e). 181   BGH, NJW 2000, 2669, 2671 (= BGHZ 144, 343, 346); 2005, 2142, 2144 (= BGHZ 162, 98, 106); BVerfG, Sondervotum Gaier, NJW 2007, 2102, 2104; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  138 Rn.  128. 182   Vgl. Binder, Regulierungsinstrumente, S.  144: dispositives Gesetzesrecht kombiniere „ausdrücklich positive mit impliziten negativen Aussagen.“ 183   So Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  3. 184   BGH, NJW 2004, 930, 934 (= BGHZ 158, 81, 96); 2005, 2386, 2388; 2008, 1076, 1077. 176

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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ausgleich.185 Die Intensität, mit der abdingbares Recht den Vertragsinhalt prägt, hängt ferner von dem als maßgeblich angesehenen Modell ab. Interpretieren die Gerichte abdingbares Recht als bloßen Notbehelf,186 ist diese geringer, als wenn sie es als gerechte Ordnung begreifen.187 Entspricht eine vertragliche Vereinbarung dem abdingbaren Recht, so schützt es sie vor dem Verdikt der Sittenwidrigkeit. Denn was der Gesetzgeber den Parteien vorgibt, darf ein Richter nicht als treuwidrig beurteilen. Der Bundesgerichtshof etwa fasst abdingbare Normen bisweilen ausdrücklich als „ausgewogenen Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragspartner“ auf.188 Dies immunisiert ihre Vereinbarung vor der Kritik, die Interessen fehl zu gewichten. Besonders deutlich kommt diese Immunisierung in §  307 Abs.  3 S.  1 BGB zum Ausdruck. Danach unterliegen nur solche AGB der Inhaltskontrolle, die von Rechtsvorschriften abweichen.189 Lediglich die Übernahme von den Parteien nicht verständlichen gesetzlichen Formulierungen ist unwirksam, §  307 Abs.  1 S.  2, Abs.  3 S.  2 BGB. Bezeichnenderweise finden sich dafür in der Gerichtspraxis bisher keine Beispiele.190 Zu groß ist die Scheu, eine gesetzliche Lösung zu verwerfen. Indirekt setzt sich abdingbares Recht ferner über kaufmännische Bestätigungsschreiben durch, mit denen die Parteien ihre Verhandlungsergebnisse festhalten. Erfolgt kein Widerspruch zu ihnen, gilt der dort angegebene Inhalt als vereinbart,191 sofern es den Empfänger nicht überrascht.192 Das wird vielfach so verstanden, dass das Bestätigungsschreiben nicht erheblich vom abdingbaren Recht abweichen darf.193 Auch wenn dieses dabei nicht direkt verbindlich ist, begrenzt es damit jedoch indirekt den möglichen Inhalt einer Bestätigung. Die185   BGH, NJW 2005, 2386, 2388; 2008, 1076, 1078; BeckOK-BGB20 -Beutler, §  1585c Rn.  12 f.; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  138 Rn.  63; zum verfassungsrechtlichen Hintergrund siehe BVerfG, NJW 2001, 957, 959 (= BVerfGE 103, 89, 91, 101); 2001, 2248. 186   BGH, NJW 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286), dazu oben 2.B.1.a). 187   BGH, NJW 1953, 1954 (= BGHZ 77, 126, 132), dazu oben 2.B.1.b). 188   So für die VOB BGH, NJW 1987, 3126; dazu im Einzelnen unten 4.D.3. 189   Der BGH unterzieht der Inhaltskontrolle jedoch auch eine so genannte konstitutive Klausel, die dispositive Normen für anwendbar erklärt oder von einer gesetzlichen Gestaltungsbefugnis Gebrauch macht, NJW 1984, 2161 (= BGHZ 91, 55, 60 f.); 1987, 1931, 1937 (= BGHZ 100, 157, 179); 1997, 193, 194; MünchKommBGB5-Kieninger, §  309 Rn.  8 ; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  297. 190   Abgelehnt etwa durch BAG, NZA-RR 2008, 249, 252 für eine Verweisung auf beamtenrechtliche Vorschriften. 191   BGH, NJW 1952, 1369 (= BGHZ 7, 187, 190); 2007, 987, 988; Baumbach/Hopt, HGB33, §  346 Rn.  17. 192   BGH, NJW 1952, 1369, 1370 (= BGHZ 7, 187, 190); 1985, 1333 (= BGHZ 93, 338, 343); 1988, 55, 57 (= BGHZ 101, 357, 364 f.); NJW-RR 2001, 680, 681; MünchKommBGB5-Kramer, §  151 Rn.  35, zum Empfängerhorizont bereits oben 2.A.1.a), Fn.  11. 193   Baumbach/Hopt, HGB33, §  346 Rn.  27; Erman12-Hefermehl §  147 Rn.  12; Soergel13-Wolf, §  147 Rn.  36; MünchKommBGB5-Kramer, §  151 Rn.  37; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  557 f.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

se Heranziehung abdingbaren Rechts zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe ist nicht selbstverständlich. Denn offen ist bereits die grundlegende Frage, ob es Maßstäbe enthält, die nach dem gesetzgeberischen Willen sämtliche Vereinbarungen prägen sollen. Zumindest das Notbehelfsmodell lehnt das ab.194 Überdies verdeutlicht die Abdingbarkeit der herangezogenen Normen, dass Abweichungen von ihnen zulässig und anderweitige Wertungen daher akzeptabel sind. Selbst der BGH hält es für eine „nicht immer einfach und klar zu beantwortende Frage, ob dispositives Gesetzesrecht eine sachgerechte Ersatzlösung bietet“.195 Er deutet damit die Schwierigkeit an, dessen ethischen Gehalt zu beurteilen. Sind aber alternative Gestaltungen zum abdingbaren Recht zulässig, muss man es nicht als Konkretisierung von Treu und Glauben verstehen.196 Es kann vielmehr nur eine von mehreren akzeptablen Lösungen einer Frage beinhalten. b)  Der Ersatz unwirksamer und fehlender Klauseln Abdingbares Recht ersetzt fehlende Klauseln selbst dort, wo es nicht unmittelbar anwendbar ist. Haben die Parteien eine Frage offen gelassen, verweisen Rechtsprechung und Literatur mangels anderer Orientierungsgrößen oftmals auf die gesetzlichen Maßstäbe, die ähnliche Fragen regeln, auch wenn sie keine direkte Anwendung auf den Sachverhalt finden. Das ist etwa bei der Auslegung solcher kaufrechtlicher Garantien der Fall, die entgegen §  477 BGB keine klaren Angaben darüber enthalten, welche Rechte sie gewähren. Vielfach wird dann auf die abdingbaren kaufrechtlichen Mängelrechte wie Nachlieferung, Minderung und Schadensersatz zurückgegriffen, selbst wenn die Garantieerklärung sie nicht einmal andeutet.197 Zur Begründung heißt es etwa, dass diese Rechte einen „angemessenen Interessenausgleich“ enthielten,198 auch wenn sie Behelfe umfassen, die zusätzlich zu den gesetzlichen Ansprüchen bestehen. Gerade an diesem Einfluss abdingbarer Normen auf die Lösung ungeregelter Fragen zeigt sich einmal mehr ihre Durchsetzungskraft. Ähnlich folgenreich ist die Ersetzung unwirksamer Klauseln durch die abdingbaren gesetzlichen Normen.199 Denn bei der Nichtigkeit einer Klausel   Oben 2.B.1.a).   BGH, NJW 2005, 3559, 3563. 196   BGH, NJW 2008, 511, 513 (= BGHZ 174, 110, 120); Nicklisch/Weick, VOB3, Teil B, Einl Rn.  47; oben 2.B.1.b). 197   BT-Drs 14/6040, S.  239; jurisPK-BGB5-Pammler, §  4 43 Rn.  33; Staudinger2004-Matusche-Beckmann, §  4 43 Rn.  22; einschränkend BeckOK-BGB20 -Faust, §  4 43 Rn.  28: Der Verkäufer könne zwischen Ersatzlieferung und Nachbesserung wählen. 198   Staudinger2004-Matusche-Beckmann, §  4 43 Rn.  22. 199   BGH, BB 1962, 465, 466; siehe oben 1.B.1, Fn.  131. Für einzelne Beispiele siehe MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  738 Rn.  75; BeckOK-BGB20 -Schöne, §  738 Rn.  4 4; ErfurtKomm9-Preis, §  611 Rn.  344; für geltungserhaltende Reduktion hingegen Staudinger2003-Roth, 194 195

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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kommt es nur ausnahmsweise zu einer ergänzenden Vertragsauslegung.200 Vielmehr bleibt es im Regelfall bei der im Gesetz vorgesehenen abdingbaren Lösung. Die Nichtigkeitssanktion hat daher eine positive und nicht nur eine negative Funktion. 201 Auf den ersten Blick wird den Parteien zwar lediglich etwas verboten. Im Zusammenspiel mit dem abdingbaren Recht erfolgt jedoch zugleich eine Vorgabe. Insoweit erlangen abdingbare Normen einen zwingenden Gehalt 202 und gestalten die Verträge um. 203 Selbstverständlich ist diese Wirkung nicht, da die Unwirksamkeit einer Klausel auch andere Folgen nach sich ziehen könnte204 wie etwa eine Anpassung auf das gerade noch Zulässige, die Anwendung der Billigkeitsnorm oder eine Pflicht zur Neuverhandlung. Letzteres versuchen die Parteien zwar vielfach durch salvatorische Ersetzungsklauseln oder durch Neuverhandlungsklauseln zu erreichen. Oftmals haben sie damit jedoch keinen Erfolg. Denn derartige Ersetzungsklauseln werden meist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart und als solche zunehmend skeptischer beurteilt.205 Vor allem aber kommt es auf sie nur im Streitfalle an, wenn eine Neuverhandlung ohnehin unrealistisch ist. Überdies orientiert sich diese an dem, was bei ihrem Scheitern gelten würde und somit indirekt wieder am abdingbaren Recht. Aus diesem Grund prägt dieses auch noch die Neuverhandlung unwirksamer Absprachen.206 Ein durch AGB vereinbarter Ersatz einer unwirksamen Klausel soll sogar von vornherein aus-

§  139 Rn.  8 ; MünchKommBGB5-Busche, §  157 Rn.  40; MünchKommHGB2 -K. Schmidt, §  131 Rn.  173, §  132 Rn.  35. 200   BGH, NJW 1984, 1177, 1178 (= BGHZ 90, 69, 75, 77); 2006, 996, 999 (= BGHZ 165, 12, 27); 2011, 1342, 1345; Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  7; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  54. 201   Traditionell wird zwischen negativ und positiv zwingenden Normen unterschieden, Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  19; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  303; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074; ähnlich Mayer-Maly, in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S.  123, 125 im Anschluss an Nipperdey, der zwischen „zwingenden vernichtenden“ und „zwingenden ergänzenden“ Normen unterscheidet. Nach Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §  38, S.  43, liegen einem freiheitlichen Recht eher negative Verbote zugrunde, als (alle anderen Handlungen ausschließende) positive Gebote. 202   Hesselink, 1 ERCL 44, 67 (2005). 203   Hingegen sieht Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  11 in der Inhaltskontrolle nur eine Wirksamkeitskontrolle und keine Gestaltungskompetenz. 204   Flume, AT, Bd.  2, S.  346 ff.; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  200; Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  295. Für die USA siehe Ayres, Default Rules for Incomplete Contracts, der zwischen einer Reduktion auf den gerade noch zulässigen Teil (cy pres) und einer vollständigen Nichtigkeit unterscheidet. 205   BGH, NJW 2002, 894, 895; 2005, 2225, 2226; Matusche-Beckmann, NJW 1998, 112, 114; weitere Nachweise oben 2.A.3.c), Fn.  94. 206   Nach §  305 Abs.  1 S.  3 BGB können auch einzelne Klauseln AGB darstellen, vgl. BGH, NJW 1974, 1135, 1136 (= BGHZ 62, 251, 253); 1979, 2387, 2388 (= BGHZ 75, 15, 20); 1997, 135; 1998, 2600, 2601; BeckOK-BGB20 -Becker, §  305 Rn.  30 f.; MünchKommBGB5-Basedow, §  305 Rn.  30; a. A. LG Frankfurt, NZBau 2004, 44, 45 in einem Fall, in dem über die übrigen Bestimmungen 45 Stunden verhandelt wurde; dazu Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

scheiden, 207 obwohl die Parteien nur begrenzt voraussehen können, welche Klauseln die Gerichte als unwirksam ansehen. Nur ausnahmsweise kommt bei der Unwirksamkeit einer Klausel nicht das abdingbare Recht zur Geltung, sondern ihr gerade noch zulässiger Kern.208 Selbst dann aber entfaltet abdingbares Recht eine Wirkung, indem es die Annahmen darüber beeinflusst, was als noch zulässig gilt. Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen etwa, welche den Ausscheidenden zu wenig zusprechen, erhöht der BGH auf die angemessene Höhe.209 Dabei stehen als Vergleichsmaßstab §§  734, 738 Abs.  1 S.  2 BGB im Hintergrund, wonach der Gesellschafter eine Abfindung entsprechend seinem Anteil an der Gesellschaft erhält. Abdingbares Recht verhindert so selbst im Falle seiner Verdrängung, dass sich die Verträge zu weit von ihm entfernen. Je mehr abdingbares Recht nichtige oder fehlende Absprachen ersetzt, 210 desto milder wirkt die Nichtigkeitssanktion zwingenden Rechts. Denn sie wird dann durch Normen aufgefangen, welche den Parteiwillen zumindest nicht übermäßig verzerren. Abdingbares Recht federt so die Härte des zwingenden Rechts ab. Besonders deutlich ist das bei der Inhaltskontrolle von AGB. Der BGH rechtfertigt sie unter anderem mit einem Verweis auf den Ersatz der nichtigen Absprache durch abdingbares Recht.211 Demgegenüber wäre die Hürde zur Annahme der Nichtigkeit größer, wenn eine beanstandete Klausel ersatzlos wegfiele, ohne dass eine spezielle abdingbare Norm an ihre Stelle träte.212 Abdingbares Recht senkt auf diese Weise die Hemmschwelle, in Verträge einzugreifen.

  BGH, NJW 1999, 1865, 1866 (= BGHZ 141, 153, 157); oben 2.A.3.c), Fn.  94.   So bei quantitativer Teilbarkeit BGH, NJW 1972, 1459; 1989, 834, 836 (= BGHZ 105, 213, 221); 2001, 815, 817 (= BGHZ 146, 37, 48); 2009, 1135, 1137; MünchKommBGB5-Busche, §  139 Rn.  25; weitergehend Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  69. Kritisch Canaris, FS Steindorf, S.  519, 529, 537, der für eine Reduktion auf das Angemessene plädiert; ebenso bei überhöhter Vergütung, die dann nur ausnahmsweise vollständig entfällt, sondern auf das Zulässige reduziert wird BGH, NJW 1984, 722, 724 (= BGHZ 89, 316, 323); 2001, 892, 894 (= BGHZ 145, 66, 76); 2010, 3222, 3223. 209   BGH, NJW 1985, 192, 193; 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286); 1994, 2536, 2539 (= BGHZ 126, 226, 244 f.); BeckOK-BGB20 - Schöne, §  738 Rn.  39 ff.; MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  738 Rn.  74; anders die frühere Rechtsprechung, BGH, NJW 1979, 104; anders auch bei Sittenwidrigkeit, oben Fn.  199. 210   Etwa BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 294); sowie oben 3.B.2, Fn.  128. 211   BGH, NJW 1994, 318 (= BGHZ 124, 254, 256); 2000, 577, 579 (= BGHZ 143, 128, 139); 2001, 2399, 2401 (= BGHZ 146, 331, 338): „Kontrollfähig sind .  .  . lediglich Nebenabreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber .  .  . dispositives Gesetzesrecht treten kann.“ 212   Vgl. Bunte, NJW 1984, 1145, 1147: „Es ist eine Erfahrungstatsache, daß sich der Richter beim ersten Schritt der Verwerfung einer unangemessenen Klausel schwer tut, wenn er im zweiten Schritt unbefriedigende Rechtsfolgen eintreten sieht.“ 207

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B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass das deutsche Recht interventionsfreudiger ist als das Common Law 213 und unvollständige Verträge eher als wirksam behandelt. 214 Denn es verfügt über eine ausgearbeitete Dogmatik abdingbarer Normen, die an die Stelle fehlender oder nichtiger Absprachen treten. Im Common Law besteht demgegenüber eine größere Zurückhaltung in der Ergänzung und Korrektur von Verträgen, was angesichts einer geringeren Dogmatisierung der subsidiär zum Zuge kommenden Normen nicht überrascht. 215 Für diese Unterschiede mag es weitere Ursachen geben wie etwa eine unterschiedliche Bewertung der Privatautonomie und der Legitimität staatlicher Eingriffe.216 Aber die Existenz als angemessen angesehener abdingbarer Normen kann miterklären, warum die Hemmschwelle zur Korrektur von Verträgen variiert. Gleiches gilt für die unterschiedlich starke Bereitschaft, Verträge wegen Unbestimmtheit für nichtig zu erklären. 217 Je stärker die Gerichte abdingbare Normen zur Ausfüllung unbestimmter Verträge heranziehen können, desto seltener erklären sie diese für nichtig.218 Zum Zusammenspiel abdingbaren und zwingenden Rechts kommt es auch bei der Auslegung von §  139 BGB. Entgegen seinem Wortlaut führt die Nichtigkeit einer Klausel oftmals nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages.219 Nach 213   Vgl. Collins, The Law of Contract, p.  339: „In English law, in the absence of a general good faith standards, the courts have to rely principally on implied terms as the basis for intervention.“; Arruñada/Andonova, 26 Washington University Journal of Law and Policy 81, 114, 125 (2008); Stürner, AcP 210 (2010), 105, 122. Indirekt ist dies auch an der häufigeren Wahl des britischen Rechts in transnationalen Verträgen erkennbar, siehe Popham/Plews, The Clifford Chance Survey on European Contract Law, p.  23, 25; zur entsprechenden Abwahl interventionsfreudiger Rechtsordnungen innerhalb der USA Kraus/Scott, 84 New York University Law Review 1023, 1103 (2009) mwN. 214   Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1648 (2003); weitere Nachweise oben 2.B.1.d), Fn.  169. 215   Klassisch die Formulierung: „the court does not make a contract for the parties“, Trollope & Colls Ltd v North West Metropolitan Regional Hospital Board [1973] 1 W. L. R. 601, 609; ähnlich Henrietta Mills v. Commissioner of Internal Revenue, 52 F.2d 931, 934 (1932); dazu Farnsworth, 68 Columbia Law Review 860, 862 (1968) mit dem Vergleich zu Deutschland, aaO., 883; Schmidt-Kessel, ZVGlRWiss 96 (1997), 101, 105 ff. Vielfach kann man sich allerdings mit der weitgehenden Konstruktion von „implied terms“ behelfen, Collins, The Law of Contract, pp.  275; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.  403 f.; Schmidt-Kessel, ZVGlRWiss 96 (1997), 101, 105 ff. Der Grad der Dogmatisierung zeigt sich vor allem an der Art der Urteilsbegründungen, siehe Legrand, 60 Modern Law Review 44, 54 (1997): „There is no Wissenschaft at common law“; Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  35 f. (zum Begriff der Dogmatisierung), 233 ff. 216   Zur Diskussion mwN.  Esser, Grundsatz und Norm, S.  300 ff.; Arruñada/Andonova, 26 Washington University Journal of Law and Policy 81, 116–127 (2008). 217   Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1684 (2006). 218   Geis, aaO., 1664, 1684. 219   BGH, NJW 2000, 1333, 1335; Flume, AT, Bd.  2, S.  576; Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  13; Palandt70 -Ellenberger, §  139 Rn.  18. Damit nähert man sich dem gemeinrechtlichen Grundsatz „utile per inutile non vitiatur“ wieder an, dazu Seiler, FS Kaser, S.  127 ff., der daher §  139 BGB für entbehrlich erklärt, S.  147; Zimmermann, The Law of Obligations, pp.  75.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Auffassung des BGH kommt die Anwendung abdingbarer Normen dem Parteiwillen meist näher als die Nichtigerklärung des Vertrages.220 Die Berufung auf dessen Nichtigkeit könne überdies treuwidrig sein.221 Dank der Ergänzung durch abdingbares Recht bleibt es dann bei der Wirksamkeit des Vertrages. Ohne diese Ergänzung hingegen läge es nahe, dass die Nichtigkeit einer Klausel die Ausgewogenheit der Leistungen in Frage stellt und aus diesem Grund auch die Nichtigkeit der anderen Klauseln nach sich zieht. Bleiben Verträge damit trotz Unwirksamkeit einzelner ihrer Teile wirksam, so ist die lückenfüllende Funktion abdingbaren Rechts umso größer. Seine Anwendung wird bei der Beurteilung der Wirksamkeit berücksichtigt und verschont den Vertrag vor der Sanktion der Nichtigkeit.222 Ein Weniger an Inhaltsfreiheit geht so mit einem Mehr an Abschlussfreiheit einher. Man setzt den Parteiwillen um, modifiziert ihn aber. Maßstab dafür ist das abdingbare Recht. Paradoxerweise verstärken zwingende Normen somit die Wirkung abdingbaren Rechts: Je größer ihr Einfluss ist, desto weniger kann man sich auf die Wirksamkeit der Verträge verlassen. Umso höher ist jedoch zugleich der Anreiz, es beim abdingbaren Recht zu belassen. Das lässt sich etwa im Arbeitsrecht beobachten: Die Möglichkeiten, eine von Gesetz und Tarifvertrag abweichende Gestaltung zu vereinbaren, sind derartig begrenzt und risikobehaftet, dass sie sich vielfach nicht lohnen. 223 Folglich kommen selbst die Normen zur Anwendung, von denen eine Abweichung zunächst als möglich erscheint. Es mutet daher merkwürdig an, dass der Gesetzgeber für das Arbeitsrecht die „freie Gestaltung“ der Verträge besonders betont, §  105 GewO. Denn für die Parteien ist es gerade dort oftmals zu beschwerlich, diese Freiheit in Anspruch zu nehmen. c)  Der Einfluss durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Viele abdingbare Normen erhalten durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen zwingenden Charakter.224 Sie setzen sich bereits dann durch, wenn die Parteien einander widersprechende AGB verwenden. 225 Zudem erlan220   Siehe etwa BGH, NJW 1975, 44, 45; 1989, 834, 835; 2001, 3327, 3328; im Einzelnen unten 3.C.1.a). 221   BGH, NJW 1970, 609, 610 (= BGHZ 53, 152, 158); 1981, 1439; 2007, 1130, 1131; NJWRR 2008, 1050; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  138 Rn.  31; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  112; Palandt70 -Ellenberger, §  139 Rn.  16; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  187 ff.; Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn-Löwisch, HGB2, §  84 Rn.  32. 222   Oben 3.B.2, Fn.  127. 223   Vgl. Gaul, NZA 2000, Beilage 3, 51: „Was bleibt, ist die Vereinbarung des Vertragsbeginns, der Dauer und der Tätigkeit, die ausgeübt werden soll.“; Flume, FS DJT, S.  135, 143. 224   von Westphalen, NJW 2010, 2254, 2262; Leuschner, JZ 2010, 875 ff. 225   BGH, NJW 1973, 2106, 2107 (= BGHZ 61, 282, 286 f.); 1991, 1604, 1606; 2002, 1651, 1653; Raiser, Das Recht der AGB, S.  293 ff., Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  110; Hesselink, 1 ERCL 44, 68 (2005); Jauernig13-Stadler, §  305 Rn.  23; MünchKommBGB5-Basedow, §  306 Rn.  100 f. Entsprechend bei sich kreuzenden Bestätigungsschreiben, Staudinger2003-Schlosser, §  306 Rn.  204.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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gen sie über die Inhaltskontrolle der §§  307 ff. BGB Verbindlichkeit. Das geschieht in einer Vielzahl von Fällen, da die Parteien auf die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen angewiesen sind 226 und dabei zahlreiche gesetzliche Vorgaben zu beachten haben. Verstoßen ihre Vereinbarungen gegen diese, so sind sie nichtig, ohne dass davon die Wirksamkeit des Vertrages berührt wäre, §  306 Abs.  2 BGB. Nur ausnahmsweise greifen die Gerichte in dieser Si­ tuation zu einer ergänzenden Vertragsauslegung.227 Im Übrigen wenden sie die abdingbaren Normen an.228 Entsprechend stark ist deren Einfluss. Besonders deutlich macht sich dieser Einfluss bei der Anwendung der Generalklausel des §  307 Abs.  2 BGB bemerkbar, wonach die gegen wesentliche Grundgedanken oder die Natur des Vertrages verstoßenden Absprachen nichtig sind. Zwar gilt diese Klausel nicht für Individualvereinbarungen. In einer auf Rationalisierung angelegten Wirtschaft ist es indes weder möglich noch sinnvoll, wiederkehrende Fragen individuell zu verhandeln. 229 Die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist daher in einer Vielzahl von Fällen unausweichlich. Die anderenfalls anfallenden Kosten wären exorbitant hoch, ganz abgesehen davon, dass erst eine wiederholte Verwendung und Prüfung derselben Klauseln Verlässlichkeit schafft und damit auch den Schutz des Rechtsverkehrs erlaubt. Je besser der Einzelne mit einer standardisierten Klausel vertraut ist, umso eher kann er deren Auswirkung beurteilen. Die Vertragsfreiheit lässt sich aus diesen Gründen in einer Vielzahl von Fällen effektiv nur über standardisierte Verträge verwirklichen.230 Gerade an sie aber knüpft die Inhaltskontrolle an. Je stärker sie wird, desto weniger bleibt von der Vertragsfreiheit erhalten. Diese besteht auch und gerade darin, einen einmal gefassten Grundsatz konsequent durchzuhalten. 231 Bei den Unternehmer-AGB ist diese Kontrolle zwar weniger intensiv als bei den Verbraucher-AGB, §  310 Abs.  1 BGB. Jedoch überträgt der BGH die bei Verbraucherverträgen vorgeschriebene Inhaltskontrolle der §§  308, 309 BGB zu   Stellvertretend BT-Drucks 7/3919, S.  9 ; BGH, NJW 2005, 1645, 1647; Palandt70 -Grüneberg, vor §  305 Rn.  3; Medicus, AT, S.  154, Rn.  395; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.  325; Scherner, AT, S.  318; Köhler, BGB AT, §  15 Rn.  1, S.  215; Grundmann, JZ 2005, 860, 863; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350; Hesselink, 1 ERCL 44, 67 (2005). 227   BGH, NJW 1984, 1177, 1178 (= BGHZ 90, 69, 75); 1986, 1610, 1612 (= BGHZ 96, 18, 26); 1989, 3010, 3011 (= BGHZ 107, 273, 276); 2000, 1110, 1114 (= BGHZ 143, 103, 120); 2008, 2172, 2175 (= BGHZ 176, 244, 255); Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  138, 532; BeckOKBGB20 -Schmidt, §  305c Rn.  4 4, §  306 Rn.  11; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  70 f., 200; für eine Korrektur über das Verhältnismäßigkeitsprinzip Canaris, FS Steindorf, S.  519, 547 f. 228   BGH, NJW 1983, 2817, 2819 (= BGHZ 87, 309, 321). 229   Vgl. BGH, NJW 2010, 1775, 1276; 2010, 2789, 2792. 230   Canaris, FS Steindorf, S.  519, 548, der sogar davon spricht, dass sich die Privatautonomie „weitgehend überhaupt nur noch“ durch AGB verwirklichen lasse. 231   Vgl. BGH, NJW 1992, 2283, 2285; Palandt70 -Grüneberg, §  305 Rn.  22 (zum Aushandeln kommt es, wenn der Verwender eine Klausel zur conditio sine qua non erklärt); siehe aber BGH, NJW 2000, 1454. 226

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

einem erheblichen Teil auf den Geschäftsverkehr. Er weicht vom „Gleichschritt“ zwischen AGB-rechtlichen Verbotsnormen im Unternehmerverkehr nur ab, wenn dies ausnahmsweise „besondere Interessen und Bedürfnisse des kaufmännischen Geschäftsverkehrs“ rechtfertigen. 232 Die Unwirksamkeit gegenüber einem Verbraucher nach §  309 BGB soll dabei auch gegenüber einem Unternehmer ein Indiz für eine unangemessene Benachteiligung sein.233 Das dehnt das Verbraucherrecht erheblich aus. Von der bei unbefangener Lektüre des BGB bestehenden weiten Möglichkeit zur Abbedingung bleibt wenig erhalten.234 Abdingbares Recht wirkt sich auf den Vertragsinhalt weiterhin durch das Verbot überraschender Klauseln in §  305c Abs.  1 BGB aus. Ob eine Klausel darunter fällt, hängt auch davon ab, wie stark sie vom abdingbaren Recht abweicht. 235 Dieses prägt den Maßstab für das, was als Überraschung zählt. Erneut zeigt sich daran die Immunisierungswirkung abdingbaren Rechts.236 Eine ihm entsprechende Vereinbarung ist wirksam. Je stärker sich die Vereinbarungen von ihm entfernen, desto gefährdeter sind sie. Diese Wirkung wird vom Grundsatz des §  305c Abs.  2 BGB verstärkt, dass Zweifel bei der Auslegung von AGB zulasten des Verwenders gehen. Denn er begründet in der Vertragsauslegung eine Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts.237 Diese Auswirkungen des AGB-Rechts sind auch deshalb beträchtlich, weil erhebliche Hürden für die Annahme eines Individualvertrages bestehen.238 Als AGB zählen selbst mündlich formulierte, handschriftlich abgefasste und sogar stillschweigend angenommene Klauseln; 239 sie umfassen auch die nicht erörterten Vereinbarungen innerhalb eines verhandelten Vertrages240 und werden 232   BGH, NJW 1984, 1750, 1751 (= BGHZ 90, 273, 278); 2007, 3774, 3775 (= BGHZ 174, 1, 4); MünchKommBGB5-Kieninger, §  307 Rn.  72. 233   BGH, NJW 1984, 1750, 1751 (= BGHZ 90, 273, 278); 1988, 1785, 1787 (= BGHZ 103, 316, 328); 2007, 3774, 3775 (= BGHZ 174, 1, 4); faktisch auch NJW 2010, 1275, 1276; MünchKommBGB5-Kieninger, §  309 Rn.  72; MünchKommHGB2 -K. Schmidt, Bd.  5, Vorbemerkung Rn.  37; Palandt70 -Grüneberg, §  307 Rn.  40; kritisch Bunte, NJW 1987, 921, 925; Berger, NJW 2010, 465, 469, der für ein Differenzierungsgebot zwischen Unternehmern und Verbrauchern plädiert. 234   Vgl. von Westphalen, NJW 2010, 2254, 2262: „Auf diesem Weg [der AGB-Kontrolle] sind die Normen des dispositiven Rechts weithin zu zwingenden Bestimmungen geworden. Ein maßgeblicher Unterschied zwischen dem Schutz des Verbrauchers und demjenigen des Unternehmers ist in den Maßstäben der richterlichen Inhaltskontrolle nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen.“ 235   BGH, NJW 1988, 558, 560; 1995, 2553, 2554 (= BGHZ 130, 19, 25); 2001, 2399, 2400 (= BGHZ 146, 331, 336); BAG, NJW 2000, 3299, 3301; Palandt70 -Grüneberg, §  305c Rn.  3. 236   Oben 3.B.4.a). 237   BeckOK-BGB20 -Schmidt, §  305c Rn.  47; Jauernig13-Stadler, §  305c Rn.  8 ; Staudinger2003Schlosser, §  306c Rn.  125. 238   Zusammenfassend Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 82 ff.; Miethaner, NJW 2010, 3121 ff. 239   BGH, NJW 1988, 410; 1999, 2180, 2181 (= BGHZ 141, 108, 110); 2001, 2635, 2636; 2005, 2543, 2544; BeckOK-BGB20 -Jacobs §  305 Rn.  20; MünchKommBGB5-Basedow, §  306 Rn.  31. 240   BGH, NJW 1997, 135 weitere Nachweise oben 3.B.4.b), Fn.  206.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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selbst dann nicht zu kontrollfreien Hauptleistungspflichten, wenn sie diese einschränken, ausgestalten oder modifizieren 241. Einen Individualcharakter kann man zudem weder durch den Bezug auf einen bereits ausgehandelten Vertrag242 noch durch die Aufforderung an den Verhandlungspartner begründen, unliebsame Klauseln zu streichen 243 . Erforderlich ist vielmehr, dass der Verwender seine AGB ernsthaft zur Disposition stellt, der andere Vertragsteil eigene AGB vorschlagen kann 244 sowie die reale Möglichkeit einer Veränderung hat und sich deutlich mit dem unveränderten Text einverstanden erklärt.245 Dieses lässt sich nicht durch eine standardisierte Bestätigung nachweisen, dass die Klauseln im Einzelnen ausgehandelt wurden. 246 Ebenso wenig genügt deren Erläuterung.247 Setzt sich nach gründlicher Erörterung der ursprüngliche Entwurf mit dem Einverständnis des Vertragspartners durch, soll er gleichwohl nur unter besonderen Umständen als ausgehandelt gelten.248 Bisweilen verlangt die Rechtsprechung sogar eine Belehrung über „den Inhalt und die Tragweite der Klauseln im Einzelnen“249 sowie eine Offenlegung der mit ihnen verbundenen Nachteile und Belastungen 250 . Selbst eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Fassungen genügt

  BGH, NJW 1987, 1931, 1935 (= BGHZ 100, 157, 173); 2001, 751, 752 (= BGHZ 148, 74, 78); 2008, 360, 362; ErfurtKomm9-Franzen, §  305 BGB Rn.  38; zu so genannten Preisnebenabreden des Weiteren BeckOK-BGB20 -Schmidt, §  307 Rn.  73; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  314, der für den Vorrang der Transparenzkontrolle plädiert. 242   BGH, NJW 1979, 367, 368; zur Kritik Kollmann, NJOZ 2011, 625, 626. 243   Ulmer/Brandner/Hensen10, §  305 Rn.  50; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1353. 244   BGH, aaO.; zur Diskussion mwN.  L euschner, JZ 2010, 875. 245   BGH, NJW 1987, 1634 (= BGHZ 99, 374, 377); 1992, 2283, 2285; 1998, 2600, 2601; 2000, 1110, 1111 (= BGHZ 143, 103, 111); 2002, 2388, 2389 (= BGHZ 150, 299, 303); 2005, 2543, 2544; Jauernig13-Stadler, §  305 Rn.  9 ; MünchKommBGB5-Basedow, §  305 Rn.  34; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  36; ablehnend LG Frankfurt, NZBau 2004, 44, 45; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351. Zur generellen Kritik an derartigen Anforderungen Eidenmüller, 2 European Review of Private Law 109, 128 (2009). 246   BGH, NJW 1977, 624, 625; 1987, 1634, 1635 (= BGHZ 99, 374, 379), der dies als Fall von §  11 Nr.  15 lit b AGBG (= §  309 Nr.  12 lit.  b BGB) wertet; MünchKommBGB5-Basedow, §  305 Rn.  37; MünchKommBGB5-Kieninger, §  309 Rn.  18; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  53; Staudinger2006 -Coester-Waltjen, §  309 Nr.  12 Rn.  12; Ulmer/Brandner/Hensen10, §  305 Rn.  49. 247   BAG, NJW 2010, 2827, 2829. 248   BGH, NJW 1977, 624, 625; NJW-RR 1987, 144, 145; 1998, 2600, 2601; 2000, 1110, 1112 (= BGHZ 143, 103, 112); Jauernig13-Stadler, §  305 Rn.  9 ; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  4 4; Ulmer/Brandner/Hensen10, §  305 Rn.  48; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  273; kritisch auch Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350. 249   BGH, NJW 2005, 2543, 2544; MünchKommBGB5-Basedow, §  305 Rn.  38; kritisch Gottschalk, NJW 2008, 2493, 2495. 250   BGH, NJW 1989, 222, 224 (= BGHZ 106, 42, 49–51); 1990, 2383, 2384; 1999, 2279, 2280 (= BGHZ 141, 137, 143); 2007, 2176; BeckOK-BGB20 -Schmidt, §  307 Rn.  42. 241

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

nicht unbedingt. 251 Ebenso wenig reicht ein Nachgeben beim Preis252 oder eine Anpassung an den individuellen Vertrag, sofern sie nicht von der Bereitschaft zur Aufgabe der gesamten Klausel zeugt 253 . Diese Anforderungen des Aushandelns sind angesichts der für eine Aufklärung und Verhandlung erforderlichen Zeit unrealistisch.254 Für eine Individualvereinbarung wäre jede Klausel zur Disposition zu stellen, mit dem Vertragspartner zu erörtern und ihm womöglich gar zu erklären. Praktisch lassen sich damit nur neu formulierte Klauseln als Individualvertrag behandeln.255 Das ist angesichts der begrenzten Zahl möglicher Regelungen für wiederkehrende Konstellationen schon theoretisch kaum umsetzbar. Abdingbare Normen wandeln sich auf diese Weise über den Umweg des AGB-Rechts zu zwingenden Normen.256 Bezeichnenderweise spricht die Praxis von der „AGB-Falle“257 und warnt Canaris vor einer Kontrolltyrannei.258 Die von Raiser geforderte „ständige Bearbeitung und Abschleifung der AGB durch die Gerichte“259 ist damit zur Realität geworden. Der Ausweg aus der strikten AGB-Kontrolle in eine Individualvereinbarung ist aufgrund des extensiven Verständnisses von AGB weitgehend verschlossen. Die beschriebenen Anforderungen an eine Individualvereinbarung gehen so weit, dass selbst das Bundesverfassungsgericht sie bisweilen als übermäßigen Eingriff in die Vertragsfreiheit wertet.260 Kommt es damit vielfach zu einer Inhaltskontrolle von Verträgen, setzt sich das abdingbare Recht indirekt als Referenzmaßstab durch. Abweichungen von ihm begründen umso eher den Vorwurf einer unangemessenen Benachteili251   BGH, NJW-RR 1986, 54; NJW 1988, 410, 411; 1992, 1107, 1108; 2010, 1131, 1133; anderes gilt aber, wenn die Wahlfreiheit nicht durch Einflussnahme des Verwenders überlagert wird, BGH, NJW 2003, 1313, 1314 (= BGHZ 153, 148, 153); 2008, 987, 989 (= BGHZ 175, 76, 85); unten 5.B.5.c). 252   BGH, NJW 1991, 1678, 1679 sowie sogleich bei Fn.  262. 253   BGH, NJW 1992, 1107, 1108. 254   Zur Kritik Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, S.  36, Teil  2, Rn.  78; Berger, NJW 2010, 465, 467; Miethaner, NJW 2010, 3121, 3125 f.; Leuschner, JZ 2010, 875, 876; Kollmann, NJOZ 2011, 625; gegen einen Reformbedarf von Westphalen, NJW 2009, 2977 ff. 255   Miethaner, NJW 2010, 3121, 3124. 256   Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  201; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 47; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  110; a. A. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  284: die Inhaltskontrolle führe nicht zu einer Erstarrung zum zwingenden Recht, sondern zu einer „Begrenzung auf ein noch im Rahmen des Angemessenen liegendes Maß“. 257   Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351; siehe auch die u. a. vom BDI und DIHK getragenen Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts, www.agb-recht-initiative.de (Stand 15.  2. 2012). 258   Canaris, FS Steindorf, S.  519, 549; positiver hingegen Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  110: „Die Vertragsfreiheit .  .  . wird somit durch das AGB-Gesetz nicht grundsätzlich in Frage gestellt.“ 259   Raiser, Das Recht der AGB, S.  97. 260   BVerfG, NJW 2005, 1036, 1038: Die Verwendung vorformulierter Vertragstexte durch Zahnärzte dürfe nicht auf die anzuwendenden Gebührensätze beschränkt werden. Kritisch auch Canaris, FS Steindorf, S.  519, 548.

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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gung, je mehr ihnen ein Gerechtigkeitsgehalt zugesprochen wird.261 Da der Preis als wichtigstes Kompensationsmittel keiner Bewertung unterliegt, 262 scheidet er als Rechtfertigung für eine Abbedingung aus. Diese Zurückhaltung bei der Preiskontrolle kehrt sich so in einen erhöhten Rechtfertigungszwang für eine Abbedingung um. Denn es sind dann andere Gründe, die eine Abweichung rechtfertigen müssen. Daran zeigt sich zugleich, dass der Gesetzgeber und die Gerichte abdingbare Normen keinesfalls nur als unverbindlichen Vorschlag betrachten.263 Vielmehr behandeln sie diese als „wesentliche Grundgedanken“, die dadurch mittelbar Verbindlichkeit erlangen. Sie werden als interessengerechter Ausgleich angesehen, von dem die Parteien nur begrenzt abweichen dürfen. Dies ist umso problematischer, als es keine nachvollziehbare Methode gibt, die wesentlichen Normen eines Vertragstyps festzustellen, 264 die auf diese Weise verpflichtend werden. Die Ersetzung unwirksamer AGB durch das abdingbare Gesetzesrecht deutet deren Verwandtschaft an. 265 AGB sind wie abdingbare Gesetzesnormen für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert, im Voraus formuliert und sollen die Verhandlungen erleichtern. Zudem erübrigen sie es den Parteien, eine eigene Lösung zu finden. Darüber hinaus besteht bei ihnen ein ähnlicher Zusammenhang mit dem Vertrauen der Parteien wie bei abdingbaren Normen. So wie man Allgemeinen Geschäftsbedingungen eher zustimmt, wenn man dem sie stellenden Vertragspartner vertraut, so ist man eher bereit, abdingbares Recht zu akzeptieren und auf eine aufwendige Abbedingung zu verzichten, wenn man die Rechtsordnung für im Großen und Ganzen gerecht hält. Je skeptischer hingegen man ihr gegenüber ist, desto eher ist man bereit, die durch die Parteien ge  Siehe BGH, NJW-RR 2008, 818, 821 sowie die Nachweise oben 2.B.1.b), Fn.  137.   BGH, NJW 1957, 17, 19 (= BGHZ 22, 90, 98); 1961, 212, 213 (= BGHZ 33, 216, 219); 1980, 1953, 1954 (= BGHZ 77, 126, 131); 1991, 1678, 1679; 1993, 2442, 2444 (= BGHZ 120, 216, 226); 2008, 3772, 3773; NJW-RR 1989, 243, 244; MünchKommBGB5-Kieninger, §  307 Rn.  42; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  137 f.; Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  145; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  302 ff., 325; von Westphalen, NJW 2008, 2234, 2237; prinzipiell gegen eine Preiskontrolle von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  293. Anders demgegenüber RGZ 20, 115, 117; 99, 107, 111; Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993, Erwägung 19, wonach „das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Mißbräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden“ könne. Eine Rolle spielt der Preis ferner in BGH, NJW 1968, 1718, 1720 (Haftungsbegrenzung auf Parkplatz durch niedrige Gebühren gerechtfertigt); 1997, 1849, 1850 sowie NJW-RR 2008, 818, 819 (längere Laufzeiten kompensiert durch einen geringeren Preis); Argumentation der Bundesregierung im Fall EuGH, 1.  4.  2004, Rs. C-237/02, Freiburger Kommunalbauten ./. Hofstetter, Slg. 2004, I-3403, Rn.  16; ferner Coester, aaO. mwN. 263   Siehe aber Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  23: „bloße Lösungsvorschläge“, 126, siehe andererseits S.  66. Staudinger2006 -Schlosser, vor §§  305 ff. Rn.  24 spricht gar von einer „Vergötzung des dispositiven Gesetzesrechts“. 264   Zur Diskussion mwN.  Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  471 ff. 265   Vgl. zur Parallele von AGB und abdingbarem Recht Bix, Contract Law Theory, p.  14; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  191; Bachmann, Private Ordnung, S.  122. 261

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

wählte Lösung zu akzeptieren. Denn umso weniger spricht dann dafür, dass die vereinheitlichenden Normen des Gesetzgebers den standardisierten Klauseln der Parteien überlegen sind. Demnach lassen sich aus dieser Parallele nicht nur Erkenntnisse über AGB gewinnen, 266 sondern umgekehrt auch über die Funktionsweise abdingbaren Rechts. Auch in ihrer Gestaltung gibt es zwischen abdingbaren Normen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufschlussreiche Parallelen: Beide sollten den Vertragspartner nicht überraschen. 267 Anderenfalls würde er zu Verträgen gedrängt, deren Inhalt er kaum erkennen kann. Er müsste die Relevanz der gesetzlichen Normen sonst selbst für Konstellation untersuchen, die kaum eintreten. Aufgrund des Zusammenspiels abdingbarer Normen mit dem AGB-Recht ist bereits bei ihrer Gestaltung und Auslegung zu berücksichtigen, dass sie zur Beurteilung von AGB dienen. Das Argument etwa, dass die Parteien von abdingbaren Normen notfalls abweichen können, sollte eine untergeordnete Rolle spielen. Denn bei den weithin verwendeten AGB ist das nur selten der Fall.

5.  Die Prägung von Grundsätzen und Vertragstypen Abdingbare Normen sind Teil des geltenden Rechts. Das Rechtssystem lässt sich ohne sie nicht beschreiben. Trotz ihrer Abdingbarkeit bilden sie die Grundlage, um abstrakte Grundsätze und allgemeine Prinzipien zu formulieren. Das gilt etwa für den Vertrauensschutz, die Verschuldenshaftung und das Veranlassungsprinzip. Derartige Grundsätze wiederum dienen zur Entwicklung neuer Regeln.268 Einem Großteil dieser Grundsätze liegen abdingbare Normen zugrunde. So sind es beispielsweise die §§  122, 241 Abs.  2 BGB, aus denen ein vertraglicher Vertrauensschutz folgt.269 Ebenso wird die Verschuldenshaftung aus §§  276, 280 ff. BGB abgeleitet, obwohl die Parteien sie sowohl zur Garantiehaftung erweitern als auch bis zur Grenze der Vorsatzhaftung einschränken können.270 Für das gesamte Rechtssystem entscheidende Grundsätze werden damit per   Schapp, DB 1978, 621, 624.   Für AGB §  305c BGB. 268   Esser, Grundsatz und Norm, S.  141 ff.; Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  97, 100 ff.; Berger, Der Aufrechnungsvertrag, S.  114; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  164. 269   Stellvertretend Larenz, Richtiges Recht, S.  8 0 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  266 ff.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  411 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, S.  373 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S.  131 ff.; als Beispiel der Anwendung BGH, NJW 1984, 2279, 2280 (= BGHZ 91, 324, 330); NJW-RR 1988, 785, 786; 1992, 879, 882. 270   BGH, NJW 1969, 269, 273 (= BGHZ 51, 91, 98); 1991, 2414, 2415; 2006, 47, 49 (= BGHZ 164, 196, 210 f.); BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  280 Rn.  1; Staudinger2005-Olzen, vor §§  241 ff. Rn.  39; Staudinger2004-Knothe, vor §§  116 Rn.  38; zurückhaltend Staudinger2009-Otto, §  280 Rn. D 2; zu den Grenzen der Vorsatzhaftung siehe Verfasser, JZ 2007, 18 ff. 266 267

B.  Der Einfluss auf den Vertragsinhalt

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Analogie auf andere Gestaltungen übertragen.271 Das ist keineswegs selbstverständlich. Denn von den abdingbaren Normen als ihrer Grundlage ist eine Abweichung zulässig. Nimmt man die Einheit der Rechtsordnung272 ernst, muss auch diese Möglichkeit in der Entwicklung der Grundsätze berücksichtigt werden. Es lässt sich daher etwa so lange nicht von einem zwingenden Vertrauensschutzprinzip ausgehen, wie seine Grundlagen abdingbar sind. Besonders stark beeinflusst abdingbares Recht die Formulierung von Vertragstypen.273 Diese werden auf der Grundlage abdingbarer Normen gewonnen und beeinflussen die richterlichen Vorstellungen auch noch dort, wo ihre Abdingbarkeit in Vergessenheit geraten ist. Abdingbare Normen prägen die Beurteilungsmaßstäbe sowohl bewusst als auch unbewusst. Sie dienen als allgemeine Orientierungsgröße. Richter können sich auf sie als externen Maßstab berufen, den sie nicht weiter legitimieren müssen und der ihre Neutralität nicht in Frage stellt. Man mag diese Rolle von Vertragstypen als „Wert- und Erfahrungsdurchdrungenheit der Denkform“274 begrüßen, sollte sich dabei aber auch die damit verbundene Gefahr275 verdeutlichen: Sie sind kein Selbstzweck, sondern sollen die Erfassung und Bewertung der Parteiabsprachen erleichtern. Die Parteien sind nicht verpflichtet, ihren Vertrag einem bestimmten Typus zu unterstellen oder eine Abweichung von ihm zu rechtfertigen. Die Orientierung an den gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Vertragstypen mag ein erster Anhaltspunkt für die Einordnung und das Verständnis der jeweiligen Vereinbarung sein, kann diese aber nicht ersetzen. Es bleibt eine stets von Neuem zu bewältigende Herausforderung, die konkrete Absprache der Parteien zu würdigen. Abdingbare Normen haben eine umso größere Wirkung, je stärker die Dogmatisierung eines Rechtssystems vorangeschritten ist. Denn mit dieser tritt ihre Relevanz zu Tage und erübrigt eine ad hoc zu findende Billigkeitslösung. Zugleich mildert die Möglichkeit zur Abbedingung die mit einer Formulierung abstrakter Normen einhergehende Gefahr ihrer zu engen oder zu weiten Fassung. 276 Die Parteien können derartige durch eine Verallgemeinerung entste271   Für das Veranlassungsprinzip siehe BGH, NJW 2008, 2331, 2332; MünchKommBGB5Schwab, §  812 Rn.  115; für §  122 BGB BGH, NJW 1969, 1380; MünchKommBGB5-Kramer, Einl Rn.  81, §  122 Rn.  2; anders – zugunsten eines Risikoprinzips – Staudinger2004-Singer, §  122 Rn.  2; generell Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  170. 272   Stellvertretend Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  209 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S.  16 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  204; zum historischen Hintergrund Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, S.  24 ff. 273   Leenen, Typus und Rechtsfindung, S.  131; Larenz, Methodenlehre, S.  301 ff., der sie gerade für Abweichungen von den bisherigen Vertragsformen empfiehlt; Bydlinski, Methodenlehre, S.  548 ff.; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  49. 274   Westermann, aaO., S.  101; ähnlich Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  426. 275   Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  399; Larenz, Methodenlehre, S.  304 konstatiert eine „sehr viel größere Flexibilität der typologischen Betrachtung“. 276   Korobkin, 79 Oregon Law Review 23, 41 (2000).

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

hende Härten durch eine abweichende Absprache notfalls korrigieren. Die Herausbildung allgemeiner Regeln und ihr Ausgleich über eine Abbedingung gehen daher Hand in Hand. Ist hingegen eine nicht dogmatisierte Einzelfallentscheidung zu treffen, stellt sich nicht die Frage, ob die Parteien von den vorgegebenen abdingbaren Normen abgewichen sind. Denn ihre Interessen werden dann einer offenen Abwägung unterworfen.

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts Die eben beschriebene Wirkung abdingbaren Rechts wird noch deutlicher, wenn wir sie mit der idealtypischen Wirkung zwingenden Rechts vergleichen. Dafür sind sowohl die Vor- als auch die Nachteile abdingbaren Rechts zu betrachten.

1.  Vorteile abdingbaren Rechts a)  Größere Autonomie der Parteien Zwingende Normen begrenzen die Entscheidungsfreiheit der Parteien und damit die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens. Auch wenn sie die Grundlagen der Selbstbestimmung schützen, beeinträchtigen sie dennoch diese Freiheit. 277 Abdingbares Recht zeichnet sich demgegenüber durch eine größere Autonomie der Parteien aus, da es abweichende Absprachen erlaubt. Das erleichtert den Parteien, zu den von ihnen geschlossenen Verträgen zu stehen. Es gelten ihre Absprachen und nicht die Anordnungen des Staates. Niemand anderes ist für sie verantwortlich. Der zwingende Charakter einer Norm wird vor allem dann relevant, wenn sie einer privatautonomen Vereinbarung widerspricht. Denn nur dann kommt es zu einem Konflikt zwischen Vertrag und Gesetz, in dem sich die Frage nach dem abdingbaren oder zwingenden Charakter einer Norm stellt. Zwingende Normen lösen ihn zugunsten des Gesetzes. Sie bestimmen eine andere Rechtsfolge als die Parteien. Dies erreichen sie durch eine Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht, durch ein Verbot anderer Absprachen oder ein Verbot, sich auf eine abweichende Vereinbarung zu berufen 278 . Sie schreiben den Parteien entweder eine bestimmte Gestaltung vor oder untersagen ihnen eine bestimmte Klausel. 279 Diese Wirkungen treten in aller Regel unabhängig davon 277   Feldman, 18 Touro Law Review 503, 515, 537 (2002): „by restricting people’s ability to negotiate .  .  . the state is overlooking the mental benefits of self-control.“ 278   Oben 1.B.1. 279   Zur Unterscheidung Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  303 sowie oben 3.B.4.b), Fn.  204.

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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ein, ob die Parteien das zwingende Recht und seine Folgen kennen oder kennen können.280 Sie kommen daher selbst dann zum Tragen, wenn die Parteien bei Kenntnis der zwingenden Normen eine andere Vereinbarung getroffen hätten.281 Bei einem Verstoß einer Abrede gegen zwingende Normen steht das Recht aus diesem Grund vor einem Dilemma: Es muss den Vertrag entweder für unwirksam erklären oder ihn korrigieren. In beiden Fällen wird der Wille der Parteien verzerrt. Denn entweder es fehlt an einem gültigen Vertrag oder aber den Parteien werden nicht vereinbarte Rechte oder Pflichten aufgedrängt. Das gilt unabhängig davon, ob man einen Vertrag in erster Linie als eine Übereinstimmung zweier Willen ansieht oder als einen Austausch von Leistungen (bargain). 282 Im einen Fall wird der Wille, im anderen Fall das Austauschverhältnis283 verzerrt. Die damit eintretende Verfremdung ist umso gravierender, als der Eingriff durch zwingendes Recht meist punktuell erfolgt. Die übrigen Absprachen des Vertrages bleiben unangetastet.284 Dies gilt insbesondere für den auf der Grundlage der unwirksamen Absprache kalkulierten Preis.285 §  139 BGB soll die Aufdrängung eines nicht gewollten Vertrages zwar verhindern, indem er im Falle der Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dessen Gesamtnichtigkeit anordnet. Aufgrund seiner restriktiven Interpretation erfüllt er diese Funktion indes nur zum Teil. Keine Anwendung findet er, wenn die Parteien nach der Einschätzung der Gerichte anstelle der vereinbarten nichtigen Regelung eine andere, zulässige Vereinbarung getroffen hätten.286 Ebenso bleibt die von §  139 BGB vorgesehene Nichtigkeitsfolge aus, wenn die Gerichte die entstandene Lücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung füllen können.287 Zudem ist §  139 BGB nicht zulasten der durch die jeweilige Norm geschützten

  Oben 1.A.1.c), Fn.  46   BGH, NJW 2006, 2978, 2979: „Eine mögliche Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses ist Folge einer gesetzlich zwingend angeordneten Nichtigkeit, §  134 BGB. Die gesetzliche Anordnung steht nicht zur Disposition der Vertragsparteien.“ 282   An diesen Unterschied knüpft Legrands Gegenüberstellung von kontinentalem Recht und Common Law an, 60 Modern Law Review 44, 57 (1997). 283   Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1290 (2000). 284   Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  220 spricht daher zutreffend vom pönalen Element zwingenden Rechts. 285   Siehe oben 2.A.1.a), Fn.  16. 286   BGH, NJW 1974, 44, 45 (= BGHZ 63, 132, 136); 1989, 834, 835 (= BGHZ 105, 213, 221); 1989, 2681, 2682 (= BGHZ 107, 351, 355); 2001, 815, 817 (= BGHZ 146, 37, 47); 2009, 1135, 1136; Palandt70 -Ellenberger, §  139 Rn.  14; Soergel13-Hefermehl, §  139 Rn.  31; demgegenüber ordnet Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  61 dies als teleologische Reduktion ein; zur quantitativen Teilbarkeit bereits oben 3.B.4.b), Fn.  208. Zu den Schwierigkeiten der Feststellung des hypothetischen Willens bereits oben 2.A.3.b)-2.A.3.c). 287   BGH, NJW 1975, 44, 45 (= BGHZ 63, 132, 135); 2007, 295, 297; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  139 Rn.  16; Palandt70 -Ellenberger, §  139 Rn.  14; Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  61; jurisPK-BGB5-Nassall, §  139 Rn.  37. 280 281

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Partei anwendbar. 288 Hält ein Verbraucher etwa einem Unternehmer entgegen, dass die vereinbarte Gewährleistungszeit nichtig sei und eine längere gesetzliche Frist gelte, so kann dieser nicht einwenden, er hätte bei ihrer Anwendung keinerlei Vertrag mit ihm geschlossen. Da die meisten zwingenden Normen vor allem einen Vertragsteil schützen sollen, 289 verbleibt für §  139 BGB deshalb nur noch ein eingeschränkter Anwendungsbereich. Die Verzerrung des Parteiwillens kann er nicht verhindern. Keinen Ausweg aus dieser Folge bietet ferner die Möglichkeit, eine der Parteien zur Ersetzung der unwirksamen Regelung zu ermächtigen. Nicht nur ist ungewiss, ob die berechtigte Partei dazu in der Lage ist. Vielmehr schafft dies die Gefahr einer einseitigen Gestaltung. Denn die Kontrolle durch die andere Seite fehlt dann ebenso wie die Absicherung durch den Verhandlungsprozess. Daher gibt es nur wenige Beispiele einer derartigen Lösung. So ermächtigt §  164 VVG die Versicherer, eine unwirksame Versicherungsbedingung durch eine neue Regelung zu ersetzen. Damit privilegiert er diejenige Partei, welche die unwirksame Regelung entworfen hat. Erklären lässt sich dies nur dadurch, dass die Versicherungsnehmer in der Regel nicht in der Lage sind, eine neue Klausel zu gestalten, und den Versicherern angesichts der ausufernden Inhaltskontrolle nicht immer ein Verschulden daran trifft, eine unwirksame Klausel aufgestellt zu haben. Zum Teil versuchen die Gerichte, das beschriebene Dilemma zwischen der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages und der Aufdrängung eines ungewollten Vertrages durch eine gesetzeskonforme Auslegung zu vermeiden. Im Zweifel verstehen sie einen Vertrag so, dass er dem geltenden Recht entspricht. 290 Die Möglichkeiten dieser Auslegung reichen weit, da der Wortlaut des Vertrages keine unüberwindbare Grenze bildet 291 und weite Möglichkeiten bestehen, ihm mit Verweis auf die Absichten der Parteien einen abweichenden Inhalt zu geben. Auch in diesem Fall erfolgt jedoch eine Korrektur des Vertrages. Denn die Auslegung orientiert sich dann nicht mehr allein an den Interessen der Parteien, sondern ebenso am Gesetz und den rechtsethischen Vorstellungen der Gerichte. Dieser Verzerrung des Willens können die Parteien nur begrenzt begegnen.   Meist wird dies als Rechtsmissbrauch verstanden, BGH, NJW-RR 1997, 684, 686; 1998, 594, 595; 2009, 1135, 1137; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  139 Rn.  19; Palandt70 -Ellenberger, §  139 Rn.  16; Staudinger2003-Roth, §  139 Rn.  89; Larenz/Wolf, AT, §  45 Rn.  38 f., S.  826. Demgegenüber plädiert Canaris, FS Steindorff, 535 für eine halbseitige Teilnichtigkeit; kritisch Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074. 289   So bei den die Arbeitnehmer, Mieter oder Verbraucher schützenden Normen, Nachweise oben 1.E.1.a), Fn.  252 sowie unten 5.A.1, Fn.  4. 290   BGH, NJW 2000, 1333, 1334; 2003, 819, 820 (= BGHZ 152, 153, 159); BAG, NZA 2006, 220, 221; Staudinger2004-Singer/Benedict, §  133 Rn.  55; Palandt70 -Ellenberger, §  133 Rn.  25; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht 2 -Löwisch/Rieble, Bd.  3, §  265 BetrVG Rn.  36. 291   BGH, NJW 1983, 672, 673 (= BGHZ 86, 41, 46); weitere Nachweise oben 2.A.2.b), Fn.  58. 288

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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Niemand vermag das zwingende Recht vollständig zu überblicken. Der Gesetzgeber kann daher nicht damit rechnen, dass sich die Parteien an die zwingenden Vorgaben halten und eine Verzerrung ihrer Interessen infolge seines Eingreifens ausbleibt. Zwingendes Recht hat auch dann noch einen bedenklichen Einfluss auf das Verhältnis der Parteien, wenn diese von ihm nicht abweichen wollen. Denn sie können unter der Geltung zwingenden Rechts kaum unterscheiden, ob ihre Verhandlungspartner aus freien Stücken einer Klausel zustimmen, oder nur deshalb, weil ihnen ohnehin nichts anderes übrig bleibt. Ist jemand etwa bereit, in einem Ehevertrag erhebliche Unterhaltspflichten gegenüber einem geschiedenen Ehepartner auf sich zu nehmen, so ist unklar, ob dies auf Freiwilligkeit oder Zwang292 beruht. Entsprechend überschattet das im Hintergrund stehende zwingende Recht seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Problematisch am zwingenden Recht ist daher nicht nur, dass es andere Gestaltungen ausschließt, sondern auch, dass es der Freiwilligkeit einer Vereinbarung die Grundlage entzieht. Die Parteien können die wechselseitig gewährten Rechte nicht mehr einander zuschreiben.293 Das verändert ihre Wahrnehmung und Inanspruchnahme dieser Rechte. 294 Diese Verluste an Entscheidungsfreiheit muss man sich gerade dann vor Augen führen, wenn man Verträge nicht nur als Instrument zur Nutzensteigerung begreift, sondern als einen Ausdruck der Selbstbestimmung. Denn mit der Zunahme zwingenden Rechts lässt die Fähigkeit nach, die eigenen Interessen in einem Vertrag niederzulegen.295 Die pessimistische Prophezeiung, dass die Parteien zu einem Selbstschutz nicht fähig seien, erfüllt sich dann von selbst: Je mehr das Recht den Parteien die Aufgabe abnimmt, ihre eigenen Interessen in einer Verhandlung wahrzunehmen, umso weniger sind sie dann dazu tatsächlich in der Lage. Unabhängig von diesen Verlusten an Entscheidungsfreiheit schafft zwingendes Recht den Anreiz zu opportunistischem Verhalten. Die geschützte Partei kann sich auf anders lautende Abreden im Vertrauen einlassen, dass diese unwirksam sind. Sie muss in der Verhandlung nicht darauf drängen, dass eine   Zu den Grenzen der Abdingbarkeit einer Unterhaltspflicht siehe BVerfG, NJW 2001, 957, 959 (= BVerfGE 103, 89, 91, 109); 2001, 2248; weiter geführt durch BGH, NJW 2004, 930, 933 (= BGHZ 158, 81, 96); 2009, 2124, 2135; Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  434; kritisch BeckOK-BGB20 -Mayer, §  1408 Rn. Rn.  15 ff. mwN. 293   In der Terminologie von Scanlon, What We Owe to Each Other, p.  252 fehlt nicht nur der instrumentelle Wert einer Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten, sondern auch der Repräsentationswert, wonach sie der Person zugeschrieben wird, die sie getroffen hat; ferner Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  100, 109. 294   Zu den psychologischen Folgen Feldman, 18 Touro Law Review 503, 536 (2002). 295   Klassisch für dieses Argument von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  135; Mill, On Liberty and Other Essays, p.  91; in jüngerer Zeit Gordley, 69 California Law Review 1587, 1621 (1981) trotz der von ihm geforderten Gleichheit des Austauschs. 292

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

andere Absprache getroffen wird. Eine Verhandlung der zugrunde liegenden Frage oder sogar ein Hinweis auf die Unwirksamkeit der Klausel kann ihr nur schaden. Das wird in der Praxis etwa am Ratschlag deutlich, die einem ungünstigen Vertragsklauseln in AGB unkommentiert hinzunehmen, um nicht „den Segen ihrer Unwirksamkeit“ zu gefährden.296 Es sei besser, eine Verhandlung dieser Fragen zu vermeiden, um sich im Notfall auf die Nichtigkeit der Absprachen zu verlassen. Zwingendes Recht schafft daher den Anreiz, den Verhandlungspartner über das anwendbare Recht im Ungewissen zu lassen sowie auf einen Widerspruch zwischen Vereinbarung und tatsächlicher Rechtslage zu spekulieren. Nachweisbar und sanktionierbar ist ein derartiges Verhalten kaum.297 Fast immer ist der Einwand möglich, das zwingende Recht im Voraus nicht gekannt zu haben.298 Verhandlungen verlieren auf diese Weise ihre Funktion, eine selbstbestimmte, kooperative und rationale Entscheidung zu ermöglichen, ganz abgesehen davon, dass Verträge durch einen derartigen Opportunismus an Effizienz verlieren 299. Die durch zwingendes Recht geschützte Partei kann in der Regel zwischen der Nichtigkeit der Absprache und deren Wirksamkeit wählen.300 Eine Reihe von so genannten halbzwingenden Vorschriften bestimmt dies ausdrücklich, indem sie nur einer Seite das Recht nimmt, sich auf die Abbedingung einer Norm zu berufen.301 Auch damit entsteht ein Anreiz zu opportunistischem Verhalten. Die geschützte Vertragsseite kann sich je nach Situation auf das für sie Günstige berufen. Ihr Vertragspartner hingegen ist dieser Entscheidung ausgesetzt. Wer dagegen offen auf die Bedenken zur Wirksamkeit einer Klausel hinweist, wird bestraft. Er muss das Risiko eines Scheiterns der Verhandlungen oder zumindest ein Entgegenkommen an anderer Stelle in Kauf nehmen. Bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses zeigen sich somit die problematischen Folgen zwingenden Rechts. Soll der Wille der Parteien die Anordnung der vertraglichen Rechtsfolgen legitimieren, dürfen ihn zwingende Normen nicht zu sehr überformen. Dispositive Normen verzerren den Parteiwillen trotz der mit ihnen einhergehenden Abbedingungslast302 im Regelfall geringer als zwingende Normen.   Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351 mwN.   Siehe als Ausnahme LG Frankfurt, NZBau 2004, 44, 45, wo das Gericht eine Bürgschaft auf erstes Anfordern als Individualvereinbarung akzeptiert, welche der Vertragspartner des Verwenders selbst gegenüber seinen Subunternehmern eingesetzt hatte. 298   Zur fehlenden Möglichkeit, wegen der ungeahnten Anwendbarkeit gesetzlicher Normen anzufechten siehe oben 1.A.1.c), Fn.  46. 299   Cohen, Encyclopedia of Law and Economics, 4400, p.  9 0. 300   So etwa bei AGB, was aus §  307 Abs.  1 S.  1 abgeleitet wird, BGH, NJW 1987, 837, 838 (= BGHZ 99, 160, 161); NJW-RR 1998, 594, 595; BAG, NZA 2006, 257, 258; BeckOK-BGB20 Schmidt, §  307 Rn.  23; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  94. 301   Etwa §  4 44 BGB, weitere Nachweise oben 1.B.1, Fn.  132. 302   Oben 1.C.2. 296 297

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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Nur ausnahmsweise ist die durch abdingbares Recht eintretende Verzerrung des Willens größer als die des zwingenden Rechts. Das ist der Fall, wenn die Verhandlungsmacht einer Partei so beschränkt ist, dass sich eine ihren Interessen gerecht werdende Klausel nur mittels Zwangs durchsetzen lässt. Jedoch bietet es sich oftmals an, diese speziellen Fälle eines fehlenden Willens mit den allgemeinen Normen der §§  104 ff. BGB zu regeln, als sämtlichen Parteien wegen eines nur möglichen Missbrauchs die Freiheit zu nehmen. b)  Unmittelbarer Ausdruck der Parteiinteressen Während zwingendes Recht den Willen der Parteien verzerrt, ermöglicht abdingbares Recht, ihn besser zum Ausdruck zu bringen. Denn die Parteien müssen sich keinen zwingenden Vorgaben beugen oder gar eine bestimmte Formulierung übernehmen. Ein frei vereinbartes Widerrufsrecht gewinnt beispielsweise einen anderen Charakter als ein gesetzlich vorgegebenes. Wer es gewährt, wird kaum zu so umständlichen Formulierungen greifen wie die BGB-Informationsverordnung. Mit ihr genügt man zwar den gesetzlichen Vorgaben, §§  14 Abs.  1 BGB-InfoV, 355 BGB. Die Authentizität vertraglicher Formulierungen jedoch geht damit verloren. Diese werden umständlich und unpersönlich, da sich die Parteien an die bereits feststehenden gesetzlichen Vorgaben halten müssen. Gerichte können den Willen der Parteien dann schwerer erkennen. Die mögliche Umgehung zwingender Normen erhöht dieses Risiko. Sie mögen zwar eine bestimmte Gestaltung verbieten, können die Erfüllung des mit ihnen verbundenen Zwecks jedoch nicht garantieren. Die Gründe, aus denen die Parteien eine abweichende Gestaltung bevorzugen, bleiben bestehen. Sie sind wirtschaftlicher sowie sozialer Art und schwinden nicht durch die Verabschiedung eines Gesetzes. Die Durchsetzung zwingender Normen ist in auf Freiwilligkeit beruhenden Verträgen aus diesem Grund keine Selbstverständlichkeit.303 Zwingende Vorgaben setzen den Anreiz zur Umgehung, d. h. zu Gestaltungen, die wirtschaftlich der angestrebten, aber durch zwingendes Recht verhinderten Klausel entsprechen.304 Eine Umgehung ist selbst in solchen Rechtsgebieten möglich, die wie das Aktienrecht weitgehend zwingend ausgestaltet sind. Statt per Satzung vom Aktiengesetz abzuweichen, können Aktionäre etwa eine schuldrechtliche Vereinbarung schließen.305 Diese entfaltet wirt303   Nach Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 290 sind zwingende Normen „ein Datum, aber keineswegs ein Fatum“. Die Kautelarpraxis erhebe sogar den Anspruch, zwingendes Recht „nicht nur auszuweisen, sondern über es disponieren zu können“, aaO., 292. 304   Harris/Veljanovski, in: Daintith/Teubner, Contract and Organisation, p.  112; hingegen weist Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S.  92 f., zu Recht darauf hin, dass auch abdingbare Normen umgangen werden können. 305   Zur Zulässigkeit siehe BGH, NJW 1967, 1963, 1964 (= BGHZ 48, 163, 166); 1987, 1890, 1892; entsprechend für die GmbH BGH, NJW 2010, 3718, 3719; Baumbach/Hueck-Zöllner,

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

schaftlich eine nahezu gleiche Wirkung wie eine vom Gesetz abweichende Satzung, obwohl §  23 Abs.  5 AktG diese weitgehend ausschließt. Die Umgehung zwingender Vorgaben mag zwar ebenfalls verboten und damit unwirksam sein.306 Eine Reihe von Normen wie §  306a BGB oder §  475 Abs.  1 S.  2 BGB schreibt dies sogar ausdrücklich vor, was indirekt zeigt, wie groß die Gefahr dazu ist. Allerdings kann sie eine Umgehung nur begrenzt verhindern, weil bereits unklar ist, ab wann diese beginnt. Daher bedarf es zur Klarstellung weiterer zwingender Normen. Dadurch vergrößert sich deren Menge: Um den tatsächlichen oder scheinbaren Missbrauch einer Gestaltung zu verhindern, werden neue zwingende Normen geschaffen, die dann ihrerseits zur Umgehung einladen.307 Die wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Normen begünstigt diese Inflation zwingenden Rechts. So dient etwa der Kontrahierungszwang als Begründung dafür, auch noch den Inhalt der erzwungenen Verträge vorzuschreiben 308 . Abdingbares Recht ermöglicht demgegenüber einen authentischeren Ausdruck der Interessen. Die Parteien können niederlegen, was sie beabsichtigen, und sich darauf verlassen, damit etwaige entgegenstehende Normen zu verdrängen. Sie müssen sich über deren Inhalt kaum informieren. Zur Feststellung der wesentlichen Rechte genügt ein Blick in den Vertrag. Dieser ist ihnen besser erkennbar als die gesetzlichen Normen. Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er die ausdrückliche Verwendung bestimmter Vertragsklauseln vorgibt und sich nicht darauf beschränkt, entsprechende gesetzliche Anforderungen aufzustellen.309 Denn für ihn ist es demnach ein Unterschied, ob Rechte und Pflichten nur im Gesetz oder auch im Vertrag formuliert sind. Aufgrund der leichteren Erkennbarkeit des Vertrages erlegen abdingbare Normen den Parteien geringere Informationslasten auf als zwingende Normen. Das vergrößert GmbHG19, §  47 Rn.  113; BeckOK-GmbH7-Schindler, §  47 Rn.  6 4; MünchKommAktG3Pentz, §  23 Rn.  188; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Wertenbruch, HGB2, §  105 Rn.  43 (für die OHG); Schmidt, Gesellschaftsrecht, §  5 I 5, S.  93 f.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  185 f. Zur Umgehung gesellschaftsrechtlicher Normen bereits oben 1.F.2. 306   Umstritten ist, ob dies aus der Auslegung der Norm, einer Analogie, der Sittenwidrigkeit oder aus einem eigenen Rechtsinstitut folgt, siehe BGH, NJW 1960, 524, 525; 1983, 109, 110 (= BGHZ 85, 39, 46); 2007, 298 (= BGHZ 170, 60, 62 f.); Palandt70 -Ellenberger, §  134 Rn.  28; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  15; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  153; Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S.  8 0 ff. Kritisch Deinert, Zwingendes Recht, S.  54, der ein eigenständiges Umgehungsverbot ablehnt. 307   Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  25; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  71; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  40. Insofern lässt sich Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  21 ff. zustimmen: Recht bringt neues Recht hervor (Autopoiese). Nach Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 34 verliert es dadurch „die Würde seiner Seltenheit“. 308   BVerfG, NJW 2009, 2033, 2040 zur Ausgestaltung der Krankenversicherungsverträge. 309   Etwa §§  1 Art.  247 §  1 f f. EGBGB, 6 Abs.  2 BGB-InfoV; 41 Abs.  6 InvG.

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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die Freiheit der Parteien und erleichtert eine interessengerechte Auslegung ihrer Verträge.310 c)  Größere Effizienz Ein Großteil der beschriebenen Vorteile abdingbarer Normen lässt sich darin zusammenfassen, dass diese in aller Regel effizienter als zwingende Normen sind.311 Dies beruht darauf, dass die letztlich zur Anwendung kommenden Regeln bei der Geltung abdingbarer Normen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit den Interessen beider Parteien entsprechen. Laufen abdingbare Normen diesen Interessen erheblich zuwider, liegt eine Korrektur über eine Abbedingung nahe. Damit setzen sich die gesetzlichen Vorgaben dauerhaft nur durch, wenn die Parteien von ihr nach eigener Einschätzung stärker profitieren als von einer Abbedingung.312 Anders ist dies hingegen beim zwingenden Recht. Es kommt auch dann zur Anwendung, wenn es den vertraglich formulierten Interessen der Parteien widerspricht. Daher nötigt es sie womöglich zu einem Verhalten, zu dem sie sonst nicht bereit wären. Eine zwingende Gewährleistungsfrist etwa erschwert den Verkauf von Gütern zu einem geringen Preis. Denn die Kosten dieser Gewährleistung schlagen sich im Preis nieder. Das Verbot anderweitiger Gestaltungen führt deshalb zu einer Nutzeneinbuße. Die Parteien müssen andere Güter beziehen, als sie wollen. Verkörpert die zwingende Norm hingegen die effizienteste Lösung, werden die Parteien von ihr ohnehin kaum abweichen. Auf den zwingenden Charakter kommt es dann nicht an. Dieser erlangt seine Bedeutung vor allem in Konstellationen, in denen eine andere Gestaltung den Parteiinteressen näher kommt. Mit der Anwendung zwingender Normen steigt bei einem im Übrigen gleich bleibenden Angebot der für die Ware oder Dienstleistung zu erzielende Preis und sinkt dementsprechend die Nachfrage.313 Denn die mit ihr verbundenen Kosten, sind auf sämtliche Parteien umzulegen. Dadurch wird ein Teil der Anbieter und Abnehmer vom Markt verdrängt.314 Zudem steigen die Marktzugangsschranken, indem neue Anbieter nicht mehr auf niedrigwertige Waren   BGH, NJW 2009, 751 sowie oben 1.E.2.b), Fn.  332.   Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 241 (1988); Peppet, 82 Texas Law Review 227, 236 (2003); Hermalin/Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, pp.  3, 29; einschränkend Kronman, 92 Yale Law Journal 763, 776 (1983); Aghion/ Hermalin, 6 Journal of Law, Economics, and Organization 381, 383 (1990). 312   Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1269 (2003); zur Beeinflussung der Parteien durch den Besitzeffekt und das Unterlassungsvorurteil oben 3.B.1. 313   Posner, Economic Analysis of Law, p.  4 ; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  75. 314   Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 625 (1982); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  337; Eidenmüller, 2 European Review of Private Law 109, 120 (2009). 310 311

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

setzen können, die sie erst nach und nach verbessern. Sie müssen höhere Kosten für den Markteintritt zahlen, um sich über die zwingenden Normen zu unterrichten und auf sie einzustellen, wie das etwa bei der Einrichtung eines Widerrufssystems im Fernabsatz gemäß §  312d BGB erforderlich ist. Auf diese Weise behindert zwingendes Recht den Abschluss von Verträgen. Die Gerichte und die Kommentarliteratur bekommen derartige Fälle nur selten zu Gesicht, weil mangels Vertragsschlusses ein Rechtsstreit ausbleibt. Daher ist die Gefahr groß, aufgrund einer nicht repräsentativen Auswahl der vor Gericht erscheinenden Fälle die Wirkung zwingenden Rechts zu verkennen. Besonders deutlich tritt diese Folge im Verbraucherrecht auf. Dort führt der Schutz durch zwingende Normen dazu, dass manche Leistungen nicht mehr angeboten werden. Das benachteiligt die einen Verbraucher und bevorzugt diejenigen, die an den zwingendem Recht entsprechenden Leistungen interessiert sind. Denn da Letztere dann stärker in Anspruch genommen werden, sinkt infolge von Skaleneffekten der Preis für sie. Das Recht schützt somit nicht unbedingt die Verbraucher vor den Unternehmern. Vielmehr begünstigt es die einen vor den anderen Verbrauchern.315 So führt die zugunsten der einen Mieter ausgesprochene Unwirksamkeit bestimmter Schönheitsreparaturklauseln dazu, dass andere einen höheren Mietpreis zu entrichten haben.316 Dementsprechend stellen zwingende Gewährleistungsnormen eine Quersubventionierung der gut Informierten dar,317 da diese die ihnen zustehenden Rechte stärker in Anspruch nehmen als die übrigen Verbraucher. Ein weiterer Grund für die mit zwingendem Recht einhergehenden Effizienz­ einbußen besteht darin, dass es auch denjenigen Parteien zugute kommt, die keines Schutzes bedürfen. So können sich selbst Rechtsanwälte gegenüber Banken auf die fehlende Information über Rechtsfragen berufen, wenn sie als Verbraucher einen Kredit aufnehmen.318 Das mag der gesetzlichen Unterscheidung von Verbrauchern und Unternehmern entsprechen, §§  13 f. BGB, verkennt aber, dass Anwälte ihre Rechtskenntnisse nicht dadurch verlieren, dass sie privat tätig sind. Die Anwendung zwingenden Rechts in diesen Fällen ist nicht nur rechts­ ethisch problematisch.319 Darüber hinaus führt sie zu einer Ineffizienz, da Leistungen, Risiken und Chancen nicht optimal verteilt werden. Etwa muss man dann auch gegenüber Anwälten für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung   Grundmann, 1 European Review of Contract Law 184, 198 (2005).   BGH, NJW 2010, 1590 für preisgebundenen Wohnraum. Anders allerdings bei freiem Wohnraum, BGH, NJW 2008, 2840, 2841. 317   Dazu mwN.  Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  9 0 f. 318   Etwa BGH, NJW 2002, 368 (= BGHZ 149, 80, 81), wo eine GbR aus vier Anwälten und einem Betriebswirt einen Kredit von 2,4 Mio DM zur Finanzierung einer Immobilienanlage aufgenommen hatte und nach (!) Zahlung der Darlehensraten mit Erfolg einwandte, ihr sei der effektive Jahreszins nicht angegeben worden. 319   Allenfalls kann man auf die notwendige Typisierung verweisen, Medicus, JuS 1996, 760, 767; dazu bereits oben 3.B.2, Fn.  147. 315 316

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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sorgen. Dies erhöht die Verhandlungskosten und schadet damit denjenigen, die auf derartige Formalia zugunsten eines geringeren Preises verzichten wollen. Was der Einzelne über zwingendes Recht an Schutz gewinnt, wird ihm über den Preis wieder genommen 320 . Überdies werden die mit zwingendem Recht einhergehenden Vorteile nicht gleichmäßig unter den von ihm Belasteten verteilt, während der Nachteil höherer Preise die Gesamtheit der Verbraucher trifft. Zwingendes Recht verringert damit den Anreiz zum Vertragsschluss. Auf diese Weise untergräbt es zugleich die Grundlage, auf der es erst wirksam wird. Denn der Nichtabschluss eines Vertrages wird der zu schützenden Partei kaum helfen. Da der Gesetzgeber Güter und Risiken nicht besser als die Parteien verteilen kann,321 geht es mit der Gefahr einher, solche Vertragsverhältnisse zu begünstigen, in denen von den Parteiinteressen abweichende und damit ineffi­ ziente Gestaltungen vorherrschen. Zu seiner Legitimation bedarf es entweder des Nachweises, dass es auf andere Erwägungen als die der Effizienz ankommt oder die Parteien mit ihnen überfordert sind. Er gelingt nur, wenn eine zwingende Vorgabe den Interessen der Betroffenen stärker nutzt als eine eigene Entscheidung.322 Dabei ist zu beachten, dass der durch zwingendes Recht angestrebte Schutz geringer ist, als es zunächst den Anschein hat. Eine der Parteien kommt zwar durch ihn regelmäßig in den Genuss eines Rechtes. Jedoch steht es ihr ohnehin frei, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Sie kann den dadurch bezweckten Schutz womöglich auf andere Weise günstiger erlangen. Die Frage ist daher nicht, ob die zwingende Ausgestaltung einer Norm mindestens einer Seite zu Gute kommt, sondern ob dieser Schutz dem von ihr gewählten überlegen ist. Können die Parteien etwa ein Risiko selbst versichern, wäre ihnen dessen zwingende Übertragung auf ihren Vertragspartner nachteilig. Die im Gegenzug erfolgende Erhöhung der Preise träfe sie härter, als wenn sie das Risiko selbst versicherten. Ferner ist die Anwendung zwingenden Rechts meist mit größeren Kosten verbunden als die des abdingbaren Rechts. Das liegt unter anderem an der Notwendigkeit, sich über die weit reichenden Folgen zwingenden Rechts zu informieren. Während die Parteien den Inhalt abdingbarer Normen notfalls dahin320   Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 80 (1993); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  26; Eidenmüller, 2 European Review of Private Law 109, 120 (2009); einschränkend Kronman, 92 Yale Law Journal 763, 773 (1983); Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 602–604 (1982). 321   Vgl. Harris/Veljanovski, in: Daintith/Teubner, Contract and Organisation, p.  114; sowie generell oben 2.B.2.c), Fn.  259. 322   Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1082 (2000). Wegen der positiven Effekte einer Selbstverantwortung reicht nicht jeder Nachweis eines irrationalen Verhaltens zur Legitimation zwingenden Rechts aus, vgl. Feldman, 18 Touro Law Review 503, 523 (2002); im Einzelnen unten 4.B.2.a).

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

stehen lassen können, müssen sie aufgrund denkbarer Veränderungen des Vereinbarten über den Inhalt zwingender Normen genau informiert sein. Da diese den Vertrag überlagern, verliert er die Verlässlichkeit für die Parteien. Dadurch steigt der Informationsaufwand. Die Parteien haben zu prüfen, inwieweit zwingende Normen den Vertrag verändern oder sogar dessen Wirksamkeit bedrohen. Schließlich sind die Kosten für die Anwendung zwingender Normen auch deshalb höher, weil diese regelmäßig länger und komplexer als abdingbare Normen sind.323 Zwingendes Recht hat aufgrund fehlender Ausweichmöglichkeit auf Härtefälle eine größere Rücksicht zu nehmen, so dass es länger wird und in höherem Maße ausfüllungsbedürftige Wertungsbegriffe enthält 324 . Demgegenüber können sich abdingbarer Normen auf den typischen Fall beschränken, die Definitionen offen lassen 325 und den Parteien eine abweichende Regelung überantworten. Sie vermögen daher besser als zwingendes Recht, den Kern eines Regelungsgedankens zu formulieren. Ebenso müssen sie nicht bestimmen, was im Fall eines Verstoßes gegen sie gilt. Das ist ein großer Vorteil gegenüber zwingenden Normen, bei denen die vorgesehene Nichtigkeitssanktion oft nicht passt, wie sich exemplarisch an faktisch durchgeführten Dauerschuldverhältnissen zeigt326 . Eine Analyse des Schuldrechts bestätigt, dass zwingende Normen länger sind und damit typischerweise höhere Anwendungskosten verursachen: Im gesamten Allgemeinen Teil des Schuldrechts beträgt die durchschnittliche Paragraphenlänge 82,5 Wörter.327 Seine zwingenden Teile jedoch sind erheblich länger. Nimmt man paradigmatisch die Normen zum Widerrufsrecht (§§  312 ff., 355 ff. BGB) und zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§  305 ff. BGB), so haben sie mit 233 bzw. 240 Wörtern die nahezu dreifache Länge pro Paragraph. Auch im Kauf- und Mietrecht sind die allgemeinen zum größten Teil abdingbaren Normen mit 74 bzw. 86 Wörtern deutlich kürzer als die Regeln zum Verbrauchsgüterkauf und zur Wohnraummiete, die eine Länge von 118 bzw. 114 Wörtern haben. Die einzige Ausnahme bildet das Darlehensrecht, wo der allgemeine abdingbare Teil eine Länge von durchschnittlich 183 Wörtern erreicht, während die Regelungen zum Verbraucherdarlehensvertrag durchschnittlich 161 Wörter beinhalten. Dabei kommt die Regelung des Darlehens323   Zum Zusammenhang zwischen der Komplexität von Rechtsnormen und den Anwendungskosten Schuck, 42 Duke Law Journal 1, 39 (1992); DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 886 (2006). 324   Leenen, Typus und Rechtsfindung, S.  132. 325   Vgl. Corpus Iuris Civilis, D.50.17.202: „Omnis definitio in iure civile periculosa est: parum est enim, ut non subverti posset“ (Alle Definitionen sind im Zivilrecht gefährlich, weil kaum eine existiert, die nicht umgekehrt werden kann). 326   Überblick dazu bei Jauernig13, vor §  145 Rn.  16; MünchKommBGB5-Kramer, vor §  145 Rn.  68; Staudinger2009-Olzen, §  241 Rn.  104 ff. 327   Stand: 1.  8.  2008.

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C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

vertrages jedoch insgesamt mit drei Paragraphen aus, während die Schutznormen des Verbraucherdarlehens (§§  491 ff. BGB) insgesamt 17 Paragraphen einnehmen. Die Gesamtlänge des zwingenden Rechts überschreitet damit gerade im Darlehensrecht die abdingbaren Normen um ein Vielfaches. Graphisch sind diese Zusammenhänge so darstellbar: Paragraphenlänge im BGB 250

200

Wörter

150

100

50

0

Schuldrecht AT

Kaufrecht abdingbar

Mietrecht

Darlehensrecht

zwingend

Die größere Länge zwingenden Rechts erhöht nicht nur die Kosten für ihre Formulierung und Anwendung. Zu vermuten ist vielmehr, dass sie dadurch auch an Wirkungskraft einbüßen, weil sie anders als etwa viele Normen des klassischen Schuldrechts nicht mit wenigen Begriffen zusammenzufassen sind. Trotz dieser Nachteile sind Situationen vorstellbar, in denen zwingende Normen effizienter als abdingbare Normen sind. Denkbar ist etwa, dass sie das Vertrauen der Parteien in den Vertrag stärken und ihnen die Furcht vor einer Benachteiligung nehmen.328 Dieses Vertrauen vermag, den Abschluss von Verträgen zu fördern, die Informationslasten zu senken und dadurch sowohl der Autonomie als auch den übrigen Interessen der Parteien entgegen zu kommen. Relevant ist es vor allem in Situationen, in denen Unsicherheit über die Bedeutung und die Wirkung der Vertragsklauseln herrscht.329   Zu diesem Zusammenhang bereits oben 3.A.1, 3.A.2.   Vgl. Binder, Regulierungsinstrumente, S.  356. Skeptisch gegenüber der Rechtfertigung zwingenden Rechts durch die Unsicherheit Gordon, 89 Columbia Law Review 1549, 1555 (1989). 328 329

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Dass sich auch abdingbare Normen negativ auf die Effizienz eines Vertrages auswirken können, wird deutlich, wenn man sich einmal vorstellt, es gäbe außer ihnen keine zwingenden Normen. Dann wären die Parteien allein auf sich gestellt und könnten sich auf keinerlei Schutz durch zwingendes Recht verlassen. Sie müssten die Verträge mit größerer Sorgfalt verhandeln, weil sie unwiederbringlich gebunden wären. Die Gefahr, sich allein durch eine Unterschrift zu ruinieren, wäre größer als nach dem gegenwärtig geltenden Recht. Folglich müssten die Parteien durch sorgfältige Absprachen versuchen, die bestehenden Risiken zu reduzieren. Das würde die für den Vertragsschluss anfallenden Kosten beträchtlich erhöhen. Zudem würden manche Parteien auf einen Vertragsschluss ganz verzichten, weil die Verhandlungskosten den zu erwartenden Nutzen überstiegen. Dies führte seinerseits zu einer Einbuße an Freiheit, weil übergroße Transaktionskosten die Parteien von einem für sie günstigen Austausch von Leistungen abhielten. Zwingendes Recht kann demgegenüber das Vertrauen stärken, dass zumindest minimale Standards gewahrt bleiben. Auf diese Weise vermag es, den Abschluss von Verträgen zu begünstigen, und wirkt als eine Art Versicherung gegen eine Benachteiligung330 . Der Regelungsbereich zwingender Normen ist daher ebenfalls eine Optimierungsaufgabe: Er kann zu weit, aber auch zu eng sein. Mit dem Argument eines dank zwingendem Recht entstehenden Vertrauens sind in jüngerer Zeit zahlreiche Regelungen des europäischen Vertragsrechts begründet worden.331 Demnach würde der freie Warenverkehr gefördert, wenn sich europaweit alle Parteien auf ein einheitliches Schutzniveau verlassen könnten. Dieses Argument ist jedoch insoweit unschlüssig, als auch abdingbares Recht eine Vereinheitlichung bewirken kann. Um gleiche Ausgangsverhältnisse herzustellen, bedarf es keiner bindenden Vorgabe. Zudem ist das Argument durch keine verlässlichen empirischen Studien belegt. Es mag zwar für die Verwendung von AGB eine gewisse Plausibilität haben. Denn dabei verur­ sacht es einen hohen Aufwand, die Wirksamkeit aller Klauseln für jedes Land gesondert zu prüfen. Jedoch legitimiert dies zumindest für Individualverträge keine uneingeschränkte Geltung zwingenden Rechts. Fraglich ist bereits, ob zwingendes Recht das Vertrauen zum Abschluss von europaweiten Verträgen verstärkt, da dieses auch von anderen Faktoren abhängt.332 Gegen die Vorgabe zwingenden Rechts spricht überdies, dass sich die Parteien zu einem gewissen Grade selbst schützen können. Zum einen haben sie die   Gordon, 89 Columbia Law Review 1549, 1586 (1989) für das Gesellschaftsrecht.   Etwa Unterlassungsklagenrichtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998, Erwägung 5; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999, Erwägung 5; Fernabsatzrichtlinie 02/65/EG vom 23. September 2002, Erwägung 3, 5; Wettbewerbsrichtlinie 05/29/EG vom 11. Mai 2005, Erwägung 4, 13; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  223. 332   So plädierten in einer Untersuchung der European Commission, Civil Justice in the European Union, Eurobarometer 292, p.  19, 57% der befragten Europäer für die Anwendung Europäischen Vertragsrechts, obwohl dieses nicht in Kraft war. 330 331

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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Möglichkeit, sich auf Verträge mit solchen Geschäftspartnern zu beschränken, denen sie aufgrund deren Rufs vertrauen. Zum anderen können sie auf abbedingende Klauseln verzichten. Ebenso vermögen die Reputation der Verhandlungspartner und andere Beurteilungssysteme, diesen Informationsmangel zu mildern. Vor allem aber gilt es, die etwaigen Vorteile zwingenden Rechts mit den beschriebenen Nachteilen abzuwägen. Die Existenz igendeines Vorteils lässt sich für fast jede Regelung nachweisen, so dass es auf eine Gegenüberstellung mit ihren Nachteilen ankommt. Allein die Möglichkeit eines den Vertragsschluss begünstigenden Vertrauens rechtfertigt daher nicht den Erlass zwingenden Rechts. Ein einheitliches, aber ineffizientes europäisches Vertragsrecht nutzt niemandem. Es sorgt allenfalls dafür, dass überall dieselben Probleme auftreten. Effizient sind zwingende Normen zumindest dann, wenn sie die Parteien davon abhalten, sich in einen ruinösen Wettbewerb zu begeben oder sich in anderer Weise irrational zu verhalten. So ist etwa denkbar, dass eine Partei einer sie schädigenden Klausel nur deshalb zustimmt, weil sie damit ihre Erfüllungsbereitschaft signalisieren will.333 Würde eine zwingende Norm dies verhindern, könnte die Partei diese Bereitschaft womöglich durch eine für sie günstigere Klausel ausdrücken. Derartige Phänomene sind theoretisch zwar möglich, bedürfen jedoch eines Nachweises, sofern man sie der Normgestaltung und Auslegung zugrunde legen will. Denn ohne nähere Darlegung ist die gegenteilige Annahme ebenso plausibel, dass die Einzelnen sich überwiegend selbst vor solchen Schädigungen schützen und der Wettbewerb langfristig diejenigen vom Markt verdrängt, welche einen ineffizienten Nachweis der Erfüllungsbereitschaft verlangen. Von Vorteil ist der zwingende Charakter einer Norm ferner, wenn anderenfalls eine Vereinbarung mangels einheitlicher Gestaltung sämtlicher Verträge nicht zustande käme. Das ist aber nur ausnahmsweise anzunehmen, etwa wenn ein Gut aufgrund der durch zwingendes Recht möglichen Standardisierung billiger wird und erst dadurch so viele Abnehmer findet, dass sich seine Herstellung lohnt. In diesem Fall werden einige Abnehmer zwar ein Produkt erhalten, das sie in jedem Fall erwerben wollten, aber erst dank zwingendem Recht erwerben können. Allerdings wird dadurch einer anderen Gruppe ein Gut aufgedrängt, das sie nur wählt, weil infolge zwingenden Rechts ein Konkurrenzprodukt verdrängt wird, das sie stattdessen erworben hätte. Charakteristisch für zwingendes Recht ist ferner eine noch stärkere Vereinheitlichung der Vertragsverhältnisse, als sie beim abdingbaren Recht eintritt334 . Dadurch lassen sich diese leichter beurteilen. Zudem werden damit die bereits 333   Aghion/Hermalin, 6 Journal of Law, Economics, and Organization 381, 389 (1990); zum „signaling“ Hviid, 16 International Review of Law and Economics 233, 235 (1996) sowie oben 2.B.1.b), Fn.  143. 334   Oben 3.B.2.

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

beschriebenen Netzwerkeffekte begünstigt.335 Möglich sind Letztere jedoch auch bei abdingbarem Recht.336 Zudem erweist sich die Vereinheitlichung gerade in atypischen Fällen als Nachteil. Während es den Parteien unter der Geltung abdingbaren Rechts freisteht, ihren Interessen durch eine eigene Vereinbarung gerecht zu werden, erfasst das zwingende Recht sämtliche Fälle. Spezielle Konstellationen muss es daher entweder gesondert regeln, so dass die Komplexität des Rechts steigt, oder aber seiner Einfachheit337 wegen eine Fehlgewichtung der Parteiinteressen in Kauf nehmen. Zwingendes Recht führt aus diesen Gründen in aller Regel zu einem Effi­ zienzverlust. Dies besagt nicht, dass es aufgrund abdingbaren Rechts nicht zu einer ineffizienten Verteilung von Rechten und Pflichten kommen kann, sondern lediglich, dass die Wahrscheinlichkeit dazu geringer ist als bei einer zwingenden Vorgabe. Ausnahmen sind vor allem aufgrund der bereits angesprochenen Informationsdefizite und kognitiven Fehlurteile denkbar.338 Zwingendes Recht vermag unter Umständen, das Vertrauen zu schaffen, dass einen Verträge nicht ruinieren, und damit die Kosten für die Prüfung von Verträgen sowie Vertragspartnern zu vermindern. Zudem können in seiner Folge die Preise für eine bestimmte Leistung sinken, indem es Alternativen ausschließt. Jedoch bedarf es angesichts denkbarer Gegenszenarien stets des Nachweises,339 dass derartige Konstellationen bestehen. Überdies sind die durch die zwingenden Normen beeinträchtigten Individualinteressen zu betrachten. Sie fallen womöglich stärker ins Gewicht als die durch diese Normen geschützten Interessen. Allein die möglichen Vorteile zwingenden Rechts vermitteln daher ein unvollständiges Bild. d)  Höherer Anreiz zur Innovation Soll das Privatrecht mit den wirtschaftlichen, sozialen und technischen Veränderungen Schritt halten, muss es den Beteiligten eine Anpassung an sie ermöglichen. Das setzt die Anerkennung neuer Vertragstypen voraus. Denn niemand garantiert, dass die bisherigen Klauseln und Vertragsformen dafür ausreichen. Neue technische Produkte wird man zwar nach wie vor durch Kaufverträge   Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 828 (1995) sowie oben 1.E.2.b); 2.A.1.a). Eng verwandt ist damit die Auffassung, zwingende Normen könnten aufgrund einheitlicher Interpretation zum öffentlichen Gut werden; zur Diskussion Gordon, 89 Columbia Law Review 1549, 1568 (1989), oben 3.A.1. 336   Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1271 (2003). 337   Zu diesem Phänomen zu breiter oder zu enger Normen bereits oben 3.B.2, Fn.  147. 338   Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 665 (1998); einschränkend Feldman, 18 Touro Law Review 503, 523 (2002). Siehe auch oben 3.A.1. 339   Skeptisch zur Einschätzbarkeit, dass staatliche Intervention geboten ist, Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  310; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  70; sowie generell zu den Folgen zwingenden Rechts Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 604 (1982). 335

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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erwerben – aber Übergangsformen zwischen Kauf, Werkvertrag und Miete sind ebenso denkbar wie neuartige Leistungen, die in den bisherigen Vertragsarten nicht erfasst sind. Ob neue Vertragstypen und Vertragsklauseln sinnvoll sind, lässt sich so wie bei anderen Entwicklungen im Voraus kaum entscheiden. Meist wird das erst die Praxis zeigen, in der sie miteinander konkurrieren.340 Erst in ihr erweist sich, welche Vereinbarungen die Interessen der Betroffenen bestmöglich umsetzen. Das Privatrecht stellt für diesen Prozess zunächst nur den Rahmen bereit. Es versichert den Beteiligten, dass es auch neue Vertragsformen anerkennt.341 Dadurch gewinnen sie die Sicherheit, dass die Formulierung neuer Vertragsarten nicht von vornherein an der rechtlichen Umsetzung scheitert. Sie können mit verschiedenen Klauseln experimentieren und feststellen, welche Gestaltungen ihren Interessen am nächsten kommen.342 Das bringt verschiedene Vertragsarten hervor, welche auf dieselben Probleme reagieren.343 Zugleich zeigen die Parteien damit, welche gesetzlichen Vorgaben ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden. Denn wenn sie bestimmte Normen fast durchgehend abbedingen, deutet dies auf einen Reformbedarf hin. Umgekehrt können sie gescheiterte Reformen durch ihre Verträge ausgleichen, indem sie die auf ihre Verhältnisse nicht passenden Normen abbedingen.344 Selbst nach einer Gesetzesänderung können sie dadurch per Vertrag zur vorherigen Praxis zurückkehren.345 Abdingbares Recht ist deshalb gerade bei intensiver gesetzgeberischer Tätigkeit ein wichtiger Ausgleichsmechanismus, um Fehlentwicklungen zu korrigieren 346 und Innovationen 347 hervorzubringen. Es kann einem Auseinanderklaf340   Kerber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S.  67, 71. 341   Bereits seit längerem etablierte Verträge werden in ihrer rechtlichen Beurteilung hingegen bisweilen privilegiert, so etwa die ADSp, BGH, NJW 1995, 1490, 1491 (= BGHZ 127, 275, 281); 2003, 888, 891 (= BGHZ 153, 93, 102). 342   Vgl. von Hayek, The Road to Serfdom, p.  54; ders., Die Verfassung der Freiheit, S.  297; Calliess, in: Micklitz, Verbraucherrecht in Deutschland, S.  65, 80. 343   Schwartz, 21 Journal of Legal Studies 271, 289 (1992); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  120 mwN.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  393; Calliess, in: Micklitz, Verbraucherrecht in Deutschland, S.  65, 82. Demgegenüber nimmt BGH, NJW-RR 2008, 818, 820 an, es gebe nur einen Klauselwettbewerb „nach unten“, weil Wettbewerb hauptsächlich über den Preis erfolge; ähnlich Canaris AcP 200 (2000), 273, 323 f.; Wackerbarth, AcP 200 (2000) 45, 69 ff.; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  3; kritisch auch Eisenberg, 47 Stanford Law Review 244–245 (1995). 344   Raiser, FS DJT, S.  101, 119 weist darüber hinaus auf die Korrektur der Rechtsentwicklung durch die per Vertrag geschaffenen Ordnungen hin. 345   Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 302. 346   Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 281 (1985), die darüber hinaus annehmen, dispositive Vorgaben könnten Innovationen behindern, weil die Parteien sie nicht mehr entwickeln müssten; Schuck, 42 Duke Law Journal 1, 46 (1992); Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  223. 347   Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd.  I, S.  104, 106 für den zwingenden Charakter des Verjährungsrechts vor der Schuld-

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

fen der gesetzlichen Vorgabe von der Vertragspraxis entgegen wirken. Die dadurch ermöglichte Information des Gesetzgebers entfällt hingegen bei zwingenden Normen. Sind sie verabschiedet, hat die Praxis auf das Experiment mit anderen Gestaltungen zu verzichten. Von abweichenden Gestaltungen lässt sich nicht länger auf veränderte Bedürfnisse schließen und dem Gesetzgeber fehlen die Anhaltspunkte, welche Normen sich nicht bewähren. Dies ist angesichts der Unsicherheit über die optimale Normsetzung in komplexen Gesellschaften ein erheblicher Nachteil.348 Dass es einen derartigen Anpassungsbedarf an die Vertragspraxis gibt, zeigen Fälle, in denen der Gesetzgeber Klauseln aus der Vertragspraxis übernimmt. So führte er etwa mit der Schuldrechtsreform einen abdingbaren Anspruch auf Nacherfüllung ein, §  439 BGB. Er übernahm damit eine weit verbreitete Vertragspraxis.349 Wäre das Gewährleistungsrecht hingegen bereits vor der Schuldrechtsreform zwingend gewesen, wäre es kaum zu dieser Entwicklung gekommen. Es wäre eine Illusion anzunehmen, das derzeitige Gewährleistungsrecht habe den höchsten Entwicklungsstand erreicht und man könne daher auf solche durch die Praxis initiierte Veränderungen verzichten. Die Notwendigkeit einer Anpassung des Vertragsrechts zeigt sich besonders deutlich an Normen, die der Gesetzgeber den Parteien inzwischen abdingbar vorgibt, ihnen zuvor aber noch untersagt hatte. Was einst verboten war, ist dabei nun nicht nur erlaubt, sondern im Falle einer fehlenden Abbedingung sogar geboten. So erklärte §  11 Nr.  4 AGBG a. F. einen Verzicht auf die Obliegenheit zur Mahnung für unwirksam.350 Die Parteien konnten durch AGB nicht vereinbaren, dass der Schuldner nach Ablauf von 30 Tagen seit Rechnungsstellung in Verzug kommt. Genau dies aber schreibt der Gesetzgeber inzwischen vor, §  286 Abs.  3 S.  1 BGB. Er verbot den Parteien damit zunächst eine Regelung, die er sodann selbst für sämtliche Vertragsverhältnisse für angemessen erklärte.351 Dieser Wechsel zeigt die Möglichkeit eines gesetzgeberischen Irrtums ebenso wie die Notwendigkeit, durch abdingbares Recht Raum für neue Gestaltungen zu schaffen. Denn die Möglichkeit, auf neue Entwicklungen und Erkenntnisse rechtsreform, für den sie gleichwohl plädieren aaO., S.  267; Bachmann, Private Ordnung, S.  86; Grundmann, 1 European Review of Contract Law 184, 195 (2005); Möslein, Legal Innovation in European Contract Law, p.  8. Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 289 (1985) sind allerdings der Ansicht, dass abdingbares Recht den Parteien die Vertragsformulierung abnimmt und dadurch Innovationen hemmt. 348   Black, 84 Northwestern University Law Review 542, 575 (1990). 349   BT-Drucks 14/6040, S.  89; zur um die Nachlieferung zur alten Rechtslage geführten Diskussion mwN.  Ballerstedt, FS Nipperdey, S.  261, 275. 350   Heute entsprechend §  309 Nr.  3 BGB. 351   Ein weiteres Beispiel dafür ist §  11 Nr.  10 f. AGBG, der eine Verkürzung von Verjährungsfristen verbot. Selbst die 30-Jahre-Frist für PVV durfte daher durch AGB nicht herabgesetzt werden, obwohl selbst der Gesetzgeber nunmehr eine dreijährige Verjährung anordnet, §  195 BGB.

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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durch eine Gesetzesänderung zu reagieren, ist gerade im Privatrecht begrenzt.352 Unter der Geltung zwingender Normen ist eine derartige Korrektur durch Verträge hingegen ausgeschlossen.353 Die Parteien müssen darauf verzichten und sich mit der gesetzlichen Vorgabe abfinden. In der Folge drängt sich weder dem Gesetzgeber noch den Gerichten auf, dass der Rechtsverkehr eine geltende Norm als unangemessen einschätzt und sie reformbedürftig ist. Ein Irrtum in der Gestaltung und Auslegung zwingender Normen hat daher gravierendere Folgen 354 als bei abdingbaren Normen. Die Vertragsgestaltung Privater versiegt als Quelle der Rechtsentwicklung.

2.  Nachteile abdingbaren Rechts Das durch die geschilderten Vorteile abdingbarer Normen entstehende Bild bleibt einseitig, wenn man nicht gleichzeitig auch einen Blick auf ihre Nachteile wirft. Die Kritik an abdingbarem Recht kann sowohl an der Primärnorm ansetzen, welche den Parteien Rechte und Pflichten zuweist, als auch an der Sekundärnorm, die den Status der Abdingbarkeit festlegt.355 Die erste Art der Kritik betrifft ihren Inhalt und hat nichts mit ihrem abdingbaren Status zu tun. Sie besteht etwa darin, dass ein durch die Norm gewährtes Recht die Interessen der Parteien verkennt und diese typischerweise eine andere Gestaltung bevorzugen. Diese Kritik ist unabhängig vom abdingbaren Charakter der Norm. Denn die maßgeblichen Gründe gelten weithin auch dann, wenn die Norm zwingend wäre. Allerdings entscheidet sich auf der Ebene dieser Primärnormen, wie stark der Anreiz zum Verhandeln ist.356 Diejenigen Normen, welche die Parteiinteressen verkennen, werden eher abbedungen als solche, die diesen entgegenkommen. Abdingbares Recht setzt vor allem dann einen Anreiz zur Verhandlung, wenn es eine der Parteien benachteiligt. Reagieren die Parteien auf diese Vorgabe unterschiedlich, entsteht ein so genanntes „trennendes Gleichgewicht“ (separating equilibrium).357 Gibt das Recht den Käufern und Verkäufern etwa eine zehnjährige Gewährleistungsfrist vor, müsste die Mehrheit von ihnen etwas anderes vereinbaren, da die meisten verkauften Güter kürzer haltbar sind. Das dürfte zu einer Pluralität unterschiedlicher Garantiezeiten führen, die von der inzwischen 352   Siehe etwa die in BT-Drucks 14/6040, S.  79 ff. dokumentierte Entwicklung der Schuldrechtsreform 2000, die neun Jahre nach dem Abschlussbericht der Schuldrechtskommission erfolgte; entsprechend für die USA Black, 84 Northwestern University Law Review 542, 577 (1990). 353   Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  582. 354   Vgl. Grundmann, JZ 2005, 860, 865. 355   Zur Unterscheidung oben 1.A.1.d). 356   Oben 3.A.1. 357   Zur Terminologie siehe Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 94 (1989).

