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German Pages 314 Year 2014
Tobias Schwarz Bedrohung, Gastrecht, Integrationspflicht
Tobias Schwarz hat an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migration und Rassismus sowie Theorie und Praxis der interpretativen Sozialforschung.
Tobias Schwarz
Bedrohung, Gastrecht, Integrationspflicht Differenzkonstruktionen im deutschen Ausweisungsdiskurs
Die vorliegende Arbeit wurde am 11.11.2009 vom Dekan der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Jörg Baberowski, als Dissertation anerkannt. Gutachter/-in: Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba, Prof. Dr. Beate Binder Die Promotion sowie diese Veröffentlichung wurden von der Hans-BöcklerStiftung gefördert.
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Inhalt
1
Einleitung Begriffsklärung Abschiebung/Ausweisung Forschungsanlass Ziel dieser Untersuchung Vier Medienereignisse Aufbau der Arbeit
9 10 10 12 14 19
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Ausweisung und Differenzkonstruktionen
21
2.1 Der Prozess des othering 2.1.1 Differenzsetzung und othering 2.1.2 Kulturalistische Differenzkonstruktion 2.1.3 Doing Difference
21 21 24 27
2.2 Differenzkonstruktionen und Wirkungen des Ausweisens 2.2.1 Die Konstruktion des rechtlich Anderen 2.2.2 Die Exklusionswirkung des Ausweisens Materielle Exklusionswirkung formaler Differenz Symbolische Exklusionswirkung formaler Differenz
31 31 35 35 40
2.3 Die Anderen des Ausweisungsdiskurses 2.3.1 Kategorien der rechtlich Anderen 2.3.2 Forschungsfragen
40 41 45
3
49
Ausweisungsrecht und Ausweisungsverfahren
3.1 Staatsangehörigkeit durch Abweisung und Ausweisung 3.1.1 Die Landesverweisung Exkurs: Die Deportation in „Strafkolonien“ 3.1.2 Hinausweisung und Staatsangehörigkeit 3.1.3 Ethno-nationalistische Ausweisungen im Deutschen Reich
49 51 53 54 58
3.2 Kontinuitäten des modernen Ausweisungsregimes 3.2.1 Ausweisungen als Element zentralisierter Ausländerverwaltung 3.2.2 Entrechtung Anderer im Nationalsozialismus
65 66 73
3.2.3
Rechtsentwicklung in BRD und DDR von 1945 bis 1990
78
3.3 Überblick zur Rechtslage im Untersuchungszeitraum 3.3.1 Systematik des Ausweisungsrechts seit 1990 Die Rechtsstellung von Angehörigen der EU und der Türkei Exkurs: Rechtsbegriffe im internationalen Vergleich 3.3.2 Die Präventionsfunktion des Ausweisens 3.3.3 Zuständige Institutionen und rechtliches Verfahren Datenlage
83 84 94 97 100 104 105
4
113
Die Analyse diskursiver Ereignisse
4.1 Prämissen, Begriffe und Material der Untersuchung
113
4.2 Ablauf der Untersuchung 4.2.1 Inhaltsanalytische Identifikation diskursiver Ereignisse 4.2.2 Theoriegeleitete Recherche relevanter Diskursfragmente 4.2.3 Feinanalytische Interpretationsphase
119 119 122 125
5
131
Ereignisse des Ausweisungsdiskurses 1996-2007
5.1 Der Einzug des Landfriedensbruchs in das Ausweisungsrecht 5.1.1 Der Diskursstrang existenzieller Bedrohung 5.1.2 Die Verschärfung des Ausweisungsrechts 1996/1997 Legislative Folgen der Ereignisse um Newroz 1996 Die Wahrnehmung der „Kurdenkrawalle“ nach 1996 5.1.3 Von Straftätern, Terroristen und Gästen Grund und Zweck des Ausweisens Exkurs: Parallele Diskursverläufe Die Verwirkung des Gastrechts Krawalle, Terror und Bürgerkrieg
131 131 136 136 139 145 145 148 152 156
5.2 Von Straftaten und öffentlicher Sicherheit 5.2.1 Diskursstränge der Intensivtäter-Debatte 5.2.2 Die juristischen Streitpunkte bei der Etablierung eines nicht-formalistischen Fremdenstatus 5.2.3 Die interdiskursive Legitimation von „Mehmets“ Fremdenstatus Kritik an der Ausweisung Die Formalisierung des Ausweisens
160 160
5.3 Terrorismusabwehr und die Faktizität der Gefahr 5.3.1 Der Diskursstrang besonderer Gefährlichkeit 5.3.2 Die Aufwertung der Gefahr im Ausweisungsrecht Gefahr im Recht Gefahr im Interdiskurs
181 181 183 183 185
164 170 171 174
5.3.3 Die Umdeutung der Potentialität zur Faktizität Potentielle Gefährlichkeit operationalisieren Die Wahrscheinlichkeit der Gefahr in der Praxis Ausweisung bei Verdacht Prototypische Gefahr – von Topgefährdern und Hasspredigern
187 187 193 197 200
5.4 Die Erfindung der Integrationsverweigerung 5.4.1 Der Diskursstrang sanktionsbewehrter Integrationspflicht 5.4.2 Integrationsdefizite, Bringschuld und Sanktionsforderungen Der „Schulterror“ und gescheiterte Integration Die neue Integrationsdebatte Der „Ehrenmord“ und verweigerte Integration 5.4.3 Integration durch Sanktionierung Wie gelangt die „Integrationsfeindschaft“ in das Gesetz? Aus Tatbeständen wird ein Medienereignis
205 205 209 209 216 219 225 227 232
6
237
Die Sanktionierung von Differenz
6.1 Der Anlass des Ausweisens Das Festhalten an ausweisbaren Anderen Die Gefahr für die Gesellschaft Desintegration als Absage an die herrschenden Normen
238 238 240 243
6.2 Der Zweck des Ausweisens Die integrierende Sanktion
248 250
6.3 Die Wirkung der „integrierenden Sanktion“ Die Pönalisierung von Fremdheit
252 252
7
257
Ausblick
Anhang Abbildungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Ausweisungsrecht 1921 bis 2007 Liste der Primärquellen Literaturliste
261 261 262 263 288 296
1 Einleitung
„Wir dürfen nicht so zaghaft sein mit ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell!“ (Gerhard Schröder, SPD, im Interview mit der BILD am Sonntag vom 20. Juli 1997) „Wer sich nicht in Deutschland integriert, muß unser Land wieder verlassen.“ (Edmund Stoiber, CSU, Bayerischer Ministerpräsident, zitiert in der BILD vom 2. April 2006)
Die Forderung des damaligen Kanzlerkandidaten Schröder, „ausländische Straftäter“ des Landes zu verweisen, wirft etliche Fragen auf: Was beinhaltet dieses „Gastrecht“ und worin genau besteht dessen „Missbrauch“? Für wen gilt es, wem steht es aus welchen Gründen nicht zu? Schützt das Gastrecht für gewöhnlich vor einem ‚Rausschmiss‘? Und wohin ist eigentlich „raus“? Durch die Ausweisungsdrohung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber bei fehlender oder verweigerter „Integration“ wird die Setzung deutlich, „Integration“ sei gesellschaftlich notwendig. Unklar bleibt, worin „Integration“ besteht und wodurch erkennbar werden soll, wer „sich“ in Deutschland „integriert“. Beide Aussagen haben etwas gemeinsam: sie weisen auf einen Ausschlussvorgang hin, auf die Negation von Mitgliedschaft. Die (Nicht-)Zugehörigkeit wird hier unter anderem bestimmt durch das Possessivpronomen „unser(e)“ und die Kontrastierung von Sie und Wir, durch die Rollenzuweisung des „Gastes“ und die angedrohte Sanktionierung mangelnder „Integration“, schließlich durch die Metaphorik des Innen/Außen.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Begriffsklärung Abschiebung/Ausweisung Die Ausweisung ist der Verwaltungsvorgang, durch den einem Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein bestehendes Aufenthaltsrecht entzogen wird. Wer ausgewiesen wird, besitzt also in der Regel einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel und soll dennoch zum Verlassen des Landes verpflichtet werden. Bei einer Abschiebung handelt es sich um den unmittelbaren Zwang zum Verlassen des Staatsgebietes. Bei Menschen, die sich „unrechtmäßig“ in Deutschland aufhalten ist eine Ausweisung nicht notwendig, um die Abschiebung zu ermöglichen. Nur wer ausgewiesen wurde und nicht „freiwillig“ ausreist wird zusätzlich abgeschoben.1 Die ‚typische‘ Fallkonstellation ist der Entzug des Aufenthaltsrechts in Folge einer schweren Straftat. Im Anschluss an eine Haftstrafe erfolgt dann die Ausweisung, diese zieht eine Abschiebung in das Land der formalen Staatsangehörigkeit und ein Verbot der Wiedereinreise nach sich. Zahlreiche weitere gesetzliche Ausweisungsgründe beziehen sich jedoch nicht auf strafrechtliche Verurteilungen. Auch Mitglieder einer Organisation, die „den Terrorismus unterstützt“ oder „Integrationsfeinde“ können nach bestehender Gesetzeslage ausgewiesen werden, auch Sozialhilfebezug oder „Gewerbsunzucht“ können zur Ausweisung führen. Der Ausweisung von „Ausländern“, die bereits mehrere Jahre in Deutschland leben, sowie der von EU-Angehörigen sind zwar höhere Hürden gesetzt, ein vollständiger Schutz vor der Verweisung außer Landes existiert aber für keine „ausländische“ Bevölkerungsgruppe.
Forschungsanlass Einerseits sind Ausweisungen aus Deutschland permanent Thema. Gegenwärtig ist ein ungebrochenes öffentliches Interesse daran festzustellen, „ausländische Kriminelle“ oder „Gefährder“ aus der Gesellschaft zu entfernen. Die zuletzt Anfang 2008 im hessischen Wahlkampf diskutierten Pläne, Ausweisungen von Gewalttätern zu erleichtern, geben davon beredtes Zeugnis. Auch mit der Änderung des Ausländergesetzes 1997, mit der Sicherheitsgesetzgebung in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001, mit der Reform des Ausländerrechts 2002/2004 und erneut mit der Verschärfung des Ausweisungsrechts 2007 sind in den vergangenen zehn Jahren wiederholt vehemente Debatten in der Öffentlichkeit aufgetreten, die sich mit auffälliger Regelmäßigkeit um das Ausweisen drehten.2
1 2 10
Zur Terminologie s. S. 97, zum Ausweisungsverfahren bei Straftätern s. Kap. 3.3.3. Zur Entwicklung der Rechtslage s. ausführlich Kap. 3.3.
EINLEITUNG
Andererseits ist das Ausweisen in Deutschland kein Thema – kein sozialoder kulturwissenschaftliches jedenfalls. Obwohl sich die empirische Kulturwissenschaft mit sozialen Sinnkonstruktionen beschäftigt und dabei Vorstellungen kollektiver Identität und kultureller Distinktion zu ihrem Thema macht, existieren über die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Exklusionstechnik keine detaillierten Untersuchungen.3 Aussagekräftige sozialstrukturelle Darstellungen des Ausweisungsgeschehens fehlen gänzlich. Der Wissenschaftsbetrieb produzierte in den vergangenen zwei Dekaden neben historischen Untersuchungen vor allem juristische Fachabhandlungen über strittige rechtliche Detailfragen.4 Auch unter zivilgesellschaftlichen Akteuren finden dazu kaum Debatten statt. Antirassistische Zusammenhänge in Deutschland thematisieren zwar laufend Abschiebungen, Lagerunterbringung von Flüchtlingen und institutionellen Rassismus, jedoch kaum Ausweisungen selbst; sogar migrantische Organisationen sind zu diesem Thema nicht zu vernehmen.5 Anders sieht die Situation beispielsweise in Frankreich aus; dort ist die double peine ein politisch allgegenwärtiges Schlagwort (es diffamiert den Ausweisungsvorgang als eine ungerechte Doppelbestrafung, s. S. 99). Ein derartig weitgehendes Bewusstsein für den Strafcharakter des Ausweisens ist in Deutschland nicht vorhanden. Hier ist Kritik an der Praxis der Ungleichbehandlung langjährig in Deutschland lebender „Ausländer“, die eigentlich längst „Inländer“ geworden sind oder das immer waren, kaum zu vernehmen. Ende 2007 lebten laut statistischem Bundesamt über 4,3 Millionen „Ausländer“ länger als 10 Jahre in Deutschland und fast ein Viertel der „ausländischen“ Bevölkerung ist in Deutschland geboren.6 Dennoch stehen die deutschen Ausländerbehörden scheinbar kaum unter Legitimationszwang, wenn sie „Straftäter“, „Topgefährder“ oder „Integrationsverweigerer“ hinauswerfen und treffen kaum auf zivilgesellschaftlichen Protest.7 Der Ausweisungsdiskurs ist zwar nur ein Diskursstrang deutscher Einwanderungsdiskurse. Da er primär Ausschluss verhandelt ist er zudem not-
3
4 5
6 7
Besonders vor dem Hintergrund der Fachgeschichte einer sich nicht mehr als „Volkskunde“ verstehenden Disziplin ist die empirische Kulturwissenschaft heute (mit) verantwortlich für die kritische Aufarbeitung der „Kulturalisierung“ gesellschaftlicher Vorgänge (s. Kap. 2). Ihre Aufgabe ist es, Beiträge sowohl zur Dekonstruktion kollektiver Selbstwahrnehmungen als auch zur kritischen Positionierung gegenüber Begriffen wie Identität und Kultur zu leisten (vgl. Kaschuba 1994). Zum Forschungsstand s. Kap. 3.1, zur Datenlage Kap. 3.3.3. Wenige Ausnahmen bildet die kritische Erwähnung einzelner Ausweisungsfälle in Presseerklärungen des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg oder des Komitees für Grundrechte und Demokratie. S. dazu ausführlich das Kap. 2.2.2; zum Begriff „Ausländer“ s. FN 14. Zu den einzelnen kritischen Anmerkungen im Fachdebatten s. S. 111. 11
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
wendigerweise ein Differenzdiskurs. Er basiert also auf traditionell ethnisierenden Positionen.8 Dennoch ist er heute – trotz oder gerade wegen seiner ‚Radikalität‘ – der dominante Diskursstrang im Einwanderungsdiskurs. Mit der Begründung einer Ausweisung, wie eingangs exemplarisch an zwei Beispielen vorgestellt, wird eine Differenzsetzung aktualisiert, die zu sozialem Ausschluss führt.9 Die damit etablierte Ordnung materialisiert sich wiederkehrend in Gesetzesverschärfungen und tausendfachen Ausweisungen: von Januar 1991 bis April 2007 wurden nach Auskunft der Bundesregierung über 270.000 Menschen aus Deutschland ausgewiesen. Die vorliegende detaillierte Untersuchung des aktuellen deutschen Ausweisungsdiskurses schließt diese Lücke und nimmt den gesellschaftlichen Umgang mit Abweichung dort unter die Lupe, wo er in die Ausweisungsforderung mündet. In der Dekade, die zwischen den eingangs angeführten Zitaten liegt, hat sich das Reden über Ausweisung auf den ersten Blick wenig gewandelt. Die Bedrohungskonstruktionen, auf die das Ausweisen zu reagieren vorgibt, sind heute wie damals wesentlicher Bestandteil entsprechender Argumentationsfiguren. Die inhaltliche Bestimmung des „Gefährlichen“ war jedoch in den letzten Jahren deutlichen Veränderungen unterworfen. Nicht mehr der „ausländische Kriminelle“ ist der prototypische Adressat einer Ausweisung, vielmehr betonen ab dem Jahr 2006 die Debatten das zu schützende Gut der „Integration“. Auch die Selbstwahrnehmung der deutschen Einwanderungsgesellschaft ist nicht erst seit den 1990er Jahren einem deutlichen Wandel unterzogen, während die betreffenden rechtlichen Regelungen auffällig konstant geblieben sind. Dies lädt dazu ein, sich mit der Frage auseinander zu setzen, wie heute die Verweisung eines Menschen außer Landes begründet wird.
Ziel dieser Untersuchung Das Fremdbild einer Gesellschaft, das durch bestimmte Begründungsfiguren des Ausschlusses erzeugt wird, ist für ihr Selbstbild konstitutiv. Das kollektive ‚Wir‘ bestätigt sich durch die Distanz zu abweichenden ‚Anderen‘. Die Kriterien zu analysieren, die diesen Ausschluss begründen, beleuchten somit die aktuelle Verfassung des gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Daher untersucht diese Arbeit, wie im öffentlichen Reden über Ausweisung abwertende Differenzsetzungen ausgearbeitet werden. In ihnen wirken die Logiken, nach denen bestimmte Ausschlüsse legitim erscheinen. Deren Ausschlusspo8 9
12
Darauf werden die Kap. 3.1 und 3.2 in einem kurzen geschichtlichen Überblick eingehen. Die diskursive ‚Aktualisierung‘ von Differenz erläutere ich ausführlich ab Seite 27.
EINLEITUNG
tential wird nicht nur in der vollzogenen einzelnen Ausweisung, sondern bereits in der Ausweisungsdrohung mobilisiert. Sowohl die gesetzlich explizierten Regelungen, als auch deren implizite Deutungen, als auch der affirmative Bezug auf die grundlegende Logik des Ausweisens wirken exkludierend. Die Konstruktion von auszuweisenden Anderen bewirkt somit materiellen und symbolischen Ausschluss zugleich (was in Kap. 2.2 erläutert wird). Daher untersuche ich die im öffentlichen Reden über Ausweisung manifestierte Wissensordnung und arbeite die darin wirksamen Differenzkonstruktionen heraus. Die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen gilt es dabei nicht als statischen Zustand zu begreifen, sondern als einen Prozess, in dessen Verlauf ein spezifisches Verhältnis aufgegriffen, bestätigt und damit fortwährend neu konstruiert wird. Konkret untersucht die vorliegende Arbeit, wie in Tageszeitungen und der Boulevardpresse, in Gesetzestexten und den entsprechenden parlamentarischen Vorgängen, in Parlamentsdebatten und Presserklärungen die Legitimität von Ausweisungen verhandelt wird, d.h. auf welche gesellschaftlichen Gruppen bezogen Ausweisungen als jeweils zulässiges bzw. umstrittenes Mittel gelten und weshalb. Die zentrale Frage ist, wie und wodurch dabei scheinbar selbstverständliche Differenzen etabliert werden. Wie wird mittels des Ausweisungsdiskurses das Andere geschaffen, das für die Identität der WirGruppe konstitutiv ist? Wie wird diese Unterscheidbarkeit diskursiv wirksam und anwendbar gemacht? Der Schwerpunkt der vorliegenden Forschung liegt auf öffentlichen Ausweisungsdebatten in Deutschland zwischen 1996 und 2007, wobei jede thematisch geschlossene Debatte einen Untersuchungsfall bildet. Diese Fälle ermittelte ich durch eine Auswertung von Berichten in Printmedien mit Leitfunktion, denn diese eröffnen den Zugang zu Medienereignissen, die sich über viele verschiedene Formate erstrecken.10 Die Bedeutung der massenmedialen Quellen ergibt sich daraus, dass in ihnen hegemoniales Wissen repräsentiert ist. Die beiden eingangs zitierten Interview-Ausschnitte stehen stellvertretend für mediale Verstärkungen bestimmter Aussagen in öffentlichen Debatten. Indem sie Aussagen aus der Politik reproduzieren, erzeugen Massenmedien einen Multiplikationseffekt für diskursiv machtvolle Sprechpositionen. Zugleich wirken sie bei der Veralltäglichung von juristischem Spezialwissen mit, etwa indem Versatzstücke von Presseerklärungen oder Urteilssprüchen durch mediale Vervielfältigung in populäres Wissen integriert werden. In diesem Sinne sind die von mir untersuchten Medienereignisse Produktion von Wirklichkeit. Indem ich den Diskursverlauf über Leitmedien bestim-
10 Dies sind die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutschen Zeitung, erweitert durch die Bild-Zeitung und Nachrichtenmagazine; zur Auswahl und zum genauen Recherchezeitraum s. Kap. 4.2.1. 13
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
me, wende ich mich einem überindividuellen Wissensbestand zu. Damit bilden nicht primär Praxen des Alltags, nicht die persönliche Erfahrung handelnder Akteure den Gegenstand der vorliegenden kulturwissenschaftlichen Forschung, sondern eine massenmedial vororganisierte diskursive ‚Realität‘. Anders als etwa Interviews oder teilnehmende Beobachtung verhilft diese diskursanalytische Perspektive nicht zu unmittelbarer Erkenntnis über die alltägliche Praxis individueller Akteure. ‚Gültiges‘ Wissen über Ausweisungen entstammt aber in den meisten Fällen der medialen Vermittlung und nicht der persönlichen Erfahrung, zumal speziell die Vorstellungen von Laien über juridisches Fachwissen großteils medial produziert sind. Daher lässt gerade die Rekonstruktion medialer Ereignisse Aussagen über diesen Wissensbestand zu. Dessen diskursive Ordnung, an der ich interessiert bin, muss interpretativ aus Texten rekonstruiert werden, die ihrerseits Produkte alltäglicher symbolischer Praxis sind. Kapitel 4.1 wird auf diesen Diskursbegriff ausführlich eingehen. Für eine diskursanalytische Herangehensweise spricht weiterhin, dass der Ausweisungsakt selbst an keinem einzelnen Ort, in keiner konkreten Situation ‚beobachtet‘ werden kann. Die Akteure dieses Vorganges – die Verwaltung, der Gesetzgeber, ja selbst die von Ausweisungen bedrohten – bleiben in den folgenden Analysen anonym, tauchen als materiell Handelnde kaum auf. Anhand einzelner Quellen werde ich jedoch zeigen, dass meine Analysen nicht nur auf die Praxis der Diskursproduktion abzielen sondern auch Einblicke in die materielle Wirksamkeit der diskursiven Ordnung liefern (s. etwa das Kap. 5.3.3). Durch die Anrufung (Althusser) des auszuweisenden Anderen im Ausweisungsdiskurs wird ein Vorbehalt der Gesellschaft gegenüber ‚bedrohlicher Fremdheit‘ fortlaufend wiederholt und auf spezifische Weise aktualisiert. Im Laufe der Untersuchung werde ich ausführen, wie der Ausweisungsdiskurs ein identitäres Gegenüber der „deutschen Gesellschaft“ (re-)produziert. Wie zu zeigen sein wird, steckt das öffentliche Reden über Ausweisungen vermeintlich eindeutige Konturen eines Gegenbilds zur (nationalen) Wir-Gruppe ab. Der Ausweisungsdiskurs etabliert eine Wissensordnung, in der das auszuweisende Andere nicht nur formell nicht zugehörig ist, sondern zur „deutschen Gesellschaft“ in einem Verhältnis der Gegensätzlichkeit steht, da es diese bedrohe und schädige. Durch die Konstruktion eines derart kulturell abweichenden Anderen wird die Fiktion einer nach innen ‚integrierten‘ und nach außen klar abgrenzbaren Gesellschaft gefestigt.
Vier Medienereignisse Im Zeitraum von Beginn der 1990er Jahre bis zum Abschluss der empirischen Analyse Ende 2007 widme ich mich ausführlich vier thematischen Konjunk-
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EINLEITUNG
turen im öffentlichen Reden über Ausweisungen (zu deren Auswahl s. ausführlich das Kap. 4.2.2). Die „Kurden-Krawalle“ (März 1996 bis Juli 1997) Die erste auffällige Konjunktur im Ausweisungsdiskurs innerhalb des Untersuchungszeitraumes ist die Debatte über den „Missbrauch des Gastrechts“. Sowohl in der massenmedialen als auch der politisch-legislativen Arena führt ab März 1996 die Rezeption kurdischer Großdemonstrationen in Deutschland zur Forderung, die „Terror-Kurden“11 in ihr Herkunftsland abzuschieben. Diese Debatte, aus der auch das eingangs zitierte „Raus, und zwar schnell!“ stammt, mündet 1997 in der Verschärfung des Ausweisungsrechts. In den 1990er Jahren verstärkt die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK, s. Kap. 5, FN 1) durch Anschläge auf türkische Einrichtungen ihre Aktivitäten in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern. 1993 wird diese laut Bundesregierung „terroristische Kurdenorganisation“ in Deutschland verboten. Damit verschärft sich die politische Auseinandersetzung, bundesweit demonstrieren Tausende gegen das PKK-Verbot und die Polizei schreitet gewaltsam gegen das Zeigen von PKK-Symbolen ein. Da die Demonstrationen auf diese Weise regelmäßig eskalieren, werden bereits 1994 alle kurdischen Kundgebungen verboten. In den Folgejahren kommt es weiterhin zu schweren Zusammenstößen bei Protesten gegen die deutschen Versammlungsverbote. Im März 1996 eskalieren erneut die Versuche der Polizei, Verbote von kurdischen Demonstrationen in Deutschland durchzusetzen. Es kommt anlässlich der verbotenen kurdischen Frühjahrsfeiern erneut zu Autobahnblockaden und zahlreichen Festnahmen. Bis zu den Frühjahrsfesten von 1996 werden die Jahr für Jahr sich zuspitzenden Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und der Polizei in Presse und Parlament als „importierter“ Konflikt wahrgenommen. Es handele sich dabei um ein „fremdes“ Problem, das nicht durch deutsche Politik oder deutsches Recht gelöst werden könne. Die an das Medienereignis von 1996 anknüpfende öffentliche Debatte mündet erstmals in einer Gesetzesnovellierung als Reaktion auf die „Krawalle“ (SZ) und die „Kriegserklärung an den Rechtsstaat“ (Außenminister Kinkel). Die Ereignisse werden nicht länger als „externer Konflikt“, sondern als existenzielle Bedrohung für die deutsche Gesellschaft betrachtet. Sie werden nun als ein interner Konflikt gedeutet, bei dem das Wir eine Konfliktpartei darstellt. Die Analyse dieses Diskursverlaufs stelle ich in Kapitel 5.1 vor. Durch eine derart veränderte Problemdefinition ändern sich auch die Techniken, die als Reaktionen geboten erscheinen. Unter 11 Ich referiere die typischen Aussagen dieses Diskursstranges und Begriffe wie „Terror-“ oder „Krawall-Kurden“ ebenso wie vermeintliche Spezialbegriffe wie „Integration“ nicht in einem affirmativen Sinne, sondern zitiere sie lediglich; später werde ich das diskursspezifische Vokabular ausführlich diskutieren. 15
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Bezugnahme auf den „Missbrauch des Gastrechts“ wird die Ausweisungsforderung plausibel und der Landfriedensbruch wird zu einem zusätzlichen Ausweisungsgrund (s. S. 87). Diese zeitgenössische Rede vom „Gastrecht“ hat ihre Anfänge in der Geschichte des deutschen Ausländerrechts. Die abweichenden, gegen ihr Gastrecht verstoßenden Anderen sind eine Form von Bedrohung, der sich gewissermaßen ‚traditionell‘ das Ausweisungsrecht annimmt (s. Kap. 3.2.3 und die ausführliche Diskussion ab S. 152). Der „Fall Mehmet“ (April bis November 1998) Bereits wenige Monate nach dieser vehement debattierten Verschärfung wird das Ausweisungsrecht anlässlich einer individuellen Ausweisung erneut debattiert. Diesmal ist die individuelle Ausweisung eines in München geborenen 14jährigen Jugendlichen mit türkischer Staatsangehörigkeit umstritten, der unter dem Pseudonym „Mehmet“ (FOCUS) bekannt wird. Ende Mai 1998 weist ihn die Münchner Ausländerbehörde wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, nachdem er zahlreiche Straftaten begangen hat. Im November 1998 wird „Mehmet“ erneut straffällig, seine Aufenthaltserlaubnis wird nicht verlängert und er wird schließlich in die Türkei abgeschoben.12 Mit diesem Ausweisungsfall stellt sich für die deutsche Öffentlichkeit die Frage, weshalb ein straffälliger Jugendlicher mit türkischer Staatsangehörigkeit in die Türkei ausgewiesen werden soll. Für viele Laien ist fraglich, warum der in München geborene „Mehmet“ der Türkei zugerechnet werden soll – ist dieses Land für ihn, für sein Verhalten, für seine Devianz verantwortlich? Oder sind seine sozialen Bindungen an Deutschland nicht plausibler, ist er nicht vielmehr ein „Inländer mit ausländischem Pass“ (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000: 43)? Demzufolge liege nur formal eine fremde Staatsangehörigkeit vor. So taucht in der Debatte die Frage auf, ob kulturelle oder biographische Merkmale benennbar sind, durch die ein Land auch jenseits formeller Mitgliedschaft für seine Bewohnerinnen und Bewohner zuständig wird. Den genauen Diskursverlauf werde ich in Kapitel 5.2.3 vorstellen. Schon seit Beginn der 1990er Jahre liegt keine eindeutige Rechtslage mehr vor, nach der alle „ausländischen“ Straftäter pauschal ins Ausland abgeschoben werden dürften. Dennoch sind die (massenmedialen) Debatten um die Ausweisung „Mehmets“ spezialdiskursiv dominiert. Das bedeutet, dass die diskursiv wirksamen Logiken auf Setzungen aufbauen, die dem Recht entstammen und damit den Geltungsanspruch des rechtlichen Spezialwissens stärken. Die Ausweisung „Mehmets“ scheint vor allem durch die formal-
12 Diese Ausweisung wurde 2001 verwaltungsgerichtlich aufgehoben und „Mehmet“ durfte nach Deutschland zurückkehren; s. S. 164. 16
EINLEITUNG
juristische Definition als Staatsfremder legitimiert zu sein. Dazu kommt die (für Jugendliche erst 1997 eingeführte) Notwendigkeit, seinen Aufenthalt in Deutschland behördlich genehmigen lassen. Zudem gilt ein formaler Ausweisungstatbestand ordnungsrechtlich in Form einer „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ als etabliert. Diese Ausweisung wirkt auf den ersten Blick wie eine Bestrafung für seine zahlreichen Delikte. Daher ist ein Grundwissen um die Systematik der Rechtsnormen zum Verständnis dieser Debatte notwendig (s. dazu ausführlich Kap. 3.3 und die Diskussion in Kap. 5.2.2). Die Debatten um das Terrorismusbekämpfungsund das Zuwanderungsgesetz (2002/2004) In direktem Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA wächst auch in Deutschland die Bedeutung von „Sicherheit“ in der öffentlichen Diskussion. Noch im September 2001 wird das erste „Anti-TerrorPaket“, bald darauf das „Sicherheitspaket II“ vom Parlament verabschiedet. Die Inhalte dieser wie der folgenden Gesetzesinitiativen werde ich in Kapitel 5.3 vorstellen. Angesichts der sicherheitspolitischen Maßgaben wandelt sich der Einwanderungsdiskurs: die seit 2000 geführte Debatte um ein reformiertes Ausländerrecht, das Arbeitsmigration nach Deutschland erleichtern und den Aufenthalt bereits in Deutschland lebender „Ausländer“ sichern sollte (s. S. 87), wird durch Sicherheitsstrategien überlagert. Nun dominieren in der ausländerrechtlichen Debatte die althergebrachten Logiken der Abschottung gegen bedrohliche Einflüsse von Außen. Der Gesetzgebungsprozess ist von nun an durch das Ziel bestimmt, Gefahren abzuwehren. Das Terrorismusabwehrgesetz (BGBl. I S. 361) nutzt die ausländerrechtliche Ausweisung, um mögliche „Gefährder“ ausschließen zu können; der erst kurz vor dem 11. September, im August 2001, ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Entwurf der Bundesregierung mit dem Titel „Gesetz zur Regelung der Zuwanderung“ wird, unter Aufnahme der bereits verabschiedeten Ausweisungsverschärfung, im März 2002 als „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ (BTDrs 14/7987) verabschiedet. Es tritt jedoch nicht in Kraft, wird mehrfach modifiziert und schließlich erst im Juli 2004 erneut und abschließend verabschiedet. Das Thema der Gefahrenabwehr durch Ausweisung dominiert durchgehend diesen Novellierungsprozess. Der Leitbegriff der Gefahr basiert auf einer Prognose darüber, wer oder was sich zukünftig als schädlich erweisen wird. Im deutschen Ausländerrecht ist die Wahrnehmung des „Ausländers“ als potentiell schädlich bereits fest verankert. Die Potentialität einer eher diffusen Bedrohung ist darin durch das scheinbare Faktum konkreter Gefährlichkeit von „Ausländern“ überlagert. Dieser Topos des „gefährlichen Ausländers“ wird im Ausweisungsrecht nach 2001 besonders bedeutsam, weshalb das Kapitel 5.3.2 ausführlich darauf eingehen wird. 17
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ab wann und als wie gefährlich ein „Ausländer“ zu gelten hat heißt, den Wahrscheinlichkeitsgrad abzuschätzen, nach dem die befürchtete Gefährdung eintreten wird. Um zu ermitteln, wer in welchen Situationen als gefährlich gilt, installiert das Ausweisungsrecht spezifisch auf den Schutz vor Terrorismus ausgerichtete Operationalisierungspraktiken. Nur scheinbar reichen Bestimmungen wie „Topgefährder“ dazu aus, einen besonders hohen Bedrohungsgrad plausibel zu machen – tatsächlich werden im weiteren Verlauf der Debatte auch die bereits nur „Verdächtigen“ mit dem Attribut „Top“ versehen (dazu mehr ab S. 200). Angesichts der zentralen Bedeutung des Verdachts im Kontext der Gefahrenprognose steht der tautologische Schluss, unter Verdacht zu stellen seien diejenigen, die verdächtig sind (s. Zitat S. 191), paradigmatisch für die in diesem Diskursstrang etablierten Logiken. Expliziten Geltungsanspruch erhebt in den Sicherheitsdebatten des Ausweisungsdiskurses vor allem die ‚statistische‘ Wahrscheinlichkeitsabwägung, der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe als Beleg einer bestimmten Gefährlichkeit dient (was ab S. 187 ausgeführt wird). Durch kulturelle Zuschreibungen wird darin das Gefährlichkeitsmerkmal auf „fanatische“ oder „radikale“ Muslime zugespitzt. Diese Deutungsfigur des „Islamismus“ stellt eine konkret religiös konnotierte Kulturalisierung dar, mit der pauschale Gefährlichkeit inhaltlich durch spezifische Fremdheit bestimmt erscheint. Damit knüpft die Ausweisung nicht mehr an das an, was eine Person tut, sondern an das, als was sie gilt. Die „Integrationsverweigerung“ (März 2006 bis August 2007) In der überregionalen deutschen Presse findet ab März 2006 ein Medienereignis statt, das als Erschrecken über Gewalt an der Berliner Rütli-Schule beginnt und in der Forderung mündet, „ausländische Gewalttäter“ auszuweisen (s. Kap. 5.4). Dabei wandelt sich die Debatte über das Versagen des deutschen Schulsystems anhand von Berichten über Gewalt an Hauptschulen zu einer Skandalisierung fehlender gesellschaftlicher Integration von Migrantinnen und Migranten. Als Ursache des „Schul-Terrors“ (BILD) gilt in den Massenmedien, dass die „gewalttätigen ausländischen Schüler“ nicht in die „deutsche“ Gesellschaft integriert seien. Deren zunehmende soziale Segregation wird dabei als versäumte oder verweigerte Integration „der Anderen“ gedeutet. Die so entstandene „Parallelgesellschaft“ werde zu einer Bedrohung für die Gesellschaft. Die Verantwortung für das behauptete „Scheitern“ der „Integration“ wird den „Ausländern“ zugeschrieben, denn ihr Verhalten wird als „Verweigerung“ gegenüber dem Integrationspostulat und als „Feindschaft“ gegenüber der „deutschen“ Gesellschaft gedeutet. Implizit wird damit ein Gegenüber von des-integrierten „Ausländern“ und einer „integrierten deutschen“ Gesellschaft konstruiert. In Folge dieser Differenzkonstruktion wird der Me18
EINLEITUNG
dien- und Politikdiskurs schließlich vom Vorschlag dominiert, die durch verweigerte Integration erzeugte Bedrohung mit Hilfe der Ausweisung abzuwenden. Parallel zu dieser Integrationsdebatte wird ab April 2006, nach dem Urteil im Berliner „Ehrenmord-Prozess“, das eben angesprochene Argument der Verweigerung von Integration nochmals akzentuiert. Die Tatsache, dass ein derartiger „Ehrenmord“ in Berlin passieren könne zeige, dass in Deutschland Menschen in einer „Parallelwelt“ lebten – und darin leben wollten –, die als Ergebnis kultureller Differenz gedeutet wurde. Am Skandalon der gegenüber der deutschen Normalvorstellung divergenten Vorstellung von Ehre werde erkennbar, dass eine Weigerung vorliege, „sich zu integrieren“. Folglich sei die Forderung zulässig und geboten, wer die deutschen Werte ablehne müsse das Land verlassen. Im Nachhinein lässt sich gut nachzeichnen (und ich werde das in Kap. 5.4.3 ausführlich tun), wie in Folge dieser beiden (Medien-)Ereignisse des Jahres 2006 das Thema „Integration“ in der politischen Arena verhandelt wird. Das jüngst novellierte Ausländerrecht steht zu dieser Zeit noch unter Bewährungsdruck. Nach den Ereignissen um „Schul-Gewalt“ und „Ehrenmord-Prozess“ und angesichts des diskursiv etablierten Arguments der „Bringschuld“ zur Integration wird ab Mitte 2006 an einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gearbeitet. Auf der Verknüpfung von Devianz und Integration beruht nun die Forderung nach schärferen Sanktionen bei Abweichung, denn den Zustand der Entkoppelung einer „Parallelgesellschaft“ von der deutschen Gesellschaft könne man nur durch vollständige Separation, also in Form der Ausweisung, heilen. Im Effekt dieser Diskurslogik muss nicht mehr explizit begründet werden, weshalb die Sanktionierung durch Ausweisung legitim und geboten scheint. Im Juli 2007 führen diese Debatten schließlich zu einer Gesetzesverschärfung mit dem Inhalt, „Integrationsverweigerung“ durch Ausweisung zu sanktionieren.
Aufbau der Arbeit Die theoretischen Voraussetzungen zur Explikation der genannten Differenzkonstruktionen werde ich im folgenden Kapitel 2 entwickeln. Dort wird dargestellt, wie im Ausweisungsdiskurs das ausweisbare und das auszuweisende Andere als zentrale Kategorien der Differenz wirksam werden. Dort werden auch die notwendigen diskursanalytischen Begrifflichkeiten eingeführt. Mit der Entstehung des modernen Nationalstaats wurde eine eindeutige Zugehörigkeitsdefinition eingeführt, die zu einer deutlich benachteiligten Rechtsstellung von „Ausländern“ führte. Wie und mit welchen Folgen Ausweisungsregelungen an diesem Prozess beteiligt waren wird der historische Rückblick verdeutlichen. Denn die zu analysierende diskursive Praxis ist nur 19
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
zu verstehen vor dem Hintergrund der historischen Genese sowohl der heutigen Rechtslage als auch der Ausweisungspraxis, was übersichtsartig in Kapitel 3 dargestellt ist.13 Dort werde ich auch die zunehmende Bedeutung erläutern, die die veränderte europäische Rechtspraxis für das deutsche Ausweisungsrecht hat. Kapitel 4 wird das methodische Vorgehen und die Auswahl der empirischen Quellen sowie das konkrete Auswertungsdesign vorstellen. Daran schließen sich in Kapitel 5 die einzelnen Fallanalysen an, deren thematische Umrisse ich oben bereits vorgestellt habe. In der detaillierten Analyse des öffentlichen Redens über Ausweisungen in diesen vier Abschnitten zwischen 1996 und 2007 (s. die Kap. 5.1 - 5.4) werden die Prozesse der Produktion von auszuweisenden Anderen verdeutlicht. Im abschließenden Kapitel 6 werde ich die These ausarbeiten, dass sich das Kollektivsubjekt mittels und innerhalb des Ausweisungsdiskurses von auszuweisenden Anderen distanziert, indem es diese als kulturell different konstruiert. Zentrales Instrument dazu ist die Ausweisung, die als integrierende Sanktion verstanden wird. Indem sie eine als eindeutig gedachte Differenz zwischen Eigenem und Fremdem (re-)produziert, soll zugleich Assimilation und Aussonderung und damit die „Integration“ der Gesellschaft hergestellt werden. In diesem Zusammenhang gehe ich auch auf die Bedeutung dieser Differenzkonstruktionen für das offenbar problematische Selbstbild einer „integrierten“ Gesellschaft ein. Ein Ausblick (Kap. 7), der die jüngsten Entwicklungen nennt und mögliche anschließende Fragen anreißt, schließt die vorliegende Arbeit ab.
13 Im Anhang ist zudem das seit 1921 in den deutschen Staaten erlassene Ausweisungsrecht in Auszügen dokumentiert. 20
2 Au sw eisung und Differenzkonstruktionen
Bereits in der Einleitung wurde angesprochen, dass in der medialen und politischen Präsentation von Menschen, die „sich nicht integrieren wollen“, eine diskursiv verfügbare Vorstellung von Differenzen zwischen Wir und Sie1 aktualisiert und deren ordnende Wirkung damit in Kraft gesetzt wird. Bevor ich in Kapitel 2.2 auf die konkreten Wirkungen der Differenzkonstruktionen im Ausweisungsdiskurs zu sprechen komme, werde ich die theoretischen Konzepte des othering und der Kulturalisierung einführen. Denn beruhen derartige Kategorisierungen auf asymmetrischen Referenzverhältnissen zwischen den erzeugten Gruppen und werden damit abwertende Unterscheidungen eingeführt, handelt es sich um othering. Werden Differenzsetzungen in Form von Abwertungen oder Ausschlüssen wirksam, die als naturgegeben gelten, kann von Kulturalisierung gesprochen werden. Unter der Überschrift Doing Difference werde ich dann ausführen, wie othering zudem auf fortlaufender Praktizierung und damit diskursiven Aktualisierung der Differenz basiert.
2.1 Der Prozess des othering 2.1.1 Differenzsetzung und othering Eine soziale Gruppe grenzt sich von anderen Gruppen durch den Vorgang des Unterscheidens ab. Damit ist gemeint, dass aus den vielfältigen menschlichen Verschiedenheiten einzelne herausgegriffen und mit Sinn versehen werden; sie werden bedeutsam gemacht. Etwas als unterscheidbar zu bezeichnen bedeutet, diejenigen Merkmale zu betonen, die vermeintlich eine tatsächliche 1
Das kursiv markierte Wir bezeichnet die Identitätsfiktion des Kollektivs, das sich durch Differenzsetzungen vom Anderen, vom Sie, abzusetzen versucht; diese Kategorien mache ich mir deshalb keineswegs zu eigen. 21
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Unterschiedlichkeit erkennen lassen. Die Bedeutung der Merkmale ist nun, dass sie etwas über ihr bloßes Vorhandensein hinaus ausdrücken: etwa dass sie natürlich, typisch, unveränderlich, kategorisch o. ä. seien. Durch die Auswahl bestimmter Merkmale und deren Setzung als signifikativ entstehen Kategorien. Die Kategorisierung von Merkmalen als Unterschiede bedeutet dann auch, dass das Eigene als abgrenzbare Größe beschreibbar ist. Denn wird eine bestimmte Gruppe als unterscheidbar, als anders, erzeugt, ist aus der Benennung von Unterschieden eine Differenzierung geworden: Sie sind nicht so wie Wir. Dabei wird eine Auswahl bestimmter Differenzen vorgenommen, die andern vorgezogen und als eine Differenzierung notwendig inhaltlich bestimmend betrachtet werden. Als eine abwertende Differenzkonstruktion kann der beschriebene Prozess der Differenzsetzung bezeichnet werden, wenn er neben einer kategorisierenden Anwendung von Unterscheidung auch die Abwertung des dabei hervorgebrachten Anderen beinhaltet. Die Eigenschaften der eigenen Gruppe bzw. deren „Kultur“ (zum statischen Kulturbegriff unten mehr) erscheinen dann entweder als explizit positiv, gut, richtig, zeitgemäß usw., oder als (meist implizit) ‚normal‘. Alles andere wird dementsprechend als schlecht, falsch, weniger ausgeprägt oder von allgemeingültigen Normen abweichend betrachtet, was die eigene Normalität wiederum bestätigt. Ein Begriff für abwertende Differenzsetzung ist othering:2 es wirkt für das Andere, von dem die eigene Gruppe sich positiv absetzt, ausgrenzend oder marginalisierend. Die eigene Identität hingegen wird als positive Absetzung von einem als negativ kategorisierten Anderen definiert und gesichert. Wird im Vorgang des othering das Selbst implizit als ‚normal‘, das Andere als abweichend gesetzt, führt schon der Abgleich des Anderen an der Norm des Eigenen zu dessen Abwertung: das „nicht so wie“ etabliert notwendigerweise ein Defizit gegenüber dem Ausgangspunkt des Vergleiches. So führt jede Differenzsetzung eine Asymmetrie ein, die darauf beruht, dass „in der Anfangsunterscheidung von ‚A‘ und ‚Nicht-A‘ der positive Wert bezeichnet wird, die andere Seite der Unterscheidung aber als Reflexionswert fungiert und als Negation vorläufig unbezeichnet bleibt. Festgestellt wird eine Differenz, wobei der positive Wert den Maßstab für die Abweichung liefert.“ (Gomolla/Radtke 2002: 11)
Dass die Setzung von Differenz eng mit kollektiver Identität zusammenhängt liegt auf der Hand: etwas als unterschiedlich wie auch als gleich zu bewerten 2
22
Geprägt wurde der Begriff othering in den cultural studies (Said 1978) und den postcolonial studies (Bhabha 1990), daher der englische Begriff statt der holprigen Übersetzung „Veranderung“ (Reuter 2002). Zu Lacans Konzept des „Anderen“ vgl. Welsen 1988.
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
sind analoge Operationen. In beiden Fällen muss die Zuordnung des Bezeichneten zum Eigenen oder zum Anderen damit begründet werden, dass bestimmte Merkmale bedeutsam gemacht werden. Ein Kollektivsubjekt (Niethammer 2000) wird errichtet, indem „der Betrachter an verschiedenen Objekten unter einem bestimmten Aspekt Gemeinsamkeiten erkennt, die sie [die Einzelnen] verbinden [...] oder zumindest von allen anderen Objekten unterscheiden“ (ebd.: 43).
Daraus resultiert die Einsicht, dass Identitäts- wie Differenzkonstruktionen immer relationale Beziehungen sind, die über ihre Konstrukteure ebenso etwas aussagen wie über das als anders Bezeichnete. Denn das ‚Wesen‘ der Unterscheidung liegt nicht in der Sache vor, sondern wird durch Art und Bewertung des Vergleichs den Objekten zugeschrieben (ebd.). Sich als zu etwas zugehörig zu verstehen bedeutet immer auch Ausschluss, denn Identität „konstituiert sich überhaupt erst durch die Bezugnahme auf ein Anderes“ (Kaschuba 1999: 138).3 Das Nicht-Dazugehörige ist also bei jeder Gruppenkonstitution bereits mitgedacht, wird definiert als „Außenstehendes“ und sichert damit den Bestand des Eigenen. Nach der Logik der „differenzierenden Macht“ (Bauman) ist „die Abnormität das Andere der Norm, Abweichung das Andere der Gesetzestreue, Krankheit das Andere der Gesundheit, Barbarei das Andere der Zivilisation, das Tier das Andere des Menschen, die Frau das Andere des Mannes, der Fremde das Andere des Einheimischen, der Feind das Andere des Freundes, ‚sie‘ das Andere von ‚wir‘, der Wahnsinn das Andere der Vernunft, der Ausländer das Andere des Staatsbürgers“ (Bauman 1992b: 29).
Die Relationalität von Differenzkonstruktionen gilt auch für die Wahrnehmung von Fremdheit: etwas als „fremd“ zu bezeichnen drückt eine Beziehung zwischen Eigenem und Fremdem aus.4 Die Zuschreibung von Fremdheit ver3
4
Dabei meint Identität – auch die individuelle Erfahrung der Einzigartigkeit – die Vorstellung einer Rolle in der Gesellschaft, eines Ortes, an dem die Person sie selbst ist. Ich gehe davon aus, dass sich das Individuum mit etwas ihm äußerlichen „identifiziert“, also auch eine kollektive Identität annimmt. „Zugleich meint Identität immer sowohl eine Ich- als auch eine Wir-Identität, zwei sich ineinander verschränkende Bedeutungsdimensionen von Selbstsein und Dazugehören.“ (Kaschuba 1999: 134) Dass keine dieser Kategorien aus sich selbst heraus aussagekräftig ist, sondern dass sie diskursiv erzeugte Setzungen sind, wurde bereits deutlich. Wenn ich sowohl von Anderen als auch von Fremden spreche verwende ich beide Begriffe nicht einfach synonym (wie im Ergebnis Reuter 2002), Fremdheit stellt vielmehr eine spezielle Form von othering dar. Die Konturen des Fremden sind zumeist bezugnehmend auf Georg Simmels prototypischen migrantischen Fremden „der 23
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
deutlicht, dass eine Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem besteht. Ebenso wie die Kategorie anders macht fremd keinen Sinn ohne den Bezug auf etwas, wozu das Bezeichnete als anders oder fremd wahrgenommen wird. Keine Sprache oder kein Land ist an sich fremd; eigen und fremd sind keine an sich sinnvollen Prädikate, sie ergeben ohne Referenzwert keinen Sinn. Fremdheitszuschreibungen verweisen immer auf das zuschreibende Eigene. Damit sind kollektive Identitäts- wie Differenzsetzungen immer relational (Waldenfels 1997: 145), d.h. vom Standort der Sprechenden abhängig.
2.1.2 Kulturalistische Differenzkonstruktion Wird abweichendes Aussehen, Handeln, ja das ‚Wesen‘ der Anderen durch deren „Kultur“ erklärt, handelt es sich um eine kulturalistische Differenzkonstruktion oder kurz um Kulturalisierung. Ein derartiges Verständnis von Kultur als starres Set von Normen und Werten (Sökefeld 2004: 17) erklärt die Fremdheit der Anderen über die Internalisierung von kulturellen Regeln durch Sozialisation und Enkulturation. Kultur ist demnach etwas dem Handeln Vorgeordnetes, sie wird geradezu deterministisch als handlungsleitend für die Akteure betrachtet (ebd.: 20). Der klassische Kulturbegriff – wie wir ihn etwa bei Herder finden – teilt die Menschheit in verschiedene, von einander abgrenzbare Kulturen ein und gibt ‚fremdartigem‘ Verhalten Sinn.5 Wird Kultur als nach außen abgeschlossen und beständig gedacht, können Kulturen „zusammenprallen“, kann „Kulturkonflikt“ entstehen. Über die Wahrnehmung des Unvertrauten und Unverständlichen als kulturell Fremdes wird es in eine klare Relation zum Eigenen gebracht und damit werden die Konturen des Selbst gesichert. Das Groteske, Monströse kann bestaunt, die abweichenden Logiken, Regeln und Verhaltensweisen können disqualifiziert oder als „fremde Kultur“ im Sinne des statischen Kulturkonzepts relativiert werden. In der Benennung der Differenz durch binäre Fremdheitskategorien – im Sinne von eigen/fremd, einheimisch/fremd, zugehörig/fremd, verwandt/fremd – wird Ein-
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heute kommt und morgen bleibt“ (Simmel 1908) insofern bestimmt, als „Fremdheit“ dann kulturelle Differenz konnotiert (vgl. die kognitive Dimension der Unvertrautheit des Anderen als „kulturelle Fremdheit“ bei Münkler/Ladwig 1997: 15) Der parallel verwendete Begriff des „Anderen“ ist lediglich durch Differenzsetzung bestimmt ohne zu spezifizieren, ob kulturalistische Fremdheits-Konstrukte oder andere Faktoren der Differenz maßgeblich sind. Das Unterscheidungsmerkmal kann auch in der formellen Rechtsposition liegen – worauf es ankommt ist das othering, der Vorgang der Abwertung in der Unterscheidung. Johann Gottfried von Herder prägte das heute als ‚klassisch‘ zu bezeichnende Homogenitätsmodell der Kultur, auf das alle Ansätze, die Kultur als geschlossenes System betrachten, zurückführbar sind. Kultur erscheint darin als „Totalität einer Lebensweise, in sich geschlossen und nach außen durch eindeutige Differenz zu anderen Kollektiven gekennzeichnet“ (Reckwitz 2001: 185).
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
deutigkeit hergestellt (Bauman 1992a), denn die „exklusive Zweiwertigkeit“ (Stichweh 1997: 48) dieses binären Codes lässt nur die Zuordnung zu einer der beiden Seiten zu. Wird Kultur maßgeblich zur Deutung ungleicher Machtverteilung herangezogen, erscheinen soziale Konflikte als „kulturelle“ oder „ethnische“ Konflikte. Der Ethnisierung dient der Bezug auf eine „durch die Behauptung einer gemeinsamen Geschichte und Kultur definierte oder sich definierende imaginäre Gemeinschaft“ (Hormel/Scherr 2003: 51) als konstitutive Bezugsgröße.6 Durch die Einführung der „Ethnie“ werden die ‚klassischen‘ Differenzkategorien Rasse und Nation abgelöst. Differenzsetzung findet nun nicht mehr auf der Ebene von Biologie (Rasse) oder politischer Organisation (Nation) statt, sondern bezieht sich auf das klassische Kulturmodell.7 Was mit der Verwendung des Kulturbegriffs gegenüber etwa dem Biologismus der Rassenkategorie gleich bleibt, ist die Postulierung seiner ‚Natürlichkeit‘. Das ethnisierende Konzept führt dazu, soziale Unterschiede als kulturelle Unterschiede zu beschreiben und sie (analog zu Rasse) als Folge primordialer Bindungen zu verstehen. Es führt mit „Ethnien“ Kategorien ein, die auf einer tief verwurzelten, statischen und stabilen Kultur beruhen. In der Migrationsforschung setzt es sich unter dem sozial-konstruktivistischen Blickwinkel zunehmend durch, „Ethnizität“ ebenso wenig wie „Kultur“ als gegebene Tatsache vorauszusetzen, diese also nicht als Ursache oder Bedingung von sozialen Konflikten zu betrachten.8 Denn nur auf der Grundlage des stabilen und geschlossenen Kulturkonzepts erscheinen in Konfliktsituationen oder angesichts sozialer Ausgrenzung „ethnisierende Interpretationsangebote von sozialen Ungleichheiten, Macht- und Herrschaftsverhältnissen“ (Hormel/Scherr 2003: 48) plausibel. Ein derartig essenzialisierender Einsatz von Kultur als theoretisches Argument würde zu einer Naturalisierung von sozialen Verhältnissen führen, die tatsächlich historisch gewachsen und von Menschen hergestellt sind. Ethnizität als deren Erklärung einzusetzen kann daher als „kulturalistische Fehlinterpretationen“ von bspw. struktureller Diskriminierung (Hormel/Scherr 2003: 53) bezeichnet werden. Statt Kultur als Explikans einzusetzen – Differenz erklärend – stellt Kultur vielmehr das Explikat dar. Kulturelle Differenz ist demnach selbst erklärungsbedürftig und ihr Auftreten muss untersucht werden. Kultur entsteht aus 6 7
8
Diese Definition ist explizit in funktionaler Analogie zu imagined community bei Anderson 1988 formuliert, s. FN 11. In den sozialwissenschaftlichen Diskussionen wurden daher die Argumente der Forschung zu Nation und Rassismus teilweise unter der Perspektive der Ethnisierung fortgeführt (vgl. Groenemeyer 2003: 14). Daher spreche ich – analog zur Kritik am statischen Kulturbegriff – von Ethnisierung und nicht von Ethnizität. Zur Ethnizitätsperspektive in der Migrationsforschung vgl. etwa Groenemeyer 2003: 23; kritischer: Hall 1992, Dittrich/ Radtke 1990, Juhasz/Mey 2003: 50-54. 25
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Handeln, sie erklärt es nicht. Sie wird in sozialer Praxis von (bestimmten) Akteuren geschaffen, ist veränderlich, kann konflikthaft sein (Sökefeld 2004: 16). Kulturen haben keine eindeutigen Grenzen, und jede Ethnisierung erzeugt politisch entworfene kollektive Selbst- und Fremdbilder.9 Die Postulierung von Differenz des eigenen Selbst zum außenstehenden oder fremden Anderen ist speziell für den modernen Nationalstaat deshalb von besonderer Bedeutung, weil damit soziale Ungleichheit und Herrschaft legitimiert wird. Dies wird durch die These verdeutlicht, „die Schaffung des nationalen Subjekts erfordere die Erzeugung eines Anderen, durch den sich das nationale Subjekt nicht nur erkennen, sondern auch seine Unterordnung als Autonomie leben kann“ (Räthzel 1997: 111).
Der moderne Nationalstaat produziert demnach eine fiktive Einheitlichkeit, indem innere „Unvertrautheit, Uneindeutigkeit und Nicht-Identität unsichtbar gemacht werden, um soziale Kohäsion zu erzeugen“ (Nassehi/Schroer 1999: 106). Die dem othering inhärente Abwertung des Anderen wird damit zur Selbstvergewisserung eingesetzt. Der Ausschluss des Anderen ist für die Definition des kollektiven Selbst notwendig, „die Repräsentation des Eigenen vermag nur über die Repräsentation des Anderen zu erfolgen“ (Kaschuba 2007: 3). Dabei sind Differenzkonstruktionen wie Antisemitismus, Orientalismus, Anti-Islamismus als Gegenentwürfe „unabdingbar und konstitutiv für die Konstruktion des nationalen Eigenen“ (ebd.: 4).10 Denn nicht alleine der Mythos gemeinsamer Geschichte und Kultur bildet die Grundlage der nationalen „vorgestellten Gemeinschaft“.11 Aus der Vorstellung nationaler Einheit9
Klassischer Vorläufer dieses „konstruktivistischen“ Ansatzes ist Max Weber, der schon in „Wirtschaft und Gesellschaft“ 1922 (Weber 1972) Ethnizität als erklärungsbedürftige Form der Auseinandersetzung sozialer Gruppen mit den spezifischen Bedingungen der modernen Gesellschaft betrachtet. „Ethnien“ konstituieren sich bei Weber über die Mischung aus subjektiv gefühlter affektiver Bindung, einer situativen Aktualisierung im Konflikt, der instrumentellen Einsetzbarkeit der Differenzkategorie und der interessengeleiteten Selbstdefinition (Weber 1972: 234-242). War die Festschreibung von ethnischer Zugehörigkeit in den Sozialwissenschaften noch bis Mitte der 1980er Jahre für die moderne Gesellschaft als kaum mehr bedeutsam gedacht, ist „Ethnizität“ heute als sozialwissenschaftlicher Grundbegriff etabliert, ja gilt als omnipräsente soziale Kategorie wie Alter und Geschlecht (vgl. Groenemeyer 2003: 12), was aus genannten Gründen mit Skepsis zu betrachten ist. 10 Laut Niethammer nimmt das Konstrukt „kollektive Identität“ stets die Form der „Abgrenzung vom Nicht-Identischen“ an und sei damit „im Kern auf Konflikt hin angelegt“ (Niethammer 2000: 625). Für Bauman ist Fremdheit der „Abfall der Errichtung des Nationalstaates“ (Bauman 1992b: 29). 11 Anderson definiert die Nation deswegen als „vorgestellte Gemeinschaft“, weil nicht alle Mitglieder der Gemeinschaft einander kennen können, weil keine face-to-face Kommunikation möglich ist, sich deren Mitglieder aber trotz real 26
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
lichkeit folgt immer die innere „Entnennung der sozialen Gegensätze“ (Räthzel 1997: 111) sowie eine Abgrenzung nach Außen. Diese Grenzmarkierung liefert die ethnisierte Differenz zwischen „Völkern“. „Nur die Ethisierung der Differenz zwischen Untertanen/Staatsbürgern des einen Staates gegenüber denen eines anderen Staates sicherte den Anschein der Legitimität der Herrschaftsausübung über gerade diese (und nicht beliebige andere) Einwohner/Bürger/Untertanen/Staatsbürger. Nur mit Hilfe der Ethnisierung von Differenz ließ sich der Glaube an die Gemeinsamkeit der vielen, die keineswegs immer sehr viele Gemeinsamkeiten in rechtlicher, sozioökonomischer, konfessioneller oder sprachlicher Hinsicht aufwiesen, in den Köpfen verankern und aufrechterhalten.“ (Hansen 2001: 90)
Angesichts dieser „Identitätssimulation“ (Hahn 1994: 162) kann sich das nationale Kollektivsubjekt „durch den Ausschluß einzelner Gruppen als Einheit“ erfahren (Frankenberg 1993: 61).
2.1.3 Doing Difference Kulturalistische bzw. ethnisierende Differenzsetzungen stellen Kategorien zur Verfügung, auf die sich Handelnde in Interaktionssituationen beziehen können. Die Ordnung der Welt in Wir und Nicht-Wir determiniert Handeln aber nicht, sie wirkt nicht als ‚kulturelle Zwangsjacke‘. Die als different definierten Entitäten sind nicht statisch gegeben, sondern durch die Sinngebung der Akteure geschaffen. Daher müssen die sie bedingenden Setzungen immer wieder angewendet und perpetuiert werden. Die soziale Wirklichkeit ist immer Wirklichkeitsdeutung, immer Verstehens- bzw. Interpretationsprozess auf der Grundlage sozial objektivierter Deutungen, die „in der Interaktion mit anderen entstanden, verfestigt, weitergegeben und modifiziert“ (Keller 2001: 115) wurden. Wenn diese Ordnung des Wissens die Wahrnehmung der Welt strukturiert, erzeugt die Benennung von signifikativen Differenzen Kategorien, durch welche Kontingenz eingeschränkt und Handlungsmöglichkeiten reguliert werden. Meine Forschungsperspektive geht also davon aus, dass Bedeutungen interaktiv aktualisiert werden und nimmt diese überindividuellen Bedeutungskonstruktionen in den Blick. Die Ordnung des Wissens ist eine Funktion von Diskursen, weshalb ich Differenzdiskurse untersuche. Als Diskurs kann zunächst der „Fluss von ‚Wissen‘ bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“ (Jäger 1999b: 160) bezeichnet werden. Da Disbestehender Ungleichheiten als „Verbund von Gleichen“ wahrnehmen (Anderson 1988: 15); zur Genese des Nationalstaates vgl. bes. Gellner 1983; zur Historisierung und „Erfindung von Tradition“ vgl. Hobsbawm 1990; die m. E. beste Übersicht zu Theorien der Nation findet sich in Eley/Suny 1996. 27
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
kurse „Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein speist“ (Jäger 2001: 87), also das Denken und Sprechen strukturieren, üben sie Macht aus. Indem Sagbares und Unsagbares bestimmt wird, indem geregelt wird, was als wahr zu gelten hat und warum, wird der Diskurs wirksam: er trägt „zur Strukturierung von Machtverhältnissen bei“ (Bührmann 1995: 24). So verstanden ist der Diskurs „eine institutionell verfestigte Redeweise“, die Macht ausübt, „weil und sofern sie das Handeln von Menschen bestimmt“ (Jäger u. a. 1998: 17). Die empirische Kulturwissenschaft befasst sich mit Symbolen, Bildern, Praxen des Alltags, sie hat vor allem Interesse an den sozialen Akteuren. Wird ihr Ausgangspunkt, die Kultur, als „Dimension kollektiver Sinnsysteme, die in Form von Wissensordnungen handlungsanleitend wirken“ (Reckwitz 2000: 90) definiert, ist sofort ersichtlich, dass es sich dabei um ein Konzept handelt, das nahe an meinem Begriff des „Diskurses“ liegt. Dieser geht davon aus, dass das Handeln der Akteure „über sozial konstruiertes, typisiertes, in unterschiedlichen Graden als legitim anerkanntes und objektiviertes Wissen vermittelt“ wird (Keller 2001: 113). Die gesellschaftlich hergestellten symbolischen Systeme werden (überwiegend) „in Diskursen gesellschaftlich produziert, legitimiert, kommuniziert und transformiert“ (ebd.). Diesem Ansatz folgend werden kulturalistische Differenzkonstruktionen als diskursive Ordnungen untersucht. Mein Forschungsansatz befasst sich also mit Prozessen, „in denen spezifisches Wissen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit wird“ (ebd.: 114). Mit Foucault gesprochen sind dies die ‚produktiven Kräfte‘ der Diskurse: sie formen und schaffen die Gegenstände, über die sie sprechen mit, indem sie über sie sprechen (vgl. Foucault 1997: 74). Dieser das Wissen transportierende Diskurs ist zugleich „strukturierte und strukturierende Praxis“ (Diaz-Bone). Strukturiert ist ein derartiges Wissenssystem dadurch, dass sich seine Regeln auffinden und formulieren lassen. Strukturierend wirkt es insofern, als jede neue Aussage vorhergehende Aussagen als Bedingungs- und Ermöglichungskontext vorfindet und daher deren Gesetzen entsprechen muss – gemeint sind etwa die Klassifikationen von Objekten, die Systeme von Begriffen usw. (zur Anwendung des diskursanalytischen Ansatzes s. Kap. 4). „Diskursive Praxis“ (anstelle von „Diskurs“) meint damit nicht das Sprechen an sich und geht nicht von intentional ‚gemeinten‘ Bedeutungen aus. Vielmehr ist die überindividuelle Praxis damit bezeichnet, die in einem diskursiven Feld die Begriffe mit Bedeutung füllt. So wird diskursive Praxis als konstruierende Praxis verstanden, die sozialen Sinn erzeugt. Dieser Sinn strukturiert die Welt (durch Wertungen, Klassifikationen, Beziehungen usw.) und macht sie erfahrbar. „Diskursive Praxis“ ist dadurch sowohl Wissensordnung als auch Wissenspraxis, d.h.,
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AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
„dass durch den Diskurs als Praxisform die Ordnung im Wissen hergestellt wird, dass mit dem Begriff ‚Diskurs‘ aber auch die Wissensordnung selbst bezeichnet wird und weiter, dass ein Diskurs ursächlich auf andere, so genannte nichtdiskursive Bereiche (wie institutionelle Praktiken) einwirkt“ (Diaz-Bone 2006: 72).
Zu dieser interpretativen Wirklichkeitskonstruktion gehört auch die Vorstellung davon, was als zugehörig und was als anders betrachtet wird. Auch Kategorisierungen wie das othering sind diskursive Praxen, die auf sozialen Machtverhältnissen beruhen und diese zugleich hervorbringen, indem sie als Wissensbestand selbst zu einem Machtfaktor werden. Bezeichnungen, Klassifikationen, Identifikationen existieren nicht nur auf begrifflicher Ebene, sondern sind sozial machtvolle Institutionen. „Diskurse sind keine Abbildungen anderer realer Ordnungen, sondern eigene Realitäten, Realitäten sui generis, mit Durkheim 1984) gesprochen: soziale Tatbestände.“ (Ebd.: 73)
Essentialisiert und naturalisiert bilden diese Realitäten scheinbar unhinterfragbare alltägliche Grundlagen des Handelns. Dieser überindividuelle, soziale Wissensbestand unterliegt selbst einem permanenten Wandel, da er in der fortlaufenden interaktiven Aktualisierung immer nur unvollständig festgeschrieben und teilweise auch modifiziert oder erweitert wird. Er ist historisch entstanden und muss immer wieder (neu) erzeugt und gesichert werden, um Bestand zu haben; er kann aber auch transformiert, abgelehnt oder neu interpretiert werden. Zu diesem Wissensbestand gehört auch die Produktion von Differenz. Damit ist konkret gemeint, dass Differenzen nicht ‚an sich‘ wirken, also natürlich oder zwangsweise, sondern dass sie nur dann zur Differenzierung herangezogen und als Abgrenzung verwendet werden (vgl. Barth 1969), wenn sie für signifikant gehalten werden. Eine derartig differenzierende Wissensordnung ist nicht unwandelbar festgelegt, die in ihr wirksamen Bedeutungen sind nicht eindeutig und starr. Kulturalistische Zuschreibungen konstituieren keine ein für alle Mal festen Gruppen, sondern ihre Bedeutung gewinnen sie über die jeweils situativ durch Handeln hergestellten und in der Praxis mit Sinn versehenen Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen. Durch Handeln wird das Wissen um Differenz aktualisiert. Damit ist einerseits gemeint, dass Wissensordnungen dem Handeln zu Grunde liegen insofern, als dieses sich auf eine Systematik von Bedeutungen beziehen muss. Handeln erfolgt nicht im leeren Raum, handelnde Subjekte geben der Welt in der sie leben nicht nach Lust und Laune Sinn, sondern beziehen sich dabei auf eine vorgefundene Ordnung des Wissens. Andererseits werden erst durch das Handeln die in der Wissensordnung geregelten Bedeutungen überhaupt gesellschaftlich relevant. Ohne das Handeln, das sie regeln, erzielen 29
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
diskursive Regeln keine Wirkung. Werden sie in der sozialen Praxis angewendet, setzt sich ihre Ordnung durch und wird bestätigt. Da auch Differenzkategorien sozial erzeugt und eben kein von vornherein gegebenes und eindeutiges Verhältnis sind, werden sie im Interaktionsprozess immer neu verhandelt und sind damit auch veränderlich (Reuter 2002: 57). Insofern erfolgen kulturalistische Differenzsetzungen nicht nach determinierenden Regeln, die in jeder Situation auf die jeweils gleiche Art und Weise aktiviert werden, vielmehr werden diese Regeln situativ aktualisiert. Im Sinne des doing ethnicity (vgl. Groenemeyer 2003: 32) wird derartige Differenz in Interaktionssituationen kontextbezogen und aktiv identifiziert, dabei aber auch angepasst und laufend einer Umwandlung unterzogen.12 Aber die Bezugnahme auf Differenzen ist wie gesagt auch nicht beliebig, sie muss sich an den gesellschaftlichen Bedingungen orientieren, an dem, was sagbar und verständlich ist. Ihre Einsetzbarkeit ist ebenso von der Machtposition der Handelnden wie von der der Bezeichneten abhängig. Differenz kann nicht willkürlich ‚erfunden‘, Zuschreibungen können nicht nach Belieben negiert, machtvolle Differenzsetzungen nicht einfach verändert werden.13 Sie wirken sich real als sozial bedeutsam aus. Insofern ist Ethnisierung immer auch eine Form der Kategorisierung Einzelner in Interaktionen unter Bezugnahme auf bestehende Gruppenkategorien. Denn indem Handelnde in Interaktionen ihre Zugehörigkeit zu einer Kategorie präsentieren oder den Interaktionsteilnehmenden zuschreiben, wird dieses Element sozialer Identitätsfiktion für die Einzelnen relevant und sie müssen sich dazu positionieren. So kann auch die Persistenz von Fremdheit in der Einwanderungsgesellschaft gedeutet werden: Es ist keineswegs natürlich oder selbstverständlich, an der Fremdheit der eingewanderten Anderen festzuhalten, sondern Ergebnis von bestimmten Machtkonstellationen (vgl. Sökefeld 2004: 14). Das Eigene und das Fremde sind ja nicht statische, ein für alle Mal gesetzte Kategorien, vielmehr wird auch ihrem etwaigen Bedeutungsverlust durch machtvolle Interventionen vorgebeugt. Das Differenzverhältnis wird in der Interaktionspraxis nicht nur vorgefunden, sondern es wird dort perpetuiert. Nationalstaatliche Identitätspolitik stellt eine konkret wirksame Form der Aufrechterhaltung von Differenzsetzungen dar. Dabei fungiert die Ausweisungslogik als eine differenzierende Ausschlusstechnik, die vermeintliche Eindeutigkeiten aktualisiert. Im Folgenden werde ich erläutern, wie die formale Differenz von Staatsangehörigen und Staatsfremden dem Ausweisungsdiskurs als zentrale Ordnungskategorie fungiert. 12 Notwendigerweise evozieren Wiederholungen gewisse Verschiebungen (vgl. die itération bei Derrida 1988). 13 Vgl. die Debatten über alternative Identitätskonzepte wie Transkulturalität und Hybridität (Werbner/Modood 1997) sowie die Infragestellung der Offenheit von Differenzkonstruktionen im Konzept der Transdifferenz (Allolio-Näcke/Kalscheuer/Manzeschke 2005). 30
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
2.2 Differenzkonstruktionen und Wirkungen d e s Au s w e i s e n s Das Konzept des rechtlichen Verwaltungsakts einer Ausweisung beruht auf und aktualisiert eine kategoriale Differenzsetzung: die Trennung zwischen eigenen Staatsangehörigen und Staatsfremden, den „In-“ und „Ausländern“. Da meine Forschungsperspektive den Ausweisungsdiskurs zugleich als strukturierte und strukturierende Praxis untersucht, folgt nun eine separate Darstellung dieser beiden Aspekte. Im ersten Schritt wird ausgeführt, wie sich die Wissensordnung des Ausweisens auf eine juridisch-formale Differenzkonstruktion, auf die Kategorie des rechtlich Anderen, bezieht (Kap. 2.2.1). Daran anschließend verdeutlicht der zweite Schritt, welche soziale Wirklichkeit durch diese Differenzsetzung produziert wird. Die Konstruktion von ausweisbaren Anderen führt zu sozialem Ausschluss materieller wie symbolischer Art (Kap. 2.2.2).
