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German Pages 140 [171] Year 1902
Begleitwort und Anweisung zum Gebrauch
der Schreib- und Lesefl.be! von
Karl H e s s e l
3. Auflage 1901.
Bonn A. Marcus u. E. Weber's Verlag1901.
L e s e n und Schreiben ist die Vorbedingung für jedes weitere schulmäßige Lernen, darum sollte es so rasch als möglich erledigt werden; aus diesem Grunde ist diejenige Methode die beste, welche am schnellsten zu dem erstrebten Ziele führt, nicht diejenige, welche Umwege macht oder auf dem Wege fortwährend stehen bleibt, um allerhand Blümchen zu pflücken und mitzunehmen. So, wenn durch Belehrungen aus der Heimatkunde der Gesichtskreis der Kinder erweitert, oder wenn durch eine allzureiche Auswahl schwieriger Wörter der Wortreichtum der Kinder vermehrt werden soll, oder wenn gerade an die allerersten gelesenen Wörter Sprechübungen und Übungen im Gesang, Rechnen und Zeichnen angeknüpft werden, wie die Normalwörtermethode verlangt. Dass dadurch die Erlangung der Lesefertigkeit verzögert werde, darauf ist schon von Seiten der Herbartischen Schule hingewiesen worden, die doch sonst an der Normalwörtermethode wegen ihrer starken Betonung der Konzentrationsidee großen Gefallen findet. Welches Ziel hat überhaupt der deutsche Unterricht im ersten Schuljahr'? Die preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 beantworten für die höhere Mädchenschule diese Frage dahin, der deutsche Unterricht auf der Unterstufe schließe die Übungen im Sprechen, Lesen und Schreiben in sich, diese Gegenstände müssten in organischem Zusammenhange miteinander bleiben, das Lesen bis bis zur vollen Geläufigkeit, solle zuerst nach der eingeführten Fibel geübt werden. Wie bleiben nun Sprechen, Lesen und Schreiben in organischem Zusammenhange? Das Sprechen hat vor dem Lesen und Schreiben einen Vorsprung, denn deutsche Kinder können deutsch sprechen, wenn sie zur Schule kommen, wenigstens wenden sie alle Laute der Muttersprache an, befolgen unbewusst die Regeln der Wortlehre und der Satzlehre und betonen völlig richtig und sinngemäß. Sollen nun Sprechen, Lesen und Schreiben nebeneinander hergehen, so muss das erste sein, dass Lesen und Schreiben das ihnen vorangeeilte Sprechen möglichst bald einholen, d. h. dass die
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Kinder befähigt werden, recht bald alle die Dinge zu lesen und zu schreiben, über welche sie selbst zu reden pflegen, oder die sie doch verstehen, kurz die Dinge, die in ihrem Gedankenkreise liegen. Wir halten es auch für eine Verzögerung des Lesen- und Schreibenlernens, wenn sofort mit Beginn dieses Unterrichtes phonetische Belehrungen einsetzen. Schon rein technische Gründe sprechen dagegen. Ich nehme hier an, dass bei Abfassung einer deutschen Fibel in jetziger Zeit die Anwendung der reinen Schreiblehrmethode selbstverständlich ist. Wenn nun das erste, was das Kind lernen soll, das Erkennen und Nachbilden der deutschen Schreibschrift ist, so wird der methodische Fortgang sich nicht nach der innern Verwandtschaft der L a u t e vollziehen dürfen, sondern nach der Formenverwandtschaft der L a u t z e i c h e n , der Buchstaben, also nach deren Schreibschwierigkeit. Und zwar deshalb, weil das Schreiben für das Kind die schwierigere und völlig neue Thätigkeit ist, die durchaus streng stufenweise erlernt sein will, während es die Laute j a bereits sprechen kaiin, wenn es auch vielleicht nicht alle richtig spricht. Wer hier zwei Herrn dienen und beides zugleich berücksichtigen wollte, die methodische Stufenfolge des Schreiblesens und die methodische Stufenfolge der Laute, der würde wie zwischen Scylla und Charybdis einhersegeln, bald hier, bald dort gegen Klippen rennend, bald zurückgetrieben, schließlich denn doch von der Stelle kommend, aber vielleicht mit Verlust von Mast und Steuer. Die Behauptung, die aufgestellt worden ist, dass durch eine von Anfang an betriebene phonetische Schulung des Ohres eine größere Sicherheit in der Rechtschreibung erzielt werde, ist ein Irrtum. Gerade das Gegenteil ist richtig: phonetische Schulung des Ohres bringt die Kinder dazu, entweder F u x , Räzel, oder Kaze, Katse, F u k s zu schreiben. Gerade weil die Kinder doch auch schon früh die übliche Rechtschreibung lernen müssen, darf die Phonetik nur so weit getrieben werden, um die Kinder zu befähigen, vermöge der Erkenntnis des Wesens der einzelnen Laute die Laute richtig auszusprechen, nicht aber so weit, dass sie etwa angeleitet würden, nun auch phonetisch getreu zu schreiben. Das bleibe einer späteren Zukunft vorbehalten, im Jahre 1901 haben wir es noch mit wirklichen und nicht mit idealen Zuständen auf dem Gebiet der deutschen Rechtsehreibung zu thun. E s ist ferner ein Irrtum, anzunehmen, dass durch phonetische Schulung, also durch theoretische Belehrung, das Kind seine Mutter-
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spräche richtig sprechen lerne. sich vielmehr
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Das Erlernen der Sprache vollzieht
als unbewusster Naturvorgang,
wie
und das Wachsen, auch ohne j e d e Unterweisung. Fortleben
der Mundarten
und
der Sprachen
W i e wäre sonst das
denkbar?
lernt in früher Jugend mit unfehlbarer Sicherheit Lautverbindungen,
die
feinsten
das Gehenlernen
Schattirangen
Das Kind
die schwierigsten
der Klangfarbe,
an
deren Nachbildung der erwachsene Fremde, und sei er noch so phonetisch geschult,
und habe er noch so ein feines musikalisches Ge-
hör, vergebens sich abmüht,
deren völlig richtige Wiedergabe aber
das untrügliche, lebenslang wie wahrte Kennzeichen Mundart
erlernt
Metternich,
dessen
hat.
eine Narbe oder
ist,
So
der
sagte
der
als er in höherem Alter
Görres kennen lernte, zu diesem: Sprache
als
gar
nicht
vergessen!"
Kind
ein Muttermal bej e n e Sprache
berühmte
seinen
berühmten
„Sie haben worauf
oder
Koblenzer, aber
Görres
Fürst
Landsmann
die Koblenzer
erwiderte:
„Nun,
dann freut mich, mit Eurer Durchlaucht wenigstens diese e i n e Ähnlichkeit zu haben!" Sind
trotzdem
in
der
Schule
einzelne Laute
für
das Kind
schwierig so auszusprechen, wie der Lehrer es haben will, so ist das darum der Fall, weil es in der Schule
den Laut
anders
sprechen
soll, als es in seiner gewöhnlichen Umgebung ihn zu hören gewöhnt ist.
Dem Koblenzer Kinde kommt es merkwürdig vor,
der Schule
sagen
soll:
katholisch
statt
„katholich",
dass es dem
in
thürin-
gischen, dass es Thaler sagen soll und nicht Daler, aber eine theoretische Belehrung ist unnötig,
sobald
das Kind
von
dem
thatsächlich und immer das Richtige zu hören bekommt. immer wieder an die Fabel denken, blatt seines Krebsbüchleins jungen sagt:
gesetzt
die S a l z m a n n hat,
wo
der
Lehrer
Man muss
auf das Titelalte Krebs
„Geh doch vorwärts!" und dieser erwidert:
zum
„Gerne,
Väterchen, sobald ich es dich thun sehe!" Unterrichtet auf der
untersten Stufe,
häufig der Fall ist, nur ein einziger Lehrer, im
ersten
Schuljahre
von
dessen Aussprache und Lehrer so spricht.
selbst,
zwar
wie so
das
zum Glück ja
lernen
die Kinder
durch unbewusste Nachahmung,
eine
phonetisch
richtige,
wenn
der
W i e die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.
Die mundartliche Redeweise der Kinder braucht darum nicht aufgehoben zu werden, die läuft, reinlich geschieden von der Schulsprache, ruhig neben dieser nicht zuviel,
her.
Dem
gewissermaßen
Bei einem Freunde
kindlichen
zwei
Geiste
Sprachen
in Haag erlebte
ich,
ist
es
gleichzeitig
dass
durchaus zu
reden.
dessen fünfjähriges
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Söhnchen Fritz schönes schriftgemäßes Deutsch redete, wie er es von seinen beiden hochgebildeten deutschen Eltern sprechen hörte. Kam er aber zu Kindern auf die Straße oder zu der Köchin in die Küche, so sprach er ebenso fließend holländisch. Ich forderte ihn bei Tische einmal auf, holländisch zu sprechen. Er wurde verlegen und sagte: „Das kann ich nicht". Ich: ,.,Du sprachst doch eben draußen in der Küche holländisch?" Fritz: „In der Küche kann man holländisch sprechen, aber im Zimmer kann man nur deutsch sprechen." Wie kann man klarer und überzeugender aussprechen, als dieses Kind es that, dass die Sprache nichts Isolierbares ist, sondern an ein Milieu gebunden, in dem allein sie ihr Leben hat! So ist es auch bei unsern deutschen Kindern. Sie leben in zwei, oft in drei Milieus: in der Familie, unter ihren Kameraden, in der Schule! Die Schule kann ein solches einheitliches Milieu für die Sprache aber nur sein, wenn auch die Lehrer, die im zweiten und in den dann folgenden Schuljahren unterrichten, dieselbe phonetisch richtige Aussprache haben und üben, wie der Lehrer des ersten Schuljahres. Leider aber kommen nur allzuoft die Einflüsse von Lehrern hemmend dazwischen, von denen etwa einer ans Berlin ist und Beealin sagt statt Berlin, einer aus Schlesien, der guten Tack wünscht, ein dritter aus Thüringen, der täglich „däglich" sagt; solche Dinge zerstören wieder alles, was im ersten Schuljahr aufgebaut ist. Nur dann nutzt der phonetische Betrieb des Lesenlernens dauernd, wenn er eine Grundlage schafft, auf der thatsächlich in den folgenden Schuljahren aufgebaut wird, eine Grundlage, an der späterhin nicht mehr gerüttelt wird durch andere. Wo aber so ideale Zustände vorhanden sind, ist auch keine phonetische Belehrung nötig, da schaffen Beispiel und Vorbild alles allein. So ist eigentlich die logische Schlussfolgerung für uns die, dass die Phonetik im ersten Schuljahr nur dann von Nutzen ist, wenn der Lehrer sie p r a k t i s c h in seiner eigenen Rede zur Anwendung bringt. Da aber zur Zeit noch nicht alle Anfangslehrer mit der phonetischen Theorie vertraut sind, so erscheint es immerhin sehr nützlich, und zwar in erster Linie als Anleitung für den Lehrer nützlich, wenn in der Fibel sämtliche deutschen Laute in ihrem phonetischen Verhältnis zueinander und in ihrer mustergültigen Aussprache an Musterwörtern den Kindern geordnet vorgeführt werden, jedoch, wie eingangs bereits begründet, erst nachdem die ersten Schreib- und Leseschwierigkeiten überwunden und nachdem auch die Grundsätze der deutschen Rechtschreibung dem Kinde praktisch
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klar geworden sind. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Lehrer schon von der ersten Unterrichtsstunde ab die Laute richtig spricht und dauernd darauf hält, dass die Kinder richtig nachsprechen, was er vorspricht. Und das letztere ist wahrhaftig nicht schwer.
Wir gehen nun dazu über, im einzelnen zu erläutern, wie nach unserer Absicht die vorliegende Fibel zu gebrauchen ist. Ehe das eigentliche Lesen beginnt, werden dem Kinde einige einfache Laute als solche zum Bewusstsein gebracht. Dies geschieht durch Auflösung g e s p r o c h e n e r Wörter in deren einzelne Laute, also analytisch. Es ist nicht nötig, dazu Hauptwörter zu wählen, das Wörtchen „nur" ist mindestens ebenso brauchbar dazu, wie z. B. „pike", welches eine Fibel als sogenanntes „Normalwort" auswählt. Die nunmehr als solche vom Kind erkannten Laute werden nun durch Schriftzüge ausgedrückt und wiederum zum Worte zusammengesetzt, also synthetisch. Nun kann mit dem Lesen und Schreiben der in der Fibel zusammengestellten Wörter begonnen werden. Die Einteilung der Seiten in drei Spalten gestattet, die Wörter in beliebiger Folge zu lesen, auch von oben nach unten und umgekehrt, damit die Reihenfolge sich nicht allzurasch dem Gedächtnis einpräge, wodurch die Buchstabenbilder ungenügend beobachtet und das sichere Wiedererkennen erschwert würde. Der Sinn aller Wörter liegt innerhalb des kindlichen Verständnisses; jede unnötige Schwierigkeit ist vermieden, vor allem jede Schwierigkeit in der Rechtschreibung. Es ist nötig, dass jedes Wort vom Lehrer in einem Sätzchen angewandt wird oder die Kinder selbst angeleitet werden, dies zu thun; dadurch wird die Sprachgewandtheit des Kindes gefördert und das Verständnis der Lesestücke vorbereitet. Dies ist auch keine zeitraubende Arbeit, es macht sich ganz von selbst und ist so natürlich, dass jede Mutter es zu thun pflegt, die ihr Kind aus irgend einer Fibel lesen lässt, auch wenn ihr pädagogische Schulung abgeht. Die Reihenfolge der kleinen Buchstaben ist so, dass zunächst die fünf reinen Vokale und die Doppellaute ei, au, eu kommen, sodann die anderen Laute, immer nach der Schreibschwierigkeit einander folgend. Als Einzelläufe, wenn auch durch zwei oder drei Buchstaben bezeichnet, schließen sich ng, die beiden Arten des ch und sch in die Reihe, teils nach g, teils nach h; zuletzt kommen die Umlaute und Beispiele zur verschiedenen Aussprache von st, wie fest und staune.
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Nur soweit mit diesem Hauptgrundsatz der Anordnung vereinbar, ist die phonetische Verwandtschaft der Laute berücksichtigt. So kommen nach den Vokalen zunächst die stimmhaften Laute n, m, r ; dem w jedoch muss notwendig v voraufgehen; dem stimmhaften f muss sofort das stimmlose s folgen; das so schwierig zu schreibende p kann schlechterdings nicht mit t und k in einem Zuge gelehrt werden; das ng kann erst auftreten, wenn das g dagewesen ist; die Umlaute endlich können erst beigebracht werden, nachdem die reinen Vokale und die Diphthonge, die ohne „zwei Strichlein drüber" geschrieben werden, in Verbindung mit sämtlichen Konsonanten geübt sind, weil die Überschtittung mit sämtlichen Vokalen Verwirrung in den kleinen Köpfen anrichten würde und das flotte Lesen durch zu langes Besinnen und beständiges Verwechseln aufgehalten würde. Die Silbentrennung hat nur Wert für die beim Schreiben so oft notwendige Verteilung eines einzelnen Wortes auf zwei Zeilen. Da nun die amtliche Rechtschreibung die Regel aufgestellt hat, dass eine aus einem einzigen Buchstaben bestehende Silbe nicht auf eine andere Zeile kommen darf als der Rest des Wortes (also nicht A-bend), so erschien es ratsam, auch in der Fibel Wörter wie Ofen, über, Emil nicht zu trennen. Silbenweise lesen zu lassen, soll nur Notbehelf für den ersten Anfang sein; wenn allzulange geübt, wird ein Leseton herangezogen, der den Zusammenhang der Rede stört und unnatürlich klingt. Die Einteilung in Silben ist überhaupt eine ziemlich wertlose Sache, weil sie allzu willkürlich ist. Man giebt die Regel, dass es Sprechsilben gebe und Sprachsilben und nennt Sprechsilben die Bestandteile, in die ein Wort beim langsamen Sprechen von selbst zerfalle; man solle, so heißt es weiter, nach S p r e c h s i l b e n trennen. Nun nimmt man aber wiederum gewisse zusammengesetzte Wörter aus, wie über-all, hin-ein, her-aus, voll-enden, die man lieber nach S p r a c h s i l b e n trennt. Die Folge ist, dass der Lernende, durch letztere Art der Trennung verführt, mit Absetzen der Stimme spricht: über-all, voll-enden, was der Rede etwas Zerhacktes giebt, das man im Deutschen doch nicht noch mehr fördern sollte, als es ohnedies leider schon vorhanden ist. Der Süddeutsche bindet viel mehr als der Norddeutsche, er sagt z. B. auch: Ve-rein, nicht mit Absetzen der Stimme: Ver-ein. Würde auf die kleine Schreibschrift sofort die kleine Druckschrift folgen, so wäre die Methode eben keine r e i n e Schreiblesemethode mehr; die Kinder würden überschüttet mit Stoff, der ungeordnet da läge, denn es wäre j a doch nur möglich, ihnen ein-
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zelne Wörter darzubieten, Sätze könnten überhaupt nicht geschrieben werden, denn dies ist nicht möglich ohne substantivische Begriffe, und solche verlangen im Deutschen große Anfangsbuchstaben, die ja aber noch nicht bekannt sind. Über die vorgeschriebene Rechtschreibung wollen wir uns doch auch uicht hinwegsetzen, wiewohl die Normalwörtermethode einen so kühnen Sprung wagt und eis, seil, pike u. dgl. schreibt. Es ist jedoch gegen unser pädagogisches Gewissen, etwas lernen zu lassen, was man späterhin als unrichtig bezeichnen und wieder umlernen lassen muss. Erfahrungsgemäß haften die zuerst aufgenommenen Sinneseindrücke von einer Sache, in diesem Falle die Wortbilder, sehr fest und lassen sich später kaum noch umlernen. Wenn also schreibend und lesend noch keine Sätzchen gebildet werden können, so muss man sich auch auf dieser Stufe immer noch darauf beschränken, mündlich Sätze zu bilden, die naturgemäß in sich zusammenhanglos sein müssen. Dann gleicht das Lernen einem Wandern durch sandige Wüste, in weiter Ferne erst winken wie labende Oasen die eigentlichen Lesestücke und Gedichtchen, aber endlos und endlos dehnt sich der Weg, ermüdend für Lernende und Lehrende. Der kindliche Geist wird in Stoffgebiete hineingedrängt, die ihm fern liegen, die er gar nicht oder nur schwer erfassen kann, jedenfalls mit Unlust erfasst. Beim Durchblättern mancher Fibeln ist es mir, als ob die Verfasser mit dämonischer Lust die Wörterbücher nach recht verschmitzten und schwierigen Wörtern durchwühlt hätten. In Fibeln, die ich besitze, sind u. a. zu finden: Torfstich, Turmknauf (Fechner), Lefze, Atzel, Aspe, Alge, talpen, Falbe (Steinhäuser), Bittersalz, Theerscliwälcr, Brantweinglas, Landjägermeister (Karow); Gefühlsmensch, Vorgefühl, Geleitsreiter, Stachelbeerspanner (Wiederhold). Aber auch das Vornehmen grammatischer Übungen ist für so kleine Kinder verfrüht. Ich habe zwar die Behauptung gedruckt gefunden, durch solche Umbildungen, wie Subjekt in Einzahl und Mehrzahl, Verb als Prädikat, prädikatives, dann attributives Adjektivum, Frageform etc. werde der Unterricht lebendig gemacht, das Interesse der Kinder gespannt und ihre Selbstthätigkeit gefördert; dem widerspricht aber die Erfahrung. Wohl kann man 6jährige Kinder anhalten, das zu thun, und mit Hilfe strammer Schulzucht kann es auch äußerlich scheinen, als hegte die Schulklasse gespanntes Interesse, aber man kann eben kleine Kinder zu allem abrichten, auch zu Fabrikarbeit und Seiltanzen, und auch zum Bilden von Sätzen, wie: Der Dolch
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ist scharf, die Dolche sind scharf, der Soldat kämpft, das Schaf ist sanft, ist das Schaf sanft? kämpft der Soldat? — Wir lassen also auf die kleine Schreibschrift sofort die großen Schreibbuchstaben folgen, nach der Schreibschwierigkeit geordnet. Die Leseübungen, die sich anschließen, betreffen erstlich die Verbindungen mit ng und nk, sodann finden sich Wortreihen, wo jedes folgende Wort durch Aenderung eines Lautes aus dem vorhergehenden gebildet ist, besonders sind es W ö r t e r mit Häufung von Konsonanten.
Gern hätten wir, dem Grundsatze folgend: vom Einfachen zum Zusammengesetzten! das Erlernen der lateinischen Schrift vorangestellt. Allein dem steht folgendes entgegen: Nur die lateinische D r u c k s c h r i f t ist einfacher, als die deutsche, dagegen ist die lateinische S c h r e i b s c h r i f t , so wie jetzt der übliche Duktus ist, schwieriger zu lernen als die deutsche Schreibschrift, z. B . sind die sieben Strichc des geschriebenen deutschen m für das Kind ungleich leichter zu machen, als die Rundungen des m, ein % ist leichter zu schreiben zu als ein F , u. s. w. Gehen wir nun davon aus, dass die Erlernung der S c h r e i b s c h r i f t vorangehen muss, so wird es doch wohl dabei bleiben müssen, zuerst die d e u t s c h e Schreibschrift zu lehren. Aber nun die Druckschrift? Die vorliegende Fibel ist so eingerichtet, dass in zwei parallelen Lehrgängen, der zweite nur etwas gedrängter als der erste, die beiden Arten der Druckschrift sich folgen, so dass der Lehrer die beiden Schriftarten unmittelbar nacheinander durchnehmen kann. Dass die Erlernung beider Schriftarten das Gedächtnis der Kinder überlaste, wie die Anhänger der reinen Antiquaschrift so gerne behaupten, ist nach der Erfahrung unrichtig. Die Ähnlichkeit der deutschen und lateinischen Buchstabenform ist vielmehr so groß, dass ein eigentliches Erlernen kaum nötig ist; die Kinder lesen es beinahe ohne Anleitung von selbst; die beiden Schriftarten unterscheiden sich weniger von einander wie die gewöhnliche Frakturschrift von der gotischen und Schwabacher Schrift. Man vergleiche z. B. 3T, |t, Jjt, K , C, 5 , K, T, S. Wenn nunmehr sofort das vollständige Alphabet in deutscher Druckschrift dargeboten wird, so ist nicht die Meinung, dass es sogleich in dieser Reihenfolge ganz gelernt werden solle. Die meisten Kinder haben erfahrungsgemäß die Druckbuchstaben, schon ehe sie beim Unterricht soweit kommen, längst an ihrer Ähnlichkeit
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mit den Schreibbuchstaben erkannt; während der Erlernung der Schreibschrift reizt es beständig ihre Neugier, heimlich zu prüfen, wie weit sie die Druckbuchstaben bereits erkennen können, besonders da man es ihnen nicht verbieten kann, zu Hause in ihrer Fibel zu blättern. Vor allem war es uns nun darum zu thun, möglichst frühe die Leseübungen an kleinen zusammenhängenden Lesestücken vorzunehmen und dadurch die mechanische Übung sofort mit Inhalt zu beleben. Darum ist das Lesen von Einzelwörtern in Druckschrift zunächst auf solche Wörter beschränkt, denen das Kind in jedem zusammenhängenden Lesestück fortwährend begegnet. Unsere Absicht ist, dass die Kinder etwa 14 T a g e lang bei Beginn jeder Lesestunde diese hundert Wörter laut lesen sollen, damit sie so früh wie möglich als einheitliche Wortbilder erfasst werden, so dass sofort beim Anblick des Wortbildes auch ohne Analyse der Klang des gesprochenen Wortes im kindlichen Geiste auftaucht. Um das Lesen zusammenhängender Stücke weiterhin zu erleichtern, sind die in den folgenden Lesestücken jedesmal vorkommenden schwierigeren oder orthographisch etwas Neues bringenden Wörter vorangestellt, damit sie bei Beginn der Stunde besprochen und gelesen werden können. Die Einübung der Druckschrift kann auch so geschehen: Das erste Stückchen wird zunächst als Ergebnis einer Unterredung Uber seinen Inhalt wörtlich auswendig gelernt, hierauf zergliedert in Wörter, Silben und Laute. Nunmehr findet das Kind von selbst, dass das erste Wort Häslein heißt, der erste Buchstabe h sein muss, u. s. w. Um das Lesen aber nicht in Hersagen zu verwandeln, beginnen wir zur Abwechselung auch mit dem zweiten oder dritten Satze, mit dem letzten Worte u. dgl. Übrigens zeigt die Erfahrung, dass die Kinder auch ohne solche Übungen das erste Lesestückchen überraschend schnell lesen können. Der Reiz des Neuen, der angeborene Lerntrieb und die Befriedigung über ein erreichtes Ziel thun das Ihre. Die zusammenhängenden Lesestücke sind so geordnet, dass Nr. 1 — 7 und dem entsprechend 1 0 9 — 1 1 2 ohne jede Dehnungs- und Schärfungszeichen sind; Nr. 8 — 2 1 und 1 1 3 — 1 2 1 weisen die Bezeichnungen für Schärfung auf, wobei bb, dd, gg- als selten und dem Niederdeutschen entlehnt ausser acht gelassen sind; Nr. 2 2 — 6 0 und 1 2 2 — 1 4 1 bieten die verschiedenen Bezeichnungen der Dehnung, und damit ist der Berg erstiegen.
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Wenn so die deutsche Rechtschreibung langsam nach und nach vorgeführt wird, heute etwa das Wort „kommt" mit mm, morgen „Lappen" mit pp, nach 2 bis 3 Wochen sodann „ihr" mit dem Dehnungs-h, jedes neue Wort innerhalb eines größeren Ganzen von Wörtern mit bekannter Schreibung, meist in einem Versehen von der Art, wie die Kinder es so gerne haben, so etwas behalten die Kleinen von selbst und dauernd. Stehen aber auf einer neuen Fibelseite gleich 50—60 neue Wörter mit 10 verschiedenen neuen Schreibweisen, das gibt verworrene Bilder fürs Gedächtnis, die Quelle von Verwechselungen und Fehlern, kurz geistige Verdauungsstörung in Folge von Überfütterung. Inhaltlich wählen wir für unsere Übungen nichts Belehrendes, sondern die alten, aber ewig jungen Kinderverschen, Sprüche und Spielreime, kleine Rätsel und ab und zu einfache Prosastückchen. Sollte jemand diese Sächelchen kindisch und sinnlos finden, so würde das geringes Verständnis für die Bedürfnisse des kindlichen Alters, wie für den hohen litterarischen und ästhetischen Wert dieser Spielreime bekunden, die von B r e n t a n o , W a c k e r n a g e l , S i m r o c k , H i l d e b r a n d u. a. mit Recht sehr hoch gestellt worden sind, und die wir, soviel an uns liegt, nicht in Vergessenheit wollen geraten lassen. Wer gar Sprachfehler darin finden wollte, dass es heißt „nimm ein Gruß und ein Kuss" oder „das Kätzchen lief in Schnee", der würde damit nur seine Unkenntnis der deutschen Sprache verraten, denn wie „im" die Zusammenziehung von „in dem" ist, genau so „in" die Zusammenziehung von „in den". So gebraucht es überaus häufig Goethe. Wenn man aber für den in der Unterhaltungssprache meist einsilbig gesprochenen Akkusativ „ein" statt „einen" etwa das Wortbild „ein'n" bieten wollte, so wäre das pedantisch. Wir verzichten also beim Lesenlehren auf Erweiterung des kindlichen Gedankenkreises und überlassen das getrost den Sprechübungen beim Anschauungsunterrichte, den wir durchaus nicht vernachlässigt wünschen.
Nun erst ist es angebracht, den eingangs erwähnten phonetischen Lehrgang in Beispielen zu geben, also nach vollständiger Einübung der Schreibschrift und nach vollständiger Einübung der Druckschrift. Auch die Rechtsehreibung der reindeutschen Wörter muss den Kindern bekannt sein, damit die phonetische Belehrung
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nicht unvollständig bleibe durch Nichtberücksichtigung solcher Wörter, die doppelte Konsonanten, doppelte Vokale oder andere Dehnungszeichen haben. Auch sind die Kinder nun allmählich an Abstraktionen gewöhnt, schon durch das Zählen und den Reclienunterricht. Dass die Selbstlaute den Reigen eröffnen, ist selbstverständlich. Wir nehmen zuerst die langen Vokale; dass ä das offene, e das geschlossene lange e zum schriftlichen Ausdruck bringt, dass dagegen das offene lange o und das offene lange ö im Deutschen nicht vorkommt, brauchen unsere A-B-C-Schützen noch nicht zu erfahren, wir überlassen das dem französischen Anfangsunterricht; es folgen die kurzen Vokale, alsdann die Diphthonge; bei diesen ist es das Einfachste, dass die Kinder das Buchstabenbild als Vertreter eines bestimmten, ihnen vorgesprochenen Doppellautes ihrem Auge so einprägen, dass der Anblick des Schriftbildes in ihrem innern Ohre sofort einen bestimmten Klang erweckt. Ob man ihnen zum Bewusstsein bringen will, dass ei sich anhört, als stände d a : a-i, eu und äu, als stände da o-ii, das mag der Lehrende mit seinem eigenen Gewissen ausmachen. Wichtig jedoch erscheint es, das ganz kurze e (in der Lautschrift meist mit o bezeichnet) als einen eigenen Laut zu kennzeichnen. Ich gehe nach meinen Erfahrungen noch weiter als V i e t o r in seiner Lautschriftfibel: Dieser will beim ersten Leseunterricht den Vokal des Artikels betont und lang gesprochen haben in der Meinung, dass dies sich später abschleifen werde. Das ist nicht richtig. Der erste Leseunterricht pflegt so starken Eindruck zu machen, dass es vornehmlich dieser Gewöhnung zuzuschreiben ist, wenn die meisten Erwachsenen es für richtig halten, beim Vorlesen oder bei feierlicher Rede den Artikel mit langem, betontem Vokal zu sprechen, ausgenommen das und des. Dass unser doch so endlos häufig gebrauchter Artikel mit d beginnt (in den romanischen Sprachen nfit dem leicht dahinfließenden 1), macht Uberhaupt unsere Sprache etwas schwerfällig; wird aber der Artikel, der doch nur ein „Gliedchen" sein will, noch härter durch die lange und betonte Aussprache seines Vokals, so verliert dadurch die Rede erst recht an Geschmeidigkeit und leichtem Fluss. Wir lassen auch die Vorsilben ver- und zer- tonlos sprechen, während V i e t o r solche Aussprache der Konversationssprache zuweist. Die Unterscheidung von stimmlos und stimmhaft muss entschieden schon hier gelehrt werden, wenngleich diese beiden Ausdrücke besser noch nicht vorgeführt werden; „mit Stimme" und
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„ohne Stimme" thut denselben Dienst. Den Kleinen macht es auch Freude, wenn sie die kleinen Finger (die kleinen, kleinen Schelme) in die Ohrchen stecken dürfen und dann dem Klang- ihrer Stimme lauschen dürfen, diesem erprobten Kennzeichen, ob ein Laut stimmhaft, mit Stimme, ertönt. Auch dass man diese Art Laute singen kann, das zu erproben, werden alle einigermaßen musikalischen Lehrer sich nicht entgehen lassen. Dass s, ß und ss gleich klingen, erregt bei nicht phonetisch geschulten Lehrern anfangs Befremden, und es ist doch so: nicht der stimmlos leis gesprochene Laut s ist das „weiche" s, und nicht das stimmlos mit Anstrengung gesprochene s das „scharfe" s, sondern s, ß und ss sind sämtlich „scharf", d. h. stimmlos, das „gesummte" s allein ist das „weiche", d. h. das stimmhafte. Das sch ist möglichst vorn im Munde zu sprechen, das ch (wie in ich) dagegen weiter hinten im Munde — diese Bemerkung gilt für das westliche Deutschland. — Wo das ch wie in ich klingt und wo wie in ach, das möge der Lehrer mit den Kindern suchen und Regeln feststellen lassen. Ein Kind, das hartnäckig lachen wie laa-chen (ch wie in Mamachen) las, wurde vom Lehrer nicht einfach belehrt, sondern getadelt und sollte durchaus allein das Richtige finden, und es fand es nicht. Mittel- und Süddeutschen ist die stimmhafte Aussprache des s geradezu unmöglich, und der Lehrer möge selbst zu erfahren suchen, wieweit es auf dieser Stufe beizubringen ist. Dasselbe gilt vom stimmhaften d, b und g. Nur wo der Lehrer selbst diese Laute stimmhaft sprechen kann und auch konsequent stimmhaft spricht, wird es ihm gelingen, diese Aussprache auf die Kinder zu übertragen. Wer es selbst nicht kann, soll es auch nicht lehren wollen. Dasselbe gilt von dem Zungen-r. Ob übrigens g im Auslaut und vor Konsonanten (liegt) wie k oder als Reibelaut zu sprechen sei, das lässt unsere Fibel billig unbestimmt. In diesem Punkt muss man sich nach der landesüblichen Art richten. Die Bühne verlangt bekanntlich den k-Laut. Dass ng, ähnlich wie ch, zwei Buchstaben sind, aber nur ein Laut, das ist wahrhaftig nicht schwer beizubringen, wir haben es darum schon in der Schreibschrift gebracht und zwar ziemlich am Anfang; nur ist die Berliner Aussprache nicht zu dulden, welche noch ein k hinzufügt und nicht jung, sondern jungk spricht. Die Folge ist besonders auch für den französischen Unterrieht verhängnisvoll, indem Leute, die „jungk" sagen, dafür mon wie „mong" aussprechen und es kaum mit dem Ohr unterscheiden können, dass ein gewaltiger Unterschied zwischen mong und mon ist.