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

vorgegebenen und typischen zweijährigen Garantiezeit abweichen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich alle Parteien in der Wahl einer alternativen Gewährleistungszeit für dieselbe Frist entscheiden. Abdingbares Recht kann auf diese Weise die Differenzierung der Vertragsverhältnisse begünstigen. Dies ist je nach Kontext vor- oder nachteilhaft.358 Die zweite denkbare Kritik an einer abdingbaren Norm knüpft auf der Sekundärebene an ihre Abdingbarkeit an. Im Allgemeinen ist diese zwar ein Vorteil. Denn die Möglichkeit zur Abbedingung ist ein Freiheitsgewinn. Allerdings lässt sie sich so wie andere Freiheiten missbrauchen, indem die Parteien unangemessene, ineffiziente oder aus anderen Gründen kritikwürdige Normen vereinbaren. Die bloße Möglichkeit dazu reicht allerdings nicht aus, um diese Freiheit zu beschränken, da die Parteien auch voreilige, riskante und selbst nach ihren Vorstellungen schlechte Verträge schließen dürfen.359 Unwirksam werden diese erst, wenn die Nachteile eindeutig überhand nehmen, und zwar insbesondere wenn eine Seite regelmäßig benachteiligt wird360 oder ihre Interessen nicht einmal im Ansatz wahrzunehmen vermag. Derartige Nachteile treten nicht bereits dadurch ein, dass die Parteien eine Abbedingungsmöglichkeit in Anspruch nehmen und eine unüberschaubare Vielfalt vertraglicher Absprachen entsteht. Das ist vielmehr ein Vorteil, da die Parteien auf diese Weise die Verträge ihren Interessen bestmöglich anpassen. Jedoch ist die Vielfalt an Vereinbarungen schwerer zu durchblicken und zu regulieren als einheitliche Vertragsverhältnisse, wie sie das zwingende Recht begünstigt.361 Will der Gesetzgeber die Vertragsverhältnisse steuern, wird er daher zwingendes Recht bevorzugen. Die Vereinheitlichung verstärkt dank des häufigeren Gebrauchs derselben Normen die erwähnten Netzwerkeffekte.362 Die Sicherheit im Umgang mit den einzelnen Rechten und Pflichten steigt, weil die Gerichte gehäuft Entscheidungen zu denselben Normen treffen.363 Zugleich bleibt eine Ungleichheit der Vertragsverhältnisse aus, die wie andere Formen der Ungleichheit vielfach als problematisch empfunden werden.364 Auch für die Gerichte kann die durch abdingbares Recht entstehende Vertragsvielfalt ein Nachteil sein. Haben sie es allein mit zwingenden Normen zu tun, müssen sie nur noch feststellen, um welchen Vertragstyp es sich handelt. Die Vertragsauslegung können sie auf ein Minimum beschränken. Die Frage etwa, ob die Parteien mit vom Gesetz abweichenden Begriffen tatsächlich etwas anderes regeln wollten, kann dann offen bleiben. Die Gerichte müssen die dazu   Zur Standardisierung oben 3.B.2.   Im Einzelnen unten 4.B.2.a). 360   Im Einzelnen unten 4.B. 361   In Bezug auf das Gesellschaftsrecht McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 389 (2007) mwN.; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  173. 362   Oben 1.E.2.b); 2.A.1.a). 363   Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 813, 822, 835 (1995); sowie oben 3.A.1. 364   Farber, 33 Florida State University Law Review 913, 940 (2006). 358 359

C.  Vergleich mit der Wirkung zwingenden Rechts

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vorgetragenen Argumente und Beweise nicht würdigen, weil es von vornherein nur auf die gesetzliche Anordnung ankommt. Sind sie einmal mit der gesetzlichen Regelung vertraut, können sie diese auf den jeweiligen Sachverhalt anwenden. Demgegenüber entstehen bei der Geltung abdingbarer Normen mitunter komplexe Vertragswerke, die an die Stelle der gesetzlichen Regelung treten. Sie schaffen trotz der dadurch möglichen Anpassung an die Parteiinteressen eine Vielzahl von Auslegungsfragen, die bei einer zwingenden Vorgabe ausbleiben. Die durch abdingbares Recht begünstigte Differenzierung der Vertragsverhältnisse ist zumindest punktuell auch für den Privatrechtsverkehr nachteilig. Denn die Einzelnen mögen dank abdingbaren Rechts ihre Verhältnisse zwar besser an ihre Bedürfnisse anpassen. Allerdings können sie dann ähnlich wie der Gesetzgeber die Verträge anderer schlechter beurteilen. Das wirkt sich negativ auf die Versicherbarkeit von Vertragsrisiken 365 sowie die Übertragbarkeit vertraglich begründeter Rechte und Pflichten aus. Je individueller Vertragsverhältnisse ausgestaltet sind, desto mehr entziehen sie sich dem allgemeinen Rechtsverkehr. Eine zentrale Regelung durch zwingendes Recht kann daher ausnahmsweise einer Vielzahl dezentraler Regeln überlegen sein.366 Die Verkehrsfähigkeit von Forderungen etwa dürfte sinken, wenn ihnen individuelle Verträge zugrunde liegen, die Außenstehende aufgrund der Abbedingung einer Vielzahl von Normen nur mit einigem Aufwand verstehen können. Jedoch sind Standardisierungen aufgrund vertraglicher Gestaltungen ebenso denkbar und treten in der Praxis auch auf,367 etwa wenn es sich für die Parteien nicht lohnt, von einem am Markt etablierten Standard abzuweichen. Es liegt an den Parteien zu entscheiden, inwieweit sie auf eine individuelle Gestaltung der Verträge zugunsten einer besseren Übertragbarkeit der damit verbundenen Rechte verzichten. Eine geringere Verkehrsfähigkeit der vertraglich begründeten Forderungen führt ihnen vor Augen, welchen Preis die Individualisierung hat. Allein die mögliche Vielfalt der Verhältnisse ist jedenfalls kein Nachteil. Während der mit abdingbarem Recht verbundene Gewinn an Autonomie von vornherein feststeht, hängen seine eben beschriebenen Nachteile von zahlreichen empirischen Faktoren ab. Ob eine Abbedingung einer Personengruppe typischerweise schadet oder nutzt, wird mitbestimmt von der Information der Beteiligten, ihrer Fähigkeit zur Verhandlung sowie der Zahl und der Dauer der abzuschließenden Verträge. Ohne deren Analyse bleibt die Kritik an abding-

  Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 9 (2006).   Wolf, JZ 1976, 41, 42. Zu den Vorteilen dezentraler Regulierung siehe Kerber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S.  67, 84 ff.; Grundmann, NJW 2002, 393, 395. 367   Etwa hält sich eine Vielzahl von Finanzinvestoren an die von der Loan Market Association geschaffenen Musterverträge. 365

366

226

Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

baren Normen ohne Grundlage. Von vornherein steht nur fest, dass die Parteien mit dem zwingenden Charakter einer Norm an Freiheit verlieren. Die Ungewissheit über die Wirkung abdingbaren Rechts gilt insbesondere für abstrakte Normen wie den Allgemeinen Teil des BGB und das Schuldrecht, da sie in einer kaum zu überblickenden Zahl von Fällen zur Anwendung kommen. Ordnet der Gesetzgeber ihren zwingenden Charakter mit Blick auf einige Fälle an, so muss er die Unwirksamkeit einer Vielzahl von Absprachen in Kauf nehmen, bei denen ein derartiger Eingriff nicht erforderlich ist. Das lässt sich umso schwerer rechtfertigen, je besser bereits abdingbares Recht einen gewissen Schutz bewirkt. Soll die Freiheit im Zweifelsfall den Ausschlag geben, muss es bei der Abdingbarkeit einer Norm bleiben.

D.  Zusammenfassung Abdingbare Normen entfalten unterschiedliche und auf den ersten Blick nicht erkennbare Wirkungen. Ihre Durchsetzungskraft ist enorm. Sie regeln nicht nur diejenigen Fragen, welche die Parteien offen lassen, sondern prägen bereits die Vertragsverhandlungen. Denn sie verteilen die Verhandlungslast und bestimmen damit, wem die Initiative zur Abbedingung obliegt. Das Gewicht dieser Last hängt von der für die Abbedingung erforderlichen Zeit und dem mit ihr verbundenen Aufwand sowie der Bereitschaft der Parteien ab, einzelne Absprachen zur Disposition zu stellen. Abdingbare Normen geben den Parteien darüber hinaus Hinweise auf die regelungsbedürftigen Fragen. Ebenso beeinflussen sie die wechselseitige Information der Parteien. Allerdings vermögen die Parteien, aus der Initiative zur Abbedingung einer Norm nur in seltenen Fällen Schlussfolgerungen zu ziehen. Zwischen dem Vertrauen in die Rechtsordnung und der Rolle abdingbaren Rechts besteht ein wechselseitiger Zusammenhang. Je stärker die Parteien dem Recht vertrauen, desto geringer ist ihr Anreiz zur Abbedingung. Mit wachsender Erfahrung, dass Konflikte auch ohne vorherige Regelung durch eine angemessene Norm erfasst werden, wächst das Vertrauen in das Recht und schwindet der Anreiz, seine Normen abzubedingen. Gleiches gilt für das Vertrauen der Parteien untereinander (A). Auch unabhängig von den Vertragsverhandlungen prägt das abdingbare Recht den Vertragsinhalt. Es verändert die Interessen der Parteien und ergänzt die Vereinbarung. Über Auslegungsregeln bestimmt es seinen Inhalt mit. Das Recht beeinflusst durch seine abdingbaren Normen daher nicht erst die Frage, welche Folgen der geäußerte Willen der Parteien hat, sondern bereits das Verständnis, was als solcher zählt. Denn selbst das, was einem als Wille zugerechnet wird, ist bereits durch das Recht geprägt. Zudem wirken sich abdingbare Normen auf die Maßstäbe der Auslegung aus. Im Zweifel erfolgt sie zu Gunsten der gesetzlichen Vorgabe. Die Verträge gleichen sich dadurch an, so dass mit der

D.  Zusammenfassung

227

Zahl der abdingbaren Normen auch die Standardisierung der Rechtsverhältnisse zunimmt. Daneben wirkt abdingbares Recht im Zusammenspiel mit zwingenden Normen auf die Verträge ein und erhält insofern einen zwingenden Charakter. Es prägt die Unwirksamkeits- sowie Auslegungsmaßstäbe, ersetzt nichtige Regelungen und beeinflusst die Wirksamkeit von AGB. Überdies bildet es die Basis für die Entwicklung allgemeiner Grundsätze (B). Im Vergleich zum zwingenden Recht gewähren abdingbare Normen den Parteien eine größere Autonomie und ermöglichen einen unmittelbareren Ausdruck von Interessen. Die unter ihrer Geltung geschlossenen Verträge sind in der Regel effizienter als die durch das zwingende Recht bestimmten. Das liegt unter anderem daran, dass abdingbare Normen durchschnittlich kürzer als zwingende Normen sind, weil sie keine Ausnahmeregelungen vorsehen und keine Umgehung verhindern müssen. Anders als zwingende Normen verhindern sie keine Innovation in einzelnen vertraglichen Absprachen und ganzen Vertragstypen. Nehmen die Parteien die Möglichkeit zur Abbedingung in Anspruch, entsteht eine Vielfalt von Vertragsverhältnissen. Sie ist zwar im Allgemeinen ein Vorteil, weil die Parteien somit ihre Interessen besser verwirklichen können. Jedoch erschwert dies die Regulierung sowie die Übertragbarkeit vertraglicher Forderungen (C). Aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren lässt sich keine allgemeine Aussage darüber treffen, wie stark diese Folgen abdingbarer Normen sind. Sie reichen von der Wirkungslosigkeit einzelner Vorgaben bis hin zu faktisch zwingenden Anordnungen. Normen etwa, die man erst nach notarieller Beurkundung abbedingen darf, können die Parteien vielfach zu einem von ihnen vorgeschriebenen Verhalten zwingen. Im Voraus kann man aufgrund des weiten Anwendungsbereichs des allgemeinen Vertragsrechts nur schwer angeben, zu wessen Gunsten oder zu wessen Lasten sie sich auswirken. Käufer wie Verkäufer, Mieter wie Vermieter, Unternehmer wie Besteller geben Willenserklärungen ab, kommen in Verzug und erfüllen andere Tatbestände derselben abdingbaren Normen. Das bedeutet nicht, dass man die Wirkungen abdingbaren Rechts ignorieren darf, weil sie nicht nur einer bestimmten Personengruppe nutzen oder schaden. Vielmehr muss man diese Auswirkungen im Einzelnen untersuchen, bevor man eine zwingende Gestaltung befürwortet. Denn während der mit ihr verbundene Freiheitsverlust gewiss ist, bleibt der von ihr ausgehende Schutz ungewiss. Für das Verständnis abdingbarer Normen und ihr Verhältnis zum zwingenden Recht haben diese Wirkungen weitgehende Konsequenzen. Wichtig ist vor allem, dass man aus der rechtlichen Möglichkeit zu ihrer Abbedingung nicht den Schluss ziehen darf, sie habe keinen Einfluss auf den Inhalt eines Vertrages. Das ist zwar durchaus vorstellbar. Eine Reihe von Normen wie etwa die Pflicht des Vermieters zu Schönheitsreparaturen nach §  535 Abs.  1 S.  2 BGB wird regelmäßig abbedungen. Die vom Gesetz abweichenden Verträge können

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Kap. 3:  Die Wirkung abdingbaren Vertragsrechts

Standards setzen, eine Vertragspraxis prägen und damit auch Erwartungen des Rechtsverkehrs begründen. Daneben gilt es aber, den Einfluss des abdingbaren Rechts zu berücksichtigen. Es setzt sich in einer Vielzahl von Fällen durch. Diese Wirkung ist so groß, dass man von seiner Macht sprechen kann.368 Das liegt vor allem am Aufwand für die Abbedingung, an der am abdingbaren Recht angelehnten Auslegung von Verträgen und an der Tendenz der Parteien, es im Zweifel beim vorgegebenen Recht zu belassen. Die Vorstellung, bei abdingbaren Normen würde die öffentliche Zwangsgewalt durch privatrechtliche Abmachung wirkungslos369 und der Gesetzgeber könne nur durch zwingendes Recht seine Regelungsziele verfolgen,370 ist daher unbegründet. Sie verkennt die Möglichkeit, durch die Gestaltung des abdingbaren Rechts die Vertragspraxis zu prägen. Das gilt vor allem für die Errichtung der Abbedingungshürde. Wie groß dieser Einfluss im Einzelnen ist, lässt sich allerdings nur mittels einer empirischen Analyse bestimmen. Die Einsicht in die Wirkungsweise abdingbaren Rechts beeinflusst nicht nur das Vertragsrecht, sondern alle Bereiche, in denen man zur Rechtfertigung einer Entscheidung auf das Ergebnis einer hypothetischen Verständigung verweist. Denn worauf sich vernünftige Parteien verständigen, hängt generell von den abdingbaren Ausgangsbedingungen ab. Hypothetische Regelungen lassen sich somit nur als Argument anführen, wenn der sie prägende und durch eine Verständigung womöglich zu überwindende Hintergrund reflektiert ist. Wenn dieser im Krieg aller gegen aller besteht, wie das bei Hobbes anklingt,371 sind andere Normen legitim, als wenn wie bei Locke372 ein Zustand vorherrscht, indem es bereits vor der Verständigung bestimmte individuelle Positionen gibt.

368   Bereits Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  97 spricht von der „Macht der Fixierung“ abdingbarer Gesetzesnormen und einer „Zunahme der Widerstandskraft gegenüber dem Parteiwillen“; Raiser, Das Recht der AGB, S.  293 von der „Tendenz, sich auch gegenüber den Vertragsordnungen durchzusetzen“. Zuvor Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  252: „Denn diese Möglichkeit, vom Gesetz abzuweichen .  .  . ist in den meisten Fällen rein theoretisch.“ 369   Corpus Iuris Civilis, D.23.4.5, Paulus für den Fall, dass wegen Sittenverstößen nicht geklagt werde oder von der Mitgift etwas zurückverlangt werden dürfe. Zum vermeintlich zwingenden Charakter öffentlichen Rechts bereits oben 1.E.1.b). 370   Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  120. 371   Hobbes, Leviathan, p.  66. 372   Locke, Two Treatises of Government, 2nd Treatise, chapt. II, §  6 , p.  271; zum Unterschied zu Hobbes Auffassung des Naturzustands von der Pfordten, Rechtsethik, S.  347 f.

4. Kapitel

Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts Bedürfen abdingbare Normen einer Rechtfertigung? Dagegen spricht auf den ersten Blick, dass sie niemanden unbedingt verpflichten. Anders als zwingende Normen lassen sie den Parteien zumindest die Möglichkeit zu einer abweichenden Absprache. Allenfalls bei Dritten, die von ihnen betroffen sind, mag man fragen, warum sie ihrer Wirkung ausgesetzt sein sollen. Die Parteien aber können sich einer ihnen nicht genehmen Regelung scheinbar stets entziehen. Ist es aus diesem Grund – wie verschiedentlich behauptet – allein eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche Norm man ihnen vorgibt, und eine Rechtfertigung damit entbehrlich? Dagegen sprechen die vielfachen Wirkungen abdingbaren Rechts, die im letzten Kapitel zu Tage traten. Von ihnen sind die Parteien ebenso wie Dritte betroffen. Sie können sich ihnen zumindest nicht vollständig entziehen. Abdingbares Recht beeinflusst somit die Verträge auf vielfache Weise und vereitelt im Extremfall sogar die mit diesen angestrebten Ziele. Daher stellt sich bei ihm ähnlich wie bei zwingendem Recht die Frage nach seiner Rechtfertigung. Sie ist das Thema des folgenden Kapitels. Dabei gilt es zunächst, diese Rechtfertigungsbedürftigkeit genauer zu untersuchen. Widerspricht ihr nicht die bereits beschriebene Unvermeidbarkeit abdingbarer Normen? Oder sind diese wenigstens insoweit zu rechtfertigen, als unter ihnen eine Auswahl zu treffen ist? Wie sich zeigen wird, ist in jedem Fall in rechtsethischer wie in dogmatischer Hinsicht eine Rechtfertigung erforderlich (A). Sie besteht trotz des Vorrangs des abdingbaren vor dem zwingenden Recht (B) und wirkt sich auf die Gestaltung abdingbaren Rechts aus (C). Zu beachten ist dabei eine Pluralität von Grundsätzen (D).

   Vgl. BGH, NJW-RR 2008, 818, 821; Fried, Contract as Promise, p.  60, 69; sowie oben 2.B.1.b), Fn.  137; unten 4.C.1, Fn.  236.    Oben 1.D.1.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung Eine Notwendigkeit zur Rechtfertigung abdingbaren Rechts besteht in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist sie aus rechtsethischer, zum anderen aus dogmatischer Perspektive erforderlich.

1.  Die Notwendigkeit einer rechtsethischen Rechtfertigung Das Thema der Rechtsethik ist die Legitimation des Rechts. Ihr liegt die Frage zugrunde, wann und wie rechtliche Normen gegenüber den von ihnen Betroffenen zu rechtfertigen sind. Die rechtsethische Frage, ob abdingbares Recht einer Rechtfertigung bedarf, ist normativer Art. Das zeigt sich in erster Linie am Erfordernis einer Begründung.  Wäre sie entbehrlich, könnte der Gesetzgeber jede abdingbare Norm vorgeben, ohne dass dies die Betroffenen kritisieren dürften. Die normativen Maßstäbe, an denen die Rechtsethik Normen misst, bestehen unabhängig vom geltenden Recht. Gleichwohl kehren sie aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit auch auf rechtsdogmatischer Ebene wieder. Für die Notwendigkeit einer Rechtfertigung abdingbaren Rechts sprechen im Wesentlichen drei Gründe: seine Abbedingungslast (a), die von ihm vorgenommene Verteilung von Rechten und Pflichten (b) sowie die Gestaltung fremder Angelegenheiten (c). Ist damit eine Rechtfertigung unausweichlich, so vermag daran weder die Unvermeidbarkeit einer Regelung (d) noch die Möglichkeit zur Abbedingung (e) etwas zu ändern.

  Legitimation und Rechtfertigung werden im Folgenden synonym gebraucht.   Bejahend Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 120, 131 (1993); Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 648 (1989); Patterson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 235, 266 (1993); verneinend Hesselink, 1 ERCL 44, 64 (2005): „from a democratic perspective non-mandatory rules do not seem to need any justification“; Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 402 (1994): „It actually is unfair .  .  . to enact mutable rules on fairness grounds“.    Irreführend daher die Einteilung von Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 391 (1994) zwischen „normative defaults“ und „problem-solving defaults“ sowie „equilibrium-inducing defaults“ u.w., was suggeriert, es gebe nicht-normative abdingbare Regeln.    Locke, An Essay Concerning Human Understanding, I, chapt. III, 4, p.  19.    von der Pfordten, Rechtsethik, S.  120 ff., 212 ff.  

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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a)  Die Abbedingungslast Der Definition nach können die Parteien die Anwendung abdingbarer Normen zwar ausschließen, deren Geltung aber nicht aufheben.  Die Bezeichnung „nicht-zwingendes Recht“ führt daher insofern in die Irre, als abdingbare Normen anders als außerrechtliche Normen oder das soft-law ebenso verbindlich sind wie zwingende. Unterbleibt eine Abbedingung, treten die Rechtsfolgen mit Notwendigkeit ein. Die Parteien tragen deshalb eine Abbedingungslast,10 die ihre Verhandlungsmacht beeinflusst. Diese Last ist nicht nur eine dogmatische Konsequenz aus der Obliegenheit zur Abbedingung, sondern aufgrund der möglichen Wirkungen abdingbarer Normen11 eine ernst zu nehmende Hürde. Sie beeinträchtigt die Freiheit der Parteien, da ihnen eine Norm aufgedrängt wird, der sie nicht zugestimmt haben. Das ist im Falle eines Vertrages zulasten Dritter offensichtlich,12 gilt aber ebenso für eine nur zwischen den Parteien wirkende Absprache. Denn sie wird durch die vorgegebene Norm beeinflusst. Die durch abdingbares Recht geschaffenen Pflichten sind zu erfüllen oder abzubedingen. Dieser Last können sich die Parteien nicht entziehen.13 Wie jede andere Beeinträchtigung der Freiheit bedarf sie einer Rechtfertigung. Das stellt gerade diejenigen Theorien vor ein Problem, welche abdingbares Recht auf die manifestierte Zustimmung14 oder den Willen der Parteien15 stützen. Diese können zu Recht fragen, warum für sie bestimmte Rechtsfolgen eintreten sollen, nur weil sie keine abweichende Bestimmung getroffen haben. Dass diese Folgen in anderen Fällen ihrem Willen entsprechen und ihnen die Verhandlungen erleichtern, befriedigt nicht, da damit die Abbedingungslast nicht schwindet. Nachzuweisen bleiben Gründe für die verbindliche Geltung abdingbarer Normen. Ginge es nur um die Erleichterung des Vertragsschlusses, genügten unverbindliche Formulierungshilfen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Abbedingungslast die Verhandlungsmacht der Parteien in unterschiedlichem Maße beeinflusst. Meist ist es nur eine Seite, die sich um eine Abbedingung bemühen muss, da nur sie belastet wird.   Oben 1.A.1.d).   Oben 1.A.3.c). 10   Oben 3.A.1, Fn.  18. 11   Oben 3. 12   BVerfG, NJW 1987, 827, 828 (= BVerfGE 73, 261, 271); BGH, NJW 1974, 96 (= BGHZ 61, 359, 361); weitere Nachweise oben 1.B.1, Fn.  130. 13   Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  254. „[Das Vertragsrecht] zwingt uns zu Verpflichtungen, die wir nicht im strengen Wortsinn eingegangen sind. .  .  . Wir arbeiten zusammen, weil wir es gewollt haben, aber unsere freiwillige Zusammenarbeit schafft uns Pflichten, die wir nicht gewollt haben.“ 14   Etwa Barnett, 86 Columbia Law Review 269, 305 (1986); ders., 78 Virginia Law Review 821, 860 (1992), der abdingbares Vertragsrecht aufgrund angenommener Zustimmung der Parteien nicht als Freiheitseingriff ansieht. Dazu bereits oben 1.B.3, Fn.  166. 15   Oben 2.A.  

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Das erleichtert es der anderen Partei, ihre Interessen durchzusetzen. Die Vorgabe abdingbarer Normen ist aus diesem Grund nicht neutral.16 Auch deshalb bedarf sie einer Rechtfertigung. Dies gilt umso mehr, als das abdingbare Recht erweitert und beschränkt, was die Parteien einander versprochen haben. Denn es regelt nicht nur die Situation einer vollständig fehlenden Abrede. Vielmehr stellt es auch die versprochenen Leistungen unter zahlreiche Vorbehalte, etwa durch Regeln zum Wegfall der Geschäftsgrundlage oder zur Verjährung, §§  194 ff., 313 BGB. Dies lässt sich zwar unter der Annahme rechtfertigen, dass die Parteien die Situationen nicht bedacht haben, in denen diese Normen relevant werden. Sicher ist das jedoch nicht. Es kann sein, dass sie auch in diesen Fällen einschränkungslos an ihren Versprechen festhalten wollen, also etwa den Vertrag trotz Änderung der Umstände umsetzen möchten. Sie müssen dann durch Abbedingung bekräftigen, was sie bereits versprochen haben, nämlich eine unbedingte Leistung. Sehen sie davon ab, erhält ihre Absprache einen anderen Sinn. Die damit verbundene Verzerrung des Parteiwillens bedarf einer Rechtfertigung. Die Legitimationsbedürftigkeit abdingbaren Rechts zeigt sich auch am Vergleich mit unverbindlichen Musterverträgen oder bedingbaren Normen wie den European Principles of Contract Law17. Diese erfordern zwar ebenfalls eine Begründung, weil sie keine willkürliche Regelung aufstellen sollen. Aber gegenüber den Parteien bedürfen sie zumindest nicht im gleichen Maße einer Rechtfertigung wie das abdingbare Recht.18 Denn ohne eine Entscheidung der Parteien kommen diese Normen nicht zur Anwendung. Anders als das abdingbare Recht stellen sie die Parteien nicht vor eine unvermeidbare Wahl. Bei abdingbaren Normen hingegen sind die Parteien zur Abbedingung gezwungen, wenn sie seine Rechtsfolgen vermeiden wollen. Dies hat neben dem sachlichen auch einen institutionellen Aspekt. Zu begründen ist, warum es gerade der jeweiligen Institution zukommt, eine abdingbare Norm aufzustellen. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Institutionen und Personen, die dafür in Frage kommen, so etwa der Gesetzgeber, die Gerichte und die Rechtswissenschaft. b)  Die Verteilung von Rechten und Pflichten Die Rechtfertigungsbedürftigkeit abdingbarer Normen wird dadurch verstärkt, dass sie Rechte und Pflichten verteilen und dadurch mindestens eine der Vertragsparteien belasten. Wie das dritte Kapitel zeigte, setzt sich diese Verteilung vielfach durch,19 und zwar selbst dann, wenn sich die Parteien mit anderen ab  Oben 3.A.1, Fn.  22.   Commission on European Contract Law, Principles of European Contract Law. 18   Aufgrund der gleichwohl denkbaren Durchsetzungskraft ist eine Rechtfertigung erforderlich. Siehe zum Beispiel des Common Frame of Reference Möslein, Legal Innovation in European Contract Law, p.  13. 19   Oben 3.B.1–3.B.2. 16

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A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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dingbaren Normen abfänden. Zumindest bei einer beachtlichen Zahl von Verträgen hängt es von der gesetzgeberischen Vorgabe ab, ob eine Partei eine bestimmte Pflicht erfüllen muss. Wie auch immer sich der Gesetzgeber entscheidet, kommen seine Normen in einem erheblichen Teil der Fälle zur Anwendung. So bleibt es nicht ohne Folge, dass der Käufer bei der Versendung der Sache das Verlustrisiko trägt, §  447 BGB. Denn aufgrund mangelnder Abbedingung wird er in mehr Fällen den Kaufpreis zahlen, ohne die Sache zu erhalten, als wenn der Gesetzgeber dieses Risiko dem Verkäufer zuwiese. Mittelbar beeinflusst abdingbares Recht daher auch die Vermögensverteilung. Aufgrund dieser Wirkung abdingbaren Rechts hat sich der Gesetzgeber doppelt zu verantworten: einerseits vor den betroffenen Parteien, andererseits vor dem Wähler. Gegenüber den Betroffenen ist zu begründen, warum sie und nicht ihre Vertragspartner eine bestimmte Pflicht zu erfüllen haben. Gegenüber dem Wähler ist darzulegen, warum und wie der Gesetzgeber die Verantwortung für die Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse wahrgenommen hat. Letztlich ist das die Konsequenz der Zweispurigkeit der Rechtsgeschäftslehre, 20 wonach die vertraglichen Rechtsfolgen nicht allein auf den Willen der Parteien, sondern auch auf die Rechtsordnung und damit auf den hinter ihr stehenden demokratischen Gesetzgeber zurückzuführen sind. Die Verantwortung des Gesetzgebers für die durch abdingbare Normen eintretenden Rechtsfolgen zeigt sich besonders deutlich an Situationen, in denen sich eine abdingbare Norm als problematisch erweist und zu unangemessenen Ergebnissen führt. Angesichts der Vielfalt abdingbarer Normen und der Un­ überschaubarkeit der einzelnen Vertragsverhältnisse ist das ein beträchtliches Risiko. Es tritt unter anderem an den Bemühungen hervor, derartige Normen durch eine ergänzende Auslegung und den Verweis auf ihren angeblich veralteten Charakter zu umgehen.21 Hat der Gesetzgeber eine Norm erlassen, hat er ihre Folgen zu verantworten, und zwar auch dann, wenn die Parteien aufgrund einer nicht wahrgenommenen Abbedingung eine Mitverantwortung dafür trifft. Daher hat er nur zurückhaltend von der Regelungsbefugnis Gebrauch zu machen und abdingbares Recht am Versprechen der Parteien auszurichten. Denn je stärker das geschieht, umso mehr ist er entlastet und die Parteien für die zum Zuge kommenden abdingbaren Normen verantwortlich. Im Vergleich zu einer richterlichen Vertragsgestaltung sind abdingbare Normen den Parteien besser erkennbar. Folglich können sie sich auf diese besser einstellen. Aus diesem Grund gebieten nicht nur die Gesetzesbindung des Rich-

  Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  127. Siehe dazu auch unten 5.A.3.   BGH, NJW 1979, 1705, 1706: „Das dispositive Gesetzesrecht wird in weiten Bereichen der handelsrechtlichen Personengesellschaften den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr gerecht.“; zustimmend Bunte, NJW 1984, 1145, 1147; weitere Nachweise oben 2.A.1.b), Fn.  23. 20 21

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

ters und das hinter ihr stehende Demokratieprinzip22 die Anwendung des abdingbaren Rechts, sondern auch die Interessen der Parteien. All das spricht dagegen, die Bindung an das abdingbare Recht durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu umgehen. Das Ausmaß der Rechtfertigungsbedürftigkeit abdingbaren Rechts variiert. Es hängt sowohl von den Rechtsfolgen ab, die es den Parteien aufbürdet, als auch von den Hürden, die es für eine Abbedingung errichtet. Wenn es sich beispielsweise aufgrund zahlreicher Abbedingungshürden dem zwingenden Recht annähert, bedarf es wie dieses einer stärkeren Rechtfertigung, als wenn es den Parteien weite Möglichkeiten zur Abweichung einräumt. Sind die Rechtsfolgen gravierend, ist eine gewichtigere Rechtfertigung erforderlich als bei Pflichten, die den Einzelnen kaum belasten. Die Frage ist daher nicht nur, ob abdingbares Recht einer Legitimation bedarf, sondern auch, wie stark diese beschaffen sein muss. Besonders hoch ist die Legitimationsbedürftigkeit, wenn das abdingbare Recht einen paternalistischen Charakter trägt. Das ist der Fall, wenn es dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen zuwider läuft und ihm dennoch zugute kommen soll. 23 Beide Voraussetzungen – der Widerspruch gegen den Willen und die Ausrichtung am Interesse des Einzelnen – können bei der Verabschiedung einer abdingbaren Norm erfüllt sein, etwa wenn eine dem mutmaßlichen Willen der Parteien widersprechende Norm ihrem Schutz dient.24 Der Paternalismus ist als so genannter harter und weicher Paternalismus denkbar. 25 Hart ist er, wenn er sich gegen ein freiwilliges Verhalten richtet, also etwa auch dann eine abdingbare Norm gegen den Willen der Parteien vorgibt, wenn diese die mit einer gegenteiligen Gestaltung verbundenen Risiken kennen und auf sich nehmen wollen. Weich ist er hingegen, wenn der Entschluss der Parteien nicht in einem umfassenden Sinn freiwillig ist, etwa weil ihnen wesentliche Informationen fehlen.   Nach Kloepfer, NJW 1985, 2492, 2502 können abdingbare Normen sogar unter das Erfordernis fallen, dass der Gesetzgeber wesentliche Fragen selbst zu entscheiden hat, BVerfG NJW 1978, 807, 810 (= BVerfGE 47, 46, 79); oben 1.B.2, Fn.  144. 23   Zur Definition des Paternalismus Feinberg, Harm to Self, pp.  3; Kronman, 92 Yale Law Journal 763 (1983) „any legal rule that prohibits an action on the ground that it would be contrary to the actor’s own welfare“; Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 570, 625 (1982); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1785 (1997); Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1162, 1188 (2003); Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  8 ; von der Pfordten, in: Anderheiden/Bürkli/Heinig, Paternalismus und Recht, S.  93, ders., Normative Ethik, S.  307 ff. 24   Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1832, 1834 (1991) hält eine Entscheidung der offenen Fragen nicht für paternalistisch. 25   Demgegenüber rechnet Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1788 (1997) abdingbares Recht zum „mild paternalism“. Hingegen hielt von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  29 die Einschränkung der Einzelnen durch Zwang für geringer als diejenigen, die „auf Kopf oder ihr Herz“ einwirken, was auch für mild paternalistische Normen gelten dürfte. 22

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Abdingbare Normen lassen sich ferner danach charakterisieren, ob sie das Verhalten der Parteien direkt oder indirekt über die Einwirkung auf Dritte beeinflussen. Meist wirken sie direkt, da sie den Parteien unmittelbar Rechte und Pflichten auferlegen. Indem abdingbare Normen auf einer Handlung und keiner Unterlassung des Gesetzgebers beruhen, trägt ein mit ihr verbundener Paternalismus daher einen aktiven und nicht nur einen passiven Charakter.26 Dass ein mit abdingbaren Normen verbundener Paternalismus nicht immer deutlich hervor tritt, 27 liegt an seinem im Vergleich zum zwingenden Recht milderen Charakter. Den Parteien bleibt stets die Möglichkeit, ihren abweichenden Willen per Abbedingung durchzusetzen. Gleichwohl handelt es sich um Paternalismus, wenn die abdingbaren Normen ihrem mutmaßlichen Willen widersprechen.28 Auch ein umgehbarer Zwang beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund greift die Kritik an paternalistischen Eingriffen zu kurz, wenn sie sich allein gegen zwingendes Recht wendet und den Eindruck erweckt, eine derartige Beeinträchtigung bliebe bei abdingbarem Recht aus. 29 Denn der mit ihnen einhergehende Freiheitseingriff kann ebenso wie beim zwingenden Recht auf der Voraussetzung beruhen, dass der Normgeber besser als die Parteien weiß, was für sie gut ist. c)  Die Gestaltung fremder Angelegenheiten Ein dritter Grund für die Legitimationsbedürftigkeit abdingbaren Rechts ist die mit ihm verbundene Gestaltung fremder Angelegenheiten. Die Beziehung der Vertragsparteien zueinander ist zunächst allein ihre Sache. Wer auch immer in ihre Verhältnisse eingreift, bedarf dazu einer Rechtfertigung. Das gilt für private Dritte ebenso wie für den Staat. Dieser Eingriff mag den Vertragsschluss zwar erleichtern. Das aber ist eine Rechtfertigung, die den ihr vorausgehenden Eingriff nicht in Frage stellt. Denn sie ändert nichts an der Tatsache, dass der Gesetzgeber etwas gestaltet, was in erster Linie die Parteien betrifft und insofern zunächst durch sie zu bestimmen ist. Dass die Parteien als Bürger zugleich einen Einfluss auf den Gesetzgeber haben, ist angesichts ihres im Vergleich zur gesamten Wählerschaft nur minimalen Einflusses und der dabei zu treffenden Mehrheitsentscheidung ein zu geringer Ausgleich. Die Fremdheit abdingbaren Rechts stellt das jedoch nicht in Frage. Die jeweiligen Parteien sind zu einem zu 26   Zur Diskussion dieser Unterscheidungen Feinberg, Harm to Self, p.  12; Buckley, Just Exchange, pp.  6 4; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  307 ff. mwN.; sowie Nachweise oben in Fn.  23, 25. 27   Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1165 (2003), die allerdings eine (milde) Form des Paternalismus für unvermeidbar halten, aaO., 1184. Zum Paternalismusbegriff oben Fn.  24. 28   Zu den Schwierigkeiten der Feststellung dieses Willens oben 2.A.3.c). 29   Z. B. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  249; Grundmann, 1 European Review of Contract Law 184, 197 (2005).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

geringen Teil für seine Geltung verantwortlich, als dass man es ihnen bereits deshalb zurechnen könnte. Die mit abdingbarem Recht einhergehende Gestaltung fremder Angelegenheiten ist deshalb ein Grund, es als Eingriff in die Freiheit der von ihm Betroffenen zu begreifen. Dafür ist unerheblich, ob es die Parteien belastet oder sie von ihm sogar profitieren. Denn entscheidend ist, dass sie aus ihrer Rolle verdrängt werden, ihre Angelegenheiten selbst zu gestalten. Abdingbare Normen führen daher nicht erst dann zu einem Eingriff, wenn man sie vor dem Hintergrund einer ursprünglich unbegrenzten Freiheit wahrnimmt.30 Vielmehr löst bereits die Regelung eines für den Gesetzgeber fremden Verhältnisses einen Rechtfertigungsbedarf aus, wie auch sonst ohne Grund niemandem die Befugnis zukommt, über Angelegenheiten anderer zu entscheiden. Es mag beispielsweise in vielen Situationen sinnvoll sein, dass Ehegatten verbindliche Absprachen über die Haushaltsführung treffen. Gleichwohl ginge es zu weit, wenn der Staat dies durch abdingbare Normen regeln wollte. Das Entscheidende daran ist nicht, ob diese Normen Absprachen erleichtern und eine sinnvolle Aufgabenteilung vorsehen. Selbst wenn dies der Fall wäre, überschritte der Gesetzgeber damit seinen legitimen Regelungsbereich. Die Sensibilität für derartige Freiheitseinbußen schwindet allerdings, je mehr das Privatrecht am Nutzenmodell ausgerichtet und als Mittel der Sozialpolitik verstanden wird. Denn dann dominiert die Frage nach den Wirkungen abdingbaren Rechts und wird die Frage verdrängt, auf welche Art und Weise sie eintreten. Die Intensität des Freiheitseingriffs hängt wesentlich davon ab, welche Rechtslage ohne die abdingbaren Normen besteht. Kommt als Alternative nur eine zwingende Norm in Betracht, so fällt die Rechtfertigung leicht: Abdingbare Normen eröffnen im Vergleich zum zwingenden Recht eine Wahlmöglichkeit und erweitern daher die Freiheit des Abbedingungsberechtigten. Gegenüber der Ausschluss- oder der Billigkeitsnorm allerdings fällt die Rechtfertigung schwerer. Es ist zu zeigen, dass die jeweilige abdingbare Norm den Parteien von Vorteil ist. Selbst dann aber bleibt die mit abdingbaren Normen einhergehende Beeinträchtigung der Freiheit bestehen. Denn sie greifen aufgrund der Abbedingungslast in die Freiheit der Einzelnen ein, so groß der mit ihnen einhergehende Vorteil auch sein mag. Den Parteien steht es unter ihrer Geltung nicht mehr frei, einen Vertrag ohne inhaltliche Gestaltung der von den abdingbaren Normen   Stellvertretend für diese Vorstellung Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S.  39; Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9, 13; Maunz/Dürig55-Di Fabio, Art.  2 Rn.  38; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 19; kritisch Raiser, FS DJT, S.  101, 127; Flume, FS DJT, S.  135, 137 mit einer abweichenden Konzeption einer erst durch die Rechtsordnung hervorgebrachten Vertragsfreiheit; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S.  136 f.; zum Ganzen auch unten 5.A.3. 30

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geregelten Frage zu schließen. Vorteile mögen diesen Freiheitseingriff rechtfertigen. Beseitigen aber können sie ihn nicht. So wie alle anderen Einbußen an Freiheit bedürfen sie einer Rechtfertigung. d)  Der Einwand unvermeidbarer Regelung Bedarf abdingbares Recht nach alldem einer Rechtfertigung, so stellt sich die Frage, ob dem die bereits festgestellte Unvermeidbarkeit einer Regelung entgegensteht.31 Immerhin muss der Richter auch ohne die Geltung einer bestimmten abdingbaren Norm entscheiden.32 Die Anwendung einer abdingbaren Norm scheint daher unvermeidlich, will der Richter keine zwingende Norm anwenden. Während es zu zwingendem Recht stets die Alternative einer abdingbaren Norm gibt, welche die Freiheit geringer beeinträchtigt, besteht bei abdingbaren Normen keine derartige Ausweichmöglichkeit. Zu entscheiden ist lediglich, ob das Recht den Parteien in Form der Ausschluss- oder der Billigkeitsnorm eine generelle Vorgabe macht oder eine spezielle abdingbare Norm anordnet. Diese Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts steht seiner Rechtfertigungsbedürftigkeit nicht entgegen, sondern unterstreicht diese sogar. Denn sie zeigt, dass die Einzelnen dessen Regelungen ausgesetzt sind. Das wirft die Frage auf, wer die Normen gestaltet und welche Grundsätze er dabei zu beachten hat. Das gilt für das abdingbare Recht ebenso wie für staatliche Institutionen. Dass beispielsweise ohne die Polizei keine Sicherheit besteht, besagt nicht, dass der Staat die Ausübung seiner Gewalt vor dem Einzelnen nicht zu rechtfertigen hätte. Ähnlich folgt aus der Unvermeidbarkeit vertragsrechtlicher Normen nicht, dass das Recht sie den Parteien beliebig vorgeben darf. Denn sie ermöglichen nicht nur Freiheit, sondern beschränken sie auch.33 Vor allem aber folgt aus der Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts nicht, welche Normen im Einzelnen zu ihm gehören. Eine Vorgabe mag unvermeidbar sein. Ihr konkreter Inhalt jedoch ist es nicht. Aus der generellen Notwendigkeit, ein Minimum an vertraglichen Regeln bereit zu stellen, lässt sich folglich nicht eine bestimmte abdingbare Norm ableiten. Nachzuweisen bleibt, dass die jeweilige Norm angesichts des mit ihr einhergehenden Eingriffs jeder anderen Norm vorzuziehen ist. Das ist aufgrund der zahlreichen Regelungsmöglichkeiten34 keinesfalls selbstverständlich. Gewährleistungsfristen etwa können mehr oder weniger lang sein, an bestimmte Bedingungen anknüpfen oder von einer vorherigen Untersuchung der gekauften Sache abhängen. Dass die Gewährleistung sowie die Vielzahl weiterer Fragen einer Regelung bedürfen, besagt daher nicht, dass das 31   So Craswell, in: Benson, The Theory of Contract Law, p.  43. Zur Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts bereits oben 1.D.1. 32   Oben 1.B.2–3. 33   Oben 1.C. 34   BGH, NJW-RR 2005, 394, 396; sowie oben 2.B.2.b).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

geltende Gewährleistungsrecht erforderlich ist und keiner weiteren Begründung bedarf. Die hinter der Auswahl einer bestimmten abdingbaren Norm stehende Bewertung von Interessen ist ebenso wie die Norm selbst heteronom 35 und deshalb legitimationsbedürftig. Der Widerspruch abdingbaren Rechts zur negativen Freiheit, von vertraglichen Pflichten verschont zu bleiben, besteht selbst dann, wenn die positive Freiheit zum Vertragsschluss anders nicht zu verwirklichen wäre.36 Darin gleicht die Vertragsfreiheit anderen Freiheiten, deren Einschränkungen sich ebenfalls nicht bereits damit rechtfertigen lassen, dass sie im Interesse des Einzelnen erfolgen. Irreführend ist aus diesem Grund bereits im Ansatz die Frage, ob abdingbares Recht Selbstbestimmung ermöglicht oder ihr widerspricht.37 Es kann beides und genau darin liegt sein ambivalenter Charakter.38 Man muss seine Vorteile nicht leugnen, um die mit ihm verbundenen Lasten wahrzunehmen. Demgegenüber ist vielfach betont worden, dass die Privatautonomie auf der Anerkennung durch das Vertragsrecht beruhe.39 Nach Flume setze sie sogar „begrifflich die Rechtsordnung als Korrelat“ voraus.40 Denn ohne sie bliebe unklar, welche Bedeutung und welchen Inhalt die Versprechen der Parteien hät35   Stammler, AcP 69 (1889), 1, 28; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  67; Endemann, BR, Bd.  1, S.  40; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  175; Flume, FS DJT, S.  135, 150 f.; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  101, S.  69; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 214; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S.  135; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  50, 127; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  45; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  137, 167; Bachmann, Private Ordnung, S.  137, 239; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 15; Fried, Contract as Promise, p.  61; Collins, The Law of Contract, p.  246; anders aber Bydlinski, Privatautonomie, S.  128; für die Gefahrtragungsregeln Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S.  156. Weitergehend behauptet Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  142 die gesamte Vertragsbindung sei heteronom; nach Möslein, Dispositives Recht, S.  74 f. begründet die Heteronomie die Rechtsqualität abdingbaren Rechts. 36   Zur Unterscheidung oben 1.B.2. 37   Zur Diskussion anhand der Regeln zur Vertragsauslegung etwa Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  47 f., 52 gegen Larenz, NJW 1963, 737, 740. 38   Oben 1.C. 39   Motive, Bd.  1, S.  126; Flume, FS DJT, S.  135, 136 f.; ders., AT, Bd.  2, S.  5 f., 17 f.; RGZ 68, 322, 324; 157, 228, 233; BVerfG, NJW 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 231): „Die Privatautonomie ist notwendigerweise begrenzt und bedarf der rechtlichen Ausgestaltung.“; Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, S.  45, 90; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  6 ; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  197, 165, 215 f.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  16; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  20 f.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  49, 105, 243; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  136; Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 181 (2005). Zur Kritik an der Vorstellung einer erst vom Staat ermöglichten Freiheit Canaris, AcP 184 (1984), 201, 217 f.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.  251. 40   Flume, FS DJT, S.  135, 137, 159 ff.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  104; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S.  73: „Privatautonomie kann sich nur entfalten, wenn eine staatliche Rechtsordnung besteht“ [Hervorhebung hinzugefügt], kritisch Canaris, JZ 1987, 993, 995.

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ten. Ähnlich hatte zuvor Durkheim argumentiert, dass der Vertrag seine Existenz dem geschichtlich gewachsenen Recht verdanke, die Parteien von diesem aber nie vollständig abweichen könnten. Daher sei der Vertrag erst aufgrund des vorgegebenen Rechts möglich und insofern sozialer und nicht individueller Herkunft.41 Nach dieser Perspektive ist die Vertragsfreiheit auf das vorgegebene Privatrecht angewiesen, das sie folglich nicht beschränken könne.42 Das ähnelt der Argumentation, dass die Ausgestaltung von Grundrechten keinen Freiheitseingriff darstelle43 und nur am „objektiven Gehalt der Grundrechte zu messen“44 sei, weil sie ohne eine derartige Ausgestaltung nicht wahrnehmbar wären. Indes verwechselt dieses Argument die Unvermeidbarkeit einer Regelung mit der Notwendigkeit einer bestimmten Norm und des durch sie erfolgenden Freiheitseingriffs. Auch wenn es zum Abschluss und zur Durchführung von Verträgen minimaler abdingbarer Normen bedarf, bleibt der mit ihnen einhergehende Freiheitseingriff bestehen. Er ließe sich allenfalls durch den Nachweis in Frage stellen, dass kein milderer Eingriff möglich ist. Geht es allein um die begrifflichen Voraussetzungen der Vertragsfreiheit, genügte ein Minimum an Normen wie etwa die Regel, dass Versprechen zu halten sind und im Übrigen die Ausschlussnorm zur Anwendung kommt. Voraussetzung des Vertragsschlusses45 ist die Existenz einer Rechtsordnung und nicht die Existenz der aktuellen. Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung der einzelnen abdingbaren Normen lässt sich deshalb nicht leugnen, so stark diese ihre Existenz auch der im Hintergrund stehenden Rechtsordnung verdanken mögen46 . 41   Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, S.  251: „Nun ist aber der Vertrag überall dort, wo er existiert, einer Regelung unterworfen, die das Werk der Gesellschaft ist und nicht das der Einzelperson.“; Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  114. 42   So für das europäische Privatrecht Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  223: „daß Zivilrecht .  .  . die rechtsgeschäftliche Ausübung von Freiheiten erst ermöglicht. Insoweit kann es Freiheiten nicht beschränken.“; einschränkend Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  338, wonach nicht jede Ausgestaltung des Privatrechtsverkehrs zugleich einen Grundrechtseingriff darstelle. 43   Für die Ausgestaltung von Grundrechten BVerfG, NJW 1987, 239, 243 (= BVerfGE 73, 118, 166); 1993, 2035, 2036 (= BVerfGE 89, 1, 8); zustimmend Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S.  55 ff., 139; einschränkend BVerfG, NJW 1992, 1307, 1308 (= BVerfGE 79, 29, 40): „Eigentum .  .  . bedarf, um praktikabel zu sein, notwendigerweise der rechtlichen Ausformung durch den Gesetzgeber.“; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  100 ff.; kritisch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.  91 ff. 44   BVerfG, NJW 1998, 1475 (= BVerfGE 97, 169, 176). 45   Noch weitgehender Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S.  39, wonach beim Tausch zwischen zwei einander Unbekannten in der Wüste nur eine Unterordnung unter „die Individualnorm des Tauschvertrages“ stattfinde; siehe aber auch aaO., S.  26 f. zum Vertrag innerhalb einer Rechtsordnung; zur Kritik Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  67. 46   Zur allgemeinen Abhängigkeit einer Handlung von etablierten Regeln Weber, Rechtssoziologie, S.  127; Lyons, Forms and Limits of Utilitarianism, p.  191.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

e)  Der Einwand der möglichen Abbedingung Auf den ersten Blick widerspricht der Notwendigkeit zur Rechtfertigung abdingbarer Normen der Umstand, dass die Parteien sie abwählen können.47 Denn sie bleiben frei, ihre Verhältnisse abweichend zu gestalten. Jedoch erfordert auch dies Zeit und Aufwand. Bedingen die Parteien eine Norm nicht ab, so bedeutet das daher nicht, dass sie ihr stillschweigend zustimmen. Bisweilen wurde dies jedoch mit der Überlegung bejaht, dass sie von der Institution des Vertragsrechts Gebrauch machten und damit stillschweigend die mit ihr einhergehenden abdingbaren Regeln in Kauf nähmen.48 Nutzten sie die Verbindlichkeit des Rechts, stimmten sie damit auch der Anwendung seiner abdingbaren Vorgaben zu. Dieses Argument verkennt jedoch, dass die Parteien zwar die Anwendung abdingbarer Normen verhindern können, nicht aber deren grundsätzliche Anwendbarkeit. Unausweichlich stehen sie vor der Entscheidung, entweder die Anwendung der abdingbaren Normen hinzunehmen oder sie abzubedingen. Die Geltung abdingbaren Rechts steht schließlich nicht in ihrer Macht. Dass sie wissen können, welche abdingbaren Normen zum Zuge kommen, erleichtert die Abbedingungslast, hebt sie aber nicht auf. Es bleibt zu begründen, warum sie eine derartige Last tragen sollen, und es nicht ausreicht, ihnen ein bedingbares Vertragsrecht vorzugeben. Die Zustimmung zum Vertragsschluss enthält daher weder ein konkretes noch ein abstraktes Einverständnis mit der Anwendung abdingbarer Normen. Obwohl die Abbedingungsmöglichkeit danach nicht ausreicht, um abdingbare Normen zu legitimieren, führt sie dazu, dass diese im Vergleich zu entsprechenden zwingenden Normen die Freiheit erweitern und insofern nicht legitimationsbedürftig sind. Denn allein der Umstand, dass die Parteien eine abweichende Vereinbarung treffen können, belastet sie nicht. Dies bedarf als Möglichkeit zur Selbstbestimmung keiner weiteren Rechtfertigung.49 Anders erscheint dies nur in etatistischer Perspektive, wonach der Staat die einzige Quelle des Rechts ist.50 Nach ihr ist selbst bei fehlenden Auswirkungen auf Dritte zu begründen, dass Private über staatliche Anordnungen disponieren   So Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 515 (1989): „any default rule would also be consistent with individual freedom, as long as the parties are allowed to change the rule“; Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 860 (1992); Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  228: „Das Angebot des staatlichen Folgenrechts .  .  . bleibt solange ein Angebot (nicht Zwang), wie man es auch ausschlagen kann.“; ablehnend Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 646 (1989). 48   BGH, NJW 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 860 (1992); weitere Nachweise oben 1.B.3, Fn.  166. 49   Flume, AT, Bd.  2, S.  6 ; weitere Nachweise unten 4.B.2.a), Fn.  140. 50   Stellvertretend Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  283; zur Kritik Puchta, Cursus der Institutionen, Bd.  1, S.  17; Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S.  32 f.; zum Ganzen mwN.  Verfasser, in: Calliess/Mahlmann, Der Staat der Zukunft, S.  69 ff. 47

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dürfen. Nicht die Norm, sondern die Möglichkeit zu ihrer Abbedingung erforderte eine Legitimation. Diese Position klingt bisweilen bei der Beurteilung einzelner Verträge an, wenn Richter und Rechtswissenschaftler der Abweichung von den allgemeinen Normen mit Skepsis begegnen und hinterfragen, warum die Parteien eine Norm abbedingen. Bereits die Analyse abdingbaren Rechts zeigte indes, dass die uneingeschränkte Gegenüberstellung von staatlicher Anordnung und privater Abweichung in die Irre führt.51 Eine Abbedingung ist nur bei einem Normvorbehalt möglich. Er gehört ebenso wie die primäre Sachregelung zum geltenden Recht. Daher weicht niemand von ihm ab, indem er eine Norm abbedingt. Er nimmt nur wahr, was bereits das staatliche Recht vorsieht. Für die Notwendigkeit zur Rechtfertigung fehlt es deshalb bereits an der Voraussetzung einer Abweichung vom geltenden Recht. Die Frage ist lediglich, ob es eines staatlichen Normvorbehalts bedarf, die Parteien also grundsätzlich nur dann eine andere Normen verdrängende Vereinbarungen treffen dürfen, wenn sie der Staat dazu ermächtigt. Dafür gibt es keinen Grund, da nicht ersichtlich ist, warum dem Staat ein Rechtssetzungsmonopol zukommen sollte.52 Sind allein die Interessen der Parteien betroffen, sind zunächst allein sie befugt, eine für sie verbindliche Absprache zu treffen. Die etatistische Perspektive setzt voraus, was zunächst zu begründen ist, nämlich dass eine Norm gilt, von der die Abbedingung die Ausnahme sei. Aus einer freiheitlichen Sicht gilt das Umgekehrte: Der Einzelne wird zunächst ohne äußere Beschränkungen vorgestellt. Nicht die Möglichkeit zur Wahrnehmung seiner Freiheit, sondern ihr Ausschluss bedarf einer Rechtfertigung.53 Für eine verbindliche Regelung genügt nicht der Nachweis, dass ihr Inhalt sinnvoll ist. Vielmehr muss der Gesetzgeber darüber hinaus begründen, warum sie einen zwingenden Charakter tragen soll. Er hat darzulegen, warum den Parteien keinerlei Möglichkeit zu einer abweichenden Gestaltung bleiben darf und warum sie über die allein sie betreffenden Fragen nicht selbst entscheiden dürfen. Zwingendes Recht erfordert daher eine stärkere Legitimation als abdingba­ res.54

  Oben 1.A.1.c).   Im Einzelnen unten 5.A.3. 53   von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  38: „die Frage [lautet] nicht, welche Verträge die Einzelnen machen dürfen, sondern welche Verträge der Staat erzwingen soll.“; Flume, FS DJT, S.  135, 169; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  51 f. mwN. zur älteren Literatur; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  81 ff.; Schmidt, Gesellschaftsrecht, §  5 III, S.  120; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  45; zur Gegenthese oben 2.B.1, Fn.  110. 54   Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 33 (1993); siehe zur Rechtfertigungsbedürftigkeit einer Autonomieeinschränkung von der Pfordten, Rechtsethik, S.  472 ff. 51

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Die Abbedingungsmöglichkeit allein bedarf nach alldem zwar keiner Rechtfertigung. Sie erhöht im Gegenteil die Legitimität einer Norm, da sie den Parteien die Freiheit zu einer eigenen Gestaltung lässt. Jedoch vermag sie diese Legitimität nicht zu garantieren. Denn sie hebt die Abbedingungslast nicht auf. Dass die Legitimität einer abdingbaren Norm die des zwingenden Rechts übersteigt, stellt nicht sicher, dass die Parteien keine andere Vorgabe bevorzugt hätten. Deshalb bleibt der Inhalt abdingbaren Rechts zu legitimieren.

2.  Die Notwendigkeit einer dogmatischen Rechtfertigung Aufgrund der rechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit stellt sich nicht nur in rechtsethischer, sondern auch in rechtsdogmatischer Perspektive die Frage nach einer Rechtfertigung abdingbaren Rechts. Das gilt für das Europarecht (a) ebenso wie für das Verfassungsrecht (b). Obwohl sie sich im Ansatz grundlegend von der ethischen Rechtfertigung unterscheiden, sind ihre Maßstäbe mit dieser verknüpft (c). a)  Notwendigkeit einer europarechtlichen Rechtfertigung? Wie andere Rechtsordnungen in der EU muss das deutsche Privatrecht den europäischen Vorgaben genügen. Dazu gehören in erster Linie die Grundfreiheiten, d. h. die Warenverkehrs-, Niederlassungs-, Dienstleistungs- sowie Kapitalfreiheit.55 Sie garantieren die umfassende Möglichkeit, sich ungehindert in den europäischen Mitgliedsländern zu bewegen und an ihrem wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.56 Hindernisse sind damit nur vereinbar, sofern sie gerechtfertigt sind, etwa wegen des Schutzes der Gesundheit, des Lebens oder der öffentlichen Ordnung nach Art.  30 EGV. Das nationale Vertragsrecht darf daher keine Hürden aufstellen, die unmittelbar oder mittelbar diese Grundfreiheiten beschränken.57 Dieses Verbot um  Art.  14 Abs.  2, 23, 28, 43, 49, 56 EGV.   EuGH, 11.  07.  1974, Rs. C-8/74, Procureur du Roi ./. Benoît u. Dassonville, Rn.  5 ; 29.  11.  2001, Rs. C-17/00, De Coster ./. Collège des bourgmestre et échevins de WatermaelBoitsfort, Slg. 2001, I-9445, Rn.  29; 8.  8.  2005, Rs. C-544/03 u. C-545/03, Mobistar ./. Commune de Fléron sowie Belgacom ./. Commune de Schaerbeek, Slg. 2005, I-7723 Rn.  29; von der Groeben/Schwarze-Müller-Graff, EU-/EG-Vertrag6 , Art.  28 Rn.  1, 7; Calliess/RuffertKingreen 4, Art.  34 AEUV Rn.  9 ff. 57   EuGH, 11.  07.  1974, Rs. C-8/74, Procureur du Roi ./. Benoît u. Dassonville, Rn.  5 ; 13.  3.  1984, Rs. C-16/83, Strafverfahren gegen Prantl, Slg. 1984, I-1299, Rn.  4 ; 24.  11.  1993, Rs. 267/91 und C-268/91, Keck u. Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn.  11, einschränkend Rn.  16; 6.  7.  1995, Rs. 470/93, Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln ./. Mars, Slg. 1995, I-1923, Rn.  13; 13.  10.  1993, Rs. 93/92, CMC Motorradcenter ./. Pelin Baskiciogullari, Slg. 1993, I-50009, Rn.  9, 12; 28.  4.  2009, C-518/06, Kommission ./. Italien, Slg. 2009, I-03491, Rn.  70; Grabitz/Hilf-Leible, EGV37, Art.  28 Rn.  12 ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  68, 227; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 234 f.; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  203. 55

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fasst Ausfuhr- und Einfuhrhindernisse ebenso wie Normen, die dem in der Wirkung gleich kommen. Eine derartige Hürde nimmt der EuGH bei zwingenden Normen des Privatrechts an, da die Parteien ihre Verträge auf sie einrichten müssen.58 Das erfordere „Anpassungen und Kosten“,59 um die in einem Mitgliedsstaat begonnene Geschäftstätigkeit auf einen anderen Mitgliedsstaat zu erstrecken. So erschwerten etwa zwingende Gebührensätze ausländischen Anwälten, sich auf den inländischen Markt zu begeben und sich mit attraktiveren Angeboten einen Mandantenstamm aufzubauen. 60 Das beeinträchtige die Dienstleistungsfreiheit und sei durch den Verbraucherschutz oder andere Belange zu rechtfertigen61. Schränken die Anpassungen an eine Norm und die damit verbundenen Kosten die Grundfreiheiten ein, so rückt auch das abdingbare Recht in deren Kontrollbereich. Aufgrund seiner bereits beschriebenen Durchsetzungskraft ist es ebenfalls nicht kostenneutral und zwingt die Parteien ebenfalls zu einer Anpassung ihrer Tätigkeit. Weder die Möglichkeit zur Abbedingung einer einzelnen Norm62 noch zur Abwahl der anzuwendenden Rechtsordnung vermögen daran etwas zu ändern, 63 sondern diese Wirkung allenfalls zu mildern. Denn sie heben den Einfluss abdingbarer Normen auf die Vertragsverhandlungen ebenso wenig auf wie die Notwendigkeit, bei grenzüberschreitenden Verträgen eine Rechtsordnung zu wählen, mit der eine Partei weniger als die andere vertraut ist. Sie wirken sich im Grundsatz ebenso wie das zwingende Recht auf den Inhalt und die Durchführung eines Vertrages aus. 64 Das zeigt sich besonders deutlich, wenn gleichlautende Vereinbarungen in den einzelnen Mitgliedsländern unterschiedliche Rechtsfolgen hervorbringen, weil das jeweilige dispositive Recht sie auf verschiedene Weise ergänzt. Diese Unterschiede sind insbesondere bei hohen Abbedingungshürden nicht zu vernachlässigen. Sie erschweren damit die 58   EuGH, 30.  4.  1991, Rs. C-239/90, SCP Boscher, Studer et Fromentin ./. SA British Motors Wright, Slg. 1991, I-2023, Rn.  14; 28.  4.  2009, C-518/06, Kommission ./. Italien, Slg. 2009, I-03491, Rn.  70; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  48. 59  28.  4.  2009, C-518/06, Kommission ./. Italien, Slg. 2009, I-03491, Rn.  70. 60   5.  12.  2006, Rs. C-94/04 u. C-202/04, Federico Cipolla v. Rosaria Portolese, Slg. 2006, I-11421, Rn.  58 ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  227. 61   EuGH, 12.  12.  1990, Rs. C-241/89, SARPP ./. Chambre syndicale des raffineurs et conditionneurs de sucre de France, Slg. 1990, I-04695, Rn.  31; 24.  11.  1993, Rs. 267/91 und C268/91, Keck u. Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn.  15 f.; 5.  3.  2009, Rs. C-350/07, Kattner Stahlbau ./. Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, Slg. 2009, I-01513, Rn.  84 (= NJW 2009, 1325, 1331); zu den unterschiedlichen Prüfmaßstäben bei den Grundfreiheiten Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  218 ff. 62   So hingegen Tassikas, aaO., S.  98, 150; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S.  413 f.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S.  4 4 Rn.  91. 63   Siehe aber das obiter dictum in EuGH, 24.  1.  1991, Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique ./. Compagnie de construction mécanique Sulzer, Slg. 1991, I-107, Rn.  15; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S.  419; dagegen Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  26, 92 f.; Möslein, Dispositives Recht, S.  402. 64   Oben 3.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Verwendung europaweit einheitlicher Vertragsbedingungen. Nationales Vertragsrecht bevorzugt indirekt diejenigen, die mit ihm besser vertraut sind. Sie können die Vertragsverhandlungen besser führen. Dass diese Befürchtungen einen realen Hintergrund haben, zeigt eine europaweite Umfrage unter Unternehmern. Von ihnen plädierte eine deutliche Mehrheit für ein einheitliches Vertragsrecht. Anders als nationales Recht ermöglicht es, europaweit gleiche Verträge abzuschließen. 65 Die Kosten der Rechtsvielfalt sind daher spürbar, was allerdings nicht bedeutet, dass sie angesichts der mit ihnen eintretenden Wettbewerbsvorteile und der Anpassung an die Bedürfnisse der Einzelnen nicht zu rechtfertigen wären. Wirtschaftlich ist es kaum ein Unterschied, ob ein Unternehmen für den Verkauf von Waren in einem anderen Mitgliedsstaat Zölle entrichtet oder ob es eine gleiche Summe für die Prüfung seiner Vertragsbedingungen zahlt. All dies spricht dafür, dass abdingbare Normen die Grundfreiheiten beschränken können. 66 Es wäre auch überraschend, wenn sie unabhängig von ihrem jeweiligen Inhalt und der Art der Abbedingungshürde einer Kontrolle entzogen wären, obwohl zahlreiche Übergangsformen zwischen ihnen und den an den Grundfreiheiten zu messenden zwingenden Normen existieren67. Besteht zwischen abdingbaren und zwingenden Normen in der Wirkung kein kategorialer Unterschied, kann auch das Europarecht keinen derartigen Unterschied zwischen ihnen begründen. Immerhin legt es auf die tatsächliche Durchsetzung seiner Normen einen besonderen Wert. 68 Vermag abdingbares Vertragsrecht, die Grundfreiheiten zu beschränken, so stellt sich die weitere Frage, ob dies aufgrund der mit ihm einhergehenden Abbedingungslast stets der Fall ist. Dagegen spricht, dass diese Freiheiten nicht die allgemeine Handlungsfreiheit umfassen. 69 Deshalb bedarf nicht jegliche Frei65   Vgl. Bundesverband deutscher Banken, Ergänzende Stellungnahme zum Grünbuch „Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz“, S.  2; Vogenauer/ Weatherill, JZ 2005, 870, 877; Leible, NJW 2008, 2558, 2561. 66   Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  79; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 237; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  161, 176 ff.; Hesselink, 1 ERCL 44, 75 (2005). A. A. Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S.  128 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  98 f.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, S.  195: das Vertragsrecht sei eine bloße Verkaufsmodalität, die nach der Keck-Rechtsprechung (oben Fn.  57) die Grundfreiheiten nicht beeinträchtige; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S.  414 f.; Grundmann, JZ 2005, 860, 861; Ackermann, in: Furrer, Europäisches Privatrecht im wissenschaftlichen Diskurs, S.  417, 418. 67   Oben 1.F. 68   EuGH, 6. Oktober 1970, Franz Grad v. Finanzamt Traunstein, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn.  5 ; 4. Dezember 1974, Yvonne von Duyn v. Home Office, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Rn.  12; 21. Januar 1993, Advanced Nuclear Fuels GmbH v. Kommission, Rs. C-308/90, Slg. 1993, I00309, Rn.  21; Calliess/Ruffert-Wegener, EU-/EGV4, Art.  19 Rn.  15. 69   von der Groeben/Schwarze-Müller-Graff, EU-/EG-Vertrag6 , Art.  28 Rn.  7 f.; Grabitz/ Hilf-Leible, EGV37, Art.  28 Rn.  5. Der EuGH deutete in seinem Urteil vom 21.  05.  1987, Rs. C-133/85, Rau Lebensmittelwerke ./. Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung,

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heitsbeeinträchtigung einer europarechtlichen Legitimation. Darin unterscheiden sich die Grundfreiheiten von der umfassenden Freiheitsgarantie des Art.  2 Abs.  1 GG.70 Sie schützen lediglich die Möglichkeit, über nationale Grenzen hinweg Verträge zu schließen und sich in anderen europäischen Ländern niederzulassen. Gleicht sich das abdingbare Recht in den einzelnen Mitgliedsstaaten,71 sind die Grundfreiheiten nicht beeinträchtigt. Das gilt umso mehr, als nur zwingende Normen als Alternative zur Verfügung stehen und abdingbare Normen insoweit unvermeidbar sind.72 Allenfalls vermögen daher Unterschiede im abdingbaren Recht der Mitgliedsstaaten, die Grundfreiheiten zu beschränken. Selbst diese Unterschiede beeinträchtigen die Grundfreiheiten nicht in jedem Fall.73 Denn die Einzelnen können sich auf die jeweilige Rechtsordnung einstellen, so wie sie sich ohnehin an die vielfältigen kulturellen, sprachlichen und geographischen Gegebenheiten der Gebiete anpassen müssen, in denen sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Das Europarecht gebietet keine Uniformität, sondern die Möglichkeit, diese Vielfalt unabhängig von den nationalen Grenzen und der eigenen Herkunft wahrzunehmen. Die Abdingbarkeit einer Norm allein schränkt sie nicht ein. Denn sie erweitert zunächst nur die Freiheit der Adressaten.74 Belastend wirkt abdingbares Recht allerdings, wenn seine Abbedingungshürde erheblich wird. Sie lässt sich Stück für Stück einer zwingenden Norm angleichen. Deshalb hemmt sie ab einem bestimmten Punkt den freien Verkehr von Personen, Waren und Dienstleistungen. Dazu kommt es etwa, wenn die Umstellung auf das abdingbare Recht aufgrund nationaler Besonderheiten so schwer fällt, dass Ausländer ohne vertiefte Landeskenntnis daran trotz gehöriger Anstrengung regelmäßig scheitern.75 Im Allgemeinen jedoch schränken abdingbare Normen die Grundfreiheiten nicht ein. Der EuGH hat abdingbare vertragsrechtliche Normen daher bisher kaum kontrolliert. Das hat er unter anderem auf das Argument gestützt, dass abdingbare Normen unterschiedslos für alle dem nationalen Recht unterliegenden Handelsbeziehungen gelten und

Slg. 1987, I-2289, Rn.  15 lediglich an, dass die allgemeine Handlungsfreiheit zu den Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft zählt; Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S.  130. Zum Vergleich zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S.  109 ff. mwN. 70   Sogleich 4.A.2.b). 71   Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.  482 f. (am Beispiel des Erfüllungsanspruchs). Nur deshalb kann die Rechtsvergleichung die Vermutung der Gleichheit (praesumptio similitudinis) anwenden, Hesselink, in: ders./de Vries, Principles of European Contract Law, pp.  7, 30. 72   Oben 1.D.1. 73   Vgl. EuGH, 10. Mai 1995, Alpine Investments, C-384/93, Slg. 1995, I-1141, Rn.  27; 28.  4.  2009, C-518/06, Kommission ./. Italien, Slg. 2009, I-03491, Rn.  63. 74   Oben 1.C.1. 75   Zu dieser Forderung im Einzelnen unten 4.D.2.b).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

„weder den Zweck noch die Wirkung [haben], speziell die Ausfuhrströme zu beschränken“76 . Dieses Argument belegt, dass abdingbares Recht die Grundfreiheiten in der Regel nicht beschränkt. Allerdings lässt sich dies nicht bereits dadurch begründen, dass es für in- und ausländische Parteien gleichermaßen gilt. Das hält den EuGH auch bei der Beurteilung zwingenden Rechts nicht von der Feststellung einer Beschränkung ab.77 Überdies zeigt das Argument, dass eine Benachteiligung nicht bereits in der Unterschiedlichkeit der nationalen Vertragsrechte liegt. Nachzuweisen ist eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten. Dafür genügt nicht die abstrakte Möglichkeit von Wettbewerbsverzerrungen und höheren Kosten, um sich auf die verschiedenen Rechtsordnungen einzustellen.78 Ansonsten wäre die vom EG-Vertrag vorausgesetzte Pluralität der nationalen Rechtsordnungen unzulässig 79 und das gesamte Recht der Mitgliedsstaaten anzugleichen. Das würde dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung80 widersprechen. Für eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten erforderlich ist vielmehr der Nachweis, dass von einer bestimmten Norm eine besondere Behinderung ausgeht. Dieser Nachweis fällt bei abdingbaren Normen schwerer als beim zwingenden Recht. Denn im Vergleich zu ihm erleichtern diese die europäische Integration. Sie ermöglichen den europaweiten Abschluss von Verträgen nach einem einheitlichen Muster. Dafür genügt es, dass die Parteien die für sie maßgeb76   EuGH, 24.  1.  1991, Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique ./. Compagnie de construction mécanique Sulzer, Slg. 1991, I-107, Rn.  15; siehe auch EuGH, 13.  10.  1993, Rs. C-93/92, CMC Motorradcenter ./. Pelin Baskiciogullari, Slg. 1993, I-50009, Rn.  12, wonach die beschränkende Wirkung einer Aufklärungspflicht zu ungewiss und zu mittelbar sei. 77   EuGH, 15.  12.  1982, Rs. C-286/81, Strafverfahren gegen Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij BV, Slg. 1982, I- 4575, Rn.  15; 12.  12.  1990, Rs. C-241/89, SARPP ./. Chambre syndicale des raffineurs et conditionneurs de sucre de France, Slg. 1990, I-04695, Rn.  31; 18.  5.  1993, C-126/91, Rn.  10, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft ./. Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, Rn.  10 mwN. 78   Siehe aber Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999, Erwägung 3: „Die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten weisen Unterschiede auf; dies hat zur Folge, dass die einzelstaatlichen Absatzmärkte für Verbrauchsgüter uneinheitlich sind und bei den Verkäufern Wettbewerbsverzerrungen eintreten können“. 79   Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S.  128, der daraus den Schluss zieht, abdingbares Recht greife nicht in die Grundfreiheiten ein. Zum Teil wird daher die Spürbarkeit einer Beschränkung gefordert, Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 234; so auch bei Wettbewerbsverzerrungen EuGH 18.  3.  1980, C-91/79, Kommission der EG ./. Italienische Republik, Slg. 1980, I-1099, Rn.  8 ; 5.  10.  2000, Rs. Bundesrepublik Deutschland ./. Europäisches Parlament und Rat der EU (Tabakwerbung), Slg. 2000, I-08419, Rn.  106 ff. Ablehnend für die Grundfreiheiten hingegen EuGH, 13.  3.  1984, Rs. C-16/83, Strafverfahren gegen Prantl, Slg. 1984, I-1299, Rn.  4 ; Grabitz/Hilf-Leible, EGV37, Art.  28 Rn.  15; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.  233 f.; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  279 mwN., der jedoch für das ähnliche Kriterium der substantiierten Behinderung plädiert, aaO., S.  284. 80   Art.  5 Abs.  1 EGV; dazu von der Groeben/Schwarze-Zuleeg, EU-/EG-Vertrag6 , Art.  5 Rn.  6 ; Calliess/Ruffert-Wichard, EU-/EGV4, Art.  5 Rn.  6 ff.

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lichen Rechte und Pflichten bestimmen. Sie können dann darauf vertrauen, entgegenstehende Normen zu verdrängen, und sich mit der Regelung der für sie zentralen Fragen begnügen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen mitgliedsstaatlichen Privatrechten beschränken die Grundfreiheiten daher nicht ohne weiteres. Etwas anderes gilt jedoch für Unterschiede im zwingenden nationalen Vertragsrecht. Sie hemmen den grenzüberschreitenden Handel, da sich die Beteiligten auf sie in jedem Fall einlassen und ihre Verträge anpassen müssen. 81 Je weniger zwingende Normen die nationalen Vertragsrechte prägen, desto geringer ist damit die Notwendigkeit zu ihrer Vereinheitlichung. Dies hat den paradoxen Effekt, dass sich der europäische Gesetzgeber einen Harmonisierungsbedarf selbst schaffen kann. Wenn er nämlich in einem ersten Schritt die Nationalstaaten dazu verpflichtet, seine Vorgaben mittels zwingender Normen umzusetzen82 und ihnen dabei einen gewissen Spielraum lässt, entsteht eine durch abdingbare Verträge nicht mehr zu überwindende Vielfalt zwingender Normen. 83 Umso leichter fällt dann in einem zweiten Schritt die Behauptung, es sei ein einheitliches europäisches Recht erforderlich, 84 um die mit dieser Vielfalt einhergehende Behinderung der Grundfreiheiten zu beseitigen. So begründet die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer „vollharmonisierten“ Verbraucherschutzrichtlinie mit dem Verweis auf die Rechtszersplitterung, die in der Umsetzung der vorherigen Richtlinien zum Verbraucherrecht entstanden sei. 85 Dass sie diese Richtlinien selbst initiiert hatte und die Hindernisse nicht eingetreten wären, wenn sie es beim ursprünglich weitge  Oben Fn.  58.   Etwa Art.  14 Abs.  1 der Verbraucherkreditrichtlinie 87/102 vom 22. Dezember 1986; Art.  6 Abs.  1 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993; Art.  7 Abs.  1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999. Entsprechend konstatiert Grundmann, JZ 2005, 860, 864, Europarecht lasse „die eigentliche [vertragliche] Gestaltungsfreiheit“ außer Betracht. 83   In Umfragen unter Unternehmern wurde die widersprüchliche Umsetzung der EURichtlinien auf nationaler Ebene als zweithäufigstes Problem genannt (14%), Popham/Smyth/Eichhorn, The Clifford Chance Survey 2006 – Business and EU Regulation, p.  6 , sowie als den Binnenhandel hemmender Faktor, Popham/Plews, The Clifford Chance Survey on European Contract Law, p.  3, 11. Demgegenüber meint Lurger, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen, Private Law and the Many Cultures of Europe, p.  177, 186: „the EC has always displayed a certain bias towards market freedom, ordo-liberal and similar market-making concepts“. 84   Etwa Kommission, Modified Proposal for a Directive On Credit Agreements, 2002/ 0222(COD), Com(2005) 483 final, p.  3: „As the relevant provisions are mostly mandatory nature, these differences in national legislation constitute obstacles to the internal market.  .  .“; Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council On the Harmonisation of the Laws, Regulations and Administrative Provisions of the Member States Concerning Credit for Consumers, COM(2002) 443 final, 2.2.: „Member States have adopted .  .  . provisions that are more detailed, more precise and more stringent than those contained in the directive. These differences will probably make it more difficult to conclude cross-border agreements .  .  .“ 85   Kommission, KOM(2008)614 endg, S.  2. Noch weitergehend der Vorschlag, generell Richtlinien durch Verordnungen zu ersetzen. 81

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hend abdingbaren Recht belassen hätte, verschwieg sie. Der Regelungsbedarf war damit selbst geschaffen. Ein europäischer Auftrag zur Setzung zwingender Normen schränkt somit nicht nur die Vertragsfreiheit ein, sondern kann auch eine spätere Beschränkung mitgliedsstaatlicher Kompetenzen einleiten. Bei der Vereinheitlichung86 des abdingbaren Vertragsrechts ist zudem der Verlust in der Vielfalt unterschiedlicher Regelungen zu berücksichtigen. Diese mögen trotz ihrer Abdingbarkeit den freien Personal- und Warenverkehr zwar auf den ersten Blick erschweren. Zugleich aber erleichtern sie es den Parteien gerade im grenzüberschreitenden Verkehr, ein für sie passendes Vertragsrecht zu wählen. Aufschlussreich ist dafür die bereits zitierte Untersuchung, in der sich eine Mehrheit der Befragten für ein einheitliches europäisches Vertragsrecht aussprach. 87 Denn bei dieser gab eine Mehrheit zugleich an, dass die Möglichkeit zur Wahl des anwendbaren Rechts wichtig sei und die dabei bestehende Vielfalt ein Vorteil. 88 So sinnvoll daher ein einheitliches Vertragsrecht auf den ersten Blick ist, so wichtig ist die Vielfalt unterschiedlicher Regelungen. Sie ermöglicht einen Wettbewerb, in dem verschiedene Normen miteinander konkurrieren. Kombinieren lässt sich beides, indem ein einheitliches Vertragsrecht als bedingbares Recht bereit steht, 89 das bereits bestehende Recht aber nicht verdrängt. Die Vorteile einer Vereinheitlichung90 müssen den Verlust an unterschiedlichen Normen, Begriffen und Lösungen91 deshalb nicht aufwiegen. Zurückhaltung in einer auf Zwang beruhenden europäischen Vereinheitlichung abdingbaren Rechts ist umso mehr geboten, als sie in die Vertragsfreiheit eingreift92 und sich in einem grundrechtssensiblen Raum bewegt. Er unterliegt aufgrund seiner fundamentalen Bedeutung einer Integrationsschranke.93 Eine vollständi86   Derzeit beabsichtigt die Kommission nicht, ein Europäisches Zivilgesetzbuch zu schaffen, siehe Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM(2004)651 endg, S.  9 ; Zweiter Fortschrittsbericht zum Gemeinsamen Referenzrahmen, KOM(2007)447 endg, S.  13; zu den verschiedenen Möglichkeiten Möslein, Legal Innovation in European Contract Law, pp.  3. 87   Oben Fn.  83. 88   83% bzw. 61% der Befragten, Popham/Plews, The Clifford Chance Survey on Euro­ pean Contract Law, p.  16–17. 89   Dazu bereits oben 1.B.4, Fn.  172. Dem entspricht, dass 83% der befragten Unternehmen für ein einheitliches europäisches Vertragsrecht plädierten und 82% angaben, es nutzen zu wollen, und sich nur 30% dafür aussprachen, es solle das nationale Recht ersetzen, Popham/ Plews, The Clifford Chance Survey on European Contract Law, p.  4, 13, 19. Ebenfalls meinten nur 20%, es solle für grenzüberschreitende Verträge zwingend gelten, ib., 21. 90   von Bar/Swann, 11 European Review of Private Law 595, 605–606 (2003); zur Kritik Legrand, 60 Modern Law Review 44 (1997). 91   Dazu Kerber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S.  73 ff. 92   Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM(2004)651 endg, S.  19; siehe auch unten 4.A.2.b). 93   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2273 f. (= BVerfGE 123, 267, 355).

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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ge Vorgabe abdingbaren Rechts würde die gewachsenen kulturellen Unterschiede in einem Ausmaß einebnen, dass Grenzen der nationalstaatlichen Souveränität überschritten wären. b)  Die Notwendigkeit zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Die Vertragsfreiheit ist Teil der in Art.  2 Abs.  1 GG garantierten Handlungsfreiheit und damit umfassend geschützt.94 Sie beinhaltet die Möglichkeit, frei darüber zu bestimmen, ob, mit wem und mit welchem Inhalt man eine rechtsverbindliche Vereinbarung trifft. Dies ermöglicht den Einzelnen, ihre Interessen zu verwirklichen, voneinander abzugrenzen und gemeinsame Projekte einzugehen.95 Auf diese Weise können sie ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten.96 Der Abschluss von Verträgen ist dafür eines der wesentlichen Mittel.97 Da die Handlungsfreiheit unter einem umfassenden Schutz steht,98 ist jede ihrer Beschränkungen zu rechtfertigen. Sie schützt daher auch vor Belastungen, die das Recht den Parteien abdingbar vorgibt. Das gilt unabhängig davon, ob 94   BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG, NJW 1961, 1395 (= BVerfGE 12, 341, 347); 1987, 827, 828 (= BVerfGE 73, 261, 270); 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 231); 2005, 2363, 2365 (= BVerfGE 114, 1, 34); 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181); 2010, 3422, 3423; Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  101; v. Mangoldt/Klein/Starck 6 , Art.  2 Abs.  1 Rn.  145; Sachs5-Murswiek, Art.  2 Rn.  55a; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  300; Flume, AT, 2. Bd., S.  1; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  21; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  26 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  3; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S.  287 ff.; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  165; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  18 f.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  74; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  70 ff., 81; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S.  22; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 14; ablehnend Bleckmann, JZ 1988, 57, 59. Art.  152 S.  1 WRV erwähnte sie noch ausdrücklich; §  105 S.  1 GewO nennt sie für das Arbeitsverhältnis. Zum Teil wird sie auch in Einzelgrundrechten wie Art.  12 GG verankert, BVerfG, NJW 2010, 3422, 3423, oder als „terminologisches Substrat verschiedener grundrechtlicher Gewährleistungen begriffen“, Höfling, Vertragsfreiheit, S.  9 ; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S.  135. Zur Verankerung im Europarecht 28.  4.  2009, C-518/06, Kommission ./. Italien, Slg. 2009, I-03491, Rn.  66; Commission on European Contract Law, Principles of European Contract Law, 1:102, p.  99 mwN.  Sie liegt bereits Corpus Iuris Civilis, D.2.14.1, Ulpian zugrunde. 95   Der Kern dieser Freiheit ist in der Menschenwürde verankert, BVerfG, NJW 1979, 595 (= BVerfGE 49, 286, 298); 2006, 596, 598; vgl. auch BAG, NJW 2008, 780, 781 (= BAGE 123, 98, 105 f.). 96   Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  8 0; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  10; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  212. 97   Vgl. BVerfG, NJW 2001, 957, 958 (= BVerfGE 103, 89, 100 f.); 2005, 2363, 2365 (= BVerf­ GE 114, 1, 113); MMR 2007, 93. 98   BVerfG, NJW 1957, 297 (= BVerfGE 6, 32, 36 f.); 1989, 2525 (= BVerfGE 80, 137, 152): „Geschützt ist .  .  . jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt.“; 1995, 649 (= BVerfGE 91, 335, 338); 2008, 3698; Maunz/Dürig60 -Di Fabio, Art.  2 Rn.  13, 102; BeckOK-GG11-Lang, Art.  2 Rn.  2; Sachs, Verfassungsrecht II, S.  184, B2 Rn.  23; für engere Auffassung Sondervotum

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

abdingbare Normen nach Wirkung und Ziel einem zwingenden Eingriff gleichkommen.99 Jede vertragsrechtliche Norm greift aufgrund der mit ihr einhergehenden Abbedingungslast zumindest minimal in die Freiheit der Parteien ein,100 was aufgrund der Selbstverständlichkeit dieser Normen allerdings vielfach bestritten wird101. Sie begrenzt die Freiheit, von vertraglichen Pflichten verschont zu bleiben,102 und beeinflusst damit die Verhandlungen. Diesen Eingriff gilt es ebenso zu rechtfertigen wie jede andere Freiheitsbeschränkung. Er erlegt den Parteien unmittelbar eine Verpflichtung auf, die sie nur durch Abbedingung vermeiden können. Das unterscheidet den Eingriff durch abdingbares Recht von mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigungen, die erst ab einer bestimmten Erheblichkeitsschwelle als Freiheitsbeschränkung angesehen werden.103 Der Eingriff durch eine abdingbare Norm ist selbst dann noch spürbar, wenn die Parteien sie kennen104 und abbedingen. Denn auch das verursacht einen Aufwand. Der mit ihr verbundene Grundrechtseingriff ist unausweichlich.

Grimm NJW 1989, 2528, 2529 (= BVerfGE 80, 137, 164, 170); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S.  184, Rn.  427. 99   So das für die Berufsfreiheit angewandte Kriterium BVerfG, NJW 2007, 2098, 2100 (= BVerfGE 118, 1, 20). Zum Grundrechtseingriff durch zwingendes Recht siehe BVerfG, NJW 1993, 2861 (= BVerfGE 88, 145, 159); 2001, 1709 (= BVerfGE 103, 197, 215); 2007, 2098, 2099 (= BVerfGE 118, 1, 18); Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  102; Schapp, Über Freiheit und Recht, S.  26. 100   Höfling, Vertragsfreiheit, S.  34 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 213 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 47; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  132; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  97; ders., Europäisches Vertragsrecht, S.  43; differenzierend nach dem Willen der Parteien: Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, S.  68. Siehe auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM(2004)651 endg, S.  19. 101   Flume, AT, Bd.  2, S.  18 f.; Larenz, NJW 1963, 737, 738; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  294, wonach eine „nach objektiven Maßstäben gerechten Interessenausgleichs“ erfolgende Ergänzung einer Vereinbarung kein Eingriff in die Gestaltungsfreiheit sei; Bydlinski, Privatautonomie, S.  127; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, S.  49, Rn.  193; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  228, 233 wegen der „Bereitschaft, sich auf ein gesetzliches Vertragsfolgenrecht einzulassen“; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  85; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  111, 112; Schapp, Über Freiheit und Recht, S.  27: das Privatrecht wirke „ausgestaltend, nicht einschränkend auf den Bereich der Privatautonomie“; Epping, Grundrechte, S.  150, Rn.  352; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S.  137: „selbst wenn sie theoretisch denkbare Möglichkeiten freier Rechtsgestaltung begrenzen“; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S.  499 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S.  411. Siehe auch Endicott, in: Horder, Oxford Essays in Jurisprudence, fourth series, p.  170: „Imposing obligations that the parties did not agree to is not necessarily contrary to freedom of contract.“; Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 515 (1989); ders., in: Benson, The Theory of Contract Law, p.  43. 102   Oben 1.B.2, Fn.  146. 103   BVerwG, NJW 1985, 2774, 2776 (= BVerwGE 71, 183, 192); Sachs, Verfassungsrecht II, S.  184, B2 Rn.  23; Maunz/Dürig60 -Di Fabio, Art.  2 Rn.  49. 104   Anders Cremer, Freiheitsgrundrechte, S.  497.

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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Dieser Charakterisierung abdingbaren Rechts widerspricht nicht, dass das Vertragsrecht zwischen Privaten gilt, die nicht an die Grundrechte gebundenen sind.105 Denn der Eingriff in die Vertragsfreiheit knüpft nicht an eine von den Privaten ausgehende Belastung an, sondern an eine durch den Gesetzgeber oder den Richter aufgestellte und insoweit staatliche Norm. Sie hat daher die Grundrechte zu beachten.106 Zwar korrespondiert der mit ihr einhergehenden Pflicht ein Recht des Vertragspartners. Dies hebt die Freiheitsbeschränkung jedoch nicht auf. Es bleibt eine vom Gesetzgeber oder Richter ausgehende Belastung mindestens einer der Parteien. Aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob der Staat zur Vorgabe abdingbaren Rechts verpflichtet ist,107 bei der Ausgestaltung des Privatrechts Schutzpflichten wahrnimmt,108 die Privaten davon profitieren und sonst außerstande wären, verlässliche Verträge zu schließen. Denn der Eingriff in die Vertragsfreiheit bleibt unabhängig davon bestehen, ob eine Norm ihren Adressaten nutzt oder schadet und der Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet ist. Bereits minimale Beeinträchtigungen der Rechtsstellung genügen für einen Eingriff in die umfassend verstandene Handlungsfreiheit,109 aus welchen Gründen er auch immer erfolgt und an welchen Maßstäben er auch immer zu messen ist. Abdingbares Vertragsrecht ist vor diesem Hintergrund nicht Ausdruck von Autonomie, sondern von Heteronomie.110 Es ist der Gesetzgeber, der die abdingbaren Vorgaben aufstellt und nicht die Parteien. Er kann und muss dabei zwar ihren Willen respektieren.111 Aber allein deshalb wird aus seiner Entschei105   Zur nur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte BVerfG, NJW 1958, 257 (= BVerfGE 7, 198, 205); 1964, 1715 (= BVerfGE 18, 85, 92); 1987, 827 (= BVerfGE 73, 261, 271 ff.); 2006, 596; Maunz/Dürig53-Herdegen, Art.  1 Rn.  99; Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  105–109; Sachs5-Murswiek, Art.  2 Rn.  37 f.; BeckOK-GG11-Kischel, Art.  3 Rn.  84 f.; Flume, FS DJT, S.  135, 140 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 210 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 7 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 199 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.  13 ff., 61 ff.; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.  52 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S.  415 ff.; Epping, Grundrechte, S.  139 ff., Rn.  329 ff.; zur früher vertretenen Ansicht einer unmittelbaren Drittwirkung Enneccerus/Nipperdey, AT, §  15, S.  93 ff. 106   BVerfG, NJW 1991, 1692 (= BVerfGE 84, 9, 18); Medicus, AcP 192 (1992), 35, 47; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.  96; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  218. 107   BVerfG, NJW 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 232); Flume, AT, Bd.  2, S.  18; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  215 ff.; Mager, Einrichtungsgarantien, S.  213. 108   BVerfG, NJW 1991, 1667 (= BVerfGE 84, 133, 146 f.); NZA 1998, 470, 471 (= BVerfGE 97, 169, 175); NZA 2006, 913 für den Kündigungsschutz; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S.  500. 109   BVerfG, NJW 1989, 2525 (= BVerfGE 80, 137, 152); oben Fn.  98. Auf die für faktische Beeinträchtigungen bisweilen geforderte Erheblichkeitsschwelle, etwa Sachs, Verfassungsrecht II, S.  184, B2 Rn.  23; BeckOK-GG11-Lang, Art.  2 Rn.  23, kommt es nicht an, da die Beeinträchtigung bei abdingbarem Recht durch eine Norm erfolgt. 110   Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  101, S.  69; oben 4.A.1.d), Fn.  35. 111   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 254); 2001, 957, 958 (= BVerfGE

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

dung nicht die der betroffenen Parteien. Besonders klar steht der Freiheitseingriff bei hohen Hürden einer Abbedingung vor Augen, etwa wenn sie eine ausführliche Belehrung voraussetzt. Derartige Anforderungen greifen zumindest insoweit in die Vertragsfreiheit ein, wie sie faktisch einen zwingenden Charakter annehmen.112 Kann man vorgegebene Normen etwa nur abbedingen, wenn man dies notariell beurkundet, so schließt das aufgrund der damit verbundenen Kosten eine Abbedingung vielfach aus. Die Bewertung als Eingriff gilt in geringerem Maße auch für die übrigen abdingbaren Normen. Auch bei ihnen ist eine Abbedingungshürde zu überwinden. Zwischen den leicht und den nur schwer abdingbaren Normen besteht kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied. Aufgrund der stets vorhandenen Abbedingungslast erfolgt mit jeder abdingbaren Norm ein Eingriff in die Vertragsfreiheit.113 Gegen die Einordnung abdingbarer Normen als Grundrechtseingriffe spricht auch nicht, dass der Gesetzgeber sie vielfach am hypothetischen Willen der Betroffenen ausrichtet. Denn abgesehen davon, dass dies zweifelhaft ist,114 scheitert dieses Ziel zumindest in einigen Fällen. Es ist gerade im Vertragsrecht unmöglich, eine abstrakte Regel vorzugeben, die in allen nur denkbaren Situationen den Vorstellungen der Parteien entspricht. Eine Typisierung ist unumgänglich. Das aber bedeutet, dass die abdingbare Vorgabe zumindest diejenigen beeinträchtigt, deren Interessen sie widerspricht. Dafür ist unerheblich, wie gut der Eingriff begründet ist und wie viele andere Personen mit ihm einverstanden sind. Für die Einordnung als Eingriff genügt, dass er den Interessen einer einzelnen Person zuwider läuft. Diese Möglichkeit prägt die Vorgabe des gesamten abdingbaren Rechts. Der durch abdingbare Normen erfolgende Grundrechtseingriff lässt sich ferner nicht mit dem Argument bestreiten, dass ein Vertragsschluss die Zustimmung der Parteien voraussetzt und sie daher die mit ihnen einhergehenden Pflichten freiwillig auf sich nehmen. Denn erstens ist die Zustimmung zur unüberschaubaren Zahl abdingbarer Normen eine Fiktion.115 Mit ihr ließe sich jeder beliebige Inhalt abdingbarer Normen rechtfertigen.116 Den Parteien fehlt überdies die Möglichkeit, ihre Verträge außerhalb der vorgegebenen Rechtsordnung zu schließen. Zweitens verkennt dieses Argument die Wirkung abding103, 89, 100); MMR 2007, 93; BGH, NJW 2007, 912, 912; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  207. 112   Zu diesen Übergangsformen siehe oben 1.F. 113   Epping, Grundrechte, S.  240, Rn.  544; einschränkend BeckOK-GG11-Lang, Art.  2 Rn.  23. Zur umfassenden Handlungsfreiheit oben Fn.  94. 114   Oben 2.A.3.c). 115   Oben 1.B.3, Fn.  166. Verwandt damit ist die Vorstellung, man würde allen Gesetzen zustimmen, indem man sich entschließt, in einem bestimmten Staat zu leben, etwa Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, S.  14. 116   Coleman/Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 646 (1989): „If this argument works at all, it works too well.“

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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baren Rechts: Es prägt keinesfalls nur den Vertragsinhalt, sondern bereits die Vertragsverhandlungen.117 Die dabei bestehende Abbedingungslast ist zu rechtfertigen, da die Parteien ihr durch den Vertragsschluss nicht zustimmen. Das gilt selbst noch für die Wahl des anwendbaren Rechts. Unterlassen die Parteien sie, sind sie auf die ihnen durch das Internationale Privatrecht vorgegebene Rechtsordnung angewiesen.118 Verlangt man nach alldem eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für abdingbares Vertragsrecht, so lässt sich die Abbedingungsmöglichkeit gleichwohl als Argument für seine Legitimität anführen. Denn durch sie erfolgt der Eingriff im Vergleich zu zwingenden Normen auf eine mildere Art und Weise. Daran zeigt sich einmal mehr der ambivalenter Charakter des Vertragsrechts.119 Es schränkt den Einzelnen ein, verschafft ihm aber zugleich eine Handlungsoption. Beide Aspekte sind für seine Funktion zentral. Das verdeutlicht auch seine Behandlung durch das Bundesverfassungsgericht. Die abdingbaren Gebührenordnungen für Zahnärzte etwa sieht es einerseits als einen Eingriff in die Vertragsfreiheit an, hält ihn aber andererseits wegen der Möglichkeit zu einer abweichenden Vereinbarung für gerechtfertigt.120 Der durch abdingbare Normen erfolgende Eingriff legt auf den ersten Blick nahe, das gesamte Vertragsrecht als grundrechtlich bestimmt anzusehen. Das begründet die Gefahr, seine Dogmatik durch eine am Einzelfall orientierte Abwägung von Grundrechten aufzulösen.121 Indes verwirklicht sich diese Gefahr erst, wenn man es auf einer derartigen Abwägung von Grundrechten aufbaut. Das ist weder möglich noch erstrebenswert. Der Gesetzgeber und die das Privatrecht entwickelnden Gerichte haben eine Typisierungs- und Gestaltungsfreiheit, die verschiedenen privaten Interessen voneinander abzugrenzen.122 Dafür ist die Entwicklung einer Dogmatik unverzichtbar, die konkreter als die grundrechtlichen Vorgaben ist. Die Verfassung bestimmt nicht die einzelnen vertraglichen Normen. Die mit ihnen einhergehende Abbedingungslast lässt sich meist schon mit der Handlungsoption rechtfertigen, dank derer die Parteien einen Vertrag ohne Verhandlung der diesen Normen zugrunde liegenden Frage schließen können.   Oben 3.A.   Art.  4 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I); vgl. Coleman/ Heckathorn/Mase, 12 Harvard Journal of Law & Public Policy 639, 646 (1989). 119   Oben 1.C. 120   BVerfG, NJW 2005, 1036, 1037. Ähnlich BVerfG, NJW 2007, 2098, 2099 (= BVerfGE 118, 1, 16) (anwaltliche Mindesthonorare) sowie BVerfG, NJW 1997, 2746 (Fortsetzung des Mietvertrages mit dem Erben). 121   Zu diesen Gefahren Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 19 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 227 ff., 254 ff. 122   BVerfG, NJW 1985, 1455, 1457 (= BVerfGE 67, 329, 347); 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 255); 1990, 2246, 2248; 1999, 3399, 3401; 2009, 48, 50; NZA 2005, 153, 155; Esser/ Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  9 ; Bryde, Verfassungsentwicklung, S.  321; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  88. 117 118

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Aus der materiellrechtlichen Bewertung abdingbarer Normen als Grundrechtseingriffe folgen keine unmittelbaren prozessualen Konsequenzen. Insbesondere verlangt sie keine volle Kontrolle privatrechtlicher Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht. Denn insoweit steht den ordentlichen Gerichten ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der nur begrenzt kontrollierbar ist.123 Daher hat die Einordnung abdingbaren Rechts als Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht die Konsequenz, dass das Bundesverfassungsgericht zum obersten Zivilgericht aufsteigt.124 Soll dem BGH eine von Art.  95 Abs.  1 GG vorgesehene eigenständige Funktion verbleiben, darf das Bundesverfassungsgericht die mit abdingbarem Recht einhergehenden Eingriffe nur überprüfen, wenn diese ein erhebliches Gewicht haben und ihre Ausgestaltung offensichtlich unangemessen ist. c)  Die Maßstäbe der Rechtfertigung Die rechtliche Legitimation abdingbarer Normen unterscheidet sich grundlegend von der rechtsethischen. Während die erste eine Frage des positiven Rechts ist, erfolgt die letzte unabhängig von diesem.125 Gleichwohl sind beide miteinander verknüpft. Die grundgesetzliche Rechtfertigung eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit erfolgt vielfach aufgrund von Erwägungen, die auch für seine rechtsethische Rechtfertigung eine Rolle spielen. Das ist kein Zufall. Denn das Grundgesetz stellt für das Privatrecht nur sehr begrenzte und in den Einzelheiten unbestimmte Vorgaben auf,126 so dass ein Rückgriff auf rechtsethische Erwägungen unvermeidbar wird. Diese sind umso eher begründet, je besser sie sich auf die Rechtsethik stützen lassen. Das beseitigt die Unterschiede zwischen beiden Arten der Rechtfertigung zwar nicht vollständig. Die rechtlichen Erwägungen müssen anders als die rechtsethischen die Vorgaben des Grundgesetzes beachten. Gleichwohl sind die rechtlichen und rechtsethischen Erwägungen vielfach miteinander verbunden. Diese Verknüpfung beruht auf mehreren Gründen. Erstens muss jeder Eingriff in die Vertragsfreiheit verhältnismäßig sein,127 und zwar unabhängig da123   Stellvertretend BVerfG, NJW 1964, 1715, 1716 (= BVerfGE 18, 85, 92); 1987, 827 (= BVerfGE 73, 261, 269); 2004, 591, 592; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 60; zu den dabei wechselnden Kriterien Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  162 ff. 124   So die Kritik von Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff. 125   Zur Unterscheidung von der Pfordten, Rechtsethik, S.  107 ff.; die Verkennung dieses Unterschieds wirft Patterson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 235, 238– 241, 269 (1993) der in den USA geführten Debatte um default rules vor, dazu oben 2.C. 126   Etwa in Art.  9 Abs.  3 GG. Zur mittelbaren Drittwirkung oben 4.A.2.b), Fn.  105. 127   BVerfG, NJW 1984, 476, 478 (= BVerfGE 65, 196, 215); 2001, 1709, 1711 (= BVerfGE 103, 197, 221); 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181); 2009, 2037, 2039; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 209; ders., JZ 1987, 993, 995; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  238, 449 ff.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken,

A.  Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung

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von, ob er mit Mitteln des öffentlichen oder des privaten Rechts erfolgt. Neben der Eignung des Eingriffs gilt es daher zu untersuchen, ob es ein milderes Mittel gibt und ob die mit ihm verfolgten Ziele die eintretenden Nachteile aufwiegen. Deshalb ist das Gewicht der jeweils betroffenen Interessen zu bestimmen. Dieses wiederum ist positivrechtlich kaum vorgegeben, sondern nur aufgrund zusätzlicher Erwägungen bestimmbar. Ein Rückgriff auf rechtsethische Gründe wird damit unentbehrlich. Überdies spielen die für das Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelten Grundsätze auch auf rechtsethischer Ebene eine Rolle. Denn sie fußen letztlich auf der Achtung vor der Freiheit der Einzelnen. Diese soll, so weit es geht, gewahrt und durch keine unnötige Last eingeschränkt werden. Lässt sich verfassungsrechtlich etwa ein Vorrang abdingbarer Normen vor den zwingenden Normen feststellen,128 wird eine an der Freiheit der Einzelnen orientierte Rechtsethik kaum zu einem anderen Ergebnis kommen. Ein zweiter Grund für die Parallele von rechtlicher und rechtsethischer Rechtfertigung liegt darin, dass es im Vertragsrecht um die Abgrenzung unterschiedlicher Freiheitsinteressen geht. Was eine der Parteien gewinnt, verliert die andere. Selbst bei Interessen ein- und derselben Person gilt es, widerstreitende Ziele zu gewichten und voneinander abzugrenzen. Etwa ist die Möglichkeit zu einer langfristigen Bindung dem Interesse entgegen zu halten, auch in Zukunft einen genügenden Entscheidungsfreiraum zu haben. Genau diese rechtsethische Abgrenzung und Gewichtung von Einzelinteressen wiederholt sich in der Ausgestaltung des Vertragsrechts durch den Gesetzgeber. Auch dabei lassen sich Eingriffe in die Vertragsfreiheit der einen Partei auf dogmatischer Ebene mit Interessen der anderen Partei rechtfertigen, Art.  2 Abs.  1 GG. Schließlich spielt in rechtsethischer wie in rechtlicher Perspektive die Zustimmung der Parteien zu dem von ihnen abgeschlossenen Vertrag eine zentrale Rolle. Eine an Freiheit und Selbstverantwortung orientierte Rechtsethik hat ebenso wie die Grundrechtsdogmatik die Frage zu stellen, inwieweit den Parteien die von dieser Zustimmung nicht erfassten abdingbaren Pflichten auferlegt werden können. Die Zustimmung vermag einerseits, einen Eingriff in die Vertragsfreiheit zu rechtfertigen, die Zurechnung weiterer Pflichten aber zugleich zu begrenzen. Denn je umfangreicher diese Pflichten werden und je weiter sie sich von der Zustimmung der Parteien entfernen, desto größer werden die Anforderungen an ihre Rechtfertigung. Es besteht aus diesem Grund zwar keine Garantie, dass jede rechtsethische Erwägung in der dogmatischen Rechtfertigung eine Rolle spielt. Eine EinzelS.  111 f., 148; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  317; Zöllner, AcP 196 (1996), 1; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  168 f., 524. Siehe auch Art.  II.-7.302 sec. 3 DCFR. Einschränkend Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  339. Weitergehend Bleckmann, JZ 1988, 57, 62, wonach das Verhältnismäßigkeitsprinzip bereits immer dann zum Zuge komme, „wenn die Verhandlungsmacht der Individuen ungleich ist.“ 128   Dazu sogleich 4.B.1.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

untersuchung der abdingbaren Normen mit den für sie jeweils bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben ist unvermeidbar. Zwischen der rechtlichen und rechtsethischen Würdigung besteht aber eine nahe Verwandtschaft. Eine Vielzahl von Gründen ist sowohl auf rechtlicher als auch auf rechtsethischer Ebene relevant. Dies ermöglicht es im Folgenden, die Wahl und Rechtfertigung abdingbaren Rechts auf beiden Ebenen gemeinsam zu betrachten.

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht In der Notwendigkeit zur Rechtfertigung gleichen sich abdingbare und zwingende Normen. Beide bedürfen der Rechtfertigung. Umso stärker stellt sich die Frage nach der Wahl zwischen ihnen. Denn die Geltung einer abdingbaren Norm lässt sich nicht schlicht damit begründen, dass sie im Unterschied zu zwingendem Recht nicht in die Vertragsfreiheit eingriffe. Zu vergleichen sind vielmehr die durch zwingendes und die durch abdingbares Recht erfolgenden Beeinträchtigungen. Da sie bei zwingendem Recht meist größer sind, besteht ein Vorrang abdingbarer Normen (1). Dieser kann jedoch durchbrochen werden (2).

1.  Der Vorrang abdingbaren Rechts Zwingende Normen greifen stärker als abdingbare Normen in die Vertragsfreiheit ein, da sie den Parteien auch gegen ihren Widerspruch Rechte und Pflichten auferlegen. Demgegenüber wahren abdingbare Normen die Privatautonomie in größerem Ausmaß, da sie den Parteien zumindest die Möglichkeit einer Abweichung lassen. Sie ermöglichen es ihnen, Rechte und Pflichten entsprechend ihren Präferenzen zu verteilen. Zwingende Anordnungen hingegen führen zu Verzerrungen des Parteiwillens und damit vielfach zu einer ineffizienten Verteilung von Rechten und Pflichten.129 Neben die Einbuße an Autonomie tritt der Verlust der Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen.130 Bereits aus diesen Gründen bedürfen zwingende Normen einer erhöhten Rechtfertigung. Im Zweifel hat abdingbares Recht den Vorrang.131 Dies ist ein Ausfluss der Freiheitsvermutung (in dubio pro libertate).132   Oben 3.C.1.c).   Oben 3.C.1. 131   Rittner, AcP 188 (1988), 101, 134, der dies auf die Leistungsfähigkeit privater Regelung stützt; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  43; Canaris, FS Lerche, S.  873, 886; Wagner, Prozessverträge, S.  91 für das Prozessrecht. Skeptisch hingegen von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  296: „wahrscheinlich mehr eine Frage der Zweckmäßigkeit als eine Sache des Prinzips“; Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, S.  9 0 ff., 112; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  154 ff. 129 130

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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Für diesen Vorrang spricht ferner die Ungewissheit über die Folgen vertragsrechtlicher Normen. Viele ihrer denkbaren Rechtfertigungen bauen auf empirischen Annahmen auf, die sich angesichts der unterschiedlichsten Verträge und Vertragstypen kaum feststellen lassen. Es ist etwa im Voraus nicht absehbar, ob Käufer oder Verkäufer besser geeignet sind, den Transport eines Gutes zu übernehmen. Der Verkäufer mag aufgrund der Vielzahl verkaufter Güter mit den Transporteuren eng zusammen arbeiten und günstigere Verträge abschließen, während der Käufer besser beeinflussen kann, wohin das Gut geliefert werden soll. Welcher Aspekt überwiegt und wer deshalb die Transportpflicht übernehmen soll, lässt sich von vornherein kaum entscheiden. Umso wichtiger ist es, dass die Vorgabe – wie immer sie beschaffen ist – korrigierbar bleibt. Das spricht dafür, den Parteien die Möglichkeit zur Abbedingung einzuräumen. Je weniger die Auswirkungen einer Norm absehbar sind, desto problematischer ist daher der zwingende Status einer Norm. Aus diesem Grund findet sich zwingendes Vertragsrecht vor allem dort, wo die unmittelbaren Auswirkungen auf einzelne Interessengruppen wie Arbeitnehmer, Mieter oder Verbraucher besser absehbar sind als im allgemeinen Schuldrecht. Zu Gunsten dieser Gruppen bestehen deshalb vielfach zwingende Normen,133 während sie im allgemeinen Schuldrecht sowie im Delikts- und Bereicherungsrecht seltener auftreten. Aufgrund der Abstraktheit der meisten vertragsrechtlichen Normen sind die Auswirkungen auf einzelne Interessengruppen nicht zu überschauen. Es ist abstrakt nicht klar, wem sie nutzen und wem sie schaden. Der hohe Abstraktionsgrad schuldrechtlicher Normen ist daher nur sinnvoll, wenn über ihre Abdingbarkeit eine Korrekturmöglichkeit besteht. Es erscheint damit nicht als Zufall, dass die Entwicklung einer allgemeinen Dogmatik im BGB mit einer vergleichsweise stark betonten Vertragsfreiheit134 zusammenfiel. Die eher weiten Schranken, die es über §§  134, 138 BGB für die Gestaltung von Verträgen zog, waren auch ein Ausgleich für seine abstrakte Fassung135 . 132

132   BVerfG, NJW 1957, 297, 298 (= BVerfGE 6, 32, 42); 1981, 673 (= BVerfGE 55, 159, 165); 1983, 2627 (= BVerfGE 63, 340, 342); Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  2; Pestalozza, NJW 1981, 2081, 2083; Wagner, Prozessverträge, S.  79. Zur Kritik am Grundverdacht, die Privatautonomie funktioniere fehlerhaft, Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 2. 133   Etwa in den §§  475 ff., 549 ff., 611a ff. BGB, weitere Beispiele unten 5.A, Fn.  5. 134   Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S.  8 ; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.  315; HK-Zimmermann, vor §  1 Rn.  18; MünchKommBGB5-Kramer, vor §  145 Rn.  2; einschränkend Flume, AT, Bd.  2, S.  17; ders., FS DJT, S.  135, 145. Eine andere Frage ist, ob diese auch realisiert wurde, kritisch dazu Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S.  275 ff., und ob das BGB bereits bei seiner Entstehung neben dieser Freiheit auch auf anderen Grundsätzen beruhte, dazu Planck, DJZ 1899, 181 f. über „die soziale Tendenz des BGB“; ferner Rückert, JZ 2003, 749, 754 f. Vgl. für die USA Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 579 (1982). 135   Vgl. zum Zusammenhang zwischen den ungewissen Folgen genereller Regeln und der Notwendigkeit individueller Entscheidung von Hayek, The Road to Serfdom, p.  79. Anderer-

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Selbst wenn klar ist, wem eine zwingende Norm zugute kommen soll, ist nicht sicher, dass sie diesen Zweck auch erreicht. Denn der mit ihr intendierte Schutz ist in aller Regel nicht kostenneutral. Das bekommen indirekt auch diejenigen zu spüren, die von dieser Norm geschützt werden sollen. Sie müssen entweder eine höhere Gegenleistung erbringen oder auf einen Vertragsschluss verzichten. Während der Eingriff in die Vertragsfreiheit sicher ist, bleibt der mit ihm bezweckte Erfolg daher ungewiss. Dies hat weit reichende Folgen, da eine Norm bei zwingender Fassung nur begrenzt korrigierbar ist. Hinzu tritt bei ihr das Risiko, dass ihre Adressaten sie weiter verstehen, als sie intendiert ist. Sie unterlassen dann eine Vertragsgestaltung in der Annahme, dass eine zwingende Norm ihnen dies untersagt oder so zumindest verstanden werden kann. Im Gegensatz zur fehlerhaften Annahme über einen zu engen Anwendungsbereich einer Norm ist das kaum korrigierbar, da es nicht zu einer gerichtlichen Überprüfung kommt. Zwingende Normen haben damit einen über ihren intendierten Anwendungsbereich hinausgehenden Abschreckungseffekt. Er gleicht dem bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit zu konstatierenden Einschüchterungseffekt.136 Manche ehrenrührige Äußerungen über Personen des öffentlichen Lebens werden bewusst zugelassen, weil bei einem Verbot zu befürchten wäre, dass notwendige und sinnvolle Kritik unterbliebe. Gleiches gilt für die Einschränkung der Vertragsfreiheit. Um zu verhindern, dass die Parteien auf eine eigene Gestaltung ihrer Angelegenheiten verzichten, sind zwingende Normen nur zurückhaltend und im Bewusstsein darauf zu schaffen, dass sie nicht nur Missbräuche verhindern, sondern die Parteien darüber hinaus auch von einer nicht zu beanstandenden Gestaltung der eigenen Verhältnisse abhalten.137 Die Risiken zwingender Normen sind dabei größer als die abdingbarer Normen. Aus diesen Gründen ist von einem rechtsethischen wie rechtsdogmatischen Vorrang abdingbaren Rechts auszugehen. Er besagt, dass unter sonst gleichen Bedingungen eine abdingbare Norm einer zwingenden Norm vorzuziehen ist. Das bedeutet nicht, dass zwingende Normen unter keinen Umständen sinnvoll oder legitim sind, sondern vielmehr, dass sie im Vergleich zum abdingbaren Recht einer erhöhten Rechtfertigung bedürfen.138 Die Bestimmung ihrer Reichweite ist Teil der richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen. Dabei ist es im Ansatz verfehlt, nach den berechtigten Interessen der Parteien an einer Abbeseits Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 565 (1982), der die Konkretheit einer Regel für die Motive des Gesetzgebers für irrelevant hält. 136   BVerfG, NJW 1977, 799 (= BVerfGE 43, 130, 136); 2006, 3769, 3733; 2008, 1654, 1655. 137   Zum umgekehrten Effekt, dass die Unklarheit des Rechts und richterlicher Interven­ tionen zu einer zu extensiven Fassung eines Vertrages führt, unten 4.D.3.a), Fn.  506. 138   Medicus, SR AT, S.  39, Rn.  87; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S.  225; Canaris, FS Lerche, S.  873, 886; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  73. Zur Rechtfertigungsbedürftigkeit zwingender Normen bereits oben 4.A.2.b).