2.2.1 Die Konstruktion des rechtlich Anderen Die Legaldefinition „Ausländer“14 bezeichnet ausschließlich eine Rechtsposition: die betreffende Person besitzt nicht die Staatsangehörigkeit der „Inländer“. Da mit der Staatsangehörigkeit das Recht gewährt wird, sich dauerhaft im Rechtsgebiet eines Staates aufzuhalten, ist der Ausländerbegriff „das negative Gegenstück zum Begriff der Staatsangehörigkeit“ (Dohse 1981:11). Nur, wer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, darf des Landes verwiesen werden. Damit beruht die Ausweisungslogik auf diesem rechtlich Anderen. Auch wenn die Ausgestaltung des Ausweisungsrechts mitunter kontrovers diskutiert wird, scheint dessen Legitimation mit der benachteiligten Rechtsstellung des „Ausländers“ im Nationalstaat evident zu sein. Die Diskriminierung von Staatsfremden15 im Nationalstaat ist jedoch keine fraglos gegebene Tatsache, sondern eine gesellschaftlich gewachsene und letztlich kontingente Setzung. Dass Staaten mit „Ausländern“ mehr oder weniger machen können, 14 Auch wenn der Begriff „Ausländer“ als rein formale Konstruktion verstanden wird (bedeutungsgleich zum „fremden Staatsangehörigen“), so ist er dennoch missverständlich: er legt nahe, die derart bezeichneten Personen würden im Ausland leben. Ich mache diesen Begriff daher durch Anführungszeichen als Hilfskonstruktion kenntlich. Außerdem ist „der Ausländer“ im Ausländerrecht immer männlich und damit geschlechtlich markiert, was ich beibehalte, ohne es mir zueigen zu machen. 15 „Fremde Staatsangehörige“ oder „Staatsfremde“ bezeichnen, bedeutungsgleich zur Legaldefinition des „Ausländers“, die formale Differenz, die sich ausschließlich an der rechtlichen Staatsangehörigkeit orientiert. Zur Unterscheidung zwischen „Staatsangehörigkeit“ und „Staatsbürgerschaft“ vgl. Grawert 1973, Gosewinkel 1998 und Gosewinkel 2001:12. 31
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was sie wollen – „über Zugang und Verbleib von Staatsfremden befinden die Staaten aufgrund ihrer Gebietshoheit souverän“ (Renner 1998: 91) –, ist bereits eine Wirkung nationaler Differenzsetzung. Innerhalb des juridischen Ordnungssystems nach einer Begründung jenseits der Postulierung ihrer faktischen Existenz zu suchen, führt folglich zu Tautologien: der „Ausländer“ sei das Gegenstück zum Staatsangehörigen, weil er in einem grundsätzlich anderen Rechtsverhältnis zum Nationalstaat stehe; dieser mindere Rechtsstatus wiederum gehe aus seinem Wesen, nicht Staatsangehöriger zu sein, hervor. Die Inländer-Ausländer-Binarität ist eine gesellschaftliche Konvention, und die im Recht vorherrschende Behauptung ihrer Neutralität, ihrer rein formellen Funktion, ist eine Fiktion, die nur als juristische Wahrheit ‚wahr‘ ist. Diese Logik einer eindeutigen Unterscheidbarkeit zwischen Wir und Nicht-Wir im Nationalstaat scheint unabhängig vom Ausweisen vorzuliegen, diesem gewissermaßen vorgängig zu sein. Die Kategorien des Staatsangehörigen und dessen Gegenüber sind aber keineswegs so eindeutig, wie es angesichts der gegenwärtigen Dominanz des nationalen Prinzips erscheinen könnte. Um nicht unkritisch davon auszugehen, dass die Welt ‚natürlich‘ zwischen Staaten aufgeteilt ist und die Menschen sich daher als Staatsvölker vergesellschaften, muss diese sich ganz selbstverständlich gerierende Differenz historisch eingebettet und in Relation zur modernem Gesellschaft gestellt werden. Es ist daher zu untersuchen, wie armenrechtliche Hinausweisungen von Staatsfremden im 19. Jahrhundert zum Konzept der Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Gebilde führten, das wir heute als Staatsangehörigkeit kennen (s. Kap. 3.1.2). Wenn weiterhin die Kategorien des Nicht-/Zugehörigen sich nicht ohne weiteres mit dem Nicht-/Staatsangehörigen in Deckung bringen lassen (sondern, wie wir später sehen werden, mit Vorstellungen kultureller Differenz aufgeladen sind), dann beginnt diese Untersuchung des Ausweisens als des sozial folgenreichsten Vorganges, der durch die Setzung des Staatsfremden ermöglicht wird, mit der Untersuchung der Legalkategorie des „Ausländers“. Denn allem voran der Bezug auf sie ist es, der eine Ausweisungsforderung plausibel macht und ‚natürlich‘ erscheinen lässt.16
16 Dass es sich beim Ausweisen der Staatsfremden um keinen rein formalen Vorgang, sondern um eine politisch aufgeladene Konvention handelt, ist wohl auch juristisch Versierten durchaus bewusst. Ich möchte nur an den während der zähen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz 2004 kolportierten ‚Sonderausweisungstatbestand‘ erinnern, den manche Vertreter der CDU/CSU halb im Scherz gegen den Verhandlungsführer der Grünen Volker Beck einführen wollten (Bericht des Deutschlandfunks am 2.5.2004). Das Ringen um die leichtere Ausweisung von „Terrorverdächtigen“ brachte die Verhandlungen beinahe zum Scheitern und veranlasste den grünen Koalitionspartner Anfang Mai 2004, aus den Verhandlungen auszusteigen (s. Kap. 5.3). 32
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
Die Konstruktion des „Staatsfremden“ erfüllt alle Charakteristika des othering: vermeintliche Eindeutigkeit (Staatsangehörige/Staatsfremde), Referenzialität (rechtlich nicht-zugehörig sein) und Abwertung (eingeschränkte Rechte). Außerdem gilt auch für das Unterscheiden des Staatsfremden vom eigenen Staatsangehörigen, dass es permanent praktiziert werden muss, um soziale Relevanz zu erlangen. Die Kategorisierung gibt vor, rein formal zu sein, ist aber überaus folgenreich. Sie reguliert das denk- und sagbare, macht Aussagen wahr und andere falsch. Unter Bezug auf die Legaldefinition des rechtlich Anderen werden die genannten Benachteiligungen der „Ausländer“ im Nationalstaat plausibel, darunter gravierende Sanktionen wie die Ausweisung. Folgenreich ist diese Differenz zudem, da alle an den scheinbar neutralen Status der staatlichen Zugehörigkeit anknüpfenden Ungleichbehandlungen nicht als Diskriminierung gewertet werden. Dass für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ein eigenes Gesetz existiert, das elementare Rechte weitgehend einschränkt, stellt zwar eine Ungleichbehandlung par excellence dar, wird jedoch von Politik und Justiz nicht als „Diskriminierung“ betrachtet. Die grundgesetzlich garantierte „Gleichbehandlung“ (Art. 3 GG) gilt dadurch nicht als tangiert, denn eine Ungleichbehandlung (gegenüber der formaldeutschen Bevölkerung) von Personen(gruppen) aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit unterliegt weder dem nationalen Diskriminierungsverbot noch entspricht sie dem international üblichen Verständnis von „Diskriminierung“.17 Beruft sich ein Verwaltungspraktiker zur Begründung dieses definitorischen Ausschlusses auf die normative Kraft des Faktischen, wie etwa Winfried Kissrow, Ministerialrat im BMI, wenn er argumentiert, „es entspricht der internationalen Rechtsüberzeugung und -praxis, fremden Staatsangehörigen grundsätzlich keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im eigenen Hoheitsgebiet zu gewähren“ (Kissrow 1995: 4), so argumentiert der Kommentator des Ausländerrechts, Günter Renner, dass die Staatsangehörigkeit grund-
17 Auch in den Gleichbehandlungsrichtlinien der EU, die für Deutschland bindend sind, wird von „Diskriminierung wegen …“ gesprochen, und Präzisierungen etwa hinsichtlich der „Religion“, der „Weltanschauung“, „einer Behinderung“, des „Alters“, der „sexuellen Ausrichtung“ oder „aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ formuliert (vgl. Rat der Europäischen Union 2000a, b.) Die Benachteiligung von „Ausländern“ im Nationalstaat bleibt aber von einem Diskriminierungsverbot explizit ausgenommen, wenn sie „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ ist (ebd., Artikel 2(2)b). In der UNO-Konvention von 1966 werden „Unterscheidungen, Ausschließungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen, die ein Vertragsstaat zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen vornimmt“, sogar explizit vom Diskriminierungsverbot frei gestellt („Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“, Artikel 1 (2); BGBl. 1969 II, S. 961.) Es wird also impliziert, dass die Staatsangehörigkeit zu den Differenzierungsgründen zählt, die im Allgemeinen wie im Speziellen als legitim erscheinen. 33
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
sätzlich ein „sachliches“, und damit nicht verbotenes Unterscheidungsmerkmal darstelle: „Die unterschiedliche Behandlung von In- und Ausländern beim Zugang zum Staatsgebiet beruht auf der Zugehörigkeit der Staatsangehörigen zum Staatsvolk und den daraus für sie resultierenden besonderen Schutzpflichten des Staates. […] Eine unzulässige Diskriminierung kann hierin nicht erblickt werden.“ (Renner 1998: 93)
Die Argumentationen der beiden Juristen spiegelt die Definitionsmacht darüber wieder, welche Differenzierungsmerkmale zulässig, welche verboten sind.18 Hierin manifestiert sich die Macht der nationalstaatlichen „Prämisse der Fremdausgrenzung“ (Behr 1998: 302), deren allgemein akzeptierte Logik als „institutionalisierter Ausgrenzungsdiskurs der Moderne“ (Behr 1998: 302) bezeichnet werden kann. Dass transnationale Entwicklungen wie ein EU-internes Ausweisungsverbot der eigenen Bürgerinnen und Bürger nationales Ausweisen erschweren (mehr dazu ab S. 94), diese Verschiebungen aber in der diskursiven Praxis kaum eine Rolle spielen, ist ein weiteres Beispiel für die symbolische Persistenz dieser permanent wiederholten und aktualisierten Kategorie. Insofern führt das Ausweisen dazu, dass der Referenzwert, auf den jeder Ausweisungsfall Bezug nimmt – der „Ausländer“ – immer wieder neu als scheinbar unverrückbare Größe installiert und gefestigt wird (auf diese Anrufung des auszuweisenden Anderen werde ich in Kap. 2.3 noch ausführlich eingehen) – und dies selbst angesichts konträr wahrnehmbarer Realitäten in der Einwanderungsgesellschaft. Es ist offensichtlich, dass eine seit mehreren Generationen in Deutschland lebende „ausländische“ Familie keine wirklich „ausländischen“ Kinder hat. Aber selbst die Einsicht, dass lange in Deutschland lebende formal Nicht-Deutsche nicht mehr wirklich „Ausländer“ sind, reproduziert und festigt die Setzung, es gäbe solche „wirklichen Ausländer“. Die derartig gestiftete Ordnung ist somit sehr wirkungsvoll, denn sie macht das Denken jenseits der Ausländer-Deutsche-Binarität, in Zwischenräumen oder Alternativen, nahezu unmöglich. Das rechtlich Andere, der „Ausländer“, stiftet also eine konstruierte, aber dennoch sehr wirkungsvolle und folgenreiche Wissensordnung. Diese ist insofern eine Ordnungsfiktion, als die „Tyrannei des Nationalen“ (Noiriel 1994) vielfach Lebensrealitäten produziert, die quer zu den nationalen Grenzen liegen, und weiterhin permanent Grenzüberschreitun-
18 Kritik an dieser „sachlichen Begründung“ des Differenzierungsgrundes hinsichtlich der „Inländer ohne Staatsangehörigkeit der Mehrheitsgesellschaft“ von juristischer Seite findet sich u. a. bei Schulte 2002 sowie bei Rittstieg 1993, der formuliert, „Für diese Inländer bedeutet der Ausländerstatus […] Ausgrenzung und Diskriminierung, so dass die rechtsstaatliche Grundfrage der Gleichbehandlung aufgeworfen ist.“ (Rittstieg 1993: 1) 34
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
gen provoziert; täglich wird dieses Ordnungssystem durch internationale Migration herausgefordert. Zudem hat die nationale Staatsangehörigkeit entgegen ihrem Versprechen nie wirklich gleiche Rechte für alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Staatsgebietes geschaffen.19
2.2.2 Die Exklusionswirkung des Ausweisens Bisher habe ich vor allem diskutiert, dass die Ausweisungslogik auf Differenz aufbaut. Gleichzeitig verhilft die Ausweisungskompetenz des Nationalstaates der Konstruktion von Nicht-Staatsangehörigen in besonders gravierender Form zu sozialer Wirksamkeit. Denn materieller Ausschluss tritt umgehend ein, sobald ein „Ausländer“ tatsächlich aus Deutschland ausgewiesen wird. Der soziale Status der Nicht-Zugehörigen wird durch das Ausweisen entwertet, indem ihre sozialen, ökonomischen und politischen Rechte eingeschränkt oder ganz negiert werden. Das Ausweisen ist damit eine von vielen Sozialtechniken des „institutionalisierten Ausgrenzungsdiskurses der Moderne“ (Behr 1998: 302), von Grenzsicherungen, Reisedokumenten und Visa, über ausländerrechtlichen Restriktionen des Aufenthaltes und der Arbeitsaufnahme im Landesinneren, bis hin zu Abschiebungen. Neben der materiellen Exklusionswirkung darf der symbolische Effekt der Ausweisungsdrohung nicht vernachlässig werden. Denn indem „Ausländer“ – und nur diese – pauschal als ausweisbare Andere gelten, liegt bereits ein symbolischer Ausschluss vor. Ihr Statusunterschied gegenüber den als Norm gesetzten „Inländern“ ist bereits damit etabliert, dass die Techniken zur Durchsetzung der Differenzsetzung vorhanden sind, sie also permanent von Ausweisung bedroht sind. Schon die Ausweisungslogik arbeitet mit den postulierten Unterschieden zwischen Wir und Sie: der symbolische Ausschluss ist lediglich temporär suspendiert, die hegemoniale Ordnung bestätigt.
Materielle Exklusionswirkung formaler Differenz Differenzsetzung hat selbst sozialstrukturelle Wirkungen, denn abwertende Differenzsetzungen erzeugen einen niedrigeren sozialen Status der abgewerteten Gruppe(n). Der Terminus sozialer Status bezieht sich auf eine hierarchische Struktur der Gesellschaft, innerhalb derer Individuen und Gruppen unterschiedlich machtvolle soziale Positionen innehaben oder unterschiedlich weitgehende Teilhabemöglichkeiten in bestimmten Kontexten besitzen. Ein relativ benachteiligter Status der abgewerteten Gruppe wird dadurch durchge19 Zum Konzept der Staatsbürgerschaft als Bündel ökonomischer, sozialer und politischer Rechte vgl. Marshall 1981, zur fehlenden rechtlichen Gleichstellung aller Staatsangehörigen vgl. Hansen 2004: 4, zur Geschlechtsblindheit des citizenship-Konzepts vgl. Yuval-Davis 1997. 35
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
setzt, dass den als anders Definierten Teilnahmechancen in gesellschaftlichen Teilbereichen eingeschränkt oder verwehrt werden. Nationalstaatliches othering kann daher als Exklusion in Form beschränkter ökonomischer, sozialer oder politischer Partizipationsmöglichkeiten, als „Zugangsbarriere zu Funktionssystemen“ (Bukow 1996: 162), betrachtet werden.20 Die Wirkung (ausländer-)rechtlicher Differenz lässt sich aber auch als eine zusätzliche „Ungleichheitsdimension“ (Juhasz/Mey 2003: 54) beschreiben, etwa unter Anwendung von Bourdieus Kapitalienmodell. Dann werden ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital, die sich bedingenden Elemente sozialer Verortung, um eine Zugehörigkeitsdimension erweitert, die regelt, wie vorhandene Ressourcen verwertet werden.21 Indem der Nationalstaat neben der oben ausgeführten Identitätsfiktion auch eine Form politischer und rechtlicher Ordnung liefert, trennen seine Grenzen das rechtlich Zugehörige vom rechtlich Anderen. Wesentliche staatsbürgerliche Rechte bleiben den „Ausländern“ per Definition vorenthalten. Staatsbürgerliche Inklusion ist also exklusiv (Halfmann 1998), sie schließt lediglich die Staatsangehörigen ein, für alle anderen wirkt sie unhintergehbar ausschließend.22 Im engeren Sinne materiell wirkt sich die dargestellte Exklusivität binärer nationaler Differenzsetzungen in der systematischen Benachteiligung von Staatsfremden aus. Dies beginnt bereits bei der Kontrolle über Einreise und Aufenthalt und setzt sich in Form von Verboten und Einschränkungen in vielen Bereichen des täglichen Lebens fort. Je nach Aufenthaltszweck und -dauer entsteht durch das System der ausländerrechtlichen deutschen Aufenthaltstitel ein hinsichtlich Lebenschancen mehrfach abgestuftes System hierarchischer Kategorien. Es reicht von der EU-Staatsangehörigkeit über die Niederlassungserlaubnis, über verschiedene Titel des temporären Aufenthalts und des Sonderstatus des nur „gestatteten“ Aufenthalts während eines Asylverfahrens 20 Zur systemtheoretischen Perspektive auf Ethnisierung vgl. Bohn 2003, Hellmann 1998, Hormel/Scherr 2003: 49 oder Bommes 1994. 21 Zur Verknüpfung von kapital- und figurationsbedingter Ungleichheit vgl. Juhasz/Mey 2003: 82. Um rassistische Diskriminierung theoretisch abzubilden führt Weiß 2001 eine neue Kapitalsorte ein, das „rassistische symbolische Kapital“, und erweitert damit auf vergleichbare Weise das Kapitalien-Modell Bourdieus. Ähnlich argumentiert Scherschel, die den Rassismus als „symbolische Ressource“ und „habitualisierte Wahrnehmungsoption“ begreift (Scherschel 2006: 87) um so die Vermittlung zwischen Denk- und Handlungsweisen der Individuen und der Sozialstruktur zu erklären. Zur Diskussion der Integration von Sozialstrukturanalyse und Migrationsforschung allgemein, also der Verschränkung von Ungleichheit durch Klassenlage und durch Herkunft vgl. Juhasz/Mey 2003: 39-85. 22 Zur Theorie sozialer Schließung durch Staatsbürgerschaft vgl. Wobbe 1997: 207, Mackert 1999. 36
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
bis hin zur Bescheinigung des unrechtmäßigen Aufenthalts in Form der Duldung.23 Über vier Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit leben zwar auf Dauer in Deutschland, jedoch ohne volle staatsbürgerliche Rechte zu besitzen.24 Sie sind den Staatsangehörigen rechtlich in vielen Bereichen gleichgestellt, haben etwa vollen Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt sowie zum Bildungs- und Gesundheitssystem, die menschenrechtlichen Garantien des Grundgesetzes gelten für sie wie für die Staatsangehörigen.25 Sie werden in der Politik schon seit langem als „Inländer mit ausländischem Pass“26 bezeichnet, und auch sozialwissenschaftlich ist dieses Konzept einer Zugehörigkeit unterhalb und jenseits der Staatsbürgerschaft seit langem theoretisch formuliert. Das Konzept einer annähernd rechtlichen Gleichstellung niedergelassener Fremder mit Staatsangehörigen – verdeutlicht durch den Begriff „denizenship“ (Hammar 1989)27 oder die Möglichkeit einer „postnationalen Mitgliedschaft“ (Soysal 1994)28 – steht jedoch nicht dem Fakt entgegen, dass durch das nationale Prinzip rechtlich eindeutiger und exklusiver Zugehörigkeit eine konsequenzenreiche Unterscheidung zwischen eigenen Staatsangehörigen und „Ausländern“ durchgesetzt wird. Dies führt bei den „Fremden, die bleiben“ (Simmel) zu „Exklusionssyndromen“ (Mackert 1999: 207) auf mehreren Ebenen (ökonomisch, sozial, im Bildungsbereich, usw.) die sich gegenseitig bedingen und Kumulationseffekte erzeugen (ebd.). In dieser ausländerrechtlichen Hierarchie befinden sich die unregistrierten, illegalisierten Migrantinnen und Migranten an unterster Stelle, denn ihnen fehlen 23 Zur rechtlichen Statushierarchie der „Ausländer“ in Deutschland vgl. Kühne/ Rüßler 2000; zum Übergang vom unrechtmäßigen zum legalen Aufenthalt durch Legalisierungsregelungen vgl. Schwarz 2007: 25. 24 Von insgesamt 6,74 Millionen registrierten „Ausländern“ in Deutschland lebten gut 4 Millionen mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel oder als EU-Angehörige im Land; Angaben aus dem Ausländerzentralregister (vgl. www.destatis.de) vom 31.12.2007. 25 Die rechtliche Diskriminierung durch Verfassungsartikel, die nur für „alle Deutschen“ (etwa Art. 8, 1 oder Art. 9, 1 GG) gelten, führt nicht automatisch dazu, dass etwa ein Bürgerrecht wie die freie Berufswahl für alle „Ausländer“ ausgehebelt wäre. Denn durch internationale Abkommen können sehr wohl bestimmten Nicht-Staatsangehörigen derartige Garantien – wenn auch unterhalb des formellen Deutschen-Rechts – entstehen. 26 Vgl. etwa die Berichte der Bundesausländerbeauftragten von 1995 und 2000 und s. Zitat S. 173. 27 Der englische Begriff denizenship (der alle Bewohner eines Territoriums bezeichnet) kann als „Wohnbürgerschaft“ übersetzt werden (vgl. Bauböck 1994). Dieses Konzept formuliert als Konsequenz der faktischen Zugehörigkeit durch den Lebensmittelpunkt (denizen = Bewohner) die Forderung nach damit verbundenen Rechten. 28 Soysals Konzept folgt der Einsicht, dass Menschen erfolgreich bestimmte an die Staatsbürgerschaft angelehnte Rechte einfordern können ohne Staatsangehörige des Staates zu sein, in dem sie leben. 37
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
maßgebliche Rechte wie der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und Sozialleistungen, zur Gesundheitsversorgung usw.29 Nur eigenen Staatsangehörigen gewährt der Staat zumindest formal alle Staatsbürger/innenrechte,30 und faktisch können „Ausländer“ nur durch die Annahme der Staatsangehörigkeit in einen formell gleichwertigen Status aufsteigen. Allerdings ist auch Statusverfall bzw. -verlust in bestimmten Fällen möglich. Eine befristete Aufenthaltsgenehmigung etwa wird nicht automatisch verlängert; ein temporärer, nur für eine bestimmte Tätigkeit vorgesehener Aufenthaltstitel verfällt nach Ablauf der Frist bzw. bei Beendigung der Tätigkeit (Saisonarbeit, touristische Reise, Ausbildung). Auch durch eine Ausweisung kann ein bestehender Titel entzogen werden (s. ausführlich Kap. 3.3). In allen Fällen wird die betreffende Person „ausreisepflichtig“, d.h. ihr Status sinkt auf den unrechtmäßigen Aufenthalt ab. Dies führt zu allen Konsequenzen, die ein fehlendes Aufenthaltsrecht für Illegalisierte hat. Damit bildet der Erlaubnisvorbehalt im Aufenthaltsrecht das deutlichste Beispiel dafür, wie weitgehend der Nationalstaat über „Ausländer“ verfügen darf. Eigene Staatsangehörige sind ja in der Regel – so auch in Deutschland – vor physischem Ausschluss in Form einer „Verbannung“ rechtlich geschützt. Bei Staatsfremden ist das anders, denn über ihren Verbleib im Inland kann der Staat tendenziell frei entscheiden. Dies folgt dem oben ausgeführten Selbstverständnis des Nationalstaats und dessen ontologisierten Eigen-FremdDualismus. Nach diesem Verständnis bedürfen Staatsfremde einer Erlaubnis durch den souveränen Staat, sich auf seinem Territorium aufhalten zu dürfen. In bestimmten Fällen, etwa bei Straftaten oder wenn „die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ (so die Formulierung im Ausländerrecht) durch einen „Ausländer“ gefährdet erscheint, kann ein bereits bestehender Aufenthaltstitel entzogen werden. Die Person muss dann ausreisen, und man spricht bei diesem Verwaltungsakt von einer Ausweisung. Generell gilt: das Recht, sich in Deutschland aufhalten zu dürfen, steht einem „Ausländer“ nicht automatisch zu, sondern wird vom Nationalstaat gewährt und kann daher auch verwehrt werden. Ausnahmen bilden allerdings die zahlreichen EU-Angehörigen in Deutschland, denn für sie gilt nicht das deutsche Ausländerrecht, sondern EU-Recht. Ihre Ausweisung ist wesentlich aufwändiger zu begründen und daher in weniger Fällen durchführbar. Außerdem sind Menschen, die seit mehreren Jahren in Deutschland legal leben,
29 Zur Lebenssituation Illegalisierter vgl. Alt 1999; zur deren rechtlicher Lage Fodor 2001. 30 Dass „alle“ Rechte nur formal gewährt werden ist angesichts realer sozialer Ungleichheit kein unerheblicher Einwand, s. FN 19. 38
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
durch verschiedene Regelungen zumindest vor allgemein begründeten Ausweisungen geschützt.31 Die Kompetenz, „Ausländer“ auszuweisen, dient rechtstechnisch nicht dazu, Regelverstöße zu sanktionieren, sondern zukünftigen Beeinträchtigungen der staatlichen Interessen vorzubeugen.32 Damit erfüllt das Ausweisen erstens eine Grenzsicherungsfunktion: es holt im Landesinneren die Abgrenzung des nationalen Raumes gegenüber Einflüssen von Außen nach, die als unerwünscht betrachtet werden. Zweitens wird im Inneren der Gesellschaft Unerwünschtes ausgesondert. Dem auszuweisenden Anderen wird ein Ort zugewiesen, der sowohl in symbolisch niedrigem Status als auch ganz real im gesellschaftlichen Außen liegen kann (ohne dafür einen genauen Ort zu bestimmen). Denn ist die Ausreise faktisch nicht möglich, wirkt die Ausweisung als Statusentwertung, da sie die Ausgewiesenen in einen Raum der minimalen Rechte verweist, der Lagerunterbringung von Flüchtlingen und Illegalisierten vergleichbar.33 In beiden Fällen verschärft die Ausweisung den symbolischen Ausschluss des rechtlich Anderen, der ihrer formellen NichtZugehörigkeit erwächst, durch den Entzug eines legalen Aufenthaltstitels. In den Jahren 1991 bis 2006 wurden jährlich durchschnittlich über 16.500 Menschen aus Deutschland ausgewiesen (vgl. BTDr.16/5369). Als diese Zahlen Ende April 2007 veröffentlicht wurden, waren von den insgesamt ergangenen Ausweisungen rund 194.000 rechtskräftig geworden und 181.561 der in diesem Zeitraum Ausgewiesenen hatten das Land bereits verlassen. Im Jahresdurchschnitt wurde also über 11.300 Menschen durch eine behördliche Entscheidung ihre Lebensgrundlage in Deutschland effektiv entzogen.34 Wer nach einer Ausweisung das Land verlässt steht nicht nur symbolisch, sondern physisch außerhalb der Gesellschaft. Die Ausweisung „vernichtet die innerstaatliche Existenz des Ausländers und zwingt ihn, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen“ (Schuback 2003: 27). Selbst wenn die betreffenden Personen physisch im Land bleiben, wird ihnen das den denizen immerhin gewährte dünne Bündel quasi-staatsbürgerlicher Rechte entzogen. Ein weitergehender rechtlicher Ausschluss ist nicht vorgesehen, ein Status verschärfter gesellschaftlicher Exklusion tritt ein. Das Ausweisen wendet damit die binäre Logik der für den modernen Nationalstaat konstitutiven Differenz an und macht sie direkt in Form von Statusverlust wirkmächtig. 31 32 33 34
Zur Rechtslage im Einzelnen s. Kap. 3.3. Zur ausführlichen Diskussion des Strafcharakters s. Kap. 3.3.2. Zu diesem Leben im „Zwischenraum“ vgl. Hemmerling/Schwarz 2004. Diese kumulative Statistik gibt offensichtlich nur einen ersten groben Überblick. Aus den genannten Durchschnittszahlen gehen weder die Ausweisungsgründe hervor noch ist erkennbar, ob die ausgewiesenen Menschen vorher dauerhaft in Deutschland lebten, vielleicht sogar dort geboren oder aufgewachsen waren, oder ob sie sich lediglich kurze Zeit in Land befanden und sozusagen zusätzlich ausgewiesen wurden; s. das Kap. zur Datenlage. 39
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Symbolische Exklusionswirkung formaler Differenz Die geschilderte Wirksamkeit der Ausweisungslogik lässt soziale Konstruktionen von rechtlichen und ausweisbaren Anderen sozial folgenreich werden, auch wenn materieller Ausschluss (noch) gar nicht erfolgt ist. Diese Differenzwirkung kann symbolischer Ausschluss genannt werden.35 Denn eine gleichberechtigte Teilnahme ist schon dann nicht mehr möglich, wenn die Anderen fortlaufend auf den möglichen Ausschluss aus dem sozialen Raum verwiesen werden (vgl. Weiß 2001: 47). Wenn ihre soziale Position permanent prekär ist, also Ausschluss zumindest möglich ist, weil die Mittel zur Durchsetzung von Statusunterschieden vorhanden sind, ist der materielle Ausschluss lediglich zeitlich suspendiert. Durch die Exklusionsdrohung wirkt eine ungleiche Ausgangsposition der als different Gesetzten in allen Interaktionssituationen als latenter Ausschluss und führt so zu einer Schwächung ihrer sozialen Position. Um dieses asymmetrische Verhältnis zu etablieren genügt es bereits, dass sich die Logiken des Ausweisens in der diskursiven Praxis durchsetzen. Dort werden, wenn Ausweisung gefordert oder deren Logik affirmiert wird, Differenzsetzungen aktualisiert und das auszuweisende Andere geschaffen.
2 . 3 D i e An d e r e n d e s Au s w e i s u n g s d i s k u r s e s Bisher habe ich hergeleitet, welches Verhältnis zwischen Differenzsetzungen und sozialem Ausschluss besteht, und dass, aufbauend auf der Differenzkategorie des „Ausländers“, durch das Ausweisen sowohl materieller als auch symbolischer Ausschluss erzeugt wird. Die Ausweisungslogik aktualisiert also eine folgenreiche Differenz. Dabei wurde bereits durch die Betrachtung der Exklusionswirkung deutlich, dass nicht alle rechtlich Anderen in gleichem Maße zu Adressaten dieser Ausschlusstechnik werden. Ausgehend von der formalen Differenzsetzung bringt die Ausweisungslogik konkrete Adressaten ihrer Intervention als Kategorien einer Wissensordnung hervor. Die Ordnung des Ausweisungs-Wissens erkennt das auszuweisende Andere, innerhalb dessen wiederum spezifisch auszuweisende Andere identifiziert werden müssen. Notwendig ist daher zu fragen, wie diese im und für den Ausweisungsdiskurs inhaltlich bestimmt werden. Damit wird im Zentrum der weiteren Untersuchung stehen, an welche konkreten Differenzsetzungen die Exklusionsforderung des Ausweisens anknüpft. Welche Differenzverhältnisse werden im Ausweisungsdiskurs konkret 35 Unter Bezug auf Baumans Analyse repressiver Macht kann auch von „Differenzierungsmacht“ gesprochen werden, vgl. Kastner 2007: 214. Weiß führt den Begriff „Konstruktionsmacht“ im Zusammenhang mit Rassismus ein (Weiß 2001); vgl. auch das Konzept der „Dominanzkultur“ bei Rommelspacher 1998. 40
AUSWEISUNG UND DIFFERENZKONSTRUKTIONEN
eingeführt? Wie werden diese Differenzen jeweils diskursiv begründet? Und womit wird die Identifikation von Differenzen sichergestellt?
2.3.1 Kategorien der rechtlich Anderen Die reine Legaldefinition des „Ausländers“ ist nicht ausreichend, um derart weitgehenden symbolischen Ausschluss ausweisbarer Anderer zu legitimieren. Auf unterschiedliche Art und Weise wird in dem Vorgang, einem langjährig in Deutschland Lebenden sein Anders-Sein vorzuhalten, mehr als nur eine formelle Differenz des Anderen konstruiert: Eigen und fremd werden als kulturalistische Kategorien eingeführt. Denn das positive Recht gilt für alle „Ausländer“ gleichermaßen, es wandelt sich fortlaufend und weicht nicht zuletzt in unterschiedlichen Nationalstaaten zum Teil erheblich voneinander ab. Dass diejenigen, die dauerhaft innerhalb des Nationalstaates leben, keineswegs in gleichem Maße der Willkür des souveränen Staates ausgeliefert sind, zeigt gerade die Entwicklung des Ausweisungsschutzes, die ich oben bereits kurz angesprochen habe.36 Im Ausweisungsdiskurs sind also offensichtlich eigene Regeln in Kraft. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mit der Produktion von Anderen auch eine implizite Normsetzung einhergeht. Das Normale benennt sich selbst bei der Differenzierung nicht, es stellt vielmehr eine allgemeine, nicht notwendig inhaltlich spezifizierte Bezugsgröße dar. Das als anders markierte hingegen wird bezeichnet. In Form der Ethnisierung ist diese Asymmetrie besonders auffällig: das Wir ethnisiert sich selbst nicht, wenn es sich von „anderen Völkern“ oder „Schwarzen“ distanziert. So ist das Andere (etwa als „Ausländer“) für das Selbstbild zwar notwendig, die Qualitäten des imaginierten Eigenen sind damit keineswegs benannt. Im dargestellten Fall eines othering – der Legaldefinition des Anderen als „Ausländer“ – äußert sich diese implizite Normsetzung darin, dass die unterstellte inhaltliche Qualifizierung des Anderen durch eine formale Differenz zum Selbst verdeckt wird. Tatsächlich ist das scheinbar formell definierte Nicht-Wir ethnisiert. Das Andere, der „Ausländer“, ist fraglos zum „Deutschen“ kulturell different. Das Wir nimmt sich aber nicht als ethnisierte Kategorie wahr, d.h. die implizite Qualifizierung des Deutschen als „weiß“ wird meist nicht bewusst. Ethnisiert wird zunächst einmal nur das Andere.37 Tatsächlich dominiert in der deutschen Gesellschaft bis heute aber eine Wissensordnung ethnisierender und kulturalistischer Kategorien. „Deutsch sein“ bedeutet daher eben nicht nur, die deutsche 36 Das wichtigstes Beispiel dafür ist die Daueraufenthaltsrichtlinie der EU, die für Ausweisungen aufwendigere Begründungen fordert, s. FN 84. 37 Vgl. Wachendorfer 2001: 88 und allgemeiner zu Critical Whiteness Eggers u. a. 2005. 41
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Staatsangehörigkeit zu besitzen, sondern es bedeutet auch, „weiß“ zu sein. Der (implizite) Verweis auf die vermeintliche gemeinsame Herkunft und die Wichtigkeit der besonderen Kultur kann als „Ethno-Patriotismus“ (Kaschuba 2008), die „Projektion einer heilen und geschlossenen Gesellschaft“ kann als „exklusiver Nationalismus“ (Bukow 2007: 34) bezeichnet werden. Nach dieser Ordnungsvorstellung basiert die deutsche Nation auf einer „kulturellen Gemeinschaft“, in der sich die Anderen im Extremfall nur aufhalten dürfen, wenn sie sich ‚kulturell‘ anpassen. Staatliche Identitätspolitiken dienen dazu, derartige Selbstbilder zu tradieren und in Form einer „kulturellen Differenzstrategie“ (Kaschuba 2008: 296) symbolisch festzuschreiben. Kaschuba betont, dass solche „ethnischen Grundierungen“, die „von Volk und Deutschsein, von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, von kultureller Homogenität als kollektiver Identität ganz selbstverständlich erzählen“ (ebd.: 301), zum Alltagswissen gehören. Das Alltagsdenken wie auch öffentliche Debatten sind von der Wissensordnung dieser „exklusiv-nationalistischen Grundeinstellung“ (Bukow 2007: 31) bestimmt, was sich in Begriffen wie „Leitkultur“ und „Parallelgesellschaft“ äußert.38 Darüber hinaus sind formelle Regelungen39 und staatlich-administrative Interventionen „deutlich noch und wieder ‚ethnisch‘ grundiert“ (Kaschuba 2008: 311) und wirken mit an der „Spirale aus Fremdethnisierung und Selbstethnisierung“ (ebd.: 325). Die Konstruktion des konstitutiven Anderen beruht formal, wie oben dargelegt, auf dem „nationalen Ordnungsparadigma“, das den Fremden erst hervorbringt insofern, als der „ontologisierte Eigen-Fremd-Dualismus“ eine „unverzichtbare Existenzbedingung“ (Behr 1998: 302) der Nation ist. Da die offen ethnisierende Rede vom Volk/der Rasse in Deutschland delegitimiert oder sogar tabuisiert ist (vgl. Lanz 2007: 83, Schneider 2001: 319), braucht und benutzt die nationale Identitätsfiktion des „Deutschsein“ diesen rechtlich Anderen. Er wird zu einem Kontrastmotiv, zu einem Element zur Bestimmung kollektiver deutscher Identität. In Deutschland wird nicht unterschieden zwischen der formalen (juridischen) Staatsangehörigkeit einerseits, wie sie im Staatsangehörigkeitsgesetz definiert ist – „Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“ – und andererseits der (primordialen) Nationalitätskonstruktion in der Tradition des „Volkes“ als einer „Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft“ (Frankenberg 1993: 47). Der Zusammenhang zwischen Abstammung und formaler Deutscheneigenschaft bleibt für Vorstellungen von „Deutschsein“ konstitutiv. Diese Qualität des Deutschen wird als organisch gewachsenes, überzeitliches Gebilde imaginiert, wodurch alle früheren und alle zukünftigen Generationen 38 Kritisch zu diesen Schlagworten vgl. etwa Bade 2006, Bukow u. a. 2007, Kaschuba 2007, Köster 2007, Nowak 2006, Schiffauer 2008, Sökefeld 2004. 39 Etwa die Unterscheidung im deutschen Grundgesetz zwischen Deutschen- und Menschenrechten (Frankenberg 1993: 47) 42
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durch biologische Kontinuität aneinander gebunden sind (was Hoffmann 1994: 38 als die „völkische Vorstellung“ des deutschen Volksverständnisses bezeichnet). So rekurriert auch die juridische Selbst-Fremd-Unterscheidung letztlich auf „Ein-Geborensein“ (Frankenberg 1993: 48), denn das deutsche Grundgesetz beruft sich nach wie vor auf eine Größe, die identitätsstärkende Funktion haben soll: das „Deutsche Volk“.40 Die Ethno-Differenz (vgl. Kaschuba 2007: 6) bekennt sich jedoch nicht zu dieser Identitätskonstruktion, sondern zieht sich hinter dem formal geltenden Recht zurück. Eine derartige Identitätsfiktion zu entwickeln hätte das Kollektivsubjekt jedoch nicht nötig, wenn die rechtlichen Regeln alleine tatsächlich schon Differenz hinreichend bestimmen würden. Handelte es sich bei den Mitgliedern der Wir-Gruppe schlicht „um Rechtssubjekte, so wäre kollektive Identität gar nicht nötig oder tautologisch; vielmehr wäre z. B. durch das Staatsangehörigkeitsrecht [...] alles rechtlich erhebliche geregelt. Kollektive Identität in der Gesellschaft und im transnationalen Raum macht nur dort Sinn, wo sie etwas anders will, als das Recht regelt, entweder ein Kollektivsubjekt konstituieren, das im positiven Recht keine Stütze hat, oder seinen Angehörigen Aufgaben zuweisen, die diesseits oder jenseits rechtlicher Regelungen liegen“ (Niethammer 2000: 626).
Die für das Selbst konstitutive Qualität des „Ausländers“ kann rein formal – durch die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit – nicht hinreichend definiert werden. „Deutschsein“ ist eben nicht deckungsgleich mit „inländisch“, denn der formale Deutschenstatus alleine garantiert nicht, nicht doch als „ausländisch“ markiert zu erscheinen.41 Was als derart identifizierbar gilt, hängt von 40 Auch wenn durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) seit dem Jahr 2000 der Erwerb der Staatsangehörigkeit auch Kindern „ausländischer“ Eltern durch Geburt im Inland ermöglicht ist, wird die Aufnahme in die imaginäre Abstammungsgemeinschaft nicht leicht gemacht. Was de jure etwa ‚vermieden‘ werden soll ist die Mehrfachzugehörigkeit zu verschiedenen Nationen (daher die Optionspflicht für oder gegen die deutsche Staatsangehörigkeit in § 29 StAG), auch gilt der automatische Erwerb des Deutschenstatus nur für Kinder dauerhaft und seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebender Eltern (§ 4 Abs. 3 StAG); zur Bewertung der Reform als „gescheitert“ vgl. Keskin 2005: 30-60. Zum Konstrukt des „deutschen Volkes“ als „Ethnisierung des politischen Denkens“ vgl. Hoffmann 1991 u. Hansen 2001: 49. 41 Der Besitz der Staatsangehörigkeit schützt nur vor rechtlichem Ausschluss aufgrund formaler Differenz (Hansen 2001: 36); keinen Schutz bietet er, wenn Differenzsetzungen an andere Faktoren anknüpfen, wie etwa ein von der als deutsch imaginierten Norm abweichendes Aussehen oder ein als fremd gedeutetes Verhalten. Zum Konzept der „Schwarzen“ bzw. „Anderen Deutschen“ vgl. Ayim 2001, Mecheril 1997. Zudem war die Vorstellung des ‚natürlichen‘ Volkes in der deutschen Geschichte mit einer antisemitischen Intention aufgeladen, 43
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diskursiv etablierten Kategorisierungen ab, auf die sich die differenzierenden Subjekte in der Interaktionspraxis beziehen. Die Untersuchung des othering muss also an der Wissensordnung ansetzen, die der diskursiven Praxis zur Verfügung steht. Von „Ausländern“ zu sprechen und sie „den Deutschen“ gegenüber zu stellen ist Ausdruck eines das „Deutschsein“ ontologisierenden Selbstverständnisses ebenso wie eines homogenisierenden und essentialisierenden Ausländerbegriffs. Die vorliegende Analyse von Wissensordnung setzt sich daher zum Ziel, solche vermeintlich evidenten Einheiten zu dekonstruieren, in ihre Elemente zu zerlegen. Damit ist nicht intendiert, innerhalb der rechtlich Anderen vermeintliche Realgruppen auszumachen, denn „Ausländer“ ist keine wie auch immer „reale“ Kategorie, sondern sie wird erst und alleine bedeutsam durch diskursive Setzungen. Innerhalb des Ausweisungsdiskurses verdichten sich kulturalistische Zuweisungen im Prozess des othering zu einer komplexen Ausdifferenzierung des rechtlich Anderen. Die folgende Untersuchung des Ausweisungsdiskurses wird zeigen, wie dieses identitäre Gegenüber der „deutschen Gesellschaft“ im Detail imaginiert wird. Dieser Differenzkonstruktion sind nicht rechtlich Andere an sich bedeutsam, sondern nun werden jene Anderen, die auf besondere Weise abweichen, signifikant. Innerhalb der Gruppe der ausweisbaren Anderen wird das auszuweisende Andere identifiziert. Erst diese Form der Fremdheit konstituiert im Ausweisungsdiskurs eine Gefahr für die Gesellschaft und soll daher ausgeschlossen werden. Abbildung 1: Kategorien des Anderen im Ausweisungsdiskurs a)
nicht ausweisbare Andere
b)
ausweisbare Andere
c)
auszuweisende Andere
d)
frei verfügbare Andere
rechtlich Deutsche
rechtlich Andere
Nur die rechtlich Anderen (Zeilen b bis d) können formal ausgewiesen werden. Als nicht ausweisbare Andere des Ausweisungsdiskurses bezeichne ich diejenigen, die einem ethnisierenden Differenzdiskurs als anders gelten, obwohl sie den formalen Deutschenstatus besitzen (s. Kap. 2.3.1, FN 41). Obwonach Jüdinnen und Juden schon in der Weimarer Republik zwar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen mochten, sie jedoch nicht als gleichberechtigte Angehörige galten, vgl. Hoffmann 1994: 46; zum Widerruf von Einbürgerungen nach 1933 s. das Kap. 3.2.2. 44
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wohl die Grenze zwischen ausweisbar und nicht ausweisbar rechtlich eindeutig zu bestimmen ist – nur die deutsche Staatsangehörigkeit schützt nachhaltig vor Ausweisung – kann sie im Ausweisungsdiskurs nicht streng gezogen werden. Erstens bleibt diese Abgrenzung diffus, weil unter Umständen auch formal dem Eigenen Zugehörige diskursiv zu Anderen gemacht und der Ausweisungsdrohung unterworfen werden. Zweitens schützt die fortschreitende Begrenzung der einzelstaatlichen Ausweisungskompetenz (s. dazu ausführlich das Kap. 3.3) auch formal-rechtlich viele der rechtlich Anderen vor allgemein begründeten Ausweisungen. Aufgrund dieser konzeptionell als ausweisbar geltender, aber faktisch geschützter Anderer (die dennoch rechtlich nicht dem Nationalstaat zugehörig sind) bleibt die diskursive Trennung zwischen ausweisbaren und nicht ausweisbaren Anderen notwendig ungenau. Innerhalb der eindeutig rechtlich Anderen bilden die Zeilen b) und c) den ausweisbaren Anderen ab. Es ist vor allem die Anrufung des Anderen als ausweisbar, wodurch dessen Differenz zum Eigenen aktualisiert wird. Hier ist von zentraler Bedeutung, wie das konkret auszuweisende vom allgemein ausweisbaren Anderen unterscheidbar gedacht wird. An letztere richtet sich jede Ausweisungsdrohung, auch wenn es weder im Einzelfall zu einer Ausweisung kommt noch die rechtlichen Grundlagen für eine Ausweisung tatsächlich vorliegen. Werden konkret Auszuweisende identifiziert, wird die Differenzsetzung des rechtlich Anderen mit der Möglichkeit des vollständigen gesellschaftlichen Ausschlusses kombiniert. Wenn eine Ausweisung rechtlich zulässig ist bzw. wenn die Verweisung außer Landes gefordert wird, wird die Kategorie des auszuweisenden Anderen diskursiv etabliert. Die frei verfügbaren Anderen (d) schließlich werden im Ausweisungsdiskurs kaum thematisiert, denn über ihren Aufenthalt im Inland kann der Nationalstaat dem Konzept nach tatsächlich ‚frei verfügen‘. Sie sind als Statuslose oder Illegalisierte bereits der Exklusion anheim gestellt, ohne dass dafür eine Ausweisung erforderlich wäre.42 Da sie den Prototyp des Nicht-Wir souveräner Nationalstaaten verkörpern, werden die frei verfügbaren Anderen zwar in der diskursiven Praxis implizit immer ‚mitgedacht‘, sie werden jedoch nicht explizit als solche benannt.
2.3.2 Forschungsfragen Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildet die Ordnung des Ausweisungswissens, d.h. eine Analyse von diskursiver Praxis, die Ausweisungsdrohung und -begründung sowie jede Affirmation des Ausweisens umfasst. Das
42 Diese ‚Verfügbarkeit‘ soll nicht bedeuten, dass Illegalisierte nicht selbst im Nationalstaat noch Rechte hätten – der Ausgrenzungsprämisse des Nationalen folgend wird dieser menschenrechtliche Aspekt jedoch meist ausgeblendet. 45
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öffentliche Reden über Ausweisungen wendet notwendigerweise eine Logik an, die der Konstruktion von Nicht-Zugehörigkeit Wirksamkeit verschafft. Ich gehe davon aus, dass an die im vorhergehenden Kapitel beschriebene Identitätspolitik eine „kulturelle wie soziale wie juristische Differenzpolitik“ (Kaschuba 2007: 9) anknüpft, die sich in vielfältigen Bereichen als Sanktion43 materialisiert. Als die drastischste Sanktion rechtlicher Art (Vernichtung der „innerstaatlichen Existenz“, Schuback 2003) stehen für die spezielle Legitimation des Ausweisens neben dessen generellem Bezug auf formale Differenz (der Staatsangehörigkeit) eine Reihe kulturalistischer Fremdheitskonstruktionen zur Verfügung, die dem auszuweisenden Anderen eine spezifischere Kontur geben. Diese Konstruktion des Auszuweisenden hat, wie ich das oben als Charakteristikum des othering ausgeführt habe, die Funktion, ex negativo eine Vorstellung vom Selbst zu ermöglichen. Die Wissensordnung des Ausweisens wirkt als symbolische Ausschlusstechnik, durch die eine kollektive Identitätsfiktion errichtet und gestärkt wird. Ich gehe daher davon aus, dass bereits die Artikulation der Ausschlusslogik Konturen eines Kollektivsubjekts sichtbar macht, die über bloße formale Zugehörigkeitszuschreibungen hinausgehen. Es wird ein Kollektivsubjekt errichtet (etwa: die „deutsche Gesellschaft“), das jenseits des positiven Rechts (deutsche Staatsangehörigkeit) liegt, denn darin besteht ja eine Funktion kollektiver Identität (vgl. Niethammer 2000: 626). Indem es diskursiv ‚sinnvoll‘ wird, dass eine spezielle Person gesellschaftlich exkludiert werden darf – also nicht nur formal, sondern tatsächlich nicht mehr dazugehören soll und in das vorgestellte Außen transferierbar sei –, werden die spezifischen Qualitäten des Anderen deutlich, die es vom gesellschaftlich Zugehörigen unterscheidbar macht. Damit erfüllt das Ausweisungswissen eine doppelt bestätigende Funktion. Denn die Gesellschaft vor schädlichen Einflüssen von Außen zu schützen und gleichzeitig in ihrem Innern zu homogenisieren bedeutet eben zweierlei. Erstens stellt es klar, was nicht dazu gehören soll. Aus der Untersuchung dessen, was „von Rechts wegen als fremd gilt“, zugleich die juridische „Zurichtung des Eigenen“ (Frankenberg 1993: 42). Somit wird die Analyse der Ausweisungslogik zum „Brennglas“ für gegenwärtige Migrationsdebatten (vgl. Sie43 Die Sanktion (von lat. sanctio „Heiligung, Billigung; geschärfte Verordnung, Strafgesetz“) ist eine (angedrohte) Maßnahme, die dazu dient, Normen durchzusetzen. Im Strafrecht ist dies in der Regel die gesetzlich vorgesehene Bestrafung nach einem Vergehen, die dazu dient, andere durch Abschreckung von Fehlverhalten abzuhalten oder ein geschehenes Unrecht zu vergelten. Mit dem Begriff „soziale Sanktion“ sind nicht nur negative (abschreckende, bestrafende), sondern auch positive (ermutigende, belohnende) Sanktionen bezeichnet. Beide sind Mittel um Verhalten zu beeinflussen und also Macht auszuüben. Im Ausländerrecht wiederum dienen Sanktionen formal ausschließlich der Prävention. Dies ist eine Besonderheit des Polizei- oder Ordnungsrechts (s. ab S. 82). 46
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veking 2001a). Gestützt wird diese Einschätzung durch die Tatsache, dass eine materiell-rechtliche Beendigung des Ausweisungsvorbehalts bedeuten würde, die Realität der Einwanderungssituation politisch-rechtlich anzuerkennen (Frankenberg 1993: 43). Meine Untersuchung analysiert Ausformungen dieses abweichenden und bedrohlichen Anderen. Zweitens legt es offen, welche Anforderungen an Zugehörigkeit gestellt werden. Sowohl eine konkrete Ausweisung, als auch die Debatten um verschärfte Ausweisungsnormen, als auch die bloße Drohung mit der Verweisung sind Bestandteile der Selbstvergewisserung der Wir-Gruppe, die sich die Macht darüber vorbehält zu definieren, wer unter welchen Bedingungen ‚bei uns‘ leben darf. Meine Untersuchung analysiert daher ebenso die Vorstellungen dessen, was als nicht ausweisbar – und damit als bedingt zugehörig – gelten soll.44 Ausweisung als othering zu untersuchen bedeutet daher in den Blick zu nehmen, wie in den Debatten über den Verweisungsakt das kulturell Fremde präsentiert wird, von dem sich das Eigene distanzieren kann. Durch die der Ausweisungslogik inhärenten Begründungen wird demonstriert, welche Kriterien zur Konstruktion von Differenz angeführt werden. Diese Analyse zeigt des Weiteren, welche Mechanismen der Selbstvergewisserung in der Konstruktion des auszuweisenden Anderen identifizierbar sind. Als Leitfrage folgt daraus, was diese Differenzsetzung für das Eigene bedeutet, welche Wirkung das othering des Ausweisungsdiskurses auf das Konzept des Wir hat.
44 Forschung zu bestehenden „Wir-Bildern“, also Vorstellungen, wer dazu gehört oder dazu gehören sollte, kann selbstverständlich auch an der nationalen Staatsangehörigkeit, den Regelungen zur Einbürgerung oder den Logiken, die einen Erwerb und Verlust des formalen Status als Staatsangehöriger ermöglichen, ansetzen. Irene Götz spricht etwa angesichts der politischen Mobilisierung zur Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft im Frühjahr 1999 von einer „ethnographischen Laborsituation“, in der eine „Veralltäglichung nationaler Semantiken“ erkennbar werde (Götz 2004: 385). Ebenso kann die Staatsangehörigkeit historisch analysiert werden (vgl. etwa Gosewinkel 2001). Vielfach wird die „Prämisse der Fremdausgrenzung“ (Behr 1998) auch anhand von Quellen nationaler Selbst- und Fremdwahrnehmung nachgezeichnet (vgl. etwa Räthzel 1997, Hell 2005, Hansen 2001) oder über diskursive Formationen der gesellschaftlich dominanten Diskursproduktion rekonstruiert (Schneider 2001). 47
3 Au sw eisungsrecht und Au sw eisungsverfahren
3 . 1 S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t d u r c h Ab w e i s u n g u n d Au s w e i s u n g „Die Erde ist nicht herrenlos. Die Völker und Nationen haben alles feste Land in Besitz genommen und lassen es durch Staat und Staatsgewalt für die eigenen Staatsangehörigen hüten. Deshalb ist die seit altersher anerkannte Herrschaftsbefugnis über das Staatsgebiet stets verbunden gewesen mit der Unterscheidung zwischen Inländern und Ausländern. Dies ist keine nationalstaatliche Eigenart, sondern letztlich eine fundamentale Erkenntnis der Gruppenpsychologie. Jede Gruppe unterscheidet zwischen Gruppenangehörigen und -fremden. Diese Unterscheidung schlägt sich im politisch-staatlichen Bereich als Unterscheidung in der rechtlichen Differenzierung zwischen In- und Ausländern nieder.“ (Schwab 1989: 5)
Diese psychologisierende und mythologisierende Begründung staatlicher Verfügungsgewalt über ‚Ausländer‘ findet sich in Siegfried Schwabs 1989 publizierter rechtswissenschaftlicher Dissertation „Die Ausweisung nach dem Ausländergesetz“. Seiner – im Übrigen auch heute noch mit der herrschenden Meinung kongruenten – Begründung nach bestehe das „Recht zur Ausweisung von Ausländern […] als natürliches und unveräußerliches Recht eines jeden souveränen und unabhängigen Staates“ (Schwab 1989: 5; vgl. auch Bittermann 1912: 554). Jüngere juristische Arbeiten stellen sich gegen einen derartig teleologischen Ansatz und fragen, ob tatsächlich das „freie Verfügungsrecht über den Ausländer als notwendiges Korrelat der staatlichen Souveränität“ anzusehen sei (Beichel 2001: 18).1 Es besteht also in der Rechtswissen1
Ausweisung ist als sozial-historisches Forschungsthema jenseits juristischer Fachbeiträge (seit den 1990er Jahren vgl. Albert 1990, Knösel 1991, Heinhold 1991, Weberndörfer 1992, Bryde 1994, Cremer 1994, Wegner/Durmus 1994, Barwig 1995 Barwig 1996, Alleweldt 1996 und Alleweldt 1999, Beichel 2001, 49
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schaft ein grundlegender Dissens über die historische Genese des Rechtes, für bestimmte Gruppen den Aufenthalt zu verwehren. Ohne den zumindest kursorischen Blick in die Vergangenheit kommt daher auch kaum eine rechtswissenschaftliche Abhandlung des Ausweisungsrechts aus.2 Üblicherweise werden zumindest die alten Germanen gestreift, wenn es um die Frage der Rechtsstellung von „Vogelfreien“ geht. Vereinzelt reicht die Argumentationskette zurück bis Adam und Eva: „Auch die Bibel erwähnt sie [die Ausweisung, T.S.]. Adam und Eva wurden aus dem Garten Eden vertrieben.“ (Schuback 2003: 25).
Tatsächlich zeigt die historische Einbettung des modernen Ausweisungsrechts einerseits einen paradigmatischen Bruch, der mit der Genese des eindeutigen Staatsangehörigkeitskonzepts einhergeht. Andererseits sind ab der Herausbildung moderner Nationalstaaten Kontinuitäten bei der Begründung des Ausweisens augenfällig: Nun geht es darum, wie zugeschriebene „Fremdheit“ die Aberkennung von Zugehörigkeit legitimiert. Dieses Kapitel rekonstruiert die moderne staatliche Ausweisungskompetenz gegenüber den formalrechtlichen Anderen; dafür ist es allerdings nicht
2
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Groenendijk/Guild/Barzilay 2001, Meinel 2003, Schuback 2003) kaum bearbeitet. Einen kriminologischen Beitrag liefert Graebsch 1998. In der Geschichtswissenschaft haben sich neben der Rechtshistorikerin Ilse Reiter (Reiter 2000) Andreas Gestrich u. a. der „Ausweisung und Deportation“ angenommen. Die Beiträge im gleichnamigen Band (zur Dokumentation zweier Tagungen Anfang der 1990er Jahre) decken das gesamte 18. und 19. Jahrhundert sowie die Zeit der Weimarer Republik ab (Gestrich/Hirschfeld/Sonnabend 1995). Zu den Ausweisungen von Juden/Jüdinnen in der Weimarer Republik findet sich begrenztes Material bei Heid 1995 und Walter 1999. Die Praxis der Ausweisung von unbenötigten Arbeitskräften im Deutschen Reich hat u. a. Bade 1992 untersucht. Auch in der sehr detaillierten Darstellung von Oltmer 2003 finden sich Analysen des Einsatzes von Ausweisungen zur Steuerung des Arbeitsmarktes in Preußen. Der Ausweisungsgesetzgebung der Weimarer Republik widmet sich die Dissertation Kobargs (Kobarg 1930). Den Deportationen im NS-Staat widmet sich auch Ulrich Herbert in einem Kapitel seines Werkes zur „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland“ (Herbert 2001, einen Überblick zu dieser Epoche gibt bspw. Wippermann 1999). Speziell auf die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland in den späten 30er Jahren geht Tomaszewski 2002 ein. Die Wandlung der Rechtsstellung vormoderner „Fremder“ geben detailliert wieder z. B. Renner 1998: 2 und Schiedermair/Wollenschläger o.J. : Erster Teil, 1-18. Bereits Friedrichsen kommentiert 1967 kritisch die in der juristischen Literatur für die Vormoderne angenommene These der „prinzipiellen Rechtlosigkeit des Fremden“ (Friederichsen 1967: 27) indem er bemerkt, sie müsse „im Lichte der Theorie“ gesehen werden, dass „die Eigenschaft als Territorialfremder […] bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dem rechtlichen Bewußtsein kaum gegenwärtig gewesen sei“ (ebd.: 32).
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
notwendig, in toto die Vormoderne, das römische oder germanische Recht zu untersuchen. Denn eine grundlegende Differenzierung zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen, an die eine Ausweisung anknüpfen könnte, war vor dem Entstehen moderner Staatlichkeit unbekannt. Verbannungen oder andere Formen der räumlichen Beschränkung richteten sich dementsprechend gegen Fremde ebenso wie gegen Einheimische. Erst mit der Herausbildung eines auf Eindeutigkeit zielenden Konzepts der Staatsangehörigkeit entsteht auch die vermeintlich trennscharfe Unterscheidung zwischen Fremden und Staatsangehörigen, wie wir sie heute kennen.3 Damit verschlechterte sich die Rechtsstellung der „Ausländer“ dramatisch gegenüber derer der „Inländer“, was sich im souveränen Recht des Staates manifestierte, über den Aufenthalt der Fremden zu bestimmen. Allerdings ist die Ausweisung keineswegs – wie das intuitiv naheliegend wäre – eine Folge staatlicher Verfügungsgewalt über den Staatsfremden, vielmehr sind die ersten (national-)staatlichen Ausweisungsregelungen konstitutiv für das moderne Konzept staatlicher Zugehörigkeit. Um diesen Wandel staatlicher Verfügungsgewalt nachzuvollziehen, der letztlich ein Wandel von Zugehörigkeitsdefinitionen ist, soll der Blick zunächst zurück gehen zur Rechtslage in den deutschen Staaten des 18. und 19. Jahrhunderts.
3.1.1 Die Landesverweisung „In den seit dem 15 Jahrhundert entstandenen Halsgerichtsordnungen nahm die Ausweisung sowohl von Aus- als auch Inländern in der Folge einen zentralen Platz im Strafsystem bis zur Aufklärung ein. So kannte die Constitutio Criminalis Carolina Ausweisung in Form der Landesverweisung, der Verweisung aus der Gegend, dem Gericht, der Stadt, dem Flecken oder Gebiet, und zwar nicht nur als selbstständige Hauptstrafe, sondern sie verknüpfte die Leibesstrafen des Zunge-, Ohren- oder Fingerabschneidens sowie die Fustigation regelmäßig mit der Ausweisung“ (Reiter 2000: 7).
Aus dem Strafrechtssystem der frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert hinein war die Landesverweisung nicht wegzudenken (Schnabel-Schüle 1995: 73). In Deutschland wurde die antike relegatio4 in zwei Formen im Strafrecht 3 4
Wir beschäftigen uns also doch – um auf Schwab zu antworten – mit einer ‚nationalstaatlichen Eigenart‘. In der Antike wurden Verbannungen sowohl als individuelle Strafe als auch als Mittel der Politik eingesetzt. Ein wesentlicher struktureller Grund dafür liegt auf der Hand: die dauerhafte Internierung in Gefängnissen war in Rom noch unbekannt (Sonnabend 1995: 16); ebenso gab es im römischen Recht lange Zeit keine Todesstrafe, mithin stellte die Verbannung den „sozialen Tod“ des Individuums dar (Bammann 2001: 32). Der Oberbegriff für alle als Freiheitsstrafen geltenden Sanktionen ist exilium (vgl. Holtzendorff 1975; Grasmück 1978; 51
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
adaptiert. Entweder als bürgerliche Strafe neben Geld- und Gefängnisstrafe für Delikte wie Totschlag, Diebstahl, Ehebruch im Wiederholungsfall; dann in Form eines befristeten Landesverweises (ebd.: 74). Oder als Kriminalstrafe bei Aufruhr, Fälschungsdelikten, bestimmten Ehebruchs- und Diebstahlsdelikten; dann nahm sie die Form des ‚ewigen‘ Landesverweises an (ebd.: 74).5 Ausgewiesen werden konnten Inländer wie Ausländer, die Mehrheit rekrutierte sich aber nicht aus der Bürgerschicht, „sondern aus der großen Masse der Fremden, Heimatlosen, Bettler, und dem fahrenden Volke, die man zumeist aus Gründen der öffentlichen Sicherheit aus der Stadt entfernte.“ (Reiter 2000: 6) Ich hatte Eingangs bereits auf die in der Rechtswissenschaft etablierte Einschätzung hingewiesen, dass sich aus der staatlichen Souveränität eine prinzipielle Rechtlosigkeit des Fremden ableiten würde. Allerdings sind auch schon vor der Entstehung moderner Nationalstaatlichkeit die staatlichen Hoheitsrechte durch positives Recht begrenzt. Schon vor der Einführung des Allgemeinen Landrechts war etwa in Preußen eine Beschränkung der Ausweisungsbefugnis festzustellen, das Ausweisungsrecht also keineswegs schrankenlos. Andererseits waren die Voraussetzungen für die Ausweisung nur sehr ungenau beschrieben („zur Strafe, dann aber nie ohne rechtliche Ursachen und ohne legale Untersuchung derselben“), und teilweise waren ihr ganze Personengruppen ohne jede Unterscheidung unterworfen („Jauner, Zigeuner, herrenlose Soldaten“; vgl. dazu Renner 1998: 5).6
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rechtstechnisch stellte das Exil ein ‚freiwilliges‘ Verlassen der Stadt Rom dar, womit der Betreffende einer (Todes-)Strafe entgehen konnte, Sonnabend 1995: 14). Darin lassen sich folgende Formen der Verweisung unterscheiden: relegatio (nur die Bestimmung, sich dauerhaft oder für bestimmte Zeit nicht in Rom aufzuhalten ohne Rechts- u. Vermögensverlust und zumeist ohne Bestimmung des zukünftigen Aufenthaltsortes); aqua et ignis interdictio (Verlust der Bürgerrechte, Beschränkung der Vermögensdisposition, Verweisung aus Rom ohne Bestimmung des zukünftigen Aufenthaltsortes); deportatio (Rechts- u. Vermögensverlust plus feste Ortsanweisung; anders als bei einer relegatio war im Falle der deportatio der Ort des Aufenthalts nicht mehr frei wählbar, sondern wurde vom Kaiser zugewiesen, i. d. R. wurde auf Inseln verbannt). „Die ‚deportatio‘ wurde in Rom im Allgemeinen individuell verhängt und verfolgte als Ziel die Entfernung des Verurteilten aus der politischen und sozialen Gemeinschaft“; dies geschah am häufigsten gegen politisch unliebsame Personen (Sonnabend 1995: 16; vgl. auch Bammann 2001: 29). Diese Maßnahme kam auch statt der Todesstrafe in Betracht, sofern Milderungsgründe vorlagen. Noch in der Habsburgermonarchie richtete sich die polizeiliche Ausweisung „insbesondere gegen Vagabunden, Bettler und Müßiggänger, gegen ‚Zigeuner‘, Prostituierte, Juden, Paß- und Ausweislose, aus der Haft tretende Sträflinge, aber auch gegen andere unerwünschte Fremde“ (Reiter 2000: 782); die Ausweisungstatbestände zeichneten sich „durch einige reichlich unbestimmte Gesetzesbegriffe“ aus (Reiter 2000: 783): „so z. B. ‚Arbeitsscheu‘, ‚Bestimmungslosig-
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Angesicht der Fülle der derart sanktionierten Delikte war die Landesverweisung eine häufige Maßnahme. Erst mit der Errichtung der Zuchthäuser ab dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts verlor sie ihre Bedeutung und wandelte sich „von einer Kriminalstrafe für schwere Verbrechen zu einer polizeilichen Ordnungsmaßnahme gegen Fremde und Vagierende“ (Schnabel-Schüle 1995: 75). In Folge dieser Entwicklungen wurde die Landesverweisung für Einheimische als Strafe gänzlich abgeschafft (dazu unten mehr). „Die Entwicklung alternativer Strafmöglichkeiten und das wachsende Bewußtsein über die Problematik des Landesverweises führten schließlich dazu, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Landesverweis eigener Untertanen als verwerflich angesehen und ganz aufgegeben wurde. Des Landes verwiesen wurden danach nur noch Fremde und Außenseitergruppen der Gesellschaft, die im Land ohnehin kein Bürgerrecht hatten.“ (Ebd.: 75)
Als rein polizeiliches Instrument wurde diese Maßnahme jedoch weiter eingesetzt, „insbesondere im Zuge der Bekämpfung von Armut, Vagantenwesen und Prostitution“ (Reiter 2000: 12). So behielten „die deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts bzw. das Deutsche Kaiserreich sowohl das unbeschränkte Ausweisungsrecht von Ausländern als auch die Ausweisungsbefugnisse gegenüber Inländern innerhalb der Landes- bzw. Reichsgrenzen während des ganzen 19. Jahrhunderts bei“ (ebd.: 13).
Exkurs: Die Deportation in „Strafkolonien“ Weder einzelne deutsche Staaten noch das Deutsche Reich seit 1871 kannten „die Deportation als Rechtsinstitut“ (Voigt 1995: 83), während diese Maßnahme im übrigen Europa nichts Ungewöhnliches war. Sie wurde in das Strafrecht europäischer Kolonialmächte wie Frankreich und England übernommen (Schnabel-Schüle 1995: 74). Mit „Deportation“ als Strafmaßnahme ist gemeint, Menschen unter staatlichem Zwang an einen entlegenen Ort zu verbringen, also „Verbrechercolonien“ (Holtzendorff 1975) einzurichten. Dabei ist die Tatsache nicht von unerheblicher Bedeutung, dass diese Orte weit entfernt und schwer zu erreichen sein mussten – eine unerwünschte Rückkehr der Deportierten wäre sonst nicht ausgeschlossen. Da kein deutscher Staat Kolonien besaß, in die er Straftäter verbannen konnte, „gab es auch das Strafmittel der Deportation nicht.“ (Voigt 1995: 85).7 Dennoch war die Deportation von Straftätern um die Jahrhun-
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keit‘, Personen- bzw. Eigentumsgefährlichkeit als Abschiebungs- und Abschaffungsgründe für Inländer“ (Reiter 2000: 783). Was allerdings zulässig war ist der Straferlass durch Begnadigung unter der Bedingung von Auswanderung z. B. nach Amerika; dieser Vorgang ist jedoch mit 53
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dertwende ein Thema des öffentlichen Interesses; so beschäftigte sich im Jahr 1898 der 24. Deutsche Juristentag etwa mit der Frage, ob versuchsweise eine überseeische Deportation von Straftätern zu testen sei. Nach Debatte und Abstimmung wurde dieser Vorschlag jedoch verworfen (ebd.: 94-96). Die Suche nach Wegen, um eigene „Strafkolonien“ einzurichten, scheiterte zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich gänzlich.8 Anders als die Verbannung dient die Deportation in eine Strafkolonie nicht in erster Linie der Entfernung von Unerwünschten, sondern sie bezweckt deren Nutzbarmachung an anderem Ort. Kai Bammann (2001) weißt darauf hin, dass „die aufkommenden Nationalstaaten […] angesichts ihres Expansionsdrangs sehr daran interessiert (waren), ihre Staatsangehörigen nicht zu töten, sondern ‚nützlichen‘ Zwecken zuzuführen“ (Bammann 2001: 32), weshalb alle seefahrenden Kolonialmächte Straftäter und Prostituierte in die (oft lebensgefährlichen) Kolonien transportierten, um sie dort als Siedler einzusetzen.
3.1.2 Hinausweisung und Staatsangehörigkeit Mit dem Übergang vom feudalen Territorialstaat zum modernen Nationalstaat vollzieht sich die Vereindeutlichung nationaler Zugehörigkeit mittels der Staatsangehörigkeit, die uns heute selbstverständlich erscheint. Diese trennscharfe Unterscheidung zwischen Staatsfremden und Staatsangehörigen entsteht erst mit der Herausbildung der Nationalstaaten, was durch die Einführung von Staatsangehörigkeitsregelungen in Folge der Französischen Revolution in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu einer wesentlichen Verschlechterung der Rechtsstellung derer führte, die im Nationalstaat nun als „Ausländer“ galten. Ausweisungsregelungen sind an diesem Prozess maßgeblich beteiligt. Im ancien régime war die Gesellschaft noch weit mehr als durch die Zugehörigkeit zu Staaten oder Ländern durch die Zugehörigkeit zu Ständen gegliedert. Bei der Bewertung der fremdenrechtlichen Regelungen vor dem Aufkommen der modernen Nationalstaatlichkeit ist daher zu beachten, dass „die Eigenschaft der Staatsfremdheit damals angesichts der ständischen Gliede-
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einer Deportation vor allem deshalb nicht gleichzusetzen, weil diese Art der Ausreise freiwillig erfolgt ist. Voigt führt zahlreiche Beispiele aus dem Kreise der Juristen, Kriminologen und Anthropologen an, die eine Entfernung der Devianten und ‚Degenerierten‘ aus dem ‚Volkskörper‘ forderten (Voigt 1995: 89ff). 1904 wurde in der Deutschen Kolonialgesellschaft ein „Deportations-Ausschuß gegründet“, um der Forderung nach Einführung der Deportation Nachdruck zu verleihen. Entsprechende Anträge zu Gesetzesänderungen behandelte der Reichstag 1908; sie stießen jedoch auf Ablehnung (vgl. auch Bammann 2001).
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rung der Gesellschaft und angesichts der im absoluten Staat fehlenden politischen Partizipation kein prägnantes und bewusstes Differenzierungskriterium gegenüber den Einheimischen bilden konnte“ (Renner 1996: 25). Es gab vielfältige soziale Netzwerke, die sich über die Grenzen regionaler Gebilde hinweg erstreckten: wandernde Handwerker, Händler, Gelehrte oder auch Söldner (die „Schweizergarde“) sind Beispiele für solche Phänomene. Heute ist die Vorstellung verbreitet, dass für den Großteil des 19. Jahrhunderts die jungen Nationalstaaten kaum in das Migrationsgeschehen eingriffen, dass etwa eine Unterscheidung zwischen internationaler und interner Migration wenig Sinn ergibt, denn die legale Kategorie des Staatsangehörigen war weniger bedeutend als ethnische oder regionale Zugehörigkeiten. Staatliche Migrationspolitik beginne überhaupt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Bedeutung zu werden (zu diesen Diskussionen vgl. Fahrmeir 2000: 1-6). In der Geschichtswissenschaft besteht heute Einigkeit darüber, dass ein eindeutiges Staatsangehörigkeitsrecht erst in zentralisierten Regelungen zur Abweisung und Ausweisung von Armen, Bettlern und Vagabunden entstanden ist.9 Damit liegt der Zusammenhang zwischen polizeilicher Bearbeitung des Bettler- und Vagantenwesens und der Notwendigkeit der territorialen Zuordnung von Personen auf der Hand. Die Abschiebung „fremder“ Vagabunden und Bettler bedarf (für die Formulierung von Regelungen in Polizei- und sonstigen Verordnungen) primär einer Gegenüberstellung von „Fremden“ und „Einheimischen“ in einem bestimmten Gebiet (Reiter 2000: 26). Im Mittelpunkt steht die Definition dessen, was eigentlich ein Fremder, was ein Einheimischer sein soll (Dohse 1981: 22). Doch wie kam es dazu, dass diese Opposition überhaupt denkbar wurde? Oben wurde die Bedeutung der Landesverweisung im Strafrecht bis ins 18. Jahrhundert hinein geschildert, bei der nicht grundsätzlich zwischen Eigenen und Fremden differenziert wurde.10 Gründe dafür, dass dieses System sich wandelte, dass die Verweisung „eigener“ Angehöriger vollständig aufgegeben wurde, erwuchsen aus zunehmenden Problemen bei der Durchführung. Diese waren praktischer wie konzeptioneller Art. 9
Knuth Dohse argumentiert etwa, dass im Entstehungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft das Ziel verfolgt wurde, bestehende Hindernisse der Arbeitskräftemobilität durch die Schaffung eines geeinten innerstaatlichen Arbeitsmarktes zu beseitigen. Die Kehrseite dieser Freiheitsrechte bestand in der Kompetenz des Staates, „ausländische“ Arbeitskräfte – die durch diese rechtliche Neuordnung erst geschaffen wurden – vom Zugang zum Staatsgebiet auszuschließen (Dohse 1981: 28). Zur Herausbildung der rechtliche Trennung von „Inländern“ und „Ausländern“ in der bürgerlichen Gesellschaft vgl. Dohse 1981:12-28. 10 Die Verweisungsbefugnis des Staates auch gegenüber eigenen Staatsangehörigen blieb auch bis in die zweite Hälfte des 19 Jahrhunderts noch geläufig (Ziekow 1997: 209). Ein Beleg dafür sind die Thesen Robert Mohls zur Ausweisung nach dem Zufallsprinzip bei Überbevölkerung, vgl. Mohl 1832: 126. 55
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Hinsichtlich der polizeilichen Umsetzung führt die Praxis, unerwünschte Personen(-gruppen) einfach an einen anderen Ort zu schicken, nicht zu der Verminderung der Belastungen durch umherziehende Arme, sondern potenzierte dieses Phänomen. Die Strafe des Landesverweises produzierte ja neue Vaganten, nur eben nun an einem anderen Ort. Wie bereits oben dargestellt wurde schon im späten 17. und im 18. Jahrhundert die Wirksamkeit der Ausweisung mit dem Aufkommen von Sicherung und Besserung als Prinzipien des Strafrechts daher zunehmend fragwürdig (Reiter 2000: 9). Auch die „spezialpräventiven Aspekte wurden durch die Verbindung des Landesverweises mit entehrenden Strafen ad absurdum geführt, da der soziale Abstieg und damit die Gefahr der weiteren Kriminalisierung vorprogrammiert waren.“ (Schnabel-Schüle 1995: 80) Neben dieser Frage der Effizienz – worin liegt der Nutzen, Diebe fort zu schicken, wenn diese dann entweder an anderem Ort stehlen oder unerlaubt zurückkehren – wollte man nicht die Arbeits- und Steuerleistung eigener Angehöriger verlieren, „weshalb es nun verstärkt zu einer Einschränkung der Landesverweisung auf Nicht-Untertanen und zur Favorisierung der Arbeitsund Freiheitsstrafen kam“ (Reiter 2000: 10).11 Das übergeordnete Problem des gegenseitigen Zuschiebens von Delinquenten war weitergehend. Für die jeweils andere – empfangende – Obrigkeit waren diese ja Fremde und konnten daher weiter abgeschoben werden. Wo würde eine derartige Kettenabschiebung also enden? Würde man diesen Personen gestatten, sich niederzulassen, kämen sie in den Genuss von Armenunterstützung, was jedoch gerade durch die Verweisung der (eigenen) Armen verhindert werden sollte. Um zu klären, wer für ihre Aufnahme zuständig war, mussten die zunächst armenpolizeilichen Kriterien „für eine territoriale Zuordnung von Personen zwecks Ausweisung bzw. Verweisung an einen Zuständigkeitsort“ überhaupt erst geschaffen werden (ebd.: 780). „Folgerichtig kam es zu Verträgen zwischen benachbarten Staaten, in denen sie sich gegenseitig die Erstreckung des Landesverweises aus dem Gebiet des einen auf das Gebiet des anderen zusagten“ (Schnabel-Schüle 1995: 81). Bilaterale Ausweisungsverträge zwischen den deutschen Staaten führten dazu, dass jeder Unterzeichnerstaat nur solche Personen in einen anderen Staat ausweisen konnte, zu deren Aufnahme der Empfänger verpflichtet war, weil sie dort in irgendeiner Form als Angehörige galten. Es ging also darum, die Rechtsbeziehungen des Einzelnen zu einem bestimmten Gebiet zu definieren, „wobei sich der Begriff des ‚Einheimischen‘ immer klarer zu den Kategorien der Landes- bzw. Staatsangehörigkeit […] ausdifferenzierte“ (Reiter 2000: 27). Die in der jeweiligen Gemeinde „Fremde“ unterlagen nicht (mehr) der Armenfürsorge und konnten ausgewiesen werden, „wenn sie bedürftig waren 11 Gemeint ist die oben bereits erwähnte Einführung der Zuchthäuser. 56
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oder wurden“ (Renner 1998: 7). Das „Heimatprinzip“, also die Bestimmung von Heimatangehörigkeit und des Heimatbezirkes, wurde als das wesentliche Kriterium etabliert, um bei Bedürftigkeit Unterstützung durch die Gemeinde zu beziehen. „Von jedem andern Ort als dem Heimatort konnte eine Ausweisung wegen Inanspruchnahme öffentlicher Almosen oder Bettelei erfolgen.“ (Ziekow 1997: 164). Die Heimatangehörigkeit wurde auf jeden Fall durch Geburt erworben, aber auch, nach Zustimmung der Gemeinde, durch Ansässigkeit oder durch Erwerb des Bürgerrechts plus fünfjähriger Wohnung am Ort (ebd.: 163). Die genannten Ausweisungsverträge führten nicht nur dazu, dass die Verweisungspraxis deutlich komplizierter wurde, sondern dadurch wurde auch ein ‚negatives Zugehörigkeitssystem‘ etabliert (vgl. Fahrmeir 2000: 26). Denn in diesen Verträgen waren die Kriterien für eine anzunehmende Zugehörigkeit zum empfangenden Staat genannt: Allen voran die (aus dem formellen Staatsangehörigkeitsrecht bekannte) Geburt als Kind eines Staatsangehörigen, dann aber, sollte das nicht bekannt sein, wurde die Zugehörigkeit vom Ort der Geburt abhängig gemacht oder sogar, war auch dies unbekannt, vom Ort des Aufgreifens (ebd.: 26/27). Durch diesen Zusammenhang waren die „Anfänge des Staatsangehörigkeitsrechts […] untrennbar mit der für das Schub- und Armenwesen notwendigen Zuständigkeit an einem konkreten Ort verbunden“ (Reiter 2000: 53). Diese Ausweisungs-Verträge, zumeist eingegangen um 1820, stellten bis zu den 1850er Jahren, bis zum multilateralen Ausweisungsvertrag von Gotha 185112, die Grundlage für eine „deutsche“ Staatsangehörigkeit, denn sie eröffneten, was Fahrmeir „implicit naturalisation“ nennt (Fahrmeir 2000: 37): das Recht für langjährig Ansässige, die nicht ausgewiesen werden können, sich im Inland aufzuhalten – und damit eine Form von Bürgerschaft.13 Sie führten dazu, dass der Verlust einer Staatsangehörigkeit durch Auswanderung mit dem Erwerb einer anderen durch den Wohnsitz einherging. Daher können
12 Alle deutschen Regierungen treten schließlich dem Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851 (PrGS 1851, S. 711) bei und beschließen eine gegenseitige Verpflichtung zur Übernahme von Auszuweisenden. Damit wird so etwas wie ein „allgemeines deutsches Heimatrecht“ etabliert (Ziekow 1997: 205). „Kern war die Verpflichtung jedes Konventionsstaates, seine Untertanen und frühere, nunmehr angehörigkeitslosen Untertanen sowie bestimmte andere Personen nach der grundsätzlich jederzeit zulässigen Ausweisung als Ausländer aus einem anderen Bundesstaat wieder zu übernehmen.“ (ebd.: 205) 13 Fahrmeir hat keine Zweifel daran, dass die deutschen Staaten dazu tendierten, den Immigranten, die sie nicht ausweisen konnten, volle Staatsbürgerrechte zu geben – aus Interesse an deren ökonomischer Aktivität und deren Wehrdienst. So wurde etwa mit dem Vertrag von Gotha auch die Einbürgerung aufgrund des Wohnortes einfacher als nach der vorhergehenden Rechtslage (Fahrmeir 2000: 37). 57
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die genannten Ausweisungsverträge als allgemeine Staatsangehörigkeitsregelungen betrachtet werden, denn sie schreiben letztlich vor, dass aus dem Ort des dauerhaften Wohnsitzes die Staatsangehörigkeit erwächst. Für die Verwaltungen in den deutschen Staaten des frühen 19. Jahrhundert war das keine völlig neue Kategorie: es handelte sich einfach um einen Transfer der Ortzugehörigkeit auf das Niveau des Nationalstaates (ebd.: 29). Der Status des „Staatsangehörigen“ wurde also nach dem Vorbild des polizeirechtlichen „Einheimischen“ modelliert. Juristisch ausgedrückt ist damit allerdings die Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung von Ortsangehörigkeit geworden und damit den Rechten der Staatsbürger/innen vorgängig geworden.14
3.1.3 Ethno-nationalistische Ausweisungen im Deutschen Reich Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, an der Schwelle des Übergangs von einer etatistischen Monarchie, einem Territorialstaat, der Preußen bis in die 1880er Jahre war, zu einem modernen nationalen Personenverbandsstaat, werden Ausweisungen laut Dieter Gosewinkel im Sinne des „inneren Reichsausbaus“ zur „Nationalisierung der Bevölkerung“ eingesetzt (Gosewinkel 2001). Nachdem die moderne nationalstaatliche Differenzierung zwischen Einheimischen und „Ausländern“ weitgehend etabliert ist, werden Ausweisungen in Deutschland nur noch gegen ‚Fremde‘ eingesetzt.15 Dies hatte zur Voraussetzung, bestimmte Gruppen aufgrund des formalen Kriteriums der Staatsangehörigkeit, aber auch aufgrund ihrer Sprache oder Herkunft sowie ihrer politischen Haltung, als „fremd“ anzusehen. Wir finden in der Kaiserzeit eine breite Palette an Ausweisungsgründen vor, in erster Linie legitimiert aus staatspolitischen oder wirtschaftspolitischen Gründen. Diese formelle Rechtslage will ich zunächst kurz darstellen. Neben der ethno-nationalen Politik der Massenausweisungen, denen dieses Kapitel gewidmet ist, kann sich der Staat vor Eintritt eines Fürsorgefalls des Ausländers durch Ausweisung entledigen oder auf strafgerichtliche Verurteilungen sowie andere Formen der Devianz durch eine Externalisierung des Fremden reagieren. Damit wurde das im vorhergehenden Kapitel erläuterte System staatlicher Ausweisungskompetenz gegenüber den „Ausländern“ fortgeführt.