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Die Anlautverbindungen des seh mit I, m, n, r, w giebt auch sofort die richtige Stellungnahme zur Aussprache des sp und st als sclip und seht, wobei es in Hamburg und andern Orten Lehrern wie Schülern unbenommen bleiben mag, statt dessen st und sp zu lesen; darüber müssen sich die einzelnen Lehrerkollegien vereinbaren. Die scharfe Unterscheidung dagegen von tr und dr, von k l — gl, kr—gr, kn—gn, pl—bl und pr—br ist für manche Gegenden Deutschlands sehr schwer, aber doch nötig, wenn richtig gesprochen werden soll. Ähnlich ist die norddeutsche Aussprache des pf im Anlaut als f zu bekämpfen. Zuletzt kämen Übungen im Lesen derjenigen Konsonanten, die zwei Lautwerte vereinen: qu, z (tz) und x. Dass zuweilen auch ts geschrieben wird, beweisen Wörter wie ratsam, Rätsel u. dgl.; einen wunden F l e c k unsrer Rechtschreibung enthüllen so schonend wie möglich die Beispiele der Schreibung des Lautes ks. Schließlich kommen noch schwierige Konsonantenverbindungen bis zu dem ganz polnisch anmutenden seufzst, und dann noch das y, das c in seiner doppelten Eigenschaft als k und z, das Ch im Anlaut in seiner dreifachen Aussprache als k (Christ), ch (China) und seh (Charlotte) und das p (Philipp), alles das als Übergang zu der späterhin zu behandelnden Schreibung der Fremdwörter. Das erste Lesebuch, das nun folgt, umfasst die Nr. 6 1 — 1 0 8 , also 4 8 Stücke in deutscher Druckschrift, und am Schluss 17 Stücke in lateinischer Schrift. E s wechseln Gedichte mit Prosastücken, Scherz und Ernst. Ausdrücke und Wendungen, die den Kindern schwer verständlich zu machen sind, kommen mit unserm Wissen nicht darin vor. Kindliche Gebete machen den Schluss. Stets ist der Gesichtspunkt festgehalten, dass das Buch kleinen Mädchen dienen soll, darum ist das bevorzugt, was in ihren Gedanken* und Spielkreis, in ihre Interessensphäre gehört. Durch das ganze Buch aber ist der Grundsatz festgehalten, dass ein Schulbuch auch g a n z dem Kinde gehören inuss, für das es bestimmt ist. Höchstens Titel und Vorrede sollen für die Erwachsenen sein, sonst aber soll nirgends durch gelehrte Überschriften und Beischriften, durch eingestreute methodische Winke u. dgl. etwas hineingebracht werden, was das Kind fremdartig anmutet. Und dagegen wird gerade in Fibeln so viel gesündigt. So soll man ihnen auch das Lesen der Zahlen, selbst wenn das Rechenpensum nur bis 2 0 geht, so weit beibringen, dass sie sämtliche Nummern und Seitenzahlen ihrer Fibel lesen und rasch aufsuchen können.
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Die Gedichte zeigen große Anfangsbuchstaben der Zeilen nur nach vorhergehendem Punkte. Ausgenommen sind einige Gedichte am Ende des Ruches, um die Kinder diesen Gebrauch kennen zu lehren. Auch die Druckausstattung; ist nach meiner Überzeugung nur dann sagen wir stimmungsvoll, wenn ruhige, möglichst einheitliche, breite Schriftarten gewählt werden, groß, doch nicht allzugroß, die Zeilen nicht zu eng, die Anordnung nicht unruhig und nicht in der Art, wie die Anzeigenseiten der Zeitungen, mit beständigem Wechsel von halbfetten, ganzfetten, großen, größeren und kleineren Schriften. Was endlich die Quellen der aufgenommenen Lesestticke anlangt, so sind sehr viele unmittelbar dem Leben entnommen — „Häschen in der Grube", „Der ist ins Wasser gefallen" u. s. w. hört man j a durch ganz Deutschland — anderes Volkstümliche ist aus des Knaben Wunderhorn, aus Scherers Kinderbuch, Klumpps Kinderliedern, Simrocks Kinderbuch, Wackernagels goldener Fibel teils wörtlich, teils mit Abänderungen entlehnt. Besonders viel verdanken wir auch der sehr schönen Sammlung von Petersen: Mütterchen, erzähl uns was! (Hamburg, Meißner, 1894). Von Christoph v. Schmid (oder nach seinen Erzählungen bearbeitet) sind Nr. 6 8 und 7 7 ; nach Enslin Nr. 2 5 ; von Dieffenbach Nr. 4 3 , 132 und 105, letzteres aus der Zeitschrift „Für unsere Kleinen", 1890, S. 68, allerdings mit vielen Vereinfachungen des Ausdrucks; von Güll: Nr. 6 9 ; von H e y : Nr. 64, 87, 89, 91, 106, 137, 1 5 8 ; von Hoflfmann von Fallersleben Nr. 15, 46, 66, 71, 76, 82, 84, 113, 124, 1 4 1 ; aus dem Märchenbuch der Brüder Grimm Nr. 1 0 1 ; aus Bechsteins Märchenbuch Nr. 153. Die Stücke Nr. 1, 3, 5, 23 und 109 verdanken wir der originell gearbeiteten Fibel von L a c k (Frankfurt a. M. 1 8 8 5 , 4. Auflage); Nr. 6 3 und 145 Böhmes Fibel. Aus Dehmels Kinderbuch „Fitzebutze" stammen Nr. 9 6 , 9 7 , 1 4 0 ; von dem Unterzeichneten rühren her die Nummern 14, 41, 65, 80, 81, 9 9 und 148. Koblenz, April 1901.
Karl
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bann.
Hessel.
ARZT UND
EHERECHT DIE ÄRZTLICH WICHTIGEN RECHTSBEZIEHUNGEN DER EHE IN DER R E C H T S P R E C H U N G VON
DR.MED. JULIUS HELLER A. 0 . P R O F . A. D. U N I V E R S I T Ä T
BERLIN
B E R L I N UND KÖLN
A.MARCUS & E. WEBER'S VERLAG 1927
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Vorwort Als mich Herr Dr. Max Marcuse aufforderte, f ü r sein im Verlage von Marcus & Weber erscheinendes „Ehebuch" einen Aufsatz über die „Ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen der Ehe" zu schreiben, war ich zur Übernahme um so lieber bereit, als ich seit fast 27 Jahren dies Grenzgebiet zwischen juristischer und medizinischer Wissenschaft bearbeite. Es ist kein Zufall, daß der Facharzt f ü r Geschlechtskrankheiten zum Rechtsproblem der Ehe wieder und wieder hingeleitet wird. Kaum ein anderes Gebiet der Medizin gibt so oft unct so mannigfache Gelegenheit, zur Frage „Krankheit und Ehe" Stellung zu nehmen, als das genannte. Handelt es sich doch um Leiden, die nicht, wie ein unvermeidliches Unglück, den Menschen treffen, sondern um Krankheiten, die in der überwiegenden Anzahl der Fälle durch einen dem Willen unterworfenen Akt erworben werden. Es ist ohne weiteres klar, daß es nicht angängig war, ein so großes, in zwei Wissenschaften hineinragendes Thema auf wenigen Seiten abzuhandeln. Es hätte praktisch keinen Zweck gehabt, um die Rechtsbeziehungen der Ehe vom ärztlichen Standpunkt aus darzustellen, etwa die Rechtsforderungen aufzuführen, die der allein an das individuelle Wohl seiner Kranken denkende Arzt f ü r zweckmäßig hält; es hätte ebensowenig genügt, eine Reihe von Gesetzesparagraphen anzuführen und es dem Leser zu überlassen, den Einzelfall an der Hand des Paragraphenwortlauts zu prüfen. Es erschien dagegen erforderlich, den Standpunkt der modernen Rechtsprechung inbezug auf die ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen der Ehe an der Hand der wirklich gefällten Entscheidungen des höchsten Gerichtes darzustellen. Dazu war aber die Anführung der Entscheidungen selbst nötig. Wenn auch jede Entscheidung eines deutschen Gerichtes dem Einzelfalle gilt, so enthält doch jede auch Rechtsnormen, die Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Nur so ist die Berufung auf früher ergangene Entscheidungen verständlich. Die 282 Entscheidungen wurden in die Darstellung der ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen eingeflochten, wo erforderlich wurde vom Standpunkte des Arztes Kritik geübt beziehungsweise auf Lücken der Judikatur hingewiesen. Die Arbeit sollte zunächst dem A r z t e ein Führer auf einem Gebiet sein, das er als Berater vieler Ehegatten oft zu betreten hat, sie sollte dem J u r i s t e n eine' Materialsammlung darstellen und ihm die Stellung der medizinischen WissenHeller, E h e r e c h t
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schafl zu Ehe-Rechtsfragen darlegen, sie sollte schließlich dem gebildeten Laien ein Bild von dem wichtigen Grenzgebiet zwischen Eherecht und Ehemedizin geben, darüber hinaus aber durch Umgrenzung des Rechtsgebietes auch der Prophylaxe, der Vorbeugung von Eheschädigungen dienen. Die Durchführung dieser Gedanken hat aber den Umfang der Arbeit so vergrößert, daß sie nicht mehr recht in den Rahmen des Ehebuches paßte. Ich habe daher dankbar den Vorschlag der Verlagsbuchhandlung begrüßt, diese Arbeit als eine selbständige Monographie erscheinen zu lassen. Sie stellt eine Ergänzung des Ehebuches dar und strebt demselben Ziele zu, das Max Marcuse als das ihm im Ehebuch vorschwebende gekennzeichnet hat. Charlottenburg, Juni 1927. Professor Dr. med. Julius
Heller.
Inhaltsverzeichnis \ orwort 1 Inhaltsverzeichnis 3 Einleitung 5 Einteilung des Stoffes 9 Geltungsbereich des deutschen Rechtes . . . . . . . 10 Eheversprechen, Vorehezeit, Verlobung 10 Rechtsbeziehungen der Verlobung 11 Geschlechtsverkehr während der Verlobungszeit 14 Eheschließung 16 Eheführung , 2 1 Stellung der Judikatur zum Eheproblem1 22 Rechtsfolgen ehewidriger Handlungen 23 Strafrechtliche Folgen ehewidrigen Verhaltens 23 Zivilrechtliche Folgen des ehewidrigen Verhaltens . . . . 25 Rechtliche Beziehung des ehelichen Verhaltens . . . . . 27 Anstößiges Verhalten 29 Beweis des Ehebruchs oder des ehewidrigen, anstößigen Verhaltens 29 Ehrloses und unsittliches Verhalten auf sexuellem Gebiet . . 30 Ehrenkränkungen 31 Ehewidriger sexueller Verkehr der Ehegatten untereinander . 32 Übermäßiger Geschlechtsverkehr 33 Verletzung der Sexualehre und perverser Verkehr . . . 35 Gesundheitliche Gefährdung der Ehegatten . . . . . 37 Unfruchtbarkeit des ehelichen Verkehrs 39 Gewollte Unfruchtbarkeit 39 Freiwillige Trennung der Ehegatten . . . . . . 40 Unterlassung des ehelichen Verkehrs 41 Verweigerung der ehelichen Pflichten 41 Gründe zur berechtigten Verweigerung der ehelichen Pflicht 43 Pflicht zur Behebung der Verweigerungsgründe . . . 47 48 Verweigerung der Herstellung der häuslichen Gemeinschaft Folgen der Verweigerung der ehelichen Pflichten . . . 49 Pflichten der Ehegatten zur Verschwiegenheit über eheliche Intimitäten 51 Ungewollte Unfruchtbarkeit 51 Rechtliche Folgen des ehelichen Verkehrs 52 Schwängerung 52 Unterhaltspflicht der Kinder 53 Unterbrechung der Schwangerschaft 53 Ehelichkeit des Kindes 54 Nichtvollziehung der Ehe . . . . . . . . 55 Beurteilung der zukünftigen Schwangerschaft . . . . 55 Der eheliche Verkehr als Zeichen der Verzeihung . . . 55 l*
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Ehelösung und Krankheit 58 Eheanfechtung 61 Krankheitsgründe zur Eheanfechtung „66 Chronische, eine persönliche Eigenschaft darstellende Krankheiten 68 Krankheiten, die die eheliche Gemeinschaft erschweren oder nicht ermöglichen 69 Organische Impotentia coeundi 69 Eunuchoidismus und Eunuchismus 71 Funktionelle Impotentia coeundi 72 Impotentia generandi . 7 6 Hermaphroditismus 77 Sexuelle Perversionen 79 Onanie 79 Homosexualität 79 Andere sexuelle Perversionen 81 Ekel- und abscheuerregende Krankheiten 81 Geistes- und Charakterkrankheiten 83 Die einzelnen Erkrankungsgruppen 87 Manisch-depressive Gruppe 87 Paranoiagruppe 87 Amentiagruppe 88 Dementia-Praecox-Gruppe 89 Schwachsinn und Altersschwachsinn 89 Syphilis des Zentralnervensystems 89 Epilepsiegruppe 89 Hysteriegruppe 91 Charakterkrankheiten und -fehler 92 Neurastheniegruppe 93 Rauschgifte 93 Körperliche ansteckende und für die nächste Generation bedeutungsvolle Krankheiten 94 Tuberkulose . . . . . . . . . . 95 Geschlechtskrankheiten 96 Krankheit und Ehescheidung 107 Durch Krankheit bedingtes schuldhaftes Handeln der Ehegatten 107 Einzelne Krankheiten 111 Impotenz 111 Morphiumsucht 112 Alkoholismus .113 Geschlechtskrankheiten 116 Geisteskrankheiten 119 Moderne Rechtsfragen zur Reform des Ehescheidungsrechts . . . 124 Schweizer Zivilgesetzbuch und Ehescheidung . . . . 129 Vermittlungsvorschlag 132 Literatur 134 Nachtrag 135 Sachverzeichnis 137
Einleitung Die Ehe, die f ü r das Leben oder wenigstens für lange Zeit geschlossene Verbindung zweier Menschen verschiedenen Geschlechts zu körperlicher und seelischer Gemeinschaft sowie zur gemeinsamen Lebensführung, ist das Resultat einer Anzahl verschiedener, zum großen Teil im Unterbewußtsein der Menschen tätiger Kräfte. Es wirken zusammen individuelle, körperliche und seelische Anziehung (Liebe), praktische Erwägungen zweckmäßiger äußerer Lebensgestaltung und angeborene, durch Erziehung stark ausgebildete Ideen, wie Mütterlichkeit, Familiensinn, Trieb zur Erhaltung der Art. Die Eigenart der ehelichen Gemeinschaft hat eine große Zahl von Rechtsbeziehungen notwendig zur Folge gehabt, obwohl man gerade zunächst glauben sollte, daß gerade Gattenwahl und Eheführung rein persönliche Angelegenheiten sind. Ein Blick auf die Entwicklung der Ehe im Laufe der Jahrtausende oder auf die Gestaltung der Ehe bei den einzelnen auf ganz verschiedenen Kulturstufen stehenden Völkern beweist, daß jede Ehe oder jedes eheähnliche Verhältnis immer die Entwicklung von Rechtsbeziehungen zur notwendigen Folge hat. Die Ausgestaltung dieser Rechtsnormen wird größer und reicher, je mehr der Einzelmensch zur Rechtsindividualität sich entwickelt. Der Aufstieg der Frau zum voll- und gleichberechtigten Staatsbürger hat eine weitere Phase in dieser Entwicklung bedingt. Es ist bemerkenswert, daß alle z. B . in Sowjet-Rußland gemachten Versuche, die staatliche Ehe zu ersetzen, schließlich wieder damit geendet haben, daß Rechtsnormen f ü r das gemeinsame Leben von Mann und Weib aufgestellt werden.
Ob man ein eheliches Ver-
hältnis „registriert" oder eine Ehe in das Standesamtsregister einträgt, ist schließlich nur ein Wortspiel.
Auch
das Verbot
der kirchlichen Trauung mußte
wieder
aufgehoben
werden.
In allen Kulturländern hat sich aus den vorgebrachten zwingenden Gründen heraus das Eherecht zu einem vollberechtigten Teil des Gesamtrechtes entwickelt. Wenn auch in Einzelheiten Abweichungen bestehen, so vollzieht sich doch tatsächlich immer mehr eine Annäherung der Judikaturen aller Länder aneinander. Manche modernen Ideen brechen sich allen Widerständen zum Trotz Bahn. Den folgenden Ausführungen ist das deutsche Recht zu Grunde gelegt. W o es erforderlich erschien, ist auf die ausländische Rechtsprechung verwiesen.
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Die Ehe ist im rechtlichen Sinne nicht nur ein gegenseitiger Vertrag zur materiellen Unterstützung, gemeinsamer Lebensführung, Vertretung gleichgerichteter Interessen, sie ist auch eine Vereinbarung zu dauernder körperlicher Vereinigung und Gemeinschaft sowie (wenigstens in der Mehrzahl der Fälle) zur Erzeugung und Aufzucht von Nachkommenschaft. Die rechtliche Regelung dieser Beziehungen ist unerläßlich, sie ist auch in jeder Ehegesetzgebung (der ungeschriebenen ebenso wie der kodifizierten) erfolgt. Beruht doch die Erhaltung der Familie, des Staates, des Volkes auf der Regelung d i e s e r ehelichen Beziehungen. An der Ausbildung dieser Seite des Eherechtes muß aber auch die Medizin Anteil nehmen. Die Medizin ist zwar als die Lehre von dem kranken Menschen entstanden, zu allen Zeiten aber hat sie ihre wesentliche Aufgabe in der Verhütung der Krankheiten gesehen. Sie hat zu fördern, was der gesunden Entwicklung des Einzelmenschen und des Volkes dient, sie hat zu beseitigen, was diese Entwicklung hemmt. Von diesem Gesichtspunkte aus sind die zahlreichen Werke über die Hygiene der Ehe und über Krankheit und Ehe entstanden. Sache der Medizin muß es aber auch sein, die Rechtsbeziehungen zu ergründen, die dem Schutze der gesunden Ehe dienen, die das Recht der gesunden und kranken Ehegatten wahren, die die E r zeugung einer gesunden Nachkommenschaft bezwecken. Es wird dabei auch notwendig sein, den Begriff der Krankheit weiter zu fassen, als dies gewöhnlich geschieht. Alle die Störungen und Anomalien des Geschlechtslebens, alle das eheliche Geschlechtsleben beeinflussenden sog. Charaktereigenschaften und aus letzteren sich ergebenden Handlungen lösen Rechtsbeziehungen aus, die festzustellen sind. Die Ableitung der Rechtsgrundsätze aus dem herrschenden Recht ist Sache des Richters; in den zahlreichen Entscheidungen der hohen und höchsten Gerichte ist der Niederschlag des geltenden Rechtes zu erblicken. Sache des Arztes kann es nur sein, aus seiner Kenntnis der gesunden und kranken Ehe heraus diese Entscheidungen zu einem Gesamtbilde zu vereinigen. Dank der zahlreichen Veröffentlichungen ist die bekannte Spruchpraxis so groß, daß nur wenige Lücken bleiben, auf die hingewiesen werden wird. Freilich wird auch diese anscheinend ganz objektive Darstellung von der Subjektivität des Darstellenden beherrscht. Ich stehe unter Ablehnung aller unerprobten hypermodernen Theorien auf dem Standpunkt, daß die E h e i m S i n n e d e s BGB. d i e G r u n d l a g e d e r F a m i l i e , des S t a a t e s , des V o l k e s , der K u l t u r ü b e r h a u p t i s t . Kein irgendwie klar und phrasenlos aufgestellter Begriff einer neuen Eheart hat m. E. Aussicht auf Verwirklichung oder gar auf Bestand. Die Ehe hat nicht allein dem individuellen Glücks-
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bedürfnis des Einzelnen zu dienen, sie soll auch als eine m o r a l i s c h e , k u l t u r e l l e , n a t i o n a l e Verpflichtung angesehen werden, der der Einzelne im allgemein und richtig verstandenen persönlichen Interesse auch O p f e r zu bringen hat. Dementsprechend ist auch eine zu leichte oder gar leichtfertige Lösung des Ehebandes, besonders wenn Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind, nicht anzustreben. Die im deutschen Recht mit aller Schärfe durchgeführte Ausbildung des V e r s c h u l d e n s p r i n z i p e s erlaubt dem Richter, der leichtfertigen Lösung der Ehe entgegenzutreten. Gerade die Möglichkeit, einen Ehegatten als den an der Ehezerrüttung schuldigen zu bezeichnen und ihm materielle Lasten aufzuerlegen, ist geeignet, das Verantwortlichkeitsgefühl der Ehegatten zu schärfen. Für alle Ehen, in denen mit in die Ehe gerbrachte oder in der Ehe erworbene Krankheiten als Ursachen der Entfremdung der Gatten eine Rolle spielen, ist die Schuldfrage von großer Bedeutung. Das Verschuldensprinzip schützt den schuldlos Kranken, gibt den schuldhaft Kranken preis. Gerade die Wiedereinführung der „ g e g e n s e i t i g e n unüberwindlichen Abneigung" oder die Neueinführung der „ e i n s e i t i g e n unüberwindlichen Abneigung" 1 ) als Scheidungsgrund wird kranke Ehegatten eines Teiles ihrer Rechte berauben. Das Gesetz muß die Idee aufrecht erhalten, daß die Ehe auch eine Einrichtung zur Ertragung gemeinsamen Leides, nicht nur gemeinsamer Freude ist. (Vgl. S. 125 u. f. „Zerrüttung" als Ehescheidungsgrund.) Dies persönliche Bekenntnis darf nicht zu der Annahme führen, daß die ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen der Ehe nicht des weiteren Ausbaues bedürfen. Stillstand wäre auch hier Rückschritt. Gerade aber auf dem hier behandelten Gebiet ist die Rechtsprechung mit wundervoller Einfühlungsfähigkeit den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft gefolgt. Das Rechtsbild zeigt nur wenige leere Stellen f ü r den, der sich den-Inhalt der Judikatur zum; geistigen Besitz gemacht hat. Daran ändert es nichts, daß im praktischen Leben Ehescheidungsprozesse recht häufig mit Scheingründen und Scheinbeweisen durchgeführt werden. Die richtig verstandenen Paragraphen des Gesetzes haben noch eine andere, ich möchte sagen höhere Aufgabe, als als Hebel zum Abbruch eines morschen Ehegebäudes zu dienen. D i e K e n n t n i s d e s R e c h t s s o l l e i g e n t l i c h g e r a d e P r o z e s s e v e r h i n d e r n , sie soll, ähnlich wie die Hygiene, ihr Schwergewicht f ü r das r e c h t e H a n d e l n in die Wagschale der Entschlüsse des Einzelnen werfen. An dieser R e c h t s p r o p h y l a x e muß jeder mitarbeiten; f ü r sie einzutreten ist aber auch Aufgabe des !) Nach Paula Steiner hat die Erleichterung der Ehescheidung in Sowjet-Rußland (einfache Erklärung des Scheidungsvvillens vor den Register-Beamten) durchaus kein Paradies der Frauen herbeigeführt.
Arztes. Wenn auch leider die soziale Gesetzgebung die ärztliche Tätigkeit zu einer geistlosen Massenarbeit mechanisiert hat, so ist doch immer noch Raum für eine vorbeugende Tätigkeit des Hausarztes auf diesem Gebiete vorhanden. Lange bevor eine Ehezerrüttung der Beurteilung des Gerichtes unterliegt, kann der Arzt die ehezerrüttenden Schäden erkennen und für ihre Beseitigung wirken. Gerade die deutsche Gesetzgebung gibt durch das Verschuldensprinzip dem Arzt die Möglichkeit, bei genügender Kenntnis der Materie auch auf dem Gebiet der Rechtsbeziehungen der Eheleute vorbeugend zu wirken. Eine völlige Auflösung des Rechtsbegriffes der Ehe bedeutet es, „wenn die modern« durch Erziehung und Kulturbetätigung verwandelte Frau das Recht in Anspruch nimmt, die mystische Heiligkeit, das Tabu geschlechtlicher Beziehungen, nicht anzuerkennen. Niemals kann die so verwandelte F r a u eine Funktion, einen Trieb, ein Bedürfnis rundweg und schlechthin heilig sprechen auch innerhalb der Institution der Ehe, bürgerlich genommen. Der verwandelten F r a u ist heilig einzig jene Liebesbeziehung, die der Entwicklung ihrer Liebe und ihres Geistes den weitesten und höchsten Raum gewährt." ( G r a f Ehebuch. Aufsatz von Martha
Keyserling:
Karlweiß.)
Eine derartige Auffassung verkennt das Wesen der Ehe, sie macht aber, was viel wichtiger ist, eine Reihe von Voraussetzungen, die für die Mehrzahl der Menschen nicht zutreffen.
Sie berücksichtigt nicht die rauhen Tatsachen des Alltags, daß das Liebes-
leben der Menschen durch die Sorge um das tägliche Brot, durch physiologische
Um-
itände des Gatten und vor allem der Gattin, durch verschieden schnelles Altern, durch Krankheiten körperliche
und p a t h o l o g i s c h e , d a s S e e l e n l e b e n Vorkommnisse
beeinflussende
maßgebend beeinflußt wird.
Sie ist nur denkbar,
wenn das einzelne Ehepaar die Sorge für die Erhaltung der Rasse freundlichst andern Gberläßt. Es ist j a möglich, daß die „verwandelte F r a u " sich noch einen Rest von Mütterlichkeit gerettet hat und in die Schaffung eines Kindes willigt.
Lehnt die „verwandelte
F r a u " also Polyandrie ab, so bleibt ihr nur übrig, von dem sog. Ehemann zu verlangen, daß er die Sorge für die Aufzucht eines f r e m d e n Kindes übernimmt.
Eigentlich sollte
auch die „verwandelte F r a u " wissen, daß nicht nur das römische Recht, sondern auch der gesunde Menschenverstand sagt, daß Vater der ist, als solche bezeichnet.
den die Heirat, d. h. die Einehe,
W e r in der Ehe allein Befriedigung
eines durch ethische und
nationale Pflichten nicht gezügelten Geschlechtstriebes sucht, wird auf die
Kinderpro-
duktion verzichten und damit bewußt am Rassentod" seines Volkes mitarbeiten.
Es wäre
nur zu wünschen, daß so geartete Menschen auf die Ehe überhaupt verzichteten
und
nicht das Fundament der Ehe, das Eherecht, zerstören.
Es soll hier nicht entschieden werden, ob die Praxis der Eheauflösung durch Arrangierung von Ehebruchsvortäuschungskomödien, die an manchen überlasteten Gerichten der Großstädte recht häufig sein sollen, eine Annäherung an die später kurz skizzierten amerikanischen Zustände zur Folge hat. Zimmermann Ehebruch".
(Ärztl. Sachverst.-Ztg. 1922, Nr. 2 2 ) schildert besonders den „Berliner
Wenn beide Ehegatten über die Scheidung einig sind, verabredet der E h e -
mann mit einem gefälligen Mädchen, sie solle einen Brief schreiben.
Das Mädchen wird
als Zeugin vorgeladen, verweigert das Zeugnis — da es sich um eine Handlung handelt, die ihr zur Unehre gereicht oder »ie der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt. Das Gericht kann, zumal wenn der Ehemann den Ehebruch nicht leugnet, letzteren als er-
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wiesen annehmen; der Staatsanwalt kann aber auch als defensor matrimonii dem Mädchen die Strafbarkeit des Ehebruchs vorhalten und das Geständnis des Betrugsversuchs e r halten. Die Ehe ist gerettet, es muß dann ein wirklicher Ehebruch (mit Überraschung: in flagranti vom Detektivbüro arrangiert) erfolgen.
Es wird sicher das Ansehen der Rechtsprechung heben, wenn der Vorführung dieser Scheidungskomödien ein Ende gemacht wird. Die folgende Darstellung ist auf die Entscheidungen des RG. und der Oberlandesgerichte aufgebaut.
Einteilung des Stoffes. Die ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen der Ehe werden am besten chronologisch behandelt; V o r e h e - o d e r V e r l o b u n g s z e i t , E h e l e b e n , E h e a u f l ö s u n g s p e r i o d e oder S c h e i d u n g s p r o z e ß d a u e r dürften die drei Hauptabschnitte der Ehe darstellen, die man freilich für unser Thema als nicht streng geschieden ansehen darf. Handlungen oder Unterlassungen in Periode I beeinflussen Periode II, führen eventuell III herbei. Wenn auch in besonders gearteten Fällen Eheleute einander zivilrechtlich und strafrechtlich verklagen können, so bedeutet doch jeder e r n s t l i c h g e f ü h r t e Rechtsstreit, der nicht nur formale materielle Interessen regelt, einen Zustand der Zerrüttung des ehelichen Lebens, der eine Lösung der Ehe erwägenswert macht. Infolge dieser eigenartigen Verkettung von menschlichen und rechtlichen Beziehungen ist bei allen Handlungen von Verlobten und Eheleuten stets die Frage wichtig, wie weit durch die fragliche Aktion eine ehewidrige Gesinnung offenbart wird, wie weit letztere einen Grund zur Ehescheidung darstellt. Um Wiederholungen bei dieser eigenartigen Durchflechtung der drei Perioden zu vermeiden, sind deshalb Hinweise auf früher oder später gebrachte Darlegungen unvermeidlich. Für die Behandlung unsres Themas erschien die Aufführung der Entscheidungen der Gerichte besonders wichtig. Wenn auch jede Entscheidung sich auf einen Einzelfall bezieht, so sind doch gerade auf diesem Gebiete Analogieschlüsse erlaubt und allgemein üblich. Die starke Kürzung der Entscheidungen bei der Wiedergabe erschwert dem in die Materie nicht eingeweihten Leser zweifellos das Verständnis. Durch Angabe der Quelle ist es aber leicht, das Original der Entscheidung aufzufinden und eventuell f ü r einen praktischen Fall zu verwerten. Vielfach sind da Ergebnisse von Entscheidungen in den Text hineingearbeitet: Jede tatsächliche Angabe beruht auf einem Gerichtsurteil und ist keine Konstruktion des Verfassers. Die Abkürzungen sind die allgemein in der juristischen Literatur üblichen; ihre Deutung ergibt sich aus jedem rein juristischen Werk: z. B . RG. = Reichsgericht, K o m . d. R G R . = Kommentar der Reichsgerichtsräte, J W . - Juristische Wochenschrift usw.
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wiesen annehmen; der Staatsanwalt kann aber auch als defensor matrimonii dem Mädchen die Strafbarkeit des Ehebruchs vorhalten und das Geständnis des Betrugsversuchs e r halten. Die Ehe ist gerettet, es muß dann ein wirklicher Ehebruch (mit Überraschung: in flagranti vom Detektivbüro arrangiert) erfolgen.
Es wird sicher das Ansehen der Rechtsprechung heben, wenn der Vorführung dieser Scheidungskomödien ein Ende gemacht wird. Die folgende Darstellung ist auf die Entscheidungen des RG. und der Oberlandesgerichte aufgebaut.
Einteilung des Stoffes. Die ärztlich wichtigen Rechtsbeziehungen der Ehe werden am besten chronologisch behandelt; V o r e h e - o d e r V e r l o b u n g s z e i t , E h e l e b e n , E h e a u f l ö s u n g s p e r i o d e oder S c h e i d u n g s p r o z e ß d a u e r dürften die drei Hauptabschnitte der Ehe darstellen, die man freilich für unser Thema als nicht streng geschieden ansehen darf. Handlungen oder Unterlassungen in Periode I beeinflussen Periode II, führen eventuell III herbei. Wenn auch in besonders gearteten Fällen Eheleute einander zivilrechtlich und strafrechtlich verklagen können, so bedeutet doch jeder e r n s t l i c h g e f ü h r t e Rechtsstreit, der nicht nur formale materielle Interessen regelt, einen Zustand der Zerrüttung des ehelichen Lebens, der eine Lösung der Ehe erwägenswert macht. Infolge dieser eigenartigen Verkettung von menschlichen und rechtlichen Beziehungen ist bei allen Handlungen von Verlobten und Eheleuten stets die Frage wichtig, wie weit durch die fragliche Aktion eine ehewidrige Gesinnung offenbart wird, wie weit letztere einen Grund zur Ehescheidung darstellt. Um Wiederholungen bei dieser eigenartigen Durchflechtung der drei Perioden zu vermeiden, sind deshalb Hinweise auf früher oder später gebrachte Darlegungen unvermeidlich. Für die Behandlung unsres Themas erschien die Aufführung der Entscheidungen der Gerichte besonders wichtig. Wenn auch jede Entscheidung sich auf einen Einzelfall bezieht, so sind doch gerade auf diesem Gebiete Analogieschlüsse erlaubt und allgemein üblich. Die starke Kürzung der Entscheidungen bei der Wiedergabe erschwert dem in die Materie nicht eingeweihten Leser zweifellos das Verständnis. Durch Angabe der Quelle ist es aber leicht, das Original der Entscheidung aufzufinden und eventuell f ü r einen praktischen Fall zu verwerten. Vielfach sind da Ergebnisse von Entscheidungen in den Text hineingearbeitet: Jede tatsächliche Angabe beruht auf einem Gerichtsurteil und ist keine Konstruktion des Verfassers. Die Abkürzungen sind die allgemein in der juristischen Literatur üblichen; ihre Deutung ergibt sich aus jedem rein juristischen Werk: z. B . RG. = Reichsgericht, K o m . d. R G R . = Kommentar der Reichsgerichtsräte, J W . - Juristische Wochenschrift usw.