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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dingung zu fragen.139 Denn dies suggeriert, dass eine Abbedingung ohne diese Gründe nicht anerkennenswert sei und die Anwendung der vorgegebenen Norm ein nicht weiter zu begründender Zustand. Der Vorrang abdingbaren Rechts geht im Gegenteil davon aus, dass die sich in einer bestimmten Vertragsgestaltung ausdrückende Freiheit keiner weiteren Begründung bedarf. Das wird häufig durch den auf Juvenal zurückgehenden Spruch ausgedrückt: Hoc volo, sic jubeo, sit pro ratione voluntas.140 Dieser Vorrang lässt sich auch auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip stützen.141 Solange die mit einer zwingenden Norm verfolgten Ziele durch eine abdingbare Norm erreichbar sind, genügt diese und ist eine zwingende Fassung illegitim. Zwar ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip für das Verhältnis des Bürgers zum Staat konzipiert, während es bei einem Vertrag um das Verhältnis der Bürger untereinander geht. Jedoch erfolgt die Vorgabe des Vertragsrechts im Verhältnis Staat – Bürger, so dass es auch für das abdingbare Recht gilt. Bei einer Grundrechtskollision ist jede Position möglichst weit zu verwirklichen142 und eine Einschränkung daher nur bei Verhältnismäßigkeit des Eingriffs hinnehmbar. Da sich bei einem Vertrag die grundrechtlichen Handlungsfreiheiten der Parteien gegenüber stehen, hat der staatliche Eingriff in dieses Verhältnis verhältnismäßig zu erfolgen. Die zwingende Fassung einer Norm ist nur zu rechtfertigen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, ihre Ziele zu erreichen. Dafür ist nachzuweisen, dass es nicht genügt, einer Partei die Verhandlungslast zuzuweisen und erhöhte Hürden für die Abbedingung zu errichten. Zwingendes Recht muss zur Erreichung der mit ihm verbundenen Ziele unvermeidbar sein und ist anderenfalls sowohl verfassungsrechtlich als auch rechtsethisch illegitim.

  So Endemann, BR, Bd.  2, S.  9 09 in Bezug auf neue Vertragstypen; Enneccerus/Nipperdey, AT, S.  301, obgleich sie das Schuldrecht für weitgehend abdingbar halten, aaO., S.  303; Sack, WRP 1985, 1, 5; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 376, 384 zur Abdingbarkeit von §  130 Abs.  1 S.  2 BGB. Zur Kritik Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S.  407 ff. 140   Juvenal, Satura VI, 223; Abwandlung „stat pro ratione voluntas“ aufgenommen durch Flume, AT, Bd.  2, S.  6 ; ders., FS DJT, S.  135, 141; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  3 f.; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  33; Pawlowski, AT, S.  5, Rn.  9 ; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  37, der darin gleichwohl keinen Widerspruch zur Theorie der Richtigkeitsgewähr sieht, aaO., 55; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  407; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 16; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  113; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  7, 47; entsprechend für die Patientenautonomie Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S.  83, 132. Einschränkend Wagner, Prozessverträge, S.  72; kritisch Schmidt-Rimpler, FS Raiser, 3, 21 f. 141   BVerfG, NJW 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181), oben 4.B.1, Fn.  127. 142   BVerfG, NJW 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 232); 1998, 1475, 1476 (= BVerfGE 97, 169, 176); 2003, 2815. 139

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

2.  Die Durchbrechung des Vorrangs Die Gründe, aus denen der Vorrang abdingbaren Rechts durchbrochen wird, sind vielfältig. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Sie beinhalten entweder den Schutz des Vertragspartners (a) oder den Schutz Dritter (b).143 Die übrigen Gründe bauen auf diesen Fallgruppen auf. Denn letztlich vermögen allein die Interessen der Einzelnen, einen Freiheitseingriff zu rechtfertigen.144 Andere anerkennenswerte Interessen sind nicht ersichtlich. Auch Kollektive und Institutionen dienen letztlich Individualinteressen und sind nicht um ihrer selbst willen da. Ebenso mag man zwar fundamentale Werte der Rechtsordnung für unverzichtbar halten. Sie aber haben die Einzelnen zum Zweck und sind daher ebenfalls auf Individualinteressen zurückführbar. a)  Der Schutz des Vertragspartners Der hauptsächliche Zweck zwingenden Vertragsrechts ist der Schutz der einen Partei vor der anderen.145 Die Vertragspartner sollen einander weder ausbeuten, noch übervorteilen, noch auf andere Weise schaden. Die dies verhindernden zwingenden Normen verfolgen eine legitime Absicht. Hinter ihnen steht eine Fülle von Zielen wie der Schutz vor Abhängigkeit, Selbstentmündigung146 und Überoptimismus.147 Demgegenüber reicht es zur Rechtfertigung einer zwingenden Norm nicht aus, dass ihre Abbedingung für eine Seite nachteilig ist.148 Das ist nämlich bei fast allen Normen der Fall, da sie in aller Regel einer Seite ein Recht und der anderen Seite eine Pflicht zuweisen. Die Rechtsordnung kann und soll den Einzelnen zudem nicht vor jedem ungünstigen Vertrag schützen. Denn die Vertragsfreiheit umfasst das Recht, riskante,149 nachteilige und falsche Entschei143   Ayres, Default Rules for Incomplete Contracts; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  35. 144   Vgl. von der Pfordten, Rechtsethik, S.  463 ff.; ders., Normative Ethik, S.  38 ff. 145   BVerfG, NJW 2010, 3422, 3423. 146   Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 366; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  188 ff.; Bachmann, JZ 2008, 11; Goette, ZGR 208, 436, 439. Klassisch von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  134. 147   Nachweise oben 3.A.1, Fn.  4 4 ff. Kritisch DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 906 (2006), wonach sich diese Effekte auch wechselseitig aufheben können. 148   Siehe aber Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  76; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, S.  25, Rn.  52. 149   BGH, NJW 1984, 1531, 1532 (= BGHZ 90, 280, 286), wonach §  9 AGBG a. F. (= §  307 BGB) nicht gebiete, „voll geschäftsfähige Personen vor den nachteiligen Folgen voreiliger oder nicht hinreichend überlegter Vertragsschlüsse zu bewahren“; 1997, 61: „Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, nach dem riskante Leistungen nicht übernommen werden können.“; 1997, 739, 740; 2008, 2106, 2108; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  5 ; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  127, Rn.  355. Nach BVerfG, NJW 1999, 3399, 3401 ist auch „selbstgefährdendes Verhalten .  .  . Ausübung grundrechtlicher Freiheit“; ähnlich BVerfG, NVwZ 1982, 303, 306.

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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dungen zu treffen.150 Auch sie sind Ausdruck individueller Freiheit und vom Recht zu respektieren. Die Möglichkeit, Fehler zu begehen und festzustellen, fördert Lernprozesse stärker als Entscheidungen, die vornehmlich Fehler zu vermeiden suchen.151 An der Bereitschaft, derartige Verträge hinzunehmen, zeigt sich, ob die Vertragsfreiheit mehr als nur ein Schönwetterinstrument ist, das man aufgibt, sobald man die mit ihr erzielten Ergebnisse missbilligt. Sie verdient bereits deshalb Anerkennung, weil sich der Einzelne mit ihr verwirklicht, und erlangt ihren Wert nicht erst dadurch, dass er darüber hinausgehende Ziele verfolgt oder gar erreicht.152 Die privatautonom geschaffenen Rechte und Pflichten müssen im Gegensatz zu den vertragsrechtlichen Normen nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen.153 Denn sie erhalten ihre Legitimität nicht erst durch weitere Zwecke, an deren Erfüllung sie zu messen wären. Sie sind bereits für sich Ausdruck von Selbstbestimmung. Zu ihrer Rechtfertigung genügt daher, dass die Parteien ihnen zugestimmt haben. Das verdient Anerkennung, weshalb die Privatautonomie anders als die staatliche Gewalt eine „legitime Willkür“ ermöglicht. Sie bedarf keines weiteren Grundes.154 Erschöpfte sich die Vertragsfreiheit hingegen darin, das Richtige zu tun, wäre sie nichts wert. Ob der Vertrag eine Rich150   BGH, NJW-RR 2004, 925: „Auf Grund der Vertragsfreiheit ist es grundsätzlich jedem Volljährigen unbenommen, in eigener Verantwortung Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die ihn finanziell überfordern .  .  .“ mwN.; von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  38: „Wir werden die Vorteile der Freiheit nie genießen .  .  . wenn sie nicht auch dort gewährt wird, wo der Gebrauch von ihr .  .  . nicht wünschenswert erscheint.“; Hill, Autonomy and Self-respect, p.  49: „Within limits, People should be allowed to make their own choices even if the choices are likely to be foolish.“; Bydlinski, Privatautonomie, S.  107; Flume, FS DJT, S.  135, 141; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  3 f., anders hingegen S.  112: keine Freiheit schlechthin, sondern nur die zum „sinngemäßen Handeln“; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Rechtsdenkens, S.  39; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  37; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  54, 123; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  47; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  107. 151   Darauf beruht das so genannte Error Management Training, siehe Keith, Self-regulatory Processes in Error Management Training, pp.  34 mwN.  Zu den Lerneffekten bereits oben 2.C.2.d), Fn.  254. 152   Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.  3, 21, sieht hingegen nur eine „im Richtigen gebundene“ Freiheit als eine „wahre Freiheit“ an; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 121: „Die Bindung an den Vertrag darf grundsätzlich nicht weiterreichen, als die Richtigkeitsgewähr“; Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, S.  28, 32; BeckOK-BGB20 -Eckert, §  145 Rn.  8 , wonach die Vertragsfreiheit „eine gerechte materielle Selbstbestimmung“ voraussetze. Vermittelnd Canaris, FS Lerche, S.  873, 884, wonach Ungerechtigkeiten zu vermeiden seien; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  25. 153   Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.  251; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  358; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.  84 f.; zurückhaltender Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61. Anderes gilt für die vertragsrechtlichen Normen, siehe BVerfG, NJW 1993, 2035, 2036 (= BVerfGE 89, 1, 9); sowie für Privatverträge der Verwaltung, BGH, NJW 1985, 1892, 1894 (= BGHZ 93, 372, 381); 2003, 888, 892 (= BGHZ 153, 93, 106). 154   Oben Fn.  140.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

tigkeitsvermutung, eine Richtigkeitsgewähr oder nur eine Richtigkeitstendenz hat,155 ist für ihre Rechtfertigung deshalb ebenso unerheblich wie die Frage, ob eine gerechte Vereinbarung den Rückschluss auf den „wahrhaft ‚freien Willen‘“ erlaubt.156 Selbst unrichtige Verträge verpflichten157 und sind nicht wegen jedes falschen oder unvernünftigen Ergebnisses zu korrigieren.158 Zwingendes Recht ist vor diesem Hintergrund erst dann legitim, wenn die anderenfalls zu erwartenden Nachteile so gravierend sind, dass sie die Beschränkung der Vertragsfreiheit aufwiegen. Wann dies der Fall ist, hängt vom Gewicht der jeweils zu schützenden und beeinträchtigten Interessen ab. Kognitive Defizite wie falsche Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten und Risiken erfordern nicht in jedem Fall den Schutz durch eine zwingende Norm. Sie können einander wie im Falle des Überoptimismus und Überpessimismus auch ausgleichen.159 In jedem Fall aber gilt es, den Eigenwert der Freiheit zu beachten160 und diese nicht nur deswegen anzuerkennen, weil sie den Abschluss er155   Schmidt-Rimpler, AcP 27 (1941), 130, 157, dem es vor dem Hintergrund der NS-Zeit um eine „richtige Gemeinschaftsordnung“ und die (vordergründige) Ablehnung des Begriffs der Privatautonomie ging, aaO., 138, 159. Zum historischen Hintergrund Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  110, 113. Die Lehre von der Richtigkeitsgewähr bzw. Richtigkeitstendenz befürworten u. a. BGH, NJW 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93, 100); BAGE 22, 144, 151; 38, 118, 129; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 113, 121; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  53, einschränkend S.  223 ff.; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 328; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S.  47 ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  85 ff.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 15 ff.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  21; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  5 ; BeckOK-BGB20 -Eckert, §  145 Rn.  8. Als Richtigkeitschance verstehen sie Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  74; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  132, Rn.  374; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  116; Wagner, Prozessverträge, S.  126; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  204; Canaris, Iustitia distributiva, S.  49; skeptisch aber Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.  8 , 12. Zur Kritik Raiser, FS DJT, S.  101, 118 ff.; Flume, AT, Bd.  2, S.  8 ; ders., FS DJT, S.  135, 142 f.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  55; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  52 ff.; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 16. 156   Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, S.  101; ähnlich Gordley, 69 California Law Review 1587, 1625 (1981): „Contract law cannot protect freedom in the abstract; it must determine what kind of freedom it will protect. .  .  . To put it in another way, exchange shall require equality.“ 157   Eine Übervorteilung durch einen zu großen oder zu geringen Preis hält bereits Corpus Iuris Civilis, D.19.2.22 §  3, Paulus (im 34. Buch zum Edikt), im Grundsatz für zulässig; ebenso 1. Teil, 11. Titel, §§  58–59 Preußisches Allgemeines Landrecht, wonach erst bei doppeltem Kaufpreis Irrtum angenommen wurde; die laesio enormis ablehnend Motive, Bd.  2, S.  321; zum historischen Hintergrund und für begrenzte Wiederbelebung Gordley, 69 California Law Review 1587, 1592, 1637 (1981); zur faktischen Rückkehr Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  179. 158   Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd.  1, S.  4 : „Die Vernunft ist nicht das Princip der Freiheit, sondern vielmehr ein der Freiheit entgegengesetztes Element“. 159   Buckley, Just Exchange, pp.  78. 160   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  20; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  54; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S.  83, 85; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 286; Buckley, Just Exchange, p.  99; kritisch Gordley, 69 California Law Review 1587, 1625 (1981).

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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wünschter Verträge ermöglicht.161 Dieser Eigenwert kann,162 muss sich jedoch nicht in einem Wohlbefinden der Parteien ausdrücken. Es genügt, dass sich in ihr der Wille des Einzelnen realisiert. Aus diesem Grund liegt es zunächst an den Parteien zu entscheiden, welchen Risiken sie sich aussetzen und welchen Schutz sie in Anspruch nehmen. Sie müssen selbst beurteilen, ob sie die Eigenart eines Geschäfts und die Tragweite der auf es anwendbaren Norm einzuschätzen vermögen und wie sie mit einer Überforderung umgehen. Sie haben zu bestimmen, ob sie einen Vertrag abschließen oder darauf verzichten,163 sich dem Rat von Experten, Informationsmittlern oder Warentestorganisationen anvertrauen oder eigene Erfahrungen sammeln. Die Frage ist daher nicht, ob die Einzelnen gefährdet sind, sondern ob und wie sie auf Gefahren reagieren.164 Sie selbst haben darüber zu befinden, wie sie mit eigenen Defiziten umgehen. Das Recht kann und darf ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen. Gerade darin liegt ein wesentlicher Aspekt ihrer Freiheit. Entschließt sich die Rechtsordnung dennoch zu einer Abwehr individueller Gefährdung, so gilt es, die bereits geschilderten Nachteile zwingenden Rechts zu bedenken. Zu ihnen gehören die Verzerrung des Parteiwillens, die Anreize zum Opportunismus und die Ineffizienz zwingender Normen.165 Schon deshalb vermag nicht jedes Marktversagen und jedes Machtgefälle, zwingendes Recht zu legitimieren.166 Sobald man jedoch den Verhandlungsprozess romantisiert und annimmt, das Vertragsrecht sei auf vollständig informierte rationale Parteien zugeschnitten, entsteht die Gefahr vorschneller Eingriffe. Genau das ist bei der unvermittelten Übertragung ökonomischer Modelle auf das Recht der Fall, sofern diese ein Verhalten unter Idealbedingungen, nämlich vollständiger Information und Rationalität, nachbilden. Derartige Modelle sind zwar 161   So 1933 Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S.  353: „Die wirtschaftlichen Freiheitsrechte werden vom Staate nur aus dem Grunde garantiert, weil sich das Interesse der Individuen an ihrem Gebrauch in prästabilisierter Übereinstimmung mit dem Interesse des Staates befindet.“; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  214: die Rechtsordnung gewähre dem Einzelnen Privatautonomie nur, „weil sie sich davon die beste und vernünftigste Regelung ihrer Verhältnisse verspricht“; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 134; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  154: („Autonomiegedanke .  .  . kein ethisches Postulat“); ferner Kronman, 89 Yale Law Journal 472, 474 (1980): „the idea of voluntary agreement .  .  . cannot be understood except as a distributional concept“. 162   Feldman, 18 Touro Law Review 503, 507 (2002). 163   Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  177. 164   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  87. Vgl. auch Easterbrook/Fischel, 89 Columbia Law Review 1416, 1432 (1989): „it does not matter if markets are not perfectly efficient, unless some other social institution does better .  .  .“ 165   Oben 3.C.1. 166   Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, p.  19; Bix, Contract Law Theory, p.  17; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  115; Grundmann, 1 European Review of Contract Law 184, 197 (2005); Bachmann, JZ 2008, 11.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

aufschlussreich und auch für das Recht von zentraler Bedeutung.167 Jedoch besteht die Gefahr, die Freiheit der Vertragsparteien bereits dann in Frage zu stellen, wenn die Idealbedingungen dieser Modelle nicht erfüllt sind. Die Vertragsfreiheit indes beruht in erster Linie nicht darauf, dass mit ihr die Nutzenerwartungen maximiert werden, sondern darauf, dass sich die Einzelnen durch sie entfalten. Allein die – stets feststellbare – Abweichung der Realität von den idealisierten Voraussetzungen der ökonomischen Modelle rechtfertigt aus diesem Grunde keinen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit. Ebenso wenig vermag allein der historische Wandel wie etwa der zunehmende Verbraucherschutz, derartige Eingriffe zu legitimieren. Denn zu zeigen bleibt, dass die Einzelnen mit diesem historischen Wandel weniger als früher der Freiheit bedürfen, ihre Verhältnisse nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Das ist nicht plausibel. Vielfach wird allerdings dem BGB-Gesetzgeber unterstellt,168 er sei vom Bild eines freien und rationalen Menschen ausgegangen, habe dessen Gefährdungen übersehen, so dass nunmehr eine Einschränkung der Vertragsfreiheit geboten sei. So behauptete etwa Manfred Wolf, bei der Kodifizierung des BGB habe die „Vorstellung der selbstherrlich ihre eigenen Lebensverhältnisse überschauenden und gestaltenden Einzelpersönlichkeit“ bestanden, die nunmehr dem Bild eines „abhängigen Massenmenschen gewichen“ sei.169 Das ist einerseits historisch fragwürdig, da es bei der Verabschiedung des BGB um die Kodifikation170 eines über Jahrhunderte gewachsenen Vertragsrechts ging. Bei seiner Entwicklung bestanden genügend Erfahrungen mit Abhängigkeiten, Rationalitätsbeschränkungen und gesellschaftlichen Zwängen. Risiken beim Kaufvertrag sind nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden. Zum anderen legt dieses Bild den vorschnellen Schluss nahe, Verhandlungsrisiken oder Defizite in der Entscheidungsfindung rechtfertigten ohne weiteres eine Beschränkung der Vertragsfreiheit. Wolf etwa plädierte dafür, einen gerechten Interessenausgleich mittels Inhaltskontrolle „immer dann zu verwirklichen,

  Dazu oben 2.C.   Etwa Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S.  167: „Das klassische Vertragsverhältnis unterstellt volle Unabhängigkeit in der Bestimmung der Vertragsbestimmungen.“; Raiser, Das Recht der AGB, S.  102, der vom Dogma der Vertragsfreiheit „in dem starren Sinn, den das 19. Jahrhundert ihm gegeben hat“ spricht; Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  8 , wonach bei der Redaktion des BGB den Parteien „eine fast unbeschränkte Befugnis“ zum Vertragsschluss eingeräumt wurde; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  5, wonach „die ‚richtige‘ im Sinne von gerechter Ausübung der Willensherrschaft .  .  . lediglich sittliches Gebot, nicht rechtliche Schranke“ war; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  126, Rn.  353 zum „liberalen Vertragsbegriff“. Kritisch zur dem 19. Jahrhundert zugeschriebenen unbegrenzten Privatautonomie Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S.  276 f.; Rückert, JZ 2003, 749, 750 ff.; Al-Shamari, Die Verkehrssitte im §  242 BGB, S.  3 f.; siehe auch oben 4.B.1, Fn.  134. 169   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  1, 8 ff. 170   Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S.  133 mwN.; zum Nachwirken naturrechtlicher Vorstellungen oben 2.A.3.a), Fn.  69. 167

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B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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wenn die privatautonome Selbstbestimmung beeinträchtigt ist“.171 Indes dürfte das fast stets der Fall sein. Nahezu kein Vertrag ist ideal. All das erweckt den Eindruck, als ob die Entscheidung der Einzelnen keinen Selbstwert hätte und irrelevant würde, sobald man es nicht mehr mit vollständig rationalen Personen zu tun hat. Demgegenüber ist zu betonen, dass die Entscheidungsfreiheit gerade unter nicht idealen Bedingungen ihre Bedeutung entfaltet.172 Die fehlende Idealität der Bedingungen ist ein Grund zur Freiheit der Einzelnen, nicht aber ein Grund zu ihrer Beschränkung. Denn die Einzelnen haben selbst zu entscheiden, wie sie auf die Situation des Mangels reagieren. Verträge sind eines der ihnen dazu zur Verfügung stehenden Mittel. In einer Idealwelt muss man keinen Vertrag schließen. In ihr könnte man sich über die jeweils notwendigen Handlungen ad hoc und ohne Rücksicht auf eingegangene Bindungen verständigen. Wer die Vertragsfreiheit unter Hinweis auf ein Machtgefälle einschränkt, sollte daher nicht vergessen, dass vielfach erst Verträge es ermöglichen, ein derartiges Ge­ fälle zu überwinden. Durch eigene Tätigkeit und Absprachen mit anderen vermögen die Einzelnen, ihre Position zu verbessern. Besonders deutlich wird die Gefahr einer Romantisierung des Vertragsschlusses am Argument, allein die geringere Verhandlungsmacht einer Partei173 oder die Störung der Vertragsparität174 rechtfertigten eine zwingende Vorgabe.175 Denn dies unterstellt, dass es die Gleichheit der Parteien oder ideale Ver171   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  3, 60 [Hervorhebung im Original]. Ähnlich Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S.  167, 249, der eine Herabsetzung der „originären Privatautonomie“ konstatiert und die mit den Staat geschlossenen Verträge aufgrund der Ungleichheit der Verhandlungspartner für „Pseudoverträge“ hält, aaO., S.  168. 172   Das Ziel ist nach anderer Terminologie nicht eine ideale Norm, sondern eine „unter nicht-idealen Praxisbedingungen relativ ideale Praxisnorm“, Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, S.  198. 173   Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  259; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 114; BeckOK-BGB20 -Eckert, §  145 Rn.  9. Kritisch zum Argument des Machtmissbrauchs Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  146 f. 174   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 256); 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 233); 1994, 2749, 2750; 2001, 957, 958 (= BVerfGE 103, 89, 104); BGH, NJW 2005, 2386, 2389; 2007, 2851, 2853; Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  144: Wiederherstellung der „sozialen Vertragsfreiheit“; Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  154 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  101 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  88 ff., 98: „Parität als überpositiver Begriff scheint nach allem die Nachfolge des justum pretium angetreten zu haben und teilt mit diesem die Unbestimmtheit“; Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 18 ff.; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 108 ff.; Bydlinski, System und Prinzipien des Rechts, S.  158 ff.; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 328; MünchKommBGB5-Kramer, vor §  145 Rn.  3. Zur Kritik Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 19 ff. Zur amerikanischen Diskussion mwN.  Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 614 (1982). 175   BGH, NJW 1994, 1341, 1342 spricht daher von einem „unerträglichen Ungleichgewicht“, das erst einen Eingriff rechtfertige. Kritisch zur Paritätsvorstellung ferner Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  218 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 19 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  8 , 39 ff.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  364, wonach erst eine „strukturelle Deformation der Vertragsparität“ problematisch sei; Isensee, in:

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

hältnisse beim Vertragsschluss seien, welche eine vertragliche Bindung erlauben.176 Diese indes mögen zwar die Legitimität eines Vertrages erhöhen. Zu seiner Begründung notwendig aber sind sie nicht. Für die Bindung an den Vertrag maßgeblich ist vielmehr, dass der Einzelne sich entschieden hat, nicht jedoch, dass seine Entscheidung genauso gut bedacht war wie die eines anderen oder er auch im Übrigen die gleiche Macht wie sein Vertragspartner hatte. Es kommt auf ihn, nicht aber auf einen Vergleich mit seinem Vertragspartner an. Er ist an seine im Hier und Jetzt gegebene Zustimmung gebunden und nicht an die, welche er unter idealen Bedingungen erteilte. Es geht nicht um eine „natürliche, praestabilisierte Harmonie“, die bei „annähernder Gleichwertigkeit der Vertragspartner“ erreicht werde,177 sondern um die konkrete Freiheit der Einzelnen. Sie ist naturgemäß in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden. Fehlende Parität der Parteien ist aus diesen Gründen für die Rechtfertigung zwingenden Rechts weder notwendig noch hinreichend.178 Sie ist nicht notwendig, weil zwingendes Recht auch dann erforderlich ist, wenn zwischen beiden Parteien Parität besteht und ihre Entscheidungsfreiheit gleichwohl in erheblicher Weise durch Irrtum, Drohung oder aus einem anderen Grund beeinträchtigt wird. Spekulationsgeschäfte unter Privaten können ebenso ruinös verlaufen wie solche unter Banken. Selbst gleichmächtige Vertragspartner benachteiligen einander mitunter grob. Auch für Verträge unter ihnen besteht keine Richtigkeitsgarantie.179 Ebenso wenig ist die fehlende Parität der Parteien hinreichend dafür, ihre Absprachen durch zwingendes Recht zu ersetzen.180 Dass eine Seite besonders gut informiert ist und über große Ressourcen verfügt, verschafft ihr zwar einen Vorteil gegenüber der anderen Seite, rechtfertigt aber allein keinen Freiheitseingriff. Nicht ihre Stärke ist das Problem, sondern eine Gefährdung ihres Verhandlungspartners. Beides geht nicht notwendig Hand in Hand, sondern ist allenfalls ein Indiz füreinander. Eine aufgrund reicher Erfahrung bestehende Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 25; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  132. 176   Siehe etwa BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 255); 2006, 1783, 1786: „Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind“; MünchKommBGB5-Kramer, vor §§  145 ff. Rn.  3; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  60: „Die Selbstbestimmung muß für jeden Vertragspartner garantiert sein“; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  84 sowie eben Fn.  174. 177   So aber Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1139. 178   Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  146 ff.; ähnlich Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  95 f. 179   Siehe aber Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1139, wonach eine „intersubjektive Richtigkeitsgewähr .  .  . annähernd vergleichbare Verhandlungsstärke“ voraussetze. 180   Für das BGB verdeutlicht dies auch die hohe Eingriffsschwelle der §§  117 ff. BGB, wonach erst Irrtum, Drohung und Täuschung eine Anfechtung erlauben, siehe Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  432, 881; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  46.

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Verhandlungsmacht der einen Seite kann etwa bei wirtschaftlichen Umbrüchen mit einer hohen Marktmacht der anderen Seite einhergehen. Es kommt nicht auf die generelle Macht der Einzelnen an, d. h. ihre gesamten wirtschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten, sondern nur darauf, wie sich diese auf das jeweilige Vertragsverhältnis auswirken.181 Auch bei fehlender Parität bedarf es für einen Eingriff des Nachweises, dass die überlegene Partei sie in zu missbilligender Weise ausgenutzt hat. Nicht jeder Vertragsschluss unter Ungleichheit ist ein Vertragsschluss aufgrund von Ungleichheit.182 Solange sich die Ungleichheit nicht auswirkt, scheidet sie als Grund zur Beanstandung aus. Darüber hinaus ist nicht jede Ungleichheit missbilligenswert.183 Eine Vielzahl von Verträgen beruht auf ihr, ohne dass dies einen Grund zu ihrer Beanstandung lieferte. Wäre der Mandant so wie der Anwalt informiert, müsste er diesen nicht beauftragen. Kennte der Eigentümer eines Autos die bei einer Reparatur bestehenden Risiken, führte er sie selbst aus. Wäre aufgrund umfassender Information für jedermann in gleicher Weise absehbar, wie sich die Verhältnisse entwickeln, bräuchte man keine Versicherungen. Verträge sind daher gerade in einer Welt notwendig, in der Informationen, Fähigkeiten und Eigentum ungleich verteilt sind. Sie vermögen diese unter Umständen sogar auszugleichen. Den wirtschaftlich erfahrenen Parteien darf man nicht von vornherein die Redlichkeit absprechen, wenn sie einer schwächeren Partei gegenübertreten. Wollte man sämtliche Ungleichgewichtslagen unter Generalverdacht stellen, würde man die Vertragsfreiheit in eine illusionäre Modellwelt verbannen. Deshalb verkennt man ihren Charakter, wenn man für sie ideale Zustände wie volle Information oder gleiche Verhandlungsstärke verlangt. Selbst ein Irrtum einer Seite reicht nicht, um den Eingriff in einen Vertrag zu rechtfertigen. Denn gerade in diesem „Recht auf Irrtum“ zeigt sich die Freiheit der Parteien.184 Die Frage ist deshalb nicht, wie ideal die Verhandlungsprozesse verlaufen, sondern vielmehr, ob sich ein Verbot bestimmter Absprachen auf sie günstiger auswirkt als eine abdingbare Vorgabe. Dabei geht es um die Reduzierung von Risiken, nicht aber um die Herstellung „echter Vertragsfreiheit“185 oder einer – wie auch immer beschriebenen – Idealwelt. Zwingende Vorgaben 181   Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, S.  40, Teil  2, Rn.  2: „es sind also niemals die allgemeinen Machtverhältnisse, sondern es ist immer nur das Ausmaß der Kraft ausschlaggebend, die jeder der beiden in der jeweiligen Situation konkret einsetzen kann“; S.  35, Teil  2, Rn.  76. 182   Vgl. Feinberg, Harm to Self, p.  116. 183   Frankfurt, 98 Ethics 21, 30 (1987). 184   In der Folge von Wright, The American Economic Review 1949, 27, 34, spricht man auch vom „right to make a fool of oneself“; siehe auch BVerfG, NJW 2011, 2113, 2115: „Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der – jedenfalls in den Augen Dritter – den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft.“ 185   So die Vorstellung von Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 329; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  91.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

lassen sich mit Verweis auf die Ungleichheit der Verhandlungspartner erst dann rechtfertigen, wenn der Vertrag aufgrund einer erdrückenden Verhandlungsmacht des anderen Teils zu einem Instrument der Fremdbestimmung wird186 oder aufgrund gravierender Defizite kein Ausdruck der Selbstbestimmung mehr ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass zwingende Eingriffe die Verhandlungsmacht der Unterlegenen nur bedingt verstärken. Denn sie geben einer Partei zwar die Möglichkeit, sich einer vertraglichen Bindung zu entziehen.187 Aber sie verbessern weder ihre Fähigkeit, eigene Interessen in den Verhandlungen zu formulieren, noch heben sie ein wirtschaftliches Ungleichgewicht auf. So wie die Verhandlungen mehr oder weniger ideal verlaufen, so sind auch die Parteien in unterschiedlichem Ausmaß zu einer selbstbestimmten Entscheidung fähig. Es gibt zwar Extremfälle unmittelbaren Zwangs, bei denen von einer Selbstbestimmung keine Rede mehr sein kann. Ebenso sind klare Fälle freier und wohlüberlegter Entscheidungen denkbar, in denen mehrere Personen über längere Zeit einen Vertragsschluss erwägen und die Risiken bedenken. Die meisten Fälle indes bewegen sich zwischen diesen Extremen. Schon daher lautet die Frage nicht, ob die Parteien selbstbestimmt entscheiden, sondern vielmehr, in welchem Ausmaß sie dies tun. Das Recht kann und soll nicht jeden in einer Verhandlung bestehenden Nachteil ausgleichen. Dies gilt schon deshalb, weil seine Intervention zu erheblichen Nachteilen wie einer Verzerrung der Interessen führt.188 Staatliche Zwangsnormen sind den von ihnen Betroffenen nicht immer günstiger als die ihnen von privater Seite aufgezwungenen Normen – immerhin irren auch Parlamentarier, Richter und Rechtswissenschaftler, etwa weil sie denselben kognitiven Defiziten unterliegen wie die von ihnen als schutzbedürftig Angesehenen.189 Da die Entscheidungsfreiheit der Parteien Respekt verdient, liegt es nahe, eine Rechtfertigung dort zu versagen, wo zwingende Normen beide Vertragspartner bevormunden und insofern einen paternalistischen Charakter annehmen190 . Das ist jedoch im Vertragsrecht nur selten der Fall. Meist richtet es sich 186   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 255); 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 232): „Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung.“; 2001, 957, 958 (= BVerfGE 103, 89, 100 f.); 2006, 596, 598; BGH, NJW 1994, 1341, 1342; Schwab, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  33, 55. 187   Zu den damit bestehenden Anreizen opportunistischen Verhaltens oben 3.C.1.a). 188   Oben 3.C.1. 189   Vgl. Buckley, Just Exchange, p.  81; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  111. 190   So Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 88 (1989); Grundmann, JZ 2005, 860, 864; Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  138 (sofern kein Drittschutz vorliegt); Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  36. Entgegengesetzt Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  24 (zwingendes Recht wahrt Freiheit des zu Schützenden); Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  92.

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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in erster Linie gegen einen von ihnen. Lediglich der Unternehmer oder Vermieter, Arbeitgeber oder Kreditgeber wird an einer schädigenden Handlung gehindert. Aus diesem Grund hat meist auch nur der geschützte Teil das Recht, die Unwirksamkeit der Vereinbarung geltend zu machen. Weder muss er dem nachkommen, noch darf sich der andere auf die Schutznorm berufen.191 Das Recht gibt dem zu Schützenden mit zwingenden Normen daher eine „Waffe in die Hand“,192 die er einsetzen kann, jedoch nicht einsetzen muss. Es richtet sich im mutmaßlichen Einverständnis des zu Schützenden gegen den anderen Teil. Verfolgt der Gesetzgeber mit zwingenden Normen nicht notwendigerweise einen paternalistischen Zweck, so haftet dieser seinen Normen gleichwohl vielfach an. Denn sie kommen auch dann zum Zuge, wenn beide Parteien eine wohlerwogene gegenteilige Entscheidung treffen. Die zwingende Vorgabe beruht in diesem Fall auf der Annahme, dass ein gegenteiliger Wunsch der Parteien fehlerhaft ist und keine Anerkennung verdient. Wenn ein Verbraucher etwa ein altes Fahrrad von einem Unternehmer kauft, darf er auch nach längerer Überlegung und deutlichem Preisnachlass nicht auf die Gewährleistungsrechte verzichten, §§  438 Abs.  1 Nr.  3, 475 Abs.  2 BGB. Der frühere für zwingendes Recht gebrauchte Begriff der Fürsorge193 verdeutlicht diesen paternalistischen Charakter besser als der neuere Begriff des Schutzes. Er zeigt klarer, dass sich ein Fremder um die Angelegenheiten einer Partei kümmert und es nicht allein um die Vermeidung von Gefahren geht. Den Parteien werden nicht nur Gestaltungen verboten, mit denen sie sich und ihr Vermögen gefährden,194 sondern ihnen soll ein bestimmter Erwerb gesichert werden.195 Da es Fälle eines anerkennenswerten Schutzes des Einzelnen vor sich selbst gibt,196 steht und fällt die Rechtfertigung einer zwingenden Norm allerdings nicht mit ihrem paternalistischen Charakter. Vielmehr kommt es auf die einzelnen Gründe an, die für und gegen eine Norm sprechen.

191   Die Berufung auf die Nichtigkeit ist für sie rechtsmissbräuchlich, BGH, NJW-RR 1997, 684, 686; oben 3.C.1.a), Fn.  288. 192   Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  293, der zugleich darauf hinweist, sie hätten die Folgen selbst zu tragen, wenn sie davon keinen Gebrauch machten. 193   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  4 4 ff., 57. Heute wird der Begriff vorwiegend im Familienrecht verwandt, etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, S.  15 ff. 194   BVerfG, NJW 2008, 2409, 2416 unter Berufung auf BVerfG, NJW 1982, 1276 (= BVerf­ GE 59, 275, 278 f.). 195   §  475 BGB; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999, Erwägung 5, 23. 196   Stellvertretend BVerfG, NJW 1967, 1795, 1800 (= BVerfGE 22, 180, 219); 1982, 2061 (= BVerfGE 60, 123, 132); 1999, 3399, 3402; Mill, On Liberty and Other Essays, p.  113; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  312 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  149, 232.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Paternalistische Eingriffe durch zwingendes Vertragsrecht197 unterscheiden sich von sonstigen Formen des Paternalismus. Denn bei ihnen ist anders als in den meisten Fällen von Paternalismus kaum bekannt, wer genau von ihnen profitiert. Man kann die Begünstigten aufgrund der Abstraktheit des Gesetzes nur generalisierend als Mieter, Schuldner oder Bürgen kennzeichnen.198 Anders als bei punktuellen paternalistischen Entscheidungen durch Eltern und Vorgesetzte kommt zwingendes Recht daher selbst dann zur Anwendung, wenn im Einzelfall selbst aus Sicht des Gesetzgebers kein Bedürfnis für es besteht. Ein weiterer Unterschied zwingender vertragsrechtlicher Normen zu sonstigen paternalistischen Eingriffen besteht darin, dass sie häufig nur die Mittel, nicht aber die Ziele eines Rechtsgeschäfts beschränken. Sie lassen den Parteien die Entscheidung, ob, mit wem und über welchen Gegenstand sie einen Vertrag schließen. Das ist milder als ein vollständiges Verbot. Gleichwohl kann die von derartigen Eingriffen ausgehende Wirkung enorm sein und das mit dem Vertrag verfolgte Ziel vereiteln. Die den Eingriff rechtfertigenden Gründe müssen die Freiheitsbeeinträchtigung aufwiegen. Dazu genügt es nicht, dass ein Schutzbedürfnis besteht.199 Darüber hinaus muss der Einsatz zwingenden Rechts für seine Umsetzung auch erforderlich sein. 200 Bereits die im 3. Kapitel beschriebene Durchsetzungskraft abdingbarer Normen kann den Einzelnen vielfach schützen, 201 so dass der Einsatz zwingenden Rechts nicht immer notwendig ist. Anderenfalls könnte es keine dispositiven Normen geben, denen die Rechtsprechung trotz dem abdingbaren Charakter eine Schutzwirkung zuspricht. Dass diese möglich ist, zeigt sich etwa am nach §  616 BGB bestehenden Anspruch auf Vergütung. Er besteht, obwohl der zum Dienst Verpflichtete diesem vorrübergehend nicht nachkommen kann. §  616 BGB ist damit eine zu seinen Gunsten existierende Schutznorm und gleichwohl abdingbar. 202 Wo bereits erhöhte Abbedingungshürden wie das

197   Zu seinen Erscheinungsformen und der mit ihm verbundenen Abkehr von der Gleichheit der Parteien Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  232 ff.; Lieb, AcP 183 (1983), 327, 361; sowie oben 4.A.1.b). 198   DiMatteo, Law Review of Michigan State University 883, 887 (2006), spricht wegen dieser Ungewissheit der Wirkung von einem „systemischen“ Paternalismus. Dazu bereits oben 4.B.1, Fn.  135. 199   Siehe aber Schluep, Einladung zur Rechtstheorie, S.  210 Rn.  564. 200   Oben 4.B.1. 201   Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 262 (1988); Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 673 (1998); Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 4 (2006); Sunstein/ Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1188 (2003); McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 392 (2007). 202   BGH, NJW 1995, 2629. Weitere Beispiele sind das Scheidungsfolgenrecht der §§  1569 ff. BGB, siehe BGH, NJW 2007, 2848, 2849; §  432 S.  2 HGB, dazu BGH, NJW 2007, 58; sowie die Anwaltsvergütung der §§  22 f. RVG, dazu BVerfG, NJW 2007, 2098, 2099 (= BVerfGE 118, 1, 17).

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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Erfordernis einer Information, Belehrung oder Individualvereinbarung genügen, ist zwingendes Recht entbehrlich. Der Schutz durch abdingbare Normen, die einer hypothetischen Wahl der Parteien widersprechen, wird bisweilen als libertärer Paternalismus bezeichnet. 203 Sein libertärer Charakter soll darin bestehen, dass dem Einzelnen nichts zwingend vorgeschrieben wird. Aufgrund der Erheblichkeit der Abbedingungshürde ist die Bezeichnung als libertär allerdings irreführend. Wenn die Parteien es versäumen, eine andere Entscheidung zu treffen, verpflichtet sie abdingbares Recht immerhin ebenso stark wie zwingendes Recht. Insofern ist der Eingriff durch abdingbares Recht nicht unbedingt libertär. Abgesehen davon ist er, wie sich bereits zeigte, auch nicht unbedingt paternalistisch. Die Schutzbedürftigkeit eines Vertragspartners rechtfertigt auch deshalb nicht stets den zwingenden Charakter einer Norm, weil dieser nicht nur die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, 204 sondern auch andere Nachteile mit sich bringt. Zu ihnen gehören neben der Verzerrung der Interessen die Anreize zum Opportunismus. 205 Sie sind mit den Vorteilen einer zwingenden Fassung abzuwägen. Zu bedenken gilt es dabei insbesondere, dass zwingende Normen auf eine Vielzahl von Verträgen Anwendung finden. Es ist daher die komplexe Entscheidung zu treffen, welchen Personen der Vorzug zu geben ist – ob etwa denjenigen, die sich leicht übervorteilen lassen, denjenigen, die bei einer durch zwingendes Recht bewirkten Preiserhöhung auf die Leistung verzichten, oder schließlich denjenigen, die sich bewusst und reflektiert zu riskanten Geschäften entschließen. Der Verbraucherschutz läuft somit in erster Linie auf den Schutz des einen vor dem anderen Verbraucher hinaus.206 Ein Grundsatz des Verbraucherschutzes, wie ihn nunmehr Art.  38 der EU-Grundrechtecharta vorsieht, hilft deshalb vielfach nicht weiter, 207 da er nicht klarstellt, wem genau der Vorzug gebührt. Im Interesse einiger wird allen untersagt, bestimmte Geschäfte 203   Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1190 (2003); McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 392 (2007); Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  493, der dafür dispositive Regelungen als das paradigmatische Beispiel ansieht. Kritisch Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610–611 (1998); Eidenmüller, JZ 2011, 814, 819 ff., der die Bezeichnung liberaler Paternalismus wählt. 204   Weitgehend etwa Lipp, Freiheit und Fürsorge, S.  128 „Die Autonomie kann daher nicht gegen den Träger der Autonomie geschützt werden; ein solcher ‚Schutz‘ hebt sie vielmehr auf.“ 205   Oben 3.C.1.a). 206   Vgl. Canaris, Iustitia distributiva, S.  73 f.; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  115 am Beispiel von Darlehensnehmern. 207   Kritisch zu diesem daher Medicus, JuS 1996, 760, 766 (zur Lage vor der Schuldrechtsreform 2001); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  45, 120 f.; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 336; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  575; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  133, Rn.  377. Zur Diskussion, ob damit ein Prinzipienwechsel einherginge HK-Zimmermann, vor §  1 Rn.  103. Ein gegenteiliges Prinzip einer Lückenausfüllung zugunsten der Partei mit größerer (!) Verhandlungsmacht erwägt Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 411 (2009).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

einzugehen. So legitim dies auch immer sein mag, ist die Bezeichnung als „hoher Verbraucherschutz“208 somit irreführend. Denn die Frage ist gerade, welcher Verbraucher besonders geschützt sein soll. Allen kann man es nicht recht machen. b)  Der Schutz Dritter Neben dem Schutz der Vertragspartner erfordern vor allem die Interessen Dritter den Erlass zwingender Normen. Das ist in einer Hinsicht selbstverständlich, in einer anderen aber erstaunlich. Selbstverständlich ist es insofern, als Dritte am Vertrag nicht beteiligt sind und durch ihn keinen Nachteil erleiden. Den Parteien ist eine Gestaltung der Rechtsverhältnisse Dritter versagt. Ein Vertrag zulasten Dritter verstößt gegen die negative Vertragsfreiheit 209 und ist damit unzulässig.210 Erstaunen aber muss die Folge, dass zwingende Normen erforderlich sind, um diesen Schutz sicher zu stellen. Vermögen die Parteien ohnehin nur im Verhältnis zueinander Rechte und Pflichten zu begründen, können sie Dritten keine Pflichten auferlegen. Das Vertragsrecht muss ihnen das nicht erst noch verbieten. Daher stellt sich die Frage, warum es zum Schutze Dritter gleichwohl zwingender Normen bedarf. Die Antwort darauf hängt mit den weit reichenden Wirkungen eines Vertrages zusammen. Unmittelbar berechtigt und verpflichtet er zwar keine Dritten. Mittelbar aber vermag er sie gleichwohl zu belasten.211 Denn Dritte können aufgrund ihrer Verbindung zu einer der Parteien ein hohes Interesse an einem bestimmten vertraglichen Recht oder einer bestimmten Pflicht haben. Deren Abbedingung beeinträchtigt sie. So belasten Unterhaltsverträge zwischen Geschiedenen unter Umständen den Träger der Sozialleistungen und sind aus diesem Grund sittenwidrig. 212 Ebenso wirkt sich ein Mietvertrag auch auf die in der Wohnung lebenden Angehörigen aus, die nicht Vertragspartner des Vermieters sind. Die Abbedingung von Schutzpflichten bekommen sie mittelbar ebenso zu spüren wie der Mieter. Für derartige Konstellationen hat die Rechtsprechung den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Rechte entwickelt. 213 208   Art.  169 Abs.  1 AEUV; Art.  38 EU-Grundrechtecharta; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999, Erwägung 23; Fernabsatzrichtlinie 02/65/EG vom 23. September 2002, Erwägung 1. 209   Zur negativen Vertragsfreiheit oben 1.B.2, Fn.  146. 210   Larenz, Schuldrecht, AT, S.  233; oben 1.B.2, Fn.  130. 211   Grundsätzlich dazu Weber, Rechtssoziologie, S.  124 ff.; ferner Martens, AcP 177 (1977), 113, 135 ff., der zwischen Verträgen zu Lasten Dritter und Verträgen mit Lastwirkung gegenüber Dritten differenziert; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  307; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S.  30; Westermann, AcP 208 (2008), 141 ff. 212   BGH, NJW 1983, 1851, 1853 (= BGHZ 86, 82, 90); 2009, 842, 845 (= BGHZ 178, 322, 336). 213   BGH, NJW 1976, 712, 713 (= BGHZ 66, 51, 56 f.) weitere Nachweise oben 2.A.3.a), Fn.  75.

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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Die für ihn geltenden Normen sind zum Teil zwingender Art. 214 So erstreckt sich etwa das Verbot der Freizeichnung von vorsätzlichen Schädigungen nach §  276 Abs.  3 BGB auch auf die Haftung gegenüber Dritten. 215 Während ein Verbot der Schädigung Dritter insofern plausibel ist, als die Parteien an ihr kein anerkennenswertes Interesse haben, fällt eine allgemeine Rechtfertigung zwingender Normen aufgrund der Interessen Dritter schwer. Diese Interessen allein sind kein hinreichender Grund, um jemanden zu verpflichten. Dritte sind am Vertrag nicht beteiligt und verlieren durch ihn keine Rechte. Die Parteien haben ihnen gegenüber nichts versprochen und erlangen von ihnen auch keine Vorteile. So wie die Einzelnen frei sind, über ihre Verhältnisse selbst zu entscheiden, solange sie Dritten nicht schaden, 216 so können sie ihre Beziehung zueinander ohne Rücksicht auf diese gestalten. Dritte haben zwar ein schützenswertes Interesse, dadurch keine Rechte zu verlieren. Das aber wird bereits dadurch verhindert, dass ein Vertrag zulasten Dritter keine Wirkung entfaltet. Drittinteressen sind daher bei der Gestaltung des Vertragsrechts nur aus besonderen Gründen zu berücksichtigen. 217 Diese müssen über die allgemeinen Interessen Dritter hinausgehen und dadurch die Zurechnung einer Pflicht zu einem der Vertragspartner rechtfertigen. Das kann auf seiner Verantwortung für Dritte beruhen, aber auch auf dem Umstand, dass er von diesen Dritten profitiert. So hat fast jeder Teilnehmer an einem Markt ein Interesse an dessen Erhaltung. Anderenfalls könnte er auf ihm keine Aktivität entfalten. Aus diesem Grund gibt es zur Sicherung von Märkten eine Reihe drittschützender Normen, die wie Art.  102 AEUV die Entstehung von Monopolen verhindern. Da die Parteien von diesen Märkten profitieren, haben sie durch die Einhaltung der ihn ermöglichenden Normen auch zu seiner Sicherung beizutragen. Mit dieser Überlegung lassen sich etwa das im Interesse Dritter bestehende Verbot   Das gilt etwa für den verbotenen Haftungsausschluss bei der Verletzung von Leib und Leben nach §  309 Nr.  7 BGB, BeckOK-BGB20 -Janoschek, §  328 Rn.  57; MünchKommBGB5Gottwald, §  328 Rn.  132 f.; Staudinger2009-Jagmann, §  328 Rn.  112; kritisch Soergel12-Hadding, Anhang zu §  328 Rn.  22. Die Annahme des BGH, aus der „Natur des Vertrages“ könne sich eine strengere Haftung gegenüber dem Dritten ergeben, NJW 1994, 392, 393 (= BGHZ 127, 378, 385), spricht nach §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB ebenfalls für eine Grenze der Abdingbarkeit. 215   Die Vorsatzhaftung gilt auch gegenüber Dritten zwingend Erman12-Westermann, §  328 Rn.  17; zu ihrer Grenze Verfasser, JZ 2007, 18, 22 ff. mwN. 216   Vgl. Einleitung, §  83 Preußisches Allgemeines Landrecht: „Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eigenes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Anderen, suchen und befördern zu können.“; Mill, On Liberty and Other Essays, p.  14; anders Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  4 4, S.  29: „ein jeder ist verbunden, zur Vollkommenheit des andern so viel beyzutragen, als er kann“. 217   Westermann, AcP 208 (2008), 141, 150; Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  133; weitergehend Martens, AcP 177 (1977), 113, 174, der bei Verträgen mit faktischer Auswirkung auf Dritte für eine Beurteilung im Einzelfall plädiert. 214

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

von Preisabsprachen 218 und andere wettbewerbsrechtliche Verbote rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, wenn die Absprachen der Parteien auf eine Schädigung Dritter gerichtet sind, wie das etwa bei einem zu deren Lasten vereinbarten Kontrahierungsverbot der Fall ist.219 Die gegen eine Abdingbarkeit sprechenden Drittinteressen unterteilen sich in zwei Arten, nämlich in den Schutz von Einzelinteressen und den Schutz öffentlicher Interessen.220 Im ersten Fall sind es bestimmte Einzelne, die eine zwingende Norm schützt. So dient ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter denjenigen Einzelnen, die in einem besonderen Näheverhältnis zur Leistung stehen. 221 Fördert eine Norm hingegen das öffentliche Interesse, kommt sie einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugute. Dieses Interesse geht mittelbar ebenfalls auf Einzelinteressen zurück. Sie werden in ihm gebündelt.222 Denn hinter der Vielfalt der in ihm zusammengefassten Interessen steht außer den Einzelnen niemand, der ein originär schutzwürdiges Interesse ausbilden könnte.223 So sind weder der Staat, noch die Nation, noch eine andere Gemeinschaft eine Größe, die um ihrer selbst willen Berücksichtigung verdient.224 Man kann derartige Interessen zwar auf unterschiedliche Weise beschreiben etwa als Sozialpolitik und Institutionenschutz225 oder als Bedingungen für die Erhaltung der Selbstorganisation der Gesellschaft 226 . Wichtig dabei ist aber, sich ih218   Verboten durch §  14 GWB a. F.; nunmehr durch §§  1–3 GWB, Immenga/MestmäckerZimmer, GWB4, §  1 Rn.  386. Zu sonstigen nach §  138 BGB untersagten Schädigungen Dritter siehe BGH, NJW-RR 1996, 869; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  138 Rn.  36; Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  354 ff. 219   Westermann, AcP 208 (2008), 141, 144. 220   Kritisch zu dieser Differenzierung Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  81. Zum Teil wird zwischen öffentlichen und Drittinteressen unterschieden, etwa Möslein, Dispositives Recht, S.  186. 221   Überblick dazu bei BeckOK-BGB20 -Janoschek, §  328 Rn.  51; Erman12-Westermann, §  328 Fn.  13; Palandt70 -Bassenge, §  328 Rn.  17 f. 222   von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  14; Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  23 (für das Privatrecht); von Jhering, Der Geist des Rechts, S.  286; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  86; siehe auch BVerfG, NJW 2009, 2267, 2270 (= BVerfGE 123, 267, 346): „Der Staat ist weder Mythos noch Selbstzweck.“; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Wahl, VwGO, vor 42 Rn.  56; Bleckmann, JZ 1988, 57, 59. Zur rechtsethischen Maßgeblichkeit individueller Interessen von der Pfordten, Rechtsethik, S.  463 ff.; ders., Normative Ethik, S.  38 ff. Nach Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S.  81 handelt es sich bei der Frage der Rückführung auf individuelle oder kollektive Interessen um eine metarechtliche Frage. 223   von der Pfordten, Normative Ethik, S.  32 ff. Für eine Eigenständigkeit öffentlicher Interessen hingegen Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  39; wohl auch Wagner, Prozessverträge, S.  75 f. 224   Zur Kritik derartiger Theorien von der Pfordten, aaO., S.  32 ff., 221 ff. Weitergehend Martens, AcP 177 (1977), 113, 115, wonach „individuelle und überindividuelle Ordnungskräfte“ in den Vertrag münden. 225   Martens, AcP 177 (1977), 113, 173; Collins, The Law of Contract, p.  249. 226   Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  144 ff., 298 ff.; vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  468. Dies steht im Kontrast zur traditionell be-

B.  Die Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht

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ren Ursprung aus den Einzelinteressen zu verdeutlichen. Unabhängig von ihnen haben sie keinen Eigenwert. Bezweckt eine Norm den Schutz öffentlicher Interessen, so ist sie aus diesem Grund nicht bereits deshalb zwingend. Denn diesen können gewichtigere Einzelinteressen gegenüberstehen. Bei einer Kollision privater und öffentlicher Interessen hat man es folglich nicht mit einem kategorialen Unterschied zu tun, der zum Vorrang des einen vor dem anderen Interesse führte. Am Ende geht es stets um gleichgeordnete Interessen von Einzelnen. So gehen insbesondere die abstrakten öffentlichen Interessen wie die Rechtssicherheit oder das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die Einzelnen zurück. Eine Abwägung mit den erkennbaren Privatinteressen ist daher grundsätzlich möglich. Allerdings fällt diese Abwägung mangels Individualisierbarkeit der letztlich geschützten Interessen schwer und muss man sich mit Typisierungen behelfen. Dabei können öffentliche Interessen das individualisierbare Einzelinteresse überwiegen, müssen es aber nicht. So liegt der Fristberechnung nach §  193 BGB das Interesse an der Bewahrung der Sonntagsruhe zugrunde.227 Es kommt einer unbestimmten Zahl von Personen zugute und ist damit öffentlicher Art. Gleichwohl wiegt dieses Interesse nicht so schwer, als dass die Fristberechnung einen zwingenden Charakter annähme, §  186 BGB. Das zeigt zum einen, dass auch abdingbare Normen dem öffentlichen Interesse dienen können, 228 und zum anderen, dass sich dieses in der Abwägung nicht stets durchsetzt. Genügte die Förderung öffentlicher Interessen zur Begründung des zwingenden Charakters einer Norm, gäbe es fast nur zwingendes Recht. Denn nahezu jede Norm berührt in irgendeiner Weise öffentliche Interessen. Ob es das Vertrauen des Verbrauchers gegenüber dem Markt, die Effizienz der Wirtschaft oder die Rechtssicherheit ist – stets lässt sich zumindest ein minimal betroffenes öffentliches Interesse finden. Ohne dieses hätte der Gesetzgeber keinen Grund, die Norm zu verabschieden. Allerdings vermag vielfach bereits die Gestaltung der Abbedingungshürde, öffentliche Interessen zu wahren.229 Das gilt insbesondere für das Erfordernis einer notariellen Beurkundung. Etwa dürfte ein derartiges Formerfordernis anstelle des §  354a HGB reichen, um die Verkehrsfähigkeit handelsrechtlicher Forderungen zu erhalten. Ein Großteil der Verträge wird schriftlich oder mündlich geschlossen, so dass eine genügende Zahl an Forderungen abtretbar bliebe. tonten Selbstorganisation der Beteiligten durch den Vertrag, etwa Larenz/Wolf, AT, §  14 Rn.  5, S.  241. 227   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  84, 90, der daraus den zwingenden Gehalt von Normen im öffentlichen Interesse ableitet. 228   Anders Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  92 ff., 120; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  112; Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  127, Rn.  355. 229   Oben 4.B.2.a).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Öffentliche Interessen gebieten auch deshalb nicht stets die zwingende Fassung einer Norm, weil sie die Interessen sämtlicher Personen zu berücksich­ tigen haben, die eine zwingende Gestaltung schädigen würde. Dritte haben keineswegs stets gleichgerichtete Interessen. Das Verbot eines Abtretungsausschlusses nach §  354a HGB etwa nutzt zwar den Gläubigern. Sie können dadurch die Forderung abtreten. Zugleich aber schadet dies dem Schuldner und seinen Gläubigern, da er nunmehr den Forderungen unbekannter Dritter ausgesetzt ist. Schützenswerte Drittinteressen vermögen daher nicht stets, den Vorrang abdingbarer Normen zu durchbrechen.230 Auch sie bedürfen einer Abwägung.231

C.  Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption Abdingbares Recht bedarf wegen der mit ihm einhergehenden Lasten der Rechtfertigung. 232 Wie kann diese gelingen? Dazu existiert eine Fülle von Theorien. Sie bauen auf den bereits beschriebenen Modellen 233 auf und reichen vom Willen der Parteien, über die Wertungen der Rechtsordnung bis hin zur Nutzenmaximierung. Ihre Konkretisierung beinhaltet eine derartige Fülle von Gesichtspunkten, dass sich die Frage stellt, ob die Suche nach einem einheitlichen Modell für die Gestaltung abdingbaren Rechts nicht von vornherein hoffnungslos ist. 234 Die Antwort darauf hängt vom Zweck ab, den ein derartiges Modell erfüllen soll. Geht es um eine einfache Formel, die für alle Rechtsfragen eine ideale und im Einzelnen bestimmte abdingbare Norm hervorbringt, so wäre die Suche nach ihm in der Tat wenig aussichtsreich. Zu vielgestaltig sind die einzelnen Situationen und die dabei zu beachtenden Gründe. Daraus folgt allerdings nicht, dass man die Frage nach der Rechtfertigung abdingbaren Rechts beiseite schieben muss. Denn ihre Untersuchung lohnt bereits dann, wenn sie zu Einsichten führt, die bei der Gestaltung und Interpretation abdingbarer Normen helfen. Eine alles beantwortende Formel ist dafür nicht erforderlich. Es genügt, wenn die zu entwickelnden Grundsätze die Gestaltung abdingbarer Normen erleichtern.

230   Für einen prinzipiellen Vorrang hingegen Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  76. 231   Zu den dabei maßgeblichen Kriterien unten Kapitel 5.B. 232   Oben 4.A. 233   Oben Kapitel 2. 234   So Slawson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 29, 34 (1993); Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 604 (2003); Hesselink, 1 ERCL 44, 65 (2005): „There seems to be no ‚objective‘ or ‚scientific‘ answer to most of the questions which drafters of non-mandatory rules will have to face.“; beschränkt auf Autonomie-Theorien Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 490 (1989).

C.  Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption

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1.  Rechtfertigung durch Zustimmung und aufgrund Zustimmung Abdingbares Recht lässt sich nur rechtfertigen, wenn man angeben kann, worauf die den Parteien auferlegte Abbedingungslast letztlich beruht. Der Entschluss des demokratischen Gesetzgebers ist zwar eine erste Rechtfertigung, muss aber schon aufgrund des mit abdingbarem Recht einhergehenden Eingriffs in die Vertragsfreiheit seinerseits begründet sein. Aus der Zustimmung der Vertragsparteien kann sich diese Rechtfertigung nicht speisen, weil sie für die Geltung abdingbarer Normen fehlt. Diese beruhen nicht auf ihrer Entscheidung, sondern auf der des Gesetzgebers. 235 Das gilt selbst dann, wenn er sich an ihrem Willen orientiert. Vielfach wurde daraus der Schluss gezogen, dass es mangels Willens der Einzelnen bei der Gestaltung abdingbaren Rechts auf andere Größen ankomme wie etwa auf das, was die meisten Parteien vereinbarten, was den volkswirtschaftlichen Nutzen am stärksten fördere oder was die herrschende Moral gebiete. 236 Indes ist dieser Schluss voreilig. Die Zustimmung der Parteien zum Vertrag rechtfertigt mehr als nur die Pflichten, auf die sie unmittelbar gerichtet ist. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen der Rechtfertigung durch Zustimmung und der Rechtfertigung aufgrund Zustimmung. Die Erstere besteht darin, dass eine Person einer Pflicht zustimmt und sie daher zu erfüllen hat. Das ist die klarste Form der Rechtfertigung und wurde deshalb vielfach zum Schlüsselbegriff der Rechts- und Staatsphilosophie. 237 Etwas gilt, weil die Betroffenen zugestimmt haben. Ist eine Pflicht nicht von dieser Zustimmung umfasst, kann sie gleichwohl an diese anknüpfen. Denn den Parteien sind aufgrund ihrer Zustimmung weitere Pflichten zuzurechnen. 238 Dafür ist allerdings ein Grund erforderlich, der die Zustimmung der Parteien mit einer von ihr unmittelbar nicht erfassten Pflicht verbindet. Wer etwa den Transport einer Sache verspricht, muss sie dafür womöglich verpacken, auch wenn das nicht vereinbart war. Wer durch das   Oben 4.A.1.d), Fn.  35.   Bachmann, Private Ordnung, S.  230: liege kein Rechtsgeschäft vor, sei „die jeweilige Rechtsfrage ohne methodische Schnörkel allein nach sachgerechten Kriterien zu lösen“. Ähnlich für die USA Restatement (second) of Contracts, §  204 (1981): „a term which is reasonable in the circumstances is supplied by the court“; Fried, Contract as Promise, p.  60, 69; nach Collins, Regulating Contracts, p.  53 sind derartige „instrumental or policy concerns .  .  . the dominant force“ der Privatrechtsentwicklung. Kritisch Patterson, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 235, 269 (1993); Linzer, NYU Annual Survey of American Law 139, 173 (1988). Eine parallele Frage ist, ob Gesetzeslücken nach der Überzeugung des Richters zu schließen sind, Art.  1 Abs.  2 Schweizer ZGB; Elhauge, Statutory Default Rules, pp.  3. 237   Stellvertretend Locke, Two Treatises of Government, 2nd Treatise, chapt. VIII, §  95, pp.  330; Nozick, Anarchy, State, and Utopia, pp.  262; Larenz, Richtiges Recht, S.  58; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  169 ff., 381; Bachmann, Private Ordnung, S.  226, der daneben das Gemeinwohl nennt; gegen den „cult of consent“ Beyleveld/Brownsword, Consent in the Law, pp.  231; zur Kritik Marmor, Law in the Age of Pluralism, p.  81. 238   Entsprechend formuliert Lord Goff of Chieveley in Henderson v Merrett Syndicates Ltd [1995] 2 AC 145, 194: „the contractual duty is attributable to the will of the parties“. 235

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

vertragliche Versprechen bestimmte Erwartungen erweckt, muss sie erfüllen, selbst wenn er dies nicht versprochen hat. 239 Wer einen anderen so in Dienst nimmt, dass sich dieser um seine eigenen Angelegenheiten nur begrenzt kümmern kann, übernimmt Verantwortung für ihn. Aus alldem fließen weitere Pflichten. Die Zustimmung zu einem Vertrag verpflichtet somit zu mehr als zu dem, was den Parteien bei seinem Abschluss bewusst ist. Gleichwohl müssen diese Pflichten mit der Zustimmung der Parteien verbunden bleiben. Man kann ihnen nicht beliebige Pflichten zurechnen. Die ältere Willenstheorie hatte für diesen Zusammenhang noch ein Gespür. 240 Dass Verträge auf Zustimmung beruhen, war bereits für die ihr vorausgegangenen Naturrechtstheorien selbstverständlich.241 Das Neue an der Willenstheorie war vielmehr die These, dass nicht nur die Entstehung des Vertrages, sondern auch sein gesamter Inhalt auf den Willen der Parteien zurückzuführen sei.242 Damit beugte sie der drohenden Überfrachtung der Parteien durch zusätzliche Pflichten vor. Zu weit sollte sich das Vertragsrecht nicht vom Willen der Parteien entfernen. Die Willensfiktion wahrte damit trotz aller Künstlichkeit die Freiheit der Parteien. Ihr war daran gelegen, dass die Ausgestaltung des Vertrages den Interessen der Parteien gerecht wird und nicht einem ungezügelten gesetzgeberischen oder richterlichen Ermessen unterliegt. Dieses Anliegen lässt sich aufrechterhalten, indem man zwar auf die Willensfiktion verzichtet, aber einen Zusammenhang zwischen der Zustimmung der Parteien und den ihnen auferlegten Pflichten verlangt. Die Zustimmung muss dafür Teil der Gründe sein, die eine zusätzliche Pflicht rechtfertigen. Anderenfalls wäre nicht ersichtlich, warum man den durch sie Belasteten und nicht einen Dritten in die Verantwortung nimmt. Denn von ihm unterscheidet er sich nur durch diese Zustimmung. Lehnt man die Willenstheorie wegen ihrer Fiktionen ab, so bedeutet das daher nicht, die mit ihr verbundene Begrenzung der den Parteien auferlegten abdingbaren Pflichten aufzugeben. Ihre Einsicht lässt sich vielmehr aufrechterhalten, indem man die Zustimmung nach wie vor nicht als bloßen Anlass dafür sieht, den Parteien die je nach den vorherrschenden ökonomischen, politischen oder sozialen Überzeugungen erwünschten Pflichten aufzuerlegen. Dafür be239   Zur Zurechnung erweckten Vertrauens Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  473 ff.; sowie oben 3.B.5, Fn.  269. 240   Laband, AcP 73 (1888), 161, 165: „Jede dispositive Gesetzesvorschrift, die nicht vollkommen dem stereotypen Willen der Parteien .  .  . entspricht, bewirkt .  .  . [eine] Fälschung des rechtsgeschäftlichen Willens der Parteien“; zur Willenstheorie von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f. sowie oben 2.A. 241   Grotius, De jure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kap., II, S.  245; Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit, II, VII, §  1, S.  188; Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  438, S.  269. 242   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Gordley, 69 California Law Review 1587, 1624 (1981); sowie oben 2.A.

C.  Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption

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darf es mehr, nämlich eines Grundes, warum die belastete Partei eine Pflicht tragen soll. 243 Das gemeinsame Interesse an der Vertragsdurchführung kann ebenso dazu gehören wie die Übernahme von Verantwortung in einer Nähebeziehung. 244 Dass die belastete Partei die Pflicht am effizientesten erfüllen kann oder ihr Vertragspartner Schutz verdient, ist dafür nicht genug, da diese Erwägungen auch unabhängig vom Vertragsschluss gelten. Es muss einen mit diesem zusammenhängenden Grund geben, der belasteten Partei die Verantwortung für den mit der Pflicht beabsichtigten Zweck aufzuerlegen. 245 Anderenfalls ließen sich die Einzelnen über das Privatrecht nach Belieben in Anspruch nehmen. Einen Zusammenhang zwischen der abdingbaren Pflicht und der Zustimmung zum Vertragsschluss zu fordern, bedeutet nicht, dass man aus ihr in verdeckter Form eine Pflicht deduziert. 246 Die Zustimmung muss zwar Teil der Gründe sein, aus denen man einer Partei eine Pflicht auferlegt. Sie erschöpft diese Gründe aber nicht.247 Weitere Erwägungen zur Anerkennungswürdigkeit von Interessen und Zumutbarkeit einer Belastung sind erforderlich. Das gerät aus dem Blick, wenn man bei der Gestaltung abdingbaren Rechts lediglich danach fragt, welche Norm die Interessen der Betroffenen maximiert oder das Gemeinwohl optimal verwirklicht. Denn beide Aspekte mögen zwar für sich genommen einleuchten, sind aber nicht notwendig mit der Zustimmung zum Vertrag verbunden. Das zeigt zugleich, dass es bei der Gestaltung abdingbaren Rechts durchaus auf die Autonomie des Einzelnen und die Gründe ankommt, aus denen ein Vertrag verbindlich ist. 248 Genau deshalb hatte die ältere Lehre abdingbare Normen als zwischen Gesetz und Vertrag „vermittelnde“ bezeichnet, sie von den gebietenden Normen abgegrenzt und auf diese Weise einen Bezug zum Willen der Parteien bewahrt.249 Abdingbare Normen stehen daher zwischen den unmittelbar durch Zustimmung legitimierten Klauseln und den allein an einer Interessenmaximierung orientierten Normen. Weder die Zustimmung zum Vertrag noch die Maximierung der Parteiinteressen genügen für sich, um sie zu rechtfertigen.   Vgl. für die Verteilungsfolgen Canaris, Iustitia distributiva, S.  119.   Siehe zu diesem Aspekt von der Pfordten, Normative Ethik, S.  210 ff., 288 ff.; 326. 245   Zur verfassungsrechtlichen Forderung nach der Verantwortung des Grundrechtsträgers für einen diesem zugemuteten Eingriff Kube, JZ 2010, 265, 266. 246   Diesen Eindruck erweckt die Vorstellung, nach der die ungeregelten Fragen zwar nicht durch Implikation, wohl aber durch Ableitung („inference“) zu lösen seien, Farnsworth, 68 Columbia Law Review 860, 876 (1968). 247   Beyleveld/Brownsword, Consent in the Law, pp.  237, 261. 248   Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 511 (1989) hält diese Theorien hingegen für irrelevant. 249   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  58; zum historischen Hintergrund Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  34 ff.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  72 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S.  142. 243

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Die Zurechnung250 aufgrund Zustimmung kann insbesondere auf der Eigenart der Leistungen aufbauen, welche die Parteien einander versprechen. Wer etwa die Arbeitskraft einer Person über längere Zeit hinweg beansprucht, übernimmt eine Verantwortung für den Arbeitnehmer, da sich dieser in der Arbeitszeit nicht um seine eigenen Angelegenheiten kümmern kann. Das beinhaltet unter anderem die Pflicht, ihm im Krankheitsfall den Lohn weiter zu zahlen. 251 Dafür muss man nicht suggerieren, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag so verstehen durfte. Denn womöglich haben die Parteien bewusst die Frage offen gelassen, was im Krankheitsfall geschieht. Dass §  616 BGB dem Arbeit­ geber gleichwohl die abdingbare Pflicht zur Lohnfortzahlung auferlegt, zeigt die prinzipielle Möglichkeit, ihm aufgrund dieser Verantwortung Pflichten zuzurechnen, deren Erfüllung er nicht versprochen hatte. Allein aus dem Umstand, dass eine Rechtfertigung durch Zustimmung scheitert, folgt somit nicht, dass diese nicht aufgrund Zustimmung der Parteien zustande kommt. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Pflicht des Auftragnehmers, nach Beendigung seines Auftrags Rechenschaft zu legen, §  666 BGB. Nicht jedem Auftragnehmer ist bei Vertragsschluss deutlich, dass er später eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben aufzustellen hat. Auch der Auftraggeber wird sich darüber häufig keine Gedanken machen. Nur durch Fiktion lässt sich diese Pflicht dem Versprechen der Parteien entnehmen. Um die Rechenschaftspflicht zu begründen, genügt jedoch der Verweis auf die Verantwortung, welche die Übernahme eines Auftrags mit sich bringt. Der Auftraggeber muss sich einen Überblick über die eigenen Rechte und Pflichten verschaffen können. Aus diesem Grund darf er erwarten, dass der Auftragnehmer am Ende Rechenschaft legt und dieser muss sich darauf einstellen, dem Auftraggeber dadurch die Übernahme einer ihn betreffenden Tätigkeit zu ermöglichen. Die Pflicht zur Rechenschaftslegung ist daher dem Auftragnehmer zuzurechnen, ohne dass er dies versprochen hat. Welche Pflichten den Parteien aufgrund ihrer Zustimmung des Weiteren zurechenbar sind, ist an dieser Stelle nicht im Einzelnen darstellbar. Wichtig ist hier nur der Grundsatz, dass eine derartige Zurechnung prinzipiell möglich ist, für sie aber auch Grenzen bestehen. Entscheidend ist nicht allein, welche abdingbare Norm die Interessen der Betroffenen am meisten fördert. Maßgeblich ist vielmehr, dass die entstehende Pflicht dem durch sie Belasteten zurechenbar ist. Deshalb muss ein legitimatorischer Zusammenhang zwischen den abding  Zu diesem vielfach gebrauchten Begriff stellvertretend Wolff, Grundsätze des Naturund Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  3, S.  3; §  34, S.  22; Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §  132, S.  126, 128; Kelsen, Reine Rechtslehre, S.  79 ff.; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S.  72 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  75; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  468 ff.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  282. 251   §§  617 BGB, 3 EntgFG. 250

C.  Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption

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baren Pflichten und der Zustimmung der Parteien bestehen. Dass sich diese über eine Frage nicht geeinigt haben, gibt weder dem Richter noch der Rechtsgemeinschaft die Befugnis, die Lücke nach eigenem Gutdünken auszufüllen. Durch das Erfordernis der Zurechnung aufgrund Zustimmung lässt sich der Bezug zum Willen des Einzelnen wahren, ohne weitergehende Annahmen zu fingieren. Ausnahmsweise entstehen neben den Pflichten aufgrund Zustimmung auch Pflichten anlässlich der Zustimmung. Bei ihnen hat der die abdingbare Norm rechtfertigende Grund nichts mit der Zustimmung des Einzelnen zu tun. Der Normgeber nimmt den Vertragsschluss lediglich zum Anlass, den Parteien eine Pflicht zuzuweisen.252 Ein Beispiel dafür ist der Anspruch des Bundestagskandidaten auf einen zweimonatigen unbezahlten Urlaub zur Wahlvorbereitung. 253 Er setzt zwar ebenfalls das Bestehen eines Arbeitsvertrages und damit die Zustimmung von Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer voraus. Auch ist er im Grundsatz abdingbar. 254 Die Anknüpfung dieses Anspruchs an die Zustimmung des Arbeitgebers ist in diesem Fall aber allein äußerlich. Nicht weil ein Arbeitsvertrag besteht, muss der Arbeitgeber Sonderurlaub gewähren, sondern weil sich der Arbeitnehmer für den Bundestag bewirbt und sich darauf vorbereiten muss. Das hat unmittelbar nichts mit dem Arbeitsverhältnis zu tun. Den Arbeitgeber trifft gleichwohl eine Pflicht, weil er es ist, dessen Ansprüche mit dem Interesse an demokratischen Wahlen kollidieren und keine andere Möglichkeit ersichtlich ist, eine Wahlvorbereitung zu gewährleisten. Es besteht daher zwar ein guter Grund, einem Bundestagskandidaten einen abdingbaren Anspruch auf Sonderurlaub einzuräumen, aber er hat nichts mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages zu tun. Insofern unterscheidet sich diese Pflicht von anderen den Arbeitgeber treffenden Schutzpflichten wie etwa der Pflicht zur Gewährung des Jahresurlaubs, §  1 BUrlaubG. Diesen kann man im Gegensatz zum Sonderurlaub zur Wahlvorbereitung auf die Zustimmung zum Arbeitsvertrag zurückführen. Denn der Arbeitgeber lässt sich darin Leistungen versprechen, welche einerseits den Bedarf nach Erholung schaffen und durch diese andererseits gefördert werden. Die Rechtfertigung einer Pflicht anlässlich einer Zustimmung muss wie im Falle des Sonderurlaubs für Bundestagskandidaten auf erheblichen Drittinteressen beruhen, hinter denen die Interessen der durch sie Belasteten zurücktreten. Reicht die Zustimmung nicht zur Zurechnung weiterer Pflichten aus, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die Vertragspartner eine bestimmte Pflicht erfüllen sollen. Da sie der Anwendung abdingbaren Rechts nicht zugestimmt haben, kann die Rechtfertigung der sie gleichwohl treffenden Pflichten 252   Siehe die Kategorisierung von Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  75. 253   Art.  48 Abs.  1 GG, §  3 Abgeordnetengesetz. 254   Berger-Delhey, PersV 1994, 241, 242; BeckOK-GG11-Butzer, Art.  48 Rn.  3.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

nur anlässlich ihrer Zustimmung erfolgen. Vergleicht man sie mit einem Dritten und fragt, warum sie und nicht dieser Dritte eine Pflicht tragen sollen, so lässt sich die Rechtfertigung nur an den Unterschied zu ihm knüpfen, nämlich dass sie dem Vertrag zugestimmt haben. Für weitere Unterschiede bedarf es besonderer Eigenschaften. Beim zur Gewährung von Sonderurlaub verpflichteten Arbeitgeber ist es der Umstand, dass er im Unterschied zu anderen Vertragspartnern einen Großteil der Zeit des Bundestagskandidaten in Anspruch nimmt und ihn daher anders als diese durch ein Festhalten am Vertrag von einer Kandidatur abhalten könnte. Im Verhältnis zwischen der Zustimmung zum Vertrag und der Rechtfertigung vertraglicher Pflichten lässt sich somit ein Stufenbau konstatieren: Die einfachste und klarste Rechtfertigung dieser Pflichten erfolgt durch die Zustimmung der Betroffenen. Einer zusätzlichen Begründung bedarf es dafür nicht („Volenti non fit iniuria“) 255 . Denkbar sind allenfalls Einschränkungen für den Fall, dass die Zustimmung fehlerhaft ist oder in erheblicher Weise den Einzelnen schädigt. 256 Eine stärkere Rechtfertigung erfordern die Pflichten, die dem Einzelnen aufgrund seiner Zustimmung zu einem Vertrag auferlegt werden. Sie setzen den Nachweis voraus, dass die Zustimmung zu bestimmten Rechten und Pflichten ein ausreichender Grund für weitere Pflichten ist. Am stärksten ist der Rechtfertigungsbedarf, wenn eine Pflicht nur anlässlich einer Zustimmung zu einem Vertrag erfolgt. Das ist der Fall, wenn sie an dieser anknüpft, aber in keiner legitimatorischen Verbindung zu ihr steht. Es handelt sich dann um eine Sonderbelastung, die ähnlich wirkt wie eine an den Vertragsschluss anknüpfende Steuer. Diese Differenzierungen zeigen, dass die Gestaltung abdingbaren Rechts nicht schlicht auf einer Gesamtabwägung aller Interessen beruht. Die Interessen sind vielmehr nach normativen Gesichtspunkten zu gewichten. Dabei kommt es in erster Linie auf ihren Zusammenhang mit der Zustimmung der Parteien an. Sie bildet den Kern der Gründe, aus denen die abdingbaren Pflichten den Parteien zuzurechnen sind. Ein Interesse ist daher umso schutzwürdiger, je stärker es einer Partei aufgrund ihrer Zustimmung zum Vertrag zurechenbar ist. Zwischen der Zustimmung zum Vertrag und der Zurechnung abdingbarer Pflichten besteht dabei ein wechselseitiges Verhältnis. Einerseits müssen die abdingbaren Pflichten im Grundsatz auf die Zustimmung zurückführbar sein. Andererseits schaffen sie einen über die Zustimmung hinausgehenden Grund, den Einzelnen am Vertrag festzuhalten. Denn je stärker sie den Inhalt seiner Erklärung ausgestalten, desto eher ist ihm eine Bindung an den Vertrag zumutbar. 255   Corpus Iuris Civilis, D. 47, 10, 1, 5 „nulla iniuria est, quae in volentem fiat.“; Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI: 422; Ohly, „Volenti non fit iniuria“, S.  25 ff.; Canaris, Iustitia distributiva, S.  46 ff. 256   Daher die Grenzen in §§  119 ff., 138 BGB.

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2.  Die Art der zu berücksichtigenden Gründe Kommt es bei der Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts in der Regel auf die Zurechnung aufgrund Zustimmung an, so sind damit die maßgeblichen Gründe im Einzelnen noch nicht bestimmt. Sie hängen wie die Legitimation des Rechts generell von den Interessen der von ihm Betroffenen ab. 257 Andere Interessen lassen sich entweder auf sie zurückführen oder sind rechtsethisch nicht anerkennungswürdig.258 Sind aber allein Individualinteressen maßgeblich, so muss sich jede privatrechtliche Norm auf sie zurückführen lassen. Das gilt selbst für rechtsethische Grundentscheidungen, die sich hinter den Verweisen auf Treu und Glauben verbergen. Denn auch sie bestehen nicht isoliert und sind keine um ihrer selbst willen zu realisierenden Güter, sondern orientieren sich an den Interessen des Einzelnen, insbesondere also seinem Leben und seiner Freiheit. Bei der Zurechnung aufgrund Zustimmung ist nicht allein die binäre Entscheidung zu treffen, ob eine Norm gerechtfertigt ist oder nicht. Zwischen diesen Extremen sind vielmehr Übergangsformen vorstellbar. Eine Norm kann ebenso wie eine Institution in mehr oder weniger starkem Ausmaß auf einer Rechtfertigung beruhen. 259 Ihre Legitimität kann die einer anderen Norm übersteigen, ohne selbst ideal zu sein. Am größten ist die Legitimität, wenn eine abdingbare Norm jeder anderen Norm vorzuziehen ist. Eine bestimmte Vertragsrechtsnorm lässt sich daher am besten legitimieren, indem man sie mit allen anderen in Frage kommenden Normen vergleicht. Da die Geltung einer abdingbaren Norm praktisch unvermeidbar ist, sobald man auf eine zwingende Norm verzichtet, 260 kommt es nicht darauf an, ob abdingbares Recht anzuwenden ist, sondern vielmehr darauf, was dessen Inhalt ist. Die Rechtfertigung einer abdingbaren Norm hängt entscheidend davon ab, was ohne sie gelten würde. Denn ein Verzicht auf sie kann die Adressaten noch stärker belasten als die Norm selbst. Das gilt nicht nur für sonst zum Zuge kommende zwingende Normen, sondern auch für die stattdessen anwendbaren Ausschluss- oder Billigkeitsnormen, die eine rigorose oder nicht voraussehbare Entscheidung anordnen.261 Diese Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts hat die Konsequenz, dass seine Rechtfertigung nur im Vergleich zu einer stattdessen anwendbaren Norm erfolgen kann. Im Unterschied zu anderen Grundrechts­ eingriffen lässt sich die Legitimität des mit der abdingbaren Norm einhergehenden Eingriffs in die Vertragsfreiheit daher nicht isoliert beurteilen. So mag man etwa eine Norm einer anderen vorziehen, weil sie im Vergleich zu ihr die   von der Pfordten, Rechtsethik, S.  463 ff., 470 ff.; ders., JZ 2005, 1069 ff.   Oben 4.B.2.b). 259   Marmor, Law in the Age of Pluralism, p.  95. 260   Oben 1.D.1. 261   Oben 1.B.2–1.B.3. 257

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Transaktionskosten senkt. Das aber schließt nicht aus, dass sie im Vergleich zu einer dritten Norm zurückstehen muss, etwa weil diese noch geringere Kosten verursacht. Die Rechtfertigung abdingbaren Rechts hat des Weiteren an die Einsicht anzuknüpfen, dass abdingbare Normen sowohl Abbedingungslasten als auch Handlungsoptionen begründen.262 Beide wirken sich unmittelbar auf die Interessen der Parteien und mittelbar auf Dritte aus, deren Interessen von ihnen abhängen. Vor diesem Hintergrund lassen sich diese Gesichtspunkte in der Frage zusammenfassen, welche Handlungsoption die Interessen der Betroffenen am besten verwirklicht. Das ist nicht unbedingt die Norm, welche die Parteien hypothetischerweise vereinbart hätten. Denn nicht nur können Drittinteressen zu berücksichtigen sein. Vielmehr kann die Norm, welche die Parteien nach langer Verhandlung idealerweise vereinbaren, von der Norm abweichen, welche für die Parteien ohne eine Verhandlung ideal ist. Womöglich gewinnen sie erst durch die Verhandlung Informationen über bestehende Chancen und Risiken und können sich erst durch sie auf diese einstellen.263 Etwa mögen die Parteien eine Haftungsermäßigung vereinbaren, wenn der Gläubiger den denkbaren Schaden besser als der Schuldner versichern kann. Da er dies aber vornehmen muss, ist die Haftungsermäßigung nur sinnvoll, wenn er weiß, dass er das Schadensrisiko trägt. Unterbleiben Verhandlungen, ist eine derartige Versicherung mangels Kenntnis von ihrer Notwendigkeit keineswegs sicher. Aus dem Umstand, dass in einem ausgehandelten Vertrag eine Haftungsreduktion als optimal erscheint, folgt daher nicht, dass Gleiches für eine abdingbare Norm gilt, die den Parteien vorgegeben wird. Denn möglicherweise beruht die Optimalität darauf, dass die Parteien aufgrund ihrer Verhandlung um die Regelungsbedürftigkeit der Frage wissen. Maßgeblich sind nicht die unter Idealbedingungen zustande kommenden Verträge, sondern diejenigen Normen, die unter den bestehenden Verhältnissen zu optimalen Ergebnissen führen. Beide sind nicht unbedingt identisch. Diese Betrachtung hat den Vorteil, dass sie auch die Interessen derjenigen erfasst, die keinen Vertrag schließen. Sie können ein Interesse an einer bestimmten Gestaltung des abdingbaren Rechts haben. Allein die Möglichkeit, ohne längere Verhandlung eine verbindliche Vereinbarung zu treffen, ist ein Vorteil. Er kann etwa darin bestehen, dass sich andere Vorsichtsmaßnahmen erübrigen. So muss man mit Klempnern und Elektrikern im Voraus keinen Rahmenvertrag schließen, weil man sich darauf verlassen kann, sich mit ihnen dank abdingbaren Rechts notfalls rasch zu verständigen. Gäbe es dieses nicht, würde es sich anbieten, im Voraus Vorkehrungen zu treffen, die eine Verhandlung im Notfall

  Oben 1.C.1.   Oben 2.A.3.d).

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erübrigen. Denkbar wäre etwa der Beitritt zu einem Servicenetzwerk, dessen Dienste man nur abrufen muss. Unter den betroffenen Interessen sind daher neben den Interessen der Parteien auch diejenigen potentieller Parteien zu beachten (3). Abdingbares Vertragsrecht begründet ihnen gegenüber potentielle Rechte und Pflichten. Daneben sind die Auswirkungen abdingbarer Normen auf die Interessen Dritter zu berücksichtigen (4). Denn obwohl Verträge zunächst nur das Verhältnis zwischen den Parteien gestalten, können sie sich auf sie auswirken. Ferner sind die Verteilungsfolgen abdingbaren Rechts zu berücksichtigen, die sowohl bei den Parteien als auch bei Dritten eintreten (5). Schließlich ist die Einsicht des Vorgabemodells ernst zu nehmen, dass abdingbare Normen zur Rechtsordnung gehören und einer Abstimmung mit ihr bedürfen (6).

3.  Die Interessen der Vertragsparteien Bei der Gestaltung abdingbaren Rechts kommt es nach dem eben Dargelegten in erster Linie auf die Interessen der Parteien an. Sie sind ihrer Art nach nicht begrenzt, da in fast allen Lebensbereichen Verträge geschlossen und dabei die unterschiedlichsten Interessen umgesetzt werden. Will man den Einzelnen ernst nehmen, kann man von vornherein keine seiner Interessen ausklammern.264 Wie sich bereits ergab, 265 lassen sich diese nicht durch seinen hypothetischen Willen festlegen, da dieser zu unbestimmt ist und als nur gedachte Größe über keine rechtfertigende Kraft verfügt. Er hat in der Feststellung dieser Interessen allenfalls eine deklaratorische, jedoch keine konstitutive Funktion. 266 Die Maßgeblichkeit der Parteiinteressen führt vor allem dann zu Schwierigkeiten, wenn sie einander widersprechen. Das ist oftmals der Fall. Was man der einen Vertragspartei gibt, muss man der anderen nehmen. Wie aber ist ein derartiger Konflikt zu entscheiden? Die naheliegendste Antwort wäre, die Interessen schlicht gegeneinander abzuwägen. Optimal wäre dann diejenige Norm, welche die Nutzenerwartungen der Parteien maximiert. 267 Als maßgeblich erschiene der Wert der durch abdingbare Normen begründeten Handlungsop­ tion. Er allein indes vermag die Rechtfertigung abdingbaren Rechts nicht zu garantieren. Neben den Nutzenerwägungen sind weitere Gesichtspunkte zu beachten.268 Denn die durch abdingbare Normen entstehenden Lasten bedürfen   von der Pfordten, Normative Ethik, S.  51.   Oben 2.A.3. 266   Oben 2.A.1.b). 267   So das Nutzenmodell, oben 2.C.; zu anderen Verteilungsprinzipien siehe von der Pfordten, Rechtsethik, S.  500 ff.; ders., Normative Ethik, S.  165 ff. 268   Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 200; ders., 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 19, 27 (1993); Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 459, 466 (2004); sowie generell Coleman, Markets, Morals, and the Law, pp.  111. 264 265

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

gegenüber der durch sie belasteten Partei einer Rechtfertigung. Die Parteien sind von Verpflichtungen zu verschonen, für die sie keine Verantwortung tragen.269 Daher gilt es, neben dem Vertragswert die Integrität der Einzelnen 270 und ihre Autonomie zu berücksichtigen. Sie haben einen Eigenwert, der nicht davon abhängt, ob sie der überwiegenden Zahl der Betroffenen nutzen. Das zeigt sich etwa an der bereits thematisierten Organspende. 271 Geschieht sie unfreiwillig, so verletzt sie die Entscheidungsfreiheit und Integrität der Einzelnen, und zwar unabhängig davon, wie stark die mit ihr sonst geförderten Interessen sind. Es kommt zwar vielfach, aber nicht stets auf den Wert der Handlungsoption an. 272 Die erforderliche Interessenabwägung lässt sich nicht auf das Gebot reduzieren, den Wert dieser Handlungsoption zu maximieren. Sollte sich etwa herausstellen, dass die meisten Parteien im Rahmen eines Beförderungsvertrages bereit sind, in die nach einem Unfall womöglich angebrachte Organspende gegenüber anderen Passagieren einzuwilligen, so reichte das gleichwohl nicht aus, um im Transportrecht eine derartige abdingbare Vorgabe vorzusehen. Die Organspende bedarf als existentieller Eingriff der tatsächlichen und nicht nur der mutmaßlichen Einwilligung der Betroffenen. Zu stark wäre anderenfalls der Eingriff in ihre Selbstbestimmung. Das Eigengewicht der Autonomie anzuerkennen bedeutet, dem Einzelnen grundlegende Entscheidungen nicht abzunehmen, 273 so stark das seine Interessen auch fördern mag. Dies gilt umso mehr, als oftmals unbekannt ist, welche Interessen die Parteien haben 274 und daher die alleinige Orientierung am optimalen Vertragswert für die Gestaltung abdingbaren Rechts nicht ausreicht. Die einzelnen vertrags  Der Zusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wird vielfach betont, etwa von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  89; Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.  2, S.  362; Flume, FS DJT, S.  135, 159; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  468 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  75 ff.; Larenz/Wolf, AT, §  2 Rn.  23, S.  26; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  3; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  99 ff., 164 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  41; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  40; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  77 ff.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  6 ; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  107; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.  560; Bachmann, Private Ordnung, S.  245. 270   Williams, in: ders./Smart, Utilitarianism For and Against, pp.  108. 271   Oben 1.C.3. 272   Vgl. BGH, NJW 1958, 498, 499: „Mit dem Wesen der durch den Vertrag begründeten Beziehungen wäre es unvereinbar, wenn das Gesetz .  .  . gestatten würde, seinem Vertragspartner das ihm zugewandte Recht einseitig zu entziehen und ihm dafür ein Recht mit einem anderen Inhalt zukommen zu lassen, das allerdings wirtschaftlich wertvoller ist“. 273   Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1167 note 22 (2003) hält es für „fanatisch“, Autonomie als einen Trumpf zu behandeln, der nicht aufgewogen werden könne. Dieser „fanatische“ Charakter dürfte indes gerade vom Ausmaß des Eigengewichts abhängen, das man der Autonomie zuspricht. 274   Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1154 (2006), der die Auswirkungen daher experimentell zu schätzen versucht; Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 269

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rechtlichen Normen finden auf so unterschiedliche Sachverhalte Anwendung, dass es kaum möglich ist, ihre Auswirkungen abzuschätzen. Wie etwa soll man in dem vielfach diskutierten Beispiel einer Haftungsbegrenzung für vorhersehbare Schäden 275 die einzelnen Faktoren berücksichtigen, welche den Wert der jeweiligen Handlungsoption beeinflussen? Zu ihnen gehören unter anderem der Umfang und die Wahrscheinlichkeit des drohenden Schadens, die Möglichkeiten zu seiner Verhinderung sowie seiner Versicherung, die Risikoaversion und die Risikofreudigkeit der Parteien sowie die entstehenden Informationskosten. All das lässt sich allenfalls bei der Betrachtung konkreter Verträge, nicht aber auf der Abstraktionshöhe des Schuldrechts verlässlich feststellen. Die Regelungen zum Schadensumfang in den §§  249 ff. BGB etwa finden in einer derart unüberschaubaren Zahl unterschiedlichster und wechselnder Konstellationen Anwendung, dass bei ihnen eine derartige Analyse ausscheidet. Aus diesen Gründen spielt der Wert der Handlungsoption zwar eine entscheidende Rolle (a). Oftmals aber lässt er sich nicht feststellen. Überdies gilt es, die berechtigten Erwartungen der Parteien (b) sowie die Möglichkeit zur Abbedingung (c) zu berücksichtigen. a)  Der Wert der Handlungsoption Das Maß, mit dem eine Norm die Interessen der Parteien verwirklicht, schlägt sich zu einem erheblichen Grad im Wert der durch sie begründeten Handlungsoption nieder. Er beruht auf dem Nutzen für die beteiligten Personen. Dieser ist zwar nicht die einzige zu berücksichtigende Größe.276 Jedoch folgt daraus nicht, dass man ihn übergehen könnte. Vielmehr kommt es für die Gestaltung abdingbaren Rechts auch auf die Frage an, wann dieser Wert am größten ist. Das hängt von den Interessen der Betroffenen ab. Unter den potentiellen Parteien sind dabei drei Gruppen zu berücksichtigen: 1)  die Parteien, welche die Norm beim Vertragsschluss abbedingen, 2)  die Parteien, welche sie beim Vertragsschluss nicht abbedingen sowie 3) sonstige Personen, die unter der Geltung der abdingbaren Norm auf einen Vertragsschluss verzichten, obwohl sie sich zu ihm unter einer anderen abdingbaren Norm entschieden. Der letztere Fall eines durch abdingbares Recht bewirkten Abschreckungseffekts tritt dann auf, wenn die Abbedingungslast größere Kosten verursacht, als der abzuschließende Vertrag an Nutzen mit sich bringt. Sähe das Gesetz zum Beispiel nur eine minimale vertragliche Haftung für Vermögensschäden vor, müsste man diese jeweils vereinbaren. Es wäre womöglich günstiger, sich auf 389, 402 (1994), nach dem Fairnesserwägungen daher eine Auffangfunktion zukommt; oben 2.C.2.d), Fn.  252. 275   Hadley v. Baxendale, 156 English Report 145 (1854), oben 2.C.1.b), Fn.  202. 276   Oben 2.C.2.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

wenige Verträge zu beschränken, als mit einer Vielzahl von Personen zu verhandeln. Anbieter mit einem spezialisierten Leistungsangebot würden dadurch Kunden an Anbieter verlieren, die kompakte Lösungen vertreiben. Auf diese Weise kann abdingbares Recht Einzelne von einem Vertragsschluss abhalten und die Marktchancen einzelner Unternehmen beeinflussen. Für den Vertragswert kommt es in erster Linie darauf an, wie sich abdingbare Normen auf den Inhalt des Vertrages auswirken. Für den Wert der Handlungsoption ist dabei diejenige Regel optimal, welche der Mehrheit der Parteien am meisten nutzt („majoritarian defaults“). 277 Ausnahmsweise genügt allerdings ein Nutzen der Minderheit, nämlich wenn er in der Summe den Nutzen der Mehrheit übersteigt. 278 Ein Risiko ist danach im Allgemeinen demjenigen zuzuweisen, der es am besten beherrschen und versichern kann.279 Er wird für dessen Übernahme den niedrigsten Preis verlangen. Man kann sich die Gestaltung einer abdingbaren Norm insoweit als hypothetische Versteigerung vorstellen, bei der die Parteien um das Recht bieten, den Inhalt einer Klausel festzusetzen. 280 Wer den höchsten Preis bietet, zeigt dadurch, dass er das größte Interesse an einer bestimmten Klausel hat. Derjenige hingegen, der ein Risiko besser beherrschen oder versichern kann, würde weniger für dessen Überwälzung an den Vertragspartner bieten, da er es notfalls selbst übernimmt. Daher wird der stärker Belastete das Recht ersteigern, die abdingbare Norm nach seinen Vorstellungen zu gestalten, und das von ihr geregelte Risiko auf denjenigen abwälzen, der mit dieser Last am besten umgehen kann. Davon profitieren letztlich beide Seiten, da der Versteigerungserlös geteilt werden kann und sich dadurch der größere Nutzen der einen Seite in einer niedrigeren Gegenleistung der anderen Seite niederschlägt. Die Möglichkeit eines Ausgleichs abdingbarer Normen durch die Gegenleistung ist von zentraler Bedeutung. Denn aus diesem Grund ist es nicht notwendig, bereits bei der Gestaltung der abdingbaren Normen eine Äquivalenz zwischen den Rechten und Pflichten herzustellen.281 Diese Äquivalenz entsteht ohnehin nicht durch abdingbares Recht, sondern erst durch die von ihm offen gelassene Festsetzung der Hauptleistungen. Haben sich die Parteien beispiels  Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 569 (2003); sowie oben 2.C.1.a), Fn.  192.   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 112–113 (1989); Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 54. 279   Posner, Economic Analysis of Law, pp.  104; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S.  159. 280   Zur Figur einer Versteigerung generell Posner, Economic Analysis, p.  10: „The economic value of something is how much someone is willing to pay for it .  .  .“; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  39 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  137. 281   So Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  59 ff.; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.  124. Ähnlich spricht Larenz, Richtiges Recht, S.  66 davon, dass das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung dem gegenseitigen Vertrag als Typus immanent ist. Zur Gleichbehandlung der Parteien unten 4.D.2.d). 277 278

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weise über die Transportkosten nicht verständigt, so mag das Äquivalenzprinzip für eine Aufteilung zwischen ihnen sprechen. Dies würde aber durch die doppelte Befassung der Parteien nur unnötige Verwaltungskosten verursachen, so dass es besser ist, sie einer Partei zuzuweisen und dies bei der Gestaltung der Hauptleistungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind die durch abdingbares Recht verursachten Verhandlungskosten zu beachten. Diese können eine unterschiedliche Höhe erreichen, und zwar je nachdem, wie stark das abdingbare Recht von den Vorstellungen der Parteien abweicht. Im Extremfall müssen die Parteien fast alle vorgegebenen Normen abbedingen, weil diese ihren Interessen widersprechen. Dann kann die durch abdingbares Recht entstehende Handlungsoption sogar einen negativen Wert annehmen. Den Parteien wäre dann mit der Ausschluss- oder der Billigkeitsnorm mehr gedient. Unter deren Geltung etwa sind die Verhandlungskosten zwar groß, da die Parteien bei ihnen die Rechte und Pflichten selbst festlegen müssen, um eine willkürliche Rechtsfolge zu verhindern. Jedoch wahren die dabei vereinbarten Normen ihre Interessen zumindest weitgehend. Kommt das abdingbare Recht hingegen den Interessen der Parteien in der Verteilung der Rechte und Pflichten entgegen, müssen sie über diese nicht mehr verhandeln. Sie können ihr Verhalten ohne ausdrückliche Verständigung aufeinander abstimmen.282 Damit steigt der Wert der Handlungsoption. Die vielfache Vorstellung, dass abdingbares Recht die Transaktionskosten reduziert, 283 hat hier ihre Wurzel. Es hat deshalb neben der Inhalts- auch eine Verhandlungswirkung. Diese muss die Inhaltswirkung nicht dominieren. Daher können bei der Gestaltung abdingbarer Normen rechtsethische Erwägungen einfließen, ohne dass die Parteien dieser durch eine Abbedingung stets die Wirkung nehmen.284 Selbst wenn die Parteien mit diesen Normen nicht einverstanden sind, setzen sich diese aufgrund der sonst anfallenden Abbedingungskosten womöglich durch. Bei der Gestaltung abdingbaren Rechts ist des Weiteren seine Informationswirkung zu berücksichtigen. 285 Zum einen können ihm die Parteien den Hinweis darauf entnehmen, welche Normen typisch oder bewährt sind. Das erleichtert ihnen die rechtliche Prüfung. Ihre Informationskosten sind dabei umso geringer, je einfacher und vollständiger das abdingbare Recht ist.286 Zum ande282   Zu dieser Koordinationswirkung siehe Finnis, Natural Law and Natural Rights, p.  324; Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 149, 162 (1993); Hermalin/ Katz/Craswell, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, p.  3, 8; Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 455 (2004). 283   Posner, Economic Analysis of Law, p.  98; weitere Nachweise oben 2.C.1.b), Fn.  197. 284   Ablehnend demgegenüber Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 402 (1994). 285   Oben 3.A.3. 286   Zum experimentellen Nachweis sowie zu den anderen mit der Komplexität einer Norm verbundenen Kosten Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1128, 1153 (2006).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

ren vermag abdingbares Recht, die Parteien zur Übermittlung von Informationen zu zwingen, indem es Anreize zur Abbedingung setzt, aus der die Vertragspartner Rückschlüsse ziehen können. Aufgrund der Vielzahl der dafür möglichen Gründe dürfte dies aber nur selten der Fall sein.287 Inhalts-, Verhandlungs- und Informationswirkung können dieselbe Norm erfordern, etwa wenn diese Rechte und Pflichten optimal verteilt, keinen Anreiz zur Änderung setzt und den Parteien gut vermittelbar ist. Denkbar ist aber auch, dass die einzelnen Wirkungen miteinander konkurrieren und unterschiedliche Normen erfordern. Von einem auf den Einzelfall abgestimmten Regelsystem mag etwa eine optimale Inhaltswirkung ausgehen, weil es die für alle Konstellationen effizienteste Lösung enthält. Allerdings kann seine Komplexität zu einer negativen Informationswirkung führen. Das ist der Fall, wenn sich die Parteien vor dem Vertragsschluss nicht blind auf die ihnen zustehenden Rechte und Pflichten verlassen wollen und bei deren Prüfung ein enormer Aufwand anfiele. Die bereits erwähnten Strafregeln 288 etwa stellen den Versuch dar, die Inhaltswirkung durch eine Informationswirkung abdingbaren Rechts zu kompensieren. Sie beruhen auf der Annahme, dass die Vorgabe inhaltlich nicht idealer Regeln sinnvoll ist, wenn sie die Parteien zur Übermittlung von Informationen zwingen. Aufgrund der Durchsetzungskraft 289 abdingbaren Rechts muss diese Informationswirkung aber beträchtlich sein, um die Anwendung inhaltlich suboptimaler Normen zu rechtfertigen. Zudem geht sie mit größeren Kosten für die Verhandlung einher, da die Informationswirkung davon abhängt, dass die Parteien überhaupt miteinander verhandeln. Auch die Parteien können sich der Informationswirkung vorgegebener Normen bedienen. Ihnen steht es etwa offen, ihren Vertragspartnern verschiedene Tarife anzubieten und sie dadurch in einzelne Klassen zu trennen (separating equilibria). Anhand der Reaktion der Vertragspartner mögen die Parteien dann die für den jeweiligen Vertrag optimale Regel festlegen. Ebenso können sie Klauseln vorsehen, mit deren Abwahl ihre Verhandlungspartner Auskunft über ihre Interessen geben. So mögen etwa Transporteure je nach dem Wert des transportierten Gutes verschiedene Preiskategorien anbieten und auf diese Weise den Kunden mit einem hohen Interesse am Transport einen höheren Preis abverlangen als den Kunden mit einem niedrigeren Interesse daran. 290 Eine Reihe von Gründen spricht zwar dagegen, den Parteien derartige Strafregeln durch das Recht vorzugeben.291 Gestalten sie mit ihnen aber selbst ihre Verträge, be-

  Oben 2.C.2.c).   Oben 2.C.1.b); 2.C.2.c). 289   Oben 3.A–3.B. 290   Zu diesen Preisfestsetzungsmöglichkeiten Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 112 (1989); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 408 (1994). 291   Oben 2.C.2.c). 287

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C.  Rechtfertigung durch Gestaltung der Handlungsoption

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stehen dagegen keine Bedenken. Sie müssen selbst entscheiden, worauf sie sich einlassen. Aufgrund der denkbaren Konkurrenz von Inhalts-, Verhandlungs- und Informationswirkung muss das abdingbare Recht nicht mit dem übereinstimmen, was die Parteien hypothetischerweise vereinbaren würden, sofern sich dies überhaupt feststellen lässt 292 . Die Verhandlungs- und die Informationswirkung können etwa den Ausschlag geben, um eine von den hypothetischen Vereinbarungen der Parteien abweichende inhaltliche Gestaltung zu wählen. b)  Die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen Da abdingbares Recht nur dort zur Anwendung kommt, wo die Parteien keine eigene Entscheidung getroffen haben, ist seine Gestaltung auf den ersten Blick keine Frage der Selbstbestimmung, 293 sondern eine nach der Gerechtigkeitsvorstellung des Gesetzgebers.294 Allerdings zeigte sich bereits, dass den Parteien die durch abdingbares Recht entstehenden Pflichten zurechenbar sein müssen 295 und dies den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt. Diese Zurechnung gelingt umso besser, je stärker das Recht die berechtigten Erwartungen der Parteien berücksichtigt. Denn eine Person ernst zu nehmen erschöpft sich nicht in einer Anerkennung der von ihr ausdrücklich getroffenen Absprachen. Ebenso gilt es, diejenigen ihrer Interessen zu berücksichtigen, die sich noch nicht in derartigen Absprachen niedergeschlagen haben. Dazu gehören insbesondere die Erwartungen der Parteien. Dass man aus diesen kaum eine bestimmte abdingbare Norm ableiten kann, schließt nicht aus, sie in der Auswahl unter mehreren Normvorschlägen zu beachten. Je mehr eine Norm ihnen entspricht, desto eher ist sie den Parteien zurechenbar. Zu untersuchen ist dafür, welche vertragliche Gestaltung am besten zu ihren sonstigen Entscheidungen und Handlungen passt. Würden die Parteien etwa eine bestimmte Norm mit Sicherheit abbedingen, so bedarf es besonderer Gründe, um sie ihnen gleichwohl abdingbar vorzugeben. Aus diesem Grund sind bei der Gestaltung abdingbaren Rechts die betroffenen Interessen nach ihrer Erwartbarkeit zu gewichten. Die Zurechnung einer Pflicht gelingt dabei umso besser, je weniger sie die berechtigten Erwartungen der Parteien enttäuscht.296 Diese dürfen darauf vertrauen, dass ihre Zustimmung   Oben 2.A.3.   So Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 875 (1992); anders demgegenüber Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 515 (1989). 294   So mit Bezug auf die Vorstellungen der politischen Gemeinschaft Robertson, The Law of Obligations, p.  87, 107; ders., 29 Melbourne University Law Review 179, 208 (2005); siehe oben 4.C.1, Fn.  236. 295   Oben 4.C.1. 296   Zur generellen Erkennbarkeit des Rechts siehe Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  111; zur Erkennbarkeit von Verweisungen eines Sozialplans BVerfG, NJW 1987, 827, 828 (= BVerf­ GE 73, 261, 272). Bei mangelnder Erkennbarkeit wegen „wesentlich verschiedener Rechtswir292 293

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

nicht als Anlass dafür dient, ihnen mit dem Vertrag nicht zusammenhängende Pflichten aufzuerlegen. Der Inhalt des abdingbaren Rechts darf sie deshalb nicht überraschen, da er ihre Vereinbarungen prägt. Die berechtigten Erwartungen zu berücksichtigen bedeutet, einen normativen Maßstab zugrunde zu legen. Daher sind die faktischen Erwartungen nicht allein maßgeblich.297 Dies hat zum einen den Vorteil, dass man sie nicht in jedem Einzelfall untersuchen muss. Sie hängen von einer Vielzahl wechselnder und schwer einschätzbarer Faktoren ab. Zu ihnen gehören die vorherigen Erfahrungen mit anderen Vertragspartnern, die Rechtskenntnis der Parteien und die Prognose der Vertragsentwicklung. Zum anderen ermöglicht der normative Maßstab die Korrektur rechtsethisch nicht hinnehmbarer Erwartungen. Das gilt etwa für die diskriminierende Einstellung, einheimischen Arbeitnehmern müssten mehr Rechte als den im gleichen Unternehmen beschäftigten Ausländern zustehen. Die Zurechenbarkeit aufgrund berechtigter Erwartungen lässt sich auf vielfältige Weise konkretisieren. Eine Rolle spielt dabei insbesondere das Vertrauen, das ein Vertragspartner mit seiner Zustimmung zum Vertrag beim anderen Teil erweckt. 298 Ebenso kann sie darauf beruhen, dass sich die vereinbarten Ziele der Vertragsparteien nur auf eine bestimmte Weise umsetzen lassen.299 Ausgeschlossen ist sie hingegen, wenn die Parteien die Norm mit Sicherheit abbedingen würden oder sie deren Versprechen konterkariert. Das abdingbare Recht soll die Parteien nicht durch einen ihren Vorstellungen zuwider laufenden Inhalt am Vertragsschluss behindern. Daher darf es die berechtigten Erwartungen nicht verletzen 300 – auch wenn sich sein Inhalt nicht allein aus diesen ableiten lässt. Das Vertrauen der Parteien ist ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Gesichtspunkt zur Gestaltung abdingbaren Rechts. Auf den ersten Blick wirkt der Bezug auf die berechtigten Erwartungen zirkulär.301 Denn diese Erwartungen werden auch durch den Inhalt abdingbaren Rechts geprägt. Man kann sich schließlich darauf verlassen, dass dieses zur Ankung“ werden Rechtsgeschäfte anfechtbar, RGZ 88, 278, 284; 134, 195, 198. Siehe oben 1. A.1.c), Fn.  50. 297   Anders Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  79, der bei der Rechtsfortbildung diesen Willen für maßgeblich hält, sofern sich nicht der Gesetzgeber in einem Rechtsgebiet „einem bestimmten Rechtsprinzip angeschlossen hat“; ferner oben 2.A.1.b). 298   Mill, On Liberty and Other Essays, p.  115: „When a person .  .  . has encouraged another to rely upon his continuing to act in a certain way .  .  . a new series of moral obligations arises“; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  4 40 ff. 299   Vgl. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  439, S.  270: „In den ausdrücklichen Verträgen ist stillschweigend enthalten, was aus dem, so ausdrücklich gesaget wird, durch eine notwendige Folge fliesset“; Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 876 (1992). 300   Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.  4 40; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  192, 258 für das Gläubigervertrauen; Graf, Vertrag und Vernunft, S.  334; DiMatteo, 60 University of Pittsburgh Law Review 839, 886 (1999). 301   Feinman, 30 University of California Los Angeles Law Review 829, 837 (1980); Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 67 (1991).