14 Günter Renner nennt als wesentliche Rechtsänderungen in Preußen die Einführung der Passpflicht im Jahre 1813 (Renner 1998: 6). 15 Die Ausweisung von eigenen Staatsangehörigen wird in den deutschen Staaten erst mit dem Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867 (BGBl 1867 S. 55) eingeschränkt, das in § 12 Abs. 1 den Grundsatz enthielt, dass die „polizeiliche Ausweisung Bundesangehöriger aus dem Orte ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts in anderen, als in den durch dieses Gesetz vorgesehenen Fällen, [...] unzulässig“ sei (Ziekow 1997: 242). 58
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
All diese Ausweisungsbefugnisse wurden als selbstverständlich angesehen, auch Massenausweisungen galten Ende des 19. Jahrhunderts noch als völkerrechtlich unbedenklich (Renner 1998: 11).16 Die Rechtslage im Deutschen Reich Im Deutschen Reich ab 1871 standen den Staatsangehörigen vermehrt Rechte zu, einerseits politischer, andererseits sozialer Art (Sozialversicherungssystem, Kranken- und Altersversicherung). Dieses Bündel von Rechten war geknüpft an den territorialen Inländerstatus, also an das Aufenthaltsrecht und den darauf aufbauenden Schutz vor Ausweisung. Waren im Deutschen Reich ab 1871 alle Angehörigen anderer Bundesstaaten in allen Staaten Inländer, durften sie armenrechtlich als Ausländer behandelt und ausgewiesen werden (ebd.: 8). Dafür genügte als Begründung die Abwehr einer durch die Fremden drohenden Gefahr – strafrechtlicher, polizeilicher oder politischer Art.17 Denn Ausweisung wurde als im Interesse der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung für stets zulässig erachtet (Renner 1998: 9). „Es wurde sogar angenommen, gewohnheitsrechtlich sei eine über § 10 II 17 PrALR18 hinausgehende Befugnis anerkannt, ‚lästige‘ Ausländer auszuweisen“ (Renner 1996: 28). Reichsausländer hingegen konnten unbeschränkt ausgewiesen werden; dies nahm vor allem Bezug auf Bettelei/Landstreicherei (Renner 1998: 12). „Die Reglementierung des Aufenthaltsrechts war das Schlüsselinstrument, mit dem der Staat im Wege der Stabilisierung des Aufenthalts zugleich die Stabilität der sozialen und ökonomischen Beziehungen, der Arbeitsmarkt-, Ausbildungs-, Heirats-, und schließlich Einbürgerungschancen im Deutschen Reich in entscheidendem Maße definierte.“ (Gosewinkel 2001: 219)
Ausweisungen wurden im Kaiserreich entweder aus dem gesamten Reichsgebiet oder nur aus einem Land (bzw. einer Gemeinde) ausgesprochen. Für die 16 Das Institut de Droit International fasste 1892 Grundsätze der Ausweisung Fremder in Europa zusammen („Régle international sur l’admission et l’expulsion des ètrangers propsées par l’Institut de droit international et adoptées par lui à Genève, le 9 septembre 1892“) und nannte u. a. Seuchengefahr, eine rechtskräftige Verurteilung wegen Straftaten, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit, völlig abweichende Sitten der Fremden und Überfremdung (vgl. Reiter 2000: 20). 17 Dieses Dreigestirn nationalstaatlicher Ausweisungskompetenz stammt von Holtzendorff 1975, zitiert etwa bei Bittermann 1912: 556. Zum Begriff „Gefahr“ s. Kap. 5.3. 18 § 10 II 17 PrALR: „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei.“ 59
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Reichsverweisung waren die höheren Landespolizeibehörden zuständig. Sie sprachen Reichsverweisungen nach dem Sozialistengesetz (vgl. Thümmler 1979) von 1878 oder dem Jesuitengesetz19 von 1872 aus. Außerdem konnten einem Strafurteil wegen schwereren Straftaten, Glücksspiel, Landstreicherei, Bettelei, Arbeitsscheu oder Unzucht die „Polizeiaufsicht“ und eine Ausweisung nach sich ziehen (Renner 1998: 10). Die Ausweisung wegen ‚Lästigkeit‘ kraft Landesrechts war laut Günter Renner das wichtigste Mittel der Steuerung des Ausländeraufenthalts. Dieses „Recht der Bundesstaaten, sich lästiger Ausländer nach freiem Ermessen zu entledigen“ (von Conta 1904: 53) wurde als Ausfluss der Gebietshoheit angesehen (Renner 1998: 11). In Preußen waren Landesverweisungen gesetzlich vorgesehen als Ausweisung fremder Bettler, Landstreicher und Arbeitsscheuer nach deren Haftentlassung. Der Berliner Rechtsanwalt Wilhelm Bittermann geht 1912 davon aus, dass eine Ausweisung immer zulässig sei bei der „Verletzung der Staatsinteressen durch den Fremden“ (Bittermann 1912: 554); da dieser Begründungszusammenhang ein sehr weites Feld umspanne, das sich zudem mit politischen und historischen Veränderungen selbst verändere, sei „eine Aufzählung aller Ausweisungsgründe ausgeschlossen“ (ebd.: 554). Bei dem Versuch, zumindest eine Systematik der möglichen Ausweisungsgründe zu entwerfen, führt Bittermann „polizeiliche“ als die häufigsten an: „Meistens allerdings werden hier polizeilich geschützte Interessen, in der Hauptsache armen-, gesundheits-, und sicherheitspolizeiliche Gründe, z. B. Umhertreiben, unsittliche Aufführung, Legitimationslosigkeit, Geisteskrankheit und Mittellosigkeit für die Ausweisung maßgeblich sein. Es ist jedoch daran festzuhalten, daß auch aus jedem andern polizeilich geschützten Staatsinteresse eine Ausweisung erfolgen kann, ohne daß deren Verletzung in den Strafgesetzen geradezu verboten zu sein braucht.“ (Ebd.: 557)20
Eine Landesverweisung kam in ihrer Wirkung i. d. R. einer Reichsverweisung gleich, denn kein Bundesstaat nahm Ausgewiesene auf, außer es bestand dazu die Verpflichtung. Dies war nur dann der Fall, wenn an diesem Ort bereits eine Hilfsbedürftigkeit der Ausgewiesenen vorlag (Renner 1998: 11).21 19 Bei katholischen Geistlichen kam es sogar zu gerichtlichen Ausbürgerungen: 1874 erfolgte die Expatriierung des Paderborner Bischoffs Martin aufgrund des Reichsgesetzes betreffend der Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 (vgl. Gosewinkel 2001: 222). 20 Diese polizeilichen Ausweisungen sollen ausdrücklich auch „ausländische Kontraktbrecher und Streikende“ umfassen (Bittermann 1912: 556); dazu unten mehr. 21 Erst mit dem Gothaer Vertrag von 1851 wurde die Ausweisung von Angehörigen anderer Bundesstaaten eingeschränkt; eine solche war dann nur noch zuläs60
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Der allgemeine Passzwang wurde mit dem Passgesetz von 1867 abgeschafft,22 der Handel und das Reisen liberalisiert (Gosewinkel 2001: 220). Die präventive Aufenthaltsbeschränkung, etwa als Kontrolle an der Grenze, wurde liberalisiert. Zwar wurden die Grenzen des Nationalstaates damit geöffnet, demgegenüber wurde aber die Ausweisungsbefugnis erweitert. Somit verlagerte sich der Schwerpunkt staatlicher Territorialgewalt auf das Ausweisungsrecht, es wurde das „zentrale Regulierungsinstrument im Fremdenrecht des Kaiserreichs“ (ebd.: 220). Eigene Staatsangehörige auszuweisen galt nun als (völkerrechtlich) verboten, fremde Staatsangehörige wurden umso mehr wegen „Lästigkeit“ ausgewiesen (ebd.: 220). „Mir weitgehender Unterstützung der Rechtswissenschaft beanspruchten die Landespolizeibehörden ein sachlich nicht begrenztes, gerichtlich nicht überprüfbares Ausweisungsrecht. Im Geltungsbereich der staatlichen Ausweisungskompetenz befanden sich Ausländer mithin in einer Enklave des Polizeistaats inmitten des Rechtsstaats.“ (Ebd.: 220)23
Nationale Homogenisierung durch Optionsregelungen und Ausweisungen Im Kontext der eingangs bereits angedeuteten staatspolitischen Ziele der Ausweisungspolitik sind zunächst die „Optionsregelungen“ in Regionen, die zum Deutschen Reich neu hinzukamen, zu berücksichtigen. An den Beispielen Elsaß-Lothringen und Schleswig-Holstein kann gezeigt werden, was „Nationalisierung“ der Bevölkerung durch Ausweisungen bedeutete. Nach dem Sieg gegen Frankreich wurden Elsaß und Lothringen 1871 vom Deutschen Reich annektiert. Bei der Optionsregelung, die für die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen etabliert wurde, konnten die Bewohner innerhalb eines Jahres zwischen der Staatsangehörigkeit des annektierenden und des früheren Staates wählen. Trafen sie ihre Option gegen die preußische Staatsangehörigkeit, mussten sie das annektierte Gebiet verlassen. Wer sich also bei
sig, wenn ein anderes Land zur Unterstützung verpflichtet war; s. o. u. vgl. Renner 1998: 12. 22 Der Passzwang wurde erst im Ersten Weltkrieg wieder eingeführt, vgl. Davy/ Çinar 2001: 277. 23 Damit bezieht er sich auf Isay 1923: 110, s. u. Gosewinkel sieht (wie auch schon Dohse 1981: 23) in der „fundamentalen Rechtsunsicherheit des Ausländerstatus, die in der ständig drohenden Ausweisung lag“, eine bedeutende Ambivalenz in der Entwicklung staatsbürgerlicher Rechte: „Demokratisierung und Parlamentarisierung des Deutschen Kaiserreichs bedeutet insoweit zugleich seine Nationalisierung, d.h. seine nationale Abschließung nach Außen“, vgl. Gosewinkel 2001: 224. 61
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
der Option nicht „loyal“ erklärte, wurde ausgewiesen und zur Umsiedlung gezwungen.24 „Das rechtliche Instrument, dessen Ursprünge in der Staatsräson des Spätabsolutismus lagen, erfuhr im Zeitalter des Nationalstaats einen grundlegenden Funktionswandel: Je nach Ausgestaltung und Handhabung der Optionsregelungen wurden diese zu einem Mittel, Loyalität zum annektierenden Nationalstaat zu erzwingen und in diesem Sinne die Bevölkerung des annektierten Gebiets national zu ‚homogenisieren‘ “ (Gosewinkel 2001: 191).
Komplexer unter dem Blickwinkel der sich wandelnden Paradigmen von Territorialität hin zur modernen Staatlichkeit stellt sich die Situation in Schleswig-Holstein dar. Schleswig und Holstein wurden 1866 Teil des preußischen Staates. Auch hier erhielten die Einwohner die Option, entweder im Land zu bleiben oder (innerhalb von sechs Jahren) nach Dänemark auszuwandern und damit die dänische Staatsangehörigkeit zu erhalten. Im selben Jahr wurde von Preußen die dreijährige Wehrpflicht eingeführt und die Auseinandersetzung um die Optanten verschärfte sich. Junge Nordschleswiger siedelten nach Dänemark über, vollzogen damit die Option gegen Preußen und entzogen sich der Wehrpflicht, um gleich darauf zurückzukehren und wieder in Schleswig-Holstein zu leben. Darauf reagierte die Verwaltung bereits 1867 mit der Ausweisung dieser Dänen, eine Reoption für Preußen wurde ausgeschlossen (ebd.: 202). Kurzzeitig wurden sogar die Familienangehörigen der Ausgewiesenen des Landes verwiesen, was einer modernen nationalisierenden Logik folgte, die keine Rücksicht auf lokale Bindungen mehr nahm. Zu dieser Zeit und bis in die 1880er Jahre hinein war dieses Paradigma noch nicht dominant, die tradierten feudalen Vorstellungen der Territorialität konnten sich daher noch durchsetzen mit dem Ergebnis, dass Ausweisungen nicht streng durchgesetzt wurden. Vielmehr kam die Optionsfrage 1872 zu einem vorläufigen Abschluss, indem den rund 1.000 in Schleswig lebenden ‚dänischen‘ Optanten ein Aufenthaltsrecht zugestanden wurde (ebd.: 203). Danach stieg die Zahl der aus Dänemark zurückkehrenden jetzt dänischen Staatsangehörigen (die damit nicht für den Krieg zwischen Preußen und Frankreich mobilisierbar waren) stark an, um 1881 lebten etwa 25.000 Dänen in Nordschleswig (gegenüber nur 4.500 um 1867) (ebd.: 204). Im Jahr 1883 wurde die Optantenfrage allerdings wieder akut: von diesem Jahr an sollten alle Optantensöhne wieder der preußischen Wehrpflicht unterliegen. Kamen sie dieser nicht nach drohte ihnen die Ausweisung nach Dä24 Die Entscheidung für eine der beiden Staatsangehörigkeiten war also eine politische: der Wille, Franzose zu bleiben oder Deutscher zu werden. Die Einzelnen sahen sich nicht „der Forderung ethnischer Kriterien oder kultureller Assimilationsakte ausgesetzt.“ (Gosewinkel 2001: 195) 62
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
nemark. Auch wurden dänische Nordschleswiger in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre wegen „Agitation“ für die Vereinigung ihrer Heimat mit Dänemark ausgewiesen (ebd.: 206), was laut Gosewinkel aber noch als konservative, etatistische Logik zu bewerten ist, denn es blieb „die zwingende und dadurch begrenzende Voraussetzung dieser Ausweisungen eine staatliche: die fehlende preußische bzw. deutsche Staatsangehörigkeit.“ (Ebd.: 205) Erst in den Maßnahmen der späten 1890er Jahre gegen preußische Staatsangehörige, die den dänischen Nationalismus unterstützen – also „dänischer Gesinnung“ waren oder als „Fanatiker“ bezeichnet wurden (ebd.: 207) –, verwischt das ursprünglich mit der Gleichheit aller Staatsangehörigen etablierte Prinzip der staatlichen Schutzpflicht gegenüber den eigenen Untertanen. Jetzt macht sich die administrative und ökonomische Diskriminierung nicht mehr (nur) an der Staatsangehörigkeit, sondern auch an der politischen Aktivität fest. Noch weiter ging die Verwaltung im Jahr 1900, als sie eine „Option“ gegen die preußische Staatsangehörigkeit unterstellte, auch wenn die Betreffenden ihren Wohnsitz nicht nach Dänemark verlegt hatten (ebd.: 208). Hunderte Schleswiger wurden damit faktisch ausgebürgert und im Anschluss ausgewiesen, hatten also nach Dänemark auszureisen. Erst 1907 führte der „Optantenvertrag“ zu einer abschließenden Klärung der aufgetretenen Probleme.25 ‚Kulturkampf‘ mittels Massenausweisungen Antipolnische Ausweisungen sollten im Kaiserreich die Sicherheit der Ostgrenze garantieren und wurden außerdem für die ethno-nationalistische Kulturkampfpolitik der „Germanisierung“ eingesetzt. Diese Ausweisungen von Polinnen und Polen aus dem Deutschen Reich sind von besonderer Bedeutung hinsichtlich der „Nationalisierung“ (Gosewinkel) der Bevölkerung. Ihre Situation gestaltete sich grundsätzlich anders als bei Menschen aus Dänemark oder Frankreich, denn sie hatten zumeist seit Generationen die preußische Staatsangehörigkeit. Bis 1914 war jeder Zehnte der 24 Millionen preußischen Einwohner polnischer Nationalität (was sich in erster Linie an der Sprache festmachte).26
25 Nicht zuletzt führte dieser Vertrag zur Einbürgerung der auf preußischem Boden geborenen Optantenkinder, die weder die (nach dem Territorialprinzip erworbene) dänische noch die (vererbte) preußische Staatsangehörigkeit besaßen. Ihre Eltern waren ja in Preußen lebende Däninnen und Dänen, somit sie selbst staatenlos, und damit trotz Geburt im Inland nicht vor der Ausweisung geschützt (Gosewinkel 2001: 209). Vier- bis Fünftausend Optantenkinder wurden eingebürgert, die Ausweisungspolitik gegenüber dänischen Staatsangehörigen aber weiter aufrechterhalten, sei stieg sogar 1910 nochmals stark an (ebd.: 210). 26 Die Gleichheitsstruktur innerhalb der Staatsangehörigkeit war jedoch aufgehoben, denn die deutschen Staatsangehörigen polnischer und deutscher Nationali63
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Wie oben bereits ausgeführt folgten Ausweisungen dem Ordnungsrecht, d.h. sie standen in der freien Kompetenz der Ausländerpolizei. Daher konnte es – als Mittel der Politik des „Kulturkampfes“ – auch zu Massenausweisungen kommen, wie das in den Jahren 1885/86 der Fall war. Die Ausweisung von etwa 32.000 russischen und österreichischen Staatsangehörigen polnischer Nationalität aus Preußen erregte international großes Aufsehen, sie wurden als „ein einmaliger Vorgang in europäischen Friedenszeiten des 19. Jahrhunderts“ bewertet und „stießen auf scharfe internationale Kritik“ (Gosewinkel 2001: 221). Die Entfernung der „Ostjuden“27 vom Staatsgebiet, die in der Terminologie als „lästige Ausländer“ galten, war zulässig bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – zum Beispiel bei fehlendem Ausweis – oder im „öffentlichen Interesse“ (Heid 1995: 212). Einziger wirksamer Ausweisungsschutz war die Einbürgerung, aber die wurde zum Teil verhindert, indem bestimmte Bevölkerungsgruppen präventiv ausgewiesen wurden, etwa im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Regulierung (Gosewinkel 2001: 221). Insofern ist diese Massenausweisung ein Element „antipolnischer Einbürgerungspolitik“: man wollte die Bevölkerungsgruppe loswerden, bevor sie eingebürgert werden konnte (ebd.: 267).28 Die Bedeutung von Ausweisungen im Zusammenhang mit Einbürgerungspolitik wird auch darin deutlich, dass preußische Politiker den Problemen, die durch das im preußischen Untertanengesetz eingeführte Abstammungsprinzip entstanden,29 durch die Möglichkeit zur Ausweisung begegnen wollten (ebd.: 286).
tät waren zunehmend voneinander unterschieden und in rechtlich gestufte Klassen getrennt; vgl. Gosewinkel 2001: 214ff. 27 Ich möchte auf die doppelt stigmatisierende Wirkung dieser Bezeichnung hinweisen, die laut Wolfgang Wippermann im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in Deutschland geläufig wurde. „Der Begriff ‚Ostjude‘ hat im Deutschen eine negative Bedeutung. Dies gilt im doppelten Sinne. Schon die Bezeichnung ‚Jude‘ erweckte so negative Assoziationen, daß sich die deutschen Juden meist selber lieber ‚Bekenner des mosaischen Glaubens‘ oder, wie erwähnt, ‚deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens‘ nannten. In der Zusammensetzung mit ‚Osten‘ wurde die negative Bedeutung noch gesteigert. Galt doch ‚der Osten‘ bei vielen Deutschen als ‚barbarisch‘, ‚primitiv‘ und ‚unkultiviert‘.“ (Wippermann 1994: 64; vgl. auch Maurer 1986). 28 Die Massenausweisungen verfolgten auch eine antisemitische Stoßrichtung. Mehr als 10.000 der von ihnen betroffenen waren Juden und Jüdinnen, die vielfach seit Jahrzehnten in Preußen lebten aber noch nicht die Staatsangehörigkeit erworben haben. Mittels dieser Ausschlusstechnik konnte also die Quote der in Preußen einzubürgernden Jüdinnen und Juden gesenkt werden (Gosewinkel 2001: 245). 29 Die nationalen Minderheiten innerhalb des Reichs, etwa Dänen in Schleswig oder Holländer in Westpreußen, blieben durch dieses Prinzip auf Dauer erhalten bzw. vergrößerten sich auch ohne zusätzliche Einwanderung. 64
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
3.2 Kontinuitäten des m o d e r n e n Au s w e i s u n g s r e g i m e s Der deutschen Migrationspolitik von Beginn des 20. Jahrhunderts an muss in dieser historischen Darstellung mehr Platz eingeräumt werden, denn von der Weimarer Republik bis heute kann die Grundhaltung der deutschen Verwaltung gegenüber (Arbeits-)Migrantion knapp und treffend als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt beschrieben werden (von der Periode der Vernichtungspolitik gegenüber „Fremdrassigen“ in den Jahren 1938 bis 1945 abgesehen, s. u.). Es ist weder geboten noch möglich, innerhalb dieses Textes die Entstehung der (nahezu) unbeschränkten Verwaltungskompetenz gegenüber „ausländischen“ Arbeiterinnen30 und Arbeiter als Entstehungsprozess einer zentralisierten Ausländerverwaltung bis in die Kaiserzeit, bis zur Ausstellung der ersten „Legitimationskarten“ für ausländische Landarbeitskräfte, zurück zu verfolgen (vgl. Bade 1992, Bade 1984). Besonders relevant für heutige Verhältnisse in Deutschland ist jedoch die Regelungsstruktur der Weimarer Zeit, weshalb ich diese ausführlicher vorstellen möchte. Denn im Nachkriegsdeutschland entwickelt sich der in der Weimarer Republik erprobte, flexible, an ökonomischen und innenpolitischen Bedürfnissen zugleich orientierte Umgang mit Einwanderung zu einer Leitidee staatlicher Migrationspolitik. Anfang der 1990er Jahre konnte Klaus J. Bade noch ausführen, mit der „Verbindung von Arbeitsverwaltung und Ausländerzulassung [in der Zwischenkriegszeit, T.S.] begann eine Traditionslinie, die heraufführt bis in die ‚Gastarbeiterperiode‘ der Bundesrepublik“ (Bade 1992: 324).31 Tatsächlich lässt sich diese Linie noch weiter, bis hin zur Diskussion um das „Zuwanderungsgesetz“ der rot-grünen Bundesregierung 2002/2004, verfolgen. Mit Blick auf die im Jahr 2008 gültigen Regelungen werden Parallelen zu den in der Weimarer Zeit installierten Neuerungen augenfällig, an erster Stelle der Inländervorrang bei der Arbeitsplatzvergabe. In den monatelangen Diskussionen um eine neues „Zuwanderungsgesetz“ wurden von den Verteidigern des Gesetzentwurfes der rot-grünen Bundesregierung Begriffe wie „Flexibilität“, „Berücksichtigung des nationalen Ar30 Die geschlechtsbetonte Schreibweise wird nicht zuletzt gewählt, um auf ein vielfach übergangenes Faktum hinzuweisen: in der Zwischenkriegszeit war ein erheblicher Teil der ausländischen Arbeitskräfte weiblich. Im Jahr 1927 beispielsweise waren „71% der polnischen Saisonarbeiter (sic!) Frauen und Mädchen, 7% Jungen bis zu 17 Jahren und nur 22% Männer“ (Sobczak 1977: 57). 31 Bereits mit der bundesdeutschen Ausweisungspraxis vor 1990 befassen sich im Vergleich etwa zur Zwischenkriegszeit oder zum NS-Regime merklich weniger sozialwissenschaftliche Beiträge, bezüglich der aktuellen Situation ist die Materiallage sehr dünn. Die als Übersichtwerke angelegten Abhandlungen zur bundesdeutschen Ausländerpolitik streifen dieses Thema verständlicherweise nur am Rande (Bade 1995, Ibrahim 1997, Herbert 2001, D'Amato 2001). 65
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
beitsmarktes“ und „Vorrang Einheimischer“ verwendet. So betonte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) in seinem Vortrag zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes am 22. März 2002 im Bundesrat, es würde nun „eine Entscheidungsstruktur geschaffen werden, die situationsangepasst und flexibel reagieren kann. Das ist wirtschaftsfreundlich. […] Selbstverständlich müssen aber etwaige nachteilige Auswirkungen auf den nationalen Arbeitsmarkt bedacht werden. Ein solcher Gesichtspunkt stünde dann einer Entscheidung [für die Arbeits- und damit Aufenthaltserlaubnis, T.S.] entgegen. […] Das neue Zuwanderungsrecht erlaubt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit […] dann und nur dann – nur dann; ich möchte es dreimal wiederholen: nur dann –, wenn eine offene Stelle nicht aus dem vorhandenen inländischen Arbeitskräftepotenzial besetzt werden kann. Das heißt, der Vorrang des einheimischen Arbeitsuchenden ist zu 100 % sichergestellt.“ (20020322-BRProt.774: 165, Hervorheb. i. Orig.)
In den deutschen Debatten des 21. Jahrhunderts um eine Öffnung des Arbeitsmarktes zum Ausland hin werden also identische Argumentationen vorgebracht, wie sie schon im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bedeutsam waren. Daher folge ich der These von einer Kontinuität deutscher Ausländerverwaltung (so etwa bei Dohse 1981), die ich auch und gerade hinsichtlich des deutschen Ausweisungsrechts als tragfähig betrachte.
3.2.1 Ausweisungen als Element zentralisierter Ausländerverwaltung Protektionistische Arbeitsmarkspolitik der Weimarer Republik Die Entstehung einer zentralisierten Ausländerverwaltung in Deutschland lässt sich bis vor den ersten Weltkrieg zurückverfolgen. Noch in der Kaiserzeit wurde das Anwerbemonopol der Arbeiterzentrale eingerichtet; es diente in erster Linie der Kontrolle ausländischer Arbeitskräfte unter dem Gesichtspunkt, Kontraktbrüche verhindern oder gegebenenfalls sanktionieren zu können. Legitimationskarten wurden zu diesem Zeitpunkt bereits als einziger Inlandsausweis der Arbeitswanderer eingeführt. „Ausländer“ mussten damit in Preußen bei Polizeikontrollen ihre Identität und zugleich ihre Anstellung nachweisen. Konnten sie das nicht, drohte die Ausweisung bzw. eine Abschiebung.32
32 Unter der Überschrift „Verfahren zur Durchführung der Ausweisung“ werden in den Ausweisungserlassen 1921 u. 1923 (s. u.) sowohl Ausreiseaufforderung, Inhaftierung, als auch Abschiebung behandelt. Statt stringent von „Abschiebung“ wird in der Regel von „Durchführung einer Ausweisung“ gesprochen. Zwischen (polizeilichem) Verwaltungsakt und polizeilichem Zwangsmittel wurde begrifflich also nicht gesondert unterschieden. 66
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Die Verwaltung der Weimarer Zeit knüpfte also an ein System an, das bereits in den 1880/90er Jahren entwickelt worden ist. Damals diente es jedoch der oben geschilderten antipolnischen Intervention: es folgte dem Sicherheitsdenken der preußischen Abwehrpolitik und war gezielt gegen polnische Arbeitskräfte gerichtet. Die aus dieser Epoche übernommene Regelung der Rückkehrpflicht, die sich ja in erster Linie33 gegen Auslandspolen richtete (Bade 1992: 314), galt zwar auch in der Weimarer Republik, wurde aber etwa bis zum Jahr 1925/26 nicht angewendet, weil Landarbeitermangel herrschte (vgl. Bade 1985: 169). Als sich in der Situation der Weltwirtschaftskrise der Arbeitskräftemangel zu einem Überangebot transformierte diente die Kontrolle der Inlandslegitimation dazu, die nicht benötigten Arbeitskräfte ausweisen zu können. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte war in der Weimarer Republik verglichen mit den Zeiträumen davor und danach quantitativ von untergeordneter Bedeutung.34 Allerdings fällt in diesen Zeitabschnitt ein „Umbruch in der Regelungsstruktur“ (Dohse 1981: 87), der eine Verrechtlichung, Zentralisierung und Effektivierung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte umfasste (Herbert 2001: 123). Denn erst in der Weimarer Republik werden zwei wichtige Mechanismen kombiniert: die „Genehmigungspflicht“ für die Einstellung von Wanderarbeitern und der „Inländervorrang“ bei der Arbeitsplatzvergabe. Letzterer wurde von Seiten der erstarkten Arbeiterbewegung als politische Forderung formuliert. Administrativ umgesetzt und als ein Element der Arbeitsverwaltung gesetzlich niedergelegt, ermöglichten sie den kontrollierten Einsatz ausländischer Arbeitskräfte. Jetzt regierte erstmals – und für die weitere Entwicklung der Ausländerbeschäftigung bis zur Bundesrepublik Deutschland richtungsweisend – die „Ratio der Arbeitsmarktpolitik“ (Bade 1992: 324).35 33 Während sich alle Wanderarbeitskräfte legitimieren mussten galt der jährliche Rückkehrzwang nur für Auslandspolen; um sie bei Kontrollen sofort erkennbar zu machen erhielten diese die „rote Polenkarte“ (Bade 1984: 127). Farbige Legitimationskarten aktualisierten die Ethnisierung der ausländischen Arbeitskräfte: Ruthenen erhielten gelbe Karten, Italiener grüne, Niederländer/Belgier blaue, Dänen/Schweden/Norweger braune und Arbeitskräfte aus sonstigen Ländern weiße Karten (ebd.). 34 Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte betrug nie wesentlich mehr als eine Viertel Million Menschen. 35 Weimar stellt hinsichtlich der Ausländerbeschäftigung also eine Umbruchphase dar: vor dem Ersten Weltkrieg durfte jedes Unternehmen im Ausland Arbeitskräfte anwerben, nach dem Krieg wird nach und nach ein Verfahren installiert, das die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte an ein staatliches Genehmigungsverfahren bindet. Statt auf Abwehr wurde nun auf Steuerung gesetzt. Durch eine restriktive Kontingentierung wurde die jährliche Arbeitskräftewanderung auf das Maß beschränkt, das zur Deckung der benötigten Mengen an Arbeitskräften in der Landwirtschaft notwendig war. Der Arbeitsmarkt wird damit nicht ver67
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Die Genehmigung zur Anstellung ausländischer Arbeitskräfte wurde nun periodisch, d.h. jährlich mittels der „Karenzzeit“, überprüft. Damit war auch der Vorrang inländischer Arbeitskräfte gegenüber bereits im Lande lebenden Ausländer/innen festgelegt. Denn durch die Inlandlegitimierungen und die Karenzzeit war bei ausländischen Arbeitskräften regelmäßig eine Ausreisepflicht etabliert. Dadurch wurde einerseits der Bruch des Arbeitsvertrags durch eine individuelle Ausweisung sanktioniert und andererseits durch die Ausweisungsdrohung die Disziplinierung der gesamten Arbeiterschaft erreicht. Nun eignete sich der Staat durch die zentrale Anwerbekompetenz und den Inländervorrang die Kontrolle über die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte an. Zur Umsetzung dieser Leitidee bedurfte es nicht mehr nur der Kontrolle bei der Einreise, sondern hier musste die Ausweisung als Mittel der Entfernung ausländischer Arbeitskräfte bei Arbeitslosigkeit oder unerlaubtem Arbeitsplatzwechsel implementiert werden. Kodifizierung der Ausweisungsgründe durch Polizeierlasse und -verordnungen Zur Zeit der Weimarer Republik bleibt die Ausweisungsbefugnis völkerrechtlich im Allgemeinen unberührt (Renner 1998: 14). Wie auch schon im Kaiserreich ist eine Ausweisung weiterhin zulässig bei „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“. Die Reichsverweisung erfolgte nach Bestrafung vor allem wegen folgender Delikte: Aufruhr, Meuterei, Landfriedensbruch, Kuppelei, Zuhälterei, Diebstahl, Raub, Erpressung, Hehlerei, Glücksspiel, Bettelei, Landstreicherei und Arbeitsscheu (ebd.: 15). Der Schwerpunkt der Ausweisungen lag auch in der Weimarer Republik jedoch bei der Landes- und Ortsverweisung (vgl. ebd.: 15).36 Diese war zulässig wegen „Lästigkeit“, was bereits Landgerichtsrat Dr. Ernst Isay in seiner Abhandlung „Das deutsche Fremdenrecht. Ausländer und Polizei“ im Jahr 1923 konstatieren ließ, dass „eine erschöpfende Aufzählung der Ausweisungsgründe in Preußen noch weniger möglich ist als anderwärts […]: der Ausländer kann abgeschoben werden, wenn er sich ‚lästig macht‘, ‚unliebsam‘, ‚unerwünscht‘ ist. Der Gründe für eine solche Ausweisung sind natürlich unzählige: Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordschlossen, sondern unter der Bedingung des Inländervorranges kontrolliert offen gehalten. Arbeitskräftelücken können damit zeitlich begrenzt überbrückt werden. Dohse bezeichnet diese Situation als „geschlossener Arbeitsmarkt mit Öffnungsvorbehalt“ (Dohse 1981: 115). 36 Die Ortsverweisung war ohne Bindung an ein Gesetz sowohl gegen In- wie Ausländer möglich. Sie erfolgte insbesondere aus armenrechtlichen Gründen, d.h. bei Hilfsbedürftigkeit als Verweisung an den Ort des Wohnsitzes, vgl. Renner 1998: 16. 68
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
nung (mag nun der Ausländer durch strafbares oder bloß normwidriges Verhalten, z. B. durch Schieber- oder Valutageschäfte, durch Nichtbesitz eines ordnungsmäßigen Ausweises usw. jene Güter bedrohen), Gefahren politischer Art, kulturelle Gefahren (Überschwemmung des inländischen Gebietes durch Ausländermassen geringen Kulturgrades), wirtschaftliche Gefahren (Wohnungsnot, Überangebot an Arbeitskräften, Mangel einer ‚nutzbringenden Beschäftigung‘ des Ausländers, Ernährungsschwierigkeiten)“ (Isay 1923: 214).
Ein „Stück Polizeistaat“ (ebd.: 100) läge damit vor, dass die Kompetenz der Verwaltung, „Ausländer“ des Landes zu verweisen durch keine gerichtliche Instanz kontrolliert zur freien Verfügung der Exekutivorgane stehe. „Hinsichtlich der Ausweisung ist der Staat noch heute ebenso allmächtig und gesetzesfrei, wie er es vor der Schaffung der rechtsstaatlichen Institutionen auf allen Gebieten des Zwanges war“ (ebd.). Belege derartiger staatlicher Verfügungsmacht liefern die Ausweisungserlasse des Preußischen Innenministeriums der 1920er Jahre, die sich, wie es im Erlass vom 18. Oktober 1921 offiziell heißt, dem Entfernen „lästiger Ausländer“ widmeten. In diesem Schreiben wird der Leitgedanke formuliert, die „Genehmigung zum Aufenthalt in Preußen auf solche Ausländer zu beschränken, deren Zuwanderung und Aufenthalt im Inlande als erwünscht angesehen werden kann“ (MBliV 1921: 372). Im vorrechtsstaatlichen Preußen sind die Maßnahmen der Polizei gegenüber „Ausländern“ nicht gesetzlich geregelt, sie sind „in das freie Ermessen der Behörde“ gestellt, die nur an das „Interesse das Staates“, nicht an ein Gesetz gebunden ist (s. o. u. vgl. Isay 1923: 97). In Weimar ändert sich dies zumindest auf dem Papier; so wird die „fast unbegrenzte Möglichkeit der Ausweisung“ (Dohse 1981: 215) bereits mit dem Ministerialerlass zur „Ausweisung lästiger Ausländer“ von 1921 (AuswErl1921) scheinbar deutlich beschnitten. Denn damit liegt eine Regelung vor, nach der „Ausländer, die bereits vor dem 1. April 1914 in Preußen ihren Wohnsitz“ gehabt haben, nicht abzuschieben seien (MBliV 1921: 373). Bei langjährigem Aufenthalt wird hier also formal ein Schutz vor Abschiebungen eingeräumt. Mit einem weiteren „Ausweisungserlass“ wird zwei Jahre darauf diese Regelung bestätigt und um den Passus ergänzt, die Ausweisung sei „in der Regel unzulässig“, wenn ein vierjähriger Aufenthalt und eine „gesicherte Existenz“ vorlägen (AuswErl 1923, vgl. MBliV 1923: 885). Die Idee des durch langen Aufenthalt erworbenen Bleiberechts ist also in den Verordnungstext eingegangen. Bedeutsam ist an beiden Erlassen neben dieser Beschränkung auch die formelle Kodifizierung von Ausweisungsgründen. Neben Straftaten und „staatsfeindlicher politischer Betätigung“ wird hier die fehlende „nutzbringende Beschäftigung“ genannt. Kontraktbruch als Ausweisungsgrund wird 1923 hingegen sogar ausdrücklich ausgeschlossen (ebd.: 883), bei fehlender 69
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Legitimation liege aber eine „sonstige Lästigkeit“ vor. Schließlich gelten die illegale Einreise und der undokumentierte Aufenthalt als Ausweisungsgrund.37 Mit den Erlassen von 1921 und 1923 wurde das Regelwerk des Ausweisungsrechts zunächst abgeschlossen. Im Jahr 1932 wurden die Kompetenzen der Verwaltung durch die Ausländerpolizeiverordnung (APVO1932, s. Anhang, S. 266) auf die zentrale Ebene des Innenministeriums verlagert. Erst diese Ausländerpolizeiverordnung schränkte dem formalen Wortlaut nach tatsächlich die Ausweisungsgründe ein und legte „mit ihrer Systematik und ihren Bestands- und Schutzvorschriften … den Grundstein für die spätere Ausländergesetzgebung in Deutschland“ (Renner 1998: 18). Auch sie sah einen Ausweisungsschutz, und zwar nach zehn Jahren Aufenthalt im Reich, vor. Das oft zitierte „Stück Polizeistaat“ (so auch Heid 1995: 212) wird jedoch auch mit den Ausweisungs-Verordnungen der Weimarer Zeit nicht wesentlich kleiner. Dass die tatsächlichen ausländerpolizeilichen Kompetenzen weitgehend erhalten bleiben zeigen nicht zuletzt die Generalklauseln der Erlasse, wie etwa, dass „Eingewanderte, die sich der Erlaubnis zum Verbleiben im Inlande unwürdig gezeigt haben, oder dem Staate sonst lästig fallen“, auszuweisen seien (MBliV 1921: 372). Im AuswErl1923 wird außerdem ausdrücklich hervorgehoben, dass die „Aufzählung der Ausweisungsgründe keine erschöpfende“ sei: „die Ausweisung ist vielmehr auch in anderen Fällen möglich, in denen der Ausländer den auf das Gemeinwohl des Gaststaates zu nehmenden Rücksichten zuwider gehandelt hat“ (MBliV 1923: 884). Es handelte sich bei den Ausweisungserlassen also um „bloße Anhaltspunkte für die Ausübung des polizeilichen Ermessens“, daher „erübrigt sich eine Rubrizierung der Gründe für eine Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Ausweisung“ (Ziekow 1997: 308). Dies setzt sich in der APVO von 1932 fort; der dort genannte Ausweisungsschutz nach langem Aufenthalt griff nämlich wiederum bei „Lästigkeit“
37 In der historischen Perspektive ist augenfällig, dass der Begriff der „Lästigkeit“ nie trennscharf, nie klar vom „kriminellen Ausländer“ abzugrenzen war. Er stammt aus einer polizeistaatlichen Rechtspraxis, die sich nicht die Mühe machen musste, gerichtlich überprüfbare Rechtsbegriffe zu etablieren (s. S. 61). Der Polizeierlass vom 21. Oktober 1921 zur „Ausweisung lästiger Ausländer“ zeigt, wie die „Lästigkeit“ als weitest denkbarer Begriff gewählt wurde: „Bereits Eingewanderte, die sich der Erlaubnis zum Verbleiben im Inlande unwürdig gezeigt haben, oder dem Staate sonst lästig fallen, sind im Wege des Zwanges zur Abwanderung zu bringen, d.h. auszuweisen.“ (MBliV. S. 372; der Erlass im Volltext s. Anhang). Wenn diese frühe – vorrechtsstaatliche – Kodifizierung von Ausweisungsgründen bereits eine Differenzierung zwischen Ausweisungen wegen „I. Verstößen gegen Strafbestimmungen“ und „II. bei sonstiger Lästigkeit“ einführt, so ist damit doch lediglich ein gradueller Unterschied zwischen Kriminalität und „sonstiger Lästigkeit“ gesetzt. 70
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
nicht. Außerdem räumt auch die APVO1932 (in § 51 Nr. 2) dem preußischen Innenminister ein, sich über die vermeintlich abgeschlossene Aufzählung hinwegzusetzen und Ausweisungen im Einzelfall auch aus anderen als den angeführten Gründen zu erlassen.38 Eine Aufzählung der ausländerpolizeilichen Kompetenzen sollte also nicht zu deren Begrenzung führen. Ziekow betont, dass das Ausländerpolizeiwesen durch die APVO1932 zwar ‚Recht‘ geworden war, „aber nur objektives Recht ohne Zuerkennung von subjektiven Rechtspositionen an den Betroffenen. Der Ausländer war weiterhin nicht Subjekt, sondern Objekt des Verfahrens. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beinhaltete dementsprechend keinen aufenthaltsrechtlichen Bestandsschutz, war vielmehr als präventives Kontrollverfahren für Fälle gesteigerter Berührung der Interessen des preußischen Staates durch den Aufenthalt des Ausländers vorgeschrieben.“ (Ziekow 1997: 309)39
Als Kontinuität der Ausländerverwaltung von der Kaiserzeit bis in die Weimarer Republik hinein lässt sich festhalten, dass die uneingeschränkte Ausweisungskompetenz der Polizei erhalten bleibt. Das Prinzip der administrativen Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte wird aufrechterhalten. Was sich ausmachen lässt ist allerdings der Wandel des Begründungszusammenhanges hin zum Einsatz der Abschiebung als arbeitsmarktpolitisches Regelungsmittel. Damit kommt zur Legitimation der ausgrenzenden Ausländerpolitik ein neues Element hinzu. Jetzt handelte es sich nicht mehr ausschließlich um das oben beschriebene bloße Abschottungsparadigma Preußens der 1880er und 90er Jahre. Dieses diente der ethnopolitischen Intervention, speiste sich aus dem Sicherheitsdenken der preußischen „Abwehrpolitik“ und war gezielt gegen polnische Arbeitskräfte gerichtet. Keine Neuerung war, dass „lästige Ausländer“ ausgewiesen werden konnten und auch wurden. Neu ist 38 Es bedeute eine Verkennung des Regelungsanliegens der Ausländerpolizeiverordnung, sie durch die Ausnahmekompetenz des Innenministers „nicht unerheblich entwertet“ zu sehen“ – wie das Friederichsen 1967: 83 noch formuliere. Denn, so argumentiert Ziekow: „Die Abweichungsbefugnis war lediglich die Konsequenz dessen, daß der Verordnung jeder Gewährleistungsgehalt zugunsten des Ausländers fehlte.“ (Ziekow 1997: 310). 39 Da zur Zeit der Weimarer Republik eine Beschränkung des staatlichen Handelns faktisch auch angesichts der tatsächlichen geringen Kontrolle der Verwaltung durch Gerichte nicht wirkungsvoll gegeben ist – „Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen die Landesverweisung stand Ausländern gemäß dem fortgeltenden § 130 Abs. 3 des preußischen Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 nicht zu, wohl aber die Beschwerde nach § 127 desselben Gesetzes“ (Ziekow 1997: 308) – wäre es für die abschließende Einschätzung der Rechtsanwendung notwendig, das tatsächliche Ausweisungsgeschehen zu untersuchen. Dies ist jedoch mangels verfügbarer Daten hier nicht zu leisten. 71
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jetzt der Einsatz der Abschiebung als arbeitsmarktpolitisches Instrument, das auf Inländervorrang und Ausländerdiskriminierung ausgerichtet war (Dohse 1981: 117). In der Weimarer Republik wurden Ausweisungen also primär zu einem Mittel protektionistischer Arbeitsmarktpolitik. Dabei dominieren Nützlichkeitserwägungen die Begründung einer Ausweisung. Die Verordnungstexte der 20er- und frühen 30er Jahre nennen rechtliche Verstöße (von Straftaten über Schiebergeschäfte bis hin zu melderechtlichen Verstößen) und ökonomisch motivierte, d.h. Arbeitsmarktregelungen (fehlende oder unerlaubte Arbeit), in der Regel getrennt.40 Speziell die Legitimation von Ausweisungen aus den ökonomischen Mangelverhältnissen heraus beruft sich dabei explizit auf eine „Gefährdung des Gemeinwohls“, worunter die „innere und äußere Ordnung“, die „internationalen Beziehungen“, die „öffentliche Gesundheit“ usw. fallen. Zahlreiche Einzelnormen der 20er Jahre nennen „Schiebergeschäfte“, „Preistreiberei“, „unbefugter Inbesitznahme nichtselbstständiger Wohn- oder Geschäftsräume“ usw. als besondere Gefährdung des Gemeinwohls (so etwa der AuswErl1923, I.1.; s. Anhang). Diese Gemeinwohlorientierung begründet und legitimiert letztinstanzlich das Ausweisen der Fremden – und das bedeutet umgekehrt: sie sanktionierte deren Schädlichkeit für die Gemeinschaft. Darin ist ein rassistisches Element nicht zu verhehlen, etwa wenn eine Verordnung „deutschstämmige Ausländer“ ausdrücklich von der Ausweisung ausnimmt (AuswErl1921, B.3.). Dass die Legitimationskarten bereits im Kaiserreich farbig gestaltet waren und damit die entsprechend Bezeichneten ethnisch markierten, wurde bereits erwähnt. Die tradierten Ausweisungsgründe – also (staats-)politischer Art – treten im tatsächlichen Ausweisungsgeschehen in den Hintergrund, sie bleiben aber dem Verordnungstext erhalten – denn die Verwaltung gibt nicht ohne Not Kompetenzen ab, während die Legislative sich nicht zum Handeln bewegen ließ, wie ein Beispiel aus den 1920er Jahren zeigt: Sozialdemokratische Abgeordnete kritisierten in einer Parlamentsdebatte 1920 die weitgehende Ausweisungskompetenz des Staates, freilich deshalb, weil ihre ausländischen Kollegen in Preußen selbst von, allerdings politisch motivierten, Ausweisungen betroffen waren. Bezug nehmend auf die „Bismarcksche Ausweisungspraxis der achtziger Jahre“ und die „Behandlung der Ostjuden in Deutschland überhaupt“ führt der Abgeordnete Rosenfeld (SPD) aus: „Alle diese Vorgänge zeigen, dass in Deutschland ein Ausländer, dessen Nase einem Polizeibeamten nicht gefällt, ohne weiteres als ‚lästig‘ ausgewiesen wird. […] Der Begriff der Lästigkeit ist ja nun ein solcher Kautschukbegriff, daß man mit ihm alles machen kann, was man will“ (Verhandlungen des Reichstags 1921: 756).
40 Zur APVO1938 und dem AuswG1934 s. das folgende Kapitel. 72
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Auch wenn die Ausweisung wegen „Lästigkeit“ sich in der Regel nicht gegen im Einzelfall zu bestimmende Personen – etwa ‚politische Agitatoren‘ – richtete, sondern als Mittel der Arbeitsmarktkontrolle eingesetzt wurde, lieferte sie, wie von der Sozialdemokratie angemerkt, auch individuell einsetzbare niederschwellige Ausweisungsgründe. Scheitern die Sozialdemokraten 1920 mit ihrem Antrag,41 den Begriff der „Lästigkeit“ aus dem Katalog der Ausweisungsgründe zu streichen, so findet sich ein Jahrzehnt später in der Verordnung des Innenministeriums dieser Begriff ebenso wenig wie sein Gegenüber, die Gemeinwohlgefährdung. Die APVO von 1932, die letzte umfassende Regelung vor dem NSRegime und dessen veränderter Ausweisungspraxis (s. u.), kodifiziert nur mehr eine knappe Auflistung von möglichen, mehr oder weniger tatsächlich angewendeten Gründen (ohne die „Preistreibereien“ und „Schiebergeschäfte“ der Nachkriegszeit fortzuschreiben). Ihr § 1 Satz 2 stellte allerdings ausdrücklich klar, dass ein Anspruch auf Gestattung des Aufenthalts, „also ein subjektives öffentliches Aufenthaltsrecht, dem Ausländer nicht zustand“ (Ziekow 1997: 308).42 Auf den ersten Blick „liberaler“ in ihren Formulierungen, denn sie nennt weder die „Lästigkeit“ noch die Gefährdungen des „Gemeinwohls“, sind darin doch die drei wichtigsten Elemente enthalten: sicherheitspolitische (Straftaten), staatspolitische (staatsfeindliches Verhalten) und arbeitsmarktpolitische (Armut) Gründe. Sie bilden zusammen die Legitimationsbasis, von der spätere bundesdeutsche Ausweisungsrecht ausgehen wird.
3.2.2 Entrechtung Anderer im Nationalsozialismus Die Phase des nationalsozialistischen deutschen Staates sticht hinsichtlich des Einsatzes von Ausweisungen insofern heraus, also sich sowohl das Staatsangehörigkeitsrecht „politisierte“ (Gosewinkel 2001: 369) als auch die Stoßrichtung des Ausweisungsrechts veränderte. Ausländerverwaltung und Ausweisung Bereits im Jahr 1934 wird die Reichsverweisung gesetzlich neu geregelt.43 Die Hoheitsrechte der Länder gingen auf das Reich über und es wurde ein einheitliches Ausweisungsrecht für das gesamte Reich etabliert. Die Auswei-
41 Schleuniger Antrag von Aderhold und Genossen vom 18. Oktober 1920, Aktenstück Nr. 625 (Verhandlungen des Reichstags 1924: 478). 42 Dem steht zur Seite, dass die §§ 41 ff. APVO1932 keine verwaltungsgerichtliche Klage gegen ausländerpolizeiliche Verfügungen zuließen. Der Wortlaut ist dem Anhang zu entnehmen, s. S. 266. 43 Reichsverweisungsgesetz vom 23. März 1934, RGBl. I, S. 213. Vgl. Pfau 1934; Rütten 1936. 73
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sung wird in das Ermessen der Landespolizeibehörde gestellt44 und ist fortan formell an einen der elf in § 2 genannten Tatbestände – polizeilicher, strafrechtlicher, politischer oder fiskalischer Art – gebunden, die an das persönliche Verhalten des „Ausländers“ anknüpfen (s. Anhang S. 268). In einer juristischen Dissertation von 1936 findet sich die explizite Hinweis, „eine Reichsverweisung wegen ‚allgemeiner Lästigkeit‘ ist nicht mehr möglich“ (Rütten 1936: 35), das Ermessen der Ausländerpolizei sei also weitgehend gebunden (so auch Schuback 2003: 36). Tatsächlich war die Ausländerpolitik des NSStaates allerdings durch das Zusammentreffen arbeitsmarkpolitischer bzw. an der Kriegswirtschaft ausgerichteter ökonomischer Belange und rassistischer (völkischer) Prämissen staatlichen Handelns geprägt. Innerhalb weniger Jahre wurden die Kompetenzen der Ausländerpolizei durch entsprechende Verordnungen erheblich erweitert. Zunächst eröffnete die Ausländerpolizeiverordnung von 1938 (APVO 1938) weitgehende Zugriffsrechte für die Polizei und legitimierte die fast jederzeit mögliche Abschiebung. Die APVO1938 setzt das Versagen der Aufenthaltserlaubnis und die Ausweisung gleich, denn der Aufenthalt wird nach § 1 nur „Ausländern erlaubt, die nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts im Reichsgebiet die Gewähr dafür bieten, daß sie der gewährten Gastfreundschaft würdig sind“. Damit wird ein weiter Rahmen für Willkür bei der Ausübung des Ausweisungsermessens eröffnet (Schuback 2003: 22). Der § 5 Abs. 1 lit. a-i zählt einzelne Ausweisungsgründe auf und spezifiziert so, was unter „Unwürdigkeit“ zu verstehen sein kann (s. Anhang, S. 270). Darunter finden sich Straftaten, Bettelei, „Gewerbsunzucht“, „als Landstreicher, als Zigeuner oder nach Zigeunerart“ umherzuziehen sowie „nicht über genügende Mittel zur Bestreitung seiner oder des Unterhalts seiner Familie“ zu verfügen. Diese Verschärfungen dienten dazu, das Ausländerpolizeirecht als „Regulativ völkischer und arbeitsmarktpolitischer Belange“ (Gosewinkel 2001: 398) auszugestalten. Eine konkrete Ausformung dieser Strategie stellte 1938 die Ausweisung von etwa 20.000 polnischen Jüdinnen und Juden im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht dar – eine völkerrechtlich unzulässige Massenausweisung, wie Gosewinkel betont (ebd.: 400).45 Die Betreffenden konnten die Konzentrationslager, in denen sie nach den Pogromen festgehalten wurden nur verlassen, wenn sie sich zur Ausreise bereit erklärten (Schuback 2003: 22). Der Zweite Weltkrieg und das Regime des Nationalsozialismus führten zu einer annähernd perfektionierten technokratischen Kontrolle46 (nicht nur) der 44 Und stellt diese in das Ermessen der Behörde: „Ein Ausländer kann aus dem Reichsgebiet verwiesen werden“. 45 Vgl. dazu auch Maurer 1986: 195 und Adler 1974: 104. 46 Als Beispiel für eine solche Kontrolltechnik sei hier nur die Ausweispflicht genannt. Sie wurde im Kriegszustand – bereits im ersten Weltkrieg – „erfunden“. 74
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland – in ihrer Mehrzahl Zwangsarbeiter/innen. Im Jahr 1939 wird das Ausländerpolizeirecht durch weitere Verschärfungen auf den Kriegseinsatz zugeschnitten. Die „Verordnung über die Behandlung von Ausländern“ vom September 193947 schwenkt nach Beginn des Krieges von der subjektiven „Würdigkeit“ des Einzelnen auf objektive Maßstäbe, nämlich die „öffentlichen Belange“, über (Dohse 1981: 124). Nun waren sämtliche Rechtsbeziehungen zwischen Staat und ausländischen Arbeiter/innen zu „Gewaltbeziehungen“ umgestaltet (ebd.: 133). Um den Vorschriften der APVO1938 Wirksamkeit zu verleihen war das „zentrale Instrumentarium […] die staatliche Ausweisung von Ausländern“ (ebd.: 123). Dieser Sanktionscharakter ging der Ausweisung unter Kriegsbedingungen verloren, erweist sich doch für die in Deutschland gegen ihren Willen festgehaltenen ausländischen Arbeitskräfte das Ausweisungsrecht als irrelevant. Denn für Zwangsarbeiter/innen hätte die Ausweisung keine Bestrafung, sondern eine Befreiung bedeutet.48 Daher wurden die Ausweisungsbestimmungen für Angehörige der Feindstaaten 1939 mit der genannten Verordnung praktisch aufgehoben (Renner 1998: 21). Bedeutungsverfall der nationalen Staatsangehörigkeit Von Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft an wurde die Staatsangehörigkeit „politisiert“ (Gosewinkel 2001: 369). Im Juli 1933 erfolgt bereits
Umfangreiche Erfahrungen mit Identitätsnachweisen und zentralisierter Kontrolle ganzer Bevölkerungsgruppen hatte der preußische, später der deutsche Staat bereits in der Zwischenkriegszeit mit der Inlandslegitimierung ausländischer Arbeitskräfte und der Erlaubnispflicht zu ihrer Anstellung gesammelt. Ein umfassendes Meldewesen auch für die deutsche Bevölkerung durchzusetzen gelang allerdings erst im Nationalsozialismus. „Unsere Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten sind erstaunlich intensiv von den Erfassungstechniken geprägt, wie sie die Nazis 1938/39 und dann im zweiten Anlauf 1943/44 durchgesetzt haben“, so beschreiben Götz Aly und Karl Heinz Roth die bürokratisch-bevölkerungswissenschaftlichen Techniken der NS-Herrschaft (Aly/Roth 1984: 141). „Wir können uns angesichts dieses Tatbestandes kaum mehr vorstellen, wie es vor 1938 in vielen Gebieten des deutschen Reiches um das Meldewesen bestellt gewesen ist. Es gab keine durchgängige Meldepflicht, und dort, wo sie existierte, war es eine Art Volkssport, sie zu umgehen. [...] Über Ausweispapiere verfügte nur, wer öfters ins Ausland zu reisen pflegte. Sich innerhalb des Reiches auszuweisen, war einfach nicht üblich.“ (Aly/Roth 1984: 141). 47 Verordnung über die Behandlung von Ausländern, September 1939, RGBl. I, S. 1667. 48 Zwangsarbeiter/innen waren ohnehin dem Anwendungsbereich der APVO ausgenommen und der Sicherheitspolizei unterstellt. 75
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
ein sehr weitgehender Schritt: die Denaturalisierung und die Strafexpatriation werden gesetzlich eingeführt.49 Der Widerruf von Einbürgerungen richtet sich gegen Personen, bei denen aus primär antisemitischen Gründen „die Einbürgerung nicht als erwünscht anzusehen ist“ (ebd.: 370). Nun ist eine Ausbürgerung nicht mehr an das Verhalten Einzelner geknüpft, wie das nach dem preußischen RuStaG noch der Fall war,50 sondern durch biologische oder anders als ‚objektiv‘ definierte Merkmale („Sprache und Kultur“) bedingt (ebd.: 371). Eingewanderte mit inzwischen erworbener deutscher Staatsangehörigkeit – in erster Linie rund 16.000 so genannte „Ostjuden“51 – standen nunmehr in der Gefahr, staatenlos und damit vollständig schutzlos zu werden. Bereits unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ergeht im Sommer 1933 durch den Reichsinnenminister Frank ein Runderlass,52 nach dem Ausländer „ostjüdischer Nationalität“ bei unbefugtem Aufenthalt auszuweisen sind (ebd.: 370). Die juristische Maßnahme der Ausbürgerung als Bestrafung diente zunächst dazu, Oppositionelle auszubürgern und in das Exil zu treiben. Denn politische Flüchtlinge mussten bei Aktivitäten, die sich gegen die Nationalsozialisten richteten, um den Verlust ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Ver49 Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933, RGBl. 1933 I, S. 480; vgl. Schönfelder 1937. Dadurch konnte Personen, die nach dem Ersten Weltkrieg zugewandert waren, nachträglich die zwischenzeitlich erworbene deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden. Alle nunmehr als unerwünscht erachteten Einbürgerungen, die in der Zeit zwischen dem 9. November 1918 und dem 30. Januar 1933 vorgenommen worden sind, können von den Landesbehörden oder dem zuständigen Reichsminister widerrufen werden. Diese Möglichkeit zum Entzug der erworbenen Staatsangehörigkeit war auf zwei Jahre befristet. Ebenfalls entzogen werden konnte die Staatsangehörigkeit deutschen Reichsangehörigen, die sich im Ausland aufhalten und dort durch ihr Verhalten „gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstoßen und die „deutschen Belange“ schädigen. Ebenso traf es Personen, die einer Aufforderung zur Rückkehr nicht nachkamen; ihr Vermögen konnte beschlagnahmt werden und sollte nach spätestens zwei Jahren dem Deutschen Reich zufallen. 50 Dort sanktioniert es Wehrpflichtentziehung, Fahnenflucht, unerlaubter Eintritt in fremde Staatsdienste, RuStaG 1913, §§ 26-28, 32. 51 Götz Aly und Karl-Heinz Roth nennen die Zahl von 16.258; vgl. Aly/Roth 1984. 52 Laut der Durchführungsverordnung vom 26. Juli 1933 (RGBl. I, S. 538) zum Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit kommen „für den Widerruf der Einbürgerung insbesondere in Betracht: 1) Ostjuden, es sei denn, daß sie auf deutscher Seite im Weltkriege an der Front gekämpft oder sich um die deutschen Belange besonders verdient gemacht haben; 2) Personen, die sich eines schweren Vergehens oder eines Verbrechens schuldig gemacht oder sich sonstwie in einer dem Wohle von Staat und Volk abträglichen Weise verhalten haben […]“ (vgl. Schönfelder 1937). 76
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
mögens fürchten. So diente das Gesetz anfangs in erster Linie dem Zweck, das Wohlverhalten politischer Gegner steuern zu können. Später wurde es ein Instrument zur Ausplünderung jüdischer Emigranten. Die nationalsozialistischen Machthaber konnten sich die von Jüdinnen und Juden zurückgelassenen Vermögen mit scheinbarer Legalität aneignen, indem sie ein Verfahren einleiteten, das mit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit und dem Vermögenseinzug endete. Schon die ungenehmigte Ausreise einer Jüdin/eines Juden galt als Verstoß gegen die „Pflicht zur Treue zu Reich und Volk“ und konnte zu Enteignung führen. „Nicht die Diskriminierung des Fremden als Ausländer, sondern die Stigmatisierung und Aussonderung des Fremden im eigenen Staat war das Hauptziel der nationalsozialistischen Politik und zeugt vom Bedeutungsverfall der Staatsangehörigkeit insgesamt.“ (Ebd.: 400)
Der entscheidende Schritt zur derartig ethnisch ausgrenzenden Kodifizierung des Staatsangehörigkeitsrechts wurde im Jahr 1935 unternommen, als mit dem Reichsbürgergesetz53 ein Unterschied zwischen der Staats- und der Reichsangehörigkeit eingeführt wurde. Mittels der neuen Kategorie wurden die „Reichsbürger“ als „Staatsangehörige deutschen oder verwandten Blutes“ definiert. Der bloße „Staatsbürger“ wird zu einem minderen Rechtsstatus umgewandelt und damit die Qualität der vormals eindeutigen nationalen Zugehörigkeitsdefinition gemindert. Das Staatsbürgerrecht ist damit in einer Weise ethnisiert, die die Herabstufung der jüdischen Deutschen in einen minderen Rechtsstatus zur Folge hat und diese der Ausweisung anheim stellt. Am Ende des juridischen und verwaltungstechnischen Aussonderns stand der staatlich kontrollierte Massenmord. Die „Ethnisierung“ (Hansen 2001) der Legaldefinition des Staatsangehörigen wirkte aber nicht nur als völkische Legitimation des Entzugs, sondern auch des Erwerbs der „Volkszugehörigkeit“. Die Definition der „deutschen Volkszugehörigen“, die der Nationalsozialismus seit 1938 durch Sammeleinbürgerungen umgesetzt hat, wurde nach 1945 von der Bundesrepublik weitgehend übernommen und führte die Ethnisierung der Zugehörigkeitsdefinition fort. Dieses Paradigma der „Volkszugehörigkeit“ ist in den gesetzlichen Regelungen zu Spätaussiedlern auch nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1999 noch in Kraft.54
53 RGBl. 1935 I S.1146, vgl. Schönfelder 1937. 54 Das Gesetz zur Klärung des Spätaussiedlerstatus von 2001 fordert immer noch neben der Abstammung von einem „Volkszugehörigen“ auch das „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“, um den Anspruch auf Einbürgerung zu begründen; vgl. Hansen 2004: 17. 77
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
3.2.3 Rechtsentwicklung in BRD und DDR von 1945 bis 1990 Das erste westdeutsche Ausländergesetz 1965 Bis 1965 erstmalig ein Ausländergesetz erlassen wurde existierte in der BRD kein „Ausländer-“ oder „Fremdengesetz“, sondern die lediglich polizeilichen Verordnungen der NS-Zeit waren weiterhin in Kraft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nicht auf das übersichtliche Regelwerk der Weimarer Ausländerpolizeiverordnung zurückgegriffen, vielmehr galt diejenige des nationalsozialistischen Staates von 1938 in Westdeutschland fort. Lediglich der Ausweisungsgrund „unrichtige Angabe über seine Rassenzugehörigkeit“ (§ 5 g APVO1938) wurde nicht mehr angewendet. Auf die APVO von 1932 wurde nicht zurückgegriffen, weil durch die Verfahrensgarantien des neuen Grundgesetzes nun auch „Ausländern“ der Rechtsweg offen stand. Die dem Wortlaut nach etwas liberalere Verordnung von 1932 war noch unter „vorrechtsstaatlichen“ (Dohse 1981: 233) Bedingungen ergangen – d.h. die Polizei konnte trotz vereinheitlicher Regelung im Einzelfall letztlich machen, was sie wollte; ein Klageverfahren gegen Ausländerpolizeiakte war in der Weimarer Republik nicht vorgesehen (s. Kap. 3, FN 39). Nach 1945 stand den Betroffenen nun der Klageweg zur Verfügung, um sich gegen ausländerpolizeiliche Willkür zu wehren. Um der Verwaltung ihren weiten Handlungsspielraum zu erhalten kam daher die „Würdigkeit“ des § 1 APVO1938 gerade recht (s. o., Kap. 3.2.2).55 Offensichtlich wollten staatliche Stellen im Nachkriegsdeutschland ihre Kompetenzen gegenüber „Ausländern“ nicht beschnitten sehen (zur Entwicklung in der DDR s. u.).56 55 Zudem äußerte sich in der Rückkehr zur APVO1938 der „Wunsch nach Wiederherstellung eines gewohnten und weitgehend unhinterfragten Kontroll- und Überwachungsinstrumentariums gegenüber Fremden“, wie Karen Schönwälder überzeugend nachweist (Schönwälder 1999: 128). In ihrer Arbeit findet sich auch der Hinweis auf die Tradierung des Begriffs der „Lästigkeit“ in der innenministeriellen Bürokratie der 1950er Jahre: man könne nicht darauf verzichten, „lästige Ausländer auszuweisen“, zitiert sie aus einer ministerialen Quelle von 1951 (ebd.: 129). 56 Dennoch tat sich die Verwaltung schwer mit der nun drohenden richterlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns, war sie doch jetzt an zwei zentrale rechtsstaatliche Prinzipien gebunden: das Verhältnismäßigkeits- und das Schuldprinzip. Allerdings hat sich noch 1954 das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Rechtssprechung, der Wortlaut in § 1 APVO1938, „der Aufenthalt wird [...] erlaubt“, sei „nicht mehr als eine Richtlinie für die in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellte Entscheidung“, von einer grundlegenden Beschränkung der Verwaltungskompetenz verabschiedet und sich „vorrangig an der im Ausländerrecht vorherrschenden Staatsraison“ (Dohse 1981: 236) orientiert. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis blieb ein Gnadenakt der Verwaltung, der durch kein Gericht überprüft werden sollte. Mit dem ersten deutschen Ausländergesetz wurde ab dem Jahr 1965 dieser Widerspruch zwischen Wortlaut und Verwaltungspraxis aufgehoben. Nun „wurde 78
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
„Nur langsam hatte sich Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die Erkenntnis durchgesetzt, daß die APVO weder den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen gerecht wurde.“ (Renner 1996: 37)
Die wirtschaftlichen Bedürfnisse der frühen Bundesrepublik waren von Arbeitskräftemangel geprägt. Bereits in den 1950er Jahren begann daher die Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland – 1955 mit dem Anwerbeabkommen mit Italien –, was zu einem Anstieg der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit führte. 1964 wurde der „millionste Gastarbeiter“ mit viel Applaus begrüßt. In den Zeitraum nach 1965 fällt die letzte große Arbeitskräfteanwerbung und ein deutlicher Anstieg der ausländischen Bevölkerung, die von etwa einer halben Million zu Beginn der 1950er Jahre (vgl. Dohse 1981:135) und nur wenig mehr im Jahr 1961 (686.000, vgl. Schönwälder 2001: 222) in den sechziger Jahren rasant anstieg. Im Jahr 1968, bei Abschluss der Vereinbarung mit Jugoslawien, lebten bereits annähernd zwei Millionen „Ausländer“ in Deutschland, „und davon war mehr als die Hälfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt“ (Renner 1998: 26). Im Herbst 1973, als der Anwerbestopp verfügt wurde, umfasste die „ausländische“ Wohnbevölkerung bereits fast vier Millionen. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 2,6 Millionen ausländische Arbeitskräfte in Deutschland beschäftigt (ebd.: 29). Die Vorarbeiten zum Ausländergesetz begannen 1960, im darauf folgenden Jahr wurde ein ministerieller Entwurf für ein „Fremdengesetz“ mit dem Wortlaut des § 1 der APVO1938 veröffentlicht. Ein veränderter Regierungsentwurf wurde 1962 im Bundestag eingebracht, und schließlich wurde das Gesetz 1965 mit erneuten Änderungen als „Ausländergesetz“ verabschiedet. Es trat am 1. Oktober 1965 in Kraft (ebd.: 28). In seiner 25-jährigen Geschichte wurde das AuslG1965 mehrmals, jedoch nicht durchgreifend verändert, und 1982 durch ein eigenständiges Asylverfahrensgesetz ergänzt.57 Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften von 1965 wurden ab 1978 nicht mehr angepasst, so dass es in den verschiedenen Bundesländern zu signifikanten Divergenzen, u. a. bei der Ausweisung Jugendlicher, kam (ebd.: 32).
vor allem jeder Schein eines Rechtsanspruches auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vermieden“ (Dohse 1981: 237), indem im einführenden Paragraphen die Formulierung „wird erteilt“ durch „kann erteilt werden“ ersetzt wurde. 57 Asyl- und Flüchtlingspolitik spielen ab den 1980er Jahren eine zunehmend wichtige Rolle bei der Diskussion über das Ausländerrecht, dazu kamen aber auch Fragen des Niederlassungsrechts oder der Einbürgerung, vgl. Renner 1998: 37. 79
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Als Ausweisungsgründe finden sich im Wesentlichen die in der APVO 1938 zum Aufenthaltsverbot führenden Kriterien, ergänzt um die Klausel „oder wenn seine Anwesenheit erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland aus anderen Gründen beeinträchtigt“ (§ 10 I AuslG1965). Damit sind auch mit dem ersten Ausländergesetz der Bundesrepublik die Kompetenzen der Verwaltung bezüglich Ausweisungen weitgehend ungebunden. In der APVO1938 wurde geregelt, dass eine Ausweisung diejenigen trifft, die sich „der Gastfreundschaft unwürdig“ erwiesen haben. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Ende der 1950er Jahre diese Sichtweise und räumte damit der Verwaltung einen weiten Entscheidungsraum ein (Dohse 1981: 243). Allerdings war ein Aspekt vor 1965 vor Gericht einklagbar, in einer Hinsicht die Behörde also kontrollierbar: ob das Verhalten des „Ausländers“ eine Ausweisung begründet hat, ob also das Schuldprinzip bei der Verwaltungsentscheidung eingehalten wurde (vgl. ebd.: 236). Dieses rechtsstaatliche Kriterium wurde 1965 mit der Gesetzesnovelle hinfällig. Denn nun konnte ausgewiesen werden, wer „durch seine Anwesenheit“ die Belange der Bundesrepublik beeinträchtigte. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Generalklausel, sondern hier wurde auch das Schuldprinzip ausgehebelt. Denn ob Belange der BRD durch die bloße Anwesenheit beeinträchtigt sind, kann eine Person durch ihr Verhalten nicht mehr beeinflussen. Im Gegensatz zur APVO1938 wird hier also nicht mehr auf das subjektive Verhalten eines „Ausländers“ abgestellt, sondern es wird eine politische Nutzung der Ausweisungskompetenz unabhängig vom konkreten Verhalten Einzelner ermöglicht (vgl. ebd.: 242).58 Karen Schönwälder zeigt in ihrer Aufarbeitung der „Ausländerpolitik der Bundesregierungen der 1960er und frühen 1970er Jahre“ (Schönwälder 2003, vgl. auch Schönwälder 2001: 230-245), dass auch in diesem Zeitraum das Zwangsmittel „Ausweisung“ nicht nur der Kontrolle über die Gesamtheit der als „gefährlich“ geltenden „Ausländer“ dienen sollte (Schönwälder 1999: 139),59 sondern auch sehr individuell ausgelegt werden konnte. Dies eröffnete den Einsatz der Ausweisungsnormen zur Disziplinierung Einzelner, etwa indem die „Störung des Arbeitsfriedens an der Arbeitsstätte“ (Weißmann 1966: 43) als Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik ausgelegt wurde. So konnte die Verwaltung auf Seiten der Arbeitgeber in den Arbeitskampf eingreifen und Teilnahme an (wilden) Streiks durch Ausweisung der Streikenden 58 Stephan Beichel nennt das einen Schwenk von subjektiven zu objektiven Aufenthaltsgründen. Jetzt sind die „staatlichen Belange“ maßgeblich, nämlich das Interesse an Arbeitskräften; vgl. Beichel 2001: 19. 59 Ein besonders deutliches Beispiel ist die politische Betätigung von migrantischen Organisationen in Deutschland, die der deutschen Politik vielfach als störende Einmischung und unzulässige Aktivität galt; daher wurde in der Öffentlichkeit das AuslG1965 auch „als Maßnahme dargestellt, um dem Bund effektivere Mittel gegen diese politischen Aktivitäten an die Hand zu geben“ (Schönwälder 1999: 135). 80
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
sanktionieren, sollten diese von ihren Betrieben entlassen worden sein. Damit wurde das Risiko einer Streikteilnahme für „ausländische“ Beschäftigte deutlich erhöht.60 Außerdem wird mit den Ausweisungsgründen, wie sie im AuslG1965 genannt sind, das Verhältnismäßigkeitsprinzip aller behördlichen Akte ausgehebelt. Denn hier werden alle genannten Gründe – darunter Bettelei, Verletzung der Meldevorschrift, andere geringfügige Vergehen – unter der Überschrift „erhebliche Belange der Bundesrepublik“ aufgeführt und damit in eine hochrangiges und eben auch durch Ausweisungen zu schützendes Rechtsgut transformiert. Im Ergebnis dieser „Umgewichtung von Tatbeständen“ (Dohse 1981: 242) wird im Ausländergesetz nicht die Kompetenz des Staates gegenüber „Ausländern“ geregelt, sondern der Schutz des Staates vor „Ausländern“. Die Gerichte stützten diese Sichtweise und haben fast durchgehend „auch Bagatellen als eine Beeinträchtigung dieser Belange“ der BRD anerkannt, wodurch etwa „querulantenhafte Beschwerden bei Behörden“, „Störung des Arbeitsfriedens an der Arbeitsstätte“ oder „unsteter Lebenswandel“ als Ausweisungsgründe gerichtlich bestätigt wurden (vgl. ebd.: 243).61 Zusammenfassend sollte darauf hingewiesen werden, dass die Einführung eines Ausländergesetzes in Deutschland nicht lediglich zur Schlechterstellung der von Ausweisungen Bedrohten geführt hat. Vielmehr ist die Kontinuität zu betonen, die in der weitgehenden Verwaltungskompetenz gegenüber „Ausländern“ liegt, sei es im vorrechtsstaatlichen Preußen oder der rechtsstaatlichen Bundesrepublik: der Handlungsspielraum des Staates gegenüber „Ausländern“ wird nicht eingeschränkt. Renner führt entsprechend für das Ausländergesetz aus, es begründe „für Einreise und Aufenthalt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und stellte die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in das Ermessen der Ausländerbehörde, sofern der Aufenthalt nicht Belange der BR Deutschland beeinträchtigte“ (Renner 1998: 28). Entsprechend liest sich die Begründung zum Ausländergesetz von 1965: „Fremde Staatsangehörige und Staatenlose stehen zu dem Aufenthaltsstaat nicht in einem Treue- und Rechtsverhältnis mit eigenen Rechten und Pflichten. Ihnen ge60 Ausweisungen ergingen infolge der oft migrantisch geprägten ‚wilden Streiks‘ in der BRD der 1970er Jahre; vgl. Birke 2007. Zu den Aktivitäten der türkischen Arbeiter bei Ford/Köln 1973 vgl. Huwer 2007) – die BILD betitelte damals einen Bericht mit „Das sind keine Gäste mehr“ (vgl. Der Spiegel vom 10.9.1973, S. 28) –, zu den italienischen Streikenden bei VW 1962 vgl. Richter/Richter 2008. Weitere Beispiele finden sich in einer Reportage von Walraff 1986: 87. 61 Die wichtigsten Rechtsentwicklungen waren laut Renner 1998: 35 im Jahr 1979: BVerfG billigt Ausweisung aus generalpräventiven Gründen, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird“ (BVerfGE 50, 166); ebenfalls 1979: BverfG schränkt Ausweisung deutschverheirateter Ausländer ein (BverfGE 51, 386) (Renner 1998: 35). 81
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
genüber handelt der Staat nach Zweckmäßigkeitserwägungen, die nach politischen Zielen ausgerichtet sind.“ (BTDrs IV/868, S. 9)
Diese Zweckmäßigkeitserwägungen münden im Topos des Schutzes: ein möglicher Schaden durch „Ausländer“ sei von der Gesellschaft abzuhalten. Die Schutzfunktion des deutschen Ausländerrechts impliziert zwei Qualitäten des „Ausländers“, die kontinuierlich im Gesetzestext aufscheinen: dieser sei zumindest potentiell schädlich (bzw. müsse sich seiner Unschädlichkeit erst noch erweisen) und er habe mögliche Sanktionen selbst zu verantworten, und sei es durch die bloße Anwesenheit. Diese Legitimationsfiguren des Ausweisens sind, wie wir später sehen werden (s. Kap. 5), bis heute maßgeblich. Aufenthaltsverordnung und Ausländergesetz der DDR In der DDR lebten vergleichsweise wenige „Ausländer“; zuletzt waren es etwa 190.000, der Großteil von ihnen Studierende und Vertragsarbeitnehmer/innen. Diese Bevölkerungsgruppen sollten nach einer bestimmten Dauer der Tätigkeit wieder ausreisen; folglich verfolgte die DDR keine auf dauerhafte Einwanderung ausgerichtete Ausländerpolitik sondern „eher eine Politik der Abschottung“ (Renner 1998: 26). Bereits 1956 wurde eine Verordnung des Ministerrats über den Aufenthalt von Ausländern erlassen, die bereits die formale Rechtsgleichheit von „Ausländern“ mit DDR-Bürgern und -Bürgerinnen einführte. Auch sie sah allerdings in § 6 den Verlust des Aufenthaltsrechts durch Straftaten vor (s. Anhang S. 273). Im Ausländergesetz der DDR von 1979, das die Ausländerverordnung ablöste, war schlicht geregelt, eine Aufenthaltsgenehmigung könne „zeitlich und örtlich beschränkt, versagt, entzogen oder für ungültig erklärt werden. Die Entscheidung bedarf keiner Begründung.“ (§ 6 Abs. 3 AuslGDDR).62 Konkretere Regelungen fanden sich lediglich im Strafrecht. Demnach war die Ausweisung von Ausländern möglich anstelle einer Strafe oder als „Zusatzstrafe“ bei schwerer Straftat oder Anstelle des Vollzug einer Freiheitsstrafe (§ 59 Abs. 1 u. 2 StGB-DDR, s. S. 273).63
62 Aufgrund des Einigungsvertrages galten die DDR-Vorschriften teilweise bis zum Jahresende 1990 fort, teilweise wurden sie sofort durch Bundesrecht abgelöst. Das AuslG-DDR trat mit Ablauf des 31.12.1990 endgültig außer Kraft, bis dahin wurde durch den Einigungsvertrag an § 6 Abs. 3 AuslG-DDR, „Die Genehmigung kann zeitlich und örtlich beschränkt, versagt, entzogen oder für ungültig erklärt werden“ anschließend der Bezug zu den §§ 10 und 11 AuslG1965 hergestellt, wodurch die DDR-Rechtslage durch die bundesdeutschen Vorschriften zum Entzug der Aufenthaltsgenehmigung ergänzt wurde (vgl. Schuback 2003: 33, FN 29). 63 Bis zum Jahr 1979 galt diese Norm im Strafgesetzbuch von 1968 nicht nur für „Ausländer“ sondern auch für „Täter, die nicht Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind“, also Westdeutsche (s. Anhang). 82
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Ausweisungen dienten in der DDR auch als politisches motiviertes Zwangsmittel um Dissidenten des Landes zu verweisen. Die direkte Exklusion politisch unerwünschter eigener Staatsangehöriger war bereits durch das Staatsbürgerschaft-Gesetz vom 20. Februar 1967 möglich, dessen § 13 vorsah, dass Bürger/innen wegen „grober Verletzung der staatsbürgerschaftlichen Pflichten“ die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann. Die derart Ausgebürgerten (das prominenteste Beispiel ist Wolf Biermann; vgl. Kertzscher 1977) seien demnach nicht mehr Bürger/innen der DDR, somit werde ihnen nur der weitere Aufenthalt laut § 6 Abs. 3 AuslG-DDR versagt.