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Geltungsbereich des deutschen Rechtes. Die immer häufiger werdenden internationalen Wanderungen der einzelnen Volksgenossen — der Weltkrieg hat allein in Europa 7000 Kilometer neue Grenzen geschaffen — macht einen kurzen Hinweis auch auf diese Rechtsverhältnisse nötig. Die persönlichen Rechtsbeziehungen deutscher Ehegatten zu einander werden nach den d e u t s c h e n Gesetzen beurteilt, auch wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz im A u s l a n d haben oder wenn der Mann die deutsche Reichsangehörigkeit v e r l o r e n , die Frau sie behalten hat (Artikel 14 d. EG. z. BGB.). Das e h e l i c h e G ü t e r r e c h t wird nach deutschen Gesetzen beurteilt, wenn der Ehemann zur Zeit der Eheschließung ein Deutscher war. Für Ehegatten, die erst nach Abschluß der Ehe die Reichsangehörigkeit erworben haben oder für im Inlande wohnende Ausländer gelten die Gesetze dos Staates, dem der Mann bei Eingehung der Ehe angehörte (Artikel 15). Für die S c h e i d u n g d e r E h e sind die Gesetze des Staates maßgebend, dem der Ehemann zur Z e i t d e r E r h e b u n g d e r K l a g e angehörte. Tatsachen gelten als Scheidungsgründe nur dann, wenn sie auch in dem Staate, dem der Ehemann angehört, Scheidungsgründe sind. Ist die Reiohsangehörigkeit des Mannes zur Zeit der Klageerhebung erloschen, ist aber die Frau eine Deutsche, so gelten die deutschen Gesetze. Die Rechtsbeziehungen bei der Eheschließung, der Eheführung, der Eheauflösung zwischen In- und Ausländern oder im Auslande wohnenden Deutschen und im Inlande lebenden Ausländern sind ungemein kompliziert. Sie sind für eine Reihe von Staaten durch das II a a g e r Abkommen geregelt. Alle Einzelheiten bringt Bergmann, Internationales Eherecht, Berlin 1926.
Eheversprechen, Vorehezeit, Verlobung. Kaum eine menschliche Beziehung hat seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine so tiefgreifende innere Wandlung erfahren, wie das Verhältnis zum Menschen, das durch die Bezeichnung Verlobung ausgedrückt ist. Von Jahr zu Jahr wird die Bevölkerungsschicht kleiner, die in der ,,Verlobung" im Sinne des BGB. eine Handlung erblickt, die f ü r zwei Menschen die Vorbereitungszeit f ü r die in der Ehe in die Wirklichkeit überführte körperliche und seelische Gemeinschaft bedeutet. Abgesehen von der oben erwähnten stets kleiner werdenden Bevölkerungsschicht, die einen Rest der Kreise umfaßt, die man vor dem Kriege durch die Schlagworte B i l d u n g u n d B e s i t z unvollkommen, aber wenigstens verständlich charakterisierte, beginnt heute die ungeheure Mehrzahl der im besten Fall zur späteren Ehe führenden Beziehungen der jungen Männer und Frauen mit dem Geschlechtsverkehr oder mindestens mit äquivalenten Handlungen, die zwar die Vermeidung der Folgen des Geschlechtsverkehrs bezwecken, inbezug aber auf die Erfüllung des Begriffes „körperliche Gemeinschaft" sich nur unwesentlich von andern unterscheiden. Zur sog. Verlobung führen rein äußere Veranlassungen: in schwachen Stunden gegebene Versprechen, Aussicht auf eine Wohnung oder Einrichtung eines Geschäftes, am häufigsten die natürlich unerwünschte und un-
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Geltungsbereich des deutschen Rechtes. Die immer häufiger werdenden internationalen Wanderungen der einzelnen Volksgenossen — der Weltkrieg hat allein in Europa 7000 Kilometer neue Grenzen geschaffen — macht einen kurzen Hinweis auch auf diese Rechtsverhältnisse nötig. Die persönlichen Rechtsbeziehungen deutscher Ehegatten zu einander werden nach den d e u t s c h e n Gesetzen beurteilt, auch wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz im A u s l a n d haben oder wenn der Mann die deutsche Reichsangehörigkeit v e r l o r e n , die Frau sie behalten hat (Artikel 14 d. EG. z. BGB.). Das e h e l i c h e G ü t e r r e c h t wird nach deutschen Gesetzen beurteilt, wenn der Ehemann zur Zeit der Eheschließung ein Deutscher war. Für Ehegatten, die erst nach Abschluß der Ehe die Reichsangehörigkeit erworben haben oder für im Inlande wohnende Ausländer gelten die Gesetze dos Staates, dem der Mann bei Eingehung der Ehe angehörte (Artikel 15). Für die S c h e i d u n g d e r E h e sind die Gesetze des Staates maßgebend, dem der Ehemann zur Z e i t d e r E r h e b u n g d e r K l a g e angehörte. Tatsachen gelten als Scheidungsgründe nur dann, wenn sie auch in dem Staate, dem der Ehemann angehört, Scheidungsgründe sind. Ist die Reiohsangehörigkeit des Mannes zur Zeit der Klageerhebung erloschen, ist aber die Frau eine Deutsche, so gelten die deutschen Gesetze. Die Rechtsbeziehungen bei der Eheschließung, der Eheführung, der Eheauflösung zwischen In- und Ausländern oder im Auslande wohnenden Deutschen und im Inlande lebenden Ausländern sind ungemein kompliziert. Sie sind für eine Reihe von Staaten durch das II a a g e r Abkommen geregelt. Alle Einzelheiten bringt Bergmann, Internationales Eherecht, Berlin 1926.
Eheversprechen, Vorehezeit, Verlobung. Kaum eine menschliche Beziehung hat seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine so tiefgreifende innere Wandlung erfahren, wie das Verhältnis zum Menschen, das durch die Bezeichnung Verlobung ausgedrückt ist. Von Jahr zu Jahr wird die Bevölkerungsschicht kleiner, die in der ,,Verlobung" im Sinne des BGB. eine Handlung erblickt, die f ü r zwei Menschen die Vorbereitungszeit f ü r die in der Ehe in die Wirklichkeit überführte körperliche und seelische Gemeinschaft bedeutet. Abgesehen von der oben erwähnten stets kleiner werdenden Bevölkerungsschicht, die einen Rest der Kreise umfaßt, die man vor dem Kriege durch die Schlagworte B i l d u n g u n d B e s i t z unvollkommen, aber wenigstens verständlich charakterisierte, beginnt heute die ungeheure Mehrzahl der im besten Fall zur späteren Ehe führenden Beziehungen der jungen Männer und Frauen mit dem Geschlechtsverkehr oder mindestens mit äquivalenten Handlungen, die zwar die Vermeidung der Folgen des Geschlechtsverkehrs bezwecken, inbezug aber auf die Erfüllung des Begriffes „körperliche Gemeinschaft" sich nur unwesentlich von andern unterscheiden. Zur sog. Verlobung führen rein äußere Veranlassungen: in schwachen Stunden gegebene Versprechen, Aussicht auf eine Wohnung oder Einrichtung eines Geschäftes, am häufigsten die natürlich unerwünschte und un-
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gewollte Schwangerschaft 1 ). Charakteristisch ist ein Fall, in dem eine Verlobung in der Inflationszeit erfolgte, um Papiermark valutasicher in goldenen Verlobungsringen anlegen zu können! Da in Deutschland zur Zeit unter den Verlobungskandidaten nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz Besitz hat oder auch nur den Willen hat, auf Kosten der eigenen Lebensführung andern gegenüber eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen, da endlich unsere vom sozialen und humanen Geist erfüllte Gesetzgebung die Nichterfüllung materieller Verpflichtungen geradezu begünstigt 2 ), so herrscht auf dem Gebiet der Verlobungen eine Anarchie, die nur der Arzt beurteilen kann, der seit Jahrzehnten beruflich das sexuelle Vorleben der Volksgenossen zu studieren Gelegenheit hat. F l i r t s , F r e u n d s c h a f t e n , V e r h ä l t n i s s e , V e r l o b u n g e n folgen einander nicht etwa, sondern sind in buntem Wechsel natürlich mit stets wechselnden Partnern im Liebesleben der jungen Leute beiderlei Geschlechts durcheinander gewirrt. Die Tatsachen müssen ohne moralisierende Tendenz 3 ) objektiv festgestellt werden, •weil sie zeigen, wie schwer es für die Gesetzgebung ist, einen so wenig stabilen, unter den Händen gewissermaßen zerrinnenden Begriff wie „Verlöbnis" formal zu erfassen.
Rechtsbeziehungen der Verlobung. ( E l ) ') Das Reichsgericht erblickt in der Verlobung als einem von Mann und F r a u gegenseitig gegebenen und angenommenen Eheversprechen einen Vertrag und in dem durch die Verlobung begründeten Verhältnis ein Vertragsverhältnis. (RG. 61, 267. J W . «6, 9 3 u.a.)
Der Vertrag braucht an keine Formulierung gebunden zu sein. Ein rechtsverbindliches Verlöbnis kann zustande kommen, ohne daß hierzu ein Ringwechsel, eine öffentliche Bekanntmachung durch Zeitungen oder Versendung von Karten, eine öffentliche Vorstellung der Verlobten als Braut erforderlich ist. (E 2) Das OLG. Celle I U. 265/13 21. X. 1913 entschied, daß der Klageanspruch «ines Mädchens von 6000 Mk. gegen einen Landwirt wegen unberechtigten Rücktritts von der Verlobung zu Recht bestehe, wenn der Beklagte den ihm zugeschobenen Eid verweigere. Durch diesen Eid sollte festgestellt werden, daß der Beklagte der Klägerin zwei1 ) Nach Grotjahn ist durch Auszählung der im ersten E h e j a h r geborenen Kinder und ihres Geburtsmonats festgestellt, daß 5 8 % vorehelich erzeugt waren, llo/o der Kinder sind in Sachsen unehelich! (Wie viele voreheliche Schwangerschaften enden in Deutschland täglich mit Abort?) 2 ) Wie wenig Erfolg alle Alimentationsprozesse praktisch haben, ist bekannt. J e höher die Grenze f ü r die Kahlpfändung heraufgesetzt wird, um so weniger aussichtsreich ist gerichtliches Vorgehen. 3 ) Die Entwicklung der Ehe ist notwendig durch die wirtschaftliche Entwicklung bedingt. Je weniger der Mensch gezwungen ist, die zum Lebensunterhalt erforderlichen Dinge selbst zu erzeugen, je leichter er alle Bedürfnisse durch Hingabe von Geld, d. h. A r beitslohn befriedigen kann, um so weniger nötig ist die häusliche Tätigkeit der Frau. Die immer weiter fortschreitende Entwicklung der Frau in dem Berufsleben ist die nächste Folge. Eine andre Auffassung der F r a u von ihrem Verfügungsrecht über den eigenen Körper ist die weitere Folge. 4 ) E = Entscheidung. Fortlaufende Numerierung aus praktischen Gründen.
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mal die Veröffentlichung der Verlobung und die spätere Heirat in sichere Aussicht gestellt habe. (E 3) Der Vertrag bleibt bestehen, auch wenn die Eheschließung an. eine Bedingung (z. B. Zustimmung des Vaters) geknüpft ist. Der Inhalt der Verträge ist keine Verpflichtung zur Heirat, sondern Willenseinigung über das gegenseitige Versprechen der künftigen. Heirat. Die Freiheit der Willensbestimmung bei der Eheschließung soll nicht beeinträchtigt werden (RG. 80, 88). (E 4) Von einem bedingten Verlöbnis kann nicht die Rede sein, wenn die sich Liebenden ihre Heiratsabsicht sich wiederholt erklärt haben und miteinander jn Geschlechtsverkehr getreten sind (Kom. d. RGR.).
Als Vertrag ist das Verlöbnis zwar an keine Form gebunden, untersteht aber den allgemeinen Vorschriften über die Rechtsgeschäfte. Dementsprechend hängt die Wirksamkeit eines Verlöbnisses vonseiten eines Minderjährigen von der nachträglichen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ab. Unter Umständen kann einem Minderjährigen die Geschäftsfähigkeit zugestanden werden. Ehemündigkeit selbst wird nicht gefordert. Verlöbnisse, die ein Nupturient im Zustande der Geschäftsunfähigkeit, der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit, der Bewußtlosigkeit eingegangen ist, sind nichtig. ([E 5] RG. Warn. 1914, Nr. 163, Über die Eheschließung beschränkt Geschäftsfähiger S.i 7). Ehehindernisse (z. B. bestehende Heirat 1 )) stehen dem Abschluß der Verlobung n i c h t entgegen, vielmehr kommt es darauf an, ob die Verlobten vernünftigerweise auf die Beseitigung der Ehehindernisse rechnen können [ E 6 ] RGSt. JW. 09, 519 2i . Alle diese Fragen werden bei der Auflösung der Verlobung S§ 1297-1299 BGB. wichtig. § 1297. Aus einem Verlöbnis kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden. Das Versprechen einer Strafe für den Fall, daß die Eingehung der Ehe unterbleibt, ist nichtig. Das deutsche Recht sieht in der Ehe eine freiwillige, aus dem inneren Erleben heraus zum Entschluß gereifte Handlung, die durch keine gesetzlich festgesetzten Strafen erzwungen werden soll. Es steht damit im Gegensatz zu dem englisch-amerikanischen Recht, das Bestrafung wegen Bruchs des Eheversprechens kennt und damit die Verbreitung bekannter Mißstände begünstigt hat (Herauslockung eines Eheversprechens, Benutzung desselben zur Erpressung von Geldopfern seitens des die Heirat gar nicht beabsichtigenden Verlobten). § 1298. Tritt ein Verlobter von dem Verlöbnis zurück, so hat er dem anderen Verlobten und dessen Eltern (Pflegeeltern, Verwandten) den Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, daß sie in Erwartung der Ehe Aufwendungen gemacht haben oder Verbindlichkeiten 1) Verlobung eines Verheirateten gibt natürlich dem andern Ehegatten einen Grund zur Ehescheidung aus S 1568.
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eingegangen sind. Dem anderen Verlobten hat er auch den Schaden l) zu ersetzen, den dieser dadurch erleidet, daß er in Erwartung der Ehe sonstige sein Vermögeri oder seine Erwerbsstellung berührende Maßnahmen getroffen hat. Der Schaden ist nur insoweit zu ersetzen, als die Aufwendungen, die Eingehung der Verbindlichkeiten und die sonstigen Maßnahmen den Umständen nach angemessen waren. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ein wichtiger Grund für den Rücktritt vorliegt. (E 7) Ein körperliches Leiden bildet nur unter besonderen Voraussetzungen, wie namentlich im Falle der Unheilbarkeit f ü r unabsehbare Zeit, einen Grund zum Rücktritt vom Verlöbnis (RG. IV. ZS. Neumann, Rechtsp. d. RG. 1912 II, S . 2 7 9 ) .
Alle ernsten, die Ehe bedrohenden Krankheiten, die w ä h r e n d der Verlobungszeit entstanden sind, z. B. Tuberkulose, im Beruf erworbene Syphilis, schleichende innere Erkrankungen oder fortschreitende Affektionen der Sinnesorgane rechtfertigen den Rücktritt des Kranken von dem Verlöbnis, ohne eine Ersatzpflicht zu begründen. Voraussetzung ist freilich der ernstlich das Eheleben berührende Charakter der Erkrankung. (E 8) Stellt sich bei einem Verlobten ein nervöses Leiden ein, so gibt dieses ihm nicht, wenn nicht die Heilung f ü r absehbare Zeit ausgeschlossen ist, oder das Leiden •einen solchen Grad erreicht hat, daß dem Verlobten nicht nur f ü r jetzt, sondern auch f ü r später die Eheschließung nicht zuzumuten ist, einen gerechtfertigten Grund, sich f ü r immer von dem Verlöbnis f r e i zu machen. Es ist Pflicht der Verlobten, derartige, aus einer Krankheit sich ergebende Hindernisse einer Eheschließung zu beseitigen. (RG. IV 18. IV. 07 959/60; „Das Recht" 11, N r . 1M7; Soergel 1907. S. ¿120.)
E r n s t e Krankheit eines Verlobten berechtigt auch den a n d e r n V e r l o b t e n zum Rücktritt vom Verlöbnis. Kannte der Verlobte beim Verlöbnis seine Krankheit nicht oder entwickelte sich die Krankheit ohne Verschulden des Erkrankten erst während der Verlobungszeit, so steht dem Gesunden nur das Rücktrittsrecht o h n e Entschädigungsansprüche zu. Dementsprechend rechtfertigt Tuberkulose des einen Verlobten den Rücktritt des gesunden, weil „Tuberkulose als ein Leiden angesehen werden muß, bei dessen Vorhandensein dem gesunden Verlobten die Fortsetzung des Verlöbnisses und der Abschluß der Ehe nicht zugemutet werden kann. ([E 9] OLG. Karlsruhe 20. XII. 02. R. d. OLG. Bd. VII 43, Soergel 07, S. 199, auch Braunschweig 24.11. 10 R . d . OLG. 21, 210). Anders liegen die Dinge, wenn der kranke Verlobte die ihm bekannte Krankheit schuldhaft verschwiegen oder sie schuldhaft erworben hat. ') Die Haftung ist Haftung nur f ü r das negative Vertragsinteresse, nicht f ü r das füllungsinteresse, d. h . der zurücktretende Verlobte haftet der Verlobten z . B . f ü r Schaden, den sie durch den Verlust einer guten Stellung erleidet, nicht aber f ü r Schaden, der ihr dadurch erwächst, daß sie n i c h t die E h e f r a u ihres vielleicht reichen Verlobten wird.
Erden den sehr
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§ 1299. Veranlaßt ein Verlobter den Rücktritt des anderen durch ein Verschulden, das einen wichtigen Grund für den Rücktritt bildet, so ist er nach Maßgabe des § 1298 Abs. 1—2 zum Schadenersatz verpflichtet. Ganz besonders wichtig ist die Verschuldensfrage f ü r die v o r der Verlobungszeit erworbenen, dem andern Verlobten nicht mitgeteilten und f ü r die w ä h r e n d der Verlobungszeit durch Verkehr mit dritten Personen erworbenen Geschlechtskrankheiten. Hier muß scharf zwischen Verlöbnis und Ehe geschieden werden. Der I. Senat des OLG. Jena hat mit Recht das Verlöbnis f ü r eine. Zeit der Selbstprüfung und der Prüfung des anderen Verlobten erklärt [E 10]. Der Staat, die Allgemeinheit, evtl. die Nachkommenschaft, haben ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer bereits bestehenden Ehe, soweit die Zerrüttung keinen zu hohen Grad erreicht hat. Dies Interesse fehlt aber ganz bei der eventuellen Erzwingung des Eheabschlusses, falls einer der Verlobten Bedenken gegen die Ehe hat, die schließlich so berechtigt sind, wie die geschlechtliche Erkrankung eines zukünftigen Ehepartners. Geschlechtliche Erkrankungen können weit mehr als andere Erkrankungen (vielleicht objektiv unberechtigte, subjektiv aber nun einmal vorhandene) Gefühle des Widerwillens und der Abneigung auslösen, die als beachtlich anzusehen sind. Dementsprechend hat in dem oben erwähnten Urteil das OLG. J e n a dieKlage eines Prokuristen gegen eine minderjährige Haustochter wegen Verlöbnisbruches abgewiesen, die Verlobte hatte zwar von der früheren Geschlechtskrankheit des Verlobten gewußt, hatte aber die volle Bedeutung des Begriffes erst später durch Aufklärung erfahren. Die Tatsache, daß auch die Mutter von der Geschlechtskrankheit Kenntnis hatte, ist der minderjährigen Tochter nicht anzurechnen. Es kommt bei dieser höchst persönlichen Frage nur auf die eigene Auffassung und Kenntnis der Verlobten, nicht auf die der gesetzlichen Vertreterin an. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß die amerikanische Rechtsprechung im Rücktritt von der Verlobung seitens eines geschlechtskranken Verlobten keinen Bruch des Eheversprechens sieht, weil die Haftung für die Nichterfüllung eines Versprechens unmöglich erfolgen kann, wenn die Erfüllung selbst ein Verbrechen gegen den andern Teil bedeuten kann. ' Gegenüber der eigentlichen klaren Stellung der Judikatur ist es (E 11) schwer verständlich, warum das RG. Warneyer 1914, Nr. 163 es unentschieden gelassen hat, obdas Verlöbnis eines trunksüchtigen, syphilitischen, erwerbsunfähigen Mannes als gegen die guten Sitten verstoßend und deshalb nach S 138 BGB. nichtig zu erklären ist.
Geschlechtsverkehr während der Verlobungszeit. Es ist bereits oben auf die praktische Schwierigkeit der Umgrenzung des Begriffes „Verlöbnis" hingewiesen. Wie die Dinge sich nun einmal gestaltet haben, wird die Rechtsprechung diesen Begriff mit
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recht weiten Grenzen auszugestalten haben. Im Interesse der Hunderttausende unehelicher Kinder wird man der Schwangerschaft während der Brautzeit den Makel der Unsittlichkeit nehmen und das Recht der Brautkinder möglichst zu wahren suchen müssen. Gerade vom ärztlichen Standpunkt aus muß man Verständnis f ü r die verlobten Frauen haben, die mit ihren Verlobten vorehelichen Geschlechtsverkehr haben, um eben die Infektion ihres Verlobten mit Geschlechtskrankheiten und damit ihre eigene Gefährdung zu verhindern. Die Heilmittel auf diesem Gebiete liegen weniger auf moralisch-religiösem, weniger auf hygienischem als auf wirtschaftlichem Gebiet. Freilich könnte in vielen Fällen eine (auch aus ärztlichen hygienischen Gesichtspunkten erwünschte) Abkürzung der Verlobungszeit erreicht werden, wenn in der Jugend das Gefühl f ü r die e i g e n e Verantwortlichkeit der eigenen Zukunft gegenüber gestärkt würde. Würde jeder seine ganze Tatkraft in positiver Richtung f ü r sein Vorwärtskommen, in negativer Richtung f ü r Unterlassung überflüssiger, seiner Stellung nicht angemessener Ausgaben einsetzen, so wäre eine schnellere Begründung des eigenen Hausstandes f ü r weite Volkskreise möglich. Einer späteren Zeit m u ß es vorbehalten bleiben, festzustellen, welche Folgen der Staatssozialismus mit seinem Bestreben, das Risiko des Einzelnen auf die Allgemeinheit abzuwälzen, auch in dieser Beziehung gehabt hat. § 1300. Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1298 oder des § 1299 vorliegen, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. Der Begriff der „ B e s c h o l t e n h e i t " wird in Zukunft kaum mit N i c h t - J u n g f r ä u l i c h k e i t i d e n t i f i z i e r t , sondern wird, entsprechend dem modernen Sexualleben, wie es nun einmal wirklich ist, weiter gefaßt werden müssen. Weder der zufällige Zeitpunkt der Verlobung, noch die zufällige Tatsache, ob der Geschlechtsverkehr geheim geblieben ist, erscheinen ausschließlich beachtlich. Man wird sich daher kaum mit der Verallgemeinerung folgender Entscheidungen einverstanden erklären können: (E 12) Die Unbescholtenheit muß zur Zeit der Beiwohnung vorhanden sein, es genügt nicht, daß sie zur Zeit der Verlobung vorhanden war. RG. Recht 05, 2106. (E 13) Beiwohnung v o r der Verlobung berechtigt zu keinem Entschädigungsanspruch (Hamburg 16. XI. 1905; R. d. OLG. 12, 297; Dresden 3. II. 1905, SächsA. 15, 631). Der Anspruch aus $ 1300 hat lediglich die objektive Tatsache zur Voraussetzung, daß die unbescholtene V e r l o b t e ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet hat. (RG. 17. V. 1906, JW. 1906, 4 2 5 J ) .
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(E 14) Durch einen Geschlechtsverkehr, der geheim bleibt, nur den Beteiligten bekannt ist, wird eine Bescholtenheit nicht herbeigeführt. (Cassel IX. 1906; Recht 10, 1320; Soergel 1906, S. 326.) (E 15) Die Geltendmachung der Bescholtenheit wird dadurch nicht ausgeschlossen, d a ß die Braut dem Bräutigam v o r der Beiwohnung von ihrem f r ü h e r e n geschlechtlichen Verkehr Mitteilung machte, wohl aber wird das Recht des Bräutigams, wegen der mitgeteilten Tatsachen vom Verlöbnis zurückzutreten, ausgeschlossen. RG. 15. I I I . 1906, IV 152 05. In J W . 07, 480. (E 16) Der Nachweis der freiwilligen Hingabe zerstört die bisherige Unbescholtenlieit, so daß die nach diesem Vorgang liegenden Verführungsakte f ü r die Anwendung des S 182 StGB, nicht mehr in Frage kommen. Jedoch kann, sich ebensowenig, w i e d e r e h e m a l i g e V e r l o b t e auf die ihm g e g e n ü b e r e r f o l g t e Hingabe s e i n e r B r a u t — der Verführer darauf berufen, daß das Mädchen vorher ihm gegenüber geschlechtliche Vertraulichkeiten sich hat gefallen lassen. RGE. Strafs. Bd. 32, S. 437.
Einverstanden kann sich der Arzt mit der folgenden Definition der Beiwohnung erklären. (E 17) Gestattung der Beiwohnung liegt auch dann vor, wenn die Braut sich zwar zu dem Geschlechtsverkehr hingegeben hat, der Bräutigam aber wegen der Enge der "Scheide den Geschlechtsakt nicht recht vollziehen konnte. (OLG. 30, 38.)
Dem modernen Empfinden trägt eine Entscheidung (E 17) des Wiener Bezirksgerichtes für Handelssachen Rechnung: Mag auch die herrschende Anschauung, ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt, schon die Tatsache des außerehelichen Verkehrs an und f ü r sich als unsittliche Handlung kennzeichnen, von einem unsittlichen Lebenswandel kann, wenn die Tatsache allein vorliegt, wohl kaum gesprochen werden. Wegen der Erschwerung der Erwerbsverhältnisse und damit der ehelichen Verbindung ist in einem großen Teil der Arbeiters c h a f t das außereheliche Zusammenleben verbreitet und wird hier nicht als anstößig empfunden. Unter dieser Motivierung wurde das Recht des Chefs auf kündigungslose Entlassung meiner ledigen, von ihrem Bräutigam geschwängerten Korrespondentin verneint. (Fuchs' Sittengeschichte I I I , S. 2.)
Ist der voreheliche Verkehr eines Ehegatten dem andern bekannt, so ist die Verheimlichung der Tatsache einer Frühgeburt nur unter ganz besonderen Bedingungen als eine schwere Verletzung der durch die Ehe bedingten Pflichten anzusehen. Das RG. (IV. ZS. 15. VI. 08 4/08 JW. 08, S. 484, Nr. 18) erblickt also in den Folgen des Verkehrs, falls der Verkehr als solcher offenbart war, keine auf die Wertung der moralischen Persönlichkeit Einfluß besitzende Tatsache. [E 19].
Eheschließung. Obwohl ein Verlöbnis eine Reihe von Rechtsbeziehungen auslöst, ist es eigentlich eine Handlung, an der die Allgemeinheit ein vergleichsweise geringes Interesse hat. Anders steht es, wenn dieses Verlöbnis seinen Zweck erfüllt, d. h. zur Eheschließung führt. Die §S 1303—1322 enthalten die Rechtsgrundsätze über die Eingehung der Ehe. Es sollen nur die Paragraphen besprochen werden, die für Biologie und Pathologie der Ehe wichtig sind.
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(E 14) Durch einen Geschlechtsverkehr, der geheim bleibt, nur den Beteiligten bekannt ist, wird eine Bescholtenheit nicht herbeigeführt. (Cassel IX. 1906; Recht 10, 1320; Soergel 1906, S. 326.) (E 15) Die Geltendmachung der Bescholtenheit wird dadurch nicht ausgeschlossen, d a ß die Braut dem Bräutigam v o r der Beiwohnung von ihrem f r ü h e r e n geschlechtlichen Verkehr Mitteilung machte, wohl aber wird das Recht des Bräutigams, wegen der mitgeteilten Tatsachen vom Verlöbnis zurückzutreten, ausgeschlossen. RG. 15. I I I . 1906, IV 152 05. In J W . 07, 480. (E 16) Der Nachweis der freiwilligen Hingabe zerstört die bisherige Unbescholtenlieit, so daß die nach diesem Vorgang liegenden Verführungsakte f ü r die Anwendung des S 182 StGB, nicht mehr in Frage kommen. Jedoch kann, sich ebensowenig, w i e d e r e h e m a l i g e V e r l o b t e auf die ihm g e g e n ü b e r e r f o l g t e Hingabe s e i n e r B r a u t — der Verführer darauf berufen, daß das Mädchen vorher ihm gegenüber geschlechtliche Vertraulichkeiten sich hat gefallen lassen. RGE. Strafs. Bd. 32, S. 437.
Einverstanden kann sich der Arzt mit der folgenden Definition der Beiwohnung erklären. (E 17) Gestattung der Beiwohnung liegt auch dann vor, wenn die Braut sich zwar zu dem Geschlechtsverkehr hingegeben hat, der Bräutigam aber wegen der Enge der "Scheide den Geschlechtsakt nicht recht vollziehen konnte. (OLG. 30, 38.)
Dem modernen Empfinden trägt eine Entscheidung (E 17) des Wiener Bezirksgerichtes für Handelssachen Rechnung: Mag auch die herrschende Anschauung, ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt, schon die Tatsache des außerehelichen Verkehrs an und f ü r sich als unsittliche Handlung kennzeichnen, von einem unsittlichen Lebenswandel kann, wenn die Tatsache allein vorliegt, wohl kaum gesprochen werden. Wegen der Erschwerung der Erwerbsverhältnisse und damit der ehelichen Verbindung ist in einem großen Teil der Arbeiters c h a f t das außereheliche Zusammenleben verbreitet und wird hier nicht als anstößig empfunden. Unter dieser Motivierung wurde das Recht des Chefs auf kündigungslose Entlassung meiner ledigen, von ihrem Bräutigam geschwängerten Korrespondentin verneint. (Fuchs' Sittengeschichte I I I , S. 2.)
Ist der voreheliche Verkehr eines Ehegatten dem andern bekannt, so ist die Verheimlichung der Tatsache einer Frühgeburt nur unter ganz besonderen Bedingungen als eine schwere Verletzung der durch die Ehe bedingten Pflichten anzusehen. Das RG. (IV. ZS. 15. VI. 08 4/08 JW. 08, S. 484, Nr. 18) erblickt also in den Folgen des Verkehrs, falls der Verkehr als solcher offenbart war, keine auf die Wertung der moralischen Persönlichkeit Einfluß besitzende Tatsache. [E 19].
Eheschließung. Obwohl ein Verlöbnis eine Reihe von Rechtsbeziehungen auslöst, ist es eigentlich eine Handlung, an der die Allgemeinheit ein vergleichsweise geringes Interesse hat. Anders steht es, wenn dieses Verlöbnis seinen Zweck erfüllt, d. h. zur Eheschließung führt. Die §S 1303—1322 enthalten die Rechtsgrundsätze über die Eingehung der Ehe. Es sollen nur die Paragraphen besprochen werden, die für Biologie und Pathologie der Ehe wichtig sind.