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wendung kommt. Aus diesem Grund ist zweifelhaft, ob diese Erwartungen bei der Gestaltung abdingbaren Rechts eine unabhängige Rolle spielen können. Der Vorwurf des Zirkelschlusses löst sich jedoch auf, wenn man beachtet, dass die abdingbaren Normen die Parteierwartungen nicht vollständig prägen. Daneben werden diese durch das im Verkehr Übliche und das dort als angemessen Angesehene beeinflusst. Kaum jemand macht sich vor einem Vertragsschluss mit allen abdingbaren Normen vertraut, so dass seine Erwartungen vollständig von diesen abhängen. Sie lassen sich daher in der Gestaltung abdingbaren Rechts berücksichtigen. Für diese Rücksicht spricht auch das Rechtsstaatsgebot. Denn das aus ihm fließende Erfordernis der Bestimmtheit eines Eingriffs302 gilt auch für das abdingbare Recht. Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht deshalb als Grenze für die Auslegung eines Rechtsgeschäftes formuliert, dass bei seinem Abschluss den Parteien die Rechtsfolgen vorhersehbar sein müssen.303 Das bürgerliche Recht soll in diesem Sinne ein Recht für die Bürger sein. Jedermann soll sich seiner bedienen können – vom täglichen Einkauf über den Mietvertrag bis hin zu einer Leihe unter Nachbarn und Freunden. Daher darf es den berechtigten Erwartungen zumindest nicht widersprechen. Das ist ein Grund dafür, die Freiheiten der Einzelnen so voneinander abzugrenzen, dass die Verantwortungsbereiche klar voneinander getrennt und gut erkennbar sind.304 Die bei der Gestaltung abdingbaren Rechts zugrunde zu legenden Erwartungen der Parteien werden in erster Linie durch die versprochenen Hauptleistungen geprägt. Aus ihnen allein folgen zwar nicht die Nebenleistungen und Mängelrechte. Anderenfalls würde man in den bereits beschriebenen Essentialismus verfallen,305 der weder die Vielfalt der Verträge noch die begrenzte Aussagekraft einer Zustimmung zu ihnen ernst nimmt. Jedoch sind die Versprechen der Parteien und das diesen vorausgehende Verhalten eine Grundlage, um bestimmte Erwartungen auszuprägen. Wer etwa eine Sache kauft, kann damit rechnen, dass er sie eine gewisse Zeit benutzen kann. Eine Vielzahl an Gewährleistungsnormen kann diese Erwartungen umsetzen. Aus diesem Grund ist bei der Gestaltung abdingbaren Rechts kaum eine positive Festlegung möglich, welche Normen sich aus den Erwartungen der Parteien ergeben. Jedoch lässt sich zumindest negativ bestimmen, welche Normen diese enttäuschen würden. Wer etwa ein Geschäft betritt, geht davon aus, dass er darin nicht zu Schaden 302   BVerfGE 21, 245, 260; BVerfG, NJW 1988, 2593, 2594 (= BVerfGE 78, 205, 212); 2008, 822, 827 (= BVerfGE 120, 274, 315); Maunz/Dürig53-Grzeszick, Art.  20 Rn.  58 ff.; BeckOKGG11-Huster/Rux, Art.  20 Rn.  169; anderes aber gilt für rechtsgeschäftliche Erklärungen, BVerfG, NJW 1987, 827, 828 (= BVerfGE 73, 261, 272). 303   BVerfG, NJW 1987, 827, 828 (= BVerfGE 73, 261, 273). 304   Vgl. von Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, S.  72 ff.; ders., Die Verfassung der Freiheit, S.  72 ff. 305   Oben 2.B.2.b).

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kommt. Das Recht schützt ihn deshalb selbst im Vorfeld eines Vertragsschlusses, §§  241 Abs.  2, 280 Abs.  1 BGB. Spielen demnach die berechtigten Erwartungen bei der Gestaltung abdingbaren Rechts eine zentrale Rolle, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis sie zu anderen dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten stehen. Dies gilt insbesondere für den Wert der Handlungsoption (aa), die Anforderungen an vorformulierte Normen (bb) und den hypothetischen Willen der Parteien (cc). Überdies ist zu überlegen, ob die Widersprüchlichkeit der Parteiinteressen ihrer Berücksichtigung entgegensteht (dd). aa) Die Beachtung der berechtigten Erwartungen ist nicht identisch mit der Berücksichtigung des Wertes der durch abdingbare Normen entstehenden Handlungsoption. Denn es lässt sich nicht annehmen, dass die Parteien generell nur die effizienteste Norm bevorzugen 306 und keinen Wert auf andere Gesichtspunkte legen. Möglicherweise kommt es ihnen auf ihre Entscheidungsfreiheit oder die Gleichbehandlung mit anderen an. Es muss daher ein über den Nutzen der Betroffenen hinausgehender Grund bestehen, um einem Vertragspartner ohne seine Zustimmung eine Last aufzuerlegen. Wer etwa einen Kaufvertrag schließt, braucht nicht damit zu rechnen, dass dieser ihn dazu verpflichtet, dem Vertragspartner für jeden Notfall beizustehen – so sinnvoll dies für den anderen oder die Allgemeinheit auch sein mag. Der Vertragsschluss darf nicht als Auslöser von Rechtsfolgen dienen,307 mit denen die Parteien nicht rechnen mussten. Was die Parteien nicht erwarten konnten, darf ihnen auch das abdingbare Recht nicht auferlegen. Gleichwohl können sich die berechtigten Erwartungen auf den Wert der Handlungsoption auswirken. Je stärker das abdingbare Recht die Vorstellungen der Parteien umsetzt, desto weniger sind diese gezwungen, es selbst zu gestalten. Entsprechend stark senkt es die Verhandlungskosten und die Obliegenheit, sich über seinen Inhalt zu informieren.308 Müssen die Parteien hingegen damit rechnen, dass der Gesetzgeber den Vertragsschluss zum Anlass nimmt, ihnen unwillkommene Rechte und Pflichten aufzubürden, haben sie sich darüber zu informieren und die dafür anfallenden Informationskosten zu tragen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass die Gerechtigkeitsvorstellungen der Einzelnen zu einem beträchtlichen Teil ihre Rechtsauffassungen prägen (fairness heuristic) 309. Was sie als gerecht empfinden,   So Elhauge, Statutory Default Rules, p.  5.   So hingegen die Diagnose von Luhmann, Rechtssoziologie, S.  327 f.; siehe ferner Bachmann, Private Ordnung, S.  81. 308   Zur Wechselwirkung abdingbaren Rechts mit dem Parteivertrauen oben 3.A.2. 309   Kim, University of Illinois Law Review 447, 487, 490 (1999); Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 120 (2002); Prentice, 56 Vanderbilt Law Review 1663, 1758 (2003); siehe auch Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 306 307

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sehen sie eher als Recht an, als das, was diesen Vorstellungen widerspricht. Das gilt selbst dann, wenn die tatsächliche Rechtslage davon abweicht. Die Einzelnen verkennen deshalb häufig Gesetze, die ihren Gerechtigkeitsvorstellungen widersprechen.310 Das zeigt zugleich, dass die Erwartungen der Parteien zumindest nicht vollständig vom geltenden Recht abhängen und einen nicht zirkulären Maßstab für dessen Gestaltung bilden. Die mit der Information über das Recht verbundenen Kosten sprechen deshalb dafür, das abdingbare Recht an den überwiegenden Vorstellungen der Parteien auszurichten, solange sie einer kritischen Überprüfung standhalten.311 Sie prägen die Vertragspraxis ohnehin zu einem erheblichen Teil.312 An ihnen ausgerichtete Entscheidungen werden die Parteien aus diesem Grund kaum überraschen.313 Nicht nur ist Effizienz ein Gerechtigkeitsprinzip,314 sondern auch umgekehrt Gerechtigkeit ein Effi­ zienzprinzip.315 Dieser Zusammenhang spielt besonders dann eine Rolle, wenn die Wirkung abdingbaren Rechts ungewiss bleibt. Denn steht nicht fest, wie sich eine abdingbare Norm auswirkt, lässt sich der Wert der Handlungsoption nicht feststellen. Vielmehr liegt es dann nahe, die Normen so zu gestalten, dass die Parteien eine ihren Vorstellungen gerecht werdende Entscheidung treffen können. Sie vermögen selbst am besten, ihre Interessen einzuschätzen.316 Ihre Erwartungen sind für den Fall einer fehlenden Entscheidung ein guter Näherungswert.

26: „Fairness related norms are a subset of a large category of norms that govern behavior and that can operate as ‚taxes‘ or ‚subsidies‘.“ 310   Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 120 (2002); ein Einfluss auf die Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien ist damit nicht ausgeschlossen, Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1759 (1997); oben 3.B.1. 311   Vgl. Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 468 (2004). 312   Nach den von Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1663 (2003) zitierten Studien, richtet sich etwa die Hälfte der Marktteilnehmer an Fairness und die andere Hälfte an Eigeninteressen aus. Scott allerdings zieht die Schlussfolgerung, das Recht solle die Fairnesserwägungen nicht umsetzten, weil dies für die Selbstdurchsetzung dieser Verträge nachteilig wäre, ib., p.  1689. 313   In diesem Fall folgt aus der verbreiteten Ignoranz des Rechts nicht seine fehlende Vo­ raussagbarkeit, so Feinman, 30 University of California Los Angeles Law Review 829, 845 (1980). Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §  132, S.  128: „Durch die Öffentlichkeit der Gesetze und durch die allgemeinen Sitten benimmt der Staat dem Rechte .  .  . die Zufälligkeit für das Subjekt“. 314   Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  273 ff., 463 ff., der es als Rechtsprinzip und im Umfang begrenzte rechtspolitische Forderung versteht, welche die Richter weder umsetzen könnten noch sollten; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  306. 315   Vgl. Buckley, 19 Hofstra Law Review 33, 66 (1990); Fehr/Klein/Schmidt, 75 Econometrica 121, 150 (2007); zur Diskussion ferner Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 78. 316   von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  38. Dazu Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 832 (1992).

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bb) Bei dieser Ausrichtung abdingbaren Rechts an den berechtigten Erwartungen der Parteien stellt sich die Frage, inwieweit es von den Einzelnen verlangen kann, sich über seinen Inhalt zu informieren. Bevor die Parteien einen Vertrag schließen, steht das für sie geltende abdingbare Recht zwar bereits fest. Jedoch ist es zu umfangreich, als dass sich die Parteien darüber jeweils informieren könnten. Es sollte aus diesem Grund wenigstens ihre berechtigten Erwartungen nicht enttäuschen. Darin gleicht es Allgemeinen Geschäftsbedingungen.317 So wie kaum jemand diese vor einem Vertragsschluss liest, ist auch die Möglichkeit zur Prüfung des abdingbaren Rechts begrenzt. Daher lassen sich auf seine Gestaltung die Maßstäbe übertragen, die für AGB entwickelt wurden. Das gilt insbesondere für das Überraschungsverbot gemäß §  305c Abs.  1 BGB.318 Danach soll man sich auf einen Vertrag einlassen können, ohne die für ihn vorformulierten Normen untersuchen zu müssen. Entsprechend darf auch das abdingbare Recht die Vertragsschließenden nicht überraschen. Es ist insoweit für sie kaum ein Unterschied, ob eine ihnen unbekannte Allgemeine Geschäftsbedingung oder eine ihnen unbekannte gesetzliche Norm ihre Absprache ergänzt. Beide beruhen nicht auf ihrem Willen, auch wenn ihnen jeweils die theoretische Möglichkeit zu einer abweichenden Vereinbarung bleibt. Ebenso lässt sich das gemäß §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB für AGB geltende Verbot einer Gefährdung des Vertragszweckes auf die Gestaltung abdingbaren Rechts übertragen. Auch das abdingbare Recht darf das Vertragsziel nicht konterkarieren. Der Ergänzung der Verträge sind Grenzen gesetzt. Die Parteien sollen da­ rauf vertrauen dürfen, dass abdingbares Recht ihren Interessen gerecht wird. Daran zeigt sich ein weiteres Mal die Fragwürdigkeit von Strafregeln, welche die Parteien zum Informationsaustausch zwingen.319 Denn die Parteien müssen nicht damit rechnen, dass der Gesetzgeber ihre Verträge durch Normen ergänzt, die nicht einmal er als angemessen ansieht.320 cc) Auf den ersten Blick ähnelt die Berücksichtigung der berechtigten Erwartungen dem Willensmodell.321 Was aus ihnen folgt, wird dem Willen der Parteien kaum widersprechen. Die Einwände gegen das Willensmodell kehren   Dazu bereits oben 3.B.4.c).   Deutlich dazu auch die frühere Rechtsprechung, wonach das Einverständnis mit AGB nur solche Bedingungen umfasst, mit denen billiger- und gerechterweise gerechnet werden muss, RGZ 103, 84, 86; BGH, NJW 1955, 1145, 1146 (= BGHZ 17, 1, 3); 1970, 1596, 1598. Zum entsprechenden Verbot im amerikanischen Recht siehe Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211, 246 (1995). 319   Oben 2.C.2.c). 320   In der Vermeidung einer Überraschung besteht eine Parallele zum Bestimmtheitsgrundsatz im Gesellschaftsrecht, wonach ungewöhnliche Mehrheitsentscheidungen im Gesellschaftsvertrag verankert sein müssen, BGH, NJW 1953, 102 (= BGHZ 8, 35, 41); einschränkend NJW 1983, 1056, 1057 (= BGHZ 85, 350, 356); 2007, 1685, 1687; Baumbach/Hopt, HGB33, §  119 Rn.  37 f.; kritisch MünchKommHGB2 -Enzinger, §  119 Rn.  81 mwN. 321   Oben 2.A.3. 317 318

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zwar auf den ersten Blick wieder, wenn man die Erwartungen der Parteien zugrunde legt. Auch sie sind vielfach ungewiss und widersprüchlich.322 Zumindest in einigen Fällen lässt sich jedoch feststellen, ob eine abdingbare Norm den berechtigten Erwartungen der Parteien widerspricht oder ihnen nahe kommt. Vermögen diese Erwartungen daher allein zwar keine bestimmte Norm zu begründen, so sind sie bei der Gestaltung abdingbaren Rechts gleichwohl berücksichtigenswert. Im Vergleich zweier Normen vermögen sie, den Ausschlag für die eine oder andere zu geben. Die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen der Parteien unterscheidet sich vom Willensmodell vor allem dadurch, dass sie auf keine hypothetische Größe zurückgreift. Sie beruht im Gegensatz zum Willensmodell nicht auf hypothetischen Szenarien, sondern auf den tatsächlichen Interessen der Parteien. Entscheidend ist nicht, wie sich die Parteien vermutlich verhalten würden, sondern was sie tatsächlich voneinander erwarten dürfen. Eine hypothetische Verhandlung hingegen kann schon wegen der von ihr ausgehenden Informationswirkung nicht uneingeschränkt zugrunde gelegt werden.323 Eine in ihr vereinbarte Haftungsermäßigung beispielsweise gewinnt ihren Sinn womöglich erst dadurch, dass sich die Parteien auf sie einstellen können. Wollte man sie aber auch dann anwenden, wenn die Parteien keinerlei Haftungsregelung getroffen haben, würde man ihren Interessen nicht gerecht. Daher ist die mit abdingbaren Normen einhergehende Informationswirkung zu berücksichtigen. Wenn überhaupt, so ist der hypothetische Wille daher nur für die Frage maßgeblich, welche Vereinbarung die Parteien für den Fall getroffen hätten, dass ihre Verhandlungen zu einem Punkt scheitern und sie ihr Verhalten auf die jeweilige Norm nicht einstellen können. Diese Berücksichtigung der Informationswirkung ist umso wichtiger, als die Parteien in der Regel die Vielzahl der auftretenden Rechtsfragen weder entscheiden wollen noch entscheiden können. Deshalb müssen sie sich auf das abdingbare Recht verlassen. Maßgeblich sind die Normen, bei deren Geltung sie nichts anderes vereinbaren müssen. So dürfen die Parteien etwa annehmen, dass das Recht sie nicht zu überlangen Verhandlungen zwingt, ihnen keinen falschen Eindruck vom abdingbaren Recht vermittelt und auch im Übrigen ihren Interessen entgegenkommt.324 Darüber hinaus verdeutlicht der Verweis auf die berechtigten Erwartungen klarer als das Willensmodell, dass letztlich eine normative Frage zu beantworten ist. Maßgeblich sind letztlich rechtsethische und nicht empirische Gründe. Entscheidend ist daher nicht die naturalistische Betrachtung, wie sich die konkreten Parteien tatsächlich verhalten, sondern das, was sie voneinander erwar  Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 67 (1991).   Oben 2.C.1.b); 3.A.3. 324   Oben 3.A.3; 4.C.3.a). 322 323

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ten dürfen. Das wiederum wird vor allem durch die Gründe geprägt, welche die Parteien selbst für entscheidend halten. Daher geht es nicht um die aus Sicht des Gesetzgebers sinnvollste Regelung. Denn es gibt Klauseln, die – für sich genommen – optimal sein mögen, aber die Erwartungen der Parteien enttäuschen und damit ihre Entscheidungsfreiheit beschränken. Auch der Gesetzgeber sollte sie deshalb den Parteien nicht vorgeben. Schließlich gilt es, ihre Autonomie zu wahren. dd) Sind nach alldem die berechtigten Erwartungen der Parteien bei der Gestaltung abdingbaren Rechts zu berücksichtigen, so stellt sich die Frage, inwieweit dies angesichts der Widersprüchlichkeit der Parteiinteressen möglich ist. Was man der einen Partei gibt, muss man der anderen Partei nehmen. Erwarten sie daher nicht vielfach etwas Entgegengesetztes? Ein erheblicher Teil ihres Interessengegensatzes hebt sich auf, wenn man nicht nur eine einzelne Klausel betrachtet, sondern den gesamten Vertrag. Ginge es allein um eine Klausel, wäre der mit ihr verbundene Nachteil allein einer Seite aufzuerlegen, ohne dass eine Kompensation möglich wäre. Der Gefahrtragung durch den Käufer stände etwa der Vorteil des Verkäufers gegenüber, trotz Verlusts der Sache nicht erneut liefern zu müssen. Indes ist bei der Gestaltung abdingbaren Rechts die Gesamtheit der Absprachen zu berücksichtigen. Zu ihnen gehört auch der Preis. Kann eine Partei eine Pflicht günstiger als die andere Partei erfüllen, so ist es für sie besser, dass sie diese aufgrund der abdingbaren Norm übernimmt und die andere Partei ihr im Gegenzug eine höhere Gegenleistung anbietet. Die Parteien können den dadurch entstehenden Kooperationsgewinn teilen.325 Daran habe beide ein Interesse. Darüber hinaus wirkt sich der Interessengegensatz auch deshalb nur begrenzt auf die Gestaltung des abdingbaren Rechts aus, weil er sich nicht unbedingt in widersprüchlichen Erwartungen fortsetzt. Eine bestimmte Verteilung von Rechten und Pflichten mag zwar den unmittelbaren Interessen der einen Seite widersprechen. Den Käufer belastet es etwa, wenn er für die Transportkosten aufkommen muss, §  448 BGB. Jedoch folgt daraus nicht, dass er eine ihm günstige Verteilung der Rechte und Pflichten erwartet. Im Allgemeinen ist bekannt, dass man nur das bekommt, wofür man bezahlt hat. Wenn die Transportkosten nicht dazu gehören, wird man auch kaum deren Übernahme durch die andere Seite erwarten. Überdies lassen sich die rechtsethisch illegitimen Erwartungen von der Gestaltung abdingbaren Rechts ausschließen. Sollten die Käufer etwa erwarten, dass ihnen die Transportkosten ohne Absprache erstattet werden, so kann man dies unschwer zurückweisen: Mangels Versprechen gibt es keinen Grund, ihnen einen zusätzlichen Anspruch einzuräumen.   Posner, Economic Analysis of Law, p.  96.

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c)  Die Möglichkeit zur Abbedingung Ein weiterer bei der Gestaltung abdingbaren Rechts zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist die Möglichkeit zur Abbedingung.326 Sie beeinflusst zunächst den Wert der Handlungsoption. Denn wenn einer der Vertragspartner die vorgegebene Norm kaum abbedingen kann, fällt eine zu seinen Lasten bestehende Handlungsoption besonders negativ ins Gewicht. Demgegenüber ist sie für denjenigen leichter hinnehmbar, der ohne Schwierigkeit eine Abbedingung initiieren kann.327 Während diejenigen, die allenfalls eine eingeschränkte Möglichkeit zur Abbedingung haben, es bei den vorgegebenen Normen belassen, werden die anderen – wo notwendig – eine Abbedingung vorschlagen und den Vertrag an ihre Verhältnisse anpassen. Das spricht dafür, die Schwierigkeit einer abweichenden Absprache bei der Verteilung der Abbedingungslast zu berücksichtigen. Aufschlussreich für diesen Gesichtspunkt ist das bereits im ersten Kapitel erwähnte Kopftuchurteil,328 auch wenn es nicht das Vertragsrecht betrifft. Danach darf der Staat einer muslimischen Lehrerin nur aufgrund einfachen Gesetzes das Tragen eines Kopftuchs verbieten. Unterlässt er dies, steht den Lehrerinnen die Wahl der Kopfbedeckung frei. Dass die Abbedingungslast hier bei denjenigen liegt, welche für ein Verbot eintreten, beruht auf dem Schutz von Minderheiten. Aufgrund des Urteils obliegt es der Mehrheit, ein Gesetz zu erlassen und die Vorgabe der Verfassung abzubedingen. Der Minderheit wäre dies kaum möglich. Die von der Verfassung offen gelassene Frage ist danach zunächst im Sinne der Minderheit zu beantworten, weil auf diese Weise ein Verfahrensschutz für sie entsteht. Es werden diejenigen Interessen stärker geschützt, welche schwerer zu thematisieren sind. Ähnliche Erwägungen sprechen bei der Gestaltung des Vertragsrechts dafür, die Abbedingungslast demjenigen aufzubürden, der sie leichter zu überwinden vermag. So begünstigt eine Reihe abdingbarer Normen Verbraucher, Arbeitnehmer und Mieter, weil diese das abdingbare Recht tendenziell schlechter kennen als ihre Verhandlungspartner und kaum in der Lage sind, eine abweichende Gestaltung durchzusetzen.329 Das geht allerdings nicht so weit, dass man abdingbare Normen generell zu Lasten derjenigen gestalten sollte, die sie leichter abbedingen können. Denn aufgrund der Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts kann man sich nur begrenzt darauf verlassen, dass die Parteien von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.330 326   Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 892 (1992); Rakoff, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 19 (1993). 327   Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 81 (1991). 328   BVerfG, NJW 2003, 3111, 3115 (= BVerfGE 108, 282, 306); oben 1.A.2. 329   Kritisch Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1854 (1991). 330   Oben 3.A–3.B.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Neben der Schwierigkeit einer Abbedingung gilt es, deren Zumutbarkeit zu berücksichtigen. Denn die Initiative zur Abbedingung kann mit Assoziationen belastet sein, die sie praktisch erschweren oder gar ausschließen. So ist es Ehepartnern beispielsweise kaum zumutbar, sich wechselseitig von der Haftung frei zu zeichnen, so sinnvoll die Begrenzung der Ersatzansprüche in einer Ehe auch sein mag. Dies erweckt allzu leicht den Anschein, man rechne mit einer Verletzung des anderen und bedürfe für den tagtäglichen Umgang miteinander rechtlicher Regeln. Die für Ehegatten geltende Haftungserleichterung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach §§  1359, 277 BGB etwa lässt sich daher damit begründen, dass die Abbedingung einer strengeren Haftung den Ehepartnern nicht zumutbar ist. Bei der Berücksichtigung der Parteiinteressen kommt es somit nicht nur auf den Wert der durch abdingbares Recht begründeten Handlungsoption an (a), sondern auch auf die berechtigten Erwartungen der Parteien (b) und die Möglichkeit einer Abbedingung (c).

4.  Die Interessen Dritter Da ein Vertrag nur die Parteien verpflichtet, gewährt er in der Regel auch nur ihnen Rechte. Kein an ihm Unbeteiligter wird allein durch den Umstand beschwert, dass sie ihren Vertrag auf eine bestimmte Weise gestalten. Aus diesem Grund muss sich das abdingbare Recht zunächst nur nach den Parteien richten. Die Vertragsfreiheit beinhaltet auch das Recht, Verträge ohne Rücksicht auf Dritte zu schließen. Es ist den Parteien überlassen, ob und wie sie diese berücksichtigen. Rechtspflichten gegenüber Dritten sollen auf Freiwilligkeit, nicht auf Zwang beruhen. Dritte können ihre Interessen am besten selbst einschätzen331 und durch eigene Verträge umsetzen. Das Recht kann zunächst darauf vertrauen, dass sich die Interessen aller am besten verwirklichen lassen, wenn jeder für die ihn betreffenden Rechte und Pflichten verantwortlich ist.332 Es geht bei der Beachtung von Interessen Dritter daher vornehmlich nicht um die Frage, ob diese schutzwürdig sind, sondern vielmehr um die Frage, wer diesen Schutz in erster Linie wahrnimmt – der Staat als rechtsetzende Institution, andere Personen oder die Dritten selbst. Da die Parteien für diese nicht ohne besonderen Grund Verantwortung tragen, bedarf es rechtfertigender Gründe, um ihren Vertrag an deren Interessen auszurichten.333 Ein derartiger Grund besteht etwa, wenn bei der Vertragsdurchführung Gefahren entstehen, denen Dritte ausgesetzt sind. So beeinträchtigt etwa eine mangelhafte Wohnung nicht nur den Mieter, sondern auch dessen Angehörige. 331   Vgl. von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S.  28 sowie oben 2.C.2.d), Fn.  259. 332   Oben 4.C.3.b), Fn.  304. 333   Oben 4.B.2.b).

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Das muss dem Vermieter bekannt sein. Er tritt mit dem Vertrag zu derartigen Dritten in eine nähere Beziehung als zu vollkommen Unbeteiligten. Das rechtfertigt es, bei der Verteilung der Abbedingungslast in einem Mietvertrag auf solche Drittinteressen Rücksicht zu nehmen. Dem trägt das Recht unter anderem durch den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Rechnung.334 Vorgegeben ist dabei ein Schutz, der innerhalb bestimmter Grenzen abbedungen werden kann. Die Hürde dafür ist allerdings erheblich. Durch AGB ist sie kaum überwindbar, §  309 Nr.  7–8 BGB. Der Vermieter wird den Mieter schwerlich davon überzeugen können, dass dessen Familie nicht geschützt sein soll. Da umgekehrt der Mieter auch den Vermieter kaum davon überzeugen kann, Dritten gegenüber zu haften, spielt die Verteilung der Abbedingungslast in dieser Frage eine entscheidende Rolle. Zu den beachtenswerten Drittinteressen gehören ferner die Gerichtskosten, die beim Streit um vertragliche Rechte entstehen.335 Abdingbare Normen können sie in unterschiedlichem Maße beeinflussen. Billigkeitsnormen etwa werden zu einer größeren Unsicherheit führen als eine tatbestandlich genau bestimmte Norm.336 Aus diesem Grund gibt es ein anerkennungswürdiges Interesse daran, abdingbares Recht so zu gestalten, dass Richter und andere Dritte die vertraglichen Rechte und Pflichten möglichst gut beurteilen können. Dieser Gesichtspunkt spielt insbesondere im Handelsrecht eine Rolle. Denn die unmittelbar an der Vertragsformulierung Beteiligten sind häufig nicht diejenigen, die ihn anzuwenden haben. Er wirkt sich schließlich auch auf Subunternehmer, Angestellte und Rechtsnachfolger aus. Je mehr das abdingbare Recht eine standardisierte Beurteilung von Verträgen erlaubt, desto geringer sind etwa die Dritten entstehenden Folgekosten. Bisweilen werden als Drittinteressen auch die Kosten angeführt, die bei der Formulierung abdingbarer Normen entstehen.337 Sie hat der Gesetzgeber und damit die Allgemeinheit zu tragen. Übersteigen sie den Nutzen für die Parteien und Dritte, sollte es der Gesetzgeber bei der bisherigen Rechtslage belassen. Indes dürfte diese Konstellation äußerst selten eintreten. Die Kosten für die Formulierung schuldrechtlicher Normen fallen im Vergleich zu ihren Auswirkungen auf die einzelnen Verträge kaum ins Gewicht. Denn ihr Anwendungsbereich ist so weit, dass bereits kleine Fehler in ihrer Gestaltung große Folgen 334   BGH, NJW 1976, 712, 713 (= BGHZ 66, 51, 56 f.) weitere Nachweise oben 2.A.3.a), Fn.  75. 335   Ayres/Gertner, 99 Yale Law Journal 87, 93, 97 (1989); dies., 51 Stanford Law Review 1591, 1597 (1999); Bernstein, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 59, 66 (1993); Gilette, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 167, 182 (1994). 336   Zu den Unterschieden oben 1.B. 337   Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1841 (1991); Kaplow, 42 Duke Law Journal 557, 620 (1992); Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 11 (1993); Painter, 76 New York University Law Review 665, 687 (2001); Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1128, 1153 (2006).

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

nach sich ziehen.338 Daher dürften die Kosten für die Formulierung vertragsrechtlicher Normen in ihrer Gestaltung kaum eine Rolle spielen. All dies zeigt, dass es Konstellationen gibt, in denen Drittinteressen eine bestimmte Gestaltung abdingbarer Normen rechtfertigen. Stets aber bedarf es dafür eines Grundes, der über die bloße Existenz derartiger Interessen hinausgeht. Solange die Parteien gegenüber Dritten nichts versprochen haben, sind sie ihnen gegenüber nicht ohne weiteres verpflichtet. Ein Drittinteresse allein genügt dafür nicht, da die Parteien für ein solches nur unter besonderen Voraussetzungen verantwortlich sind.

5.  Die Verteilungsfolgen Mit den Drittinteressen eng verbunden sind die Verteilungsfolgen abdingbaren Rechts.339 Sie sind bei dessen Gestaltung zu beachten und treten insbesondere dann ein, wenn sich seine Vorgabe auf die Entstehung eines Marktes oder die Verteilung von Vermögen auswirkt. Angesichts der Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts ist nämlich nicht zu erwarten, dass sich unabhängig vom Ausgangszustand stets dieselbe Norm durchsetzt.340 Das abdingbare Recht wirkt sich vielmehr auf die Verteilung von Vermögen, Chancen und Risiken aus. Nach einigen Studien kommt es dazu sogar in der Mehrheit der Fälle.341 Legt eine Norm dem Vermieter beispielsweise die Gefahr auf, dass die Wohnung durch Brand untergeht, so belastet sie ihn, solange er dieses Risiko nicht auf die Mieter abwälzen oder über den Preis kompensieren kann. Er ist dann in einer schlechteren Position, als wenn das Recht diese Gefahr dem Mieter zuwiese. Da die Interessen der Parteien unmittelbar von diesen Verteilungsfolgen abhängen, sind sie bei der Gestaltung abdingbaren Rechts zu berücksichtigen.342 Das setzt allerdings voraus, dass diese Folgen absehbar sind. Aufgrund der Un  Vgl. Kaplow, 42 Duke Law Journal 557, 573, 577 (1992), der strikte Normen (rules) im Gegensatz zu offenen Normen (standards) für umso vorzugswürdiger hält, je häufiger sie verwendet werden; generell zu Konstellationen, in denen die Kosten für die Verbreitung einer Information höher sind als für ihren Erwerb Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:8 (2001). 339   Stellvertretend dazu Kronman, 89 Yale Law Journal 472, 474 (1980); Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 571 (1982); Schwab, 17 The Journal of Legal Studies 237, 264 (1988); Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1864 (1991); Hillman, The Richness of Contract Law, p.  273; Hesselink, 1 ERCL 44, 49 (2005); Canaris, Iustitia distributiva, S.  78 ff.; Collins, Regulating Contracts, pp.  228; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  283 ff. 340   So das Modell von Coase, 3 Journal of Law and Economics 1, 15 (1960); dazu oben 3, Fn.  1. 341   Oben 3.B. 342   Kronman, 89 Yale Law Journal 472, 510 (1980); Collins, The Law of Contract, p.  11, 113; weitergehend Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  165, der eine Wohlstandsumverteilung damit rechtfertigt, dass sie dazu befähige, freie Entscheidungen zu treffen; ablehnend Eidenmüller, 2 European Review of Private Law 109, 120 (2009). 338

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gewissheit der dafür zu berücksichtigenden empirischen Faktoren 343 ist das häufig nicht der Fall. Das gilt insbesondere für die Fernwirkung vertraglicher Normen auf die Einkommens- und Vermögensverteilung.344 Verteilungsfolgen treten ferner dort auf, wo die vertraglich begründeten Forderungen auf einem Markt gehandelt werden und ihn prägen. Anleihen etwa werden meist so gestaltet, dass die Käufer sie weiterverkaufen können. Bei der Formulierung der Anleihebedingungen nehmen die Emittenten darauf schon im eigenen Interesse Rücksicht, weil ihre Anleihe anderenfalls nur schlechter platziert werden kann. Ebenso kann das abdingbare Recht dies beachten und dadurch die Entstehung eines effizienten Forderungsmarktes begünstigen.345 Verträge werden dadurch zu Handelsgütern (so genannte commodification) 346 . Zumindest wenn derartige Verteilungsfolgen absehbar sind, hat auch das abdingbare Vertragsrecht sie zu berücksichtigen. Denn sie gehören wie andere Vermögensinteressen zu den zu beachtenden Individualinteressen. Es ist kaum ein Unterschied, ob eine Vermögensumverteilung durch eine Abgabe zulasten der Vermieter erfolgt oder mittels sie belastender Vertragsbedingungen. Wie die Verteilungsfolgen im Einzelnen zu berücksichtigen sind, kann nur eine entwickelte Rechtsethik beantworten.347 Wichtig ist an dieser Stelle nur der Grundsatz, dass sich diese Folgen nicht von vornherein von der Gestaltung des Vertragsrechts ausblenden lassen. Allein allerdings vermögen sie ebenso wenig eine abdingbare Pflicht zu rechtfertigen wie die Interessen Dritter. So wie diese müssen sie der von ihr belasteten Partei zurechenbar sein. Dafür bedarf es eines diese Pflicht rechtfertigenden Grundes. Er kann etwa in der Verantwortung für eine Ungleichverteilung liegen.348

343   Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 604 (1982); Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 84 (1991); Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 399 (1994); Sunstein, 77 New York University Law Review 106, 130 (2002); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  100; sowie oben 2.C.2.d), Fn.  252. 344   Daher wird vielfach darauf hingewiesen, dass andere Mechanismen für eine Umverteilung geeigneter seien, Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  100, 252; Hatzis, in: Grundmann/Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, p.  159, 168; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  306. 345   Etwa durch das Recht auf Hinterlegung nach §  1082 BGB, zur Abdingbarkeit siehe MünchKommBGB5-Pohlmann, §  1082 Rn.  3; Palandt70 -Bassenge, §  1082 Rn.  1; Staudinger2009Frank, §  1082 Rn.  11. 346   DiMatteo, 47 American Business Law Journal 727, 738 (2010), mwN.  zu anderen Bezeichnungen wie „propertization“ und „contract as a thing“. 347   Stellvertretend für die Theorien der Verteilungsgerechtigkeit Rawls, A Theory of Justice, p.  258; Nozick, Anarchy, State, and Utopia, pp.  149; Finnis, Natural Law and Natural Rights, pp.  165. Überblick bei von der Pfordten, Rechtsethik, S.  489 ff.; ders., Normative Ethik, S.  165 ff. 348   Weitergehend Kronman, 89 Yale Law Journal 472, 474 (1980): „rules of contract law should be used to implement distributional goals whenever alternative ways of doing so are likely to be more costly or intrusive.“ Zum Nutzenmodell oben 2.C.

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6.  Die Kohärenz mit dem geltenden Recht Bei der Gestaltung abdingbarer Normen ist der Gesetzgeber häufig damit konfrontiert, dass bereits andere Rechtsnormen gelten und nicht in Frage stehen. Dazu gehören im Falle des Schuldrechts insbesondere das Grundgesetz349 und die europäischen Richtlinien. Dem Gesetzgeber ist daher bei der Gestaltung des Vertragsrechts etwa verwehrt, nach Geschlecht, Herkunft und Religion zu differenzieren, auch wenn das die Transaktionskosten reduzieren sollte.350 Sind zum Beispiel Frauen an längerfristigen Mietverträgen im statistischen Durchschnitt stärker interessiert als Männer, darf man zur Erleichterung der Vertragsgestaltung gleichwohl keine längeren Kündigungsfristen für sie vorsehen. Ebenso müssen abdingbare Normen die Rechte beider Eltern an der Erziehung der Kinder wahren. Das schließt eine Differenzierung nach Mann und Frau aus, selbst wenn sie der üblichen Rollenverteilung entgegenkäme und den Eltern frei bliebe, eine abweichende Regelung zu treffen.351 Über das höherrangige Verfassungsrecht hinaus sind abdingbare Normen auch mit den ihnen gleichgeordneten Normen abzustimmen. So beeinflussen die gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherungen die Frage, in welchem Ausmaß das Vertragsrecht einen Schadensersatz gewähren sollte. Beispielsweise hängt der Ersatz für fahrlässige Verletzungen im Risikosport auch davon ab, ob diese Verletzungen bereits versichert sind.352 Besteht eine umfassende Krankenversicherung, so ist die Notwendigkeit für einen vertraglichen Ersatzanspruch geringer. Dies zeigt, dass sich die einzelnen Rechte und Pflichten weder allein aus der Natur des Vertrages noch allein aus einem abstrakten Nutzenkalkül ergeben, sondern vom jeweiligen Regelungskontext mitbestimmt werden. Das gilt auch für den Verbraucherschutz. Er hängt unter anderem davon ab, welche sonstigen Mittel bestehen, um die Verbraucherinteressen zu schützen. Können Wettbewerber oder Verbraucherverbände die Verwendung missbräuchlicher Klauseln untersagen, so ist das Bedürfnis nach einem Schutz über das abdingbare Kaufrecht geringer. Die Abstimmung abdingbarer Normen mit dem übrigen Recht erleichtert den Parteien und Gerichten die Rechtsanwendung, da sie dabei auf bereits bekannte Größen zurückgreifen können. Sie senkt zudem die Informationskosten. Die Einzelnen können sich dadurch darauf verlassen, dass die abdingbaren

349   BVerfG, NJW 1991, 1602 (= BVerfGE 84, 9, 18); Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  352 mit Betonung der Verhältnismäßigkeit der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke; zur umstrittenen Grundrechtsbindung im Privatrecht ferner Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 199 ff.; sowie oben 4.A.2.b), Fn.  105. 350   Vgl. Art.  3 GG, §  19 Abs.  1 AGG. 351   Vgl. BVerfG, NJW 1991, 1602 (= BVerfGE 84, 9, 20); 1991, 2822. 352   BGH, NJW 1974, 2124, 2126 (= BGHZ 63, 51, 59); 1993, 3067, 3068; 2008, 1591, 1592; MünchKommBGB5-Roth, §  823 Rn.  553.

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Normen keine Regelungen treffen, welche den sonstigen Vorgaben des Rechts widersprechen. In der Gestaltung abdingbaren Rechts ist daher auf die Kohärenz mit dem übrigen Normen zu achten.

7.  Die Optimierung der Handlungsoption Kommt es nach dem bisher Dargelegten für die Verwirklichung von Indivi­ dualinteressen auf eine Vielzahl von Gesichtspunkten an, so erweisen sich die im zweiten Kapitel vorgestellten monistischen Modelle des Willens-, Vorgabe-, sowie Effizienzmodells auch auf normativer Ebene als ungenügend. Denn jedes von ihnen thematisiert lediglich einen Aspekt und übergeht dabei die vielfältigen Interessen der Parteien, deren Selbstbestimmungsrecht oder die Auswirkungen abdingbaren Rechts. Dieses hat stattdessen die Pluralität von Gründen zu erfassen, die für und gegen eine bestimmte Norm sprechen. Da jede abdingbare Norm mit Belastungen einhergeht, lässt sich keine von ihnen ohne Betrachtung alternativer Regelungen rechtfertigen. Erst dieser Vergleich ermög­ licht die Feststellung, wann die Belastung der Parteien am geringsten und die Vorteile am größten sind. Aufgrund der Pluralität der zu berücksichtigenden Gründe gibt es dabei von vornherein keinen absoluten Vorrang einer bestimmten Art abdingbarer Normen. Es lässt sich etwa nicht prinzipiell ausschließen, dass Strafregeln unter bestimmten Umständen vorzugswürdig sind, auch wenn dies nur ausnahmsweise der Fall sein dürfte.353 Die Rechtfertigung abdingbarer Normen erfolgt daher nicht nach der Alternative gerechtfertigt – nicht gerechtfertigt, sondern in der Graduierung einer stärkeren oder schwächeren Rechtfertigung. All dies begründet den Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption: Der Eingriff einer abdingbaren Norm in die Vertragsfreiheit ist umso eher gerechtfertigt, je besser sich die mit ihr einhergehenden Lasten den Parteien aufgrund oder anlässlich ihrer Zustimmung zurechnen lassen. Zu beachten sind dabei insbesondere –  der Wert der entstehenden Handlungsoption, –  die berechtigten Erwartungen der Parteien, –  die Möglichkeit zur Abbedingung der Normen sowie –  deren Auswirkungen auf Dritte. Die genannten Gesichtspunkte lassen sich nicht auf ein einzelnes Kriterium wie den Wert der Handlungsoption oder die Erfüllung des Pareto-Kriteriums reduzieren, da es sich wie beim Wert der Handlungsoption und der Berechtigung

  Oben 2.C.2.c).

353

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der Erwartungen um inkommensurable Größen handelt.354 Zu optimieren ist die durch abdingbares Recht entstehende Handlungsoption,355 nicht aber unbedingt ihr Wert. Denkbar ist etwa, dass die berechtigten Erwartungen der Parteien eine Norm erfordern, die nur schwer abdingbar ist. Ebenso kann die Entscheidungsfreiheit für eine bestimmte Gestaltung sprechen, bei der die zu erwartenden Nutzen nicht maximal sind.356 Die Rückführung auf einen Gesichtspunkt würde nur gelingen, wenn man die gesamte Rechtsethik auf einen einzelnen Grundsatz wie die Rechtsidee357 verknappen könnte.358 Das ist angesichts der Unvergleichbarkeit der einzelnen Größen kaum plausibel. Es bleiben die hinter den einzelnen Gesichtspunkten stehenden Grundsatzkonflikte zwischen Freiheit und Wohlstand, Gleichheit und Individualismus, Autonomie und Vertrauen. Überdies wäre ein oberster Grundsatz nur praktikabel, wenn er konkretisierbar wäre. Dabei würden aber wiederum die einzelnen einander widersprechenden Gesichtspunkte zu Tage treten. Der beschriebene Pluralismus unterschiedlicher Gesichtspunkte ist daher nicht unbedingt prinzipieller oder fundamentaler Art.359 Er besagt nicht, dass es keinen obersten Grundsatz geben kann, sondern lediglich, dass auch seine Konkretisierung zu einer Pluralität und Konkurrenz der letztlich zu beachtenden Gründe führte. Ebenso ist mit ihm keine Entscheidung darüber getroffen, auf welche Weise eine Abwägung der einzelnen Gründe zu erfolgen hat.360 Es steht lediglich fest, dass sie unabhängig voneinander sind und deshalb bei einer fehlenden gesetzlichen Entscheidung Berücksichtigung verdienen.361 Da der Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption sowohl die Partei- als auch die Drittinteressen berücksichtigt, dürfte er die zu beachtenden Gesichtspunkte weitgehend erschöpfen. Aufgrund des umfassenden Charak354   Zum Fehlschluss monistischer Theorien, es könnte nur ein einziges Prinzip geben, Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, S.  158 ff.; andererseits von der Pfordten, Normative Ethik, S.  210 ff. 355   Oben 1.C.1. 356   Oben 4.C.3.b). 357   Stammler, Die Lehre vom richtigen Recht, S.  15, der vom „Rechtsgedanken“ spricht; Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  73 ff.; Larenz, Die Methode der Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  106; ders., Richtiges Recht, S.  33 ff., der daher aaO., S.  79, auch eine Pluralität zu berücksichtigender Gesichtspunkte anerkennt; zu dieser Vorstellung von der Pfordten, Menschenwürde, Recht und Staat bei Kant, S.  59 ff. 358   Dagegen Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  26; Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 461 (2004); Hillman, The Richness of Contract Law, p.  269. 359   Nach der Terminologie von Mason, Value Pluralism, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, handelt es sich daher um einen so genannten normativen Pluralismus, der vom fundamentalen Pluralismus zu unterscheiden ist. 360   Zur Unterscheidung Mason, aaO. 361   Zum ethischen Pluralismus siehe stellvertretend Berlin, Liberty, pp.  213; Raz, The Practice of Value, pp.  15, 43; Williams, Ethics and the Limits of Philosophy, p.  17; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  101 ff.; zur Kritik Feinman, 30 University of California Los Angeles Law Review 829, 848 (1980).

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ters abdingbaren Rechts362 ist allerdings nicht auszuschließen, dass weitere ethische Gründe für seine Ausgestaltung eine Rolle spielen. Das gilt selbst für Gesichtspunkte wie den Schutz der Umwelt, die für das Vertragsrecht zunächst als irrelevant erscheinen. Denn die Umwelt kann etwa durch die abdingbare Pflicht zur Verpackung gekaufter Ware belastet werden. Möglicherweise wäre ihr mit einer Verpackungspflicht gedient, welche die Parteien erst noch vereinbaren müssten.363 Aus diesem Grund würde man die Vielfalt der vom Vertragsrecht behandelten Verhältnisse und die dabei maßgeblichen Überlegungen unzulässig verkürzen, wenn man es wie die Willenstheorie durch einen einzigen Grundsatz zu rechtfertigen versuchte. Der Pluralität seiner Gründe entspricht die Vielzahl an Gesichtspunkten, welche die tatsächlichen Beziehungen der Parteien unterei­ nander prägen. Dazu gehört die Verfolgung gemeinsamer Ziele, die Wechselseitigkeit der gewährten Leistungen sowie die Übernahme von Verantwortung füreinander.364 Sie auszuklammern bedeutete letztlich, auch die Parteien nicht ernst zu nehmen. Denn sie verfolgen die vielfältigsten Ziele und haben die unterschiedlichsten Interessen, die sich jeweils in einer Pluralität zu berücksichtigender Gründe niederschlagen. Monistische Modelle der Rechtfertigung und Gestaltung abdingbaren Rechts werden dem trotz ihrer verlockenden Einfachheit nicht gerecht.365 Das gilt insbesondere für die Versuche, sämtliches Vertragsrecht auf den Willen der Parteien zurückzuführen 366 und die Privatautonomie nicht nur zum Kern, sondern auch zur Grenze des Vertragsrechts zu erklären. Sie beugen zwar auf den ersten Blick seiner Instrumentalisierung für politische, ökonomische und soziale Ziele vor. Zugleich machen sie es jedoch indirekt für einen derartigen Einfluss anfälliger. Denn sie sind aufgrund ihrer Einseitigkeit leichter widerlegbar, als wenn man zwar derartige Interessen nicht von vornherein aus  Oben 1.E.1.   Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  162 etwa plädieren wegen des Einflusses von Art.  20a GG für die Ausrichtung des Geschäftsverkehrs an den Grundsätzen der Umweltverträglichkeit; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S.  35 für einen über die Drittwirkung von Art.  20a GG vermittelten Grundrechtsschutz. 364   Nach Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.  2, S.  362, bedeuten monolithische soziale Ziele sogar den Tod der Freiheit; zur Pluralität vertraglicher Ziele siehe auch Macneil, 47 Southern California Law Review 691, 734, 809 (1974); ders., 94 Northwestern University Law Review 877, 879 (1974). 365   Derartige Theorien vertreten neben den oben in 2.A-C Genannten Fried, Contract as Promise, p.  132; Collins, The Law of Contract, p.  29 („revised notion of liberty and autonomy“); Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 116–117 (1993); Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  59 ff., wonach die Äquivalenz der Leistungen das tragende Prinzip dispositiven Rechts sei. Für eine Pluralität an zu berücksichtigenden Gesichtspunkten hingegen Bydlinski, Privatautonomie, S.  122 ff.; Larenz, Richtiges Recht, S.  79; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  38. Dagegen jüngst Westermann, AcP 208 (2008), 141, 149 f. 366   Oben 2.A. 362

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klammert, für ihre Berücksichtigung aber besondere Gründe verlangt. Gleiches trifft auf das gelegentlich geforderte Prinzip der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit 367 zu. Denn nimmt man einmal an, dass die aus ihm abgeleiteten Pflichten den einzelnen Parteien zurechenbar sind, bleiben immer noch andere Gründe bestehen, welche die Gestaltung abdingbaren Rechts beeinflussen. Individuelle Verantwortung gehört ebenso dazu wie die Möglichkeit, sich von vorgegebenen Bindungen zu befreien. Die Pluralität rechtsethischer Gründe lässt sich daher nicht durch einen einheitlichen Gesichtspunkt erfassen. Der Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption muss stattdessen ihre Vielfalt berücksichtigen. Daraus ergeben sich zahlreiche im Folgenden darzustellende Konsequenzen.

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts 1.  Die Möglichkeit zur Gestaltung abdingbaren Rechts Die wichtigste Konsequenz aus dem Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption besteht darin, dass sich die inhaltliche Gestaltung abdingbarer Normen sowohl rechtsethisch als auch grundrechtlich rechtfertigen lässt. Trotz dem mit ihnen verbundenen Freiheitseingriff muss sich der Gesetzgeber einer Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse nicht enthalten.368 Er hat diese zwar an den Interessen der Betroffenen auszurichten und ihre Erwartungen zu berücksichtigen. Aber gerade das gebietet nicht, es bei der Geltung der Ausschlussoder Billigkeitsnorm zu belassen. Eine inhaltliche Gestaltung kommt den Interessen der Parteien meist näher als ein Verzicht auf sie. Denn vielfach ermöglicht erst das abdingbare Recht den Parteien, ohne erheblichen Aufwand einen ausgewogenen Vertrag zu vereinbaren.369 Es wäre hingegen ein fragwürdiger Libertarismus, wenn man die Parteien durch die Ausschluss- oder die Billigkeitsnorm auch dort zu einer Entscheidung zwänge, wo sie keine eigene Entscheidung treffen wollen. Ein derartiger Entscheidungszwang kann ihre Freiheit ebenso beeinträchtigen wie die Aufdrängung einer bestimmten Sachregelung. Ihre negative Freiheit, von einer Regelung verschont zu bleiben, gilt nicht nur auf der primären, sondern auch auf der sekundären Normebene.370 Deshalb ist es legitim, diesen Entscheidungs367   Study Group on Social Justice, 10 European Law Journal 653, 655 (2004); Lurger, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen, Private Law and the Many Cultures of Europe, p.  177, 188 mwN. 368   So die Vorstellung von Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1691 (2003); ähnlich auch das ältere Common Law, dazu sogleich 4.D.2.a). 369   Endicott, in: Horder, Oxford Essays in Jurisprudence, fourth series, p.  169 spricht diese Funktion hingegen den Gerichten zu. 370   Zur Unterscheidung oben 1.A.1.d).

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts

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zwang durch eine ihren Interessen nahekommende Regelung zu mildern, es sei denn, es handelt sich wie bei körperlichen Eingriffen um höchstpersönliche Fragen, über die nur die Parteien eine Regelung treffen können. Ohne die Ergänzung durch abdingbares Recht wären ihre Absprachen entweder mangels Bestimmtheit unwirksam oder aufgrund Unvollständigkeit hochriskant. Abdingbares Recht vermag daher trotz der mit ihm verbundenen Belastung, die Freiheit der Einzelnen zu erweitern. Genau darin liegt seine Ambivalenz.371 Gerechtfertigt ist es, wenn seine freiheitsfördernde Wirkung diese Belastung übersteigt. Aus dieser Ambivalenz erklärt sich auch der bereits betonte Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung abdingbarer Normen.372 In ihm bewegen sich auch die das Vertragsrecht interpretierenden Gerichte. Stets bestehen aufgrund der Pluralität der zu beachtenden Gründe und ihrer Abhängigkeit von empirischen Faktoren weite Gestaltungsmöglichkeiten.373 Nimmt der Gesetzgeber sie wahr, kann auch das Bundesverfassungsgericht ihn nur begrenzt korri­gieren. Aus diesem Grund löst sich die Privatrechtsdogmatik nicht in eine unkontrollierbare Grundrechtsabwägung auf374 . Die inhaltliche Gestaltung abdingbaren Rechts lässt sich damit im Grundsatz ebenso rechtsethisch wie verfassungsrechtlich rechtfertigen. Das schließt allerdings die mögliche Überschreitung des Gestaltungsspielraums nicht aus. Eine abdingbare Vorgabe etwa, dass Kinder einen bestimmten Namen erhalten, wenn die Eltern ihn nicht bestimmt haben, wäre ein zu starker Übertritt in einen dem Staat versperrten Bereich privater Lebensgestaltung. In diesem Fall ist die vorübergehende Namenlosigkeit einem vorgegebenen Standardnamen wie etwa „Hans“ oder „Anna“ vorzuziehen. Ebenso kann es beim Wegfall der Geschäftsgrundlage Situationen geben, in denen eine Billigkeitsentscheidung unvermeidbar und der Anwendung einer speziellen abdingbaren Norm vorzuziehen ist. In der über Jahrhunderte gewachsenen Privatrechtsdogmatik schwinden derartige Situationen zwar mehr und mehr, indem spezielle, wenn auch nicht unbedingt kodifizierte Normen an ihre Stelle treten. Vollständig ausschließen lassen sie sich jedoch nicht. Entstehen neue Verhältnisse kann es von Vorteil sein, sich einer Regelung zunächst zu enthalten und die Entwicklung der Vertragspraxis zu überlassen. Die Frage ist daher nicht, ob spezielle abdingbare Normen das beste Mittel sind, um Risiken   Oben 1.C.   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 214, 255) sowie oben 4.A.2.b). 373   BVerfG, NJW 1979, 699, 701 (= BVerfGE 50, 290, 332); 1997, 1975, 1978 (= BVerfGE 95, 267, 314); NVwZ 2007, 1477, 1483 (= BVerfGE 110, 370, 401); BeckOK-GG11-Lang, Art.  2 Rn.  26; Maunz/Dürig53-Di Fabio, Art.  2 Rn.  61; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  202 ff. 374   Zu dieser Gefahr Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 227 ff.; weitere Nachweise oben 4.A.2.b), Fn.  121. 371

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zu regeln 375 – sondern nur, ob die mir ihrer Gestaltung einhergehenden Chancen größer sind als die damit verbundenen Risiken. Das ist aufgrund der durch sie begründeten Handlungsoptionen in aller Regel der Fall.

2.  Die Anforderungen an den Inhalt abdingbarer Normen Nach dem Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption kommt es für die Rechtfertigung abdingbaren Rechts in erster Linie darauf an, ob die begründeten Pflichten den Parteien zurechenbar sind. Dafür spielt eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Die wichtigsten sind die Einfachheit des Vertragsrechts (a), seine intuitive Erschließbarkeit (b), die Minimierung der auferlegten Lasten (c) sowie die Gleichheit der Parteien (d). a)  Einfachheit des Vertragsrechts Das Vertragsrecht muss nach dem entwickelten Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption möglichst einfach und damit gut erfassbar sein.376 Denn nur dann können sich die Parteien darauf einstellen und ist ihnen die mit ihm einhergehende Abbedingungslast zumutbar. Je komplexer hingegen die vorgegebenen Normen werden, umso schwerer fällt ihnen die Entscheidung, ob und wie sie diese abbedingen sollten. Dem entspricht die aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Forderung nach der Verständlichkeit der den Einzelnen auferlegten Pflichten.377 Diese Anforderung eines einfachen Vertragsrechts wird nicht durch die Möglichkeit aufgewogen, Rechtsrat einzuholen. Bereits die dabei entstehenden Kosten und Interessenkonflikte gebieten es, die Notwendigkeit zu ihm auf ein Minimum zu beschränken. Überdies können auch Anwälte den Rechtssuchenden das vorgegebene Recht umso besser vermitteln, je einfacher es ist. Daher spricht die Tatsache, dass sich nur wenige Parteien nach dem geltenden Recht erkundigen, nicht dafür, dass es einen technischen und nur Juristen verständlichen Inhalt annehmen darf.378 Mit der gebotenen Einfachheit des Vertragsrechts stimmt

  So generell für alle Interventionen in einen Vertrag Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1303, 1330 (2000). 376   Zur Forderung der Erkennbarkeit von Normen Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  270; Fuller, The Morality of Law, pp.  63; diese Forderung war auch Teil der Kritik der Germanisten am Entwurf des BGB, Sellert, in: ders./Behrends, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  83, 100. Zur Forderung nach Einfachheit Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius, Rechtswissenschaftstheorie, S.  51, 67. 377   Vgl. BVerfG, NJW 1959, 931 (= BVerfGE 9, 137, 147, 149); 1964, 1219, 1220 (= BVerfGE 17, 306, 314); BVerfGE 86, 148, 258; NVwZ 2008, 1338, 1340; Maunz/Dürig53-Grzeszick, Art.  20 Rn.  53; Pestalozza, NJW 1981, 2081, 2086; vgl. für das Common Law auch Fuller, The Morality of Law, p.  83. 378   Anders Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 466 (2004). 375

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts

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die experimentelle Beobachtung überein, dass eine Mehrheit von Personen trotz einer Nutzeneinbuße einfache Angebote vor komplexen Angeboten bevorzugt.379 Sie erlauben es ihnen eher, eine Entscheidung zu treffen und ihre Verhältnisse zu gestalten.380 Derartige Angebote sind überdies vielfach effizienter.381 Das dürfte für das Angebot von Waren und Dienstleistungen ebenso gelten wie für die ihm zugrunde liegenden abdingbaren Normen. Denn sie prägen das Angebot in seinen rechtlichen Eigenschaften. Hätten es die Parteien stattdessen mit schwer erfassbaren Normen zu tun, stiege die Gefahr, mit ihren Konsequenzen erst vor Gericht konfrontiert zu werden und damit zu einem Zeitpunkt, in dem es für eine Abbedingung zu spät ist. Dann kämen diese Normen in ihrer Wirkung zwingenden Normen gleich und wären an entsprechend hohen Rechtfertigungsmaßstäben zu messen. Überstiege der Aufwand zur Erfassung der Normen die dabei anfallenden Kosten, wäre es für die Parteien sogar sinnvoller, eine eigene Norm zu formulieren, selbst wenn sie inhaltlich dem vorgegebenen Recht entspricht.382 Die Komplexität der Norm beseitigte die Vorteile abdingbaren Rechts. Die Forderung nach Einfachheit steht in einem Spannungsverhältnis zu anderen Anforderungen. Das Vertragsrecht soll nicht nur verständlich sein, sondern auch den vielfältigen Interessen der Parteien gerecht werden. Für verschiedene Fallgruppen muss es unterschiedliche Normen aufstellen. Das aber erhöht seine Komplexität. Bei einer unentgeltlichen Leihe etwa ist eine geringere Rücksicht auf den Eigentümer geboten als bei einer Miete, §§  536 a, 599 BGB. Käme das Recht diesem Differenzierungsbedürfnis nicht nach, müssten die Parteien eine eigene Regelung treffen. Abdingbare Normen können daher sowohl zu einfach als auch zu komplex sein. Bei ihrer Gestaltung kommt es wie bei der Normbildung generell zu einem Zielkonflikt zwischen einer möglichst sachgerechten und einer möglichst einfachen Regelung.383 Die Parteien haben einerseits ein Interesse an einer auf ihre Verhältnisse zugeschnittenen Lösung,384 an  Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:31 (2001) mwN., der dies durch die Kosten für das Verständnis der Angebote erklärt; siehe auch Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1415 (2009). Andererseits betont Feldman, 18 Touro Law Review 503, 534 (2002) aufgrund des Zusammenhangs zwischen Selbstkontrolle und Wohlbefinden: „the more detailed the contract is, the greater the chance that a person will honor the contract terms“. 380   Zu den psychologischen Vorteilen dieser Selbstbestimmung Feldman, 18 Touro Law Review 503, 539, 554 (2002). 381   Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1124, 1157 (2006). 382   Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 11 (1993); Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1063 (2004); zu den Kosten für das Verständnis neu formulierter Klauseln hingegen Rasmusen, 1 Advances in Economic Analysis & Policy 2:8 (2001); Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1415 (2009). 383   Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 9 (1993); Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1100 (2004); Hesselink, 1 ERCL 44, 49 (2005). Siehe zur Spannung zwischen dem strikten und dem billigen Recht bereits oben 1.A.3.b), Fn.  9 0. 384   Geis, 80 Tulane Law Review 1109, 1124 (2006). 379

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dererseits aber auch ein Interesse an der Verständlichkeit des anwendbaren Rechts. Beides zugleich lässt sich nicht immer optimal erfüllen. Dieser Zielkonflikt erklärt, warum sich im Laufe der Zeit zwar verschiedene Vertragstypen herausgebildet haben, ihre Zahl jedoch überschaubar geblieben ist. Theoretisch könnte man die Zahl der im BGB kodifizierten Typen vervielfachen und etwa innerhalb der Dienstleistungen nach Anwalts-, Arzt- oder Montageverträgen unterscheiden. Damit trüge man zwar den Besonderheiten der jeweiligen Gebiete Rechnung. Andererseits wäre das Vertragsrecht schwerer zu erfassen und anzuwenden. Es stiege die Notwendigkeit, durch eigene Regelungen für Klarheit zu sorgen. Aus diesem Grund ist es bisher bei einer überschaubaren Anzahl von Vertragstypen geblieben.385 Der Gesetzgeber belässt es bewusst bei den allgemeinen Vorgaben, solange konkretere Normen nach seiner Einschätzung nur für einen kleinen Teil von Verträgen passen.386 Der Umgang mit den allgemeinen Vorgaben ist aufgrund gerichtlicher Interpretation und dogmatischer Durchdringung einfacher, als wenn eine größere Zahl von Vertragstypen existierte.387 Zugleich aber haben sich Sondervertragsrechte wie die VOB/B etabliert, deren Regelungen aufgrund größerer Komplexität differenziertere und insofern sachgerechtere Lösungen enthalten.388 Ihr Umfang übersteigt das Werkvertragsrecht in den §§  631 ff. BGB um ein Vielfaches. Es mag den Regelungen näher kommen, welche die Parteien in ausführlichen Verhandlungen vereinbaren würden. Jedoch erfordert es aufgrund seiner Komplexität einen erheblichen Informationsaufwand389 und bietet sich daher nur für öffentliche Auftraggeber und Unternehmer an, die derartige Verträge mehrfach abschließen. Es ist kein Zufall, dass sich ein gleicher Grad an Komplexität nicht im allgemeinen Werkvertrag durchgesetzt hat. Ein zwischen den Extremen einer zu komplexen und einer sachlich unangemessenen Lösung stehendes Vertragsrecht vermeidet diese Probleme. Es führt weder zu einer unvorhersehbaren Abwägung im Nachhinein,390 noch zu einer rigorosen Verneinung von Rechten und Pflichten,391 noch zu einer den Parteien unverständlichen Regelung. Diese können vielmehr wis385   Vgl. Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  28; Lieb, AcP 183 (1983), 327, 345; Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 280 (1985). 386   So etwa beim Kreditvertrag, Jakobs/Schubert, Die Beratungen des BGB, Bd.  3, 3. Teil, S.  524; sowie beim so genannten Trödelvertrag, aaO., S.  527 f. 387   Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 828 (1995); zu diesen Netzwerkeffekten bereits oben 2.A.1.b), Fn.  33. 388   Dazu oben 2.C.1.b). 389   Mit Verweis darauf begründet Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1415 (2009) das numerus-clausus-Prinzip des Sachenrechts. Dieses dürfte allerdings auch auf dem Drittschutz beruhen, aaO., 1418. 390   So der Vorschlag von Korobkin/Ulen, 88 California Law Review 1051, 1112 (2000). 391   Schwartz/Scott, 113 Yale Law Journal 541, 574 (2003); kritisch Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1292 (2000).

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sen, worauf sie sich einlassen und wer für eine Abbedingung verantwortlich ist.392 Deutlich wird der Zielkonflikt zwischen einem möglichst einfachen und einem möglichst sachgerechten Vertragsrecht auch an der Frage, ob beim Fehlen einer vertraglichen Lösung die gesetzlichen Normen zur Anwendung kommen oder der Vertrag ergänzend auszulegen ist. Wie sich bereits ergab, geht es dabei nicht um die Wahl zwischen abdingbarem Recht einerseits und vertraglichen Normen andererseits.393 Auch die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung sind nach abstrakt-generellen Maßstäben zu bilden und gehören zum abdingbaren Recht.394 Gleichwohl hängen sie stärker als die gesetzlichen Normen von den jeweiligen Interessen der Parteien ab und sind daher schwerer voraussehbar. Im Normalfall erfordert die Voraussehbarkeit und Planbarkeit des Vertragsrechts deshalb, das bereits bestehende abdingbare Recht anzuwenden, auch wenn eine ergänzende Vertragsauslegung den Interessen der Parteien besser gerecht würde. Einfache Lösungen eignen sich insbesondere dann, wenn ungewiss ist, in welchen Situationen sie zur Anwendung kommen.395 Dies führt zu einer nur auf den ersten Blick paradoxen Folge: Je komplizierter die Verhältnisse sind, desto einfacher muss das abdingbare Recht sein.396 Denn mit steigender Komplexität des Sachverhalts wächst auch die Ungewissheit, welche abdingbaren Normen ideal sind. Dem Recht bleibt dann nur die Möglichkeit, durch möglichst einfache Vorgaben den Parteien eine eigene Entscheidung zu erleichtern. Seine Normen können diesem Erfordernis selbst dann genügen, wenn sie sich einer aufgrund Abstraktion nicht jedermann verständlichen Sprache bedienen. Es genügt, dass sich ihre Folgen im Regelfall gut nachvollziehbar beschreiben lassen.397 Anders als bislang gefordert,398 spricht die Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts daher nicht unbedingt dafür, auf abstrakte Begriffe zu verzichten und eine möglichst detaillierte Regelung („tailored defaults“) zu schaffen. Während unklar ist, wie sich die Normen auf die einzelnen Interessen auswirken, können sich die Parteien sowie Gerichte auf eine abstrakt-generelle Norm besser ein  Vgl. Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 842 (1992).   So aber etwa BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828; zur Einordnung der ergänzenden Auslegung bereits oben 1.E.2.b). 394   Oben 1.E.2.b). 395   Epstein, Simple Rules for a Complex World, pp.  21; Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1064 (2004). 396   Epstein, Simple Rules for a Complex World, pp.  123. 397   Daher steht die Skepsis gegenüber einer dem Laien verständlichen Gesetzesfassung, etwa Lieb, AcP 183 (1983), 327, 330, der Forderung nach einem einfachen Verjährungsrecht nicht entgegen. 398   Korobkin, 97 Northwestern University Law Review 1227, 1272 (2003); Peppet, 82 Texas Law Review 227, 251, 276 (2003); anders hingegen Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 11 (1993); Klausner, 81 Virginia Law Review 757, 765 (1995). 392 393

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stellen. Ein Beispiel für eine an der Einfachheit abdingbarer Normen orientierte Gestaltung ist die Reform des Verjährungsrechts während der Schuldrechtsreform 2001. Anstelle der früheren nach einzelnen Berufsgruppen differenzierenden Regeln hat sie einheitliche Verjährungsnormen geschaffen, §§  194 ff. BGB. Beginn und Ende der Verjährung sowie die verschiedenen Arten der Hemmung erfordern für ein vollständiges Verständnis zwar gleichwohl noch einigen Aufwand. Jedoch erfasst der Grundsatz der dreijährigen Verjährung die meisten Konstellationen und lässt sich gut vermitteln. Die schwierige Differenzierung zwischen den einstigen Fallgruppen ist beseitigt. In der Gestaltung abdingbarer Normen kommt es somit auch beim zu erstrebenden Detailierungsgrad auf eine umfassende Interessenabwägung an. Es steht nicht von vornherein fest, dass konkrete Regeln den abstrakten überlegen sind. Die Einfachheit der Norm kann etwa für eine abstrakte Fassung sprechen. Angesichts der Vielzahl von nationalen wie transnationalen, gesetzlichen wie vertraglichen Rechtsordnungen 399 und der Pluralität der dabei maßgeblichen Rechtsquellen erscheint die Forderung nach einem einfachen Vertragsrecht zunächst als illusorisch. Jedoch hat diese Forderung gerade dann eine Berechtigung, wenn unterschiedliche Personen und Institutionen Recht setzen. Denn dann vermag keine von ihnen, im gesamten Recht eigene Gestaltungsprinzipien durchzusetzen. Umso wichtiger ist es, die vorgegebenen Normen so einfach zu gestalten, dass andere Normgeber an sie anknüpfen können. Je komplexer hingegen eine Regelung ist, desto schwerer fällt die Abstimmung unterschiedlicher Normgeber und desto unwahrscheinlicher wird es, dass ihre Regelungen aufeinander aufbauen. Daher nehmen mit einer Vernetzung der Vertragsbeziehungen über die Grenzen einer einzelnen Rechtsordnung hinweg auch die Stimmen derer zu, die für eine Vereinheitlichung des Vertragsrechts eintreten.400 Systematische Kodifikationen fördern das Ziel eines möglichst einfachen Vertragsrechts spürbar. Auf sie können die Parteien und ihre Vertreter besser zurückgreifen, als wenn sie erst eine komplexe Kasuistik verstehen müssten. Gesetzliche Ergänzungen von Verträgen sind ihnen daher eher zuzumuten als richterrechtliche Zusätze. Die Parteien können sich auf die gesetzlichen Vorgaben leichter einstellen. Das ist Teil der Erklärung, warum die Rolle abdingbaren Rechts im kodifizierten kontinentalen Vertragsrecht eine andere ist als im Common Law. Mangels Kodifikation wird dort die Anwendung nicht vereinbarter Klauseln skeptischer beurteilt401 als etwa im deutschen Recht. Stattdessen wird   Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S.  203.   In einer Umfrage unter Unternehmern sprachen sich 83% für ein harmonisiertes europäisches Privatrecht aus, Popham/Plews, The Clifford Chance Survey on European Contract Law, p.  14; oben 4.A.2.a). 401   Gilmore, The Death of Contract, p.  16; Goetz/Scott, 73 California Law Review 261, 273 (1985); Kostritsky, 32 Arizona State Law Journal 1283, 1290 (2000); Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1647 (2003), oben 2.B.1, Fn.  105; sowie zur eingeschränkten Inhaltskontrolle 3.B.4.b), Fn.  213. Allerdings hielt auch dies die Gerichte nicht vollständig davon zurück, Ver399

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der „Situationssinn“ gefeiert, im Einzelfall eine sachgerechte Lösung zu finden.402 Dieser Unterschied dürfte nicht nur auf ein unterschiedliches Verständnis der Vertragsfreiheit zurückgehen, sondern auch darauf, dass nicht kodifiziertes abdingbares Recht intensiver in die Vertragsfreiheit eingreift als kodifizierte Normen. Das legt eine stärkere Zurückhaltung in der Rechtsfortbildung sowie in der Ergänzung des Vertrages nahe. Ähnliches gilt für die nicht kodifizierten Normen, welche die Gerichtspraxis bestimmen. Je stärker diese abstrakt-generell formuliert sind, desto leichter sind sie auf weitere Fälle übertragbar.403 Denn die Parteien können sie dann wie eine Gesetzesnorm behandeln und auf weitere Fälle anwenden. Umso höher ist dann allerdings auch der Konkretisierungsbedarf. Umgekehrt ist die Abbedingungslast umso größer, je stärker eine Norm ohne Angabe abstrakt-genereller Kriterien auf die Umstände des Einzelfalls verweist. Statt darauf zu hoffen, dass die Gerichte eine den Parteien günstige Entscheidung treffen, bietet es sich für diese dann an, die zugrunde liegende Frage selbst zu regeln. Aus diesem Grund besteht ein Zusammenhang zwischen der Art der richterlichen Entscheidungsbegründung und der Gestaltung des Vertragsrechts. Je stärker die Gerichte die von den Parteien zu beachtenden Anforderungen dogmatisieren, desto leichter wiegt eine diesen auferlegte Abbedingungslast und desto eher ist die Ergänzung der Verträge durch abdingbares Recht hinzunehmen. Denn dann können sie dieses besser erkennen und zu weit gehende Verallgemeinerungen korrigieren. Der Abstraktionsgrad abdingbaren Rechts ist somit eine Optimierungsaufgabe, die zwischen zu großer Unbestimmtheit und zu geringer Reichweite eine Abwägung zu treffen hat. Gleichwohl beantworten die Gerichte bisweilen die vertraglich offen gelassenen Fragen nach freiem Ermessen. Dazu kommt es nicht zuletzt, weil sie diese Normen nicht im Vorfeld von Vertragsverhandlungen formulieren, sondern angesichts eines anschließenden Streits. Eine Entscheidung zulasten einer Partei ist unvermeidbar. Zu diesem Zeitpunkt kennen sie die spätere Entwicklung und wissen damit mehr als die Parteien beim Abschluss des Vertrages. Eine die gesamten Umstände berücksichtigende Billigkeitslösung ist daher verlockend. Gleichwohl bleibt schon wegen der Auswirkung auf weitere Fälle maßgeblich, von welcher Norm die Parteien zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen ausgehen mussten. Käme es auf eine Interessenabwägung im Nachhinein an, wüssten die Parteien im Voraus nicht, welche Rechte und Pflichten ihnen zustehen. Sie müssten ihre Angelegenheiten umfassend regeln, um spätere Überraträge durch ungeschriebene Regeln zu ergänzen, siehe Hearne v. Marine Ins. Co., 87 U. S. 488, 493 (1874); weitere Nachweise bei Kreitner, Wisconsin Law Review 429, 452 (2004). 402   Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 202; weitere Nachweise bei Siltala, A Theory of Precedent, pp.  107. 403   Ausführlich Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  35 f., 107 ff.

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schungen zu vermeiden. Die mit abdingbarem Recht einhergehende Handlungsoption verlöre an Wert. Eine Ermessenslösung liegt darüber hinaus nahe, wenn die Gerichte mit Konstellationen konfrontiert sind, in denen abdingbare Normen zu ungewollten Ergebnissen führen. Statt in der richterlichen Rechtsfortbildung suchen sie dann häufig einen Ausweg in der ergänzenden Auslegung.404 Das ist zum Beispiel bei der Anwendung des BGB-Gesellschaftsrechts zu beobachten. Es sieht die jederzeitige Kündbarkeit der Gesellschaft vor, §  723 Abs.  1 S.  1 BGB. Das passt nicht zu den auf Dauer angelegten Gesellschaften. Statt dies zum Anlass einer offenen Rechtsfortbildung zu nehmen, flüchten sich die Gerichte vielfach in die Annahme, es sei stillschweigend eine Frist für den Bestand der Gesellschaft vereinbart oder die Möglichkeit zur Kündigung ausgeschlossen.405 Das hat für sie zwar den Vorteil größerer Flexibilität, weil sie auf diese Weise die jeweiligen Verträge individuell behandeln können. Zudem drängt sich dann die Frage nach der Legitimation ihrer Rechtschöpfung weniger auf. Jedoch ändert all das nichts am Umstand, dass es sich bei den durch ergänzende Auslegung gewonnenen Rechtssätzen um rechtfertigungsbedürftiges abdingbares Recht handelt. Es muss daher schon um der Entscheidung künftiger Fälle wegen möglichst klar und einfach sein. Die Anforderung an eine Austarierung zwischen möglichst einfachen und möglichst sachgerechten Normen findet eine Parallele in der Gestaltung von Computerprogrammen. Auch dort müssen die Programmierer einerseits der Komplexität der zu entscheidenden Fragen gerecht werden und andererseits dem Nutzer verständliche Vorgaben aufstellen. Diese Vorgaben lassen sich durch die Nutzer verändern und stehen damit ähnlich wie das Vertragsrecht zur Disposition.406 So wie dieses haben sie sich an den Interessen der Nutzer auszurichten. Steht fest, dass die Nutzer regelmäßig eine andere Gestaltung wählen, spricht das dafür, die Vorgabe zu ändern. Gleichwohl muss diese möglichst übersichtlich sein, um die Nutzer nicht zu überfordern. So verlangen die IBMDesign-Principles, Programme so zu gestalten, dass sie leicht zu lernen, zu nutzen und in Erinnerung zu behalten sind.407 Dies geht häufig zulasten einer den einzelnen Nutzern angepassten Komplexität. Darin wiederholt sich der gleiche Konflikt wie bei der Gestaltung abdingbarer Rechtsnormen. Das gilt auch für 404   Demgegenüber plädiert Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 280 für eine Rechtsfortbildung, wenn das dispositive Kaufrecht auf neue Vertriebsformen nicht mehr passt; ähnlich Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  332. 405   Etwa BGH, NJW 1953, 1217, 1218 (= BGHZ 10, 91, 98); 1972, 1128, 1129; NJW-RR 1993, 1460; BVerwG, NJW 1980, 2826. 406   Im Englischen kommt diese Parallele durch den jeweils verwendeten Begriff „default“ stärker als im Deutschen zu Bewusstsein. Zu dieser Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 824 (1992); Kesan/Shah, 82 Notre Dame Law Review 583, 599 (2006); Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 192. 407   See/Woestendiek, ACM 1987, 87, 94; sowie die IBM Design Principles.

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das Erfordernis einer systemgerechten Ausrichtung.408 Funktionen, die in unterschiedlichen Programmen verwendet werden, müssen aneinander angepasst werden. Das Erfordernis, abdingbare Normen in einer Vielzahl von Konstellationen anzuwenden, spricht dafür, sie nach ähnlichen Grundsätzen zu gestalten. Schließlich nutzen sie einer Vielzahl von Personen, die über ein begrenztes Rechtswissen verfügen. Das spricht etwa dafür, die Zahl der Vertragstypen zu begrenzen und diesen mittels allgemeiner Begriffe und Normen vergleichbare Strukturen zu geben.409 Die Kenntnis des einen Vertragstyps erleichtert dann auch den Zugang zum anderen. Das ermöglicht eine systematische Durchdringung des Vertragsrechts, die dessen Kohärenz und Einfachheit sichert. Sie ist kein Selbstzweck, sondern durch das Interesse an einem leicht erfassbaren Vertragsrecht geboten. Es erlegt den Parteien eine geringere Abbedingungslast auf als undurchschaubare komplexe Regeln und ist damit freiheitsfördernd. Die Forderung nach Einfachheit beinhaltet interessanterweise nicht, stets auf offene und ausfüllungsbedürftige Begriffe zu verzichten. Diese können angesichts der Vielfalt der zu regelnden Situationen konkretisierten Begriffen überlegen sein. Im Rahmen einer allgemeinen Verschuldensregelung ist es etwa kaum möglich, genauer anzugeben, worin die gebotene Sorgfalt im Einzelnen bestehen soll. Jede derartige Beschreibung nähme einen größeren Raum ein als der nicht konkretisierte Verweis auf die erforderliche Sorgfalt in §  276 Abs.  2 BGB. Als abdingbare Vorgabe wäre eine konkretisierte Fassung kaum praktikabel. Offene Vorgaben sind aufgrund ihrer Einfachheit gegenüber detaillierten Regeln vielfach im Vorteil.410 Das beruht darauf, dass sie trotz ihrer Konkretisierungsbedürftigkeit einen ersten Eindruck der zu erfüllenden Pflichten vermitteln.411 In der gebotenen Abwägung zwischen der Einfachheit und sachlichen Richtigkeit einer Regelung kann sich somit auch eine Generalklausel als optimal erweisen. b)  Intuitiv erschließbare Nachbildung des Versprechens Die Rücksicht auf die Erwartungen der Parteien und die Ungewissheit über die Wirkung abdingbaren Rechts erfordern des Weiteren, es möglichst nahe am 408   Vgl. IBM Design Principles, aaO.,: „Things that look the same should behave in the same way, and an action should always produce the same result.“ 409   Vgl. Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, 191, 218. 410   Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 8 (1993); Kaplow, 42 Duke Law Journal 557, 597 (1992), der zugleich die Kosten von konkretisierungsbedürftigen Normen betont; kritisch Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1068 (2004). Diese Begründung ist eine Ausprägung des Erfahrungssatzes, dass alle Definitionen im Zivilrecht gefährlich sind, oben 3.C.1.c), Fn.  325. 411   Fuller, The Morality of Law, p.  6 4; Ayres, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 1, 8 (1993); anders Painter, 76 New York University Law Review 665, 669 (2001) für das amerikanische Gebührenrecht.

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Versprechen der Parteien auszurichten. Sie müssen erkennen, worauf sie sich einlassen. Die durch abdingbare Normen begründeten Rechte und Pflichten dürfen sich nicht zu weit von den Versprechen der Parteien entfernen und müssen für sie nachvollziehbar sein. Daher sind sie möglichst intuitiv erschließbar zu gestalten. Das bedeutet nicht, sie auf implizite Versprechen, eine „im Vertrag angelegte rechtliche Ordnung“ oder die „typischerweise durch den Vertragszweck“ geforderten Normen412 zurückzuführen. Denn derartige Ableitungen beruhen auf Voraussetzungen, die sich dem Vertrag nicht entnehmen lassen. Ergänzende Annahmen sind vielmehr offen zu legen und zu begründen. Aus dem Zweck eines Kaufvertrages, einen gebrauchstauglichen Gegenstand zu erwerben, folgt zum Beispiel nicht, ob die Verjährung zwei oder drei Jahre betragen soll. Dafür bedarf es zusätzlicher Gründe. Dass die einzelnen Normen weder aus dem Vertragszweck noch dem Willen der Parteien ableitbar sind, besagt nicht, dass auf sie keine Rücksicht zu nehmen ist. Folgen sie schon nicht aus dem Willen, so müssen sie den Einzelnen zumindest erschließbar sein.413 Daher ist eine intuitive Nachbildung des Versprechens unumgänglich. Sie erleichtert den Umgang mit dem Recht und aufgrund der geringeren Informationskosten mittelbar auch den Abschluss von Verträgen. Abdingbare Normen müssen sich deshalb in das sonst geltende Recht und die Praxis des Rechtsverkehrs einpassen. Eine intuitiv erschließbare Nachbildung des Versprechens geht über die Versprechen der Parteien hinaus und kann auf die Fiktion verzichten, sie ergebe sich aus deren Willen414 . Sie berücksichtigt vielmehr die Einstellungen, Absichten und Gewohnheiten der Parteien.415 Zugleich vermeidet sie die Verfremdung des Parteiwillens, indem sie eine Überraschung verhindert.416 Auch wenn man auf die Fiktion verzichtet, dass abdingbare Normen auf der Zustimmung der Parteien beruhen, sollten weder der Gesetzgeber noch der Richter vertragliche Lücken frei nach den Normen ergänzen, die sie in dieser Situation für angemessen, gerecht oder nutzenmaximierend halten.417 Der Maßstab des von den Parteien Erwartbaren begrenzt vielmehr die Möglichkeiten 412   BVerwG, NJW 1980, 2826, 2828; Barnett, 78 Virginia Law Review 821, 880 (1992); so auch für die Auslegung Larenz, Methodenlehre, S.  301; oben 1.E.2.b), Fn.  304. 413   Vgl. BGH, NJW 1994, 1341: „Erst diese [Vertrags-] Freiheit sowie die uneingeschränkte Erkenntnismöglichkeit, mit welchen Rechtsfolgen die in Frage stehende Verpflichtung verbunden sein kann, ergeben die Rechtfertigung dafür, den Bürgen trotz ihn außergewöhnlich belastender Rechtsfolgen an der selbstverantwortlich getroffenen Entscheidung festzuhalten“. 414   Dazu oben 2.A.3.c), 3.B.2. 415   Schuck spricht insoweit vom „audience principle“, 42 Duke Law Journal 1, 45 (1992). 416   Anders aber Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 256; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  170. 417   So die vielfache Annahme, stellvertretend Fried, Contract as Promise, p.  60, 69; weitere Nachweise oben 4.C.1, Fn.  236.

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einer derartigen Entscheidung.418 Er variiert mit dem Regelungskontext. Dieser wird unter anderem davon geprägt, womit die Parteien angesichts ihrer Versprechen, des sonst geltenden Rechts und der typischen Umstände rechnen müssen. Diese Maßstäbe bestimmen den Inhalt der einzelnen Normen zwar nicht vollständig. Jedoch erleichtern sie deren Gestaltung. Im Vergleich zweier Normen ist diejenige vorzuziehen, die den Parteien intuitiv besser erschließbar ist. Vielfach dürfte eine an diesem Ideal ausgerichtete Gestaltung abdingbaren Rechts kaum umstritten sein. Haben die Parteien etwa die Sicherheit des ver­ kauften Gutes nicht bestimmt, so liegt es nahe, dass es nicht lebensgefährlich sein darf, §  434 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 BGB. Jede andere Regelung wäre überraschend und daher intuitiv nicht nachvollziehbar. Man mag das in Sondersituationen anders regeln, etwa wenn es um den Transport explosiver Materialien geht. Im Normalfall aber muss keiner mit derartigen Gefahren rechnen. Das gilt nicht nur im Verhältnis der Parteien untereinander, sondern auch in ihrem Verhältnis zur Rechtsordnung. Auch ihr gegenüber dürfen die durch eine Regelung Belasteten nahe liegende Vorgaben erwarten. Eine intuitive Nachbildung des Versprechens speist sich aus mehreren Quellen. Dazu gehören zunächst die individuellen Vereinbarungen der Parteien und die Bedingungen, die für ihre Umsetzung zu erfüllen sind. Abdingbares Recht hat dabei zunächst die Aufgabe, die Vertragsdurchführung zu sichern.419 Wer etwa für die Lieferung und den Transport bezahlt, darf davon ausgehen, sich nicht um die Verpackung des gekauften Guts bemühen zu müssen. Aus diesem Grund ist dafür der Verkäufer verantwortlich. Ebenso müssen sich die Sekundärleistungen möglichst eng an die wirtschaftliche Bedeutung der versprochenen Leistungen anlehnen. Das spricht etwa dafür, die Haftung für die Verletzung von Primärpflichten am Erfüllungsinteresse auszurichten.420 Dieses bildet das Versprechen wirtschaftlich nach. Finanziell soll kein Unterschied bestehen, ob die Primärleistung oder der Schadensersatz erbracht wurde, §  251 Abs.  1 BGB. Allerdings rechtfertigt das auch die Obliegenheit, vor außergewöhnlich hohen Schäden zu warnen, die der Schädiger nicht kennen konnte, §  254 Abs.  2 S.  1 BGB.421 Anderenfalls würde er durch das Ausmaß der Haftung überrascht. 418   Bereits von Pufendorf, De iure naturae et gentium, Teil  2, V. Buch, X. Capitel, S.  155 nimmt von der Möglichkeit des „einverleibten“ Vertrages die Konstellation aus, „daß eine ganz andere Art des Geschäffts und Handels als sonst in dergleichen contracten abzuthun gewöhnlich ist herauß kommet“. 419   Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 116–117 (1993). 420   Anders die an der Haftungsbegrenzung auf vorhersehbare Schäden begrenzte Haftung des Common Law, Hadley v. Baxendale, 156 English Report 145 (1854) sowie die an ihm orientierte Literatur, etwa Ayres/Gertner, 99 Yale L. J. 87, 101 (1989); Geis, 32 Florida State University Law Review 897, 936 (2005). 421   Siehe bereits oben 2.C.2.c).

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Neben den Vereinbarungen der Parteien ist bei der intuitiv erschließbaren Gestaltung abdingbaren Rechts das übrige geltende Recht zu beachten. Auch dieses prägt die Erwartungen der Parteien. Eine an ihm ausgerichtete Gestaltung erleichtert ihnen, seinen Inhalt nachzuvollziehen. Sie führt zu einer größeren Gleichheit, weil es weniger auf die verbreiteten Rechtskenntnisse ankommt,422 sondern mehr auf das, was jedermann erkennbar ist. Etwa können die Parteien angesichts der allgemeinen Sonntagsruhe423 nachvollziehen, dass diese auch die Fristberechnung beeinflusst, §  193 BGB. Sie dürfen daher aufgrund ihrer Alltagserfahrungen damit rechnen, keine geschäftlichen Fragen an einem Sonntag entscheiden zu müssen. Besondere Rechtskenntnisse sind dafür nicht erforderlich. Eine gegenteilige Vereinbarung steht ihnen zwar gleichwohl frei.424 Nahe jedoch liegt sie nicht. Diese Prägung des intuitiv Erschließbaren durch das geltende Recht mag zunächst den Eindruck eines Zirkelschlusses erwecken. Denn abdingbares Recht wird dann scheinbar durch Intuitionen erklärt, die ihrerseits von ihm abhängen. Indes ist das nur insofern richtig, als unter mehreren gleich gut begründbaren Lösungen das geltende Recht den Vorteil hat, dass die Parteien sich zumindest derzeit besser auf es einstellen können. Dies spricht zunächst für seine Beibehaltung. Daraus ergibt sich jedoch kein Zirkelschluss, weil das geltende Recht nur einer von mehreren Faktoren ist, der die Erwartungen der Parteien prägt. Weitere Faktoren sind ihre Erfahrungen, kognitiven Möglichkeiten und Gerechtigkeitsvorstellungen425 . Berücksichtigt man diese, können andere Normen als die geltenden für eine intuitive Erschließbarkeit sprechen, etwa wenn sie weniger komplex sind oder den Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien näher kommen. Aus diesen Gründen ist das Kriterium der intuitiven Erschließbarkeit kein zirkulärer Maßstab. Erneut drängt sich hierbei die Parallele zu den Voreinstellungen in Computerprogrammen auf. Auch sie sollen sich weitgehend intuitiv ergeben.426 Das kann wie im Recht für die Änderung bestehender Programme sprechen, welche die Nutzer zwar bereits kennen, aber gleichwohl nur schwer verstehen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, zu welchem Grade die Gewohnheiten des Rechtsverkehrs wie etwa die Handelsbräuche zu berücksichtigen sind, §  346 HGB. Haben sich diese so verdichtet, dass sie den Beteiligten erkennbar sind, so bestimmen sie nach dem Empfängerhorizont427 die Auslegung der Willenser  Marmor, Law in the Age of Pluralism, p.  33.   Art.  140 GG i. V. m. Art.  139 WRV, §§  9 Abs.  1 Arbeitszeitgesetz, 4 Abs.  1 Nds. Gesetz über Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten, 3 Niedersächsisches Gesetz über die Feiertage. 424   Etwa in BGH, NJW 2001, 2324, 2325; Erman12-Palm/Schmidt-Räntsch, §  193 Fn.  3; Staudinger2004-Repgen, §  193 Rn.  3. 425   Kim, University of Illinois Law Review 447, 487, 490 (1999) sowie oben 4.C.3.b). 426   Vgl. IBM Design Principles, Nr.  15; dazu oben 4.D.2.a). 427   BGH, NJW 2007, 368, 369; weitere Nachweise oben 2.A.1.a), Fn.  11. 422 423

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klärung.428 Im Übrigen jedoch schaffen sie kein abdingbares Recht,429 da den Beteiligten dazu die Rechtssetzungskompetenz fehlt. §  346 HGB ermächtigt sie dazu nicht, da er den Handelsbräuchen nur zur Bestimmung „der Bedeutung von Handlungen und Unterlassungen“ eine Relevanz zuspricht, nicht aber zur Bestimmung des Rechts. Der Inhalt der gesetzlichen Vorgaben bleibt damit unberührt, soll die in Art.  20 Abs.  3 GG vorgesehene Gesetzesbindung nicht umgangen werden. Das führt gleichzeitig zu einem Schutz vor Verkehrssitten,430 die einzelne Parteien wider Treu und Glauben benachteiligen. Denn mit ihnen müssen diese nicht rechnen. Die Rücksicht auf den Handelsbrauch hat den Vorteil, dass sich die Beteiligten auf ihn einstellen können und er zumindest eine Koordinationsfunktion erfüllt.431 Maßgeblich ist nicht allein, was die Praxis für sinnvoll hält.432 Vielmehr kommt es darauf an, was der Einzelne angesichts der getroffenen Vereinbarung, des bestehenden Rechts und der ihn umgebenden Geschäftspraxis erwarten darf. Aus diesem Grund lässt sich auch aus den im Rechtsverkehr typischerweise vereinbarten Rechten und Pflichten keine generelle Abbedingung der ihnen widersprechenden Normen ableiten. Selbst Geschäftsleute lesen und verstehen die von ihnen verwendeten Verträge nicht unbedingt.433 Umso mehr dürfte das für Darstellungen von Handelsbräuchen gelten. Dass sich bestimmte Klauseln in der Praxis durchsetzen, besagt nicht in jedem Fall, dass sich die Beteiligten auf sie einstellen oder diese sogar optimal sind. Die Praxis kann davon abweichen, etwa wenn die Parteien kulanter miteinander umgehen, als es die geschriebenen Verträge vorsehen. Häufig verwendete Klauseln begründen deshalb nicht ohne weiteres eine Rechtsnorm, lassen aber immerhin erkennen, was eine Mehrheit der Rechtsberater für sinnvoll hält. Mit den für die Praxis sinnvollsten Regelungen müssen diese Klauseln somit ebenso wenig identisch sein wie mit den für die Parteien intuitiv am leichtesten erschließbaren. All das spricht dafür, die in   BGH, NJW 1966, 502; Baumbach/Hopt, HGB33, §  346 Rn.  10; Koller/Roth/MorckRoth, HGB6 , §  346 Rn.  12; MünchKommHGB2 -K. Schmidt, §  346 Rn.  38; entsprechend für das UN-Kaufrecht Staudinger2005-Busche, Art.  9 CISG Rn.  4, 17. Zur Diskussion bei der Entstehung des BGB mwN.  Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  93; zur Nachkriegsdiskussion Raiser, Das Recht der AGB, S.  294 f. 429   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  96; Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn-Joost, HGB2, §  346 Rn.  28; Kirchhof, NJW 1986, 2275, 2277. Anders BGH, BB 1973, 635, 636; Schmidt-Kessel, ZVGlRWiss 96 (1997), 101, 149: „Es bedarf keines positiven Unterwerfungs- oder Einbeziehungswillens.“; sowie die in Fn.  428 aufgeführten Kommentatoren. 430   Dieser wurde auch bei der Entstehung des BGB anerkannt, Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  94 f. 431   Zu dieser Funktion Burton, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 115, 149, 162 (1993) sowie oben 4.C.3.a), Fn.  282. 432   So etwa Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1862 (1991); zu den auf den typischen Willen verweisenden Theorien oben 2.A.1.b). 433   Zusammenfassung der dazu durchgeführten Studien bei Robertson, 29 Melbourne University Law Review 179, 188, 212 (2005). 428

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der Praxis verwendeten Klauseln zu berücksichtigen, aber sie nicht kritiklos der Auslegung von Verträgen und der Rechtsfortbildung zugrunde zu legen. Die intuitiv nachvollziehbare Gestaltung abdingbaren Rechts hat den Vorteil, dass sie die Kluft zwischen der Vertragsdurchführung und der für es geltenden Rechtslage verringert. Diese Kluft droht, da der zwischen den Parteien geltende Vertrag nur eine von mehreren Quellen ist, die ihr Verhältnis zueinander bestimmen. Daher orientiert sich die Vertragsdurchführung vielfach an informellen Normen, Erwartungen über künftige Geschäfte, Fairnesserwägungen und vielem mehr.434 Auf den genauen Umfang der vertraglichen Rechte und Pflichten kommt es häufig erst dann an, wenn sich die Parteien streiten.435 Umso wichtiger ist es, dass sich die anzuwendenden Normen nicht an diesem Streitfall, sondern am Regelfall ausrichten und damit daran, was sich die Parteien auch ohne Rechtskenntnis erschließen konnten. Denn dann werden die Parteien bei einer rechtlichen Auseinandersetzung umso weniger überrascht und bestehen umso geringere Möglichkeiten, ihr Vertrauen auf eine etablierte Praxis unter Berufung auf eine unbekannte abdingbare Norm zu missbrauchen. Gestaltet man das abdingbare Recht nach diesen Maßstäben, so zeigt sich eine Asymmetrie von Ansprüchen und Einwendungen. Während man bei der Abgabe eines Versprechens kaum damit rechnen muss, zu weiteren Leistungen verpflichtet zu sein, liegt es nahe, dass man die Leistung nicht um jeden Preis erbringen muss. Ein Verzicht auf zusätzliche Leistungen liegt näher als ein unbedingtes Versprechen. Aus diesem Grund gibt es im Vergleich zu Anspruchs­ erweiterungen mehr abdingbare Einwendungen. Dazu gehören etwa der Ausschluss der Leistungspflicht bei Unzumutbarkeit, §  275 Abs.  3 BGB, oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage, §  313 BGB. Ansprüche sind im Zweifel abschließend, Einwendungen nicht. c)  Minimierung der auferlegten Lasten Die Gestaltung abdingbaren Rechts ist fast immer mit der Zuweisung von Nachteilen verbunden.436 Was man dem Gläubiger gewährt, muss man dem Schuldner nehmen.437 Transportkosten, für welche dieser aufzukommen hat, nutzen jenem. Anders ist dies nur bei beiderseitigem Gewinn (win-win). Wenn ohnehin eine Partei die mit einer abdingbaren Norm einhergehende Pflicht

434   Macaulay, 28 American Sociological Review 55, 58 (1963); Macneil, 47 Southern California Law Review 691, 731 (1974); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1765 (1997); einschränkend Scott, 103 Columbia Law Review 1646 (2003). 435   Macaulay, 28 American Sociological Review 55, 61 (1963); Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1767 (1997); gleichwohl kann sich in Verträgen das Vertrauen der Parteien ausdrücken, Klein-Woolthuis/Hillebrand/Nooteboom, 26 Organization Studies 2005, 813, 835. 436   Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  93. 437   Siehe bereits oben 4.C.3.b)dd).

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übernehmen muss, drängt sich die Frage auf, ob dies nach dem Nutzenmodell diejenige Partei sein soll, die sie am effizientesten erfüllen kann.438 Ein derartiger Grundsatz hätte einen unbezweifelbaren Vorteil: Der durch die Kooperation der Parteien entstehende Gewinn würde maximal und könnte zwischen ihnen aufgeteilt werden. Vermag etwa der Verkäufer eine Sache günstiger zu verschicken als der Käufer, so wäre eine Versendung durch ihn für beide Seiten vorteilhaft. Der Käufer müsste anderenfalls einen Dritten zu einem höheren Preis mit dem Transport beauftragen und könnte nur noch einen niedrigeren Preis anbieten. Die Gestaltung abdingbaren Rechts nach einer Minimierung der mutmaßlichen Kosten maximiert demnach den Wert der durch abdingbares Recht entstehenden Handlungsoption. Viele Vertreter des Nutzenmodells haben sich daher für eine daran ausgerichtete Gestaltung abdingbaren Rechts ausgesprochen.439 Sind keine anderen Gesichtspunkte ersichtlich, spricht in der Tat nichts gegen eine derartige Gestaltung. Allerdings steht sie vor der Schwierigkeit, dass bei den allgemeinen Normen des Vertragsrechts aufgrund deren weiten Anwendungsbereichs meist ungewiss ist, wer sie besser erfüllen kann. Versandunternehmen mögen wegen der Vielzahl der von ihnen geschlossenen Verträge günstigere Transportverträge schließen als ihre Kunden. Gleichwohl kann man nicht davon ausgehen, dass generell die Verkäufer für den Transport verantwortlich sein sollten. Einen günstigen Transport können auch diejenigen Käufer organisieren, welche in großen Mengen Waren ordern und dafür folglich günstige Transportkonditionen erhalten. Verallgemeinernde Aussagen darüber, wer die Leistung effizienter erfüllen kann, sind auf dieser Abstraktionshöhe des Schuldrechts kaum möglich. Schon deshalb gilt es, diese Entscheidung den Parteien zu überlassen. Überdies bliebe bei der alleinigen Orientierung an der besseren Erfüllungsmöglichkeit ein zu geringer Raum für die Autonomie der Parteien. Aus dem Blick geriete, dass man ihnen die durch abdingbares Recht begründete Last zurechnen muss.440 Diese Zurechnung muss die Entscheidungsfreiheit der Parteien ernst nehmen. Was sie einander nicht versprochen haben, müssen sie einander im Grundsatz nicht gewähren. Aus diesem Grund lassen sich die offen gelassenen Fragen nicht schlicht so beantworten, dass das Gesamtwohl der Parteien maximal wird. Zur Wahrung der Autonomie sind Leistungen der einen Seite gegenüber der anderen Seite vielmehr im Zweifel zu vermeiden. Das spricht dafür, die mit abdingbarem Recht verbundenen Pflichten möglichst zu minimie-

438   Entsprechendes gälte für eine Verteilung von Risiken an denjenigen, der sie am besten beherrschen und versichern kann, vgl. oben 4.C.3.a), Fn.  279. 439   Oben 2.C. 440   Oben 4.C.1.

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ren.441 Kostenneutrale Normen wie etwa Fristberechnungen lassen sich danach leichter rechtfertigen als Erweiterungen von Primäransprüchen. Daher ist im Zweifel diejenige abdingbare Norm vorzuziehen, welche der Pflichtenverteilung bei einem fehlenden Vertragsschluss am nächsten kommt und im Vergleich dazu die geringsten Kosten mit sich bringt. 442 Deren Übernahme soll freiwillig erfolgen. Der wirtschaftliche Sinn der Parteivereinbarung darf nicht verzerrt werden. Wissen die Parteien schon nicht, welche abdingbaren Normen zusätzlich zu ihrer Vereinbarung zum Zuge kommen, so sollen sie wenigstens die mit ihrem Versprechen verbundenen Kosten abschätzen können. Das begrenzt die Verwendung von Normen, die für sich genommen effi­ zient sein mögen, aber die wirtschaftliche Bedeutung des Vertragsversprechens verändern. Die Minimierung der auferlegten Lasten spricht etwa dafür, dass die Transportkosten der Käufer zu tragen hat, weil er anderenfalls eine Leistung erhielte, über die er sich nicht mit dem Verkäufer verständigt hat, §  447 BGB. Der Grund dafür ist nicht, dass diese Kosten für ihn stets geringer sind. Vielmehr ist maßgeblich, dass er ohne Vertragsschluss keinen Anspruch auf die Übersendung der Ware hätte und eine dies vorsehende abdingbare Norm eine zusätzliche Last mit sich brächte. Paradigmatisch zeigt sich daran, dass sich die Privatautonomie nicht mit jedwedem Inhalt abdingbarer Normen verträgt.443 Neben der Autonomie der Parteien spricht auch die Unwissenheit über die für den Vertragswert maßgeblichen Faktoren444 dafür, die mit abdingbarem Recht auferlegten Lasten zu minimieren. Denn auf diese Weite bleibt die wirtschaftliche Bedeutung der getroffenen Absprache erhalten. Weil man auf der Makroebene nicht weiß, wie sich eine Norm auswirkt, ist es auf der Mikroebene vorzugswürdig, die Parteien darüber selbst entscheiden zu lassen. Die Gestaltung abdingbaren Rechts hat dies zu berücksichtigen und den Parteien bei fehlender Entscheidung solche Normen vorzugeben, welche die wirtschaftliche Bedeutung ihrer Absprachen möglichst geringfügig verändern. Das ist umso   Vgl. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  809, S.  596: „Wenn etwas den einen Theil beschwert, oder mehr als den anderen, so sind .  .  . die Worte in einer engeren Bedeutung zu nehmen“; 1. Teil, 5. Titel, §  253 Preußisches Allgemeines Landrecht: „Im zweifelhaften Fall ist mehr auf das zu sehen, was der Verpflichtete versprochen, als was der Berechtigte angenommen hat.“; §  268: „.  .  . muß die zweifelhafte Stelle so erklärt werden, wie es dem Verpflichteten am wenigsten lästig ist.“; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.  163. Auch nach der Theorie des gerechten Preises wurde im Zweifel der Schuldner bevorzugt, DiMatteo, 60 University of Pittsburgh Law Review 839, 864 (1999). 442   Dem entspricht die Regel im Corpus Iuris Civilis D.45.1.99, Celsus: „Quidquid adstringendae obligationis est, id nisi palam verbis exprimitur, omissum intelligendum est“ (Was auch immer eine Schuld verstärkt, wird als unterlassen verstanden, wenn es nicht ausdrücklich angegeben ist). Sie fand auch im gemeinen Recht Anwendung, etwa RGZ 6, 28, 32, und lag nach Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  53, §  269 BGB und weiteren Normen zugrunde. 443   So Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  160. 444   Oben 2.C.2.d). 441

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eher der Fall, je niedriger die mit abdingbarem Recht einhergehenden Lasten sind. Eine derartige Gestaltung dürfte auch den Gesamtnutzen optimieren, weil die Parteien auf diese Weise ein Angebot erstellen können, das trotz der ihnen unbekannten Ergänzung durch abdingbare Normen seinen wirtschaftlichen Sinn bewahrt. Das hilft bei der Etablierung eines Marktes, auf dem die Einzelnen ohne großen Aufwand Leistungen austauschen können. Verzerrte hingegen abdingbares Recht ihre Absprachen, indem diese aufgrund weitreichender abdingbarer Normen eine andere wirtschaftliche Bedeutung erhielten, könnten die Parteien nur noch begrenzt eine ihre Interessen wahrnehmende Regelung treffen. Die daher erforderliche Minimierung der mit abdingbarem Recht einhergehenden Lasten kann auch dadurch geschehen, dass das Recht einer Seite zwar eine vertraglich nicht vorgesehene Pflicht auferlegt, sie dafür aber entschädigt. Dadurch gleicht es den von ihm geschaffenen Nachteil finanziell aus. Eine wirtschaftliche Verzerrung der Parteiabsprachen unterbleibt. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung einer Quittung für die Leistung des Schuldners. Meist legen die Parteien nicht fest, ob der Schuldner eine solche verlangen darf. Ob das wirtschaftlich sinnvoll ist, lässt sich allgemein schwer bestimmen, weil das unter anderem davon abhängt, wie viel Aufwand eine Quittung verursacht und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie Streitigkeiten über die Leistungserfüllung beseitigt. §  368 BGB erlegt dem Gläubiger daher einerseits die Pflicht auf, eine Quittung auszustellen. §  369 BGB gewährt ihm aber andererseits das Recht auf Kostenerstattung. Die Betroffenen würden eine derartige Regelung hypothetischerweise kaum treffen, wenn sie darüber verhandeln. Eher würden sie die Kosten für die Quittung bei der Berechnung des Gesamtpreises einkalkulieren. Gleichwohl ist diese Regelung sinnvoll, weil sie für die Situation gilt, dass die Parteien darüber nicht verhandelt haben. Mit einer fast salomonischen Lösung wird dem Schuldner zwar ein Anspruch auf eine Quittung zugesprochen, ihm jedoch zugleich auch die dafür entstehenden Kostenlast auferlegt. Das ist wirtschaftlich weitgehend neutral und vor allem dann von Bedeutung, wenn die Ausstellung der Quittung im Vergleich zur erfüllten Leistung einen erheblichen Aufwand bereitet. Der Schuldner kann diesen vom Gläubiger verlangen, ihn dadurch aber wirtschaftlich nicht belasten. Stellt man die Minimierung zusätzlicher Lasten der intuitiven Nachbildung des Versprechens gegenüber, so ergeben sich zwei einander ergänzende Grundsätze für Primär- und Sekundärleistungen. Im Zweifel sind Primärleistungen auf das Versprechen begrenzt und über sie hinausgehende Lasten zu minimieren. So ist der Leistungsort bei fehlender Festlegung der Wohnort des Schuldners, §  269 Abs.  1 BGB. Sekundärleistungen hingegen sollen das Versprechen nachbilden.445 Sie sind deshalb nicht zu minimieren, sondern sollen die Parteien   Hingegen sind nach Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 77 (1991) die Gewährleistungs-

445

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so stellen, wie sie bei der Erfüllung ihrer Versprechen stünden. Daher sehen die §§  280 ff. BGB eine abdingbare umfassende Haftung vor, die auch dann gilt, wenn der Gläubiger diese besser als der Schuldner versichern kann. Sie hat zugleich den Vorteil, dass sie das Vertrauen der Parteien bestärkt, sich auf das Versprechen einzulassen. Überdies verringert sie die Fehlanreize, den Vertragspartner zu überwachen. Sowohl die Minimierung zusätzlicher Leistungen als auch die intuitive Nachbildung des Versprechens verfolgen das Ziel, den wirtschaftlichen Sinn der Parteiabsprache zu erhalten. Beide Grundsätze können allerdings auch in ein Spannungsverhältnis treten und für unterschiedliche Lösungen sprechen. So stellt die Übertragung des Zubehörs zu einer verkauften Sache eine Zusatzleistung dar, die den Verkäufer belastet. Gleichwohl erstreckt sich ein Versprechen zur Übertragung einer Sache im Zweifel auf dieses, §  311c BGB. Das lässt sich mit der intuitiven Nachbildung des Versprechens gut begründen, da der Käufer ohne Zubehör mit der Sache meist wenig anfangen kann, während dem Verkäufer das Zubehör nach Übergabe dieser Sache nichts nutzt. Die Übertragung des Zubehörs auf den Käufer liegt somit zumindest dann nahe, wenn beide Seiten von ihm wissen. Angesichts des im Vergleich zur Hauptsache typischerweise geringeren Werts des Zubehörs, ist dem Verkäufer die damit einhergehende Erweiterung des Versprechens zumutbar. Eine Minimierung der Lasten allerdings spräche dafür, das Zubehör im Zweifel als nicht mitverkauft anzusehen. Es erweitert die Hauptleistung. Gegenüber dem Interesse an der Benutzung der Sache und der mangelnden Verwendbarkeit des Zubehörs durch den Verkäufer fällt dies aber kaum ins Gewicht. Die beiden Grundsätze sprechen hier daher zwar für unterschiedliche Lösungen. Die Gründe für eine intuitive Nachbildung jedoch überwiegen. Etwas anderes gilt bei der Frage, ob das Recht einen Anspruch auf das Nachfolgemodell einer verkauften Sache gewähren sollte. Das mag intuitiv nahe liegen, weil auf den ersten Blick schwer ersichtlich ist, warum sich der Verkäufer einem erneuten Geschäft verweigern sollte und der Käufer seine Geschäfte womöglich auf einen bestimmten Produkttyp einstellt. Gleichwohl geht ein derartiger Anspruch mit einer zu großen Erweiterung der Primärleistungen einher. 446 Der Verkäufer muss die Möglichkeit haben, seinen Kundenkreis zu beschränken und sein Geschäft aufzugeben. Künftige Leistungen und die mit ihnen verbundenen Lasten muss er verweigern können. Somit kommt in dieser Konstellation die Minimierung der mit abdingbarem Recht einhergehenden Lasten zum Tragen. Nur indem man das jeweilige Gewicht dieser Grundsätze bestimmt, lassen sich die vertragsrechtlichen Normen erklären und begründen. risiken der Person aufzuerlegen, welche sie billiger erfüllen kann. Das entspricht dem Nutzenmodell, oben 2.C. 446   Oben 2.C.2.b).