3.3 Überblick zur Rechtslage im Untersuchungszeitraum Das Ausländergesetz von 1965 regelte über 25 Jahre die Rechtsstellung der Bevölkerungsgruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit in der BRD (s. o.). Erst im Jahr 1990 kam es zu einer vollständigen Novellierung. Dem ging voraus, dass bereits 1987 in der Koalitionsvereinbarung der christlich-liberalen Bundesregierung eine Überarbeitung des Ausländerrechts angekündigt wurde. Die zunehmend lange Aufenthaltsdauer vieler „Ausländer“ führte zu verstärkter „grundrechtlicher Bindung der Verwaltung“ (Beichel 2001: 20) – mit andern Worten: die Behörden konnten nicht mehr einfach machen, was sie wollten. Die verleugnete Einwanderung führte zur „Verleugnung einer gesicherten Rechtsstellung der de facto Einwanderer“ (ebd.: 19). Erneuerte Normen mussten formuliert werden. Im Jahr 1988 legte das Innenministerium einen Entwurf für ein Aufenthalts- und Integrationsgesetz vor, 1989 schlossen sich die Grünen und die SPD mit eigenen Entwürfen an und 1990 wurde der Entwurf der Bundesregierung schließlich im Bundestag vorgelegt (Renner 1998: 38). Eines der angestrebten Ziele war es, die Rechtsstellung derer zu verbessern, die sich bereits im Land aufhielten. Nun wurden die Ermessenspielräume der Behörden zum Teil durch Rechtsansprüche der „Ausländer“ ersetzt, was auch zu einem veränderten Ausweisungsrecht führte. Allerdings wurden die Ausweisungstatbestände eher „verschärft“ (Beichel 2001: 21) und es wurde kritisiert, dass mit dem novellierten Recht „schutzwürdigen Belangen der Ausländer in vielen Fällen nicht genügend Rechnung getragen werden kann“ (Renner 1996: 37). Ein belastbarer Ausweisungsschutz von ‚Inländern ohne deutschen Pass‘ wurde jedenfalls nicht installiert.64 64 Das im AuslG1990 kodifizierte Ausweisungsrecht wurde in den Folgejahren zweimal verändert, erst im Oktober 1994 durch das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ (BGBl. I S. 3186) und erneut im Oktober 1997 (BGBl. I S. 2585). Dabei handelt es sich um „Sonderregelungen“ zur „konsequenten Bekämpfung der Drogenkriminalität“ (Renner 1998: 208). 83
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Trotzdem das „überstürzte“ (Beichel 2001: 21) Gesetzgebungsverfahren auf viel Kritik stieß65 wurde der Entwurf 1990 verabschiedet. Die Änderungen traten am 1.1.1991 als „Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz)“ in Kraft (BGBl. I S. 1354, zit. als AuslG1990).66 Günter Renner zieht Mitte der 1990er Jahre folgendes Fazit: „Erstens: Das Ausweisungsrecht war wie das gesamte Aufenthaltsrecht in der Vergangenheit vorwiegend durch ökonomische und sonstige öffentliche Interessen geformt und wurde – unabhängig von seiner legislativen Ausgestaltung im einzelnen – auch meist in diesem Sinne gehandhabt. Zweitens: Die Verlagerung des Schwerpunkts aufenthaltsrechtlicher Entscheidungen in die Aufenthaltsbeendigung kann als allgemeines Indiz für die Verschlechterung der Rechtsstellung der Ausländer angesehen werden. Drittens: Eine Verrechtlichung des Ausweisungswesens ist bei allen hiermit verbundenen Nachteilen einer Politisierung vorzuziehen, die eher auf tagespolitische Erfolge als auf dauerhafte Strukturen abgerichtet zu sein pflegt.“ (Renner 1996: 37-38)
Auf die hinsichtlich des Ausweisens bedeutsame weitere Entwicklung des Ausländerrechts werde ich im folgenden Abschnitt eingehen. Hinzuzufügen bleibt noch, dass es sich beim „reformierten“ Ausländergesetz wie beim späteren Aufenthaltsgesetz auch um eine Normensammlung handelt, die nach wie vor dem Ordnungs- und Polizeirecht zuzuordnen ist.
3.3.1 Systematik des Ausweisungsrechts seit 1990 Bei der Begründung von Ausweisungen wird seit 199067 zwischen der Ist-, der Soll-, und der Kann-Ausweisung unterschieden, d.h. in manchen Fällen
65 Zahlreiche Verbände äußerten sich, u. a. fordert der 53. Dt. Juristentag einen absoluten Ausweisungsschutz für im Lande geborene und aufgewachsene Ausländer (vgl. Barwig 1989). 66 Bereits im folgenden Jahr erfolgte zudem eine Neuregelung des Asylverfahrens mit wesentlichen, im darauffolgenden Jahr des Grundrechtes auf Asyl mit gravierenden Änderungen. Durch umfangreiche Ergänzungen des entsprechenden Grundgesetzartikels, der Einführung „sicherer Drittstaaten“, „sicherer Herkunftsländer“ und umfangreicher Verfahrensänderungen in den ebenfalls 1993 entsprechend novellierten Ausländer- und Asylverfahrensgesetz, können sich politisch Verfolgte nun nicht mehr wirkungsvoll auf ihren nach wie vor bestehenden Anspruch, in Deutschland Asyl zu genießen, berufen. Ebenfalls Mitte 1993 trat die Sonderregelung über die Behandlung von Asylbewerberinnen und -bewerbern an Flughäfen in Kraft (vgl. Renner 1998: 41/42). 67 Seit 1990 wurden die entspr. Normen mehrfach verändert (s. u.) und 2004, restrukturiert und erneut verschärft, in das neue Aufenthaltsgesetz übernommen (§ 53 ff AufenthG). 84
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
muss die Verwaltung ausweisen, in anderen soll und in wieder anderen kann sie es tun. Zusätzlich ist ein Ausweisungsschutz etwa für diejenigen festgelegt, die einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzen. Damit ist bereits im Gesetz festgelegt, wie je unterschiedlich ‚zwingend‘ die Ausweisung in der jeweiligen Fallkonstellation zu erlassen oder eben unzulässig ist. Diese im Vergleich zum Gesetzestext von 1965 detailliertere Aufschlüsselung der Ausweisungsgründe diene angesichts des teilweise bereits langjährigen Aufenthalts der Betreffenden dazu, Berechenbarkeit zu erhöhen, indem die Bewertungsspielräume der Ausländerbehörden eingeschränkt werden (Renner 1998: 599). Die Ist-Ausweisung (§ 53 AufenthG04: „Zwingende Ausweisung“) schreibt vor, bestimmte Personen – etwa zu Haftstrafen verurteilte Straftäter in bestimmten Fällen bzw. bei hohen Strafen – auszuweisen. Die SollAusweisung setzt eine Ausweisung als „Regelfall“ (§ 54 AufenthG04) – d.h. die Ausländerbehörde muss eine Ausweisungsverfügung nicht individuell begründen –, wenn wiederum eine Haftstrafe ausgesprochen wurde, wenn bestimmte Straftaten (auch ohne Verurteilung) begangen wurden, oder wenn ein Bezug zu „Terrorismus“ oder zu verbotenen Organisationen oder eine Gefährdung der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ vorliegt. Die KannAusweisung stellt eine Ausweisung in das „Ermessen“ (§ 55 AufenthG04) der Ausländerbehörde, wenn diese „die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ durch einen Ausländer gefährdet sieht; die individuellen Lebensumstände müssen in diesem Fall aber einschränkend berücksichtigt werden. Gesondert nennt dieser Paragraph Gründe wie einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, Sozialhilfebezug, Billigung terroristischer Taten und andere (die Einzelnormen des Ausländerrechts sind im Wortlaut im Anhang aufgeführt, eine Übersicht ist der Tabelle 1 zu entnehmen). Wer seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebt und eine Niederlassungserlaubnis (den ‚sichersten‘ Titel des Aufenthaltsrechts, bei hier Geborenen oder Aufgewachsenen genügt auch die Aufenthaltserlaubnis) besitzt, ist vor einer Ausweisung wegen der letztgenannten Gründe geschützt (§ 56 AufenthG04: „Besonderer Ausweisungsschutz“). Gleiches gilt für mit Deutschen Verheiratete und als politisch Verfolgte Anerkannte. Diese Personengruppen können nur wegen den als zwingend oder als Regelfall genannten Gründen ausgewiesen werden (die dann allerdings zu einer Regel- bzw. Kann-Ausweisung herabgestuft sind). Ein prinzipieller Schutz vor jedweder Ausweisung für irgendeine der genannten Gruppen existierte jedoch weder in der Version des reformierten Ausländergesetzes von 1990 noch existiert sie nach den Änderungen des Aufenthaltsgesetzes von 2007. Von großer Bedeutung ist außerdem noch der Hinweis, dass schon das Ausländergesetz von 1990 nicht für alle „Ausländer“ gleichermaßen galt, sondern 85
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
EU-Angehörige davon stets ausgenommen waren – mit entsprechenden Differenzierungen hinsichtlich des Ausweisungsrechts. Komplizierter wird die Rechtslage durch bilaterale Abkommen, die Menschen aus bestimmten NichtEU-Staaten gegenüber Angehörigen anderer Staaten begünstigten. Wichtigstes Abkommen, weil die größte Gruppe von Migrantinnen und Migranten in Deutschland betreffend, stellt der ARB 1/80 da, der türkische Arbeitnehmer/innen aufenthaltsrechtlich den EU-Angehörigen nahezu gleichstellt. Durch diese auf EU-Ebene etablierten Normen können Ausweisungen in den Mitgliedsstaaten nur noch nach streng geregelten Ermessensentscheidungen erlassen werden. Im Resultat ergibt sich für den Untersuchungszeitraum 1997 bis 2007 eine sich deutlich verändernde Rechtslage: während Drittstaatler durchgehend den Normen des Ausländerrechts unterlagen gelten für EUBürger/innen sowie diesen Gleichgestellten die durch den Freizügigkeitsgrundsatz der EU stärker begrenzten Ausweisungsregelungen, was aber erst in den letzten Jahren in nationale Rechtsanwendung umgesetzt wurde (s. dazu ausführlich S. 94ff). Weitere Änderungen des Ausweisungsrechts ergaben sich in den Jahren 1994, 1997 und 2001, also bereits wenige Jahre nach dessen Inkrafttreten, durch Verschärfungen des neuen Ausländergesetzes von 1990, sowie im Jahr 2004 durch dessen Novellierung im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes. Eine erste inhaltliche Verschärfung des Ausweisungsrechts liegt noch vor dem Beginn meines Untersuchungszeitraums und wurde in den folgenden empirischen Analysen daher nicht gesondert untersucht: Im Oktober 1994 erfolgte die Erweiterung der Paragraphen 47 und 48 AuslG1990 durch das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ (BGBl. I S. 3186). Dadurch wurde im Paragraphen 47, in dem die „Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit“ geregelt wird, die Norm der Ist-Ausweisung um eine Verurteilung wegen Drogendelikten (§ 47, 3 AuslG1990), die der Regel-Ausweisung um die Verurteilung zu einer Jugendstrafe „von mindestens zwei Jahren“ erweitert. Letzteres sollte „wegen des nach Ansicht der Bundesregierung zu verzeichnenden erheblichen Anstiegs der Kriminalität Jugendlicher und Heranwachsender“ (Huber 1998: B 100 Rn 3) dazu führen, dass auch nach Jugendstrafen leichter Ausweisungen ausgesprochen werden konnten. Für Jugendliche wurde gleichzeitig im Paragraph 48 der „besondere Ausweisungsschutz“ verringert. Entgegen der Pläne der Bundesregierung, die Ausweisung sowohl von Minderjährigen als auch von Heranwachsenden (die volljährig, aber noch nicht 21 Jahre alt sind) zu verschärfen (BTDrs 12/6853), wurde keine Änderungen an der ursprünglichen, 1990 verabschiedeten Regelung für Minderjährige vorgenommen. Sie können nur ausgewiesen werden bei Verurteilungen wegen „serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat“ (§ 48 Abs. 3). Bis 1994 hieß es weiter: „Das gleiche gilt für einen Heranwachsen86
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
den, der im Bundesgebiet geboren oder aufgewachsen ist und mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt“. Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 entfällt des „Ausweisungsverbot mit Ausnahmevorbehalt“ (Kanein/ Renner 1993: 1 AuslG § 48 Rn 4) für Heranwachsende und wird durch die Einschränkung ersetzt, dass diese sehr wohl der Regelausweisung nach den gewichtigsten der in § 47 AuslG1990 genannten Kategorien einer „besonderen Gefährlichkeit“ unterliegen („wird nur nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 3 ausgewiesen“). Nach Zusammenstößen zwischen kurdischen Demonstrationen und der Polizei in den Jahren 1992 bis 1996 folgte 1997 eine weitere Gesetzesverschärfung. Darauf werde ich im entsprechenden Kapitel unten ausführlich eingehen und gebe daher hier nur das Ergebnis wieder. Der Gesetzgebungsprozess begann formell im Juni 1996 durch einen Entwurf der Bundesregierung für ein Änderungsgesetz (BTDrs 13/4948). Nach Einschaltung des Vermittlungsausschusses wurde ein leicht verändertes „Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften“ im Juni 1997 im Parlament gebilligt und trat im Oktober 1997 schließlich in Kraft (BGBl. I S. 2585). Im Wesentlichen wurde in die Norm zur Regelausweisung die Verurteilung zu Haft wegen Landfriedensbruch zusätzlich aufgenommen sowie die Soll-Ausweisung um die Teilnahme an einem Landfriedensbruch ergänzt (s. Anhang S. 278). Im Oktober 2001 veröffentlichte das BMI aus Anlass der Anschläge vom 11. September 2001 das „Anti-Terror-Paket“-II, im Dezember 2001 wurde der Gesetzentwurf im Parlament verabschiedet. Das „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ (BGBl. I S. 361) trat am 9. Januar 2002 in Kraft; damit wurde das Ausweisungsrecht letztmalig in der Form des zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Ausländergesetzes geändert. Dadurch wurden zunächst die Gründe, weshalb ein Aufenthalt versagt werden kann,68 in direkter Reaktion auf den 11. September erweitert; sie nannten nun neben der „Gefährdung der FdGO und/oder der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ die Unterstützung des „internationalen Terrorismus“.69 Novellierungen des Ausweisungsrechts durch das Aufenthaltsgesetz Spätestens im Jahr 2000 setzte die Debatte um ein neuartiges „Zuwanderungsgesetz“ ein (Hell 2005: 57), das erstmalig Integrationsvorschriften machen, das Ausländergesetz novellieren und zahlreiche Sonderbestimmungen für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte vereinheitlichen sollte. Im August 2001 veröffentlichte das BMI einen ersten Entwurf für ein reformiertes Ausländerrecht, der als leicht veränderter Text mit dem Titel „Ge-
68 Geregelt in § 8 AuslG1990. 69 Das Adjektiv „international“ wurde 2007 gestrichen; s. FN 77. 87
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
setz zur Regelung der Zuwanderung“ am 7. November 2001 vom Kabinett beschlossen wurde.70 Im Dezember wurde er im Parlament, im Januar 2002 im Innenausschuss diskutiert und schließlich, auf Druck der Union erneut verändert, am 1. März 2002 vom Bundestag als „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ (BTDrs 14/7987) verabschiedet. Diese erste Version des Zuwanderungsgesetzes konnte jedoch nicht wie geplant zum Beginn des Jahres 2003 in Kraft treten, weil die Bundesratszustimmung im Dezember 2002 durch die Union erfolgreich gerichtlich angefochten wurde. Nun startete eine zweite Gesetzesinitiative, zunächst mit der unveränderten Version, die aber von den unionsregierten Ländern im Bundesrat abgelehnt und daher in den Vermittlungsausschuss überwiesen wurde. Von Oktober 2003 bis Januar 2004 tagte eine speziell für die Überarbeitung des Zuwanderungsgesetzes einberufene Arbeitsgruppe, deren Verhandlungen jedoch nicht erfolgreich waren (und zudem ab März 2004 nach den Terroranschlägen von Madrid von Sicherheitsfragen dominiert wurden). Am 1. Mai 2004 standen die Verhandlungen vor dem Scheitern, denn die Arbeitsgruppe fand keinen Konsens. Am 3. Mai 2004 drohten führende Grüne (die Grünen bildeten damals eine Koalitionsregierung mit der SPD) mit Ausstieg aufgrund immer neuer Unionsforderungen. Am 25. Mai 2004 kam es zu einer Einigung des Bundeskanzlers Schröder mit den Vorsitzenden von SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU: Otto Schily wurde beauftragt, mit dem Unions-Verhandlungsführer, dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU), und dem damaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) einen neuen Gesetzentwurf zu formulieren. Diese einigten sich im Juni 2004 auf erneut stark veränderte Formulierungen und im Juli 2004 wurde diese zweite Version schließlich vom Bundestag verabschiedet. Nachdem der Bundesrat diesmal seine Zustimmung gab trat das Gesetz am 1. Januar 2005 in Kraft.71 Seitdem ist das AuslG1990 durch ein „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“ (BGBl I 2004, 1950) vom 30. Juli 2004 (AufenthG2004) abgelöst. In dessen § 1 heißt es zum Gesetzeszweck: „Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland.“ 70 Dabei handelt es ich um die erwähnte Drucksache 14/7387. Schon der Entwurf blieb jedoch hinter den Reformerwartungen zahlreicher Verbände wie Pro Asyl oder Amnesty International zurück. 71 Die Gesetzgebungsverfahren zum TerrorG und zum ZuwG 2002 und 2004 stellt Davy 2006 ausführlich vor. 88
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Tabelle 1: Ausweisungsgründe laut §§ 53, 54 und 55 Aufenthaltsgesetz72 Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ Ȃ
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Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder Sicherungsverwahrung Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz oder wegen Landfriedensbruch ohne Bewährung Freiheitsstrafe wg. Einschleusen von Ausländern ohne Bewährung
Ausweisung 73 „zwingend“
Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder Freiheitsstrafe ohne Bewährung Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern Verstoß gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Landfriedensbruch Verdacht der Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland Gewalttätigkeit bei der Verfolgung politischer Ziele öffentlicher Aufruf zur oder Drohung mit Gewaltanwendung falsche Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind Leiter eines nicht verfassungsgem. u. daher verbotenen Vereins
Ausweisung „im Regelfall“
Beeinträchtigung der öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels fehlende Mitwirkung an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen Verstoß gegen eine für die Ausübung der Gewerbsunzucht geltende Rechtsvorschrift oder behördliche Verfügung Gebrauch von Heroin, Cocain oder einem vergleichbar gefährlichen Betäubungsmittel ohne Bereitschaft zu rehabilitierender Behandlung Gefährdung der öffentlichen Gesundheit oder langfristige Obdachlosigkeit Inanspruchnahme von Sozial- oder Jugendhilfe öffentliche Billigung eines Verbrechens gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit, eines Kriegsverbrechens oder terroristischer Taten von vergleichbarem Gewicht in einer Weise die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufzufordern oder die Menschenwürde anderer anzugreifen gezieltes und andauerndes Einwirken auf ein Kind oder einen Jugendlichen, um Hass auf Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken Abhalten einer anderen Person, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben (versuchte) Nötigung einer anderen Person zur Eingehung der Ehe
Ausweisung „nach Ermessen“
72 Zum Wortlaut der Normen s. Anhang. 73 Zum „besonderen Ausweisungsschutz“ nach § 56 AufenthG siehe oben. 89
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Die Systematik des Ausweisungsrechts von 1990 blieb erhalten, viele Normen wurden wortgleich übernommen aber neu geordnet, so dass die inhaltlich nahezu identischen Paragraphen des Ausweisungsrechts nun anders angeordnet und nummeriert vorliegen (s. S. 280ff im Anhang). Damit liegt eine stringenter als vorher von der Muss- über die Regel- zur Kann-Ausweisung absteigende Hierarchie vor, an die sich die Regelung des Ausweisungsschutzes anschließt. Allerdings sind viele einzelne Normen erneut (leicht) verschärft worden. An der zwingenden Ausweisung hat sich nichts verändert, zu einer Regelausweisung führt nun zusätzlich die Verurteilung wegen Einschleusen von Ausländern (so bereits in der „ersten Runde“, also im Entwurf von Dezember 200274). In den Nachverhandlungen 2004 wurden außerdem in diese Norm aufgenommen die Unterstützung des Terrorismus, und zwar bereits „wenn Tatsachen diese Schlussfolgerung rechtfertigen“ (zur Ausweisung auf Verdacht s. ausführlich ab S. 197), die Tätigkeit als Leiter eines verbotenen Vereines sowie die Gefährdung der „freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ oder der Aufruf zu Gewalttaten (dieser Passus existierte wortgleich bereits in AuslG1990, war 2002 nicht mehr in den Ausweisungsnormen enthalten und kehrte erst in der „zweiten Runde“ wieder dort hin zurück). In der Norm zur Kann-Ausweisung (§ 55) findet sich weiterhin die Generalklausel, „wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt“. Die anschließende Aufzählung der einzelnen Gründe wird nun erweitert; ausgewiesen werden kann (bereits nach der ersten Runde) auch, wer „falsche oder unvollständige Angaben zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels“ macht sowie „zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. In der zweiten Runde kam dann noch dazu, wer „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören“. Zusätzlich wird die „Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“ mit dem Paragraphen 54a nachträglich ‚eingescho74 Bei diesen Nachverhandlungen wurden neben diesen beiden Erweiterungen mehrere kleine aber wichtige Ergänzungen einzelner Sätze vorgenommen, die ich hier zusammen mit den 2002 geplanten Veränderungen darstelle. Sie sind jedoch innerhalb der einzelnen Paragraphen im Anhang im Wortlaut dokumentiert. 90
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
ben‘, der Paragraph 58a reicht die „Abschiebungsanordnung“ ebenfalls gewissermaßen nach – beide, an der Erweiterung „a“ erkennbar, sind Ergänzungen aus der ‚zweiten Runde‘ (den Nachverhandlungen im Jahr 2004 nach dem Scheitern des ersten Entwurfs).75 Neben diesen Verschärfungen findet sich auch eine partielle Verbesserung des Status von Jugendlichen, denn im Entwurf von 2001 fehlt die „MehmetKlausel“, also die Einschränkung des „besonderen Ausweisungsschutzes“ bei „serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat“ (wie es ab 2007 dann wieder heißt, s. u.). Vom Bundestag im Juni 2007 beschlossen, trat mit dem „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ (BGBl. I 2007, S. 1970) am 28.08.200776 die erste wesentliche Novellierung des ins neue Gesetz übernommenen Ausweisungsrechts in Kraft (s. Anhang). Bezug genommen wurde dabei auf Erfordernisse der europäischen Harmonisierung, die Inhalte dieser Verschärfung waren aber „hausgemacht“, wie ich ab Seite 227 zeigen werde. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Sanktionierung von bestimmten Verhaltensweisen, die in den Paragraphen zur Ermessensausweisung neu aufgenommen wurde.77 Ausgewiesen werden kann nun, wer „9. auf ein Kind oder einen Jugendlichen gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken, 10. eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, oder 11. eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht.“ (§ 55, Abs. 2 AufenthG2004)
75 Die Neuerungen des Zuwanderungsgesetzes zu Straf- oder Gewalttaten aufzurufen, Hass zu predigen, den Frieden zu stören, die Ordnung zu gefährden sowie der Verdacht der (Unterstützung des) Terrorismus, sind Spezifizierungen innerhalb des Diskursstranges der Gefährlichkeit. Diese Bedeutungsveränderungen werden in Kap. 5.3 ausführlich diskutiert. 76 Zunächst in Kraft getreten ohne: Einbürgerungstest (§ 10 StAG)/Regelungen zur Datenerfassung im Visumsverfahren (§ 73 AufenthG); vgl. Art. 10. 77 Außerdem wurde der „internationale Terrorismus“ zu „Terrorismus“ (§ 54 Nr. 6 AufenthG2004, „Ausweisung im Regelfall“). 91
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Damit können nun „schwerwiegende Verstöße gegen die Integrationsverpflichtung“, wie es in der Begründung des Gesetzes heißt (20070423-BTDrs. 16/5065: 180), durch Ausweisung bestraft werden.78 Außerdem kehrt das Ausweisungsrecht nun im Abschnitt zum „besonderen Ausweisungsschutz“ (in § 56 AufenthG) zurück zur Einschränkung des Ausweisungsschutzes (s. o., sog. „Mehmet-Klausel“), wie sie schon vor 2004 für „Serientäter“ galt. Dazu wird der Absatz 2 ergänzt um den Satz „Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.“ (§ 56, 2 AufenthG2004)
Verhinderung der Statusverbesserung In diesem knappen Überblick zur Systematik des Ausweisungsrechts wurde zunächst nur auf die gesetzlichen Ausweisungsgründe eingegangen. Die exkludierende Wirkung des Ausweisungsrechts reicht jedoch weiter, indem in bestimmten Fällen verhindert wird, dass Rechtsansprüche auf einen Aufenthalt entstehen. Denn über die eigentliche Ausweisung hinaus können Ausweisungsgründe auch dazu führen, dass ein Aufenthaltstitel nicht erteilt oder verlängert wird, denn das „Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrunds“ ist laut Ausländerrecht die Voraussetzung jedes Aufenthaltstitels (Renner 1998: 315).79 Ist dies vor der Einreise nach Deutschland eher ein Randphänomen, führt ein vorliegender Ausweisungsgrund bei der Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu einer ‚verdeckten‘ Ausweisung. Denn wird ein befristeter Titel nicht verlängert hat das ähnlich gravierende Folgen wie eine Ausweisung selbst: die betreffende Person muss das Land verlassen. Derartige Verwaltungsakte werden aber nicht als Ausweisung gewertet und dementsprechend auch nicht als solche registriert. Ebenso verhindert ein vorliegender Ausweisungsgrund die Ausstellung eines verfestigten Aufenthaltstitels. Ein Beispiel: die – befristete – Aufenthaltserlaubnis bleibt erhalten, wenn etwa der Ausweisungsgrund „Sozialhilfebezug“ vorliegt. Einen Antrag auf die Niederlassungserlaubnis kann die Ausländerbehörde aber ablehnen, denn dem schiebt der Ausweisungsgrund einen
78 Formal ist Ausweisung keine Strafe – faktisch hat sie aber diese Wirkung, ja sie beendet sogar die inländische Lebensperspektive und führt daher zu einer besonderen Belastung (vgl. Trautmann 2002: 338); s. Kap. 3.3.2. 79 Auch von dieser Regelung sind EU-Bürger ausgenommen. Sie benötigen für die Einreise keinen Aufenthaltstitel (§ 2 Abs. 4 FreizügG/EU), dennoch kann eine „Ausweisung“ (die hier nicht so heißt) zu einem Einreiseverbot führen (§ 6 Abs. 1 FreizügG/EU), s. dazu ausführlich das folgende Kapitel. 92
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Riegel vor. Der eigentlich rechtlich vorgesehene besondere Aufenthaltsschutz durch eine Aufenthaltsverfestigung (in Form der Niederlassungserlaubnis) tritt nun nicht ein. Diese Praxis „stellt in Deutschland lebende Ausländer, gleich wie lange sie hier leben, unter einen umfassenden Wohlverhaltensvorbehalt“ (Beichel 2001: 245). Das Sozialhilfekriterium wird der Beschreibung des ‚lästigen Ausländers‘80 voraussichtlich erhalten bleiben. Aus dem Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz geht hervor, dass an dem Ausweisungsgrund „Sozialhilfebezug“ festgehalten werden soll, um die „Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu Lasten der Allgemeinheit (zu) verhindern und im Falle der Ausweisung (zu) beenden.“ (BMI 2006: 141) Diese Wirkung der SozialhilfeVorschrift gilt auch bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels, und hierzu wird in der Evaluierung ausdrücklich angeregt, den Bezug von ALG II als Ausweisungsgrund mit aufzunehmen: „Des Weiteren empfiehlt sich die Einbeziehung des Arbeitslosengeldes II in den Anwendungsbereich der Vorschrift aus gesetzessystematischen Gründen. [...] Die Aufnahme in den Ausweisungstatbestand hätte auch eine entsprechende Signalwirkung.“ (BMI 2006: 144). Aus dieser Formulierung lässt sich explizit herauslesen, welche ‚Integrationsleistung‘ auch in Zukunft gefordert wird, um einen verfestigten Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden. Diese Implikationen des Ausweisungsrechts führen, konsequent weitergedacht, sogar zur Verhinderung der Einbürgerung. Folglich nennt das Staatsangehörigkeitsgesetz ausdrücklich jeden Ausweisungsgrund als eine Einbürgerung ausschließend (StAG § 8, Abs. 1 Nr. 2). Das bedeutet, sobald ein Ausweisungsgrund vorliegt kann die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr erworben werden, unabhängig davon, welcher Anspruch auf Einbürgerung vorliegt und ob die betreffende Person tatsächlich ausgewiesen werden kann. Mit der Einbürgerung würde der Schritt zur rechtlichen Vollinklusion begangen. Doch auch am anderen Ende der Skala vom prekären über den gesicherten zum Daueraufenthalt wirkt die Logik der Straffreiheit bzw. der „Ge80 „Lästigkeit“ ist bekanntermaßen kein im Ausländerrecht verwendeter Begriff (mehr) – in der deutschen Geschichte wurde diese Formel jedoch vielfach bemüht (vgl. etwa Renner 1996 und s. FN 37). Auch das heutige Ausweisungsrecht enthält Beschreibungen devianter Verhaltensweisen, die jenseits eindeutiger „Kriminalität“ liegen, und dem Topos des ‚lästigen Ausländers‘ zugeordnet werden können. Der auszuweisende – ‚lästige‘ – „Ausländer“ nimmt Sozialleistungen in Anspruch, ist drogenabhängig, „gefährdet die öffentliche Gesundheit“ oder ist „längerfristig obdachlos“, oder er verstößt gegen Vorschriften zur „Gewerbsunzucht“. Allesamt sind dies Kriterien, denen kein konkretes kriminelles Delikt zugrunde liegt, aber dennoch eine „Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ (§ 55 AufenthG) zugeschrieben wird. Dieser ‚lästigen‘ Personen will sich die Gesellschaft durch die Hinausweisung entledigen. 93
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
fährlichkeit“. Laut Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 zum Bleiberecht für lange in Deutschland lebende geduldete Ausländer wirken u. a. „Bezüge zu Extremismus oder Terrorismus“ sowie das Vorliegen von „Ausweisungsgründen“ einem Aufenthaltsrecht entgegen (20061120IMK: 21). So sind es eben nicht nur die Aufenthaltsdauer und das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes, die einen Menschen „faktisch wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integriert“ (ebd.: 19) werden lassen. Vielmehr zeigen eben auch die Ausweisungsgründe, ob es sich um bleibeberechtigte oder ‚lästige‘ Geduldete handelt.
Die Rechtsstellung von Angehörigen der EU und der Türkei EU-Bürger/innen werden seit dem Maastrichter Vertrag von 1992 als „Unionsbürger“ bezeichnet (Renner 1998: 74). Ihr Aufenthalt ist nicht über das AuslG, sondern im Gemeinschaftsrecht der EU geregelt. In Deutschland galt die 1990er Jahre hindurch das „Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ von 1969 (BGBl. I S. 927), das seit dem 1.1.2005 durch das „Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU)“81 abgelöst wurde. „Freizügigkeit“ bedeutet, nach Deutschland einreisen zu dürfen und auch Bewegungs-, Niederlassungs- und das Recht auf Erwerbstätigkeit zu besitzen (Renner 1998: 176).82 Für die Ausweisungsregelungen, die hier im speziellen von Interesse sind, gilt analog zum allgemeinen Ausländerrecht, dass sie als Spiegelbild der Aufenthaltserlaubnis zu begreifen sind: das Recht auf Freizügigkeit steht einer 81 Dieses ist im Artikel 2 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz, BGBl. 2004 I, Seite 1950) enthalten. Das FreizügG/EU wurde zuletzt geändert durch das „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ im August 2007; s. S. 285. Ein Grund für diese Richtlinie war die vom Europäischen Parlament gerügte deutsche Ausweisungspraxis, die zu einer Klage der Kommission gegen Deutschland führte – „nie zuvor hat eine Regierung [Italien, T.S.] im Verfahren gegen einen anderen EU-Mitgliedsstaat diesen verfahrensrechtlichen Schritt getan.“ Gutmann 2005: 401; vgl. auch Gutmann 2000: 369). 82 Außerdem besitzen Unionsangehörige ein voraussetzungsloses Recht auf Aufenthalt von bis zu drei Monaten, das ausschließlich vom Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses abhängt. Seit 2005 benötigen die „freizügigkeitsberechtigten“ Bürger/innen der EU (sowie deren Familienangehörige) auch für den längeren Aufenthalt in Deutschland keinen Aufenthaltstitel mehr – bis dahin war eine „Aufenthaltserlaubnis-EG“ notwendig, die allerdings auch damals schon erteilt werden musste. Ausgewiesen werden können sie nur unter besonderen, gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Bedingungen (s. u.): im Verfahren besteht eine ‚Vermutung‘ für die Freizügigkeit, bis diese durch die zuständige Ausländerbehörde feststellt wird. 94
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Ausweisung in der Regel entgegen (ebd.: 561). In den entsprechenden Normen ist daher auch deutlich eingeschränkt nicht von einer „Ausweisung“ die Rede, sondern nur ein „Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt“ möglich (§ 6, 1 FreizügG/EU). Dieser darf nur „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ festgestellt werden (vgl. Renner 1998: 561). Selbiges gilt durch das bereits aus den 1960er Jahren stammende Assoziationsabkommen der EWG mit der Türkei auch für türkische Arbeitnehmer/innen. Dieses legte Regeln für deren Beschäftigung und soziale Sicherung, aber auch für deren Freizügigkeit fest. Der weiterhin gültige Assoziationsratsbeschluss Nr. 1 von 1980 (ARB 1/80) beinhaltete, dass türkische Arbeitnehmer/innen und ihre Familien aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis innerhalb der EU das Recht auf Verlängerung des Aufenthalts ableiten können. Was zur Folge hat, dass auch ihre Ausweisung stets im Einzelfall begründet werden muss, also dem Allgemeininteresse das Interesse der Betroffenen gegenüber steht.83 Wenn es heute außer Frage steht, dass die ausländerrechtstypischen „generalpräventiven Erwägungen“ bei einer Ausweisung von EU-Angehörigen sowie diesen Gleichgestellten keine Rolle mehr spielen dürfen (Beichel 2001: 228), so war das in den 1990er Jahren noch nicht der Fall. Die deutsche Norm zur Regelausweisung, wodurch die Ausländerbehörde verpflichtet wird, von einer Würdigung des Einzelfalls weitgehend abzusehen (Gutmann 2004b: 27), hielt das Bundesverwaltungsgericht in den 1990er Jahren noch für mit dem EU-Recht konform (Beichel 2001: 230). Erst durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs wurde klargestellt, dass die erhöhten Anforderungen an Ausweisungen auch für türkische Staatsangehörige gelten können (Gutmann 2002: 26 u. Beichel 2001: 231; zur Unsicherheit über Bedeutung und Reichweite des ARB 1/80 durch die 1990er Jahre hindurch vgl. Renner 1998: 34). In der fortgesetzten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird betont, dass von einer ausweisungsrelevanten Störung der öffentlichen Ordnung erst dann zu sprechen ist, wenn „eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ – die Ausweisung also „eine seltene Ausnahme von der Freizügigkeit als einer Grundfreiheit des EG-Vertrages sein soll“ (Gutmann 2004b: 183). Mit seinem Urteil vom 3.8.2004 hat das Bundesverwaltungsgericht infolge der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs diesen Grundsatz bestätigt: Nicht bereits die Schwere der Tat bzw. die Höhe einer 83 Unionsangehörige und türkische Staatsangehörige bilden die Mehrheit (im Jahr 2008 knapp 58%) der in Deutschland lebenden „Ausländer“. Freizügigkeitsberechtigt sind türkische Staatsangehörige mit mindestens drei- bzw. vierjähriger legaler Beschäftigung in Deutschland – was bei den meisten türkischen Migrantinnen und Migranten der Fall ist. 95
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Verurteilung lässt ausreichende Rückschlüsse auf die „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung“ der Gesellschaft zu – „generalpräventive“ Erwägungen seien demnach auch bei der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Drittstaatlern zur Begründung unzulässig (BVerwG 1 C 29.02). Erst mit dieser Anerkennung der EU-Rechtsprechung durch das höchste deutsche Verwaltungsgericht wurden einigen Grundsätzen zum Ausweisungsschutz für EU-Angehörige sowie gleichgestellten Drittstaatlern Geltung verschafft, die mit der deutschen Rechtssprechung bis dato brachen: Die schematische Anwendung der Ist-Regelungen (also der Automatismus, dass eine Verurteilung ab einer gewissen Höhe zur Ausweisung führe) ist unzulässig. Grundsätzlich sind nur Ermessensausweisungen, also beruhend auf Einschätzungen des „Einzelfalls“, zulässig, bei denen sich aus diesen persönlichen Umständen eine konkrete gegenwärtige Gefährdung ergibt. Demnach ist auch der Rekurs auf „generalpräventive“ Gründe, wie bereits gesagt, unzulässig. In den vergangenen vier Jahren hat sich damit durch die europäische Rechtsprechung ‚oberhalb‘ des nationalen deutschen Ausweisungsrechts ein Regelungssystem etabliert, das das Ausweisungssystem des deutschen Ausländerrechts mehr und mehr obsolet werden lässt – stellen doch faktisch EUBürger/innen, türkische Staatsangehörige und nicht zuletzt Menschen mit langfristigem Aufenthaltsrecht84 den ganz überwiegenden Teil der „ausländischen“ Bevölkerung in Deutschland. Für sie alle gilt das Ausweisungsrecht des Aufenthaltsgesetzes nicht mehr oder nur eingeschränkt.85 Dennoch bleibt festzuhalten: die im Aufenthaltsgesetz wirksame Logik existierte selbst dann weiter, wenn die Normen faktisch für kaum jemanden mehr gelten würden. Die Wissensordnung, die ‚hinter‘ dem Gesetzestext steht, bleibt weiter von Interesse. In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich ja nicht mit der Rechtsanwendung, sondern ich analysiere die Regeln des vorhandenen Wissens, die Logiken, die aus dem Reden über das Ausweisen jenseits des materiell gültigen formalen Rechts erkennbar werden. Die Tatsache, dass die genannte Entwicklung in der (Laien-)Öffentlichkeit auch gegenwär84 Die EU-Daueraufenthaltsrichtlinie (Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003) betrifft nicht Unionsbürger, sondern langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige und beschränkt deren Ausweisung auf Fälle, in denen eine „gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit“ vorliegt (Art. 12 Abs. 1; vgl. Marx 2007: 148). Die Zahl derer, die die Voraussetzungen der EU-Daueraufenthalts-Richtlinie erfüllen (z. B. fünfjähriger Aufenthalt, Lebensunterhaltssicherung, vgl. § 9a Abs. 2 AufenthG) kann nur geschätzt werden. 85 Eine Konsequenz daraus ist etwa, dass die Täter des Überfalls in der Münchner U-Bahn im Dezember 2007 wohl selbst nach den damals geforderten Verschärfungen nicht hätten ausgewiesen werden können, weil sie als „Grieche“ bzw. „Türke“ durch EU-Recht geschützt sind, s. S. 255. 96
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
tig noch kaum zur Kenntnis genommen wird spricht zudem dafür, sich nicht von den im Spezialdiskurs definierten ‚Wahrheiten‘ den Blick für das im Interdiskurs Wirksame verstellen zu lassen.
Exkurs: Rechtsbegriffe im internationalen Vergleich Der legale Terminus für den Entzug eines bestehenden (verfestigten) Aufenthaltsrechts ist in Deutschland „Ausweisung“; dies meint weder die tatsächliche physische Entfernung der Person – das wäre die „Abschiebung“ – noch die reine Aufforderung, Deutschland zu verlassen (die durch die Ausweisung dennoch implizit erfolgt und im Gesetz „Ausreiseaufforderung“ genannt wird). Bis in das 20. Jahrhundert hinein wurde auch im deutschen Recht zwischen „Ausweisung“ und „Abschiebung“ nicht streng unterschieden (s. FN 32). Die heutige Rechtssprache differenziert zwischen „Ausweisung“ als Rechtsakt, in dem ein bestehendes Aufenthaltsrecht entzogen wird (§§ 53-55 AufenthG) und „Abschiebung“ als „Überwachung der Ausreise“ (§ 58 AufenthG). Mit einer Abschiebung wird nach dem heutigen Verständnis also gesichert, dass eine „ausreisepflichtige“ Person dieser Pflicht auch nachkommt. Dem muss in bestimmten Fällen eine Ausweisung vorangegangen sein. Weder im Englischen noch im Französischen existiert eine derartig klare Unterscheidung. So ist der englische Begriff „to expel“ – „jemandem die Mitgliedschaft entziehen“– der denkbar weiteste Terminus, der alle Formen von Herauslösung umfasst; eine mögliche Übersetzung für „expulsion“ ist neben „Ausschluss“ auch „Vertreibung“. Der Englische Begriff „expulsion“ wird aber im Europäischen Kontext als Sammelbegriff verwendet, der auch Ausweisung einschließt; er bedeutet damit sinngemäß „aufenthaltsbeendende Maßnahme“ („mesure mettant fin au séjour“) im allgemeinen Sinne. In übersetzten Dokumenten der EU werden die englischen Begriffe „expulsion“ und „removal“ außerdem gleichbedeutend verwendet.86 In Großbritannien wird von „deportation“/„deportation order“ im Falle der Abschiebung/Ausreiseaufforderung bei Personen gesprochen, die legal eingereist sind, während dieselbe Maßnahme bei illegal Eingereisten „removal“ bzw. „removal order“ heißt. Die beste, wenn auch etwas zu breite Übersetzung von „removal“ wäre also „Abschiebung“. Die englische „deportation“ betrifft sowohl Menschen, die eine erlaubte Aufenthaltsdauer überziehen als auch solche, denen tatsächlich ein bestehender Titel entzogen wird, die also 86 Zu allen Begriffen vgl. die Terminologiedatenbank der EU-Kommission; http:// iate.europa.eu; zugegriffen am 28.01.2010. Dort ist auch die umgangssprachliche Verwendung der „Ausweisung“ aufgeführt, wenn eigentlich „Abschiebung“ gemeint ist („Ausweisung von Asylbewerbern“, „expulsion of asylum seekers“, „éloignement des demandeurs d'asile“). 97
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
„ausgewiesen“ werden im engeren Sinne der deutschen Rechtslage (UK immigration rules, §§ 362-354). Als Übersetzung der deutschen „Ausweisung“ bietet sich also „deportation order“ oder „deportation notice“ an. Auch in den USA bildet „deportation“ – etwa in der Phrase „order of deportation“ – das rechtliche Pendant zur deutschen Ausweisung; „removal“ ist dort der tatsächliche Akt der Abschiebung; „removal order“ ist der Ausreiseaufforderung vergleichbar. Unter Umständen wird auch „exclusion“ analog zum Begriff „removal“ verwendet; im engeren Sinn meint „exclusion“ in den USA jedoch vor allem das Verbot der (Wieder-)Einreise. Dort wird von einem „Immigration Court“ im Rahmen eines „removal hearings“ – sinngemäß also der „Ausweisungsanhörung“ – über die Ausreisepflicht („deportability“) einer Person entschieden, und das gleichermaßen für illegal Aufhältliche wie für legal und dauerhaft im Land lebende Nicht-Staatsangehörige. Die französische Rechtssprache nimmt ebenfalls keine so strenge Differenzierung zwischen Ausweisung und Abschiebung vor wie die deutsche. Die deutsche „Ausweisung“ würde französisch „expulsion“ oder „ordre d'expulsion“ lauten, was aber auch eine korrekte Übersetzung von „Abschiebung“ darstellt. Durch das Gericht kann eine Ausweisung in Frankreich auch als Aufenthaltsverbot („Interdiction du Territoire Français“) verhängt werden (s. u.). Der französische Sammelbegriff „éloignement“ („Entfernung“) stellt das Pendant zur „Rückführung“87 dar und wird ebenfalls sowohl für Abschiebung als auch Ausweisung verwendet, die deutsche „Abschiebung“ wird zudem als „reconduite à la frontière“ umschrieben. In den Sprachen der zum Vergleich herangezogenen Länder gibt es also eine Vielzahl sich überschneidender Begriffe, die nicht deckungsgleich übersetzt werden können. Angesichts unterschiedlicher Rechtssysteme kann allenfalls von einer Analogie gesprochen werden. Erst der Vergleich des Einsatzes dieser Konzepte klärt ihre Bedeutung. In Frankreich wird eine Ausweisung entweder zusätzlich zur strafrechtlichen Verurteilung durch das Gericht als Aufenthaltsverbot (I.T.F.: Interdiction du Territoire Français) erlassen88 oder sie ergeht durch den Innenminister bzw. die Kreisverwaltung (Préfecture)89 als eine verwaltungsrechtliche Ausweisung. Beide Vorgänge sind an unterschiedliche Bedingungen geknüpft.
87 Rückführung umfasst alle aufenthaltsbeendenden Maßnahmen des dt. Rechts (Ausweisung, Abschiebung, Zurückschiebung, Zurückweisung). 88 Zum dazu vergleichbaren strafrechtlichen Landesverweis in der Schweiz vgl. Beichel 2001: 238ff. 89 Der „Préfet“ kann die Ausweisung einer Person „vorschlagen“, wenn deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit gefährdet. Er kann eine Ausweisung anordnen, wenn eine „dringliche Notwendigkeit“ besteht oder wenn der Aufenthalt der Person in schwerwiegender Weise die öffentliche Sicherheit bedroht. 98
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
Die französische Ausweisungspraxis war zuletzt landesweit umstritten, als im Jahr 2000 eine Kampagne gegen die „Double peine“ („doppelte Bestrafung“) begann, in der mehrere Menschenrechtsorganisationen deren Abschaffung forderten.90 In Reaktion auf die beträchtlichen öffentlichen Proteste verabschiedete im November 2003 der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy tatsächlich ein Gesetz über Immigration (das so genannte Sarkozy-Gesetz), das den deutlich weitergehenden Schutz vor Ausweisung für bestimmte Personengruppen enthält, der heute geltendes Recht ist.91 Seit 2003 darf demnach zusätzlich zu einer strafrechtlichen Verurteilung nicht mehr ausgewiesen werden, wer seit seinem/ihren 13. Geburtstag in Frankreich lebt oder seit 20 Jahren ein Aufenthaltstitel besitzt oder mit einem/einer französischen Staatsbürger/in seit mindestens 3 Jahren verheiratet ist oder ein Kind mit französischer Staatsangehörigkeit hat. Dies erscheint wie eine sehr weitgehende Anerkennung normativer Aufenthaltssicherheit durch faktische Bindungen an das Land des Lebensmittelpunktes. Dabei handelt es sich aber um die Regelung der interdiction durch das Gericht. Dieser Ausweisungsschutz wird durch Kompetenzen der Innenverwaltung ausgehebelt. Denn zusätzlich dazu kann ausgewiesen werden, wer die „Grundordnung“, die „Sicherheit“ oder „sonstige erhebliche Interessen“ Frankreichs gefährdet, oder wenn ein Terrorverdacht vorliegt. Daher hat das Gesetz von 2003 realiter die Möglichkeiten, zusätzlich zur strafrechtlichen Verurteilung eine Ausweisung zu verhängen, deutlich weniger stark eingeschränkt als angekündigt. Eine ähnlich divergente praktische Anwendung des Ausweisens wird besonders am Vergleich deutschsprachiger Länder deutlich. In Österreich wird mit der „Ausweisung“ ein „Fremder zur Ausreise aufgefordert“ (die zwangsweise Entfernung heißt wie in Deutschland „Abschiebung“). Diese österreichische Ausweisung ist jedoch, anders als in Deutschland, vor allem gegen Personen gerichtet, die sich bereits unrechtmäßig im Land aufhalten. Sie ist funktional also eine dt. „Ausreiseaufforderung“, wenn auch bedingt erweitert um bestimmte zusätzliche Ausweisungsgründe im Sinne des deutschen Rechts. Erklärbar ist dieser Umstand durch das unterschiedliche Verständnis davon, wer überhaupt durch staatliche Kompetenzen des Landes verwiesen werden darf. In Österreich sind seit 1998 auch Nicht-EU-Staatsangehörige absolut vor Ausweisung geschützt, wenn sie als „langjährig rechtmäßig niedergelassen“ gelten (§ 55 Fremdenpolizeigesetz). Das ist der Fall, wenn sie in Österreich geboren sind oder ihr halbes Leben in Österreich verbracht haben und die letzten drei Jahre dort gelebt haben. Bei einem „verfestigten“ Aufent-
90 Campagne contre la Double peine „Une peine point barre“, vgl. www.gisti.org. 91 LOI n° 2003-1119 du 26 novembre 2003 relative à la maîtrise de l'immigration, au séjour des étrangers en France et à la nationalité. 99
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halt kommt in Österreich also eine Ausweisung (im deutschen Sinn) nicht mehr in Betracht.92 Daher ist eine Differenzierung der Begriffe „Ausweisung“ (die in Deutschland ja regelmäßig Daueraufhältliche betrifft) und „Ausreiseaufforderung“ (in Deutschland auch schon bei unrechtmäßigem Aufenthalt) nicht notwendig.93
3.3.2 Die Präventionsfunktion des Ausweisens Bisher bin ich bei der Darstellung des Ausweisungsrechts zunächst auf die Paradigmen des deutschen Ausländerrechts eingegangen, die u. a. durch das Prinzip des „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“ der Verwaltung weite Kompetenzen einräumen, über das Aufenthaltsrecht der Staatsfremden zu verfügen. Im vorhergehenden Kapitel referierte ich die formalen Ausweisungsgründe, also die im Einzelfall zur Anwendung zu bringenden Logiken, die das Ausweisen legitimieren. Mit anderen Worten: die gesetzliche Regelung, wie unterschiedlich ‚zwingend‘ die Ausweisung je nach jeweiliger Schwere des Delikts zu erlassen oder wann eine solche unzulässig ist. Um die Logik des Ausweisungssystems darzustellen ist es allerdings nicht ausreichend, nur auf die formellen Gründe einzugehen. Vielmehr muss auch die Zwecksetzung mit einbezogen werden, die m. E. als Mesoebene zwischen den jeweiligen Einzelbegründungen und den paradigmatischen Prinzipien des deutschen Ausländerrechts einzuordnen ist. Explizit finden wir in den gesetzlichen Einzelnormen den formellen Ausweisungsgrund, also die jeweilige Begründung des Ausweisens (unterste Ebene in Abbildung 2). Was dabei allerdings nur implizit aufscheint ist die gesellschaftliche Funktion, die dem Ausweisungsvorgang zugerechnet wird (mittlere Ebene). Durch welchen Zweck eine Ausweisung legitimiert ist, und zwar nicht (nur) im Einzelfall sondern prinzipiell – welche gesellschaftliche Funktion das Ausweisen also erfüllen soll – ist eine bisher nur gestreifte Frage. Zu ihrer Beantwortung muss das ordnungsrechtliche Konzept der Prävention eingeführt werden. Der jeweilige Zweck des Ausweisens ist zwar faktisch erst im Nachhinein erreicht, der Begründung einer Ausweisung ist er logisch aber vorgängig und 92 Für alle anderen „Ausländer“ gilt in Österreich ein gestaffelter Ausweisungsschutz, der ähnlich dem deutschen Recht auf eine gesetzliche „Aufenthaltsverfestigung“ aufbaut. Das bedeutet beispielsweise, dass ab einem Aufenthalt von 10 Jahren nur noch Ausweisungen wegen bestimmter Straftaten zulässig sind (§ 55 Fremdenpolizeigesetz). 93 Weitere Staaten der EU mit einem absoluten Ausweisungsschutz ab einer bestimmten Aufenthaltsverfestigung (zumeist bei im Land geborenen oder aufgewachsenen „Ausländern“), sind neben Frankreich und Österreich auch Holland, Griechenland, Italien und Schweden, vgl. Gutmann 2004a; Groenendijk/Guild/ Barzilay 2001. 100
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
kann daher bereits implizit in ihr enthalten sein. Wird etwa eine Ausweisung durch die „Gefährdung der Sicherheit“ begründet ist bereits expliziert, dass die Funktion der Ausweisung im Schutz der „Sicherheit“ besteht. Ziel wäre es dann, eben diese Gefährdung durch die Externalisierung des Schädlichen abzuwenden. Wird nach der Verbüßung einer Haftstrafe ausgewiesen, ist der Zweck der Ausweisung nicht so eindeutig zu benennen. Der Straftäter ohne deutschen Pass stellt allerdings den Standard-Typus dar, der zur Begründung einer Ausweisung herangezogen wird. Wie oben dargestellt können alle Verstöße gegen Rechtsvorschriften eine Ausweisung begründen, sofern sie nicht nur „vereinzelt“ oder „geringfügig“ sind (§ 55 AufenthG). Ab einer bestimmten Schwere der Tat, definiert über die Strafhöhe, wird aus der Ausweisungsmöglichkeit ein Grundsatz. Drogendelikte, Landfriedensbruch und das „Einschleusen von Ausländern“ sind in den Normen zur zwingenden bzw. zur Regelausweisung gesondert genannt. Diese Tätergruppen sollen also offenbar primäres Ziel von Ausweisungen sein. Es erscheint zunächst, als handle es sich bei derartigen Ausweisungen um repressive Sanktionen, also um eine Bestrafung mit dem Ziel der Vergeltung, Besserung o. ä. Dass die tatsächliche Funktion des Ausweisens darin besteht, die Gesellschaft vor Gefahren zu beschützen, wird erst deutlich, wenn die Kommentarliteratur zum Ausländerrecht herangezogen wird, denn darin ist das Konzept der Spezial- und Generalprävention erläutert. Abbildung 2: Schichtung des Ausweisungssystems
Ausweisungsprinzip: staatliche Verfügungsgewalt über Aufenthalt von Staatsfremden Ausweisungszweck: Präventionsfunktion des Ausweisens Ausweisungsgründe: fallbezogene Legitimation der einzelnen Ausweisung auf der Grundlage vorgegebener Kategorien (Straftat, Gefahr, Beeinträchtigung)
Damit Ausweisungen im Anschluss an Haftstrafen überhaupt rechtlich zulässig sein können werden sie der hegemonialen Logik folgend nicht als repressive Maßnahmen definiert. Vielmehr gilt diese Reaktion auf deviantes Verhalten als eine präventive Maßnahme, die dem Polizei- und Ordnungsrecht zuzuordnen ist. Denn würde Ausweisung als Bestrafung definiert, wäre sie nach dem Verbüßen einer Strafe als Doppelbestrafung zu werten und damit, dem
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Grundsatz ne bis in idem94 folgend, unzulässig. Die Ausweisung verfolgt also formal nicht (wie die Strafe) den Zweck der Resozialisierung, sondern sie soll ausschließlich erneutes abweichendes Verhalten im Inland verhindern.95 „Als Maßnahme der Gefahrenabwehr dient die Ausweisung nicht der Ahndung begangenen Unrechts, sondern der Vorbeugung und Vorsorge gegenüber künftigen Beeinträchtigungen. Insofern tritt sie neben eine strafrechtliche Verurteilung, ohne diese zu erübrigen oder selbst durch den Vollzug einer Strafe überflüssig zu werden.“ (Renner 1998: 617)
Der ihr rechtlich vorgegebene grundsätzliche Zweck ist also Prävention („Vorbeugung und Vorsorge“). Das bedeutet, eine Ausweisung verhindert entweder, dass dieselbe Person erneut für eine Beeinträchtigung im Inland verantwortlich wird, da sie sich nicht mehr im Lande befindet, ob dies nun die Begehung einer Straftat oder den Bezug von Sozialhilfe meint. Dies wird als Spezialprävention bezeichnet. Im Fall der Generalprävention sollen andere Personen durch eine Ausweisung davon abgeschreckt werden, ähnliche Taten zu begehen, weil sie sonst diese zusätzliche Sanktion zu befürchten hätten (die allerdings wie gesagt nicht als Bestrafung betrachtet wird). In beiden Präventionsformen muss zunächst eine ordnungsrechtliche Gefahrenprognose erfolgen. Denn Grundlage jeder präventiven Intervention ist, dass von einem Täter (weiterhin) eine „bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht“ (ebd.: 671). Dies gilt für Spezial- wie Generalprävention, in beiden Fällen ist es also die Abwendung von Bedrohungen für die Gesellschaft, die durch das Ausweisen erreicht werden soll. Im ersten Falle der Spezialprävention ist die Frage maßgeblich, wie hoch die Wiederholungsgefahr im individuellen Fall tatsächlich ist, wie also die „Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gefährdung“ (ebd.: 617) des individuellen Täters bewertet wird. Denn nur wenn eine zukünftige Begehung von weiteren Taten wahrscheinlich ist kann eine präventive Ausweisung gerechtfertigt sein.96 94 Vgl. Art. 103 III GG: „Niemand darf wegen der selben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ 95 Inwieweit Ausweisung tatsächlich zum Ordnungsrecht zu zählen sei diskutiert ausführlich Beichel 2001:30ff und 218ff, der zu dem Ergebnis kommt, „die Ausweisung ist Strafe“ (ebd.: 224). Ebenfalls kritisch zur „Ausweisung als Strafe“ vgl. Graebsch 1998. 96 Der Wahrscheinlichkeitsgrad richtet sich dabei nach dem „bedrohten Schutzgut“: ist die Schwere der erwarteten Tat höher, genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit geringer ist. (Be-)Drohung ist die Ankündigung einer bevorstehenden Situation (Handlung) oder eines Sachverhalts (Umstand) mit negativen Folgen (im Recht: eines künftigen Übels); „bedrohen“ heißt dementsprechend, eine Drohung auszusprechen (im Recht: die Bevorstehung eines Verbrechens anzukündigen). Bei einer Gefahr handelt es sich um eine Situation, eine Handlung oder einen Sachverhalt, der zu einer negativen Auswirkung (Gefährdung) führen 102
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Um eine generalpräventive Ausweisung zu begründen muss die Schwere der Straftat zusätzlich so hoch sein, dass ein „dringendes Bedürfnis besteht“, „andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (ebd.: 672, zur Wirksamkeit s. die folgende FN 97). Zusätzlich ist die Geeignetheit der Ausweisung zur Abschreckung anderer potentieller Täter zu prüfen. Dies ist nicht leicht festzulegen, denn es handelt sich ja um Annahmen über eine projizierte abschreckende Wirkung auf mögliche zukünftige Täter. Die Kommentarliteratur nennt hierzu vielerlei Deliktarten, bei denen eine generalpräventive Ausweisung zulässig erscheint; diese reichen von Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zu Unfallflucht (vgl. ebd.: 619). Die genannte Präventionslogik bilden das maßgebliche Paradigma des Ausweisungsrechts: Die Gesellschaft soll vor Schaden bewahrt werden. Im konkreten Fall des Ausländerrechts heißt das, eine Bedrohung soll abgewendet werden, die von einem „ausländischen“ Einzelnen oder von einer Gruppe potentieller „ausländischer“ Täter für die „deutsche“ Gesellschaft ausgeht. Aufgrund dieser schematischen Gegenüberstellung des Sie und Wir gilt diese Ausschlusstechnik in den meisten Fällen als fraglos zulässig – auf die Prüfung der tatsächlichen Wirkungen des Ausweisens wird verzichtet.97 In letzter kann. Beide Begriffe bezeichnen also das künftige Übel: die Bedrohung die Inaussichtstellung der Gefahr, die Gefahr die mögliche negative Wirkung. Der Begriff der Gefahr wird ausführlich diskutiert in Kap. 5.3. 97 Kritik an der präventiven Sanktionsbegründung knüpft einerseits an Zweifeln darüber an, ob der postulierte Zweck erreicht wird. So lässt sich die generalpräventiv abschreckende Wirkung der Ausweisungsdrohung schlicht nicht verifizieren; so lange die abschreckende Wirkung aber auch nicht ausgeschlossen werden kann wird sie als tatsächlich wirksam unterstellt (vgl. Beichel 2001; zum Versuch, die Abschreckungswirkung über Rückfallquoten von Straftätern zu messen, vgl. Hickman/Suttorp 2008). Was das spezialpräventive Ausweisen betrifft drängt sich andererseits der Einwand auf, dass zwar der Zweck, die Bedrohung von Rechtsgütern im Inland abzuwenden, durch einen räumlichen Ausschluss zweifelsohne erreicht wird. Ob allerdings europäische Binnengrenzen noch relevante Bezuggrößen schaffen ist fraglich, wie eine hypothetische Konstellation veranschaulicht: Ein italienischer Heroinsüchtiger, der wegen Beschaffungskriminalität und Drogensucht aus Deutschland nach Italien abgeschoben wird, kann faktisch ohne große Schwierigkeiten über die EU-Grenze nach Deutschland zurückkehren, wo er dann jedoch ohne Arbeitserlaubnis und ohne Gesundheitsversorgung lebt. Die Ausgangsbedingungen für ein normenkonformes Leben sind für ihn damit massiv verschlechtert, was innerhalb der Logik dieser Präventionstechnik als negativer Effekt zu werten wäre. Zudem steht zunehmend in Frage, ob die nationalstaatliche Begrenzung der Rechtswirkung in der globalisierten Welt zur Präventionsbewertung überhaupt noch hinreichend ist. In mittelamerikanischen Metropolen verursachen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahren kriminelle maras (Jugendbanden) ein massives Gewaltproblem, nachdem in gangs organisierte Straftäter aus dem USA in die Länder ihrer formalen Staatsangehörigkeit ausgewiesen wurden und dort angesichts fehlender 103
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Konsequenz ist es damit das Ausländisch-Sein der Auszuweisenden, das den Anknüpfungspunkt dieser Intervention bildet. Durch Verweisung oder durch deren Androhung soll die gesellschaftliche Funktion erfüllt werden, die Schädlichkeit eines „Ausländers“ abzuwenden.98
3.3.3 Zuständige Institutionen und rechtliches Verfahren Die Ausländerverwaltung in Deutschland gliedert sich in bundesweit etwa 600 lokale Ausländerbehörden auf, die den jeweiligen Landesinnenministerien unterstellt sind. Ebenso wie für die Ausstellung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln sind diese einzelnen Dienststellen auch für Ausweisungen zuständig. Da die Verwaltung in den verschiedenen Bundesländern bzw. Kreisen unterschiedlich organisiert ist kann die praktische Ausfertigung einer Ausweisung sowohl durch die für die betreffende Person jeweils zuständigen Sachbearbeiter/innen erfolgen als auch durch Mitarbeiter/innen, die speziell einer Arbeitsgruppe zur Aufenthaltsbeendigung angehören. Bis auf den Sonderfall der „Abschiebungsanordnung“ sind es also die Beschäftigten der lokalen Ausländerbehörden, die konkret Ausweisungen erlassen. Sie handeln bei der Prüfung, ob Ausweisungsgründe vorliegen, nach internen Weisungen, die ihnen von der jeweiligen Behördenleitung der Gesetzeslage folgend erteilt werden. Auch für die bereits erläuterte Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, falls ein Ausweisungsgrund vorliegt, sind die jeweiligen Sachbearbeiter/innen zuständig. Die in § 58a AufenthaltsG genannte „Abschiebungsanordnung“ wird vom jeweiligen Landes- oder vom Bundesinnenministerium ausgesprochen und umgeht gewissermaßen den Rechtsakt einer formalen Ausweisung durch die sofortig vollziehbare Abschiebung. Dazu muss eine „auf Tatsachen gestützte Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr“ vorliegen (zur Umsetzung s. u.) Wurde eine Ausweisung erlassen, kann innerhalb eines Monats beim Verwaltungsgericht dagegen geklagt werden. In einigen Bundesländern ist vorher auch ein behördeninternes Widerspruchsverfahren möglich. Das Gericht sozialer Bindungen und Aussicht auf Integration in den Arbeitsmarkt ihre Netzwerke reetablierten (Huhn/Oettler/Peetz 2008). Denn dass sich Nationalstaaten unerwünschte Straftäter gegenseitig zuschieben stellt keine „Lösung“ des Problems dar, was unter der historischen Perspektive oben bereits diskutiert wurde; s. Kap. 3.1.2. 98 Dadurch nimmt die Präventionsfunktion heute einen zum vorrechtsstaatlichen Begriff der Lästigkeit (s. FN 80) analogen Platz ein: was in Preußen und der Weimarer Republik der „lästige Ausländer“ war ist heute der ordnungsrechtlich bestimmte „gefährliche Ausländer“. 104
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(bzw. im Fall des Widerspruchs die Behörde selbst) prüft dann, ob die Ausweisung rechtmäßig war oder ob Umstände, die Rechte der Betreffenden auf Aufenthalt in Deutschland begründen, von der Behörde nicht berücksichtigt wurden. Solange der Rechtsweg beschritten wird ist die Ausweisung nicht rechtskräftig, d.h. der bisherige Aufenthaltstitel gilt weiter. Erst bei Abschluss des Verfahrens führt eine Bestätigung durch das Gericht zum Verlust des Aufenthaltrechts und die betreffende Person wird „ausreisepflichtig“. Kommt sie dieser Pflicht nicht selbst nach, kann die Ausreise auch „überwacht“ werden, die Person wird also abgeschoben. Nur in Fällen, in denen die Betreffenden bereits in Haft sind – etwa bei einer Ausweisung wegen Straftaten, die von der Ausländerbehörde während der Strafverbüßung erlassen und die noch vor Haftende rechtskräftig wird – schließt sich automatisch eine Abschiebung aus der Haft heraus an. Ist die Abschiebung wegen rechtlicher Hindernisse unmöglich – laut Genfer Flüchtlingskonvention „darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“ (§ 60 AufenthaltsG) – wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt („Duldung“). Ein legales Aufenthaltsrecht ist dadurch aber nicht begründet, die Betreffenden bleiben weiterhin ausreisepflichtig. In solchen Fällen ist bei einer Ausweisung wegen Terrorismusverdacht die „Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“ vorgesehen (§ 54a AufenthaltsG). Diese Personen müssen sich je nach Auflage u. Umst. wöchentlich bei der zuständigen Polizeidienststelle melden, können räumlich isoliert werden und die Benutzung bestimmter Kommunikationsmittel kann ihnen verboten werden.
Datenlage Bereits aus diesem knappen Überblick zur Gesetzeslage und zur Relevanz des Ausweisungsrechts in der Verwaltungspraxis geht hervor, dass der Ausweisungskomplex ein „sozio-politisches Brennglas“ (Sieveking 2001a) für den Ausschluss von „Ausländern“ im Nationalstaat darstellt. Insofern die Definition unerwünschten Verhaltens zur Beschränkung des elementaren Bürgerrechts des Verweilens im Land führt, kann zu Recht von einer Ausschlusstechnik gesprochen werden. Daran anschließend ist die Frage nahe liegend, welchen Umfang das tatsächliche Ausweisungsgeschehen genau annimmt. Wie viele der rechtmäßig dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen sind eigentlich tatsächlich von einer Ausweisung betroffen? Bei wie vielen wurde ein Aufenthaltstitel unter Bezug auf einen Ausweisungsgrund nicht verlängert? Um die soziale Relevanz des tatsächlichen Ausweisungsgeschehens abschätzen zu können, ist ne105
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ben diesen Fragen von unmittelbarem Interesse, welche Tatbestände wie oft zur Begründung einer Ausweisung/Nichtverlängerung herangezogen werden und wie die Ausgewiesenen sozialstrukturell zu verorten sind. Um keine Hoffnungen zu wecken: die vorliegenden aktuellen Zahlen, die im Folgenden referiert werden, sind nicht detailliert genug, um diese Fragen befriedigend zu beantworten. Das überrascht, denn Quellen zur statistischen Aufbereitung wären durchaus vorhanden. Diese Quellen werde ich zunächst benennen. Die anschließende Suche nach aussagekräftigen Veröffentlichungen kommt zu dem Ergebnis, dass sich auch in der Fachliteratur nur vereinzelt Zahlenangaben zum Ausweisungsgeschehen finden. Primärquellen Die besten Kenntnisse darüber, wer wann warum ausgewiesen wurde, haben die Praktiker in der Verwaltung. Die Ausländerbehörden selbst wissen notwendigerweise, wie viele Ausweisungen sie erlassen. Sie sind darüber hinaus angewiesen, eine „Ausländerdatei“ zu führen (§ 62 AufenthVO). Darin werden nicht nur Ausweisungen, sondern auch Nichtverlängerungen aufgrund eines Ausweisungsgrundes gespeichert.99 Diese Angaben zugänglich zu machen würde einer „Verzerrung“ der Ausweisungsstatistik (Kleinjans 1997: 26) vorbeugen, die Nichtverlängerungen von Aufenthaltstiteln unterschlüge. Denn der Zweck einer Ausweisung wird durch Nichtverlängerung mittelbar erreicht, allerdings ohne die betreffende Person auszuweisen. Der Vorgang erschiene damit nicht in einer Statistik, die sich auf Ausweisungen beschränken würde. Allerdings ist auf der Ebene der Ausländerdateien keine Gesamtsicht zu erreichen. Die etwa 600 lokalen deutschen Ausländerbehörden registrieren ihre Fälle für sich, eine Statistik wäre daher immer nur lokal zu erstellen. Einzige Abhilfe wäre die individuelle Abfrage bei ausgewählten Behörden, was sowohl mit hohem Aufwand verbunden wäre als auch die Kooperationsbereitschaft der Verwaltung voraussetzen würde. Eine weitere Frage lässt sich durch Angaben der Ausländerbehörden ebenfalls nicht beantworten: wie viele der erlassenen Ausweisungen werden rechtskräftig? Die lokalen Ausländerbehörden wiederum beliefern das Ausländerzentralregister (AZR) mit Daten. In ihm, seit 01.01.2005 geführt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), werden alle „Ausländer“, die sich nicht 99 „In die Ausländerdatei A sollen [...] folgende Daten aufgenommen werden: [...] 9. folgende ausländerrechtliche Maßnahmen jeweils mit Erlassdatum: [...] b) Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, [...] i) Widerruf und Rücknahme eines Aufenthaltstitels oder Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 5 oder § 6 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU, [...] k) Ausweisung“ (§ 65 AufenthVO). 106
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, registriert. Mit über 23 Millionen personenbezogenen Datensätzen ist es eines der großen deutschen Verwaltungsregister. Zumindest die erlassenen Ausweisungen ließen sich durch eine AZR-Anfrage rekonstruieren (wenn auch nicht im Detail die jeweiligen Ausweisungsgründe). Obgleich das AZR „den Verwaltungsbehörden zur Erfüllung von Aufgaben im ausländer- und asylrechtlichen Bereich dient, Unterstützungsfunktion als Instrument der inneren Sicherheit hat und für ausländerpolitische Planungen sowie die Ermittlung steuerungsrelevanter Größen verwendet wird“ (www.bamf.de), wurden die Daten in jüngerer Zeit weder durch das BAMF noch durch das BMI veröffentlicht. Kann daraus geschlossen werden, dass die mit der ausländerpolitischen Planung befassten Stellen die vorhandenen Quellen zum Ausweisungsgeschehen selber nicht auswerten? 100 Fachpublikationen In den vergangenen Jahren wurden nur vereinzelt Quellenauswertungen veröffentlicht.101 Kleinjans zitiert eine Anfrage im Bundestag von 1984 aus der hervorgeht, dass von 1980 bis Ende März 1984 insgesamt 36.819 Personen aus der Bundesrepublik ausgewiesen wurden (Kleinjans 1997: 26). Er weist darauf hin, dass das AZR nicht nach Ausweisungsgründen differenziert und referiert eine AZR-Querschnittsanfrage des Jahres 1991: vom 1.1.1987 bis zum 31.12.1990 wurden 23.760 Ausweisungen registriert (ebd.: 27).102 In Ermangelung einer aussagekräftigen Bundesstatistik führte Sieveking im März 1999 eine telefonische Anfrage bei fünf Ausländerbehörden (Berlin, Bremen, Frankfurt, Hamburg und München) durch, mit eher moderatem Ergebnis, wie er selbst einräumt (Sieveking 2001b: 120), denn die Angaben haben eher den Charakter von Stichproben denn von Längsschnitten. Eine detaillierte Aufschlüsselung der ergangenen Ausweisungen nach Ausweisungsgründen liefert lediglich die Hamburger Ausländerbehörde, vereinzelt werden Ausweisungen wegen Drogen-Delikten gesondert genannt. Ein summarischer Überblick kann für das Jahr 1997 erstellt werden: allein von den Ausländerbehörden in Bremen (456), Frankfurt (1.372), Hamburg (1.040) und München (1.133) wurden im entsprechenden Jahr über 4.000 Personen ausgewiesen. 100 Auch kriminologische Forschungsstellen, das statistische Bundesamt oder die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung können nur auf die fehlende AZRAuskunft verweisen. Meines Wissens gab es im Untersuchungszeitraum nur die unten besprochenen parlamentarische Anfragen von 1984 und 2007. 101 Rittstieg 1996: 41, Wegner/Durmus 1994: 13, Kleinjans 1997: 26, Sieveking 2001b: 119-123. 102 Angaben für die einzelnen Jahre 1985 bis 1990 liefern Wegner/Durmus. Demnach wurden 1985 3.493, 1986 3.602, 1987 4.233, 1988 6.049, 1989 7.291 und 1990 6.187 Personen aus der BRD ausgewiesen (Wegner/Durmus 1994: 13). Die Tendenz sei „seit 1990 eher steigend“ (ebd.: 14). 107
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Laut Sieveking hatte bis 1999 als einziges Bundesland Niedersachsen eine detaillierte Ausweisungsstatistik vorgelegt. Aus diesen Angaben geht hervor, dass von 1992 bis 1998 insgesamt 5.080 Personen aus Niedersachsen nach einer Ausweisung abgeschoben wurden. Von diesen ergingen 3.647 als KannAusweisung (§ 45 u. 46 AuslG1990), bei 1.433 handelte es sich um Ist- oder Soll-Ausweisungen (§ 47 AuslG1990, vgl. Sieveking 2001b: 120). Anfragen und Berichte Ebenfalls nach Ausweisungsgründen aufgeschlüsselt ist die Ausweisungsstatistik, die sich für das Land Berlin für die Jahre 2003 bis 2006 nach einer Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus erstellen lässt. Demnach wurden von 2003 bis 2006 von der Berliner Ausländerbehörde insgesamt 4.098 Ausweisungen erlassen, davon wurden im Jahr 2005 104 mit dem § 53, 123 mit § 54 und 297 mit § 55 AufenthG begründet, im Jahr 2006 waren es 142 (§ 53), 296 (§ 54) resp. 219 (§ 55 AufenthG, Drucksache 16/10 494, Abgeordnetenhaus Berlin). Erst die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur „Zahl der Ausweisungen von Ausländerinnen und Ausländern“ vom Mai 2007 (BTDr.16/5369) lieferte in jüngerer Zeit aktuelle bundesweite Zahlenangaben zum Ausweisungsgeschehen. Demnach liegt die Gesamtzahl der bundesweit zwischen dem 1. Januar 1991 und dem 30. April 2007 ergangenen Ausweisungen, kumuliert über den gesamten Zeitraum und ohne Differenzierung danach, ob die ergangenen Ausweisungen bereits rechtskräftig geworden sind, bei 270.261. Unanfechtbar wurden im gesamten Zeitraum 194.289 Personen ausgewiesen; davon befanden sich 12.728 noch im Land, 181.561 waren ausgereist. 75.972 Ausweisungen waren am 30.04.2007 noch anfechtbar (davon 13.780 Personen „aufhältig“; 62.192 ausgereist). Knapp 10% der Ausgewiesenen befanden sich also am Stichtag 30.04.2007 nach wie vor in Deutschland (26.508 Personen gegenüber 243.753 „nicht aufhältigen“ Ausgewiesenen). Der auffällige Anstieg des Ausweisungsgeschehens seit 1991 gegenüber den Vorjahren – der jährliche Durchschnitt von rund 17.600 liegt fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt der Jahre 1985 bis 1990 (s. FN 102) – ist mangels einzeln aufgeführter Jahreswerte nur schwer zu interpretieren. Überdies ist nicht erkennbar, welchen Aufenthaltstitel die Ausgewiesenen vorher besaßen und wie lange sie sich bereits in Deutschland aufhielten.103 Mit andern Worten: eine Differenzierung zwischen Menschen, die in Deutschland seit vielen Jahren lebten, u. U. hier geboren oder aufgewachsen waren, und sol103 Die Antwort auf die Kleine Anfrage differenziert lediglich nach dem Geschlecht der Ausgewiesenen sowie den Bundesländern, in denen die Ausweisungen ergangen sind. Insgesamt waren etwa 85% aller Ausgewiesenen männlich und 15% weiblich. 108
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
chen, die sich lediglich kurze Zeit im Land befanden und trotz einer bestehenden Ausreisepflicht zusätzlich etwa wegen unerlaubter Einreise ausgewiesen wurden, ist nicht möglich. Worauf genau also die hohe Gesamtzahl beruht, muss vor dem Hintergrund dieser kumulativen Statistik dahingestellt bleiben. Denn ebenso wenig, wie die jeweilige Aufenthaltsdauer, macht diese jüngste Auskunft der Bundesregierung die angewendeten Ausweisungsgründe transparent. Letztere finden in Ansätzen im „Bericht zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes“ vom Juli 2006 (BMI 2006) Erwähnung. Dieser liefert, bezugnehmend auf Darstellungen der Praktiker aus Verwaltung und Recht, vereinzelt Angaben zum Umfang von Ausweisungen. Unter der Überschrift „Innere Sicherheit/Terrorismusbekämpfung“ werden in der Evaluierung alle Ausweisungsgründe dargestellt, die mit dem Terrorismusverdacht in Zusammenhang stehen.104 Zu den „sicherheitsrelevanten Ausweisungstatbeständen“ (insbes. §§ 54 Nr. 5-7 und 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG) sowie zur „Abschiebungsanordnung“ (§ 58a AufenthG) finden sich in diesem Kapitel auch Zahlenangaben.105 Eine Abschiebungsanordnung (also eine Ausweisung durch das Innenministerium) sei bis zum Sommer 2006 nicht ergangen – weder auf Länder, noch auf Bundesebene. Als Begründung wird einerseits angeführt, es hätten „keine geeigneten Fälle bzw. entsprechenden Sachverhalte vorgelegen“ (BMI 2006: 174). Andererseits sei der Nachweis des Tatbestands „sehr schwierig“ und sollte dieser zu erbringen sein, wäre auch eine Ausweisung nach § 54 AufenthG möglich. Der Abschiebungsanordnung fehle schlicht das „Einsatzpotential“ (BMI 2006: 176). Im Jahr 2005 wurden in neun Bundesländern insgesamt 93 Ausweisungen wegen der als „sicherheitsrelevante Ausweisungstatbestände“ zusammengefassten Normen des Ausweisungsrechts erlassen. Davon sind bis Juli 2006 lediglich zwölf bestandskräftig geworden. In 80 weiteren Fällen würden zum Berichtszeitpunkt entsprechende Ausweisungen vorbereitet (vgl. BMI 2006: 178). Nicht in absoluten Zahlen, aber doch im Umfang angedeutet finden sich schließlich Angaben zur Versagung von Aufenthaltserlaubnissen und zur Versagung eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 8 AufenthG. So spricht 104 Als weitere diskussionswürdige bzw. umstrittene Bereiche der Ausweisungspraxis führt der Bericht die „Sanktionierung des Arbeitslosengeld II-Bezugs“, die „Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger“ sowie die „Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu anderen Abkommen mit Drittstaaten“ an. Über den Umfang der diesbezüglich ergangenen Ausweisungen werden jedoch keine Angaben gemacht. 105 Nicht weiter eingehen werde ich an dieser Stelle auf die im Bericht ebenfalls erläuterten Überwachungsmaßnahmen (sollte zwar eine Ausweisung, aber keine Abschiebung möglich sein). 109
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
der Bericht von „einer Reihe von Fällen“ und von „einer Vielzahl“ verwehrter Aufenthaltserlaubnisse bzw. der Prüfung derer Versagung. Dies belege, „dass sicherheitsrelevante Ausweisungstatbestände in der Praxis genutzt werden“ (BMI 2006: 179). Abschließend ist festzuhalten, dass keine umfassende aktuelle Gesamtstatistik zugänglich ist aus der hervorginge, welche Personen (Geschlecht und Alter, Dauer des Aufenthalts, EU-Angehhörige oder Drittstaatler) mit welcher Begründung (welche Straftat, Armut, Terrorvorwurf) von welcher Ausländerbehörde (Bundesland) ausgewiesen wurden. Ebenso wenig ist bisher einzuschätzen, wie viele dieser Ausweisungen vor Gericht bestand hatten. Schließlich ist die Effektivität des Externalisierens von Devianz, das durch Ausweisungen erreicht werden soll, erst dann einzuschätzen, wenn Informationen darüber vorlägen, wie viele der Ausgewiesenen Deutschland tatsächlich verlassen haben bzw. ob tatsächlich weiterhin ein Einreiseverbot vorliegt (oder ob etwa durch eine Heirat erneut ein Aufenthaltstitel erworben wurde und die ausgewiesene Person wieder in Deutschland lebt). Am hinderlichsten dafür, die materiellen Folgen der Ausweisungspraxis einschätzen zu können, wirkt m. E. aber das Fehlen belastbarer Daten hinsichtlich des Anteils, den einzelne Ausweisungsgründe am tatsächlichen Ausweisungsgeschehen haben. Denn die Aufgabe einer differenzierenden Darstellung wäre es, inhaltliche Fallgruppen zu vergleichen: die tatsächliche Bedeutung der Ausweisung von Armen, Kranken, Drogenabhängigen und ‚gewöhnlichen‘ Straftätern einerseits, der Ausweisung von wegen kultureller Abweichung ‚gefährlichen Ausländern‘ und derer, die als „besonders gefährlich“ gelten, weil sie mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden können, andererseits. Erstere spielen in öffentlichen Debatten der seit den späten 1990er Jahren so gut wie keine Rolle. Bei Letzteren ist neben ihrer den Diskurs dominierenden Rolle zusätzlich von Bedeutung, dass Ausweisungen ‚auf Verdacht‘ rechtstaatlich bedenklich sind.106 In allen Fällen stellt sich aber gleichermaßen die Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Normalität und nach den möglicherweise divergierenden Logiken, die hinter dem Hinausdefinieren von Abweichung steht. So drängt sich Angesichts des Sozialhilfebezugs als Ausweisungsgrund eine Thematisierung von sozialer Ungleichheit und Klassenlage als Differenzmerkmal geradezu auf. Würden Zahlen zur Hinausweisung von sozialer Abweichung turnusmäßig veröffentlicht, würde die (Fach-) Öffentlichkeit möglicherweise ein Interesse formulieren zu erfahren, mit wel-
106 Zur Warnung vor „zu starkem Aktionismus“ vgl. etwa Schmahl 2004. 110
AUSWEISUNGSRECHT UND AUSWEISUNGSVERFAHREN
chen Argumenten etwa die Ausweisung von Einwohnern mit türkischer Staatsangehörigkeit, die in Altersarmut geraten, gerechtfertigt wird.107 Der Evaluierungsbericht des BMI liefert zum Typus des „gefährlichen Ausländers“ im engeren Sinne zumindest partielle Einblicke. Demnach sind in den ersten 18 Monaten ihrer Anwendbarkeit erst ein Dutzend Ausweisungen nach den Extremismus-Gründen bestandskräftig geworden (s. o.). Noch Anfang 2005 hatten sich Unions-Politiker mit der Aussage zitieren lassen, die Ausweisung von mehreren hundert „Islamisten“ (im Original ohne Anführung, 20050124-Spiegel) sei möglich und notwendig. Zweifelsohne hat es einen konkreten Effekt, das tatsächliche Ausweisungsgeschehen einer kritischen (Fach-)Öffentlichkeit vorzuenthalten. Die Forderungen nach Ausweisungsschutz für in Deutschland Geborene oder hier aufgewachsene Jugendliche ohne deutsche Staatsangehörigkeit – die eigentlich längst „Inländer“ geworden sind (2005 lebten über 3 Millionen „Ausländer“ länger als 15 Jahre in Deutschland) – finden seit Jahren keinerlei öffentliche Resonanz.108 Diese im Vergleich zu anderen EU-Ländern auffällige Ruhe kann nicht aus der Rechtslage resultieren – kaum ein europäisches Ausweisungsrecht ist so streng wie das Deutsche (vgl. Groenendijk/Guild/Barzilay 2001).