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§ 1303. Ein Mann darf nicht vor dem Eintritt der Volljährigkeit, eine Frau darf nicht vor der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden. §§ 2 und 3 besagen, daß die Volljährigkeit mit dem einundzwanzigsten Lebensjahre beginne. Ein Minderjähriger, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann durch Beschluß des Vormundschaftsgerichtea f ü r volljährig erklärt werden. Es ist dringend zu wünschen, daß das Heiratsalter nicht zu f r ü h angesetzt wird. So zweckmäßig auch Frühehen von manchem Gesichtspunkte aus (Vermeidung der vorehelich erworbenen Geschlechtskrankheiten, naturgemäße Regelung des Sexuallebens) sind, die tägliche Erfahrung und die Statistik beweisen die Häufigkeit der gescheiterten Frühehen. Zur Begründung eines Hausstandes gehört eine gewisse wirtschaftliche und, was noch wichtiger ist, geistige Vorbereitung und Reifung. Dem Facharzt ist es oft unbegreiflich, wie gerade die ganz jungen Ehemänner aus den breiten Schichten des Volkes ganz sinnlos Ehebrüche mit käuflichen, nach jeder Richtung minderwertigen Dirnen begehen, obwohl sie nach ihrer eigenen Aussage mit ihren jungen Frauen in sonst guter Ehe leben. Für die Biologie der Ehe ist schließlich auch die Tatsache trotz aller Deklamationen der früheren Frauenrechtlerinnen nicht zu vergessen, daß die Jugend der Frau im Sinne der Eheführung anders beginnt und anders endet, als die des Mannes. § 130b. Wer in der Gesdhäftsfähigkeit beschränkt ist, bedarf zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, so kann die Einwilligung, wenn sie von ihm verweigert wird, auf Antrag des Mündels durdh das Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Das Vormundr schaftsgericht hat die Einwilligung zu ersetzen, wenn die Eingehung der Ehe im Interesse des Mündels liegt. In der Geschäftsführung beschränkt sind außer den Minderjährigen die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht Entmündigten und die nach § 1906 unter vorläufige Vormundschaft gestellten Personen. Schließt ein Geschäftsunfähiger oder ein im Zustande der Bewußtlosigkeit oder verübergehenden Störung der Geistestätigkeit befindlicher Verlobter eine Ehe, so ist sie (§ 1325) als nichtig anzusehen. Ein wegen Geistesschwäche Entmündigter (im österreichischen Recht beschränkt Entmündigter) kann aber eine Ehe eingehen, wenn der Vormund die Einwilligung gegeben hat. Verweigert letzterer, so muß auf Antrag das Vormundschaftsgericht die Einwilligung ergänzen. H e l l e r , Eherecht
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Maßgebend ist allein das Interesse des Mündels. D e r V o r m u n d i s t dem M ü n d e l f ü r den aus einer P f l i c h t v e r l e t z u n g ents t a n d e n e n S c h a d e n v e r a n t w o r t l i c h , w e n n i h m e i n Vers c h u l d e n z u r L a s t f ä l l t (§ 1833). Das Gleiche bestimmt der § 1848 f ü r den Vormundschaftsrichter. Diese wichtigen Bestimmungen sind bei den eugenischen Bestrebungen, ungeeignete Elemente von der Eheschließung abzuhalten, vollkommen vernachlässigt worden. Für den Vormund und den Vormundschaftsrichter kommen die öffentlichen Interessen oder das Interesse Dritter, z. B. der Nachkommenschaft, nicht in Betracht. E s ist an sich durchaus denkbar, daß eine Ehe im Interesse eines geistesschwachen Entmündigten liegt, .obwohl die Eugenik die Ehelosigkeit des Heiratswilligen fordert. Mit Recht sagt das Schweizer Bundesgöricht (Praxis: 1924 Nr. 131): Das Postulat, das sittlich defekte Personen im Interesse der Rassenhygiene von der Ehe ferngehalten werden sollen, wäre de lege ferenda beachtlich, wenn solche Personen sich nicht auch außerhalb der Ehe fortpflanzen könnten, ist aber mit dem geltenden Recht nicht vereinbar [ E 2 0 ] .
Sache des Vormundes muß es sein, in Fällen, in denen wegen Geistesschwäche Entmündigte eine Ehe schließen wollen, eventuell mit Hilfe ärztlicher Sachverständiger, festzustellen, wie weit der anormale Geisteszustand des Nupturienten dem juristischen Begriff der Geistesschwäche entspricht; er wird auch die Verpflichtung haben, den andern Nupturienten über den körperlichen und geistigen Zustand seines Mündels aufzuklären, um letzterem einen späteren Eheanfechtungsprozeß wegen Irrtums aus § 1333 (vgl. S. 61) zu ersparen. Ebenso wie die Vormünder Entmündigter haben natürlich die Eltern minderjähriger Heiratswilliger als deren gesetzliche Vertreter zu verfahren. Zweifellos besteht auch eine Verpflichtung des gesetzmäßigen Vertreters eines Minderjährigen oder beschränkt Entmündigten, vor der Erteilung der Einwilligung zur Eheschließung sich von der Gesundheil; des andern Nupturienten zu überzeugen. Er würde dies durch Einforderung eines Gesundheitszeugnisses zu tun haben; Unterlassung dieser Maßnahme würde ihn m. E. haftpflichtig machen. Die Frage ist bisher nur im Kreise der Vormünder besprochen, nicht durch Urteil eines Gerichtes entschieden. So sehr ich selbst gegen die Überspannung der Gesundheitsforderung für die Ehe bin — jedem Menschen muß das Recht bleiben, auch mit einem kranken Menschen eine Ehe zu schließen —, so kann doch ein Dritter, d. h. der Vormund oder Vormundschaftsrichter für einen in seinen Handlungen beschränkten Ehewilligen in einer so persönlichen Frage die Verantwortung weder juristisch noch moralisch übernehmen.
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Die Schweizer Judikatur erklärt für zulässig die „Geltendmachung der Ehenichtigkeit auch nach dem Tode des geisteskranken Ehegatten." Vgl. Samml. eidg. u. kanton. Entsch. 1912-1921, S.227 [ E 2 0 a ] . Die §§ 1305—1308 BGB.: Einwilligung der Eltern in die Ehe minderjähriger Kinder, S 1309: Verbot der Eheschließung vor Auflösung der früheren Ehen, haben f ü r unser Thema keine Bedeutung. Der § 1310 zieht seine Berechtigung zum Teil aus Erfahrungen der Rassenbiologie und Rassenhygiene. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie Verschwägerten in gerader Linie. [Nichtbeachtung hat Nichtigkeit der Ehe zur Folge.] Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen der eine mit Eltern, Voreltern, Abkömmlingen der andern Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat (Ein Mann darf die Tochter der Konkubine seines Vaters nicht heiraten.) (Vgl. Nachtrag S. 136.) Verwandtschaft im Sinne dieser Verordnung besteht auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits. [Strafrechtlich werden die Delikte vom § 173 StGB, erfaßt.] Im Kapitel Rassenhygiene der Ehe ist die Frage genauer besprochen, wie weit Verwandtenehen als schädlich f ü r die Nachkommenschaft anzusehen sind. Die moderne Züchtungslehre hat mit manchen Vorurteilen und vielen falschen Beobachtungen aufgeräumt. Das deutsche Recht gestattet die Ehen von Geschwisterkindern und die Ehen von in Seitenlinie Verschwägerten. Biologisch ist ja auch gegen die Ehe mit der Schwester der verstorbenen Frau nichts einzuwenden, da eine Blutsverwandtschaft, die die Übertragung unerwünschter gleicher Eigenschaften von beiden Eltern auf die Nachkommenschaft ermöglichen würde, nicht vorliegt. Wenn das Gesetz die Ehe zwischen Personen verbietet, von denen die eine mit der direkten Aszendenz oder Deszendenz geschlechtliche Beziehungen unterhalten hat, z. B. Witwe und Großvater ihres Mannes, Stiefvater und Tochter der Stieftochter, so liegen hier nicht mehr rassenhygienische Erwägungen zu Grunde 1 ). Von den komplizierten Verhältnissen, die zum Teil die Ehe gestatten, zum Teil sie verhindern, sei nur ein Teil erwähnt. !) Der Begriff der Verwandtschaft als Ehehindernis besteht bei fast allen primitiven Völkern, wird aber verschieden gedeutet. In diesem Sinne sind bei den kleinen getrennt voneinander lebenden inneraustralischen Stämmen alle Angehörigen derselben Generation Geschwister und als solche untereinander nicht ehefähig. Bei andern Stämmen bestehen Gruppenheiraten, es besteht die Möglichkeit f ü r einen Gatten, seine Ehefrau einem andern Manne derselben an sich heiratsfähigen Gruppe als zweite Gattin abzutreten (vor allem wenn zwei Brüder zwei Schwestern geheiratet haben). (Graf Keyserling: Ehebuch.) 2*
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Ein Verlöbnis bedingt keine Schwägerschaft, die erst durch die Ehe begründet wird. Hat aber während des Verlöbnisses Geschlechtsverkehr stattgefunden, so stellt er das gleiche Ehehindernis dar, wie die durch die Ehe begründete Schwägerschaft. Letztere dauert auch nach Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung fort. Auf die nach Auflösung der Ehe geborenen Kinder erstreckt sich die Schwägerschaft nicht 1 ), ihr Verwandtschaftsverhältnis zu dem früher verheiratet gewesenen Elter begründet aber unter Umständen ein Ehehindernis. Eine nichtige Ehe hat zwar keine Schwägerschaft zur Folge. Da aber in der nichtigen Ehe wohl stets Geschlechtsgemeinschaft stattgefunden hat, wird sie wohl meist ein Ehehindernis darstellen. Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein alter Mann ein junges Mädchen heiratet; die Ehe wurde später f ü r nichtig erklärt. Da ein Geschlechtsverkehr (wegen völliger Impotenz des Mannes) nicht stattgefunden hatte, konnte die Frau später ihren Stiefsohn heiraten. Die Ehe unter zugebrachten Kindern einer Familie, d. h. aus Personen, die aus den früheren Ehen beider Eltern stammen, ist gestattet. § 1311 verbietet die Ehe zwischen Adoptiveltern und -kindern und deren Abkömmlingen für die Zeit des durch die Annahme 2 ) begründeten Rechtsverhältnisses, ist also nur ein aufschiebendes Ehehindernis. Dagegen ist eine Ehe zwischen dem Annehmenden und dem überlebenden oder geschiedenen Ehegatten des Angenommenen oder zwischen dem Angenommenen oder dem überlebenden oder geschiedenen Ehegatten des Annehmenden gestattet. § 1312. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehegatten und demjenigen, mit welchem der geschiedene Ehegatte den Ehebruch begangen hat, wenn dieser Ehebruch in dem Scheidungsurteil als Grund der Scheidung festgestellt ist. (Verletzung hat Nichtigkeit der Ehe zur Folge.) Von dieser Vorsdhrift kann Befreiung erteilt werden. Diese Befreiung wird sehr häufig erteilt: Solange das Verschuldensprinzip in der Ehescheidungsrechtsprechung besteht, und dementsprechend der Ehebrecher f ü r schuldig erklärt wird und die Folgen seiner Eheverfehlung zu tragen hat, sieht man nicht ein, welches Interesse Staat und Gesellschaft hat, sich einer Ehe zwischen den Menschen, die sich heiraten wollen, entgegenzustellen und diese zu zwingen, im Konkubinat zu leben. § 1313. Eine Frau darf erst 10 Monate nach der Auflösung oder Nichtigkeitserklärung ihrer früheren Ehe eine neue Ehe eingehen, es sei denn, daß sie inzwischen geboren hat (auch Frühgeburt). 2
Vorausgesetzt, daß sie nicht als eheliche gelten.. ) Annahme an Kindesstatt.
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Von dieser Vorschrift kann Befreiung erteilt werden (wenn das zu erwartende Kind nicht von dem früheren Ehemann sein kann, wenn die Frau nicht schwanger ist oder überhaupt nicht schwanger werden kann). Die §§ 1314—1322 haben kein Interesse f ü r unser Thema.
Ehefithrung. Zahllos sind die Forderungen, die der Arzt in seiner Eigenschaft als prophylaktischer Hygieniker an die Eheführung zu stellen hat. Die Durchführbarkeit und vor allem die Durchführung der hygienischen Postulate hängt von der wirtschaftlichen Lage der Eheführenden, von ihren Charakteren, von ihrer geistigen Reife und von ihrer Anpassungs^ fähigkeit aneinander ab. Erziehung durch Elternhaus, Schule und Beruf, Einwirkung der Umwelt, der Person des Geistlichen, des Arztes, zunehmendes Verständnis f ü r die Bedeutung der Hygiene der Ehe, können im günstigen Sinne einwirken. Vernachlässigung der richtigen Grundsätze, Verfehlungen gegen hygienische Gesetze, Übertretungen der dem Rechte des einzelnen Ehegatten gezogenen Grenzen werden den Verlauf der Ehe beeinflussen, das Eheglück trüben, die Ehe allmählich zerrütten. Aus der Zerrüttung der Ehe wird erst unklar und unbewußt, dann immer deutlicher und immer heißer der Wunsch nach Lösung der Ehe erwachsen. Für die Gestaltung der Eheführung ist der eheliche Verkehr in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle ein ungemein wichtiger Faktor; man geht kaum fehl, wenn man eine Zerrüttung der Ehe trotz beide Teile befriedigenden Sexualverkehrs f ü r eine große Ausnahme hält. Tatsachen, die eine Zerstörung der Ehe eigentlich bewirken sollten, verlieren ihr Gewicht, wenn die sexuelle Anziehung der beiden Ehepartner groß genug ist. Es ist durchaus nicht nötig, daß die Ehegatten sich dieser ihrer Sexualempfindung voll bewußt sind. Strömungen im Unterbewußtsein spielen eine größere Rolle, als man gewöhnlich annimmt. Selbstverständlich wirken an der Aufrechterhaltung von gebrechlichen Ehen auch' andere Faktoren (Rücksicht auf die Umwelt, auf die Kinder, auf wirtschaftliche Verhältnisse) mit. Man kann die eheliche Sexualität vielleicht mit einem elastischen Band vergleichen, das eng schließen kann, aber auch starke Dehnungen, ja chronische durch häufige Dehnungen bedingte Erschlaffungen verträgt. Wird dieses Band aber jäh durchschnitten, reißt es nach vielen Dehnungen oder ist es allmählich ganz zermürbt, so fällt die Ehe auseinander, selbst wenn die Eheleute vor der Welt ihr Eheleben weiter spielen. Alle diejenigen Instanzen, die an der Aufrechterhaltung der Ehe interessiert sind, müssen daher auch f ü r die ehefördernde Gestaltung des ehelichen Geschlechtsverkehrs eintreten. Dementsprechend muß
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Von dieser Vorschrift kann Befreiung erteilt werden (wenn das zu erwartende Kind nicht von dem früheren Ehemann sein kann, wenn die Frau nicht schwanger ist oder überhaupt nicht schwanger werden kann). Die §§ 1314—1322 haben kein Interesse f ü r unser Thema.
Ehefithrung. Zahllos sind die Forderungen, die der Arzt in seiner Eigenschaft als prophylaktischer Hygieniker an die Eheführung zu stellen hat. Die Durchführbarkeit und vor allem die Durchführung der hygienischen Postulate hängt von der wirtschaftlichen Lage der Eheführenden, von ihren Charakteren, von ihrer geistigen Reife und von ihrer Anpassungs^ fähigkeit aneinander ab. Erziehung durch Elternhaus, Schule und Beruf, Einwirkung der Umwelt, der Person des Geistlichen, des Arztes, zunehmendes Verständnis f ü r die Bedeutung der Hygiene der Ehe, können im günstigen Sinne einwirken. Vernachlässigung der richtigen Grundsätze, Verfehlungen gegen hygienische Gesetze, Übertretungen der dem Rechte des einzelnen Ehegatten gezogenen Grenzen werden den Verlauf der Ehe beeinflussen, das Eheglück trüben, die Ehe allmählich zerrütten. Aus der Zerrüttung der Ehe wird erst unklar und unbewußt, dann immer deutlicher und immer heißer der Wunsch nach Lösung der Ehe erwachsen. Für die Gestaltung der Eheführung ist der eheliche Verkehr in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle ein ungemein wichtiger Faktor; man geht kaum fehl, wenn man eine Zerrüttung der Ehe trotz beide Teile befriedigenden Sexualverkehrs f ü r eine große Ausnahme hält. Tatsachen, die eine Zerstörung der Ehe eigentlich bewirken sollten, verlieren ihr Gewicht, wenn die sexuelle Anziehung der beiden Ehepartner groß genug ist. Es ist durchaus nicht nötig, daß die Ehegatten sich dieser ihrer Sexualempfindung voll bewußt sind. Strömungen im Unterbewußtsein spielen eine größere Rolle, als man gewöhnlich annimmt. Selbstverständlich wirken an der Aufrechterhaltung von gebrechlichen Ehen auch' andere Faktoren (Rücksicht auf die Umwelt, auf die Kinder, auf wirtschaftliche Verhältnisse) mit. Man kann die eheliche Sexualität vielleicht mit einem elastischen Band vergleichen, das eng schließen kann, aber auch starke Dehnungen, ja chronische durch häufige Dehnungen bedingte Erschlaffungen verträgt. Wird dieses Band aber jäh durchschnitten, reißt es nach vielen Dehnungen oder ist es allmählich ganz zermürbt, so fällt die Ehe auseinander, selbst wenn die Eheleute vor der Welt ihr Eheleben weiter spielen. Alle diejenigen Instanzen, die an der Aufrechterhaltung der Ehe interessiert sind, müssen daher auch f ü r die ehefördernde Gestaltung des ehelichen Geschlechtsverkehrs eintreten. Dementsprechend muß
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die Gesetzgebung sich mit der „ehelichen Pflicht" befassen, die ärztliche Wissenschaft die Physiologie, Hygiene, Pathologie und Therapie des ehelichen Geschlechtsverkehrs ergründen. Ich werde mich daher bei den Ausführungen über die E h e f ü h r u n g vorwiegend mit dem ehelichen Verkehr zu beschäftigen haben. Forderungen, die der Arzt in anderer Beziehung an die Eheführung zu stellen hat, betreffen meist Fragen, die letzten Endes materieller Natur sind (Gewährung von Heilmitteln in weitem Sinne, Schonung eines Ehegatten, Versorgung der Kinder usw.). Selbstverständlich sind die Rechtsfolgen der ehe widrigen Aufführung überhaupt die gleichen wie die des ehewidrigen Geschlechtsverkehrs im besonderen.
Stellung der Judikatur zum Eheproblem. Die Rechtsprechung hält mit Recht an dem Grundsatz fest, nur d i e Ehen zu lösen, die wirklich völlig zerrüttet sind. Nur der im Leben stehende Arzt weiß, wie wenig die Beteiligten oft den Grad der Zerrüttung zu beurteilen wissen, wie oft sie ihn überschätzen. Viele beinahe zerbrochene Ehen haben nach Zeiten des Sturmes die schwersten Belastungsproben gut vertragen. (E 21) Zur Aufrechterhaltung der Ehe darf das Gericht eine vorgebrachte Tatsache dergestalt berücksichtigen, daß es daraus die Folgerungen zieht, die das Recht an sie k n ü p f t und an sie zu knüpfen gestattet. (RG. 18. V. 94, IV. ZS. 83, OLG. 1913, S. 71). Es wird aber auch eine o b j e k t i v e Würdigung der A r t der Ehe gefordert und zwischen kurz und lang dauernder, zwischen kinderloser und kinderreicher unterschieden. „Bei einer Ehe von jahrzehntelanger Dauer mit zahlreicher Nachkommenschaft ist der Anlaß zu angeblich ehezerrüttenden Streitigkeiten besonders streng zu p r ü f e n . " (RG. VI, ZS. I I I . 21, 532/21, Recht 21, Nr. 2392 [E 22]). (E 23) Selbst eine übereilt geschlossene Ehe (Kriegstrauung) darf nur aus z w i n g e n d e n Gründen wieder geschieden werden; der Umstand, daß das Band der Ehe nur locker geblieben ist (Ehemann war meist im Felde), darf die Scheidung nicht erleichtern. Aussetzung des Verfahrens bei der Möglichkeit der Aussöhnung der Ehegatten ist erforderlich. (RG. 2 7 . 1 . 1 9 , 300/18, VI, Dresd. J W . 1919, S . 3 1 9 . )
Für die Beurteilung der Eheverfehlung ist allein die sittliche Institution der Ehe maßgebend, nicht aber die laxen Auffassungen, die angeblich in manchen Volkskreisen herrschen. Das RG. (IV. ZS. 16. X. 19, Gruchol, Bd. 64, S. 232) entschied dementsprechend, daß auch in gesellschaftlich tiefer stehenden Volkskreisen in dem Versuch eines Ehemannes, andere Frauen zum Geschlechtsverkehr mit ihm zu bestimmen, eine erhebliche Verletzung der ehelichen Treupflicht und eine das Recht der Ehefrau schwer kränkende Verfehlung gegen die Ehepflichten zu erblicken sei [ E 2 4 ] . Das OLG. R o s t o c k lehnte die Scheidung ab, obwohl die Ehefrau unleidlich zanksüchtig war, Kinder und Dienstboten verhetzte, mürrisch und lieblos gegen den Ehemann war, ihn mit Eifersuchtsvorhaltungen verfolgt hatte, seine Möbel mit falschen Schlüsseln ' geöffnet, einen Brief unterschlagen, an seiner T ü r gelauscht, sich gegen Gäste des Hauses anmaßend benommen hatte. W ü r d e dies Betragen als ausreichend zur Scheidung angesehen werden, so würde damit die Festigkeit der ehelichen Bande in unzulässiger Weise gelockert [E 2 5 ] .
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Rechtsfolgen ehewidriger Handlungen. Die Herbeiführung von Rechtsfolgen für ehewidrige Handlungen ist den Ehegatten dadurch erschwert, daß jede Strafanzeige als solche, selbst wenn sie an sich berechtigt ist, einen Ehescheidungsgrund aus § 1568 darstellt. Den durch die Ehe begründeten Pflichten zur Lebensgemeinschaft, zur Treue, zum gegenseitigen Beistand entspricht es nicht, daß ein Ehegatte den andern richterlicher Bestrafung aussetzt (KG.). Vgl. auch RG. IV, ZS. 10. XI. 291/2) [E 26]. Anders sind natürlich zivilrechtliche Klagen bei Gütertrennung zur Wahrung vermeintlicher Rechte zu beurteilen. Gerichtliche Klagen (wegen Straftaten) werden nur angestrengt, wenn es sich um den Versuch handelt, unhaltbar gewordene Ehen aufzulösen. Strafrechtliche Folgen ehewidrigen Verhaltens. 1. Klagen wegen Beleidigung sind (ebenso wie leichte vorsätzliche und alle fahrlässigen Körperverletzungen) Antragsdelikte, deren Rücknahme unter Ehegatten auch nach der Scheidung noch möglich ist. §§ 185—201 StGB. Die mit dem Sexualleben in Verbindung stehenden wörtlichen oder tätlichen Beleidigungen stellen Eheverfehlungen dar, die nach § 1568 einen relativen Scheidungsgrund abgeben können. 2. Klagen wegen Nötigung § 240 StGB. Ein Ehemann kann sich der eignen Frau gegenüber der gewaltsamen Unzuchtserzwingung oder Nötigung schuldig machen. Der Beischlaf als solcher kommt nicht als unzüchtige Handlung unter Eheleuten in Frage. Immerhin kann es sich um Fälle handeln, in denen der eine Eheteil berechtigten Grund zur Verweigerung des ehelichen Verkehrs hat, und solche, in denen Perversitäten verlangt werden. Die gewaltsame Erzwingung oder Abnötigung derartiger sexueller Akte fällt unter den § 240 StGB. (Traumann in Mar Gases Handwörterbuch d. Sexualwissenschaft [E27], 3. Klage wegen Körperverletzung. Körperverletzungen in der Ehe unterscheiden sich in ihrer Beurteilung nicht von diesen Delikten überhaupt. Eine besondere Stellung nehmen die mit dem ehelichen Verkehr in Zusammenhang stehenden Körperverletzungen ein. Der Geschlechtsakt ist nach dem Urteil des Reichsgerichts (4. V. 21, III, 218/20, Lübeck) bei einer unberührten Frauensperson ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und kann daher an sich den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen. Die Einwilligung und selbstverständlich die Ehepflichten (S 1353) schließen natürlich die Strafbarkeit der im Geschlechtsverkehr an sich liegenden Körperverletzung aus. Die Einwilligung zum Geschlechtsverkehr macht aber den Talbestand der Körperverletzung (z. B. bei Brutalitäten usw.) nicht hinfällig, selbst wenn die körperliche Unversehrtheit ein Rechtsgut wäre, auf deren Erhaltung von Seiten der Trägerin verzichtet werden könnte (RG. 5. VI. 1910, 35, 456/10) [E 28].
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a) V o r s ä t z l i c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g e n kommen besonder-) bei den aus der Psychopathia sexualis bekannten Perversitäten (Sadismus) in Betracht. Eventuell auch bei Übertragung von Geschlechtskrankheiten. b) V e r g i f t u n g e n § 229 StGB. Beibringung von Giften oder Stoffen, die geeignet sind, die Gesundheit zu zerstören; hierzu gehören auch Krankheitsgifte (Olshausen, Kommentar zum StGB. II, S.892), von denen hier vor allem die Erreger von Geschlechtskrankheiten in Frage kommen. Diese Übertragung geschieht öfter, als bekannt ist, aus Haß, Rachsucht 1 ), Eifersucht auf früher geliebte oder bevorzugte Männer und Frauen. Auch absichtliche Infektion der eigenen Ehefrauen kommt vor (Leben der Borgia, Franz I. von Frankreich Infektion durch die „belle Ferroniere", die zu diesem Zweck von ihrem eigenen Gatten infiziert war). Ich selbst habe (Heller: Rechtsbeziehungen des ehelichen Geschlechtsverkehrs, Curt Kabitsch 1924) einen solchen Fall beschrieben und andere Beobachtungen, z. B. von Wulffen, angeführt. Auch der in manchen Volkskreisen vorhandene Glaube, daß Geschlechtskrankheiten durch Übertragung von Kranken auf jungfräuliche Individuen geheilt werden können, führe zu absichtlichen Infektionen der eigenen Ehefrau, weil der Täter für Jungfrau ehrbare Frau substituierte. (Vgl. Max Marcuse, Zeitschr. f. Sexualwiss. 1919, S. 176.)
c) F a h r l ä s s i g e K ö r p e r v e r l e t z u n g (§ 230 StGB, regelt die Strafbedingungen und das Strafmaß) kommt bei der brutalen Ausführung des Aktes eventuell durch Schuld eines Ehegatten zustande. Die sog. Körperverletzungen der Frau sind häufig; ich habe (Heller: Seltene Coitusverletzungen des Mannes, Ärztl. Sachverst.-Ztg. 1926) 3 Fälle beim Manne beschrieben und andere aus der Literatur gesammelt. Da die Erregung im Augenblick des höchsten Orgasmus eine Art Bewußtseinsstörung darstellt, so wird man eine strafrechtlich erfaßbare Schuld häufig schwer feststellen können. In einem meiner Fälle zerriß eine Frau dem Geschlechtspartner den Hodensack, um ihn zu verhindern, post ejaculationem seminis membrum retrahere, bevor bei ihr selbst die Spannung sich gelöst hatte. Von einer Fahrlässigkeit wird man sprechen können, wenn sehr große und starke Männer mit jungen zarten enggebauten Frauen den Geschlechtsverkehr forcieren, trotzdem das Mißverhältnis der Genitalien ihnen offenbar sein mußte. Hier wird es auf den Tatbestand des Einzelfalles ankommen. Schwierig ist die Entscheidung, ob fahrlässige oder vorsätzliche Körperverletzung vorliegt, wenn ein Ehegatte durch den G e s c h l e c h t s v e r k e h r eine Geschlechtskrankheit auf den andern überträgt. Fahrlässige Körperverletzung liegt dann vor, wenn der Ehegatte es unterlassen hat, vor dem Geschlechtsverkehr seine Niclit1)
Casanova schildert ein solches Vorkommnis.
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ansteckungsfähigkeit festzustellen; kannte er seine Ansteckungsfähigkeit nicht oder v e r t r a u t e er nach ärztlicher Untersuchung oder nach dem bisherigen Verlauf der Krankheit mit Recht auf die inzwischen eingetretene relative Heilung, so ist von einer Fahrlässigkeit keine Rede. Kannte er jedoch seine Krankheit und ihre Ansteckungsfähigkeit, so liegt nach Olshausen Eventualdolus vor. Rei eingetretener Ansteckung also wird unter der genannten Voraussetzung v o r s ä t z l i c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g angenommen werden müssen. Nach der Gesetzeskraft besitzenden Verordnung der Volksbeauftragten vom 11. XII. 1918 ist die Ansteckung zur Restrafung nicht erforderlich, es genügt die Gefährdung, die allerdings unter Ehegatten Antragsdelikt ist. Nach S 6 des Gesetzes vom 26. I. 1927 zur Rekämpfung der Geschlechtskrankheiten wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft, wer weiß oder den Umständen nach annehmen müß, daß er an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Geschlechtskrankheit leidet und trotzdem eine Ehe eingeht, ohne dem andern Teil vor Eingehung der Ehe über seine Krankheit Mitteilung gemacht zu haben. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Alle Strafanträge können bei bestehender Ehe, während und nach der Scheidungsklage, während der Anfechtungsklage und nach der Nichtigkeitserklärung der Ehe erfolgen, es sei denn, daß es sich um vorsätzliche schwere Körperverletzungen handelt. Rücknahme des Strafantrags ist stets zulässig. Zivilrechtliche Folgen des ehewidrigen Verhaltens. 1. § 823 RGR. regelt den E r s a t z d e s e r l i t t e n e n dens.
Scha-
(E 29) Das Stuttgarter Oberlandesgericht, 22. II. 18, Recht 18, 518, entschied: Wenn ein durch Geschlechtsverkehr mit einer Dirne syphilitisch infizierter Ehemann unwissentlich die Krankheit auf seine Frau überträgt, haftet er seiner Frau auf S c h a d e n ersatz.
2. A u f l ö s u n g d e r E h e d u r c h A n f e c h t u n g u n d N i c h t i g k e i t s e r k l ä r u n g u n d S c h e i d u n g der Ehe. In der Praxis dürfte die Frage der Eheauflösung wegen ehewidrigen Verhaltens fast regelmäßig aufgeworfen werden. Ehewidriges Verhalten wirkt auf die eheliche Zuneigung und damit auf den ehelichen Verkehr zurück. Unbefriedigung im ehelichen Verkehr beeinflußt Stimmung, Lebensauffassung und Lebenslust und ist von größter Tragweite für die Handlungen der Eheleute. Freilich wird der Zusammenhang der Dinge den Eheleuten selbst nicht immer klar seio. Hier liegt ein großes Retätigungsfeld für den Arzt, wie es sein sollte, brach. Er kann prophylaktisch vor Fehlern in der Eheführung warnen, therapeutisch durch Ratschläge und Maßnahmen eingreifen, progno-
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stisch durch Abwägung der Rechtsfolgen des Ehestreites die Wegerichtung der Ehegatten beeinflussen. Kenntnis der Rechtslage ist daher von großer Redeutung; sie kann überflüssige Prozesse und Ehelösungen verhindern. Auf die Paragraphen des RGR., die sich mit der Eheauflösung durch Anfechtung und Scheidung beschäftigen, wird später ausführlich eingegangen werden. Hier sei nur bemerkt, daß Anfechtung der Ehe wegen Irrtums möglich ist, wenn der anfechtende Ehegatte über eine wichtige persönliche Eigenschaft des anderen im Irrtum war {resp. vom andern Ehegatten arglistig getäuscht wurde), die ihn bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe abgehalten haben würde, die Ehe einzugehen. War der Irrtum durch ein Verschulden (fehlende voreheliche Offenbarung) verursacht, so wird der diese Verfehlung begehende Ehegatte bei der Ordnung des materiellen Verhältnisses so behandelt, wie der bei der Scheidung schuldig befundene, im andern Falle wie der Nichtschuldige. 3. A u f h e b u n g d e r e h e l i c h e n G e m e i n s c h a f t . Gerade Krankheiten führen häufig zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft f ü r kürzere oder längere Zeit. Liegt eine Krankheit eines Ehegatten vor, die den gesunden wesentlich gefährdet (z. R. ansteckende Geschlechtskrankheit), so wäre das Verlangen, der gesunde Ehegatte solle in dieser Gemeinschaft bleiben, ein Mißbrauch des Rechtes (§ 1568), andererseits ist die Verweigerung der Pflege eines kranken Ehegatten, wenn diese Krankenpflege dem andern zuzumuten ist, eine schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten seitens des gesunden Ehegatten. In einer großen Zahl von in diesem Ruch' zitierten Entscheidungen ist die Frage des Rechtes zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft wegen Krankheit behandelt. Jeder Ehegatte kann auf Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft klagen. Leistet der rechtskräftig verurteilte Gatte in böslicher Absicht dem Urteil ein Jahr lang nicht Folge, so kann der andere auf Scheidung klagen, (§ 1567). Sehr wichtig ist eine Entscheidung gerade für Krankheitsfragen, die eine b e s c h r ä n k t e V e r u r t e i l u n g bei einer Klage auf Herstellung der häuslichen Gemeinschaft f ü r möglich erklärt. ( E 2 9 a ) RG. I I I . ZS. 10. VI. 1925, J W . 1926/25: Der Beklagten wurde geboten, die häusliche Gemeinschaft mit dem Kläger in einer von der Mutter des Kl. nicht mitbewohnten Wohnung herzustellen (die Beklagte hatte wegen Streitigkeiten mit der Schwiegermutter die eheliche Gemeinschaft aufgehoben). Dies Urteil kann nach Ansicht der Sache als Grundlage f ü r eine Scheidung, § 1567 *4bs. 2 Nr. 1, bewertet werden.