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d)  Gleiche Beachtung der Parteien Eine letzte hier darzustellende Folge aus dem Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption ist die gleiche Beachtung der Parteien. Das Recht ist zur Neutralität verpflichtet. Ihm stehen Personen gegenüber, die den gleichen Anspruch auf Achtung ihrer Interessen haben.447 Mögen ihre faktischen Verhältnisse in Vermögen, Bildung und Ruf auch auseinanderklaffen, so sind sie vor dem Recht dennoch gleich, Art.  3 Abs.  1 GG. Abdingbare Normen haben dies ebenso wie zwingende Normen zu beachten. Aus diesem Grund dürfen sie keine Partei ohne rechtfertigenden Grund bevorzugen oder benachteiligen, so stark dies auch die Transaktionskosten senken mag.448 Eine Reihe abdingbarer Normen wird vor diesem Hintergrund verständlicher. Dazu gehören die §§  420, 430 BGB449 mit ihrer Gleichbehandlung von Schuldnern und Gläubigern. Gleiches gilt für das Zurückbehaltungsrecht nach §  273 BGB, das für alle Ansprüche in gleicher Weise gilt. Ebenso ist von dieser Vorstellung der Aus­ legungsgrundsatz geprägt, die Interessen beider Seiten in gleicher Weise zu beachten.450 In dieser Gleichheit der Rechte und Pflichten drückt sich die Ebenbürtigkeit der Parteien aus. Rechtlich stehen sie in keiner Hierarchie zueinander. Behandelte das abdingbare Recht die Parteien hingegen ungleich, indem es ihnen ohne rechtfertigenden Grund verschiedene Pflichten auferlegte, entstünde eine durch Art.  3 GG verbotene Diskriminierung. Aus diesem Grund erklärte das Bundesverfassungsgericht §  1355 Abs.  1 S.  2 BGB a. F. für verfassungswidrig, wonach der Name des Mannes zum gemeinsamen Ehenamen wurde, wenn die Ehegatten sich über diesen nicht einigen konnten.451 Die Möglichkeit der Ehegatten, etwas Abweichendes festzulegen, stand der Diskriminierung nicht entgegen. Denn bereits in der abdingbaren Vorgabe war die Gleichberechtigung nach Art.  3 Abs.  2 GG zu wahren. Immerhin beeinflusste sie die Verhandlungsmacht, indem der Mann das Scheitern einer Vereinbarung 447   Stellvertretend Grotius, De jure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kap., VIII, S.  247: „Bei den Verträgen fordert die Natur Gleichheit .  .  .“; Larenz, Richtiges Recht, S.  41 ff., 65 ff.; Raiser, FS DJT, S.  101, 106; Fried, Contract as Promise, p.  70; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  46. Kritisch: Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  56. 448   So das Argument von Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 412 (2009), der daher für eine Gestaltung abdingbarer Normen entsprechend der Marktmacht plädiert. 449   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  54. 450   BGH, NJW 2002, 2310, 2311, wonach eine Vermutung besteht, „dass nach dem Geschäftswillen der Parteien Leistung und Gegenleistung der Parteien in einem ausgewogenen Verhältnis standen“; entsprechend der Grundsatz der „nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung“, BGH, NJW 1996, 248 (= BGHZ 131, 136, 138); 2003, 819 (= BGHZ 152, 153, 156); 2007, 1346, 1348; ähnlich das traditionelle Naturrecht, Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  8 09, S.  596. 451   BVerfG, NJW 1991, 1602 (= BVerfGE 84, 9, 20); 1991, 2822; dazu MünchKommBGB5von Sachsen Gessaphe, §  1355 Rn.  1; Staudinger2006 -Voppel, §  1355 Rn.  8.

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eher hinnehmen konnte als die Frau. Eine Privilegierung einer der Parteien durch eine abdingbare Norm bedarf ebenso wie andere Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung. Vor diesem Hintergrund wäre es prima facie mit der Gleichheit der Parteien nicht vereinbar, wenn das abdingbare Recht eine Haftungserleichterung nur zugunsten einer Seite vorsähe oder Lücken generell zu ihren Gunsten schlösse452 . Beide Parteien sind schließlich potentielle Schuldner, die für die Erfüllung ihrer Pflichten haften. Es gibt keinen Grund, warum das Recht eine von ihnen privilegieren sollte. Damit müssen auch die Parteien nicht rechnen. Sie erwarten deshalb eine gleichmäßige Behandlung.453 Nur mit einer dies berücksichtigenden Verteilung der Rechte und Pflichten werden ausgeglichene Vertragsverhandlungen möglich.454 Die Parteien müssen die Rechtslage dann nicht anpassen, um eine gleichberechtigte Verhandlung zu führen. Besonders wichtig ist die gleiche Beachtung der Parteien im Gesellschaftsrecht, da sich dort die Rechte und Pflichten der Gesellschafter leichter mitei­ nander vergleichen lassen als bei sonstigen Verträgen. Privilegien fallen eher auf und lassen sich schlechter rechtfertigen. Das abdingbare Recht schreibt daher ausdrücklich eine Gleichbehandlung nach dem Verhältnis der Anteile vor, §§  706 Abs.  1, 709 Abs.  1, 722 Abs.  1, 734, 739 BGB. Rechtsprechung und Literatur haben daraus den für alle Gesellschafter geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz entwickelt.455 Vertragliche Modifikationen sind damit nicht ausgeschlossen. Der Grund dieser Gleichbehandlung ist die gleiche Beachtung der Parteien. Ihr widerspräche es, wenn das Recht eine von ihnen grundlos bevorzugte. Dass die Parteien die Verteilung von Gewinnen und Verlusten leichter als Gerichte und Gesetzgeber festlegen können,456 hebt die Pflicht zur Gleichbehandlung nicht auf. Gleichwohl kann das Recht Risiken einer Partei vollständig zuweisen und sie insofern gegenüber der anderen Partei benachteiligen. Indes ist die Voraussetzung dafür ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung. Er mag darin bestehen, dass die belastete Partei das Risiko besser beherrscht, so dass eine

  So etwa Geis, 90 Minnesota Law Review 1664, 1672 (2006); Ben-Shahar, 109 Columbia Law Review 396, 411 (2009). Anders für das Erbrecht Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1052 (2004). 453   Zum experimentellen Nachweis der Vermeidung von Ungleichheit von Kooperationspartnern Fehr/Schmidt, 114 The Quarterly Journal of Economics 817, 823–829 (1999). 454   Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  47. 455   BGH, NJW 1956, 1198, 1200 (= BGHZ 20, 363, 369); 1987, 3121, 2122; 1995, 1353, 1356; 2005, 3641, 3643 (= BGHZ 164, 98, 104); MünchKommBGB5-Ulmer, §  705 Rn.  244; Staudinger2003-Habermeier, §  705 Rn.  53; Schmidt, Gesellschaftsrecht, §  16 II 4, S.  462 ff. So bereits Grotius, De jure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kap., XXIV, S.  255: „Bei einer Handelsgesellschaft .  .  . müssen bei Gleichheit der Beträge auch die Anteile am Gewinn und Schaden gleich sein“. 456   So Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 693. 452

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Risikoteilung als nicht sinnvoll erscheint.457 Eine andere Regelung würde auch die intuitive Nachbildung des Versprechens konterkarieren, die eine klare Aufgabenzuweisung verlangt. Die Parteien dürfen erwarten, dass die Risiken nur einer Seite zugewiesen sind,458 weil nur so eine Verdoppelung der Verantwortlichkeit ausbleibt. Es ist deshalb in der Regel effizienter, dass jede Partei die ihr zugeteilten Risiken überwacht, als wenn beide Seiten sämtliche Risiken bedenken müssten. Bleibt etwa offen, wer für den Transport eines verkauften Gutes aufzukommen hat, liegt es näher, diese Last dem Käufer komplett aufzuerlegen, als dass beide Parteien damit befasst wären. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Parteien ihrerseits die Risiken teilen.459 Die Forderung nach gleicher Beachtung der Parteien beinhaltet nicht deren Bindung an den Gleichheitssatz. Denn dieser verpflichtet zwar Gesetzgeber und Richter, nicht aber Private, Art.  1 Abs.  3 GG. Ihnen steht es im Grundsatz frei, Chancen und Risiken ungleich zu verteilen.460 Sie können entscheiden, mit wem und zu welchen Konditionen sie einen Vertrag schließen.461 Die Forderung nach Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung462 ginge daher über das dargelegte Gebot gleicher Beachtung der Parteien weit hinaus, da es auch für die Parteien gälte. Sie könnten sich nicht mehr auf ihre Absprachen verlassen, sondern müssten diese an den Gleichheitsvorstellungen des Gesetzgebers ausrichten. Das führte letztlich auch zu einer Ungleichbehandlung von Verträgen. Man würde nur diejenigen anerkennen, welche diesen Gleichheitsvorstellungen entsprechen.

  Siehe aber Fried, Contract as Promise, p.  70.   Häufig wird dies mit dem Sphärengedanken begründet, etwa Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  169; zu seiner konsequentialistischen Rechtfertigung Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, S.  200. Kritisch gegenüber einer vollständige Risiko­ übernahme durch eine Seite Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  56. 459   Daher sind nach Zamir, 52 Louisiana Law Review 1, 81 (1991) Risiken auf denjenigen zu verlagern, der sie besser verteilen kann. 460   Flume, FS DJT, S.  135, 140; Staudinger2011-Coing/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, B.VII.3., Rn.  47; zurückhaltend Staudinger 2006 -Coester, §  307 Rn.  163; siehe auch oben 4.B.2.a), Fn.  140. 461   Zum Kontrahierungszwang siehe BGH, NJW 1990, 761, 762; weitere Nachweise oben 1.C.4, Fn.  211. 462   So etwa bei der Inhaltskontrolle von AGB, BGH, NJW 1976, 179 (= BGHZ 96, 103, 109); 1994, 1060, 1061 (= BGHZ 124, 351, 354); 2009, 575, 578 (= BGHZ 178, 227, 242); 2009, 2662, 2665; 2010, 993, 994; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  250. Allgemein Larenz, Richtiges Recht, S.  79 ff.; Bydlinski, System und Prinzipien des Rechts, S.  159 f.; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S.  217; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.  59 ff.; Gordley, 69 California Law Review 1587, 1625 (1981); dazu bereits oben 4.C.3.a). 457

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3.  Die Gestaltung des Abbedingungsakts a)  Das Erfordernis eines Abbedingungsakts Die im Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption zusammengefassten Überlegungen wirken sich nicht nur auf den Inhalt abdingbaren Rechts aus. Vielmehr prägen sie auch die Anforderungen an den Abbedingungsakt. Eine generelle Systematik für ihn fehlt bisher. Das ist kein Zufall. Aufgrund der Unterschiedlichkeit des jeweiligen Abbedingungsakts lassen sich einheitliche Regeln nur schwer entwickeln. Die Gerichte bewahren sich auf diese Weise eine größere Flexibilität. Denn zur Abbedingung unliebsamer Normen können sie dann Andeutungen der Parteien genügen lassen und dies damit begründen, dass es sich um eine „besondere Sachlage“463 handele. In anderen Fällen mögen sie auf strengen Anforderungen beharren und für die Abbedingung womöglich sogar die Kenntnis von deren Folgen verlangen.464 Je nach den Umständen lassen sich so die gewünschten Ergebnisse erreichen. Wo das abdingbare Recht passt, wendet man es an, wo man es als unangemessen ansieht, verweist man auf eine konkludente Abbedingung. Eine derartige Gestaltung der Abbedingungshürde je nach Opportunität wird der Geltung abdingbarer Normen jedoch nicht gerecht. Sie stehen zur Disposition der Parteien und nicht der Gerichte. Soll deren Entscheidung nicht willkürlich sein, muss sie nach verallgemeinerungsfähigen Kriterien erfolgen. In abstrakt-genereller Form ist daher anzugeben, wann von einer Abbedingung auszugehen ist. Sowohl der Abbedingungsakt als auch die an die Stelle des abbedungenen Rechts tretende Norm kann ausdrücklich oder konkludent formuliert sein. In der Kombination dieser Möglichkeiten ergeben sich vier Fallgruppen (aa-dd). aa) Der klarste Fall ist der einer ausdrücklichen Abbedingung aufgrund expliziter Regelung. So mögen die Parteien wörtlich vereinbaren, dass anstelle der zweijährigen Verjährungszeit von §  438 Abs.  1 Nr.  3 BGB eine dreijährige Gewährleistung gilt. Sowohl die abzubedingende als auch die abbedingende Norm sind dann angegeben. bb) Weniger deutlich ist die Abbedingung, wenn die Parteien die abzubedingende Norm zwar ausdrücklich nennen, dabei jedoch nicht explizit vereinbaren, welche Norm stattdessen gelten soll. Sie sind dann zwar einig darüber, was sie nicht wollen, aber nicht darüber, was stattdessen gelten soll. Problematisch ist dies vor allem in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, weil deren Verwender seinen Vertragspartner damit einer vermeidbaren Unsicherheit darüber aus  Endemann, BR, Bd.  1, S.  41; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  172.   BGH, NJW 2006, 1434, 1436 zu §  178a VVG a. F.

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setzt, was letztlich gelten soll.465 Wenn dieser schon keinen Einfluss auf den Inhalt der Geschäftsbedingungen hat, so soll er wenigstens wissen, woran er ist. In Individualverträgen hingegen ist es im Grundsatz zulässig, sich bei einer Abbedingung mit der Nennung der abzubedingenden Norm zu begnügen. Denn beide Seiten finden sich dann mit der eintretenden Ungewissheit über die letztlich zur Anwendung kommende Norm ab. Meist wird sich durch die Abbedingung einer Norm zumindest indirekt ergeben, was die Parteien stattdessen wollen. So geht die Vereinbarung, dass der Verkäufer für die Verpackung des gekauften Guts keine Verantwortung trägt, konkludent mit der Regelung einher, dass dies die Obliegenheit des Käufers ist. cc) Typischer als derartige konkludente Regelungen aufgrund ausdrücklicher Abbedingung ist die umgekehrte Konstellation einer konkludenten Abbedingung aufgrund ausdrücklicher Regelung. Bei ihr formulieren die Parteien zwar nicht die abzubedingende, wohl aber die abbedingende Norm.466 Erst aus ihr ergibt sich, welche Norm abbedungen werden soll. Die Parteien müssen sich über diese Wirkung nicht bewusst sein und die abbedungene Norm noch nicht einmal kennen.467 Es genügt, dass sie eine Rechtsfolge vorsehen, die der abbedungenen Norm widerspricht. So folgt etwa aus einer Vereinbarung einer dreijährigen Gewährleistungszeit, dass die sonst anwendbare zweijährige Gewährleistung nicht zum Zuge kommt. Sogar mittelbar können die Parteien auf diese Weise Normen abbedingen, deren Einhaltung ihre Vereinbarung weitgehend vereitelte.468 Denn die Rücksicht auf diese Vereinbarung gebietet es, auch diejenigen Normen als abbedungen anzusehen, welche den Eintritt der verfolgten Ziele zwar nicht vollständig, wohl aber weitgehend verhindern. Bedingen die Parteien etwa die Gewährleistung für alle erkennbaren Mängel ab, so schließen sie mittelbar auch die 465   So wird zum Teil bereits der Ausschluss durch bloßen Verweis auf einen Paragraphen als intransparent und damit unwirksam angesehen, OLG Schleswig, NJW 1995, 2858, 2589 zu §  568 BGB a. F. (Ausschluss der automatischen Verlängerung des Mietvertrages); Staudinger2006 -Emmerich, §  545 Rn.  18; Gramlich, Mietrecht10, §  545 Nr.  5 ; a. A.: OLG Rostock, NJW 2006, 3217, 3218. Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  73, Rn.  208 hält ihn in der Regel für entbehrlich. Der Verweis auf andere AGB ist hingegen zulässig, BGH, NJW 1995, 589, 590 mwN. 466   Zum Beispiel BGH, NJW 1985, 1457, 1458 (= BGHZ 93, 271, 275 f.); 1995, 392, 393 (= BGHZ 127, 378, 385) mit der Annahme, bei den dabei beurteilten Verträgen zugunsten Dritter sei die Möglichkeit stillschweigend abbedungen, sich nach §  334 BGB auf die Einwendungen des Vertragspartners zu berufen. 467   Oben 1.A.1.c). 468   Vgl. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  439, S.  270: „In den ausdrücklichen Verträgen ist stillschweigend enthalten, was aus dem, so ausdrücklich gesaget wird, durch eine notwendige Folge fliesset“. Entsprechend BGH, BB 1984, 1191 (für den Ausschluss eines Handelsbrauchs).

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Möglichkeit zur Anfechtung aus.469 Die Anfechtung unterscheidet sich zwar von der Geltungmachung der Gewährleistung und könnte unabhängig von ihr erfolgen. Jedoch liefe der Gewährleistungsausschluss weitgehend ins Leere, wenn eine Partei ihm zuwider den Vertrag anfechten könnte, obwohl sie sonst die Mängel hinnehmen müsste.470 Ohne Erstreckung der Abbedingung auf die Anfechtung ist das Risiko, dass die Auslegung dem Parteiwillen widerspricht, höher, als wenn man auch die Anfechtungsmöglichkeit als konkludent abbedungen ansieht. dd) Am schwierigsten zu beurteilen ist die vierte Fallgruppe der stillschweigenden Abbedingung aufgrund konkludenter Absprache. Bei ihr geben die Parteien weder ausdrücklich an, dass sie von einer bestimmten Norm abweichen, noch legen sie ausdrücklich eine Rechtsfolge fest, welche die gesetzliche Anordnung verdrängt. Sowohl die Vereinbarung als auch die durch sie verdrängte Norm bleiben unerwähnt. Annehmen lässt sich dies, wenn bei Anwendung einer abdingbaren Norm der vorausgesetzte Sinn einer stillschweigenden Absprache471 gefährdet wäre. Der Entschluss der Parteien, die mit dem Vertrag verbundenen Ziele zu verfolgen, spricht dann für eine konkludente Abbedingung. So mag man annehmen, dass bei einem wortlos vereinbarten Kauf auf einem Trödelmarkt auch die Gewährleistung konkludent ausgeschlossen wird. In der Regel jedoch hat die Abbedingung an ein ausdrückliches Versprechen der Parteien anzuknüpfen. Wenn schon die verdrängte Norm nicht genannt ist, soll wenigstens unmissverständlich feststehen, was die Parteien stattdessen vereinbart haben. Für die Gestaltung der Abbedingungshürde sind die beiden letzten Fallgruppen einer konkludenten Abbedingung von besonderer Bedeutung. Denn dass eine ausdrückliche Abbedingung sie überwindet, ist selten problematisch. An eine konkludente Abbedingung hingegen werden unterschiedliche Anforderungen gestellt. Die Gerichte verlangen einen klaren und bestimmten Ausdruck,472 469   BGH, BB 1967, 96 erkennt das für den Kilometerstand an, ähnlich BGH, NJW 2001, 966, 967; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  119 Rn.  8 ; Staudinger2004-Matusche-Beckmann, §  437 Rn.  28; anders aber BGH, NJW 1979, 160, 161 zum Baujahr des PKW. Vielfach wird dies stattdessen mit der Verdrängung der §§  119 ff. durch die §§  434 ff. BGB erklärt, Staudinger2004Singer, §  119 Rn.  102; MünchKommBGB5-Kramer, §  119 Rn.  35, siehe aber Rn.  141; Palandt70 Ellenberger, §  119 Rn.  28. 470   Siehe als weiteres Beispiel den stillschweigenden Ausschluss der Anrechnung von Zinsen und Kosten nach §  367 BGB, BGH, NJW 1984, 2161 (= BGHZ 91, 55, 60); zur stillschweigenden Abbedingungen bereits oben 3.B.2, Fn.  137. 471   Vgl. BGH, NJW 1963, 2071, 2075, wonach ein Vertrag ergänzend auszulegen sei, wenn „ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde“; BGHZ 178, 101, 110; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  125. 472   BGH, NJW 1977, 1292, 1293 (= BGHZ 68, 212, 215) (Möglichkeit zum Ausschluss

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts

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wenn eine Partei mit der Abbedingung große Risiken übernimmt, auf wesentliche oder ihr unbekannte473 Rechte verzichtet oder außergewöhnlichen Re­ gelungen zustimmt.474 Bei einem Verzicht auf die Gewährleistung für neu errichtete Häuser hält der BGH sogar eine Belehrung für geboten.475 Eine deutliche Formulierung der abbedingenden Norm ist auch erforderlich, wenn sich damit der zu beurteilende Vertragstyp ändert.476 Ähnlich verlangt die Rom-IVerordnung, dass die Rechtswahl „ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben“ muss.477 All das schränkt eine konkludente Abbedingung erheblich ein. Auf der anderen Seite gibt es Konstellationen, in denen nur geringe Anforderungen an den Abbedingungsakt gestellt werden. §  273 BGB etwa verlangt für den Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts lediglich, dass sich aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt.478 Das eröffnet einen weiten Auslegungsspielraum, dass die Parteien mit ihren Versprechungen implizit ein Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen haben, etwa weil dieses mit der „Natur des Gläubigeranspruchs“ oder der „Eigenart des Gegenstands“ nicht vereinbar ist.479 Bisweilen stützen die Gerichte den Ausschluss einer Norm schon auf den „Zusammenhang mit der jeweiligen Interessenlage“ der Parteien.480 Es genüge, eines Gesellschafters ohne wichtigen Grund); 1988, 332, 333 (Ausschluss eines ordentlichen Kündigungsrechts); 1995, 392, 394 (zu Einwendungen aus einem Vertrag zugunsten Dritter gegenüber dem Dritten, §  334 BGB); NJW-RR 1986, 346, 347 (zum Kausalitätserfordernis beim Maklervertrag); NJW-RR 1991, 439 (Ausschluss des Kündigungsrechts nach §  627 BGB); Soergel12-Wiedermann, vor §  323 Rn.  65 (zum ordentlichen Kündigungsrecht). Im amerikanischen Recht wird bisweilen eine bestimmte Formulierung des Abbedingungsakts gefordert, Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1745 (1997). Siehe auch Einleitung §  106 Preußisches Allgemeines Landrecht: „Die Willensäußerung zur Entsagung oder Uebertragung eines Rechts muß also deutlich und zuverläßig seyn.“ 473   BGH, NJW 1994, 379, 380; BeckOK-BGB20 -Dennhardt, §  397 Rn.  12; Jauernig13Stürner, §  397 Nr.  2b; Staudinger2005-Rieble, §  397 Rn.  101 ff., 128 ff. 474   BGH, NJW 1967, 2159, 2160 (= BGHZ 48, 141, 144) (klarer und eindeutiger Ausschluss des Abtretungsrechts nach §  15 Abs.  5 GmbHG); 1994, 379, 380; 1995, 2629 (Verzicht auf Vergütung bei vorübergehender Verhinderung, §  616 I 1 BGB); 2008, 2106, 2109 (Verzicht auf Mehrvergütung für Mehrleistungen); NJW-RR 1996, 237; 2002, 1613, 1614 (Verzicht auf Forderung); weitergehend Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  88 f., der bei einem durch ein Gesetz „zugedachten Vorteil“ einen ausdrücklichen Verzicht verlangte. 475   BGH, NJW 1984, 2094; 1989, 2748, 2749 (= BGHZ 108, 164, 168); 2005, 1115, 1117; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A1, §  13 Rn.  52; dazu auch unten 5.B.5.a), Fn.  253. 476   BGH, NJW 1971, 1133, 1135 (Vorkenntnisklauseln im Maklervertrag); inzwischen ergibt sich dies für AGB durch das Transparenzgebot in §  307 Abs.  1 S.  2 bzw. §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB. 477   Art.  3 Abs.  1 S.  2 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I). 478   Entsprechend §§  168 S.  2, 183 S.  1, 292 Abs.  1, 369 Abs.  1, 425 Abs.  1, 520, 699 Abs.  2, 713, 727 Abs.  1, 730 Abs.  2 S.  2 BGB. 479   BeckOK-BGB20 -Unberath, §  273 Rn.  30 ff.; Jauernig13-Stadler, §  273 Nr.  12 ff.; Staudinger2009-Bittner, §  273 Rn.  81 ff., die zwischen einem derartigen Ausschluss und einer Vereinbarung unterscheiden; zurückhaltend hingegen MünchKommBGB5-Krüger, §  273 Rn.  46. 480   BGH, NJW-RR 1993, 1377, 1378 für die Haftung als Gesamtschuldner; ähnlich BGH,

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

dass eine stattdessen zum Zuge kommende Norm den typischen Interessen der Parteien oder dem mutmaßlichen Parteiwillen besser entspreche.481 Anzunehmen sei eine Abbedingung etwa, wenn der Vertragspartner „das ausdrückliche Ansinnen einer solchen Abmachung“ nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können.482 Ebenso ließe sich das abdingbare Recht mittels einer ergänzenden Vertragsauslegung verdrängen, wofür ein mutmaßlicher Parteiwille reiche.483 Nach verbreiteter Vorstellung solle man dann eine den individuellen Interessen der Parteien nahe kommende Lösung suchen und das abdingbare Recht nur im Notfall heranziehen.484 Besondere Bedeutung habe dies für ungeregelte Verträge. Bei ihnen stünde die Anwendung der allgemeinen Normen unter dem Vorbehalt der Angemessenheit.485 Der Vielfalt dieser Vorstellungen ist der Verzicht auf einen Abbedingungsakt gemeinsam. Er ist für eine Abbedingung indes konstitutiv.486 Ohne ihn geht es um die Fortbildung einer Norm, nicht aber um ihre Abbedingung. Der Verzicht auf den Abbedingungsakt ist daher mit dem Geltungsanspruch abdingbarer Normen unvereinbar. Diese würden anderenfalls zu einer bloßen Empfehlung, welche die Gerichte heranziehen können, aber nicht heranziehen müsNJW 1982, 1700, 1701 (= BGHZ 83, 334, 339); Palandt70 -Grüneberg, §  427 Rn.  2. Eine derartige Annahme einer stillschweigenden Abbedingung sollte beim CISG verhindert werden, MünchKommHGB2 -Benicke, CISG, Art.  6 Rn.  10. Zur stillschweigenden Abbedingung ferner BGHR, BGB §  334 Zurückbehaltungsrecht 1; BGH, NJW 1995, 392, 393 (= BGHZ 127, 378, 384 f.); 1998, 1059, 1061. Kritisch Canaris, JZ 1995, 441, 444. 481   BGH, NJW 1982, 2816, 2817; NJW-RR 1990, 818, 819; Palandt70 -Ellenberger, §  157 Rn.  4 ; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  111, S.  541; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  110; Berger, Der Aufrechnungsvertrag, S.  289; Binder, Regulierungs­ instrumente, S.  99; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  48. 482   BGH, NJW 1980, 1681, 1682. Das dabei zitierte Urteil BGH, NJW 1953, 937 (= BGHZ 9, 273, 277 f.) beinhaltet die Schließung einer Vertragslücke nach dem hypothetischen Willen der Parteien und ist daher für die stillschweigende Abbedingung unergiebig. 483   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  76 f.; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  110, S.  541; Soergel13-Wolf, §  157 Rn.  112; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  111; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  104, der bei echten Vertragslücken von einem „generellen Vorrang vor dem dispositiven Recht“ spricht; Berger, Der Aufrechnungsvertrag, S.  289. Diese Ansichten gehen auf Savignys Einordnung abdingbaren Rechts als unvollständig gebliebener Wille zurück, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57 f.; Bd.  3, S.  258, oben 2.A, Fn.  8 , wohinter sich letztlich seine Gesetzesskepsis verbirgt, siehe Weick, NJW 1978, 11, 13. 484   Drastisch Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  42, wonach es gelte, abdingbares Recht als „allmächtigen Potentaten [zurückzuweisen], der über all in seinem Imperium autoritär zu herrschen bestrebt ist“; ähnlich Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  172, wonach bereits die Wertungen des Vertrages die Nichtanwendung abdingbarer Normen erlaube. Ferner oben 1.E.2.b) sowie 2.B.1.a). Zu diesen beiden Perspektiven im amerikanischen Recht Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 194. 485   Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  343; ähnlich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  139 f., wonach abdingbares Recht nur die „unmittelbar geregelten Sachverhalte“ betreffe. 486   Oben 1.A.1.c).

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts

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sen. Sie ergänzten dann nicht die Absprachen der Parteien, sondern die gerichtlichen Erwägungen. Der Weg in ein reines Billigkeitsrecht wäre eröffnet. Die Bindung an das „grundsätzlich“ anwendbare dispositive Recht geriete zum Lippenbekenntnis. Jede Norm könnte durch Verweis auf einen mutmaßlichen Parteiwillen, eine atypische Gestaltung oder eine ad hoc erfolgende Interessenabwägung verdrängt werden.487 Das Argument, dass sich der Vertragspartner auf eine bestimmte Norm hätte einlassen müssen,488 passte stets. Der Unterschied zwischen einer tatsächlichen und einer nur hypothetischen Vereinbarung wäre verwischt. Die Gerichte könnten über die gesetzlichen Anordnungen frei disponieren, weil kein Hinweis auf die angenommenen Parteiinteressen zu schwach wäre, um die Verdrängung der gesetzlichen Norm zu rechtfertigen. Mit der Bindung an Recht und Gesetz nach Art.  20 Abs.  3 GG wäre das nicht vereinbar. Sie gilt für zwingendes Recht ebenso wie für abdingbares.489 Auch für die Verdrängung älterer Normen ist entgegen einer bisweilen vertretenen Ansicht490 ein Abbedingungsakt erforderlich. Anderenfalls könnten die Gerichte und die Literatur die als unangemessen empfundenen Normen stets als veraltet bezeichnen. Das Alter einer Norm ist schon angesichts der über Jahrtausende reichenden Tradition des Privatrechts kein geeignetes Kriterium, um eine niedrige Abbedingungshürde anzunehmen.491 Es kann sogar ein Indiz dafür sein, dass sich eine Norm bewährt hat.492 Ein Verzicht auf einen Abbedingungsakt lässt sich auch nicht mit der Überlegung rechtfertigen, dass die abdingbaren Normen des BGB auf den Verbraucherverkehr zugeschnitten seien und sich nur noch bedingt für den Geschäftsverkehr eigneten.493 Denn gerade das Verbraucherschutzrecht bildet nur einen Teil des BGB.494 Mit dem Verzicht auf einen Abbedingungsakt wäre die Voraussehbarkeit und Verlässlichkeit der Rechtsanwendung bedroht. Auf sie ist insbesondere der Geschäftsverkehr angewiesen. Könnten die Parteien nicht darauf vertrauen, dass abdingbares Recht die von ihnen offen gelassenen Fragen entscheidet, müssten sie diese selber regeln. Gegen die Notwendigkeit eines Abbedingungsakts spricht auch nicht das Argument, dass die Parteien die Abbedingung nicht mit gutem Grund hätten 487   Henckel, AcP 159 (1960), 106, 122: „Mit den Generalklauseln würde also das Zivilrecht aufgelöst.“; Flume, AT, Bd.  2, S.  325. 488   Fn.  482. 489   Oben 3.B.3. Darüber hinausgehend plädiert Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1771, 1790 (1997) sogar für einen Vorrang abdingbaren Rechts vor dem geschriebenen Vertragstext. 490   So BGH, NJW 1979, 1705, 1706; für eine mit dem Alter eines Gesetzes abnehmende Bindung auch Pawlowski, Methodenlehre, S.  193 f., Rn.  411; weitere Nachweise oben 2.A.1.b), Fn.  23. 491   Siehe aber BVerfG, NJW 1973, 1221, 1225 (= BVerfGE 34, 269, 288); Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  142. 492   Oben 2.B.1.c). 493   Berger/Kleine, NJW 2007, 3526, 3529. 494   Vgl. §§  13, 310, 312 ff., 474 ff. BGB.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

ablehnen können495 . Abgesehen davon, dass über einen derartigen Grund meist Streit besteht, bleibt es ein Unterschied, ob man eine Absprache nicht verweigern darf, wenn sie an einen herangetragen wird, oder ob man bereits vor einem derartigen Ansinnen an sie gebunden ist. Man muss sich auf eine Abbedingung zumindest einstellen können. Solange die Parteien eine Norm nicht abbedungen haben, dürfen sie daher auch nicht so behandelt werden, als ob sie dies getan hätten. Hinter dem häufig befürworteten Verzicht auf einen Abbedingungsakt steht meist die Bestrebung, das abdingbare Recht fortzubilden. Das ist jedoch offen auszuweisen sowie zu begründen und nicht hinter einer vermeintlichen Abbedingung zu verbergen.496 Denn eine Fortbildung des Rechts ist sowohl von einer Abbedingung als auch von einer ergänzenden Vertragsauslegung zu unterscheiden. Sie hebt nicht lediglich die Anwendbarkeit einer Norm auf einen bestimmten Sachverhalt auf oder ergänzt den Vertrag, sondern gestaltet das Recht um. Dessen Inhalt wandelt sich und es gilt fortan eine modifizierte Norm. Dafür sind die allgemeinen für die Rechtsfortbildung geltenden Maßstäbe zu erfüllen.497 Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt demgegenüber nur dort in Betracht, wo das gesetzlich abdingbare Recht keine Regelung getroffen hat. 498 Dann bedarf es weder eines Abbedingungsakts noch einer Rechtsfortbildung. An den Nachweis einer trotz abdingbarem Recht bestehenden Regelungslücke sind aus diesen Gründen strenge Anforderungen zu stellen.499 Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen im Einzelnen geregelten Vertragstyp handelt.500 Eine Lücke existiert nur dort, wo eine Frage weder im Vertrag noch   Anders die (nicht tragende) Argumentation in BGH, NJW 1980, 1681, 1682.   Derartige verdeckte Strategien sind gleichwohl häufig, Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  155 ff. 497   Stellvertretend Larenz, Methodenlehre, S.  366 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, S.  207 ff., Rn.  453 ff.; Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S.  498 ff., Rn.  796 ff. 498   BGH, LM Nr.  5 zu §  133 (A) BGB; NJW 1963, 2071, 2075 (= BGHZ 40, 91, 103); 1980, 2347, 2348 (= BGHZ 77, 301, 304); 1984, 1177, 1178 (= BGHZ 90, 69, 75); 1998, 450, 451 (= BGHZ 137, 153, 157); 2001, 818, 820 (= BGHZ 146, 250, 261); Staudinger2003-Roth, §  157 Rn.  23; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 22; Medicus, AT, S.  136 Rn.  344; MünchKommBGB5Busche, §  157 Rn.  40. 499   Medicus, AT, S.  136, Rn.  344; zurückhaltender Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  188; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  109 mwN. 500   Zu dieser Unterscheidung Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  189; Larenz, NJW 1963, 737, 740; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  112, S.  541; Flume, AT, Bd.  2, S.  325; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  25 ff., 44; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.  454; Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  110; Bunte, NJW 1984, 1145, 1147 f.; Schmidt-Kessel, ZVGlRWiss 96 (1997), 101, 153 f.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  274; Staudinger2005-Schiemann, Eckpfeiler des Zivilrechts, S.  55; Staudinger2006 -Schlosser, §  306 Rn.  10; noch offener Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  49, der die Übereinstimmung des Vertrages mit dem „konkreten Lebenstypus“ für maßgeblich hält; Rohe, Netzverträge, S.  149; zur Entwicklung HK-Vogenauer, §§  133, 157 Rn.  101. 495

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in der bisherigen Rechtsordnung eine Regelung gefunden hat.501 Selbst in diesem Fall aber sind die Lücken durch abstrakt-generelle Normen zu schließen. Sie lassen sich zwar anlässlich der Beurteilung eines bestimmten Vertrages entwickeln, müssen indes gleichwohl verallgemeinerbar sein.502 So verlockend es im Einzelfall auch ist, durch ergänzende Auslegung einer Partei zu helfen, so stark ist die Gefahr, dass man den Vertrag verzerrt und dem Vertrauen auf das sonst anwendbare abdingbare Recht die Grundlage entzieht. Damit gäbe man den Parteien den Anreiz, ihren Vertrag im Unklaren zu lassen, da sie im Nachhinein umso besser eine konkludente Abbedingung behaupten könnten.503 Mit einem ermessensabhängigen Verzicht auf den Abbedingungsakt wäre auch den Parteien nicht gedient. Denn es entstünde die Unsicherheit, welche Normen an die Stelle der vorgegebenen Normen treten. Das ließe sich von vornherein kaum absehen. Verloren ginge die Rechtssicherheit504 und damit die Entlastungsfunktion abdingbaren Rechts. Der Wert der durch es begründeten Handlungsoption sänke. Die berechtigten Erwartungen der Parteien, dass sie sich nur an ihre Vereinbarung sowie die bei Vertragsschluss bereits bekannten abdingbaren Normen halten müssen, würden enttäuscht. Die Parteien wären genötigt, zur Vermeidung einer gerichtlichen Intervention den Großteil der denkbaren Rechtsfragen selbst zu lösen und dazu auch die von ihnen gebilligten abdingbaren Normen im Vertragstext zu wiederholen. Sie fielen auf den Stand des römischen Rechts zurück, in dem man mangels dogmatischer Durchdringung genötigt war, die Vielzahl der erst später durch dispositive Normen geregelten Fragen selbst zu lösen.505 Diese Befürchtung hat einen realen Hintergrund. In den letzten Jahrzehnten ist die Länge der Verträge erheblich gewachsen. Nach einem Bericht von Langenfeld hatten bereits im Jahre 2003 die Immobilienkaufverträge den drei- bis vierfachen Umfang gegenüber früheren Verträgen,506 obwohl sich der Vertragsgegenstand nicht gewandelt hat. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Kautelarpraxis auf eine Aushöhlung des abdingbaren Rechts zunehmend durch eine Verlängerung des Vertragsumfangs reagiert. Das Phänomen ausufernder Ver-

501   Vgl. Henckel, AcP 159 (1960), 106, 124; Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  92 ff., der Lücken hingegen ausschließlich durch die Maßstäbe des geltenden Rechts feststellen will ; ähnlich Larenz, Methodenlehre, S.  375 ff. 502   Oben 1.E.2.b). 503   Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134, 147 konstatieren daher, dass die ergänzende Auslegung bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsklauseln zum Prozessieren einlädt. 504   Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  46; Medicus, AT, S.  135, Rn.  344; Fabricius, Anmerkung zu AP, BGB §  611 Nr.  7; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  50. 505   Dazu Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 95. 506   Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  8 0, Rn.  222.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

tragswerke ist ebenso aus dem Common Law507 und der transnationalen 508 Vertragspraxis bekannt. Mangels Dogmatisierung der maßgeblichen Normen neigen sie zu einer ausführlichen Fassung der Vereinbarungen. Das schlägt sich unmittelbar in den für den Vertragsschluss anfallenden Kosten nieder. Die Unsicherheit über den richterlichen Umgang mit dem einzelnen Vertrag wird im Common Law zu einem gewissen Grade durch die Präjudizienbindung aufgefangen. Denn trotz aller Unsicherheit in ihrem Umgang ermöglicht sie den Parteien, ihre Verträge auf das einmal angewandte Recht einzurichten.509 Ähnlich wie das Erfordernis eines Abbedingungsakts stellt sie zwar keine unüberwindbaren Hürden auf, sorgt aber für ein Mindestmaß an Stabilität. Würde man in Deutschland bei einer fehlenden Präjudizienbindung auf das Erfordernis eines Abbedingungsakts verzichten, wäre das Ergebnis daher ein anderes als im Common Law. Der Vorteil eines dogmatisierten Systems allgemeiner Normen wäre zu einem beträchtlichen Teil der Ungewissheit einer unbegrenzten Interessenabwägung geopfert. Darin zeigt sich eine funktionale Äquivalenz von Präjudizienbindung und Dogmatisierung.510 Letztere kann ihre stabilisierende Funktion nur entfalten, wenn ihre Regeln nicht über die Preisgabe des Abbedingungsakts einem ungezügelten Ermessen geopfert werden. In der Forderung nach einem Abbedingungsakt bewahrheitet sich die Erfahrung, dass Ausnahmefälle das Recht verderben („hard cases make bad law“) 511. Denn je weniger sich die Parteien aufgrund dieser Fälle im Übrigen darauf verlassen können, dass die abdingbaren Normen zur Anwendung kommen, desto stärker müssen sie den Vertrag in allen erheblichen Punkten selbst formulieren. Sie können dann nicht mehr auf die bisherige Entscheidungspraxis vertrauen. Eine ergänzende Vertragsauslegung gefährdet damit die Entlastungsfunktion des abdingbaren Rechts. Das Mehr an Gerechtigkeit, das sie im Einzelfall erreicht, stellt sie durch ein Weniger an Voraussagbarkeit und Verlässlichkeit in anderen Fällen in Frage. Aus diesem Grund drückt sich in der Forderung nach einem Abbedingungsakt weder ein „Vorbehalt gegen die Gerechtigkeit privater Vereinbarungen“512 noch ein Misstrauen gegenüber der Privatautonomie aus. Im Gegenteil erfordert die Bindung an das gegebene Versprechen, die Parteien an den zum Zeitpunkt ihrer Versprechen geltenden Normen festzuhalten. Nur 507   Lundmark, 49 American Journal of Comparative Law 121, 130 (2001); oben 2.B.1, Fn.  115. 508   Baumann, Regeln der Auslegung internationaler Handelsgeschäfte, S.  156; Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S.  212 ff. 509   Zur Stabilisierungsfunktion der Präjudizienbindung Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  209 ff. 510   Im Einzelnen Verfasser, aaO., S.  233 ff., 328 ff. 511   Northern Securities Co. v. U. S., 193 U. S. 197, 400 (1904) (Holmes dissenting): „Great cases, like hard cases, make bad law.“ 512   So Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  48, ähnlich Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  282: „zu enges Verständnis der Privatautonomie“.

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auf sie können sie sich einstellen. Das abdingbare Recht vermag seine freiheitsfördernde Rolle nur zu erfüllen, wenn man seine Geltung ernst nimmt und nicht einem unbegrenzten richterlichen Ermessen opfert. Gilt eine abdingbare Norm, so ist sie anzuwenden. Allein ein Abbedingungsakt kann sie verdrängen. b)  Der Inhalt des Abbedingungsakts Die Unverzichtbarkeit des Abbedingungsakts besagt zunächst, dass zur Verdrängung abdingbaren Rechts nicht die Annahme genügt, die Parteien hätten die Norm hypothetischerweise abbedungen oder eine andere Norm käme ihren Interessen näher. Denn so begründet dies auch immer sein mag, kann das den erforderlichen Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm nicht ersetzen. Zur Abbedingung einer Norm reicht ferner nicht eine gemeinsame Vorstellung der Parteien,513 solange sie sich nicht in einer Absprache manifestiert. Anderenfalls wären der Manipulation der Vertragsverhandlungen Tür und Tor geöffnet. Die Parteien müssten nicht ihre Vorstellungen formulieren, sondern könnten Material sammeln, um im Konfliktfall ihre angeblich übereinstimmenden Interessen nachzuweisen. Der Ausschluss einer Norm muss daher seinen Niederschlag in der Vereinbarung der Parteien finden. Er ist notfalls zu beweisen.514 Nur durch einen derartigen Akt können die Parteien erkennen, dass für sie andere Normen zum Zuge kommen, als sie das abdingbare Recht vorsieht. Das gilt auch für Auslegungsregeln. Zu deren Abbedingung genügen zwar bereits Indizien eines gegenteiligen Willens.515 Sie aber müssen sich manifestiert haben, damit sie den Parteien als Abbedingungsakt zurechenbar sind. Anderenfalls handelte es sich nur um einen mutmaßlichen Willen, der das geltende Recht nicht verdrängen kann.516 Ebenso wenig wie eine mutmaßliche Absprache genügt zur Abbedingung eine dispositivem Recht widersprechende Verkehrssitte oder ein derartiger Handelsbrauch.517 Denn diesen fehlt die Publizität und Eindeutigkeit, ohne die abdingbares Recht seine Entlastungsfunktion verliert. Die Parteien müssen wissen, worauf sie sich einlassen, und dafür nicht erst noch die Gebräuche in einem bestimmten Verkehrskreis studieren. Bei entsprechenden Anhaltspunk513   So Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 253, 260; weitergehend Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  226, wonach zum Ausschluss einer Auslegungsregel bereits eine einseitige, dem Gegner bekannte Vorstellung genügt, anders aber für die übrigen abdingbaren Normen, aaO., 186. 514   Stein/Jonas22-Leipold, §  286 Rn.  101. 515   Planck4, Einleitung XLVII, ging hingegen von der grundsätzlichen Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen Abbedingungsakts aus, nahm davon aber die Auslegungsregeln aus. Dem entspricht die Auffassung, dass diese nicht zum (abdingbaren) Recht gehören, dagegen oben 1.E.2.b). 516   A. A. Soergel13-Wolf, §  157 Rn.  114. 517   BGH, NJW 2004, 2961, 2962; weitere Nachweise oben 3.B.2, Fn.  138.

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

ten mag man ihre Erklärungen entsprechend auslegen, §  346 HGB,518 kann diese aber durch eine Verkehrssitte nicht ersetzen. Anders ist die mit ihr einhergehende Belastung der Parteien nicht zu legitimieren.519 Es fehlen die Verfahrensgarantien, die den Eingriff durch das abdingbare staatliche Recht abmildern – wie etwa die Erörterung im Parlament, die Anhörung von Experten, die Diskussion in der Öffentlichkeit und im gerichtlichen Instanzenzug. Daher bedarf es nach dem Empfängerhorizont zumindest eines Anhaltspunktes, dass der Erklärende die Verkehrssitte billigt und in seine Erklärung aufnimmt.520 Allein der Umstand, dass er sich einer rechtlichen Erklärung bedient und ein Geschäft einer bestimmten Art abschließt, genügt dafür nicht. Einen Abbedingungsakt zu fordern bedeutet nicht, für ihn stets dieselbe Hürde zu verlangen. Die Anforderungen an ihn können variieren.521 Bereits im Gesetz finden sich für ihn unterschiedliche Formen. So gibt es eine Reihe von Normen wie etwa §  125 S.  2 BGB, die nur für den Zweifelsfall gelten.522 Bereits Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen genügen bei ihnen, um sie abzubedingen. Es bedarf keinerlei Festlegung einer anderen Rechtsfolge. Auf diese geringe Abbedingungshürde hinzuweisen war der Sinn der früheren Unterscheidung abdingbaren Rechts von Auslegungsnormen.523 Ein stärkerer Ausdruck der Abweichung ist hingegen erforderlich, wenn eine Norm unter dem Vorbehalt einer anderen Vereinbarung steht.524 Das setzt mehr voraus als nur ein Anzeichen, dass eine andere Regelung dem Willen der Parteien näher kommt. Am höchsten ist schließlich die Abbedingungshürde, wenn es um die Übernahme gravierender Risiken oder den Verzicht auf wesentliche Rechte geht.525 Denn diese Aufgabe von Rechten und Positionen lässt sich den Parteien

  Siehe oben 4.D.2.b).   Oben 4.A.2.b). 520   Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S.  141, der allerdings einschränkungslos annimmt, das Übliche sei Teil der Willenserklärung; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.  187 mit Kritik an Danz; zur Diskussion mwN.  Al-Shamari, Die Verkehrssitte im §  242 BGB, S.  181; Larenz/Wolf, AT, §  28 Rn.  49. Für eine stärkere Rolle der Verkehrssitten BGH, NJW 1993, 1798, 1799; Soergel13-Wolf, §  157 Rn.  75; Staudinger2004-Singer/Benedict, §  133 Rn.  6 4 ff.; Charny, 89 Michigan Law Review 1815, 1860 (1991) hält Verkehrssitten hingegen wegen ihrer vermuteten Effizienz für maßgeblich. 521   Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  107, geht hingegen davon aus, dass dispositive Normen stets dieselbe Durchsetzungskraft hätten. 522   §§  30 S.  2, 83 S.  4, 113 Abs.  4, 127 Abs.  1, 141 Abs.  2, 154 Abs.  1 S.  1, Abs.  2, 262, 270 Abs.  1, 271 Abs.  2, 311c, 315 Abs.  1, 316, 317 Abs.  1–2, 329, 330 S.  1, 331 Abs.  1, 332, 336 Abs.  2, 337 Abs.  1, 338 S.  2, 364 Abs.  2, 391 Abs.  2, 415 Abs.  3 S.  1, 420, 427 BGB. Entsprechend BGH, NJW 1997, 1434, 1435 für eine „schwach ausgeprägte“ Auslegungsregel, die nicht zum Zuge käme, „wenn sich aus dem Parteiwillen etwas anderes ergibt oder wenn sie der Sachlage nicht gerecht wird“; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  103. 523   Oben 1.E.2.b). 524   Etwa §§  248 Abs.  2, 305 Abs.  3, 551 Abs.  3 S.  2, 556 Abs.  1 S.  1, 557 Abs.  1, 2 BGB. 525   Oben 4.D.3.a), Fn.  474 ff. 518 519

D.  Konsequenzen für die Gestaltung abdingbaren Rechts

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nur zurechnen, wenn eine genügende Sicherheit besteht, dass sie sich dazu entschlossen haben. Durch die Abstufung seiner Abbedingungshürden kann das Recht seine Informations- und Schutzfunktion an die jeweiligen Umstände anpassen. Je bewusster der Abbedingungsakt geschieht, desto stärker ist die vom dispositiven Recht ausgehende Warnung und desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Abbedingung kommt. Auch durch Schrift- und Belehrungserfordernisse, die Notwendigkeit zur Nennung der abbedungenen Norm und das Erfordernis einer ausdrücklichen Vereinbarung lassen sich die Hürden einer Abbedingung Stück für Stück erhöhen. Wie in anderen Fällen nicht eingehaltener Form- und Fristerfordernisse ist eine sie nicht erfüllende Abbedingung nichtig, §  125 S.  1 BGB.526 Auf all dem baut die bereits thematisierte Informations- und Warnfunktion abdingbaren Rechts auf.527 Die Gestaltung der Abbedingungshürde hat eine Reihe institutioneller Konsequenzen. Auf die letztlich zur Anwendung kommende Norm haben der Gesetzgeber, die Richter sowie die Parteien einen Einfluss. Ein Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber528 spricht ebenso wie ein hohes Vertrauen in die Gerichte529 für eine niedrige Abbedingungshürde. Denn unter ihr genügen bereits Andeutungen der Parteien, um eine gesetzliche Norm auszuschließen. Es kommt eher zu einer richterlichen Festsetzung des Gewollten. Umgekehrt können das Misstrauen gegenüber dem Richter und das Vertrauen in die gesetzliche Regelung dazu führen, dass man die Abbedingungshürde erhöht. Schließlich garantiert man auf diese Weise die Durchsetzung des Gesetzes. Es ist daher kein Zufall, dass gerade die Gerichte der ergänzenden Vertragsauslegung und der mit ihr verbundenen Einebnung des Abbedingungsakts sehr offen gegenüber stehen.530 Denn das vergrößert ihre Möglichkeiten. Demgegenüber betont gerade ein Teil der Rechtswissenschaft die bei der Auslegung der Gesetze einzuhaltenden Grenzen und fördert damit indirekt auch ihre eigene Rolle bei der dogmatischen Durchdringung der gesetzlichen Normen.531 Jede dieser Positionen weist dem Gesetzgeber, den Gerichten und der Rechtswissenschaft eine andere Rolle zu.   Demgegenüber stuft Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  237 die Nichterfüllung einer Abbedingungsanforderung als „rechtlich irrelevanten ‚Nicht-Akt‘ ein“, da den Parteien die Kompetenz zur Abbedingung fehle. Das verkennt, dass die Nichtigkeit einer Absprache erstens nichts an ihrem Handlungscharakter ändert. 527   Oben 3.A.3. 528   Etwa Scott, 103 Columbia Law Review 1641, 1691 (2003). 529   So hingegen Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 253. Anders Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  332, der eine teleologische Reduktion (und die mit ihr einhergehende niedrige Abbedingungshürde) durch Verweis auf die drohende „richterliche Vertragshilfe“ ablehnt. 530   BGH, NJW 1982, 2816, 2817; NJW-RR 1990, 818, 819; oben 4.D.3.a), Fn.  480 f. 531   Henckel, AcP 159 (1960), 106, 22; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  47; Medicus, AT, S.  136, Rn.  344. 526

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Aufgrund des erforderlichen Abbedingungsakts stellt die Rechtsordnung ihre Normen nicht vollständig zur Disposition Privater. Die Normen kommen zur Anwendung, solange die Parteien die Abbedingungshürde nicht überwunden haben. Die Rechtsordnung behält einen gewissen Einfluss. Der Gesetzgeber kann auf diese Weise trotz der Möglichkeit zur Abbedingung einer von ihm geschaffenen Norm seine Ziele durchsetzen, etwa weil er darauf vertraut, dass die Privaten davon nur selten Gebrauch machen.532 Diese müssen um die mit der Norm verfolgten Zwecke nicht wissen und keinesfalls bewusst öffentliche Interessen umsetzen, geschweige denn über eine entsprechende Kompetenz verfügen 533 . Es genügt, dass das Verhalten der Einzelnen diese Interessen faktisch fördert. So wie die Privatautonomie generell auch öffentlichen Interessen dient,534 so vermögen dies die einzelnen abdingbaren Normen. Daher kann die Gestaltung der Abbedingungshürde ein erster Schritt zur Selbstregulierung der Parteien sein,535 die gleichzeitig auch Drittinteressen beachtet. Sie ist nicht mit einem vollständigen Verzicht staatlichen Einflusses verbunden. In jedem Fall jedoch ist eine Abbedingungshürde unverzichtbar – weil es sich anderenfalls nicht um abdingbares Recht, sondern um einen bloßen Entscheidungsvorschlag handelt.

E.  Zusammenfassung Abdingbares Recht bedarf aufgrund seiner weit reichenden Wirkungen einer rechtsethischen und verfassungsrechtlichen Legitimation. Mit ihm geht eine Abbedingungslast einher, die mindestens eine Vertragspartei beschwert. Diese hat eine Last zu tragen, der sie nicht zugestimmt hat. Für einen Rechtfertigungsbedarf abdingbaren Rechts spricht weiterhin, dass der Gesetzgeber mit diesem für ihn fremde Angelegenheiten wahrnimmt. Allein die Möglichkeit zur Abbedingung einer Norm legitimiert ihn nicht, auch wenn das den damit einhergehenden Grundrechtseingriff mildert (A). Abdingbare Normen beschränken die Freiheit der Einzelnen geringer als zwingende Normen. Ihnen kommt ein rechtsethischer wie rechtsdogmatischer Vorrang zu. Zwingendes Recht kann ihn nur durchbrechen, wenn ein milderer Eingriff nicht ausreicht, um die mit ihm verfolgten Ziele durchzusetzen. Not532   Diese Steuerungsfunktion wird vielfach übersehen, etwa Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  120. 533   So Hey, aaO., S.  120, 208. 534   Westermann, AcP 178 (1978), 151, 157; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S.  71; ablehnend Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  120. 535   Dazu Bachmann, Private Ordnung, S.  27 ff. Wegen der möglichen Steuerungsfunktion dient das abdingbare Recht allerdings nicht nur der spontanen Ordnung im Sinne Hayeks, The Road to Serfdom, p.  17; ders., Die Verfassung der Freiheit, S.  192 ff.; anders hingegen Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  120.

E.  Zusammenfassung

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wendig sind zwingende Normen zwar insbesondere zum Schutz des Vertragspartners und Dritter. Jedoch genügt dafür nicht jedes Schutzbedürfnis. Alle anderen Erwägungen zur Rechtfertigung zwingender Normen lassen sich auf Partei- oder Drittinteressen zurückführen. Letztlich geht es einem freiheitlichen Recht stets nur um Individualinteressen (B). Da abdingbares Recht nur dann maßgeblich wird, wenn die Parteien die zu regelnde Frage nicht bestimmt haben, fehlt es für seine Anwendung an ihrer Zustimmung. Gleichwohl ist diese auch für die nicht von ihr umfassten Rechte und Pflichten relevant. Denn neben einer Rechtfertigung durch Zustimmung ist eine Rechtfertigung aufgrund Zustimmung möglich. Sie knüpft ebenfalls an die bewusste Entscheidung der Parteien zum Vertragsschluss an und rechnet ihnen aufgrund dieser Zustimmung weitere Pflichten zu. Zwischen der Zustimmung und der auferlegten Pflicht muss dabei ein legitimatorischer Zusammenhang bestehen. Dieser kann etwa darauf beruhen, dass weitere Regelungen als nur die vereinbarten zur Umsetzung der vertraglichen Ziele notwendig sind oder der Verpflichtete durch den Vertragsschluss eine bestimmte Verantwortung übernimmt. Bereits dies zeigt, dass in der Gestaltung abdingbaren Rechts Grenzen bestehen und den Parteien nicht jeder Inhalt auferlegt werden kann, selbst wenn dies im überwiegenden Interesse der Rechtsgemeinschaft liegt. Nur ausnahmsweise lassen sich einer Partei anlässlich des Vertragsschlusses weitere Pflichten zurechnen, die in keinem legitimatorischen Zusammenhang zum Vertragsschluss stehen. Die Rechtfertigungsschwelle dafür aber ist hoch. Bei der Gestaltung abdingbaren Rechts kommt es aus diesen Gründen nicht auf eine einfache Abwägung aller betroffenen Interessen an. Diese sind vielmehr nach rechtsethischen Kriterien zu gewichten. Zu beachten ist dafür eine Pluralität an Gründen. Sie lassen sich im Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption zusammenfassen. Er berücksichtigt den Wert der durch abdingbare Normen entstehenden Handlungsoption, die berechtigten Erwartungen der Parteien, die Möglichkeit zur Abbedingung, die Auswirkungen auf Dritte sowie die Verteilungsfolgen. Geht es um eine Entscheidung innerhalb des geltenden Rechts ist zudem auf die Kohärenz der abdingbaren Normen mit dem übrigen Recht zu achten. Bei der Gestaltung abdingbaren Rechts spielen daher die drei Größen eine Rolle, in deren Spannungsfeld abdingbares Recht steht: die Vertragsparteien, das Recht und die empirische Wirklichkeit. Ihnen entsprechen als wichtigste normative Gesichtspunkte die Autonomie der Einzelnen, die Kohärenz des Rechts und die Effizienz der vorgegebenen Normen (C). Der Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption wirkt sich in vielfacher Weise auf die Rechtfertigung abdingbarer Normen aus und beeinflusst damit sowohl ihre Gestaltung als auch ihre Interpretation. Sie müssen möglichst klar und einheitlich sowie intuitiv erschließbar sein. Die mit ihnen verteilten Pflichten sollten ein möglichst geringes Gewicht haben und die Gleichheit der

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Kap. 4:  Rechtfertigung abdingbaren Vertragsrechts

Parteien beachten. Der wirtschaftliche Sinn ihrer Absprache ist auf diese Weise zu bewahren. Diese Gesichtspunkte können für dieselbe Norm sprechen, einander aber auch widerstreiten. Dann bedarf es einer Abwägung dieser Gründe. Folgen hat der Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption zudem für die Anforderungen an den Abbedingungsakt. Die Parteien können ihn ausdrücklich formulieren, sind dazu jedoch nicht verpflichtet. Denkbar ist sogar eine stillschweigende Abbedingung aufgrund konkludenter Regelung. Ein Abbedingungsakt aber ist unverzichtbar und darf nicht durch Erwägungen umgangen werden, was die Parteien vereinbart hätten. Denn er lässt sich weder durch eine mutmaßliche Vereinbarung ersetzen noch durch eine Billigkeitsentscheidung. Anderenfalls vermag das abdingbare Recht nicht, die Parteien zu entlasten und die Verlässlichkeit des Rechts zu wahren (D).

5. Kapitel

Feststellung abdingbaren Vertragsrechts Abdingbares Recht steht im Kontrast zum zwingenden Recht. So klar diese begriffliche Unterscheidung ist, so schwierig ist es, sie im Einzelfall anzuwenden. Wann genau darf man davon ausgehen, dass man die Anwendbarkeit einer Norm ganz oder teilweise ausschließen darf? Das ist alles andere als klar und bisher nur als „ungeklärtes aktuelles Problem“ bemerkt worden, dessen Lösung „erhebliche Schwierigkeiten“ bereite. Daher ist es sinnvoll, sich zunächst die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle vor Augen zu führen (A), um dann zu untersuchen, wie die ungeregelten Fälle zu entscheiden sind (B).

A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit An vielen Stellen gibt das Recht an, ob eine Norm abdingbar oder zwingend5 ist. Im Gegensatz zu anderen Kodifikationen6 fehlt beim BGB aber eine generelle Festlegung. Der Gesetzgeber bemerkte dazu:   Kraft/Kreuz, Gesellschaftsrecht, S.  12.   Medicus, SR AT, S.  39, Rn.  88; vgl. oben Einleitung, Fn.  9 –10.    Entsprechend spricht Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  126, für die USA von einem „muddling through“ in dieser Frage.    §§  23 Abs.  5, 304 Abs.  1 S.  3 AktG; 2 Abs.  4 ArbGG; 7 Abs.  1, 12, 21a Abs.  6 ArbZG; 3 Abs.  1, 9 Nr.  2 AÜG; 40, 101, 103, 168 S.  2, 183 S.  1, 246, 273 Abs.  1, 292 Abs.  1, 312e Abs.  2 Nr.  2, 357 Abs.  2 S.  3, 369 Abs.  1, 425 Abs.  1, 473, 478 Abs.  4 S.  2, 489 Abs.  4 S.  2, 520, 551 Abs.  3 S.  2, 552 Abs.  2, 556a Abs.  1–2, 579 Abs.  1 S.  2, 583a, 591a S.  3, 593 Abs.  1 S.  2, 608 Abs.  2, 622 Abs.  4, 651h Abs.  1, 651k Abs.  4 S.  3, 651m S.  2, 676c Abs.  3, 699 Abs.  2, 700 Abs.  2, 706 Abs.  1, 713, 727 Abs.  1, 730 Abs.  2 S.  2, 731 Abs.  1, 745 Abs.  2, 897, 919 Abs.  3, 1117, 1152, 1160 Abs.  1, 1172 Abs.  2 S.  1, 1245 Abs.  1 S.  1, 1277 Abs.  1, 1284, 1296 S.  2, 1361a Abs.  4, 1363 Abs.  1, 1378 Abs.  3 S.  3, 1474 Abs.  1, 1501 Abs.  2 S.  1, 1585c S.  1, BGB; 47 Abs.  1 BörsG; 51 Abs.  3, 5, 51a Abs.  1 BRAO; 13 Abs.  1 S.  1 BUrlG; 10 Abs.  2 S.  3 ElektroG; 4 Abs.  3 EntgFG; 2 Abs.  3, 26 Abs.  2 Nr.  1 FernUSG; 9 Abs.  3 S.  6 GBBerG; 12, 15 Abs.  5, 26 Abs.  1 u. 3, 27 Abs.  4, 28 Abs.  2, 29, 37 Abs.  1, 38 Abs.  2 S.  1, 45 Abs.  2, 52 Abs.  1, 53 Abs.  2 S.  2, 60 Abs.  2, 66 Abs.  1, 72 S.  2, 74 Abs.  2 S.  2, 75 Abs.  1 GmbHG; 2, 12 Abs.  5 GOÄ; 4 GOT; 2 GOZ; 10 HeizkostenVO; 25 Abs.  2, 28 Abs.  2, 89 Abs.  2, 439 Abs.  4, 449 Abs.  2, 451h Abs.  2, 452d Abs.  1–2, 466 Abs.  2–3 HGB; 255 Abs.  3 S.  1 InsO; 37 Abs.  2, 80c Abs.  2 S.  1, 81 Abs.  1 S.  4, 90d Abs.  1, 90i Abs.  1 S.  1, Abs.  2, 90o Abs.  1 S.  1, 95 Abs.  4 S.  1, 3, 116 S.  1 InvG; 21a JArbSchG; 21 Abs.  2 S.  5 LuftVG; 23 PBefG; 4 RVG; 5 Abs.  1 S.  2, Abs.  3 S.  2 SchVG; 10 S.  2, 89a, 100a, 139 Abs.  3 S.  1, 140 Abs.  2 SeemG; 44a S.  5 TKG; 4 Abs.  3 TVG; 12 Abs.  3 S.  1 TzBfG; 6 Abs.  1 VersAusglG; 215 Abs.  3 VVG; 22 Abs.  2 S.  1, 26 Abs.  1 S.  3 WEG; 1 Abs.  1 S.  3 WissZeitVG; 10 Abs.  2 S.  2, 11 Abs.  1 S.  3, 16 Abs.  3–4, 39 WoEigG.  

346

Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

„An die Gesetzgebung ist wiederholt die Anforderung gestellt worden, die Rechtssätze so zu fassen, dass ohne Weiteres erkennbar werde, ob sie einen zwingenden oder dispositiven Charakter haben. So erwünscht die Einhaltung dieses Verfahrens sein möchte, so wenig ist dasselbe durchführbar.“ 



Interessanterweise verzichtete der historische Gesetzgeber also nicht nur auf eine derartige Festlegung der Abdingbarkeit, sondern hielt sie prinzipiell nicht für möglich. Ähnlich bemerkte der an der Verfassung des BGB beteiligte Gottlieb Planck, dass Angaben zur Abdingbarkeit nur dort gemacht worden seien, wo dies „zur Klarstellung des Sinnes zweckmäßig erschien“.  Von einem generellen Grundsatz der Abdingbarkeit oder Unabdingbarkeit ist daher auch der historische Gesetzgeber nicht ausgegangen.    §§  21 Abs.  4, 31 AGG; 7 Abs.  1 AEntG; 92 AMG; 22 ArbnErfG; 22 AltPflG; 9 AÜG; 25 BBiG; 6 Abs.  1 BDSG; 17 Abs.  3 BetrAVG; 77 Abs.  4 BetrVG; 134, 138, 202, 248 Abs.  1, 276 Abs.  3, 307–309, 311b Abs.  2 u. 4, 312 f. S.  1, 319, 344, 444, 449 Abs.  3, 465, 475, 478 Abs.  4 S.  1, 483 Abs.  3, 487 S.  1, 489 Abs.  4 S.  1, 496, 511, 536 Abs.  4, 536d, 547 Abs.  2, 551 Abs.  4, 553 Abs.  3, 554 Abs.  5, 554a Abs.  3, 555, 556 Abs.  4, 556a Abs.  3, 556b Abs.  2, 557 Abs.  4, 557a Abs.  4, 557b Abs.  4, 558 Abs.  6 , 558a Abs.  5, 558b IV, 559 Abs.  3, 559a Abs.  5, 559b Abs.  3, 560 Abs.  6 , 561 Abs.  2, 563 Abs.  5, 565 Abs.  3, 569 Abs.  5, 571 Abs.  3, 572 Abs.  1, 573a Abs.  4, 573b Abs.  5, 573c Abs.  4, 573d Abs.  3, 574 Abs.  4, 574a Abs.  3, 574b Abs.  3, 574c Abs.  3, 575 Abs.  4, 575a Abs.  4, 576 Abs.  2, 576a Abs.  3, 576b Abs.  3, 577 Abs.  5, 577a Abs.  3, 593 Abs.  5, 594 S.  2, 619, 639, 648a Abs.  7, 651m S.  1, 655b Abs.  2, 655e Abs.  1 S.  1, 675e Abs.  1, 702a Abs.  1, 716 Abs.  2, 723 Abs.  3, 749 Abs.  3, 779 Abs.  1, 883 Abs.  2, 925 Abs.  2, 1023 Abs.  2, 1088 Abs.  2, 1136, 1229, 1245 Abs.  2, 1253 Abs.  1 S.  2, 1297 Abs.  2, 1518 S.  1, 1585c, 1614 Abs.  1, 2220, 2263, 2302, 2382 Abs.  2 BGB; 13 BKleingG; 3, 97 BPersVG; 13 BUrlG; 12a Abs.  2 S.  2, 28 DepotG; 12 EntgFG; 27 Abs.  2 S.  2, 32 Abs.  2 S.  2 ErbbauRG; 7 Abs.  3 S.  1 EVO; 2 Abs.  4 –5, 10 FernUSG; 18 GenG; 25, 42a Abs.  2 S.  2, 51a Abs.  3, 57j S.  2 GmbHG; 2 Abs.  3 S.  1 GOÄ; 7 HaftPflG; 20 HebG; 2–3 HeizkostenVO; 75d, 86 Abs.  4, 86 Abs.  3, 87a Abs.  5, 89b Abs.  4 S.  4, 90a, 118 Abs.  2, 133 Abs.  3, 323 Abs.  4, 354a Abs.  1 S.  3, 402, 449 Abs.  1, 451 Abs.  1, 451h Abs.  1, 452d Abs.  3, 466 Abs.  1, 475h, 741 Abs.  1 S.  3, 747 Abs.  3 HGB; 119, 255 Abs.  3 S.  2 InsO; 31 Abs.  2 S.  3, 89 S.  1, 126 Abs.  5 InvG; 17 KrPflG; 49c LuftVG; 12 MaBV; 5 NachwG; 8 PflegeZG; 14 S.  1 ProdHaftG; 32 SGB I; 87a Abs.  1 S.  3 SGB XI; 10 S.  1 SeemG; 47b TKG; 22 Abs.  1 TzBfG; 32 Abs.  1 S.  3, 32b, 69g Abs.  2, 87e, 95 Abs.  1 S.  2 UrhG; 5 Abs.  4, 18, 28 Abs.  5, 32, 42, 67, 87, 98 S.  1, 112, 129, 171, 175, 191, 208 VVG; 12 Abs.  4 S.  2, 16 Abs.  3, 18 Abs.  4, 20 Abs.  2, 22 Abs.  2 S.  2, 26 Abs.  1 S.  5, 27 Abs.  4 WEG; 1 Abs.  1 S.  2 WissZeitVG; 11 Abs.  3, 18 f. Abs.  2 WoBindG; 16 Abs.  5, 22 Abs.  2 S.  2 WoEigG; 28 Abs.  6 WoFG; 14 Abs.  5 S.  1 WoVermRG; 37b Abs.  6 , 37c Abs.  6 , 37g Abs.  2 S.  1 WpHG.    §  1–302 a UCC; Art.  II. 1:102 sec. 2 DCFR; Art.  19 Abs.  2 Schweizer OR; Art.  6 CISG.    Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  105; Motive, Bd.  1, S.  17; siehe auch Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  75 f.: „Ein formales Kriterium für das zwingende Recht besteht nicht.  .  . Wir sind angewiesen auf einen ideellen Maßstab, über welchen bei verschiedenen Individuen und zu verschiedenen Zeiten die Auffassungen auseinandergehen“; zuvor Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, Bd.  2, S.  768: „Durch eine absolute Regel kann die Frage nicht gelöst werden.“ (für die Wechselordnung). Kritisch Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  127; Stammler, Recht der Schuldverhältnisse, S.  73.    Planck4, Einleitung XLVII; entsprechend Motive, Bd.  1, S.  17, wonach eine Kennzeichnung nur erfolgte, „wo die Wichtigkeit oder Zweifelhaftigkeit des Falles eine Klarstellung erheischt“; anders Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, S.  39 f., Rn.  80, wonach „deutlich werden [muss], ob eine Norm zwingend oder abdingbar ist“.

A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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Andererseits finden sich einzelne Bemerkungen aus jüngerer Zeit, wonach der Gesetzgeber zwar die Festlegung des zwingenden Charakters einer Norm als notwendig ansieht, nicht aber eine solche zu ihrem abdingbaren Status. So hielt er bei der Schuldrechtsreform 2001 eine Regelung zur Abdingbarkeit der Verjährungszeiten für entbehrlich, da dies „Bestandteil der allgemeinen Vertragsfreiheit“ sei. Das spricht zwar im Grundsatz für die Abdingbarkeit der Verjährungsnormen. Allerdings lässt sich daraus angesichts der Entstehungsgeschichte des BGB nicht der generelle Schluss ziehen, bei fehlender Festlegung zwingenden Rechts sei eine Norm stets abdingbar.10 Auch die Literatur hat keine systematischen Grundsätze zur Festlegung der Abdingbarkeit entwickelt.11 Umso wichtiger ist es, die Normen zu betrachten, bei denen der Gesetzgeber sie gleichwohl festgelegt hat.

1.  Gesetzliche Festlegungen Viele der eben zitierten Festlegungen des abdingbaren oder zwingenden Status einer Norm erfolgen im Kontext einer generellen Regelung. Sie bestimmen diesen Status, weil sonst eine gegenteilige Norm zur Anwendung käme. Ein Beispiel dafür ist §  40 BGB. Er nennt diejenigen Normen, von denen eine Vereinssatzung abweichen darf. Dadurch legt er indirekt fest, dass die übrigen Normen zwingend sind.12 Ebenso findet sich eine Regelung der Abdingbarkeit dort, wo anderenfalls aufgrund eines bestehenden Verbots eine Abweichung ausgeschlossen wäre.13 So sind die Normen des Bundesurlaubsgesetzes für Arbeitnehmer weitgehend zwingend, §  13 Abs.  3 BUrlG. Daher bedarf es einer Ermächtigung der Tarifvertragsparteien, um gleichwohl eine abweichende Regelung zu treffen, §  13 Abs.  1 BUrlG.14 Ebenso ist eine Klarstellung der Abdingbarkeit geboten, wenn sonst ein zwingender Charakter zwar nicht unbedingt anzunehmen ist, aber   BT-Drucks 14/6040, S.  110. Weitere Fälle, in denen ein Rückschluss möglich ist, sind §§  475 Abs.  1 S.  1, 639, 2220 BGB; 25 GmbHG. 10   Anders Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S.  13, der von der Angabe zwingender Normen auf den abdingbaren Charakter des übrigen Normenkomplexes schließen will. 11   Ansätze bei Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  72 ff., der jedoch eine „reinliche und allgemein gültige Ausscheidung“ nicht für möglich hält; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  83 ff.; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  95 ff., S.  68 ff.; Pawlowski, AT, S.  33 ff., Rn.  67 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  23 (zum zwingenden Recht). 12   BeckOK-BGB20 -Schöpflin, §  40 Rn.  2; MünchKommBGB5-Reuter, §  40 Rn.  1; Palandt70 Ellenberger, §  40 Rn.  1; Staudinger2005-Weick, §  40 Rn.  1. Gegenteilige Angaben enthalten etwa §§  26 Abs.  2 S.  2, 30 S.  1, 37 Abs.  1, 675e BGB. 13   Ebenso Binder, Regulierungsinstrumente, S.  71. 14   Weitere Beispiele sind §§  304 Abs.  1 S.  3 AktG; 7 Abs.  1, 12, 21a Abs.  6 ArbZG; 17 Abs.  3 BetrAVG; 312 e, 489 Abs.  4 S.  2, 622 Abs.  4, 676g Abs.  5, 1245 Abs.  1 S.  1 BGB; 21a JArbSchG; 89a, 100a, 139 Abs.  3 S.  1, 140 Abs.  2 SeemG; 1 Abs.  1 S.  3 WissZeitVG. 

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

immerhin nahe liegt. So lässt sich etwa §  15 Abs.  5 GmbHG verstehen, wonach die Gesellschafter die Abtretung der Geschäftsanteile an über das Gesetz hinausgehende Voraussetzungen knüpfen können. Das beeinträchtigt deren Verkehrsfähigkeit, ist jedoch aufgrund dieser Regelung unzweifelhaft zulässig. Angaben zur Abdingbarkeit können ferner dazu dienen, Mindesterfordernisse für den Abbedingungsakt aufzustellen. Nur indirekt verdeutlicht der Gesetzgeber durch sie die im Grundsatz bestehende Möglichkeit einer Abbedingung. So bestimmt §  74 Abs.  1 HGB, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot der Schriftform und der Aushändigung an den Handlungsgehilfen bedarf.15 Eine mündliche Abbedingung scheidet aus. Zugleich steht auf diese Weise fest, dass anders als vom abdingbaren Recht zunächst vorgesehen, ein Wettbewerbsverbot vereinbar ist. Ähnlich stellt §  66 Abs.  3 AktG Mindestanforderungen an eine Kapitalherabsetzung auf, die Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung der Einlagen befreit. Dies stellt klar, dass eine derartige Maßnahme trotz Abweichung vom sonst anwendbaren Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundsatz zulässig ist. Derartige Festlegungen der Abdingbarkeit verdeutlichen damit zugleich, dass unter anderen Voraussetzungen eine Abbedingung ausscheidet. Die Abdingbarkeit einer Norm ist mittels eines Tatbestandsvorbehalts vielfach gemeinsam mit der Primärnorm formuliert.16 Das ist insbesondere bei den Normen der Fall, die nur „im Zweifel“ zur Anwendung kommen. Sie treten im Gegensatz zu den übrigen Festlegungen der Abdingbarkeit häufiger auf.17 Ihr Sinn besteht in der Angabe, dass das Gesetz nur notgedrungen eine Entscheidung trifft und bloße Anzeichen genügen, um die gesetzliche Norm zu verdrängen.18 Eines unmittelbaren Abbedingungsakts durch Festlegung einer gegenteiligen Rechtsfolge bedarf es bei ihnen nicht. Andeutungen genügen. Dass das Gesetz im Übrigen nur wenige ausdrückliche Angaben zur Abdingbarkeit enthält, ist ein Anzeichen dafür, dass eine gesonderte Ermächtigung zur Abbedingung meist entbehrlich ist. In jüngerer Zeit hat der Gesetzgeber den Umfang der Abdingbarkeit vielfach bei Bestimmungen zugunsten des Verbrauchers,19 Mieters, 20 Arbeitnehmers, 21   Darauf verweist für Arbeitnehmer auch §  110 S.  2 GewO. Weitere Beispiele sind §§  676 Abs.  3 BGB, 449 Abs.  2 HGB. 16   Zur Unterscheidung oben 1.A.1.d). 17   §§  154 Abs.  1 S.  1, Abs.  2, 262 BGB, weitere Nachweise oben 4.D.3.b), Fn.  522. 18   Oben 4.D.3.b). 19   §§  312 f. S.  1, 487 S.  1, 511 S.  1, 655e Abs.  1 S.  1 BGB; 13 BKleingG; 2 Abs.  4 –5, 10 FernUSG; 449 Abs.  1, 451 Abs.  1, 475h HGB. 20   Vgl. die §§  536 ff. BGB; 27 Abs.  2 S.  2, 32 Abs.  2 S.  2 ErbbauRG; 11 Abs.  3, 18 f. Abs.  2 WoBindG; 28 Abs.  6 WoFG; 2 Abs.  5 WoVermRG; weitere Nachweise oben in Fn.  5. 21   §§  7 Abs.  1 AEntG; 22 ArbnErfG; 9 AÜG; 25 BBiG; 619, 651m S.  1, 655e Abs.  1 BGB; 3, 97 BPersVG; 13 Abs.  1 S.  3 BUrlG; 12 EntgFG; 5 NachwG; 8 PflegeZG; 10 SeemG; 22 Abs.  1 TzBfG. 15

A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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Versicherungsnehmers22 und anderer als schutzwürdig empfundener Personen 23 angegeben. Abweichungen zu ihren Lasten hat er weithin ausgeschlossen und entgegenstehende Vereinbarungen für nichtig erklärt. Um die Gefahr zu vermeiden, dass infolge eines Gesetzesverstoßes der gesamte Vertrag nach §  139 BGB nichtig wird, schränkt er an einigen Stellen die Nichtigkeitsfolge ausdrücklich ein, indem er Unternehmern, Arbeitgebern, Vermietern und Versicherern eine Berufung auf eine abweichende Vereinbarung versagt.24 Damit bleibt die Wirksamkeit des Vertrages unangetastet und die geschützte Partei kann sich je nach Opportunität auf die Wirksamkeit der Vereinbarung berufen. Derartige gesetzliche Normen sind daher lediglich als halbzwingende formuliert. 25 Nur an wenigen Stellen finden sich demgegenüber Normen, die ganze Regelungsgebiete für zwingend erklären. Die Motive nahmen dies für das Sachenrecht an.26 Allerdings unterblieb im BGB eine entsprechende Regelung, so dass es auf eine Analyse der jeweiligen Normen ankommt. Sie ergibt, dass das Sachenrecht neben dem Großteil seiner zwingenden Normen auch eine Reihe abdingbarer Bestimmungen enthält.27 Zudem verbietet es keine schuldrechtlichen Vereinbarungen, welche die Rechtslage abweichend regeln. 28 Deutlicher hingegen ist der grundsätzliche Ausschluss einer Abbedingung im Aktienrecht. Es erlaubt im Gegensatz zum Recht der GmbH nur diejenigen Abweichungen, die das Gesetz ausdrücklich zulässt, §§  23 Abs.  5 S.  1 AktG, 45 Abs.  2 GmbHG.29 Entsprechend zahlreich sind seine Durchbrechungen.30 Im allgemeinen Schuldrecht fehlen derartige generelle Festlegungen.   §§  18, 32, 42, 67, 87, 112, 129, 171, 175, 191, 208 VVG.   Etwa bei Diskriminierung, §  31 AGG. Zur Tendenz einer gesetzlichen Festlegung der Abdingbarkeit in den USA Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 6 (2006). 24   Etwa §§  475 Abs.  1 S.  1, 478 Abs.  4 S.  1 BGB; 98 S.  1 VVG. 25   Zu diesem Phänomen bereits oben 1.F, Fn.  346. 26   Motive, Bd.  3, S.  3: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher das Obligationenrecht beherrscht, hat für das Sachenrecht keine Geltung.“; BGH, NJW 1975, 969 (= BGHZ 64, 67, 69): „Für dingliche Verträge .  .  . gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht“ mwN.; einschränkend MünchKommBGB5-Gaier, Einl zu §§  854 ff. Rn.  11; Staudinger2008-Seiler, Eckpfeiler des Zivilrechts, S.  967–968; Flume, AT, Bd.  2, S.  14; Wilhelm, Sachenrecht 3, S.  6 f., Rn.  13 ff.; siehe auch oben 1.E.1.a), Fn.  251. 27   Z. B. §  912 BGB, BGH, NJW 1983, 1112, 1113; §  951 BGB, BGH, NJW 1959, 2163, 2164; §  1067 BGB, JurisPK-BGB5-Lenders, §  1067 Rn.  7. 28   Etwa zu §  1050 BGB, BGH, NJW 2009, 1810, 1812; §§  1 f f. WEG, siehe §  10 Abs.  2 S.  1 WEG. 29   Zu diesem so genannten Dualismus Hommelhoff, ZGR 1998, Sonderheft Nr.  13, 36 ff.; Kübler, Gesellschaftsrecht, S.  16. Entsprechend erlauben auch §§  18 GenG, 10 SeemG Abweichungen nur, wo dies gesetzlich vorgesehen ist. Zur Kritik Hirte, ZGR 1998, Sonderheft 13, 61, 71; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  177 ff., 183; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  331; zu den Gesellschaftervereinbarungen im Aktienrecht, oben 3.C.1.b), Fn.  305. 30   §§  52 Abs.  5 S.  3, 103 Abs.  1 S.  3, 133 Abs.  2 AktG, weitere Nachweise bei MünchKomm­ AktG3-Pentz, §  23 Rn.  155. 22 23

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Aufschlussreich sind vor diesem Hintergrund die Schwierigkeiten derjenigen außerdeutschen Kodifikationen, die im allgemeinen Schuld- und Vertragsrecht eine generelle Festlegung abdingbarer und zwingender Normen enthalten. So erklärt etwa der amerikanische Uniform Commercial Code alle Normen für abdingbar, bei denen sich keine gegenteilige Angabe findet.31 Zu diesen Ausnahmen sollen jedoch auch die allgemeinen Verpflichtungen des guten Glaubens, der Sorgfalt, der Vernünftigkeit und der Fürsorge32 zählen. Welche Normen dazu im Einzelnen gehören, sagt er nicht. Ähnlich offen ordnet der Referenzrahmen zum Europäischen Privatrecht zwar zunächst den abdingbaren Charakter seiner Normen an.33 Sodann aber schränkt er dies durch die nicht näher konkretisierten Regeln des guten Glaubens, des fairen Handels und „jeder anderen zwingenden Normen“ ein.34 Auch bei ihm verschiebt sich die Entscheidung über die Abdingbarkeit seiner Normen zur offen gelassenen Frage, wann eine Regel des guten Glaubens verletzt ist und wann man es mit einer sonstigen zwingenden Norm zu tun hat. Gleiches gilt für das Schweizer Obligationenrecht, das eine Abbedingung unter den unbestimmten Vorbehalt stellt, dass „das Gesetz nicht eine unabänderliche Vorschrift aufstellt oder die Abweichung nicht einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Persönlichkeit in sich schließt“.35

Erneut ist damit zwar klar, dass es neben den abdingbaren auch zwingende Normen gibt. Welche das aber im Einzelnen sind, bleibt offen. Weiter noch als die anderen Kodifikationen lässt sich auf diese Weise jegliche Abbedingung unter den Verweis auf die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten in Frage stellen. All diese Regelungswerke legen zwar formal die Abdingbarkeit ihrer Normen fest. In der Sache jedoch verlagern sie die Entscheidung auf Gerichte und Rechtswissenschaft. Insofern gleicht ihre Anordnung im Ergebnis den für das BGB geltenden Grundsätzen.

  §  1–302 a UCC.   §  1–302 b UCC: „The obligations of good faith, diligence, reasonableness, and care prescribed by [the Uniform Commercial Code] may not be disclaimed by agreement.“ Zur Kritik, dass der Referenzrahmen den Gerichten zu viel Macht einräumt und nur ein Lippenbekenntnis zur Privatautonomie abgebe Eidenmüller, 2 European Review of Private Law 109, 116–118 (2009). 33   Art.  II. 1:102 sec. 2 DCFR; entsprechend die bisherige Praxis der EG-Richtlinien, etwa Art.  15 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  261/2004 vom 11.  2.  2004; Art.  13 der Verordnung (EG) Nr.  1107/2006 vom 5.  7.  2006; Art.  6 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  1371/2007 vom 23.10.200; dazu Hesselink, 1 ERCL 44, 69 (2005). Ähnlich in der Schweiz Art.  19 Abs.  2 OR; Art.  6 CISG. Siehe bereits 1. Teil, 5. Titel, §  39 Preußisches Allgemeines Landrecht: „Ueber alles, was der Gegenstand einer rechtsgültigen Willenserklärung seyn kann, können auch Verträge geschlossen werden“. 34   Art.  II. 1:102 sec. 2 DCFR. 35   Art.  19 Abs.  2 Schweizer OR; dazu Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  6 ff., 176 ff. 31

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A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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Steht der zwingende oder abdingbare Charakter einer Norm mangels einer entsprechenden Bezeichnung oder Umschreibung nicht fest, vermag dies vielfach eine Auslegung zu klären.36 Sie kann etwa ergeben, dass eine Norm die Abdingbarkeit einer anderen Norm voraussetzt. So trifft §  379 Abs.  1 BGB eine Regelung für den Fall, dass die Parteien die Rücknahme einer hinterlegten Sache nicht ausgeschlossen haben. Damit setzt er die Möglichkeit eines derartigen vom Gesetz nicht vorgesehenen Ausschlusses voraus.37 Die Auslegung zeigt, dass die Normen zur Hinterlegung abdingbar sind. In gleicher Weise können Sinn und Zweck einer Norm den Rückschluss auf den abdingbaren oder zwingenden Charakter einer Norm erlauben. Die von §  123 BGB intendierte Bewahrung der Selbstbestimmung erfordert beispielsweise, dass die von ihm gewährte Anfechtbarkeit wegen Drohung oder Täuschung jedenfalls in ihrem Kern unabdingbar ist.38 Denn sie wäre weitgehend in Frage gestellt, wenn man diesen Schutz abbedingen könnte. Der Täuschende erhielte anderenfalls gleichsam die Lizenz zur Schädigung seines Vertragspartners. Zur Wahrung einer minimalen Entscheidungsfreiheit ist es somit geboten, die Anfechtbarkeit wegen Täuschung und Drohung nicht zur Disposition zu stellen.

2.  Fehlen einer gesetzlichen Festlegung Nicht bei allen Normen ergibt sich die Abdingbarkeit aus ihrer Auslegung. Das zeigt sich bei einer Betrachtung aller in Frage kommenden Methoden. Der Wortlaut enthält über den abdingbaren Status einer Norm häufig keinerlei Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber formuliert vielfach lediglich die primäre Sachnorm, ohne eine ihren Status bestimmende Sekundärnorm aufzustellen. Zwischen beiden Normen besteht kein notwendiger Zusammenhang. Aus der primären Sachregelung lässt sich daher kein Rückschluss auf die Sekundärnorm ziehen, so wie die Sekundärnorm umgekehrt keinen Rückschluss auf die Sachregelung erlaubt. Die zahlreichen mietrechtlichen Bestimmungen etwa, dass 36   Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  105; Planck4, Einleitung XLVII; Motive, Bd.  1, S.  17; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  84; Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  19; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  75; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  303; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  96, S.  68; Brehm, AT, S.  55, Rn.  50; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074; Boemke/Ulrici, AT, S.  192. Für das öffentliche Recht: Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  75; zur Schweiz: Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  276 ff. 37   Ähnlich §  399, 492 Abs.  1a S.  3, 557 Abs.  3, 749 Abs.  3, 753 Abs.  1 BGB. 38   BGH, NJW 2007, 1058; MünchKommBGB5-Kramer, §  128 Rn.  5 ; Staudinger2004-Singer/ von Finckenstein, §  123 Rn.  87; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  78; Flume, AT, S.  401; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  85; Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1044; zu den USA Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610 (1998).

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

eine Abweichung zum Nachteil des Mieters unzulässig ist,39 ließen sich streichen, ohne dass sich am Gehalt und der Formulierung der von ihnen für halbzwingend erklärten Sachregelungen etwas änderte. Selbst wenn die Rechtsfolge der Primärnorm bei der Erfüllung des Tatbestands nach ausdrücklicher Anordnung eintreten „muss“, kann sie abdingbar sein. Denn selbst eine derartig strenge Verknüpfung ist womöglich auf den Fall beschränkt, dass die Parteien keine andere Entscheidung getroffen haben. So „muss“ nach der gesetzlichen Formulierung des §  121 Abs.  1 BGB die Anfechtung unverzüglich erfolgen, sobald man vom zur Anfechtung berechtigenden Irrtum erfahren hat. Gleichwohl ist §  121 BGB abdingbar.40 Zumindest aus dem Wortlaut der Sachnorm folgt meist nur dann etwas für ihre Abdingbarkeit, wenn er von ihm abweichende Parteivereinbarungen ausdrücklich thematisiert. Auch die Gesetzesmaterialien sind zur Festlegung der Abdingbarkeit nur begrenzt geeignet. Bisweilen finden sich in ihnen zwar Hinweise, wie der Gesetzgeber eine Norm versteht.41 Sie können in Zweifelsfällen den Ausschlag geben.42 Allein indes vermögen sie zumindest den zwingenden Charakter einer Norm nicht zu begründen. Denn aufgrund des damit einhergehenden Freiheitseingriffs muss diese Absicht im Wortlaut einen Ausdruck gefunden haben.43 Anderenfalls ist sie für den Normadressaten nicht erkennbar. Vielfach jedoch fehlen in den Materialien Hinweise, wie der Gesetzgeber die Abdingbarkeit einer Norm beurteilt. Er kann sich entweder bewusst einer Entscheidung enthalten, wie das bei der Entstehung des BGB der Fall war,44 oder die Möglichkeit einer Abbedingung übersehen. Letzteres mag daran liegen, dass die Norm nach seiner Vorstellung den Interessen der Parteien entspricht, so dass diese keinerlei Anreiz zu einer Abweichung haben. Ebenso kann er verkennen, dass in dem von ihm regulierten Bereich eine Abbedingung möglich ist. Bei Prozessnormen liegt es etwa kaum nahe, dass die Parteien eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung treffen. Können sie sich nicht außergerichtlich über die   §§  536 ff. BGB, oben Fn.  5.   JurisPK-BGB4-Gruber, §  121 Rn.  18. 41   Etwa zu §  276 BGB (§  224 Entwurf des BGB), Motive, Bd.  2, S.  17. 42   BVerfG, NJW 1981, 39, 42; BGH, NJW 1983, 1612, 1613 (= BGHZ 87, 191, 194 f.). 43   BVerfG, NJW 1960, 1563, 1564 (= BVerfGE 11, 126, 131); 1983, 735, 738 (= BVerfGE 62, 1, 45); 2002, 1779, 1782 (= BVerfGE 105, 135, 157); BGH, NJW 1954, 1073, 1074 (= BGHZ 13, 265, 277); 1967, 343, 346 (= BGHZ 46, 74, 76); 2006, 777, 778 (= BGHZ 166, 48, 53); Enneccerus/Nipperdey, AT, §  54, S.  325; kritisch Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S.  460, Rn.  734 f. 44   Oben Fn.  7. Zum begrenzt abschließenden Charakter des BGB siehe Planck, zitiert nach Mugdan, Bd.  1, S.  883: „Der Entw. bemüht sich aufs Aeußerste .  .  . präzise Rechtssätze aufzustellen und zu einem geschlossenen Systeme so zu verbinden, daß für jeden Fall des Lebens auch die Entscheidung aus dem Gesetzbuche zu entnehmen ist. Es giebt aber allerdings auch Rechtsverhältnisse, die je nach der Verschiedenheit der Umstände so gestaltet sind, daß sich eine allgemein zutreffende Regel dafür nicht geben läßt“. Anders die Vorstellung, das BGB sei als abschließende Kodifikation entworfen, etwa Caruso, 3 European Law Journal 1997, 3, 6, 28. 39

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A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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Sache einigen, werden sie auch über das Verfahren nur selten eine Einigung erreichen,45 zumal das Interesse an einer schnellen Streitbeendigung in aller Regel ungleich verteilt ist. Die Möglichkeit einer Abbedingung drängt sich daher nicht auf. Dem Gesetzgeber kann deshalb keinesfalls generell unterstellt werden, er nehme mit Erlass einer Norm auch die Möglichkeit einer Abbedingung in seinen Willen auf.46 Ferner lässt sich der Systematik des einzelnen Gesetzes nicht immer eine Entscheidung über die Abdingbarkeit entnehmen.47 Da im Schuldrecht sowohl abdingbare als auch zwingende Normen nebeneinander stehen, folgt aus dem Regelungskontext nicht ohne weiteres ein Hinweis auf ihren zwingenden oder abdingbaren Status. Selbst die pauschalen Verweise auf abdingbare oder zwingende Normen lassen in der Regel offen, welche Regeln sie damit im Einzelnen meinen.48 Etwa bestimmt §  307 Abs.  2 BGB als Generalklausel des AGB-Rechts nicht, was er unter den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen versteht, von denen AGB nicht abweichen dürfen.49 Aus diesen Gründen sind Angaben zum zwingenden oder abdingbaren Status einer Norm in der Regel als punktuelle Festlegungen zu begreifen, die keinen Umkehrschluss auf den Status der übrigen Normen erlauben 50 . Hinzu kommt, dass sich das BGB zwar um Vollständigkeit bemüht, seine Vertragstypen aber keinen abschließenden Charakter tragen.51 Die Entwicklung neuer Typen bleibt daher möglich und damit stets das Argument, die Beurteilung eines bestimmten Vertrages entziehe sich der bisherigen Gesetzessystematik. Wenn die Einordnung zu einem neuen Vertragstyp gelingt, wird zweifelhaft, welche zwingenden Normen der bisherigen Typen auf ihn übertragbar sind. So ist etwa umstritten, ob die für die Bürgschaft nach §  766 BGB zwingende Form auch für bürgschaftsähnliche Geschäfte wie das Versprechen zu ihrer Eingehung gilt.52 Aus dem Zusammenhang mit anderen Bürgschaftsnormen lässt sich mangels eines schuldrechtlichen Typenzwangs nichts ableiten.   Zu diesen Möglichkeiten Wagner, Prozessverträge, S.  391 ff.   So Bülow, AcP 14 (1881), 1, 44. 47   Zur Frage, was sich aus der gesamten Rechtsordnung ergibt, unten 5.B.2. 48   Siehe etwa §  309 BGB: „Auch soweit eine Abweichung von gesetzlichen Vorschriften zulässig ist .  .  .“; §  23 Abs.  3 BRAGO: „Soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann .  .  .“; Art.  5 Abs.  1 der Verordnung (EG) Nr.  593/2008 vom 17.  6 .  2008 (Rom I). 49   Die Unsicherheit wird im Arbeitsrecht noch durch den nicht konkretisierten Verweis auf dessen Besonderheiten gesteigert, §  310 Abs.  4 S.  2 BGB. 50   Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  74; Gebhard, in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, AT, Teil  1, S.  105; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  74 f.; Boemke/Ulrici, AT, S.  192. 51   Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  27 ff.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  116. 52   Dafür BGH, BB 1966, 182; Jauernig13-Stadler, §  312 Nr.  1b; MünchKommBGB5-Habersack, §  766 Rn.  2; Palandt70 -Sprau, §  766 Rn.  2. 45

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

§  766 BGB ist zugleich ein Beispiel dafür, dass auch Sinn und Zweck einer Norm nur begrenzte Hinweise auf ihre Abdingbarkeit geben. Denn zwar wäre die Warn- und Beweisfunktion der von §  766 BGB vorgesehenen Schriftform nicht erfüllt, wenn die Parteien durch mündliche Absprache die gesetzliche Form aufheben könnten. Das spricht dafür, dass die Norm einen zwingenden Charakter trägt.53 Indes ist damit nicht entschieden, ob die Parteien sie durch einen schriftlichen Rahmenvertrag aufheben können. Die Warn- und Beweisfunktion wäre damit jedenfalls zu einem gewissen Grad erfüllt. Enthält der Rahmenvertrag beispielsweise einen Höchstbetrag wüsste der Bürge, welche Maximalbelastung auf ihn zukommt. Ob dies genügt oder ob Sinn und Zweck eine unmittelbare Vereinbarung der Bürgschaftskonditionen verlangen, lässt sich §  766 BGB nicht entnehmen. Dafür kommt es vielmehr auf die in ihm nicht geregelte Frage an, zu welchem Grad sein Sinn und Zweck zu erfüllen sind. Angaben dazu enthält er nicht. Sie sind als Teil einer Sekundärnorm in der Primärnorm des §  766 BGB auch nicht zu erwarten. Generell mögen Sinn und Zweck einer Norm zwar häufig gegen eine Abbedingung sprechen, weil diese sie beeinträchtigen würde. Aber in den wenigsten Fällen ist klar, ob sich dieser Zweck auch gegenüber anderen Zwecken durchsetzen soll, so insbesondere gegenüber der Vertragsfreiheit. Aus dem Zweck der primären Sachnorm folgt daher nichts für den Zweck der Sekundärnorm. Zwischen beiden ist strikt zu unterscheiden.54 Fehlt eine ausdrückliche Regelung, lässt sich dem Gesetz deshalb kaum eine konkludente Angabe zur Abdingbarkeit entnehmen. In manchen Fällen wie etwa bei den Anfechtungsnormen der §§  119 ff. BGB mag man annehmen, dass ein die Willensfreiheit schützender Kernbestand unabdingbar ist.55 Jedoch folgt daraus nicht die Verallgemeinerung, dass der Kern der Primärnormen stets einen zwingenden Charakter trägt. Dies gilt umso mehr, als die gesetzgeberischen Ziele in vielen Fällen bereits aufgrund der Durchsetzungskraft des abdingbaren Rechts zu erreichen sind.56 Die Frage ist somit nicht, ob Sinn und Zweck der Norm einer Abbedingung widersprechen, sondern, ob sie stärker als die Vertragsfreiheit ins Gewicht fallen. Dafür kommt es auf eine Abwägung der verschiedenen Belange an. Die dabei maßgeblichen Gründe lassen sich den gesetzlichen Normen nicht entnehmen. In gleicher Weise geben auch die Gerichte vielfach den abdingbaren oder zwingenden Status der von ihnen entwickelten Rechtssätze nicht an. Denn wenn sie diese durch eine ergänzende Vertragsauslegung, durch richterliche Rechtsfortbildung oder durch Analogie gewinnen, können sie den Status der 53   MünchKommBGB5-Habersack, §  766 Rn.  24. Zum zwingenden Charakter der von §  125 BGB angeordneten Nichtigkeit Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  98, S.  69; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  125 Rn.  16. 54   Bachmann, JZ 2008, 11; Verfasser, JbJ.ZivR.Wiss. 2002, 181, 192. 55   Oben 5.A.1, Fn.  38. 56   Oben Kapitel 3.

A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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Abdingbarkeit zunächst offen lassen. Die Parteien haben in diesen Fällen keine anderweitige Vereinbarung getroffen, die eine zwingende Norm erst noch überlagern müsste. Sie können auf die Entwicklung der Rechtsprechung frühestens beim Abschluss neuer Verträge reagieren. Erst wenn diese vor Gericht kommen, ist über die Abdingbarkeit zu entscheiden. Dann stellt sich die Frage, ob die Gerichte erneut zu einer ergänzenden Auslegung greifen. Aufgrund dieses Prozesses gibt es in einem sich entwickelnden Privatrecht stets Normen, deren Abdingbarkeit ungeklärt ist. Diese Schwierigkeiten lassen sich anhand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den für Rechtsanwälte geltenden Gebührensätzen illustrieren.57 Obwohl diese eine angemessene Gestaltung des Honorars bezwecken, besteht nach Einschätzung des Gerichts „kein durchgreifendes Argument“ gegen die Zulässigkeit einer abweichenden Vereinbarung.58 Denn es sei nicht erkennbar, dass sich dieser Zweck in jedem nur denkbaren Fall durchsetzen solle. Zu seiner Erreichung genüge womöglich, dass die gesetzlichen Gebührensätze ohne gegenteilige Vereinbarung zur Anwendung kommen. Das zeigt, dass die Grundrechte eine Abwägung der von der Primärnorm verfolgten Ziele mit der von der Sekundärnorm geschützten Vertragsfreiheit erfordern und dabei nicht von einem prinzipiellen Vorrang eines Ziels ausgehen. Da ein zwingender Eingriff nur unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit erlaubt ist, 59 sind die jeweils betroffenen Interessen nach Fallgruppen miteinander abzuwägen. Einer allzu groben Typisierung sind Grenzen gesetzt. 60 Aus diesen Gründen ist die pauschale Festlegung der Abdingbarkeit kaum möglich. Einfach handhabbare Auslegungsregeln existieren aufgrund der Notwendigkeit zur Abwägung nicht. Sie müssten eine Vielzahl von Sachverhalten regeln, obwohl die Interessen dort ein unterschiedliches Gewicht haben. Nicht immer bedarf es eines zwingenden Status, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Es genügt häufig, dass die Abbedingung von bestimmten Voraussetzungen abhängt – etwa der Einhaltung einer notariellen Form. Bei der Fest­ legung, ob und wann eine Norm abdingbar ist, geht es nicht um eine Allesoder-nichts-Entscheidung. 61 Vielfältige Übergangsformen zwischen vollständig abdingbaren und vollständig zwingenden Normen sind möglich. Sowohl der Umfang als auch die Voraussetzungen einer Abbedingung lassen sich modifizieren. Beschränkungen im Umfang der Abdingbarkeit können milde Anforderungen an den Abbedingungsakt ausgleichen. Hingegen gehen er57   BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 295): „Auch der Zweck der Ermächtigungsnorm ergibt nicht, daß die Mindestsätze regelmäßig zwingenden Rechts zu sein hätten.“; siehe auch BVerfG, NJW 2007, 2098, 2099 (= BVerfGE 118, 1, 17 f.); sowie oben 3.B.4.a). 58   BVerfG, NJW 1982, 373, 374 (= BVerfGE 58, 283, 295). 59   BVerfG, NJW 2007, 979 (= BVerfGE 117, 163, 181); sowie oben 4.A.2.b). 60   BVerfG, NJW 2009, 48, 50; sowie oben 4.A.2.b), Fn.  122. 61   Oben 1.F.

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

höhte Voraussetzungen für diesen womöglich mit einer dem Umfang nach unbeschränkten Abdingbarkeit einher. Eine notarielle Form etwa spricht dafür, weitgehende inhaltliche Veränderungen zuzulassen. Umgekehrt kann eine niedrige Abbedingungshürde schärfere inhaltliche Anforderungen rechtfertigen. Legt das Gesetz die Abdingbarkeit nicht fest, ergeben die mit der Primärnorm verfolgten Zwecke deshalb nur selten sichere Anhaltspunkte dafür, zu welchem Grade sie zwingend sein soll. Die Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm lässt sich somit nicht durch den schlichten Hinweis darauf beantworten, es gelte die jeweilige Norm auszulegen. 62 Denn für die dabei erforderliche Abwägung auf Sekundärebene kommt es auf Gründe an, welche die Primärnormen nicht oder zumindest nicht vollständig angeben.