107 Diese politische Brisanz bildet sich in einer Formulierung des Evaluierungsberichts zur „Sanktionierung des Arbeitslosengeld II-Bezuges“ als Ausweisungszweck ab: „Es bedarf allerdings einer politischen Bewertung, ob es sich auf Grund dieses Evaluierungsergebnisses empfiehlt, § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG entsprechend zu ändern.“ (BMI 2006: 154). Zur Ausweisung bei Inanspruchnahme von Sozialleistungen vgl. Wegner 1994. 108 Diese Forderung wird zwar vereinzelt vertreten, doch sie ist in der Öffentlichkeit nicht vernehmbar – was auch für den Expertendiskurs gilt. Schon der 53. Deutsche Juristentag 1980 forderte einen absoluten Ausweisungsschutz für im Lande geborene und aufgewachsene Ausländer; ähnlich äußerte sich auch die Rechtsberaterkonferenz 1999 und 2003, um nur einige Beispiele zu nennen. 111
4 Die Ana l ys e disk ursi ve r Ereignisse
Eingangs wurde theoretisch begründet, weshalb Differenzsetzungen im Ausweisungsdiskurs aktualisiert werden. Das anschließende Kapitel 5 wird im Detail darlegen, wie diese Differenzsetzung auf der symbolischen Ebene einen benachteiligten Status der Anderen erzeugt und damit sozialen Ausschluss legitimiert. Ich werde konkret der Frage nachgehen, wann, inwiefern und weshalb Ausweisungen in Deutschland öffentlich relevant waren, also in welchen gesellschaftlichen Situationen sich der Gehalt des Ausweisungsbegriffes in öffentlichem Reden verändert hat und wie. Ebenso wird untersucht, auf welche Gruppen bezogen Ausweisungen als jeweils zulässiges bzw. umstrittenes Mittel galten und wie das begründet wurde. Dieses empirische Vorgehen zielt auf die Rekonstruktion des (gegenwärtigen) Wissens über Differenz, dessen Strukturierung im und durch das öffentliche Reden über Ausweisungen untersucht werden kann. Daher werde ich im Folgenden zunächst die methodologischen Prämissen meiner Forschung benennen, Umfang und Herkunft des Materials darlegen und schließlich erläutern, wie ich konkret vorgegangen bin.
4.1 Prämissen, Begriffe und Material der Untersuchung Nach der oben erläuterten konstruktivistisch-interpretativen Grundperspektive wird alles, was wir wahrnehmen, „über sozial konstruiertes, typisiertes, in unterschiedlichen Graden als legitim anerkanntes und objektiviertes Wissen, also über Bedeutungen und Bedeutungsschemata vermittelt“ (Keller 2001: 113). Folglich strukturiert diskursive Praxis über die Strukturierung des Denkens, über die Einschränkung von Kontingenz, auch das Handeln. Das diskursive Geschehen ist nicht zentral gelenkt, insofern ist jedes einzelne Individuum an der Entstehung der Diskurse (zumindest mit-) beteiligt. Diskursive Macht ist jedoch nicht gleich verteilt, bestimmte Gruppen haben einen leich113
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
teren Zugang zu Öffentlichkeit und eine privilegierte Position bei der Durchsetzung ihrer Weltsicht. Dieser Umstand wird als Sprechposition in der diskursiven Praxis relevant. Diskurse sprechen nicht ‚für sich selbst‘, sondern sie werden erst durch Akteure ‚lebendig‘, allerdings sind die Diskurse den Akteuren, die sie tragen, vorgeordnet: „Individuen, die Sprecherpositionen bzw. Sprecherrollen innerhalb von Diskursen wahrnehmen, müssen institutionell reglementierte Voraussetzungen erfüllen. Sie sind weder die völlig freien Gestalter dieser Diskurse, noch sind sie ihnen völlig unterworfen oder ausgeliefert. Als aktiv Handelnde und Wahrnehmende sind sie Repräsentanten diskursiver Kreuzungen, stehen in einem komplexen Verhältnis der Ermöglichung und Begrenzung.“ (Ebd.: 134)
Die diskursiven Themen und Argumente sind schon vor ihrer Nutzung durch die Akteure im Diskurs vorhanden bzw. dort entstanden oder ‚im Entstehen‘. Ebenso sind Sprechpositionen nicht etwas außerdiskursives, sondern innerhalb der diskursiven Ordnung den Einzelnen ermöglichte oder erschwerte Einflussnahme. „Insofern die in Diskursen transportierten Inhalte als derzeit gültige ‚Wahrheiten‘ als Applikationsvorgaben (Vorbilder) für individuelles und gesellschaftliches Handeln fungieren“ (Jäger/Jäger 2002: 19) ist die innerhalb und durch die symbolische Ordnung geregelte Sagbarkeit also mit Machteffekten verbunden. Die Wirksamkeit dieser diskursiven Wahrheitspolitiken (Bührmann 1995) kann empirisch gezeigt werden, indem die Logiken dieses Regelwerks benannt und die Folgen der durch sie bewirkten Kontingenzeinschränkung gezeigt werden. Um zu untersuchen, wie die symbolische Ordnung einer Gesellschaft „in und durch die Diskurse produziert und reproduziert“ wird (Schneider 1999: 89), nehme ich thematische Konjunkturen in den Massenmedien in den Blick.1 Die Bedeutung alltäglicher Präsenz medialer Wirklichkeitskonstruktion ist bereits als ‚Binsenweisheit‘ (Torfing 1999: 211) bezeichnet worden. „Products of media culture provide materials out of which we forge our very identities“ (Kellner 1995: 5). Massenmedien bilden Wirklichkeit nicht einfach nur ab, sondern sie schaffen sie mit, indem sie kollektiv geteiltes Wissen ordnen und strukturieren. Denn wir alle machen unsere Erfahrungen nicht oder nur in seltenen Fällen als direkte Beobachtung, sondern viel öfter über Vermittlungen in Form von Interaktionen oder über Bücher u. a. Medien. Durch hohe Nutzungsfrequenz der Massenmedien (täglicher Fernsehkonsum, aktuelle Nachrichten in Tageszeitungen) bilden diese für solche ‚vermittelte Beobachtung der Realität‘ – und damit für die Formung der subjektiven Realitä1
Unter Massenmedien fasse ich Fernsehen, Radio, Film, Musik, Printmedien und Internet zusammen.
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DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
ten – eine wesentliche Quelle. Sie rahmen unsere Deutungskompetenz (vgl. etwa Bourdieu 1998). Medien informieren also nicht nur, sie formieren Bewusstsein (Jäger/Jäger 2002: 15). „Das Wissen, das der Diskurs, und dabei in modernen Gesellschaften insbesondere der mediopolitische Diskurs, bereitstellt, formiert Subjekte und dominiert als gesellschaftlicher Diskurs den mainstream des (hegemonialen) gesellschaftlichen Wissens und damit die Gestaltung von gesellschaftlicher Wirklichkeit generell. Dies können Diskurse deshalb, weil sie ihr Wissen in kontinuierlich verabreichten kleinen Dosen, die aber rekursiv an die RezipientInnen herangetragen werden, allmählich in festes und allgemein anerkanntes, also gültiges Wissen verwandeln, das vielfach den Status von ‚Wahrheit‘ oder zumindest doch ‚Richtigkeit‘ erreicht“ (ebd.: 16).
Es ist nicht möglich, durch eine diskursanalytische Perspektive direkt Zugang zu alltäglicher Praxis individueller Akteure zu erhalten. Dennoch werden auch Alltagsbegriffe und entsprechende Kategorien aus den Medien bezogen, was vielfach durch empirische Studien belegt ist (vgl. Merten 1999 u. Pfeiffer 2004). Besonders Vorstellungen von Laien über fachspezifische Wissensordnungen sind zudem medial vermittelt. Es liegt nahe, dass dies speziell für das Wissen über Ausweisung gilt: da es bei Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung2 in den seltensten Fällen unmittelbarer persönlicher Erfahrung erwächst, nimmt die Bedeutung medialer Repräsentation zu. Durch die MedienAuswertung mache ich also diesen vororganisierten und überindividuellen Wissensbestand einer Analyse zugänglich. Neben den massenmedialen Ausweisungsdebatten interessieren mich aber auch die entsprechenden formalen Regelungen, also das Ausländerrecht und dessen Wandlungen, denn auch dort finden sich Hinweise auf Differenzsetzungen. Daher bilden das positive Recht, also die entsprechenden Paragraphen des Ausländerrechts sowie die entsprechenden Gesetzesentwürfe und deren Debattierung im Parlament wesentliche Quellen für die Analyse.3 In Kapitel 3 habe ich bereits die Veränderungen des Ausweisungsrechts im Untersuchungszeitraum erläutert. Bis zur Entstehung zentralstaatlicher Ausweisungskompetenz reichte dort der Blick zurück in die deutsche Geschichte. Dies war notwendig, um zentrale Topoi des zeitgenössischen Ausweisungs2
3
Der Bezug auf eine vermeintliche „Mehrheit“ ist nicht numerisch zu verstehen, sondern drückt sich in deren hegemonialer diskursiver Position aus. Neben dem Selbstverständnis der diskursiv dominanten Gruppe existieren in einer heterogenen Gesellschaft viele andere Positionen, die aber nicht machtvoll genug sind, die Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung als ‚normal‘ (weiß, deutschsprachig, u. U. christlich, usw.) zu unterminieren. Die Rechtsanwendung in Verwaltung und Justiz ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Lediglich Entscheidungen der Gerichte werden mit einbezogen, wenn Urteile Gegenstand der Presseberichterstattung sind (s. Kap. Datenlage). 115
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
diskurses zu kontextualisieren. Die einzelnen rechtlichen Normen entstehen nicht von selbst und stehen nicht unveränderlich fest, vielmehr ist ihr Zustandekommen von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis der in ihnen materialisierten Macht. Daher kann eine Analyse des juristischen Fachdiskurses die Aktivität der Legislative nicht ausklammern. Zugang zu diesem Feld der Diskursproduktion bilden Protokolle der relevanten Plenardebatten im deutschen Bundestag, Erklärungen der Bundesregierung und Gesetzesbegründungen sowie Programme bzw. programmatische Texte von politischen Parteien.4 Tatsächlich sind dieser fachspezifische Spezialdiskurs, seine Wirksamkeit in der Politik und die mediale öffentliche Vermittlung eng miteinander verflochten. Die spezialdiskursive Bearbeitung eines Themas kann durch dessen mediale Repräsentation ausgelöst werden. Das ist beispielsweise immer dann der Fall ist, wenn populistische Gesetzesinitiativen auf Medienereignissee zu reagieren vorgeben (dies diskutiere ich ausführlich in Kap. 5.1 und 5.4). Andererseits transportieren und transformieren die Massenmedien oft spezialdiskursives Fachwissen. Das Wissen von Experten und Expertinnen wird so allgemeinverständlich gemacht, popularisiert. Dies wird von Jäger die „interdiskursive“ Funktion der Medien genannt5 und kann konkret heißen, dass Presseberichte Inhalte einer Parlamentsdebatte oder eines Gesetzestextes wiedergeben, dann jedoch unter Einhaltung der in der massenmedialen Arena6 gülti4
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Durchgehend geht die Forschungsanlage von vorhandenen „natürlichen“ Daten aus. Damit sind Daten gemeint, die „nicht von Wissenschaftlern für einen bestimmten Zweck methodisch kontrolliert ‚künstlich‘ hergestellt“ wurden (Soeffner 1999: 46, FN 7; vgl. auch Reichertz 1999: 333). Aufgrund der Fülle des Materials ist es für meine Perspektive nicht notwendig, durch Forschungsinterviews oder Beobachtungen zusätzlich Daten zu generieren. Meine Konstruktionsleistung lag in der Auswahl und Schwerpunktsetzung, durch die der Materialkorpus entstand (s. u.). Außerdem führte ich zur Orientierung im Feld einzelne Gespräche mit juristischen „Expertinnen“, die jedoch nicht systematisch in die Diskursanalyse einbezogen wurden. Laut Jürgen Link ist der Interdiskurs definiert als die Gesamtheit des aus den verschiedenen Spezialdiskursen stammenden und nun in besonderen Redeformen mit totalisierendem und integrierendem Charakter selektierten ‚AllgemeinWissens‘; dieses wird von den Mitgliedern eine Gruppe für selbstverständlich gehalten und als Wissen bei den anderen Mitgliedern fraglos vorausgesetzt. Wie im Spezialdiskurs die Ordnung des Wissens eine spezifisch in diesem Diskurs gültige Realität(-ssicht) hervorbringt, bringt das (geteilte) Alltagswissen die Wirklichkeit der Alltagswelt überhaupt erst hervor (vgl. Berger/Luckmann 1969). Der Interdiskurs unterliegt keiner expliziten und systematischen (spezialdiskursiven) Regelung, verweist aber auf Dominanzverhältnisse zwischen den Spezialdiskursen und auf deren jeweilige Wertepräferenzen (vgl. Link 1986: 5). Mein Begriff der Arena entspricht dem ‚diskursiven Feld‘, in dem spezifische Regeln für die Konstitution bzw. Definition eines Phänomens gelten; das diskursive Feld (Politik, Medien usw.) ist aber nicht eindeutig abgrenzbar und nimmt auf andere Felder Bezug. Der Begriff der Arena verdeutlicht m. E. mehr als das ‚Feld‘ die Tatsache, dass in der jeweiligen Arena Akteure bestimmte Rollen zu-
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DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
gen Regeln (dies diskutiere ich an Beispielen ab S. 232). Schließlich folgen auch die Aussagen in der Arena der Politik bereits weit mehr interdiskursiven Regeln als dem, was spezialdiskursiv als wahr gesetzt ist, was etwa am Einsatz bestimmter Metaphorik7 in Parlamentsreden zu erkennen ist. Dies gilt in besonderem Maße, sobald einzelne Äußerungen aus dem juristischen Fachwissen in der Presse eingesetzt werden und die im Spezialdiskurs etablierte Wahrheit nicht mehr ungebrochen gilt (wie das etwa für die ordnungsrechtliche „Gefahr“ der Fall ist, s. Kap. 5.3.2). Die Ordnung im Spezialdiskurs des Rechts erwächst dessen expliziter Aufgabe, Normen zu setzen und durchzusetzen.8 Formal-rechtliche Konstruktionen von Normverletzung konstituieren spezialdiskursiven Ausschluss, etwa durch die Kriminalisierung von „Ausländern“ (oder, in Fall der Ausweisung, durch eine dem Strafen analoge Funktion, s. Kap. 3.3.2). Im rechtlich-politischen Diskurs gilt dann ein bestimmter Ausschluss als zulässig, die Ausschlussbegründung als ‚wahr‘. Wird diese Wahrheit in Presse und Politik argumentativ eingesetzt, macht sich auch dort deren Machtwirkung bemerkbar – etwa wenn es darum geht, Sanktionsforderungen plausibel werden zu lassen. In der Tradition des labeling-Ansatzes (vgl. Peters 1996) wird daher untersucht, wie eine derartige spezialdiskursive Argumentation im Interdiskurs wirksam wird. Die Presse integriert also in ihrer interdiskursiven Mischung aus (Kollektiv-)Symbolik und Verschränkungen verschiedener Diskursstränge jeweils unterschiedliche Wahrheitspolitiken innerhalb eines gemeinsamen Themas – hier dem Ausweisungsdiskurs.9 Diese Untersuchung thematisiert nicht in erster Linie, ob Wirklichkeit in der Presse oder in politischen Reden ‚korrekt‘ wiedergegeben wird. Hier ist bedeutsam, dass in den analysierten Diskursfragmenten10 gewiesen bekommen, der Zugang zur Diskursproduktion geregelt ist und die diskursiven Möglichkeiten vorstrukturiert sind („die Chancen, sich mit Deutungsangeboten gegen Konkurrenz durchzusetzen“, vgl. Schwab-Trapp 2006: 37 und Keller 2004: 64). 7 Gemeint ist vor allem Kollektivmetaphorik wie Kollektivsymbole (allgemein geteilte Deutungsmuster) oder soziale Topoi (kommunikative Gemeinplätze), vgl. Schneider 1999: 86. 8 Ich verstehe Normen hier im Sinne von Regeln, die einen Handlungsmaßstab setzen, vgl. Hesse 2004: 25. Von Normsetzung auszugehen ist eine mögliche Minimaldefinition der gesellschaftlichen Funktion des Rechts; mit dem Bezug auf Normen wird freilich implizit ein „verhaltenstheoretischer Erklärungsansatz“ (Röhl 2006) nahe gelegt, der bereits nur einer von vielen alternativen Verständnissen von Recht in der Gesellschaft ist. 9 Mit Diskursstrang ist der jeweilige Sinnbezug von Wissenselementen der diskursiven Praxis gemeint; diskursiv thematische Stränge bestehen aus Aussageketten, deren Wechselbezüge sowohl der diskursiven Praxis als Struktur dienen als auch von ihr strukturiert werden, was unten genauer erläutert wird. 10 Ich bezeichne einen Einzeltext als Diskursfragment im Sinne von „Aussageereignis, in dem Diskurse mehr oder weniger umfassend aktualisiert werden“ (z. B. ein Zeitungsartikel, eine Rede im Parlament, vgl. Keller 2004: 64). Der 117
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
„keine vorgängige Wahrheit widergespiegelt wird, sondern dass eine spezifische Wirklichkeit, spezifische Wahrheiten und spezifische Bedeutungen hervorgebracht bzw. konstruiert werden.“ (Bührmann 1995: 25)
Ob es sich im Einzelfall um eine wahrheitsgemäße Darstellung der Realität handelt ist sekundär, denn der Mediendiskurs oder eine bestimmte machtvolle Aussage ist Realität. Von diskursanalytischem Interesse ist hingegen die Logik, die bestimmten Aussagen Wahrheit verleiht, ist „die Frage nach den diskursiven Effekten, die vom Diskurs ausgehen“ (Jäger u. a. 1998: 19) – und damit auch, ob ‚sachliche Richtigkeit‘, die ja im Einzelfall durchaus überprüfbar sein mag, überhaupt eine relevante Größe darstellt. Dabei beziehe ich mich stets auf die diskursiven Effekte nicht eines einzelnen Diskursfragments, sondern der diskursiven Praxis in ihrer (annähernden) Gesamtheit (bezogen auf einen oder mehrere Diskursstränge). Untersucht wird beispielsweise eine „Serie von Artikeln mit immer gleichen oder ähnlichen Botschaften und Bildern, die zum Aufbau fester ‚Wissens-‘Bestände führen“ (ebd.: 20). Ebenso rückt die Verbindung von verschiedenen Themen oder diskursiven Ebenen ins Zentrum der Untersuchung.11 Damit ist dieser Blickwinkel auf die diskursiven Ordnungseffekte, und nicht auf intendierte Wirkungen der Medien beschränkt. Ich begreife Massenmedien als innerhalb eines machtvollen Regelwerks situiert. Sie sind in ihren Argumentationen nicht frei, schaffen aber in ihrer diskursiven Aktivität neue – mitunter veränderte – Regeln, die im weiteren Kommunikationsverlauf auch für ihre eigene Praxis relevant werden. Da ich meine Fragestellung in ihren Kontinuitäten und Wandlungen untersuchen möchte, widmete ich mich bestimmten ausgewählten Zeiträumen in den vergangenen 18 Jahren detailliert. Von 1991 (dem Inkrafttreten des reformierten Ausländergesetzes) bis zum Jahr 2007 (zugleich dem dritten Jahr des novellierten Ausländerrechts wie auch dem Zeitpunkt, an dem die systematische Quellenauswertung für vorliegenden Text endete) sind vielfach Konjunkturen und Flauten des Redens über Ausweisungen festzustellen, die dieser Untersuchung als Orientierung dienten. Aus welchen Quellen das Material stammt und welche Schwerpunkte darin gesetzt wurden, werde ich gleich ausführlich erläutern. Begriff Fragment macht deutlich, dass ein einzelner Text nie für sich alleine betrachtet werden kann; die in ihm enthaltenen Aussagen tragen eine Bedeutung immer vor dem Hintergrund der in der diskursiven Praxis geltenden Regeln. 11 Zu solchen Knotenpunkten kommt es etwa wenn sich an Nahtstellen zwischen mehreren Spezialdiskursen (mit eigenem Vokabular oder eigener „Grammatik“) ein Interdiskurs herausbildet; wenn ein Spezialdiskurs besonders dominant wird; wenn ein Thema in einen größeren Wertezusammenhang (Moralisierung, gesamtgesellschaftliche Bedeutung) eingebunden wird; oder wenn der Wahrheitsanspruch explizit gemacht wird (Verweis auf Statistik, Fallbeispiel o. ä.); vgl. Schneider 1999: 85. 118
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
Die konkrete Umsetzung meiner Forschung folgt einem prozessorientierten Ansatz, der Forschung als reflexive Interaktion mit dem Material versteht. Das bedeutet vor allem, dass nicht schon zu Beginn festgelegt war, welches Material einbezogen wurde. Es wurde also keine zufällige Datenauswahl durchgeführt, sondern ein theoretical sampling angewendet (vgl. Schröer 1997), das einzelnen thematischen Strängen inhaltlich begründet nachging. Das bedeutet weiterhin, dass die Generierung von theoretischen, interpretativen Konzepten zentral war, also nicht vorgefertigte Kategorien dem Material zugewiesen wurden. Darin drückt sich der Anspruch aus, dass Forschung selbst ein Prozess ist und dieses methodisch reflektieren muss. Diesen Prozess verdeutliche ich im Folgenden als Abfolge von inhaltsanalytischer Fokussierung, theoretisch begründeter Zusammenstellung des Materialkorpus sowie dessen detaillierter Feinanalyse.
4 . 2 Ab l a u f d e r U n t e r s u c h u n g 4.2.1 Inhaltsanalytische Identifikation diskursiver Ereignisse Um bei der Auswahl der zu interpretierenden Diskursfragmente sicherzustellen, dass die wichtigsten Themen und Diskursverläufe im relevanten Zeitraum berücksichtigt werden, ging ich in der ersten Forschungsphase inhaltsanalytisch vor. Die deskriptive Inhaltsanalyse von Printmedien strebte zunächst nur an, den gesamten Zeitraum 1991 bis 2007 zu überblicken und dabei die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte zu identifizieren, um die vorkommenden Themen zu explizieren sowie die Zeitspanne und den Umfang ihres Auftretens zu benennen. Die Inhaltsanalyse der Massenmedien blieb aus pragmatischen Gründen auf Printmedien beschränk. Ausgewertet wurden zwei überregionale Tageszeitungen, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Durch deren Charakter als Leitmedien12 eröffneten sie einen guten Zugang zum öffentlichen Mediendiskurs; außerdem sind sie für den größten Teil meines Untersuchungszeitraumes elektronisch archiviert und liegen somit bereits in schriftlicher Form vor. Deren Datenbanken wurden mittels einer Kombination aus Titelsuche und Ressortauswahl recherchiert. Enthält der Titelbereich (Ti12 Themen und Argumente, m. a. W. Diskursstränge, sind nicht ‚von außen‘ beeinflusst, sondern entstehen innerhalb diskursiver Auseinandersetzungen; daher verwerfe ich einen Ansatz, der Leitmedien als Agenda-Setter versteht (wie etwa Merten 1995: 318ff). SZ und FAZ gelten aber als „Meinungsführermedien“, „denen Breitenwirkung zukommt, da sich auch andere Medien an ihnen orientieren, und die sich damit als Indikatoren für die übrigen Zeitungen und Zeitschriften heranziehen lassen“ (Scheufele/Brosius 2002: 171). Die FAZ hatte laut IVW im IV. Quartal 2007 eine Verbreitung von 391.114 Exemplaren, die SZ von 442.368. 119
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
tel und Untertitel) Flexionen von „Ausweisung“ bzw. „ausweisen“ ist von einer hohen Relevanz der gefundenen Artikel auszugehen. Durch den Ausschluss sachfremder Ressorts können thematisch einschlägige Ergebnisse erzielt und irrelevante verringert werden (wie etwa die „Ausweisung von Bauland“ oder die „ausgewiesenen Unternehmensgewinne“).13 Die Recherche setzt mit dem Jahr 1991 ein. Damals trat das seit 1965 erstmals grundlegend novellierte Ausländergesetz in Kraft, das damit auch das erste derartige gesamtdeutsche Regelwerk war (s. Kap. 3.2.3). Es galt die 1990er Jahre hindurch und seine Ausweisungsnormen wurden auch mit dem Zuwanderungsgesetz von 2004 kaum verändert (s. S. 87). Der Untersuchungszeitraum endet mit dem Abschluss der systematischen Quellenerhebung Ende 2007 (s. auch FN 16). Zur ersten Orientierung in diesem langen Zeitraum wurden die Titelbereiche im Gesamtbestand der beiden Tageszeitungen durchsucht, d.h. die Suche wurde nicht auf bestimmte Zeiträume oder Artikelformen (etwa nur die Aufmacher oder die Kommentare) eingeschränkt.14 Insgesamt führte diese erste Recherche, nach dem manuellen Ausschluss irrelevanter Treffer, zu insgesamt 646 Artikeln. Diese einzelnen Diskursfragmente wurden mit einer inhaltlichen Beschreibung versehen und nach Kategorien (wer/vom wem/weshalb ausgewiesen wird) geordnet. Konkret bedeutet das, sie wurden inhaltlich mit einer „Überschrift“ für das Thema bzw. den Anlass des Berichts versehen (codiert). Die Flexibilität der induktiven Codierung wurde durch Softwareeinsatz sichergestellt (MAXqda). Abbildung 3 stellt einen Auszug aus dem entsprechenden Codebaum sowie ein Textbeispiel dar. Eine erste Spezifizierung der zu untersuchenden thematischen Stränge ergab sich durch die Einschränkung auf individuelle Ausweisungen aus Deutschland (denn bei den über 600 Gesamttreffern handelt es sich keineswegs immer um Artikel, bei denen es tatsächlich um Ausweisungen im engeren Sinne ging)15. Nur diese wurden bei der folgenden Kategorisierung der Ergebnisse zu Ausweisungen aus Deutschland (41 Artikel zu „Extremisten“ und 93 Artikel zu „Straftätern“) einbezogen. Dies führte dazu, dass folgende Kategorien insofern hervorstachen, als sie inhaltlich hervorstechende Thema13 Der Titelbereich von FAZ und SZ wurde mit folgender Wortkombination durchsucht: ausweisung* | ausweisen | auszuweisen* | ausgewiesen* | (weisen | weist) & aus. 14 Für die frühen 1990er Jahre musste die Presse-Recherche ganz konventionell durch Lektüre durchgeführt werden, da die Jahrgänge 1991 bis 1993/94 nicht digital erfasst wurden. Dabei beschränkte ich die Suche in SZ und FAZ auf das Politikressort (Nachrichten, Kommentare und Leserbriefe) sowie auf „Vermischtes“. 15 Ausgeschlossen wurden kollektive Ausweisungen anderer Staaten, Abschiebungen und Auslieferungen sowie Ausweisungen von Diplomaten (denn diese unterliegen gerade nicht dem Ausländerrecht, sondern sind als Repräsentanten eines anderen Nationalstaats der jeweiligen innerstaatlichen Verfügung entzogen). 120
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
tiken bezeichneten. Auffällig sind zunächst die Berichte über „Landfriedensbruch“ – damit sind ausschließlich Demonstrationen von Kurden gemeint – und über den „Fall Mehmet“. Diese lassen sich auf wenige Jahre eingrenzen: die Kurden-Berichterstattung auf die Jahre 1994-97 (und in geringem Umfang auch 1999), der „Fall Mehmet“ sogar noch genauer auf 1998/99. Zudem setzt mit dem Jahr 2001 eine verstärkte Berichterstattung über Ausweisungen von „Extremisten“ ein, mit einer deutlichen Ballung im Kontext legislativer Aktivität des Terrorismusbekämpfungsgesetzes 2001 und des Zuwanderungsgesetzes 2004. Abbildung 3: Auszug Codebaum
Während meiner Beschäftigung mit dem diskursiven Geschehen bildete sich ein weiteres Medienereignis nach und nach heraus, dass wegen seiner legislativen Folgen und seiner Aktualität ebenfalls in die detaillierte Analyse aufgenommen werden musste: die Debatte über gewalttätige Schüler, den „Ehrenmord“-Prozess in Berlin und die Sanktionierung von „integrationsfeindlichem“ Verhalten.16 Daher ist eine Schwerpunktsetzung auf diese vier Themen, um die vehemente öffentliche Debatten geführt wurden, angezeigt. Es handelt sich für meine Untersuchung um „Schlüsselereignisse“ in der Analyse des öffentlichen Redens über Ausweisung: Sie spannen den Bogen von der Berichterstattung über die „Krawall-Kurden“ 1996 und der sich darauf beziehenden Gesetzesverschärfung 1997, über den „Fall Mehmet“ von 1998 als Prototyp des „nicht integrierten jugendlichen Mehrfachtäters“ und die nach dem 11. September 2001 begonnenen, 2002 bzw. 2004 wiederkehrenden Debatten über 16 Zum Jahreswechsel 2007/2008 tritt eine auf wenige Wochen begrenzte Debatte um „ausländische“ Straftäter auf, bei der Ausweisung erneut als Reaktion auf Jugenddelinquenz vorgeschlagen wird. Dieses Ereignis verfolge ich nicht mehr systematisch, da auch nach Abschluss der Quellenrecherche fortwährend neue Diskursfragmente entstanden, gehe allerdings im Ausblick nochmals darauf ein. 121
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
die Bekämpfung der „Terrorgefahr“ durch Ausweisung bis hin zu der Anfang 2006 durch die Berichterstattung über Schulgewalt und „Ehrenmorde“ diskursiv vorbereitete und im August 2007 abgeschlossene Einführung der „Integrationsfeindschaft“ in das Ausweisungsrecht. Parallel zur Identifikation der thematisch geschlossenen und durch ihren Umfang herausragenden Themen untersuchte ich, wann über Gesetzesinitiativen oder Änderungsvorschläge bzw. vollzogene Gesetzesänderungen im Titelbereich der Artikel berichtet wurde. In den Jahren 1992 bis 1999 (also vor dem 11. September 2001) wechseln sich verschiedene Straftaten (darunter neben dem „Landfriedensbruch“ auch „Drogendelikte“; der „Fall Mehmet“ wird im gesamten Zeitraum zweimal als Vorschlag zur Gesetzesänderung referiert) ab. Auffällig ist ausschließlich das Jahr 1996 mit neunmal der Referenz auf „Landfriedensbruch“. Erst ab 2001 liegt eine deutliche Zuspitzung auf den Themenkomplex „Extremismus/Terror“, insofern dieser Anlass für den Ruf nach verändertem Ausweisungsrecht gibt, vor. Im Jahr 2007 kommt auch die „Beeinträchtigung der Integration“ als Spezifizierung eines zu sanktionierenden Deliktes hinzu. Dies bestätigt meine Auswahl der Schlüsselereignisse: alle vier Medienereignisse werden von parlamentarischen Vorgängen gefolgt oder flankiert. Meine Schwerpunktsetzung für die Analyse bezieht also implizit das im ursprünglichen Untersuchungszeitraum 1991 bis 2007 vorhandene legislative Geschehen mit ein. Durch die schrittweise thematische Aufgliederung des öffentlichen Redens über Ausweisung wurde deutlich, dass im gesamten Untersuchungszeitraum vier Medienereignisse isoliert werden konnten, deren weitere Untersuchung ergiebig erschien. Mit der Benennung dieser „Schlüsselereignisse“ als thematische Verdichtungen wurden klar eingrenzbare Zeiträume identifiziert, deren Bedeutung im Zeitverlauf begründbar ist und die eine erste Auswahl aus dem diskursiven Geschehen im Untersuchungszeitraum bilden.17
4.2.2 Theoriegeleitete Recherche relevanter Diskursfragmente Die benannten diskursiven Ereignisse – die zunächst im Grunde noch Medienereignisse sind – wurden nun theoretisch begründet erweitert, indem Quellen aus anderen Kontexten der Diskursproduktion (Arenen des Diskurses) mit einbezogen wurden. Nun begann mit dem theoretical sampling eine
17 Damit war die erste Phase abgeschlossen, die Keller als mögliche Vorgehensweise zur theoretisch begründeten Reduktion der Materialmenge vorschlägt, vgl. Keller 2001: 138. 122
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
Phase der intensiven Interaktion mit dem Feld: die ‚diskursiven Knotenpunkte‘18 wurden erschlossen. Die automatisierte Schlagwortrecherche der ersten Recherchephase hat den Nachteil, nie zu einer auch nur annähernd vollständigen Abbildung des diskursiven Geschehens zu führen, denn dieses zeichnet sich durch Sinnbeziehungen aus, die nicht in Form von Wörtern oder Wortgruppen erfasst werden können.19 Durchsucht man den Gesamttext der digital vorliegenden Quellen probeweise nur nach dem Suchwort „Abschiebung“ zeigt sich, dass durchaus Diskursfragmente existierten, in denen „Ausweisung“ zwar gemeint ist, aber überhaupt nicht genannt wird. In der Rubrik „Leitglosse“ der FAZ findet sich im Jahr 1994, dem Zeitraum der ersten „Kurden-Krawalle“ (s. Kap. 5.1) unter der Überschrift „Das Abschieben bleibt“ beispielsweise ein Beitrag, der die Frage diskutiert, ob eine Abschiebung von Kurdinnen und Kurden in die Türkei denkbar wäre. Ein Ausschnitt verdeutlicht die semantische Überschneidung von „Abschiebung“ und „Ausweisung“ und macht deutlich, wie wichtig der Einbezug solcher ‚ungenauen‘ Formulierungen in meine Untersuchung ist: „Ein Teil der Kurden, die hierzulande Gastrecht genießen, begeht Landfriedensbruch und Nötigung. Daß dies im - für sie - Ausland nicht angeht, muß ihnen vor Augen geführt werden. Das beste Mittel dazu ist die der Tat auf dem Fuße folgende Abschiebung.“ (19940326-FAZ)
Auf den ersten Blick ist die unmittelbare Relevanz dieses Diskursfragments zu erkennen. Flexionen von „Ausweisung“/„ausweisen“ sind in ihm jedoch nicht enthalten. Um dem Verlust solcher formell nicht zutreffender aber dennoch ertragreicher Artikel vorzubeugen wurde von Beginn an eine zweite Recherchephase geplant, die ein theoretical sampling vorsieht. Dieses Vorgehen begegnet dem Defizit einer automatisierten Schlagwortrecherche. Es ist allerdings erst als zweiter Schritt möglich, denn auf den ursprünglichen Untersuchungszeitraum 1991 bis 2007 angewendet hätte es zu einer nicht zu bewältigenden Menge an Material geführt.
18 Zu solchen Knotenpunkten kommt es etwa wenn sich an Nahtstellen zwischen mehren Spezialdiskursen (mit eigenem Vokabular oder eigener „Grammatik“) ein Interdiskurs herausbildet; wenn ein Spezialdiskurs besonders dominant wird; wenn ein Thema in einen größeren Wertezusammenhang (Moralisierung, gesamtgesellschaftliche Bedeutung) eingebunden wird; oder wenn der Wahrheitsanspruch explizit gemacht wird (etwa durch den Verweis auf die Statistik, ein Fallbeispiel o. ä.; vgl. dazu ausführlich Schneider 1999: 85). 19 Dazu kommen praktische Schwierigkeiten: Beispielsweise sind Kommentare und Leserbriefe meist sehr gehaltvolle Diskursfragmente, die jedoch selten mit inhaltlich eindeutigen Überschriften versehen sind. 123
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Konkret auf die ermittelten Zeiträume der Schlüsselereignisse bezogen trat nun neben die überregionalen Leitmedien SZ und FAZ das populäre Medium der Boulevardzeitung BILD als auflagenstärkstes Printerzeugnis. Zur Ergänzung wurden vereinzelt auch Beiträge aus Nachrichtenjournalen (Der Spiegel und Focus-Magazin) herangezogen.20 In der SZ, der FAZ und in Spiegel und Focus21 wurde die digitale Suche fortgesetzt, lediglich in BILD sowie in den Ausgaben des Spiegel vor 1999 musste für die entsprechenden Zeiträume geblättert werden.22 Nun wurde zunächst in den digital vorliegenden Quellen auch der Volltext durchsucht; die Artikel mussten das Suchwort „Ausweisung“ nicht mehr enthalten, auch formell „falsche“ Bezeichnungen wie der allgemeine Begriff „Abschiebung“ oder die wertenden Begriffe „Verbannung“ und „Deportation“ wurden, neben jeweiligen thematischen Suchworten wie „Mehmet“, „Kurden“, „Terror“ oder „Integration“, einbezogen. Außerdem fanden sich bei dieser offenen Quellenrecherche regelmäßig Verweise auf andere einschlägige Beiträge. Etwa verlinkt die Archiv-CD-Rom der SZ thematisch in „Dossiers“, was vor allem für die Themen „Mehmet“ und „Kurden-Krawalle“ wichtig ist. Auch BILD weist in der online-Ausgabe auf verwandte Themen hin, etwa wenn am Rande eines Beitrags zum „Integrationsgipfel“ der Link zu den „7 Wahrheiten zur Ausländerpolitik“ platziert wird. Um auch Debatten in der Arena der Politik und Aussagen aus dem Expertendiskurs mit einzubeziehen wurden ab diesem Zeitpunkt inhaltlich begründet Gesetzesentwürfe und Parlamentsdebatten (Bundestagsdrucksachen) sowie vereinzelt Presseerklärungen und Expertenanhörungen als Primärquellen mit einbezogen.23 Erst nach dieser zweiten Recherchephase war der tatsächliche Umfang der zu untersuchenden Schlüsselereignisse erkennbar. Auch jetzt wurde das Materialkorpus jedoch noch nicht als definitiv abgeschlossen betrachtet, sondern laufend ergänzt. Denn im weiteren Analyseprozess konnten noch Diskursfragmente hinzukommen, deren Bedeutung sich erst später erwies, wenn anknüpfend an die ersten Kategorisierungen Lücken, Inkonsistenzen oder neue 20 Im IV. Quartal 2007 hatte die BILD Deutschland laut IVW eine Verbreitung von 3.396.850 Exemplaren, Der Spiegel kam auf eine Verbreitung von 1.018.173 und Focus-Magazin von 735.476 Exemplaren. 21 Für letztere mit Hilfe der Datenbank LexisNexis (www.lexisnexis.com). 22 Pragmatisch bedeutete das konkret, die Konjunkturen der Themen in den digital recherchierbaren Quellen als Anhaltspunkte zu nutzen und so die Druckausgaben nur in diesen Zeiträumen Seite für Seite auszuwerten. 23 Primärquellen sind im Text durch ein Herkunftskürzel gekennzeichnet, aus dem nur Datum und Quelle hervorgehen (z. B. „19940326-FAZ“ für einen Artikel der FAZ vom 26. März 1994), während Titel sowie weitere Angaben zu jedem direkt oder indirekt zitierten Diskursfragment der chronologischen Liste im Anhang (s. S. 286ff) zu entnehmen sind. 124
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
Fragen auftauchten (vgl. Schröer 1997: 100). Insgesamt wurden bis zum Abschluss der Auswertung folgende Primärquellen bestimmt: • „Kurden-Krawalle“ (März 1996 bis Juli 1997): 43 Presse-Quellen und 3 Drucksachen; • „Fall Mehmet“ (April bis November 1998): 25 Presse-Quellen und 2 Plenarprotokolle; • „Terrorismusbekämpfungs- und Zuwanderungsgesetz“ (2002/2004): 163 Presse-Quellen und 9 Drucksachen, eine Presseerklärung; • „Integrationsverweigerung“ (März 2006 bis August 2007): 151 PresseQuellen, 4 Drucksachen, 4 Erklärungen von Parteien bzw. Verbänden.
4.2.3 Feinanalytische Interpretationsphase Auf der Grundlage des theoretisch zusammengestellten Materials fand die eigentliche interpretative Auswertungsphase statt. Diese nahm nicht die Form einer subsumptionslogischen Inhaltsanalyse an. Vielmehr handelte es sich um eine Einzeltextanalyse, der die Texte aber nicht als Einzelfälle, sondern als Repräsentationen von Wissensordnungen galten. Diese detaillierte Feinanalyse lässt sich ex post in folgende vier Schritte aufgliedern.24 Für jedes Diskursfragment des zusammengestellten Materials wurde eine formale Beschreibung angefertigt.25 Darin sind Erscheinungsdatum und Form dokumentiert, also ob es sich etwa um einen Kommentar einer Abonnentenzeitung, ein Protokoll einer Parlamentsdebatte oder einen Gesetzestext handelte. Die Beschreibung wurde mit einer kurzen Zusammenfassung der Thematik sowie u. U. bereits einer vorläufigen Kategorisierung (also einer Benennung argumentativer Stränge oder Deutungsmuster26) verbunden. Durch die formale Beschreibung wurde erstens das Gesamtaufkommen einschlägiger Artikel zu jedem einzelnen Ereignis überblickbar, die inhaltlichen Trends sowie erste (offensichtlich vorherrschende) Wissensordnungen wurden erkennbar.27 Zweitens wurden die folgenden zwei Arbeitsschritte vor24 Es handelt sich hier um eine insofern schematische Darstellung des Ablaufs, als sich dem Prinzip der theoretischen Sättigung folgend der endgültige Umfang des Datenkorpus sowie die Ansatzpunkte der Detailanalyse erst im Laufe der Auswertung ergeben haben. 25 Dies orientiert sich daran, was Jäger als Strukturanalyse des gesamten Materials empfiehlt, vgl. Jäger 2001: 104). 26 Ein Deutungsmuster ist „ein Ergebnis der ‚sozialen Konstruktion von Wirklichkeit‘, d.h. ein historisch-interaktiv entstandenes, mehr oder weniger komplexes Interpretationsmuster für weltliche Phänomene, in dem Interpretamente mit Handlungsorientierungen, Regeln u. a. verbunden werden,“ vgl. Keller 2007: 21. 27 Praktisch umgesetzt wurde dieser Arbeitsschritt durch die Anfertigung von Struktur-Memos zu jedem einzelnen Dokument, die mit dem selben oder ande125
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
bereitet, in denen typische Diskursfragmente benannt und Vergleichsdimensionen identifiziert werden. Während die einzelnen Diskursfragmente (und deren formale Beschreibung) gewissermaßen eine parzellierte Darstellung nach sich ziehen, lässt sich erst auf der Ebene des diskursiven Ereignisses die darin wirksame Wissensordnung rekonstruieren. Daher wurde als nächster Schritt eine Zusammenfassung jedes diskursiven Ereignisses erstellt. Denn dessen inhaltlich geschlossene Darstellung ist bereits Explizierung der Aussagen28 in ihrem Kontext. Durch die Deskription des diskursiven Ereignisses werden die darin wirksamen Logiken erkennbar. Dies wurde durch Einbezug der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Diskursfragmenten untersucht. Stehen diese nicht mehr alleine, sondern werden sie innerhalb des Diskursverlaufs gelesen, beziehen sich die verschiedenen Aussagen und Argumente nicht nur wieder aufeinander, sondern sie können auch verglichen werden. Dadurch konnten jetzt typische Argumente oder Logiken von Argumentationsketten benannt werden.29 Im folgenden Text reserviere ich daher für jedes der vier Schlüsselereignisse einen eigenen Abschnitt.30 Jeder zeitliche Abschnitt wiederum wird durch einen zusammenfassenden Überblick eingeführt, der den thematischen Verlauf des Diskurses verdeutlicht.31 Umgesetzt wird dieser Arbeitsschritt, indem eine Zusammenfassung der strukturellen Beschreibungen der Diskursfragemente mit der Intention analysiert wird, Argumente und Argumentationsketten für einzelne Aussagen zu bezeichnen. Durch diesen Arbeitsschritt
28
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ren Texten verknüpft werden können, durch die einzelne, besonders aussagekräftige oder anderweitig relevante Textstellen markiert und kommentiert werden. Außerdem wurden wie gesagt mit einer Kategorisierung besonders auffälliger Aussagen (durch Formulierung und Zuordnung einer induktiven Codierung) begonnen. Mit Aussage ist der typische Gehalt einer Reihe von Äußerungen gemeint, also nicht nur eine Einzeläußerung alleine. Allerdings kann in der Darstellung des Diskurses eine einzelne Äußerung als Aussage fungieren, wenn diese Äußerung das für die Aussage Wesentliche bereits enthält. Diskursstränge werden durch Aussagen und Argumente gewissermaßen mit Material gefüllt. Aussagen sind die Elemente des Wissens und die Bausteine einer (späteren) Ordnung. Argumente und ihre Verbindung zu Argumentationsketten bilden die Logik der Aussagen in ihren Wechselbezügen ab. Durch die Diskursstränge wird die Ordnung der Argumentationen erkennbar: sie liefern die Sinngebung der Argumente (vgl. „Grundbegriffe“ in Keller 2004: 64). Ich trenne die Ereignisse also analytisch voneinander. Diese Künstlichkeit der getrennten Darstellung ist pragmatisch begründet und resultiert aus der Hoffnung, eine wenigsten annäherungsweise ‚vollständige‘ Darstellung, die durch ihre Tiefe notwendigerweise umfangreich wird, dadurch in den Griff zu bekommen, sie in ihrer Breite einzugrenzen. Zum Teil wird hier auch Sekundärmaterial herangezogen, das nicht diskursanalytisch untersucht wurde.
126
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
werden bereits Hinweise auf im jeweiligen diskursiven Ereignis wirksame Diskursstränge festgehalten und systematisiert, die im nächsten Arbeitsschritt ausformuliert werden. Nun folgte die Explikation der diskursiven Ordnung und die Benennung von Diskurssträngen. Da „diskursive Praxis“ als strukturiert und strukturierend zugleich verstanden wird wirken die übergeordneten semantischen Zusammenhänge strukturgebend: als „semantische Tiefenstruktur“ (bei Diaz-Bone 2006), die als innere Ordnung die Intelligibilität von Diskursen ausmacht. Das bedeutet, erst wenn eine Analyse der diskursiven Praxis offen legt worin der „gemeinsame Nenner“ oder der „rote Faden“ besteht, lässt sich die Sinngebung der einzelnen Aussagen rekonstruieren (vgl. Diaz-Bone 2006). Dies geschieht in der Analyse bereits durch Explikation von Evidenzen, denn diese sind dem Blick der Akteure meist verstellt: „Die diskursive Praxis bewirkt aber auch, dass die Individuen in einem Feld eben dieses Feld selbst, seine Realität und Ordnung als selbstverständlich, naturgegeben und evident, als vorreflexiv erleben.“ (Diaz-Bone 2006: 73)
Was als evident, ‚wirklich‘ und wahr gilt ist den Mitgliedern einer Diskursgemeinschaft bekannt und wird von ihnen fortlaufend implizit verstanden. Für die praktische Analyse bedeutet das, dass jedes einzelne Diskursfragment voraussetzungsvoll ist. Um den Sinn einer Äußerung erfassen zu können müssen also Kenntnisse intertextueller Art existieren und in die Analyse einbezogen werden. Ein wesentliches Strukturmerkmal des diskursanalytischen Vorgehens ist also die Suche nach Sinnbezügen, die sich über mehrere Diskursfragmente erstrecken und den einzelnen Aussagen Sinn geben. Nun rekonstruierte ich diese Signifikationsregeln, die explizit wie implizit vorhanden sind, d.h. ‚hinter‘ den in den Diskursfragmenten identifizierbaren konkreten Aussagen stehen, und benenne sie als thematische Diskursstränge. Diese kann man sich als geregelte und regelnde „Signifikanten-Ketten“ (Schneider 1999: 103) vorstellen: sie verhelfen den wiederkehrenden Aussagen erst zu ihrer Bedeutung. Diese Signifikationsregeln „transzendieren die subjektiven Deutungsakte, indem sie allgemein auf die dahinter stehenden Wissens-Ordnungen verweisen.“ (Schneider 1999: 103). In actu der Textproduktion und -rezeption laufen Prozesse der Wechselbezüge zwischen Diskurssträngen nebeneinander und ‚durcheinander‘ ab, eine Darstellung als Analysetext ist aber notgedrungen linear und statisch. Die Darstellungen der einzelnen Stränge sind also analytische Vereinfachungen, wie sie im Laufe der Auswertung von mir vorgenommen wurden, um das beobachtete „Gewimmel“ (Link 1986) der Diskurse zu entwirren und darstellbar zu machen. Die aufeinander folgenden bzw. parallel auftretenden und sich 127
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verwickelnden Diskursstränge wurden nun also analytisch ‚geordnet‘. In der detaillierten Analyse bestimmter Diskursfragente – nämlich jener, die im vorhergehenden Schritt als typisch innerhalb der (Teil-)Diskursstränge benannte Argumente enthalten – wurden die im jeweiligen Ereignis wirksamen diskursiven Logiken herausgearbeitet. Die als „Fluss von Wissen durch die Zeit“ ungeordnet und vielfach miteinander verknüpft vorliegenden Diskursstränge wurden also zunächst benannt und die in ihnen und durch sie wirksamen Logiken beschrieben. Die Ordnung des Wissens konnte damit innerhalb der diskursiven Ereignisse und in ihrer Abfolge beschrieben werden. Bei der Umsetzung dieses Arbeitsschrittes wurden unterschiedliche Auswertungsstrategien eingesetzt.32 Das sind im Einzelnen der Einbezug von möglichst minimal und maximal kontrastierenden Texten; die weitere Ausformulierung allgemein gehaltener Kurzbeschreibungen der in einzelnen Texten bzw. Textabschnitten dokumentierten Argumentationsketten; die Bildung allgemeiner Kategorien für einzelne Abschnitte bis hin zu gesamten Texten sowie deren logische Organisation untereinander. Im folgenden Text sind diese Diskursstränge in den inhaltlich einführenden Abschnitt jedes Ereignisses eingearbeitet. Er enthält also neben dem jeweiligen thematischen Verlauf auch die analytisch herausgearbeiteten, innerhalb der Diskursstränge definierten und wirksamen Argumentationsketten. Daran schließt sich die eigentliche Diskussion des empirischen Materials an. Dort stelle ich ausführlich die in jedem Ereignis wirksamen Aussagen dar, liefere detaillierte Belege für den skizzierten Handlungsverlauf, lege die Qualität und Wechselbezüge der Quellen offen, zitiere aussagekräftige Formulierungen und erläutere Schlüsselbegriffe – mit anderen Worten: beantworte die Frage nach dem „Wie“ des Diskursverlaufs. Insgesamt sind alle Analysen dieses Kapitels eher ‚presselastig‘, d.h. sie beziehen sich weit mehr auf Diskursfragmente aus dem Medien-Interdiskurs als auf andere Arenen. Das ist einerseits dem absolut höheren Umfang des Printmedien-Outputs geschuldet, andererseits trägt es aber auch der (forschungspraktisch nutzbaren) Integrationsfunktion des Mediendiskurses Rechnung; dort werden spezialdiskursive Elemente in das öffentliche Reden integriert, und dort wird ein Austausch mit der interdiskursiven Arena der Politik gepflegt. Schließlich wurden die Wechselbeziehungen der Diskursstränge über die einzelnen Ereignisse hinweg untersucht und gewissermaßen in eine Gesamtschau des Ausweisungsdiskurses integriert. Alle bereits vorliegenden Ergebnisse 32 Diese konkrete Forschungspraxis löst sich nun immer mehr von vorgegebenen Anleitungen zum praktischen Vorgehen, der Bezug auf kanonische Werke ist jedoch offensichtlich: ich nehme Anleihen an die „gegenstandsbezogene Theoriebildung“ (Strauss/Corbin 1990) und an Jägers (Jäger 2001: 103) Bezug auf den Foucaultschen „Werkzeugkasten“. 128
DIE ANALYSE DISKURSIVER EREIGNISSE
wurden aufeinander bezogen, also die formalen Beschreibungen der einzelnen Diskursfragmente, die Identifikationen von Argumentationen und Diskurssträngen in jedem einzelnen Ereignis sowie die Interpretationen der exemplarischen Detailanalysen. Damit konnten die diskursiven Verknüpfungen und ‚Knoten‘ nochmals genau untersucht werden. Im Ergebnis entstand dadurch eine Gesamtanalyse, die Veränderungen von Argumentationen und Beziehungen zwischen den Diskurssträngen in allen vier diskursiven Ereignissen herausarbeitet, wodurch schließlich die Ordnung des Wissens für den untersuchten Themenkomplex erkennbar wurde. Im abschließenden, die Ergebnisse übergreifend analysierenden Kapitel 6 werden die Strukturen des im Ausweisungsdiskurs wirkenden othering expliziert und auf die theoretischen Implikationen der forschungsleitenden Fragestellung bezogen.
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5 Ereignisse des Ausw eisungs disk urses 19 96-20 07
5.1 Der Einzug des Landfriedensbruchs in das Au s w e i s u n g s r e c h t 5.1.1 Der Diskursstrang existenzieller Bedrohung Die erste auffällige, sowohl massenmediale als auch legislative, Konjunktur des Ausweisungsdiskurses innerhalb des Untersuchungszeitraumes war die Debatte über politisch motivierte Gewalt Anderer. Sie wurde im März 1996 öffentlich sehr präsent und mündete sowohl in der Verschärfung des Ausweisungsrechts als auch in Schröders Äußerung des „Raus, und zwar schnell!“ im Jahr 1997. Der Diskursverlauf in Folge der Zusammenstöße zwischen deutscher Polizei und kurdischen Demonstrierenden ist nicht darstellbar ohne zumindest Hintergrundinformationen über den direkten thematischen und zeitlichen Kontext mitzuliefern. Die soziale und politische Situation der Kurden in der Türkei wirkte sich auf Aktivitäten kurdischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland die gesamte letzte Dekade des 20. Jahrhunderts hindurch aus. Bereits in den 1980er Jahren war die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) in Westeuropa politisch aktiv.1 In Westdeutschland (wie auch in anderen west1
Die 1978 gegründete „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) nahm 1984 den bewaffneten Kampf in der Türkei auf, nachdem sie nach dem Militärputsch 1980 wie auch andere sozialistische Parteien verboten wurde. Die Türkei verhängte 1987 einen Ausnahmezustand über 13 kurdische Provinzen (der zum Teil erst 2002 aufgehoben wurde) und begann damit, Bewohner kurdischer Dörfer, die verdächtigt wurden, die PKK zu unterstützen, aus ihren Dörfern zu vertreiben und ihre Häuser niederzubrennen. Nach offiziellen türkischen Angaben wurden bis 1997 insgesamt 3.100 Dörfer zerstört. In den Jahren 1992, 1994 und 1997 kam es zu Großeinsätzen der türkischen Armee gegen Stellungen der PKK 131
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europäischen Ländern) machte sich ab 1992 der erneut verschärfte Konflikt in der Türkei durch Aktivitäten der PKK bemerkbar. Ab 1992 kam es vermehrt zu Überfällen auf türkische Einrichtungen in Deutschland, im Jahr 1993 zu zwei Wellen von Brandanschlägen. Der deutsche Bundesinnenminister nahm diese „Anschläge terroristischer Kurdenorganisationen“ (19931110-PlenProt. 12/188)2 zum Anlass, um gegen die PKK und ihren politisch Arm, die ERNK („Nationale Befreiungsfront Kurdistans“), am 26.11.1993 ein Betätigungsverbot in Deutschland zu erlassen. Damit ist nur der unmittelbare Anlass des Verbots genannt, die Hintergründe dieser innenpolitischen Entscheidung reichen jedoch bis in die außenpolitischen Strategien der Bundesrepublik, für die die Türkei ein wichtiger Partner in der NATO ist, hinein. „Es spricht vieles dafür, dass die Maßnahme weniger von der Innen- als von der Außenpolitik diktiert wurde“ (Skubsch 2002: 200). Gegen das PKK-Verbot gingen noch im Dezember 1993 etwa tausend Kurdinnen und Kurden auf die Straße und blockierten aus Protest eine Autobahn. Auch in den Folgejahren nahmen die Proteste nicht ab, sondern gewannen angesichts des fortdauernden Bürgerkriegs in der Türkei auch in Deutschland eher an Umfang (vgl. Skubsch 2002: 209, Rucht/Heitmeyer 2008: 587). Da die Demonstrationen nun regelmäßig ein polizeiliches Einschreiten gegen Symbole der PKK nach sich zogen, eskalierten die Proteste schnell. Im Jahr 1994 waren nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland alle Feiern des kurdischen Neujahrsfestes (Newroz, 21. März), das der politischen Manifestation kurdischer Autonomie dient, verboten. Da im türkischen Teil Kurdistans zu dieser Zeit die Zerstörung kurdischer Dörfer durch die türkische Armee andauerte, setzten sich Exilkurdinnen und -kurden über die deutschen Versammlungsverbote hinweg bzw. protestierten u. a. durch Autobahnenblockaden dagegen. Dabei kam es Ende März 1994 zu mitunter schweren Zusammenstößen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In Mannheim töteten sich zwei junge Kurdinnen durch Selbstverbrennungen. Im Juni 1994 demonstrierten etwa 50.000 Menschen in Frankfurt am Main gewaltfrei gegen deutsche Waffenlieferungen an die Türkei und für eine friedliche Lösung des Kurdistan-Konflikts. Am 29. Juni 1994 wurde der 16-jährige Kurde Halim Dener in Hannover beim Plakatieren der seit dem PKK-Verbot verbotenen Symbole der ERNK von einem Mitglied eines polizeilichen Sondereinsatzkommandos erschossen.3 In den Jahren 1994 und 1995 schlossen sich weitere Auseinander-
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(www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/kriege/159_tuerkei.htm; zugegriffen am 28.01.2010). Die Herkunft der Primärquellen ist in der chronologischen Liste im Anhang dokumentiert. Durch das PKK-Verbot wurde aus ungenehmigtem Plakatieren die „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“. In einer Vernehmung durch die Staats-
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EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
setzungen zwischen kurdischen Demonstrationen und der Polizei an, am ersten Jahrestag des PKK-Verbots kam es wieder zu Brandanschlägen auf türkische Reisebüros und Kulturzentren, im März 1995 zu einer neuen Anschlagswelle, im Juni des selben Jahres bei einer Demonstration von etwa 70.000 Menschen in Bonn zu einer weiteren Autobahnblockade. Ebenfalls ereigneten sich nun Angriffe gegen Kurdinnen und Kurden in verschiedenen deutschen Städten, 1995 und 1997 wurden zwei kurdische Jugendliche (vermutlich von türkischen Faschisten) ermordet. Die Wahrnehmung kurdischer Exilaktivitäten und deutscher Kurdenpolitik differenziert darzustellen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Ereignisse bis 1996 als externe Konflikte wahrgenommen wurden, deren Bearbeitung nicht in Deutschland zu erfolgen habe. Innenminister Kanther nannte die Ereignisse im Jahr 1993 noch „ausländische Bandenkriege“ (19931110-PlenProt.12/188: 16213); Hans Koschnick (SPD) sprach von einem „Problem, das wir hier innenpolitisch nicht lösen können“ (ebd.: 16210). Gefordert wurde, wenn dies überhaupt so explizit gemacht wurde, ein „hartes Durchgreifen“, aber auf der Grundlage der bestehenden Gesetze. Mitunter sollte das Strafen ausdrücklich nicht über die Mittel hinausgehen, die auch gegen Deutsche eingesetzt werden: Der erste Redner der aktuellen Stunde, die von der Fraktion der CDU/CSU nach der Anschlägen im November 1993 verlangt wurde, und der selbst Unionspolitiker ist, forderte Sanktionen nach gleichem Maß: „Die überwältigende Mehrheit der ausländischen Bürger in Deutschland ist über die Anschläge dieser extremistischen Minderheit genauso betroffen wie die überwältigende Mehrheit der Deutschen bei den Anschlägen extremistischer Inländer“ (Hartmut Büttner (CDU/CSU), 19931110-PlenProt.12/188: 16208). Daher sei es wichtig, „dass wir diese Taten mit den gleichen Maßstäben verfolgen“ (ebd.). Einen ähnlichen Tenor vertritt der Berliner Innensenator, den die Berliner Zeitung nach den Ausschreitungen Ende März 1994 folgendermaßen zitiert: „Darüber hinaus müsse das ausländerrechtliche Instrumentarium bis hin zur Abschiebung genutzt werden. […] ‚Wir nehmen nicht hin, daß Konflikte aus anderen Ländern zu Lasten der Berliner Bürger ausgetragen werden‘, sagte der Senator im Ausschuß.“ (19940322-BerlZtg)
anwaltschaft hatte der SEK-Beamte Klaus T. ausgesagt, beim Anblick der jugendlichen Plakatierer habe er „nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit oder eine Sachbeschädigung gedacht“; er habe den Verdacht geschöpft, es könne sich um eine strafbare Unterstützung der verbotenen PKK handeln. Am 27. Juni 1997 sprach die 3. Strafkammer des Landgerichts Hannover den Täter vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei (vgl. Gössner 1998). 133
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Damit wurde also die Deutung als ein fremdes Problem, das auch durch Abschiebung externalisiert werden kann, nicht ausgeschlossen. Es blieb aber ein „Konflikt aus anderen Ländern“, ein Problem das die Anderen mit sich bringen, das sie untereinander haben, und das sie auch wieder mit sich fortnehmen würden. Insofern ist zu diesem Zeitpunkt der Konflikt noch eine typische Aktivität der Anderen, gewissermaßen Folklore (wie es die alljährlichen Newroz-Feiern eben auch seien). Die Jahr für Jahr sich zuspitzenden Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und der Polizei, das 1993 erlassene PKK-Verbot und die anschließenden Versammlungsverbote gegen kurdische Demonstrationen in Deutschland, wurden in Presse und Parlament als „externer Konflikt“ wahrgenommen, als Konflikt von Anderen, der bei uns ausgetragen wird, mit dem wir aber nichts zu tun haben (wollen). Diese Deutung wurde in Form der These des „Konfliktimports“ zu einem Element des sozial- und politikwissenschaftlichen Spezialwissens der 1990er Jahre. Diese spätestens 1996 vollständig ausgearbeitete Aussage sieht die konkreten Konfliktursachen ausschließlich in exogenen Faktoren („aus der Türkei importiert“), endogene Faktoren, wie die innen- und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik, bleiben unbeachtet. Bei Heitmeyers Studien der späten 1990er Jahre wurden die Konflikte als „innertürkische Auseinandersetzungen zur Kurdenfrage“ (Heitmeyer 1996b: 11) definiert. Er warnte vor dem „erheblichen Konfliktpotenzial“ der „aus Herkunftsländern importierten Konflikte“ (Heitmeyer 1996a: 48). Auch Brieden sah einen „Konfliktimport durch Immigration“ stattfinden und ging davon aus, dass „ein ‚Import‘ des ethnischen Konflikts vom Herkunfts- zum Zuzugsland“ stattfand (Brieden 1996: 19). Somit handelte es sich um eine Situation, in der „Eingliederungshemmnisse“ der Anderen vom „Herkunftsland induziert“ seien (Brieden 1996: 17).4 Bei einer zum Internationalen Frauentag am 8. März 1996 in Bonn angemeldeten Demonstration kam es zu zahlreichen Festnahmen und Anzeigen, nachdem der Zug von der Polizei gestoppt wurde, weil Fahnen und Transparente mit verbotenen PKK-Symbolen gezeigt wurden. Am Samstag den 16. März versuchte die deutsche Polizei, durch Kontrollen an Fernstraßen, Bahnhöfen und Grenzübergängen die Einreise kurdischer Demonstrierender (gegen die 4
In den Sozialwissenschaften werden durchaus Sichtweisen vertreten, die sich gegen die Importthese stellen und über den bloßen Verweis auf die Interessen Deutschlands im Kurden-Konflikt der Türkei hinausgehen. Dass die kurdischen Proteste der 1990er Jahre mehr als der „Export des türkischen Bürgerkriegs“ seien stellt etwa Leggewies Ansatz fest, der gleichermaßen den Bedingungen im Herkunfts- wie im Zuzugsland als auch der Migrationssituation gerecht wird: Kurden seien ‚gemacht worden‘, weil ihnen der türkische Staat die kulturelle Anerkennung und der deutsche Staat die politische Anerkennung vorenthalten habe (vgl. Leggewie 1996).
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EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Einreiseverbote u. a. aus Frankreich, Niederlande und Belgien verhängt wurden) zu einer (verbotenen) Demonstration in Dortmund zu unterbinden. Dabei kam es zu Autobahnblockaden und Krawallen in Nordrhein-Westfalen. „Nach ganztägigen gewalttätigen Auseinandersetzungen und der Festnahme von 1.500 Teilnehmern verlief die Kundgebung zum kurdischen Neujahrsfest am Abend aber friedlich“ (19960317-ap), meldete tags darauf Associated Press. In Folge der Ereignisse im März 1996 kam es zu einer Gesetzesnovellierung, die erstmals auf die Auseinandersetzungen mit einer Verschärfung des deutschen Rechts zu reagieren vorgab. Angesichts der veränderten staatlichen Reaktion stellt sich die Frage: was wandelte sich 1996 in der Debatte und warum führte diese Form der Thematisierung nun erstmals tatsächlich zu einer Gesetzesverschärfung? Die Antwort darauf lautet: weil es zu einer diskursiven Verschiebung kommt, durch die aus den „Kurdenkrawallen“ ein interner Konflikt wird. Nun werden die andauernden Auseinandersetzungen als so schwerwiegend betrachtet, dass der Bestand der Gesellschaft bedroht zu sein schien. Im Diskurs setzte sich die Deutung der Ereignisse als existenzielle Bedrohung durch. Es handelte sich damit nicht mehr um uns fremde, externe Konflikte, sondern sie betrafen uns nun unmittelbar, wurden zu einem internen Konflikt, bei dem das Wir zu einer Konfliktpartei wurde. Diese veränderte Wahrnehmung ging von einer Bedrohung für die Gesellschaft als ganzes aus, nicht mehr von einer Auseinandersetzung zwischen einzelnen – noch dazu fremden – Gruppen. Der Konflikt wurde existenziell unser Problem. Mit der veränderten Problemdefinition als interner Konflikt sind andere Reaktionen der deutschen Gesellschaft zulässig – und auch notwendig. In der Debatte darüber, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wird unter Bezugnahme auf den Gastrecht-Topos5 die erneute Externalisierung des Konflikts sagbar. Der räumliche Ausschluss durch Ausweisung wird zum Mittel der Wahl. Anknüpfungspunkt dieser Intervention ist ein so stark abweichendes Verhalten, wie es Fremden nicht mehr zugestanden wird und im vollendeten „Missbrauch“ des Gastrechts vorliegt. Adressaten der Intervention sind die abweichenden, gegen ihr Gastrecht verstoßenden Anderen, die als ganze Gruppe durch Ausweisung diszipliniert werden sollen.
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Mit Topos ist nicht nur eine rhetorische Figur gemeint, sondern der diskursiv wirksame Bedeutungsgehalt eines Gemeinplatzes oder allgemeinverständlichen Motivs – eben weil der Topos von allen Diskursbeteiligten ‚verstanden‘ wird. 135
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
5.1.2 Die Verschärfung des Ausweisungsrechts 1996/1997 Legislative Folgen der Ereignisse um Newroz 1996 Die genannte Novelle des Ausweisungsrechts von 1996 hat eine informelle Vorgeschichte. Bereits 1995 beantragte die bayrische Regierung im Bundesrat, zukünftig „alle Fälle von Landfriedensbruch als zwingende Ausweisungsgründe im Ausländergesetz“ zu verankern (19951124-BRProt 691: 538). Sie bezog sich explizit auf die Zusammenstöße nach dem Augsburger Demonstrationsverbot im März 1994 und begründete den Vorschlag folgendermaßen: „Mit ein Grund dafür ist, wie wir alle wissen, daß mit den bisher zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten nur unzureichend auf diese neue Dimension gewalttätiger Massendemonstrationen reagiert werden kann“ (ebd.: 539).
Bereits vor dem Wochenende, an dem im Vorfeld der (verbotenen) NewrozFeiern 1996 wieder ähnliche Ereignisse erwartet werden wie im Vorjahr, wird über Pressemeldungen die Drohung, mögliche gewalttätige Demonstrationen durch Ausweisungen zu sanktionieren, veröffentlicht (vgl. etwa 19960316ap). Wie oben erwähnt kommt es zu den erwarteten Zusammenstößen in Dortmund, worauf hin die Verschärfungspläne deutlicher und konkreter kommuniziert werden; zu Beginn der folgenden Woche ist das Thema „Ausweisung“ dann bereits voll etabliert: „Nach den Ausschreitungen vom Wochenende: Union will gewalttätige Kurden schneller abschieben. Fraktionschef Schäuble: Auf Landfriedensbruch muß die Ausweisung folgen / Auch das SPD-Präsidium tritt für Härte ein. München (SZ) – Nach den Kurden-Krawallen vom Wochenende in NordrheinWestfalen mehren sich die Stimmen, die ein hartes Vorgehen gegen straffällig gewordene Kurden fordern. So will die Union die Abschiebung aller Ausländer durchsetzen, die an einer verbotenen Demonstration teilnehmen. CDU/CSU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble forderte am Montag in Bonn, im Gesetz festzuschreiben, daß auf Landfriedensbruch unmittelbar die Abschiebung folgen müsse.“ (19960319SZ)
Am 20. März 1996 legt die CDU/CSU einen Forderungskatalog vor, der analog zum Gesetzentwurf von 1995 eine erleichterte Ausweisung fordert. Unter anderem soll neben dem „einfachen Landfriedensbruch“ (§ 125 StGB) bereits die „Teilnahme an verbotenen Demonstrationen“ zu einem zwingenden Ausweisungstatbestand werden (19960322-FAZ). Am 27. März verständigte sich das Bundeskabinett auf eine Reihe von „Maßnahmen“, die daraufhin auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung 136
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
enthalten sind, der im Juni 1996 ins Parlament eingebracht wird. Das Gesetz soll damit u. a. den „Ausschreitungen von gewalttätigen Ausländern“ begegnen (19960618-BtDrs13/4948: 9). Darunter finden sich die zwingende Abschiebung bei einer Haftstrafe von zwei Jahren bei schwerem Landfriedensbruch und die „wesentliche Absenkung“ für zwingende Abschiebungen auf Freiheitsstrafen von einheitlich drei Jahren. Im Strafrecht sollte ein neuer versammlungsrechtlicher Tatbestand des „besonders schweren“ Landfriedensbruchs eingeführt werden; der läge vor, wenn einfacher Landfriedensbruch „aus Anlaß einer verbotenen Demonstration begangen wird“. Außerdem vorgeschlagen wurde eine Verschärfung des ausländerrechtlichen Verbots politischer Betätigung sowie außerhalb des Ausländerrechts die Einführung eines „vorläufigen Festnahmerechts“ und eines „Haftgrundes zur Sicherung der Hauptverhandlung in beschleunigten Verfahren“ (vgl. ebd.). Nach den parlamentarischen Beratungen wurde das Gesetz am 14. November 1996 im Bundestag in der eingebrachten Form beschlossen, der Bundesrat rief allerdings den Vermittlungsausschuss an, dessen Vorschläge am 26. Juni 1997 im Parlament gebilligt wurden. So trat das „Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften“ (BGBl. I S. 2585) im Oktober 1997 schließlich in Kraft (vgl. Huber 1998: B 100 § 47; Hailbronner 2001: A1 § 53 Rn 21).6 Nicht umgesetzt wurden nach Einwänden des Bundesrats die Regierungspläne zur Verschärfung der Landfriedensbruchregelungen im Strafrecht sowie eine Absenkung der Anforderungen für eine Mindestfreiheitsstrafe in der Norm der Regelausweisung. Nach der Anrufung des Vermittlungsausschusses kam es allerdings zur Verabschiedung der Verschärfungen des Paragraphen 47 hinsichtlich des Landfriedensbruchs. Nun wird die „Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit“ um eine Verurteilung zu Haft wegen Landfriedensbruch (Ist-Ausweisung in § 47, Abs. 1 Nr. 2) sowie um die Teilnahme an einem Landfriedensbruch (Soll-Ausweisung in § 47, Abs. 2 Nr.3) ergänzt (zum genauen Wortlaut s. Anhang S. 278). Auch der Ausweisungsschutz (§ 48 Abs.1 AuslG 1990) wurde leicht verändert, d.h. um eine Spezifizierung ergänzt. Die durch diesen Paragraphen geschützten Personen können nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden“. Nun heißt es anschlie6
Die jährliche Eskalation der Auseinandersetzungen ist mit der Gesetzesänderung 1997 nicht beendet. Als der Vorsitzende der PKK, Öcalan, im Februar 1999 in Kenia festgenommen und in die Türkei verschleppt wird demonstrieren am 17.02.1999 Kurdinnen und Kurden vor dem israelischen Konsulat in Berlin, um dort gegen die Beteiligung Israels an der „Entführung“ Öcalans zu protestieren. Um den Versuch, die Botschaft zu besetzen abzuwehren, schossen die israelischen Sicherheitskräfte in die Menge, töteten vier der Demonstrierenden und verletzten zahlreiche weitere. Erst nach dem Prozess gegen Öcalan beruhigte sich der Konflikt (vgl. Rucht/Heitmeyer 2008: 583) 137
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
ßend zusätzlich: „Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 vor“. Dies scheint vor allem den Begriff „schwerwiegender Grund“ zu präzisieren. Gleichzeitig wird damit aber auch der Hinweis gegeben, dass bestimmte Personengruppen, die eigentlich einen besonderen Schutz vor Ausweisung genießen – dazu zählen Asylberechtigte –, im Falle mehrjähriger Haftstrafen „regelmäßig diesen Schutz verlieren und mit einer Ausweisung zu rechnen haben“ (Hailbronner 2001: A1 § 48 Rn 3). Diese vermeintlich minimale Änderung soll also eine Signalwirkung haben und die Strenge des Ausweisungsrechts bei „schwerwiegenden“ Gesetzesverstößen betonen – wozu im Jahr 1997 der Landfriedensbruch besonders gezählt wird. Die genannten weitgehenden Novellierungsforderungen wurden nicht erst im Jahr 1996 erfunden und sind dementsprechend nicht auf die konkrete Situation der Ausschreitungen um Newroz 1996 zugeschnitten. Neu ist lediglich, dass es nun tatsächlich zu einer Novellierung kommt, wenn auch durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses das Gesetz erst im Folgejahr in Kraft tritt. Weshalb münden die Debatten nun in eine Gesetzesänderung, während dies in den Jahren davor nie der Fall war? Die Antwort darauf liefert die veränderte Logik der Debatten 1996 im Vergleich zum bisherigen Diskursverlauf. Es wäre zu einfach, schlicht von einer kumulativen Entwicklung und entsprechender Verstärkung des Reaktionsdrucks auszugehen. Die wiederkehrenden Ereignisse haben nicht einfach ‚das Fass zum überlaufen‘ gebracht; sie haben keine linear geforderte Reaktion schließlich durchgesetzt. Die Verschärfung des Ausweisungsrechts ist vielmehr nur eine denkbare Reaktion, keine zwingende. Allen voran ist sie spezialdiskursiv nicht eindeutig ‚sinnvoll‘: die Ausgewiesenen können tatsächlich keineswegs abgeschoben werden, wenn ihnen in der Türkei politische Verfolgung droht. Juristisch wäre dadurch eine Ausweisung ausgeschlossen – im politisch-juristischen Diskursstrang ist die Ausweisungsforderung trotzdem prominent. Die parallel dazu geführte öffentliche Debatte über Abschiebungen in die Türkei zeigt zudem, dass auch im Interdiskurs die Ausweisungsdrohung erst zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre dominante Position einnimmt: da geduldete Flüchtlinge nicht erst ausgewiesen werden müssen, um abgeschoben werden zu können, war im Diskursstrang der Vorjahre das Thema Abschiebung dominant. Der Schwenk zum Ausweisen ist angesichts dieses Kontextes auch interdiskursiv nicht sofort verständlich. Zu genau welcher Wandlung in der diskursiven Praxis es kam und wie die Kontingenz der Vorgänge dadurch genau eingeschränkt wurde ist anhand der diskursiven Verschiebungen zu erkennen. Eine genaue Lektüre des Interdiskurses zeigt, dass es einen Wandel in der Wahrnehmung
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der Ereignisse hin zum Eintritt der deutschen Gesellschaft als Konfliktpartei gab, die eine veränderte Handlungslogik begründete.7
Die Wahrnehmung der „Kurdenkrawalle“ nach 1996 Ende März 1996 wandelt sich die Deutung der Ereignisse von einem in Deutschland ausgetragenen türkisch-kurdischen Konflikt hin zur Interpretation als Aggression gegen die deutsche Gesellschaft, wodurch wir zu einer Konfliktpartei werden. Mit den öffentlichen Debatten, in der Boulevardpresse und den Abonnentenzeitungen setzten sich Topoi des Krieges und des gesellschaftlichen Notstandes durch, und es etabliert sich eine neue, der alten „Importthese“ gegensätzliche Logik. So entsteht aus der Etablierung des Wir als Konfliktpartei die Notwendigkeit weitergehender staatlicher Reaktion auf die Vorfälle. Eine detaillierte Analyse der Präsentation des Themas „Kurdenkrawalle“ in der BILD an den ersten beiden Tagen belegt, wie schnell diese Logik etabliert ist. Anders als die Abonnentenzeitungen verknüpft die Boulevardpresse Äußerungen unterschiedlicher Herkunft direkt miteinander. Durch die graphische Gestaltung der Zeitungsseite sind Kommentar, Reportage und Expertenzitate miteinander verknüpft und aufeinander bezogen. Durch die Dichte der Äußerungen, die nur zum Teil unterschiedlich sind, ergänzen und kontextualisieren sich die einzelnen Fragmente gegenseitig und es ergibt sich eine Gesamt-Aussage zum jeweiligen Thema (und manchmal über das Thema hinaus), die spezialdiskursive Elemente enthält (hier vor allem: Zitate von Politikern, sofern sich diese auf die Rechtslage beziehen) und diese in den Interdiskurs integriert. Am 18.03.1996 wird das Thema auf Seite 1 als „Kurden-Terror“ präsentiert und graphisch hervorgehoben; als Bedeutungsgehalt des Signifikanten „Terror“ wird der Angriff auf die Bundesrepublik geliefert und die Ausweisungsforderung wird in Form eines wörtlichen Zitates als aus der Politik stammend markiert: „Außenminister Kinkel (FDP) sprach von einer ‚Kriegserklärung‘ kurdischen Gewalttäter an die Bundesrepublik: ‚Die Rädelsführer müssen umgehend in die Türkei abgeschoben werden‘.“ (19960318a-BILD)
Auf Seite 2 findet sich mittig ein großes Foto des angegriffenen Polizisten unter der Überschrift „Kurden-Terror / Ein Polizist in Todesangst“, daneben ein Kommentar und Leserbriefe. Der Tenor des Kommentars „Ausweisung so7
Die Analyse der diskursiven Ordnung versucht nicht, diesen Wandel zu erklären sondern dessen durch die Kontingenzeinschränkung erzeugte Wirkungen zu benennen. 139
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fort“ lautet, es gelte dem „Terror“ „die Stirn zu bieten. Wer uns den „Krieg“ erklärt, hat hier keine Stunde länger etwas zu suchen“ (19960318b-BILD). Die unter der Überschrift „Wer stoppt den Straßen-Terror“ abgedruckten Leserbriefe sprechen von „konsequenter“ Ausweisung und fragen: „Wie lange wollen unsere Traumtänzer von Politikern diesen Terror auf deutschen Straßen noch dulden?“ (ebd.). Abbildung 4: BILD vom 18.3.1996, S. 2
Der Artikel unter dem zentralen Foto wiederholt die auf der Titelseite eingeführte Deutung als „Kriegserklärung an unseren Rechtsstaat“: laut dem damaligen deutschen Außenminister Klaus Kinkel handle es sich um eine „‚Kriegserklärung‘ kurdischer Gewalttäter an die Bundesrepublik“ (ebd.); in Folge werden mehrere Äußerungen verschiedener Politiker im Sinne des Gastrecht-Topos wörtlich zitiert: „Wer sein Gastrecht missbraucht hat sein Aufenthaltsrecht verspielt“ (ebd.). Am folgenden Tag, dem 19. März, titelt BILD mit der Überschrift „Kurden-Terror – Schützt endlich unsere Polizei!“ und dem (diesmal kleineren) Foto des verletzten Polizisten vom Vortag. Die Bilderläuterung lautet: „Poli-
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zist Rolf Feger (46) wurde von Kurden zusammengeknüppelt. Mehrere Zähne weg, Platzwunden am Kopf.“ Darunter folgt der Artikeltext: „Der Kurdenüberfall auf den Autobahnpolizisten Rolf Feger (46) und seine Kollegin Petra Strohmaier (27). Selten haben Fernsehbilder Deutschland so aufgewühlt. Unsere Polizei als Prügelknabe der Politik. Im Stich gelassen von ihrer Führung, die auf ‚De-Eskalation‘ setzt oder die Lage falsch einschätzt. ‚Wenn ich mich gegen Gewalttäter wehre, muß ich mich hinterher auch noch rechtfertigen‘, sagt einer der vielen verbitterten Polizisten. ‚Schützt endlich unsere Polizei! Damit sie unser Land schützen kann‘, fordern viele BILD-Leser. ‚Laßt sie nicht im Stich, gebt ihnen Rückendeckung!‘“ (19960319a-BILD, Hervorh. i. Orig.).