Die starre Vertretung des Verschuldensprinzipes im RGR. gibt dem Arzt eine Handhabe zur Durchführung mancher f ü r die Gesundung der Ehe nützlichen Maßnahmen.
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Maßgebend ist: § 1578. Der allein für schuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, sofern nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb durch Arbeit der Frau üblidh ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit bestreiten kann. (Vgl. Nachtrag Z. VII, S. 136.) Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen den standesgemäßen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er stande ist, sich selbst zu unterhalten.
Mann außer-
Rechtliche Beziehung des ehelichen Verhaltens. § 1353. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Stellt sidh das Verlangen eines Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch seines Rechtes dar, so ist der andere Ehegatte \nidfit verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten. Das Gleiche gilt, wenn der andere Gatte bereöhtigt ist, auf Scheidung zu klagen. Die eheliche Lebensgemeinschaft schließt den ehelichen Geschlechtsverkehr ein, erschöpft sich aber nicht mit ihm, sondern umfaßt weite Bezirke des Lebens, Führung des Haushaltes, Verwaltung des Vermögens, Sorge für die Kinder usw. Von diesen Bezirken fällt nur der das Sexualleben berührende aus den oben erwähnten Gründen zum Teil in den Kompetenzbezirk des Arztes. Die rechtlichen Folgen des ehebrecherischen und ehewidrigen sexuellen und' erotischen Verkehrs der Ehegatten mit Nichtehegatten sollen daher kurz vorweg genommen werden. § 1565 Abs. 1. Ein Ehegatte kann auf Sdheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach §§ 171, 175 des StGB, strafbaren Handlung schuldig macht. Unter Ehebruch versteht dieser Paragraph (sowie § 172 StGB.) die V o l l z i e h u n g des Beischlafs eines Ehegatten mit einer anderen Person als seines Ehegatten. Vollendet ist der Ehebruch, wenn eine Vereinigung, nicht bloß eine äußere Berührung der Geschlechtsteile, stattgefunden hat (RG. IV. ZS. 6. I I I . 1902, J W . 1902, Beilage 3, S. 215, Nr. 60 [E 3 0 ] ) . Für das Vorliegen eines Scheidungsgrundes ist genaue Feststellung der Zeit und des Ortes des Ehebruches nicht erforderlich. (RG. IV. ZS. 21. IV. 02, J W . 1902, Beilage 7, S. 236, Nr. 118 [E 31]). Wegen versuchten Ehebruchs oder wegen dringender V e r m u t u n g der Verletzung ehelicher Treue kann die Scheidung der Ehe nicht verlangt werden (RG. 24. X . 1900, J W . 1900, S. 728 [ E 3 2 ] ) . Ein vorehelicher Ehebruch (in einer anderen Ehe) kann nie die Scheidungs-, wohl aber die Anfechtungsklage wegen Irr-
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tums rechtfertigen (RG. IV. ZS. 13. V. 02, J W . 1902, Beilage 3, S. 215, Nr. 61 [E 33]). Ehebruch setzt immer die Schuld eines Ehegatten voraus. Die Schuld ist ausgeschlossen, wenn der Ehegatte den Dritten, mit dem er Beischlaf vollzog, aus Irrtum (im Schlafe) f ü r seinen Ehegatten gehalten oder irrtümlich angenommen hat, seine Ehe sei durch Tod oder Scheidung aufgelöst (KG. 20. X. 03 [E 34]). Das Gleiche gilt f ü r Bewußtlosigkeit (Narkose)' oder f ü r den Zustand einer krankhaften, die freie Willensbestimmung ausschließenden Störung der Geistestätigkeit (RG. IV. ZS. 22. V. 07. J W . 1907, S. 472 [E 35]). In jedem Falle muß dieser Zustand genau geprüft werden, Geistesschwäche allein schließt die Schuld des Ehebruches nicht aus (OLG. Hamburg, DJZ. 1902, S.564 [ E 3 6 ] ) . Ehebruch ist kein Scheidungsgrund, wenn er unter Z u s t i m m u n g des anderen Ehegatten erfolgt ist; letztere kann speziell oder generell erfolgen, bleibt aber jederzeit widerruflich. Sie besagt aber nur, daß dem zustimmenden Ehegatten die Ehe durch den Ehebruch nicht unerträglich gemacht wird. Notwendig ist, daß die Zustimmung ernst gemeint ist; sie bedarf keiner rechtlichen Form. Es genügt z. B., daß der Ehemann weiß, daß seine Frau gewerbsmäßige Unzucht treibt. Aus dem Wissen des Ehegatten vom ehebrecherischen Verkehr des anderen kann auf eine Zustimmung des Wissenden nicht ohne weiteres geschlossen werden. Stiftet ein Ehegatte einen Dritten zu ehebrecherischem Verkehr mit dem anderen Ehegatten an (z. B. um die Scheidung zu erlangen), so bedeutet diese Handlung eine Zustimmung (d. h. der Ehebruch ist kein Scheidungsgrund mehr). Dagegen bedeutet Verweigerung der ehelichen Pflicht und absichtliche Verlängerung des Ehescheidungsprozesses, um den anderen Ehegatten zum Ehebruch zu veranlassen, keine Zustimmung. Auch in dem Wunsch eines Ehegatten, seine Ehefrau möchte zu einem Dritten möglichst zuvorkommend sein (um dem Ehegatten ein Darlehen zu verschaffen), kann eine Einwilligung zum Ehebruch nicht, wohl aber zu einem unschicklich und gesellschaftlich anstößigen Verkehr erblickt werden. Ist dagegen die Ehe erstinstanzlich geschieden (wegen böslicher Verlassung der Frau), so ist in der Anknüpfung eines Liebesverhältnisses vonseiten des früheren Ehemanns keine schwere Eheverfehlung oder gar ein Ehebruch zu sehen, da die Ehefrau bemüht war, baldigst von ihrem Manne loszukommen (RG. 14. XII. 08. Soergel 19, S. 419, Nr. 28 [ E 3 7 ] ) . Vielfach ist es nicht möglich, den Ehebruch im Sinne des Gesetzes nachzuweisen, es liegt aber ein ehewidriges Verhalten vor, das eine Klage aus § 1568 rechtfertigt. Es soll daher nach der Entscheidung des RG. (15. VI. 1908, Recht 08, S. 540, Nr. 3037) vorsorglich die
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Scheidungsklage wegen Ehebruchs mit der Klage wegen schwerer Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten verbunden werden [ E 38]. Anstößiges
Verhalten.
Ein anstößiger Verkehr eines Ehegatten kann nur dann einen Verstoß gegen § 1568 bedingen und relativer Ehescheidungsgrund werden, wenn der andere Ehegatte an diesem Verkehr Anstoß genommen und wiederholt vergeblich versucht hat, den Ehepartner von seinem Verhalten abzubringen ( [ E 39] RG. IV. ZS. 11.11.07, Soergel 1907, S. 445). Verzeihung des Ehebruchs legt dem ehebrecherischen Ehegatten erst recht die Pflicht auf, dem Wunsch des verzeihenden Ehegatten folgend, den anstößigen Verkehr aufzugeben. Gemeinsame Reisen, Bewohnen desselben oder angrenzender Zimmer, Anmeldung einer fremden Ehefrau als eigene, sind Handlungen, bei denen es Tatsachenfrage ist, nach dem Urteil des Richters, ob der Handelnde gegen die durch die Ehe begründeten Pflichten verstößt. Ähnlich wird auch Austausch von Liebesbriefen ( O L G . München I V . 26, 19. X I . 07 S e u f f . Archiv 63, N r . 42, S . 6 7 ) gewertet [ E 1 0 ] . Dagegen gilt nach dem Urteil eines Richters in Milwaukee der zärtliche Verkehr einer F r a u mit ihrem verstorbenen ersten Gatten in spiritistischen Sitzungen (Küsse, zärtlichen Worten) f ü r keine die Ehescheidung rechtfertigende Handlung. (Voss. Ztg. 2 . I V . 26.)
Als ehezerrüttende Verfehlung hat das R G . aufgefaßt, daß ein Ehemann häufig mit einem Dienstmädchen sich in Wirtschaften und in der einsamen Wohnung der Dienstherrschaft aufgehalten hat; als unschicklich, aber nicht ehezerrüttend, hat es den Besuch eines höheren Beamten in einem Tanzlokal, Umgang mit den das Tanzlokal besuchenden Frauenzimmern und Droschkenfahrten mit ihnen angesehen. Auch in der Tatsache, daß eine ältere Frau dem Schlafburschen zur Nachtzeit, nur mit einem Hemde bekleidet, die Türe aufmachte, hat das RG. nur eine die Grenze der Schicklichkeit übertretende Unachtsamkeit erblickt. (Anstößiges und unsittliches Verhalten des einen Ehegatten dem andern gegenüber wird später behandelt S . 30 u. f .
Beweis des E h e b r u c h s oder des anstößigen
ehewidrigen,
Verhaltens.
Es muß den Gegnern des Verschuldensprinzipes bei der Ehelösung zugestanden werden, daß die aus diesem Prinzip folgende Notwendigkeit für den von einem Ehegatten zur Feststellung der Schuld des andern Beweise f ü r diese oft doch nur vermutete Verfehlung zu bringen, leicht zu Handlungen führt, die nicht nur rechtlich verwerflich, sondern direkt ehewidrig (§ 1568) sind.
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(E 4 1 ) Wenn ein Ehegatte in einem Scheidungsverfahren durch Geheimbeamte oder andere Personen o h n e
tatsächlichen
Anhalt
zu haben, den andern Ehegatten
beobachten, über ihn beleidigende Erkundigungen einziehen oder beleidigende Gerüchte ausstreuen läßt, so handelt er ehewidrig (RG. J W . 1912, 1105).
Hat dagegen der scheidungswillige Ehegatte berechtigten Anlaß, an der Treue des anderen zu zweifeln, so ist die Beschaffung von Beweismitteln durch Detektive eine erlaubte Handlung ( R G . I V . Z S . 4. I V . 1910, 289/09, Recht 1910, Nr. 2567 [ E 4 2 ] ) . Vor Einleitung des Scheidungsverfahrens durch Geheimbeamte den anderen Ehegatten zwecks Gewinnung von Belastungsmaterial zu beobachten, gilt, selbst wenn anstößige Mittel nicht angewendet werden, als Eheverfehlung ( R G . L Z . 1920, 526 [ E 4 3 ] ) . (Weiteres kasuistisches Material bei Tu-
nica-Goldschmidt.) Stellt ein Ehemann der Ehefrau eine Falle, um sie zu einer ehewidrigen Handlung auf dem Sexualgebiet zu veranlassen, so liegt nicht ohne weiteres eine ehewidrige Handlung der Frau vor. Ein Ehegatte hatte ein Heiratsgesuch in einer Zeitung gemacht, auf das die Ehefrau sich gemeldet hatte. Dadurch hatte sie nach Ansicht des Berufungsgerichtes gegen die sittlichen Gebote der Ehe verstoßen. (Schuldig aus $ 1568.) Das RG. entschied: Ein Mann, der, um einen Scheidungsgrund zu erlangen, den Anlaß zu einer Eheverfehlung der F r a u herbeiführt, wünsche die Verfehlung.
W e r aber einen gewissen Vorgang
ist notwendigerweise damit einverstanden, daß sich der Vorgang verwirklicht. ihm zu.
(Die Schuld der Frau ist damit also verziehen.)
wünscht, E r stimmt
( W a r n e y e r , Bd. 1 5 / 1 6 , Nr. 7 3
[EM])Ehrloses
und u n s i t t l i c h e s V e r h a l t e n Gebiet.
auf
sexuellem
Von den unzähligen Handlungen 1 ), die ein ehrloses und unsittliches Verhalten darstellen und damit die Voraussetzungen des § 1568 erfüllen, können nur die auf dem Sexualgebiet liegenden hier behandelt werden. Diese Verfehlungen können, soweit sie nicht aus §§ 171 und 175 S t G B . (Bigamie, Sodomie und widernatürliche Unzucht vom Manne mit Männern) einen direkten Scheidungsgrund abgeben, zur Zerrüttung der Ehe führen, so daß die Weiterführung dem schuldlosen Ehegatten nicht zugemutet werden kann. ( Z . B . gewerbsmäßige Abtreibung, blutschändender Verkehr u. a.) Auch Exhibitionismus, Entblößung des Unterleibs vor einem Dienstmädchen Warneyer
Bei allen diesen Delikten kommt es darauf an, daß der auf scheidung klagende Teil die Verfehlungen des andern wirklich als zerrüttend empfunden hat. Die Berechtigung zur Scheidung fällt wenn der Scheidungswillige sich an den an sich unzüchtigen unmoralischen Handlungen beteiligt hat. x)
(RG.
1914, Nr. 86, gehört hierher [E 4 5 ] ) .
Kasuistik bei Tunica-Goldsohmidl,
Ehescheidung.
Eheehefort, und
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Hat ein Ehegatte durch sein eigenes Verhalten den andern zu ehewidrigen Handlungen veranlaßt, so muß verlangt werden, daß er sich über die zugefügte Kränkung hinwegsetzt. (E 46) Die Fortsetzung der Ehe kann nur zugemutet werden, wenn die Verfehlunger» des klagenden Ehegatten den Verfehlungen des andern Teiles vorausgegangen sind, wenn ferner die Verfehlungen des beklagten Ehegatten nicht so schwer sind, daß nach dem allgemeinen sittlichen Empfinden sich auch nicht damit die Verfehlungen des andern entschuldigen lassen (Soergel 1910, S. 398/8, 1911, S. 4 1 7 / 1 2 ) . *)
Ehrenkränkungen. Aus einem pathologischen Ehesexualleben entstehen tätliche und wörtliche Beleidigungen, die aus § 1568 schwere Eheverfehlungen darstellen. Wie bei allen Beleidigungsdelikten, wird man der Bildungsstufe der Beleidigten Rechnung tragen müssen. Ausdrücke wie „Nacktes Aaß" vonseiten eines Maurers, „Herumhuren auf dem Markt" gesagt von einer Frau, die vor der bestehenden Ehe mehrere uneheliche Kinder gehabt hat, Schimpfworte und berechtigt grobe Vorhaltungen über ehewidriges Verhalten, in der Erregung oder gar berechtigter Empörung gefallene Äußerungen, Verbreitung von Tatsachen, die zwar an sich unwahr, subjektiv aber von dem Beleidiger nach dem Verhalten des Beleidigten f ü r wahr gehalten werden konnten, stellen keine Eheverfehlungen im Sinne des § 1568 dar. Anders müssen derartige Beleidigungen gewertet werden, wenn sie anderen (Dienstboten, Kindern, Verwandten) zu Gehör gebracht oder in abgesandten Briefen verbreitet werden, wenn sie objektive Unwahrheiten (mangelnde Jungfräulichkeit bei Ehebeginn, Blutschande mit Stiefsohn usw.) enthalten. Bezwecken Anzeigen an die Behörden (Gerichte) nur die Bloßstellung des anderen Ehegatten, so sind sie schwere Eheverfehlungen, während Anzeigen, die der Wahrnehmung eigener Interessen dienen, keine unerlaubten Handlungen darstellen. Auch schwere Beleidigungen der Schwiegereltern sind als Eheverfehlungen
anzu-
sehen. Eine Ohrfeige, die eine Ehefrau ihrem Manne wegen schwerer Beleidigung des eben verstorbenen Vaters der Ehefrau gab, ist kein Scheidungsgrund, auch wenn die Eheleute den gebildeten
Kreisen
angehören.
RG.
Warneyer,
15/16,
Nr.
52
[E 4 7 ] .
Der k r a n k h a f t e Geisteszustand eines E h e g a t t e n , veranlaßt durch krankhafte Wahnvorstellungen, unverschuldete Geistesschwäche, Hysterie, Nervosität, krankhafte Erregungszustände, Morphiumsucht kann zur Folge haben, daß der Ehegatte f ü r sein ehewidriges Verhalten n i c h t verantwortlich gemacht werden kann. Eheverfehlungen können als Ausdruck einer nervösen Reizbarkeit, als Fol1) Die eigentlich abgelehnte Kompensation wird eingelassen. Das RG. (16. XI. 17, J W . 1919, S. 173) einer Verfehlung schuldig gemacht hat, m u ß sich mit finden. Es kann ihm zugemutet werden, die Ehe mit dem
hier durch eine Hintertür wieder sagt: Ein Eheteil, der sich selbst einer Verfehlung des andern a b andern fortzusetzen [E 46 a ] .
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gen einer Neigung zu pathologischen Affekten bei der Ehescheidungsklage gewertet werden, ja zur Verneinung der strafrechtlichen Verantwortung führen, ohne daß diesen Menschen die Fähigkeit der freien Willensbestimmung hinsichtlich des rechtsgeschäftlichen Verkehrs abgesprochen zu werden braucht. Der Eherichter braucht nicht den s t r a f r e c h t l i c h e n Begriff der Unzurechnungsfähigkeit seinem Urteil zugrunde zu legen. Ehrenkränkende Briefe, sogar die Behauptung einer Ehefrau, der Ehegatte habe ihr mit „Gift und Schwefeldämpfen" nachgestellt, sind dann nicht als schwere Eheverfehlungen anzusehen, wenn diese Äußerungen als Ausfluß „hysterischer Veranlagung mit Anklängen von Wahnvorstellung" offensichtlich anzusehen sind. Selbstverständlich sind dem ehewidrigen Verhalten dieser Psychopathen Grenzen gezogen (E 48). Läßt sich ein Ehegatte Mißhandlungen des andern zuschulden kommen, so kann er sich nicht darauf berufen, daß er nach seiner Charakteranlage zu Mißhandlungen neige. (RG. IV. ZS. 9. XII. 07, JW. 1908, S. 42.) In einem andern Falle betont da» RG., daß bei noch so berechtigtem Grund zur Erbitterung Verstöße von solcher Schwere, wie wissentlich falsche Beschuldigungen, des Diebstahls, unsittlicher Handlungen mit Schülerinnen, Verdächtigungen bei der vorgesetzten Behörde nicht nachgesehen werden können. (RG. IV. ZS. 23. X. 05, JW. 1908, S. 723, Nr. 15 [E 49].)
Ebenso ist die unberechtigte Behauptung, der andere Ehegatte sei geisteskrank, unerlaubt, ja ehewidrig. Die Stellung des Antrags auf Entmündigung des Ehegatten wegen Geisteskrankheit ist als eine schwere Eheverfehlung anzusehen, wenn er aus Gehässigkeit oder in unlauterer Absicht (Entnahme von Geld mittels gefälschten Schecks vom Depot des Mannes) völlig objektiv unbegründet geschah (RG. IV. ZS.14. II. 07, 144/06; Soergel 1907, S. 445 und RG. IXX, 1915, IV, 123/65 [E 50]).
E h e w i d r i g e r sexueller Verkehr der E h e g a t t e n u n t e r einander. Unter ehewidrigem sexuellen Verkehr der Ehegatten sollen hier nur die von der Norm abweichenden ehelichen Beziehungen verstanden werden, die geeignet sind, die Ehe zu schädigen und seelische Beziehungen zu zerrütten. Hier liegt ein Betätigungsfeld f ü r den beratenden Arzt brach. Häufiger als man annimmt, sind die ehewidrigen sexuellen Beziehungen mit Nichtehegatten eine Folge der ehewidrigen Beziehungen der Ehegatten. Freilich wird an der mangelnden Anziehungskraft, die die Gatten aufeinander ausüben, der therapeutische Versuch oft scheitern. Ärztliche Kunst, Gesetzgebung und Erziehung versagen, wenn den Menschen als Endziel des Lebens die persönliche Befriedigung jedes auftauchenden Wunsches vor Augen gestellt wird. Der von Begierde zu Genuß Taumelnde wird auch im Genuß nach Begierde verschmachten. Die Nervenärztin Beatrice M. Hinkle schildert in dem Ehebuch des Grafen Keyserling „den chaotischen Zustand der Ehe" im englisch-amerikanischen Kulturkreis und wirft die Frage auf, ob der allgemeine Zusammenbruch besonders die angel-
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sächsischen Nationen b e t r i f f t und ob er vom Scheitern des romantischen Ideals, daraufhin Ehen begründet waren, herrührt. Sie s a g t 1 ) : Das Charakteristikum der jüngeren Generation ist die völlige Abwesenheit jeglichen V e r a n t w o r t l i c h k e i t s g e f ü h l s und jeglicher Rücksicht auf alles, was nicht das eigene persönliche G e f ü h l angeht. Pflichten gegenüber Gesellschaft und Sitte, ja sogar auch den Kindern gegenüber sind, wenn sie den eigenen Wünschen widerstreiten, kaum vorhanden. Die Ehe wird ohne alle hemmenden Einflüsse leichtfertig geschlossen; Probeehen und Probescheidungen sind häufig; die Kinder aber gehen hin und her zwischen den Eltern, deren gegenseitiger Verkehr durch den Rechtsanwalt erfolgt. Die Abneigung gegen die Ehe überhaupt macht sich bemerkbar, bedingt auf Seiten der Männer durch Verantwortungsscheu, auf Seiten der Frauen durch wirtschaftliche Unabhängigkeit und durch das Stellen höherer Ansprüche an die Ehe. Der modernen Jugend gilt die Ehe f ü r das wichtige Ereignis des- Lebens nicht.
Die gesetzlichen Verhältnisse in Amerika sind dadurch kompliziert, daß jeder Staat sein besonderes Eherecht hat. Dieser Umstand erlaubt jedem Ehemüden die Ehefessel so schnell abzustreifen, wie er es wünscht. Der amerikanische Geschäftsgeist hat diesen Umstand zur Gründung einer blühenden Ehescheidungsindustrie an geeigneten Stellen benutzt. Um die Konkurrenz in den andern Staaten zu schlagen und sich eine besonders hohe Quote der Ehescheidungen zu sichern, hat der Staat N e w a d a die Dauer des Aufenthaltes, den der Scheidungswillige im Staat 'haben muß, um dessen Gesetze in Anspruch nehmen zu können, von 6 auf 3 Monate herabgesetzt (12 Uhr-Mittagsblatt 9. IV. 22). Zahlenangaben am Schluß dieses Buches.) Demgegenüber ist es zu begrüßen, daß die deutsche Judikatur mit vollem Ernst die Ehepflichten betont, und in ihren Entscheidungen die Schuldfrage gerade wegen Verletzung dieser Pflichten gewissenhaft abwägt. Übermäßiger
Geschlechtsverkehr.
Bereits auf Seite 23 ist darauf hingewiesen, daß der Geschlechtsverkehr als solcher zwar einen Eingriff in die persönliche Unversehrtheit einer jungfräulichen Frauensperson darstellt, durch die Ehepflichten aber selbstverständlich straflos ist. Die Einwilligung zum Geschlechtsverkehr schließt aber die Einwilligung zu Körperverletzungen durch Brutalität nicht ein. Störungen des ehelichen Verkehrs können durch zu hohe Ansprüche des einen Ehegatten an den andern eintreten. Das RG. fordert mit Recht, daß jeder Ehegatte sich seiner Pflicht bewußt ist und nicht aus Laune oder übertriebener Liebe zu sich die Erfüllung seiner Pflichten ablehnt. (E 51) Der Scheidungsantrag aus S 1568 einer Ehefrau wurde abgewiesen, die, gestützt auf ein ärztliches Attest, behauptete, der ihr Qualen verursachende Beischlaf sei Schuld an ihrer Blutarmut, Schwäche und Nervosität, weil sich kein sicherer Beweis d a f ü r gewinnen ließ, daß die geschilderten Symptome durch geschlechtlichen Mißbrauch liervor!) Etwas gekürzt. H e l l e r , Eherecht
3
— gerufen seien.
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In der normalen ehelichen Beischlafsausübung kann n i e eine Verletzung
der ehelichen Pflichten liegen (RG. IV. 13. I. 02, Börners
Med. Kalender 0 3 ) .
Andererseits hat das RG. (München 28. III. 11, Seuff. Archiv, Bd. 67/27 auch Warn.) entschieden, daß übertriebene geschlechtliche Anforderungen des Mannes an die Frau die Scheidung (aus § 1568) rechtfertigen könne. Die Forderung eines Ehegatten, den Geschlechtsakt ohne Rücksichtnahme auf Stimmung, Ruhebedürfnis und augenblickliches physisches Befinden des andern zu vollziehen, ist ein Mißbrauch des Rechtes aus § 1353. Erfüllung der ehelichen Pflichten kann nur in mäßigem Grade begehrt werden (OLG. Dresden 26. X . 16 [52]). Glaser, Unger und v. Walter (Sammlung zivilrechtl. Erk. des k. k. obersten Gerichtshofes Wien 1879) erwähnten unter Nr. 5336 einen Fall, in dem drei- bis viermal nächtlich vorgenommener Geschlechtsverkehr, sowie „Coitus per os" als Scheidungsgrund angenommen wurde. Ebenso kann aber auch die A b l e h n u n g ü b e r t r i e b e n e r A n s p r ü c h e der Frau dem Mann k e i n e n Rechtsnachteil bringen. Das Reichsgericht lehnte es ab, in dem Verhalten des Mannes in einem derartigen Fall eine nach § 1568 und S 1353 einen Scheidungsgrund darstellende hartnäckige und grundlose Beischlafsverweigerung zu erblicken (Dresden 26. X. 16, Sächs. Archiv 1916, 91 [53]). Beruhen diese übertriebenen Ansprüche *) eines Ehegatten auf Satyriasis oder Nymphomanie, so sind sie eventuell als persönliche Eigenschaften des kranken Ehegatten anzusehen und können Eheanfecfotungsgründe aus § 1333 darstellen (vgl. später). Der normal veranlagte Ehegatte leidet unter den extremen Anforderungen seelisch (Mißhelligkeiten bei Ablehnung) und körperlich (nervöse Erschöpfungszustände). Es ist daher anzunehmen, daß er bei Kenntnis der Sachlage die Ehe nicht geschlossen haben würde. Wenn sexuelle Exzesse als Folgen einer geistigen Erkrankung angesehen werden müssen, stellen sie nach französischem Recht k e i n e n außer wenn
die Grunderkrankung
relativen Scheidungsgrund
(wohl Trunksucht oder
Syphilis)
durch
eine
dar, vor-
herige Schuld des exzedierenden Gatten erworben wurde. An dieser Tatsache ändert es nichts, daß die Erwerbung der Grundkrankheit an sich nicht genügt hätte, um die Scheidung zu rechtfertigen (Siredy 1905, Nr. 190.
Aubry
et Rau,
Cours de droit civil français,
Paris 1918 [E 53 a ] ) .
Nicht nur ein übermäßiger Geschlechtsverkehr, sondern auch ein mit Gewalt erzwungener ist als Mißbrauch des Rechtes auf eheliche Gemeinschaft anzusehen. Das Reichsgericht
entschied,
daß die b r u t a l e
Erzwingung
des
Bei-
s c h l a f s durch den Ehemann eine grobe Verletzung der durch die Ehe bedingten Pflichten und damit einen relativen
Scheidungsgrund
aus S 1568 darstelle.
Die Frage,
ob die
! ) Zuweilen stellt die sexuelle Überreiztheit ein Symptom eines Nervenleidens dar.
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Klägerin wirklich Schmerzen gehabt hat, ob eine Gesundheitsschädigung vorliegt, ist zu prüfen.
Die Verneinung dieser F r a g e n hätte natürlich ein Recht des Beklagten auf Schei-
dung wegen hartnäckiger und grundloser Verweigerung der ehelichen Pflichten begründet; die Erzwingung des Verkehrs durch Gewalt ist unzulässig (17. V I . 15, VI, 7 3 / 1 5 , Dresden, Warneyer Rechtspr. 1915, N r . 151 [ E 5 1 ] ) .
Verletzung
der S e x u a l e h r e
und p e r v e r s e r
Verkehr.
Perversitäten des Geschlechtsverkehrs sind, wie jeder erfahrene Arzt weiß, in unserer dekadenten Zeit sehr häufig. Wer die Epigramme des Martial kennt, wird zugeben, daß das Bild, das der römische Moralist — das war der Satiriker in Wahrheit — von den Sittenzuständen der römischen Kaiserzeit entwarf, für unsere Zeit zutrifft. Der ärztliche Hygieniker kann Ehegatten vor den Folgen der sexuellen Perversitäten nur warnen: erhöhter Reizung und erhöhtem Genuß folgt Erschlaffung, die durch immer stärkere Reizungen bekämpft wird. Das Resultat ist versagende sexuelle Kraft und Empfindung und damit Ehezerrüttung. „Maß zu halten ist gut", der Wahlspruch des Philosophen von Priene gilt auch für die Sexualhygiene. Rechtsfragen entstehen erst dann, wenn ein Ehegatte nicht oder nicht mehr diese anormale sexuelle Betätigung billigt. ( E 55)
RG.
erklärte
unzüchtige
Handlungen
(Cunnilingus)
auch
ohne
Gewalt-
anwendung, j a schon das bloße Ansinnen solcher Perversitäten als Eheverfehlungen im Sinne des § 1568 ( R G . I V . Z S . 26. X . 18, 2 1 6 / 1 8 ) .
Die Untersuchung der jungen Ehefrau auf ihre Jungfräulichkeit in der Hochzeitsnacht (RG. IV. ZS. 1907, 335/06, Soergel 1907), aber auch Ganz- oder Halbaktstehen vor dem Liebhaber sind als Handlungen angesehen worden, die die Sexualehre der Gatten berühren (OLG. München IV. S. 19. XI. 07, Seuff. Arch. 63 [E 5 6 - 5 7 ] ) . Sexuelle Perversionen oder Abnormitäten können, ohne das Schamgefühl oder die Gesundheit des andern zu gefährden, lästige Zumutungen darstellen. Handelt es sich um eine angeborene Triebrichtung, so ist Anfechtung der Ehe seitens des normalen Ehegatten wegen Irrtums § 1333 möglich. In einem von Dr. Magnus Hirschfeld berichteten Fall handelt es sich um einen Korsettfetischisten, der nur den Geschlechtsakt vollziehen konnte, wenn seine Frau ein möglichst eng geschnürtes Korsett trug. Die Anfechtungsklage drang durch [E 58]. Die Entscheidungen des Reichsgerichts sind nicht einheitlich. Es scheint, daß der Nachdruck darauf gelegt wird, ob der normal veranlagte Ehegatte sich an den Perversitäten aktiv beteiligt. Tat er das, so stimmte er der Handlung zu. Sie ist ihm demnach nicht eine unerträgliche Last ( [ E 5 9 ] . RG. 2 . X I I . 05, Recht 1910, Nr. 1593). »3
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Unzüchtige Handlungen mit der Braut und späteren Ehefrau, die bereits 25 Jahre alt war, der man also Verständnis f ü r die Art der Handlungen zutrauen konnte, sind wegen des Einverständnisses keine relativen Scheidungsgründe. Der Einwand in einem anderen Fall ([E 6 0 ] RG. IV. ZS. 150/19, Deutsche Jur.-Ztg. 1919,* S. 1025), daß durch Duldung perverser Handlungen Gesundheitsschädigung eintreten könne, war vom Berufungsgericht anerkannt, wurde vom RG. zurückgewiesen. Das ganze Eherecht schließt eben Ehescheidung aus, wenn Zustimmung zu einer Handlung erfolgt, die an sich ehewidrig und ehezerrüttend sein kann. Ein zustimmender Ehegatte kann die Tortsetzung der Ehe nicht als unerträgliche Last empfinden.
Anders wurde entschieden, als der Ehegatte seine Zustimmung zu den perversen Akten verweigerte. (E 61) Ein Ehemann, der vor 1915 geheiratet, aber wegen der Kriegsverhältnisse erst 1919 ein richtiges Eheleben begonnen hatte, war wider seinen Willen der perversen Veranlagung der Ehefrau entsprechend eine Zeitlang auf den widernatürlichen Verkehr eingegangen, hatte aber dann ernstlich seinen Willen gezeigt, diese Beziehungen nicht fortzusetzen, zumal die Ehefrau jeden natürlichen Verkehr ablehnte. Das KG. hatte im Gegensatz zur Vorinstanz in dem Verhalten der Beklagten eine schwere Pflichtverletzung gesehen. Di« Zumutung des perversen Verkehrs an den dieser Betätigung abgeneigten Gatten veilfclzi. die schuldige Rücksichtnahme, kann eine Gesundheitsschädigung darstellen; sie schließt aber auch eine hartnäckige Verweigerung der ehelichen Pflichten ein. Besteht bei der Beklagten eine perverse Sexualveranlagung, so kann eine Anfechtungsklage berechtigt sein. Selbst eine derartige Anomalie enthebt den Behafteten nicht der Pflicht, seine anormalen Triebe zu beherrschen. Mindestens muß er nachweisen, daß er sich in einem, den freien Willen ausschließenden krankhaften Zustande befunden hat. 11. X. 1923, IV, 560/22, RG. Warney,;r 1924, S. 151.