3.  Entbehrlichkeit einer Festlegung Hat das Gesetz keine Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm getroffen, stellt sich die Frage, ob es ihrer überhaupt bedarf. Das hängt davon ab, was ohne eine derartige Festlegung gilt. Die Ermächtigungstheorie behauptet dazu, dass es dann bei zwingendem Recht bleibe. Die Vertragsparteien seien nur zur Abbedingung einer Norm berechtigt, wenn ihnen der Gesetzgeber dafür eine Befugnis verliehen habe. 63 Er könne es nicht dulden, dass Private ohne seine Erlaubnis über seine Anordnungen disponieren. Andererseits würde sich die Rechtsordnung „selbst den Todesstoß versetzen“. 64 Die Abdingbarkeit sei bei einer fehlenden Ermächtigung zu verneinen. Sie setze voraus, dass der Gesetzgeber den Willen der Parteien in seine Normen aufnehme. 65 Die dem entgegengesetzte Eingriffstheorie geht hingegen davon aus, dass die Vertragsparteien grundsätzlich jede Norm abbedingen dürfen. 66 Das sei Ausfluss der Vertrags  Oben 5.A.1, Fn.  36.   Bülow, AcP 14 (1881), 1, 9, 45 ff.; Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des B. G.-B., S.  11; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  47; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  3, 87, der die Einwilligung bereits im Stillschweigen des Gesetzes erblickt; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  215; Stern, VerwArch (49), 1958, 106, 139 (für den öffentlichrechtlichen Vertrag); Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  35; Werp, Die Grenzen der Abdingbarkeit, S.  45; Wagner, Prozessverträge, S.  55, 125; Schlette, Verwaltungsrechtlicher Vertrag, S.  84 (zum öffentlichrechtlichen Vertrag); Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  553, der sie für „im Wesentlichen akzeptiert“ hält; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  218, der sie als „schlichte Erlaubnis“ deutet. Für die USA: Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1777 (1997). Kritisch Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  33 ff.; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074. 64   Bülow, AcP 14 (1881), 1, 45. 65   Stammler, AcP 69 (1886), 1, 16. 66   Etwa BAG, NZA 2008, 1292, 1293 zu §  1a KSchG: „Es hätte einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers bedurft, um die mit einem Ausschluss einer von §  1a KSchG abweichenden Vereinbarung verbundene Beschränkung der Vertragsfreiheit zu rechtfertigen“; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  43: „Im Schuldrecht .  .  . muß die 62

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A.  Die Festlegung der Abdingbarkeit

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freiheit. Ordne der Gesetzgeber den zwingenden Charakter einer Norm nicht an, sei diese daher abdingbar. Wolle er sie zwingend ausgestalten, müsse er dies bestimmen. Diese Frage ähnelt auf den ersten Blick dem Streit, ob erst das Gesetz den Einzelnen die Kompetenz zum Vertragsschluss verleiht67 oder lediglich deren unabhängig von ihm bestehende Rechtsmacht zum Vertragsschluss anerkennt68 . Denn wenn man den Vertrag als konkretisiertes staatliches Recht begreift, können die Einzelnen nur insoweit Recht setzen, als sie der Staat dazu ermächtigt. Die Abbedingung erscheint dann als rechtfertigungsbedürftige Verdrängung seiner Normen. Fehlt eine Ermächtigung, bleibt es beim Vorrang staatlichen Rechts. Fasst man Verträge hingegen als im Grundsatz staatsunabhängiges Recht auf, so kann der Staat es zwar anerkennen, begründet damit aber nicht dessen Rechtscharakter. Es besteht unabhängig von ihm und ist der staatlichen Rechtsordnung allenfalls untergeordnet. Anders als nach der Ermächtigungstheorie hat nicht das staatliche Gesetz, sondern die private Vereinbarung das Primat. Unabdingbarkeit einer sekundär zwingenden Norm durch geeignete Formulierung klar zutage treten.“; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  45; kritisch Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 23 (1885), 148, 150. Die Eingriffstheorie ist nicht mit der von Bülow abgelehnten „Mutationstheorie“ identisch, nach der Private durch Abbedingung Rechtssätze außer Kraft setzen, AcP 64 (1980), 1, 45 ff.; dazu oben 1.A.1.d). 67   Stellvertretend Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit, II, §  1, S.  191, 199: „daß ein Vertrag an sich selbst keine Schuldigkeit mit sich bringt .  .  . sondern daß eine Verbindnis alle ihre Krafft von dem Gesetze erlange“; Bülow, AcP 64 (1881), 1, 78; ders., Das Geständnissrecht, 135, zugleich jedoch auf S.  133: „Durch die Rechtsgeschäfte wird wirklich Recht geschaffen!“; Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  141; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S.  81 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  213 f.; Schmidt-Rimpler, AcP 27 (1941), 130, 156 ff., 159; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  202 f.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  24 ff.; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  49, S.  299; Flume, AT, S.  2, 5; ders., FS DJT, S.  135, 137; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  553; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S.  137; Schapp, Über Freiheit und Recht, S.  24; siehe auch Sumner, The Moral Foundations of Rights, p.  39. Ablehnend für das (klassische) römische Recht Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 114. 68   Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  1, S.  312: „Der Urheber des Rechtsgeschäfts handelt nicht kraft staatlicher Autorität.“; Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  33; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  15, 42 f.; Jurt, Zwingendes Völkerrecht, S.  29; Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S.  28 ff., 35; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 217 ff.; ders., JZ 1987, 993, 995; Behrends, in: ders./Sellert, Der Kodifikationsgedanke und das Modell des BGB, S.  9, 13; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S.  140 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S.  16, 19. Zwischen beiden Theorien gibt es zahlreiche Vermittlungsversuche, so etwa von Hippel, Privatautonomie, S.  71 ff.; Larenz/Wolf, AT, §  2 Rn.  30, S.  28; anders aber Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S.  56 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  54; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  52. Skeptisch zur Relevanz des Streits Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  221. Zum Ganzen Meder, Ius non scriptum – Traditionen privater Rechtssetzung, S.  60 ff.; Craswell, 88 Michigan Law Review 489, 497 (1989).

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Trotz der Ähnlichkeiten dieser Diskussionen ist die zur Abdingbarkeit bestehende Ermächtigungstheorie nicht mit der These identisch, erst der Staat verleihe den Privaten die Befugnis zum Vertragsschluss. Man kann den Parteien eine derartige Kompetenz zusprechen und gleichwohl behaupten, dass eine staatliche Norm nur aufgrund einer Ermächtigung abdingbar sei. Denn die Frage, ob nur aufgrund staatlichen Gesetzes eine private Rechtssetzung möglich ist, unterscheidet sich von der Frage, wie die Einzelnen mit diesen Gesetzen umgehen dürfen. Eine private Rechtssetzung ist möglich, selbst wenn ein staatliches Gesetz im Zweifel einen zwingenden Charakter trägt. Eine derartige Position ist zumindest widerspruchsfrei vertretbar. Es bedarf anderer Gründe, um sie zu widerlegen. Ermächtigungs- und Eingriffstheorie stimmen darin überein, dass eine generelle Vorrangregel die Kollision gesetzlicher und vertraglicher Normen löst. Einzig umstritten zwischen ihnen ist der Inhalt dieser Regel, nämlich ob die Vertragsrechtsnormen im Grundsatz abdingbar oder zwingend sind. Bereits diese gemeinsame Annahme beider Theorien ist jedoch wenig überzeugend. Sie übergeht die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber zwar eine primäre Sachnorm schafft, ihren abdingbaren oder zwingenden Status aber offen lässt. Damit erlegen beide Theorien dem Gesetzgeber einen unnötigen Entscheidungszwang auf. Nach Art.  74 Abs.  1 Nr.  1 GG hat er zwar die Kompetenz zur Gesetzgebung für das bürgerliche Recht. Daraus aber folgt keine Pflicht, jede dafür relevante Fragen zu entscheiden. Die Abdingbarkeit einer Norm kann er daher ebenso wie eine Vielzahl anderer Fragen offen lassen. Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich zur Ausgestaltung des Privatrechts verpflichtet ist. 69 Denn daraus ergibt sich nicht, dass er alle vertragsrechtlichen Fragen selbst entscheiden müsste. Aufgrund des Demokratiegebots und der Gewaltenteilung ist er vielmehr nur verpflichtet, die wesentlichen Fragen des Gemeinwesens zu entscheiden.70 Die Festlegung, ob eine Norm abdingbar ist, zählt nicht ohne weiteres dazu, da es darauf häufig nicht ankommt. Bereits die Gestaltung der Primärnormen klärt Wesentliches. Aufgrund der Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts sind durch sie bedeutende Weichen gestellt. Erst bei einer abweichenden Vereinbarung ist über die Abdingbarkeit zu entscheiden. Die dann noch zu regelnden Einzelfragen sind für das Gemeinwesen nicht notwendig zentral. Der Gesetzgeber kann deshalb vielfach auf eine Gestaltung der Sekundärnormen verzichten und ihre Festlegung Rechtsprechung sowie Literatur überlassen.71 Er verfügt dabei über einen wei-

69   BVerfG, NJW 1994, 36, 38 (= BVerfGE 89, 214, 232); weitere Nachweise oben 4.A.2.b), Fn.  107. 70   BVerfG, NJW 2009, 2267, 2275 (= BVerfGE 123, 267, 361); weitere Nachweise oben 1.B.2, Fn.  144. 71   So bereits Thudichum, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deut-

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ten Gestaltungsspielraum72 und muss keine pauschale Entscheidung treffen. Ihn kann er so in Anspruch nehmen, dass er bestimmte Fragen offen lässt. Man würde seine Möglichkeiten auch überschätzen, wenn man ihn zu einer umfassenden Kodifikation der Sekundärnormen zwingen wollte. Die Notwendigkeit zur Festlegung des Normstatus folgt ferner nicht daraus, dass zwingendes Recht stärker als abdingbares in die Vertragsfreiheit eingreift73 . Denn bereits die primäre Sachnorm verdeutlicht den Parteien eine denkbare Freiheitsbeschränkung und genügt zu ihrer Warnung. Damit ist jedenfalls nach Art.  20 Abs.  1 GG die Festlegung des zwingenden Charakters einer Norm nicht erforderlich. Sie mag zwar wünschenswert sein, ist aber von Rechts wegen nicht notwendig. Die Parteien können sich bereits aufgrund der Primärnorm auf die Gesetzeslage einstellen. Wer einen anderen beim Abschluss des Vertrages täuscht, kann beispielsweise bereits wegen §  123 BGB mit einer Anfechtung rechnen. Aus diesen Gründen muss der Gesetzgeber die Vertragsparteien weder gesondert zur Abbedingung ermächtigen74 noch muss er eine Abbedingung ausschließen. Zu dieser genügt bereits die allgemeine Vertragsfreiheit,75 während schon die primäre Sachnorm den denkbaren Eingriff in die Vertragsfreiheit verdeutlicht. Der Gesetzgeber kann die Abdingbarkeit vertraglicher Normen somit offen lassen. Ein Verzicht auf die Festlegung des zwingenden oder abdingbaren Status einer Norm birgt vielfältige Vorteile. Rechtsprechung und Literatur können dadurch abwarten, wie die Vertragspraxis auf die Norm reagiert. Setzt sie sich dort durch, müssen sie über die Abdingbarkeit keine Entscheidung treffen. Fallweise können sie sich vortasten. So wie bei anderen Fragen steht es ihnen offen,76 die Entscheidung auf die jeweilige Konstellation zu beschränken. Angesichts der vielfältigen Formen der Abbedingung und der Variationen im Akt, dem Inhalt sowie der Wirkung der Abbedingung 77 wäre eine pauschale Entscheidung über die Abdingbarkeit unangebracht. Sie würde zum Dilemma führen, entweder durch eine zwingende Fassung das Recht zu versteinern oder durch eine generelle Abdingbarkeit dem Einzelnen selbst in Extremkonstella­ tionen den Schutz zu entziehen.78 Die Eingriffstheorie ist vor diesem Hintergrund nur scheinbar freiheitsfreundlicher als die hier vertretene Ansicht. Sie würde den Gesetzgeber zu vorschen Privatrechts 23 (1885), 148, 150: „.  .  . rathsam, dem Richter nach gewissen allgemeinen Anweisungen die Beurtheilung im einzelnen anheimzustellen“. 72   BVerfG, NJW 1990, 1469, 1470 (= BVerfGE 81, 242, 255); 2007, 286, 287. 73   Oben 4.B.1. 74   Möglich ist das gleichwohl und bei der Abdingbarkeit durch AGB auch ratsam, siehe zur Diskussion mwN. Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  304. 75   Oben 1.D.3. 76   Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  175 ff. 77   Oben 1.F. 78   Zum rudimentären Schutz durch §§  138, 242 BGB unten 5.B.3.a).

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

schnellen Festlegungen der Unabdingbarkeit drängen, wie dies bereits jetzt im Verbraucherschutzrecht zu beobachten ist.79 Um einen Schutz in einigen Fallgruppen sicherzustellen, werden ganze Regelungsgebiete für zwingend erklärt. Das schränkt die Freiheit der Parteien stärker ein, als wenn aufgrund einer Differenzierung nach Fallgruppen auch im Verbraucherschutz zumindest Reste der Vertragsfreiheit verblieben. Der Verzicht auf eine gesetzliche Festlegung der Abdingbarkeit erweist sich gerade dort von Vorteil, wo es sich auf den ersten Blick eindeutig um eine zwingende Norm handelt. Vielfach kann es auch bei ihr Konstellationen geben, in denen eingeschränkte Dispositionen der Parteien unbedenklich sind. So mag man die Möglichkeit, eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe nach §  343 BGB durch Urteil herabzusetzen, zunächst als zwingend ansehen. Anders könnte man den Schuldner nicht vor horrenden Vertragsstrafen schützen und würde der Willkür Tür und Tor öffnen. Müsste der Gesetzgeber über die Abdingbarkeit entscheiden, würde er sie wohl mit der herrschenden Meinung verneinen. 80 Gleichwohl war es weise, dass er sich bei der Verabschiedung des BGB einer derartigen Festlegung enthielt. Denn dadurch bleibt es den Parteien möglich, §  343 BGB zu modifizieren. Sie mögen etwa einen unparteiischen Dritten mit einer Entscheidung beauftragen oder Rügefristen vorsehen, innerhalb derer die Unverhältnismäßigkeit geltend zu machen ist. Die Vielfalt ihrer Vereinbarungen übersteigt regelmäßig die Vorstellungskraft des Gesetzgebers und gerät bei einer pauschalen Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm allzu schnell in Vergessenheit. Schon deshalb ist ihm der Verzicht auf eine Regelung nicht vorzuwerfen. Anderenfalls würde man von ihm eine illusionäre Perfek­ tion verlangen.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung Fehlt eine gesetzliche Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm, ist über sie nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den sie prägenden rechts­ ethischen Gründen zu entscheiden (1). Für sie spricht dabei eine Vermutung der Freiheit (2). Eine Reihe von Gründen kann diese Vermutung widerlegen. Sie traten bereits bei der Wahl zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht zu Tage (3). 81 Allerdings bedarf es dafür auch einer Betrachtung derjenigen Gründe, welche die mit einer Abbedingung einhergehenden Risiken personell, formell sowie materiell kompensieren (4–6). Letztlich kommt es daher auf   §§  307–309, 312 f. S.  1, 478 Abs.  4 S.  1 BGB; weitere Nachweise oben 5.A.1, Fn.  5.   Vgl. BGH, NJW 1952, 623 (= BGHZ 5, 133, 135 f.); 1968, 1625; BeckOK 20 -Janoschek, §  343 Rn.  3; Jauernig13-Stadler, §  343 Rn.  1; Palandt70 -Grüneberg, §  343 Rn.  3. 81   Oben 4.B.1. 79

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B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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eine Abwägung der für und gegen die Abdingbarkeit sprechenden Gründe an (7).

1.  Die Maßgeblichkeit rechtsethischer Gründe Hat der Gesetzgeber die Abdingbarkeit einer Norm offen gelassen, muss der Richter über sie befinden. Dies kann er nach allgemeinen Grundsätzen und subsidiär heranziehbaren rechtsethischen Gründen. Lücken im Gesetz sind nicht gleichbedeutend mit Lücken im Recht. 82 Zunächst helfen Analogien zu den bestehenden Normen, um vom Gesetzgeber nicht beantwortete Fragen zu lösen. Das gilt insbesondere für wiederkehrende Wertungen, wonach bestimmte Normen als abdingbar, andere aber als zwingend anzusehen sind. Generelle Schlussfolgerungen lassen sich daraus indes aus den bereits dargelegten Gründen nur begrenzt ziehen. Betrachtet man etwa das neuere Verbraucherschutzrecht, so drängt sich der Eindruck auf, Unternehmer könnten generell keine abweichende Absprache mehr mit Verbrauchern treffen. 83 Jedoch würde dies einen derart weitgehenden Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen, dass er sich angesichts der grundrechtlichen Garantie der Handlungsfreiheit nicht rechtfertigen ließe. Sie wäre in diesem Bereich beseitigt. Gegen ein derart weitgehendes Verständnis des Verbraucherschutzrechts sprechen auch diejenigen Normen, die Verbrauchern den Abschluss riskanter Verträge ermöglichen. Dazu gehört etwa §  765 BGB, der den Abschluss von im Umfang unbegrenzten Bürgschaften ermöglicht. 84 Hinter den im BGB niedergelegten und zu verschiedenen Zeiten verabschiedeten Normen verbirgt sich kein einheitliches verbraucherschützendes Modell, das eine Abbedingung erlaubt oder verbietet. Die Zahl der Informationspflichten vor Abschluss eines Darlehens etwa steht in keinem Verhältnis zum Fehlen derartiger Pflichten vor Abschluss einer Bürgschaft, §§  492, 765 ff. BGB. Abstrahiert man von den konkreten Normen und versucht, die mit ihnen verbundenen Wertungen zusammenzufassen, so ergibt sich daher kein konsistentes System. Jedoch bedeutet das Fehlen einheitlicher Grundsätze nicht, dass es für die Beurteilung derartiger Fragen keinerlei Anhaltspunkte im geltenden Recht gäbe. Zumindest negativ lassen sich wie beim Verweis auf die Vertragsfreiheit bestimmte Konstellationen ausschließen. Darüber hinaus bleibt es möglich, die einander widersprechenden Grundsätze – wie etwa die Vertragsfreiheit und den Verbraucherschutz – rechtsethisch zu 82   Engisch, Beiträge zur Rechtstheorie, S.  25; Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  48 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts, S.  171; kritisch Zitelmann, Lücken im Recht, 1903, S.  9, der dies für einen „Ausdrucksstreit“ hält; Larenz, Methodenlehre, S.  403. 83   Dazu bereits oben 4.B.2.a), Fn.  207. 84   Zum Recht, riskante Verträge abzuschließen, siehe BGH, NJW 2008, 2106, 2108; weitere Nachweise oben 4.B.2.a), Fn.  149.

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

würdigen. Das heißt vor allem, die betroffenen Interessen zu analysieren85 sowie nach Gründen zu suchen, wann der eine Grundsatz Vorrang vor dem anderen haben soll und auf welche Faktoren es dabei ankommt. Dass diese umstritten sind und grundsätzliche ethische, empirische sowie sozialwissenschaftliche Fragen betrifft, schließt eine rationale Entscheidung nicht aus. Die Abdingbarkeit einer Norm hängt vielmehr davon ab, ob in der jeweiligen Konstellation die Gründe für eine Abdingbarkeit die gegen sie sprechenden Gründe überwiegen. Beide Arten von Gründen sind zu betrachten, so dass es nicht genügt, zum Beleg des abdingbaren Status einer Norm auf die Vertragsfreiheit zu verweisen und zum Beleg ihres zwingenden Status auf den durch sie bezweckten Schutz. Abdingbar ist eine Norm demnach genau dann, wenn ihr entweder der Gesetzgeber einen abdingbaren Status verliehen hat oder wenn er die Frage offen gelassen hat und überwiegende rechtsethische Gründe dies erfordern. Nur in diesem Fall vermögen vertragliche Absprachen die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Norm zu verdrängen. Dem widerspricht nur scheinbar der Vorrang staatlicher Gesetze vor vertraglichen Regelungen nach §  134 BGB. Denn er bezieht sich allein auf die Situation, in der eine staatliche Primärnorm mit einer vertraglichen Norm kollidiert. Verzichtet der Gesetzgeber hingegen auf den Erlass einer die Abdingbarkeit regelnden Sekundärnorm, so lässt er offen, ob die von ihm formulierte Primärnorm den Vorrang vor einer vertraglichen Absprache haben soll. Man mag die dann zu treffende Abwägung der für und gegen die Abdingbarkeit sprechenden Gründe auch so konstruieren, dass letztlich die verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit die Abbedingung einer nur einfachrechtlichen Norm erlaubt. In diesem Fall wird staatliches Recht nicht durch privates Recht verdrängt, sondern durch höherrangiges staatliches Recht. Allerdings darf diese Konstruktion nicht darüber hinweg täuschen, dass es dabei letztlich auf die auch im Grundgesetz nicht positivierten rechtsethischen Gründe ankommt. Diese Gründe müssen keine einheitliche und vom jeweiligen Inhalt der Sachregelung unabhängige Entscheidung fordern und unterscheiden sich dadurch von der Ermächtigungs- und der Eingriffstheorie. Vielmehr können sie in verschiedenen Konstellationen ein unterschiedliches Gewicht entfalten, so dass auch die Zulässigkeit der Abbedingung von Fallgruppe zu Fallgruppe variiert. 86 Dabei kann Berücksichtigung finden, dass der Status einer Norm für die Parteien erkennbar sein muss und die Festlegung der Abdingbarkeit nicht einer unüberschaubaren Kasuistik zum Opfer fallen darf. Von vornherein jedoch

85   Entsprechend für die Entscheidung über die international zwingenden Normen, Münch­ KommBGB4-Sonnenberger, Einl zu EGBGB Rn.  234; weitere Nachweise oben 1.A.1.b), Fn.  30. 86   Vgl. zur Analyse des Vertragsabschlusses Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  63, 72 sowie oben 5.A, Fn.  7.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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steht nicht fest, welcher Grund sich durchsetzt und die Entscheidung über die Abdingbarkeit bestimmt. Aufgrund der deshalb erforderlichen Differenzierung nach einzelnen Fallgruppen ist es sinnvoll, statt der Abdingbarkeit einer Norm die Zulässigkeit des einzelnen Abbedingungsakts zu thematisieren. Denn zwar sind beide miteinander verbunden und lässt sich von der Zulässigkeit eines Abbedingungsakts auf den abdingbaren Status einer Norm schließen. Jedoch suggeriert die Frage, ob eine Norm abdingbar oder zwingend ist, allzu schnell, man könne dies nur mit ja oder nein beantworten. Die Vielfalt denkbarer Antworten tritt dabei in den Hintergrund. Anders ist dies bei der Frage nach der Zulässigkeit eines bestimmten Abbedingungsakts. Welche Antwort man auf sie auch immer gibt, betrifft sie zunächst nur die jeweilige Konstellation. Sie schließt nicht aus, in anderen Konstellationen eine abweichende Antwort zu geben. Zudem zeigt erst der Abbedingungsakt, in welchem Ausmaß man es mit einer freien, rationalen und reflektierten Entscheidung des Einzelnen zu tun hat. 87 Da davon das ihr zukommende rechtsethische Gewicht abhängt, lässt sich mit seiner Untersuchung die Zulässigkeit einer Abbedingung besser beurteilen.

2.  Die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts Kommt es in den gesetzlich nicht entschiedenen Fällen letztlich auf rechtsethische Gründe an, so ist zunächst vom Vorrang des abdingbaren Rechts vor dem zwingenden Recht auszugehen. 88 Denn fehlen überwiegende Gründe, die den zwingenden Charakter einer vertragsrechtlichen Norm erfordern, so ist von deren Abdingbarkeit auszugehen. Sie eröffnet den Parteien eine Handlungsoption und damit eine größere Freiheit als eine zwingende Norm. Insofern gilt auch methodisch eine Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts. 89 Wie aber ist dies mit der Behauptung vereinbar, es gebe Fälle, in denen der Gesetzgeber die Entscheidung offen gelassen habe? 90 Kommt dann nicht stets abdingbares Recht zur Geltung? Um diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig, zwischen der einzelnen zu beurteilenden Norm und der gesamten Rechtsordnung zu unterscheiden. Der Gesetzgeber kann die Abdingbarkeit einer Norm bei ihrer Verabschiedung offen lassen, etwa wenn ihre Auswirkungen   Zu diesen Kriterien Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1787 (1997).   Oben 4.B.1. 89   Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, S.  74; Planck4, Einleitung XLVII, wonach dispositives Recht die Regel sei; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  96, S.  68, wollen dies auf Normen beschränken, welche nur die Interessen der Vertragsparteien betreffen; Wagner, Prozessverträge, S.  79 für das Prozessrecht; Binder, Regulierungsinstrumente, S.  86; dagegen Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  84; Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  59; Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, S.  309 (für die Schweiz). 90   Oben 5.A.3. 87

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

weiterer Klärung bedürfen. Das aber bedeutet nicht, dass die Rechtsordnung keine Gründe enthält, nach denen dies dann zu entscheiden ist. Zwischen dem, was ein Gesetz regelt, und dem, was das Recht insgesamt anordnet, besteht ein Unterschied. Zu den einfachgesetzlich nicht verankerten Gründen gehört auch die auf Art.  2 Abs.  1 GG beruhende Freiheitsvermutung.91 Fehlen Gründe, die den zwingenden Status einer Norm rechtfertigen, spricht für ihre Abdingbarkeit zumindest, dass sie den Parteien in stärkerem Maße ermöglicht, ihre Vorstellungen umzusetzen. Die daraus folgende Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts ist selbst noch maßgeblich, wenn die für und gegen eine Abbedingung sprechenden Gründe exakt dasselbe Gewicht haben. Denn zur Rechtfertigung des zwingenden Rechts fehlt es dann an den dafür erforderlichen überwiegenden Gründen. Insofern steht die Abdingbarkeit einer Norm stets fest. Anders als bei Tatsachenfragen ist keine Situation vorstellbar, in der die Frage offen bleibt. Daher ist die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts kein Mittel, um Zweifelssituationen zu entscheiden, sondern nur Ausdruck der Notwendigkeit, den zwingenden Status einer Norm zu rechtfertigen. Es handelt sich – in erkenntnistheoretischen Begriffen formuliert – um eine ontologische, nicht aber eine kognitive Vermutung.92 Diese Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts besteht zunächst auf der Ebene der für und gegen eine Abdingbarkeit sprechenden rechtsethischen Gründe. Sie wirkt sich über die in Art.  2 Abs.  1 GG verankerte Vertragsfreiheit auch auf das geltende Recht aus. Insofern lässt sie sich sowohl in die systematische als auch in die teleologische Auslegung integrieren. Anderes jedoch gilt für die auf den Wortlaut und die Gesetzgebungsgeschichte gestützte Auslegung. Nichts spricht dafür, dass der Wortlaut der Primärnorm im Zweifel von der Abdingbarkeit einer Norm ausgeht. Abdingbare Normen lassen sich ebenso gut wie zwingende Normen formulieren. Auch dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, er wolle im Regelfall nur eine abdingbare Norm erlassen. Dies sind kontingente Umstände, für die es spezieller Anhaltspunkte bedarf. Sie bestehen etwa dann, wenn der Gesetzgeber ein Rechtsgebiet generell als dispositiv versteht93 , oder wenn er das im Rechtsverkehr gewachsene Verkehrsrecht kodifizieren möchte94 . Denn in diesem Fall liegt es nahe, dass er die Vereinbarung der Parteien lediglich erleichtern, nicht aber in die Vertragsverhältnisse eingreifen möchte. Bereits bisher bestehende Möglichkeiten zu einer abweichenden   Oben 4.B.1, Fn.  132.   Zu dieser Unterscheidung Coleman, Market, Morals, and the Law, p. ix, 5, 139. In der Terminologie von Dancy, Ethics Without Principles, p.  113 kann man diese Vermutungen als „default reasons“ bezeichnen. 93   So etwa im Verjährungsrecht, BT-Drucks 14/6040, S.  110. 94   Zur Diskussion, ob sich das abdingbare Recht generell so verstehen lässt, oben 2.B.1.c), 2.B.2.a). 91

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B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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Gestaltung müssen dann auch weiterhin offen bleiben. Dies gilt umso mehr, als bei neu formuliertem Recht noch ungewiss ist, ob und wie sich eine Kodifika­ tion auswirkt. Dann ist die durch die Abdingbarkeit einer Norm entstehende Korrekturmöglichkeit von zentraler Bedeutung.95 Nur mit ihr können die Parteien zur vorherigen Rechtslage zurückkehren, die ihren Interessen womöglich besser als die neue Rechtslage entspricht. Anders ist dies bei Gesetzen, denen es nicht um die Kodifikation abdingbaren Verkehrsrechts, sondern die Gestaltung der Rechtspraxis geht. Dann ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine abdingbare Norm formulieren möchte. Ändert er etwa eine sachenrechtliche Vorschrift, wird er meist davon ausgehen, dass sie einen zwingenden Charakter trägt. Ebenso aber kann er sich zur Abdingbarkeit einer Norm auch gleichgültig verhalten. Die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts gilt daher für die historische Auslegung nicht generell. Es gibt keinen Grundsatz, dass der Gesetzgeber einer Norm im Zweifel einen abdingbaren Status verleiht. Sein Wille hängt vielmehr von kontingenten Faktoren ab und kann sich ändern. Würde man hingegen eine derartige Vermutung auch auf die historische Auslegung anwenden, erlegte man dem Gesetzgeber eine Entscheidungslast auf, die für die Entwicklung des Privatrechts kontraproduktiv wäre. Denn die Gestaltung der die Abdingbarkeit regelnden Sekundärnorm könnte man dann nicht Gerichten und Rechtswissenschaft überlassen. Von Bedeutung ist die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts insbesondere dort, wo die Entscheidung zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Status einer Norm auf empirischen Annahmen beruht. Das ist gerade bei denjenigen ökonomischen Analysen der Fall, welche die mit einer Norm verbundenen Kosten, Informationen sowie Verteilungseffekte thematisieren und daraus das Erfordernis einer zwingenden Gestaltung ableiten.96 Derartige Annahmen sind vielfach ungewiss. Das gilt etwa für die Frage, zu welchem Grade sich die Parteien irrational verhalten, wie hoch die Verhandlungskosten sind und welche Netzwerkeffekte durch die Nutzung derselben Normen eintreten. Bleibt all das offen, so kommt die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts zum Tragen. Die für eine zwingende Gestaltung sprechenden Gründe können dann mangels empirischer Plausibilisierung der sie tragenden Annahmen keine Berücksichtigung finden. Dabei spielt die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts eine umso stärkere Rolle, je ungewisser die Verwirklichung der durch zwingendes Recht bezweckten Ziele ist. Für die Abdingbarkeit privatrechtlicher Normen spricht dann nicht nur, dass die Einzelnen auf diese Weise ihre Verhältnisse frei gestalten können, sondern auch, dass man nicht weiß, wie sich eine zwingende Norm auswirkt. Eine zugunsten der Mieter gel  Oben 3.C.1.d).   Dazu oben 2.C.1.

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

tende Norm kann ihnen bisweilen nutzen, in einer anderen Konstellation aber auch schaden. Eine Norm des Verbraucherschutzes vermag, Missbräuche ebenso zu verhindern wie verbraucherfreundliche Innovationen. Fest steht nur die Ungewissheit über ihre Wirkung. Die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts hat eine weit reichende methodische Konsequenz: Zwingende Normen sind zwar nicht generell eng auszulegen, wohl aber die Festlegung ihrer Unabdingbarkeit. Der Eingriff in die Vertragsfreiheit darf nur so weit gehen, wie die ihn rechtfertigenden Gründe reichen. So wie andere Grundrechtseingriffe muss er verhältnismäßig erfolgen.97 Wo er nicht erforderlich ist, etwa weil ein milderer Eingriff genügt, ist er nicht gerechtfertigt. Dies bedeutet unter anderem, dass auch bei prima facie zwingenden Normen Modifikationen von Tatbestandselementen nicht schlechthin unzulässig sind. Denn bleibt die Anordnung der Rechtsfolge erhalten, wird der Schutzzweck nicht grundlegend verfehlt. Aus dem Umstand etwa, dass die Vorsatzhaftung nach §  276 Abs.  3 BGB unabdingbar ist, folgt beispielsweise nicht, dass die Parteien die Grenzen des Vorsatzes nicht bestimmen dürfen.98 Bevor man zum schärfsten Mittel eines vollständig zwingenden Charakters einer Norm greift, sind die vielfältigen Möglichkeiten einer Einschränkung der Abdingbarkeit zu erwägen. Ferner folgt aus der Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts nicht, dass eine Norm umso eher einen abdingbaren Status trägt, je weiter der mit ihr verbundene Grundrechtseingriff reicht. Zwar steigt mit der Freiheitsbeeinträchtigung die Notwendigkeit einer Rechtfertigung, jedoch kann sich mit ihr auch das Gewicht der Gründe erhöhen, die gegen die Abdingbarkeit der Norm sprechen. Je stärker der Gesetzgeber durch zwingende Normen inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung eines Vertrages aufstellt, desto größer sind womöglich die Risiken, denen er dadurch begegnen möchte. Methodisch lässt sich aus der Eingriffsintensität einer Norm daher kein Rückschluss auf ihren abdingbaren Status ziehen. Auch in diesen Fällen bleibt es damit bei der Notwendigkeit, die Zulässigkeit des jeweiligen Abbedingungsakts zu untersuchen. Auszugehen ist dabei von der Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts.

3.  Die Widerlegung der Vermutung Die für die Abdingbarkeit einer Norm sprechenden Gründe werden in einer Reihe von Konstellationen durch Gründe aufgewogen,99 die den zwingenden Status einer Norm erfordern. Damit wiederholt sich auf methodischer Ebene, was sich bereits bei der Rechtfertigung abdingbarer Normen zeigte: 100 Zur Fest  BVerfG, NJW 2009, 2037, 2039, oben 4.B.1, Fn.  141.   Dazu Verfasser, JZ 2007, 18, 22 f. 99   Historischer Überblick bei Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.  427 ff. 100   Oben 4.B.1, Fn.  127. 97

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B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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stellung zwingender Normen bedarf es im Gegensatz zur Feststellung abdingbarer Normen eines besonderen Grundes. Dieser kann im Schutz des Vertragspartners oder Dritter liegen (a). Hingegen reicht dafür weder der Grundsatzcharakter einer Norm (b) noch die Absicht, unredliches Verhalten zu sanktionieren (c). a)  Schutz des Vertragspartners und Dritter Eine Vielzahl zwingender Normen schützt die Parteien vor einer Benachteiligung und einem Verlust wichtiger Rechtsgüter. Das gilt insbesondere für Leben und Freiheit. Über sie sollen die Einzelnen nicht unbegrenzt verfügen.101 Ein Verkauf von Organen etwa ist nichtig, §  17 TPG. Ebenso ist die vertragliche Bindung des Gewissens nur begrenzt möglich. Beispielsweise kann ein Arzt nicht auf sein Recht verzichten, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern.102 Der Kernbestand der Selbstbestimmung entzieht sich vertraglicher Disposition. Jenseits dieses Kernbestands ist ein Eingriff in die Vertragsfreiheit unter drei Voraussetzungen zulässig: 103 Erstens muss ein Schutzbedürfnis bestehen, das schwerer wiegt als das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen. Zweitens darf es keine andere Möglichkeit geben, den Schutz durch ein milderes Mittel wie etwa eine abdingbare Norm zu erzielen. Drittens muss die zwingende Norm die Position der zu schützenden Partei verbessern.104 Das ist nicht selbstverständlich, weil ihre Vertragspartner sie womöglich umgehen und einen Vertragsschluss verweigern. Fördert dieser insgesamt ihre Interessen, kann ihr eine zwingende Norm im Ergebnis sogar schaden. Zwingende Gewährleistungsnormen etwa verdrängen womöglich bestimmte vom Verbraucher gewünschte Produkte vom Markt. Der von Schutznormen ausgehende Zwang ist zunächst nur ein rechtlicher, kein faktischer. Er vermag den Eintritt des mit ihr bezweckten Erfolges nicht zu garantieren. Bereits aus diesen Gründen reicht der Hinweis auf ein Schutzbedürfnis nicht aus, um den zwingenden Status einer Norm zu rechtfertigen.105 Es steht nicht 101   Vgl. BGH, NJW 1959, 811 (= BGHZ 29, 33, 36); 2004, 2458, 2459 (= BGHSt 49, 166, 173 f.); BeckOK-StGB15-Eschelbach, §  228 Rn.  11; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  392 ff., 430 ff. Die Grenzen der Verfügbarkeit sind auch in der philosophischen Tradition vielfach betont worden, etwa Hobbes, Leviathan, p.  66; Mill, On Liberty and Other Essays, pp.  113. Zum Versuch, das Verbot der Sklaverei aus Effizienzgründen zu rechtfertigen Buckley, Just Exchange, p.  100. 102   BVerfG, NJW 1993, 1751, 1763 (= BVerfGE 88, 203, 294) zu Art.  2 Abs.  1 des 5. StrRG (heute §  12 Abs.  1 SchwKG). 103   Zum dabei zu beachtenden Gebot der Verhältnismäßigkeit bereits oben 4.A.2.b) –c). 104   Oben 4.B.2.a). 105   Bereits Endemann, BR, Bd.  1, S.  43 hält fest, dass „selbst im sozialen Interesse geforderte Sätze“ im BGB nicht immer zwingend seien; entsprechend Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  77, einschränkend jedoch S.  83: im Zweifel seien Schutznormen

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

von vornherein fest, dass die zwingende Fassung einer Norm diesen Schutz erreicht. Anderenfalls wäre kaum eine Norm abdingbar. Zumindest ein minimaler Schutz ist bei nahezu allen Normen nachweisbar. Denn geschützt werden nicht nur höherrangige Interessen, sondern auch das Vermögen. Da sich fast alle Normen auf die eine oder andere Weise auf es auswirken, tragen insoweit fast alle Normen einen Schutzcharakter. Nicht jede mit einer Norm einhergehende Belastung vermag deshalb, den zwingenden Status einer Norm zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als bereits abdingbares Recht einen Schutz intendiert.106 Schließlich versucht der Gesetzgeber auch bei ihm, Rechte und Pflichten gerecht zu verteilen.107 Die für die Abdingbarkeit einer Norm entscheidende Frage ist somit nicht, ob sie ihre Adressaten schützt, sondern in welchem Ausmaß und mit welchem Mittel dies der Fall sein soll. Da sämtliche Normen letztlich den Interessen der von ihnen Betroffenen dienen, gäbe es anderenfalls keinen Grund für ihre Verabschiedung. Das zeigt sich selbst an Normen, die wie Fristberechnungen einen eher technischen Charakter tragen und als offensichtlich abdingbar erscheinen. Selbst sie beruhen zumindest teilweise auf Schutzerwägungen. So schützt §  193 BGB die Sonntagsruhe, indem er bei der Fristberechnung den Sonntag vom Fristende ausnimmt. Er erspart den Einzelnen, an diesem Tag ihre Unterlagen zu prüfen.108 Damit ist er eine Schutznorm. Gleichwohl ist er abdingbar, §  186 BGB. Entgegen einer gelegentlichen Rechtsprechung des BGH lassen sich daher abdingbare und zwingende Normen nicht mit dem Kriterium voneinander un­ terscheiden, ob sie einen Gerechtigkeitsgehalt aufweisen oder auf bloßen Zweckmäßigkeitsgründen beruhen.109 Selbst der BGH gesteht zu, dass diese Abgrenzung eine „nicht immer einfach und klar zu beantwortende Frage“ sei.110 Allenfalls lässt sich zwischen Normen mit einem mehr oder weniger großen Gerechtigkeitsgehalt unterscheiden. Vollständig fehlt dieser fast nie. Selbst Erzwingend; Medicus, SR AT, S.  39, Rn.  88; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S.  23; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  307. Für den zwingenden Status von Schutznormen hingegen Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  97, S.  68; Bork, AT, S.  39, Rn.  95 (zwingend bei Schutz wichtiger Güter); Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  76 f.; in der Tendenz Möslein, Dispositives Recht, S.  179. Skeptisch zum Schutz durch abdingbare Normen Korobkin, 83 Cornell Law Review 608, 610 (1998). 106   Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  189 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  306. 107   Etwa BT-Drucks 14/6040, S.  8 0, 129, 143; weitere Nachweise oben 2.B.1.b). 108   Vgl. oben 4.B.2.b), Fn.  227. 109   So aber BGH, NJW-RR 2008, 818, 821; zurückhaltender Mayer-Maly, in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S.  123, 132: „Abgehen von nichtzwingendem Recht umso weniger toleriert, je höher sein Gerechtigkeitsgehalt“; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  233, anders aber S.  239; oben 2.B.1.b), Fn.  137. 110   BGH, NJW 2005, 3559, 3563 (= BGHZ 164, 297, 310).

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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wägungen zur Zweckmäßigkeit einer Norm betreffen ihre Effizienz und spielen damit auch innerhalb einer rechtsethischen Beurteilung eine Rolle.111 Sobald es rechtfertigende Gründe für eine Norm gibt, besteht ein minimaler Gerechtigkeitsgehalt. Ohne diese Gründe ist die Norm illegitim.112 Selbst Radbruch, der die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit betont hat, leitete diese aus der Rechtsidee ab, die sich ihrerseits aus der Gerechtigkeit ergebe.113 Aus diesem Grund gehört die Zweckmäßigkeit auch bei ihm zur Gerechtigkeit und ist als Unterscheidungskriterium abdingbarer sowie zwingender Normen ungeeignet. Will man nicht das gesamte Recht für zwingend erklären, genügt für den Ausschluss der Abdingbarkeit somit weder der Schutzcharakter einer Norm noch ein ihr innewohnender Gerechtigkeitsgehalt.114 Entsprechend formuliert der Bundesgerichtshof für Eheverträge, dass der Schutzzweck einer abdingbaren Norm nicht „beliebig unterlaufen werden“ dürfe.115 Eine gewisse Beeinträchtigung erscheint damit als möglich. Im Grundsatz ist deshalb eine Disposition über eine Norm selbst dann zulässig, wenn sie den mit ihr verfolgten Schutz beeinträchtigt. Dies gilt umso mehr, als es zum Schutz des Vertragspartners häufig genügt, nur einzelne Abbedingungen einer Norm zu unterbinden. Modifikationen einzelner Tatbestandselemente etwa stellen den Schutzzweck einer Norm allenfalls geringfügig in Frage. Ihre Zulässigkeit lässt sich somit nicht mit dem Verweis auf den mit der Norm intendierten Schutz bezweifeln. Notwendig ist vielmehr der Nachweis, dass der Schutzcharakter einer Norm den konkreten Abbedingungsakt verbietet. Zu vergleichen ist dafür die Wirkung einer abdingbaren Fassung mit der einer zwingenden. Bleibt unklar, ob dabei die für die zwingende Fassung sprechenden Gründe überwiegen, bleibt die Norm aufgrund der Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts116 dispositiv. Das gilt auch für Rechtsgebiete wie das Arbeitsrecht, in denen eine Vielzahl von Normen einen zwingenden Charakter trägt.117 Denn auch in ihnen gibt es keine die Vertragsfreiheit aufhebenden allgemeinen Rechtsgrundsätze.118

111   von der Pfordten, Rechtsethik, S.  498; ders., Normative Ethik, S.  375; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.  173 ff. 112   Oben 4.A. 113   Radbruch, Rechtsphilosophie, S.  69. 114   BGH, NJW 2004, 930, 933 (= BGHZ 158, 85, 96 f.); 2005, 1370, 1372: „Dem Unterhalt wegen Alters oder Krankheit .  .  . misst das Gesetz zwar als Ausdruck nachehelicher Solidarität besondere Bedeutung bei. Das schließt .  .  . eine vertragliche Disposition über diese Unterhaltsansprüche jedoch nicht schlechthin aus.“ 115   BGH, NJW 2004, 930, 934 (= BGHZ 158, 81, 96); 2005, 2386, 2388; 2007, 2848, 2849. 116   Oben 5.B.2. 117   §§  7 Abs.  1 AEntG; 92 AMG; 22 ArbnErfG; 22 AltPflG; weitere Nachweise oben 5.A, Fn.  5. 118   So aber Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  554; zur durch §  105 GewO betonten Vertragsfreiheit bereits oben 3.B.4.b).

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Um den zwingenden Charakter einer Norm festzustellen, bedarf es nach alldem einer Abwägung der mit der Norm verfolgten Ziele und der Vertragsfreiheit. Dabei ist zu beachten, dass durch eine Abbedingung nicht jeglicher Schutz entfällt. Unberührt bleiben die strafrechtlichen Verbote des Betrugs und der Untreue sowie der Schutz vor vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, §§  263, 266 StGB, 826 BGB. Sie federn eine Verdrängung der gesetzlichen Vorgaben ab.119 Vor allem aber bieten die Generalklauseln der §§  138, 242 BGB einen abbedingungsfesten Schutz. Sie verhindern zum einen die Wirksamkeit von wucherischen und aus anderen Gründen sittenwidrigen Verträgen. Zum anderen ermöglichen sie eine Kontrolle der Ausübung vertraglicher Rechte.120 Daher besteht stets eine Abbedingungsschranke und mit ihr ein gewisser Schutz. Besondere Prominenz hat diese Grenze im Ehevertragsrecht. Ehepartner können zwar Ansprüche auf Unterhalt, Versorgungs- und Zugewinnausgleich ausschließen.121 Jedoch dürfen sie einen derartigen Verzicht nicht immer geltend machen, etwa wenn sich die Rollenverteilung zwischen ihnen anders entwickelt hat, als sie das bei Vertragsschluss annahmen.122 Gleiches gilt für Abfindungsansprüche im Gesellschaftsrecht. Auch hier verstößt die Berufung auf anfänglich angemessene Abfindungsvereinbarungen gegen Treu und Glauben, wenn im Laufe der Zeit ein erhebliches Missverhältnis zwischen Abfindung und tatsächlichem Wert entsteht.123 Der abdingbare Charakter einer Norm ist generell umso eher anzuerkennen, je wirkungsvoller der durch die Generalklauseln entfaltete Schutz ist. Denn mit diesem schwindet das Bedürfnis, ihn durch spezielle zwingende Normen zu stärken. Selbst wenn das Schutzbedürfnis einer abbedungenen Norm schwerer wiegt als die Vertragsfreiheit, bleibt die Entscheidung erforderlich, ob man es über ihre zwingende Ausgestaltung oder stattdessen über die Generalklauseln stillt. Dabei kommt es unter anderem darauf an, ob über diese eine Typisierung möglich ist und welche Gefahren eine Billigkeitsentscheidung mit sich bringt.   Daher gehen die erweiterten Dispositionsmöglichkeiten im Gesellschaftsrecht nicht zufällig mit einer gestiegenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Vorständen und Geschäftsführern einher. Siehe dazu die rechtsvergleichende Übersicht zur USA bei Binder, Regulierungsinstrumente, S.  556 ff. 120   BGH, NJW 1988, 2790, 2794 (= BGHZ 105, 71, 88); 2005, 3305, 3309; 2007, 1685, 1687 (= BGHZ 170, 283, 287 f.); 2007, 3143, 3144; 2009, 669, 672; Staudinger2005-Looschelders, §  242 Rn.  344; BeckOK-BGB20 -Sutschet, §  242 Rn.  37; Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134, 147 ff.; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  158 ff.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  333 ff., 338. Kritisch dazu Bunte, NJW 1984, 1145, 1149; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  25, der gegen ihre Verwendung als verdeckte Inhaltskontrolle ist. 121   §§  1408, 1585c BGB, 6 Abs.  1 VersAusglG. 122   BGH, NJW 2004, 930, 933 (= BGHZ 158, 81, 100 f.); 2008, 1076, 1079; 2009, 2124, 2125; BeckOK-BGB20 -Mayer, §  1408 Rn.  39; MünchKommBGB5-Maurer, §  1585c Rn.  57 f. 123   BGH, NJW 1975, 1835, 1837 (= BGHZ 65, 22, 29); 1993, 2101, 2102; 1993, 3193, 3194 (= BGHZ 123, 281, 286); Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  375; einschränkend MünchKomm­ BGB5-Armbrüster, §  138 Rn.  83. 119

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Die für die Abdingbarkeit einer Norm maßgebliche Frage ist deshalb nicht, ob sie den Schutz von Personen bezweckt, sondern, wie man ihn erreicht. Zwingende Normen haben im Vergleich zum Schutz durch Generalklauseln den Nachteil einer geringeren Flexibilität. Sie müssen den Parteien aus der un­ überschaubaren Zahl denkbarer Vereinbarungen eine als verbindlich vorgeben. Generalklauseln hingegen lassen eine Vielzahl von Gestaltungen zu und treffen lediglich eine negative Auslese, indem sie besonders benachteiligende Vereinbarungen für rechtswidrig erklären. Aufgrund dieser Vorteile kann die „Flucht in die Generalklauseln“124 sinnvoll sein.125 Die Entwicklung der Vertragspraxis wird auf diese Weise nicht durch spezielle zwingende Normen erschwert. Wer hingegen vom Gesetzgeber einen Verzicht auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe verlangt, muss einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit hinnehmen, den die stattdessen anzuwendenden zwingenden Normen dann mit sich bringen. Die Gestaltung und Auslegung der Generalklauseln steht daher in einem engen Zusammenhang mit der Entscheidung über den zwingenden Status einer Norm. Je weniger man sie aufgrund ihrer Unbestimmtheit für geeignet hält, desto eher ist man geneigt, den Schutz über den zwingenden Charakter einzelner Normen zu gewähren. Dass es zur Feststellung des zwingenden Charakters einer Norm einer Abwägung bedarf, erstaunt bei den zugunsten eines Vertragspartners bestehenden Normen nicht. Denn weder überwiegt von vornherein die Vertragsfreiheit einer der Parteien noch ein ihr entgegenstehendes Schutzbedürfnis. Es kommt auf die je nach Konstellation einander gegenüberstehenden Gesichtspunkte an. Ungewöhnlich aber erscheint eine Abwägung bei Normen, die den Schutz Dritter oder der Öffentlichkeit bezwecken. Da diese am Vertrag nicht beteiligt sind, spielt die Vertragsfreiheit für sie keine Rolle. Ein ihnen gegenüber bestehendes Schutzbedürfnis geht scheinbar stets vor. Aus diesem Grund wird für drittschützende Normen vielfach eine prinzipielle Unabdingbarkeit angenommen.126 In dieser Allgemeinheit trifft der Schluss vom drittschützenden Charakter auf den zwingenden Status einer Norm indes nicht zu. Öffentliche und andere Drittinteressen gehen den Parteiinteressen nur vor, wenn sie ein höheres Gewicht als diese haben. Denn sie sind letztlich von keiner anderen Art als die mit dem Vertrag verfolgten Individualinteressen.127 Drittinteressen haben aufgrund der Gleichheit der Personen keinen prinzipiellen Vorrang vor den Interessen der   Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S.  66 ff.; dazu oben 1.B.3, Fn.  167.   Vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 699. 126   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  87 für „reine Gemeinschaftsinte­ ressen“; Kaser, FS Wieacker, S.  9 0, 112 für das römische Recht; Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S.  141 (für das Verjährungsrecht); Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S.  71; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074; Bork, AT, S.  39, Rn.  5. 127   Oben 4.B.2.b). 124

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Vertragsparteien. Nehmen diese die Mühe einer abweichenden Absprache auf sich, zeigen sie vielmehr ein erhebliches Interesse an der Abbedingung, so dass es zu deren Verbot eines gewichtigen Drittinteresses bedarf. Dies gilt umso mehr, als man es im Vertragsrecht zunächst nur mit der Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen zwei Personen zu tun hat. Dritte gewinnen oder verlieren durch den Vertrag keine Rechte, sondern allenfalls ein Interesse, dass ein anderer ein Recht innehat. Bedarf ihre Berücksichtigung innerhalb des Vertrages deshalb eines legitimierenden Grundes, so können ihre Interessen die der Parteien umso weniger prinzipiell überwiegen. Der bereits erwähnte §  193 BGB etwa schützt mit der Sonntagsruhe auch Dritte, die sich darauf verlassen können, dass ihre Geschäftspartner und Konkurrenten an diesem Tag keiner Arbeit nachgehen. Dennoch ist er abdingbar, weil dieser Drittschutz die Interessen der Parteien nicht überwiegt, §  186 BGB. Auch für den Drittschutz kann bereits die von abdingbarem Recht ausgehende Durchsetzungskraft genügen. Für die Entstehung eines Marktes von Verbraucherforderungen dürfte es etwa reichen, den per AGB vereinbarten Ausschluss ihrer Abtretbarkeit für unwirksam zu erklären, wie dies im Handelsverkehr geschieht, §  354a HGB. Ein individueller Ausschluss ist angesichts des standardisierten Vertragsschlusses selten, so dass seine Zulässigkeit den Markt nicht zum Erliegen brächte. Ein Drittschutz stände in diesem Fall einer Abdingbarkeit daher nicht entgegen. Dass das geltende Recht die Abdingbarkeit einer drittschützenden Norm nicht generell verbietet, zeigt sich ferner an §  25 Abs.  2 HGB. Dieser eröffnet die Möglichkeit, dass der Übernehmer eines Handelsgeschäfts seine Haftung gegenüber Dritten durch eine Vereinbarung mit dem bisherigen Inhaber beschränkt und fordert dafür lediglich eine Bekanntgabe über das Handelsregister.128 Damit erklärt er eine Abbedingung der nach §  25 Abs.  1 HGB zugunsten Dritter vorgesehenen Haftung im Grundsatz für zulässig. Gegen den Schluss vom drittschützenden Charakter einer Norm auf ihren zwingenden Status spricht ferner die Weite des Interessenbegriffs.129 Auch in der Rechtsprechung hat er bisher keine Konkretisierung erfahren. Zu den Dritt­ interessen zählt selbst die Aussicht, das durch den Vertrag begründete Recht zu erwerben, oder die Befürchtung, eine erfolgreiche Vertragsdurchführung stärke die Marktmacht der Parteien. Derartige Interessen überwiegen aber schon deshalb nicht die Belange der Vertragsparteien, weil diese über gleichartige Interessen verfügen. So kann man nach Auffassung des BGH die Haftung gegenüber Dritten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter abbedingen, weil deren Ansprüche nicht weiter gehen als die des Vertragspart-

  Entsprechende Erfordernisse stellt §  28 Abs.  2 HGB für die OHG und KG auf.   Zur Kritik von der Pfordten, Normative Ethik, S.  67 ff.

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ners.130 Dass damit eine Gestaltung zu Lasten Dritter erfolgt und diese an ihr nicht beteiligt sind, steht dem nicht entgegen. Denn man versagt den Dritten lediglich einen Schutz, auf den sie ohnehin keinen Anspruch haben und auf den auch die Vertragsparteien zur Not verzichten müssen. Sähe man stattdessen Drittinteressen für die Begründung des zwingenden Status einer Norm als ausreichend an, gäbe es kaum abdingbare Normen.131 Fast alle Verträge wirken sich auf die eine oder andere Weise auf Dritte aus. Das liegt unter anderem daran, dass Verträge vielfach aufeinander aufbauen. Nur so vermögen die Parteien sicherzustellen, dass sie die von ihnen versprochenen Leistungen innerhalb einer Lieferkette erfüllen können. Aber auch außerhalb von Lieferketten wirkt sich die Abbedingung einer Norm auf Dritte aus. So haben die Teilnehmer des Straßenverkehrs ein Interesse daran, dass die Gewährleistung für Autos so weit wie möglich reicht. Umso geringer ist dann schließlich das Risiko, dass sie durch unsichere Autos zu Schaden kommen. Gleichwohl lässt sich nicht bereits aus diesem Grund der zwingende Charakter von Gewährleistungsnormen begründen. Denn diesen Drittinteressen kann man durch das Erfordernis einer Betriebserlaubnis Rechnung tragen, §  19 StVZO. Hat der Gesetzgeber keine Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm getroffen, so kommt es daher auf eine Interessenabwägung an.132 Von vornherein hat weder das Interesse einer bestimmten Vertragspartei noch das eines Dritten den Vorrang. Das gilt selbst dann, wenn der Gesetzgeber eine Norm bewusst „als Instrument staatlicher Wirtschafts- und Verteilungspolitik“ einsetzt.133 Allein aus der Möglichkeit zur Abbedingung folgt nämlich nicht, dass sie in einem Ausmaß erfolgt, das diese Politik scheitert. Abdingbare Normen können sie sogar fördern.134 b)  Unabdingbarkeit von Grundsätzen? Der bereits angesprochene Schutz durch die Generalklauseln wirft die Frage auf, ob und wie weit diese abdingbar sind. Denn zumindest auf den ersten Blick ginge er verloren, wenn die Parteien von ihnen abwichen. Haben somit die Normen einen zwingenden Charakter, die wie die Generalklauseln unmittelbar auf   BGH, NJW 1971, 1931, 1932 (= BGHZ 56, 269, 272); siehe aber BGH, NJW 1977, 1916, 1917 (= BGHZ 69, 82, 88 f.), aufgegeben durch BGH, NJW 2008, 2245, 2246; für Abdingbarkeit MünchKommBGB5-Gottwald, §  328 Rn.  130; dagegen Zenner, NJW 2009, 1030, 1033; einschränkend BeckOK 20 -Janoschek, §  328 Rn.  57; zu den Grenzen dieser Abdingbarkeit bereits oben 4.B.2.b), Fn.  214. 131   Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S.  294 f., der daher zutreffender Weise von „einem öffentlichen Interesse an der Regelung“ und „der Bevorzugung des öffentlichen Interesses in der Regelung“ unterscheidet. 132   Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  86. 133   Anders aber Kübler, Gesellschaftsrecht, S.  16; Hesselink, 2 Global Jurist Frontiers, 10 (2002). 134   Ayres/Gertner, 51 Stanford Law Review 1591, 1600 (1999). 130

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

ethische Grundsätze verweisen135 oder denen aus anderen Gründen ein Grundsatzcharakter136 zukommt? Sind die für ein bestimmtes Rechtsgebiet „konstitutiven“ Normen generell unabdingbar?137 Dafür spricht auf den ersten Blick, dass sich mit der Abbedingung grundlegender Normen nicht nur ein Detail ändert, sondern die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt. Je wichtiger eine Norm ist, desto näher liegt daher bei oberflächlicher Betrachtung die Unabdingbarkeit. Denn scheinbar bilden derartige Normen die Grundlage, auf der Verträge und andere Rechtsgeschäfte erst zustande kommen.138 Bisweilen wird dies mit der Metapher des Spiels verdeutlicht. Die Änderung grundsätzlicher Regeln wäre kein bloßer Regelverstoß, sondern die Aufgabe des Spiels. So wie man Schach nicht durch „ein Ausstoßen von Schreien und Stampfen mit den Füßen“ zu spielen vermag,139 könne man auch grundlegende Rechtsnormen nicht abbedingen. Sie seien einzuhalten, weil anderenfalls die durch sie begründete Praxis entfiele. Diese Erklärung hat zunächst etwas Verlockendes. Statt sich einer mühseligen Analyse und Abwägung der betroffenen Interessen zu unterziehen, erscheinen einige Normen ihrer Natur nach als zwingend. Erforderlich wäre dafür allein die Feststellung ihres grundlegenden Charakters. Indes ist bereits die Frage, was für ein Rechtsgebiet oder gar für das gesamte Recht konstitutiv ist, schwer zu beantworten. In einem weiten Sinn kommt allen für ein Rechtsgebiet zentralen Normen eine konstitutive Bedeutung zu. Ihre Aufgabe führt im Falle eines bestimmten Vertragstyps aber nur dazu, dass man es mit einem anderen Vertrag oder – nach der Metapher – einem anderen Spiel zu tun hat. So kann man beispielsweise im Kaufvertrag nicht im Voraus auf die Pflicht zur Bezahlung verzichten. Dadurch verlöre er seinen Charakter als

135   So Buckley, 19 Hofstra Law Review 33, 61 (1990), anders aber aaO., 65; für konstitutive Normen im Gesellschaftsrecht Binder, Regulierungsinstrumente, S.  4 48. 136   Etwa Casper, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd.  II, S.  562 f., Rn.  20. 137   Zum konstitutiven Verständnis des Vertragsrechts siehe Flume, FS DJT, S.  135, 136 f.; Kennedy, 41 Maryland Law Review 563, 569 (1982); sowie oben 4.A.1.d), Fn.  39–40. 138   Das klingt etwa in BVerfG, NZA 2005, 153, 154 an, wonach „zwingende Regelungen des Arbeitsrechts .  .  . erst den Rahmen [schaffen], in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art.  12 I GG unter angemessenen Bedingungen verwirklichen können.“; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  25: „ihrem Wesen nach notwendig zwingend“; ähnlich Unberath, Die Vertragsverletzung, S.  311, der annimmt, aus der Natur des Vertrages ergäben sich a priori bestimmte Regeln, die nicht der Disposition der Parteien unterlägen. 139   Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr.  200, S.  344 f.; zur Übertragung auf das Recht Hart, The Concept of Law, pp.  122, 234, 249; Marmor, Law in the Age of Pluralism, pp.  153, 166; zur Parallele für den Vertrag Fried, Contract as Promise, pp.  12; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  27: „Vertragsspiel ‚Kontrahieren‘“, 34.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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Kaufvertrag. An der Abdingbarkeit der Zahlungspflicht indes ändert das nichts.140 Man hätte es schlicht mit einer Schenkung zu tun, §  516 BGB.141 An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Frage nach dem konstitutiven Charakter einer Norm nicht notwendig mit der Frage nach ihrer Abdingbarkeit verknüpft ist. Denn aus den für ein Institut notwendigen Normen folgt nicht unmittelbar, was mit dem gesamten Recht vereinbar ist. Die Abbedingung führt lediglich dazu, dass die Normen eines anderen Instituts maßgeblich werden. Unverzichtbar wird die Norm dadurch nicht. Die für ein Institut grundlegenden Normen lassen sich nur im übertragenen Sinne als zwingend bezeichnen.142 Das sind sie allenfalls in dem Sinne, dass die Parteien von ihnen nicht abweichen können, wenn sie einen bestimmten Vertragstyp vereinbaren wollen. Der zwingende Status einer Norm folgt auch nicht aus der Natur des Vertrages, wie immer man sie näher charakterisieren will. Das wird zwar vielfach behauptet,143 ist jedoch nicht begründbar. Haben die Parteien mit den essentialia den Vertragstyp bestimmt, mögen daraus weitere Pflichten (naturalia) folgen.144 Das besagt aber nicht, dass diese einen zwingenden Charakter hätten. Was sich zwingend aus einem Vertragstyp ergibt, muss nicht seinerseits zwingend sein. Zu entscheiden sind dafür zwei vollkommen getrennte Fragen. Im einen Fall geht es um das, was man aus vorhandenen Normen ableiten kann, im   Fröhlich, Vom zwingenden und nichtzwingenden Privatrecht, S.  93 unterscheidet daher die zwingenden Normen als „General-essentialia“ von den essentialia negotii, die den Vertragstyp bestimmen. Siehe als weiteres Beispiel, dass eine Abbedingung zu einem neuen Vertragstyp führt, BGH, NJW 2005, 53, 54, wonach der bei einer Versteigerung einer Sache erforderliche Zuschlag nach §  156 S.  1 BGB zwar ausschließbar ist, es sich dann aber um einen Kauf handelt. 141   Das gilt unabhängig von der Bezeichnung, BGH, NJW 1987, 2808; 1999, 486, 487; Larenz, Methodenlehre, S.  347; MünchKommBGB5-Roth, §  652 Rn.  41; MünchKommAktG3Altmeppen, §  291 Rn.  4 4; einschränkend Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  209 f. 142   So etwa BGH, WM 1966, 122, 124 für die Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit; Hölder, KritVZ 1900, 477, 486; MünchKommBGB5-Berger, §  488 Rn.  43; Palandt70 -Weidenkaff, §  488 Rn.  1 für die Rückzahlungspflicht beim Darlehen; BeckOKBGB20 -Gehrlein, §  421 Rn.  3 zur Unabdingbarkeit der einmaligen Forderungsberechtigung bei der Gesamtschuld. 143   BGH, NJW 1964, 1123 (= BGHZ 41, 151, 154); 1970, 1596, 1598; 1998, 383 (= BGHZ 137, 27, 30); Raiser, Das Recht der AGB, S.  293; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  222; kritisch Weick, NJW 1978, 11, 13. 144   Windscheid/Kipp, Lehrbuch der Pandekten, Bd.  1, S.  4 49; Hölder, KritVZ 1900, 477, 485 f.; kritisch dazu Flume, FS DJT, S.  135, 161; ferner ders., AT, Bd.  2, S.  8 0 f., 611; Enneccerus/Nipperdey, AT, §  189, S.  1151; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  201, 239 trotz seiner Kritik an der Vertragstypenlehre, aaO., S.  314. Dem liegt die aristotelische Unterscheidung zwischen essentialia (Wesen), naturalia (Eigentümlichkeit) und accidentalia (zufälligen Eigenschaften) zugrunde, Aristoteles, Topik, I, 5, 102 a u. b; Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  11, S.  7; Coing, SZ 1952, 24, 32; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  296. Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  477 schreibt sie dem Mittelalter (Baldus) zu. 140

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

anderen Fall um die Frage, woran sich die Parteien halten müssen. Die für die Antworten auf beide Fragen maßgeblichen Gründe unterscheiden sich fundamental. Entgegen einer traditionellen145 und heute noch bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen verbreiteten Vorstellung folgt aus der Wichtigkeit einer Norm für einen Vertragstyp daher nicht, dass sie zwingender Art sein müsse. So mag man aus den primären Normen des Kaufvertrages folgern, dass sie durch Gewährleistungsnormen ergänzt werden, soll die Absprache der Parteien nicht ihren wirtschaftlichen Sinn verlieren. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Gewährleistung im Einzelfall unabdingbar ist. Was für einen Vertragstyp notwendig ist, kann im Einzelfall gleichwohl verzichtbar sein. Dass auch Grundsätze abdingbar sind, ist ein Ausfluss der Vertragsfreiheit.146 Diese beschränkt sich nicht auf Detailregelungen, sondern umfasst gerade auch die Fundamente des Vertrages. Man würde den Charakter der Vertragsfreiheit verkennen, wenn man sie für das schmückende Beiwerk eines Vertrages reservierte, die Grundsätze aber per Gesetz festlegen wollte. Schließlich beruhen sie auf ihr. Auch das lässt sich am vielfach herangezogenen Beispiel des Schachspiels illustrieren. Wer Schach durch „ein Ausstoß von Schreien und ein Stampfen mit den Füßen“ spielt,147 ändert es so grundlegend, dass es kaum noch als Schach erscheint. Daraus folgt indes nicht, dass er dies nicht dürfte, ihm also das Schreien und Aufstampfen mit den Füßen untersagt wäre. Es mag dafür keine guten Gründe geben. Das zu beurteilen liegt aber in der Macht des Einzelnen. Ohne seinen Entschluss zum Spiel käme dieses nicht zustande. Es bedarf einer Rechtfertigung, um aus dem konstitutiven Charakter einer Norm ihre Unabdingbarkeit abzuleiten. Zwischen beiden gibt es keinen notwendigen Zusammenhang. Folgt ein zwingender Status aber daraus, dass eine Norm für ein Rechtsgebiet und nicht nur ein Rechtsinstitut grundlegend ist? Sie als konstitutiv zu bezeichnen, wäre dann ein ins Prinzipielle gewendeter Ausdruck dafür, dass sie eine zentrale Stellung einnimmt und fundamentale Interessen schützt. So sieht das Bundesverfassungsgericht etwa das rechtliche Gehör nicht nur als „prozessuales Urrecht des Menschen“ an, sondern als „ein objektiv-rechtliches Verfahrensprinzip, das für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar“ ist.148 Die Unabdingbarkeit wäre 145   Dazu Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, S.  15; Dreier, Zum Begriff der „Natur der Sache“, S.  83 ff.; Larenz, Methodenlehre, S.  417 ff.; Canaris, Die Feststellung der Lücken im Gesetz, S.  118 ff.; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.  75 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, S.  102; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  24. 146   Etwa BGH, NJW 1991, 2414: „Das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip kann allerdings abbedungen werden“. 147   Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr.  200, S.  344 f., oben Fn.  139. 148   BVerfG, NJW 1980, 2698; 2006, 3129, 3131; Maunz/Dürig53-Schmid-Aßmann, Art.  193 Rn.  191.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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danach mit dem konstitutiven Charakter des rechtlichen Gehörs verbunden und dieser folgte daraus, dass es ein allgemeines Prinzip für gerichtliche Verfahren ist. Demnach wäre nicht nur der Gesetzgeber in der Ausgestaltung der Verfahrensordnungen an ein unhintergehbares Minimum gebunden,149 sondern auch die Parteien könnten den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht abbedingen.150 Der Begriff „konstitutiv“ beinhaltet in diesem Zusammenhang allerdings nicht mehr als die Aussage, dass dem rechtlichen Gehör eine zentrale Bedeutung zukommt und Gerichtsverfahren einen anderen Charakter annähmen, wenn es nicht bestünde. Jedoch ist dabei streng zwischen der Abschaffung des rechtlichen Gehörs als Vorgabe der Rechtsordnung und einem individuellen Verzicht auf es zu unterscheiden. Denn während die gesetzliche Abschaffung des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Verfahren grundlegend änderte, würde dies ein punktueller Verzicht durch die Parteien keineswegs. So ist etwa vorstellbar, dass diese kurze Fristen zur Stellungnahme vereinbaren und damit die ihnen aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör sonst gewährte Zeit verkürzen. Das ändert weder den Charakter des Verfahrens noch schadet es den Parteien über Gebühr. Sie können auf diese Weise womöglich ihre Interessen sogar besser umsetzen. Zwischen der grundlegenden Bedeutung einer Norm und ihrem abdingbaren oder zwingenden Charakter gibt es daher keinen notwendigen Zusammenhang. So ist selbst auf Grundrechte ein Verzicht möglich,151 auch wenn keiner an ihrem fundamentalen Status zweifelt. Gleiches gilt für die Generalklauseln, deren grundlegende152 Bedeutung ebenfalls außer Frage steht. Ihre vollständige Abbedingung würde zwar der Willkür Tor und Tür öffnen und hätte aufgrund ihrer Reichweite unüberschaubare Auswirkungen. Aus diesem Grund wäre sie unzulässig.153 Das aber verhindert nicht die Abbedingung einzelner ihrer Konkretisierungen.154 Sie lassen die   BVerfG, NJW 1980, 2698; 1992, 2811; 1995, 45, 46.   Für das Schiedsverfahren siehe §  1042 Abs.  1 S.  2, Abs.  3 ZPO; BGH, NJW 1976, 109, 110 (= BGHZ 65, 59, 63), der Modifikationen allerdings nicht ausschließt; MünchKomm­ ZPO3-Rimmelspacher, §  1042 Rn.  6 , 26; für das Verfahren vor den staatlichen Gerichten Musielak, ZPO8, Einleitung Rn.  29; a. A. Wagner, Prozessverträge, S.  95. 151   Das gilt zumindest für die einzelnen Ausprägungen der Grundrechte, selbst wenn diese als Ganzes nicht verzichtbar sind, so etwa Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  III/2, §  86, S.  928; kritisch Sturm, FS Geiger, S.  174, 185; weitere Nachweise oben 1.A.4, Fn.  273. 152   BVerfG, NJW 1958, 257 (= BVerfGE 7, 198, 205); weitere Nachweise oben 4.A.2.b), Fn.  105. 153   BGH, NJW 1987, 2808; 2009, 1962, 1963; Larenz, Schuldrecht, AT, S.  128; BeckOKBGB20 -Sutschet, §  242 Rn.  38; einschränkend MünchKommBGB5-Roth, §  242 Rn.  76; Staudinger2005-Looschelders, §  242 Rn.  107 ff.; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  129; Zenner, NJW 2009, 1030, 1033. 154   Vgl. BGH, NZBau 2005, 46, 47: „Die Parteien sind nicht gehindert, einzelne Kriterien für einen sich aus §  242 BGB ohnehin ergebenden gesetzlichen Preisanpassungsanspruch im Vertrag zu umschreiben und damit einen vertraglichen Anspruch zu begründen.“; Münch149

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Geltung des Grundsatzes unberührt. Lediglich im Randbereich erfolgen dann Modifikationen. Die Zulässigkeit einer teilweisen Abbedingung von Generalklauseln zeigt sich auch an Normen, die wie §  253 BGB als Konkretisierung von Treu und Glauben verstanden werden.155 Das hindert niemanden daran, sie als abdingbar zu behandeln. Ausgeschlossen wäre das jedoch, wenn man die Generalklauseln in allen ihren Ausprägungen für zwingend hielte. Für die Modifikation der Generalklauseln kann ein erhebliches Bedürfnis bestehen. Sie sind in hohem Maße konkretisierungsbedürftig und in ihren Konsequenzen deshalb ebenso umstritten wie schwer überschaubar. Bereits der Rechtssicherheit wegen müssen die Parteien daher zumindest im Randbereich die Möglichkeit zu einer vertraglichen Festlegung haben. Sie verdient als Akt der Selbstbestimmung grundsätzlich Anerkennung und beseitigt die Unklarheit, die das Gesetz den Parteien auferlegt. Je abstrakter eine Norm ist, desto eher sind deshalb ihre Konkretisierungen und Modifikationen durch die Parteien zu respektieren. Diese Rücksicht auf die Entscheidungen der Parteien erfolgt bei der Auslegung von Generalklauseln auf zweierlei Weise. Zum einen kann man bei der Konkretisierung von Begriffen wie Treu und Glauben berücksichtigen, wozu sich die Parteien entschlossen haben. Eine Klausel wird dann beispielsweise nicht als sittenwidrig angesehen, weil sie nach ausführlicher Belehrung vereinbart wurde. In diesem Fall ist die Abbedingung der Generalklausel entbehrlich, weil bereits in ihrer Konkretisierung die Autonomie der Einzelnen Berücksichtigung findet. Zum anderen ist es denkbar, dass dem generell zwingenden Charakter einer Norm zum Trotz die aus ihr abgeleitete konkrete Norm als abdingbar behandelt wird. So mag man bei Darlehen eine Übersicherung, die 150% des Werts der zugrunde liegenden Forderung übersteigt, im Allgemeinen als sittenwidrig ansehen.156 Jedoch ist vorstellbar, dass man in einem besonders sicherheitssensiblen Bereich eine Abbedingung dieser Konkretisierung zulässt, etwa wenn nur so ein bestimmtes Rating erreichbar ist und die Parteien bewusst auf den sonst bestehenden Schutz verzichten. Dass grundsätzliche und konkretisierungsbedürftige Normen einer vertraglichen Anpassung unterliegen, zeigt sich besonders deutlich an den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, §  313 BGB. Gebieten sie die Änderung des vereinbarten Preises, sind die Parteien frei, die dafür maßgeblichen Kriterien KommBGB5-Roth, §  242 Rn.  76; Staudinger2005-Looschelders, §  242 Rn.  109; Palandt70 -Grüneberg, §  242 Rn.  6 ; Zenner, NJW 2009, 1030, 1033; Hesselink, 1 ERCL 44, 66 (2005); andererseits Staudinger2002-Magnus, Art.  34 EGBGB Rn.  16. 155   So etwa von §  254 BGB, dazu oben 2.C.2.c), Fn.  246; ebenso §  273 BGB, der als Konkretisierung von §  242 BGB begriffen wird und abdingbar ist, Erman12-Ebert, §  273 Rn.  1, 20; Staudinger2009-Bittner, §  273 Rn.  8 , 75; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  273 Rn.  1, 26. 156   BGH, NJW 1994, 1796, 1798; NJW-RR 2010, 1529, 1530; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  138 Rn.  73; Erman12-Palm, §  138 Rn.  160 f.; Palandt70 -Ellenberger, §  138 Rn.  97.

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festzulegen.157 Ihnen steht dafür ein Beurteilungsspielraum zu.158 Dieser setzt voraus, dass es ihnen in begrenztem Umfang möglich ist, von der sonst geltenden Vorgabe abzuweichen. Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sind daher zumindest insoweit abdingbar. Gleichwohl stellen sie eine Konkretisierung von Treu und Glauben dar. Selbst die Vertragsfreiheit als wichtigster Grundsatz des Privatrechts zeigt, dass die grundlegende Bedeutung einer Norm keinen Rückschluss auf ihre Abdingbarkeit erlaubt. Zwar ist sie zumindest im Kern zwingend.159 Jedoch ergibt sich dies nicht aus ihrem das Privatrecht konstituierenden Charakter,160 sondern daraus, dass man den Einzelnen vor einer derart weitgehenden Disposition schützen will. Seine späteren Entscheidungen sind nicht weniger wichtig als seine früheren. Er kann sich der Teilnahme an vertraglichen Beziehungen nicht von vornherein entziehen. Das aber schließt geringere Einschränkungen der Vertragsfreiheit nicht aus. Exklusivitätsvereinbarungen bleiben ebenso möglich wie langfristige Bindungen. Selbst Regeln über den Vertragsschluss und die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts in den §§  104 ff., 145 ff. BGB sind abdingbar. Sie sind zwar fundamental, weil ohne sie nicht feststünde, wann man es mit einem Vertrag zu tun hat. Ihnen mag sogar eine wesentliche Ordnungsfunktion zukommen, dank derer bestimmte Märkte erst entstehen. Indes folgt daraus nicht die Unabdingbarkeit dieser Regeln.161 Es ist nicht „logisch unmöglich“162 , ihnen so wie den übrigen Regeln des Vertragsrechts einen abdingbaren Status zuzusprechen. Denn ihre grundlegende Bedeutung beruht darauf, dass das Recht mit ihnen überhaupt Normen zur Frage vorgibt, wann und wie ein Rechtsgeschäft zustande kommt. Wesentlich ist dafür, dass sie diese Frage regeln, nicht aber, wie das geschieht. Entsprechend stellt eine Abbedingung dieser Normen ihre Rolle nicht in Frage. Die Norm verliert durch sie nicht ihre Geltung. Ihre Vorgabe bleibt bestehen. Sie wird in einem bestimmten Sachverhalt lediglich durch eine andere überlagert. So lassen sich etwa per Rahmenvertrag erhöhte Anforderungen an eine

  BGH, NZBau 2005, 46, 47; MünchKommBGB5-Roth, §  313 Rn.  28 ff., 112.   BGH, aaO. 159   Flume, AT, S.  17; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.  251. 160   Zur umgekehrten These, dass erst das Privatrecht die Vertragsfreiheit ermögliche, oben 4.A.1.d), Fn.  39. 161   Bucher, FS Deschenaux, S.  249, 250; Burckhardt, Methode und System des Rechts, S.  185; Larenz/Wolf, AT, §  3 Rn.  98, 102, S.  68 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  305; Wagner, Prozessverträge, S.  55; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  50; Ulrici, JuS 2005, 1073, 1074; Boemke/Ulrici, AT, S.  192; Brehm, AT, S.  56, Rn.  50. Ähnlich für die USA Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 750 (1999); E. Posner, 33 Florida State University Law Review 563, 576 (2006), einschränkend Möslein, Dispositives Recht, S.  27 f. Anders demgegenüber Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  77; Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1035 ff. 162   Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  24 ff.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  25. 157

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Willenserklärung stellen oder ihre Anfechtbarkeit ausschließen.163 Weder im jeweiligen Sachverhalt noch in anderen Fällen ist damit der Vertragsschluss gefährdet. Dass die Abbedingung vielfach erst für die Zukunft wirkt, steht dem nicht entgegen.164 Denn darin unterscheiden sich derartige Normen über den Vertragsschluss erstens nicht von anderen abdingbaren Normen, die ihre Anwendbarkeit stets erst nach dem Abbedingungsakt verlieren.165 Zweitens ändert diese Zukunftswirkung nichts daran, dass diese Normen ihre Geltung behalten und ihre Anwendbarkeit einbüßen, womit alle Anforderungen an den Begriff der Abdingbarkeit erfüllt sind.166 Daher sind auch Normen über die Geschäftsfähigkeit und das Zustandekommen von Verträgen einer Disposition nicht prinzipiell entzogen.167 Ebenso sind die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts nicht in jedem Fall unabdingbar.168 Sie lassen sich zwar nicht beliebig festsetzen.169 Jegliche Absprache zweier Personen ist Ausdruck ihrer Freiheit und im Grundsatz anerkennenswert. Jedoch schließt das im Einzelfall eine Disposition nicht aus. Dies gilt für die Regeln zur Entstehung von Verträgen umso mehr, als sie von empirisch variablen Faktoren wie dem Ablauf von Vertragsverhandlungen abhängen. Will man sich neuen Erkenntnissen über sie nicht verschließen, wie sie etwa die Organisationssoziologie hervorbringt, darf man das Vertragsrecht   Zur Abdingbarkeit der Anfechtungsregeln siehe §  5 Abs.  4 VVG (e contrario); Werp, Die Grenzen der Abdingbarkeit, S.  217; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  85, zu ihren Grenzen oben 5.A.1, Fn.  38. Zur Modifikation der Regeln über den Vertragsschluss BGH, NJW 1990, 1784, 1785 (= BGHZ 109, 359, 361); 2001, 303 (= BGHZ 145, 139, 142) (Veränderung der Angebotsbindung); Bachmann, JZ 2008, 11; Verfasser, JbJ.ZivR.Wiss. 2002, 181, 187. Zudem lässt sich die Einschränkung der Anfechtbarkeit auch innerhalb eines Vertrages vereinbaren, da sie nicht dasselbe rechtliche Schicksal wie er teilen muss, Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  88. 164   So Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S.  26, der dies zudem damit begründet, bei ihnen fehle eine „subsidäre Auffangregel i. S. einer Verhaltensregel“. Warum abdingbares Recht lediglich Verhaltensregeln umfassen solle, ist aber ebenso wenig einsichtig, wie die Behauptung, diese fehlten bei „strukturellen Normen, die den Vertragsmechanismus konstituieren“. Zudem kann man die Wirkung einer Vereinbarung auch auf die Vergangenheit erstrecken und damit nicht nur „für die Zukunft“ abbedingen. 165   Erhielten sie die Anwendbarkeit erst mit dem (Ab)bedingungsakt, handelte es sich um bedingbare Normen, oben 1.B.4. 166   Oben 1.A.2. 167   Schwartz, 3 Southern California Interdisciplinary Law Journal 389, 391 (1994) spricht daher von „structural defaults“. 168   Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  305 sowie Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  105. 169   Zur Diskussion Larenz/Wolf, AT §  4 Rn.  5, S.  101: naturrechtliche Grundlage der Rechtsfähigkeit; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  33; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S.  83, 85. Zur These der Angewiesenheit des Vertrages auf das Recht Flume, FS DJT, S.  135, 159 ff. sowie oben 4.A.1.d), Fn.  39. 163

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vor Veränderungen nicht abschotten. Es kann durch die Experimente mit neuen Vertragsformen nur profitieren.170 Diese Fälle zeigen, dass die Unabdingbarkeit einer Norm nicht aus ihrer grundlegenden Bedeutung folgt, auch wenn sie mit ihr vielfach Hand in Hand geht. Denn zwar mag der Begriff der Unabdingbarkeit zur rhetorischen Verstärkung des grundlegenden Charakters einer Norm verwendet werden.171 Jedoch sind beide Eigenschaften nicht notwendig miteinander verbunden. Die Gründe, aus denen eine Norm einen grundlegenden Charakter trägt, verlangen nicht unbedingt ihren zwingenden Status. Wie das dritte Kapitel zeigte, entfalten abdingbare Normen eine weit reichende Wirkung. Umgekehrt regeln zwingende Normen auch unwesentliche Fragen. Während der Einzelne etwa in Körperverletzungen einwilligen kann, §§  823 BGB, 228 StGB, darf er auf das Recht zum Widerruf der über Internet erworbenen Waren nicht verzichten, §§  312d, 355 BGB.172 Die Möglichkeit zur Rückgabe einer darüber bestellten Creme wird stärker geschützt als die Haut, deren Pflege sie dient. Womit auch immer man diesen Unterschied erklären mag, ist es jedenfalls nicht der grundlegende Charakter der maßgeblichen Normen. Gleichwohl ist selbst bei der Beurteilung von Individualverträgen der Fehlschluss von der grundlegenden Bedeutung einer Norm auf ihren zwingenden Status weit verbreitet.173 Zum Teil spiegeln sich dabei Reste einer Begriffsjurisprudenz wider, deren Ableitungen aus dem Begriff oder der Eigenart eines Instituts dazu führten, bestimmte Normen als denknotwendig anzusehen. Der für das Vertragsrecht überwundene Typenzwang174 kehrt dann als immanente Schranke des Rechtsgeschäfts175 oder als „Natur des Rechtsorganismus selbst“ wieder, wie von Savigny formulierte176 . Das Verbot bestimmter Absprachen   Oben 3.C.1.d).   Etwa Endemann, BR, Bd.  1, S.  42; siehe auch oben 1.A.4. 172   Zur Einwilligung in Körperverletzungen §§  823 Abs.  1 BGB, 228 StGB; Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  108 ff.; zur Unabdingbarkeit von §  355 BGB zulasten des Verbrauchers MünchKommBGB5-Masuch, §  355 Rn.  4 ; Staudinger2004-Kaiser, §  355 Rn.  65; Palandt70 -Grüneberg, §  355 Rn.  2. 173   Etwa BGH, NJW 1981, 2565 (= BGHZ 81, 263, 266) zu Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts; 1989, 1477 (= BGHZ 106, 336, 339) für den Rechtsschutz; Sack, WRP 1985, 1, 2; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  226. 174   Zur Entwicklung Behrends, in: Dilcher/Staff, Christentum und modernes Recht, S.  281; Emmert, Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten, S.  115; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  50 ff.; bereits Corpus Iuris Civilis, D.2.14.7.2, Ulpian (libro quarto ad edictum): „Aber auch wenn ein Geschäft nicht unter einen besonderen Vertragsbegriff fällt, jedoch eine zweckbestimmte Leistung vorliegt, sei .  .  . ein Schuldverhältnis gegeben.“ (Übersetzung Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler); ferner Weber, Rechtssoziologie, S.  123. Anders der früher dem römischen Recht unterstellte Typenzwang, etwa Laband, AcP 73 (1888), 161. 175   Flume, Rechtsgeschäft, S.  2 f., 12 f.; ders., FS DJT, S.  135, 197 f.; zur Kritik Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, S.  38 ff., 71 ff. 176   von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  57. 170 171

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wird nicht ausdrücklich ausgesprochen und legitimiert, sondern soll sich scheinbar aus den „logischen“ Voraussetzungen für sie ergeben.177 Die dafür letztlich tragenden Gründe aber bleiben offen und mit ihnen die Rechtfertigung des zwingenden Status der Norm. Zum Fehlschluss von der Grundsätzlichkeit einer Norm auf ihre Unabdingbarkeit trägt ferner die positivistische Vorstellung bei, man dürfe grundlegende Entscheidungen des Gesetzgebers nicht revidieren. Das trifft in dieser Allgemeinheit indes schon deshalb nicht auf die Abbedingung einer Norm zu, als auch die damit in Anspruch genommene Vertragsfreiheit von fundamentaler Bedeutung ist. So können die Ehegatten etwa durch Unterhaltsvereinbarung das zwischen ihnen geltende Gebot der Solidarität einschränken, auch wenn es von grundsätzlicher Bedeutung178 ist. Diese geht nicht durch jede Abbedingung verloren. Bereits die Vorgabe einer Norm prägt die Vertragsverhandlungen, so dass sie mit ihrer Abdingbarkeit nicht notwendigerweise ihre Bedeutung verliert. Vor allem aber vereitelt nicht jede Abbedingung die hinter einer Norm stehenden Ziele. Die Parteien können sich etwa damit begnügen, den Grundsatz nur teilweise abzubedingen oder durch einen ähnlichen zu ersetzen. Es kommt darauf an, welche Vereinbarung an seine Stelle tritt. Die Gründe, die einer Norm einen grundlegenden Charakter verleihen, sind nicht unbedingt mit denjenigen Gründen identisch, die für ihren zwingenden Status sprechen. Denn sie beantworten die Frage, in welchem Verhältnis die vom Gesetzgeber bereits geschaffenen Normen zueinander stehen, nicht jedoch die Frage, was für die Parteien und die erst noch zu treffenden Absprachen fundamental ist. Beide Verhältnisse sind strikt voneinander zu unterscheiden. Eine weitere Ursache für den beschriebenen Fehlschluss ist das Unbehagen an der Abbedingung einer Norm, die sich in einem langen geschichtlichen Prozess herauskristallisiert hat.179 Das erweckt mitunter den Eindruck, dass sich die Einzelnen dieser Erkenntnis nicht entziehen und ihre eigene Privatrechtsordnung schaffen dürften. In dieser Perspektive geht jedoch der Bezug zu den eine Norm tragenden Gründen verloren. Erst sie aber erlauben das Urteil, inwieweit die von einer zwingenden Norm ausgehende Beeinträchtigung der Einzelnen gerechtfertigt ist. Diese mögen in ihrem Vertragsschluss vielfach darauf angewiesen sein, dass ihnen die Rechtsordnung die vertragsrechtlichen Normen bereitstellt, die sie selbst kaum schaffen könnten.180 Jedoch ist das, worauf   Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.  431 f. vermutet generell, dass das rationalisierte Recht die missbilligten Rechtsfolgen nicht verbiete, sondern für mit seinen Tatbeständen „logisch unvereinbar“ erkläre. 178   Zu den Grenzen BGH, NJW 2009, 2124, 2135; weitere Nachweise oben 3.C.1.a), Fn.  292. 179   Oben 2.B.1.c). 180   Oben 4.A.1.d). 177

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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die Einzelnen angewiesen sind, nicht dasselbe wie das, worauf man sie selbst verpflichten darf. Aus dem Umstand etwa, dass es einer Festsetzung von Fristen bedarf, folgt nicht, dass eine bestimmte Fristberechnung erforderlich ist. Die Notwendigkeit bestimmter Normen besagt daher nicht, dass diese selbst zwingend sein müssen. Bei ihrer Charakterisierung als notwendig geht es um ihre Bedeutung für das Rechtssystem; bei ihrer Charakterisierung als zwingend um das Verhältnis zu den Parteien. Dass ein Mindestbestand an Normen für das Funktionieren des Vertragsrechts erforderlich ist, erfordert somit nicht, dass die Parteien ihn nicht abbedingen dürften. Sie kann man folglich nicht darauf verweisen, dass erst ein Mindestbestand an Normen zu einer „wohlgeordneten Freiheit“ führt, welche es ihnen zu allererst ermögliche, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. Denn zum Teil genügt bereits deren abdingbare Vorgabe, um eine derartige Ordnung zu errichten. Bereits sie zwingt die Parteien dazu, bestimmte Fragen zu thematisieren, wenn sie von der abdingbaren Vorgabe abweichen wollen. All das zeigt einmal mehr, dass sich die Abdingbarkeit einer Norm nicht festlegen lässt, ohne die Reichweite und den Hintergrund des jeweiligen Abbedingungsakts zu analysieren. Es genügt nicht, die grundlegende Bedeutung der abbedungenen Norm zu betrachten. Vielmehr bedarf es zusätzlich einer Ana­ lyse der stattdessen vereinbarten Norm und der sie tragenden Gründe. Der vollständige und alternativlose Verzicht ist nur eine Extremform der Abbedingung.181 Vor allem aber sind die Folgen einer Abbedingung in den Blick zu nehmen. Sie sind möglicherweise weniger dramatisch, als dies die grundlegende Bedeutung der abbedungenen Norm suggeriert. c)  Sanktion unredlichen Verhaltens? Zur Rechtfertigung zwingender Normen wird bisweilen angeführt, es gelte unredliches Verhalten zu sanktionieren. So solle die zwingende Haftung für vorsätzliche Schädigungen nach §  276 Abs.  3 BGB eine Entlastung des Schädigers verhindern.182 Nicht der Schutz des Geschädigten stände im Vordergrund, sondern die Sanktion unredlichen Verhaltens. In ähnlicher Weise wird bisweilen argumentiert, dass es bei der Abgrenzung zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Gehalt der Anfechtungsregeln der §§  119 ff. BGB darauf ankäme, ob der Vertragspartner den entstandenen Irrtum zu verantworten hat.183 Wenn dies der Fall ist, so sei die Anordnung der Anfechtbarkeit zwingend, anderenfalls aber abdingbar. Dahinter steht ebenfalls die Vorstellung, dass zwingendes Recht die Sanktion von Fehlern bezwecke. Die Abwehr unredlichen Verhaltens wird zum Teil auch für die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen   Oben 1.F.   Dazu Verfasser, JZ 2007, 18 ff. 183   Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  145 ff. 181

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angeführt, wenn es heißt, dass sie den Missbrauch privatautonomer Gestaltungsfreiheit zu verhindern sucht.184 In aller Regel geht mit der Sanktion unredlichen Verhaltens auch ein Schutz einer Vertragspartei einher, so dass es keiner gesonderten Untersuchung bedarf, ob diese Sanktion für sich genommen legitim ist. Wenn eine Norm aber ausnahmsweise nicht beide Ziele verfolgt und allein eine Bestrafung des unredlich Handelnden intendiert, stellt sich die Frage, ob das Vertragsrecht eine derartige Sanktion ausüben sollte. Das ist kaum plausibel. Stets muss es letztlich um den Schutz einzelner Personen gehen, auch wenn dies mittelbar durch die Präven­ tion unredlichen Verhaltens geschieht185 . Fehlte ein Schutzbedürfnis der durch eine unredliche Handlung Betroffenen, setzte das Privatrecht eine Bestrafung um ihrer selbst willen durch. Das verstieße gegen das Schädigungsprinzip (harm principle), wonach die Freiheit des Einzelnen nur beschränkt werden darf, um Schaden von einem anderen abzuwenden.186 Überdies wären für ein Sanktionsbedürfnis zahlreiche Faktoren zu untersuchen wie die Absicht der Parteien und ihr Verhalten in Parallelfällen, die dem Zivilrichter aufgrund der Dispositionsmaxime in aller Regel verborgen bleiben. Selbst die ausnahmsweise Zulässigkeit eines paternalistischen Schutzes des Einzelnen vor sich selbst187 vermag daran nichts ändern. Denn auch danach sind Abwehr und Sanktion unredlicher Handlungen kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel, um den Einzelnen vor sich selbst zu schützen. Deutlich wird diese Beschränkung etwa an der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln.188 Sie bezweckt nicht die Sanktion derer, die sich einer überlegenen Gestaltungsmacht bedienen. Vielmehr soll sie den Verbraucher schützen sowie den Binnenmarkt fördern.189 Ebenso nimmt der BGH eine Unwirksamkeit von AGB erst an, wenn der Verwender eigene Interessen missbräuchlich auf Kosten seines Vertragspartners durchsetzt.190 Stets steht in diesen Fällen hinter der Sanktion unredlichen Verhaltens der Schutz der Geschädigten. Hingegen genügt das Sanktionsbedürfnis allein nicht, um den zwingenden Status einer Norm zu begründen.

  BT-Drucks 7/3919, S.  9 ; BGH, NJW 1976, 2345, 2346; Staudinger2006 -Coester, §  307 Nr.  2. 185   Vgl. Canaris, FS Steindorf, S.  519, 570 ff. 186   Mill, On Liberty and Other Essays, p.  14; weitere Nachweise oben 4.B.2.b), Fn.  216. 187   Kronman, 92 Yale Law Journal 763, 765 (1983); Feinberg, Harm to Self, pp.  21; von der Pfordten, Normative Ethik, S.  310 ff.; sowie oben 4.A.1.b), 4.B.2.a). 188   Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993. 189   AaO., Erwägungen 1, 6. 190   BGH, NJW 1984, 1531, 1532 (= BGHZ 90, 280, 284); 1993, 326, 329 (= BGHZ 120, 108, 118); 1993, 1133, 1134; 2000, 1110, 1112 (= BGHZ 143, 103, 113); 2001, 2331 (= BGHZ 147, 279, 282); NJW-RR 2008, 818; BeckOK-BGB20 -Schmidt, §  307 Rn.  27; MünchKommBGB5-Kieninger, §  307 Rn.  48. 184

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Bei der Abgrenzung zwischen abdingbarem und zwingendem Recht darf die Sanktion unredlichen Verhaltens daher nur insoweit eine Rolle spielen, als sie dem Schutz bestimmter Personen dient.191 Dafür ist nachzuweisen, dass zwingende Normen erforderlich sind, um diesen Schutz zu verwirklichen. Privatrechtliche Normen sind hingegen weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, Fehlverhalten zu sanktionieren, auch wenn ihre Sanktionen bisweilen diesen Effekt haben mögen. Allein die Strafe für persönliches Fehlverhalten ist nicht ihr Ziel. Anderenfalls müsste man bei ihnen wie bei der Strafzumessung der §§  46 ff. StGB die Motive und die Umstände des individuellen Handelns umfassend erforschen sowie bewerten. Das ist bei der Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm im Rahmen eines Zivilprozesses bereits aufgrund der Verhandlungsmaxime192 kaum möglich. Die zu bestrafende Partei wird die ein Sanktionsbedürfnis belegenden Tatsachen nicht vortragen, während ihrem Verhandlungspartner dazu der Einblick fehlt. Überdies wäre das Sanktionsbedürfnis zu abhängig von den individuellen Umständen, als dass sich dafür abstrakt-generelle Regeln auf sinnvolle Art und Weise entwickeln ließen. Es wäre zu unsicher, ob die von zwingendem Recht angeordnete Nichtigkeitssanktion dieses Bedürfnis stillt. Die fehlende mate­ riellrechtliche Wirksamkeit einer Norm vermag ihre prozessuale Durchsetzung nicht zu sichern. Prinzipiell ausgeschlossen ist eine vom Vertragsrecht ausgehende Sanktion aber nicht. Denn das Recht kann auf eine Vielfalt von Sank­ tionsmechanismen setzen und muss dies nicht allein dem Strafrecht überlassen. Es hat etwa die Möglichkeit, durch zwingende Bestimmungen Handlungen zu untersagen, die zumindest typischerweise unredlich sind. Jedoch müssen diese nachgewiesenermaßen die Einzelnen schädigen und die jeweilige Norm eine Sanktion bezwecken. Letztlich sind es die Individualinteressen, auf denen das Vertragsrecht beruht.193 Für die Durchsetzung von Sanktionen um ihrer selbst willen hat es keinen Platz.

4.  Personelle und institutionelle Kompensation abbedungenen Rechts Da die dargelegten Gründe für den zwingenden Charakter einer Norm sprechen, stellt sich die Frage, welche Gegengründe sie aufwiegen. Erst nach ihrer Betrachtung ist eine rationale Entscheidung über den zwingenden Charakter einer Norm möglich. Denn wenn die Vorteile einer Norm die Nachteile ihrer Abdingbarkeit ausgleichen,194 lässt sich ein zwingender Status nicht rechtferti191   A. A. Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  4, wonach die Inhaltskontrolle über den Individualschutz hinausgreift. 192   §  138 Abs.  3 ZPO; MünchKommZPO3-Wagner, §  138 Rn.  23; Musielak, ZPO8, Einleitung Rn.  37 ff. 193   Oben 4.B.2.b). 194   Etwa BGH, NJW 2011, 2878, 2880. Zum Kompensationsgedanken generell Hönn,

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gen. Diese Untersuchung ist von zentraler Bedeutung, da fast immer zumindest minimale Gründe für die zwingende Ausgestaltung einer Norm sprechen. Will man daher nicht alle Normen für zwingend erklären und die Vertragsfreiheit erhalten, muss man den Ausgleich der mit einer Abbedingung verbundenen Nachteile berücksichtigen. Eine Abbedingung ist zumindest prima facie zulässig, wenn die mit ihr einhergehenden Vorteile ihre Nachteile kompensieren. Diese Kompensation ist auf verschiedene Weise denkbar. Sie kann auf die Besonderheiten der Parteien (4.a)–b)), das Verfahren (5) und den Inhalt der Abbedingung (6) zurückgehen. Außerhalb des Vertragsrechts gibt es weitere Möglichkeiten zur Kompensation der für den zwingenden Charakter sprechenden Gründe, insbesondere ein Eingreifen des öffentlichen Wirtschafts- und Sozialrechts195 sowie des Strafrechts. Sie bleiben hier außer Betracht. Wenn bereits die im Folgenden dargelegten Gründe die Abbedingungsnachteile kompensieren, dann gilt dies umso mehr, wenn diese Rechtsgebiete einen darüber noch hinausgehenden Schutz entfalten. a)  Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des Abbedingungsbelasteten Die mit der Abbedingung einer Norm einhergehenden Gefahren treffen nicht alle Vertragsparteien auf gleiche Weise. Zwar handeln alle von ihnen nur begrenzt rational und können sich deshalb irren.196 Auch Notare und Unternehmen sind davor nicht gefeit. Jedoch sind Wahrscheinlichkeit und Ausmaß von Fehlern in unterschiedlichem Maße ausgeprägt. Daher hängt das Gewicht der gegen eine Abbedingung sprechenden Gründe auch davon ab, wer die Abbedingung vornimmt. Diesen Gedanken greift der Gesetzgeber in jüngerer Zeit verstärkt auf, um den zwingenden Charakter einer Vielzahl von Normen auf Verträge mit Verbrauchern zu begrenzen.197 Die dabei maßgebliche Unterscheidung zwischen ihnen und Unternehmern ähnelt der traditionellen Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Privatpersonen.198 Der Status als Verbraucher schließt allerdings nicht aus, dass eine Person über eine ausreichende geschäftliche Erfahrung verfügt. Selbst Anwälte, die andere umfassend beraten sollen, müssen außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit als Verbraucher behandelt und wie diese belehrt werden.199 Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  88 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  77, 92 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  303 ff., 399 ff. 195   Dazu Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  233 ff. 196   Stellvertretend dazu Tversky/Kahnemann/Slovic, Judgment under Uncertainty; sowie die Nachweise zu den kognitiven Vorurteilen oben 3.A.1. 197   Oben 5.A.1, Fn.  19. 198   Zur Entwicklung Medicus, JuS 1996, 760, 766. Kritisch Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S.  42, wonach dieser Wechsel „den Begriff des Bürgers und weitgehend auch den des Kaufmanns bedeutungslos werden lässt“. 199   So in BGH, NJW 2002, 368 (= BGHZ 149, 80), wo eine aus vier Anwälten und einem

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Eine weitergehende Differenzierung nach der Person des Abbedingenden sieht das Wertpapierhandelsgesetz vor, das zwischen Privatkunden und professionellen Kunden unterscheidet. Letztere sind von einer Reihe im Übrigen zwingender Normen befreit, §  31b Abs.  1 WpHG. Privatkunden haben erst durch eine Vereinbarung die Möglichkeit, zu professionellen Kunden zu werden.200 Dadurch bedingen sie die für Privatkunden geltenden Normen ab. Ähnlich richtet sich die Transparenz von Anleihebedingungen nach dem Maßstab des sachkundigen Anlegers, §  3 SchVG. Ihm schreibt man mehr Wissen zu als dem für die Auslegung sonstiger AGB herangezogenen rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden 201. Hinter diesen Unterscheidungen nach den Abbedingungsberechtigten steht jeweils der Versuch, eine allgemeine Einschränkung der Vertragsfreiheit zu vermeiden, indem man nur einzelne Gruppen der Zwangswirkung einer Norm aussetzt. Das beruht auf der Annahme, dass Verbraucher, Privatkunden und Nicht-Kaufleute in einem höheren Maße eines Schutzes bedürfen als etwa Kaufleute und Unternehmer. Anders als bei diesen ist es nicht hinnehmbar, dass sie vollständig vom Markt verdrängt werden. Das Vertragsrecht muss sicherstellen, dass sie auch weiterhin am wirtschaftlichen Leben teilhaben können, was etwa durch das Verbot zur Übertragung sämtlichen künftigen Vermögens in §  311b Abs.  2 BGB geschieht. Ist eine Norm für eine Gruppe zwingend, so legt das im Umkehrschluss nahe, dass die übrigen Personen sie abbedingen dürfen. Verbraucherschutznormen sind dann zumindest für Unternehmer dispositiv. Diese sind häufiger an Geschäften derselben Art beteiligt und kennen typischerweise die mit ihnen verbundenen Gefahren. Ein Schutz nur einzelner Unternehmer hingegen ist kaum möglich. Dafür müsste man absehen, welche Arten von Unternehmern an den jeweiligen Geschäften beteiligt sind und welche Normen ihnen dabei zugute kämen. Das ist aufgrund der Vielzahl der möglichen Geschäftsbeziehungen nicht zu erahnen. Geraten Unternehmer in eine wirtschaftliche Schieflage, können sie zu Notkäufen ebenso wie zu Notverkäufen gezwungen sein. Das vermögen Käufer wie Verkäufer auszunutzen. Daher kann man anders als beim Betriebswirt bestehende GbR erfolgreich gegen eine Volksbank einwandte, zum Darlehen in Höhe von 9,5 Mio DM sei entgegen §  4 Abs.  1 VerbrKrG nicht der effektive Jahreszins angegeben worden, und damit die teilweise Rückzahlung der vereinbarten Zinsen verlangte; oben 3.C.1.c). 200   §  31a Abs.  1–2 WpHG, dem Art.  4 Abs.  1 Nr.  11–12 der Finanzinstrumenterichtlinie 2004/39/EG vom 21. April 2004 zugrunde liegt; ähnlich der Begriff des qualifizierten Anlegers nach Art.  2 Abs.  1 e) der Wertpapierrichtlinie 2003/71/EG vom 4. November 2003; dazu Bachmann, JZ 2008, 11, 19. 201   Zu diesem Maßstab BGH, NJW 1981, 867, 868 (= BGHZ 79, 117, 119); 1988, 1261, 1262 (= BGHZ 102, 384, 390); 2006, 1056; einschränkend Staudinger2006 -Schlosser, §  305c Rn.  126; Palandt70 -Grüneberg, §  305c Rn.  16. Zur umstrittenen Anwendbarkeit der §§  305 ff. BGB auf Schuldverschreibungen, bei der es nicht auf die Person des einzelnen Inhabers ankommt: BGH, NJW 2005, 2917 (= BGHZ 163, 311, 317); kritisch MünchKommBGB5-Habersack, §  793 Rn.  4 4.

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Verbrauchsgüterkauf nicht allein die Käufer vor den Verkäufern schützen. Die Verhandlungsmacht dieser Gruppen wechselt je nach Marktlage von der einen zur anderen. Somit ist es nach abstrakten Kriterien kaum möglich, die Schutzbedürftigkeit bestimmter Unternehmergruppen anzugeben. Zwingende Eingriffe in den Geschäftsverkehr fallen somit schwerer als solche in Verbraucherverträge. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet, zwingende Verbraucherschutznormen nicht auf Unternehmer zu erweitern, solange für diese die allgemeinen Normen der §§  134, 138, 307 BGB sowie des Wettbewerbsschutzes genügen. Allerdings geschieht diese Ausdehnung vielfach dennoch, etwa wenn die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel gegenüber Verbrauchern als Indiz für die Unwirksamkeit einer derartigen Klausel im Geschäftsverkehr gewertet wird. 202 Die Einschränkung der Abdingbarkeit gegenüber Verbrauchern ist dann nur ein erster Schritt, um eine Norm endgültig der vertraglichen Disposition zu entziehen. Durch die Differenzierung nach der Person des Abbedingenden wird das Vertragsrecht komplexer und schwerer anwendbar. Das liegt einerseits an der bereits festgestellten größeren Länge zwingender Normen, 203 andererseits am Zerfall des zuvor bestehenden einheitlichen Rechts. Um die Abdingbarkeit einer Norm zu prüfen, ist dann nicht nur auf den Inhalt der abbedungenen und der abbedingenden Norm zu achten, sondern auch auf die jeweiligen Besonderheiten der beteiligten Parteien. Da Einzelne in mehrfachen Rollen auftreten, bisweilen privat, bisweilen geschäftlich, nimmt die Schwierigkeit zu, die jeweils geltenden Normen festzustellen. Handeln sie als Verbraucher, müssen sie etwas anderes beachten, als wenn sie als Unternehmer auftreten. Besonders weit geht die Zerklüftung im AGB-Recht. Dort variiert die Abdingbarkeit in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, ein Unternehmen zur Elektrizitäts-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorgung oder ein sonstiges Unternehmen handelt. Zudem nimmt es Verträge im Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht von der Geltung aus, §  310 Abs.  4 S.  1 BGB. Es gilt eine personalisierte Kasuistik. Für die Kompensation abbedungenen Rechts besonders interessant ist §  489 Abs.  4 S.  2 BGB. Er behält allein der öffentlichen Hand die Möglichkeit vor, auf das Recht zur ordentlichen Kündigung eines Darlehensvertrages zu verzichten. 204 Der damit zunächst eintretende Nachteil einer verstärkten Bindung wird typischerweise über den Preis kompensiert, so dass diese Abbedingungsmöglichkeit für den Staat letztlich von Vorteil ist. Dieses Privileg geht davon aus, dass er sich bei der Kreditaufnahme rationaler verhält und längerfristiger denkt als private Personen. Angesichts seiner massiven Verschuldung lässt sich das   BGH, NJW 2007, 3774, 3775 (= BGHZ 174, 1, 4 f.); oben 3.B.4.c), Fn.  232.   Oben 3.C.1.c). 204   Eine ähnliche Privilegierung für die öffentliche Hand sehen §§  19 Abs.  2 S.  2 Nr.  1a, 20 Abs.  2 Nr.  1a KWG; 7 Abs.  2 Nr.  1 MaBV; 1 Abs.  2 SchVG; 1 Abs.  3 WpHG vor. 202 203

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empirisch indes kaum belegen. Sein Interesse an diesem Privileg ist aber ein deutliches Zeichen dafür, dass zwingende Normen dem geschützten Personenkreis im Ergebnis schaden können. Denn wäre die Abdingbarkeit für den Staat nicht von Vorteil, hätte er auf eine derartige Ausnahme zu seinen Gunsten verzichtet. Bei §  489 Abs.  4 BGB besteht dieser Vorteil darin, dass der Darlehensgeber die Kreditentwicklung besser kalkulieren und eine kleinere Risikoprämie vorsehen kann. Das schlägt sich in niedrigeren Zinsen nieder. Dass der Staat den privaten Kreditnehmern diese Möglichkeit verweigert, sie für sich selbst aber beansprucht, ist widersprüchlich und nicht zu rechtfertigen. Schließlich hat die Privilegierung nichts damit zu tun, dass er im öffentlichen Interesse handelt. Fehlt einer Person nach Einschätzung des Gesetzgebers die Fähigkeit, eine rationale Entscheidung über die Abbedingung einer bestimmten Norm zu treffen, so hat er sie gleichwohl nicht unbedingt für zwingend zu erklären. Vielmehr kann er die Abbedingungsberechtigung so gestalten, dass sie die Betroffenen nur unter Beteiligung einer anderen Person wahrnehmen dürfen. Das geschieht etwa, wenn ein Verbraucher bestimmte Verträge nicht selbst, sondern nur vor einem Notar schließen darf. Ebenso ist zu erwägen, die zugunsten der Verbraucher bestehenden Normen nicht anzuwenden, wenn sie professionell vertreten sind.205 Ferner kann der Gesetzgeber die Abbedingungsberechtigung einem Dritten zuweisen, anstatt sie der schutzbedürftigen Person vollständig abzusprechen. Dies geschieht vielfach im Arbeitsrecht, wo der individuelle Verzicht auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam ist, §  77 Abs.  4 S.  2 BetrVG. Auf der treuhänderischen Interessenwahrnehmung beruht auch die Tätigkeit der Gewerkschaften. Sie dürfen mit den Arbeitgeberverbänden per Tarifvertrag die Abweichung von vielen im Übrigen zwingenden Normen beschließen.206 Sie sind nach der Annahme des Gesetzgebers mit der zu regelnden Wirklichkeit vertraut, werden durch Experten beraten und treffen deshalb mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Fehlentscheidung als die einzelnen Arbeitnehmer. Ihre Beteiligung soll für ein ausgewogenes Ergebnis sorgen. Ihnen wird eine besondere Beurteilungskompetenz zugesprochen. 207 Besonders deutlich zeigt sich ihre Privilegierung daran, dass sie nicht verpflichtet sind, die „zweckmäßigste,

205   MünchKommBGB5-Masuch, §  312 Rn.  35; Staudinger2005-Thüsing, §  312 Rn.  38; a. A.: MünchKommBGB5-Wendehorst, §  312b Rn.  35; zur Maßgeblichkeit des Vertreters in der Haustürsituation BGH, NJW 2000, 2268, 2269 (= BGHZ 144, 223, 227); 2004, 154, 155; Jauernig13-Stadler, §  312 Rn.  4 ; Palandt70 -Grüneberg, §  312 Rn.  5. 206   Etwa §§  310 Abs.  4 S.  2, 622 Abs.  4 BGB; 13 Abs.  1 S.  1 BUrlG; 17 S.  1 EBRG; BAG, AP Nr.  28 §  74 HGB. 207   BAG, NZA 1992, 739, 741 (= BAGE 69, 257, 269); BGH, NVwZ 2008, 455, 458 (= BGHZ 174, 127, 140); entsprechend für die Betriebsparteien BAG, NZA 1995, 266, 268 (= BAGE 78, 174, 178); Otto, Arbeitsrecht, S.  89 Rn.  138; Fastrich, Richterliche Inhaltskon­ trolle, S.  314.