Die erste Innenseite wird erneut von Artikeln und Leserbreifen zum Thema beherrscht. Der Text zum zentralen Foto einer Polizistin und eines Polizisten beim Händeschütteln mit dem Bundespräsidenten („Bundespräsident Herzog bei verletzten Polizisten ... und Bild zahlt den Erholungsurlaub“, 19960319bBILD) lautet: „Polizeiautobahnstation Remscheid. Bundespräsident Herzog besucht die Polizisten, die von gewalttätigen Kurden schwer verletzt worden waren. [...] Bundespräsident Herzog: ‚Wer als Ausländer in Deutschland Gewalt und Terror verbreitet, hat sein Gastrecht mißbraucht und verwirkt. Drahtzieher, Rädelsführer und Gewalttäter haben unser Land zu verlassen‘“ (ebd.).
Der ebenfalls auf Seite 2 platzierte Kommentar geht auf die Reaktionen auf das „Bild des von Kurden zusammengeschlagenen Polizisten“ vom Vortag ein und schließt: „Wer stellt sich endlich ohne Wenn und Aber hinter unsere Polizei? Bundespräsident Herzog hat die geschundenen Beamten besucht und unmißverständliche Antworten gegeben. An diesem Zeichen kann sich niemand mehr vorbeinuscheln: Unsere Polizei braucht endlich die vorbehaltlose Unterstützung der Politik. Unser Land gerät sonst in eine Schieflage, die das Gemeinwesen gefährdet“ (ebd., Hervorh. i. Orig.).
Diese beiden Tage der Berichterstattung in der BILD genügen, um die Vorfälle als „Kriegserklärung“ gegen uns zu rahmen. Auf den Straßen herrsche „Terror“, ein Polizist, hier ein Symbol für die gesellschaftliche Ordnung an sich, schwebe „in Todesangst“. Nicht nur würden „Ausländer in Deutschland Gewalt und Terror verbreiten“ sondern es werde „uns der Krieg erklärt“. Im Zuge dieser Logik wird eine veränderte Reaktion des Staates angemahnt. Die Folgerungen des Ausweisens – „hat hier keine Stunde länger etwas zu suchen“, „Ausweisung sofort“ – ist nicht nur eine Reaktion auf die Setzung der 141
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Gewalt als etwas von außen kommendes. Vielmehr wird als Akteur, der nun zum Handeln aufgerufen sei, explizit die Politik genannt. Die angemessenen Reaktionen sind also nicht polizeilicher Art, sondern die gesamte Gesellschaft, für die die Legislative bzw. die Gesetze stellvertretend stehen, ist in die Pflicht zu nehmen. Sie hat sich als Kollektiv gegen die Aggressoren zu stellen und diese auszusondern. „Warum sind bei uns 8500 Polizisten nicht in der Lage, das Blockieren von Autobahnen zu verhindern?“ fragt der BILDKommentar und schließt: „An den Beamten vor Ort, die sich die Zähne ausschlagen lassen müssen, liegt es ganz bestimmt nicht ...“ (19960318c-BILD) Die Polizei, selbst in großer Zahl aufgeboten, ist also nicht handlungsfähig. Der Grund dafür ist, dass die Gesetze nicht ausreichend seien, ergo die Politik versagt habe. Sie reagiere nicht angemessen sondern wie „Traumtänzer“, die implizit durch ihre Untätigkeit „diesen Terror auf deutschen Straßen“ dulden würden. Bereits am zweiten Tag des Medienereignisses wird erkennbar, dass die Deutung der Vorfälle als „Versagen der Politik“ ausgearbeitet ist. Die „Politiker“ stehen dabei stellvertretend für eine angemessene Reaktion der gesamten Gesellschaft, die Polizei symbolisiert weniger einen konkreten Akteur, als vielmehr die gesellschaftliche Ordnung an sich. Das dpa-Foto des verletzten Polizisten, das BILD auf die Titelseite hebt, geht in diesen Tagen durch alle Medien. Es wird in Fernseh-Nachrichten wie in Nachrichtenmagazinen8 gezeigt (s. Abbildung 5) und gelangt in FAZ9 und SZ auf die Titelseite. Die Bildunterschriften „archaische Brutalität“ (Spiegel)10 bzw. „Blutiger Exzess“ (Focus) und die Bezeichnung des „Kurdenüberfalls“ als „Terror“ (BILD, FAZ) sollen der Abbildung eines gewöhnlich ausgerüsteten und nicht durch einen Helm geschützten Streifenbeamten, dessen Gesicht sichtbar und blutig ist, die Bedeutung der außergewöhnlichen Gewalt hinzufügen. Das Motiv eines hilflosen Polizisten, der sich weder Kraft seiner Autorität noch durch seine Kol8
19960325-Spiegel, S. 35 unten unter dem Artikel „Hilflos vor dem Terror“; 19960325-Focus, S. 22 unten – auf der selben Seite oben ist ein Kasten betitelt „Es hätte Tote geben können. Polizeigewerkschafts-Vize zu den KurdenKrawallen“. 9 Die Bildunterschrift der FAZ lautet: „Deutschland, der ‚Hauptfeind Nummer zwei‘: Sympathisanten der verbotenen ‚Arbeiterpartei Kurdistans‘ (PKK) skandieren vor den Augen der Fernsehkameras Parolen, nachdem sie eine deutsche Polizeistreife angegriffen, die beiden Beamten schwer verletzt und den Streifenwagen zerstört haben. Foto dpa“; 19960318-FAZ. 10 Wobei diese Bildunterschrift im Spiegel-Artikel nicht den Angriff auf den Polizisten, sondern den Umgang der PKK mit politischen Gegnern und „unzuverlässigen Leute in den eigenen Reihen“ beschreibt: „Die werden mitleidlos umgebracht. Insider berichten von Szenen archaischer Brutalität. Einem kurdischen Rauschgifthändler, der kein Schutzgeld zahlte, wurde in einem Waldstück bei Bremen der Arm mit einem Metzgermesser abgetrennt.“ (19960325-Spiegel: 36) 142
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
legen vor roher Gewalt schützen kann, evoziert eine allgemeine Hilflosigkeit der Staatsgewalt. Diese Gewalt-Inszenierung wird zum Symbol einer in den Grundfesten erschütterten Gesellschaft, einer „Schieflage, die das Gemeinwesen gefährdet“ (19960319b-BILD). Dass die kurdischen Demonstrierenden sich nicht an die im demokratischen System etablierten Regeln halten, befördert diese Deutung. Dadurch macht es Sinn, in den Presseberichten wie in den Parlamentdebatten immer wieder die Präsenz von Frauen und Kindern auf Demonstrationen hervorzuheben, was es der Polizei besonders schwer mache, die Versammlungsverbote durchzusetzen; am 24. März ist eine Doppelseite der Bild am Sonntag beispielsweise folgendermaßen betitelt: „Terror-Kurden: Kinder in die erste Reihe“ (19960324-BILD). Angesichts einer letztlich hilflosen Staatsgewalt wird nun der Ruf nach „mehr“ begründet. In der Rede von der „Polizei als Prügelknabe der Politik. Im Stich gelassen von ihrer Führung“ ist der Vorwurf enthalten, dass die Politik bisher nicht selbst handle, sondern Polizisten vorschiebe. Nun brauche die Polizei „die Unterstützung der Politik“ in Form schärferer Gesetze. Dies wird bestätigt in einem Leserbrief der BILD unter der Überschrift „KurdenKrawalle: Polizisten werden gnadenlos verheizt!“ „Ich schäme mich für die Politiker, die dafür verantwortlich sind, daß an diesem Wochenende Frauen (!!!) und Männer unserer Sicherheitskräfte von militanten ausländischen Gästen gnadenlos zusammengeschlagen wurden.“ (19960319b-BILD)
Liegt die Setzung einer Letztverantwortung bei der Politik erst einmal vollständig vor wird deutlich, dass die Aussage des Innenministers und anderer zitierter Politiker „Wer sein Gastrecht missbraucht hat sein Aufenthaltsrecht verspielt“ (z. B. 19960319-FAZ und 19960319-SZ) nicht nur eine Wir-SieGegenüberstellung ist, sondern auch eine Benennung der erforderlichen Maßnahmen. Damit ist nicht – wie das in den Jahren 1994 und 1995 der Fall war – die Anwendung bestehender Gesetze (auch zur Abschiebung) gemeint, sondern die Veränderung des bestehenden Rechts im Sinne einer Reaktion auf die Ereignisse. Eine Reaktion des „Rechtsstaats“ zu fordern und sich dabei darauf zu beziehen, dass wirksame oder angemessene Möglichkeiten fehlten, um das Problem zu lösen, ist durchgängig auch die Argumentationslinie der Beiträge in den untersuchten Abonnentenzeitungen. Das ist nicht weiter überraschend, denn die Berichte zitieren wie auch die Boulevardpresse vor allem Politiker (anders die Kommentare, auf die ich unter dem Stichwort Gastrecht unten eingehen werde), und geben daher mitunter den identischen Wortlaut wieder – nur etwas kleiner gedruckt als in der Boulevardpresse. Die FAZ titelt am 18.03.1996: „Kinkel: Terror der Kurden Kriegserklärung an den Rechtsstaat“ (19960318-FAZ), die SZ berichtet „Nach den Ausschreitungen vom Wochen143
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ende: Union will gewalttätige Kurden schneller abschieben“ (19960319-SZ). Alle Artikel zu Beginn des Ereignisses führen entsprechende Stellungnahmen aus der Politik an: „Innenminister Kanther (CDU) und Außenminister Kinkel (FDP) haben am Sonntag die Gewalttaten der Kurden verurteilt und gefordert, Rädelsführer und Gewalttäter sofort auszuweisen. Kanther sagte, die Gewaltanwendung gegen Polizeibeamte, die Störung des Autobahnverkehrs und die Mißachtung des deutschen Versammlungsrechts machten den unversöhnlichen Charakter der PKK deutlich. […] Außenminister Kinkel sagte, das Verhalten der kurdischen Gewalttäter und ihrer Rädelsführer komme einer Kriegserklärung an den Rechtsstaat gleich. Die Rädelsführer müßten umgehend in die Türkei abgeschoben werden.“ (19960318-FAZ) „Nach den Kurden- Krawallen vom Wochenende in Nordrhein- Westfalen mehren sich die Stimmen, die ein hartes Vorgehen gegen straffällig gewordene Kurden fordern. So will die Union die Abschiebung aller Ausländer durchsetzen, die an einer verbotenen Demonstration teilnehmen. […] Auch das SPD- Präsidium verlangte Härte. Ausländische Gewalttäter hätten ‚ihr Gastrecht in unserem Land verspielt‘. Sie müßten bestraft und abgeschoben werden. Der Vorsitzende der CSULandesgruppe im Bundestag, Michael Glos, forderte ebenfalls, man müsse Straftäter rasch loswerden. Zugleich kritisierte er den nordrhein-westfälischen Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) wegen dessen Aussage, Kurden dürften allein wegen der Beteiligung an Ausschreitungen nicht ausgewiesen werden. Glos bestand darauf, ausländische Straftäter dürften im rot-grün regierten Nordrhein- Westfalen ‚keine Nachsicht erfahren‘. Wer sein Gastrecht in Deutschland zur Begehung von Straftaten mißbrauche, habe es verwirkt.“ (19960319-SZ)
Abbildung 5: Der Spiegel vom 25.3.1996, S. 35; Focus-Magazin vom 25.3.1996, S. 22
Nachdem sich die Bundesregierung Ende März über die zu ergreifenden Maßnahmen einigte, sind die Inhalte dieser Reaktion das Thema in der Abonnentenpresse (während in der BILD keine weiteren Berichte zu diesem Thema mehr zu verzeichnen sind) – allen voran die Ausweisung:
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„Kabinett reagiert auf Kurden-Krawalle – Ausländer sollen bei schwerem Landfriedensbruch automatisch in ihre Heimat abgeschoben werden […] Unter dem Eindruck der jüngsten Kurden-Krawalle will die Bundesregierung die Abschiebung gewalttätiger ausländischer Demonstranten wesentlich erleichtern. Das Kabinett beschloß am Mittwoch einen Maßnahmenkatalog, der die zwingende Ausweisung nach Fällen schweren Landfriedensbruchs enthält.“ (19960328-SZ) „Ausweisung auch bei Landfriedensbruch – Vorschläge von Koalitionspolitikern zur Änderung des Ausländerrechts Die Innen- und Rechtspolitiker der Bonner Koalition haben ihre Beratungen über Änderungen im Ausländerrecht beendet. […] Danach soll die Ausweisung und Abschiebung kriminell gewordener Ausländer erleichtert werden.“ (19960430-FAZ)
In SZ und FAZ wird die Verschärfung des Ausweisungsrechts als „Reaktion“ auf die Ereignisse präsentiert. Durch die Formulierung „Kriegserklärung an den Rechtsstaat“ verkündet der Außenminister, den Kampf aufzunehmen und die Waffe der Gesetzesinitiative einzusetzen.11 Akteur ist also nicht primär die Polizei – oder andere Akteure, die etwa professionell mit Einwanderung befasst wären – sondern die Legislative. Die Rede des „rasch loswerden“ ist hier ebenso vertreten wie der Topos des Gastrechts. Durch die Verlagerung der Debatte auf das Recht, ebenso durch die Rede von der „Verwirkung“ des Rechts, sich in Deutschland aufzuhalten, ist es diskursiv zu einer sinnvollen Aussage geworden, im Kabinett einen Maßnahmenkatalog zu beschließen, der im Wesentlichen „Änderungen des Ausländerrechts“ enthält. Damit ist die Logik, dass die bestehenden Normen zur Lösung des aktuellen Problems nicht ausreichend seien, etabliert.
5.1.3 Von Straftätern, Terroristen und Gästen Grund und Zweck des Ausweisens Wenn die Problemdefinition, dass eine veränderte Situation vorläge, auf die mit anderen Maßnahmen als bisher reagiert werden müsse, erfolgreich etabliert ist, bleibt die Frage offen, weshalb gerade eine Erweiterung der gesetzlichen Ausweisungsgründe als sinnvolle Maßnahme betrachtet wird. Der Zweck des Ausweisens ist in diesem Fall offensichtlich: individualpräventiv gedacht entledigt sich die Gesellschaft der Devianz, generalpräventiv sollen zukünftige Gewalttaten „ausländischer Straftäter“ durch Disziplinierung der gesamten „ausländischen“ Bevölkerung verhindert werden. So begründete schon 1995 ein Redner im Bundestag den bayrischen Gesetzentwurf:
11 Auf den parallelen Diskursstrang der zunehmenden Straflust werde ich unten zu sprechen kommen. 145
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„Damit können nicht nur die Ausweisungsverfahren beschleunigt werden; es ist auch zu erwarten, daß sich Teilnehmer an potentiell gewalttätigen Veranstaltungen des damit verbundenen erheblichen Risikos für das Aufenthaltsrecht bewusst werden.“ (19951124-BRProt 691: 538)
In den Parlamentsdebatten 1996 tritt ein weiterer Zweck hinzu. Um das Ausweisen zu legitimieren wird das Ziel genannt, die „Integration der ausländischen Bevölkerung in Deutschland“ zu verbessern. „Ausländer, die Gewalt anwenden, die unsere Rechtsordnung vorsätzlich gröblich verletzen, die schwere Straftaten begehen, sollen nicht darauf vertrauen dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Diese kleine Gruppe von Ausländern ist vielmehr abzuschieben. Ich meine, wer die Integration der ausländischen Bevölkerung in Deutschland verbessern will, der muß auch dafür Sorge tragen, daß diese Aufgabe nicht durch eine kleine Zahl von Rechtsbrechern gefährdet wird.“ „Mit der Ausweisung Gewalttätiger, die dann möglich wird, nützen wir natürlich der deutschen Bevölkerung, aber wir nützen vor allen Dingen den Kurden, die hier leben und sich überwiegend – zu 99 Prozent – rechtstreu verhalten.“ (Marschewsky in 19960621-Plenprot13.114)
Die Begründung der Gesetzesvorlage, die in zitierter Debatte Thema ist, liefert genaueren Aufschluss darüber, worin der Nutzen tatsächlich bestehe, der sich aus einer Ausweisung von Rechtsbrechern „natürlich“ ergebe. Dort heißt es zur angesprochen Frage der Integration im allgemeinen Teil: „Die Integration der hier rechtmäßig lebenden Ausländer hängt auch von der Akzeptanz durch die Bevölkerung ab. Die Begehung von Straftaten durch Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland wird von Deutschen und Ausländern vielfach verurteilt und kann zu einer unerwünschten pauschalen Negativbeurteilung der hier lebenden Ausländer führen. Daher ist es geboten, die Aufenthaltsbeendigung – Ausweisung und Abschiebung – von ausländischen Straftätern zu erleichtern, die besonders schwerwiegende Straftaten begangen haben. Dies gilt gerade auch für die Ausländer, die durch die Begehung des besonders schweren Landfriedensbruchs das legitime Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die Rechtsordnung gefährden bzw. verletzen.“ (19960618-BtDrs13/4948)
Die durch diese Äußerungen konstituierte Aussage weist die Schuld an Rassismen der Mehrheitsbevölkerung12 den „Ausländern“ selbst zu. Dieses Argument affirmiert das „legitime Sicherheitsempfinden der Bevölkerung“; deren „pauschale Negativbeurteilung“ aller „Ausländer“ sei zwar „unerwünscht“, aber sie wird als logische Folge der „Begehung von Straftaten durch Ausländer“ bewertet. Letztlich wird also die Aussage gestützt, „Aus12 Zur Problematik des Begriffes der Mehrheitsbevölkerung s. FN 2. 146
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länder“ seien deshalb nicht zu akzeptierten, weil ihnen Kriminalität zugerechnet werden kann. Diese Argumentation verschränkt die Diskursstränge Ausländerkriminalität (s. u.) und Integration,13 indem sie der ‚akzeptierenden‘ „Bevölkerung“ ein homogenes Bild vom Anderen zuschreibt und dieses dann argumentativ anwendet (auch wenn der einzelne Redner sich davon distanzieren kann). Letztlich seien die „Ausländer“ selbst schuld daran, nicht „akzeptiert“ zu werden, denn einige von ihnen verhielten sich abweichend und verhinderten damit die Akzeptanz der gesamten „ausländischen“ Gruppe. Aber was genau wird eigentlich zum neuen, zum zusätzlichen Grund einer Ausweisung? Was wird als derart schwerwiegend empfunden, dass als entsprechende Maßnahme eine Erweiterung der gesetzlichen Ausweisungsgründe diskursiv denk- und sagbar wird? Mit andere Worten: wen oder was muss man „rasch loswerden“, worauf muss man angemessen reagieren: Ist es die Gewalt der Krawall-Kurden, der Terror der PKK, die besondere Qualität ausländischer Straftaten? Zentrale Aussagen und Topoi im Diskursstrang der Kurdenkrawalle wie das „Gastrecht“, der „Terror“ und die „Gewalt“, ja bereits Deskriptionen wie „die (Gewalt-)Aktionen der PKK“ (Scheufele/Brosius 2002: 116),14 sind erst durch ihre Etablierung im Diskursverlauf ‚sinnvoll‘ geworden. Denn in der diskursiven Praxis werden Bedeutungsträger laufend neu mit Sinn versehen, sind immer nur relativ bestimmt. Der diskursive Kontext schränkt die Bedeutungsmöglichkeiten aller Aussagen je situativ unterschiedlich ein. Den folgenden Exkurs widme ich daher den wichtigsten der
13 Zur Integration als Zweck des Ausweisens s. auch das zusammenfassende Kap. 6. 14 Die eher quantifizierende Inhaltsanalyse bei Scheufele/Brosius befasst sich mit der Kurdenberichterstattung 1993-1996 und verfolgt die Frage, ob die Qualität der medialen Darstellung von Gewalttaten ethnischer Minderheiten zu fremdenfeindlichen Gewalttaten führt. Dazu formulieren und prüfen sie die Hypothese „Die Kurden-Berichterstattung hatte einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung fremdenfeindlicher Straftaten als die tatsächlichen Anschläge und Aktionen der PKK“ (Scheufele/Brosius 2002: 124) und entwickeln ihr „Kurdenmodell“ der Wechselwirkung zwischen „objektivem Problem der PKK-Gewalt“ und wahrgenommener Bedrohung, dem Bild „krimineller Fremder“. Sie deuten den Eskalationsverlauf folgendermaßen: die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit sei angewachsen, als bei den Zusammenstößen mit der Polizei 1996 die Gewalt von Kurden als gegen Deutsche gerichtet wahrgenommen wurde, was Angst auslöste, die von der Politik angeheizt wurde („die innere Sicherheit sei bedroht“). Dazu kam, dass wegen der Schwierigkeit, Kurdinnen und Kurden in die Türkei abzuschieben politische Aktivität als reines Symbolhandeln wahrgenommen worden wären. Dadurch sei die Gewaltschwelle bei der deutschen Bevölkerung überschritten worden, es kam zunächst zu Aggression gegen Kurden und dann zu einem „Umschlagen gegen ‚Fremde‘ allgemein“ (vgl. Scheufele/ Brosius 2002: 117). 147
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parallel zur Landfriedensbruchdebatte vorliegenden und auf sie einwirkenden Diskurssträngen.
Exkurs: Parallele Diskursverläufe Bei der Untersuchung der zentralen Topoi darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Diskursverlauf in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre von der parallelen Fortführung bereits vorliegender Diskursstränge beeinflusst ist. Am wichtigsten sind dabei das Thema Asyl und Flüchtlingspolitik sowie das Thema Ausländerkriminalität15 und Punitivität, weshalb ich auf beide kurz eingehen möchte. Flucht und Asyl Viele der in Deutschland in den 1990er Jahren politisch aktiven Kurdinnen und Kurden kamen als politische Flüchtlinge nach Deutschland,16 erhielten zum Teil auch eine Anerkennung als Asylberechtigte oder wurden durch die Genfer Flüchtlingskonvention vor einer Abschiebung in die Türkei geschützt – zumeist, weil sie dort als PKK-Angehörige oder -Sympathisierende Verfolgung zu befürchten hätten. Der Verlauf des Asyl-Diskurses, dessen zentraler Bezugspunkt die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 bildet, ist in zahlreichen Studien untersucht worden (vgl. etwa die Studien des DISS, Jäger/u. a. 1996, Jäger/Kellershohn/Pfennig 1993). Anfang der 1990er Jahre prägte die Kollektivsymbolik (Link) „das Boot ist voll“ die öffentlichen Debatten, vielfach kam es zu rassistischen Angriffen gegen Flüchtlinge wie im Sommer 1992 zu den Krawallen in Rostock-Lichtenhagen (vgl. Jäger/Kellershohn/Pfennig 1993). Die daran anschließende Asyldebatte, nicht zuletzt der von Bundeskanzler Kohl im Oktober 1992 erklärte „Staatsnot15 Tatsächlich ist der polizeiliche und kriminologische Begriff der „Ausländerkriminalität“ kein Fachterminus (mehr), sondern klassisches othering: der Begriff verknüpft „kriminell“ und „anders“; vgl. auch den Hinweis Beichels, dass der Ruf nach Repression im Ausweisungskontext besonders leicht falle, denn „wer mit dem Topos der ‚Ausländerkriminalität‘ argumentiert, gibt damit zu erkennen, dass es sich um Kriminalität von ‚anderen‘ handelt“ (Beichel 2001:11). Trautmann kritisiert „in der öffentlichen Diskussion über die Kriminalität von Ausländern eine Kategorisierung der Täter unter das Merkmal Ausländer, ohne Rücksicht auf die Umstände ihrer Tat. Wenn vom ‚Mißbrauch des Gastrechts‘ gesprochen wird und von der Nichtintegrierbarkeit eines ausländischen Straftäters, dann wird die Staatsangehörigkeit mit einem Male zu einem Punkt der Anklage. Der Ausländer wird so zu einer besonderen Kategorie von Tätern“ (Trautmann 2002: 336); vgl. auch Brüchert 2000 und Brüchert 2005 zur populären Rezeption der polizeilichen Kriminalstatistik. 16 Die 1990er Jahre hindurch war die Türkei unter führenden drei Herkunftsländern von Asylantragsstellenden in Deutschland; darunter befanden sich relativ konstant mehr als 80% Kurdinnen, vgl. BAFL 2003: 36. 148
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stand“ wegen des „Asylproblems“, die zunehmende Abschottung gegenüber Flüchtlingen europaweit, die staatliche deutsche Flüchtlingspolitik, Proteste gegen Abschiebungen sowie Debatten um ökonomische Belastung durch Migration und die humanitären Verpflichtungen Deutschlands bilden ein dichtes Geflecht aneinander anknüpfender Diskursstränge, das an anderer Stelle entwirrt worden ist (vgl. Butterwegge 1999, Niehr 2004, Wengeler 2006).17 Durchgehend wird über die Zulässigkeit von Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge in die Türkei diskutiert. Die kontroversen Positionen innerhalb des Themas „Abschiebestopp“ sind die internationalen humanitären und menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands (etwa aus der Genfer Flüchtlingskonvention) auf der einen Seite. Dem steht der Diskursstrang des nach Deutschland „importierten Konfliktes“ (s. o.), der aus der Türkei stamme, dort hin gehöre und daher in Form der Akteure wieder dort hin transportiert werden sollte, gegenüber. Nach den Demonstrationen um Newroz 1995 wird beispielsweise viel über das Auslaufen des zu dieser Zeit noch bestehenden Abschiebestopps diskutiert. Generell beschäftigt sich dieser Diskursstrang mit dem Umgang mit Asylbewerbern und Asylbewerberinnen, für die aufgrund ihres temporären Aufenthalts die Logik der Ausweisungsdrohung nicht direkt anwendbar ist. Kriminalität und Strafen Durchgängig in den 1990er Jahren liegt die Rede von der „Ausländerkriminalität“ als einem selbstständigen Diskursstrang vor, was inhaltsanalytisch (etwa Jäger u. a. 199818) wie diskurstheoretisch (Kunz 1996) belegt wurde. Für diesen Diskursstrang ist zentral, dass seine Logik die Differenzierung zwischen Wir und Sie im Sinne einer Gewissheit reaktiviert, die Devianz der Ausländer sei uns fremd; diese werde von Ihnen eingeführt und müsse trotzdem von uns zu erleiden sein (Busse 1997; Geißler 1999). Externalisierung der Delinquenten ist daher grundsätzlich eine angemessene Option der Bearbeitung von „Ausländerkriminalität“, Ausweisung ein probates Mittel (Jäger u. a. 1998, Jäger 1999a). Angesicht der Qualität der „Kurdenkrawalle“ als öffentlich stark wahrgenommene „Kriminalität“ wird die Verbindung, die verschiedene Diskurse hierin eingehen, besonders augenfällig. Der im deutschen Exil aktive ausländische Flüchtling wird dem „ausländischen Straftäter“ an die Seite gestellt, 17 Etwa arbeitet Wengeler 2006 gegensätzliche diskursive Positionen für diesen Zeitraum heraus, die er Humanitäts- und Belastungs-Topos nennt. 18 Die Kernaussage dieser empirischen Studie lautet, dass die untersuchten Printmedien (FR, FAZ, BILD, WAZ, Rh. Post, Spiegel) im Jahr 1997 die konnotative Verknüpfung von „Ausländern“ und „Kriminalität“ zum Teil massiv verstärkten. 149
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zumal wenn die Exilaktivität als politischer Extremismus gerahmt wird, wie der viel zitierte Spiegel-Titel „Gefährlich Fremd“ dies tut (s. Abbildung 6). Dieser war zwar nicht explizit auf die „Kurdenkrawalle“ bezogen (als Aufhänger diente vielmehr die Heitmeyer-Studie „Verlockender Fundamentalismus“ (Heitmeyer/Müller/Schröder 1997), die auch über dieses Diskursfragment hinaus breite Medienresonanz hatte, s. FN 86), steht aber „exemplarisch für den neuen rassistischen Schub“ (Jäger u. a. 1998: 206), der von der Verschränkung zwischen Kriminalitätsdiskurs und Asyldiskurs im Jahr 1997 ausgegangen ist. Abbildung 6: Der Spiegel vom 14.4.1997
Ebenso eine Folge dieser Diskursverschränkung ist die Aussage Gerhard Schröders im BILD-Interview „Schröder: Kriminelle Ausländer raus!“ vom Juli 1997: „Man schützt die hier lebenden gesetzestreuen Ausländer nicht, indem man Ausländerkriminalität totschweigt. Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht mißbraucht für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell!“ (19970720-BILD)19 19 Die DVU wollte im Jahr 2001 den Schriftzug „Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eines: Raus, und zwar schnell! Gerhard Schröder, 1997“ in einem Wahlspot verwenden, wogegen das Kanzleramt juristisch vor150
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Schröders Äußerung steht im Kontext der Ende der 1990er Jahren zunehmend erkennbaren Punitivität (Straflust oder Repressionsneigung).20 Darin drückt sich das (implizit wie explizit geäußerte) Verständnis aus, härtere Strafen einzusetzen um sozialen Konflikten zu begegnen. Der Ruf nach dem ‚Rauswurf‘ ist innerhalb des Diskursstranges Ausländerkriminalität mit spezifischer Bedeutung gefüllt. Er verbindet sich mit dem Gastrecht-Topos (auf das ich anschließend genauer eingehen werde) zur Forderung nach Sanktionen bei einem Missbrauch des Gastrechts. Dass es nicht bei rein diskursiven Wirkungen im Sinne der Wahrnehmung und des Bedürfnisses zu Strafen bleibt – also bei der bloßen Forderungen nach mehr Repression21 – sondern diese Aussagen im Straf-Dispositiv materielle Wirkungen entwickeln – also zu mehr und härteren verhängten Strafen führen – zeigt die Analyse der Rechtspraxis. Die legislativen Folgen diskutiere ich im folgenden Abschnitt, zu den judikativen Folgen müssen wir juristischen Expertisen vertrauen (zur defizitären Datenlage hinsichtlich Ausweisungen s. Kap. Datenlage), wie sie etwa der Jurist Hailbronner liefert. Er erwähnt ein allgemein steigendes Strafmaß gegenüber „Ausländern“; man sehe Ende der 1990er Jahre, „daß sich die strafrichterliche Praxis unter dem Druck der öffentlichen Meinung bei einigen Delikten bereits verschärft hat“ (Hailbronner 1999: 176).22 Die Signalwirkung des „Wegschließen, und zwar für immer“ wie auch des „Raus, und zwar schnell“ zeigen, dass Straflust den Diskurs ganz maßgeblich strukturiert hat. Ist die Aussage „Sanktionen bei Missbrauch des Gastrechts“ als sagbar etabliert behält sie ihre den Diskurs strukturierende Logik bei, was ein Beispiel aus dem Jahr 1999 zeigt:
ging (vgl. taz vom 3.9.2001). Auch Anfang 2008 wurde Schröders Zitat zur Rechtfertigung geplanter Verschärfungspläne des Ausweisungsrechts von konservativen Politikern angeführt (vgl. die Meldung der ap: „Koch legt im Streit um kriminelle Ausländer nach“ vom 11.1.2008). 20 Fritz Sack spricht von einer „neuen Straflust der Gesellschaft“ und bezieht sich damit auf das steigende Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Flankiert wird das durch eine zunehmend repressive Strafgesetzgebung. Damit werde ein Paradigmenwechsel eingeleitet, wodurch nun die Strafgesetzgebung und das Strafen im Vordergrund stehe – mit anderen Worten gehe es nicht mehr um den Täter, dessen Tat und die Verhinderung weiterer Straftaten durch dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sondern um die Sicherheit der Allgemeinheit; vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998, Lautmann/Klimke 2004, Singelnstein/Stolle 2006. 21 Zur empirischen Untersuchung der Auswirkungen von Medieninhalten auf Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität vgl. Pfeiffer/Windzio/Kleimann 2004. 22 Dies nennt er im Zusammenhang mit der Senkung der Schwelle einer Regelausweisung von fünf auf drei Jahre, wodurch nun deutlich mehr Menschen eine Regel-Ausweisung zu befürchten hätten, was Hailbronner begrüßt: es werde deutlich, „daß bestimmte Verhaltensweisen generell nicht toleriert werden“ (Hailbronner 1999: 176). 151
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„Wer das Gastrecht in Deutschland mißbraucht und straffällig wird, muß mit der vollen Härte unserer Gesetze, mit einem Strafverfahren und mit Ausweisung und Abschiebung rechnen,“ erklärte Bundesinnenminister Otto Schily am 23. Februar 1999 vor dem Bundestag „zu den gewalttätigen Aktionen aus Anlaß der Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan“ (PlenProt12/14: 1383).
Die Verwirkung des Gastrechts Kaum ein Topos im Ausweisungsdiskurs hat solch eine Konstanz wie die Rede vom „Gastrecht“. Schon in der APVO der Nationalsozialisten begründete das Kriterium „die Gewähr dafür bieten, daß sie der gewährten Gastfreundschaft würdig sind“ die Gewährung oder Versagung eines Aufenthaltsrechts. Dass dies nicht eine Erfindung der 1930er Jahre ist, zeigt der Blick in ältere Verordnungen wie etwa den Ausweisungserlass von 1923, in dem der Preußische Innenminister ausdrückt, er erwarte, „daß gegen solche Ausländer, die sich nicht scheuen, das ihnen gewährte Gastrecht zu mißbrauchen, mit aller Schärfe [...] vorgegangen wird.“ (MBliV 1923: 885)
Auch im vorrechtsstaatlichen juridischen Spezialdiskurs war das Gastrecht also ein zentrales Element, um das Verhältnis zwischen dem Wir und dem Anderen auf einen Begriff zu bringen. Die APVO1938 galt wie erwähnt in der BRD bis 1965. Das heutige Ausländerrecht kennt den Begriff des „Gastes“ nicht mehr. So wird auch ab 1965 auf das „Gastrecht“ im Spezialdiskurs nicht mehr explizit Bezug genommen (vgl. die Anführung der „Zweckmäßigkeitserwägungen“ in der Begründung zum AuslG1965, s. S. 81). Die Generalklausel des Ausweisungsrechts fordert seit 1965 nicht mehr eine „Gewähr“ für „Würdigkeit“, sondern will umgekehrt jede „Beeinträchtigung“ der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausschließen.23 Im Interdiskurs bleibt das „Gastrecht“ allerdings bis heute ein zentraler Topos wenn es um das Verhältnis von Deutschen und „Ausländern“ geht – und damit ist nicht nur das formal-rechtliche Verhältnis gemeint, auch wenn der Begriff „Recht“ darin enthalten ist. Denn die Metapher vom „Gastrecht“ transportiert divergierende Bedeutungen. Einerseits kann dieser Begriff bestimmte Rechte von Gästen meinen, die ihnen Kraft ihres Status als Gäste zufallen, etwa wenn angenommen wird, dass ein Gast unter einem besonderen Schutz des jeweiligen Gastgebers stehe oder eine moralische Pflicht zur Gastfreundschaft vorläge, also Gäste besonders zuvorkommend zu behandeln wären. Die Anwendungsprobe zeigt jedoch, dass diese Lesart im Ausweisungsdiskurs keinen Sinn macht: besondere Bevorrechtigungen könnte eine Gast
23 Zur Generalklausel s. den Abschnitt ab S. 78. 152
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nur in deren Anwendung „missbrauchen“. Die Aussage „wer unser Gastrecht missbraucht“ benötigt ein singuläres Recht, das dem Gaststatus zugeordnet ist; mit der Füllung als ein System von Rechten oder ein ganzes Bündel spezieller Bevorzugungen ist diese Phrase nicht sinnvoll zu äußern. Die alternative Lesart muss also von der Setzung eines singulären Rechts ausgehen, nämlich dem, ein Gast zu sein. Das „Gastrecht“ meint dabei also speziell die Erlaubnis, sich als Gast an einem Ort aufzuhalten. Damit sind alle impliziten Konnotationen, die auch der ersten Lesart des Gastrechts folgten, explizit gemacht. Ein Gast bleibt nur vorübergehend, ist vom Gastgeber eingeladen, hat sich (wie ein Gast) zu benehmen und genießt nicht dieselben Rechte wie ein Einheimischer. Letztlich ist die einzige Quelle dieses „Rechts“ die Gastfreundschaft, also der Wille des Gastgebers, den Gast aufzunehmen. Einzige Folge ist der Status eines Gastes: „Demjenigen, der sein Gastrecht – ich betone: sein Gastrecht; um mehr handelt es sich nicht; nur das vermitteln die Aufenthaltstitel des Ausländerrechts – mißbraucht, muß dieses entzogen werden.“ (19960621-Plenprot13.114)
Sein Gastrecht „zu verwirken“ hieße demnach, das Recht zum Aufenthalt zu verlieren. Prüfen wir diese Leseweise am Wortlaut der entsprechenden Äußerungen. Durchgehend wird die Metapher des Gastes in den Parlamentsdebatten verwendet. Dort ist eine Setzung aller „Ausländer“ als Gäste möglich, wenn auch nicht unumstritten: „Ausländer sind in der Tat Gäste und haben sich wie Gäste zu benehmen.“ (Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU) in 19961114-Plenprot13.138)
Eher selten wird explizit daran Kritik geübt, und letztlich bleiben gegensätzliche Positionen bestehen: „Übrigens: Das Bild vom Gast gehört auf den Müll der Geschichte. Sind es etwa Gäste, die hier als Selbständige für eine Million Arbeitsplätze für Deutsche und Ausländer sorgen? Das sind keine Gäste.“ (Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.) in 19961114-Plenprot13.138) „Ihr Plan zur Doppelbestrafung setzt meines Erachtens die Grundfrage bei allen ausländerrechtlichen Fragen erneut auf die Tagesordnung: Betrachten wir Menschen, die ohne deutschen Paß hier leben, als gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen, oder sind sie lediglich Gäste, denen man sein Wohlwollen beliebig entziehen kann? (Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Letzteres!) Sie von der Koalition betrachten Menschen ohne deutschen Paß als Gäste ohne wesentliche Rechte. (Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Richtig!)“ (Ulla Jelpke (PDS) in 19960621-Plenprot13.114) 153
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Im Zuge der Gesetzesnovellierung 1996/1997 werden vielfach Äußerungen gemacht, die zunächst spezifizieren, worin der Inhalt eines „Gastrechts“ besteht, nämlich in der Aussage: vorbehaltlich der kulturellen Anpassung und jederzeit revidierbar werde der Aufenthalt erlaubt. Dies wird aus den zahlreichen direkten Verknüpfungen des Signifikanten Gastrecht mit dem semantischen Feld des Ausweisens deutlich: „Wer schweren Landfriedensbruch begeht, Autobahnen sperrt und Polizisten angreift, hat nach unserem Gesetzentwurf sein Gastrecht verwirkt und muß zwingend ausgewiesen werden.“ (19961114-Plenprot13.138)
Daran anschließend wird die Aussage, es läge ein Gastrecht vor, durch den behaupteten „Missbrauch“ zu einer machtvollen Metapher. Denn nun wird deutlich dass diese scheinbare Rechtsstellung durch eine Vielzahl von Umständen „verwirkt“ wird. Der Missbrauch liegt, wie die folgende Auflistung der gängigen Äußerungen zeigt, bei deviantem Verhalten wie „Gewalt“, „Kriminalität“ und „Begehung von Straftaten“, aber auch bei dem Vorliegen des denkbar arbiträren Signifikanten „Terror“ vor. „Der Terror und die Gewalt dieser Gruppen sei ein ‚unerträglicher Mißbrauch des Gastrechts‘, sagte der Bundeskanzler.“ (19960320-SZ) „Wer sein Gastrecht in Deutschland zur Begehung von Straftaten mißbrauche, habe es verwirkt.“ (19960319-SZ) „So wie jeder im privaten Bereich von Gästen erwartet, daß sie nicht die Wohnungseinrichtung demolieren, erwarten wir das selbstverständlich auch von freundlich hier im Lande aufgenommenen Gästen. Wer Gastrecht durch Gewalt und Kriminalität mißbraucht, darf nicht darauf vertrauen können, nach wie vor als Gast in unserem Land willkommen zu sein.“ (Erika Steinbach (CDU/CSU) in 19960621Plenprot13.114)
„Gastrecht“ bedeutet also, sich zu benehmen als wäre man bei Gastgebern zu Hause. Die enge und ganz selbstverständliche Knüpfung der allgemeinen Berechtigung sich an einem Ort aufzuhalten an bestimmte Verhaltensweisen, weil eben nur wer sich „wie ein Gast verhält, als Gast willkommen ist“ (ebd.), macht die Rede vom Gastrecht zu einem so eindeutig ausgrenzenden Argument. Die Metaphorik von Hausherr und Gast ist ein Topos, das einer machtvollen Logik Wirksamkeit verschafft, die, einmal etabliert, nicht mehr explizit benannt werden muss. Damit ist eine Machtwirkung des Gastrecht-Topos erkennbar, die andere Folgen hat als das noch zu Beginn der 1900er Jahre, in der Phase der „Importthese“ (s. o.) der Fall war. Blättern wir noch einmal in den Parlamentsprotokollen zurück und lesen wir den Beginn der Rede eines CDU-Abgeordneten 154
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in der Aktuellen Stunde „Die Anschläge terroristischer Kurdenorganisationen auf türkische Einrichtungen in Deutschland und die deutsch-türkischen Beziehungen“ (19931110-PlenProt.12/188) durch. Dort heißt es wörtlich: „Der Export der inneren Probleme der Herkunftsländer unserer ausländischen Mitbürger ist wohl nicht gänzlich zu verhindern. Wir müssen allerdings mit aller Kraft verhindern, daß Deutschland zum Ersatzschlachtfeld für die Minderheitenprobleme der Türkei und der anderen Heimatländer wird. Hier denke ich, meine Damen und Herren, wird das Gastrecht missbraucht. Wir dürfen nicht zulassen, daß auf deutschem Boden vor allem den ausländischen Mitbürgern Leid zugefügt wird.“ (19931110-PlenProt.12/188: 16208; Hervorh. i. Orig.)
Der Gastrecht-Topos dient hier der Markierung von Differenz und steht damit in einer Reihe mit anderen derartigen Elementen: der Verweis auf die Herkunfts- bzw. Heimatländer, der Gegensatz zwischen dem „deutschen Boden“ und den „ausländischen Mitbürgern“. Zusammengenommen verstärken sie die explizit ausgesprochenen Konflikt-Importlogik, die zu einem Argument des Schein-Konfliktes wird: im „Ersatzschlachtfeld“ wird deutlich, dass dieser Konflikt nicht der tatsächliche Krieg sei, denn dieser fände in der Türkei statt, sondern eine Kopie, die dem Original nicht gerecht werde; den Krieg hier zu führen sei aber sinnlos, wenn die Schlacht hier nicht entschieden werden kann. Dies ist jedoch keine Argumentation für das Hinausweisen des Konflikts in Form seiner Protagonisten, sondern betont die Notwendigkeit einer inkludierenden Reaktion – also der repressiven Bearbeitung. So fährt der Redner auch fort: „Die Mittel der PKK … sind kriminell und müssen mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden.“ (Ebd.)
Nach 1996 funktioniert der Topos des Gastrechtsmissbrauchs vor einer deutlich gewandelten Logik. Nun ist nicht mehr die Aussage maßgeblich, so verhalte sich ein Gast nicht, daher sei eine Änderung des Verhaltens notwendig. Sondern jetzt führt die Bezeichnung als „Gast“ im Falle des Fehlverhaltens notwendigerweise zum Verlust des Rechts, sich hier aufzuhalten. Auch die oben bereits zitierte Rede Gerhard Schröders vom „Raus, und zwar schnell!“ wird im Interdiskurs sofort als Externalisierung „krimineller Fremder“ entschlüsselt. Dies belegt die Platzierung des Gastrecht-Topos innerhalb des Kontexts von Abschiebungen in der auf das BILD-Interview folgenden Focus-Ausgabe im Juli 1997: „Kalte Abschiebungen wie diese sind, geht es nach dem Willen von Niedersachsens Landesvater, in Zukunft nicht mehr nötig. Ministerpräsident Gerhard Schröder
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
(SPD) bläst zum Angriff gegen kriminelle Fremde: ‚Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein […]‘“ (19970728-Focus).
Indem ausgewiesen werden muss wer „sein Gastrecht verwirkt“ hat, ist klargestellt, dass die Erlaubnis, sich im Land aufzuhalten, keine wirkliche Berechtigung ist, sondern lediglich dem Gaststatus erwächst. Geht der Status als Gast verloren – wie das bei einem Verhalten der Fall ist, das Gästen nicht zusteht – ist auch die Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen. Damit wird die Diskussion, woher der Nationalstaat sein Recht nimmt, über den Aufenthalt von Staatsfremden zu bestimmten, eindeutig entschieden: es erwächst aus der Entscheidungsgewalt eines Gastgebers, wen er zu sich einladen will und wen nicht. Damit überschreibt das Konzept der „Gastfreundschaft“ jede eindeutige (und möglicherweise) einklagbare Setzung des Aufenthaltsrechts als positives Recht. Die Gewährung des Gaststatus ist demnach dem Nationalstaat, weil er sich als souverän versteht, zur völlig freien Disposition gestellt. Von dieser grundlegenden Setzung geht der Interdiskurs in der Regel aus. Daran anschließend bleibt aber die Frage bestehen, ab wann ein Verhalten dem Gaststatus nicht mehr gerecht wird und nicht mehr zu tolerieren ist. Durch eine derartige Verletzung des Gastrechts werden Ausweisungsgründe geliefert, die ich im Folgenden darstelle.
Krawalle, Terror und Bürgerkrieg Anfang der 1990er Jahre werden in der Presse die kurdischen Aktionen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland als „Kurdenkrawalle“ bezeichnet. Dabei wurde der Begriff „Krawall“ für die Bezeichnung von Anschlägen unter anderem auf türkische Banken und von Besetzungen türkischer Konsulate (1992 in Mainz, 1993 in München) durch Gruppen organisierter Kurdinnen und Kurden gewählt. Mit den Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei im Zuge der (von deutschen Innenbehörden verbotenen) Newroz-Feiern 1994, 1995 und 1996 werden die „Kurdenkrawalle“ zu einer Bezeichnung für militante kurdische Demonstrationen, darunter vielfach Autobahnblockaden. Der Bedeutungswandel des Begriffs „Krawall“ – was aber auch für den „Krieg“, die „Schlacht“ usw. gilt – zeigt die Arbitrarität von Signifikant und Signifikat. Der „Krawall“ bezieht sich also auf unterschiedliche Ereignisse und transportiert voneinander differierende Botschaften. Inhaltlich ist das Bezeichnete zumeist entweder das Werfen von Brandsätzen, die kurzzeitige Besetzung von Einrichtungen oder die Zerstörung von Mobiliar. Die Bedeutung des „Krawalls“ ist dann „Zerstörung“: eine Form physischer Gewalt, die Schaden anrichtet, plötzlich auftritt, brutal und undif156
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ferenziert vorgeht und deren Wirkung nicht ein politisches Anliegen vertritt, sondern Selbstzweck ist. Die als Aktionen der PKK bezeichneten „Kurdenkrawalle“ werden zum Bestandteil der Aktivität der PKK, die ihrerseits zu dieser Zeit als „terroristische“ Organisation gerahmt ist. Das den „Krawallen“ zugemessene Ziel ist daher, Terror zu verbreiten. Das PKK-Verbot, das in der Folge wiederum die Verbote der Newroz-Feiern legitimiert, reagiert auf die Wahrnehmung dieser „Krawalle“ als „Terror“. Der inhaltliche Schwerpunkt der Berichte wird etwa ab 1994 abgelöst durch die Straßenmilitanz kurdischer Demonstrationen. Dabei wird der Signifikant „Krawall“ beibehalten, auch wenn sich das Signifikat wandelt. Statt dem Anschlag auf türkische Einrichtungen oder deren Besetzung wird nun eine Versammlung, die sich gegen Angriffe der Polizei wehrt oder deren Blockade durchbrechen will, als „Kurdenkrawall“ bezeichnet (vgl. etwa 19960318b-BILD, 19960319-FAZ, 19960319-SZ). Ebenso bleibt es zumindest im Segment der Boulevardpresse bei der Verwendung des Signifikanten „Terror“, das die Akteure weiterhin als Attribut führen („Kurden-Terror“/ „Terror-Kurden“, s. Abbildung 4). Die Bedeutung des „Krawalls“ ist nun Gewalt gegen die Polizei: aggressiv, zerstörerisch, fanatisch, die Gesellschaft herausfordernd, sich über Gesetze hinwegsetzend und nun auch regelmäßig wiederkehrend, ja geradezu zu erwarten. „Krawall“ markiert die Wiederholung von Gewalt, die – ähnlich wie der Terror – als Strategie begriffen wird.24 Das Element des planvollen Vorgehens wird in der interdiskursiven Repräsentation entsprechend stark betont. Eine derartige Strategie als Mittel um politische Ziele umzusetzen gilt dabei als sinnlose, zumindest demokratisch nicht legitimierte Aktivität; derartige Krawalle sind daher nur als vormoderne, von den Akteuren „mitgebrachte“ Gewalt zu verstehen (etwa die „archaische Gewalt“ des Spiegel). Der „Krawall“ mit den entsprechenden Zuschreibungen wird über das Bild des Tanzes an den in der deutschen Öffentlichkeit mit kurdischen Newroz-Feiern assoziierten Kreistanz („Reigen“) verbunden, wie der Beginn des ersten Artikels in Focus im März 1996 zeigt: „Die Drähte zog die PKK. Unter dem Tarnmantel der Lesbendemo startete die verbotene Kurdische Arbeiterpartei am 9. März den geplanten Krawallreigen um das diesjährige Newroz-Fest. Deutsche Sicherheitsbehörden sind alarmiert: ‚Das wird ein heisser Tanz.‘“ (19960318-Focus)
24 Diese Füllung des Signifikanten „Krawall“ als sinnlose Gewalttätigkeit ist durch das Oxymoron „Krawalltourismus“ bekannt. Wie der Tourist in seiner Freizeit etwas tut, was nicht produktiv und nicht professionell ist sondern, ganz Selbstzweck, der Entspannung dient, schreibt der „Krawalltourist“ den so bezeichneten zu, die mit Krawallen einhergehende entlegitimierte Betätigung um ihrer selbst Willen auszuüben. Der damalige Außenminister Kinkel bezeichnete die demonstrierenden ebenfalls als „grenzüberschreitenden Krawalltourismus‘. 157
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Über die Begriffschöpfung „Krawallreigen“ wird eine Kette von Assoziationen aktiviert, die vom traditionellen Tanz über Krawall zu Gewalt führt. Mehrmals habe ich in diesem Zusammenhang schon angesprochen, dass sich die Repräsentation der Ereignisse nicht auf das semantische Feld des „Krawalls“ beschränkt. Maßgeblich ist den gesamten untersuchten Zeitraum hindurch auch die Attributierung der Aktivitäten als „terroristisch“ bzw. der Akteure als „Terroristen“. Die Proteste gegen die Einsätze des türkischen Militärs in Kurdistan, die Friedensdemonstrationen gegen den Bürgerkrieg in der Türkei sowie die Proteste gegen das PKK-Verbot griffen oftmals sowohl organisatorisch als auch inhaltlich ineinander. Es dürfte angesichts des hohen Organisationspotentials der PKK in Westeuropa auch kaum zu trennen sein, wann es sich um Sympathisierende der PKK und wann um Demonstrierende handelte, die in anderen (kurdischen) Gruppen organisiert waren. Vor allem die (nach 1993 offizielle) Ineinssetzung von PKK-Aktivitäten und „Terror“ sowie die (vor allem mediale) Gleichsetzung von PKK und „Kurden“ sind daher keine bloße Beschreibung, sondern ihrerseits eine folgenreiche Herstellung von Wirklichkeit. Dies ist zwar keineswegs neu (vielmehr, wie dargestellt, seit Anfang der 1990er Jahre tradiert), in den Jahren 1996/1997 dennoch umso wirkmächtiger. Durch die (spezial)diskursive Kategorisierung der PKK als „terroristisch“ wurde bereits 1993 die Verbotsverfügung diskursiv ‚sinnvoll‘. Die interdiskursiv parallel dazu vollzogene Gleichsetzung von „Kurden“ und „PKK“ entfaltet vom ersten Tag des Ereignisses im März 1996 an die daran anschließenden Machtwirkungen.25 Die interdiskursive Deutung der Geschehnisse als „Terror“ ist dabei keinesfalls eine Inszenierung des Boulevards. Selbst wenn die BILD am 19. März 1996 in großen Lettern titelt: „Kurden-Terror / Schützt endlich unsere Polizei!“ (19960319a-BILD), so gab es dafür wie für andere derartige Äußerungen prominente Sprecher, die sie etablieren konnten, weil sie vor dem Hintergrund des Diskursverlaufs bereits sagbar waren.26 Zwei Beispiele aus
25 Hinsichtlich der Medienberichterstattung beschreiben Scheufele/Brosius ein Phänomen, das meine Analyse bestätigt: die Deutung des Ereignisses als „Kurdenproblem“ (nicht zuletzt durch die tendenzielle Gleichsetzung von PKK und Kurden): „Die Berichterstattung schloss aber von der PKK schlicht auf ‚die Kurden‘, machte aus der PKK-Gewalt den ‚Kurden-Terror‘“ (Scheufele/Brosius 2002: 125). 26 Die etablierte Gleichsetzung von „Kurden“ und „Terror“ bewirkte auch die Ende der 1990er Jahre zunehmende Verschärfung des Kontroll- und Repressionsregimes. Ein Beispiel ist der Ablauf des Prozesses gegen den Polizisten, der Halim Dener erschoss: die hohen „Sicherheitsbedingungen“ der Verhandlungen 1996/97 wären ohne die entsprechende diskursive Markierung der kurdischen Prozessbesucher/innen als „besonders gefährlich“ wohl kaum denkbar gewesen; vgl. Gössner 1998. 158
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Abonnentenzeitungen möchte ich dazu anführen. Den Beitrag auf der Titelseite der FAZ vom 18.03.1996 hatte ich bereits erwähnt („Kinkel: Terror der Kurden / Kriegserklärung an den Rechtsstaat – ‚Rädelsführer abschieben‘“). Am 20.03.1996 macht die Süddeutsche Zeitung mit der Schlagzeile auf: „Bundesregierung will das Ausländerrecht verschärfen – Kohl: PKKTerroristen sofort in die Türkei abschieben“. Im Artikel wird abermals die Verknüpfung von eindeutig bestimmbaren Straftaten und dem unklaren Begriff des Terrorismus deutlich: „Bundeskanzler Kohl verurteilte die Ausschreitungen vom Wochenende am Dienstag ‚aufs schärfste‘. Er verlangte die schnellstmögliche Abschiebung von Mitgliedern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, ‚die in Deutschland ihr terroristisches Unwesen treiben‘. Der Terror und die Gewalt dieser Gruppen sei ein ‚unerträglicher Mißbrauch des Gastrechts‘, sagte der Bundeskanzler.“ (19960320-SZ).
Ein identischer Befund liegt hinsichtlich der wie „typische“ Boulevardphrasen klingenden Schlagzeilen von „Szenen wie im Bürgerkrieg“ oder des „Krieg erklären“ (19960318a-BILD) vor – auch diese beziehen sich auf die Rede des Außenministers vom „Terror“ der Kurden, der einer „Kriegserklärung an den Rechtsstaat“ gleich komme. Ende März 1996 setzt Focus das selbe Motiv ein, indem der Bundespräsident mit der Verknüpfung von Devianz und Extremismustopos zitiert wird: „‚Wer als Ausländer in Deutschland Gewalt und Terror verbreitet, hat sein Gastrecht missbraucht und verwirkt‘ ROMAN HERZOG, BUNDESPRÄSIDENT“ (19960325-Focus, s. Abbildung 7).
Abbildung 7: Focus-Magazin vom 25.3.1996, S. 24
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5.2 Von Straftaten und öffentlicher Sicherheit 5.2.1 Diskursstränge der Intensivtäter-Debatte Nur wenige Monate nach der eben diskutierten Verschärfung des Ausweisungsrechts entwickelte sich an der Frage, ob ein straffälliger Jugendlicher mit türkischer Staatsangehörigkeit in die Türkei ausgewiesen werden soll, eine medial höchst präsente und kontrovers geführte Debatte. Was genau führte zur Abschiebung des 14jährigen Münchners mit dem Pseudonym „Mehmet“? „Mehmet“ wurde 1984 als Kind türkischer Eltern und damit im Besitz nur der türkischen Staatsangehörigkeit in München geboren. Seine Eltern und Brüder lebten alle in Deutschland und besaßen zum Zeitpunkt seiner Ausweisung 1998 den ausländerrechtlichen Status der Aufenthaltserlaubnis. „Mehmet“ beging ab dem zehnten Lebensjahr gehäuft Diebstähle, später kamen räuberische Erpressung, „zahlreiche einfache Körperverletzungen, Nötigungen, Bedrohungen, Hausfriedensbrüche u. a.“ hinzu (Beschluss des VG München vom 27.7.1998, zitiert bei Gutmann 1999: 297). Er wurde insgesamt in über 60 Fällen noch als Strafunmündiger delinquent. Am 29. April 1998 wies die Münchner Ausländerbehörde zunächst seine Eltern aus, weil diese ihre Erziehungspflicht verletzt hätten. Dieser Vorgang führt in den letzten Apriltagen zu Schlagzeilen in der überregionalen Tagespresse (FAZ am 30.04., BILD am 31.04.), denn es handelte sich um eine Novität: „Erstmals in Deutschland sollen ausländische Eltern wegen schwerer Straftaten eines Kindes aus Bayern ausgewiesen werden“ (19980430-FAZ); „Erstmals in Deutschland wird ein ausländisches Elternpaar wegen der Straftaten seines Kindes in die Heimat abgeschoben“ (19980431-BILD).
Einige Tage vorher, also noch bevor diese konkrete Ausweisung in München erlassen wurde, fanden sich erste Agenturmeldungen zur geplanten bayerischen „Sicherheitsoffensive“ im Bundesrat mit dem Inhalt, die bayrische Staatsregierung wolle „Eltern krimineller Ausländerkinder ausweisen lassen“ (19980420-ap). Diese Agenturmeldungen bezogen sich wiederum auf einen Bericht des Focus vom 20. April. Darin war unter dem Untertitel „Die bayerische Staatsregierung will verantwortungslose Mütter und Väter junger ausländischer Intensivtäter künftig ausweisen“ auch der Jugendliche „Mehmet“ erwähnt, doch von seiner oder der Ausweisung seiner Eltern war hier nur als Möglichkeit die Rede, denn am 20. April war diese noch nicht ergangen. Vielmehr wurde der Inhalt einer prinzipiellen Verschärfung des Ausweisungsrechts referiert:
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„Die neue ‚Sicherheitsoffensive‘, mit der sich am 12. Mai das Kabinett von Ministerpräsident Edmund Stoiber beschäftigen wird, sieht unter anderem vor, auch minderjährige ausländische Intensivtäter sowie ihre Eltern auszuweisen, falls diese ihre Aufsichtspflicht grob vernachlässigen und ihre Kinder nicht von Straftaten abhalten. […] ‚Kriminelle Karrieren von großer Gefährlichkeit ohne Ausweisung einfach hinzunehmen schürt Ausländerfeindlichkeit‘, betont Bayerns Innenstaatssekretär Hermann Regensburger (CSU).“ (19980420-Focus)
Dieser Focus-Artikel etablierte nicht nur das von nun an gängige Kürzel „Mehmet“ (ab Oktober 1998 wurde auch der Realname anonymisiert als „Muhlis A.“ verwendet), sondern er verhalf unmittelbar der von CSU und bayrischer Staatsregierung im Wahljahr 1998 (die konservative wird erstmals von einer rot-grünen Bundesregierung abgelöst werden) lancierten Kriminalitäts-Rhetorik27 zu einer gewissen Resonanz. Wenige Tage später erließ die Münchner Ausländerbehörde dann erstmals eine derartig neue Form der Familien-Ausweisung, was im Nachhinein wie ein bewusst abgestimmter Probelauf erscheint.28 Ähnlich den Verschärfungsplänen der CDU in Hessen Anfang 2008 (s. Kap. 1) verschwand die „Sicherheitsoffensive“ innerhalb kurzer Zeit aus der Öffentlichkeit29 und zeitigte auch nur geringe legislative Folgen: Bayern brachte im Juli 1998 einen Gesetzentwurf ein, der aber im Bundesrat keinen Erfolg hatte (19980710-BRPlenProt.728). In der Rede dazu stellte die Bayrische Staatsministerin Ursula Männle eine Verbindung her zur Öffentlichkeitsrelevanz des „Falls Mehmet“ – eine Relevanz freilich, die die Bayrischen Behörden durch geschickte Abstimmung ihrer Gesetzesinitiative mit dem Ausweisungsvorgang erst selbst geschaffen hatten: „Die gröbliche Verletzung der Erziehungspflicht stellt eine Straftat gemäß § 171 StGB neuer Fassung dar und ermöglicht nach unserer Überzeugung bereits nach bisher geltendem Recht eine Ausweisung der Eltern gemäß §§ 45 und 46 Nr. 2 Ausländergesetz. Da das aber in letzter Zeit im Gefolge eines besonders gravierenden Einzelfalles – der Fall ‚Mehmet‘ geht ja durch alle Gazetten – heftig umstritten ist,
27 Diese schloss wiederum direkt an die ebenfalls von Staatssekretär Regensburger am 20. April 1998 vorgestellte Studie des Bayerischen Landeskriminalamtes zur Kinder- und Jugendkriminalität an. 28 Diese Einschätzung wird gestützt durch die Äußerung des Münchner Behördenleiters der einräumte, „daß die jetzt angeordnete Ausweisung vor Gericht möglicherweise keinen Bestand haben werde. Dann müsse das Ausländergesetz geändert werden.“ (19980430-FAZ). 29 Focus reichte zur Frage „Eltern krimineller ausländischer Jugendlicher ausweisen?“ Ende Mai gegensätzliche ‚Expertenpositionen‘ nach (19980525-Focus), die SZ diskutierte anlässlich der bayrischen Gesetzesinitiative den „völkerrechtlichen Dreh, kriminelle Ausländerkinder gleich mit ihren Eltern auszuweisen“ (19980716-SZ). 161
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
erscheint eine ausdrückliche Regelung - auch im Interesse der Generalprävention vorsorglich geboten.“ (19980710-BRPlenProt.728: 358)
Knapp einen Monat darauf verfügte die Ausländerbehörde mit Bescheid vom 22. Mai 1998 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auch „Mehmets“ Ausweisung wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Das Verwaltungsgericht (VG) München lehnte die Beschwerde gegen „Mehmets“ Ausweisung mit o. g. Beschluss ab, da weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegenstünden.30 In der Folge widmeten sich die öffentlichen Debatten primär diesem Ausweisungsfall, nicht mehr dem „Trick“ (19980716-SZ), Mehmet loszuwerden, indem seine Eltern ausgewiesen werden. Von nun an drehte sich der Streit um die Frage, ob „Mehmet“ „einer von uns ist“ (19980810-SZ) und dementsprechend werde ich auch nur diesen Strang weiter verfolgen. „Mehmet“ beging am 3. Juli 1998, unterdessen 14 Jahre alt und damit strafmündig geworden, eine weitere schwere Straftat: er schlug einen 19-jährigen Schüler bewusstlos und beraubte ihn. Am Tag darauf wurde er in Untersuchungshaft genommen.31 Die Ausländerbehörde lehnte (mit Bescheid vom 24. Juli 1998) die zu dieser Zeit beantragte Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab. Am 14. November 1998 wurde „Mehmet“ daher aus der Haft heraus in die Türkei abgeschoben. Beim VG München blieb erstinstanzlich die Klage dagegen ohne Erfolg.32 Die massenmedialen Debatten um die Ausweisung „Mehmets“ sind spezialdiskursiv dominiert. Alle diskursiv wirksamen Logiken bauen auf Setzungen auf, die aus dem Recht stammen, oder arbeiten sich an diesen ab und stärken damit den Wahrheitsanspruch der juridischen Ordnung. 30 Allerdings gewährte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) als Beschwerdegericht einstweiligen Rechtsschutz. Denn in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer von Mehmets Eltern im Bundesgebiet erweise sich die Ausweisungsverfügung als nicht verhältnismäßig. 31 Am 9. Oktober 1998 verurteilte ihn das Amtsgericht München dafür wegen schweren Raubes, rechtlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Diebstahl, zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, wobei die erlittene Untersuchungshaft nicht angerechnet wurde. Das Urteil ist wegen der von beiden Seiten eingelegten Berufung nicht rechtskräftig geworden. 32 Die Entscheidung der Ausländerbehörde, Mehmets Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlängern, sei frei von Ermessensfehlern. Es sei sowohl mit der EMRK vereinbar, auch minderjährige Ausländer auszuweisen und abzuschieben; als auch stelle sich eine Reintegration der Familie in das türkische Heimatland nicht als unüberwindbar dar. Wegen der äußerst aggressiven und brutalen Vorgehensweise des Antragstellers stelle sein weiterer Verbleib im Bundesgebiet eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit dar. 162
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Zunächst einmal wird ein formaler Ausweisungstatbestand ordnungsrechtlich etabliert: der Täter gilt aufgrund seines Verhaltens als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dieser Ausweisungsgrund baut auf das spezialdiskursive Argument der Strafmündigkeit in Verbindung mit dem auch interdiskursiv wirksamen Argument des hohen Gefährdungspotentials durch eine bereits in diesem Alter lange Reihe von Delikten auf. Daran anknüpfend gibt ein weiteres Argument zumindest vor, auf die formal-juristischen Setzungen aufzubauen, indem die Ausweisung als Sanktionierung von Straftaten verstanden wird. Tatsächlich ist diese Argumentation nur scheinbar formal-juristisch legitimiert und vielmehr strategisch-politisch: die Ausweisung von Straftätern sei notwenig, um gesellschaftliche Normen durchzusetzen. Im vorliegenden Fall handelt es sich sowohl um den „Opferschutz“ durch Individualprävention als auch um die Vorbeugung von „Ausländerfeindlichkeit“ durch eine generalpräventive Disziplinierung der „Ausländer“. Beides sind interdiskursive Analogien zum Strafen und nicht spezialdiskursiv ‚wahr‘. Legitimiert wird die Ausweisung „Mehmets“ durch eine zweites juridisches Argument: der Täter falle unter die nationalstaatlich-formelle Definition des Staatsfremden. „Mehmet“ ist aufgrund der Herkunft seiner Eltern nur im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit, damit ist sein formaler Status in Deutschland eindeutig der rechtlicher Fremdheit. Darauf beruht letztlich auch die Forderung, er müsse sich seinen Aufenthalt in Deutschland genehmigen lassen; hier wirkt unmittelbar die damals erst verschärfte Visumspflicht. Andererseits gewinnt eine zu den legal-formalistischen Argumentationen alternativ verlaufende Logik an Raum. Prominent fungiert hierbei die Figur des „Inländers ohne deutschen Pass“. Demzufolge liege nur die formal fremde Staatsangehörigkeit des Täters vor, er sei aber nicht wirklich ‚fremd‘, sondern müsse dem Eigenen zugerechnet werden. So wird eine nichtformalistische Logik im Diskurs denkbar, die das Ausweisen in Frage stellt. Sie basiert auf Zweifel an dem im Ausländerrecht vorgeschriebenen normativen Unterschied zwischen im Inland geborenen Staatsangehörigen und NichtStaatsangehörigen. Jedes Argument, das eine nicht nur formale Zugehörigkeit „Mehmets“ postuliert beruht letztlich auf Abwägungen zur Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung, wenn wesentliche familiäre und soziale Bindungen – vor allem die Sprachkompetenz – im Aufenthaltsland bestehen und zum Land der formalen eigenen Staatsangehörigkeit keine oder nur geringe Beziehungen vorliegen. So wird die Argumentation über „Mehmets“ Zugehörigkeit sowohl spezial- als auch interdiskursiv durch die Bewertung seiner sozialen Bindungen gestützt. Formal-juristisch werden mögliche schutzwürdige Bindungen in Deutschland durch die Ausreise der Eltern nichtig. Dazu kommt das Argument, dass Zugehörigkeit zum Aufenthaltsland durch Rechtstreue erzeugt werden könne. Im Umkehrschluss, und so ist das hier auch der Fall, legiti163
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miert dieses Argument die Ausweisung als Konsequenz des gegen die Rechtsordnung gerichteten Verhaltens. Schließlich wird ein weiteres kritisches Argument wirksam, wonach eine Zuständigkeit der Gesellschaft auch über formelle Mitgliedschaft zum Nationalstaat hinaus vorliegen könne. Dadurch, dass kein Außen des Nationalstaates bestimmbar ist, das nicht wiederum innerhalb einer anderen Solidargemeinschaft liege, erscheint eine bloße Externalisierung von Devianz zunehmend fraglich und nicht mehr zeitgemäß. Diese Logik gründet auf einer Kosten-Nutzen-Abwägung gegenüber dem empfangenden Staat, dem Devianz aufgebürdet würde, für die er nicht zuständig sei. In diesem Kapitel beschäftige ich mich mit den Begründungen der Ausweisung, bis diese 1998 umgesetzt wurde. Der Fortgang der Rechtsstreits sei aber noch knapp wiedergegeben: Im Jahr 2001 entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, „Mehmet“ dürfe doch nach Deutschland zurückkehren. Da seine Eltern seit über 30 Jahren in München lebten, musste die Stadt München eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen.33 Die Abschiebung wurde nachträglich für rechtswidrig erklärt. Mehmet kehrte 2002 nach Deutschland zurück. Anfang Juni 2005 wurde „Mehmet“ zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er seine Eltern bedroht und erpresst hatte. Dieser Haftstrafe entzog er sich, indem er in die Türkei ausreiste, was eine erneute Ausweisung zur Folge hatte, die mittlerweile rechtskräftig ist und ihm damit eine Rückkehr nach Deutschland verbietet.
5.2.2 Die juristischen Streitpunkte bei der Etablierung eines nicht-formalistischen Fremdenstatus Im Spezialdiskurs des Rechts ist die Ansicht verbreitet, der juridische „Sachverhalt“ läge gelöst von Strängen anderer Fachdiskurse wie auch des Interdiskurses vor, etwa wenn ein Rechtsanwalt zur Verantwortung des Elternhauses oder des Jugendamtes einschränkend erklärt: „wir müssen uns nur mit den rechtlichen Aspekten dieses Sachverhalts befassen“ (Gutmann 1999: 298). Daher kann eine Analyse des juridischen Diskurses mit verhältnismäßig klar abgegrenzten Daten beginnen. Auch ohne die Akte des Jungen zu kennen, der von den bayrischen Behörden ausgewiesen wurde, können die spezialdiskursiven Argumentationsfiguren zur Ausweisung „Mehmets“ leicht rekonstruiert werden. Denn das im Jahr 2002 ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts fasst zusammen, dass sich die Ausweisungsverfügung der Münchner Ausländerbehörde im Wesentlichen darauf stützte,
33 Pressemitteilung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2001. 164
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
„dass der Kläger durch die Häufigkeit und die Gewichtigkeit seines rechtswidrigen Verhaltens eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die von Mal zu Mal bedrohlicher werde. Auf den besonderen Ausweisungsschutz für Minderjährige, deren Eltern sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, könne sich der Kläger nicht berufen, weil seine Eltern sich aufgrund der gegen sie gerichteten Ausweisungsverfügungen nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten.“ (20020716-BVerwG)
Der Widerspruch gegen die Nichtverlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis scheiterte, da bei der erforderlichen Ermessensabwägung das „öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das private Interesse des Klägers und seiner Familie am Verbleib in der Bundesrepublik“ überwiege. In der ersten Instanz, vor dem Münchner Verwaltungsgericht, scheitern auch die Klagen gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis. Das BVerwG schreibt dazu weiter: „Die Widerspruchsbehörde habe alle ihr zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung bekannten Umstände in ihr Ermessen eingestellt. Sie habe nicht nur das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotential berücksichtigt, das sich in der Vergangenheit durch zahlreiche rechtswidrige Taten offenbart habe. Sie habe vielmehr auch in ihre Erwägungen eingestellt, dass der Kläger aufgrund seines jugendlichen Alters und seiner Gewöhnung an hiesige Lebensverhältnisse erhebliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags in der Türkei haben dürfte; gleichwohl sei die Erwartung, dass einer der beiden Elternteile den Kläger in die Türkei begleiten oder dort zumindest zeitweise betreuen werde oder doch wenigstens die nahen Verwandten vor Ort ihn aufnehmen würden, berechtigt gewesen.“ (20020716-BVerwG)
Durch „Mehmets“ Straftaten vor seiner Strafmündigkeit sieht die Behörde erstens „eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ begründet, kann sich also auf die Möglichkeit der Ermessensausweisung nach § 45 AuslG berufen: „Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.“ (§ 45 AuslG1990).
Dazu ist insbesondere zu zählen, wer „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen … hat“ (§ 46 Nr. 2 AuslG1990).