W i e sehr die Zustimmung zu perversen Handlungen auf das Urteil über sonstige Eheverfehlungen einwirkt, zeigt folgende Entscheidung: (E 62) Ein Ehemann hatte durch Perversitäten die Frau so erotisch erregt, daß sie nach ihrer Angabe im Ehebruch normale Befriedigung suchte. Der Ehemann hatte ihr die Männer selbst zugeführt, um von ihr Freiheit zum Ehebruch zu erhalten. Das Reichsgericht (II. ZS. 19. X. 19, Nr. 2, V. 31/12, Braunschweiger Zeitschr. 1919, S. 180) entschied, daß beide Ehegatten einen so tiefen sittlichen Standpunkt einnehmen, daß sie das Recht verwirkt haben, von einer so tiefen Zerrüttung des ehelichen Lebens zu sprechen, daß ihnen die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. S 1568 (S 1565 kam nicht in Frage, weil ja beide Ehegatten dem Ehebruch zugestimmt hatten).
Perversitäten müssen auch bei der Frage der Bedeutung des ehelichen Verkehrs als Zeichen der Verzeihung gewertet werden. Hält man die Ehe f ü r eine sittliche, den Interessen der Nation dienende Einrichtung, so wird man entsprechend der Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts in einem widernatürlichen Geschlechtsverkehr nicht ein Symptom ehelicher Gesinnung, sondern nur Befriedigung eines Triebes erkennen müssen [E 63 ]. Die Perversitäten, die ein Ehegatte nicht mit anderen, sondern mit sich selbst (Onanie), mit anderen Menschen der gleichen Art (Homosexualität, Paederastie und Tribadie) oder mit Tieren begeht, beruhen in der großen Mehrzahl der Fälle auf anormalen Triebrichtungen; sie sind persönliche Eigenschaft, die Anfechtung der Ehe aus § 1333 recht-
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fertigen. Sie werden später von diesem Gesichtspunkt aus behandelt werden. Nur die Onanie wird gelegentlich als Surrogat des ehelichen Verkehrs in Gegenwart des anderen Ehegatten vorgenommen werden, könnte also als perverse Teilhandlung des ehelichen Verkehrs angesehen werden (E64). Das RG. entschied (IV. ZS. 28. VI. 09, 86/09, Recht Bd. 13, Nr. 2428), daß gewohnheitsmäßige Selbstbefleckung des Mannes ein unsittliches Verhalten sei, selbst wenn er unter einem psychologischen Zwange gehandelt zu haben behauptet. In einem mir bekannten Prozeß wurde jedoch auf die Tatsache, daß die Ehefrau nach Behauptung des Ehemannes dauernd Onanie getrieben hatte, kein Wert gelegt, da sie die ehelichen Pflichten erfüllt hatte. Hier angereiht kann auch die schamlose Mitteilung über die Intimitäten des Ehelebens an ungeeignete Personen werden, die eine ehewidrige und den andern Eheteil verächtlich machende Gesinnung verraten (z.B. an den 14jährigen Lehrling, RG. IV. ZS. 12.X.08, 120/08, Soergel 08, S.386, Nr. 4). Die Ehewidrigkeit bleibt bestehen, selbst wenn die Mitteilungen objektiv wahr sind (RG. IV. ZS. 16. I. 11, 72/10 München. Recht 1911. (E 66-67). ; G e s u n d h e i t l i c h e G e f ä h r d u n g des e i n e n E h e g a t t e n d u r c h den e h e l i c h e n V e r k e h r mit dem a n d e r e n erkrankten Ehegatten. Die gesundheitliche Gefährdung der Ehegatten durch Krankheit des anderen ist ein praktisch wichtiges Kapitel der vorbeugenden Gesundheitspflege. Hier hat m. E. nach das sittliche Ideal, das sich in der Ehe verkörpert, den Vorrang vor dem Individualrecht des Schutzes der eigenen Gesundheit. Die Ehe ist auch in dieser Beziehung kein risikoloser Vertrag; man muß fordern, daß jeder Ehegatte bereit ist, f ü r den andern ein gewisses Maß von persönlicher Gefährdung auf sich zu nehmen. Die Gefährdung ergibt sich bereits aus der h ä u s l i c h e n Gemeinschaft, z. B. wenn Tuberkulose eines Gatten vorliegt. Es kommt auf den Einzelfall an. Ererbte Anlage zur Tuberkulose ist nur Eheanfechtungsgrund, wenn sie notwendig zur unheilbaren Erkrankung führen muß. Bei der Beklagten handelte es sich um einen leichten Lungenspitzenkatarrh, der „inaktiv" war und deshalb günstige Heilaussicht hatte. Die Frage, ob und in welchem Grade die Krankheit Ansteckung begründet und ob1 sie tatsächlich zur Ansteckung zweier Kinder geführt hat, ist für die Beurteilung, ob eine persönliche Eigenschaft vorliegt, nicht entscheidend. Der Irrtum über eine tuberkulöse Erkrankung der Beklagten vermag die Anfechtung der Ehe nicht zu begründen. RG. IV. 5. XI. 14, 287/14.
Auf S. 44 und 48 soll die Rechtslage der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft wegen Krankheit eines der Ehegatten besprochen werden.
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Durch die körperliche Annäherung können A l l g e m e i n k r a n k h e i t e n wie Influenza, Rhinitis, Angina, Diphtherie, Tuberkulose, Z o o n o s e n (Oxyuriasis), H a u t a f f e k t i o n e n (Scabies) und andere auf pflanzlichen Parasiten beruhende Dermatosen, Trichophytie, Favus, Erythrasma, Pyodermien usw. übertragen werden. Immerhin wird der Nachweis, daß der eheliche Verkehr als solcher die Übertragung verursacht hat, recht schwierig sein. Praktisch keine Rolle spielt auch die Gefährdung der Ehegatten beim Verkehr durch T u m o r e n ü b e r t r a g u n g , durch p y ä m i s c h e I n f e k t i o n , durch T u b e r k u l o s e . Von Genitaltumoren — man denke an die H ä u f i g keit des Karzinoms des Uterus — werden, und zwar sehr selten bei Mann und Frau s p i t z e F e i g w a r z e n beobachtet. Die Infektion ist praktisch völlig belanglos. Sehr selten ist auch die Infektion des Mannes durch die nicht gonorrhoischen Eiterungen der weiblichen Genitalien. Ich persönlich bin geneigt, die in der Ehe erworbene sogernannte Urethritis non gonorrhoica f ü r außerordentlich selten zu halten. Sicher ist, daß die ungeheure Zahl von Ehefrauen, die an den ätiologisch verschiedensten Ausflüssen leiden, ihre Männer nicht anstecken, wenn nicht eine Gonorrhoe in 'die Ehe eingeschleppt ist. Der negative Gonokokkenbefund beweist gar nichts. Die Tuberkulose der Genitalien bei Mann u n d Frau, ist, wenn überhaupt bekannt, eine große Seltenheit. Praktisch dagegen ungeheuer wichtig ist die Gefährdung der Ehegatten beim Verkehr durch die d r e i G e s c h l e c h t s k r a n k h e i t e n : T r i p p e r , w e i c h e r S c h a n k e r und S y p h i l i s . Über die Bedeutung der Geschlechtskrankheiten f ü r die Ehelösung (Eheanfechtung und Ehescheidung) wird später ( S . 96 u. 116) ausführlich berichtet werden. Hier sollen nur die Rechtsbeziehungen behandelt werden, die entstehen, wenn ein Ehegatte trotz der Geschlechtskrankheit des anderen zur Fortführung der Ehe bereit ist. Der Geschlechtsverkehr unter Verschweigung einer bei Abschluß der Ehe vorhandenen oder während der Ehe erworbenen Geschlechtskrankheit ist, gleichviel ob die Krankheit während der Ehe schuldh a f t oder schuldlos erworben ist, eine Eheverfehlung aus § 1568. Das Verlangen des kranken Ehegatten nach ehelicher Reiwohnung ist, falls der kranke Ehegatte seine Krankheit kennt, eine vorsätzliche Gesundheitsgefährdung und kann eine Gesundheitsschädigung zur Folge haben. Erstere ist nach der Verordnung der Volksbeauftragten vom Dezember 1918, letztere nach §§ 223/24 des StGR. auf Antrag des vorher gesunden Ehegatten ein Delikt. Der gesunde Ehegatte ist zur Verweigerung der ehelichen Pflicht berechtigt, ein Verlangen des kranken Ehegatten stellt einen Mißbrauch seines Rechtes dar (§ 1568). Ist die Krankheit schuldhaft erworben, so liegt in der Unterlassung des che-
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liehen Verkehrs eine schuldhafte Eheverfehlung, die dem anderen Ehegatten einen Scheidungsgrund (§ 1568) gibt. Der Ehepflicht jedes Gatten, den anderen in Krankheitsfällen zu pflegen, steht das Selbstschutzrecht des Gesunden gegenüber. Die Ablehnung der Pflegepflichten bei Krankheiten wie Cholera, Typhus, Pest usw. wird man vielleicht ethisch mißbilligen, nicht aber juristisch erfassen können. Das französische Recht (Nancy 30.1. 1886, Siredey Table décennale 1881—1890, p. 408) erblickt sogar in dem Verlangen eines mit einer ansteckenden Krankheit behafteten Ehemannes, seine Frau solle ihn pflegen, eine die Scheidung rechtfertigende „Injure grave" ( E 6 9 ) . Fehlt aber eine wesentliche Ansteckungsgefahr, so wird man in dem Versagen der Hilfe eines gesunden Ehegatten dem kranken gegenüber eine dem sittlichen Wesen der Ehe nicht entsprechende Handlung und Gesinnung erblicken.
Unfruchtbarkeit des ehelichen Verkehrs. Trotz des katastrophalen Rückgangs der Geburtenzahl, trotz vieler ernster Degenerationserscheinungen aller Kulturvölker besteht doch bei der Mehrzahl der Frauen mindestens unter der Schwelle des Bewußtseins der Wunsch nach dem Kinde, die Sehnsucht nach Betätigung des Mutterempfindens, bei der Mehrzahl der Männer der vielleicht nicht so intensive, immerhin aber starke Wunsch nach Erhaltung des Stammes, der Familie. Wenn auch nach der Auffassung des BGB. die Kindererzeugung nicht zum Wesen der Ehe gehört, so entstehen doch durch den Mangel der ehelichen Fruchtbarkeit mannigfache Rechtsbeziehungen. Die Unfruchtbarkeit kann eine ungewollte und eine gewollte sein.
Gewollte Unfruchtbarkeit. Auf Unterlassung des Geschlechtsverkehrs beruhende Unfruchtbarkeit wird später behandelt werden. Sie hat heute bei der vorgeschrittenen Kenntnis von der Verhütung der Konzeption praktisch eina geringe Bedeutung. Sind beide Ehegatten mit der Anwendung von Empfängnis verhütenden Maßnahmen einverstanden, so kann ein Ehegatte, selbst wenn die Anregung zu dieser Art des Eheverkehrs von dem andern ' ausging, in den fraglichen Handlungen keine Verweigerung der ehelichen Beiwohnung erblicken (RG. 30. IX. 15, Recht 15, Nr. 2522 [E 70]). Erfolgt aber die Anwendung der konzeptionsverhindernden Maßnahmen g e g e n den Willen e i n e s Ehegatten, oder erfolgt sie, trotzdem der eine Ehegatte seine jetzt gegen früher geänderte Meinung deutlich kundgetan hat, so ist das Beharren auf diesem ehewidrigen Verkehr ein Verstoß gegen § 1568 (RG. 11. X. 93, IV. 2573 KG. [E 71 ].
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(Vgl. auch Heller: Rechtsbeziehungen des ehel. Geschlechtsverkehrs; Kurt Kabitsch 1924). Zwei Entscheidungen mögen das Gesagte veranschaulichen. (E 72) Es liegt, falls lange Zeit hindurch Praeventivverkehr der Ehegatten stattgefunden hat, nur dann eine schuldhafte Verweigerung der ehelichen Pflichten vor, wenn der Ehegatte (Kläger) nachweist, daß er die nunmehrige Forderung auf o r d n u n g s m ä ß i g e Beiwohnung e r n s t l i c h erhoben und verlangt hat, daß aber die beklagte Ehef r a u d a u e r n d diesen ordnungsmäßigen Beischlaf abgelehnt hat und ihren Willen dahin geäußert hat, lediglich bei dem f r ü h e r e n ordnungswidrigen Beischlaf beharren zu wollen. RG. IV. ZS. 2. V. 1901, J W . 1901, S. 156. [E 73] W i r d festgestellt, daß der regelwidrige Eheverkehr dem Willen beider E h e gatten entsprochen hat, so folgt aus der Weigerung eines Gatten, diesen regelwidrigen Verkehr fortzusetzen, kein Scheidungsanspruch. (RG. IV. ZS. 27. V. 1907, Recht 1907, s . 978, N r . 2325, Soergel 1907, S. 451.) Anders ist die Sachlage, wenn ein Ehegatte aus einem an sich berechtigten Grunde • (Gemütskrankheit der E h e f r a u ) den Coitus interruptus vollzogen hat. Auch hier hat das Gericht den Nachweis gefordert, daß aus der A r t des Verkehrs k e i n e Schädigung der Gesundheit der F r a u sich ergeben hat. (RG. IV. ZS. 8. I I . 1918, Recht 18, S. 58; Lpz. Ztg. 15, 848 [E 7 4 ] ) .
F r e i w i l l i g e T r e n n u n g der
Ehegatten.
Das Getrenntleben der Ehegatten widerspricht, soweit es nicht unter dem Zwang äußerer Verhältnisse erfolgt, dem Wesen der Ehe. Einigen sich die Ehegatten unter Abschluß eines Vertrages über Fragen des Unterhaltes, so entstehen wichtige Rechtsfragen. Solche Einigung erfolgt häufig bei sog. Namens- oder Scheinehen. Ein solcher Vertrag kann zwar bei Ehescheidungsfragen gewertet werden, er macht jedenfalls die Einrede, der eine Ehegatte habe seine Pflichten durch die Trennung verletzt, unmöglich, objektiv aber verstößt er gegen die guten Sitten und ist, soweit Vermögensrechte aus ihm abgeleitet werden sollen, ungültig. Vgl. z. B. (E 75) RG. 5. XI. 17, DJZfg. 18. III. 21, auch RG. 261, S. 63 (RG. 25. V. 05, 29/05). • [E 7 1 ] Ein Ehegatte hatte seiner Gattin als Preis der Trennung eine größere Schenkung gemacht und eine jährliche Rentenzahlung notariell ausgesetzt. Die Klägerin verlangte Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft und erzielte in zweiter Instanz nach Ablehnung der ersten Forderung Scheidung wegen böswilliger Verlassung. Der f ü r schuldig erklärte Ehegatte verlangte Rückzahlung der Schenkung und Aufhebung der Verpflichtung zur Rentenzahlung. Das Reichsgericht erklärte den Vertrag als gegen die guten Sitten verstoßend, lehnte also Rückzahlung der Schenkung, aber ebenso die weitere Verpflichtung zur Rentenzahlung ab mit der Begründung, daß ein derartiger Vertrag das rechtswidrige Getrenntleben erleichtere und danach kein Recht begründen kann (RG. IV 16.11.20, IV 425/19, Gruchot, Bd. 64, S. 611). Die französische Rechtsprechung (Trib. civ. de Nice 7. I I I . 22) erklärt dagegen alle vor der Scheidung getroffenen Abmachungen von Eheleuten auch nach der Scheidung f ü r gültig, so daß Mehrforderungen der Ehegatten ausgeschlossen sind. 1) [E 76 a ] Auch das Schweizer Bd.G. I I . ZS. 18. V. 25, Entsch. Bd. 51 2 , S. 118 entschied, daß es den guten Sitten widerspricht, wenn ein Ehegatte sich die Zustimmung zur Ehescheidung abkaufen läßt. Derartige Verträge sind nichtig.
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[E 7 7 ] Auch das RG. (E ZS,., Bd. 100, S. 137) erkennt Fälle an; in denen est die Rentenzahlung nicht f ü r sittenwidrig erklärt. Eine in der zweiten Hälfte der vierziger J a h r e stehende Frau hatte einen viel jüngeren adeligen Herrn geheiratet. Durch p e r verse Anlagen des Mannes wurde die Ehe zerrüttet, die eheliche Gemeinschaft aufgehoben. Die F r a u verzichtete gegen Zahlung einer Rente auf die Ehescheidung und auf den Versuch, die eheliche Gemeinschaft wieder herzustellen. F ü r die Rente haftet der Mann, der Vater und der Bruder des Mannes nach dem Tode dieses Ehegatten. Da die F r a u ein Recht zur Verweigerung der ehelichen Gemeinschaft hatte, der ärgerniserregende Scheidungsprozeß vermieden werden sollte, so kann in der Zahlung einer standesgemäßen Unierhaltungsrente nichts Sittenwidriges gefunden werden. Wichtig ist auch folgende Entscheidung: Findet der Richter, daß der Kläger (nachdem ein entsprechender, das Getrenntleben der Ehegatten regelnder Vertrag geschlossen ist) das Fernbleiben des andern nicht als Eheverfehlung empfindet, sondern nur eine Scheidung (wegen böslicher Verlassung) auf Grund gegenseitiger Einwilligung angestrebt wird, so ist die Scheidungsklage abzuweisen. Es kann Beweisaufnahme von Amtswegen angeordnet werden. Erscheint Kollusion nicht bewiesen, so ist das Fernbleiben des Beklagten als gegen den Willen der Klägerin anzusehen. KG. 2. VI. 02, Recht 1903, N r . 39 [E 78]-
U n t e r l a s s u n g des e h e l i c h e n Verkehrs. Mangel des W i l l e n s zum G e s c h l e c h t s v e r k e h r . z i c h t der E h e g a t t e n auf den V e r k e h r .
Ver-
Schließen zwei Menschen eine Ehe in der Absicht, auf den Geschlechtsverkehr dauernd zu verzichten, und ist dieser Entschluß nicht durch ganz besondere Verhältnisse (hohes Alter, Krankheit) gerechtfertigt, so liegt meist eine krankhafte seelische Anlage, vielfach auch eine pathologische Suggestibilität vor (Einflüsse der Umgebung usw.). [E 7 4 ] Das Oberlandesgericht Hamburg billigte 12. I I I . i g i 5 die Entscheidung des Landgerichtes Hamburg, daß das vor der Eheschließung getroffene Abkommen der P a r teien über Verzicht auf den Geschlechtsverkehr und Beschränkung auf freundschaftliches Zusammenleben gegen das Wesen der Ehe verstoße und u n v e r b i n d l i c h sei. Es mag Fälle geben, in denen die Ausschließung der ehelichen Gemeinschaft verständlich sei; f ü r die noch jugendlichen Eheleute t r e f f e dieser Ausnahmefall nicht zu. Fordere also der Ehegatte die Aufnahme des ehelichen Verkehrs, so konnte die Beklagte, die in ihrem f r ü h e r e n Scheidungsprozeß bereits über die Ehewidrigkeit der sog. J o s e p h s e h e a u f geklärt sei, aus der vorehelichen Abmachung keine Rechte herleiten.
V e r w e i g e r u n g der e h e l i c h e n P f l i c h t e n und der e h e lichen Gemeinschaft. Die Verweigerung der ehelichen Pflicht, insbesondere der Beiwohnung gegenüber dem zur Erfüllung der ehelichen Pflichten bereiten, stellt, wenn sie d a u e r n d h a r t n ä c k i g und a u s e i g e n s ü c h t i g e n M o t i v e n ( u n b e r e c h t i g t ) erfolgt, einen Verstoß gegen § 1353 und eine Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten (relativer Scheidungsgrund aus § 1568) dar. Ist die Verweigerung der Pflichten berechtigt, so stellt das Verlangen nach Erfüllung einen M i ß b r a u c h des Rechtes aus § 1353 und einen gleich-
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falls relativen Scheidungsgrund dar. Die Judikatur hat d a f ü r gesorgt, daß eine Verweigerung der ehelichen Pflichten f ü r die Ehefrau aus all den Gründen statthaft ist, die man selbst bei weitherzigster Auslegung des Rechtes der Frau anerkennen kann. Man kann daher nicht von einer Erniedrigung der Ehefrau durch das Recht des Mannes, den Beischlaf zu fordern, sprechen. Freilich besteht hier ein gewisser Unterschied. Ein Mann kann den Geschlechtsverkehr schließlich nicht g e g e n seinen eigenen Willen vollziehen, sinnlich muß die Frau — er mag ihr seelisch gegenüberstehen, wie er will — ihn'jedenfalls gereizt haben. Die Frau ist, abgesehen von physiologischen und pathologischen Zuständen, als passiver Teil, stets in der Lage, den Geschlechtsakt zu vollziehen. W a s ist unter V e r w e i g e r u n g der e h e l i c h e n P f l i c h t e n z u v e r s t e h e n ? Verweigerung in einzelnen Fällen, auch im zweimonatlichen Zusammenleben zweier alter Leute (60 J a h r e ) , nur einige Wochen dauernde objektiv unberechtigte, aber unter Zustimmung des andern Gatten erfolgte Verweigerung sind nicht als schwere Eheverfehlungen anzusehen ( E 8 0 ) . Dagegen rechtfertigt persönliche Abneigung 1 ), geistige Überarbeitung und f a l s c h e Vorstellungen von der Schädlichkeit der Beiwohnung nicht die Verweigerung. E i n i g e E n t s c h e i d u n g e n m ö g e n das G e s a g t e Unterläßt
ein E h e m a n n ,
im
vollen
erläutern.
Bewußtsein
der
nachteiligen
Folgen
für
die
G e s u n d h e i t seiner Gattin, m e h r e r e J a h r e lang die eheliche P f l i c h t e r f ü l l u n g , weil er keine N e i g u n g f ü r den Verkehr u n d f ü r die F r a u hat, so gibt er letzterer einen g r u n d . (Rostock 8 . X . 2 6 , O L G . - Z t g . B d . 3 8 , S . 2 5 6 Das näckige der
Reichsgericht
erachtete
eine a u f
rücksichtsloser
B e i s c h l a f s v e r w e i g e r u n g f ü r vorliegend,
ehelichen
bindung
Gemeinschaft)
mit
den
nur
durch
vielfachen
Scheidungs-
[E 81]). Eigensucht
weil der K l ä g e r
Beine g e i s t i g e n
(auf
beruhende
Interessen
Obliegenheiten
seines
in
Ver-
Amtes
davon
abgehalten wurde, den P f l i c h t e n g e g e n seine E h e f r a u gerecht zu werden. Interessen den Interessen der E h e f r a u vorangestellt u n d in bezug a u f
hart-
Wiederherstellung
E r hat seine
die L e i s t u n g
der
ehelichen P f l i c h t e n in den letzten vier Monaten und auch schon f r ü h e r eine solche G l e i c h gültigkeit
an den T a g gelegt, die als Rücksichtslosigkeit
bezeichnet werden m u ß .
Daß
er nicht eine K r ä n k u n g seiner E h e f r a u beabsichtigte und daß sein Verhalten durch seine A n s c h a u u n g über den weit höheren W e r t des geistigen L e b e n s b e e i n f l u ß t w u r d e , schließt die
hartnäckige
Beischlafsverweigerung
nicht
aus.
Durch
diese
Eheverfehlung
ist
die
E h e zerrüttet, obwohl es zu äußeren Z e r w ü r f n i s s e n in der E h e nicht g e k o m m e n ist ( R G . 8 . X . 10, 7 1 5 / 0 9 , I V , N a u m b u r g ) .
D i e P a r t e i e n haben zehn W o c h e n z u s a m m e n g e w o h n t u n d
in demselben Bette z u s a m m e n g e s c h l a f e n . W ä h r e n d dieser Zeit hat der B e k l a g t e nicht ein einzigesmal der K l ä g e r i n beigewohnt. — T r i f f t den M a n n der V o r w u r f , die ehelichen P f l i c h ten zu vernachlässigen, so kann er sich nicht damit entschuldigen, d a ß es an einer A u f f o r d e r u n g seiner F r a u , die meist d u r c h ein natürliches S c h a m g e f ü h l davon zurückgehalten wird, g e m a n g e l t hat. I m vorliegenden F a l l e ist das direkte V e r l a n g e n der F r a u einige M a l e 1) A b w e n d u n g eines Gatten vom anderen und Z u n e i g u n g zu einem dritten ist, soweit es sich u m ein seelisches Erlebnis handelt, kein S c h e i d u n g s g r u n d , sie werden es erst, wenn sie zu H a n d l u n g e n u n d Unterlassungen f ü h r e n .
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abgeschlagen worden. Unfähigkeit zur Beiwohnung liegt beim Mann nicht vor. Seine Erklärung,
er habe seine Frau,
die er nach kurzer Bekanntschaft geheiratet hatte,
kennen lernen wollen, rechtfertigt nicht seine Zurückhaltung.
Der
erst
Scheidungsanspruch
ist begründet, wenn, wie in diesem Fall, die Erfüllung der ehelichen P f l i c h t nicht nur grundlos, sondern auch hartnäckig verweigert wird (RG.
8. X. 08,
1908/IV,
Dresden
[E 8 2 ] ) . Hat ein Ehemann die Ehefrau jahrelang in der Vollziehung der ehelichen Pflicht vernachlässigt, so wird die Eheverfehlung durch die bloße Aufforderung, zu ihm
zu
kommen, nicht aufgehoben. (Der Ehegatte wollte seine frühere Vernachlässigung vor der Scheidungsklage wieder gut machen).
RG. IV. ZS. 8. X. 10, 7 1 5 / 0 9 , Naumburg.
Recht
1909, 4036 [E 8 3 ] ) .
GründezurberechtigtenVerweigerungderehelichen Pflicht. A. V e r w e i g e r u n g s g r ü n d e , d i e i n d e r P e r s o n d e s v e r weigernden Ehegatten liegen. 1. Hohes Alter und Mangel der Libido und Potenz infolge der Greisenhaftigkeit berechtigt zweifellos zur Verweigerung auch des Versuches eines ehelichen Verkehrs. Mindestens ist Verweigerung keina Eheverfehlung (vgl. Entsch. auf S. 73). [E 85j RG. IV. ZS. Recht 1920, Nr. 3393. (E 84) Straßmann
berichtet, daß ein Ehemann gegen seine 71jährige Ehefrau, mit
der er in 43jähriger Ehe zusammengelebt hatte, wegen Beischlafsverweigerung klagte. Die Frau rechtfertigte sich mit schwerem Scheidenvorfall und hochgradiger
Arteriosklerose.
2. (E86). Eine l u n g e n k r a n k e Ehefrau ist berechtigt, die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu verweigern, wenn der Aufenthalt am Wohnorte ihres Mannes für ihren Zustand gefährlich ist (RG. 6. II. 1907, Recht 11, Nr. 1070). Der Lungenkrankheit darf wohl jedes schwere Leiden innerer Organe gleichgesetzt werden. 3. (E87). Das zeitliche Bestreben einer unterleibsleidenden Frau, sich der ihr Schmerzen verursachenden Beischlafvollziehung zu entziehen, kann n i c h t als eine schwere Eheverfehlung angesehen werden, zumal die Ehefrau sich bereit erklärt hat, gelegentlich dem Ehemann zu willen zu sein (RG. VII, 10. I. 1922, 302/21, Celle Recht 1912, S. 200). Ebenso wie Unterleibskrankheiten, die bei der Beiwohnung Schmerzen hervorrufen, sind alle Krankheitszustände zu beurteilen, die beim Akte selbst durch Kongestionen usw. Gefahren mit sich bringen: Lungen- und Magenblutungen, Herzanfälle usw. 4. Aber bereits k ö r p e r l i c h e E r s c h ö p f u n g (durch mangelhafte Ernährung usw. hervorgerufen) rechtfertigt die Verweigerung nicht nur aus Rücksicht auf die eigene Gesundheit, sondern wegen begründeter Besorgnis für die Gesundheit des möglicherweise zu konzipierenden Kindes (OLG. Braunschweig, Z. 5. II. 1909. DJZ., Bd. 8, S. 552 (E 88).
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B. V e r w e i g e r u n g s g r ü n d e , d i e i n d e r P e r s o n d e s n i c h t verweigernden Ehegatten liegen. 1. I m p o t e n z . Eine impotentia coecundi kommt für die Frau nur in Betracht, wenn es sich um mangelhafte Ausbildung der äußeren Geschlechtsteile handelt (Eheanfechtungsgrund für den Ehegatten) oder wenn schon Erkrankungen der äußeren Geschlechtsteile vorliegen (berechtigter Grund zur Verweigerung der Ehepflicht). Dagegen ist die funktionelle Impotenz des Mannes häufig und führt zu wichtigen Rechtsfolgen. Sie ist natürlich ein Grund zur Anfechtung beziehungsweise Scheidung der Ehe (vgl. S. 72 und 113). Es gibt aber auch Ehen, in denen die Frauen trotzdem die Ehe fortführen. (E 89). Die Ehefrau ist nicht verpflichtet, sich zu wiederholten vergeblichen Beischlafsversuchen herzugeben, wenn der Mann sich weigert, einen Arzt zu Rate zu ziehen (RG. IV. ZS. 10. V. 1917, Recht 17, Nr. 1649). ,
Es darf wohl angenommen werden, daß das Reichsgericht ebenso geurteilt hätte, wenn der konsultierte Arzt das Leiden nicht geheilt hätte. Es kann der Ehefrau nicht zugemutet werden, durch die vergeblichen Versuche des Ehegatten, den Beischlaf zu vollziehen, sich in eine ihr schädliche sexuelle Erregung versetzen zu lassen, der die Befriedigung versagt bleibt. Das Reichsgericht hat in einem mir bekannten Fall die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft abgelehnt, weil nach dem Sachverständigengutachten, die aus der ehelichen Gemeinschaft sich ergebenden Aufregungen dem labilen Zustand des Nervensystems der Ehefrau schädlich sein könnten. Die Verweigerung des Verkehrs kann übrigens auch im wohlverstandenen Interesse des anderen (impotenten) Ehegatten liegen. 2. Berechtigt ist auch die Verweigerung der Beiwohnung aus Furcht vor Erzeugung kranker Nachkommenschaft, wenn die fordernde Ehegattin geisteskrank ist. Dasselbe Recht hat natürlich die Ehefrau wenn der Ehemann geisteskrank ist (OLG. Braunschweig, 16. X . 1902, D J Z . 32, S. 552 [ E 9 0 ] ) . 3. Bringt der Verkehr mit dem kranken Ehegatten dem gesunden auch nur die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung, so ist Ablehnung des Geschlechtsverkehrs ja sogar der häuslichen Gemeinschaft berechtigter Selbstschutz. Es kann demnach einer Frau nicht zugemutet werden, mit einem geschlechtskranken Mann in ehelicher Gemeinschaft zu leben (RG. IV. ZS. 4. II. 07, 338/06, J W . 1907, S. 17S [E 91 ]). Die Möglichkeit, sich zu schützen oder das Versprechen des kranken Ehegatten, auf den Geschlechtsverkehr zu verzichten, reichen nicht aus, um einem gesunden Ehegatten die häusliche oder gar eheliche Gemeinschaft mit dem geschlechtskranken aufzuzwingen. Das Hamburger OLG. (Hamb. Landg.-Ztg. 1902, Beiblatt) sprach sich gegen diesen Zwang aus, da die Krankheit gerechtfertigte Empfindun-
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gen des Ekels erregt (E92). Selbstverständlich kann es sich nur um Fälle handeln, in denen die Geschlechtskrankheit noch als bestehend und nicht als relativ geheilt anzusehen ist. (Ich werde auf diese Fragen bei Besprechung der Geschlechtskrankheiten als Ehelösungsgrund zurückkommen und auf den Wandel der Ansichten der Judikatur hinzuweisen haben). Andere durch den ehelichen Verkehr beziehungsweise durch direkte körperliche Berührung übertragbare Krankheiten (Pyodermien, Hauttuberkulosen, allgemeine Infektionen wie Influenza) rechtfertigen die Verweigerung der ehelichen Pflicht, mindestens während der Dauer dieser Infektiosität. Eine Aufzählung aller in Frage kommenden Krankheiten erübrigt sich; nur der Sachverständige kann im Einzelfall den Grad der Gefährdung abschätzen und dementsprechend ein Urteil abgeben. 4. Trunksucht, die sich in Anfällen akuter Alkoholvergiftung äußert, sowie Gebrauch der übrigen Rauschgifte (Morphium, Kokain, Haschisch, Opiumrauch u. a.) berechtigen den abstinenten Ehegatten zur Verweigerung der ehelichen Pflicht mindestens während der Zeit der Intoxikation. Es ist eine vielfach angeführte, wenn auch nicht sicher bewiesene Tatsache, daß im Piausch gezeugte Kinder minderwertig sind. Dazu kommt, daß auch der von dem berauschten Ehegatten vorgenommene Geschlechtsverkehr dem nüchternen gesundheitlichen Schaden bringen kann (Gewaltanwendung usw.). Endlich stehen in diesem Falle dem verweigernden Gatten auch ethische und ästhetische Ablehnungsgründe zur Seite. (Auf die Frage der Rauschgifte wird im Kapitel Ehelösung eingegangen werden, vgl. S.93). Die eheliche Gemeinschaft kann auch ohne häusliche Geraeinschaft (RG. 95, 330) wie umgekehrt letztere ohne erstere bestehen. Ein Ehegatte kann aber die Herstellung der bloß häuslichen Gemeinschaft nicht verlangen, wenn der andere Ehegatte die eheliche Gemeinschaft wegen Geschlechtskrankheit des klagenden Ehegatten mit Recht verweigert. RG., JW. 65, 7 2 2 u 07, S. 178 05 , 4 8 2 [E93].