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vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen“.208 Darin gleichen sie einem Gesetzgeber, der trotz verfassungsrechtlicher Vorgaben in der Gestaltung des einfachen Rechts einen weiteren Entscheidungsspielraum hat.209 So wie Individualverträge werden ihre Entscheidungen nicht darauf überprüft, ob sie optimal sind.210 Ähnliche Erwägungen zur personellen Kompensation liegen der Privilegierung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) zugrunde. Ihr Verfasser ist der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen. Er ist ein Verein, an dem Vertreter von Spitzenorganisationen der öffentlichen Auftraggeber und Auftragnehmer teilnehmen. In paritätisch besetzten Ausschüssen beschließen sie die VOB. 211 Das BGB schränkt deren Kontrolle ausdrücklich ein, §  310 Abs.  1 S.  3 BGB. 212 Das beruht auf der Annahme, dass die paritätische Zusammensetzung für eine inhaltliche Ausgewogenheit sorgt. Sie fehlt folglich in Verträgen mit Verbrauchern, da diese an der Erarbeitung der VOB nicht teilhaben.213 Ihnen gegenüber ist daher eine Abbedingung nicht zu rechtfertigen. Die Möglichkeit der Abbedingung durch die bei der Bearbeitung repräsentierten Parteien zeigt, welches Gewicht einer institutionalisierten Interessenvertretung zukommt. Es bricht sich auch bei der großzügigeren Beurteilung der Allgemeinen Deutschen Spediteur-Bedingungen Raum.214 Für die Zulässigkeit einer Abbedingung kann ferner sprechen, dass sie sich nach einem Mustervertrag richtet, den Dachverbände oder andere Interessenvertretungen geschlossen haben. Dabei wird die Abbedingungsberechtigung an diese Institutionen zwar formal nicht delegiert, weil sie am Vertrag nicht beteiligt sind. Jedoch kann sie nur wahrgenommen werden, wenn die Absprachen den Vereinbarungen dieser Institutionen genügen. Denkbar ist dies etwa für Musterverträge, welche eingetragene Verbraucherschutzverbände mit einem 208   BAG, NZA 1993, 324, 326 (= BAGE 71, 68, 75); 2004, 1399, 1402 (= BAGE 111, 8, 19); NJW 2009, 1834, 1836; BGH, NVwZ 2008, 455, 458 (= BGHZ 174, 127, 140); 2009, 539, 541 (= BGHZ 178, 101, 109). Skeptisch zur Einordnung als Form der Selbstbestimmung Flume, FS DJT, S.  135, 143: „Der Tarifvertrag ist kein Akt der Privatautonomie“. 209   BVerfG, NJW 1975, 439, 440 (= BVerfGE 38, 154, 166); 1980, 879 (= BVerfGE 52, 277, 280); NVwZ 2009, 968, 971; BGH, NJW 1981, 2689, 2691 (= BGHZ 81, 152, 161). 210   Oben 4.B.2.a). 211   Vgl. §§  1 Abs.  1, 3, 16 Abs.  3 der Satzung vom 3.  11.  2004. 212   Ähnlich §  23 Abs.  2 Nr.  5 AGBG; zur Interpretation BGH, NJW 1988, 55, 56 (= BGHZ 101, 357, 364); 2003, 1321, 1322; NZBau 2008, 640, 643 (= BGHZ 178, 1, 10). 213   Bereits vor der Gesetzesänderung hatte der BGH die Privilegierung gegenüber Verbrauchern aufgehoben, BGH, NZBau 2008, 640, 642 (= BGHZ 178, 1, 7 f.). Zur Freiheitsgefährdung durch Konditionenkartelle Bachmann, Private Ordnung, S.  155. 214   Siehe dazu BGH, NJW 1982, 1820, 1821; 1995, 1490, 1491 (= BGHZ 127, 275, 281); 2003, 888, 891 (= BGHZ 153, 93, 102); NJW-RR 1997, 1253, 1255; zurückhaltend allerdings BGH, NJW 2003, 1397, 1398 (= BGHZ 153, 308, 310 f.); abweichend Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  125, 128. Am Status als AGB ändert dies nichts, Ulmer/Brandner/Hensen10, §  305 Rn.  59, 74. Im Bereich der Selbstverwaltung verlangt auch das BVerfG eine Beteiligung der Betroffenen, NJW 2005, 45, 47 (= BVerfGE 111, 191, 217).

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oder mehreren Unternehmen konzipieren. Denn sie dürften wenigstens die grundlegenden beiderseitigen Interessen berücksichtigen. Das geltende Recht nimmt diese Möglichkeiten zur personellen Kompensation von Abbedingungsnachteilen bisher allerdings nicht konsequent war, indem es in der AGB-Kontrolle außer in den genannten Fällen nicht danach differenziert, welcher Herkunft die vom Unternehmer gestellten AGB sind, §  310 BGB. Treffen unterschiedliche Verbände eine Mustervereinbarung, schwinden die mit der Beauftragung von Monopolverbänden verbundenen Gefahren. Könnten diese über die Abdingbarkeit einer Norm entscheiden, bestünde das Risiko, dass sie diese zulasten nicht genügend repräsentierter Personen nutzen. Ist hingegen eine Vielzahl von Institutionen zum Entwurf derartiger Vereinbarungen berechtigt, entsteht ein Wettbewerb in der Normgestaltung.215 Nicht allein der staatliche Gesetzgeber und die einzelnen Vertragsparteien, sondern auch weitere Institutionen wie Standesorganisationen, Verbraucherverbände oder paritätisch besetzte Gremien nähmen dann an der Rechtssetzung teil. Gleichwohl wären es letztlich die einzelnen Betroffenen, welche die Auswahl unter ihnen treffen. Die Entwicklung des Privatrechts kann das nur fördern 216 – so wie der Wettbewerb auch auf anderen Gebieten neue Ideen, Verfahren und Produkte hervorbringt. 217 Eine Abbedingung muss nicht ausnahmslos verboten oder erlaubt sein, sondern kann davon abhängen, wer an ihr beteiligt ist. Entscheiden sich zeitgleich verschiedene Personen zu ihr, liegt es fern, dass sie nur den Interessen einer von ihnen dient. Die Dominanz einer Seite wird durch eine institutionalisierte Gegenmacht 218 ausgeglichen. Die Anerkennung der Abbedingung wird in diesen Fällen durch die richterliche Zurückhaltung flankiert, nicht besser als diese Institutionen die Chancen und Risiken einer Abbedingung beurteilen zu können. Die einigen Personen vorbehaltene Möglichkeit zur Abbedingung mildert den im Übrigen erfolgenden zwingenden Eingriff und trägt damit zu dessen Rechtfertigung bei. 219 Die Beteiligung weiterer Personen an der Abbedingung schafft allerdings wie im Falle der Tarifvertragsparteien die Gefahr von Monopolen, die keinen Anreiz dazu haben, sich auf neue Verträge einzustellen. Aus diesem Grund liegt es nahe, die Abbedingungsberechtigung nicht einer begrenzten Zahl von mitein  Ebenso Möslein, Dispositives Recht, S.  128.   Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 747 (1999): „The principles animating privatization around the world apply to lawmaking just as they apply to coal mining or mail delivery.“ 217   von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S.  46. 218   Wolf, JZ 1976, 41 („Gegengewichtsbildung“); Bachmann, Private Ordnung, S.  68, 208; Stürner, AcP 210 (2010), 105, 131; zur Entwicklung der Interessenbeteiligung Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  152 ff. 219   So zur Abdingbarkeit per Tarifvertrag BVerfG, NZA 2001, 777, 779 (zu §  10 Abs.  1 BUrlaubG a. F.); 2005, 153, 154 (zu §§  3 Abs.  1, 9 Nr.  2 AÜG). 215 216

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ander verbundenen Personen zuzuweisen, sondern einer Pluralität von miteinander konkurrierenden. So kann man die Abbedingung einer Norm unabhängigen und miteinander im Wettbewerb stehenden Treuhändern überlassen, wie das etwa §  163 Abs.  1 Nr.  3 VVG für die Prämienänderung vorsieht. Ebenso ist denkbar, die autonom ausgehandelten Verträge zertifizieren zu lassen und sie in der Folge einer milderen Klauselkontrolle zu unterwerfen.220 Schließlich kann die Beteiligung verschiedener Personen an der Entstehung eines Handelsbrauchs für eine personelle Kompensation sprechen. Denn dieser muss von einer allgemeinen Auffassung getragen sein.221 Das verringert die Wahrscheinlichkeit der unangemessenen Benachteiligung. Er unterliegt daher nicht der für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden strikten Inhaltskontrolle, 222 auch wenn er allein die Ausgeglichenheit einer Norm nicht garantiert223 . Angesichts der Schwierigkeiten, vertragsrechtliche Veränderungen durch den Gesetzgeber durchzusetzen, erscheint eine derartige Abbedingungsmöglichkeit durch kleinere, flexiblere und miteinander konkurrierende Institutionen als attraktiver als eine zwingende Fassung, die nur der Gesetzgeber ändern kann. Zwar ist die dabei erfolgende Abbedingung durch eine oder mehrere Institutionen aufgrund des im Übrigen zwingenden Charakters einer Norm eine rechtfertigungsbedürftige Privilegierung. Jedoch nehmen diese Institutionen damit im Namen der von ihnen Repräsentierten die Vertragsfreiheit wahr. Das ist immer noch besser als ein uneingeschränkter Zwang. Auf diese Weise bleibt zumindest ein gewisser Spielraum, der ein Ventil für vertragliche Innovationen schafft. 224 Aus diesem Grund gilt die Vermutung225 zugunsten abdingbaren Rechts auch für diejenigen Normen, die nur mittels der Beteiligung Dritter abdingbar sind. Bedarf es aufgrund der personellen oder institutionellen Kompensation der Abbedingungsnachteile keiner zwingenden Norm, muss es beim dispositiven Recht bleiben. Hängt die Abdingbarkeit einer Norm vom Status der Person ab, entsteht allerdings die Gefahr der Refeudalisierung. 226 Die rechtlichen Möglichkeiten einer Person beruhen dann auf ihrem Status und nicht darauf, wie sie sich im Einzelfall verhält. Die Gleichheit der Einzelnen schwindet, da man ihnen nicht 220   Zu einem derartigen Vorschlag Becher, 42 University of Michigan Journal of Legal Reform 747, 750 (2009). 221   BGH, NJW 1952, 257; 1994, 659, 660; 2001, 2465; Baumbach/Hopt, HGB33, §  346 Rn.  1; MünchKommHGB2 -Schmidt, §  346 Rn.  14. 222   BGH, NJW-RR 1987, 94, 95; MünchKommHGB2 -Schmidt, §  346 Rn.  52; Koller/Roth/ Morck-Roth, HGB6 , §  346 Rn.  12; für beschränkte Inhaltskontrolle hingegen Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Joost, HGB2, §  346 Rn.  28. 223   Dazu sogleich unten 5.B.5.a). 224   Oben 3.C.1.d). 225   Oben 5.B.2. 226   Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.  153 spricht von einem Übergang vom contract zum status; zur ursprünglich umgekehrten Entwicklung Weber, Rechtssoziologie, S.  107, 111. Siehe bereits oben 1.F.1.a).

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mehr im selben Ausmaß Freiheit und Fähigkeit zur Selbstverantwortung zuspricht. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn die entstehenden Abbedingungsprivilegien einiger Personen mit ihrer „Dignität“227 erklärt werden und damit suggeriert wird, den übrigen Personen käme nur eine geringere Würde zu. Die Kehrseite der Privilegierung der einen ist die Entrechtung der anderen. Man versucht sie vor einer Benachteiligung zu schützen, indem man ihnen die Freiheit nimmt. Die Möglichkeit zur personellen Kompensation kann den Gesetzgeber in diesem Prozess sogar bestärken. Er sieht sich an der Beschränkung der Vertragsfreiheit dann nur deshalb nicht gehindert, weil sie dank dieser Kompensation nur begrenzt erfolgt. Im Extremfall bleibt den Parteien allein die Möglichkeit, Verträgen zuzustimmen, die andere für sie verhandelt haben. Sie müssten sich Abweichungen vom Gesetz oder sogar vom gesamten Vertrag genehmigen lassen, wie das heute bereits bei Kapitalanlagen vielfach der Fall ist. 228 Das Ergebnis wäre eine Vertragszensur, 229 die auf zunächst kaum bemerkbare Art und Weise die Parteien als Herren der Verträge verdrängt. Abbedingungen geschähen nur noch formal in ihrem Namen, in der Sache aber erfolgte dies durch Institutionen, die unabhängig von ihnen agieren und den Gesetzgebungsprozess mit seinem Anspruch auf Abwägung aller betroffenen Interessen fortsetzen. Für eine keiner Begründung verpflichtete Entscheidung der Einzelnen schwände der Raum. 230 Ein Allheilmittel ist die institutionelle Kompensation abdingbaren Rechts daher nicht. Sie bleibt dem Nachteil ausgesetzt, dass Außenstehende die individuellen Verhältnisse der Vertragsparteien beurteilen müssen, dazu aber schlechter als diese in der Lage sind. Zudem können Interessenkonflikte zwischen den Institutionen und den von ihnen Repräsentierten auftreten, etwa weil eine Gewerkschaft die Interessen der in ihr organisierten Arbeitnehmer durchsetzt und dabei die Interessen der Arbeitssuchenden übergeht. Wenn überhaupt eine Delegation der Abbedingungsberechtigung an einen Außenstehenden zu rechtfer227   Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  314 zu den kollektiven Verhandlungspartnern im Arbeitsrecht; ähnlich spricht Mankowski, Beseitigungsrechte, S.  1139, von der „annähernden Gleichwertigkeit der Vertragspartner“, was suggeriert, ihre Wertigkeit solle und könne eingeschätzt werden. 228   Etwa §§  9 Abs.  1 S.  1 BausparkassenG, 43 Abs.  2 S.  1, 43a Abs.  3 S.  1, 78 InvG. Ähnlich die indirekte Genehmigungspflicht für Kranken- und Pflichtversicherungen, §  5 Abs.  5 Nr.  1 VAG. Milder die Anzeigepflicht nach §  2 Abs.  1 LPachtVG. 229   So etwa die einstige Genehmigungspflicht für den Versorgungsausgleich nach §  1587o Abs.  2 S.  2 BGB a.F.; kritisch dazu v. Mangoldt/Klein/Starck 6 , Art.  2 Abs.  1 Rn.  145; ähnlich §  43a Abs.  1 S.  1 InvG. Weniger radikal als eine Zensur wäre eine Vertragszertifizierung, siehe dazu Becher, 42 University of Michigan Journal of Legal Reform 747, 750, 758 (2009). Die Vertragszensur wird meist als Vorabkontrolle bezeichnet, kritisch dazu Bachmann, Private Ordnung, S.  388 f. mwN. 230   So konstatierte Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S.  167, 249 im Jahre 1962 die Ersetzung der originären durch derivierte Privatautonomie.

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tigen ist, dann nur aufgrund einer Prognose, dass die Gefahren für einen der Vertragspartner anderenfalls überhand nähmen. Die Alternative einer restlos zwingenden Norm spricht gleichwohl dafür, die im geltenden Recht verankerten Fälle einer personellen und institutionellen Kompensation auch in weiteren Fällen zu berücksichtigen. 231 Je besser eine Institution die Interessen der Einzelnen wahrnimmt, desto eher sind ihre Entscheidungen zu akzeptieren.232 Eine absolute Garantie gegen die durch eine Abbedingung eintretenden Gefahren muss sie nicht bieten. Vielmehr genügt es, dass sie eine gewisse Rationalitätskontrolle ermöglicht. Dadurch ist die Gefahr von Fehlentscheidungen geringer. Das schließt Benachteiligungen zwar nicht aus, verringert aber ihre Wahrscheinlichkeit. Die institutionelle Kompensation abdingbaren Rechts ist somit ein Kompromiss zwischen dem Erfordernis, Einzelne durch zwingendes Recht vor Benachteiligung zu schützen, und dem Versuch, ihnen wenigstens über eine Beteiligung von Dritten die Möglichkeit zur Abbedingung zu belassen. Zum Normalfall sollte sie deshalb nicht werden. Sie bietet sich nur an, wenn sich die Nachteile einer Abbedingung nicht auf andere Weise kompensieren lassen. b)  Schutzwürdigkeit des Abbedingungsbegünstigten Neben der Schutzbedürftigkeit des durch die Abbedingung Belasteten ist auch die Schutzwürdigkeit des durch sie Begünstigten zu beachten. Denn beide Parteien haben das Recht auf eine Gleichbehandlung, Art.  3 Abs.  1 GG. Allerdings nimmt man die Schutzwürdigkeit des durch eine Abbedingung Belasteten gewöhnlich eher wahr als die des durch sie Begünstigten. Abdingbares Recht wird weithin als gerechte Regelung empfunden 233 und aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers nicht mehr hinterfragt, 234 so dass die Beibehaltung der Norm nicht als Nachteil erscheint. Daher bleibt das Interesse an einer Abbedingung vielfach außer Betracht. Diese Perspektive aber greift zu kurz. Die vertragrechtlichen Normen kommen nur deshalb mit vergleichsweise einfachen abstrakt-generellen Regeln aus, weil sie kaum Ausnahmen vorsehen und die Parteien stattdessen auf eine Abbedingung verweisen.235 Diese muss möglich bleiben, um den Besonderheiten der jeweiligen Situation gerecht zu werden. Auch wenn man eine Norm als angemessen ansieht, kann ihre Anwendung in einzelnen Konstellationen zu unannehmbaren Härten führen. Generelle Regeln bedürfen der Korrektur durch die   Vgl. BGH, NJW-RR 1987, 94, 95; MünchKommHGB2 -Schmidt, §  346 Rn.  52.   Vgl. Kramer, Die „Krise“ des liberalen Rechtsdenkens, S.  45; Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 74. Kritisch gegenüber einer „Aufwertung der Privatautonomie“ auf kollektiver Ebene Westermann, AcP 178 (1978), 151, 171. 233   Oben 2.B.1.c). 234   Oben 2.B.1.d). 235   Oben 3.C.1.c). 231

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Billigkeit.236 Über eine Abbedingung müssen die Parteien sie deshalb an ihre Verhältnisse anpassen können. Neben den durch eine Abbedingung Belasteten sind auch die durch sie Begünstigten zu betrachten. Bei einer Unterschreitung der gesetzlichen Anwaltsgebühren kommt es beispielsweise nicht nur auf den Schutz des Anwalts an, der beim Scheitern seiner Bemühungen weniger als die gesetzlichen Gebühren erhält.237 Vielmehr geht es auch um den Mandanten, der diese Gebühren zu zahlen hat. Er ist zur Verfolgung seiner Rechte womöglich nur in der Lage, wenn die von ihm geschuldete Vergütung durch eine Erfolgsbeteiligung am eingeklagten Anspruch beglichen wird. So war in der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts238 die Erbin eines im Nationalsozialismus enteigneten Grundstückbesitzers nur unter dieser Voraussetzung in der Lage, die ihr zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie war deshalb auf eine Abbedingung der gesetzlichen Vergütung angewiesen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das ausnahmslose Verbot des §  49 Abs.  2 S.  1 BRAGO a. F. daher für verfassungswidrig. Dieser Fall zeigt, dass bei der Beurteilung der Abdingbarkeit einer Norm die schutzwürdigen Belange aller Beteiligten und nicht nur die der belasteten Partei zu berücksichtigen sind, im entschiedenen Fall also die von Anwalt und Mandantin. Das erfordert, neben dem durch die Norm geschützten Interesse auch nach dem mit der Abbedingung verfolgten Ziel zu fragen. Generell lassen sich die Gefahren einer Abbedingung mitunter durch die Nachteile rechtfertigen, welche anderenfalls beim Abbedingungsbegünstigten eintreten. Der alleinige Verweis auf die Schutzbedürftigkeit eines Teils greift somit zu kurz.

5.  Formelle Kompensation abbedungenen Rechts Die Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm hängt maßgeblich von der Art und Weise des Abbedingungsverfahrens ab. Anforderungen an dieses können auf unterschiedliche Weise sicherstellen, dass die Parteien eine bewusste und reflektierte Entscheidung treffen. Je stärker das der Fall ist, desto größer ist ihr Gewicht. Denn dann sind nicht nur die Gefahren einer Fehlentscheidung geringer. Vielmehr wiegt in diesem Fall auch die Autonomie der Einzelnen stärker. Umso problematischer wird dann ein uneingeschränktes Abbedingungsverbot. Die wichtigsten Möglichkeiten zu einer derartigen Kompensation sind die Anforderungen an das Verfahren einer Abbedingung (a), die Konkretisierung der mit ihr verbundenen Gefahren (b) sowie die Abbedingungsinitiative des Belasteten (c).

  Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1137a–1137b; sowie oben Kap.  1, Fn.  9 0.   BVerfG, NJW 2007, 979, 983 (= BVerfGE 117, 163, 181). 238   AaO. 236 237

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a)  Verfahrens-, Form-, und Fristerfordernisse Die Hürde für eine Abbedingung lässt sich auf verschiedene Weise gestalten.239 Je größer sie ist, desto aufwendiger ist das dazu erforderliche Verfahren und umso stärker die Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts. Dieser Wirkung kann sich der Gesetzgeber bedienen. Denn mitunter genügt zum Schutz einer Personengruppe eine so hohe Hürde zur Abbedingung, dass diese vielfach unterbleibt. 240 Überwinden die Parteien sie gleichwohl, signalisieren sie damit ihre Ernsthaftigkeit, von der gesetzlichen Vorgabe abzuweichen. Das ist ein Indiz dafür, dass sie ein starkes Interesse an einer Abbedingung haben. Ist die getroffene Vereinbarung dank einer derartigen Verfahrensgestaltung in erhöhtem Maße Ausdruck von Selbstbestimmung, verdient sie eine größere Beachtung und stärkt die Selbstkontrolle241 der Parteien. Die Abbedingungshürde lässt sich auf verschiedene Weise gestalten, nämlich durch Anforderungen an das Verfahren (aa), die Form (bb) sowie die zu beachtenden Fristen einer Abbedingung (cc). Allein eine lange Praktizierung der Abbedingung (dd) genügt hingegen nicht. aa) Die Verfahrensanforderungen beeinflussen vor allem die Vertragsverhandlungen. Am verbreitetsten ist dabei die Notwendigkeit zur Individualvereinbarung. Sie soll sicherstellen, dass sich die Parteien nicht durch AGB auf Klauseln einlassen, der sie bei unmittelbarer Konfrontation nicht zustimmen würden und deren Nachteile sie noch nicht einmal verstehen. Dem Ersteller verursachen derartige Klauseln aufgrund ihrer mehrfachen Verwendung so geringe Kosten, dass sie nur begrenzt als Indiz für ein erhebliches Interesse taugen. Indes wäre es problematisch, die Frage nach der Zulässigkeit einer Abbedingung generell an ihren Charakter als Individualvereinbarung zu koppeln. Denn dies beruhte auf einer äußerst groben Typisierung. Trotz dem gelegentlichen Optimismus, dass eine Verhandlung zwischen den Parteien eine Richtigkeitsgewähr biete, 242 ist auch sie kein Allheilmittel. Einem Überoptimismus243 etwa wirkt sie nur begrenzt entgegen. Umgekehrt bedrohen nicht alle AGB die Entscheidungsfreiheit derjenigen, die sich auf sie einlassen. Zu ihnen gehören auch diejenigen, die im Umgang mit AGB erfahren sind und eigene AGB erstellen. Pauschalisierungen sind umso weniger angebracht, als Klauseln in den verschiedensten Situationen als AGB angesehen werden. Das ist bereits dann der Fall, wenn sie für eine mehrfache Verwendung bestimmt sind und nicht ernsthaft   Oben 4.D.3.   Oben 3.A–3.B. 241   Vgl. Feldman, 18 Touro Law Review 503, 515, 532 (2002). 242   Schmidt-Rimpler, AcP 27 (1941), 130, 157; BGH, NJW 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93, 100) sowie oben 4.B.2.a), Fn.  155. 243   Dazu Jolls/Sunstein/Thaler, in: Sunstein, Behavioral Law and Economics, p.  13, 47 sowie oben 3.A.1, Fn.  4 4. 239 240

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zur Disposition gestellt werden.244 Wie stark sie erörtert und beiden Vertragspartnern bewusst sind, ist dafür unerheblich.245 Die harten Maßstäbe der AGB-Kontrolle sind umso problematischer, als es Zeichen einer verlässlichen Geschäftspolitik sein kann, einmal vereinbarte Grundsätze nicht in Frage zu stellen. Lassen sich die Vertragspartner bewusst auf sie ein, so verdient die Verwendung gleicher Verträge daher keine geringere Anerkennung als eine Vereinbarung, auf die sie sich neu verständigen. Dank wiederholter Verwendung der gleichen Klauseln erhalten sämtliche Geschäftspartner dieselben Konditionen. Bei diesen sinkt dadurch die Skepsis, dass sie schlechter als andere behandelt werden. Die Regelungen bleiben eher bewusst und sind in ihren Auswirkungen besser einschätzbar als einmalig getroffene Absprachen. Abgesehen davon ist die Standardisierung in einer auf eine Vielzahl von Vertragsbeziehungen angewiesenen Wirtschaft unentbehrlich.246 Umso wichtiger ist es, eine Vertragsklausel nicht nur nach einer individuellen Verhandlung anzuerkennen. Der Umstand allein, dass die Parteien eine standardisierte Klausel verwenden, ist kein Indiz fehlender Rationalität. Defiziten im Verhandlungsprozess und bei der Beurteilung einer Leistung begegnet das Recht in jüngerer Zeit zunehmend mit Widerrufsrechten. Insbesondere der Verbraucher hat in einer Vielzahl von Konstellationen die Möglichkeit, sich innerhalb von zwei Wochen vom Vertrag zu lösen.247 Je stärker er sich dadurch von der ihm erbrachten Leistung überzeugen kann, desto eher ist er am Vertrag festzuhalten. Allerdings bestehen diese Widerrufsrechte vor allem dort, wo wie im Verbrauchsgüterkauf bereits zwingende Normen den Vertragsinhalt bestimmen. 248 Dies bestätigt zum einen, dass der Gesetzgeber nach eigener Einschätzung mit zwingenden Normen nur begrenzt für einen angemessenen Vertragsinhalt sorgen kann 249 und daher zu einem zusätzlichen prozeduralen Schutz greifen muss. Zum anderen verdeutlicht dies die Gefahr, dass die Verfahrensgestaltung nur Teil einer umfassenden Regulierung wird, die auch materiell die Vertragsfreiheit beschneidet. So stark formelle Anforderungen an eine Abbedingung die mit dieser verbundenen Gefahren kompensieren, so häufig dürften sie die ohnehin bestehenden materiellen Beschränkungen nur noch verstärken.

244   Zu den §  305 Abs.  1 S.  1 BGB entnommenen Anforderungen BGH, NJW 2000, 1454 mwN.; NJW-RR 2009, 947, 948; MünchKommBGB5-Basedow, §  305 Rn.  33 ff.; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  26 ff.; BeckOK-BGB20 -Becker, §  305 Rn.  22 ff. 245   Dazu oben 3.B.4.c). 246   Vgl. Canaris, Iustitia distributiva, S.  49 f., wonach ein derartiges Erfordernis „eine ridiküle Chimäre [ist], die für einen Basar passen mag, nicht aber für eine moderne Markt- und Wettbewerbswirtschaft“. 247   §§  312 ff., 355 ff., 485, 495 BGB; 8 VVG; dazu Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 318 ff. 248   So insbesondere im Kauf- und Darlehensrecht, §§  475 ff., 491 ff. BGB. 249   Zu den Nachteilen zwingenden Rechts bereits oben 3.C.

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Über die Widerrufsmöglichkeit hinaus kann das Recht weitere Anforderungen an das Abbedingungsverfahren stellen, indem es etwa eine Belehrung, eine Registerverlautbarung, 250 einen speziellen Hinweis251 oder eine Übermittlung anderweitiger Informationen verlangt. Damit tritt es der Gefahr einer Übervorteilung entgegen.252 Gegenüber einer zwingenden Norm erweitert dies die Freiheit der Vertragspartner, bürdet ihnen aber zugleich eine erhebliche Last auf. So verlangt der Bundesgerichtshof für den Gewährleistungsausschluss beim Erwerb neuer Häuser eine ausführliche Belehrung. 253 Das soll die mit einer Abbedingung verbundenen Gefahren kompensieren. Die mündliche Aufklärung habe gegenüber der Übergabe schriftlicher Materialien ein größeres Gewicht, weil bei ihr eine höhere Gewähr dafür bestehe, dass der Vertragspartner sie versteht.254 Da Unterlagen allerdings besser überprüfbar sind als nirgends festgehaltene Erinnerungen, bietet sich bei folgenreichen Dispositionen eine Kombination aus schriftlicher und mündlicher Aufklärung an. Diese muss sich nicht auf den Inhalt der vereinbarten Klausel beschränken. Sie kann vielmehr auch den Umstand einbeziehen, dass die Klausel von der gesetzlichen Vorgabe abweicht und diese im Einzelnen wiedergibt.255 Das führt dem Einzelnen den Inhalt des Gesetzes und die Bedeutung der Abbedingung deutlich vor Augen. Erfährt er hingegen lediglich, dass eine Klausel vom Gesetz abweicht, nicht aber, worin ihr Inhalt besteht, 256 ist ihm kaum bewusst, ob die Abbedingung ihn beschwert. Der Schutz durch Information stößt allerdings dort auf Grenzen, wo eine Gefahr nicht von der Unwissenheit der Beteiligten ausgeht, sondern von ihrer

250   So lässt sich etwa der Anspruch, die Gemeinschaft an einem Grundstücksrecht aufzuheben, nur dann mit Wirkung für den Sonderrechtsnachfolger vereinbaren, wenn dies im Grundbuch eingetragen wird, §§  749, 1010 Abs.  1 BGB. Zur Publizität im Gesellschaftsrecht Merkt, Unternehmenspublizität, S.  229 ff., die ähnlich wie das abdingbares Recht eine Alternative zu staatlicher (zwingender) Regulierung darstellen kann, dazu Merkt, aaO., S.  490. 251   So BGH, NJW 1980, 1953, 1955 (= BGHZ 77, 126, 133), der die Zulässigkeit einer Haftungsbegrenzung bejaht, sofern eine Versicherung empfohlen wird; einschränkend Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  137. 252   BVerfG, NJW 2007, 985; kritisch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  29; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S.  195. 253   BGH, NJW 1984, 2094; 1989, 2748, 2749 (= BGHZ 108, 164, 168 f.); 2005, 1115, 1117; 2006, 214, 215; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A1, §  13 Rn.  52; kritisch Medicus, SR AT, S.  41, Rn.  92. 254   Vgl. §§  355 Abs.  2 S.  1 BGB; 1b Abs.  2 AbzG a. F.; BGH, NJW 1996, 1964, 1965; NJWRR 2004, 780, 781; NJOZ 2009, 2520, 2524. 255   Zu derartigen Normen im amerikanischen Recht siehe Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031, 1032 (2004). 256   Nicht konkretisierte Einschränkungen auf die gesetzliche Zulässigkeit sind in AGBKlauseln mangels Transparenz unwirksam, BGH, NJW 1985, 623, 627 (= BGHZ 93, 29, 48); 1991, 2630, 2632; NJW-RR 2003, 51, 53. Zur denkbaren Intransparenz eines Verweises auf das Gesetz OLG Schleswig, NJW 1995, 2858, 2589 sowie oben 4.D.3.a), Fn.  465.

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Bereitschaft, sich auf einen sie benachteiligenden Vertrag einzulassen.257 So kann etwa die Information über die Bedeutung eines Haftungsausschlusses kaum verhindern, dass Einzelne die mit ihm verbundenen Gefahren unterschätzen. Wer dringend einen Kredit braucht, wird sich auf ungünstige Bedingungen einlassen, solange er kein besseres Angebot erhält.258 Die Wirkung von Informationen nimmt zudem mit ihrer Zahl ab. Die Überflutung mit ihnen (information overload) 259 überfordert die Einzelnen. 260 Eine Vielzahl von Informa­ tionen erschwert es, sich auf die wesentlichen zu konzentrieren. Daher können zusätzliche Informationen über entfernte Risiken dem Verständnis der zentralen Rechte und Pflichten sogar schaden (redundancy effect).261 Die zentralen Fragen verlieren an Gewicht. Die Einzelnen sind dann umso weniger imstande, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Die durch Information bewirkte Kompensation abbedungen Rechts hängt somit in starkem Maße von den sonstigen Umständen des Vertragsschlusses ab. Je weniger eine Information durch weitere Informationen überlagert wird, desto größer ist ihr Gewicht.262 Beschränkt sich die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild etwa auf eine einzige Klausel, ist sie umso eher zu berücksichtigen. Das vielfach bemühte Modell einer Verhandlung im Idealzustand vollständiger Information und fehlender Transaktionskosten 263 darf nicht zur Annahme verleiten, alle unter ungenügender Information geschlossenen Verträge seien defizitär und durch staatlichen Eingriff zu korrigieren. 264 Gerade die fehlende Information kann ein Grund zum Vertragsschluss sein, indem sich der Nichtinformierte auf Experten oder Marken verlässt und dabei auf einen alternativen Vertrag mit einem anderen Anbieter verzichtet. Eine Entscheidung unter Unwissenheit lässt sich nicht immer vermeiden. Auch mit ihr verwirklichen sich die Einzelnen.265 Wie sie mit fehlendem Wissen umgehen, ist eine der Grundentscheidungen, die sie für ihre Teilnahme am Geschäfts- und Wirtschaftsver257   Zu den Grenzen des Informationsmodells mwN.  Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  29 f.; Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  48 ff. 258   Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S.  132. 259   Dazu Malhotra, 8 Journal of Consumer Research, 419 (1982); Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  103; Fairfield, 58 Emory Law Journal 1401, 1404 (2009); Eidenmüller, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S.  13, 23; Bechtold, Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S.  57 ff. 260   Ein Verzicht auf Information kann aufgrund der damit verbundenen Kosten auch ra­ tional sein, Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, p.  103; oben 3.A.2, Fn.  65. 261   Dieser Effekt besagt, dass redundante Informationen der Übermittlung anderer Informationen schadet, Mestre/Ross, The Psychology of Learning and Motivation, p.  68. 262   Zur Überforderung durch die Anzahl von verschiedenen Wahlmöglichkeiten Malhotra, 8 Journal of Consumer Research, 419, 427 (1982). 263   Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  102 ff. 264   Zur Gefahr einer derartigen Romantisierung bereits oben 4.B.2.a). 265   BVerfG, NJW 2002, 2621, 2622 (= BVerfGE 105, 252, 266): „Erst die Informiertheit der Marktteilnehmer ermöglicht eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidung über die Bedingungen der Marktteilhabe“; 2003, 1232, 1234 (= BVerfGE 106, 275, 302); entsprechend

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kehr selbst zu treffen haben. Will man sie nicht entmündigen, darf man ihnen diese nicht abnehmen. Nicht jedes Informationsdefizit rechtfertigt daher einen Eingriff durch zwingendes Recht. Ähnlich wie Informationspflichten vermögen Begründungserfordernisse, Abweichungen von abdingbaren Normen zu rechtfertigen. Ein Beispiel dafür ist die durch §  186 Abs.  3 AktG vorgesehene Möglichkeit, bei der Ausgabe neuer Aktien das Bezugsrecht von Aktionären auszuschließen. Sie setzt eine Begründung durch den Vorstand voraus, §  186 Abs.  4 S.  2 AktG. Das soll einen willkürlichen Ausschluss des Bezugsrechts und die Privilegierung des Mehrheitsgesellschafters vermeiden.266 Ein derartiges Begründungserfordernis ist autonomiefreundlicher als ein komplettes Verbot, das der Aktiengesellschaft die Flexibilität für Umstrukturierungen nimmt. Allerdings schränken solche Erfordernisse die Vertragsfreiheit gleichwohl ein. Denn sie stellen das Recht einer Person in Frage, die eigenen Verhältnisse nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, ohne dies näher begründen zu müssen.267 Einen Spezialfall formeller Kompensation stellen gerichtliche Vergleiche dar. Sie erfolgen in der Regel unter anwaltlicher Beratung und richterlicher Aufsicht sowie im Rahmen eines in hohem Maße regulierten förmlichen Verfahrens. Der Schutz der Parteien vor einer Benachteiligung ist bei ihnen daher größer als bei der Vielzahl tagtäglicher Verträge, die spontan und ohne Beratung geschlossen werden. Zudem steht den Parteien als Alternative nur ein langwieriges Verfahren offen, das ihre Interessen kaum besser wahrt. Aus diesem Grund dürfen sie bei einem gerichtlichen Vergleich in größerem Ausmaß als sonst über ihre Rechte und Pflichten verfügen 268 und sind nach §  127a BGB sogar von einer notariellen Beurkundung befreit. bb) Des Weiteren erfüllen auch Formvorschriften eine den Informationspflichten vergleichbare Warnfunktion und erhöhen damit die Abbedingungshürde. Sie bewirken, dass die Parteien eine Form oder sogar bestimmte Formulierungen einhalten müssen, um eine Norm abzubedingen. Derartige Vorschriften gelten teils für das gesamte Rechtsgeschäft, teils nur für die Abbedingung. So bedarf der Verkauf einer Wohnung einer notariellen Beurkundung, 269 während für ihre Vermietung eine mündliche Abrede genügt und nur die Befristung eine Schriftnimmt Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, S.  145 an, bei Informationsdefiziten könne man sich nicht auf den Wettbewerb verlassen. 266   BGH, NJW 1982, 2444, 2445 (= BGHZ 83, 319, 326); 1997, 2815, 2816 (= BGHZ 136, 133, 140); Hüffer, AktG9, §  186 Rn.  2. 267   Dazu oben 4.B.2.a), Fn.  140. 268   Etwa gilt der gerichtliche Vergleich als Befristungsgrund für einen Arbeitsvertrag, §  14 Abs.  1 Nr.  8 TzBfG und rechtfertigt die Unterschreitung des Mindestentgelts, §§  9 S.  1 AEntG; 8 Abs.  3 S.  1 MiArbG. 269   §  311b Abs.  1 BGB; ferner §§  311b, 518 Abs.  1 S.  1, 766, 1378 Abs.  3 S.  2, 1501 Abs.  2 S.  2, 2348 BGB.

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form erfordert, §  550 S.  1 BGB. Die Warnung durch eine notarielle Form beruht auf der Annahme, dass sie den Beteiligten die Bedeutung und Tragweite ihrer Erklärung vor Augen führt und der Notar als neutraler Dritter die Dominanz einer Seite verhindert, §  17 Abs.  1 BeurkG. 270 Verbraucher dürfen die Erklärungen vor ihm nur persönlich oder durch eine Vertrauensperson abgeben und müssen ausreichende Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Vertrag haben, §  17 Abs.  2a BeurkG. Diese Pflichten sind dadurch sanktioniert, dass die Vertragsschließenden bei einer fehlerhaften oder mangelnden Aufklärung durch den Notar einen durchsetzbaren Ersatzanspruch erhalten. Nicht nur im Grundstücksrecht, sondern auch im Gesellschafts-, Erb- und Ehegüterrecht sind weitgehende Verfügungen wie der Verzicht auf den Versorgungsausgleich nur durch eine Erklärung vor dem Notar möglich, §§  1408 Abs.  2, 1410 BGB. Die Warnfunktion lässt das mit einer Abbedingung verbundene Risiko sichtbar werden und spricht deshalb für deren Zulässigkeit. Dieser Gesichtspunkt kommt besonders bei den Normen zum Tragen, deren Abdingbarkeit das Gesetz nicht ausdrücklich ausschließt. Werden sie mittels notarieller Form abbedungen, kann dies die für ihren zwingenden Status sprechenden Gründe kompensieren. Die Grenzen der Abdingbarkeit vor dem Notar sind daher andere als die für schriftliche oder mündliche Vereinbarungen. cc) Ferner verringern Entscheidungsfristen die mit einer Abbedingung einhergehenden Gefahren.271 Mindest- und Höchstzeiten zwischen Vertragsangebot und Vertragsannahme verhindern sowohl einen zu spontanen als auch einen zu späten Vertragsschluss. Das garantiert zwar keine wohlerwogene Entscheidung, macht sie aber wahrscheinlicher. Derartige Fristen beugen einer augenblicklichen Überforderung ebenso vor wie einem Vertragsschluss, bei dem die Beteiligten die Konditionen bereits wieder vergessen haben. Sie ermöglichen, den Inhalt des Vertrages mit Außenstehenden wie Partnern, Freunden und Anwälten zu besprechen. Noch stärker ist diese Wirkung, wenn die zu schützende Partei innerhalb der Frist einen bereits geschlossenen Vertrag bestätigen muss und den Vertrag nicht nur widerrufen kann (opt-in statt opt-out) 272 . Denn aufgrund des bereits beschriebenen Unterlassungsvorurteils unterbleibt ein noch auszuübender Widerruf häufiger, als dass es zu einer ausdrücklichen Bestätigung kommt. 273

  Dazu Stürner, AcP 210 (2010), 105, 133 f.   Von ihnen zu unterscheiden ist eine Befristung der abbedungenen Rechte, dazu unten 5.B.6.b). 272   Dazu oben 1.C.3. 273   Oben 2.C.2.c), Fn.  232. 270 271

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dd) Wird die Abbedingung einer Norm seit langer Zeit praktiziert, so spricht dies auf den ersten Blick dafür, sie eher als andere Abweichungen vom vorgegebenen Recht zu akzeptieren. Benachteiligt sie einzelne Personen grob, dürfte das früher oder später zu einer Beanstandung führen, so dass ihre Etablierung prima facie ein Indiz für die Angemessenheit ist. Etwa begründete der BGH die großzügige Beurteilung Allgemeiner Spediteurbedingungen durch den Verweis auf eine jahrzehntelange Praxis.274 Für die Kfz-Reparaturbedingungen versagte er dies entsprechend mit dem Argument, bei ihnen mangele es an einer derartigen Praxis. 275 Die Etablierung einer Norm in der Praxis vermag indes nicht, die Nachteile einer Abbedingung zu kompensieren. Sie allein garantiert keine Rationalität.276 Dass eine Klausel bisher nicht erfolgreich beanstandet wurde, schließt nicht aus, dass sie im Einzelfall eine Partei schädigt. Die dafür maßgeblichen Gründe sind unabhängig davon, wie lange bereits andere Parteien von der gesetzlichen Norm abweichen. Die vom BGH befürwortete geringere Kontrolldichte für etablierte Vertragsbedingungen ist angesichts einer überbordenden AGB-Kontrolle zwar verständlich. Jedoch muss man dieser mit anderen Mitteln als dem bloßen Verweis auf die Praxis entgegenwirken. Anderenfalls privilegierte man die bereits bekannten Vertragsformen und erschwerte damit ihre Anpassung an sich wandelnde Verhältnisse. Im Umkehrschluss besagt die Privilegierung lang etablierter Bedingungen, dass neuere Verträge nicht nur faktisch, sondern auch normativ auf erhöhte Skepsis stoßen. Einen umfassenden Schutz bietet keine dieser Verfahrensanforderungen. Selbst eine notarielle Beurkundung schließt eine Inhaltskontrolle von Verträgen nicht schlechthin aus.277 Formelle Sicherungen vermögen nicht stets, die mate­ riellen Gründe für den Schutz der Vertragspartner oder Dritte zu verdrängen. 278 Immerhin können sie aber die Risiken einer Fehlentscheidung reduzieren. Dies gilt insbesondere dort, wo kognitive Vorurteile zwingende Normen rechtfertigen sollen.279 Denn diese Begründung verliert ihre Berechtigung, wenn besondere Verfahrensvorkehrungen wie Widerrufsfristen und Bestätigungsobliegenheiten dafür sorgen, dass diese Vorurteile nur noch eine untergeordnete Rolle   Etwa BGH, NJW 1995, 1490, 1491 (= BGHZ 127, 275, 281); weitere Nachweise oben 5.B.4, Fn.  214. 275   BGH, NJW 1987, 2818, 2819 (= BGHZ 101, 307, 314). 276   Zur Zurückweisung einer entsprechenden Argumentation für eine einmal etablierte Rechtsprechung Verfasser, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, S.  316 ff. 277   BGH, NJW 1979, 1406, 1408 (= BGHZ 74, 204, 211); 1982, 2243, 2244 (Freizeichnung von Gewährleistungsansprüchen); 2004, 930, 934 (= BGHZ 158, 81, 99); Jauernig13-Mansel, §  242 Rn.  15; Staudinger2002-Schlosser, §  305 Rn.  55 mwN. 278   A. A. Wagner, Prozessverträge, S.  95. 279   Eisenberg, 47 Stanford Law Review 211, 214 (1995); zu diesem Phänomen oben 3.A.1, Fn.  4 4. 274

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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spielen. Erneut zeigt sich daran, dass sich die Frage nach der Abdingbarkeit einer Norm nur beantworten lässt, wenn man die Umstände der Abbedingung beachtet. Bei der AGB-Kontrolle ist dies durch §  310 Abs.  3 Nr.  3 BGB sogar ausdrücklich angeordnet, 280 auch wenn das oftmals übergangen wird, indem einzelne Klauseln ohne Rücksicht auf die Umstände der Vereinbarung für unwirksam erklärt werden. Im Vergleich zu den noch zu thematisierenden materiellen Anforderungen erscheinen die formellen Pflichten zunächst als milder. Den Parteien bleibt die Möglichkeit einer anderen Gestaltung. Beugen die formellen Pflichten daher den Gefahren einer Abbedingung vor, so ist deren uneingeschränktes Verbot unverhältnismäßig. 281 Indes darf dies nicht darüber hinweg täuschen, dass auch die formellen Anforderungen den Vertragsschluss belasten, etwa wenn sie wie im Fall der Widerrufsrechte beträchtliche Kosten mit sich bringen. Sie können dadurch die von zwingenden materiellen Vorgaben ausgehenden Verzerrungen übertreffen. Das im Fernabsatz nach §  312d BGB den Verbrauchern eingeräumte formelle Widerrufsrecht etwa dürfte die Unternehmer aufgrund massenhafter Inanspruchnahme noch stärker belasten als die zwingende zweijährige Gewährleistungszeit, §§  437, 475 BGB. Der Genuss der formellen Rechte ist denjenigen erschwert, denen die Zeit zur Rechtsdurchsetzung fehlt und die durch komplizierte Belehrungen oder fehlende Gewandtheit davon abgehalten werden, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Das erscheint zunächst als hinnehmbar, weil ihnen immerhin die Möglichkeit dazu eingeräumt wird. Eine Betrachtung aller von einer Norm Betroffenen stellt das allerdings in Frage. Denn die durch die formellen Rechte entstehenden Kosten fließen in die Kalkulation der Preise ein. Die nur von einer Minderheit in Anspruch genommenen Rechte werden von der Gesamtheit der Verbraucher getragen. Nutzen etwa nur 30% ihre Widerrufsrechte, so haben dafür gleichwohl 100% der Verbraucher aufzukommen. Am härtesten getroffen werden die schlecht Informierten, welche die Gefahren einer Abbedingung am leichtesten unterschätzen und mangels geschäftlicher Gewandtheit von den ihnen eingeräumten Rechten keinen Gebrauch machen. Sie müssen die Privilegierung der Wohlinformierten mitfinanzieren. Damit schaden prozedurale Vorkehrungen womöglich gerade denjenigen, die den stärksten Schutz verdienen.282 All das spricht dafür, auch die formellen Anforderungen an eine Abbedingung nur zurückhaltend einzusetzen und ihrerseits am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen. Den bereits durch frühere Verträge oder ihre berufliche 280   Dies geht auf Art.  4 Abs.  1 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 zurück; zur Interpretation mwN.  Staudinger2006 -Schlosser, §  310 Rn.  69 ff. 281   Oben 4.A.2.c), Fn.  127. 282   Vgl. Hatzis, in: Grundmann/Schauer, The Architecture of European Codes and Contract Law, p.  159, 168.

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Stellung Informierten muss es beispielsweise möglich sein, auf eine erneute und weitere Belehrung zu verzichten. Eine leere Förmelei dient keinem. Sie erhöht nur die Kosten. b)  Konkretisierung von Gefahren und Ansprüchen Seit John Rawls ist in der praktischen Philosophie die Figur eines Gesellschaftsvertrages283 verbreitet, der unter dem Schleier des Nichtwissens geschlossen wird. Dieser hat das Ziel, die für die Gestaltung einer Gesellschaft maßgeblichen Prinzipien festzulegen. Dabei soll das fehlende Wissen um die konkreten Auswirkungen des Vertrages eine Verzerrung durch die Zufälle des Schicksals verhindern 284 und die Vernünftigkeit des Gesellschaftsvertrages garantieren. Im Vertragsrecht verhält es sich demgegenüber umgekehrt: Je konkreter die Parteien die Auswirkungen ihres Vertrages vor Augen hatten, desto eher erkennt das Recht ihn an. Die Kenntnis der Auswirkungen, nicht aber ein fehlendes Wissen spricht für die Vernünftigkeit eines Vertrages. Einen abstrakten Haftungsverzicht etwa beurteilt das Recht zurückhaltender als einen Verzicht auf bereits entstandene und damit konkretisierte Ansprüche.285 Der gleiche Unterschied tritt auch bei der Abdingbarkeit der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte der Verbraucher auf. Vor dem Auftreten eines bestimmten Mangels sind sie zwingend, danach abdingbar. 286 Je stärker sich daher im Privatrecht eine Absprache auf einen bestimmten und den Parteien bekannten Sachverhalt beschränkt, desto eher ist eine Disposition über ihn zulässig. Während es etwa kaum zulässig sein dürfte, einen Anwalt von der Haftung für sämtliche Interessenkonflikte freizuzeichnen, ist es immerhin möglich, dies für einen bekannten Streit zu tun.287 Denn dem Anwalt wird dadurch keine Erlaubnis eingeräumt, seine Mandanten zu schädigen, sondern in einem begrenzten Bereich eine weitere Tätigkeit erlaubt. Gleiches gilt für den Verzicht auf Arbeitnehmerrechte. Auch diesen hält das Recht vielfach nur nach einer Kündigung für wirksam, wenn die einzelnen Rechte bekannt sind. 288 Zulässig ist ferner die 283   Rawls, A Theory of Justice, pp.  136; stellvertretend für die Kritik Scanlon, What We Owe to Each Other, pp.  207; von der Pfordten, Rechtsethik, S.  422 ff. 284   Rawls, A Theory of Justice, p.  12, 137. 285   §§  276 Abs.  3, 702a Abs.  1 BGB; 47 Abs.  1 BörsG; 7 S.  1 HaftpflG. Entsprechend II.-I: 102 par. 3 Common Frame of Reference. Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 354 f. plädiert ebenso für die Möglichkeit, Widerrufsrechte nach ihrer Entstehung abzubedingen. 286   §§  475 Abs.  1, 478 Abs.  4 S.  1 BGB; siehe auch DCFR II.-I: 102 par 3, veröffentlicht in von Bar/Clive/Schulte-Nölke, Principles, Definitions, and Model Rules of European Private Law, p.  105. 287   Entsprechend argumentiert McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 415 (2007) zu Interessenkonflikten innerhalb eines Unternehmens. 288   BAG, NJW 1981, 1061, 1062 mwN.: Verzicht auf Lohnfortzahlungsansprüche erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses; MünchKommBGB5-Henssler, §  630 Rn.  59 sowie Staudinger2002-Preis, §  630 Rn.  7 mwN.: Verzicht auf Zeugniserteilung nur nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses; BAG, NJW 1981, 1061, 1062: Verzicht auf Lohnansprüche erst mit Fäl-

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Abtretung konkretisierter Ansprüche. Demgegenüber wäre die Übertragung sämtlicher Forderungen einer Person als Äquivalent einer pauschalen Vermögensübertragung nichtig, §  311b Abs.  2 BGB. Das Recht erkennt also in diesen und weiteren 289 Fällen eine Vereinbarung umso eher an, je konkreter die von ihr umfassten Ansprüche, Pflichten und Gefahren den Beteiligten vor Augen stehen. Im Voraus getroffenen und damit in den Auswirkungen nicht absehbaren abstrakten Absprachen hingegen begegnet es mit Skepsis. Wie ist dieser Kontrast zwischen dem Rawlsschen Modell und dem Vertragsrecht erklärbar, wo beide doch an einer möglichst rationalen, auf den Einzelnen zurückführbaren Entscheidung interessiert sind? Warum strebt das eine Modell ein möglichst umfassendes Wissen an, während das andere es zu verhindern sucht? Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass es bei Vertragsverhandlungen nicht um kollektive Entscheidungen geht, in denen eine Vielzahl von Beteiligten per Mehrheit entscheidet. Stattdessen treffen lediglich zwei Parteien eine Vereinbarung. Während das Recht kaum Vorgaben dafür macht, ob, wann und worüber sie sich einigen, regelt es die einmal getroffenen Absprachen umso intensiver. Rawls’ Verfahren versucht demgegenüber, die Schwierigkeit einer kollektiven Entscheidungsfindung zu überwinden. Aufgrund der Vielzahl der Beteiligten und der Gegensätzlichkeit der Interessen scheitert diese bei grundlegenden Fragen häufig. Anders als bei abdingbarem Vertragsrecht geht es zunächst um das Zustandekommen einer Einigung. Um sie sicherzustellen, will Rawls die nachteiligen Folgen ausklammern und stattdessen abstrakte Grundsätze für spätere Interessenkonflikte entwickeln. Ihm geht es nicht um die Frage, wie man bereits getroffene individuelle Absprachen bewertet und ergänzt, sondern wie sich eine große Gruppe von Menschen überhaupt einigt. ligkeit; §  89b Abs.  4 S.  1 HGB: im Voraus kein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters; §  22 S.  2 ArbEG: keine Abbedingung zuungunsten des Arbeitnehmers vor Mitteilung seiner Erfindung; BAG, NJW 1979, 2267; NZA 2008, 219, 220: Verzicht auf Kündigungsschutzklage nach Kündigung. Zum Ganzen Wagner, Prozessverträge, S.  119 ff.; Möslein, Dispositives Recht, S.  194. 289   Weitere Fälle sind §  202 Abs.  1 BGB: keine Verjährungsverkürzung bei Vorsatz im Voraus; §  248 Abs.  1 BGB: keine Zinseszinsvereinbarung im Voraus; §  619 BGB: keine Einschränkung der Fürsorgepflicht im Voraus; §  1229 BGB: keine Pfandverfallvereinbarung vor Verkaufsberechtigung; §  1245 Abs.  2 BGB: kein Verzicht auf pfandrechtliche Veräußerungsnormen vor Eintritt der Verkaufsberechtigung; §§  1378 Abs.  3 S.  3, 1585c S.  1, 1614 Abs.  1 BGB: kein Verzicht auf Ausgleichs- und Unterhaltsansprüche im Voraus; §§  26 Abs.  2 Nr.  1 FernUSG, 38 Abs.  3 Nr.  1 ZPO: keine Gerichtsstandsvereinbarung vor Entstehung der Streitigkeit; §§  7 S.  1 HaftPflG, 14 ProdHaftG, 49c Abs.  1 LuftVG: keine Einschränkung der Ersatzpflicht im Voraus; §  119 InsO: keine Abbedingung der §§  103 ff. InsO im Voraus; Art.  14 I 1 lit b Rom II-VO: keine Rechtswahlvereinbarung vor dem schadensbegründenden Ereignis; §  295 ZPO: kein Verzicht auf Verfahrensrügen im Voraus. Kaser, SZ 1986, 1, 80 interpretiert Corpus Iuris Civilis, D.35.2.15.1, Papinian, bereits so, dass nur der vor dem Erbfall ausgesprochene Verzicht unwirksam sei; für das BGB ferner Ehrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S.  89; Wagner, Prozessverträge, S.  107; zum amerikanischen Recht Ware, 83 Minnesota Law Review 703, 729 (1999).

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Bei der Anerkennung einer Abbedingung ist die entscheidende Frage hingegen nicht, ob sich die Parteien einigen, sondern, ob ihre Einigung wirksam ist.290 Lässt sich diese mit dem Wissen, wer von ihr profitiert, schwerer erzielen als bei Unwissenheit, so gebührt einer gleichwohl erzielten Einigung umso eher Anerkennung. Denn das Eigeninteresse der Parteien mag zwar eine Einigung verhindern, so dass es gerade bei schwer zu erreichenden kollektiven Entscheidungen sinnvoll ist, zunächst die abstrakten Grundlagen zu erörtern. Sind die Parteien aber mit einer Regelung einverstanden, obwohl sie deren Auswirkungen und Risiken im Einzelnen kennen, ist sie umso eher zu akzeptieren.291 Gerade dies spricht bei Individualverträgen dafür, eine Entscheidung über die vor Augen stehenden Risiken anzuerkennen. 292 Wenn die Parteien diese tendenziell überschätzen, besteht umso weniger ein Grund, ihre Entscheidung aufgrund fehlender Risikowahrnehmung zu korrigieren. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Rawlsschen Modell und vertraglichen Vereinbarungen besteht darin, dass Letztere nur selten die grundsätzliche Ebene rechtsethischer Prinzipien erreichen.293 Verträge lassen etwa offen, ob man in ungeklärten Fragen das Pareto-Kriterium verwendet, wonach eine Entscheidung niemanden schlechter, aber mindestens eine Person besser stellen muss, oder vielmehr das Kaldor-Hicks-Kriterium, wonach der Vorteil der von einer Entscheidung Profitierenden so groß sein muss, dass sie die von ihr Benachteiligten entschädigen können.294 Die Parteien kennen sie häufig nicht einmal. Stattdessen regeln sie Einzelfragen wie die Haftung und die Gewährleistung. Sie sind zwar abstrakter als konkretisierte Preis- und Leistungsangaben, im Vergleich zu den genannten Grundsätzen jedoch konkreter. Damit bewegen sie sich ähnlich wie die Normen des BGB295 auf einer mittleren Ebene zwischen konkreten Einzelfallnormen und abstrakten Gerechtigkeitsgrundsätzen. Ein Haftungsausschluss beispielsweise ist einerseits nicht konkret genug, um zu wissen, um wie viel Geld es geht, andererseits aber nicht abstrakt genug, um seinen Gerechtigkeitsgehalt zu verdeutlichen. Dieser mittlere Abstraktionsgrad vertragsrechtlicher Normen birgt bei der Abbedingung erhebliche Gefahren. Denn man kann bei derartigen Entscheidungen mangels Konkretisierung nicht ohne weiteres erkennen, wie sie sich im Einzelnen auswirken, und mangels Abstrahierung nicht beurteilen, ob sie   Zur begrenzten Tragweite des §  139 BGB oben 3.B.4.b).   Vgl. zur Einstellung auf eine neue Tätigkeit des Handelsvertreters, BGH, NJW 2002, 1875, 1876. 292   Zum Verfügbarkeitsvorurteil (availability bias), nach dem konkrete geschilderte Gefahren eher überschätzt als unterschätzt werden, oben 3.A.1, Fn.  46. 293   Vgl. Rakoff, in: Beatson/Friedmann, Good Faith and Fault in Contract Law, pp.  191, 228; es ist umstritten, ob das Vertragsrecht zur „basic structure“ einer Gesellschaft im Sinne Rawls zählt; dazu mwN.  Hesselink, 7 European Review of Contract Law 295, 302 (2011). 294   Dazu von der Pfordten, Normative Ethik, S.  205 ff. mwN. 295   Rückert, JZ 2003, 749, 755. 290 291

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rechtsethisch legitim sind. Während in abstraktester Form kaum jemand einer ausdrücklichen Benachteiligung zustimmt, weil er damit seine Ehre und Persönlichkeit in Frage stellt, sind in konkreter Form viele dazu bereit, solange diese Konsequenz nicht ausgesprochen ist. Niemand unterschreibt einen Vertrag, in dem es ausdrücklich heißt, der Käufer wird benachteiligt oder seine Interessen spielten keine Rolle. Geht es aber um eine Vertragsgestaltung, deren Klauseln genau dieses bewirken, so stößt sie eher auf Zustimmung. Indem das Recht eine Abbedingung bisweilen nur bei der Erkennbarkeit ihrer Auswirkungen anerkennt, stellt es sicher, dass die auf dieser mittleren Abstraktionsstufe existierenden Risiken den Parteien durch Konkretisierung deutlich werden. Demgegenüber bedarf es dieser Konkretisierung im Rawlsschen Entscheidungsverfahren nicht, weil es bei ihm im Gegensatz zu vertraglichen Einigungen um die abstraktesten Grundsätze geht, die sich ethisch eher bewerten lassen. Die Gefahr einer Fehlentscheidung dürfte daher auf der mittleren Abstrak­ tionshöhe, auf der auch vertragsrechtliche Normen stehen, am größten sein. Einschränkungen allgemeiner Rechte stimmt man auf ihr leichter als auf ab­ strakter Ebene zu, solange die Ungleichheit gegenüber dem anderen Vertragspartner verdeckt bleibt. Deshalb greift das Recht auf dieser Ebene ein und beschränkt die Abdingbarkeit. Etwa wirkt es dem dabei auftretenden Überoptimismus entgegen, „dass schon alles gut gehen wird“296 und die geregelten Risiken nicht eintreten. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die meisten Abbedingungsgrenzen auf dieser mittleren Abstraktionshöhe befinden, auf der die Auswirkungen kaum absehbar sind.297 Als unmittelbarer Ausdruck der Parteiautonomie verdienen konkrete Absprachen in höherem Maße als abstrakte Klauseln Anerkennung. Spätestens mit dem Eintritt einer Gefahr wissen die Parteien, worauf sie sich einlassen. Ihnen gleichwohl eine bestimmte Vereinbarung zu untersagen, wiegt schwerer, als ihnen abstrakte und in den Auswirkungen nicht bekannte Abweichungen von den vorgegebenen Normen zu verbieten. Deutlich wird dies an der Unterscheidung zwischen einer Abbedingung vor und nach dem Eintritt eines Interessenkonflikts. Während das Recht Letztere meist für zulässig hält, 298 stellt es für die Regelung im Vorfeld eines derartigen Konflikts vielfach Grenzen auf. Der dahinter stehende Gedanke lässt sich verallgemeinern zur Aussage, dass das Recht eine Abbedingung umso eher hinnimmt, je besser die durch sie geregelten Ansprüche und Gefahren erkennbar sind.

  Zu diesem Überoptimismus während der Vertragsverhandlung oben 3.A.1, Fn.  4 4.   Zur Verbindung von Transparenz eines Vertrages und der Autonomie der Parteien auch BVerfG, NJW 2006, 1783, 1785. 298   Oben Fn.  288, 289. 296 297

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Die bereits beschriebene Kompensation abbedungenen Rechts durch Belehrung und Information 299 ist ein Sonderfall dieser Konkretisierung. Sie kann allerdings auch auf andere Weise geschehen. Denkbar ist etwa, dass die Parteien die drohenden Risiken detailliert beschreiben. Das erhöht den Stellenwert der davon betroffenen Klauseln.300 Umso ferner liegt dann, dass die Parteien sie übersehen oder leichtfertig verdrängen. Die Konkretisierung kann des Weiteren darauf beruhen, dass die zu regelnde Situation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits eingetreten und beiden Parteien bewusst war. Ebenso kann sie auf die Wiederholung eines bereits einmal geschlossenen Vertrages zurückgehen. Denn dann kennen die Parteien die mit ihm verbundenen Risiken. Eine Versicherung beispielsweise, die ein bestimmtes Risiko schon mehrfach reguliert hat, kann sich kaum darauf berufen, sie hätte es aufgrund der abstrakten Fassung einer Klausel nicht erkennen können. Die Konkretisierung von Gefahren aufgrund ihres wiederholten Auftretens ist entsprechend ein Grund, aus dem das Recht Unternehmern eine größere Freiheit zur Abbedingung von Normen zubilligt als Verbrauchern. Es nimmt an, dass sie häufiger mit einer derartigen Situation konfrontiert sind. Allerdings ist dies nur eine typisierende Annahme. Einmalige Geschäftsabschlüsse kann es ebenso geben wie den wiederholten Abschluss von Verbraucherverträgen eines bestimmten Typs. So dürften sich die meisten Verbraucher im Laufe der Zeit der Gefahren des Versandhandels bewusst werden. Am stärksten ist die Konkretisierung der betroffenen Rechte und Pflichten bei abgeschlossenen Geschäften. Denn dann stehen ihre Folgen im Einzelnen fest. Treffen die Parteien dazu eine abschließende Regelung, kommt ihrer Absprache schon wegen der Abschätzbarkeit der Folgen ein besonderes Gewicht zu. Als Alternative zu ihr bleibt nur ein Gerichtsprozess. Das Recht erkennt Absprachen zu abgeschlossenen Vorgängen daher in stärkerem Maße an als Absprachen in gerade erst begonnen.301 Gleiches gilt für die faktische Anerkennung von Absprachen, die zwar nichtig sind, bei einer gleichwohl erfolgten Leistung aber keinen Rückerstattungsanspruch begründen.302 Schon wegen des Rechtsfriedens setzt das Recht deshalb nur minimale Anforderungen an einen Erlass- und Vergleichsvertrag.303 Es sieht für sie keine über §§  134, 138 BGB hinausgehenden Einschränkungen vor, §§  397 Abs.  1, 779 BGB.304 Selbst zwin-

  Oben 5.B.5.a).   Johnson et al., 7 Journal of Risk and Uncertainty 35, 40 (1993), wonach die Befragten signifikant mehr für eine Versicherung „aller Krankheiten (nach allen Unfällen)“ ausgeben würden als für eine Versicherung für Krankheiten „aus jedem Grund“. 301   Etwa Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S.  119. 302   Etwa §§  656 Abs.  1 S.  1, 762 Abs.  1 S.  2, 817 S.  2 BGB, 4 Abs.  5 S.  2 RVG. 303   Thöl, aaO., S.  118: „Der Character des Privatrechts ist die Verzichtbarkeit“. 304   Zum Verzicht Staudinger2005-Rieble, §  397 Rn.  175 ff.; enger hingegen MünchKommBGB5-Schlüter, §  397 Rn.  20; zum Vergleich BeckOK-BGB20 -Fischer, §  779 Rn.  34 ff.; 299

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gende Verbraucherrechte können für die Zeit nach der Leistungserbringung eingeschränkt werden.305 Zudem besteht keine Pflicht, die einem durch zwingende Normen eingeräumten Rechte vor der Verjährung zu bewahren oder einzuklagen.306 Zumindest faktisch kann man auf sie im Nachhinein verzichten. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, können die Parteien per Vergleich über materiell unverfügbare Rechte disponieren. Bemerkenswerterweise erweitert der Gesetzgeber diese prozessualen Möglichkeiten in einer Zeit,307 in der er im Übrigen mit zwingenden materiellrechtlichen Normen die Vertragsfreiheit einschränkt.308 Die Verfügungsfreiheit, die er den Parteien dadurch nimmt, gesteht er ihnen prozessual teilweise wieder zu.309 Auch das dürfte darauf beruhen, dass die Rechte und Pflichten in einem begonnenen Rechtsstreit besser absehbar sind als beim Vertragsschluss. Je konkreter die Auswirkungen einer Abbedingung vor Augen stehen, desto eher ist diese anzuerkennen. c)  Abbedingungsinitiative durch den Belasteten Ein letzter bei der Beurteilung einer Abbedingung zu beachtender Gesichtspunkt ist das Ausmaß, mit dem diese dem durch sie Belasteten zurechenbar ist. Zu seiner Zustimmung zum Vertragsschluss können weitere Gründe hinzutreten, welche für eine derartige Zurechnung sprechen. So ist etwa der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen für diese verantwortlich und kann daher nicht geltend machen, dass sie gegen Treu und Glauben verstießen, §  307 Abs.  1 BGB.310 Ihre Einbeziehung geht schließlich auf seine Initiative zurück. Für etwaige durch eine Abbedingung entstehende Belastungen ist er selbst verantwortlich. Nur sein Vertragspartner darf deshalb eine Benachteiligung rügen. Auch in Individualverträgen lässt sich berücksichtigen, auf wessen Initiative eine Abbedingung zurückgeht. Setzt sich eine Partei in den Verhandlungen durch, kann sie sich im Nachhinein kaum auf Fehler im Verhandlungsprozess berufen und etwa darauf verweisen, dass sie aufgrund unterlegener Verhandlungsposition benachteiligt worden sei. Die Abbedingung erscheint vielmehr als Erfüllung ihres Wunsches und Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Entsprechend versagen die Gerichte die Berufung auf die Nichtigkeit einer Abbedingung bisweilen nach §  242 BGB.311 MünchKommBGB5-Habersack, §  779 Rn.  57 ff.; Staudinger2009-Marburger, §  779 Rn.  75 jeweils mwN. 305   Etwa beim Erlöschen des Widerrufsrechts durch vollständige Leistungserbringung, EuGH, NJW 2008, 1865, 1867. 306   Wagner, Prozessverträge, S.  107 ff. 307   Etwa §  15a ZPO; Mediationsrichtlinie 2008/52/EG vom 21. Mai 2008. 308   Nachweise oben 5.A.1, Fn.  5. 309   Zum Phänomen faktisch abdingbarer Normen siehe oben 1.F.2. 310   BGH, NJW-RR 1998, 594, 595 sowie oben 3.C.1.a), Fn.  300. 311   BGH, NJW-RR 2008, 1050; weitere Nachweise oben 3.B.4.b), Fn.  221.

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Eine Rolle spielt dies etwa beim Architektenvertrag, der nicht mit der Verpflichtung zum Erwerb eines Grundstücks gekoppelt werden darf, Art.  10 §  3 MRVG, §  3 S.  1 ArchLG. Der BGH beschränkt dieses Verbot auf die Konstellation, dass die Initiative zur Verbindung beider Leistungen vom Architekten ausgeht.312 Wünscht der Erwerber hingegen Grundstück und Architektenleistung aus einer Hand, bedürfe es dieses Schutzes nicht. Art.  10 §  3 MRVG ist danach auf Initiative des durch sie zu schützenden Grundstückserwerbers abdingbar. Dieser Gedanke lässt sich auf eine Vielzahl anderer Schutzvorschriften übertragen.313 Dass die Abbedingung auf die Initiative des durch sie Belasteten zurückgeht, mag zunächst als Ausnahme erscheinen. Zu ihr kommt es aber insbesondere dann, wenn eine Abbedingung dem durch die Norm Geschützten zum Vorteil gereicht, etwa weil er dadurch seine Verhandlungsposition in anderen Fragen verbessert. Sie kann er etwa zu einer Preisanpassung nutzen, so dass sich die Initiative zur Abbedingung auch für ihn insgesamt lohnt. Zwar ist in komplexen Vertragsverhandlungen schwer nachweisbar, von wem letztlich die Initiative ausging. Das spricht indes nicht dagegen, diesen Gesichtspunkt jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn er feststeht. Ein ähnlicher für die Zurechnung einer Abbedingung sprechender Gesichtspunkt besteht darin, dass diese dem Belasteten freigestellt war, er also auch ohne sie einen Vertrag mit dem jeweiligen Partner hätte schließen können.314 Auf eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Verträgen hat zwar niemand einen Anspruch.315 Besteht sie aber, so ändert sich die Beurteilung der mit einer Abbedingung eintretenden Belastung. Das ist insbesondere bei der offenen Tarifwahl der Fall, wenn eine Partei zwischen zwei Vertragsgestaltungen mit verschiedenen Entgelten wählen kann. Denn dann hat der Belastete eine zumutbare Alternative.316 Dies gilt ferner, wenn der Gesetzgeber den Parteien mehrere Va­   BGH, BeckRS 2008, 22202.   So etwa ist eine Befristung von Arbeitsverträgen möglich, wenn sie auf Initiative und im Interesse des Arbeitnehmers erfolgt, BAG, NJW 1961, 798, 790 (= BAGE 10, 65, 72); AP Nr.  91 zu §  620 BGB; NZA 1997, 1222, 1223; Staudinger2002-Preis, §  620 Rn.  135; BeckOKBGB20 -Fuchs, §  620 Rn.  28; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  276. Auch bei grenz­ überschreitenden Verträgen kann es bei der Anwendbarkeit zwingender Normen auf die Frage ankommen, ob vom zu Schützenden die Initiative zum Vertragsschluss ausging, siehe von der Groeben/Schwarze-Tiedje/Troberg, EU-/EG-Vertrag6 , Art.  49 Rn.  100 f. Ablehnend gegenüber der Berücksichtigung einer Abbedingungsinitiative hingegen BAG, NJW 1991, 860, 861. 314   Siehe dazu Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  304 f.; Bachmann, JZ 2008, 11, 17. 315   Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 69. 316   BGH, NJW-RR 1989, 243, 244; NJW 2009, 3227, 3228; offen noch BGH, NJW 1980, 1953, 1955 (= BGHZ 77, 126, 134); von Westphalen, NJW 2008, 2234, 2237; ders., NJW 2010, 2254, 2257; MünchKommBGB5-Kieninger, §  307 Rn.  45; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  138. Umstritten ist, ob dies bei der Prüfung der Unangemessenheit zu berücksichtigen ist, so Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  148, oder bei der Einordnung als Individualvereinbarung, so Coester, aaO. 312 313

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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rianten vorgibt (norm menu) 317, aus denen sie wählen können oder gar wählen müssen 318 . Auch dann bleibt ihnen ein Mindestmaß an Freiheit. Die Wahl zwischen verschiedenen Vertragsgestaltungen kommt selbst bei der Bewertung von AGB zum Tragen. Vom Vertragspartner des Verwenders abhängige Gestaltungen gelten – zumindest bisweilen – nicht als vom Verwender gestellt, weil sie ihm nur begrenzt zurechenbar sind.319 Das ist zwar mit dem Begriff der AGB als für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Bedingungen kaum vereinbar, §  305 Abs.  1 S.  1 BGB, da dies die Einräumung einer Wahlmöglichkeit nicht ausschließt.320 Jedoch ist dies im Ergebnis aufgrund der größeren Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners nachvollziehbar. Wer trotz einer nahe liegenden Alternative ein Risiko eingeht, kann es nur schwer dem anderen Teil anlasten. Dass eine dem Belasteten freigestellte Abbedingung eher zulässig ist als eine strikte Vorgabe, zeigt sich auch am möglichen Verzicht des Handelsvertreters auf einen Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer, §  89b HGB. Obwohl dieser Verzicht im Grundsatz ausscheidet, bleibt er wirksam, wenn der Handelsvertreter zwischen ihm und einer Betriebsrente wählen konnte.321 Hier kommt wiederum der Gedanke zum Tragen, dass sich derjenige nicht auf eine Benachteiligung berufen kann, der sie selbstständig und unabhängig von den Vorgaben des Vertragspartners gewählt hat. Derartige Wahlmöglichkeiten können einer Zementierung des Rechts aufgrund zwingender Normen entgegenwirken, ohne dass damit der Schutz einzelner Parteien dem freien Spiel der Kräfte überantwortet wäre. Sie führen dem Vertragspartner die mit einer Norm einhergehenden Kosten vor Augen und überlassen ihm die Gestaltung seiner Rechte. Zudem können Gesetzgeber und Gerichte bei derartigen Dispositionen die Notwendigkeit zur Anpassung des geltenden Rechts eher erkennen.322 Bedingen die Parteien eine Norm verstärkt ab, besteht ein Anlass, über die Veränderung des abdingbaren Rechts nachzudenken. Für die Zulässigkeit einer Abbedingung spricht schließlich, dass der durch sie Belastete das Angebot eines anderen Anbieters wahrnehmen konnte. Je leichter es für ihn war, auf ein anderes Angebot einzugehen, desto eher hat er einen   Ayres, 73 University of Chicago Law Review 3, 11 (2006); McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 396 (2007). 318   Allerdings kann auch dieser Entscheidungszwang paternalistisch sein, Sunstein/Thaler, 70 University of Chicago Law Review 1159, 1173 (2003). 319   BGH, NJW 2003, 1313, 1314 (= BGHZ 153, 148, 153); 2008, 987, 989 (= BGHZ 175, 76, 85); einschränkend NJW-RR 2006, 758, 760; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  305; Staudinger2006 -Schlosser, §  305 Rn.  38; Jauernig13-Stadler, §  305 Rn.  10. 320   Gegen die Einordnung als Individualvereinbarung daher BGH, NJW-RR 1986, 54; NJW 1988, 410, 411; 1992, 1107, 1108; 2010, 1131, 1133; Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  148; siehe auch oben 3.B.4.c). 321   BGH, NJW 2003, 3350 f.; dazu bereits oben 1.F.1.c), Fn.  368. 322   Dazu oben 3.C.1.d). 317

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

gleichwohl geschlossenen Vertrag zu verantworten. Bestand in einer Frage ein öffentlicher Klauselwettbewerb und hat sich eine Partei bewusst für eine von mehreren miteinander konkurrierenden Gestaltungen entschieden, so ist sie umso eher an ihrer Wahl festzuhalten. Ein gleichwohl erfolgender Eingriff durch zwingendes Recht wäre problematisch, weil mit ihm eine Verzerrung des Wettbewerbs einträte. Umgekehrt verdient eine Abbedingung umso weniger Schutz, je stärker ein Markt monopolisiert ist. Denn dann fehlt die Wahlmöglichkeit, aufgrund derer den Parteien eine Abbedingung zuzurechnen ist. Ein funktionierender Wettbewerb ist einer der wichtigsten Faktoren, die den Einzelnen vor Benachteiligungen schützen.323 Soweit zwingende Normen die Entstehung eines Marktes verhindern, sind sie kontraproduktiv. Sie nehmen dann den von ihnen zu Schützenden die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Angeboten zu wählen. Damit sinkt der Verhandlungsspielraum. Das gilt selbst dann, wenn es um Güter geht, an denen die Marktteilnehmer ein gleiches Interesse haben.324 Denn auch sie können mit unterschiedlichen Liefer- und Garantiezeiten sowie Zusatzleistungen angeboten werden, so dass sich auch bei ihnen die Wahl zwischen verschiedenen Gestaltungen nicht erübrigt. Zwingende Normen vermögen somit, einen Wettbewerb zu verhindern und diejenigen zu begünstigen, die nicht an Neuerungen interessiert sind. So wenig das Privatrecht neutral ist,325 so wenig sind es seine Eingriffe in die Freiheit der Parteien.

6.  Materielle Kompensation abbedungenen Rechts Neben einer formellen Kompensation abbedungenen Rechts bestehen zahlreiche Möglichkeiten zu einem materiellen Ausgleich. Dabei kommt es auf die Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts (a), den Umfang der Abbedingung (b) sowie den denkbaren Ausgleich durch andere Absprachen (c) an. a)  Eingeschränkte Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts In der Bewertung der für und gegen eine Abbedingung sprechenden Gründe ist zunächst die Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts von Interesse. Denn wenn es keinen hohen Stellenwert hat, lässt sich seine Abbedingung nur schwer 323   Vgl. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.  308; Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, S.  287. Zum Zusammenhang von Wettbewerbsund Vertragsfreiheit Flume, AT, Bd.  2, S.  10; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  117; Bydlinski, Privatautonomie, S.  171; Canaris, FS Lerche, S.  873, 882; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 126; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  6 4 mwN.  Zur Kritik Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  9 0 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.  16 f. 324   A. A. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  95 f. 325   Dazu oben 1.A.3.b), Fn.  99.

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untersagen. Sein Gewicht hängt davon ab, was die Parteien durch den Vertragsschluss gewinnen und verlieren. Die Aufgabe bereits existierender Rechte wiegt schwerer als der Verlust von erst dank des Vertrages begründeten Positionen.326 Denn auf sie besteht ebenso wenig ein Anspruch wie auf einen Vertragsabschluss.327 Beispielsweise ist eine Freizeichnung von deliktischen Schadensersatzansprüchen problematischer als der Ausschluss der Gewährleistung. Bei ihnen droht ein Verlust, während die fehlende Gewährleistung nur eine Einschränkung der noch zu erfolgenden Leistung mit sich bringt. Deren Angemessenheit ist mangels Preiskontrolle ohnehin den Parteien überlassen. Aus diesem Grund kommt es zur Beurteilung einer Abbedingung nicht nur darauf an, was die Parteien allein durch sie verlieren oder gewinnen, sondern auch darauf, wie sich ihre Lage durch den Vertragsschluss insgesamt verändert. Problematisch ist ein Vertrag deshalb nicht schon dann, wenn er eine Partei im Vergleich zum abdingbaren Recht benachteiligt, sondern erst dann, wenn er sie im Vergleich zu der ohne Vertragsschluss bestehenden Lage schlechter stellt. Daher sind Ausschlüsse und Beschränkungen bei einer vertraglichen Haftung eher hinnehmbar als bei einer deliktischen. Denn die vertragliche Haftung entsteht erst durch den Vertragsschluss, auf den die Parteien in aller Regel keinen Anspruch haben.328 Der Ausschluss der deliktischen Haftung hingegen stellt die Parteien im Vergleich zu einem fehlenden Vertragsschluss schlechter, da sie auch ohne Vertrag besteht. Diese Abhängigkeit der Schutzbedürftigkeit eines Rechts von der ohne Vertrag bestehenden Rechtslage prägt auch die Kontrolle von Eheverträgen. So sind Ehepartner einander trotz Nichtigkeit eines zwischen ihnen geschlossenen Vertrages nicht zum vollen nachehelichen Unterhalt verpflichtet.329 Diesen hätten sie auch ohne Eheschluss nicht erhalten. Vielmehr haben sie nur in Höhe desjenigen Einkommens einen Unterhaltsanspruch, das sie ohne Ehe erhalten hätten.330 Die Unterhaltsvorschriften zwingen danach allenfalls zum Ausgleich ehebedingter Nachteile, nicht aber zum Ausgleich sonstiger Einkommensunterschiede. Während das Recht niemandem garantiert, durch eine Ehe zu einem

  Aus dem Corpus Iuris Civilis stammt dafür der Grundsatz D.50.17.41, „In re obscura melius est favere repetitioni, quam adventicio lucro“ (Im Zweifel ist eher der derzeitige Zustand wiederherzustellen, als ein Gewinn anzustreben.); Preußisches ALR Einleitung §  95; siehe auch oben 4.D.2.c), Fn.  4 42. 327   Vgl. BGH, NJW 1994, 1060, 1065 (= BGHZ 124, 351, 366); Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S.  519. Zum ausnahmsweisen Kontrahierungszwang oben 1.C.4, Fn.  211. 328   Zum Kontrahierungszwang 1.C.4, Fn.  211. 329   BGH, NJW 2007, 2848, 2850 f.; zur entsprechenden Beschränkung auf die ehebedingten Nachteile beim Versorgungsausgleich BGH, NJW 2005, 139, 141; BeckOK-BGB20 -Mayer §  1408 Rn.  41; Staudinger2007-Voppel, §  1356 Rn.  56b. 330   BGH, aaO. 326

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

höheren Lebensstandard zu kommen, mildert es eine mit ihr verbundene Verschlechterung. Die Schutzwürdigkeit der durch die Abbedingung aufgegebenen Position hängt des Weiteren vom betroffenen Gut ab. Eine Haftungserleichterung für Körperverletzungen stößt daher eher an Grenzen als eine für Sachschäden.331 Dispositionen über existentielle Güter sind eingeschränkter möglich als Dispositionen über sonstige Sachen.332 Somit ist es kein Zufall, dass sich zwingende Normen im Arbeits- und Mietrecht früher als im Kaufrecht durchgesetzt haben.333 Denn jene haben einen direkteren Bezug zu den Grundbedürfnissen der Einzelnen. Auch das Bundesverfassungsgericht korrigiert zivilgerichtliche Urteile in erster Linie, wenn es wie in den Bürgschafts- und Ehegattenverträgen um existentielle Bedrohungen geht. Seine denkbar weit gefassten Aussagen über eine „strukturell ungleiche Verhandlungsstärke“334 sind daher nicht ohne weiteres auf alltägliche Verträge begrenzten Umfangs übertragbar. Es ist daher kaum nachvollziehbar, dass man dem Einzelnen erlaubt, beliebige ihm verfügbare Summen in einer Lotterie zu verspielen,335 ihm aber verbietet, Waren ohne Gewährleistung zu einem niedrigen Preis zu erwerben, §§  475, 437 BGB. Sind die Folgen einer Abbedingung begrenzt, sind punktuelle Härten eher hinnehmbar und die Voraussetzungen der Selbstbestimmung nicht in Frage gestellt. Allerdings lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass die Abbedingung von Schutznormen in den existentiell wichtigen Fragen generell unzulässig ist. Denn gerade in diesen Fragen kommt auch die Selbstbestimmung besonders stark zum Tragen.336 Für die Schutzwürdigkeit eines abbedungenen Rechts spielt darüber hinaus eine Rolle, welche Art von Risiko betroffen ist. Können die Parteien dieses nicht beeinflussen, so ist dessen einseitige Zuweisung eher hinnehmbar, als wenn die eine Partei das von ihr beherrschbare Risiko auf die andere verlagert. Nur im letzteren Fall erhält sie den problematischen Anreiz zu riskanten Handlungen und zu einem Verzicht auf Schutzmaßnahmen. So ist in Handelsverträgen eine Freizeichnung des Lieferanten für den Fall eines Streiks eher akzeptabel als für 331   Siehe einerseits §  309 Nr.  7a BGB (volle Haftung für Körperverletzungen) und §  309 Nr.  7b BGB (keine Freizeichnung für grob verschuldete Sachschäden). 332   Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  141; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S.  261; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  275; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 33; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.  74. 333   Die zwingenden Normen der §§  475 ff. BGB hat erst die Schuldrechtsreform 2001 eingeführt, als die zwingenden Normen des Mieter- und Arbeitsrechts bereits bestanden, Nachweise oben 5.A.1, Fn.  5. 334   BVerfG, NJW 1991, 2549, 2551; weitere Nachweise oben 3.A.1, Fn.  28. 335   Etwa §  2 Abs.  1 Nds. GlücksspielG: „Das Land Niedersachsen hat die Aufgabe, zur Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots innerhalb des Landes Glücksspiele zu veranstalten und durchzuführen.“ 336   Vgl. von der Pfordten, Normative Ethik, S.  210 ff.

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den einer versehentlichen Spätlieferung.337 Die zu einem Streik führenden Risiken kann er anders als das Liefersystem kaum beherrschen. Der Gewährleistungsausschluss für Ursachen, die außerhalb der Einflusssphäre des Schuldners liegen, ist generell eher hinnehmbar, als ein derartiger Ausschluss für eigene Handlungen. Deshalb akzeptiert die Rechtsprechung bei der Errichtung neuer Häuser ausnahmsweise einen Gewährleistungsausschluss, der sich auf Bauteile beschränkt, die der Schuldner nicht herzustellen hatte.338 Fehler bei ihnen hat er nicht unmittelbar verschuldet. Haftungsbeschränkungen müssen ebenso wenig wie andere Dispositionen nach einem Alles-oder-Nichts-Schema beurteilt werden. Vielmehr sind Differenzierungen je nach Risiko und Umfang der Abbedingung möglich. Kann der durch die Abbedingung Belastete ein Risiko beherrschen, sollte er es auch vertraglich übernehmen dürfen.339 Die mangelnde Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts spricht ferner für die Zulässigkeit einer Rückabbedingung. Dabei handelt es sich um eine vertragliche Gestaltung, mit der die Parteien zur gesetzlichen Lage zurückkehren, die sie durch eine vorherige Disposition aufgegeben hatten. Auf diese Weise verlieren sie eine Position, die sie nur aufgrund einer Abbedingung erworben haben. Das Gesetz kann dies kaum als problematisch ansehen, da es ihnen vor Vertragsschluss eine entsprechende Gestaltung vorgegeben hatte. Beispielsweise können Mieter und Vermieter für die Abrechnung von Betriebskosten einen vom abdingbaren Recht abweichenden Maßstab festlegen, der weder von der erfassten Wohnfläche noch vom jeweiligen Gebrauch abhängt. Ihnen steht es frei, Pauschalen zu vereinbaren oder die Kosten nach der Zahl der Bewohner pro Wohnung umzulegen.340 Dieser Abweichung begegnet das Gesetz aber mit dem Vorbehalt, dass der Vermieter durch einseitige Erklärung zur verbrauchsabhängigen Umlage zurückkehren darf, §  556a Abs.  2 BGB.341 Diese ungewöhnliche Möglichkeit einer einseitigen Vertragsgestaltung ist nur damit erklärbar, dass das Gesetz die aufgegebene Position für wenig schutzwürdig hält. Sie besteht bei derartigen Pauschalen letztlich im Recht, Energie, Wasser und Wärme zu nutzen, ohne dass dafür, wie vom Gesetz intendiert, der Verursacher aufkommt. Entsprechend dürfte eine einvernehmliche Rückabbedingung auch in 337   Zur Zulässigkeit der Freizeichnung von Streikschäden Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht 2 -Otto, Bd.  3, §  265 BetrVG Rn.  36; einschränkend Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  391 ff. Zur Unwirksamkeit einer Freizeichnung von Verletzungen einer wesentlichen Vertragspflicht BGH, NJW 2002, 673, 674 (= BGHZ 149, 89, 96 f.); 2005, 1774; Palandt70 -Grüneberg, §  307 Rn.  35; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  275 f. 338   BGH, NJW 2006, 214, 215. 339   Entsprechend zur Verursachung von Kosten Canaris, AcP 200 (2000), 273, 337, 339. 340   §§  556 Abs.  2, 556a BGB; Palandt70 -Weidenkaff, §  556a Rn.  3; Schmidt-Futterer 9 -Börstinghaus, §  556a Rn.  70; Staudinger2006 -Weitemeyer, §  556a Rn.  8 ; siehe bereits oben 1.A. 341   Ein ähnlicher Gedanke liegt Art.  12 Abs.  2 der Übernahmerichtlinie 2004/25/EG vom 21. April 2005 zugrunde, die den Mitgliedstaaten zwar eine Abweichung erlaubt, dafür aber die „Wahlmöglichkeit“ vorschreibt, zur von der EU vorgesehenen Gestaltung zurückzukehren.

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

anderen Konstellationen möglich sein. Nach seinen eigenen Maßstäben hat der Gesetzgeber keinen Anlass, sie zu verbieten. Ein weiterer Grund zur Anerkennung einer Abbedingung entsteht, wenn eine funktionelle Alternative zu ihr zulässig ist.342 Denn dies zeigt, dass das abzubedingende Recht nur einen begrenzten Schutz verdient. Es wäre inkonsequent und letztlich gleichheitswidrig, wenn das Gesetz einen Abbedingungsakt untersagte, dessen Zwecke die Parteien auch auf andere Weise erreichen könnten. Die Wertung, die der alternativen Norm zugrunde liegt, lässt sich auf die Abdingbarkeit des fraglichen Rechts übertragen. Es handelt sich dabei um eine Analogie auf Sekundärebene,343 auf der die Abdingbarkeit der Primärnormen geregelt ist. So hält der BGH es etwa für zulässig, dass ein Gesellschaftsvertrag einem Erben die Möglichkeit einräumt, einem anderen daran beteiligten Erben grundlos zu kündigen.344 Dies ist nicht selbstverständlich, weil der BGH im Übrigen eine freie Kündbarkeit in Gesellschaftsverträgen für unzulässig hält.345 Der Grund für diese Ausnahme besteht darin, dass es dem Erblasser freisteht, den Erben von der Erbfolge auszuschließen.346 Deshalb ist die Abbedingung des sonst bestehenden Kündigungsschutzes nicht zu beanstanden. Erneut tritt dabei der Gesichtspunkt zu Tage, dass erst noch zu erwerbende Güter eher einer vertraglichen Disposition unterliegen als bereits erworbene.347 So ist es konsequent, wenn der BGH bei Personengesellschaften abweichend von §  140 HGB die Ausschließung eines Gesellschafters auch ohne wichtigen Grund zulässt, wenn dieser als Mitarbeiter oder Manager die Beteiligung nur für eine vorübergehende Zeit halten sollte.348 Schließlich ist eine derartige Beteiligung weniger schutzwürdig, als wenn sie auf Dauer angelegt war. Die Einschätzung, wie schutzwürdig ein abbedungenes Recht ist, erfolgt vor dem Hintergrund einer nahezu unbegrenzten Freiheit der Parteien, auf Ansprüche zu verzichten, sie verjähren zu lassen und von einer Klage abzusehen. Faktisch können sie daher fast alle vermögensrechtlichen Positionen aufgeben. Das spricht dafür, auch die sonstigen Grenzen der Abdingbarkeit weit zu zie  Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  301.   Zur Unterscheidung oben 1.A.1.d). 344   BGH, NJW 1989, 834, 835 (= BGHZ 105, 213, 218); NZG 2007, 422; BGH, NJW 2004, 2013, 2015 (für Neumitglieder); MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  737 Rn.  20; einschränkend BeckOK-BGB20 -Schöne, §  737 Rn.  26. 345   BGH, NJW 1977, 1292, 1293 (= BGHZ 68, 212, 215); 1989, 2681, 2682 (= BGHZ 107, 351, 353); 2005, 3641, 3642 (= BGHZ 164, 98, 101); NJW-RR 2007, 913; Goette, ZGR 208, 436, 442; BeckOK-BGB20 -Schöne, §  737 Rn.  26; MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  737 Rn.  19. Zur Kritik Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  213, 216 mwN. 346   Vgl. BGH, NJW-RR 2007, 913, 914. 347   Oben 5.B.5.b). 348   BGH, NJW 2005, 3641, 3642 (= BGHZ 164, 98, 102); BeckOK-BGB20 -Schöne, §  737 Rn.  25. 342 343

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hen, sofern vor allem Vermögensinteressen betroffen sind. Denn gewährt das Recht den Einzelnen die Möglichkeit, auf einen Vermögensgegenstand zu verzichten, wäre es widersprüchlich, wenn es sie in weniger weitgehenden Verfügungen einschränken wollte. b)  Begrenzter Umfang der Abbedingung Für die Anerkennung einer Abbedingung kommt es auch auf ihren Umfang an. Ist er begrenzt, ist die Entscheidung der Partei eher anzuerkennen als bei der vollständigen Abbedingung eines Rechts. Der Umfang lässt sich auf zweierlei Weise messen. Erstens kann man die abbedungenen Normen mit den Rechten vergleichen, über die der Einzelne insgesamt disponieren kann. Geht es im Vergleich zu diesen Rechten um ein untergeordnetes Recht, so kommt eine Abbedingung eher in Frage, als wenn es um fundamentale Rechte wie die Berufsfreiheit, die Entscheidungsfreiheit oder das gesamte Vermögen ginge. So sind 30jährige Bindungsfristen in Gesellschaftsverträgen von Freiberuflern unzulässig, da sie praktisch keine andere Berufstätigkeit erlauben, während sie bei anderen Gesellschaftsverträgen eher in Betracht kommen.349 Ebenso muss bei Generalvollmachten ein Widerruf möglich bleiben, da ihre Folgen im Gegensatz zu im Umfang eingeschränkten Vollmachten nicht begrenzbar sind.350 Zweitens kann man den Umfang der Abbedingung an der Rechtsnorm messen, die zur Disposition steht. Auch dabei ist eine teilweise Abbedingung eher zulässig als eine vollständige, da so der durch die abdingbare Norm bezweckte Schutz zumindest zu einem gewissen Grade erhalten bleibt. Dieser Zusammenhang zeigt sich besonders deutlich an den bereits erwähnten Haftungsfreizeichnungen. Während eine vollständige Freizeichnung vielfach untersagt ist, bleibt eine Haftungsbeschränkung oftmals möglich.351 Sie beeinträchtigt den Einzelnen weniger. Mit ihr erhalten sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte den Anreiz, einen Schaden zu verhindern, weil beide zu einem Teil für ihn aufkommen müssen. Das Risiko ist auf diese Weise geteilt. Auch in sonstigen Klauseln sind Begrenzungen eher hinnehmbar als vollständige Ausschlüsse. So ist die Abwälzung von Instandhaltungs- und Verwaltungskosten auf den Mieter in AGB nur zulässig, wenn dieser die Belastung überschauen kann, etwa weil sie auf einen prozentualen Höchstbetrag begrenzt ist.352 349   Vgl. BGH, NJW 2005, 1784, 1785; NJW-RR 2006, 1270, 1271; Goette, ZGR 208, 436, 443; MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  723 Rn.  6 . 350   BGH, NJW 1988, 2603, 2604; BeckOK-BGB20 -Habermeier, §  168 Rn.  25; Palandt70 Ellenberger, §  168 Rn.  6 ; Staudinger2004-Schilken, §  168 Rn.  8 ; Fuchs, AcP 196 (1996), 313, 362. 351   §§  651h BGB, 51a Abs.  1 BRAO; 67a Abs.  1 StBerG; Palandt70 -Grüneberg, §  309 Rn.  51; für einen Gleichklang von Haftungsausschluss und Haftungsbeschränkung hingegen Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  4 47 ff. 352   BGH, NJW-RR 2006, 84, 85.

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Eine Abbedingung lässt sich ferner dadurch einschränken, dass ein Recht nur mit einer bestimmten Frist ausgeübt werden darf. Formell bleibt es dann bestehen. Funktionell aber ist es zeitweilig abbedungen. Dazu kommt es häufig beim Verzicht auf Kündigungsrechte. So ist etwa die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung einer BGB-Gesellschaft nach §  723 Abs.  3 BGB auf den ersten Blick zwar zwingend. Dies schließt indes nach überwiegender Ansicht seine Befristung nicht aus.353 Bei entsprechender Vereinbarung darf das Kündigungsrecht nur zu bestimmten Zeitpunkten oder nur mit einer bestimmten Frist ausgeübt werden. In der Sache handelt es sich um eine teleologische Reduktion des §  723 Abs.  3 BGB, da damit das zunächst eingeräumte jederzeitige Kündigungsrecht teilweise abbedungen wird. Gerechtfertigt ist das dadurch, dass dieses Recht im Kern bestehen bleibt und ein anerkennungswürdiges Interesse besteht, durch eine Beschränkung des Kündigungsrechts Planungssicherheit zu gewinnen. Die Wirkung der Abbedingung lässt sich ferner befristen, indem die Parteien sie nach Ablauf einer bestimmten Zeit erneuern müssen, um nicht zur gesetzlich vorgegebenen Rechtslage zurückzukehren (sunset clauses). Auch das schafft einen Verfahrensschutz vor unabsehbaren Folgen einer Abbedingung.354 Ebenso können die Parteien die Abbedingungswirkung von vornherein auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum beschränken. So hält der BGH die einmalige Verlängerung der jährlichen Abrechnung von Betriebskosten für zulässig, obwohl §  556 Abs.  4 BGB eine abweichende Vereinbarung zum Nachteil des Mieters einschränkungslos ausschließt.355 Das begründet er damit, dass die möglichen Nachteile für den Mieter „durch entsprechende Vorteile hinreichend kompensiert“ würden,356 die in diesem Fall in der Synchronisation des Abrechnungs- und des Kalenderjahrs bestanden. Das ist Ausdruck des allgemeinen Kompensationsgedankens, nach dem eine Abbedingung prima facie zulässig ist, wenn ihre Vorteile die Nachteile kompensieren. Er bricht Verkrustungen auf, die das BGB inzwischen überlagern. Mit der Befristung der Abbedingung verwandt ist die Verfallsfrist für die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Norm. Sehen die Parteien sie in Abweichung von der gesetzlichen Anordnung vor, so bedingen sie dadurch deren uneingeschränkte Anwendbarkeit ab. Die Norm kommt nach Ablauf der Frist nicht mehr zur Anwendung. Auf den ersten Blick erscheint dies nicht als Abbedingung, weil die abbedungene Norm zunächst anwendbar bleibt. Das ändert je353   BGH, NJW 1953, 1217, 1218 (= BGHZ 10, 91, 98); 1968, 2003, 2004 (= BGHZ 50, 316, 322); 1992, 2696, 2698; BeckOK-BGB20 -Schöne, §  723 Rn.  14; MünchKommBGB5-Ulmer/ Schäfer, §  723 Rn.  6 4; Staudinger2003-Habermeier, §  723 Rn.  22. Ähnliches gilt beim zeitweiligen Verzicht auf gesetzliche Kündigungsrechte im Mietrecht, BGH, NZM 2004, 216. 354   Derartige Klauseln gelten nach dem amerikanischen Model Business Corporation Act etwa für Bestimmungen, welche die Rechte der Unternehmensleitung einschränken, McDonnell, 60 Southern Methodist University Law Review 383, 410 (2007). 355   BGH, NJW 2011, 2878, 2879, dazu bereits oben 1.F.1.d). 356   BGH, NJW 2011, 2878, 2880.

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doch nichts daran, dass die Norm mit Fristablauf ihre Anwendbarkeit verliert. Konstruktiv kann man dies auch als aufgeschobene Abbedingung auffassen. Da zwingende Normen vielfach zu restriktiv formuliert sind, wird ein derartiger Verfall bisweilen nicht als Abbedingung bezeichnet.357 In der Sache geht es aber genau um sie. Im Umfang begrenzt ist eine Abbedingung darüber hinaus bei der Modifikation einzelner Tatbestandsmerkmale. Bei ihr belassen es die Parteien bei der gesetzlich vorgesehenen Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge. Stattdessen definieren sie einzelne Merkmale des Tatbestands oder der Rechtsfolge abweichend von der gesetzlichen Vorgabe. Etwa mögen sie den Vorsatz bestimmen 358 oder einzelne Schadensersatzpositionen ausschließen. Dies beinhaltet die punktuelle Abweichung von der sonst maßgeblichen Konkretisierung, so dass es sich dabei um eine Abbedingung handelt.359 Da sie hinter einer vollständigen Abbedingung der Norm zurückbleibt und die Konkretisierung ohnehin nur eingeschränkt vorgegeben ist, liegt es nahe, sie als bloße Ausgestaltung einer Norm zu bezeichnen und von einer Abbedingung zu unterscheiden.360 Denn dies hat den Vorteil, dass kein Konflikt mit der gesetzgeberischen Anordnung eines zwingenden Charakters entsteht. Begrifflich aber handelt es sich auch bei ihr um eine teilweise Abbedingung, da mindestens eine Konkretisierung der Norm auf einen bestimmten Sachverhalt nicht mehr anwendbar ist. Relevant ist die Modifikation von Normen etwa beim finanziellen Ausgleich, den ein Handelsvertreter nach Beendigung seiner Tätigkeit erhält. Die Parteien dürfen ihn im Voraus nicht ausschließen, §  89b Abs.  4 S.  1 HGB. Gleichwohl hält es der BGH für zulässig, dass der Handelsvertreter eine Betriebsrente statt eines Ausgleichsanspruchs wählt.361 Er begründet dies mit dem Argument, eine derartige Bestimmung berühre nicht die Rechtsposition des Vertreters.362 Zwar ist das äußerst fraglich, weil der Ausschluss einer Rente immerhin ihre stärkste „Berührung“ ist. Das Ergebnis aber lässt sich gut nachvollziehen. Letztlich geht es um die Zulässigkeit von Normmodifikationen, die den durch sie zu Schützenden nicht benachteiligen. Im genannten Fall erweitern sich die Möglichkeiten des Handelsvertreters sogar. Der Wert der Betriebsrente kann für ihn höher sein als der Wert des einmalig zu zahlenden Ausgleichsanspruchs. Das ist 357   So etwa bei dem vielfach als zulässig angesehenen Verfall unabdingbarer Rechte, etwa BGH, NZM 2004, 216 (zu §  573 c BGB); BAG, NZA 2002, 746, 747; NJW 2005, 3305; hingegen für den Grundsatz, dass unverzichtbar sei, was unabdingbar ist, Staudinger2011-Richardi/ Fischinger, §  615 Rn.  140. 358   Verfasser, JZ 2007, 18, 22 f. 359   Oben 1.A.2. 360   So etwa bei der so genannten gesetzesausfüllenden notwendigen Satzungsregelung, die trotz §  23 Abs.  5 S.  1 AktG zulässig ist, MünchKommAktG3-Pentz, §  23 Rn.  149; Schmidt/ Lutter, AktG, §  23 Rn.  57; Hüffer, AktG9, §  23 Rn.  37 f. 361   BGH, NJW 2003, 3350 f.; dazu bereits oben 1.F.1.c), Fn.  368. 362   AaO., 3351.

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etwa der Fall, wenn er sich einer hohen Lebenserwartung erfreut oder die Gefahr des Verlusts einer einmalig gezahlten Abfindung scheut.363 Dem Handelsvertreter wäre mit einer diese Wahl verhindernden Durchsetzung zwingenden Rechts kaum gedient. Daher ist es zwar mit Blick auf das Ergebnis verständlich, warum eine derartige Modifikation zwingender Normen nicht als Abbedingung bezeichnet wird. Jedoch ist es der begrifflichen und sachlichen Klarheit wegen erforderlich, die in ihr angelegte Abbedingung beim Namen zu nennen. Denn eine Abbedingung ist jeder vollständige oder teilweise Ausschluss der Anwendbarkeit einer Norm auf einen Sachverhalt.364 Für die Zulässigkeit derartiger Abbedingungen spricht, dass sie den Kern einer Norm nicht antasten. In ihrem Randbereich ist eine Konkretisierung ohnehin erforderlich, so dass man sie auch den Parteien überlassen kann. Sie sind es schließlich, die unter der anderenfalls entstehenden Unsicherheit leiden müssten, weil sie den genauen Umfang ihrer Pflichten dann nicht absehen könnten. Es gibt keinen plausiblen Grund, eine gesetzliche Unbestimmtheit aufrecht zu erhalten, wenn die Parteien sie zu beseitigen vermögen. Was das Gesetz offen lässt, müssen sie ergänzen können. So sollten sie beispielsweise trotz zwingender Vorsatzhaftung den Umfang des Eventualvorsatzes festlegen dürfen.365 Ähnlich muss ihnen die Ergänzung einer Norm gestattet bleiben, wenn der Gesetzgeber ein Gebiet nicht abschließend regelt. Denn dann ist es ihnen nicht zumutbar, auf eine eigene Festlegung zu verzichten. Diese Kompetenz zur ergänzenden Bestimmung der gesetzlichen Vorgaben ist bei Aktiengesellschaften inzwischen ausdrücklich anerkannt, §  23 Abs.  5 AktG, und lässt sich auch auf andere Konstellationen übertragen. Modifikationen zwingender Vorgaben treten vor allem bei Konkretisierungen von Generalklauseln und Grundrechten auf.366 Man darf zwar pauschal auf Treu und Glauben so wenig verzichten wie auf ein einzelnes Grundrecht,367 wohl aber auf einzelne der sich aus ihnen ergebenden Folgen. Daher verkennte man die Möglichkeiten vertraglicher Dispositionen, wenn man allein darauf verwiese, dass sich die Grundrechte „weder abkaufen, noch verkaufen“ lassen 368 . Denn das erfasst nicht die zeitlich und sachlich begrenzte Abbedingung. Bereits aufgrund dieses Zusammenspiels zwingender Normen und privater Verfügungen gestaltet sich deren Verhältnis anders, als dies das Bild des „Todes

363   Eine andere Modifikation des §  89 b HGB ist die Absprache, wonach bestimmte Vergütungen auf den Ausgleichsanspruch angerechnet werden. Auch das ist innerhalb gewisser Grenzen zulässig, siehe BGH, NJW 1966, 1962 (= BGHZ 45, 268, 274); Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn-Löwisch, HGB2, §  89b Rn.  104. 364   Oben 1.A.2. 365   Verfasser, JZ 2007, 18, 22 f. 366   Oben 5.B.3.b). 367   Zum Grundrechtsverzicht oben 1.E.1.b), Fn.  273. 368   So Krüger, DVBl 1955, 450, 453.

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des Vertrages“369 oder des „Rückzugs des Privatrechts“370 suggeriert. So bedrohlich die Einschränkungen der Vertragsfreiheit in der Tat sind,371 so irreführend ist die daraus bisweilen gezogene Schlussfolgerung, die möglichen vertraglichen Absprachen nähmen mit der Zahl zwingender Normen ab. Diese können sogar Anreize für neue vertragliche Regelungen setzen.372 Schließlich ist kaum eine zwingende Regelung lückenlos und kaum eine Definition abschließend. c)  Ausgleich durch andere Normen Die naheliegendste Möglichkeit einer Kompensation der Abbedingungsnachteile besteht im Ausgleich durch andere Normen. Dem durch die Abbedingung eintretenden Nachteil tritt dann ein mit ihnen verbundener Vorteil zur Seite. Dadurch geraten die wechselseitigen Versprechen nicht außer Gleichgewicht. Die für das Verbot einer Abbedingung sprechenden Gründe verlieren damit an Gewicht. Diese Kompensation ist allerdings schwieriger als andere für die Abdingbarkeit einer Norm sprechende Gründe zu beurteilen. Denn sie erfordert eine Bewertung des gesamten Vertrages und dadurch eine Art von Inhalts­ kontrolle. Gesetzgeber und Gerichte wollen sie vielfach schon deshalb vermeiden, weil sie auf diese Weise erheblich in die Bewertungsfreiheit der Parteien eingreifen. Diese sollen selbst bestimmen, was für sie angemessen ist. Gleichwohl kann eine derartige Kontrolle im Vergleich zu einem vollständigen Abbedingungsverbot das kleinere Übel darstellen. Schließlich verhindert sie einen weitergehenden Freiheitseingriff. An einigen Stellen hat dieser Ausgleichsgedanke einen gesetzlichen Ausdruck gefunden. Ein Beispiel dafür ist die Möglichkeit, den Rückgriffsanspruch gegenüber dem Lieferanten einer Sache abzubedingen, wenn dieser dem Käufer einen „gleichwertigen Ausgleich“ einräumt, §  478 Abs.  4 S.  1 BGB. Der Verkäufer muss danach zwar nicht in jedem Einzelfall, in dem er Ansprüchen eines Verbrauchers ausgesetzt ist, einen vollständigen Ersatz erhalten, sollte aber durch diese Ansprüche insgesamt nicht verlieren.373 Anderenfalls hätte er den Anreiz, dem Verbraucher gegenüber diejenige Gewährleistung zu versagen, die 369   Gilmore, The Death of Contract, p.  112; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S.  34; „Das dispositive Recht scheint im wesentlichen vergessen zu sein“. Dem entgegengesetzt konstatieren andere das Entstehen einer Vertragsgesellschaft, Langenfeld, Vertragsgestaltung, S.  126, Rn.  351. Kramer hielt 1974 die Charakterisierung des Vertragsdenkens als krisenhaft für irreführend, Die „Krise“ des liberalen Rechtsdenkens, S.  65. Zur Kritik von Gilmores These ferner E. Posner, in: Buckley, The Fall and Rise of Freedom of Contract, pp.  62. 370   Staudinger2008-Coing/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB, S.  21; Erman12-Westermann, Einl v §  241 Rn.  2. 371   Oben 3.C. 372   Oben 3.C.1.d). 373   BT-Drucks 14/6040, S.  249; Erman12-Grunewald, §  478 Rn.  21; zur Kritik mwN. MünchKommBGB5-Lorenz, §  478 Rn.  38.