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Nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr (im Juli 1998) wird „Mehmets“ Aufenthaltstitel unter dazu identischer Bezugnahme auf die Ausweisungstatbestände (s. S. 92) nicht verlängert und dieser Vorgang wird gerichtlich bestätigt: es liege durch „Mehmets“ Verhalten eine „erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit“ vor. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist, dass dieses in Deutschland geborene und aufgewachsene Kind für seinen durchgehend bestehenden Aufenthalt im Land nicht nur eine Erlaubnis braucht – dies wäre aus der Tradition des deutschen Ausländerrechts heraus zu erwarten (ich verweise nur auf das Prinzip des „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“, s. S. 81). Es besitzt zudem nicht automatisch von Geburt an einen unbefristeten Aufenthaltstitel, sondern muss diesen periodisch verlängern lassen, d.h. im Grunde: neu erwerben. Denn liegen die Voraussetzungen zur Erteilung im Falle eines Verlängerungsantrags nicht vor, darf auch nicht verlängert werden.34 Auf diese Einschränkung nimmt die Münchner Ausländerbehörde Bezug, als sie „Mehmet“ im Juli 1998 den Aufenthaltstitel versagt. Für die Kinder „ausländischer“ Eltern, die als Arbeitskräfte von Deutschland angeworben wurden, existierte bis zum Vorjahr der Zwang zur periodischen Neuerwerbung ihres Aufenthaltsrechts nicht. Sie benötigten keine Aufenthaltserlaubnis, um mit ihren Eltern in Deutschland zusammen leben zu dürfen. Erst im Januar 1997 wurde per Eilverordnung des damaligen Innenministers Kanther die Visumspflicht für unter 16jährige Kinder aus den Anwerbestaaten eingeführt (vgl. Gutmann 1999: 306).35 Der „Fall Mehmet“ ereignete sich also nicht zufällig erst im Jahr 1998. Nun hat die Behörde zweitens bei einer Ermessensausweisung „die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben“ sowie ob „schutzwürdige persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet“ vorliegen (§ 45 Abs. 2 AuslG1990) zu berücksichtigen. Die Ausweisung wird dahingehend als zulässig betrachtet, weil seine Eltern ja mit ihm zusammen in der Türkei leben könnten (zu diesem Zeitpunkt war die Ausweisung der Eltern noch nicht aufgehoben). Die juristisch begründete Kritik an „Mehmets“ Abschiebung (etwa von Seiten seines Anwalts) bezog sich im Kern darauf, dass eine Ausweisung von in Deutschland geborenen oder als kleine Kinder nachgezogenen „Inländern 34 Juristisch ist die Verlängerung formal nicht genau identisch mit einer Beantragung (s. bspw. FN 37) aber viele Prüfkriterien greifen in beiden Fällen, weshalb eine dezidierte Unterscheidung hier entfallen kann. 35 Ursprünglich eingeführt wurde eine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige in Deutschland am 5.10.1980, um nach dem Militärputsch in der Türkei eine Flucht nach Deutschland zu erschweren, vgl. Skubsch 2002: 181. 166
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mit fremder Staatsangehörigkeit“ gegen den Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, Achtung des Privat- und Familienlebens) verstoße. Dieses Prinzip gilt nach dieser Auslegung als verletzt, wenn die betreffende Person die Sprache des Landes der eigenen Staatsangehörigkeit nicht oder nur mangelhaft beherrscht und wenn die wesentlichen familiären und sozialen Bindungen im Aufenthaltsland bestehen, also zum Land der eigenen Staatsangehörigkeit keine oder nur geringe Beziehungen vorliegen.36 Vor der ersten Klageinstanz, dem Münchner Verwaltungsgericht, scheiterte aber eben jener Bezug auf den Schutz des Familienlebens (Art. 6 GG und Art. 8 EMRK). Diese Begründung fasst das Bundesverwaltungsgericht zusammen: „Angesichts der ursprünglich aktenkundigen Absicht der Eltern, in einigen Jahren ohnehin in die Türkei überzusiedeln, sei es nicht unzumutbar, dass ein Elternteil mit dem Kläger bereits vorzeitig dorthin ziehe. Auch im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - zu Art. 8 EMRK habe die Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet Bestand und sei nicht unverhältnismäßig. Schließlich habe sich der Kläger in seinem Elternhaus seit seiner Geburt auf türkisch verständigt und sich zu Urlaubszwecken bereits in der Türkei aufgehalten.“ (20020716-BVerwG)
Zudem verwies das Münchner Verwaltungsgericht darauf, dass die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, denn bei einer Verlängerung des Aufenthaltstitels (s. o.) gelte der besondere Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 2 AuslG für Minderjährige nicht.37 Diese Übersicht soll nicht alle juristischen Fragen, die sich um die Ausweisung jugendlicher Serienstraftäter ranken, dokumentieren. Dem verschreibt sich die Kommentarliteratur zum Ausländerrecht. Mir ist an dieser 36 Der Verwaltungsgerichtshof hat sein Urteil vom 15. November 2001, in dem er die Ausländerbehörde verpflichtete, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, allerdings ganz anders begründet. Es könne nämlich dahinstehen, ob „Mehmet“ nach nationalem Recht die Aufenthaltserlaubnis zu Recht versagt worden sei, denn er erhalte seinen Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis durch den ARB 1/80 (s. o.). Der daraus erwachsende unmittelbare Anspruch auf Bewerbung und Zugang zu einer Beschäftigung führe zwangsläufig auch zu einem Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat. Diese richterliche Entscheidung wurde durch das zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (20020716-BVerwG) bestätigt. 37 Wegen fehlendem Familienbestand – „weil seine Eltern sich aufgrund der gegen sie gerichteten Ausweisungsverfügungen nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten“, s. S. 165) – und weil die Schutzregelungen für Minderjährige bei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vorlägen existiere auch kein weitergehender Ausweisungsschutz. 167
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Stelle wichtig, nochmals die beiden wichtigsten Elemente der Logik herauszustellen, nach der „Mehmet“ aus Deutschland ausgewiesen werden konnte. Sein Verhalten galt als so schwerwiegend schädlich, um eine Ausweisungsentscheidung nach Ermessen der Behörde zu legitimieren, das „öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts“ überwiege das „private Interesse des Klägers und seiner Familie am Verbleib in der Bundesrepublik“.38 Und die „schutzwürdigen Bindungen“ in Deutschland ließen sich durch den Verweis auf die Bindungen der Familie an das Herkunftsland entwerten, ein „Umzug“ dorthin sei nicht „unzumutbar“. Diese Begründungsmuster dienen dazu, das Problem zu lösen, worin der Unterschied zwischen einem im Inland geborenen und dort lebenden NichtStaatsangehörigen und einem eigenen Staatsangehörigen in vergleichbarer sozialer Situation liegen soll. Der formal eindeutige Status des Staatsfremden erweist sich als dafür nicht mehr ausreichend. Denn wäre eine formalistische Setzung fraglos und vollständig gültig, bei der die fremde Nationalität als Master-Status (Scheffer)39 alle andern Bezüge ‚überschreibt‘ (und so sehen es die Paradigmen des Ausländerrechts ja eigentlich vor), käme es nicht zu einer Debatte um die Zulässigkeit der Ausweisung. Der juristische Spezialdiskurs bemüht sich daher in diesem Fall, einen nicht-formalistischen Fremdenstatus zu etablieren, der über die bloße Feststellung einer fremden Staatsangehörigkeit hinausgeht. Die Aussage, dass die fremde Staatsangehörigkeit des Auszuweisenden nur formal vorliege, er ‚tatsächlich‘ gar nicht ‚fremd‘ sondern ‚inländisch‘ sei, wird selbst im Spezialdiskurs sagbar. Dies zeigt, dass aus dem vermeintlich eindeutigen Kriterium der Staatsangehörigkeit eine unklare und umstrittene Größe geworden ist – auch wenn die Ausweisung zunächst vor Gericht bestand hat. Die Begründung des Ausweisens kommt mit der formalistischen Nationalitäts-Referenz alleine nicht mehr aus. Mehrere Faktoren treten an die Seite der fremden Staatsangehörigkeit und bewerten die ‚tatsächliche‘ Fremdheit des Betreffenden. Die zur Abwägung seines „Inländisch-Seins“ etablierten Kriterien habe ich im „Fall Mehmet“ bereits dargestellt.
38 „Dies gelte trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts und der Tatsache, dass er erst 14 Jahre alt sei und seine Familie ihren Lebensmittelpunkt in München habe“; so der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 7. August 1998 laut 20020716-BVerwG. 39 Um zu betonen, dass die formelle Staatsangehörigkeit keine lediglich abstrakte Größe ist, sondern durch die von ihr abhängigen Einbezüge in verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen zu einem „lebenspraktischen Muß“ wird, bezeichnet Scheffer sie als „systemunspezifischen Masterstatus“ (Scheffer 2001: 11). 168
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Zunächst der (fehlende) Bezug „Mehmets“ zu Deutschland: Seine Kenntnisse der deutschen Sprache40 begründen keine ausreichenden Bindungen „Mehmets“ an sein Geburtsland, „schließlich habe er sich in seinem Elternhaus seit seiner Geburt auf Türkisch verständigt“. Weitere Abwägungen zu Ausbildung, Arbeitplatz, Partnerschaft oder eigene Familie, wie sie für Gerichtsurteile typisch sind, machen bei ihm wegen seines geringen Alters keinen Sinn. Wodurch besteht also für den Jungen ein Bezug zur Türkei? Hauptargument ist hier der Verweis auf familiäre Bande. Auch wenn „Mehmet“ selber durch seine „Gewöhnung an hiesige Lebensverhältnisse“ keinen engen Bezug an die Türkei mehr habe, könne von den Eltern erwartet werden, mit ihm dort zu leben und dadurch die „erheblichen Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags in der Türkei“ zu lindern. Schließlich hätten die Eltern bereits „aktenkundig“ beabsichtigt, „in einigen Jahren ohnehin in die Türkei überzusiedeln“. Außerdem bildeten die „nahen Verwandten vor Ort“ ebenfalls einen Bezug zur Türkei. Statt zu fragen, welche Kenntnisse seiner bayrischen Umwelt er besitzt und wie seine Lebensrealität in Deutschland aussieht, wird vielmehr seine verwandtschaftliche und damit ‚natürliche‘ Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis – wo man sich „auf Türkisch verständigt“ – angeführt. Eine „Verwurzelung“41 im Land seines Lebensmittelpunkts wird so systematisch zugunsten eines primordialen Konstrukts des verwandschaftlichen Zugehörens in Frage gestellt. Schließlich stelle er „durch die Häufigkeit und die Gewichtigkeit seines rechtswidrigen Verhaltens eine schwerwiegende Gefahr“ dar, d.h. sein deviantes Verhalten bescheinige, dass er im Sinne eines „täglichen Plebiszits“ (Renan42) nicht ‚dazugehören‘ will. Das Bemühen, die Gesetze zu achten, wird als Zugehörigkeitswillen, fehlende Rechtstreue als Entscheidung gegen die Gesellschaft gedeutet. All dies sind eklektisch aus unterschiedlichen Traditionen nationalen Selbstverständnisses geschöpfte, keineswegs mehr juridisch-formale Logiken.43 In ihrer anwendungsbezogenen Mischung etablieren sie Kriterien für die Feststellung von kultureller Fremdheit, die den über die Staatsangehörigkeit begründeten formellen Fremdenstatus flankieren. 40 „Er spricht nicht die Sprache der Eltern, sondern Bayerisch. Wenn Mehmet jemandem Schläge androht, sagt er, so der Anwalt: ‚Willst a Fotzn?‘“ (19980527SZ) 41 Die (problematische, weil naturalisierende) Metapher der „Verwurzelung“ wird vermehrt verwendet, seit die Daueraufenthaltsrichtline 2003/109/EG von der „Verwurzlung der betreffenden Person im Land“ eine verbesserte Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ableitet. 42 Ernest Renan definiert so die moderne Nation in seinem bekannten Vortrag an der Sorbonne 1882 (deutsch in Jeismann 1993). 43 Allerdings werden eventuelle Zweifel an der Eindeutigkeit des Prüfergebnisses mit Verfahrensregeln umgangen, s. FN 37. 169
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Deren Bewertung führte zunächst dazu, die Ausweisung gerichtlich zu bestätigen, d.h. dem Ausgewiesenen kulturelle Distanz zur Mehrheitsbevölkerung zu bescheinigen. Erst durch die Entscheidung des bayrischen Verwaltungsgerichtshof 2001 änderte sich wie erwähnt der Grundtenor. Allerdings entschied das Gericht nicht darüber, ob „Mehmet“ nach nationalem Recht ein Aufenthaltsrecht zustünde, da dieses bereits nach Europarecht vorläge (s. FN 36). Die Haltung, den Staatsfremden in diesem Falle auch als Kulturfremden zu betrachten und damit die Ausweisung zu legitimieren, wurde also nicht grundsätzlich revidiert. Abbildung 8: Focus-Magazin vom 25. 5.1998, S. 82
5.2.3 Die interdiskursive Legitimation von „Mehmets“ Fremdenstatus Bei den bisher dargelegten Argumentationsfiguren des Rechtsstreits möchte ich es an dieser Stelle belassen. Weiter auf rechtliche Detailfragen einzugehen ist für die Darstellung der öffentliche Debatte nicht notwendig. Dies wäre einerseits zu weitgehend, denn die Revision der Ausweisung bezog sich im Jahr 2001 auf europäische Regelungen, die im Interdiskurs im Jahr 1998 noch nicht rezipiert wurden (s. FN 33). Andererseits ist das spezialdiskursive Geschehen nicht hinreichend, um die wesentlichen Inhalte der öffentlichen Debatte in der Presse zu bestimmen. Denn dort stehen sich ab Juni 1998 (mit der eigentlichen Ausweisung „Mehmets“ und nachdem die erste Welle der Irritation über die Idee der Sippenausweisung abgeebbt war) zwei diskursive Positionen gegenüber, die nicht mehr reine Fachdiskurse sind.
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Auf der einen Seite das schematische „einmal Ausländer, immer Ausländer“, das sich ausschließlich auf die formelle Definition des Staatsfremden bezieht und diese unter impliziten Bezug auf den Spezialdiskurs als wahr setzt. Dem gegenüber steht die Minderheitenposition des „Inländers ohne deutschen Pass“, die entweder unter Bezug auf das Laienverständnis oder mit dem expliziten Verweis auf Gerechtigkeit argumentiert, sich als abweichende Position stets offensiv in der Debatte platziert und daher gut zu erkennen ist. Diese Gegenüberstellung findet sich auch in einzelnen Diskursfragmenten, etwa als „Expertendiskussion“ des Pro und Contra (s. Abbildung 8).
Kritik an der Ausweisung Die zum „Fall Mehmet“ veröffentlichten Leserbriefe beziehen zum großen Teil Stellung gegen die Ausweisung; eine kritische Position wird auch von Politikern etwa in Interviews entwickelt. Redaktionelle Meldungen, soweit sie nicht den „neutralen“ Inhalt von Agenturmeldungen wiedergeben, beziehen mitunter deutlich Stellung, indem sie der Kritik Raum geben. So etwa der Beitrag im Spiegel im Dezember 1996: „Die Abschiebung des in München geborenen und aufgewachsenen Jungen in das Heimatland seiner ebenfalls in München lebenden Eltern ist die wohl umstrittenste Ausweisungsaktion der Behörden gegen einen im Inland straffällig gewordenen Ausländer. Es gehe nicht an, rügen Kritiker, daß ein hierzulande aufgewachsener Jugendlicher gleichsam in ein fremdes Land verbannt werde, wenn er zum Problemfall werde.“ (19981216-Spiegel)
Interdiskursive Gegenargumentationen nehmen in der Regel explizit eine normative Position ein. Wie im zuletzt zitierten Beitrag wird die Ausweisung eines im Inland sozialisierten Jugendlichen als „Verbannung“ diffamiert, also als archaisch, d.h. nicht mehr zeitgemäß, bezeichnet. Dieser Vorgang erinnere an „längst vergangene Zeiten der Sippenhaft“ (19980525-Focus). Ein Begriff wie „Sippenhaft“ wird eingesetzt, um die Position zu untermauern, etwas Überkommenes, Altmodisches, Vorrechtsstaatliches vor sich zu haben. Die Ausschlusstechnik der Ausweisung wird einer vergangenen Epoche zugeordnet, die durch eine veränderte Logik abgelöst sei. Dieser neuen Ordnung nach hat Bestrafung im Land des Lebensmittelpunktes zu erfolgen – eine normative Kraft des Faktischen wird behauptet, die „Inländer ohne deutschen Pass“ entstehen lässt, die eigentlich keine „Ausländer“ mehr seien. Deren Ausweisung würde einem „Versagen“ der Gesellschaft gleichkommen, da sie dann das Prinzip der Gleichberechtigung aller im Lande lebenden missachte. Die Logik dieser Kritik besteht darin, von dem Erfordernis einer gerechten Behandlung
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aller im Lande Lebenden auszugehen, die letztlich auf dem Standpunkt eines „gleichen Rechts für alle“ beruht. „Nicht nur unsere Politiker, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit muss endlich begreifen, dass es sich bei der zweiten und dritten Generation der Türken nicht mehr um Ausländer oder Gäste handelt. Die Kinder sind hier geboren und kennen die Türkei auch nur als Urlaubsland. Wenn diese ‚ausländischen‘ Kinder kriminell sind, so muss das selbstverständlich bestraft werden. Aber nach deutschem Recht und auf keinen Fall durch eine Ausweisung der ganzen Familie in ein total unbekanntes Land. – Ahrensboek, DETLEF PRAHL Unser 13jähriges Kind Mehmet ist jugendkriminell. Er ist ein Kind dieses Landes, hier geboren, und hier hat er die Verhaltensmuster der Randgruppen übernommen. Wer das Gesetz missachtet, muss mit gesetzlichen Konsequenzen rechnen, aber wenn zusätzlich die Eltern mit Ausweisung bestraft werden sollen, dann ist dies eindeutig ein Zeichen dafür, dass der Staat versagt hat. – Grosswallstadt, ALI SEVKET ÜNSAL“ (Leserbriefe in 19980608-Focus) „Der Anstieg der Jugendkriminalität – der deutschen und der ausländischen – ist in der Tat besorgniserregend und muss uns nach den Ursachen fragen lassen. Das Ausländerrecht hat hiermit gar nichts zu schaffen. Im übrigen gilt: Straftaten sind strafrechtlich zu ahnden, Punktum.“ (Cornelia Schmalz-Jacobsen, damalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, in 19980525-Focus)
Die Kritik an der Ausweisung als „Verbannung“ – gemeint ist also die Verweisung eigener Staatsangehöriger (s. Kap. 3.1.1) – vermischt sich mit den folgenden zwei maßgeblichen Argumenten, der Verantwortung der Gesellschaft für Devianz sowie der Verantwortung gegenüber dem Zielland. „Mehmet ist das Produkt dieses Landes, so wie dieses Land halt zusammengesetzt ist. […] Wir können doch nicht die Probleme exportieren. Wollen wir auch Kinder und Eltern mit deutschem Paß künftig nach Madagaskar oder auf ein von uns angekauftes Eiland verbannen?“ (Willfried Maier, Hamburgs Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten in 19980710-SZ)
Devianz als „Produkt dieses Landes“ zu begreifen heißt, der Externalisierung dadurch entstehender Probleme die Legitimität abzusprechen. Diese Verantwortung der Gesellschaft für Devianz scheint im Falle von „Jugendkriminalität“ besonders naheliegend zu sein. „Unser 13jähriges Kind Mehmet ist jugendkriminell“ soll heißen: der Delinquent ist durch die soziale Prägung in seinem bisher vergleichsweise kurzen Leben kriminell geworden. Daher habe die Gesellschaft eine Verantwortung, der sie gerecht werden muss. Es handle sich eben nicht um „Ausländerkriminalität“, die im Ausländischsein der Täter begründet wäre und daher nicht in der Verantwortung der Gesellschaft liege. Der Status des Auszuweisenden als „Ausländer“ wird nur noch als formale 172
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Kategorie referiert, er verliert aber durch Geburt und Leben des Betreffenden im Inland an normativer Relevanz. „Menschen, die in dieser Gesellschaft groß geworden sind“ und „diese ‚ausländischen‘ Kinder“ sind Formulierungen, die zur formellen Kategorie des „Ausländers“ auf Distanz gehen. Daher habe „das Ausländerrecht hiermit gar nichts zu schaffen“ – eine kontrafaktische, rein normative Behauptung der Expertin Schmalz-Jacobsen, die nur aus der in diesem Diskursstrang etablierten Logik der „Inländer ohne deutschen Pass“ ihren Sinn bezieht. Analog argumentierte seit 1995 der jährliche Bericht der Ausländerbeauftragten: „Es geht aber nicht an, dass Ausländer, die in Deutschland aufgewachsen sind und hier ihre Prägung erfahren haben, ausgewiesen und abgeschoben werden, wenn sie für Deutschland eine Last werden. Ein Herkunftsland, in das sie zurückgeschickt werden könnten, existiert für sie nicht mehr.“ (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000: 44)
Diese Logik ist auch in allen Aussagen etabliert, die von einer „Fremdheit“ der aus Deutschland ausgewiesenen Delinquenten im Zielland ausgehen („Ausweisung […] in ein total unbekanntes Land“, „kennen die Türkei auch nur als Urlaubsland“, „gleichsam in ein fremdes Land verbannt“). Implizit wird angenommen, durch die fehlenden faktischen Bindungen an einen bestimmten anderen Staat wäre das Ziel einer Ausweisung letztlich willkürlich gesetzt: „Sie können aber nicht irgendwohin verbannt werden.“ (19980525Focus), und das Land, das ihnen nicht „fremd“, daher für sie verantwortlich sei, wäre Deutschland. Am Beispiel der „Integrationsverweigerung“ werden wir in Kapitel 5.4 sehen, wie fehlende Integration als Anlass einer Ausweisung gesetzt wird. In der Debatte um „Mehmets“ Ausweisung 1998 wird Integration an keiner Stelle als Anlass oder Begründung, wohl aber vereinzelt als Rechtfertigung einer Ausweisung bemüht (dazu ab S. 174 mehr). Allerdings begründen Politiker/innen in einzelnen Äußerungen ihre Kritik an der Ausweisung „Mehmets“ mit der „Notwendigkeit“, durch effektiven Ausweisungsschutz Integration erst zu ermöglichen – hier gedacht als Anerkennung ihres Status als „fester Bestandteil unserer Gesellschaft“. Erst damit sei die Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt gegeben, eine „innenpolitische Katastrophe“, die durch Ungleichbehandlung geschaffen werde, abzuwenden: „Was die CSU Ausländern sagen will, ist klar: Wir wollen euch dauerhaft in einem niedrigen rechtlichen Status halten. Wenn man massiv Probleme im Land produzieren will, dann muß man es exakt so machen. Dann muß man unterschiedliche Bürgerrechte zwischen den Menschen schaffen, die hier dauerhaft leben und leben wollen. Das bedeutet eine innenpolitische Katastrophe.“ (Willfried Maier, Hamburgs Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten in 19980710-SZ) 173
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„Das Gegenteil der absurden Forderung nach Familienabschiebung ist nötig: Ein genereller Abschiebeschutz für hier aufgewachsene oder hier schon geborene Ausländer. Denn sie sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Im Falle der Straffälligkeit müssen sie nach deutschem Recht bestraft werden.“ (Cornelia SchmalzJacobsen, damalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, in 19980525-Focus)
Bereits erwähnt und auch schon in den Quellenauszügen dokumentiert habe ich die Argumentation einer Verantwortung gegenüber dem Zielland einer möglichen Abschiebung. Devianz zu exportieren ist dem empfangenden Nationalstaat gegenüber gewissermaßen nicht ‚fair‘, werde doch die Delinquenz nach strafpolitischen Maßstäben nicht wirkungsvoll bearbeitet, sondern diesem Zielstaat aufgebürdet.44 „In der SZ vom 30. April/1. Mai wurde er [der Kreisverwaltungsreferent Uhl] wie folgt zitiert: ‚Ich halte es für durchaus denkbar, daß Mehmet eine Straftat bis hin zum Mord begeht. Wir müssen handeln, damit es dazu nicht kommt.‘ Richtig hätte er formulieren müssen: ‚Wir müssen handeln, damit es anderswo dazu kommt.‘ So erst wird nämlich die Skrupellosigkeit seiner Aussage deutlich. […] Florian Römer, München“ (Leserbriefe in 19980612-SZ)
Die Formalisierung des Ausweisens Neben den bisher zitierten kritischen Erwähnungen der Ausweisungspläne finden sich zahlreiche Meldungen, die sachlich von Bescheiden oder Urteilen im „Fall Mehmet“ berichten und unter Bezug auf diese die Begründungen der Ausweisung darstellen. Dabei handelt es sich meist um Agenturinformationen oder ähnlich kurze Meldungen, die vermeintlich neutrale, den Vorgang nicht problematisierende Referenzen auf behördliche und/oder gerichtliche Begründungen enthalten. Doch bevor ich die Logik dieser Artikel vorstelle, möchte ich zunächst einen Ausschnitt eines Diskursfragments zitieren, der für das Kontextverständnis bedeutsam ist. Eingangs wurde bereits eine Passage aus der Rede zum Gesetzentwurf der CSU zitiert (s. S. 161), die sich durch die Nennung von Normen mehrerer Gesetze explizit auf Spezialwissen bezieht und damit einen Wahrheitsanspruch für das Gesagte setzt. Die Sprecherin sieht in der vorgeschlagenen Verschärfung des Ausweisungsrechts nur eine „ausdrückliche“ Klarstellung des Umstandes, dass dies eine Ausweisung 44 Analog die Kritik am „Sankt-Florians-Prinzip“ anlässlich der Verschärfungen des Ausländerrechts 2004 (s. Kap. 5.3.2) in einem Kommentar H. Prantls: „Aus den Augen, aus dem Sinn. Heiliger Sankt Florian, schütz’ unser Land, zünd’ ein anderes an. Solche Ausweisungspolitik ist ein Hohn auf die internationale Terrorbekämpfung“ (20040325-SZ). Ähnliche Überlegungen prägten den Wandel der Verweisungspraxis zwischen den deutschen Staaten im 18. Jahrhundert, s. S. 56. 174
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ermögliche, und fährt fort, die Verschärfung des Ausweisungsrechts sei ein Gebot des Opferschutzes: „Auch der im bisherigen Ausländergesetz enthaltene generelle Ausweisungsausschluß für Minderjährige bzw. Heranwachsende ist nach den neueren Erfahrungen nicht mehr sachgerecht. Man darf guten Gewissens nicht mehr die Augen vor der ansteigenden Kinder- und Jugendkriminalität verschließen. Deutsche sowie ausländische Kinder und Mitbürger haben in gleicher Weise einen Anspruch darauf, daß der Staat ihren Sicherheitsbedürfnissen Rechnung trägt und sie vor Übergriffen anderer soweit wie möglich schützt. Bei schwerkriminellen Serienstraftätern gehört dazu nach unserer Auffassung auch die Ausweisung.“ (19980710BRPlenarprot.728: 357)
Die in Agenturmeldungen und im bereits mehrfach genannten Artikel des Focus wörtlich zitierte Äußerung aus dem bayrischen Innenministerium muss vor dem Hintergrund dieser Gesetzesinitiative (auf die im genannten Artikel auch verwiesen wird), gelesen werden. Staatssekretär Regensburger argumentiert folgendermaßen: „‚Kriminelle Karrieren von großer Gefährlichkeit OHNE AUSWEISUNG einfach hinzunehmen schürt Ausländerfeindlichkeit‘ Hermann Regensburger (CSU)“ (19980420-Focus, Hervorheb. i. Orig.)
In beiden funktionalen Argumenten, dem Opferschutz und der Reduktion von Ausländerfeindlichkeit, sind Ausweisungen durch einen bestimmten Zweck begründet. Durch den Bezug auf die „deutschen sowie ausländischen Kinder und Mitbürger“ und aus der Begründung über ein „Sicherheitsbedürfnis“ spricht der klassisch spezialpräventive Ansatz. Das Argument „gefährliche Ausländer schüren Ausländerfeindlichkeit“ findet die Ursache für Rassismen der Mehrheitsbevölkerung im Verhalten der „Ausländer“, bewertet die „Ausländerfeindlichkeit“ also letztlich als begründet. Die Anlässe für eine ablehnende Haltung gegenüber „Ausländern“ zu verringern bedeutet in dieser Logik, auch die Feindlichkeit ihnen gegenüber zu begrenzen. Im ersten Zitat wird als zusätzliches Ziel der Ausweisung die „Generalprävention“ genannt (s. S. 161), also die Abschreckung potentieller weiterer Täter durch eine für sie auch drohende Ausweisung. Dem zweiten Sprecher kann dieser Grundgedanke des deutschen Ausweisungssystems (s. Kap. 3.3.1) zumindest als implizite Referenz unterstellt werden (denn würde man kriminelle Karrieren von großer Gefährlichkeit grundsätzlich ausweisen, würden weniger Straftaten von anderen „Ausländern“ begangen und damit gäbe es für die Mehrheitsbevölkerung weniger gute Gründe, ausländerfeindlich zu sein). Die Funktionalität einer Ausweisung wird also durch den jeweils zu erzielenden Zweck begründet; bei ihrer Zulässigkeit hingegen kommt eine andere 175
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Logik zum Zuge (s. zum Unterschied von Funktion und Zulässigkeit auch Kap. 3.3.1). Es ist die Schwere der Delikte, die eine drastische Reaktion denkbar macht: die „große Gefährlichkeit“ bzw. die „schwerkriminellen“ Täter. Dies sind auch dann die gängigen Begründungsmuster für eine Ausweisung, wenn ein funktionaler Ansatz nicht explizit gemacht wird. Dies ist bei den gängigen Pressemeldungen nahezu durchgehend der Fall, auf die ich nun zu sprechen kommen möchte. Die erste (und einzige) Meldung der BILD zur Ausweisung von „Mehmets“ Eltern, auf der Titelseite der Ausgabe vom 31.04.98 ist in dieser Hinsicht typisch. Sie gibt keine Erläuterung dessen, was durch diesen Verwaltungsakt erzielt werden soll (etwa Repression wegen Vertragsbruch, Strafe zu Besserung, Schutz der Bevölkerung), sondern nennt nur das Delikt: „Wegen Straftaten abgeschoben“. „Kriminelles Kind wird mit Eltern abgeschoben Erstmals in Deutschland wird ein ausländisches Elternpaar wegen der Straftaten seines Kindes in die Heimat abgeschoben. Der 13jährige Türke muß mit seinen Eltern bis zum 21. Juli das Land verlassen, sonst wird die Familie zwangsweise abgeschoben. Das ordnete der Münchner Kreisverwaltungsrat an. Dem Jungen werden mindestens 60 Straftaten zur Last gelegt, u. a. Raub, Diebstahl und schwere Körperverletzung.“ (19980431-BILD)
Allerdings wird die Maßnahme in dieser Meldung implizit legitimiert. Denn nur die Delikte zu nennen, ja nicht einmal einen Bezug auf das Ausländerrecht zu machen (etwa, dass der Aufenthaltstitel entzogen werden könne), führt dazu, dass diese Meldung ein Bericht über ein Strafverfahren zu sein scheint. Der Passus „zur Last gelegt“ verstärkt diesen Eindruck. Ausweisung wird damit als gerechte Strafe für Devianz dargestellt. Typisch ist die Logik der BILD-Meldung insofern, als sie das Grundmuster einer Reihe von Kurzmeldungen spiegelt, die entweder Agenturinformationen vermeintlich neutral wiedergeben oder über Entscheidungen der Verwaltung oder der Gerichte berichten. In ihnen scheint es stets so, als sei der Grund des Ausweisens schlicht die Kriminalität des Täters. „Bayern will Eltern von ausländischen jugendlichen Wiederholungstätern künftig ausweisen, falls sie ihre Aufsichtspflicht grob vernachlässigt haben.“ (19980419-ap) „Die Eltern jugendlicher Wiederholungstäter sollten zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie ihre Aufsichtspflicht absichtlich verletzten“ (19980421-SZ).
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Zwei weitere vergleichbare Ausschnitte zeigen besonders deutlich, dass sich die Vermischung von ausländerrechtlichem Verwaltungsakt und strafrechtlicher Sanktion direkt aus interdiskursiven Knoten im Diskurs ergibt. „‚Mehmet‘ hat bundesweit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, weil er bereits als strafunmündiges 13jähriges Kind mehr als 60 kriminelle Delikte und Gewalttaten begangen hatte. Deshalb soll er zusammen mit seinen Eltern abgeschoben werden, gegen die wegen Verletzung der Erziehungspflichten strafrechtlich ermittelt wird.“ (19980729-SZ) „Nachdem alle Versuche der Erziehung gescheitert seien, sehe auch er in der Ausweisung des Jungen das letzte Mittel, um weitere Gewalttaten zu verhindern, sagte Ude.“ (19980708-FAZ)
Gegen die Eltern „Mehmets“ wird „strafrechtlich ermittelt“, der Zusammenhang zwischen Strafen und Ausweisen ist also hergestellt. Und „Mehmets“ weitere Devianz soll verhindert werden, die Funktion der Ausweisung ist also ausnahmsweise als Spezialprävention expliziert. Die Ausweisung der Eltern wird mit deren Verantwortung für die Delinquenz des Täters begründet. Dabei ist die Legitimation des Ausweisens nicht mit dessen oder der Eltern „Integrationsdefizit“ (dazu mehr in Kap. 5.4) gesetzt, sondern der Vorgang scheint rein an strafrechtlicher Logik orientiert zu sein. Diesem sanktionsorientierten Denken entspricht auch die Darstellung der Eltern als versiert im Umgehen von Sanktionen: „Die regelmäßigen Besuche von Polizei und Jugendamt scheren Mehmets Eltern wenig: Als intime Kenner deutscher Gesetze wissen sie, dass ihrem strafunmündigen Lieblingssohn nichts passieren kann. Weil Mehmet hier geboren wurde und bei seinen Eltern lebt, genießt der junge Verbrecher nach Paragraph 48 Absatz zwei des Ausländergesetzes absoluten Ausweisungsschutz.“ (19980420-Focus)
Auch die Überschrift des Artikels stützt die Interpretation als pseudostrafrechtliche Zuordnungslogik: „Eltern haften für ihre Kinder“. Diese Wissensordnung ist nicht nur in den zitierten Agenturmeldungen in Kraft. Sie ordnet auch die interdiskursive Repräsentation des spezialdiskursiven Wissens in Berichten über den Verschärfungsvorschlag (affirmativ) bzw. über das Klageverfahren im Anschluss an die erfolgte Ausweisung (kritisch). „Die Bayerische Staatsregierung will am Freitag einen Entwurf im Bundesrat einbringen, um schwerkriminelle ausländische Jugendliche künftig leichter ausweisen zu können. Die Ausweisung von Ausländern mit schwerkriminellen Kindern soll möglich sein, wenn die Eltern ‚ihre Fürsorge- oder Erziehungspflicht grob verletzt‘ haben.“ (19980708-FAZ)
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„Der 14 Jahre alte türkische Serienstraftäter ‚Mehmet‘ darf vorerst ebenso wie seine Eltern nicht abgeschoben werden. […] Da ‚Mehmet‘ nicht rechtskräftig verurteilt worden sei, dürfe er als Minderjähriger nur ausgewiesen werden, wenn sich seine Eltern nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Nach Ansicht des Senats ist jedoch die vom Ausländeramt München verfügte Ausweisung der Eltern nicht rechtmäßig, weil diese nicht für das Verhalten ihres Sohnes verantwortlich gemacht werden könnten. (AZ: 10 CS 98.2144)“ (19980905-SZ)
Auch die Äußerungen professioneller Redner bedienen mitunter diese Straflogik; dazu wird die Tat skandalisiert („brutal“, „Intensivtäter“45, „absichtlich“) und die Ausweisung als angemessen „scharfe“ Maßnahme dargestellt. Ein Beispiel ist das Statement des damaligen bayrischen Innenministers Beckstein (s. Abbildung 8): „Wo diese [erzieherischen Interventionen, T.S.] aber nicht ausreichen, weil der Betroffene oder die Eltern sich verweigern, müssen auch schärfere Maßnahmen konsequent angewendet werden. Dazu gehört in Extremfällen wie dem des 61fach straffälligen, auf brutale Nasenbeinbrüche spezialisierten 13jährigen Mehmet auch die Möglichkeit, solche minderjährigen ausländischen Intensivtäter sowie ihre Eltern auszuweisen. Vorausgesetzt, diese kommen ihrer Aufsichts- und Erziehungspflicht absichtlich nicht nach und halten ihre Kinder auch nicht von der Begehung von Straftaten ab.“ (19980525-Focus)
An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass immer dann, wenn die Presse behördliche/gerichtliche Begründungen referiert ohne die Funktion des Ausweisens zu problematisieren (oder zumindest deren Für und Wider abzuwägen wie das einige der dargestellten Diskursfragmente machen), die Ausgangspunkte implizit bleiben. Entweder erklärt sich das Ausweisen durch das Laienwissen, d.h. der dargestellte Vorgang hat ‚aus sich heraus‘ einen unmittelbar zugänglichen Sinn. Dieser Sinn bleibt dann stets implizit, wie ich das anhand der zitierten ‚neutralen‘ Berichte gezeigt habe, und scheint oberflächlich als formal-juristisch gerahmt. Oder der Sinn erwächst dem Kontext, wird also durch die für den Interdiskurs typischen Verweise auf in anderen Diskurssträngen etablierte Wahrheiten hergestellt. Dies ist mit der geläufigen, auch für Laien verständlichen Analogie zum Strafen gegeben, die ebenfalls
45 Wird aus dem Serienstraftäter ein „Intensivtäter“ (wie das im Interdiskurs ab 2002 hegemonial ist, s. u.) wandelt sich das begriffliche Bezugssystem. Der Serientäter ist durch Wiederholung charakterisiert; Devianz ist seinem Verhalten zuzuschreiben und kann beendet werden (wenn die Serie vorbei ist, ist es auch die Devianz); der Intensivtäter hat ein enges, emotionales Verhältnis zu seinen Taten; diese sind sein Wesen, nicht seine Handlung (die Intensivität kann sich in gleich bleibender Wiederholung äußern, muss aber nicht – weshalb mit einer Fortsetzung der Devianz stets zu rechnen ist). 178
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
nicht explizit gemacht werden muss, aber im jeweiligen Diskursfragment erkennbar ist. Ein Beispiel dafür ist die Überschrift „JUGENDKRIMINALITÄT; Allzu leicht aggressiv“ (19980713-Focus). Die behördliche Definition des Delinquenten „allzu leicht aggressiv“ – ein Zitat aus der Ausländerakte, womit der Sprecher die Logik der Behörde als wahr setzt – wird in der Kombination mit dem Thema „Kriminalität“ als deviantes Verhaltens gelesen, das somit eine Ausweisung legitimieren kann. „Zu aggressiv“ meint dann implizit „… um hier bleiben zu können.“ Ebenfalls implizit wirksam sind Bezeichnungen des Delinquenten, die an Zuordnungen anknüpfen, deren Bedeutungen außerhalb des jeweiligen Diskursfragments etabliert sind. Juristisch korrekt wird in der Fachliteratur oft die Nationalität des Kindes als primäre Zuordnungsgröße genannt, etwa in Form „der ausgewiesene junge Türke“ (Gutmann 1999: 298). Dabei handelt es sich also um eine spezialdiskursive Kategorie (das formale Fremdheitskriterium des vorhergehenden Abschnitts), die im Interdiskurs mitunter ähnlich „formalistisch“ aufgenommen wird. „Der 13jährige Türke“ (19980431-BILD), „Der Fall des jungen Türken, der aus Datenschutzgründen ‚Mehmet‘ genannt wird“ (19980708-FAZ), der „14jährige türkische Serienstraftäter ‚Mehmet‘“ (19980727-Focus).46 Anders als im Expertendiskurs wird dieser Markierung nicht eine spezialdiskursive Bedeutung zugemessen (Zuständigkeit der Ausländerbehörden, Sonderrecht), die deshalb bedeutsam ist, weil sie den Fall komplizierter, uneindeutiger werden lässt (lautete doch die Kernfrage in Spezialdiskurs, ob ein in Deutschland geborener und hier dauerhaft lebender Junge noch nach den schematischen Regeln des Ausländerrechts behandelt werden darf). Sondern hier dient sie dazu, Eindeutigkeit herzustellen, indem als fraglos gegeben dargestellt wird, dass der Bezeichnete eben gerade nicht einer „von uns“, sondern fremd sei. Gerade im „Fall Mehmet“ zeigen Beispiele, die diese Eindeutigkeit nicht selbstverständlich konstruieren, wie kontingent derartige Zuordnungen tatsächlich sein können: „das seltsame Menschenkind aus München-Neuperlach“ (19990405-Spiegel); „Ein türkisches Kind aus München“ (19980527-SZ); die „türkischen Eltern eines 13 Jahre alten Jugendlichen“ (19980430-FAZ). Durch sowohl eine eindeutig nationale Markierung („türkischer Serienstraftäter“) als auch durch eine besonders plakative Analogie von Ausweisung und Strafe zeichnet sich ein Diskursfragment aus, mit dem ich die Darstellung der Quellen für dieses Ereignis abschließen möchte. Die in Focus am 2. November 1998 unter der Überschrift „MEHMET RAUS!“ gestellte FOCUS-
46 Dies entspricht inhaltlich den Präsentationen der Täter von München im Dezember 2007 als „ein 20-jähriger Türke und ein 17-jähriger Grieche“ (z. B. 20071228-Welt). 179
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
FRAGE „Was soll mit Mehmet geschehen, dem 14jährigen, in München geborenen türkischen Serienstraftäter?“ (19981102-Focus, Abbildung 9) stellt erstens die scheinbare Eindeutigkeit der nationalen Zuweisung her. Zweitens konstruiert die Präsentation von ‚Umfrage-Ergebnissen‘ die Analogie zwischen Alternativen, wie mit „Mehmet“ umzugehen sei. Als Antworten angeboten wurden „ausweisen“ und „Strafe hier verbüßen“. Hierbei ist nicht wesentlich, ob dies spezialdiskursiv wahre Alternativen sind, sondern nach welcher Logik sie wahr sind. Denn wird Ausweisung als Alternative zur Strafe gedacht (was sie juristisch nicht ist), macht diese Gegenüberstellung durchaus Sinn. Dann ist die Funktion der Ausweisung wie in der oben zitierten BILDMeldung die Bestrafung für Devianz. Abbildung 9: Focus-Magazin vom 2.11.1998, S. 11
180
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
5.3 Terrorismusabwehr und die Faktizität der Gefahr 5.3.1 Der Diskursstrang besonderer Gefährlichkeit Im Jahr 2000 verlagerte sich die zentrale Problemstellung des Einwanderungsdiskurses weg von grundsätzlicher Abschottung gegen Migration hin zur Notwendigkeit von Einwanderung. Diese neue Deutung materialisierte sich in Form zweier Institutionen: der Einführung der Green Card (Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für Hochqualifizierte) und der Einberufung der Zuwanderungskommission durch das BMI. Letztere stellte im Juli 2001 ihre Ergebnisse vor, die als offizielles Eingeständnis gewertet wurden, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei (vgl. Carius 2004: 110). Der Bericht beginnt mit den Worten: „Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer“ (Zuwanderungskommission 2001: 11). Bis in den Sommer 2001 hinein scheint es, als wäre dieser diskursive Umschwung dahingehend wirksam, dass die Debatten um ein aktualisiertes Einwanderungsrecht primär die Regelung von zusätzlicher – „notwendiger“ – Arbeitsmigration nach Deutschland umfassen würden. Diese Novellierung würde flankiert von einem Schutz der bereits in Deutschland lebenden „‚Ausländer“ vor sozialem Ausschluss – im Wesentlichen verhandelt als Zurückdrängung prekärer Aufenthaltstitel und der Schaffung von Statussicherheit – unter dem Leitbegriff „Integration“ (vgl. die Begründung zum Entwurf von November 2001, 20011108-BTDrs.14/7387: 56).47 Diese Verschränkung von Migrationsdiskurs und ökonomischem Diskurs trat jedoch in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 gegenüber Sicherheitsfragen in den Hintergrund. Nun wurde eine Debatte geführt, die wieder zur ‚alten‘ Problemlösung in Form einer Abschottung gegen unkontrollierte Einflüsse von Außen zurückkehrte. Angesichts der Bedrohung durch terroristische Anschläge wurde die Abwehr von Gefahr das von nun an zentrale Thema. Das Neue an dieser Problemstellung war allerdings jetzt, dass die Setzung einer Notwendigkeit von Einwanderung bereits erfolgreich etabliert war und daher nicht mehr vollkommen in Frage gestellt werden konnte. In der Debatte über den Schutz vor schädlichen Einflüssen „von Außen“ konnte daher nicht mehr die vollständige Abschottung als Problemlösung gelten. Es
47 Tatsächlich kündigte sich bereits in dieser frühen Phase der Verhandlungen zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der durch die Unionsparteien angeführten Opposition Dissens hinsichtlich der Ausgestaltung einer liberalisierten Einwanderungsregelung an, der sich in erster Linie auf eine von verschiedenen Verbänden seit Jahren angemahnte Bleiberechtsregelung für langjährig in Deutschland ‚geduldete‘ Flüchtlinge bezog (vgl. Adam 2004; Davy 2006: 221). 181
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
blieb nur, den Ausschluss einzelner Elemente vom Prozess der Einwanderung bzw. vom Aufenthalt im Land zu operationalisieren. Bereits wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde das erste „Anti-Terror-Paket“ vom Parlament verabschiedet, im Oktober 2001 veröffentlichte das BMI dann das Sicherheitspaket II.48 Damit wurden in direktem Anschluss an 9/11 Techniken der Gefahrenabwehr, die dem Schutz vor Bedrohung dienen sollen, als legitime und notwendige Reaktion der Gesetzgebung unter der Überschrift „Terrorismusabwehr“ diskutiert. Am 27. Oktober einigten sich nach langen Verhandlungen die beiden Koalitionsparteien SPD und Grüne auf die konkrete Ausgestaltung und beschlossen am 7.11.2001 den Entwurf eines Gesetzes „zur Bekämpfung des Terrorismus“.49 Darin stellt die bevorzugte Technik des Ausschlusses die ausländerrechtliche Ausweisung zur Gefahrenabwehr dar. Durch die diskursive Setzung, Gefahren abwehren zu müssen, wird stets eine Prognose erforderlich: wer könnte sich als schädlich erweisen und ist daher vom Aufenthalt auszuschließen? Diese Gefährlichkeitsermittlung bringt daher das Dilemma mit sich, dass Gefahr nur ex post zu belegen ist, aber ex ante festgestellt werden soll. Die Lösung dieses Begründungsproblems besteht in der Aufwertung der potentiellen „Gefährlichkeit“ zu etwas bereits Bestimmtem. Möglich wird dies, da der Signifikant „Gefahr“ an sich unbestimmt, d.h. seine Bedeutung nicht determiniert ist. „Gefahr“ kann in vielen denkbaren Konstellationen als Begriff eingesetzt werden, ohne stets genau dasselbe zu bedeuten. Im Diskurs des Schutzes vor und des Kampfes gegen Terror wird er auf eine Weise gefüllt, die das Gefährliche konkret werden lässt. Die Potentialität der Bedrohung wird durch das scheinbare Faktum der Gefahr ersetzt. Fest im Ausländerrecht verankert ist die Wahrnehmung des „Ausländers“ als potentiell gefährlich; nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und vom März 2004 in Madrid mobilisiert das Reden über „Gefahr“ den Topos des „gefährlichen Ausländers“ und schafft über den Einsatz des Ausweisungsrechts eine Wahrnehmung, die bestimmte „Ausländer“ prinzipiell gefährlich erscheinen lässt. Das Thema der Gefahrenabwehr durch Ausweisung dominierte von nun an die gesamte Novellierungsdiskussion des Ausländerrechts bis Mitte 2004. Dies ist sowohl der hohen Symbolwirkung geschuldet (angesichts der absolu-
48 Es bestand aus zahlreichen Änderungen in 14 Gesetzen vom Asylverfahrensgesetz bis zum Vereinsgesetz und anderen Verordnungen; vgl. dazu die Presserklärung von Bürgerrechtsorganisationen vom 24.10.2001 „Die falsche Antwort auf den 11. September“, www.cilip.de/terror/pe241001.htm; zugegr. am 28.01.2010. 49 Dieser Entwurf wurde am 8.11.2001 mitsamt Begründung veröffentlicht (20011108-BTDrs. 14/7386), am 30. November 2001 Gegenstand einer Anhörung im Innenausschuss und am 12. Dezember ins Parlament eingebracht (und umgehend ohne Beratung in die Ausschüsse verwiesen). 182
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
ten Wirksamkeit physischen Ausschlusses) als auch der Tatsache, dass die konkrete Ausgestaltung der Ausweisungsnovellierung in der politischen Arena hoch umstritten war. Denn auch wenn die Innere Sicherheit als durch „Ausländer“ gefährdet wahrgenommen wird, ist kein präventiver Ausschluss ganzer Gruppen zulässig. Daher galt es, nachdem die Gefahr bereits zu einem Faktum aufgewertet war, weiterhin die Gefährlichkeitsprognose zu operationalisieren: wie wird ermittelt, wer in welchen Situationen als gefährlich gilt? Ab wann und als wie gefährlich ein „Ausländer“ zu gelten hat heißt, den Wahrscheinlichkeitsgrad abzuschätzen, nach dem die befürchtete Gefährdung eintreten kann. Dazu eignet sich in der „aktuellen Bedrohungssituation“ nur eine ‚statistische‘ Wahrscheinlichkeitsabwägung: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gilt als Beleg einer bestimmten Gefährlichkeit. Auf den Topos „gefährlicher Ausländer“ Bezug nehmend wird nach September 2001 dessen Bedeutung durch eine vermeintlich eng definierte und inhaltlich klar bestimmte Gruppe spezifiziert. Es erfolgt eine Zuspitzung des Gefährlichkeitskriteriums auf „fanatische“, „radikale“, „islamistische“ usw. Muslime. Der durch seine Fremdheit an sich „gefährliche Ausländer“ wird durch kulturelle Zuschreibungen „gefährlich fremd“, d.h. eine über das normale Maß hinausgehende konkrete Gefährlichkeit wird plausibilisiert. Der klassisch kulturalistische Nexus von „Fremdheit“ und „Gefahr“ ist nicht erst im Zusammenhang mit der Terrorgefahr ‚erfunden‘ worden. Durch diese Deutungsfigur des „Islamismus“ erfolgt aber konkret eine religiös bzw. ideologisch konnotierte Kulturalisierung, mit der Fremdheit inhaltlich als „gefährlich“ bestimmbar wird. Auch hier ist die Bedeutung der „Gefahr“ jedoch nicht eindeutig, sondern bewegt sich in einem Feld zwischen islamischer Religiosität und terroristischem Islamismus.
5.3.2 Die Aufwertung der Gefahr im Ausweisungsrecht Gefahr im Recht Als in den Jahren 2001 bis 2004 an den Verschärfungen des Ausweisungsrechts gearbeitet wurde, dominierten Maßgaben des „Schutzes der Sicherheit“ und des „Kampfes gegen den Terror“ (vgl. Davy 2006: 225) den Diskurs. Damit wurde eine deutliche Aufwertung der Gefahr innerhalb des Ausweisungsrechts vollzogen, d.h. als die Novellierungen dieser Phase abgeschlossen waren, prägte die ‚Gefährlichkeit‘ zahlreiche Einzelnormen des Ausländerrechts.50
50 In Kap. 3.3.1 wurden alle Veränderungen beschrieben, weshalb ich hier nur auf jene hinweise, die inhaltlich dem Konzept der ‚Gefahr‘ aufruhen. Ebenfalls au183
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Am 14. Dezember 2001 wurde der Entwurf des „Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ im Parlament debattiert und umgehend verabschiedet; es trat am 9. Januar 2002 in Kraft (BGBl. I S. 361). Folgende Änderungen der §§ 46 und 47 wurden dadurch vorgenommen: Neben der Anführung des „internationalen Terrorismus“ (das Adjektiv „international“ wurde erst 2007 gestrichen, s. S. 91) in direkter Reaktion auf die Anschläge vom 11. September in den Versagungsgründen für einen Aufenthaltstitel (§ 8 AuslG1990) und den Normen zur Regel-Ausweisung (§ 47) wird zusätzlich die „Gefährdung der FdGO und/oder der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in den Versagungsgründen (auf die in § 47, 4 Bezug genommen wird) aufgeführt: „Die Aufenthaltsgenehmigung wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn […] 5. er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zu Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht.“ (§ 8 AuslG 1990)
Durch das Zuwanderungsgesetz51 wurde die Regelausweisung erleichtert, die nun unter anderem die Unterstützung des Terrorismus sanktionieren soll, und zwar bereits „wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen“. Darüber hinaus ist auch hier wieder die „Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ genannt.52 Dass die Operationalisierung der Ausschlusstechnik zum Schutz vor ‚terroristischer Bedrohung‘ an ‚Gefährlichkeit‘ anknüpft, hat zwei Gründe. Erstens ist Gefahr ein polizei- und ordnungsrechtlicher Begriff,53 der eine Intervention vor der Tat ermöglicht: da es eine Aufgabe der Ordnungskräfte ist, Gefahren abzuwenden, sollen sie nicht erst tätig werden dürfen, wenn eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit bereits begangen wurde, sondern sie
ßen vor lasse ich hier die neu eingeführte Direktausweisung durch den Bundesinnenminister; zur Kritik daran vgl. Schmahl 2004. 51 Die verabschiedeten Formulierungen der Normen wurden vom Vermittlungsausschuss eingebracht (20040630-BTDrs.15/3479) und enthalten daher keine offizielle „Begründung“, wie das bei einem Gesetzentwurf üblich ist. 52 Spezifiziert wird dies durch den Aufruf zu Straf- oder Gewalttaten sowie das Aufstacheln zum Hass. 53 Die Entscheidung des BVerwG vom 26.02.1974 zur Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts definiert „Gefahr“ folgendermaßen: „Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird“ (BVerwGE 45, 51(57)). 184
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
sollen diese auch durch direkte Interventionen verhindern können.54 In einer Situation, in der die Bedrohung durch einen terroristischen Anschlag angenommen wird, gilt nur ein Eingreifen vor dem Anschlag als ‚sinnvolle‘ Bearbeitung des Problems. Das Konzept der Gefahr ist hier also unmittelbar anwendbar. Was ab wann als wie ‚gefährlich‘ gilt, welche Form des Eingriffs daher als zulässig angesehen wird – eine derartige Konstellation wäre der Abschuss eines Passagierflugzeugs, das als Waffe eingesetzt zu werden droht –, ist im Einzelfall höchst umstritten. Ich werde eine Umsetzung der Gefahrenprognose unten anhand der Anwendungshinweise zum AufenthG darstellen. Zweitens hat sich das deutsche Ausländerrecht traditionell der Abwendung von Gefahren verschrieben. Es ist, wie ich bereits ausgeführt habe, dem Polizeirecht zuzuordnen, folgt also der dargestellten präventiven Logik. In historischer Perspektive findet sich ein nahezu einheitlicher Begriff der „Gefährlichkeit“ bei Begründungen von Ausweisungen seit der Weimarer Republik über die Generalklauseln der früheren bundesdeutschen Ausländergesetze55 bis hin zur gegenwärtig gültigen Norm der „Ermessensausweisung“. Seit der APVO von 1938 enthält das Recht die explizite Forderung, „Ausländer“ müssten „sich der Gastfreundschaft würdig erweisen“. In ihrem Kern steht die Annahme, die Kompatibilität des „Ausländers“ mit der deutschen Gesellschaft müsse sich erst noch erweisen.
Gefahr im Interdiskurs Der „gefährliche Ausländer“ – oder schlicht „der Gefährder“ – ist der weiteste Begriff im semantischen Feld der Gefahr, wie er im Interdiskurs (nicht jedoch im Spezialdiskurs) regelmäßig auftritt. Er bezieht sich nicht mehr auf die stets Formelhaft aus dem juristischen Spezialdiskurs übernommenen Wendungen, die einen Sicherheitsbezug haben wie „Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ oder „Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“,56 sondern lässt offen, was als gefährdet betrachtet wird. Dieser Inhalt ist nur im Kontext bestimmbar und so kann die Spannweite des „Gefährders“ vom einfachen „Straftäter“ bis zum „Top-Extremisten“ rei54 Das polizeiliche „Unterbindungsgewahrsam“ – etwa die Festnahme von Demonstranten, bevor Straftaten begangen werden – ist dafür ein bekanntes Beispiel. 55 Im § 5 der Ausländer-Polizeiverordnung von 1932 heißt es „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sein Aufenthalt die innere Sicherheit im Reichsgebiet oder die äußere Sicherheit des Reichs gefährdet“; die § 5 APVO1938 nennt „den Ausländer … dessen Verhalten geeignet ist, wichtige Belange des Reichs (Bundes) oder der Volksgemeinschaft zu gefährden“; in § 10 AuslG1965 werden dann „die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ genannt usw.; s. den Volltext ab S. 266. 56 Etwa in: 20011008-Spiegel; 20020701-Spiegel; 20040325-FAZ. 185
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
chen.57 Im Diskursverlauf bildet sich darin die Verwischung konkreter Bedeutungen ab: versuchte das Gesetz noch, Eindeutigkeit zu produzieren oder doch zumindest herauszustellen, worauf sich eine Sanktion konkret bezog, rückt der Interdiskurs von der strengen Definition des Begriffes ab. Dadurch entsteht ein informeller Gebrauch, der erneut das Bedeutungsspektrum des Signifikanten Gefahr öffnet. „‚Wer gefährlich ist, muß ausgewiesen werden‘, so Beckstein“ (20040325-FAZ). „Für rasche Abschiebung gefährlicher Ausländer“ (20040325-SZ).
Dies geht so weit, den Konkretisierungsgrad der Gefahr so gering anzusetzen, dass sogar von „potenziell gefährlichen Ausländern“ gesprochen werden kann (z. B. in 20040618-SZ). Dies werde ich anschließend ausführlich in Bezug auf die Ausweisung auf Verdacht diskutieren. Es liegt vielleicht nahe, den Einsatz des „Gefährders“ als Kurzformel für die Gefährdung der FdGO oder der Sicherheit zu deuten. Die seltenen Äußerungen, die einen konkreten Bedeutungsgehalt mitliefern, weisen allerdings in eine andere Richtung. Zwei Beispiele zeigen, dass sich „gefährlich“ ebenso leicht an die allgemeine Straftat – also nicht an terroristische, sondern an alltägliche Devianz – anlehnt: „Schutz vor gefährlichen Straftätern“ (20011108BTDrs.14/7387) wie es den Nexus zur Religion vollzieht und damit den Islam als Gefahr beschreibt: „Religiös verblendet und hochgefährlich“ (20040322Spiegel). Ebenso wird vereinzelt im Interdiskurs das Feld der Gefahr – Straftaten/Gewalt, Extremismus usw. – mit fehlender Integration verbunden. „Wenn Integrationsbemühungen erkennbar misslungen sind, sollen die bestehenden Ausweisungsmöglichkeiten vor allem für Straftäter viel konsequenter genutzt werden. Schily: ‚In der Pflicht sind die Bundesländer. Sie müssen von ihren Möglichkeiten, Hassprediger und ähnliche Figuren auszuweisen, entschiedener Gebrauch machen als bisher.‘“ (20041129-Spiegel)
Neben der mit den Befunden oben kongruenten Gleichsetzung von „Hasspredigern und ähnlichen Figuren“ mit jeder Art von Straftätern wird im letzten Fall also die Straffälligkeit als Indikator misslungener Integration betrachtet – und daher als durch Ausweisung sanktionierbar gedacht. Im Zuge der fortschreitenden Verschärfung der formellen Normen des Ausweisungsrechts, die von 2001 bis 2004 mit dem Schutz vor terroristischer Bedrohung begründet werden, ist die spezialdiskursive Ebene (auch für Ar57 In diesem Kapitel formuliere ich bewusst nicht geschlechtsneutral, da Täter, Gefährder, Terroristen usw. im Diskursstrang der Terrorgefahr stets als männlich erscheinen; zur medialen Repräsentation von Selbstmordattentäterinnen vgl. Brunner 2005. 186
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
gumentationsmuster des Interdiskurses) der primäre Referenzpunkt. Es ist daher notwendig genauer zu untersuchen, wie der Ausschluss Einzelner vom Aufenthalt im Inland unter Bezugnahme auf deren Gefährlichkeit gesetzlich und verwaltungspraktisch legitimiert wird. Wer wird als auszusondernd ermittelt und wie wird dies begründet?
5.3.3 Die Umdeutung der Potentialität zur Faktizität Potentielle Gefährlichkeit operationalisieren „Gefahr“ bezeichnet im allgemeinen Ordnungsrecht die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts in der Zukunft (Drews/Wacke/Vogel 1986: 220). Etwas als „gefährlich“ zu bezeichnen bedeutet, eine Projektion in die Zukunft vorzunehmen: es ist das Potential vorhanden, dass eine negative Wirkung eintritt. Von Gefahr zu sprechen setzt stets voraus, dass immer noch alles gut gehen kann, dass das weitere Geschehen nicht determiniert ist. Insofern ist Gefahr an sich eine Potentialität. Die Postulierung einer Gefahr ist daher immer an zweierlei projektive Einschätzungen geknüpft: einerseits mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die erwarteten negativen Auswirkungen eintreten; andererseits welche Tragweite deren Eintreten haben wird. Aus diesen beiden letztlich nicht determinierbaren Faktoren ergibt sich die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Umstandes. Ist als Problem der Ausschluss gefährlicher Elemente vom Zugang bzw. Aufenthalt im Land gesetzt, und wird als Problemlösung die Ausschlusstechnik Ausweisung eingesetzt, so muss zunächst die „Gefährlichkeit“ eines Umstandes ermittelt werden. Bezieht sich eine Gefährlichkeitsprognose auf die Tragweite der Gefahr, so ist deren Prüfung verhältnismäßig leicht operationalisierbar: die Qualität des potentiell Gefährdeten ist formell (nämlich i. d. R. gesetzlich) definiert. Die FdGO, an deren „Gefährdung“ eine Ausweisung geknüpft ist, wird bspw. als „hohes Schutzgut“ betrachtet; die Generalklausel der Norm zur Ermessensausweisung hebt auch die „öffentliche Sicherheit“ auf den Rang „erheblicher Interessen“ und erzeugt damit eine hohe Tragweite ihrer Gefährdung.58 Explizit wird die Tragweite in den durch das BMI erlassenen „vorläufigen Anwendungshinweisen“ zum Zuwanderungsgesetz für die Einschätzung von Gefährlichkeit herangezogen. Hinsichtlich der Gefährdung der FdGO heißt es in den Ministeriumshinweisen zwar, „reine Vermutungen
58 Zur FdGO der § 54 Nr. 5a, zur öffentlichen Sicherheit den § 55, 1 AufenthG. Ebenso werden durch letzteren Paragraphen die in Folge aufgelisteten einzelnen Ausweisungsgründe bis hin zum „nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ auf den Rang „erheblicher Interessen“ gehoben, s. dazu oben Kap. 3.3. 187
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
oder eine entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts genügen nicht.“ Für eine Ausweisung wegen Gefährlichkeit gelte jedoch: „Wegen des hohen Rangs des gefährdeten Rechtsguts werden an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Eintritt der Gefährdung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips keine hohen Anforderungen gestellt.“ (Ebd., 54.5a)
Mit anderen Worten: weil die Tragweite als sehr hoch eingeschätzt wird, was mit dem hohen Schutzgut der FdGO der Fall ist, entfällt die Notwendigkeit eines hohen Wahrscheinlichkeitsgrads, um einen Umstand als ‚gefährlich‘ zu bewerten. Hinsichtlich der Definition des „Schutzgutes“ ist hier primär von Bedeutung, dass es sich um formalistische Konstruktionen handelt, die außerhalb des migrations-politischen Diskurses definiert werden. Sie sind als Fachbegriffe des juristischen Spezialwissens spezialdiskursiv (relativ) festgelegt.59 Die Anwendungshinweise referieren selbst eine derartige formelle Definition indem sie erläutern, was unter der FdGO zu verstehen ist: „Mit der Regelung in Nr. 5 werden die Bestrebungen innerhalb und außerhalb des Bundesgebietes agierender Tätergruppen erfasst, die gegen das vom Bundesverfassungsgericht ausgefüllte Verfassungsprinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, § 1 Gesetz zu Artikel 10 GG). Schutzgut ist insbesondere auch die Fähigkeit des Staates, Beeinträchtigungen und Störungen seiner Sicherheit nach innen und außen abzuwehren.“ (20041222-BMI: 54.5.1)
Einer prinzipiell anderen und ganz wesentlich uneindeutigeren Begriffsverwendung bei der Bestimmung von Gefährlichkeit folgt die Begründung zum TerrorG. Dort wird erläutert, die Verschärfung der Regelausweisung passe das Gesetz „an die aktuelle Bedrohungssituation an und hebt den besonderen Gefährdungsgrad von Handlungen hervor, die die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gewaltbereiten Terrorismus fördern oder unterstützen.“ (20011108-BTDrs. 14/7386).
Durch die Rede vom „besonderen Gefährdungsgrad“ wird eine Skalierung nach Gefährdungs-Graden eingeführt, womit nicht mehr alle Bedrohungen 59 Was dies im Einzelnen bedeutet ist in der Fachliteratur – oder im Fall der FdGO sogar in Schulbüchern etc. – mehr oder weniger einheitlich definiert. Wie diffus der Sicherheits-Begriff tatsächlich ist wird deutlich in Kunz’ Analyse von Lexikon- und Handbuchartikeln aus den Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften, die den Begriff „Innere Sicherheit“ zu definieren versuchen, vgl. Kunz 2005. 188
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
von FdGO/Sicherheit gleichermaßen von besonderer Tragweite erscheinen. Diese Sichtweise bewertet also den Wahrscheinlichkeitsgrad. Dessen Prognose erweist sich als wesentlich schwieriger. Als wie gefährlich ein Ausländer zu gelten hat heißt den Wahrscheinlichkeitsgrad abzuschätzen, nach dem die befürchtete Gefährdung eintreten kann. Dies gilt wie gesagt auch dann, wenn das Gefährdete als „hohes Schutzgut“ betrachtet wird, nur muss in diesem Fall das Eintreten nicht so wahrscheinlich sein wie bei einer geringeren Tragweite. Die Logik dieser Abwägung wird in den Anwendungshinweisen ausführlich erläutert, wenn etwa anhand der Gefahr der Wiederholung einer Straftat erklärt wird, die Gefahr müsse: „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehen; eine bloße Vermutung genügt nicht. Vielmehr muss die Ausländerbehörde eine nachvollziehbare, auf Tatsachen gestützte Prognose erstellen, welche die Stellungnahmen anderer Stellen (z. B. Bewährungshilfe, Jugend- und Gerichtshilfe) berücksichtigt. An die Wahrscheinlichkeit der erneuten Verwirklichung eines Ausweisungsgrundes sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je gravierender die Rechtsgutverletzung ist (z. B. Gewalttaten). Ob für eine Ausweisung wegen Wiederholungsgefahr ein ausreichender Anlass besteht, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Je gewichtiger der Verstoß ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr gestellt werden.“ (20041222-BMI: 53.0.3.1.1)
Handelt es sich also um ein hohes Schutzgut, das bedroht wird, ist die Gefahr bereits dann hoch, wenn das Eintreten eher unwahrscheinlich, aber zumindest möglich ist. An die Prüfung des Wahrscheinlichkeitsgrads werden daher „keine hohen Anforderungen gestellt“. 60 Generell gilt aber, dass eine Gefahr nicht nur möglich, sondern zu erwarten sein muss, um eine Sanktion zu legitimieren. Die entsprechende Passage lautet vielfach wiederkehrend: „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“. „Entscheidend“ sei etwa, „ob eine Beeinträchtigung i.S.v. § 55 Abs. 1 durch den Ausländer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit besteht“ (20041222-BMI: 53.0.3.0.1). Zur spezialpräventiven Gefahrenabwehr heißt es ähnlich: eine „Gefahr muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehen; eine bloße Vermutung genügt nicht. Vielmehr muss die Ausländerbehörde eine nachvollziehbare, auf Tatsachen gestützte Prognose erstellen“ und dabei „praktische Vernunft“ anwenden. „Eine nach naturwissenschaftlichen Erkenntnismaßstäben orientierte Gewissheit ist nicht gefordert.“ (Ebd., 53.0.3.1.1) Das Eintreten einer negativen Auswirkung habe also zur Begründung einer Ausweisung nicht nur möglich zu sein, sondern es müsse anzunehmen 60 Das „hohe Schutzgut“ zur Legitimation weitgehender Sanktionen einzusetzen ist eine Rückkehr zu alten Schemen des deutschen Ausländerrechts; zur Aushebelung des Verhältnismäßigkeitsprinzips s. S. 81. 189
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sein. Das Eintreten des Angenommenen sei zu begründen („Prognose“), wobei die Vermutung (nicht hingegen eine „Gewissheit“) durchaus auf das Ermessen, die „praktische Vernunft“ gestützt sein könne. Für jede Abwägung des Wahrscheinlichkeitsgrades ist gefordert, dass sie sich auf den Einzelfall bezieht (kollektive Argumentationen wären für eine Ausweisung nicht zulässig, etwa sind Massenausweisungen völkerrechtlich geächtet). Diese Projektion in die Zukunft kann entweder dem individuell zurechenbaren Verhalten aufruhen (wie im zitierten Fall), oder sie kann sich auf abstrakte Kenntnisse über bestimmte Umstände beziehen. Im ersten Fall werden Kenntnisse über das bisherige Verhalten herangezogen, um zukünftiges Verhalten zu projizieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Straftäter aus individualpräventiven Gründen ausgewiesen wird. Dem läge die Annahme zu Grunde, er würde in Zukunft mit höherer Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten begehen als ein bisher unbescholtener Bürger. Diese Logik könnte man biographisches Wissen nennen. Statistisches Wissen wird im anderen Fall genutzt, wenn etwa davon ausgegangen wird, dass eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe überproportional gefährlicher ist als eine andere; dann wird die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe als Beleg für die vom Einzelnen ausgehende Gefahr betrachtet. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Mitglied eines verbotenen Vereins – ebenfalls individualpräventiv – ausgewiesen wird: der Einzelne mag bisher nichts Verbotenes getan haben (in der Anwendungsvorschrift lautet dieses Prinzip „ein strafbares oder strafbewehrtes Verhalten ist nicht erforderlich“, ebd.: 54.5), die Gruppe, der er zugehört, gilt aber als deviant – und er daher tendenziell auch. Dieselbe auf statistischem Wissen beruhende Logik würde wirken, wollte man pauschal eine Gefahr etwa damit begründen, eine höhere Kriminalitätsrate unter „Ausländern“ sei als Beleg für deren generell höhere Gefährlichkeit zu werten. Diese Pauschalisierung ist zwar als unreflektierte Unterstellung in der Presse weit verbreitet (s. Abbildung 10).61 Im juristischen Spezialdiskurs ist sie jedoch nicht dominant, ja in der politischen Arena funktioniert sogar die Distanzierung von solchen Argumentationen in Form des stehenden Begriffs des „Generalverdachts“. „Niemand denkt daran, alle Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen“ erklärt beispielsweise ein Redner (Wolfgang Bosbach, CDU/CSU) in der Parlamentsdebatte zur Verab61 Der pauschalisierende Einsatz statistischen Wissen findet sich oft in interdiskursiven Fragmenten, etwa in den häufig wiederkehrenden Verweisen auf Kriminalitätsraten: „Dabei sind gemeldete ausländische Kinder und Jugendliche rund doppelt so stark mit Kriminalität belastet wie ihre deutschen Altersgenossen.“ (19980525-Focus) oder „Jeder 5. Tatverdächtige ist ein Ausländer“ (20060405BILD), s. dazu auch die Diskussion des Konzepts der „Ausländerkriminalität“ in Kap. 5.1. 190
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schiedung des Zuwanderungsgesetzes im Juli 2004 und differenziert die „Muslime in Deutschland“ nach Graden ihrer Gefährlichkeit: „Wir haben in Deutschland etwa 2 000 Moscheen und Gebetshäuser, wovon 100 als nachrichtendienstlich relevant gelten. Niemand denkt daran, alle Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen. Deswegen ist es auch gut, dass wir differenzieren. Wir sprechen von etwa 30 000 bis 31 000 Islamisten und davon, dass 3 000 bis 3 500 als gewaltbereit und -geneigt gelten […]. Darunter gibt es einige so genannte Topgefährder. Wir wollen wenigstens die unter Verdacht stellen dürfen, die verdächtig sind.“ (20040701-PlenProt 15/118)
Abbildung 10: Der Spiegel vom 4.3.2002, S. 56
Mit der Wendung „die unter Verdacht stellen dürfen, die verdächtig sind“, nämlich die „so genannten Topgefährder“, enthält diese Äußerung bereits ein Element, auf das ich gleich zurückkommen möchte: den Verdacht. Zunächst ist mir aber wichtig, dass von den genannten Beweisführungen die Quelle des biographischen Wissens auf die von „Terror“ ausgehende Gefahr nicht ohne weiteres anwendbar ist. Die Logik der Wiederholungstat geht bei einem ‚normalen‘ Straftäter davon aus, dass aus strukturellen (z. B. Armut) oder individuellen Gründen (z. B. frühkindliche Prägung) eine besondere Disposition zu deviantem Verhalten gegeben sei.62 Die Wiederholung eines Selbstmordattentats ist jedoch ausgeschlossen.
62 Hierin sind Spuren des vorrechtsstaatlichen Modells des Tätertyps zu erkennen, vgl. Beichel 2001: 64. Die beschriebene Existenzialisierung – das gefährliche Wesen des Ausländers – wirkt als „verkapptes Täterstrafrecht“ (Trautmann 2002: 335), bei dem die zu befürchtende Handlung aus der Person des Abweichenden resultiert. Wenn schon der Ausländer-Status den Sanktionsdruck erheblich verschärft bedeutet das: „Der Täter erhält nicht nur für das, was er getan hat 191
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Somit ist hinsichtlich der Gefahr von Terroranschlägen nur eine statistische Wahrscheinlichkeitsabschätzung zulässig. Diese kann trotz einer geringen Fallzahl seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zumindest von einer möglichen Gefahr ausgehen. Denn damit ist die Frage obsolet geworden, ob derartige Taten überhaupt denkbar sind, und durch deren Tragweite ist der Hinweis disqualifiziert, dass es sich weiterhin um „Einzelfälle“ handelt. Dementsprechend mag zwar kein mathematisch sauberer ‚Beweis‘ einer im Einzelfall bestehenden Gefahr möglich sein, eine alltagsweltliche Validität der Vorstellung von Gefährlichkeit scheint dennoch hinsichtlich der ganzen Gruppe von „Ausländern“ als offensichtlich und wird diskursiv legitim sagbar. Die allgemeine Setzung des „Ausländers“ als „gefährlich“ folgt der bereits oben erwähnten tradierten Sicht auf das Fremde als Störfaktor, wodurch auch die kulturalistische Logik, die aus der Differenzsetzung „Ausländerkriminalität“ spricht, denkbar wird (s. S. 149). Damit ist die betreffende Ausweisungsrechtsverschärfung bereits innerhalb des zeitgleich sich entwickelndem Diskursstrangs der „terroristischen Bedrohung der Inneren Sicherheit“ verortet. So wird auch klar, dass der „besondere Gefährdungsgrad“ im obigen Zitat aus der Begründung des TerrorG sich erst aus der Wahrnehmung einer „aktuellen Bedrohungssituation“ erschließt. Gemeint ist damit die Situation nach den genannten Anschlägen, die auch in der deutschen Öffentlichkeit als „Kriegserklärung“ gegen die USA gedeutet wurden (vgl. Weller 2004). Anschließende Solidaritätsbekundungen durch deutsche Politiker machten eine symbolische Front ‚Islamismus gegen den Westen‘ auf, wodurch wir zur Kriegspartei wurden. In der Formulierung „Anpassung an die aktuelle Bedrohungssituation“ signalisiert das Bundesinnenministerium, mit dem deutschen Ausländerecht gegen den (zunächst noch „internationalen“) „Terrorismus“ ins Feld ziehen zu wollen.63 Die besondere Gefährlichkeit in der Begründung des TerrorG bezieht sich also entgegen der formell näher liegenden Leseweise auf eine besondere Gefahr innerhalb des amorphen Feldes der (terroristischen) Bedrohung. Es sei die „aktuelle Bedrohungssituation“, also die in Form von (religiösem bzw. islamistischem) Terrorismus fixierte besondere Gefahr für die Sicherheit, die Sanktionen legitimiere. Mit dem Praxiseinsatz des Gefährlichkeits-Topos etabliert das Ausweisungsrecht nach 2001 einen universell einsetzbaren Interventionsansatz. Denn Ausweisung soll jetzt zur Abschreckung dienen, d.h. die individuelle Sanktioeine Strafe, sondern muß auch für das, was er ist, eine Sanktion fürchten, die mindestens ebenso einschneidend ist“ (Trautmann 2002: 336). 63 Das 2002/2004 diskutierte ZuwG erbt die entsprechenden Formulierungen, nicht zuletzt nachdem sich am 11. März 2004 die Anschläge von Madrid ereignen; der Diskursstrang „Gefährdung der Sicherheit“ setzt sich also bis zur Verabschiedung des ZuwG 2004 fort. 192
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nierung einer Tat zielt nicht primär auf die einzelne sanktionierte Person ab, sondern hat eine Gruppe von zunächst unbestimmten, potentiellen Akteuren einer potentiellen gefährlichen Handlung zum Ziel. Dabei genügt zur Annahme einer tatsächlich drohenden Gefahr bereits die Feststellung einer abstrakten, unkonkreten, nur noch denkbaren Gefahr. Die kritische Rechtstheorie weist darauf hin, dass angesichts einer generalpräventiven Zwecksetzung „die Gefahr als limitierendes Tatbestandselement schon natürlicherweise überhaupt keine Rolle (spielt), weil es sich dabei um abstrakte Gefahren handeln muss, die mangels feststehender Gefahrenquelle nicht konkretisiert werden können“ (Beichel 2001: 50). Durch die Differenzkonstruktion im Zuge der Ermittlung von Wahrscheinlichkeit wird der „Ausländer“ als prinzipiell gefährlich gesetzt. Nach 9/11 erhält der Signifikant „gefährlicher Ausländer“ eine vermeintlich eng definierte und inhaltlich klar bestimmte Bedeutung: die radikalen Muslime. Es erfolgt also eine Zuspitzung des Gefährlichkeitskriteriums, die allerdings keineswegs eindeutig ist.64 Vielmehr wir oft eine Gleichsetzung von islamischer Religiosität und terroristischem Islamismus vorgenommen, was der unten folgende Blick in den Interdiskurs veranschaulichen wird (s. S. 200ff). Doch auch in der Analyse der Praxis ausländerpolizeilicher Arbeit kann der vielseitige Einsatz des „gefährlichen Ausländers“ ausgemacht werden.