5. Auch negative Charaktereigenschaften des einen Ehegatten berechtigen den anderen zur Verweigerung der ehelichen Pflicht. a) Unsauberkeit. Eine Frau, die es trotz nachdrücklicher Ermahnung ihres Ehemannes unterläßt, ihren Körper und besonders ihre Geschlechtsteile durch Waschen oder Baden zu säubern, trotzdem ihr die Möglichkeit dazu geboten ist, gibt einen Grund zur Ehescheidung. RG. Recht 1920, Nr. 2872 und berechtigt damit den Mann, auch zur Verweigerung der ehelichen Pflichten [E94]. b) Liebloses und ehewidriges Verhallen der Ehemänner. RG. IV. ZS. 2. III. 1911, 225/19, Recht 1905, Nr. 327 [E96]. c) Mißhandlungen und Verlangen nach der Beiwohnung, n u r um einen Grund zur Ehescheidung aus der Welt zu schaffen. RG. V. ZS. 24. X. 1912, Warneyer Rechtspr. 1913, Nr. 60 und 59, RG. 18. XI. 1912 [E 96]. d) Ehebruch. Einem Ehegatten ist der eheliche Verkehr nicht zuzumuten, wenn der andere Ehegatte Ehebruch getrieben hat, der unschuldige aber aus irgend welchen Gründen trotz der Verfehlung des fordernden Ehegatten in der häuslichen Gemeinschaft
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bleibt. RG. IV. ZS. 28. I I I . 1912, 161/1911, RG. Reeht 1912, Nr. 2952, Soergel 1912, S. 315. Der ehebrechende Ehegatte darf von dem anderen den Verkehr nicht verlangen, wenn letzterer den erfolgten Ehebruch nicht k e n n t , wohl aber a h n t : „Das Ansinnen der heimlichen Ehebrecherin an ihren Gatten, ihr seine Liebe zu beweisen, ist unsittlich; die Ablehnung unsittlicher Anträge ist objektiv keine Pflichtverletzung, mögen ihre subjektiven Gründe auch sein, welche sie wollen. KG. 11, ZG. 2 1 - X I I . 1911 [E 9 7 — 9 8 ] .
Die w ä h r e n d des Eheprozesses fortgesetzte Verweigerung der ehelichen Pflichten enthält nicht notwendig eine schwere Verletzung der Ehepflichten, weil das Verweigern davon ausgehen dürfte, daß der andere Teil von ihm als dem Prozeßgegner die Erfüllung der ehelichen Pflicht nicht verlangt (OLG. Dresden 2. II. 1901, Warneyer ZS. 172, 11c. [E 99]). Andrerseits darf diese Verweigerung nicht unbegrenzt dauern und auch nach Herstellung der häuslichen Gemeinschaft nicht weiter durchgeführt werden. Die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs bei Fortführung der häuslichen Gemeinschaft kann einen Ehescheidungsgrund aus § 1568 abgeben. Eine Klage auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft kann dem Kläger mangels Vollstrecjkbarkeit nichts nützen, da § 1567 nur von häuslicher Gemeinschaft spricht. Der Umstand, daß der Kläger f r ü h e r die Ehe gebrochen hat, m u ß ihn veranlassen, der Verfehlung der Beklagten mit Nachsicht zu begegnen, auch wenn der Ehebruch verziehen war. Eine Verweigerung der ehelichen Pflicht aber seit l 1 ^ Jahren ist ein Grund, dem Kläger nicht zuzumuten, die Ehe noch weiter fortzusetzen. OLG. Hamburg IV. ZS. 2. V. 21. OLG. 569, 1925 [E 100].
Diese Entscheidung (ElOO) trifft auch nach ärztlichem Urteil das Richtige. Bleibt eine Frau trotz Ehebruchs des Mannes und trotz ihrer eigenen infolge des Ehebruchs erfolgten venerischen Infektion aus an sich anerkennenswerten Gründen (Erziehung der gemeinsamen Kinder) in der Ehe, so kann sie von dem Ehegatten, mit dem sie das Schlafzimmer teilt, nicht dauernden Verzicht auf den Geschlechtsverkehr verlangen, selbst wenn der Mann in der ersten Zerknirschung über seine eigene Verfehlung eine Zusage gemacht hat. Die dauernde zwangsweise Abstinenz kann für den Mann eine schwere Gesundheitsrschädigung bedeuten bzw. ihn zu einem neuen Ehebruch veranlassen. Das folgende Urteil des LG. Dessau (IV. ZK. 4 R. 195/24, Archiv f . Rechtspflege in Sachsen 1925 [E 91a]) erscheint daher sehr bedenklich. Der Kläger hatte 1919 seine 1913 geheiratete Ehefrau, nachdem er selbst durch Ehebruch infiziert war, geschlechtlich angesteckt. Seitdem verweigerte die E h e f r a u den Verkehr; sie wollte mit dem Kläger nur bis zur Konfirmation der Kinder zusammenbleiben, ihm die Wirtschaft f ü h r e n , aber nicht eheliche Gemeinschaft (trotz Schlafens im gleichen Zimmer) haben. Das L G . D e s s a u lehnte die Scheidungsklage des E h e mannes wegen jährelanger Verweigerung der ehelichen Pflichten ab: „Da einer F r a u , die während der Ehe von ihrem Mann infolge dessen ehebrecherischen Verkehrs angesteckt ist, niemals zugemutet werden kann, die häusliche oder gar eheliche Gemein-
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schaft aufrecht zu erhalten, so m u ß sie auch berechtigt sein ihm den Geschlechtsverkehr zu verweigern, zumal dieser nur eine Tat der Lebensgemeinschaft bildet. Die Beklagte habe die Zerrüttung der Ehe n i c h t verschuldet oder vertieft, sie habe sogar ihr Recht zur Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nicht ausgeübt. Der Kläger habe sich jahrelang damit zufrieden gegeben, daß die Beklagte nur Wirtschafterin und E r zieherin der Kinder war.
6. Berechtigt ist die Verweigerung der ehelichen Pflicht auch •dann, wenn der Fordernde dem Verweigernden unsittliche oder gar strafbare Zumutungen stellt: Die Ehefrau ist zur Verweigerung der ehelichen Pflicht berechtigt, wenn der Ehemann Handlungen vornimmt oder Zumutungen stellt, die nach richterlichem Ermessen geeignet sind, das Sittlichkeits- und Anstandsgefühl oder die weibliche Ehre einer ehrbaren Frau zu verletzen. RG. IV. ZS. 11. I I I . 1907. Soergel 1907, S. 456 [E 101]. Das RG. erklärte V. ZS. 21. I I I . 1921, 536/10, Recht 1921 es f ü r einen Mißbrauch der Stellung des Klägers als Ehemann, wenn er von seiner Ehefrau die Duldung des Beischlafs fordere, nachdem er ihr angesonnen hatte, zur Verhütung weiterer Geburten Abtreibungsversuche zu machen. Wollen beide Teile dem Kindersegen vorbeugen und können sie sich über die Wahl des Mittels nicht einigen, so verstößt das Verhalten des Ehegatten weit mehr gegen das Wesen der Ehe, als das der Ehefrau [E 102].
7. Religiöse Bedenken können eventuell die Frage akut machen* ob ein Ehegatte zur Verweigerung der ehelichen Pflichten berechtigt ist 1 ). [E 103] Ein katholischer Ehemann war von seiner Ehefrau schuldhaft geschieden und hatte sich bei deren Lebzeiten wieder mit einer Katholikin verheiratet. Aus dieser Ehe waren vier Kinder hervorgegangen. Jetzt verweigerte die F r a u (wohl infolge geistlicher Einwirkung) die E r f ü l l u n g der ehelichen Pflichten aus „religiösen Bedenken", weil sie den Wiedereintritt in die katholische Glaubensgemeinschaft nach ihrer, wegen ihrer Ehe, erfolgten Exkommunikation erreichen wollte. Bei der Entscheidung über die Frage, ob dem Mann nach § 1568 das Scheidungsrecht zustehe, kommt es darauf a n , ob das Gericht einen Vorrang der kirchlichen vor den bürgerlich-rechtlichen Pflichten anerkennt. Das Oberlandesgericht wollte es einer Ehegattin nicht als Verschulden angerechnet wissen, wenn sie sich, um die Zugehörigkeit zu ihrem Glauben wieder zu e r langen, dem Gebot ihrer Kirche f ü g t . Das RG. entschied, daß auch bei einem solchen Gewissenskonflikt das Bewußtsein der Ehewidrigkeit im Sinne des S 1568 vorliegen könne» Der Irrtum der Frau, die religiösen Gebote gingen den bürgerlichen vor, entschuldigt sie nicht. Es m u ß hinzukommen, daß der Irrtum entschuldbar ist. Es kommt z. B. wesentlich darauf an, ob die Frau bei Eingehung der Ehe die obwaltenden Verhältnisse kannte und mit der jetzigen Gestaltung der Dinge rechnen mußte. Die Sache wurde zurückgewiesen, um die Frage zu klären, wie sich die Frau bei einer vor Einleitung des jetzigen Scheidungsprozesses erfolgten Aussöhnung verhalten hat (RG.-Referat in Ztsch. f . Sexualforschung. April 1924).
C. D i e P f l i c h t d e r E h e g a t t e n z u r B e h e b u n g d e r a n s i c h b e r e c h t i g t e G r ü n d e zur V e r w e i g e r u n g der E h e pflichten darstellenden Übelstände ist durch das Wesen der Ehe gegeben. Das RG. spricht IV. ZS. XII. 03, JW. 1904, S. 49) z.B. die Verpflichtung der Ehefrau aus, sich in !) Der Roman Paul Bourgets: Problem.
Un divorce, 1904 geschrieben, behandelt das gleiche
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eine Nervenheilanstalt zur Herstellung ihrer Gesundheit zu begeben (E104). Wiederholt ist entschieden worden, daß Ehegatten die Verpflichtung haben, ihre die eheliche Gemeinschaft hindernden Krankheiten (Scheidenverengerung, Yaginismus, Impotenz) behandeln zu lassen. Verweigerung der Behandlung oder Ablehnung ungefährlicher Operationen stellen relative Scheidungsgründe dar. Rechtsanwalt Dr. Traumann hält es allerdings f ü r zweifelhaft, ob ein Gericht eine Operation, selbst wenn sie objektiv ungefährlich ist, erzwingen würde. D. B e r e c h t i g t e V e r w e i g e r u n g d e r H e r s t e l l u n g häuslichen Gemeinschaft.
der
Da die Wiederherstellung der h ä u s l i c h e n Gemeinschaft (S 1567), zu der ein Ehegatte verurteilt werden kann, in der Regel zur Herstellung der e h e l i c h e n Gemeinschaft führt, in jedem Falle aber auf das Gemüts- und Sexualleben der Ehegatten einen auch gesundheitlich zu wertenden Einfluß hat, so muß die berechtigte Verweigerung, die ja auch in der Regel eine Verweigerung der ehelichen Pflichten darstellt, hier kurz behandelt werden. Berechtigt ist die Verweigerung der Herstellung der häuslichen Gemeinschaft: 1. wenn das Verhalten des Ehemannes die Annahme rechtfertigt, daß er Drohungen mit körperlichen Mißhandlungen wahr machen werde (RG. l l . V . 08, IV, 487/10), 2. wenn die von dem Ehemann getrennt lebende Ehefrau inzwischen an feiner ernsten Krankheit erkrankt ist, auf die das Eheleben ungünstig einwirken würde (RG. IV, 5. VI. 08, 587/07), 3. wenn der Ehemann der Ehefrau grundlos Ehebruch vorwirft, weil nicht jede Zurücknahme eines Vorwurfes genügt, um eine Ehefrau zur Wiederherstellung des ehelichen Lebens zu verpflichten (Stuttgart 1. XII. 1914, 466/14, Recht 1915, Nr. 1813), 4. wenn der Frau keine Gewähr gegeben ist, daß die Frauensperson, die nach Überzeugung der Ehefrau ehebrecherischen oder ehewidrigen Verkehr mit ihrem Manne unterhalten hat, wirklich das Haus verlassen werde (RG. IV. ZS. 28. XI. 21, 297/21, Recht 22, Nr. 616 [E 105—108]). Andrerseits kann es auch vorkommen, daß ein Ehegatte zwar in die e h e l i c h e , nicht aber in die h ä u s l i c h e Gemeinschaft willigt. RG. IV. ZS. 23. VI. 10, IV, 433/6, Posener Zeitschrift entschied, daß es einer wegen des ehewidrigen Verhaltens des Ehemannes von ihm getrennt lebenden Ehefrau, nicht zuzumuten sei, dem Ehegatten nach Havanna in die häusliche Gemeinschaft zu folgen. § 1354, Bestimmung des ehelichen Wohnsitzes durch den Mann, sei nicht anwendbar. Die häusliche Gemeinschaft sei der Frau nicht, die eheliche sehr wohl zuzumuten, z. B. wenn der Ehemann sich in Deutschland aufhält [ E l 0 9 ] .
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E. F o l g e n d e r V e r w e i g e r u n g d e r e h e l i c h e n P f l i c h ten f ü r den den G e s c h l e c h t s v e r k e h r fordernden Ehegatten. J e weiter die ärztliche Wissenschaft und auf sie fußend die Judikatur die Grenzen der berechtigten Verweigerung des ehelichen Verkehrs f ü r jeden Ehegatten zieht, u m so mehr ist auch das Recht des tatsächlich vom Geschlechtsverkehr ausgeschlossenen Ehegatten zu berücksichtigen. E s muß betont werden, daß auf keinem Gebiet des Eherechtes eine so wenig befriedigende Lösung gefunden ist, wie auf diesem f ü r die Gesundheit des Sexuallebens so wichtigen. Mit der rechtsformalen Einstellung der Judikatur, die die geschlechtliche Betätigung eines Menschen etwa wie einen Opernbesuch betrachtet, den man eventuell bei etwas Selbstbeherrschung unterlassen kann, ist die tief das Seelenleben, die Tatkraft und Gesundheit eines Menschen berührende F r a g e nicht abgetan. Folgende Entscheidungen sind charakteristisch. (E 110) Eine Ehefrau hatte aus persönlicher Entfremdung und Abneigung dem Ehemann die Beiwohnung versagt und damit gegen den S 1353 B G B . schuldhaft verstoßen. Die Widerklage stützte sich auf Ehebruch des Ehemannes. Das L G . Berlin I entschied: Es mag menschlich begreiflich sein, daß ein Ehemann, dem gegenüber sich die Frau hartnäckig versagt, sich anderweitig betätigt. Es mag auch dem Kläger geglaubt werden, daß er durch ständige Entbehrung des geschlechtlichen Verkehrs Beschwerden hatte. Das gibt ihm aber kein Recht, sich geschlechtlich anderweitig zu betätigen. Will er das tun, so hat er vorher das Scheidungsverfahren einzuleiten und sich bis zur rechtskräftigen Scheidung seiner Ehe beschränken müssen. Auch diejenige Ehefrau, die ihrem Ehemann sich versagt, hat doch immer noch, solange die Ehe besteht, einen Anspruch auf eheliche Treue. L G . Berlin I. ZS. 17, 2 8 . 1 . 2 1 ) . (E 111) RG. (IV. ZS. 1907, 15/07, J W . 1907, S. 675) betont ausdrücklich, daß, solange das Band der Ehe nicht gelöst ist, die durch die Ehe begründeten Pflichten fortbestehen. Der Ehebruch des Ehemannes und die Erhebung der Ehescheidungsklage berechtigen die Ehefrau nicht, durch ehebrechenden Verkehr ihrerseits oder durch ehewidriges Verhalten die bereits vorhandene Zerrüttung zu vertiefen und zu befestigen. In einem 3. Urteil sagt das RG. (Bd. 43, S. 345, OLG. Bd. 7, S. 103) ausdrücklich, daß aus der Verweigerung der ehelichen Pflicht vonseiten der Ehefrau eine Zustimmung zum Ehebruch nicht gefolgert werden kann. Selbst wenn die Frau den Scheidungsprozeß möglichst in die Länge zieht, um den Mann zum Ehebruch zu veranlassen, bleibt die formale Auffassupg gerechtfertigt [E 112]. Ein ähnlicher Fall ist mir persönlich bekannt. Hier war der angeblich nervösen Ehefrau die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gestattet und die Klage des Mannes auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft abgewiesen worden, weil die ärztlichen Gutachter diese Wiederherstellung der Gesundheit f ü r abträglich erklärten. Der Ehemann wurde dauernd von Detektiven überwacht, um einen eventuellen Ehebruch festzustellen. Er hat durch die jahrelang erzwungene Abstinenz schwer gelitten. Man vergesse nicht, daß ein Ehebruch, abgesehen Von den zivilrechtlichen Folgen, eine strafbare, auf Antrag zu verfolgende Handlung ist, die dem Täter, wenn er in amtlicher Stellung ist, seine Laufbahn kosten kann. : H e l l e r , Eherecht
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Traumann zitiert (Handbuch der Sexualforschung) von M a x M a r c u s e schließlich folgenden Fall [E 113]: Eine Frau hatte den Mann bereits am Tage der Eheschließung verlassen. Die Klage des Mannes auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft hatte in allen drei Rechtsinstanzen Erfolg. Als der Mann ein Jahr nach der Rechtskraft des Herstellungsurteils Scheidung wegen böswilliger Verlassung begehrte und in der I. Instanz durchgedrungen war, behauptete die Frau in der Berufungsinstanz, daß der Mann neuerdings Ehebruch getrieben hätte. Das Gericht nahm an, daß wegen dieses Ehebruchs die Frau zur Verweigerung der Herstellung der ehelichen Gemeinschaft berechtigt sei, schied auf Widerklage der Frau die Ehe wegen dieses Ehebruchs und erklärte den Mann für allein schuldig. Das Reichsgericht erklärte beide Gatten für schuldig, weil es den Tatbestand der böswilligen Verlassung und der Eheverfehlung aus S 1568 seitens der Frau für vorliegend erachtete.
Das RG. 2. II. 20, Blatt 20, Nr. 3138, sagt mit kühler Sachlichkeit: (E114) Möglich1 ist ein Zustand, in dem einerseits die Scheidungsklage ausgeschlossen ist, andrerseits die Herstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht gefordert werden kann. Aber selbst wenn letztere Forderung gestellt werden kann, sind die Schwierigkeiten nicht behoben. Mit der Klage auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft kann auch das Recht auf Erfüllung der ehelichen Pflicht geltend gemacht werden. Aber die Erhebung eines solchen Klageanspruches würde den Kläger der Erfüllung seines Rechtes nicht näher bringen; nur die R e c h t s w i d r i g k e i t würde dem grundlos reizenden Ehegatten zu Gemüte geführt. •• (Traumann 1. c.)
Die Lösung des Problems f ü r den M a n n ist nicht allzu schwierig. Würde der nicht eheliche Geschlechtsverkehr des Mannes bei berechtigter Verweigerung der Ehepflicht von Seiten der Frau oder nach böslicher Verlassung des Mannes durch die Frau von einem bestimmten Zeitpunkte an, etwa 1/2 Jahr, nach vergeblicher Aufforderung zur Wiederherstellung des ehelichen Lebens nicht als Ehebruch angesehen — Einzelheiten müssen der Rechtsprechung überlassen bleiben —, so wären viele Männer von einem peinlichen Konflikt der Pflicht und der Forderung des Körpers befreit. Für die Frau liegt das Problem schwieriger. Es muß der Zukunft überlassen werden, hier einen Ausweg zu finden. Es darf aber gesagt werden, daß die Feinfühligkeit der Männer auf diesem Gebiet sicher eine erhebliche Wandlung durchgemacht hat. Ehebrüche werden ebenso wie voreheliche Beziehungen der Frauen oft ohne Schwierigkeit verziehen. Ebenso wird über außereheliche Betätigung der Frauen während der durch Ehekonflikte hervorgerufenen Trennung leicht fortgegangen. Man mag diese auf reicher Erfahrung beruhende Tatsache bedauern, man muß sie aber feststellen. Es fragt sich, ob die Judikatur nicht auch auf diesen Gebieten zweckmäßig der Änderung der Volksauffassung Rechnung trägt. Man darf der Rechtsprechung nicht nachsagen, daß sie den Armen schuldig werden läßt, um ihn dann der Pein zu überlassen.,
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P f l i c h t e n der E h e g a t t e n zur V e r s c h w i e g e n h e i t I n t i m i t ä t e n des e h e l i c h e n V e r k e h r s .
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Selbst wenn die Verweigerung der ehelichen Pflichten unberechtigt ist, darf der geschädigte Ehegatte diese Intimität des Ehelebens nicht ohne weiteres propagieren. Eine die Heranziehung des § 1568 rechtfertigende Schamlosigkeit wurde darin erblickt, daß der Ehemann sich dritten Personen gegenüber dahin äußerte, daß „seine Frau ihn nicht heranlasse, er müsse sich eine von der Straße holen" [E 115]. (Soergel 1908, S. 386/41. Vgl. auch S.35, Verletzung der Sexualehre). Ungewollte Unfruchtbarkeit Die auf körperliche oder seelische angeborene Anomalien oder Krankheiten zurückzuführende Unfruchtbarkeit des ehelichen Verkehrs trotz des ausgesprochenen und betätigten Willens der Ehegatten zur Fruchtbarkeit hat f ü r das Eheleben ganz verschiedene Folgen, je nachdem es sich um I m p o t e n t i a g e n e r a n d i , um Zeugungsunfähigkeit oder um I m p o t e n t i a c o e u n d i , um Beiwohnungsunfähigkeit, handelt. Mindestens 10o/o aller Ehen sind und bleiben steril; ein nicht kleiner Teil von ihnen kann als Musterehen angesehen werden, weil Störungen, Konflikte, wirtschaftliche Schwierigkeiten, die die Kindererzeugung und -aufzucht mit sich bringt, fehlen. Die Mutterempfindung konzentriert sich bei diesen Frauen auf den Mann, die Pflichtempfindung zur Fürsorge beim Manne auf die Frau; in anderen Ehen wirkt das Fehlen der Nachkommenschaft wie ein ungestilltes Sehnen zersetzend auf das Glück der Ehe. Die Beiwohnungsunfähigkeit dagegen ist ein Übel, dem nur wenige Ehen standhalten. Nur wenn geistig ungewöhnlich hochstehende Menschen es über sich gewinnen, ihre Sexualität zu sublimieren (ästhetisch, künstlerisch, wissenschaftlich) ist ein Fortbestehen der Ehe möglich. Tritt durch die ungewollte Unfruchtbarkeit Zerrüttung der Ehe ein, so kann nur Lösung der Ehe (durch Anfechtung oder Scheidung vgl. später) in Frage kommen. Bevor aber an dies letzte Mittel gedacht wird, sollte die Frage beantwortet werden, ob die Impotenz des einen Ehegatten eine dauernde und unheilbare, temporär heilbare, absolute oder relative ist. Die Impotenz ist häufiger, als bekannt, beim Manne eine temporäre und relative 1 ). Mangelndes Entgegenkommen der Frau, Gleichgültigkeit, offen gezeigte Abneigung wirken lähmend auf die Sexualität des Mannes; sind l) Vor einer Reihe von Jahren machte ein Kriminalfall Aufsehen. Ein Offizier war den meisten Frauen gegenüber impotent, er knüpfte ein Liebesverhältnis mit der Frau eines Rittergutsbesitzers an; ihr gegenüber war er potent, geriet in sexuelle Hörigkeit und erschoß aus dem Hinterhalt den Gatten seiner Geliebten auf deren Veranlassung.
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erst Beischlafsversuche resultatlos verlaufen, so wirkt oft die Vorstellung von der eignen Impotenz als weiteres psychisches Behinderungsmoment. Der ärztlichen Therapie eröffnet sich ein großes Betätigungsfeld ; rechtlich ist zu verlangen, daß die Frau ihre Mitwirkung beim Geschlechtsakt nicht versagt. Die eheliche Pflicht ist eine a k t i v e L e i s t u n g , kein p a s s i v e s D u l d e n . Die Versagung dieser Leistung ist als eine ehewidrige Handlung nach § 1568 aufzufassen. Die Frigidität, d. h. die Empfindungslosigkeit der Frau beim Geschlechtsakt selbst ist sicher keine Eheanfechtung aus § 1333 rechtfertigende persönliche Eigenschaft; die Institution der Ehe aber fordert, daß die Frau sich bemüht, trotz des Fehlens eigener E m p f i n dungen die von ihr geforderte aktive Beteiligung zu gewährleisten. Bei auch objektiv betätigter Frigidität der Frau kann die relative Impotenz des Mannes kein Eheanfechtungsgrund sein. Wieder zeigt sich auf diesem Gebiet die Wichtigkeit des Verschuldensprinzips bei der Eheauflösung. Zu den ehelichen Pflichten der Gatten gehört es auch, alles zu tun, um die dem Geschlechtsverkehr sich entgegenstellenden Hindernisse zu beseitigen. Soweit ärztliche Allgemeinbehandlung bei funktioneller Impotenz des Mannes und Frigidität der Frau aussichtsvoll erscheint, wird sie durchgeführt werden müssen. Leichte und gefahrlose Operationen (Excision der Hymenreste, Durchschneidung von störenden Narbenresten in der Scheide) dürfen gefordert werden. Anders liegen die Dinge bei größeren Operationen, wie Herstellung einer gebrauchsfähigen Scheide durch plastische Operation aus dem Mastdarm oder Beseitigung einer völligen Hypospadie !). Die Ablehnung dieser nicht gefahrlosen und schließlich auch im E r f o l g nicht sicheren Operationen kann von dem deformierten Ehegatten kaum gefordert werden. Erwähnt sei, daß Haberda einen Fall begutachtet, in dem die Scheide aus dem Mastdarm gebildet war. Das Gericht hat in dieser Anomalie, da der Geschlechtsverkehr normal vollzogen werden konnte, keinen Grund zur Anfechtung der Ehe gesehen (vgl. Eheanfechtung und Ehescheidung wegen Impotentia cöeundi S. 72 und 111).
Rechtliche Folgen des ehelichen Verkehrs. Schwängerung. Die Schwängerung löst eine große Anzahl verschiedener Bechtsbeziehungen aus, die durch die Kapitelüberschriften des B G B . Verwandtschaft, eheliche Abstammung, Unterhaltspflicht, rechtliche Stellung des ehelichen Kindes, elterliche Gewalt, rechtliche Stellung des ! ) Hypospadie = angeborene Spaltung des Gliedes.
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Kindes aus nichtigen Ehen, Vormundschaft über Minderjährige, Erbrecht, Erbfolge bezeichnet werden, und die §§ 1583—2585 des B G B . umfassen. Nur wenige Rechtsbeziehungen können hier erwähnt werden. (Über vorgetäuschte Schwangerschaft vgl. Nachtrag III, S. 135.) 1. Von der größten Wichtigkeit für die hygienisch einwandfreie Entwicklung der Frucht ist die U n t e r h a l t s p f l i c h t des Ehemanns gegenüber der Ehefrau und dem ungeborenen Kinde (§§ 1601 f f . ) . Aus ihr folgt, daß alle Aufwendungen, die ärztlich erforderlich und wirtschaftlich möglich sind, gemacht werden müssen (Pflege der Mutter, prophylaktische Behandlung der Mutter im Interesse der Frucht usw.). 2. U n t e r b r e c h u n g d e r S c h w a n g e r s c h a f t . Eine ausführliche Besprechung der Frage der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft kommt hier nicht in Betracht. Schwangerschaftsunterbrechungen sind nach dem geltenden Gesetz, StGB. §§218—222, mit Zuchthausstrafe geahndete Delikte. Die Strafbarkeit wird auch im Entwurf zum neuen Strafgesetzbuch beibehalten, das Strafmaß für die Schwangere herabgesetzt. Während noch heute die Unterbrechung der Schwangerschaft bei dringender Gefahr für das Leben der Matter eigentlich nur durch eine stillschweigende Übereinkunft aller gesetzlichen Instanzen straflos ist, soll im neuen StGB, die ganze Materie durch den § 228 Absatz 1 geregelt werden. „Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft durch einen Arzt bleibt straffrei, wenn sie beim Vorliegen einer auf andere Weise nicht abwendbaren Lebensgefahr oder schweren Gesundheitsschädigung wird." der Mutter nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen Die Unterbrechung der Schwangerschaft erfolgt also aus einem N o t s t a n d heraus. Eine Einwilligung zu diesem Akt von Seiten des Ehemanns dürfte kaum erforderlich sein; Verweigerung der Einwilligung wäre wirkungslos und könnte höchstens eine ehewidrige Handlung darstellen. Anders lägen die Dinge, wenn die Unterbrechung der Schwangerschaft auch aus eugenischen oder wirtschaftlichen Gründen möglich wäre. Zweifellos würden sich schwere Ehekonflikte ergeben. Freilich ist es auch wahrscheinlich, daß trotz der prägnanten Fassung des Gesetzes auch aus der medizinischen Indikation zum künstlichen Abort, sich eheliche Differenzen ergeben werden. Die Frage, ob wirklich eine „auf andere Weise nicht abwendbare Lebensgefahr vorliegt", wird im konkreten Fall verschieden von den sachverständigen Ärzten beantwortet werden. Ein Mann, der sich glühend ein Kind wünscht, wird vielleicht nicht ohne weiteres mit dem Votum des abortbereiten Arztes seiner Frau einverstanden sein, und auf Befragung anderer Ärzte dringen. Schließlich aber wird niemand seiner Frau
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zumuten dürfen, die Unrichtigkeit der ärztlichen Prognose durch Gefahr f ü r ihr eigenes Leben und ihre eigene Gesundheit zu beweisen. 3. E h e l i c h k e i t d e s K i n d e s . Nach § 1591 ist das Kind ehelich, das nach Eingehung der Ehe geboren wird, wenn die Frau es vor oder während der Ehe empfangen und der Mann innerhalb der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat x ). Das Kind ist nicht ehelich, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Frau das Kind von dem Manne empfangen habe. Unter Beiwohnung wird man jede Art von naturgemäßer Annäherung zu verstehen haben, auch in Fällen von geringer oder nicht ausreichender Potenz ist Schwangerschaft möglich (z. B. Ejaculatio praecox, angeblich Coitus reservatus oder condomatus usw.). Die Angaben der Beteiligten sind mit Vorsicht zu verwerten. (Vgl. auch Nachtrag IV S. 135 über Anerkennung der Ehelichkeit.) Ehelich ist zweifellos auch das Kind, das von einer Ehefrau vermittelst künstlicher Befruchtung mit dem Sperma des Ehemanns empfangen ist, wenn der Mann das Sperma zu diesem Zwecke geliefert hat. Ob das Sperma durch Coitus condomatus, durch Onanie, durch IIodenpunktion gewonnen ist, dürfte bedeutungslos sein. Wie liegen aber die Dinge, wenn durch wesentliche Verbesserung der Technik der künstlichen Befruchtung es später einmal gelingen sollte, künstliche Befruchtungen mit dem Sperma eines Mannes vorzunehmen, ohne daß er zu dieser Verwendung seines Körperproduktes seine Einwilligung gibt? Berücksichtigt man die Fortschritte, die man bei der Konservierung und Züchtung lebender Körperteile bereits gemacht hat und die Ergebnisse der künstlichen Befruchtung in der Tierwelt, so erscheint die Lösung des hier angeschnittenen Problems durchaus möglich. Diese Frage wurde in einer Entscheidung des RG. vom 4. VI. 08, IV. ZS. 493/07, Warneyer Ergänzungsband 1908 [E 117] angeschnitten. Der Ehemann hatte jede Beiwohnung seiner Frau während dar Empfängniszeit in Abrede gestellt, die Ehefrau wollte ohne Wissen ihres Mannes, dessen bei einer Pollution entleerten Sperma vermittelst einer Kerze sich in die Scheide eingeführt haben; sie wollte durch das zu erwartende Kind ihr eheliches Verhältnis zu ihrem Manne bessern. Das Reichsgericht hat die Sache an das Berufungsgericht zurückge!) Wie schwierig die Sache liegen kann, zeigt die Entscheidung, die über die Stillprämie, Wochen- und Stillunterstützung einer Kriegersfrau gefällt wurde, die ihr Kind sicher im Ehebruch gezeugt hatte. Der Frau wurden alle aus der Geburt eines ehelichen Kindes sich ergebenden Rechte so lange gewahrt, bis der Mann erfolgreich die Ehelichkeit des Kindes bestritten hatte und die Anfechtungsklage über die Ehelichkeit des Kindes durchgedrungen war [E 116].