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auch er gegenüber seinem Lieferanten nicht geltend machen darf. Dieser Ausgleich betrifft nur die Gewährleistung und umfasst damit nicht den gesamten Vertrag. Die Möglichkeiten für einen dort vorzunehmenden Gesamtausgleich wären nahezu unbegrenzt und führten letztlich dazu, die Angemessenheit des gesamten Vertrages zu beurteilen. Das ist ohne einen erheblichen Eingriff in die Einschätzungsprärogative der Parteien nicht möglich.374 Ein unmittelbarer Ausgleich durch andere Absprachen ergibt sich weiterhin, wenn eine Abbedingung nur in bestimmten Fällen Relevanz hat und genau in dieser Situation eine kompensierende alternative Vereinbarung eingreift. So ist beispielsweise das dem Mieter nach §  539 Abs.  2 BGB zustehende Wegnahmerecht für die Situation gedacht, dass er eigene Sachen in die Mietwohnung eingebaut hat. §  552 Abs.  2 BGB gestattet den Parteien für diesen Fall, das Weg­ nahmerecht durch einen angemessenen Ausgleich abzubedingen.375 Bereits das Gesetz sieht hier anstelle der abzubedingenden Norm eine bedingbare Norm vor. Sie kann insbesondere die Entschädigung für die eingebauten Sachen vorsehen. Dass eine Klausel einen derartigen Ausgleich herstellen soll, ist daran erkennbar, dass sie nur relevant wird, wenn auch die abbedungene Norm ein­ gegriffen hätte, nämlich bei einer Verbindung der Sache des Mieters mit der Wohnung. Generell dürfte die durch Vereinbarung erfolgte Umwandlung einer vorgesehenen Naturalleistungen in Geld zulässig sein, weil sie den Gläubiger wirtschaftlich nicht benachteiligt. Zudem könnte er nach Fristsetzung als Schadensersatz ohnehin kaum etwas anderes erhalten.376 Umso problematischer ist es, wenn zwingendes Recht den Parteien noch nicht einmal gestattet, eine gesetzliche Vorgabe durch eine Entschädigung zu ersetzen. Genau das aber geschieht, wenn Normen einschränkungslos für zwingend erklärt werden. Mittelbare Abbedingungsvorteile lassen sich darüber hinaus in den bereits angesprochenen Fällen berücksichtigen, in denen eine Partei zwischen zwei Varianten eines Vertrages wählen kann. Dann liegt es nahe, dass sie den Nachteil einer Abbedingung aufgrund eines zugleich eintretenden Vorteils an anderer Stelle in Kauf nimmt. Der Ausgleich wird offensichtlich, weil die übrigen Vereinbarungen identisch bleiben. Das spielt etwa bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts eine Rolle.377 Denn diese ergibt sich erst aus

374   BeckOK-BGB20 -Faust, §  475 Rn.  14; MünchKommBGB-Lorenz, §  475 Rn.  10; Staudinger-Matusche-Beckmann, §  475 Rn.  18. 375   Entsprechendes regelt §  591a BGB für die Pacht. Siehe zudem §  583a BGB, wonach Verfügungsbeschränkungen zum Inventar nur wirksam sind, wenn sich der Verpächter zu ihrem Erwerb verpflichtet. 376   Ein weiteres Beispiel für eine derartige Kompensation ist §  243 Abs.  2 AktG, wonach Sondervorteile gegenüber einem Aktionär nur zulässig sind, wenn sie mit einem Ausgleich für die anderen Aktionäre einhergehen. 377   BGH, NJW 1986, 3134, 3136; 1989, 1796, 1797 sowie 2008, 360, 361 (Kompensation einseitiger Preiserhöhungen durch das Kündigungsrecht); 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93,

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der Gesamtheit der Umstände.378 Dafür ist maßgeblich, was die Parteien durch den Vertragsschluss insgesamt verlieren oder gewinnen. Die Unangemessenheit einer einzelnen Absprache ergibt sich daher erst aus dem Zusammenhang mit den übrigen Vereinbarungen. So hält das Bundesarbeitsgericht die Beteiligung des Arbeitnehmers an einem Verlust des Unternehmens nur für sittenwidrig, wenn sie nicht durch eine Gewinnbeteiligung ausgeglichen wird.379 Diese vermag folglich, eine Verlustbeteiligung zu kompensieren. Den Ausgleich einer Abbedingung durch andere Absprachen prüft es ferner im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs von Individualvertrag, Betriebsvereinbarung sowie Tarifvertrag, indem es nicht nur einzelne Regelungen punktuell gegenüberstellt, sondern einen Vergleich nach Sachgruppen vornimmt.380 Ferner hält es den formularmäßigen Klageverzicht bei einer Arbeitgeberkündigung für zulässig, wenn er auf andere Weise ausgeglichen wird.381 Der Kompensationsgedanke ist im Arbeitsrecht somit weit verbreitet. Der Ausgleich durch andere Absprachen wird ebenfalls im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen berücksichtigt. Das gilt vor allem für die Kontrolle solcher AGB-Klauseln, die mit der abbedungenen Norm in konnexen Wechselbeziehungen stehen.382 Noch großzügiger verfährt der BGH bei All­ gemeinen Spediteurbedingungen. Bei ihnen betonte er bereits 1997, dass „sie seit nunmehr über 60 Jahren“ zu einer „fertig bereitliegenden Rechtsordnung“ geworden seien.383 Warum er gleichzeitig durch eine im Übrigen restriktive Rechtsprechung verhindert, dass es zur Entstehung neuer „bereitliegender“ Rechtsordnungen kommt, ist damit zwar nicht erklärbar, die Scheu vor einer punktuellen Bewertung einzelner Klauseln aber sehr wohl. Denn man erfasst ihre Eigenart nur mittels einer umfassenden Würdigung. Eine isolierte Beurteilung „am Gerechtigkeitsgehalt einer einzelnen Norm des dispositiven Rechts“ 102) (Angemessenheit eines städtebaulichen Vertrages); BAG, NJW 2006, 3303, 3306 (Versetzungsklausel kompensiert höheren Kündigungsschutz). 378   BGH, NJW 1969, 220, 232 (= BGHZ 51, 55, 57); 1983, 159, 161; NJW-RR 1998, 590, 591; Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  58; BeckOK-BGB20 -Wendtland, §  138 Rn.  21. 379   BAG, NJW 1991, 860, 861. 380   BAG, AP Nr.  9 zu §  339 BGB; NJW 1959, 1100 (= BAGE 7, 149, 151); NZA 2004, 667, 669 (= BAGE 109, 244, 249 f.); 2010, 53, 59; BeckRS 2010, 72499, Rn.  39; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht 2 -Hamacher, §  67 TarifVG Rn.  43. 381   BAG, NZA 2008, 219, 222; kritisch Bauer/Günther, NJW 2008, 1617, 1620. 382   BGH, NJW 1991, 1886, 1888 (= BGHZ 114, 238, 246); 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93, 102); Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  125, restriktiver Rn.  311; Ulmer/Brandner/Hensen10 Fuchs, §  307 Rn.  152; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  302, der sich bei der Inhaltskon­ trolle gegen eine Gesamtbetrachtung wendet. Weitergehend beim befristeten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts im Mietrecht BGH, NJW 2006, 1056, 1058: Würdigung des „gesamten Vertragsinhalts“. 383   BGH, NJW-RR 1997, 1253, 1255; entsprechend bereits BGH, NJW 1982, 1820, 1821; 1995, 1490, 1491 (= BGHZ 127, 275, 281). Für weitergehende Kompensation de lege ferenda Berger, NJW 2010, 465, 470. Siehe andererseits zur Kontrolle der Bedingungen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau BGH, NJW-RR 1996, 783, 787.

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scheidet aus diesem Grund aus.384 Dies gilt umso mehr, als AGB-Klauseln zum Teil unwirksam sind, wenn sich in ihnen die Nachteile mehrerer Klauseln summieren.385 Erfolgt damit zu Lasten des Klauselerstellers eine Gesamtbetrachtung, ist es nur konsequent, sie auch zu seinen Gunsten vorzunehmen. Schließlich setzt sich der Kompensationsgedanke bei der Angemessenheitskontrolle städtebaulicher Verträge durch. Sie müssen nur nach einer Gesamt­ betrachtung ausgewogen sein, nicht aber nach der Einzelbetrachtung der vereinbarten Klauseln.386 Gerade im Baurecht liegt es nahe, die Abweichung von Vorschriften an einer Stelle durch eine Kompensation an anderer Stelle zu prüfen, etwa aufgrund eines aufeinander abgestimmten architektonischen Gesamtkonzepts. All diese Fälle387 zeigen, wie wichtig ein Verständnis des Gesamtzusammenhangs eines Vertrages und der dabei möglichen wechselseitigen Kompensation von Klauseln ist. Sie verdeutlichen darüber hinaus die Probleme, welche die isolierte Beurteilung vertraglicher Absprachen mit sich bringt. Denn so vorteilhaft sie für die standardisierte Bewertung einer Klausel ist, so blind bleibt sie für die wirtschaftliche Bedeutung des Gesamtvertrages. Die häufigste Kompensation nachteiliger Klauseln geschieht durch den Preis. Sie ist nicht nur theoretisch vorstellbar, sondern gängige Verhandlungspraxis. Gleichwohl lässt die Rechtsprechung sie weitgehend außer Betracht.388 Nur mittelbar findet sie über die mit einer Regelung einhergehenden Rationalisierungseffekte Berücksichtigung, die für die Zulässigkeit einer Klausel sprechen können.389 Das ist angesichts der auch von der Rechtsprechung zugestandenen Auswirkungen 390 der AGB auf die mit einem Vertrag verbundenen Kosten problematisch und allenfalls dadurch zu rechtfertigen, dass es kaum geeignete Maßstäbe für die Bestimmung des angemessenen Preises gibt.391 Der Preis spielt daher eine paradoxe Rolle. Einerseits gibt es für die Parteien kaum eine wichtigere Größe. Bevor sie eine Sache genauer untersuchen, betrachten sie ihn. Er wird nicht zufällig in der Werbung herausgestellt. Denn er ermöglicht nicht nur, verschiedene Waren miteinander zu vergleichen, sondern begrenzt auch die Möglichkeiten, über welche die Parteien verfügen. Übersteigt er etwa ein vorgegebenes Budget, können für die Parteien die sonstigen Eigen  BGH, NJW 1995, 1490, 1491 (= BGHZ 127, 275, 281).   BGH, NJW 1993, 532; 2003, 2234, 2235; 2006, 2116, 2117; 2009, 1075. 386   BGH, NJW 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93, 102). 387   Die Beispiele ließen sich fortsetzen, siehe zur Kompensation im Wettbewerbsrecht etwa §  2 Abs.  1 GWB. 388   BGH, NJW 2008, 3772, 3773; weitere Nachweise oben 3.B.4.c), Fn.  262. Anders dagegen §  5 S.  2 EVO; dazu Möslein, Dispositives Recht, S.  207. 389   So etwa bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Lastschriftverfahrens BGH, NJW 2008, 2495; zur entsprechenden Berücksichtigung „angepaßter Vergütungen“ bei den Allgemeinen Spediteurbedingungen ferner BGH, NJW 2003, 888, 890 (= BGHZ 153, 93, 102); weitere Nachweise Ulmer/Brandner/Hensen10 -Fuchs, §  307 Rn.  146. 390   Etwa BGH, NJW 1992, 688 689 zur Auswirkung von Preisnebenabreden. 391   Siehe oben 2.A.1.a), Fn.  16. 384 385

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schaften einer Sache dahinstehen. Vor allem aber hängt von ihm ab, ob sich ein Geschäft für sie lohnt. Trotz dieser fundamentalen Bedeutung für die Parteien, behandelt das Recht den Preis als weitgehend irrelevant. Für die Inhaltskontrolle soll er keinerlei Rolle spielen. Nur wenn die äußersten Grenzen der Sittenwidrigkeit überschritten sind, erfolgt eine Kontrolle, §  138 Abs.  2 BGB. Der Verzicht auf diese Beurteilung des gerechten Preises (iustum pretium) 392 erscheint zunächst als natürliche Folge der Vertragsfreiheit. Weder das Recht noch die es interpretierenden Richter wollen dem Einzelnen vorgeben, wie viel er für eine Leistung ausgeben soll. Dieser Verzicht aber rächt sich, wenn er dazu führt, dass man den Entschluss der Parteien übergeht, einen Nachteil bei der erworbenen Leistung durch einen niedrigen Preis zu kompensieren.393 Denn hält man dies für irrelevant, übergeht man einen wesentlichen Aspekt ihres Vertrages und verzerrt ihn. Die gleichwohl erfolgende Inhaltskontrolle geschieht dann mit umso größerer Wucht. Sie wird nicht mehr durch die Erwägung gebremst, die Abbedingung sei zumindest durch den Preis kompensiert. Vielmehr erscheint sie als einseitige und grundlose Benachteiligung. Im Rahmen der Inhaltskontrolle eines Vertrages ist der Verzicht auf die Berücksichtigung des Preises kein Zeichen von Respekt vor den Parteien, sondern übergeht den Sinn ihrer Absprachen. Der Ausgleich einer Abbedingung durch andere Absprachen lässt sich nur übergehen, wenn man sicher ist, dass sie in jedem Fall schutzwürdige Interessen verletzt. Das aber ist nur selten möglich. Denn ein Vertrag ist ein aufeinander abgestimmter Organismus, dessen Sinn sich erst durch das Zusammenspiel seiner Teile ergibt. Die Angemessenheit von Verjährungsfristen etwa kann man kaum beurteilen, ohne zu wissen, um welche Art von Ansprüchen es geht und welche Informationsmöglichkeiten sich die Parteien einräumen. Der Sinn einer Vertragsstrafe tritt erst hervor, wenn klar wird, über welche sonstigen Sank­ tionsmittel eine Partei verfügt. Eine Verkürzung der Gewährleistung kann dadurch motiviert sein, dass die dadurch belastete Partei die Erbringung der Leis-

392   Zum Hintergrund Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.  32 f.; Raiser, FS DJT, S.  101, 130 ff.; Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 39 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.  320; Zimmermann, The Law of Obligations, pp.  255 (wonach das römische Recht in dieser Frage eher zurückhaltend war); Larenz, Richtiges Recht, S.  70 ff.; Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.  8 , 15; Hesselink, 1 ERCL 44, 53 (2005). Wiederaufnahme der Idee durch Esser/Schmidt, Schuldrecht, AT, I 1, S.  163; klassische Kritik durch Hobbes, Leviathan, p.  75: „The value of all things contracted for, is measured by the appetite of the Contractors: and therefore the just value, is that which they be contented to give“; ferner Rittner, AcP 188 (1988), 101, 128. Nach Buckley, 19 Hofstra Law Review 33, 64 (1990) war das Erfordernis eines gerechten Preises ursprünglich durch die geringere Vergleichbarkeit der Leistungen begründet. 393   Optimistischer Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  303, nach dem das Preisargument „in der Regel bereits verbraucht [ist], weil der Gesetzgeber die gesetzliche Regelung unter seiner Berücksichtigung getroffen hat“.

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tung beeinflussen kann und es daher an ihr liegt, für eine schnelle Abwicklung zu sorgen. Einzelne Klauseln ohne einen derartigen Zusammenhang zu bewerten, fiele zwar leichter als eine umfassende Analyse, die Rücksicht auf den Kontext nimmt. Dem Sinn der am Zusammenspiel mit anderen Absprachen orientierten Klauseln würde man damit aber nicht gerecht. Dies gliche dem Versuch, die Schönheit eines Hauses durch eine isolierte Betrachtung von Türen, Fenstern und Dächern zu bewerten, ohne auf den Gesamteindruck zu achten. Sinn und Gerechtigkeit eines Vertrages ergeben sich entsprechend erst aus dem Zusammenwirken seiner Klauseln. Verträge verlören durch eine auf die einzelne Klausel beschränkte Prüfung zudem ihre Anpassungsfähigkeit an die individuellen Umstände, weil diese womöglich eine bestimmte Kombination von Vereinbarungen erfordern. Stattdessen käme es nur auf die einzelnen Klauseln an. Man erhielte Standardverträge ohne Individualität. Es ginge der Vorteil verloren, den Verträge im Vergleich zu allgemein geltenden Gesetzen haben, nämlich ihre Anpassungsfähigkeit an den jeweiligen Sachverhalt. Einige der in jüngerer Zeit erlassenen zwingenden Normen versuchen dieser Gefahr dadurch zu begegnen, dass sie lediglich einen Mindestgehalt festlegen und damit darüber hinausgehende Vereinbarungen zugunsten von Verbrauchern, Mietern und Arbeitnehmern zulassen.394 Eine Versteinerung des Rechts dürfte sich dadurch aber nicht vermeiden lassen. Denn die Entwicklung muss nicht gradlinig erfolgen und durch eine stetige Zunahme an Rechten für eine Personengruppe geprägt sein. Dass die Verbraucher immer nur an Rechten gewinnen, nicht jedoch einmal punktuell verlieren, ist kaum vorstellbar. Den denkbaren Ausgleich einer Abbedingung durch andere Absprachen in beide Richtungen zu berücksichtigen, ist deshalb unumgänglich. Dazu gehört auch die Kompensation einer Abbedingung durch den Preis.395 Der Ausgleich einer Abbedingung ist nicht nur durch andere vertragliche Absprachen möglich, sondern auch durch gesetzliche Normen. Dieser Gesichtspunkt trat bereits bei der Einschätzung zu Tage, inwieweit ein Recht schutzbedürftig ist.396 Dabei spielte der Vergleich eine Rolle, welche Rechtslage mit und ohne die Abbedingung eintritt. Der Verlust eines abbedungenen Rechts ist nämlich nicht gleichbedeutend mit einer allgemeinen Rechtslosigkeit. Indem die Rechtsordnung etwa durch §§  1 Abs.  1, 14 ProdHaftG eine zwingende verschuldensunabhängige Produkthaftung vorsieht, kann sie den Parteien bei der Vereinbarung der zu verkaufenden Güter eine große Freiheit belassen. Trotz   Zu diesem Phänomen bereits oben 1.F, Fn.  346; 5.A.1.   Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.  273 ff. A. A.: Simitis, Gute Sitte und ordre public, S.  30: „Ein noch so billiger Preis rechtfertigt nicht rechtswidrige Bedingungen“, womit er Abweichungen vom nachgiebigen Recht meint. Die Frage aber ist gerade, ob Abweichungen rechtswidrig sind. 396   Oben 5.B.6.a). 394 395

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dem vielfach zwingenden Charakter des Verbrauchsgüterkaufrechts sind die Parteien daher frei, auch unsichere Waren zu kaufen und zu verkaufen. Es kommt allein auf die Beschaffenheitsvereinbarung an, §  434 Abs.  1 BGB. Ebenso lässt sich im Gesellschaftsrecht der mögliche Ausschluss von der Geschäftsführung damit erklären, dass jeder Gesellschafter ein zwingendes Kündigungsrecht hat, §§  710, 723 Abs.  3 BGB. Auf Dauer kann ihm deshalb keine Geschäftsführung gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Dem Ausgleich von Absprachen im Vertragsrecht entspricht die Kompensation von Regelungsnachteilen in anderen Rechtsgebieten. So prüft das Bundesverfassungsgericht die „allgemeine Tendenz“ eines Gesetzes um festzustellen, ob dieses die Ehe entgegen Art.  6 Abs.  1 GG benachteiligt.397 Begünstigungen der Ehe an einer Stelle können zu ihren Lasten bestehende Nachteile an anderer Stelle auffangen, solange die gesetzliche Regelung „im wirtschaftlichen Er­ gebnis“ eheneutral ist.398 Ähnliches gilt bei anderen Grundrechtsbeeinträch­ tigungen.399 Der Grund ist derselbe wie bei der Kompensation einer Abbedingung: Ein Nachteil ist zumindest dann kaum beanstandenswert, wenn zeitgleich mit ihm ein Vorteil eintritt. Für den Ausgleich von Absprachen im Vertragsrecht ist das Wechselspiel zwischen Prävention und Repression von zentraler Bedeutung.400 Je stärker repressive Kündigungs- und Haftungsnormen die Sanktion von Fehlverhalten ermöglichen, desto eher kann man schwächere präventive Normen hinnehmen, die eine Fehlentwicklung von vornherein unterbinden. Umgekehrt ist der zwingende Charakter präventiver Normen ein Grund, die Abbedingung repressiver Normen zuzulassen. Wenn das Recht ohnehin vorschreibt, wie man sich zu verhalten hat, muss es ein Fehlverhalten nicht in jedem Fall so stark sanktionieren, wie wenn es auf eine unmittelbare Verhaltenssteuerung verzichtet. Die Abbedingung von präventiven Beteiligungsrechten in einer BGB-Gesellschaft ist beispielsweise umso eher anzuerkennen, je besser die Gesellschafter sich ihr durch eine Kündigung entziehen können. Will das Recht hingegen beides – Prävention und Repression – zwingend vorschreiben, bedarf es zur Rechtfertigung des damit verbundenen Freiheitseingriffs besonders gewichtiger Gründe.

397   BVerfG, NJW 1963, 1001, 1002 (= BVerfGE 15, 328, 333 f.); 1985, 374, 375 (= BVerfGE 67, 186, 196); allgemein dazu Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S.  50. 398   BVerfG, aaO. 399   Siehe dazu die Übersicht bei Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S.  23 ff., der für die Kompensation allerdings eine „konkret-reale Kompensationsleistung“ voraussetzt, S.  48 f., was eine „virtuelle“ Kompensation bei der Abwägung ausschließen dürfte. 400   Stürner, AcP 210 (2010), 105, 133 ff., 136 f. plädiert bei diesem Wechselspiel für eine stärkere präventive Rolle des Rechts („vorsorgende Rechtspflege“).

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d)  Gleichrichtung der Interessen Eine letzte hier zu behandelnde Art der materiellen Kompensation geschieht dank der Gleichrichtung der Interessen.401 Zu ihr kommt es, wenn beide Vertragsparteien durch eine Norm in gleicher Weise gewinnen oder verlieren. Die Parteien teilen dann sowohl die Chancen als auch die Risiken. Zwischen ihnen tritt kein Ungleichgewicht ein, das durch zwingendes Recht zu kompensieren wäre. Denn eine Übervorteilung einer Seite liegt umso ferner, je stärker zugleich die andere Seite belastet ist. Dieser Gedanke findet sich etwa im Preisklauselgesetz, wonach das Entgelt für eine Leistung nur ausnahmsweise an den Preis einer anderen Leistung gebunden werden darf, §§  1 Abs.  1, 2 Abs.  1 PreisKLG. Zu den Bedingungen einer derartigen Bindung gehört, dass beide Parteien eine Vertragsanpassung verlangen können, §  2 Abs.  3 Nr.  1–2 PreisKLG. Wenn der Preis schon an die Marktentwicklung gekoppelt ist, so sollen beide Parteien von ihr profitieren. Nur diese Gleichrichtung rechtfertigt die Abweichung vom einmal vereinbarten Preis. Diese Überlegung liegt ebenfalls der Rechtsprechung des BGH zur Preisanpassung des Kfz-Herstellers gegenüber einem Zwischenhändler zugrunde.402 Danach ist eine Preisanpassungsklausel im Liefervertrag eines Kfz-Händlers wirksam. Durch sie muss er bei der Lieferung zwar womöglich einen höheren Preis als beim Vertragsabschluss zahlen. Die Preissteigerung ist für ihn aber nicht unbedingt von Nachteil, weil er sich gegenüber seinen Abnehmern zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Hersteller ebenfalls noch nicht binden muss. Anders als im Verhältnis zwischen einem Lieferanten und einem Endverbraucher steht bei der Abnahme durch einen Zwischenhändler daher keinesfalls fest, dass ihm ein höherer Lieferpreis zum Nachteil gereicht. Er kann die Preiserhöhung womöglich an seine Abnehmer weiterreichen. Mit dem Lieferanten hat er ein gemeinsames Interesse am Absatz, so dass zu hohe Preise beiden schaden und der Lieferant von sich aus allzu forsche Preiserhöhungen unterlässt.403 Diese Gleichrichtung ihrer Interessen verhindert deshalb weitgehend eine Benachteiligung des Händlers durch die Preisanpassungsklausel, so dass kein Grund für ihre Nichtigkeit besteht. Auch in weiteren Fällen ist für die Beurteilung von Abbedingungen maßgeblich, ob die mit ihnen einhergehenden Chancen und Risiken gleichmäßig verteilt sind.404 Erleichterungen einer Haftung etwa schaden allen Parteien, sofern 401   Allgemein dazu BGH, NJW 1995, 583, 585 (= BGHZ 128, 93, 101), der den AGB-Charakter von Sportregelwerken mit der Begründung ablehnt, es komme bei ihnen zu einem Interessengleichklang der von ihnen Betroffenen. 402   BGH, NJW 1985, 853, 854 (= BGHZ 93, 252, 264); entsprechend für die Anpassung von Stromkosten BGH, NJW 2009, 2662, 2665; zustimmend Rohe, Netzverträge, S.  4 43. 403   BGH, NJW 1985, 853, 854 (= BGHZ 93, 252, 259). 404   Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 279 sieht umgekehrt in einer einseitigen Zuweisung eines unkontrollierbaren Risikos einen Grund zur Unwirksamkeit einer Absprache.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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sie von dieser bedroht sind. Hingegen sind sie ihnen auf gleiche Weise von Vorteil, wenn sie ihrerseits für fremde Schäden keinen vollständigen Ersatz leisten müssen. Haftungsbeschränkungen sind umso eher hinzunehmen, je gleichmäßiger sie die Parteien belasten.405 Eine einseitige Freizeichnung indiziert demgegenüber eine Benachteiligung. Denn in diesem Fall verlangt eine Partei etwas, das sie selbst zu übernehmen nicht bereit ist. Das stellt die Gleichheit der Parteien in Frage. Eine solche Absprache ist vom Recht eher korrigierbar als eine gleichmäßige Belastung. Die Wechselseitigkeit einer Absprache ist ferner bei den in Arbeitsverträgen vielfach vereinbarten Ausschlussfristen zu berücksichtigen. Durch sie müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwaige Ansprüche binnen einer bestimmten Frist geltend machen. Derartige Vereinbarungen sind unwirksam, wenn sie nur einseitig gelten, der Arbeitgeber etwa nicht gehindert wird, auch über den für den Arbeitnehmer geltenden Zeitraum hinaus seine Ansprüche einzufordern.406 Beide Seiten haben an der Durchsetzung ihrer Belange ein vergleichbares Interesse und es ist daher nicht ersichtlich, warum einer von ihnen dabei privilegiert sein soll. Zulässig sind im Grundsatz hingegen zweiseitige Ausschlussfristen,407 die sich gleichermaßen auf beide Parteien auswirken. Mit ihnen setzt der Arbeitgeber seine Interessen nicht einseitig durch. Schließlich findet ein Ausgleich durch wechselseitige Anwendbarkeit auch bei einer Klausel in einem BGB-Gesellschaftsvertrag Berücksichtigung, mit der ein gesetzliches Einstimmigkeitserfordernis in ein Mehrheitserfordernis umgewandelt wird.408 Denn es steht nicht von vornherein fest, wem diese Absprache zugute kommt. Im Laufe der Zeit können die Betroffenen bei der Abstimmung einmal obliegen, ein anderes Mal unterliegen. Keiner wird durch sie auf Dauer benachteiligt. Diese Fälle zeigen einmal mehr, wie problematisch pauschale Entscheidungen über die Abdingbarkeit einer Norm sind. Sie verschließen sich nahe liegenden Differenzierungen zwischen einer wechselseitig und einer nur einseitig belas  Etwa der wechselseitige Risikoausschluss im Sport, BGH, NJW 1975, 109, 110 (= BGHZ 63, 140, 145); beiderseitig wirksame Kündigungsrechte, vgl. §  622 Abs.  6 BGB; Preisanpassungsklauseln, die sowohl zu einer Steigerung, aber auch zu einer Ermäßigung des Preises führen müssen, BGH, NJW 2008, 2172, 273 (= BGHZ 176, 244, 249); 2009, 2051, 2053. 406   BAG, NZA 2006, 324, 326 (= BAGE 115, 372, 378 f.); BeckOK-BGB20 -Jacobs §  307 Rn.  35; Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  675; Krause, RdA 2004, 36, 47. Entsprechend BGH, NJW 1980, 286 (= BGHZ 75, 218, 220) zur Unzulässigkeit einer einseitigen Verjährungsverkürzung des §  88 HGB a. F. 407   BAG, NZA 2005, 1111, 1113 (= BAGE 115, 19, 22 f.); BeckOK-BGB20 -Jacobs §  307 Rn.  35. Ähnlich ist im Mietrecht nur ein beidseitiger Verzicht durch AGB auf das Recht zur ordentlichen Kündigung möglich, BGH, NJW 2009, 912; Staudinger2006 -Rolfs, §  573c Rn.  51; Palandt70 -Weidenkaff, §  573c Rn.  3. 408   So BGH, NJW 1983, 1056, 1057 (= BGHZ 85, 350, 356 ff.); 2009, 669, 671 zu §  709 Abs.  2 BGB; generell Schmidt, Gesellschaftsrecht, §  16 II 2, S.  454 ff. Ähnlich auch die Ansicht, einen Abfindungsanspruch zu beschränken, falls dies alle Gesellschafter gleichermaßen betrifft, Nachweise bei MünchKommBGB5-Ulmer/Schäfer, §  738 Rn.  41. 405

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

tenden Absprache. Die wechselseitige Anwendbarkeit einer Norm und die gleichmäßige Behandlung der Parteien zu berücksichtigen, bedeutet allerdings nicht, dass man umgekehrt aus einer ungleichen Behandlung auf eine unangemessene Benachteiligung schließen könnte.409 Die Vertragsfreiheit beinhaltet auch die Möglichkeit, einander ungleiche Leistungen zu gewähren. Man mag dafür anführen, dass die Parteien die Leistungen für äquivalent hielten und diese nach ihrer Einschätzung gleichwertig seien.410 Jedoch kann man die Ungleichheit auch beim Namen nennen, ohne dass dies für die Korrektur eines Vertrages ausreichte. Denn auch ein ungleicher Vertrag kann Ausdruck von Selbstbestimmung sein und ist daher nicht schlechthin zu verdammen.411 Eine wechselseitige Belastung ist deshalb zwar ein Grund, die Abbedingung anzuerkennen. Sie ist für diese aber weder notwendig noch hinreichend. Es kommt auf die Vielzahl der anderen für und gegen eine Abbedingung sprechenden Gründe an.

7.  Zur Abwägung der einzelnen Gründe Die Kompensation von Abbedingungsnachteilen hängt von einer Vielzahl empirisch variabler Faktoren ab. Sie entziehen sich einer generalisierenden Feststellung. So wird die Notwendigkeit einer Aufklärung etwa dadurch beeinflusst, über welche Erfahrungen die zu schützenden Parteien verfügen, wie zuverlässig sie die ihnen übermittelten Informationen auswerten können, wie häufig ihre Verhandlungspartner sie zu übervorteilen suchen und welche Kosten damit einhergehen. Aus diesem Grund genügt zur Begründung des zwingenden Status einer Norm nicht die Feststellung, dass derartige Gefahren drohen. Das lässt sich vollständig fast nie bestreiten. Entscheidend ist vielmehr das Gewicht dieser Gefahren. Die Vorteile der zwingenden Ausgestaltung einer Norm müssen nachgewiesener Maßen deren Nachteile überwiegen. Ist dies nur in manchen Situationen der Fall, ist der zwingende Charakter der Norm auf sie zu begrenzen, um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu wahren. So wenig das Recht an anderen Stellen stets die härteste Sanktion ausspricht, so wenig   So für ungleiche Kündigungsmöglichkeiten Art.  3 Abs.  3 iVm lit f des Anhangs zur Klauselrichtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993; ähnlich BAG, NZA 2004, 852, 858, wonach ein „gesetzliches Leitbild“ bestehe, „dass die Rechtsstellung der Arbeitsvertragsparteien dort, wo sie sich in einer strukturell vergleichbaren Lage befinden, gleich ausgestaltet sein soll.“; nach Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, §  9 Rn.  57 ist eine Ungleichbehandlung ein Indiz für die Unangemessenheit von AGB; a. A.: Staudinger2006 -Coester, §  307 Rn.  164; siehe auch BGH, NJW 2001, 3480, 3482 (keine gleichlange Bindung in Mietverträgen). 410   Larenz, Schuldrecht, AT, S.  203; kritisch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.  98. Zur These eines das Vertragsrecht prägenden Äquivalenzprinzips oben 2.B.1, Fn.  113. 411   Oben 4.D.2.d). 409

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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darf es sich im Vertragsrecht des zwingenden Rechts bedienen, wenn andere Mittel zur Begrenzung einer Gefahr reichen.412 Zu nutzen sind dafür die zahlreichen Möglichkeiten einer personellen, formellen und materiellen Kompensation. Betrachtet man die Fülle dieser Gesichtspunkte, so drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass man Richter und Parteien mit ihnen überfordert. Müssen diese sich alle Kriterien jeweils vor Augen führen, wenn sie über eine Abbedingung entscheiden? Sollen sie stets prüfen, ob die Nachteile einer Abbedingung angesichts der Eigenart der beteiligten Parteien, des Abbedingungsverfahrens und des Umfangs der Abbedingung schwerer wiegen als die Entscheidungsfreiheit der Parteien? Wäre es stattdessen nicht besser, nach einfachen Grundsätzen zu verfahren und dabei den zwingenden Charakter einer Norm auch dort hinzunehmen, wo die hinter ihr stehenden Gründe sie nicht gebieten? 413 Das wäre ein voreiliger Schluss und ein zu hoher Preis an Freiheit. So vielfältig die Schutzbedürfnisse sind, so unterschiedlich sind auch die als Reaktion auf sie erforderlichen Eingriffe in die Vertragsfreiheit.414 Auf eine Abwägung dieser Gesichtspunkte kommt es überdies ohnehin nur in Zweifelsfällen an, wenn die Abdingbarkeit einer Norm nicht bereits aus anderen Gründen feststeht. Trotz der Fülle an zu beachtenden Gründen bleibt eine Typisierung nach Fallgruppen möglich, in denen eine Norm abdingbar oder zwingend ist.415 Mit Typisierungen vermeidet man sowohl eine ausufernde Einzelfallbetrachtung als auch eine pauschale Festlegung. Damit entgeht man einer Abwägung aller Faktoren im Einzelfall. Denn es genügt, die Entscheidung danach zu treffen, welche Interessen im typischen Fall berührt sind. Eine Ausübungskontrolle kann diesen Schutz flankieren, indem sie in Extremfällen die Berufung auf eine Vertragsklausel verhindert416 und die Härten einer Typisierung auffängt. Zudem bedeutet die theoretische Möglichkeit, dass es in der Abgrenzung von abdingbarem und zwingendem Recht auf eine Fülle an Gesichtspunkten ankommt, nicht unbedingt, dass dies stets der Fall ist. Eine umfangreiche Analyse der einzelnen Faktoren ist zwar vorstellbar, aber nicht immer unumgänglich. In aller Regel spielt eine überschaubare Zahl an Gesichtspunkten eine Rolle. Denn es kommt letztlich auf das Ausmaß an, in dem eine Entscheidung frei, rational   Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S.  168 f., 524; oben 4.B.1, Fn.  127.   Zu diesem Phänomen des Auseinanderfallens von Norm und Rechtfertigung oben 3.B.2, Fn.  147. 414   Vgl. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsfreiheit, S.  51, 254 ff., 278; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, S.  9 0; Isensee, in: Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, S.  9, 19. 415   Entgegen Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S.  108 f., 132 ff. erlaubt dies mehr als nur eine einfache Differenzierung nach einem einzigen Kriterium. 416   Oben 5.B.3.a), Fn.  120. 412 413

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

sowie reflektiert ist417 und ein betroffenes Rechtsgut Schutz verdient. Je nach Konstellation drängen sich andere dafür relevanten Gesichtspunkte auf. Es wäre ein zu grobes Raster, wenn man lediglich zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen unterscheiden wollte. Freiwilligkeit ist kein Allesoder-Nichts-Begriff,418 sondern ebenso wie die Autonomie des Einzelnen gradueller Art. Ebenso kann die Kompensation der für eine zwingende Norm sprechenden Gründe mehr oder weniger ausgeprägt sein.419 Je stärker dies der Fall ist und der Einzelne sich über den Inhalt sowie die Tragweite seiner Abbedingung bewusst ist, desto weniger lässt sie sich ihm verbieten.420 Um das Gewicht der Gründe zu bestimmen, mit dem der Abbedingungsakt einem Eingriff entgegensteht, ist die Eigenart des Abbedingungsaktes daher zu analysieren. Auch wenn bei der Entscheidung über die Abdingbarkeit einer Norm damit vielfältige Gründe eine Rolle spielen, ist nicht immer jeder von ihnen zu untersuchen. Denn die Zahl der im Einzelfall entscheidenden Gründe ist meist ebenso beschränkt wie die für den zwingenden Charakter einer Norm angeführten Überlegungen. Sind sie widerlegt oder zumindest ihr Gewicht minimal, kommt die Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts421 zum Tragen. Zusätzliche für die Abdingbarkeit einer Norm sprechende Gründe können dann dahinstehen. Eine weitere Untersuchung ist entbehrlich. Wenn das Abbedingungsverfahren beispielsweise die Nachteile einer Abbedingung kompensiert, muss man nicht erst noch feststellen, ob auch materielle Gründe für die Abdingbarkeit einer Norm sprechen. Denn es ist letztlich nicht entscheidend, mit welchen Mitteln eine mit der Abbedingung einer Norm einhergehende Gefahr gebannt wird. Ob die Aufklärung der Parteien, die Konkretisierung der Gefahren, die Begrenzung der Abbedingungswirkung oder andere Mittel dafür sorgen, ist im Ergebnis unerheblich. Somit bedarf es nicht stets einer umfangreichen Analyse aller für und gegen die Zulässigkeit einer Abbedingung sprechenden Gesichtspunkte. Parteien und Richter können ihr Urteil auf den jeweiligen Abbedingungsakt begrenzen und sich an die herausgebildeten Fallgruppen halten, die ihnen eine Beurteilung erleichtern. Allerdings können Situationen eintreten, in denen es auf eine Vielzahl von Gründen ankommt. Das ist der Fall, wenn nur das Gesamtgewicht der für eine Abbedingung sprechenden Gründe die mit ihr verbundenen Nachteile kompensiert. Auch dann aber ist es besser, über eine Berücksichtigung dieser Grün417   Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.  4 ; Zamir, 97 Columbia Law Review 1710, 1787 (1997). 418   Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, S.  6 mwN. 419   Hingegen geht Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S.  325 beim Ausgleich eines Nachteils durch den Preis vom „Grundsatz [aus], daß der Nachteil voll auszugleichen ist.“ 420   Umgekehrt gilt ebenfalls, dass die Verantwortung mit steigender Reflexion zunimmt: „und je mehr die Handlung überlegt worden ist, desto mehr wird sie zugerechnet“, Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Gesammelte Werke, I. Abt., Bd.  19, §  6 , S.  5. 421   Oben 5.B.2.

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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de der Vertragsfreiheit Raum zu lassen, anstatt sie rigoros einzuschränken. Aus diesem Grund sind pauschale Einschätzungen und Entscheidungen bedenklich, wie sie etwa den Verbrauchsgüterkauf prägen. Dieser unterliegt nach Einschätzung des Gesetzgebers „nicht mehr der Parteidisposition“422 . Das geht trotz der unbestreitbaren Missbrauchsgefahren zu weit und entmündigt den Verbraucher. Zwar ist in manchen Situationen aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigenden Gründe schwer feststellbar, ob die abdingbare oder die zwingende Gestaltung einer Norm vorzugswürdig ist. Jedoch steht es den Parteien frei, auf die Abbedingung zu verzichten und im sicheren Hafen der gesetzlichen Vorgabe zu verharren. Wagen sie sich aber hinaus, müssen sie damit rechnen, dass nicht jeder ihrer Gestaltungen Anerkennung findet.423 Die mit einer Abbedingung einhergehende Unsicherheit spricht zudem nicht gegen die dargestellten Kriterien der Abdingbarkeit, sondern dafür, den Parteien einen weiten Spielraum der Privatautonomie zu belassen. Gehen sie das mit einer Abbedingung verbundene Risiko ein, darf das Recht sie nicht schon wegen jedes dabei begangenen Fehlers bestrafen. Je stärker es zwingende Vorgaben aufstellt und daher wirksame Absprachen erschwert, desto großzügiger muss es mit Verstößen gegen es umgehen. Die Prüfung der für und gegen die Abdingbarkeit einer Norm sprechenden Gründe ist sinnvoller, als um der Einfachheit der Entscheidung willen, vorschnell einen zwingenden Charakter hinzunehmen. Als Beispiel für eine Norm, deren Abdingbarkeit von Fallgruppe zu Fallgruppe variiert, mag §  314 BGB dienen, wonach Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund kündbar sind. Ihr vollständiger Ausschluss ist nicht hinnehmbar, weil dies übergroße Anreize zur Schädigung eines Vertragspartners setzte. Dieser könnte zwar noch Schadensersatz für eine Vertragsverletzung verlangen, bliebe aber weiterhin vertraglich gebunden. Andererseits wäre auch ein vollständiges Verbot abweichender Absprachen kaum sinnvoll. Denn insbesondere die Frage, was zur Kündigung ausreicht, ist derartig offen, dass sich eine vertragliche Regelung geradezu aufdrängt. So mögen die einen Parteien etwa festhalten, dass bestimmte Zahlungsverzögerungen eine Kündigung erst rechtfertigen, sobald der Schuldner zweimalig abgemahnt wurde. Andere mögen sich bereits mit einem erheblichen Zahlungsrückstand begnügen. Um derartige Gestaltungen des Kündigungsrechts zu ermöglichen, jedoch zugleich nicht auf einen Mindestschutz zu verzichten, wird §  314 BGB als im Kern zwingend angesehen.424 Eine vertragliche Disposition ist möglich, aber eine vollständige Abbedingung ausgeschlossen. Das setzt voraus, dass man §  314   Bt-Drucks. 14/6040, S.  8 0.   Ähnlich plädieren Ayres/Gertner, 99 Yale L. J. 87, 123 (1989) für „safeharbor“-Normen, mit denen die Parteien auf jeden Fall von der abdingbaren Vorgabe abweichen können. 424   BT-Drucks 14/6040, 176; BeckOK-BGB20 -Unberath, §  314 Rn.  26; Jauernig13-Stadler, §  314 Rn.  3; MünchKommBGB5-Gaier, §  314 Rn.  4. 422 423

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

BGB keine pauschale Entscheidung über die Abdingbarkeit entnimmt und stattdessen die für und gegen die Abdingbarkeit sprechenden Gründe gewichtet. In dieser Abwägung spielt die Frage eine erhebliche Rolle, ob die zwingende Ausgestaltung einer Norm ein bestimmtes Vertragsziel verhindern soll oder nur ein dafür eingesetztes Mittel. Denn die Verhinderung eines Ziels schränkt die Freiheit der Einzelnen empfindlicher ein, als wenn diese nur darauf verwiesen werden, es auf eine bestimmte Weise umzusetzen. Ein Verbot des Verkaufs bestimmter Gegenstände ist daher beispielsweise schwerer zu rechtfertigen als eine dafür erforderliche Form. Diese verhindert nicht die mit dem Verkauf angestrebten Ziele. Allerdings setzt das voraus, dass die mit einer alternativen Normwahl verbundenen Kosten kein prohibitives Ausmaß annehmen. Je höher sie sind, desto größer ist der Eingriff in die Vertragsfreiheit und desto stärker die Verzerrung der Absprache durch eine die Vereinbarung verdrängende Vorgabe. Denn diese Kosten können faktisch nicht nur die Wahl eines bestimmten Mittels ausschließen, sondern auch das von den Parteien gewählte Ziel vereiteln. Vor diesem Hintergrund sind zwingende sachenrechtliche Normen eher hinnehmbar als zwingende schuldrechtliche Normen. Erstere lassen die Ziele der Parteien weitgehend unberührt. Zwingende Voraussetzungen für einen Eigentumsübergang etwa beeinträchtigten sie zwar zu einem gewissen Grade, weil eine bestimmte Weise der Übertragung ausgeschlossen wird. Das aber hat ein geringeres Gewicht, als wenn man ihnen schuldrechtlich die Übertragung bestimmter Gegenstände untersagte. Vorgeschrieben wird ihnen damit nur die Art und Weise der Übertragung, nicht jedoch deren Ziel. Ähnliches gilt für die Wahl der Gesellschaftstypen. Diese sind zwar vielfach zwingend ausgestaltet, ihre grundsätzliche Wahl aber bleibt ebenso frei wie die mit ihr verfolgten Ziele. So wird die tiefgreifende Beschränkung der Gestaltungsfreiheit im Aktienrecht nach §  23 Abs.  5 AktG dadurch gemildert, dass als Alternativen andere Gesellschaftsformen wie die GmbH, die Societas Europaea sowie ihre Kombination zur Verfügung stehen. Die Vielzahl der zu beachtenden Gefahren und ihre Abhängigkeit von em­ pirischen Faktoren sprechen dafür, den zwingenden Status einer Norm nicht dauerhaft festzulegen, sofern die dafür bekannten Gründe nicht deutlich überwiegen. Denn kann ein Wechsel der empirischen Faktoren die normative Einschätzung ändern, ob der zwingende Status einer Norm gerechtfertigt ist, lässt er sich nicht ein für alle Mal bestimmen. Mit einer Änderung dieser Faktoren wird schließlich auch eine Neubeurteilung der Abdingbarkeit notwendig. So wie andere Normen des Privatrechts unterliegen die den zwingenden Status festlegenden Sekundärnormen dem Wandel und sind in ihrem Zusammenspiel sowie ihren Auswirkungen kaum zu überschauen. Daher war es vom BGB-Ge-

B.  Die Abdingbarkeit bei fehlender gesetzlicher Entscheidung

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setzgeber klug, den zwingenden Status vieler Normen offen zu lassen.425 Zweifelhaft ist hingegen, dass in jüngerer Zeit vermehrt zwingende Normen erlassen werden,426 die den Parteien jeglichen Raum für eine eigene Absprache nehmen. Die auf der unveränderten Entscheidungsfreiheit des Einzelnen beruhende Abdingbarkeit einer Norm verträgt sich mit dem historischen Wandel besser als der auf einem temporären Schutzbedürfnis beruhende zwingende Charakter einer Norm. Die für ihn sprechenden Gründe kommen und gehen; die vertragliche Selbstbestimmung aber bleibt. Die mit einer zwingenden Norm eintretende Freiheitseinbuße ist nach alldem nicht schon deshalb hinzunehmen, weil sie in einigen Fallgruppen als gerechtfertigt erscheint. Das gilt in umso stärkerem Ausmaße, je größer der Anwendungsbereich einer Norm und je ungewisser ihre Wirkung ist. Für die Annahme des zwingenden Charakters einer Norm aus dem Allgemeinen Teil des BGB oder des Schuldrechts bedarf es angesichts ihrer großen Reichweite deshalb erheblicher Gründe. Zudem gilt es, die Beschränkungen der Institutionen zu beachten, die über die Abdingbarkeit einer Norm entscheiden. Verfügen sie wie die Gerichte nur über begrenzte Möglichkeiten, die wirtschaftlichen und so­ zialen Folgen einer Norm abzuschätzen, tun sie gut daran, sich mit generalisierenden Aussagen über den zwingenden Status einer Norm zurückzuhalten. Die Ausgestaltung der Abdingbarkeit kann auf verschiedene Weise erfolgen. Angefangen von erhöhten Anforderungen an den Nachweis einer Abbedingung können sich diese bis zu einem Zustand steigern, in dem eine Abbedingung nur ausnahmsweise zulässig ist.427 Die weiten Sanktionsmöglichkeiten, die mit der stufenweisen Gestaltung der Abbedingungshürden einhergehen, bergen allerdings auch die Gefahr in sich, Eingriffe in die Vertragsfreiheit zu erleichtern. Im Vergleich zu einer vollständigen zwingenden Gestaltung einer Norm sind sie zwar milder. Gerade dadurch können sie aber Gesetzgeber und Gerichte dazu verleiten, sie vorschnell zu befürworten und damit die Vertragsfreiheit zu beschränken. Das birgt das Risiko in sich, das Gewicht der Abbedingungslasten zu verkennen. Auch Nichtjuristen muss es möglich bleiben, ohne genaue Rechtskenntnisse einen bindenden Vertrag zu schließen, dessen Inhalt sie angesichts des abdingbaren und zwingenden Vertragsrechts nicht allzu sehr überrascht.428 Die zunehmende Bedeutung von Abbedingungshürden gleicht in diesem Punkt den milderen Sanktionen im Strafrecht. Zur traditionellen Geld- und Freiheitsstrafe haben sich Arbeits- sowie Therapieauflagen, Kontaktverbote und vieles mehr gesellt.429 Sie sind leichter und in ihrem Einsatz flexibler als eine   Oben 5.A.1.   Nachweise oben 5.A.5. 427   Oben 4.D.3. 428   Oben 4.D.2.b). 429   §§  40, 44 ff., 56b StGB, dazu die Aufzählung der Auflagen bei BeckOK-StGB15-von 425 426

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Kap. 5:  Feststellung abdingbaren Vertragsrechts

Freiheitsstrafe. So nahe ihr Einsatz liegt, so klar ist allerdings die Bilanz, dass sie die Verhängung der Freiheitsstrafe kaum eingeschränkt, sondern ergänzt haben. Entstanden ist ein umfassendes Kontrollsystem.430 Die einzelnen Sanktionen sind, individuell betrachtet, milder als eine Freiheitsstrafe, können aber in ihrem Zusammenspiel die Freiheit erheblich beeinträchtigen. Gleiches droht im Vertragsrecht. Die für sich genommen milderen Gestaltungen der Abbedingungshürde können sich summieren und in der Breite zu einem verstärkten Eingriff des Staates führen, der unter dem Schirm der Verhältnismäßigkeit nicht nur mit harten, sondern auch mit weichen Instrumenten die Verträge umgestaltet. Im Ergebnis kann dies freiheitsfeindlicher sein als die Beschränkung auf wenige und in ihrem Zwangscharakter eindeutige Regeln.431 Zu dieser Entwicklung muss es nicht kommen. Aber die Gefahr dazu bleibt. Kaum jemand bestreitet, dass zwingende Normen an einigen Stellen unumgänglich und der Dispositionsbefugnis des Einzelnen Grenzen gesetzt sind.432 Das gilt selbst dort, wo der Gesetzgeber die ausdrückliche Festlegung ihres unabdingbaren Status versäumt hat. Die Frage ist deshalb allein, wo genau die Grenze zwischen den zwingenden und den abdingbaren Vorgaben verläuft. Ihre Festlegung bedarf einer genauen Analyse der jeweiligen Norm und des einzelnen Abbedingungsakts. Dies führt nicht zwangsläufig zu einer unüberschaubaren Kasuistik, da es dabei auf die hier vorgestellten generellen für wie gegen die Abdingbarkeit sprechenden Gründe ankommt. Sie verdeutlichen allerdings, dass es bei der Abdingbarkeit einer Norm mehr zu bedenken gibt als nur den Umstand, dass für sie die Vertragsfreiheit und gegen sie ein etwaiger Schutzcharakter spricht.

C.  Zusammenfassung Von einer Reihe vertragsrechtlicher Normen steht dank einer ausdrücklichen Regelung fest, ob sie einen abdingbaren oder einen zwingenden Charakter tragen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein Gesetz sowohl zwingende wie abdingbare Normen enthält und sie daher voneinander abgrenzen muss. Ausdrückliche Regelungen zur Abdingbarkeit einer Norm finden sich zudem, wenn das Gesetz eine Abbedingung zwar erlaubt, aber an bestimmte VoraussetHeintschel-Heinegg, §  56b Rn.  5 ff.; MünchKommStGB-Groß1, §  56b Rn.  11 ff.; Schönke/ Schröder/Lenckner 28, §  56b StGB Rn.  9 ff. 430   Vgl. Cohen, Visions of Social Control, pp.  83. Ähnlich spricht Teubner, Recht als autopoetisches System, S.  115 davon, dass Recht durch eine „Optionspolitik“ seine Regulierungschancen erhöht. Krüger, DVBl 1955, 450, 453 verweist im Zusammenhang mit Leistungen des Staates darauf, dass „Wohltaten die Unabhängigkeit in sehr viel gefährlicherer und wirksamerer Weise beeinträchtigten können als Eingriffe“. 431   Vgl. Mattei, Global Jurist Frontiers, Vol.  2, Issue 1, 11 (2002). 432   Ohly, „Volenti non fit iniura“, S.  393 mwN.

C.  Zusammenfassung

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zungen knüpft. Hingegen legt es den zwingenden Status vor allem beim Schutz einzelner Gruppen wie Verbraucher, Mieter oder Arbeitnehmer fest. Aus derartigen Entscheidungen lassen sich keine allgemeinen Schlussfolgerungen für die Normen ziehen, bei denen eine Regelung der Abdingbarkeit fehlt. Diese ergibt sich häufig auch nicht aus einer Gesetzesauslegung, da mangels Formulierung einer Sekundärnorm mehrere Regelungen mit Text, Entstehungsgeschichte und den Zielen des Gesetzgebers vereinbar sind. In dieser Situation kommt es auf die für und gegen die Abdingbarkeit einer Norm sprechenden Gründe an. Aufgrund der Vertragsfreiheit ist dabei von einer Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts auszugehen. Sie besagt, dass vertragsrechtliche Normen nur dann zwingend sind, wenn es überwiegende Gründe gibt, um die damit einhergehende Freiheitseinschränkung zu rechtfertigen (A). Derartige Gründe können sich auf zweierlei Quellen stützen. Entweder geht es um den Schutz eines der Vertragspartner oder den Schutz von am Vertrag nicht beteiligten Dritten. Alle anderen Gesichtspunkte lassen sich auf sie zurückführen. Das öffentliche Interesse etwa beruht letztlich auf Einzelinteressen, die von ihm gebündelt und typisiert werden. Weder der Schutz des Vertragspartners noch der Schutz von Dritten genügen, um den zwingenden Status einer Norm zu begründen. Denn dafür bedarf es des Nachweises, dass diese Interessen durch eine zwingende Norm besser geschützt werden als durch eine abdingbare Norm und schwerer wiegen als die mit ihnen einhergehende Freiheitseinbuße. Daher lässt sich auch aus dem Umstand, dass eine Norm für ein Gesetz oder gar ein Rechtsgebiet eine grundsätzliche Bedeutung hat, nicht auf ihren zwingenden Status schließen. Eine Analyse der gegen eine Abdingbarkeit sprechenden Gründe ist unvermeidbar. Selbst wenn derartige Gründe nachweisbar sind, folgt aus ihnen nicht der zwingende Status einer Norm. Denn es gibt womöglich Gegengründe, die jene aufwiegen. Diese Kompensation speist sich aus drei Quellen. Erstens können die Besonderheiten der abbedingenden Person für die Zulässigkeit einer Disposition sprechen, etwa wenn sie mit den Chancen und Risiken eines Geschäfts vertraut ist. Zum zweiten lassen sich die Nachteile einer Abbedingung formell kompensieren, insbesondere durch Anforderungen an Verfahren, Form und Frist einer Abbedingung. Dadurch treten die Gefahren einer Abbedingung vor Augen und sind damit dem Belasteten besser zurechenbar. Schließlich ist eine materielle Kompensation abbedungenen Rechts denkbar. Dabei kommt es auf die Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts, den Umfang der Abbedingung und einen möglichen Ausgleich durch andere Absprachen an. Erst eine Betrachtung dieser Kompensationsmöglichkeiten erlaubt eine Entscheidung, ob die für den zwingenden Charakter einer Norm sprechenden Gründe den Ausschlag geben. Ist das nicht der Fall, bleibt es bei der Abdingbarkeit einer Norm. Für sie spricht die Vermutung der Freiheit (B).

6. Kapitel

Einseitig abdingbare Normen Die bisherige Darstellung beschränkte sich auf das Vertragsrecht als den prominentesten Fall abdingbaren Rechts. Zu diesem gehören jedoch auch einseitig abdingbare Normen. Ihre umfassende Beschreibung müsste sich ganz vom Kontext des Vertrages lösen und die Umstände berücksichtigen, welche jeweils eine einseitige Abbedingung prägen. Angefangen vom Erbrecht bis hin zu den Grundrechten sind diese so vielgestaltig, dass ihre Analyse den Rahmen dieser Arbeit weit überstiege. Jedoch zeigt bereits ein kursorischer Blick auf einseitig abdingbare Normen, dass bei ihnen ähnliche Phänomene wie beim abdingbaren Vertragsrecht auftreten.

A.  Vergleich mit dem Vertragsrecht 1.  Modelle einseitig abdingbarer Normen Eine Reihe von Normen ist einseitig abdingbar. Beispiele dafür sind die Normen über die testamentarischen Verfügungen  sowie die Ausgestaltung von Grundrechten durch den einfachen Gesetzgeber . Auch bei ihnen liegt zunächst nahe, dass sie sich am hypothetischen Willen des Abbedingungsberechtigten ausrichten. Denn da er eine andere Entscheidung treffen kann, vermiede eine Orientierung an seinem Willen zumindest die bei der Abbedingung anfallenden Kosten. Dieser Wille ist besser feststellbar als eine hypothetische Vereinbarung zweier Parteien, da deren Interessen einander widersprechen und in unterschiedlichen Kompromissen Niederschlag finden können. Anders als bei ihr spielen bei einseitig abdingbaren Normen die Dynamik einer Vertragsverhandlung und die zahlreichen Möglichkeiten eines Kompromisses zwischen den Parteien keine Rolle. Die Abbedingenden müssen sich nicht erst noch gegen einen anderen durchsetzen, der an der Beibehaltung der Norm interessiert ist. So lassen sich zumindest Teile des Erbrechts als Ausdruck dessen verstehen, was der Erblasser hypothetischerweise bestimmen würde, wenn er ein Testa-

  Oben 1.A.   §§  1937, 2064 ff. BGB; für die USA Hirsch, 73 Fordham Law Review 1031 (2004).    Oben 1.A.2.  

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Kap. 6:  Einseitig abdingbare Normen

ment verfasste. Dies festzustellen fällt leichter als die Beurteilung einer hypothetischen Vereinbarung. Allerdings tritt hierbei ähnlich wie im Vertragsrecht die Schwierigkeit auf, dass die Einzelnen einander widersprechende Interessen haben und ihre nur hypothetische Zustimmung unverbindlich ist. Sie bedarf bereits deshalb einer weiteren normativen Begründung. Fragt man nicht nach der inhaltlichen Gestaltung einseitig abdingbarer Normen, sondern nach ihrer Herkunft, so wird offensichtlich, dass die Rechtsordnung sie vorgibt. Denn letztlich ist es der Gesetzgeber, der dann entscheidet, was jenseits einer anderweitigen Entscheidung des Abbedingungsberechtigten gelten soll. So bestimmt er etwa, dass die Eltern eines Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen sind, wenn dieser zugleich Kinder hinterlässt, §§  1924 f., 1930 BGB. Dahinter steht die den Gesetzgeber prägende Vorstellung einer von Generation zu Generation erfolgenden Vererbung. Wenigstens in diesen Fällen lassen sich einseitig abdingbare Normen als Vorgabe der Rechtsordnung begreifen. Demgegenüber erscheinen sie in anderen Fällen als Mittel zur Nutzenmaximierung der von ihnen Betroffenen.  Sie richten sich dazu einerseits an den typischen Interessen der Adressaten aus und schaffen durch die Abbedingungsmöglichkeit zugleich den Raum für eine abweichende Gestaltung. Allerdings können auch bei ihnen weitere Erwägungen das Nutzenkalkül überlagern, wenn nicht sogar verdrängen. Dies gilt besonders stark für Normen aus den Rechtsgebieten, die in erster Linie nicht der Verwirklichung wirtschaftlicher Interessen dienen. Etwa lässt sich die Frage, ob das Grundgesetz das Tragen eines Kopftuchs in der Schule verbietet, kaum danach beantworten, welche Entscheidung das Wohl der Bevölkerung am meisten steigert. Es geht vielmehr um die Freiheit der Religionsausübung, bei der Erwägungen des Minderheitenschutzes ebenso eine Rolle spielen wie die generelle Freiheitsvermutung. Gleichwohl bleiben die Wirkungen einseitig abdingbarer Normen bei deren Beurteilung und Gestaltung zu beachten, weil davon letztlich abhängt, wie stark sich individuelle Interessen verwirklichen lassen. So wie abdingbare Vertragsrechtsnormen stehen einseitig abdingbare Normen somit im Spannungsfeld dreier Pole: den Abbedingungsberechtigten, dem ihnen vorgegebenen Recht sowie der von ihnen ausgehenden Wirkungen.

2.  Wirkung einseitig abdingbarer Normen Während vertragsrechtliche Normen nur zur Anwendung kommen, wenn die Parteien eine Vereinbarung treffen, sind einseitig abdingbare Normen auch   Etwa §§  2066, 2073, 2097 BGB.   Oben 2.A.3.    Zu diesen Vorstellungen oben 2.C.1.    Vgl. BVerfG, NJW 2003, 3111, 3115 (= BVerfGE 108, 282, 306).  

A.  Vergleich mit dem Vertragsrecht

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ohne einen derartigen Rechtsakt anwendbar. Sie knüpfen nicht an einen Vertrag oder ein anderweitiges Rechtsgeschäft an, sondern greifen vielfach ohne weitere Voraussetzungen ein. Das Erbrecht der §§  1922 ff. BGB gilt beispielsweise nicht nur für diejenigen, die durch Testament oder Erbvertrag eine letztwillige Verfügung treffen, sondern auch und gerade für diejenigen, welche derartige Verfügungen unterlassen. Daher dürfte die Durchsetzungskraft dieser Normen noch größer sein als diejenige des Vertragsrechts. Die Berechtigten haben mangels Vertragsschlusses keinen Anlass, die Rechtslage zu prüfen und eine vom Gesetz abweichende Disposition zu treffen. Aus diesem Grund ist bei ihnen stärker als im abdingbaren Vertragsrecht die Kenntnis der Einzelnen maßgeblich, dass eine bestimmte Norm zum Zuge kommt. Die Möglichkeit zur Disposition ist den Berechtigten nicht immer bewusst. Denn außerhalb von Verträgen ist man eher daran gewöhnt, dass für jedermann dieselben Gesetze zur Anwendung kommen und ein weiterer Rechtsakt dazu weder möglich noch erforderlich ist. Die Abbedingungshürde lässt sich bei einseitig disponiblen Normen ebenso wie bei den vertraglich disponiblen durch Bedingungen, Fristen oder Formerfordernisse erhöhen, so dass sie nur schwer zu überwinden ist. So hängt die Zulässigkeit einer Organtransplantation zwar von der Zustimmung des Spenders ab. Viele aber wollen sich nicht mit der Frage beschäftigen, was nach ihrem Tod geschieht, so dass eine beachtliche psychologische Hürde für eine Disposition besteht. Deren Überwindung ist jedoch erforderlich, wenn man durch einen Abbedingungsakt zum Organspender werden will. Die Entscheidung für oder gegen eine derartige Spende ist aus diesem Grund seltener als die Bereitschaft, die bestehende Rechtslage hinzunehmen, worin auch immer sie besteht. Deshalb entscheidet faktisch sie darüber, in wie vielen Fällen es zu einer Organspende kommt.  Das zeigt die Macht einseitig abdingbaren Rechts. Darüber hinaus prägt dieses ähnlich wie das abdingbare Vertragsrecht die Maßstäbe dafür, was als angemessen gilt. Spricht es den Angehörigen eines Organspenders beispielsweise das Recht zu, über die Zulässigkeit einer Spende zu entscheiden, ist dies ein Grund dafür, ihre Meinung auch bei der Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen einzuholen. Es formt den Referenzpunkt, mit dem die Einzelnen und die Gerichte ihre Entscheidungen vergleichen. Was die Rechtsordnung als einseitig abdingbar vorgibt, lässt sich auch in ähnlichen Fällen nicht als grundsätzlich falsch bewerten.

   Forsa, Die Organspendebereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland, S.  8 , 13; oben 1.C.3, Fn.  205.    §  4 Abs.  1 TPG.

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Kap. 6:  Einseitig abdingbare Normen

3.  Rechtfertigung einseitig abdingbarer Normen Einseitig abdingbare Normen bedürfen angesichts dieser Durchsetzungskraft ebenso wie das dispositive Vertragsrecht einer Rechtfertigung. Sie ist im Vergleich zu diesem sogar noch dringlicher. Denn während das Recht im Verhältnis zweier Personen offene Fragen regeln muss, weil keinerlei Gewähr für eine spätere Einigung der Parteien besteht, muss es die Verhältnisse des Einzelnen nicht bestimmen. Dieser kann die allein ihn betreffenden Entscheidungen jederzeit revidieren, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. Es ist daher kein Zufall, dass einseitig abdingbare Normen vor allem dort auftreten, wo der Einzelne einerseits eine höchstpersönliche Entscheidung treffen muss, andererseits aber zu einer derartigen Entscheidung außerstande ist. Die Organspende und das Erbrecht sind dafür typische Beispiele, weil das Recht bei beiden damit rechnen muss, dass der Berechtigte sich nicht zu einer Zeit äußert, zu der ihm noch eine freie Entscheidung möglich ist. Für diesen Fall muss das Recht den Einzelnen Regelungen vorgeben. Wie bei einer Organspende ist eine Entscheidung, ob positiv oder negativ, oftmals unvermeidlich. Die Rechtfertigung einseitig abdingbarer Norm hängt dabei von ihrem Inhalt ab. Begünstigt er den Abbedingungsberechtigten, so fällt sie leichter. Denn seine berechtigten Interessen werden dadurch nicht belastet und er kann auf die ihm eingeräumten Rechte immer noch verzichten. Hingegen bedürfen abdingbare Verpflichtungen einer stärkeren Rechtfertigung. Diese beruht typischerweise auf den Interessen anderer, die einerseits so stark sind, dass eine Regelung erforderlich ist, andererseits aber so schwach, dass sie die Disposition des Einzelnen nicht verhindern. So ist eine Organtransplantation etwa bei Einwilligung von Angehörigen gerechtfertigt, sofern der Spender dem nicht widersprochen hat, §  4 TPG. Das Risiko einer gegen seinen Willen erfolgenden Transplantation nimmt das Gesetz hin, weil es sich angesichts der Zustimmung der Angehörigen nur selten realisiert und andere fast stets ein existentielles Interesse an einer Spende haben. Dieses Interesse ist groß genug, um eine nur von den Angehörigen getroffene Entscheidung zu rechtfertigen, aber vermag sich nicht gegen die Entscheidung des Betroffenen durchzusetzen. Aus diesem Grund bleibt allein er zur Abbedingung berechtigt. In ähnlicher Weise sind es die berechtigten Interessen Dritter, die bei der Fortführung eines Handelsgeschäfts die Obliegenheit des Inhabers rechtfertigen, die Haftung für die Altverbindlichkeiten öffentlich auszuschließen. Das hat über das Handelsregister zu erfolgen, §§  27, 25 Abs.  2 HGB.10 Nur so haben Dritte die Gewissheit, ob der Inhaber für die Verbindlichkeiten aufkommt. Auch in anderen Fällen sind in der Gestaltung einseitig abdingbaren Rechts die 10   Baumbach/Hopt, HGB33, §  27 Rn.  8 ; Staudinger2002-Marotzke, §  1967 Rn.  59; a. A. Münch­ KommHGB2-Lieb, §  27 Rn.  50; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Zimmer, HGB2, §  27 Rn.  35.

A.  Vergleich mit dem Vertragsrecht

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Auswirkungen auf andere zu berücksichtigen, selbst wenn sie sich noch nicht zu einem Recht verdichtet haben. Sie können die Ausgestaltung und Interpretation einseitig abdingbarer Normen daher beeinflussen. Dabei muss das Recht nicht zwischen einer strikten Einwilligungs- und einer strikten Zustimmungslösung (opt-in oder opt-out) wählen, sondern kann wie im Fall der Organspende die Abbedingungsmöglichkeit auf unterschiedliche Weise ausgestalten. Auch darin gleicht es dem abdingbaren Vertragsrecht. Eine Fülle von Übergangsformen zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht sind denkbar. Restlos zwingende Normen sollten die Ausnahme bleiben, will man die Freiheit der Einzelnen ernst nehmen. Deren Beschränkung steht unter dem Vorbehalt einer Rechtfertigung.

4.  Feststellung einseitig abdingbarer Normen Die Abdingbarkeit von Normen ist außerhalb des Vertragsrechts häufig ebenso ungewiss wie innerhalb von ihm. Denn der Gesetzgeber verzichtet auch dort vielfach auf eine ausdrückliche Angabe des abdingbaren oder zwingenden Status einer Norm. Diese Feststellung fällt dann noch schwerer, weil es anders als im Vertragsrecht an typischen Konstellationen fehlt, in denen man von der Abdingbarkeit einer Norm ausgehen kann. Während es im Vertragsrecht nahe liegt, dass die Parteien einvernehmlich eine vom Gesetz abweichende Regelung treffen dürfen, die sie oder Dritte nicht negativ belastet, ist eine derartige Vermutung bei sonstigen gesetzlichen Anordnungen kaum angebracht. Denn anders als bei einem Vertrag ist es keineswegs selbstverständlich, dass die Einzelnen durch einseitige Akte verbindliche Anordnungen treffen. Überdies ist das Verhältnis des Einzelnen zu sich selbst im Gegensatz zum Verhältnis zweier Vertragsparteien meist kein geeigneter Gegenstand rechtlicher Regelung. Erlässt der Gesetzgeber dazu überhaupt eine Norm, so liegt daher die Vermutung nahe, dass sie sich auch auf andere auswirkt. Anderenfalls hätte er zu ihrem Erlass keinen Grund. Das spricht dann zumindest auf den ersten Blick dafür, sie der einseitigen Disposition des Adressaten zu entziehen. Insoweit gilt für einseitig abdingbare Normen keine Vermutung zugunsten der Abdingbarkeit. Anderes aber gilt für Konstellationen, in denen diese Normen in erster Linie schützenswerte Interessen des Abbedingungsberechtigten betreffen. Das ist etwa im Erbrecht der Fall. So spricht zugunsten des Testierenden ebenso wie zugunsten der Partei eines Erbvertrages die Vermutung, dass sie von den gesetzlichen Vorgaben abweichen dürfen. Die Einschränkung der verfassungsrechtlich verankerten Testierfreiheit11 bedarf ebenso eines sie rechtfertigenden Grundes wie die Einschränkung der Vertragsfreiheit12 .   Art.  14 Abs.  1 S.  1 GG; BVerfG, NJW 2011, 366, 367; Palandt70 -Weidlich, §  1937 Rn.  3; Staudinger2008-Otte, vor §§  1922 Rn.  54 ff. 12   Oben 4.B.1. 11

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Kap. 6:  Einseitig abdingbare Normen

Aufgrund der Schwierigkeit, sämtliche schutzwürdigen Interessen im Voraus zu erfassen, lässt der Gesetzgeber die einseitige Abdingbarkeit seiner Normen vielfach offen. Über sie ist dann wie im Vertragsrecht nach rechtsethischen Gründen zu entscheiden. Dies lässt sich etwa am Erbrecht beobachten, wo jenseits des Pflichtteilsrechts offen bleibt, wie stark sich der Erblasser von diskriminierenden Erwägungen leiten lassen darf.13 Einerseits haben andere nur in begrenztem Ausmaß ein legitimes Interesse daran, dass der Einzelne sie zum Erben einsetzt. Sie müssen dies als seine höchstpersönliche Entscheidung hinnehmen.14 Andererseits darf das Recht gravierende Diskriminierungen nicht anerkennen, will es seine sonstigen Grundsätze nicht aufgeben. Obwohl dem Einzelnen allein aus Rücksicht auf Dritte untersagt ist, diese belastende Verfügungen zu treffen, darf er über seine Interessen auch in den übrigen Fällen daher nicht nach reiner Willkür entscheiden.

B.  Zusammenfassung Da rechtliche Regelungen meist das Verhältnis zwischen verschiedenen Personen bestimmen, sind einseitig abdingbare Normen eine Ausnahme. In der Regel sind von einer Norm mehrere Personen betroffen, so dass auch am Ausschluss ihrer Abbedingung mehrere mitwirken müssen. Gleichwohl gibt es einige einseitig abdingbare Normen, so etwa im Erbrecht. Trotz aller Unterschiede zwischen ihnen und den vertragsrechtlichen Normen zeigen sich dabei in Modell, Wirkung, Rechtfertigung und Feststellung erstaunliche Parallelen. Das beruht letztlich darauf, dass die freie Entscheidung des Einzelnen auch jenseits des Vertragsrechts eine maßgebliche Rolle spielt. Angesichts der Rückführbarkeit rechtlicher Normen auf die Interessen des Einzelnen muss dies nicht erstaunen. Denn sie gebietet, seine Entscheidung generell und nicht nur beim Vertragsschluss ernst zu nehmen. Zugleich steht sie zwingenden Vorgaben entgegen, die nicht auf den Interessen anderer oder den unverfügbaren Interessen der Einzelnen beruhen.

13   Nach §  19 Abs.  4 AGG findet dieses im Erbrecht keine Anwendung; zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen siehe Jauernig13-Stürner, §  2077 Rn.  2 f f.; Staudinger2003-Sack, §  138 Rn.  363 ff.; Staudinger2003-Otte, vor §§  2064 Rn.  148 ff. 14   Zur fehlenden Rechtsbindung an höchstpersönliche Entscheidungen BGH, NJW 1986, 2043, 2044 (= BGHZ 97, 372, 379); 2007, 912; MünchKommBGB5-Armbrüster, §  134 Rn.  69; Staudinger2003-Sack, §  134 Rn.  433 ff.

Ergebnis Eine Norm abzubedingen heißt, ihre Anwendbarkeit auszuschließen, ohne dass sie ihre Geltung verliert. Ihre Adressaten heben damit die Rechtsfolgen nicht für sämtliche Konstellationen auf, sondern nur für einen bestimmten Sachverhalt. Darin unterscheiden sie sich von einem Gesetzgeber, der die Geltung der Normen begründet und aufhebt. Eine Abbedingung ist nicht nur durch Vertrag, sondern auch durch einseitige Akte wie ein Testament möglich. Abdingbares Recht steht im Kontext vielfältiger Regelungsmöglichkeiten. Statt einer abdingbaren Norm kann der Gesetzgeber eine zwingende oder eine bedingbare Anordnung treffen. Während sich zwingende und abdingbare Normen durch ihre bereits gegebene Anwendbarkeit auszeichnen, erlangen bedingbare Normen diese erst durch eine Erklärung ihrer Adressaten. Welche Bedeutung eine abdingbare Norm hat, hängt von der Rechtslage ab, die beim Verzicht auf eine Regelung maßgeblich wird. Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Denkbar ist eine generelle Entscheidung nach Billigkeit oder die Anwendung der Ausschlussnorm, wonach ohne gesetzliche, gewohnheitsrechtliche oder vertragliche Regelung keinerlei Rechte oder Einwendungen existieren. Spezielle abdingbare Normen hingegen sehen von einer derartigen pauschalen Regelung ab und legen bestimmte Rechte sowie Pflichten fest. Sie begründen einerseits eine Handlungsoption, welche die Adressaten von der Notwendigkeit einer eigenen Anordnung befreit. Andererseits aber erlegen sie diesen eine Abbedingungslast auf. Damit tragen sie einen ambivalenten Charakter. Die Entstehung abdingbaren Rechts wird durch die Formulierung abstraktgenereller Normen gefördert. Erst sie verdeutlichen, welche Rechte und Pflichten einer Abbedingung unterliegen. Zudem lassen sie die Bedingungen erkennen, unter denen eine Disposition zulässig ist. Es erscheint nicht als Zufall, dass abdingbares Recht in einem auf die abstrakt-generelle Formulierung der entscheidungstragenden Normen abzielenden Rechtssystem eine größere Rolle spielt als in einem Fallrechtssystem. Denn in diesem müssen die Adressaten alle wesentlichen Fragen entscheiden, um sich vor einer sie überraschenden Billigkeitsentscheidung oder einer rigorosen Ablehnung von Ansprüchen und Einwendungen zu schützen. Demgegenüber können sie sich in einem dogmatisier 1.A.  1.B–C.

 

446

Ergebnis

ten Rechtssystem auf die Anwendung vorgegebener Normen verlassen, ohne sie selbst formulieren zu müssen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der verschiedenen Länge der geschlossenen Verträge in den einzelnen Rechtsordnungen. Trotz dieser Unterschiede kommen abdingbare Normen in allen Rechtssystemen und Rechtsgebieten vor. Sie sind insbesondere nicht auf das Privatrecht begrenzt. So bedient sich ihrer auch das öffentliche Recht, um Normadressaten eine Anpassung an den jeweiligen Sachverhalt zu ermöglichen. Funktionell sind sie den Ausnahme- und Zumutbarkeitsklauseln verwandt, welche die Härte strikter Normen mildern. Stellt das Recht einzelne Normen unter den Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung, kann es dadurch vielfach schon wegen der auf diese Weise entstehenden Obliegenheit zur Einigung für einen Ausgleich gegenläufiger Interessen sorgen. Der Staat gibt seinen Regelungsanspruch nicht auf, wenn er sich auf den Erlass abdingbarer Normen beschränkt. Dies gilt umso mehr, als er eine Abbedingung an mehr oder weniger starke Voraussetzungen knüpfen kann. Auch mit abdingbaren Normen vermag er, Rechtsverhältnisse zu gestalten. Zu den abdingbaren Normen gehören ferner die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung. Denn sie sind zwar gesetzlich nicht kodifiziert, jedoch als abstrakt-generelle Regeln formulierbar, von denen die Parteien abweichen müssen, wenn sie die zunächst vorgesehenen Rechtsfolgen vermeiden wollen. Zwischen dem abdingbaren und dem zwingenden Recht gibt es zahlreiche Übergangsformen. Sie können an alle seine Elemente anknüpfen, nämlich das Subjekt, das Objekt, den Akt und die Wirkung der Abbedingung. Abdingbare Normen stehen in einem Spannungsfeld dreier Pole: den Parteien, dem Recht und der empirischen Wirklichkeit. Jede von ihnen steht im Zentrum eines anderen Modells. Nach dem ersten sind sie Ausdruck des hypothetischen Parteiwillens, der je nach Ausprägung als konkreter, typischer oder redlicher Wille verstanden wird. Die ihm zugrunde liegende Frage, was die Parteien vereinbart hätten, verschiebt sich dabei zur Frage, welche Vereinbarung sie vernünftigerweise hätten treffen müssen. Das Vorgabemodell betont stattdessen den Status abdingbarer Normen als geltendes Recht und thematisiert seinen Zusammenhang mit der gesamten Rechtsordnung. Seine prominenteste Variante ist das Verständnis abdingbaren Rechts als Leitbild des Gesetzgebers. Demgegenüber begreift das Nutzenmodell abdingbare Normen als Mittel, um den Vertragswert zu maximieren. Ihr Inhalt lässt sich danach mit seinen Wirkungen erklären. Dies kann bedeuten, den Parteien Strafregeln vorzugeben, welche diese nicht vereinbaren würden und die selbst der Gesetzgeber nicht für einen angemessenen Ausgleich der Parteiinteressen hält.

 1.D.  1.E–1.F.

 

Ergebnis

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Weder das Willens-, noch das Vorgabe-, noch das Nutzenmodell erfassen das geltende abdingbare Recht vollständig. So vielfältig die gesetzgeberischen Projekte, Vorstellungen und dabei berücksichtigten Interessen sind, so unterschiedlich ist auch das dadurch entstehende abdingbare Recht. Es lässt sich deshalb nicht auf ein einfaches und zugleich aussagekräftiges Modell zurückführen. Will man das geltende abdingbare Recht erfassen, so führen die zu ihm entwickelten Modelle daher in die Irre. Über die in seiner Definition genannten Merkmale hinaus lassen sich keine notwendigen gemeinsamen Eigenschaften angeben. Gleichwohl sind diese Modelle sinnvoll, um typische Aspekte abdingbaren Rechts zu verdeutlichen. So schärft das Willensmodell das Bewusstsein dafür, dass abdingbare Normen den Erwartungen der Parteien nicht grundsätzlich entgegen laufen dürfen. Das Vorgabemodell erinnert daran, dass diese Normen nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern in einem Zusammenhang mit anderen Normen der Rechtsordnung stehen. Das Nutzenmodell schließlich richtet die Aufmerksamkeit auf die Folgen abdingbarer Normen. Diese Folgen abdingbaren Rechts sind enorm. Es prägt nicht nur den Vertragsinhalt, sondern bereits die Verhandlungen. Das geschieht vor allem dadurch, dass es einer Partei die Verhandlungslast zuweist. Dadurch gerät die andere Partei in die privilegierte Position, sich nicht mehr um eine Regelung bemühen zu müssen. Das Gewicht dieser Last hängt von den konkreten Abbedingungshürden ab und kann variieren. Eine Rolle spielen insbesondere das Vertrauen der Parteien in die Rechtsordnung und die Bereitschaft zu einer eigenen Regelung. Durch Auslegungsregeln beeinflusst das abdingbare Recht bereits die Annahmen darüber, was unter einer Vereinbarung zu verstehen ist. Vor allem aber ergänzt es den Vertrag, da die Parteien eine Vielzahl von Fragen offen lassen. Auch im Zusammenspiel mit anderen Normen entfaltet es eine weitreichende Wirkung. Zu diesen Normen zählen insbesondere die Generalklauseln, die AGB-Normen sowie die aus ihm abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze.  Aufgrund dieser Wirkungen ist die verbreitete Befürchtung unbegründet, eine Abbedingung vereitelte die mit einer Norm verbundenen Zwecke. Im Vergleich zum zwingenden Recht ermöglichen abdingbare Normen den Parteien eine größere Autonomie, drücken die Parteiinteressen unmittelbarer aus und führen typischer Weise zu einer größeren Effizienz der von ihnen geschlossenen Verträge. Überdies lassen sie sich leichter anwenden, da sie im Durchschnitt kürzer als zwingende Normen sind. Das liegt daran, dass sie keine Ausnahmeregelungen vorsehen und keine Umgehung verhindern müssen. Abdingbare Normen ermöglichen anders als zwingende die Entstehung neuer Vertragsformen. Dies ist nur dann von Nachteil, wenn man die Verhältnisse der  2.A–2.C.  3.A–B.

 

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Ergebnis

Einzelnen zentral regulieren möchte. Das gelingt umso besser, je einheitlicher diese Verhältnisse beschaffen sind. Allerdings kann zwingendes Recht nur begrenzt gewährleisten, dass sich die Parteien so wie vom Gesetzgeber gewünscht verhalten. Denn auch es vermag nicht, eine Einigung zwischen ihnen herzustellen. Zwingendes Recht kann sich sogar gegen sie auswirken, etwa wenn es bestimmte Güter vom Markt verdrängt oder so kompliziert wird, dass es die Parteien überfordert. Schon aufgrund dieser Wirkungen bedürfen abdingbare Normen einer rechts­ ethischen und verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Gegenüber den Parteien ist zu begründen, warum sie eine Abbedingungslast tragen sollen und den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge selbst dann hinnehmen müssen, wenn sie das Gegenteil vereinbart hätten. Den damit einhergehenden Freiheitseingriff gilt es zudem wegen der Gestaltung der für den Gesetzgeber fremden Angelegenheiten zu rechtfertigen. Dem steht nicht entgegen, dass zwingendes Rechts noch einschneidender als abdingbare Normen in die Freiheit der Parteien eingreift. Denn mag danach die Geltung einer abdingbaren Norm unausweichlich sein, so ist es die der konkreten anwendbaren Norm nicht. In aller Regel steht dem Gesetzgeber eine Vielzahl von Regelungsmöglichkeiten offen. Seine Wahl der abdingbaren Norm bedarf daher einer Begründung. So wenig sich die Notwendigkeit zur Rechtfertigung staatlicher Gewalt mit dem Hinweis darauf bestreiten lässt, es müsse ohnehin regiert werden, so wenig hebt die Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts das Erfordernis einer Rechtfertigung auf.  Gegenüber dem zwingenden Recht kommt abdingbaren Normen ein rechts­ ethischer wie dogmatischer Vorrang zu. Sie greifen milder als jenes in die Vertragsfreiheit ein. Dieser Vorrang wird durchbrochen, wenn der Schutz eines Vertragspartners oder Dritter dies nachgewiesener Weise erfordert. Dabei ist strikt auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu achten. Ebenso wenig wie Normen vollständig abdingbar oder vollständig zwingend sein müssen, erfordert ihre Rechtfertigung eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung. Vielmehr variiert die Notwendigkeit zu ihr danach, wie stark die Norm in die Freiheit der Betroffenen eingreift. Maßgeblich ist der Zusammenhang der jeweiligen Norm mit der Zustimmung der Einzelnen zum Vertrag. Dabei treten drei Fallgruppen auf: die Rechtfertigung durch Zustimmung, die Rechtfertigung aufgrund Zustimmung und die Rechtfertigung anlässlich der Zustimmung. Diese Fallgruppen entfernen sich mehr und mehr vom Willen der Parteien und treffen daher auf umso höhere Rechtfertigungsanforderungen. Während bei abdingbarem Recht eine Rechtfertigung durch Zustimmung allenfalls durch eine demokratische Gesetzgebung erfolgt, kann sie gegenüber den Parteien eines Vertrages nur aufgrund ihrer Zustimmung entstehen. Die  3.C.   4.A.

 

Ergebnis

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einzelnen Normen sind nicht aus ihrer Zustimmung ableitbar, ihnen aber gleichwohl aufgrund dieser Zustimmung zuzurechnen. Das begrenzt den Inhalt dieser Normen. Denn diese Rechtfertigung gelingt nur, wenn ein mit der Zustimmung zusammenhängender Grund existiert, warum der durch eine abdingbare Norm Belastete eine bestimmte Pflicht übernehmen soll. Allein der Umstand, dass eine abdingbare Norm die Interessen aller von der Norm Betroffenen fördert, genügt dafür ebenso wenig, wie allein überwiegende Interessen einer Mehrzahl von Personen einen Freiheitseingriff gegenüber dem Einzelnen rechtfertigen. Nur in Ausnahmekonstellationen ist eine Rechtfertigung abdingbarer Normen anlässlich der Zustimmung der Parteien möglich, in denen keinerlei legitimatorischer Zusammenhang zwischen der Zustimmung der Parteien und der ihnen auferlegten Pflicht besteht. Dafür bedarf es aber gewichtiger Gründe. Zu ihnen gehört etwa das Funktionieren der Demokratie, welche die Beurlaubung von Bundestagskandidaten zur Wahlvorbereitung gebietet, Art.  48 Abs.  1 GG. Die rechtsethisch maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich im Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption zusammenfassen. In seinem Zentrum steht die Zurechnung der mit abdingbarem Recht einhergehenden Pflichten zu den von ihnen belasteten Parteien. Sie hängt vom Wert der begründeten Handlungsoption, den berechtigten Erwartungen der Parteien, der Möglichkeit zu einer Abbedingung, der Auswirkungen auf Dritte, der Verteilungsfolgen sowie dem Zusammenhang mit dem übrigen Recht ab. Vornehmlich geht es daher um die Autonomie des Einzelnen sowie die Kohärenz und Effizienz des Rechts. Für die Ausgestaltung abdingbarer Normen ergibt sich daraus eine Reihe von Folgen. Sie müssen möglichst klar und einheitlich sowie intuitiv erschließbar sein. Sie sollten den Parteien trotz eines sonst erzielbaren Nutzens möglichst geringe Lasten auferlegen. Auf diese Weise bleibt die wirtschaftliche Bedeutung ihrer Vereinbarung gewahrt. Wissen die Parteien schon nicht, welche abdingbaren Normen zur Anwendung kommen, müssen sie wenigstens deren Auswirkungen abschätzen können. Nur so unterbleibt eine gravierende Verzerrung ihres Vertrages. Das beruht nicht nur auf der Autonomie der Parteien, sondern auch auf der Ungewissheit der mit abdingbarem Recht verbundenen Wirkungen. Solange auf der Makroebene unklar bleibt, wie sich eine abstrakte Vorgabe des Vertragsrechts auf die vielfältigen von ihr geregelten Konstellationen auswirkt, ist es erforderlich, den Parteien auf der Mikroebene eine möglichst einfache und ihren Interessen nahe kommende Entscheidung zu ermöglichen. Das setzt der Komplexität des Vertragsrechts und der Anwendbarkeit von Nutzenkalkülen Grenzen. Das abdingbare Vertragsrecht muss zudem die Gleichheit der Parteien beachten. Der Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption hat auch für den Abbedingungsakt weit reichende Auswirkungen. Er ist unverzichtbar und darf nicht mittels der ergänzenden Vertragsauslegung durch Erwägungen darüber ersetzt werden, was die einzelnen Parteien hypothetischer-

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weise miteinander vereinbart hätten. Nur so kann abdingbares Recht seine Entlastungsfunktion entfalten und die Parteien durch die Ausprägung einer allgemeinen Dogmatik vor überraschenden Entscheidungen schützen. Modell, Wirkung und Rechtfertigung abdingbaren Rechts haben die größte praktische Relevanz bei der Abgrenzung abdingbaren und zwingenden Rechts. In einer Reihe von Fällen stellt das Gesetz dazu eine ausdrückliche Regelung auf, um den abdingbaren oder zwingenden Status einer Norm außer Zweifel zu stellen. Aus derartigen punktuellen Festlegungen lassen sich jedoch keine all­ gemeinen Schlussfolgerungen für die Normen ziehen, bei denen eine Regelung der Abdingbarkeit fehlt.10 Bei ihnen kommt es auf eine Abwägung der für und gegen eine Abbedingung sprechenden Gründe an. Sie hat zunächst von der Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts auszugehen. Vertragsrechtliche Normen sind danach nur zwingend, wenn es Gründe gibt, welche die damit einhergehende Freiheitseinschränkung rechtfertigen. Das Verbot abweichender Absprachen muss auf dem Schutz eines der Vertragspartner oder der am Vertrag nicht beteiligten Dritten beruhen. Alle anderen Gesichtspunkte lassen sich darauf zurückführen. Öffentliche Interessen bestehen letztlich aus Einzelinteressen, die in ihnen gebündelt und typisiert sind. Ob sich die für eine zwingende Fassung sprechenden Gründe im Einzelfall durchsetzen, hängt neben dem Gewicht der Selbstbestimmung vor allem davon ab, wie stark das Recht die mit der Abbedingung einhergehenden Nachteile kompensiert. Dafür sind drei Aspekte zu beachten. Zum einen kommt es auf die personelle Schutzbedürftigkeit der durch die Abbedingung Belasteten und durch sie Begünstigten an. Ihre Erfahrungen und Kenntnisse im Umgang mit den durch eine Abbedingung übernommenen Risiken können etwa für die Zulässigkeit einer vom Gesetz abweichenden Gestaltung sprechen. Zum zweiten lassen sich die Nachteile einer Abbedingung durch formelle Anforderungen an das Verfahren, die Form und Frist ausgleichen. Drittens ist eine materielle Kompensation abbedungenen Rechts möglich. Einem Verlust eines Rechts steht dann beispielsweise der Gewinn eines anderen Rechts gegenüber. Ebenso sind für eine Kompensation die Schutzwürdigkeit des aufgegebenen Rechts, der Umfang der Abbedingung, der Ausgleich durch andere Absprachen sowie eine Gleichrichtung der Parteiinteressen zu berücksichtigen. Aufgrund der Vielfalt dieser Gesichtspunkte ist die Feststellung des abdingbaren Status einer Norm eine komplexe Aufgabe. Sie wird durch die Bildung von Fallgruppen erleichtert, aber nicht erledigt. In ihrer Komplexität drückt sich letztlich die Vielfalt individueller Interessen und gesetzlicher Regulierungsanliegen aus. Will man die Autonomie und die Vielfalt der Einzelnen ernst nehmen, lassen sich deren Interessen nicht auf eine einfache Formel oder einen   4.B–4.C.   5.A.



10

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einzelnen Gesichtspunkt reduzieren. Weder der Schutz des Vertragspartners noch der Schutz von Dritten allein genügen, um den zwingenden Status einer Norm zu begründen. Ebenso wenig reicht dafür der hypothetische Wille der Parteien oder ein maximaler Vertragswert. Die Gestaltung abdingbaren Vertragsrechts hat damit eine Pluralität von nicht reduzierbaren Gründen zu berücksichtigen, wie auch seine Erscheinung überaus vielfältig ist.11 Im Gegensatz zum Vertragsrecht sind einseitig abdingbare Normen der alleinigen Disposition des Einzelnen unterworfen. Sie kommen vor allem dort vor, wo es einerseits auf die Entscheidungen des Einzelnen ankommt, andererseits aber keine Garantie besteht, dass er sie trifft. Paradigmatisch sind dafür die Organspende und die Erbschaft. In beiden Fällen muss das Recht Regelungen treffen, die zu allererst dem Einzelnen zukommen. Um seinen Willen so weit wie möglich zu respektieren, kann es sie in abdingbarer Form aufstellen. Dabei zeigen sich Parallelen zum Vertragsrecht. Auch einseitig abdingbare Normen lassen sich jeweils in einem Aspekt mit dem Willens-, dem Vorgabe- und dem Nutzenmodell beschreiben. Sie können ebenso wie abdingbare Normen des Vertragsrechts eine enorme Wirkung entfalten. Schon aus diesem Grund bedürfen sie einer Rechtfertigung.12 Die Abdingbarkeit von Normen zu thematisieren mag in Zeiten einer zunehmenden staatlichen Regulierung privater Verträge als eine Art Rückzugsgefecht erscheinen, das den Lauf der Zeit letztlich nicht aufhalten kann. Zwingende Normen nehmen dem Einzelnen mehr und mehr den Raum, in dem er bisher noch freie Verfügungen treffen konnte.13 Selbst wenn eines Tages das Pendel einer zunehmenden Begrenzung der Vertragsfreiheit zurückschwingt,14 werden weite Teile des zwingenden Rechts verbleiben. Eine Rückkehr zu einer von zwingenden Vorgaben unbeeinflussten Vereinbarung ist illusorisch. Gleichwohl nimmt dies abdingbarem Recht nicht seine Relevanz. Denn sein Aufstieg und sein Niedergang sind kein linearer Prozess. Abdingbares Recht kann sogar in Reaktion auf zwingende Normen entstehen, so wie diese ihrerseits anlässlich bestimmter vertraglicher Gestaltungen verabschiedet werden. Möglich bleibt etwa eine Modifikation der einzelnen Tatbestandsmerkmale zwingender Normen. Deren Zunahme steht die Tendenz gegenüber, vormals dem öffentlichen Recht überlassene Fragen einer vertraglichen Regelung zu unterwerfen. Das vergrößert die Bedeutung des Vertragsrechts. Überdies wird die Strenge des zwingenden Rechts mehr und mehr durch eine grundrechtlich gebotene Abwä  5.B.   6.A. 13   Die gegenteilige Perspektive zeichnet Stürner, AcP 210 (2010), 105, 107: „Es ist .  .  . nicht notwendig, Privatautonomie und Wettbewerb gegen eine vermeintliche Abwertung zu verteidigen, so als stünden sie unter Bedrohung.“ 14   So die Hoffnung von Staudinger2008-Coing/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, S.  23; selbst Gilmore, der den „Tod des Vertrages“ konstatiert, verweist auf mögliche „alternating rhythms of classicism and romanticism“, The Death of Contract, p.  112. 11

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Ergebnis

gung gemildert. Auch auf diese Weise erlangen abbedingende Absprachen der Einzelnen eine neue Bedeutung. Je stärker es im Privatrecht auf eine Interessenabwägung der Betroffenen ankommt, desto weniger lässt sich der uneingeschränkt zwingende Status einer Norm aufrechterhalten. Für die Anwendbarkeit einer Norm kommt es dann auf eine Abwägung der für und gegen ihre Abdingbarkeit sprechenden Gründe an. Wo im Einzelnen die Grenze zwischen abdingbarem und zwingendem Recht verläuft, unterliegt stetigem Wandel. Ebenso ändern sich die einzelnen abdingbaren Normen. Was bleibt, sind die mit ihnen verbundenen generellen Fragen nach dem Begriff, der Wirkung und der Rechtfertigung abdingbaren Rechts. So groß der Einfluss zwingenden Rechts auch sein mag, kann die Bedeutung abdingbaren Rechts nie ganz verschwinden. Denn eine Regelung durch zwingendes Vertragsrecht setzt voraus, dass es einen Vertrag als Regulierungsgegenstand gibt. Sie ist daher nur von Relevanz, wenn die Parteien Rechtsverhältnisse begründen, aufheben und verändern können. Ein minimaler Umfang an Dispositionsmöglichkeiten ist dafür unausweichlich. Abdingbare Normen lassen sich damit einerseits durch einen einheitlichen Begriff beschreiben, der auf der Differenz zwischen der Geltung und der Anwendbarkeit einer Norm aufbaut. Andererseits treten sie in vielfältigen Arten auf und erzeugen zahlreiche Wirkungen. Diese lassen sich nicht auf einen Aspekt oder ein Modell reduzieren. Das wirkt sich auch auf ihre Rechtfertigung aus. Für sie sind vor allem der Wert der entstehenden Handlungsoption, die berechtigten Erwartungen der Parteien sowie die Möglichkeit zur Abbedingung maßgeblich. Für das Verständnis abdingbaren Rechts ist somit zweierlei zentral: ein einheitlicher Begriff und eine Pluralität der es tragenden Gründe.

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Register Abbedingung – Akt 12 ff., 24, 50, 69, 85 ff., 93, 134, 330 ff. – Berechtigung 8, 59 f., 83, 389 ff. – Hürde 83 ff., 151, 243 ff., 270 f., 275, 330 ff., 396 ff., 435 f. – Last 48 ff., 165, 231 f., 236, 240 f., 244, 250 ff., 277, 288, 299 ff., 315 ff. – Initiative 48, 409 ff. – Subjekt 7 ff., 83 f., 385 ff. – Objekt 7, 9 ff., 56, 83 – Wirkung 16 ff., 162 ff. Abschreckungseffekt 258, 287 abstrakt-generelle Normen 9 f., 56 ff., 204 f., 226, 252 ff., 313 ff., 337, 378, 385, 394, 404 ff. Abwägung der Abdingbarkeitsgründe 354 ff., 361 f., 371, 430 ff. Abweichungskompetenz 50, 58, 66 Adressaten abdingbarer Normen 1, 7 ff., 45 ff., 368 AGB 89, 175, 193, 195 f., 198 ff., 210, 218, 227, 296, 301, 353, 372, 383 f., 387 f., 391, 396 f., 402 f., 411, 417, 423, 425 Allgemeine Spediteurbedingungen 402, 423 Ambivalenz abdingbaren Rechts 45 ff., 238, 253, 309 Arbeitsrecht 88, 166, 198, 369, 389, 423 Asymmetrie von Ansprüchen und Einwendungen 322 Auslegung 55, 72 ff., 89, 96 ff., 126, 130, 162, 175 ff., 188 ff., 293, 327, 323 ff., 351 ff., 364 f., 371 Auslegungsregeln 55, 72 ff., 79 ff., 90, 339, 355 – siehe auch ergänzende Vertragsaus­ legung Ausschlussnorm 36 ff., 92, 117, 178, 239 Authentizität des Vertrages 211

bedingbare Normen 42 ff., 50 f., 70, 82, 232, 240, 248, 422 Begriff abdingbaren Rechts 5 ff., 21 f. Begründung siehe Rechtfertigung Besitzeffekt 117, 179, 181 ff. Beweislast 88, 187 Billigkeit 39, 25 ff., 33, 39 ff., 125 f., 205, 301, 309, 315, 335, 370, 394 f. Bundesverfassungsgericht 49, 67, 202, 253 f., 293, 309, 327, 355, 376, 395, 414, 427 Coase Theorem 161, 181, 302 Common Frame of Reference 232, 404 Common Law 58 f., 120, 133, 143, 197, 314, 338 Default rules 6 f., 13 f., 66, 82, 182, 254 Detailierungsgrad abdingbaren Rechts 314 direkte/indirekte Abbedingung 15 Dogmatisierung 133, 197, 205 f., 315, 338 Drittschutz 272 ff., 367 ff. Durchsetzungskraft abdingbaren Rechts 24, 180 ff., 186, 194, 243, 270, 290, 299, 302, 313, 354, 358, 372, 396, 441, 442 Effizienz abdingbaren Rechts – siehe Nutzenmodell Eherecht 12, 49, 192, 209, 300, 370, 413 Eingriff in die Vertragsfreiheit 84, 202, 251 ff., 359, 361, 366 f., 371, 434 – durch abdingbare Normen 251 ff., 366 – durch zwingende Normen 361, 366, 371 Eingriffstheorie 356 ff., 362 einseitig abdingbare Normen 6 f., 12, 26, 34, 53, 439 ff. Entlastungsfunktion abdingbaren Rechts 45 ff., 141 ff., 337 ff.

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Register

Entstehung des BGB 13, 75, 126, 352 Erbrecht 6 f., 328, 439, 441 ff. ergänzende Vertragsauslegung 73, 78, 107, 190 f., 195, 207, 234, 313, 336, 338, 354 Ermächtigungstheorie 356 ff. Ermessens- und Billigkeitsnormen 25 f., 39, 91, 283, 301 essentialia negotii 375 Essentialismus 136 ff., 293 Etatismus 59, 240 f. Europäisches Vertragsrecht 174, 218 f., 242 ff., 248, 350 faktische Abdingbarkeit 70, 88 ff. faktisch zwingender Charakter 85, 88, 252 Feststellung abdingbaren Rechts 345 ff. Form- und Fristanforderungen 17, 85, 125, 275, 341, 396 ff. , 418, 429 Freiheitsvermutung 256, 364, 440 Generalklauseln 86, 125 f., 175 f., 192, 335, 370 f., 373, 377 f., 420 gerechter Preis (iustum pretium) 425 Gerechtigkeitsgehalt abdingbarer Normen 37, 125 ff., 368 ff., 406, 423 Gesellschaftsrecht 101, 123, 296, 316, 328, 370, 388, 427 Gesetzesbindung 36, 191, 233, 321, 335 Gleichheit 149, 265 ff., 327 ff., 371, 392, 416, 429 f. Grundsatz der zu optimierenden Handlungsoption 305 f., 308, 310, 327, 330, 343 f. halbzwingende Normen 81 ff., 210, 349, 352 Handlungsoption 45 ff., 253, 276 ff., 284, 308, 310, 323, 327, 330, 343 f., 363 hypothetischer Parteiwille 79 f., 95 ff., 109, 141, 143, 160, 190, 252, 271, 285, 291, 298 ff., 441 Idealisierungen des Vertragsschlusses 101, 263 ff., 399 Immunisierung abdingbaren Rechts 193, 200 Imparität der Parteien 224, 264 ff., 407, 430

Individualismus 274, 306 Individualvertrag, siehe AGB Inflation zwingenden Rechts 212 Informationsasymmetrie 144, 163 Informationsfunktion/-wirkung 143, 151 f., 176 ff., 289 ff., 297, 341, 399 Inhaltskontrolle 35, 193, 196, 199, 202, 208, 258, 264 f., 383, 392, 425 Inhaltswirkung abdingbaren Rechts 179 ff., 288 ff. Instrumentelles Rechtsverständnis 145 f. Interessen – der Parteien 116 f., 123, 127, 179 ff., 187, 211 ff., 217, 223, 254 f., 285 ff., 305 f., 327, 371 f. – von Dritten 272 ff., 281, 284, 301 f., 306 f., 371 ff. iustum pretium siehe Preiskontrolle Kaldor-Hicks-Kriterium 165, 406 kognitive Vorurteile 119, 150, 169, 182, 402 Kohärenz des Rechts 304 ff., 343 Kompensation abbedungenen Rechts 385 ff., 395 ff., 408, 412 ff., 418, 421 ff., 430 ff. Komplexität des Vertragsrechts 142, 220, 290, 311 ff. Kontinuitätsgrundsatz 30 f., 53 f., 63 Kooperationsgewinn 298 Koordination durch abdingbares Recht 132, 321 Länge von Verträgen 122, 337 Law and Economics, siehe Nutzenmodell Legitimation, siehe Rechtfertigung Leitbild abdingbaren Rechts 89, 97, 131 ff., 138 f., 190, 192 Makro-, Mikroebene 324 Minimierung der durch abdingbares Recht auferlegten Last 310, 322 ff. Modifikation von Normen 355, 366 ff., 378, 419 ff. Nash-Gleichgewicht 132 Netzwerkeffekt 103, 220, 224, 365 Normvorbehalt 18 ff., 24, 241 notarielle Form 85, 91 f., 252, 275, 355 f., 400 ff.

Register

numerus clausus, siehe Typenzwang Nutzen abdingbaren Rechts 140 ff., 440 Nutzenmodell 107, 140 ff., 152, 155, 157 f., 236, 323 öffentliches Gut 165, 220 öffentliche Interessen 68, 275 f., 342 öffentliches Recht 64 f. ökonomische Analyse des Rechts, siehe Nutzenmodell opt-in/opt-out 6, 11, 42, 50 f., 93, 401, 443 Optimierung der Handlungsoption 305 ff. Ordnungsnormen 23, 27 f., 89, 92 Pareto-Effizienz 165, 305, 406 Paternalismus 154, 173, 234 f., 250, 268 ff., 270 f., 384 penalty defaults siehe Strafregeln Pluralismus 305 f., 308 ff., 392 Prävention 384, 427 Preis 46 f., 100, 103, 136 f., 141, 203, 213 ff., 269, 273 f., 288, 298, 323, 387, 410, 424 ff. Preiskontrolle 103, 203, 413, 425 Privatautonomie, siehe Vertragsfreiheit Rahmenverträge 71 f., 284, 354, 379 Rechtfertigung abdingbaren Rechts 229 ff., 242, 249, 256, 276, 284 f. Rechtsethik 138 f., 147 ff., 157 f., 214, 229 ff., 254 ff., 289, 298 f., 303, 306, 361 ff. rechtsgeschichtliche Erfahrung 111, 122, 127 ff., 136 Rechtssicherheit 164, 275, 337, 378 Redundanzeffekt 399 Refeudalisierung des Vertragsrechts 84, 392 Regelungsauftrag 90 f., 93 Regulierung 29, 33, 106, 227, 342, 397 Repression 427 Richtigkeitsvermutung 261 ff., 396 Romantisierung des Vertragsschlusses: siehe Idealisierung Rückabbedingung 415 Sachenrecht 64, 349, 365 Schleier des Nichtwissens 106, 404 ff.

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Schutz – von Vertragspartnern 272, 402 – von Dritten, siehe Drittschutz Selbstregulierung 342 Software 316 ff. spezielle Normen 33, 40 Standardisierung 187 f., 219, 225, 227, 397 Strafrecht 38, 42, 69 ff., 93, 385 f., 435 Strafregeln 143 f., 149 ff., 157 f., 174, 176, 290, 296, 305 tailoring, siehe Detailierungsgrad abdingbaren Rechts Tatbestandsvorbehalt 18 ff., 60, 67, 348 Transaktionskosten 142, 149 f., 152, 191, 218, 284, 289, 304, 327, 399 Transnationales Recht 162, 314, 338 Typisierung 40, 214, 252 f., 275, 355, 370, 396, 431 Typenzwang 353, 381 Übergangsformen abdingbaren Rechts 81 ff., 93 Unabdingbarkeit – von Grundsätzen 371 ff. – siehe zwingendes Recht Ungewissheit über empirische Sachverhalte 144, 155 ff.,158, 225 f., 257, 303 Ungleichheit, siehe Imparität 224, 267 f., 407, 430 Unterlassungsvorurteil (omission bias) 150, 182, 401 Unvermeidbarkeit abdingbaren Rechts 54, 237, 283 Unvollständigkeit von Verträgen 16, 41, 97, 197, 309 Unverzichtbarkeit des Abbedingungsakts 339, 342 Verbraucherschutz 46, 62, 130, 243, 264, 271 f., 304, 361, 366 Vereinheitlichung – siehe Standardisierung Verhältnismäßigkeitsprinzip 199, 255, 259, 261, 388, 436 Verhandlungen 100, 104, 113 ff., 124, 141 ff., 162 ff., 210, 226, 244, 250, 284, 297, 315, 328, 339, 396 f., 405, 409 Verhandlungslast 162 f., 171, 226, 259

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Register

Verhandlungsmacht 165, 211, 231, 265, 267 f., 327, 388 Verhandlungswirkung abdingbaren Rechts 162 ff., 226 Vermutung zugunsten abdingbaren Rechts 200, 363 ff., 369, 432 Versteigerung 288, 375 Verteilungsfolgen 285, 302 f., 343 Vertragsfreiheit 60, 84, 192, 199, 238 f., 249, 251 ff., 260 ff., 300, 305, 354 f., 366 f., 371, 376, 379, 430 Vertrag zu Lasten Dritter 272 ff., 372 f. Vertragstypen 111, 137, 204 f., 220 f., 227, 257, 312, 317, 353 Vertragswert 3, 140, 149, 155, 157, 158 f., 286, 288, 324 Vertragszensur 393 Vertrauen 16, 107, 162, 167 ff., 172 ff., 176, 182, 217 ff., 226, 292, 296, 341 – in die Rechtsordnung 16, 107, 162, 172 ff., 176, 182, 226 – zum Vertragspartner 167 ff., 170, 226 Verzicht 7, 29, 32, 47, 56, 68, 377, 383 VOB 142, 175 f., 190, 312, 390 Vorgabemodell 119 ff., 135 ff., 158 f., 285 Vorrang abdingbaren Rechts 256 ff., 335

Wettbewerb 219, 248, 391 f., 412 – von Rechtsordnungen 248 – durch Vertragsklauseln 219, 412 Widerspruchslösung, siehe opt-in/ opt-out Willenstheorie 77, 97, 110, 162, 278, 307 Wirkungen abdingbaren Rechts 33, 45 ff., 85, 145 ff., 161 ff., 227, 229, 231 ff. Zustimmung 50 ff., 115 f., 187, 240, 252, 255, 277 ff., 281, 283, 305, 441 ff. – Rechtfertigung durch Zustimmung 277 ff. – Rechtfertigung anlässlich der Zustimmung 281, 305 – Rechtfertigung aufgrund Zustimmung 277 ff., 283, 305 Zweispurigkeit der Rechtsgeschäftslehre 231 zwingendes Recht 5, 22 f., 29, 33 ff., 81 ff., 84. 206 ff., 241, 259, 262 f., 266, 270 f., 275, 346, 366, 371 ff., 400, 422 – Abgrenzung zum abdingbaren Recht 22 f., 33 f., 81 – Rechtfertigung 241, 259, 262 f., 266, 275, 400 – Zusammenspiel mit dem abdingbaren Recht 271