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wiesen, um die Möglichkeit einer derartigen Befruchtungsart zu prüfen, sich über die Ehelichkeit eines solchen Kindes nicht geäußert. Obwohl hervorragende Juristen (Kipp, Traumann) die Ehelichkeit bejahen, wäre de lege ferenda zu erwägen, ob nicht der Begriff ,;leibliches Kind" einzuführen und dem Begriff „eheliches Kind" gegenüberzustellen ist. Zum Begriff der Ehelichkeit gehört doch eine b e w u ß t e Mitwirkung des Vaters (BGB. §1597), die doch auch im Bauschzustand erhalten bleibt, weil ja bei v ö l l i g e r Alkoholintoxikation oder gar im Zustande der Bewußtlosigkeit eine Kohabitation des Mannes unmöglich ist. Ebensowenig, wie ein Tuberkulöser f ü r die Folgen haftet, die durch widerrechtliche Verwendung seines bazillenhaltigen Sputums entstehen, ebensowenig kann ein Mann oder ein Ehemann f ü r die Folgen haften, die aus widerrechtlicher Verwendung seines Spermas sich ergeben. Die Regelung der Frage muß der Zukunft überlassen bleiben. Zur Zeit ist auch noch nicht zu beurteilen, ob für die Frage der E h e l i c h k e i t die durch die Arbeiten von Landsteiner begründete Lehre von der Blutgruppenbestimmung mit Hilfe der Isoagglutination Bedeutung gewinnen wird. Man hat versucht, aus der Untersuchung von 900'Familien mit 2000 Kindern Schlüsse zu ziehen, die eine Überprüfung der Abstammung eines Menschen mit Hilfe der Vererbung der Blutgruppenmerkmale erlauben. Bei Unterlassung des Geschlechtsverkehrs, bei Unvermögen oder nur teilweisem Vermögen des Geschlechtsverkehrs, bei totaler oder temporärer Sterilität des Mannes könnte diese Methode von großer Bedeutung sein, um Rechtsbeziehungen zwischen den Ehegatten und den Kindern dieser Ehegatten zu klären. Nach den Erfahrungen, die man aber mit der, ich möchte sagen, Launenhaftigkeit •der Wassermannschen Reaktion gemacht hat, wird man gut tun, in allen rechtlichen Fragen die Ergebnisse biologischer Forschung nur mit größter Skepsis zu bewerten.
4. U n t e r l a s s u n g d e s e h e l i c h e n V e r k e h r s , N i c h t v o l l z i e h u n g d e r E h e . Mir wurde von einwandfreier Seite versichert, daß ein Sohn nach dem Tode seines Vaters seine Stiefmutter geheiratet habe, nachdem die Ehe der Eltern vor dem Tode des Vaters f ü r nichtig erklärt wurde, weil der Vater infolge von Impotenz die Ehe nicht vollzogen hatte. Ist dieser Fall den Tatsachen entsprechend berichtet, so würde der § 1310 Absatz 2 hier nicht in Frage gekommen sein. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern, oder Abkömmlingen der andern Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. Unter Geschlechtsgemeinschaft wäre demnach n u r (ähnlich wie bei der Päderastie und dem Ehebruch) immissio penis (in anum, in vaginam), nicht aber andere sexuelle Handlungen zu verstehen. 5. B e u r t e i l u n g d e r M ö g l i c h k e i t e i n e r z u k ü n f t i g e n S c h w ä n g e r u n g . Die Frage nach der zukünftig noch mög-
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liehen Fruchtbarkeit einer Ehe ist eine ärztlich und rechtlich gleich wichtige. Von der Entscheidung der ärztlichen Sachverständigen hängen die Entscheidungen der Gerichte und der Einzelpersonen in Testaments-, Majorats- und Stiftungssachen ebenso ab, wie Entschlüsse einzelner Personen über Fortführung von Betrieben, Bauten, Anpflanzungen, Beginn oder Auflösung von Sammlungen usw. Gerichtsentscheidungen sind nicht bekannt; zweifellos gehört es aber zu den ehelichen Pflichten der Ehegatten, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, den berechtigten Wunsch eines Ehegatten nach Nachkommenschaft zu erfüllen. Die Grenze der Pflicht liegt in der Gefahrlosigkeit dieser Maßnahme f ü r die eigene Person des nach Ansicht der Sachverständigen an der ehelichen Unfruchtbarkeit schuldigen Gatten. Der eheliche Verkehr als Zeichen der erfolgten Verzeihung ehewidriger Handlungen. Verzeihung ist Äußerung eines inneren Vorgangs, der darin besteht, daß der verletzte Ehegatte die Ehe nicht oder nicht mehr als durch Verfehlung des andern Ehegatten zerrüttet ansieht (RG. J W . 05, 113 8 , 2 5 2 2 5 . RG. 96, 268 [E 118]).
Die Verzeihung ist zweifellos ein Willensakt, der auf die allerverschiedenste Weise sich dokumentieren kann (Brief, Geschenke usw.) Erfolgt sie aber in Form eines Geschlechtsverkehrs, wie in der Zeit vor der Eheverfehlung, so ist sie eine Tatsache, die nicht wieder aus der Welt geschafft (und nur in Ausnahmefällen umgedeutet) werden kann (OLG. Hamburg 20. X. 05, Recht 1906, Nr. 1695 [E 119]). Der Geschlechtsverkehr als solcher gilt als Ausdruck der Verzeihung, nicht die Fortsetzung der häuslichen Gemeinschaft, da sie aus anderen als seelischen Momenten (pekuniäre Abhängigkeit, Furcht vor Mißhandlung, Hoffnung auf Besserung) fortgeführt werden kann. RG. IV. ZS. 26. X. 11, 98/111 [E 120]. Die Verzeihung ist zwar kein Rechtsgeschäft, auf das die Bestimmungen des BGB. Anwendung finden, trotzdem macht Drohung, arglistige Täuschung, Irrtum, Bewußtlosigkeit den Verzeihungsakt ungültig. Beschränkt Geschäftsfähige oder Geschäftsunfähige, die imstande sind, das Wesen der Ehe zu würdigen, können r e c h t s w i r k s a m verzeihen (Kommentar der RGR.). Die Stellung des RG. zum Problem: Verzeihung und ehelicher Verkehr ergibt sich aus der Entscheidung (3. III. 04, 425/18, ZS. IV Breslau, J W . 1914, S. 572). (E 121) Das Berufungsgericht hatte die Beiwohnüng f ü r die Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses gehalten und hier den Verzeihungswillen f ü r bedeutungslos e r klärt: Es ist zwar richtig, daß der bloße äußere Geschlechtsverkehr nicht unbedingt der !) Die Schweizer Rechtsprechung entschied: Stillschweigende Duldung des E h e bruchs des andern Ehegatten aus Apathie gilt nicht als Zustimmung im Sinne von Artikel 137 SGB. I I . Z. Ab. BG. 30. IX. 1914. BG. E 10 II 452 [ E 1 1 8 a ] , Es kommt also in allen Ehefragen auf aktive Willensbetätigung an.
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Ausdruck einer Verzeihung zu sein braucht. Wenn aber die Ehegatten fortdauernd in Geschlechtsverkehr bleiben, so geht daraus hervor, daß keiner der Ehegatten dauernd dabei verharrt, daß die Ehe durch die Schuld des andern zerrüttet sei. Nur besondere Umstände könnten dem fortgesetzten Verkehr die Bedeutung der Verzeihung absprechen.
Vorbehalte, insbesondere geheime Vorbehalte bei der Verzeihung ehewidriger Handlungen und bei Wiederaufnahme des Verkehrs sind ungültig. Weder die offene Erklärung des Ehemanns, er wolle Ehebruch der Frau nicht verzeihen (RG. IV. ZS. 10. X. 07, 77/07 KG. [E 122]), noch ein geheimer Vorbehalt (um nach Verzeihung die Möbel der Ehefrau in Gewahrsam zu bekommen) (RG. 5. XI. 21, IV. ZS. 335/21 [E123]), noch die Absicht des Ehemanns, ein Geständnis herauszulocken (RG. 17. XII. 21, Recht 22, S. 200 [E 124]), haben Gültigkeit. Selbst bei schwebendem Ehescheidungsprozeß bedeutet der freiwillig gewährte Reischlaf Verzeihung (RG. IV. ZS. 22. III. 15, 523/14, KG. [E 125]). Auch Erklärungen des Ehegatten, er wolle trotz der Wiederaufnahme des Geschlechtsverkehrs den Prozeß fortführen, sind belanglos. (RG. IV. ZS. 10. XII. 06, J W . 07, S. 6 2 - 7 9 [E 126]). Ohne Redeutung ist es, ob der schuldige Ehegatte den andern durch sinnlichen Anreiz verführt hat. (RG. IV. ZS. 26. IX. 08, 137/08, Soergel 09, S. 407 [E 127]). Das RG. hat es nicht f ü r sittenwidrig erklärt, wenn ein Ehegatte zum Zweck der Aussöhnung den andern durch sinnlichen Anreiz zu gewinnen sucht. Ohne Folge ist auch das Versprechen eines Ehegatten, im Scheidungsprozeß den Geschlechtsverkehr nicht als Zeichen der Verzeihung benutzen zu wollen. Es gibt aber Fälle, in denen die Wiederaufnahme des Geschlechtsverkehrs keine Verzeihung bedeuten kann. Willigt erst die Ehefrau in den Verkehr, um Wutausbrüche des Mannes zu vermeiden (RG. IV. ZS. 15. XI. 09 u. a. [E 128]) oder wird sie vom Ehemanne absichtlich über die Redeutung des Geschlechtsverkehrs als Zeichen der Verzeihung getäuscht, so verliert der Geschlechtsverkehr seine Reweiskraft f ü r die erfolgte Aussöhnung. Das Gleiche ist der Fall, wenn der Verzeihende über die Art der zu verzeihenden ehewidrigen Handlung getäuscht ist. Verziehen kann nur werden, was der Verzeihende als Gegenstand der Verzeihung sich vorgestellt hat und was ihm bekannt war. Eine Ehefrau kann vielleicht eine moralische Schuld verzeihen, in der Annahme, daß eine Verführung vorgelegen hat, ohne sich darum über eine kriminelle Schuld (gewaltsam verübte Unsittlichkeit) hinwegsetzen zu können (OLG. Ramberg 14. V. 04, Recht 05, Nr. 1465 [E 129]). Stets ist eine wirkliche Kenntnis nötig. Wenn ein aus dem Felde heimgekehrter Mann während der Schwangerschaft mit seiner Frau verkehrt hat, die Ehefrau behauptet, die Schwangerschaft stamme aus einer gewaltsam erzwungenen Vereinigung, so geht aus
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dem Geschlechtsverkehr des Mannes seine Verzeihung nicht ohne weiteres hervor, weil ihm erst später über die Richtigkeit der Angaben der Frau Zweifel gekommen sein können. R G . IV. ZS. 26. IV. 19, 7/19 [E 130]. Das bloße A n e r b i e t e n zum Geschlechtsverkehr nach Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten und die A b s i c h t der Ehefrau, sich dem Manne hinzugeben, bedeutet auch nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht ohne weiteres, daß der gekränkte Ehegatte die Verfehlungen des andern nicht mehr als ehezerrüttend empfindet, sondern nur ein Inaussichtstellen einer künftigen Verzeihung, also einen Versöhnungsversuch (der mit rohen Schimpfworten von dem Gatten zurückgewiesen war). Die Zulässigkeit von Bedingungen, die bis zu ihrer Erfüllung das Zustandekommen der Verzeihung hindern, ist nicht zu bezweifeln (RG. IV. Berl., 20. X . 15, J W . 1916,' S . 46 [E 131]).
So kann ein Vorbehalt der Verzeihung an das .Urteil der Eltern geknüpft werden, vorausgesetzt, daß k e i n e Wiederaufnahme des Verkehrs stattgefunden hat (OLG. Hamburg, 26. X . 05 [E 132]). Zur Feststellung der Verzeihung reichen auch Äquivalente des Beischlafs aus, wenn sie ein Symptom sind, daß der gekränkte Ehegatte die Ehe nicht mehr als zerrüttet ansieht. Aus der Duldung und gelegentlichen Erwiderung von Zärtlichkeiten kann, muß aber nicht der Verzeihungswille gefolgert werden. R G . IV. 10. 25. 343/25, D R Z . 25. 180 [E 132a].
Das R G . (3. IV. 19, IV, 20/19) entschied, daß Verzeihung auch dann vorliege, wenn der Mann in der Befürchtung, daß eine regelmäßige Beiwohnung als Verzeihung angesehen werden konnte, sich auf andere Weise geschlechtliche Befriedigung hat gefallen lassen [E 133]« Die Verzeihung erstreckt sich natürlich nur auf in der Vergangenheit liegende Handlungen. Neue ehewidrige Verfehlungen selbst gleicher Art, wie die verziehenen, machen eine neue Ehescheidungsklage aus § 1568 möglich. Da der Geschlechtsverkehr als Zeichen der Verzeihung f ü r schwebende Prozesse von großer Bedeutung ist, hat das RG. es nicht f ü r eine schwere Eheverfehlung erklärt, wenn ein Ehemann zur Konstatierung der Verzeihung nach lange dauernder Beischlafsverweigerung der Frau, Zeugen in seine Wohnung einläßt (RG. IV. Z S . 15. X . 1914» Recht 195, Nr. 319 [E 134]).
Ehelösung und Krankheit. Während im vorangegangenen Abschnitt bei der Besprechung der Eheführung auch einzelne Eheschädigungen besprochen werden mußten, die an sich nicht völlig auf medizinischem Gebiete lagen, das physiologische Eheleben, insbesondere den ehelichen Geschlechtsverkehr aber stark beeinflußten, muß in diesem Abschnitte die Darstellung sich auf das rein ärztliche Gebiet beschränken.
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dem Geschlechtsverkehr des Mannes seine Verzeihung nicht ohne weiteres hervor, weil ihm erst später über die Richtigkeit der Angaben der Frau Zweifel gekommen sein können. R G . IV. ZS. 26. IV. 19, 7/19 [E 130]. Das bloße A n e r b i e t e n zum Geschlechtsverkehr nach Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten und die A b s i c h t der Ehefrau, sich dem Manne hinzugeben, bedeutet auch nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht ohne weiteres, daß der gekränkte Ehegatte die Verfehlungen des andern nicht mehr als ehezerrüttend empfindet, sondern nur ein Inaussichtstellen einer künftigen Verzeihung, also einen Versöhnungsversuch (der mit rohen Schimpfworten von dem Gatten zurückgewiesen war). Die Zulässigkeit von Bedingungen, die bis zu ihrer Erfüllung das Zustandekommen der Verzeihung hindern, ist nicht zu bezweifeln (RG. IV. Berl., 20. X . 15, J W . 1916,' S . 46 [E 131]).
So kann ein Vorbehalt der Verzeihung an das .Urteil der Eltern geknüpft werden, vorausgesetzt, daß k e i n e Wiederaufnahme des Verkehrs stattgefunden hat (OLG. Hamburg, 26. X . 05 [E 132]). Zur Feststellung der Verzeihung reichen auch Äquivalente des Beischlafs aus, wenn sie ein Symptom sind, daß der gekränkte Ehegatte die Ehe nicht mehr als zerrüttet ansieht. Aus der Duldung und gelegentlichen Erwiderung von Zärtlichkeiten kann, muß aber nicht der Verzeihungswille gefolgert werden. R G . IV. 10. 25. 343/25, D R Z . 25. 180 [E 132a].
Das R G . (3. IV. 19, IV, 20/19) entschied, daß Verzeihung auch dann vorliege, wenn der Mann in der Befürchtung, daß eine regelmäßige Beiwohnung als Verzeihung angesehen werden konnte, sich auf andere Weise geschlechtliche Befriedigung hat gefallen lassen [E 133]« Die Verzeihung erstreckt sich natürlich nur auf in der Vergangenheit liegende Handlungen. Neue ehewidrige Verfehlungen selbst gleicher Art, wie die verziehenen, machen eine neue Ehescheidungsklage aus § 1568 möglich. Da der Geschlechtsverkehr als Zeichen der Verzeihung f ü r schwebende Prozesse von großer Bedeutung ist, hat das RG. es nicht f ü r eine schwere Eheverfehlung erklärt, wenn ein Ehemann zur Konstatierung der Verzeihung nach lange dauernder Beischlafsverweigerung der Frau, Zeugen in seine Wohnung einläßt (RG. IV. Z S . 15. X . 1914» Recht 195, Nr. 319 [E 134]).
Ehelösung und Krankheit. Während im vorangegangenen Abschnitt bei der Besprechung der Eheführung auch einzelne Eheschädigungen besprochen werden mußten, die an sich nicht völlig auf medizinischem Gebiete lagen, das physiologische Eheleben, insbesondere den ehelichen Geschlechtsverkehr aber stark beeinflußten, muß in diesem Abschnitte die Darstellung sich auf das rein ärztliche Gebiet beschränken.
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Die Ehelösung kann durch Trennung von Tisch und Bett (Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft), durch Anfechtung der Ehe wegen Irrtum und folgender Nichtigkeitserklärung und durch Ehescheidung erfolgen. Die beiden letzten Arten der Ehelösung haben gerade f ü r die ärztliche Betrachtung eine ganz besondere Bedeutung, obwohl in vielen Fällen f ü r die Ehegatten das Resultat das gleiche ist, da auch die Ordnung der materiellen Verhältnisse prinzipiell die gleiche ist. Allgemein läßt sich folgende Formel aufstellen: Besteht eine Krankheit, eine körperliche Anomalie, eine Krankheitsanlage vor der Eheschließung, ohne daß der andere Ehegatte vor Abschluß der Ehe eingehende Kenntnis von dieser Krankheitstatsache bekam, so kann diese körperliche negative Eigenschaft ein Grund zur A n f e c h t u n g der Ehe werden; wird die Krankheit während der Ehe s c h u l d h a f t erworben, so kann sie einen Grund zur Ehe S c h e i d u n g darstellen. Nur f ü r die Geisteskrankheiten besteht eine besondere Regelung. Leider ist im BGB. der allerdings schwer faßbare Begriff der Krankheit nicht definiert. Wichtig ist aber eine RG.-Entscheidung über die Bedeutung der Prognose ([E135] Warneyer 1917, Nr. 210): „Es lasse sich zwar nicht mit unbedingter Gewißheit sagen, ob die Erkrankung (Tuberkulose) heilbar sei oder nicht; eine völlige Sicherheit über den künftigen Verlauf einer Krankheit lasse sich aber nicht immer gewinnen und es müsse daher der Verlauf, den die Krankheit nach ärztlicher Erfahrung nehmen werde, im Rechtssinne als hinreichend sicher angenommen werden. Das deutsche Recht hat f ü r die Ehelösung das Prinzip des Verschuldens streng und starr durchgeführt. Wer schuldhaft eine Krankheit bei Eheschluß dem anderen verheimlicht oder die Krankheit während der Ehe schuldhaft erwirbt, wird bei der Eheauflösung inbezug auf die Ordnung der materiellen Verhältnisse als der Schuldige, d. h. Zahlungspflichtige angesehen. In konsequenter Durchführung des Verschuldensprinzips wird unter Umständen der (unschuldig) K r a n k e dem Gesunden, der die Ehe lösen will, gegenüber als unschuldig angesehen. Es würde das Recht des Kranken und das Recht des Gesunden gleichmäßig verletzen, wenn eine Eheauflösung auf Grund beiderseitiger oder gar einseitiger Abneigung möglich wäre, ein rechtlicher Zustand, der jetzt wunderbarerweise gerade von Frauen angestrebt wird. Es ist auch vom ärztlichen Standpunkt zu begrüßen, daß das BGB. bei der Ordnung der Unterhaltspflicht die Frau günstiger als den Mann gestellt hat. In einer Ehe, die dem Wesen der Ehe als einer sittlichen, das Interesse der Ehegatten und des Staates gleichmäßig dienenden Einrichtung entspricht, wird die Frau derjenige Teil
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sein, der durch früheres Altern, durch die Kinderproduktion, durch gewisse Imponderabilien 1 ) mehr und früher abgebraucht wird, als der Mann. § 1578. Der allein für sdhuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, sofern nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb durch Arbeit der Frau üblich ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit bestreiten kann. Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen Manne den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er außer Stande ist, siöh selbst zu unterhalten. Die ungünstige Gestaltung einer Ehe darf nicht zur Quelle von Vermögensvorteilen werden, deshalb hat das BGB. Ehescheidungsstrafen abgelehnt. Der Unterhaltsanspruch richtet sich nach den wechselnden Vermögensverhältnissen und Einkünften; lassen die Kräfte des Unterhaltsverpflichteten nach, erhält er einen Ersatz seiner mangelnden Arbeitskraft durch Renten (z. B. Verstümmelungszulage), so besieht keine Mehreinnahme. Kurkosten des unterhaltsberechtigten Ehegatten sind zu berücksichtigen. Für alle Ansprüche des letzteren ist die Stellung z. B. der Ehefrau in der Ehe (nicht ihr früherer Stand) und die wirtschaftlichen Verhältnisse der früheren Ehe nach längerem Bestände derselben maßgebend. Nach § 1575 kann der Ehegatte, der auf Scheidung zu klagen berechtigt ist, auf Aufhebung der eheliqhen Gemeinschaft klagen. Ist auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erkannt (§1576), so kann jeder der Ehegatten auf Grund des Gesetzes die Scheidung beantragen, es sei denn, daß nach der Erlassung des Urteils die eheliche Gemeinschaft wieder hergestellt worden ist. Nach § 1567 kann ein Ehegatte auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihn böslich verlassen hat. Bösliche Verlassung liegt nur vor, wenn ein Ehegatte, nachdem er zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft rechtskräftig verurteilt worden war, ein Jahr lang gegen den Willen des andern Ehegatten in böslicher Absicht dem Urteil nicht Folge geleistet hat. Der Gesetzgeber hat sicher aus wohlerwogenen und verständlichen Gründen die Möglichkeit einer temporären Aufhebung der häuslichen und ehelichen Gemeinschaft eingeführt. Eine Prüfungszeit ist sicherlich bei brüchigen Ehen angezeigt, um den Ehegatten Zeit zur Selbstbesinnung zu lassen. Vom ärztlichen Standpunkte ist aber hervorzuheben, daß bei der richterlich verfügten Aufhebung der ehelichen Ge! ) Es ist hier nicht nur an die seelische, sondern auch an die körperliche Beeinflussung der Frau durch eine erste Heirat gedacht. W e n n man auch von der Telegonie (der Einwirkung des ersten Gatten auf die Nachkommen des zweiten) heute nichts mehr hält, so ist doch an der Resorption des Körpereiweißes (Sperma) des Gatten im Organismus nicht zu zweifeln. Die Zukunft m u ß zeigen, ob diese Eiweißaufnahme bedeutungslos ist.
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meinschaft (auf Antrag des eventuell scheidungswilligen Ehegatten) der sexuell bedürfnislose anders als der sexuell bedürftige Ehegatte behandelt wird. Die durch Verschleppung der Prozesse oft jahrelang dauernde erzwungene geschlechtliche Abstinenz ist für manche an regelmäßigen Geschlechtsverkehr gewöhnte Menschen eine Qual, die in der Regel — wenigstens nach meinen Erfahrungen — zu außerehelichem Geschlechtsverkehr Veranlassung gibt, der nach dem Gesetz als Ehebruch angesehen wird. Hier scheint eine Änderung der Auffassung nötig (vgl. S. 49 E 112).
Eheanfechtung. Folgende Paragraphen kommen für die Anfechtung der Ehe durch Krankheiten oder krankhafte Anlagen in Betracht 1 ): § 1333. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der sieh bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten oder über solähe persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. Der Irrtum muß ein e r h e b l i c h e r sein; er kann sich auch auf die persönliche Eigenschaft „Gesundheit" beziehen. Setzt der Ehegatte diese Eigenschaft voraus, während in Wahrheit eine Krankheit bestand, die als ekelerregend, unheilbar oder schwer heilbar anzusehen ist, und die geschlechtliche Zuneigung aufhebt, so irrt er im Sinne des § 1333. § 1334, Abs. 1. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Nach diesem Paragraphen kommt also arglistige Täuschung f ü r die kranken Ehegatten nicht in Betracht, die ihre eigene Krankheit nicht kannten. In dieser Lage befinden sich die Mehrzahl der Menschen, da Krankheitsanlagen, Schwächen einzelner körperlicher Funktionen, Mängel wichtiger Organe erst während des Verlaufs der Ehe, ja erst durch die Ehe in die Erscheinung treten (z.B. Impotenz, rachitisches Becken usw.). Auch kongenitale oder in erster Ehe erworbene unerkannt gebliebene Syphilis oder gonorrhöische Infektion innerer Genitalorgane kommt hier in Frage. Wenn auch in diesen Fällen arglistige Täuschung des gesunden Ehegatten durch den kranken nicht vorliegt, so bleibt der Irrtum des gesunden über eine wichtige persönliche Eigenschaft des( kranken Ehegatten (§ 1333) bestehen. !) Absichtlich ist in diesem von einem Arzt geschriebenen Buche vermieden worden, prozessuale Fragen zu behandeln. Es ist deshalb auch keine Kritik des § 617 C P O . versucht worden, der die Eideszuschiebung in Ansehung solcher Tatsachen verbietet, welche die Scheidung oder die Anfechtung der Ehe oder das Recht der Herstellung des ehelichen Lebens zu verweigern, begründen sollen. In der Praxis der Gerichte hat dies an sich ja verständliche Verbot natürlich zu Schwierigkeiten geführt, die doch aber meist überwunden werden konnten.
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Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. Ist die Täuschung nicht von dem anderen Ehegatten verübt worden, so ist die Ehe nur dann anfeöhtbar, wenn dieser die Täuschung bei der Eheschließung gekannt hat. Das Schweizer LGB. gestattet im Artikel 125 direkt die Anfechtung der Ehe wegen Krankheit: Ein Ehegatte kann die Ehe anfechten . . . . wenn ihm eine Krankheit verheimlicht worden ist, die die Gesundheit des Klägers oder der Nachkommen in hohem Maße gefährdet. Eine Verheimlichung liegt auch dann vor, wenn über den Punkt keine Befragung stattgefunden hat. Tauschende Handlungen sind nicht notwendig. Es kommen nicht nur zur Zeit schwere Erkrankungen in Betracht, sondern auch s y p h i l i t i s c h e , e p i l e p t i s c h e , h y s t e r i s c h e Zustände und gewisse H a u t k r a n k h e i t e n . Der Kläger m u ß den Beweis sowohl der Verheimlichung als auch der Krankheit des Beklagten f ü h r e n , was meist sehr schwer ist; andrerseits ist er vom Nachweis der nach Artikel 124 verlangten Voraussetzung befreit (Ehegatte kann anfechten, wenn er zur Eheschließung durch einen I r r t u m über Eigenschaften des andern Ehegatten bestimmt worden ist, die von solcher Bedeutung sind, daß ihm ohne ihr Vorhandensein die eheliche Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann). (Gmür, Kommentar z. Schweiz. Eherecht, Bern 1923). Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der einmal formell geschlossenen Ehe ist so stark, daß die Anfechtbarkeit in jedem Fall mit Ablauf von 5 J a h r e n nach der Eheschließung (nicht etwa bloß nach der Entdeckung) verjährt. Bei der erst nachträglichen Entdeckung kann der Anfechtungsgrund höchstens noch als Ehescheidungsgrund geltend gemacht werden.
Ärztlich stehen einer Beschränkung der Anfechtungszeit wegen einer vorehelichen den Sinn des § 1333 erfüllenden Krankheit schwere Bedenken entgegen. Es ist z. B. bei der Syphilis die Regel, daß schwere innere Symptome erst später als nach einem Zeitraum von 5 Jahren in die Erscheinung treten. Das BGB. hat die Anfechtungszeit mit Recht nicht beschränkt. § 1339.
Die Anfechtung
kann nur binnen 6 Monaten
erfolgen.
Die Frist beginnt . . . . [in den hier in Frage kommenden Fällen] . . . . mit dem Zeitpunkt, in weldhem der Ehegatte den Irrtum oder die Täuschung entdeckt In allen bekannt gewordenen Urteilen ist diese „Entdeckung des Irrtums" so interpretiert worden, daß die Anfechtungsfrist erst von dem Zeitpunkte an gerechnet wurde, in dem der anfechtungsberechtigte Ehegatte g e n a u e u n d s a c h g e m ä ß e A u f k l ä r u n g über die Art der Krankheit des anderen Eheteils bekam. Ob der anfechtende Ehegatte bereits lange vor diesem Zeitpunkt, ja lange vor der Eheschließung eine gewisse „laienhafte" Kenntnis von der in Frage kommenden Krankheit hatte, wurde als irrelevant betrachtet. W i r d die Kenntnis erst nachträglich erlangt, so ist Eheanfechtung noch nach J a h r zehnten möglich. Curt Rosenberg f ü h r t folgendes Beispiel an. Ein Ehemann kann sein Verhältnis wegen der Ablehnung der Scheidung seitens der E h e f r a u nicht heiraten. E r
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erfuhr, daß letztere vor Eingehung der Ehe Geschlechtsbeziehungen zu einem andern Manne gehabt hat. Anfechtung der Ehe, Nichtigkeitserklärung wegen Irrtums über persönliche Eigenschaften des andern Ehegatten, Behandlung der den Irrtum veranlaßt habenden Ehefrau in materieller Hinsicht wie des bei der Scheidung für schuldig erklärten.
§ 13U3. Wird eine anfechtbare Ehe angefochten, von Anfang an nichtig anzusehen
so ist sie als
§ 1345 Abs. 1. War dem einen Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung bekannt, so kann der andere Ehegatte, sofern nicht auch ihm die Nichtigkeit bekannt war, nach der Nichtigkeitserklärung oder die Auflösung der Ehe verlangen, daß ihr Verhältnis in vermögensrechtlicher Beziehung, insbesondere auch in Ansehung der Unterhaltspflicht, so behandelt wird, wie wenn die Ehe zur Zeit der Nichtigkeitserklärung oder der Auflösung geschieden und der Ehegatte, dem die Nichtigkeit bekannt war, für allein schuldig erklärt worden wäre. (Über die Unterhaltspflicht ist das Erforderliche auf S. 26 gesagt). § i3U6.... Wird eine wegen Irrtums anfechtbare Ehe für nichtig erklärt, so steht das in § 13U5 Absatz 1 bestimmte Recht dem zur Anfechtung nicht berechtigten Ehegatten zu, es sei denn, daß dieser den Irrtum bei Eingehung der Ehe kannte oder kennen mußte. Dieser Paragraph ist von ganz besonderer ärztlicher Bedeutung, weil er das R e c h t d e s K r a n k e n schützt. Er besagt, daß z. B. eine an latenter Tuberkulose leidende Ehefrau, die von ihrer Krankheit nichts wußte und diese Krankheitsanlage vor Abschluß der Ehe dem Ehemann nicht offenbarte, bei einer Anfechtung der Ehe durch den Ehemann wegen Irrtums über eine persönliche Eigenschaft auf alle die Rechte Anspruch machen kann, die ihr zuständen, wenn sie bei der Ehescheidung f ü r unschuldig erklärt wäre. Diese Rechtskonstruktion spielt eine große Rolle bei der Frage der Eheanfechtung wegen k o n ? g e n i t a l e r oder u n s c h u l d i g e r w o r b e n e r S y p h i l i s . Der Paragraph verhindert, daß durch Hervorhebung einer Krankheitsanlage als Eheanfechtungsgrund der schuldlose Kranke geschädigt wird, er gestattet andererseits den Menschen, die mit einem Kranken eine Ehe nicht führen können, die Ehe unter Leistung materieller Opfer zu lösen. Man denke daran, daß bei Einführung der einseitigen unüberwindlichen Abneigung als Ehescheidungsgrund das Recht der Kranken völlig vernachlässigt wäre. Freilich ist zuzugeben, daß die Übernahme der Unterhaltspflicht f ü r einen sehr großen Teil des Volkes nur einen wertlosen Fetzen Papier bedeutete, daß die „humane" Gesetzgebung es vielen Unterhaltspflichtigen leicht macht, ihre Verpflichtungen auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Wie weit hier die Gesetz-
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gebung diesen asozialen Elementen gegenüber Abhilfe schaffen kann, ist an dieser Stelle nicht zu erörtern. Die vorgenannten Paragraphen enthalten eine Reihe Begriffe, die an sich vage, ja kautschukartig dehnungsfähig sind und erst durch die Sprüche der Gerichte ihren Inhalt, oder besser ihre Ausfüllung erhalten. Ob eine Krankheit eine negative persönliche Eigenschaft eines' Ehegatten ist, hängt von ihrer besonderen Art, von der Auffassung der Eheleute vom Wesen der Ehe, von der speziellen Stellung des gesunden zur Krankheit des anderen Ehegatten, schließlich in letzter Linie von der Stellung der Ehegatten zu einander ab. Fortschreitende Lungenschwindsucht ist sicher eine negative persönliche Eigenschaft: viele Tuberkulöse haben in ihrem Eheleben den Ehepartner so tief beglückt, daß dem Gesunden gar nicht der Gedanke kam, in der in die Ehe mitgebrachten Krankheit etwas anderes als ein großes, sein eigenes Leben verdüsterndes Unglück zu erblicken. Geistig hochstehende Menschen können ihre Sexualität so sublimieren, daß sie in einem Rückenmarkskranken nicht den impotenten Ehemann, sondern den geistigen Seelenfreund erblicken. (Bekannter Fall eines deutschen Gelehrten). Viele Ehegatten nehmen an der ihnen bekannten oder bekannt ge