Die Wahrscheinlichkeit der Gefahr in der Praxis Dass die vermeintlich formalistischen Formulierungen des Gesetzestextes wie etwa in der o. g. Ermessensausweisung65 nicht ohne Belang für die Praxis bleiben, geht aus dem „Bericht zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes“ vom Juli 2006 (BMI 2006) hervor. Dieser führt an, „dass sicherheitsrelevante Ausweisungstatbestände in der Praxis genutzt werden“ und spricht von „einer Reihe von Fällen“ und „einer Vielzahl“ dementsprechend verwehrter Aufenthaltserlaubnisse bzw. der Prüfung ihrer Versagung. Wie aber werden diese Prognoserichtlinien tatsächlich angewendet, wie gestaltet sich die „Nutzung in der Praxis“? Dazu äußert sich implizit eine Expertin aus der Verwaltung im Rahmen des diesbezüglichen „Praktiker-Erfahrungsaustausches“. Die Leiterin einer 64 Politisch-religiöser Extremismus bezeichnet keineswegs nur politisch genau definierte Gruppierungen, und der explizite Bezug auf al-Qaida u. a. wirkt wie eine Simulation von Eindeutigkeit; s. dazu das Beispiel der „Sicherheitsbefragung“ auf S. 199. 65 § 55 AufenthG: „wenn er in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“, s. Anhang. 193
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Ausländerbehörde schildert, dass es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im täglichen Umgang schwer falle, Begriffe wie „Islam, Islamismus und islamischer Extremismus bzw. Terrorismus“ (Dahmen 2006: 2) klar zu unterschieden. „Ist der bekennende Muslime gleich ein islamischer Terrorist oder ein Anhänger des Extremismus und als solcher von den Mitarbeitern der Ausländerbehörde (ABH) zu erkennen?“ (Dahmen 2006: 1) Sie fährt fort: „Mitarbeiter haben aufgrund des Umgangs mit vielen Ausländern ein Gefühl für Situationen und „Ungereimtheiten“ entwickelt, können aber ihre Empfindungen nicht an Fakten festmachen“ (Dahmen 2006: 2). Um dieser Problematik in der täglichen Verwaltungspraxis zu begegnen gibt sie ihren Beschäftigten „einige Kriterien zur Bewertung der verschiedenen Begriffe“ an die Hand: „● Wechsel der Kleidung des Ausländers ● Deutliche Veränderung der Haare, des Barts ● Veränderter Umgang mit den weiblichen Mitarbeitern ● Die eine oder andere abwertende Äußerung über den Staat, die Behörde etc.“ (Dahmen 2006: 2)
Aus der Perspektive der Leiterin einer Ausländerbehörde, die Ausweisungen wegen Gefährlichkeit aussprechen will, weil sie sich als Grenzwächterin versteht,66 wird das Problem als Operationalisierungsproblem beschrieben: sie bewertet die formalen Kriterien der „Gefährlichkeit“ als valide, also den Bezug auf „Extremismus“ und/oder „Terrorismus“. Nun will die Ausländerbehörde aber nicht nur die vordergründig eindeutigen Fälle z. B. des „Extremismus“ identifizieren, sondern festlegen, welche gesetzten KriterienKonstellationen darüber hinaus als gefährlich betrachtet werden können und eine Ausweisung rechtfertigen. Ist etwa „alleine das Bekenntnis zum Islamismus schon ein Ausweisungsgrund oder müssen weitere Faktoren hinzu kommen?“ (Dahmen 2006:2). Sie will das meiste für ihre Arbeit herausholen und fragt sich, wie das zu operationalisieren ist. So fällt es ihr in der Praxis schwer, diese Kriterien bei der Kategorisierung von Individuen anzuwenden, denn es handelt sich aus dieser Sichtweise um eine Beschreibung extremer Fremdheit. Sie definiert ja Anhaltspunkte, um innerhalb der Gruppe der Fremden diejenigen, die gefährlich fremd sind, zu identifizieren und von den ungefährlichen, die einfach nur fremd sind, zu differenzieren. Ihr Kriterienkatalog zeigt, dass sich der Begriff der Gefährdung, so hinreichend genau er formal definiert zu sein scheint, im behördlichen Praxiseinsatz als arbiträr erweist und erst noch gefüllt werden muss. Gewährleistet werden muss schließlich die Auswahl solcher Beschreibungen, die eine „gerichtsfest anwendbare“
66 Zum Selbstbild der Ausländerverwaltung als ‚Grenzschützer‘ vgl. Schwarz 2007: 163. 194
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(Dahmen 2006:1) Rechtfertigung der entsprechenden Kategorisierung als „gefährlich“ ermöglichen. Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der aufgeführten Bewertungskriterien die Frage nicht hinreichend zu beantworten sein wird, ob eine extremistische oder terroristische Gefährdung der „Sicherheit“ vorliegt. Vielmehr wird deutlich, dass die im Diskurs erfolgreich etablierte Gefährdungstypik zur Feststellung einer besonderen Gefährdung eine bestimmte äußere Erscheinung (bärtige Männer, verschleierte Frauen) favorisiert. Der Passus „Kleidung des Ausländers“ muss vor dem Hintergrund einer Diskurslogik, die das zu spezifizierende „gefährlich“ durch „extremistisch/terroristisch“ füllt ohne es von „islamisch“ oder „fremde Religion“ abzugrenzen, nicht mehr aussprechen, welche „Kleidung“ gemeint ist, um dennoch dahingehend verständlich zu sein. Kleidung, Frisur, bestimmte „abwertende“ Äußerungen sind nicht bloß Vermutungen, sie sind Fakten. Von der ‚praktischen Vernunft‘ der Angehörigen der Ausländerbehörde können diese im Alltagsgeschäft erfasst werden und dienen anschließend dazu, die im Spezialdiskurs definierte Gefahr auf eine spezifische Weise plausibel zu machen: eben als Islamismus.67 Dadurch wird eine Faktizität des Potentiellen konstruiert – und der „kulturell Andere“ wird zum „gefährlichen Ausländer“. Die praktische Etablierung einer hinreichenden Gefahrenwahrscheinlichkeit kann auch offensiver an der Nachweisschwelle ansetzen – zumal wenn sich Praktiker der „Inneren Sicherheit“ zur Identifizierung von „Gefährdern“ äußern. Beim bayrischen Innenministerium wurde nach 2001 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um Ausweisungen von „in Bayern lebenden islamistischen Gefährdern“ (Kempfler 2006: 1) zu koordinieren, die den Namen „Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus und Extremismus“ trägt, abgekürzt BIRGiT. „Beschleunigung“ heißt hier einerseits, „das für die Ausweisung von Sicherheitsgefährdern und Hasspredigern erforderliche Know-how“ auf wenige spezialisierte Behörden zu konzentrieren (ebd.: 2). Es heißt aber auch, den „Nachweismaßstab“ so weit abzusenken, dass auf Verdacht ausgewiesen werden kann, denn es werde „mit einem Zuwarten bis zu einem Zeitpunkt, in welchem das terroristische Verhalten zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, den legitimen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung kaum hinreichend Rechnung getragen“ (Kempfler 2006: 2).
67 In jenem Evaluationsverfahren äußert ein Rechtsanwalt, der ausländerbehördliche Ausweisungserlasse aus der Praxis kennt, seine Einschätzung, es bestehe „die Gefahr, den Islam statt der Terrorismusgefahr und den Islamismus ins Visier zu nehmen“ (Pfaff 2006: 2) und mahnt an, die Religionsfreiheit ernst zu nehmen und nicht „kulturalistisch einseitig zu praktizieren“ (Pfaff 2006: 3). 195
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Für den Leiter der Arbeitsgruppe BIRGiT steht im Zentrum des Problems also nicht die Auswahl der angemessenen Kriterien, sondern er thematisiert den für ihn unnötig strengen Maßstab des Nachweises, ab wann eine Gefährdung vorliege. Aus seiner Perspektive erlauben die „legitimen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“ auch dann ein „terroristisches Verhalten“ anzunehmen, wenn dieses noch nicht nachgewiesen werden kann und daran noch Zweifel bestehen. Er hält es auch für politisch gewollt, die Ausweisung in einem solchen Fall zu ermöglichen, lediglich tue sich „die Rechtsprechung noch schwer damit, diesen gesetzgeberischen Schritt nachzuvollziehen“ (Kempfler 2006: 2). Für ihn liegt also auf der Hand, dass seine Arbeitsgruppe die richtigen „Gefährder“ identifiziert. Für ihn ist diese Kategorisierung kein Problem des Auswahlvorganges (im Sinne einer Grenzziehung zwischen Fremden und Gefährdern) wie im Fall der Ausländerbehörde. Hier bestehe das Problem in der nachträglichen externen Bewertung (durch die Laienöffentlichkeit) dieser Auswahl als fehlerhaft oder unangemessen. Die von ihm als faktisch vorliegend behauptete allgemeine Gefährdung der „Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“ legitimiere das Absenken der Prüfschwelle, ab der eine konkrete Gefährdung angenommen werden darf. Angesichts des Ziels einer effektiven Abwehr von Gefahren (vorgegeben durch das Ausländerrecht und Kernbereich der Arbeit einer Innenbehörde) entsteht somit die Schwierigkeit der plausiblen Konkretisierung von Gefährlichkeit. Denn die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr lässt sich nicht mehr realistisch bewerten, wenn diese zunächst lediglich als möglich angenommen wird, grundsätzlich aber Möglichkeit der Gefahr intrinsisch ist. Auch Beichel weist darauf hin, dass bereits die Annahme, eine Gefahr drohe (sei also potentiell denkbar) die Infragestellung der Gefährdung ausschließe: „Sieht man eine Gefahr als gegeben, als wahrscheinlich an, ist es einigermaßen schwer, diese erkannte Gefahr nicht in die Kategorie der ‚ernsthaft drohenden‘ einzuordnen, wäre die Alternative hierzu doch nur eine nicht ernsthaft drohende Gefahr, die freilich niemand erkennen wird, der zuvor die Gefahr grundsätzlich bejaht hat.“ (Beichel 2001: 48).
Nicht überraschend ist daher auch die Forderung des Praktikers, die im Polizei- und Ordnungsrecht allgemein gebräuchliche und seinem Handeln zugrunde liegende Anforderung, dass Tatsachen „die Annahme rechtfertigen“ sollen, auch im Gesetzestext niederzulegen und damit also davon abzusehen, den Terrorverdacht durch Tatsachen „belegen“ zu müssen (Kempfler 2006: 2).
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Ausweisung bei Verdacht Es kommt im öffentlichen Reden über Gefahren und schließlich auch im Gesetzestext zu einer Erweiterung der Gefährlichkeit durch den Verdacht. Damit wird das Dilemma der Unmöglichkeit einer sauberen Plausibilisierung von Gefährlichkeit im Einzelfall durch Faktizitätskonstruktionen ersetzt. Denn die zentrale Schwierigkeit, das implizit stets bestehende Problem lautet: die Gefährlichkeit zu definieren. Wie Gefährlichkeit diskursiv definiert wird und wie Gefahr praktisch festgestellt werden kann, wird nicht durch einen Faktennachweis im Einzelfall geleistet (denn das wäre, wie eingangs bereits dargestellt, ja gar nicht möglich: Gefahr ist an sich schon potentiell, das konkrete Zutreffen einer Gefahrenprognose kann vor dem Fakt nicht garantiert werden), sondern durch ein Faktizitätskonstrukt. Der hegemoniale Gefährlichkeits-Diskurs will sich der Schwierigkeit, Gefährlichkeit schlüssig nachweisen zu müssen, gar nicht stellen (und lässt daher auch die Argumente nicht gelten, die diese Schlüssigkeit einfordern). Er behauptet die Faktizität des Potentiellen. Die Konstruktion einer konkreten Gefahr aus der bloßen Potentialität der Gefährlichkeit findet in der Verdachtsausweisung statt. Im Interdiskurs ist zu erkennen, wie eines der beiden Elemente der doppelten Potentialität diskursiv zum Faktum wird: durch die Anbindung des bedeutungsoffenen Signifikanten „Gefährlichkeit“ an die vermeintlich konkret bestimmte Bedeutung „Terror“. Somit scheint die Ausweisung bei Verdacht auf terroristische Aktivitäten über jede Frage erhaben. „So wird es leichter, terrorismusverdächtige Ausländer, sogenannte ‚Top-Gefährder‘ oder ‚Haßprediger‘ auszuweisen.“ (20041231-FAZ) „Ausweisung von Ausländern beim Verdacht auf terroristische Aktionen ermöglichen“ (20011019-FAZ). „Beckstein forderte außerdem, die Möglichkeit zu schaffen, Ausländer auszuweisen wenn der Verdacht bestehe, dass sie terroristische Bestrebungen unterstützen.“ (20011201-SZ) „Damit die ‚wehrhafte Demokratie‘ solche Leute vielleicht doch noch loswird, will die CDU/CSU […] leichtere Ausweisungs- und Abschiebungsregeln bei Terrorverdacht erzwingen.“ (20040322-Focus)
Ist eine Gefahrenprognose zu erstellen, die auf Beweisen oder Belegen, aber theoretisch auch auf bloßen Vermutungen (Vorurteilen, Unterstellungen) beruhen kann, wird mit der Verdachtsausweisung das an sich Mögliche nun zum „möglicherweise Möglichen“. Es wird der Verdacht installiert, dass ein Verdacht vorliegen könnte und damit akzeptiert, dass Gefährlichkeit eine Tatsache ist, ein unveränderliches Merkmal: der „gefährliche Ausländer“ ist schäd197
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lich (nicht: er kann schädlich werden). Das Potentielle „es könnte etwas schlimmes passieren, muss aber nicht“ der Gefahr wird implizit in ein Faktum umgedeutet. In dieser Logik ist die Gefährlichkeit keine hypothetische, in die Zukunft projizierte Möglichkeit der Schädigung mehr, sondern sie liegt bereits an sich vor. Anknüpfend an eine Reihe von Merkmalen (wie fremde Sprache und Religion) wird die Gefährlichkeit zu einem weiteren Merkmal, und folglich Anknüpfungspunkt für Sanktionen (denn auf bloße zukünftige Möglichkeiten vorauseilend zu „reagieren“ ist nicht denkbar, wohl aber auf die „tatsächliche“, „aktuelle“ oder „faktische“ Gefährlichkeit). Entsprechend knapp wird dieser Punkt in den Anwendungshinweisen zum AufenthG erläutert: die Ausweisung betreffe Personen, „bei denen es sich um gewaltbereite Extremisten, Terroristen oder Unterstützer von Terroristen handelt“ (20041222-BMI, Nr. 54.5). Von einem Verdacht, einer Annahme oder Schlussfolgerung ist hier überhaupt nicht mehr die Rede. Der Verdacht ist aus der Anwendungsvorschrift getilgt.68 Es entspricht der generellen Bedrohungs-Logik des Ausländer-PolizeiRechts, die Fremden zunächst einmal als Störung zu betrachten und sie unter den generellen Verdacht der Schädlichkeit zu stellen („sich des Gastrechts würdig zu erweisen“).69 Der „gefährliche Ausländer“ ist nicht nur eine rhetorische Figur, vielmehr wird dieser Topos damit als faktisch vorliegende Wesensbeschreibung wirksam. Für ihn gilt tatsächlich so etwas wie ein sicherheitspolitischer Generalverdacht, der erst durch die aktive Absonderung der Guten von den Bösen aufgelöst werden kann:70 „Es stimme nicht, daß dadurch Ausländer unter einen Generalverdacht gestellt würden, sagte Beckstein. Das Gegenteil sei richtig; nach einer solchen Sicherheitsüberprüfung werde es keinen Anlaß für einen Generalverdacht geben.“ (20011004-FAZ)
68 Vereinzelt fordert die Kritik an der Verdachtsausweisung, Gefahr praktisch durch einen Faktennachweis im Einzelfall festzustellen. Damit versucht sie innerhalb der hegemonialen Ordnung abweichende Positionen durchzusetzen, und scheitert damit, weil sie sich implizit diskursive Setzungen zu eigen macht. Denn der Gefahrennachweis ex ante ist nicht möglich: Gefahr ist an sich schon potentiell, das konkrete Zutreffen einer Gefahrenprognose kann vor dem Fakt nicht garantiert werden. So interessiert sich der hegemoniale Diskurs gewissermaßen gar nicht für eine Einzelfallprüfung sondern beruht auf der diskursiven Faktizitätskonstruktion. 69 Der Kontrast mit der EU-Rechtsprechung zeigt zunehmend deutlich, wie das deutsche Recht bis vor einigen Jahren die individuell zu treffende Prognose über zukünftige Gefährlichkeit bei Ausweisungen umgangen hat; s. Kap. 3.3.1. 70 Eine 2008 noch geläufige Version der Distanzierung von einem Generalverdacht lautet: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber derzeit sind alle Terroristen Muslime“ (20080302-FAZ). 198
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Dass der im Gesetz installierte Verdacht eines Terrorbezugs nicht nur populistisches Kalkül war – oder dies zumindest nicht blieb – zeigt dessen praktische Anwendung. In der Presse wurde der Aufenthalt in einem „Ausbildungslager der al-Qaida“ (z. B. 20040317-FAZ; 20040325-FAZ; 20040816-Focus) als prototypischer Verdachtsgrund expliziert.71 Tatsächlich in der Praxis wesentlich relevanter, um einen Terrorverdacht zu etablieren, ist die Annahme, eine Person würde einer verbotenen Organisation angehören oder diese unterstützen. Die entsprechend seit 2002 gesetzlich vorgesehene und in den vergangenen Jahren auch praktizierte „Sicherheitsbefragung“ ist im Interdiskurs nicht existent, sie spielt aber für die Umsetzung des Verdachts-Vorbehalts eine wesentliche Rolle. Demnach soll ausgewiesen werden, wer „in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus verdächtig sind […]“ (§ 54 I Nr. 6 AufenthG2004, wortgleich mit § 47 II Nr. 5 AuslG2002)
In Berlin wurde für diese Sicherheitsbefragung ein Fragebogen vorbereitet, der in 20 Fragekomplexen alle denkbaren „Verbindungen zu Personen oder Organisationen, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus verdächtig sind“, abfragt (so wörtlich in der Erläuterung des Fragebogens, der dem Verfasser vorliegt). Neben der Absurdität, jeder derartig „befragten“ Person eine identische Liste mit sämtlichen als ‚terroristisch‘ inkriminierten Organisationen72 mit der Frage „Waren Sie Mitglied oder hatten Sie Kontakt zu folgenden Vereinigungen?“ zum Ankreuzen vorzulegen, tritt vor allem ein Zurechnungsproblem der Informationen auf, die polizeilich oder geheimdienstlich ermittelt wurden. Jede Vermutung der Sicherheitsorgane, die „befragte“ Person könnte Kontakte zu „Terrorismus“ haben und diese aber nicht nennen (also „falsche oder unvollständige Angaben“ machen), kann nach einer derartigen Sicherheitsbefragung als Ausweisungsgrund gewertet werden.
71 „In Deutschland leben zwischen 30 und 50 Islamisten, die Ausbildungslager der Terrororganisation al-Qaida in Afghanistan absolviert haben. Diese Zahl nannte BKA-Präsident Jörg Ziercke vor dem Innenausschuss des Bundestags. Die Personen seien ‚potenzielle Gefährder‘, warnte Deutschlands oberster Polizist.“ (20040816-Focus) 72 Es handelt sich um 101 Gruppen von „Abu-Nidal-Organisation, Abu Sayyaf, Al-Aqsa e.V.“ usw. alphabetisch geordnet bis zur „Volksfront für die Befreiung Palästinas“, Stand 2004. 199
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Prototypische Gefahr – von Topgefährdern und Hasspredigern Von der spezialdiskursiven Normendefinition und deren Anwendung kommen wir nun zurück zu den interdiskursiven Aussagen über Prototypen von Gefährlichkeit. Um die Frage zu beantworten, was denn eigentlich gefährlich ist am „gefährlichen Ausländer“, fallen im Interdiskurs zwei Begriffe auf, deren primäre Funktion es war, eine komplizierte Phrase des juristischen Spezialdiskurses aus dem Gesetzestext in eine Form zu überführen, die (medial) leichter kommuniziert werden kann und auch für Laien verständlich ist. Es handelt sich um den „Topgefährder“ sowie den „Hassprediger“. Der Begriff „Hassprediger“ wird vermehrt ab Mai 2004 im Zusammenhang mit den Neuverhandlungen des Zuwanderungsgesetzes verwendet. Diese pointierte Formulierung soll die zu diesem Zeitpunkt neu eingefügte Nummer 8b der Gründe für eine „Ermessensausweisung“ in sich aufnehmen (die oben bereits zitiert wurde). Als eine der zusätzlichen Forderungen der Union zur Verschärfung des Ausweisungsrechts wird in Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen erklärt, was unter einem Hassprediger zu verstehen ist. „Ausweisung von so genannten Hasspredigern: Auch Prediger, die offen zu Gewalt aufrufen, sollen nach Ansicht von CDU und CSU zwingend ausgewiesen werden.“ (20040505-SZ) „Die Möglichkeit der Ausweisung soll zudem für Personen gelten, die zu Gewalttaten aufrufen oder diese öffentlich billigen, sogenannte Haßprediger.“ (20040515FAZ)
Üblich sind in der frühen Phase der Debatte auch Veranschaulichungen des Begriffs anhand konkreter Beispiele: „Manchmal tritt in den Gebetshäusern ein Hass-Prediger auf, der regelmäßig freitags gegen die ‚Juden und Kreuzritter‘ hetzt.“ (20040322-Spiegel) „Es kann doch niemand dagegen sein, Schleuser oder Hassprediger, die etwa im Freitagsgebet zum Dschihad aufrufen, künftig auszuweisen.“ (20040517-SZ) „[…] sogenannte Haßprediger, also etwa Vorbeter in Moscheen, die zu terroristischen Taten aufrufen, Terror rechtfertigen oder zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln.“ (20040710-FAZ)
Nach einigen Wochen ist der Begriff hinreichend etabliert, um nicht mehr durchweg erläutert werden zu müssen. Er bezeichnet nun übereinstimmend den Aufruf zu moralisch begründeten Gewalttaten – als negativ bewertete Handlungen in Folge von negativen Emotionen („Hass“) – der von muslimischen Geistlichen („Vorbetern“) ausgeht. Der Motivationskontext dieser Ge200
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
walt ist klar umrissen: es handelt sich um religiöse, muslimische und fundamentalistische Ideologie („Moscheen“, „Freitagsgebet“, „Dschihad“). In der 2006 veröffentlichten 6. Auflage des Duden ist das Stichwort „Hassprediger“ erstmals enthalten: „jmd., der in seiner Funktion als Prediger zu Hass u. Gewalt aufruft.“ Spätestens damit ist dieser Topos allgemein etabliert. Dass es sich dabei typischerweise um „islamistische“ (20040518-FAZ) Hassprediger handelt, wird später nur noch impliziert, indem dieses Prädikat oder andere Verbindungen zum muslimischen Glauben nicht mehr explizit auftauchen (die Verbindung zu Religiosität bleibt allerdings über das Wort „Prediger“ erhalten). Die Etablierung des Begriffs als feststehende rhetorische Figur kann zudem daran abgelesen werden, dass zunehmend die Anführungen bzw. rhetorischen Markierungen als „so genannt“ entfallen, wie das noch Ende Mai verbreitet ist:73 „Als bestes Ergebnis des Kanzler-Kompromisses nannte Beckstein, daß es leichter werden solle, Haß-Prediger und verurteilte Schleuser auszuweisen.“ (20040527FAZ) „Wenn wir aber dafür sorgen wollen, dass Hassprediger, Kriminelle und Terrorverdächtige ausgewiesen werden … “ (20040701-PlenProt 15/118)
Zur Zeit der Novellierungsdiskussion geht bereits eine tatsächliche Ausweisung eines „Hasspredigers“ durch die überregionale Presse. Die Berliner Ausländerbehörde hatte nach Presseberichten über die im Juni 2004 gehaltene Rede eines Neuköllner Imams eine Ausweisung gegen diesen erlassen, da nach dem neuen Ermessenstatbestand ausgewiesen werden kann, „wer in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt“ (wie es in § 55 AufenthG heißt). Das als Beschwerdeinstanz angerufene Verwaltungsgericht bestätigte am 22.02.2005 die Ausweisung, denn er habe „Gewalt verherrlicht“ und gefährde damit „die öffentliche Sicherheit und Ordnung in schwerwiegender Weise. Insbesondere habe er in einer Rede bei einer Kundgebung in Kreuzberg am 12. Juni 2004, die sich gegen ‚Unterdrückung, Besetzung und Folter im Irak und Palästina‘ richtete, islamische Märtyrer in Jerusalem und im Irak gepriesen. Es bestünde die Gefahr weiterer Auftritte des Antragstellers, die das friedliche Zusammenleben deutscher und nichtdeutscher Berliner stören würden. So habe der Antragsteller sich in einer - vom ZDF in der Sendung ‚Frontal‘ mit einigen Sätzen auszugsweise gesendeten - Freitagspredigt abfällig über die deutschen Mitbürger geäußert und ihnen als Ungläubigen ein 73 Ein Beispiel für ‚markierte Rede‘ ist: „Eine Annäherung könne es bei der Ausweisung so genannter Hassprediger sowie bei den Niederlassungsregelungen für Ausländer geben.“ (20040524-Spiegel). 201
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Ende im Höllenfeuer prophezeit. [...] Mit der Freitagspredigt habe er zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate den Grundkonsens des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Bevölkerungsgruppen - ein überragend hohes Schutzgut - erheblich gestört.“ (20050223-VGBerlin)
Die Bedeutung des Signifikanten „Gefahr“ lässt sich offensichtlich auch innerhalb des Spezialdiskurses nicht eindeutig festlegen. Mit der Begründung, eine Ausweisung sei zulässig, da die „öffentliche Sicherheit“ gefährdet sei, zieht sich das Gericht auf die solide und wohl etablierte Generalklausel im Ausweisungsrecht zurück. Dennoch bemüht es zusätzlich die „abfälligen“ Äußerungen über deutsche Mitbürger, um zu belegen, welches „überragend hohe Schutzgut“ verletzt worden sei. Dass es im Gesetzestext heißt, „wenn er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“, bezieht die gerichtliche Bestätigung der Ausweisung auf die deutsche Mehrheitsbevölkerung und legitimiert so das Ermessen der Ausländerbehörde, jemanden auszuschließen, der auch in Zukunft „das friedliche Zusammenleben deutscher und nichtdeutscher Berliner“ stören könnte. Schon die Bezeichnung der „Deutschen“ als „Ungläubige“ wird als unfriedlich wahrgenommen, was genau dem semantischen Feld des „Hasses“ entspricht: Hass predigen ist in diesem Verständnis eine performative Äußerung.74 Nach der Einigung um den genauen Gesetzestext wird die Verwendung des „Hasspredigers“ als stehender Begriff sogar zur Regel (ähnlich wie das beim „Schleuser“ in den 1990er Jahren schon der Fall war; vgl. Flüchtlingsrat Niedersachsen 1998: 111-122),75 obwohl diese Bezeichnung im Gesetzestext oder dessen Begründung nirgends vorkommt. Sobald der Topos „Hassprediger“ etabliert ist – also nicht mehr erklärt werden muss76 –, beginnt er auch selbst als Explikans einsetzbar zu sein:
74 Ganz allgemein beziehe ich mich hier auf Austins Sprechakttheorie. Demnach sind bestimmte sprachliche Akte mehr als ‚nur‘ Sprache, denn sie vollziehen (meist, wenn auch nicht zwingend) das, was sie auch benennen; sie sind als ‚performative‘ Äußerungen eine Form von Handlung (vgl. Austin 1962). 75 Die Kombination der beiden Signifikanten „Hassprediger“ und „Schleuser“ (bzw. „Schlepper“) beruht nicht nur auf deren zeitgleicher Aufnahme in die Liste der Ausweisungsgründe, sondern sicherlich spielt hier auch die leichte Anwendbarkeit als Schlagwort eine Rolle. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied beider Signifikanten: die Bedeutung des „Schleusers“ ist spezialdiskursiv eindeutig festgelegt (als Strafrechtstatbestand), sie wird erst interdiskursiv durch die damit verbundenen Konnotationen erweitert. Die Bedeutung des „Hasspredigers“ ist jedoch nicht strafrechtlich bestimmt, sondern von Anfang an für die Konnotationen des gesamten semantischen Feldes offen. 76 Dass der Begriff keineswegs einheitlich verwendet wird und so genau definiert nicht ist zeigt der bis zuletzt fortdauernde Dissens um die genaue Ausgestaltung dieser Norm, also der „als schwierig geltenden Passage zur Ausweisung so genannter Hassprediger. Sie solle nicht allein für Ausländer gelten, die zu Gewalt 202
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„‚Geistige Brandstifter‘ wie etwa Hetzprediger in Moscheen können nach Ermessen der Behörden ausgewiesen werden.“ (20040529-Focus)
Ebenfalls ab dem Jahr 2004 wird Metin Kaplan in Spiegel und Focus als „Hassprediger“ (ohne Anführungszeichen) bezeichnet (20040529-Focus, 20040607-Spiegel).77 Die im Gesetz eingeführte Kategorie des Ausländers, der „zum Hass aufstachelt“, wird im Interdiskurs um die Novellierung des Ausländerrechts im Jahr 2004 ein „Hassprediger“. Zu markieren – also mittels Anführungszeichen hervorzuheben –, dass diese Bezeichnung aus einem strittigen Kontext stammt, ist schließlich nicht mehr notwendig, denn die bestimmenden Kriterien „Islamismus“/“Extremismus“, die den „Hass“ erklären, sind hinreichend bestimmbar und alltagstauglich geworden. Der Begriff „Topgefährder“ wurde erst in den Diskussionen der zweiten Runde der Verhandlungen um ein Zuwanderungsgesetz geprägt. Er stammt aus einer Presseerklärung der Unionsfraktion (20040525-Merkel/Stoiber), in dem er zwar im Umfeld von Extremismus und Terrorismus steht („Personen, die für den Terrorismus werben oder Hass predigen und zum Heiligen Krieg aufrufen“, „Mitglieder gewaltbereiter extremistischer Organisationen“), in dem aber auch andere Ausweisungsgründe benannt werden („Schleuser und Personen, die zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt sind“). Insofern lässt sich der Gehalt dieser Kurzformel „Topgefährder“ in dieser ersten Quelle noch nicht genauer spezifizieren als dass sie offenbar der Kommunikation einer über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Gefährdung in besonderen Einzelfällen („Top“ bedeutet zumeist an der Spitze, herausragend) dient. Aus der tatsächlichen Formulierung der Norm geht diese weitgehende Einschränkung und Spezifizierung auf einige wenige besonders ‚gefährliche‘ Personen keineswegs hervor. Denn genau wie der „Hassprediger“ reduziert der „Topgefährder“ eine spezialdiskursive Definition auf einen leicht zu handhabenden, ohne umständliche Spezifikationen aussagekräftigen Begriff. Was derartig komprimiert werden soll, ist (wie oben bereits dargestellt) die neu hinzugefügte Nr. 5a in den Regelausweisungstatbeständen des § 54 AufenthG, wonach ausgewiesen „wird, wer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet
anstachelten, sondern auch für Aufrufe ‚darüber hinaus‘. Wie eng oder weit die Grenze gezogen wird, müsse noch diskutiert werden.“ (20040603-SZ). 77 Kaplan wurde ausgewiesen, nachdem er im Jahr 2000 zu vier Jahren Haft wegen Aufruf zu Straftaten verurteilt wurde. Seine Abschiebung wurde im Jahr 2004 nach Einlegung von Rechtsmitteln mehrfach aufgeschoben, die Öffentlichkeit für diesen prominenten Ausweisungsfall war entsprechend groß; vgl. 20040529FAZ, 20040529-Focus, 20040529-SZ, 20040607-Spiegel u. a. 203
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oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht“. Tatsächlich wird im Interdiskurs aber keineswegs auf die spezialdiskursive Definition der tatsächlichen oder angedrohten Gewaltanwendung abgestellt. Anders als es zunächst scheint, wird dieser Begriff in der Folge nicht nur auf besonders gefährliche Einzelfälle angewendet, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Spiegel erklärt, dieser Terminus sei eine „interne“ Formulierung des BMI für „Einzelfälle von herausragender Bedeutung“, intern ‚Top-Gefährder‘ genannt“, und spezifiziert weiter, er beziehe sich „im Regelfall also auf Qaida-Verdächtige“ (20040607-Spiegel). Als Markierung einzelner spezieller Fälle fungiert der Begriff auch in der wenige Wochen später geführten Parlamentdebatte zur Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes. Der bereits mehrfach zitierte Beitrag von Wolfgang Bosbach nennt die Gefahr des „Generalverdachts“ und betont die dadurch notwendige Differenzierung in der Debatte um Gefährdungen: „Wir sprechen von etwa 30 000 bis 31 000 Islamisten und davon, dass 3 000 bis 3 500 als gewaltbereit und -geneigt gelten […]. Darunter gibt es einige so genannte Topgefährder.“ (20040701-PlenProt 15/118)
Der „Topgefährder“ könnte also die Funktion erfüllen, die vermeintlich große Gruppe der allgemein Gefährlichen („Islamisten“) von den besonders Gefährlichen („Topgefährdern“) unterscheidbar zu machen. Für die durch das Prädikat „Top-“ aus der Masse der allgemein Gefährlichen herausgehobenen Gruppe wäre dann die erhöhte Gefährlichkeit, und damit der besondere Handlungsbedarf, anzunehmen. Die tatsächliche Verwendung des Begriffes „Topgefährder“ schränkt dessen Bedeutungsgehalt allerdings keineswegs dahingehend ein. Es kommt nicht zu einer Präzisierung des Gehalts der Gefahr oder der Qualität der Bedrohung, sondern vielmehr zu einer Verwischung dieser Spezifizierung. Denn die zunächst – in vermeintlicher Differenzierungsabsicht – herausgehobenen Sonderfälle werden wieder an die anderen, weniger klar definierten Ausweisungsgründe in Form der Aufzählung oder der Veranschaulichung angebunden. In der FAZ werden etwa die Tatbestände der Regel- und der Ermessensausweisung zusammen mit dem „Terrorverdacht“ in einem Halbsatz genannt: „So wird es leichter, terrorismusverdächtige Ausländer, sogenannte ‚Top-Gefährder‘ oder ‚Haßprediger‘ auszuweisen.“ (20041231-FAZ). Die Einsatzmöglichkeiten dieser Bezeichnung werden damit deutlich ausgeweitet, die Steigerung „Top-“ steht nun nicht mehr für eine qualitativ stärkere Gefahr, sondern für eine Form der Gefährlichkeit unter anderen. Dies 204
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mag der einfachen Verwendbarkeit des „Topgefährders“ als Schlagwort geschuldet sein, es führt aber in der Folge zu einer Subsummierung des Allgemeinen unter das Besondere.
5 . 4 D i e E r f i n d u n g d e r I n t e g r a t i o n s ve rw e i g e r u n g 5.4.1 Der Diskursstrang sanktionsbewehrter Integrationspflicht Ab Ende März 2006 wurde erneut Ausweisung zum Bestandteil eines Medienereignisses. Meldungen in Berliner und überregionalen Tageszeitungen eröffneten eine Debatte über das gewalttätige und disziplinlose Verhalten der Schüler einer Berliner Hauptschule. Den konkreten Anlass bildete ein Brief, in dem die Leiterin der „Rütli-Schule“ im Berliner Bezirk Neukölln die Schulbehörde um die Auflösung ihrer Schule gebeten hatte. Vorherrschend in der medialen Repräsentation des „Schul-Terrors“ war die Einschätzung, dass der hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an dieser Schule (und darüber hinaus allgemein die Konzentration von Migrantinnen und Migranten in bestimmten Stadtbezirken) in kausalem Zusammenhang mit der vermeintlich zunehmenden Gewalt an Schulen stehe. Nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands in den PISA-Studien78 der Vorjahre war das Fachwissen um den Zusammenhang von sozialer Herkunft der Schüler/innen und deren schulischen Kompetenzen bereits partiell in den Interdiskurs integriert. Auch der „Migrationshintergrund“ war bereits eine allgemein verständliche Vokabel. Daher wurde in einer Phase hoher Sensibilität für Verfehlungen des deutschen Bildungssystems dieses Thema von den Medien schnell aufgegriffen. Als Ursache der besonderen Brutalität und Respektlosigkeit der RütliSchüler wurde die Perspektivlosigkeit der Täter ausgemacht; dieser Umstand wiederum sei deren Isolation von der deutschen Gesellschaft durch fehlende Sprachkenntnisse, schlechte Ausbildungschancen und divergierende Werte – kurz: deren ungenügender Integration – geschuldet. Als Argumentationslogik etablierte sich sehr schnell, dass Deutschland verlassen müsse, wer durch Kriminalität oder allgemein gewalttätiges Verhalten auffällig wurde. Den konkreten Vorschlag, die gewalttätigen formal-ausländischen Jugendlichen
78 Das „Programme for International Student Assessment“ war die im Jahr 2000 erstmals durchgeführte umfassende international vergleichende Schulleistungsstudie; vgl. Artelt u. a. 2001. Die Qualität des deutschen Bildungssystems erwies sich durch die PISA-Ergebnisse als gering, da im Bereich Lesen die durchschnittlichen Leistungen der Jugendlichen in Deutschland unter dem Mittelwert der OECD-Mitgliedsstaaten lagen. Wichtiger war aber noch der Befund hinsichtlich der in der Schule reproduzierten sozialen Unterschiede; der Mythos „Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems“ wurde unterminiert. 205
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auszuweisen, machte zunächst, in Zeiten des Berliner Wahlkampfes, ein konservativer Berliner Lokalpolitiker. Später wurde die Logik, die versäumte oder verweigerte Integration durch Ausweisung zu sanktionieren, von ebenfalls konservativen Bundespolitikern bestätigt. Mit diesem Medienereignis rückte das Thema „Integration“ auch in die politische Arena. Als direkte Reaktion auf die Aufmerksamkeit für die Vorfälle an jener Hauptschule fordert die CDU am 2. April einen „Nationalen Aktionsplan Integration“, am 5. April fand eine von der FDP anberaumte Bundestagsdebatte um die „Bundespolitischen Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin“ statt. Spätestens als die konservativen Parteien mit Forderungen nach einer Sanktionierung von „Integrationsverweigerung“ nachlegten – zunächst war die Weigerung gemeint, an Integrationskursen teilzunehmen – wurde Integrationspolitik ein bundesweit diskutiertes Thema. Das Ziel des „Integrationsgipfels“, der im Juli 2006 stattfand, bildete erneut der „nationale Aktionsplan für Integration.“ Die grundlegende Problemdefinition dieses Diskursstranges besteht erstens in der Diagnose des Integrationsdefizits. Durchweg wird keine positive Bestimmung der Inhalte von „Integration“ vorgenommen. Insofern entfällt die Notwendigkeit, innerhalb dieses Diskursstranges noch zu erläutern, was eigentlich mit dem Begriff ‚gemeint‘ ist. Die Beschreibung von gesellschaftlichen Phänomenen wie Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Kriminalität usw. ist dann die Beschreibung eines Mangels – an Integration. Die Abweichung der Anderen in Form defizitärer „Integration“ stellt in dieser Leseweise den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage, fehlende „Integration“ der Anderen sei für die Gesellschaft als ganzes gefährlich. Defizitäre Integration ist nun kein Problem der Gewalt, der Armut, der Perspektivlosigkeit an sich mehr, es geht nicht länger um einzelne Symptome. Nun steht die Gefahr im Mittelpunkt, die von der „fehlenden Integration“ als Summe aller genannten (und bei den Diskursteilnehmern assoziierten) Einzelsymptome für die Gesellschaft als Ganzes ausgeht. Damit ist die Deutung als „Integrationsgefahr“ für alle folgenden Argumentationen etabliert; das Gewalt-Problem wird als ein Integrations-Problem gedeutet. Der Begriff „Integration“ nimmt dabei eine Fülle bedrohlicher und dysfunktionaler Entwicklungen in sich auf und bindet sie an die Wir-Sie-Binarität in der Migrationsgesellschaft an. Unter dem Blickwinkel der Desintegration als Gefahr ist die ungenügende Integration nicht eine Folge gesellschaftlicher Prozesse, sondern sie ist deren Begründung. Das Explikandum „Integration“ wird zum Explikans. Zweitens ist eine Wahrnehmung für diesen Diskursstrang konstitutiv, nachdem eine mangelnde bzw. gescheiterte Integration der Integrationsverweigerung erwachse. Diese Argumentation behauptet, die nicht umgesetzte Integration der „Ausländer“ liege darin begründet, dass sich diese selbst nicht 206
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integrieren (wollen oder können) – und Integration nicht, wie immer behauptet wurde („Multikulti-Lüge“), von selbst eintrete. Dieses Verhalten der „Ausländer“, sich nicht integrieren zu wollen, gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Darauf müsse reagiert werden, denn dieses Verhalten rühre an den Grundpfeilern des Sozialen. In der Regel handelt es sich bei Aussagen zum Integrationsdefizit um die fehlenden oder mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache, die marginalisierte soziale Position (d.h. entweder auf dem Arbeitsmarkt oder konkret räumlich als „Gettoisierung“) und um abweichende moralische Werte und Grundregeln des Verhaltens. All diese Argumente sind Bausteine einer Argumentationskette, die den Topos der „Parallelgesellschaft“ inhaltlich füllt. Parallel zu dieser Integrationsdebatte wird Anfang April 2006 das Urteil im Berliner „Ehrenmord-Prozess“ gesprochen. Im Februar 2005 wurde eine alleinstehende 23-jährige Mutter von ihrem Bruder in Berlin auf offener Straße durch Schüsse in den Kopf ermordet. Diese Tat wurde in der Öffentlichkeit als kollektive Reaktion der nächsten Angehörigen auf das die Familie vermeintlich „entehrende“ Verhalten der jungen Frau gedeutet. Von zahlreichen Kommentatoren wird auf das angeblich gängige Schema eines solchen „Ehrenmordes“ im Milieu eingewanderter Familien verwiesen, nachdem ein derartiger Beschluss zur Tötung des Opfers im Familienrat gefällt werde und der jüngste Sohn (wegen der zu erwartenden milderen Strafe) den Mord ausführe. Nach der Urteilsverkündung wurden die neunjährige Haftstrafe für den damals 18-jährigen Täter sowie der Freispruch seiner Brüder vielfach als zu gering bezeichnet; der Umstand einer kollektiven Entscheidung der Familie zum Morde der Tochter/Schwester sei vor Gericht nicht ausreichend gewürdigt worden. Es sei jedoch vor allem die Tatsache, dass ein derartiger Mord in Berlin passierte, die zeige, dass in Deutschland Menschen in einer „Parallelwelt“ lebten, in der rechtsstaatliche Grundsätze nicht gelten würden. Hier herrschten archaische Werte vor, die das Recht des Individuums und besonders der Frau nicht achteten. Von konservativen und sozialdemokratischen (Innen-)Politikerinnen und Politikern wurde daher erklärt, dass bei derartigem, die Grundwerte der deutschen Gesellschaft ablehnendem Verhalten eine Ausreise der betreffenden Personen notwendig sei. Würden diese nicht freiwillig ausreisen, müsse die Ausweisung geprüft werden (was allerdings im konkreten Fall der beschuldigten Familie keinen Erfolg hätte, da diese bereits zu lange in Deutschland lebe und einige Familienmitglieder bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen.) Als Reaktion auf das behauptete Integrationsdefizit wird damit eine Integrationspflicht postuliert. Sie wird diskursiv ‚sinnvoll‘, da sich die Anderen nicht von selbst integrierten und sich der Integration verweigerten. Aus der gesell207
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schaftlichen Notwendigkeit von Integration heraus begründet und angesichts der Verweigerungshaltung der Anderen legitim wird eine explizite Bringschuld bzw. Verpflichtung zur Integration in diesem Diskursstrang denk- und sagbar. Die Verbindung der Argumente, eine Desintegration sei eindeutig den Anderen zuzuordnen und bedrohe den gesellschaftlichen Zusammenhalt, reduziert eine komplexe Situation auf scheinbar klare kausale Zusammenhänge: Nun ist es die Verantwortung der Anderen für die Beschaffenheit der (eigenen) Gesellschaft gesetzt, die sich in der „Bringschuld zur Integration“ manifestiert. Damit wird folgende Argumentationskette etabliert: Integration ist notwendig, daher verpflichtend – Integrationspflicht verlangt Aktivität – eigene Aktivität kann verweigert werden – wer (aktiv) verweigert steht der Gesellschaft feindlich gegenüber – Feindlichkeit wird bestraft. Nun kann als „Verstoß“ gewertet werden, einer wie auch immer gearteten Verpflichtung nicht nachzukommen, womit die Diskurslogik in eine auf die Integrationsverpflichtung aufbauende Sanktionierung mündet. Die öffentlichen Diskussionen um Migrationspolitik waren – sowohl innerhalb der Expertenkreise als auch in den Medien – zu dieser Zeit nicht von der Ausweisungsrechtsverschärfung, sondern vom Thema Bleiberecht dominiert. Das neue Zuwanderungsgesetz war zu Anfang 2006 seit gut einem Jahr in Kraft und noch in der Evaluationsphase, d.h. es stand noch unter Bewährungsdruck, eine erneute Novellierung war nicht ausgeschlossen. Tatsächlich diskutierten Expertinnen und Experten bereits seit Anfang 2006 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Zuwanderungsgesetzes, der die Verpflichtungen der Bundesrepublik, eine Reihe ausländer- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen, erfüllen sollte. Im Hintergrund der auch auf der Innenministerkonferenz (IMK) diskutierten Altfallregelung für langjährig in Deutschland lebende aber bisher nur „geduldete“ Bürgerkriegsflüchtlinge wurde daher ab Mitte 2006 an einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gearbeitet. Nach den Ereignissen um Rütli-Schule und Ehrenmord-Prozess und angesichts einer erfolgreich etablierten „Bringschuld“ der Integration galten Sanktionen als angemessen und zulässig. Weil sie sich nicht anpassen (können oder wollen) und da sie eine Bringschuld zur Integration haben, waren diskursiv bereits alle Mittel, die in diesem Blickwinkel der Integration dienten, gerechtfertigt. Auf dieser Verknüpfung von Devianz und Integration beruhte nun die Forderung nach schärferen Sanktionen bei Abweichung. Derartige Sanktionen seien auch gesamtgesellschaftlich integrationsfördernd, indem sie Parallelgesellschaften entgegen wirkten. Im Effekt dieser Diskurslogik musste nicht mehr explizit begründet werden, weshalb die Sanktionierung durch Ausweisung legitim und geboten scheint; die
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Verbindung zwischen ‚nicht integriert‘ und ‚raus!‘ war diskursiv als ‚sinnvoll‘ etabliert. Im Februar 2007 drang der genaue Wortlaut dieser Ausweisungsrechtsnovelle an die allgemeine Öffentlichkeit. Er wurde aber kaum wahrgenommen, weil andere populistische Forderungen noch weitgehender waren. Im Juli 2007 wurde das „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“, und damit auch die Verschärfung des Ausweisungsrechts, vom Parlament verabschiedet.
5.4.2 Integrationsdefizite, Bringschuld und Sanktionsforderungen Der „Schulterror“ und gescheiterte Integration Die Debatte um die „Krawall-“ und „Terror-Schüler“ der Berliner RütliSchule beginnt am 31. März 2006 mit Berichten in mehreren überregionalen Tageszeitungen.79 Bereits aus der Überschrift eines Artikels auf der Titelseite der FAZ geht der Tenor des Beitrags hervor: „Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Eine Hauptschule im Berliner Bezirk Neukölln ruft verzweifelt um Hilfe“ (20060331-FAZ). Wie die Verwendung des aus der Kriminologie bzw. dem Strafrecht stammenden Begriffs „Intensivtäter“ zeigt, folgt der rote Faden des Artikels einer vermeintlich kriminellen Eigenschaft der Schüler (Schülerinnen tauchen hier und im weiteren Verlauf des Ereignisses wenn überhaupt nur als Gewaltopfer auf). Ihr Verhalten mache einen „geordneten Unterricht“ nicht mehr möglich, vielmehr herrsche „Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz“ vor; „Lehrer würden gezielt beworfen, müßten per Handy aus dem Unterricht um Hilfe rufen. Viele Schüler lehnten jegliches Lernen ab und verhielten sich ‚menschenverachtend‘“ (20060331-FAZ), zitiert der FAZ-Artikel aus dem „dramatischen Hilferuf der Lehrer von der Berliner Rütli-Hauptschule“ (20060401a-BILD), mit dem sich das Schulkollegium Wochen vorher unter anderem an die Bildungsverwaltung gewendet hatte. Im Verlauf des Artikels werden die geschilderten Probleme mit einem weiteren Zitat aus dem Beschwerdebrief auf den Punkt gebracht: die Schüler erleben ihre Schule als sie marginalisierend und lehnen sie daher grundsätzlich ab. „Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie in der Schule keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen. Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert und benehmen sich entsprechend.“ (20060331-FAZ) 79 Die ausgewerteten Quellen, rund 60 Artikel aus BILD, FAZ, SZ, Spiegel und FOCUS bis zum 14. April 2006, sind im Anhang aufgelistet. 209
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Weitere ‚kriminelle‘ oder anderweitig deviante Verhaltensweisen werden nicht referiert. Ebenso wenig wird in diesem ersten Beitrag zur Krawallschüler-Erzählung auf denkbare oder notwendige Sanktionen eingegangen. Das Krisenmanagement erstreckt sich auf pädagogische bzw. sozialarbeiterische Interventionen: Die Täter sollen gebessert werden. Dies ist wenig überraschend, wenn ein Blick auf die vermeintlichen Ursachen der geschilderten Problematik geworfen wird: es handle sich um „sozial auffällige Schüler“ (20060331-FAZ). Dies wird wiederum begründet durch den bereits in der ersten Zeile des Textes gezogenen Querverweis auf die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und des Bezirks, in dem sich die Schule befindet. So sei es „keine Neuigkeit“, „daß es in Berlin Problemschulen mit Problemschülern gibt, und zwar besonders in Gegenden mit hohem Einwandereranteil“ (20060331-FAZ). Das „Problem“ läge in der „Zusammensetzung der Schülerschaft“ (20060331-FAZ) begründet: „Doch bündeln sich hier die Probleme von Einwandererkindern aus islamisch geprägten Familien und von Lehrern, die ihnen durch Bildung eine Zukunft in Deutschland ermöglichen sollen, so stark wie an nur wenigen anderen Orten in der Hauptstadt. 83,2 Prozent der Schüler kämen aus Familien ‚mit Migrationshintergrund‘, rechneten die Lehrer vor, wobei Schüler aus arabischen Familien die größte Gruppe bildeten“ (20060331-FAZ).
In diesem Diskursfragment sind die zwei Topoi „Einwanderung“ und „Abweichung“ auf typische Weise miteinander verknüpft. Damit ist die argumentatorische Grundlage für die Verknüpfung der Eigenschaft Problem mit dem Merkmal Herkunft geschaffen, die ich als erste Setzung des Integrationsdefizits bereits benannt habe. Deviantes Verhalten („Gewalt“, „Disziplinlosigkeit“, mitunter auch „Kriminalität“) ist darin an eine Differenzsetzung gekoppelt, die durch das Prädikat „ausländisch“ vollzogen wird. Dies wird implizit wie explizit vertreten: „Das Tabuisieren von Problemen mit ausländischen Jugendlichen muß aufhören.“ (20060402-BILD) „eine Schule, in der ein Klima der Angst das Kollegium beherrscht und Machismo, Respektlosigkeit und Perspektivlosigkeit die Schülerschaft prägen, die zu mehr als 80 Prozent ausländischer Herkunft ist.“ (20060401-SZ) „Konsequenzen aus den Gewaltexzessen ausländischer Schüler ziehen“ (20060403BILD); „Hauptschulen, an denen besonders Kinder ausländischer Herkunft ihre Umgebung terrorisierten“ (20060403-FAZ); „Gewalt, Respektlosigkeit und Ignoranz der Schüler prägten den Alltag an ihrer Hauptschule mit einem Ausländeranteil von 83 Prozent“ (20060403-FOCUS). 210
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Die Argumentationskette von einem postulierten Defizit über die Integrationspflicht zur Integrationsverweigerung wird in der BILD vollendet, indem der Artikel „Die Wahrheit über unsere Schulen“ zusammenfasst, wozu Abweichungen der Anderen kumulieren: „Hunderttausende Ausländer weigern sich, oft aus religiösen Gründen, sich bei uns einzugliedern.“ (20060401aBILD) Damit bestünde das Problem letztlich in der „fehlenden Eingliederung“. Dies ist eine assimilatorische Forderung, die Abweichung der Anderen – das Integrationsdefizit – zu beenden. Es bestünde des Weiteren eine Verweigerung der Anderen, die „bei uns“ üblichen Verhaltensweisen anzunehmen (ebd.). Der Vorschlag zur Lösung dieser Integrationsverweigerung lautet, die Gesellschaft müsse „handeln“: „Die Deutschen müssen das Problem beherrschen – sonst beherrscht das Problem sie. Bevor das Problem von der Schule auf die Straße treibt, muß die Gesellschaft handeln. Mit viel Verständnis – wie bisher. Aber dort, wo das nicht mehr reicht, auch mit harter Hand.“ (Ebd.)
Nachdem in dieser Argumentationskette bereits das Argument der Verweigerungshaltung etabliert ist, wird sie nun fortgesetzt mit dem, was ich eingangs eine als Integration verstandene Sanktion genannt habe. Die zeitgleich und fortan wiederholt vertretenen politischen Positionen geben Aufschluss darüber, was derartige Pläne des „harten Durchgreifens“ bedeuten könnten. Es wird vorgeschlagen, die Ausweisung als Lösungsmechanismus einzusetzen. Bereits am zweiten Tag der Erzählung fragt die BILD, „Können ausländische Krawallschüler abgeschoben werden?“, als stünde die Angemessenheit dieses Mittels außer Frage. Dies lässt das Blatt durch den „Experten“ Wolfgang Bosbach (damals Vizevorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag) folgendermaßen beantworten: „Sehr schwierig. Wir brauchen die Möglichkeit, Straftäter schneller abzuschieben!“ (20060401b-BILD). Damit wird die Annahme implizit, die Ausweisung sei nötig, um „der zunehmenden Gewalt an unseren Schulen Herr zu werden“. BILD vertieft die Ausweisungsforderung in den folgenden Tagen durch weitere Positionen aus der Politik, von denen ich hier den Beginn eines sehr dichten Beitrags vollständig wiedergeben möchte: Am 2. April 2006 lautet der Titel eines Kastens am unteren Rand der Seite 3 „Wer sich nicht integriert, muß Deutschland verlassen!“ (s. Abbildung 11) Damit wird der Debatte um den Umgang mit „Schulgewalt“ eine konkrete Sanktionsforderung eingespeist. „Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) fordert: Wer sich nicht integriert, muß Deutschland verlassen! München - Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat gefordert, gegen ausländische Familien, die sich nicht in Deutschland integrieren wollen, Sanktionen
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zu verhängen - bis hin zur Ausweisung. Zunächst müßten in einem ersten Schritt soziale Leistungen gekürzt werden. ‚Bei dauerhafter Verweigerung der Integration muß in einem zweiten Schritt auch der Aufenthalt in Deutschland beendet werden‘, sagte Stoiber der ‚Welt am Sonntag‘. ‚Wer sich nicht in Deutschland integriert, muß unser Land wieder verlassen.‘“ (20060402-BILD)
Die Reflexivität in der Aussage „sich integrieren“ betont eine hohe Selbstverantwortung des handelnden Subjekts. Darin manifestiert sich ein unerwarteter80 Übergang vom Objekt, das integriert wird, zum Subjekt, das sich integriert. Die Integration wird so von einem Zustand („integriert sein“) oder einem passiven Geschehen („integriert werden“) zu einer Leistung umgedeutet. Eine derartige Leistung könne erbracht werden – oder eben nicht. Dann handelt es sich nicht länger um strukturelle Gegebenheiten (nicht integriert zu sein kann definitorisch als eine polikausale Situation gesetzt werden), sondern um eine individuelle Entscheidung: will ich mich integrieren oder nicht? Diese Lesart wird im BILD-Artikel in der Rede von den „ausländischen Familien, die sich nicht in Deutschland integrieren wollen“, manifest. Ihre (als abweichend verstandene) Situation wird als Resultat einer Handlung verstanden, und ihnen die Verantwortung dafür im Sinne von Integrationsverweigerung auferlegt. Dieses „harte Durchgreifen“ als Reaktion auf die „fehlende Integration“ ist im Rahmen des Rütli-Ereignisses die dominante Argumentation. Auch im ersten Beitrag des Spiegel dazu am 3. April 2006 wird das Problem derartig benannt – und umgehend eine Begründung geliefert: „In einer Gesellschaft, in der Oben und Unten auseinanderdriften und Eltern ihre Kinder nicht mehr erziehen, eskaliert die Gewalt“ (20060403-Spiegel). Was zunächst nach allgemeiner Sozialstrukturanalyse klingt, wird im weiteren Verlauf des Artikels ethnisiert und symbolisch exkludiert. Es handle sich um eine räumlich – „wie in den Bronx: nicht mehr zu kontrollieren, nicht mehr zu regieren“ – und symbolisch – „eine verlorene Welt neben der ganz normalen deutschen Wirklichkeit […], die mit der anderen Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat" – gescheiterte Integration. „‚Die Ursache‘, das sagt dieser 43-jährige Lehrer, ‚ist letztlich eine Abkoppelung ihrer Eltern von unserer Gesellschaft‘“ (20060403-Spiegel). Die Differenzkonstruktion „unsere Gesellschaft“, Ausschlussmetaphern und die als kollektiv inszenierte Familienverantwortung (auf die ich gleich zu sprechen kommen werde) sind zum Topos der Parallelgesellschaft („Abkoppelung“) kombiniert. 80 Im Falle von „sich integrieren“ handelt es sich nicht um ein echtes reflexives, sondern lediglich um ein reflexiv verwendetes Verb, weil sowohl mit wie ohne Reflexivpronomen grammatikalisch korrekte Aussagen vorliegen. Offensichtlich soll jedoch nicht (durch eine Konstruktion mit unpersönlichem „sich“) das Passiv ausdrücken werden. 212
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Der Aufmacher der Frankfurter Allgemeinen vom 3. April nimmt Bezug auf eben diesen Spiegel-Artikel und fasst mehrere Positionen zusammen. „Weitere Berliner Schulen rufen um Hilfe“ (20060403-FAZ) ist die Meldung betitelt, die „Vorschläge und Forderungen zur besseren Integration von Einwandererkindern“ (20060403-FAZ) wiedergeben will. Damit ist der Rote Faden umrissen: an die „Vorfälle mit gewalttätigen Schülern“ schließen sich Interventionspläne an. „Kauder forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung abermals einen ‚Nationalen Aktionsplan Integration‘“, Bildungssenator Klaus Böger (SPD) will mehr Sozialarbeiter in „Brennpunktschulen“ einstellen. Weitere Innenpolitiker verschreiben sich der Sanktionierungsplanung, so etwa der Brandenburger Innenminister Schönbohm, der neben dem Arrest für „kriminelle Schüler“ auch die Ausweisung anspricht: „Ausländer mit fehlenden Sprachkenntnissen sollten sich nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten dürfen. ‚Wer seit Jahren hier lebt und kein Deutsch lernen will, sollte das Land verlassen. Es zeigt, daß er sich nicht integrieren und nicht arbeiten will‘“ (20060403-FAZ).
Die Beherrschung der deutschen Sprache wird zur Gretchenfrage, zum Offenbarungseid des Integrationswillens. Und immer stärker liegt die Betonung nun auf dem Willen: dem Willen zum Lernen, dem Willen zum Arbeiten. Ohne diesen sei in Deutschland kein Platz. Abbildung 11: BILD vom 2.4.2006, S. 13
Erst auf dieser spezifischen Charakterisierung des Sich-integrierens baut die nächste Eskalationsstufe auf: die Verhängung von Sanktionen bei der „Verweigerung von Integration“. Damit wird zweierlei impliziert: Erstens sei ein erstrebenswerter, ja notweniger Zustand erst der integrierte Zustand; die Weigerung, sich zu integrieren sei also nachteilig. Zweitens sei eine derartige Verweigerung von so hoher Schädlichkeit, dass ein gewünschtes Verhalten durch Sanktionen erzwungen werden kann und soll.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Die Äußerung „Wer sich nicht in Deutschland integriert …“ impliziert eine innere Haltung, nicht die Resistenz gegen Einwirken von Außen – etwa im Sinne „wer die Integrationsbemühungen der Gesellschaft nicht annimmt“. Die Ausweisung gibt vor, auf die Handlung zu reagieren, das „sich integrieren“ nicht durchführen zu wollen. Denn wer sich nicht integrieren will, kann den zum Verweilen notwendigen Anpassungsgrad ja überhaupt nicht erreichen, weshalb ein Rauswurf gerechtfertigt sei. Dadurch, dass die Integrationsbereitschaft das alleinige Kriterium der Sanktion ist, wird diese zum alleinigen Ziel der Maßnahme. Während zu erwarten wäre, dass ein Terminus wie „Integration“ inhaltlich bestimmt, d.h. mit Aussagen über den angestrebten ‚integrierten‘ Zustand spezifiziert würde, ist die reflexive Wendung „sich integrieren“ auch ohne Füllung des „Integrierens“ aussagekräftig. So ist bereits die Verweigerung der Anforderung, sich selbst zu integrieren, sanktionierbar. Es handelt sich also auch um eine Disziplinierung der Anderen: Die Ausweisungsdrohung soll „sich integrierende“ Subjekte erzeugen. In diesem Zusammenhang spielt die „ausländische Familie“ eine wichtige Rolle. Die Familie bildet den protosozialen Kern der Gesellschaft und ist damit traditionell positiv konnotiert. Jetzt wird das Verständnis von der Familie als geradezu naturgegebene kleinste Einheit des Zusammenlebens widersprüchlich, denn im Diskursstrang der Integrationsverweigerung treffen wir auf Familien, die sich „nicht in Deutschland integrieren wollen“. Unter Maßgabe der Funktion einer Primärsozialisation der Einzelnen werden hier explizit Kollektive, die vormals nützlich und notwendig waren, als Störfaktoren benannt. Dies evoziert den Topos der „Parallelgesellschaft“: es ist die häusliche Abgeschiedenheit, die es den Mitgliedern der „ausländischen Familie“ ermöglicht, sich vom vorherrschenden ‚deutschen‘ Leben abzusondern. Dies gilt in der Rede von den Parallelgesellschaften zudem keineswegs als sinnvoll oder verständlich – Religiosität oder familiäre Bindungen könnten auch als Korrektiv zu einer diskriminierenden Mehrheitsbevölkerung gedeutet werden –, sondern als explizite Weigerung, Angebote anzunehmen und Anforderungen zu entsprechen. Unter dem Gesichtspunkt, dass der familiäre Zusammenhang rechtlich einen relativen Ausweisungsschutz bietet (Einzelne können nicht zum Verlassen des Landes gezwungen werden, wenn sie enge Familienmitglieder haben, die aufenthaltsberechtigt81 sind) erscheint der Bezug auf Familien noch problematischer. Die Wendung „ausländische Familie“ könnte unter diesem Gesichtpunkt auch so etwas wie eine modifizierte symbolische Sippenhaft signalisieren: die „Ausländer“ seien kollektiv zuständig dafür, ihre eigenen Leute unauffällig zu halten. Dies habe zuallererst die Familie (durch entsprechende 81 Siehe den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie, dargestellt in Kap. 3.3.1. 214
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
kulturelle Prägung in Form der Erziehung) zu leisten. So wird die Kollektivierung gedanklich potenziert: von devianten Einzelnen über deren ‚organische‘ Lebensform der Familie zu Familien im Plural – auf den „Ausländer“ bezogen: Sippen – als parallelgesellschaftliche Realität des „ausländischen“ Daseins. Die Familie repräsentiert in dieser Debatte zudem patriarchalische Geschlechterverhältnisse. Diese wiederum stehen für Rückständigkeit, denn sie werden als „Zeichen eines Modernitätsdefizits gesetzt“ (Paulus 2008: 125). Somit wird das Geschlechterverhältnis als „Gradmesser für Integriertheit und Modernität“ (ebd.) eingesetzt. In dieser diskursiven Absetzbewegung wird gleichzeitig ethnisierte Differenz konstruiert und die deutsche Gesellschaft als liberal und explizit nicht-sexistisch imaginiert, d.h. reale am sozialen Geschlecht anknüpfende Ungleichheit wird negiert. Der elterliche Erziehungsauftrag wird über die an das Fehlverhalten anknüpfende Sanktion zur Integrationsverpflichtung. Ein drei Tage später in der BILD erscheinender Artikel stellt die Frage: „Was ist mit der Integration bei uns alles falsch gelaufen?“ Beantwortet wird dies mit einer klaren Schuldzuweisung an die Anderen in Form von „ausländischen Eltern, die ihre Kinder nicht rechtzeitig in Deutschkurse schicken: ‚Integration ist eine Bringschuld‘, so Stoiber. ‚An unseren Schulen muß Disziplin und Anstand herrschen.‘“(20060405-BILD).
Die Konstruktion der „Bringschuld“ wird mit Sinn gefüllt durch die Verknüpfung von angenommener Verantwortung der Eltern für das Wohl ihrer Kinder – deren (Aus-)Bildung – und der Gleichsetzung von Integration und Deutschkenntnissen. Das Fehlen von Sprachkenntnissen wird so zum Beleg einer Integrationsverweigerung.82 Mit Sanktionsplänen ist ein weiteres Diskursfragment von Anfang April 2006 betitelt. Es handelt sich um den Beitrag aus dem Focus-Magazin, „ABSCHIEBUNG: Harte Worte, weiches Recht. Wer Integration verweigert, muss Deutschland verlassen, fordert die CDU/CSU. Rechtlich und politisch hat sie damit kaum eine Chance“ (20060410-FOCUS), der sich konform mit der hegemonialen Tendenz affirmativ zu den in der zweiten Woche nach dem „Schulterror“ bereits breit gestreuten Plänen zur Sanktionierung von ‚Integrationsverweigerung‘ stellt. Stoibers diesbezügliche „Patentlösung für Einwanderer und deren Kinder, wenn sie hartnäckig die Integration verweigern“ und Schäubles prinzipielle Zustimmung dazu werden von FOCUS in Form der 82 Im Schäuble-Interview der Berliner Zeitung zwei Tage darauf lautet diese Wendung dann „Ausweisung von nicht integrationswilligen Familien“ (20060406BerlZtg), s. u. 215
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
(oben bereits referierten) wörtlichen Zitate als konzedierte Pläne der CDU/CSU montiert. FOCUS erklärt, „die Ausweisung aus Deutschland soll drohen, wenn jemand seine Pflicht zur Teilnahme am Integrationskurs nicht erfüllt“83, dies sei jedoch nicht umzusetzen, denn bisher fehle der „Tatbestand der Integrationsverweigerung“ (ebd.). Die Kommentierung einer Abbildung zu Beginn des Artikels lautet: „Wunschbild. Ausländern, die sich der Integration in Deutschland hartnäckig entziehen, drohen die Unionsparteien mit Abschiebung ins Herkunftsland“ (20060410-FOCUS). Nicht die Ausweisung ist hier das Disziplinierungsmittel, mit dem assimilierte, unauffällige Subjekte erzeugt werden sollen. Sondern die „Integration“ selbst wird zur Disziplinierung eingesetzt, und ihr würden sich manche „hartnäckig entziehen“. Die Integrationspflicht ist damit etabliert.
Die neue Integrationsdebatte Die FAZ meldet am 4. April 2006 die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einem „nationalen Integrationsgipfel“, die bereits wenige Tage nach deren Beginn parallel zu und in Reaktion auf die öffentliche Debatte um die „Krawallschüler“ aufkommt. Im Untertitel werden die beiden Interventionsrichtungen genannt: „Bundestagsfraktion vor allem für Sozialmaßnahmen / Stoiber: Schüler notfalls ausweisen“ (20060404-FAZ). Dadurch, dass Pressemeldungen als den konkreten Anlass für einen solchen „Integrationsgipfel“ das Schulgewalt-Ereignis nennen, wird deutlich, innerhalb welchen Rahmens die Interventionsvorschläge stehen. Die BILD übertitelt etwa ihre Doppelseite 2/3 am 5. April 2006 noch mit dem Schlagwort „Ausländerdebatte“, tags darauf lautet die Überschrift dann „Integrationsdebatte“84 (20060405-BILD, 20060406a-BILD). Bereits in den ersten Tagen ist die Definition des Ereignisses als Problem des „Integrationsdefizits“ also abgeschlossen. In zahlreichen Diskursfragmenten wird die Argumentationskette „aus gescheiterter Integration wird Gefahr“ aktiviert. „Die Gewalt-Exzesse an unseren Hauptschulen haben die Debatte um Ausländer in Deutschland angeheizt! Was ist schiefgelaufen bei der Integration?“ (20060405-BILD) wird etwa in der BILD rhetorisch gefragt und die Antwort in der Überschrift des Artikels bereits vorweggenommen: „Multi-Kulti ist gescheitert“. Wodurch im Diskurs dieser Zusammenhang denk- und sagbar wird, macht die Eröffnungssequenz der ebenfalls am 5. April 2006 im Bundestag unter dem Titel „Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli83 Das ist zwar sachlich falsch, dieser Fehler jedoch irrelevant, weil die Äußerung bereits als ‚Wahrheit‘ wirksam werden kann. 84 Die folgenden Artikel sind überschrieben „Hier sprechen Berliner Ausländer und hier rechnen die Berliner Lehrer mit der Schul-Politik ab“, vgl. 20060406aBILD. 216
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Hauptschule in Berlin“ (20060405-PlenProt01/31) anberaumten Debatte deutlich. Anlass der von der FDP anberaumten aktuellen Fragestunde ist zwar explizit das Ereignis der „Schulgewalt“, in diesem Rahmen äußern sich mehrere Redner jedoch ganz überwiegend zum Thema „Integration“. Der erste Redner (Wolfgang Gerhardt, FDP) benennt als „eigentlichen Anlass für die Erörterung des Themas, … dass wir seit Jahren einen Realitätsverlust bei der Integrationspolitik in Deutschland haben“ (20060405-PlenProt01/31: 2557). Dieser Realitätsverlust äußere sich einerseits im Leugnen von „Integrationsproblemen“, zugleich fehle aber auch die Forderung an die Anderen, sich zu integrieren. „Es wird eine Herausforderung für uns sein, auch an anderen Orten - die RütliSchule ist nicht die einzige Schule -, in denen es Schulen mit solchen Unterrichtssituationen gibt, die in Brennpunkten und in solchen sozialen Milieus liegen, ernsthaft über Integrationspolitik zu sprechen und uns nicht mehr aufgrund der alten Political Correctness zu scheuen, offen zu sagen, was die Anforderungen eines freiheitlichen Staatswesens an diejenigen sind, die zu uns kommen, und was hier getan werden muss. Das ist unumgänglich.“ (Gerhardt in 20060405-PlenProt01/31: 2557)
Damit geht es letztlich um die Setzung von Anforderungen an „diejenigen, die zu uns kommen“. Darin deutet sich die Logik der Integrationspflicht bereits an: Anforderungen an die Anderen. Fehlende Integration zu behaupten, die Verantwortung dafür den Anderen zuzuweisen und deren Verpflichtung zu Integration einzuführen, ist bereits eine Form des othering. Damit die Anderen für ihre eigene Integration zuständig sein können, werden sie den Deutschen gegenüber gestellt, wie etwa in der Rede der Staatsministerin Böhmer: „In vielen großen Städten in unserem Land werden wir im Jahr 2010 die Situation vorfinden, dass die Hälfte der unter 40-Jährigen einen Migrationshintergrund hat und die andere Hälfte Deutsche sind.“ (Ebd.: 2558)85
85 Ebenfalls von Böhmer angesprochen wird ein Ereignis, das ich nicht genauer untersuche: die Pflicht zum Deutsch auf dem Schulhof der Berliner HooverRealschule. „Dort hatte sich die Schule gemeinsam mit den Eltern und mit den Schülerinnen und Schülern entschlossen, dass Deutsch die Sprache ist, die im gesamten Schulbetrieb gesprochen wird, dass Deutsch also auch auf dem Schulhof gesprochen wird. Es ging ein Aufschrei durch unser Land. Ich habe mich gewundert: Es muss doch selbstverständlich sein, dass Deutsch nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Schulhof gesprochen wird, im gesamten Schulleben: damit Schülerinnen und Schüler eine bessere Chance haben. Deshalb sage ich: Dieses Beispiel muss Schule machen.“ (Böhmer in 20060405-PlenProt 01/31: 2569) 217
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Darin drückt sich das Konzept einer unhintergehbaren Differenz zwischen Menschen „mit Migrationshintergrund“ und den ‚richtigen‘ „Deutschen“ aus. Das konstitutive Element der Gruppe der Anderen ist deren Migration, was zu einem kategorischen Nicht-Deutsch-Sein führt. Die aktivierte Argumentationskette – Defizit, Problem, Pflicht der Integration – macht diese Zuschreibung von Differenz machtvoll. Die Eingewanderten ‚sind‘ nicht einfach nicht Deutsche, sie können es nur durch eine besondere Anpassungsleistung werden. Diese Aussage schreibt eine dauerhafte und folgenreiche Differenz zur Mehrheitsbevölkerung fest. Der Tenor dieser Debatte entspricht also der vorherrschenden Argumentation im Interdiskurs zu diesem Zeitpunkt: das benannte konkrete Problem der „Schulgewalt“ wird innerhalb des Rahmens „Integration“ diskutiert, die Problemdefinition konkret als „Integrationsdefizit“ gedeutet. Der (spezialdiskursive) Kontext jedweder wie auch immer gefüllten – bspw. sozialwissenschaftlichen – Integrationstheorie wird dabei vollständig bei Seite gelassen, da keinerlei explizite Referenz auf Sozialwissenschaft, Psychologie oder verwandtes Expertenwissen mehr notwendig ist. Der Begriff der „Parallelgesellschaft“, eingeführt in der Heitmeyer-Studie86 und somit eigentlich spezialdiskursiv geprägt, ist hier vollständig in den Interdiskurs eingegangen. In einer Presseerklärung der CDU/CSU-Innenpolitiker vom 5. April 2006 heißt es unter dem Titel: „Integrationsverweigerung konsequent sanktionieren“, „Integration“ sei „eine Pflicht für alle, die in Deutschland auf Dauer leben wollen“ (20060405-CDU/CSU). Innenminister Schäuble legt am folgenden Tag in einem Interview der Berliner Zeitung „über das Integrationsproblem“ nach; er unterstreicht die Zulässigkeit einer Ausweisung, als er gefragt wird, ob „solche Sanktionen der richtige Weg“ seien: „Ja. Wer nachhaltig seinen Integrationsverpflichtungen nicht gerecht wird und nicht will, dass seine Kinder wie Deutsche leben, hat einen Fehler gemacht, als er nach Deutschland kam.“ (20060406-BerlZtg)
In diesen Diskursfragmenten aus der Schnittzone zwischen den Arenen Politik und Medien (eine Presseerklärung referiert die Inhalte eines politischen Positionspapiers) wird eine Form der Wahrnehmung von Integration als Verpflichtung, als „Bringschuld“, gesetzt. Jetzt ist die Verweigerung der diesbezüglichen Verpflichtung, nämlich sich zu integrieren, sanktionsbewehrt.
86 Heitmeyer, Wilhelm/Müller, Joachim/Schröder, Helmut veröffentlichten 1997 die Studie „Verlockender Fundamentalismus“, in der politische Einstellungen türkischstämmiger Jugendlicher in Deutschland untersucht wurden. Darin wird der Begriff „Parallelgesellschaft“ erstmalig zur Beschreibung ihrer Lebenssituation verwendet; vgl. Heitmeyer/Müller/Schröder 1997. 218
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Ein Hintergrundbeitrag der BILD am 7. April macht ebenfalls die Verbindung zwischen dem Schulgewalt-Ereignis und der Integrationspolitik explizit. Schon in der Überschrift (20060406a-BILD) kontextualisiert die BILD diese Ereignisse als Elemente einer „Integrationsdebatte“. Mit dem boulevardtypischen Wahrheitsanspruch („7 Wahrheiten über Ausländer-Politik“) werden darin eine Reihe von thematisch passenden „Experten“ zitiert. Aneinander angebunden werden die sieben Problembereiche der Ausländerpolitik folgendermaßen: „Jahrzehntelang waren Kriminalität, Arbeitslosigkeit und mangelnde Deutschkenntnisse von Ausländern Tabuthemen. Erst der Hilfeschrei der Lehrer aus der Berliner Rütli-Schule hat die Politik aufgeschreckt“ (20060407-BILD). Der Aufhänger „Schulgewalt“ wird also genutzt, um über die nebeneinander stehenden Problemfelder (auch graphisch werden die Themen nebeneinander präsentiert; die Überschrift verbindet buchstäblich alle Einzelaussagen, die jeweils über dem Foto der Zitierten positioniert sind, s. Abbildung 12) eine vereinende Thematik zu stülpen. Nun soll das große Ganze, das „Kriminalität, Arbeitslosigkeit und mangelnde Deutschkenntnisse von Ausländern“ an die Rütli-Schule bindet, benannt werden (das „Tabu“ brechen). Dabei fungieren die einzelnen Rubriken (u. a. „Kriminalität“, „Sprache“, „Kultur/Glaube“, „Gettoisierung“) als Elemente des Integrationsdefizits. Abbildung 12: BILD vom 7.4.2006, S. 2
Der „Ehrenmord“ und verweigerte Integration Noch innerhalb der Anfangsphase der entstehenden Integrationsdebatte und mit ihr eng verflochten liegen die öffentlichen Reaktionen auf das Urteil im „Ehrenmord-Prozess“ in Berlin. Bereits vor dem Urteilsspruch am 13. April 2007 beginnen sich die Printmedien mit der erwarteten Reaktion der Justiz auf die Tat auseinander zusetzen. Als bekannt wird, dass der damals 18jährigen Täter zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, seine Brüder
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
hingegen freigesprochen wurden, nimmt die Anzahl der Presseberichte zu.87 Eine Reihe von Artikeln weisen zunächst auf das bevorstehende Urteil hin, berichten dann vom Prozess und der bei den Freigesprochenen sowie deren Angehörigen erkennbaren Freude über die Freisprüche. In Kommentaren wird das Urteil als zu milde kritisiert und die Familie in Kollektivhaftung genommen. Die Verflechtung der parallelen Debatten wird besonders deutlich in einem Diskursfragment der BILD. Auf die Frage „Werden die Probleme also noch wachsen - Ghettos in den Großstädten, Ehrenmorde, Zwangsheiraten, Brutalität in unseren Schulen? Was haben wir in der Integrationspolitik falsch gemacht?“ antwortet Staatsministerin Böhmer: „Sicher ist: Der Traum von ‚Multikulti‘ ist ausgeträumt. Wir müssen feststellen, daß viele, die ursprünglich als sogenannte Gastarbeiter zu uns gekommen sind, das Land nicht wieder verlassen wollen. Inzwischen haben wir die zweite und dritte Generation in unserem Land.“ (20060408-BILD)
An der Differenz zwischen uns und ihnen wird mit der Rede von „unserem Land“, das sie immer noch nicht „verlassen wollen“88 festgehalten. Ein Zusammenleben trotz Differenzen scheint undenkbar oder zumindest unrealistisch („Multikulti-Traum“). Dies legt folgende Konsequenzen nahe: Entweder wir „setzen“ bei ihnen („jetzt bei der zweiten und dritten Generation“) mit der Integration „an“ – „Integration“ wird begriffen als Werkzeug, das wie ein Stemmeisen an der schwächsten Stelle angesetzt werden kann – oder sie verlassen das Land. Zudem impliziert BILD durch die Betitelung eine Begrenzung der Einwanderung als mögliche Strategie („2010 so viele Ausländer wie junge Deutsche!“). Die anschließende Artikelfolge der BILD in den Wochen vom 13. April bis zum 4. Mai weist ein stark verdichtetes Schema der Zuspitzung der bekannten Argumentationskette von Integrationsdefizit über die Verweigerung zur Sanktion auf zwei Schritte auf: Erstens wird eine Differenz unterschiedlicher und nicht zu vereinbarender Moralvorstellungen der Mehrheitsbevölkerung und der Anderen aktualisiert; darin bilde sich nicht nur das 87 Da es sich nicht um eine ausländerrechtliche-, sondern eine strafrechtliche Entscheidung handelte (eine Ausweisungsverfügung liegt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor und kann daher auch nicht kommentiert werden), stellt das Urteil selbst kein Ereignis im – hier relevanten ausländerrechtlichen – Expertendiskurs dar. Daher fließen ausschließlich Zeitungsartikel in diesen Abschnitt der Analyse ein. 88 Das Präsens „nicht wieder verlassen wollen“ signalisiert, dass die Befristungsdoktrin des Rotationsprinzips scheinbar fortdauert. Seit 1955 basierte die Arbeitskräfteanwerbung darauf, dass die im Ausland angeworbenen Arbeitskräfte nach einer bestimmten Aufenthaltsfrist wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren und andere an ihre Stelle treten sollten, vgl. Pagenstecher 1995. 220
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Scheitern der Integration ab sondern dies dient nun auch als Argument für die beim Anderen liegende Verantwortung für dieses Scheitern; zweitens gelten die in der Politik (wie auch in der Öffentlichkeit) geforderten härteren Sanktionen nicht nur als Reaktion auf, sondern auch als Korrektiv für diese Verweigerungshaltung. Am 15. April beschäftigen sich in der BILD der Aufmacher, mehrere Beiträge auf den Seiten 2 und 3 sowie ein Kommentar mit diesem Thema. In letzterem ist bereits im Untertitel die Verbindung zur Fremdheit des Täters argumentativ maßgeblich: „Der ‚Ehrenmord‘ in Berlin: wieder ein Zeichen für gescheiterte Integration“ (20060415b-BILD). Auf dieser zusammenhängend gestalteten Doppelseite werden die Forderungen aus der Politik wiedergegeben, „die rechtlichen Möglichkeiten zur Beendigung ihres Aufenthalts in Deutschland (zu) schaffen“ (20060415a-BILD). Die Argumentation dieser Beiträge erschließt sich bereits aus der Seitenüberschrift „Empörung über das SkandalUrteil im Berliner Ehrenmord Prozeß +++ Jetzt fordern Politiker Konsequenzen und schärfere Gesetze“. Das auf Seite 3 oben mittig platzierte Zitat des Berliner Innensenators „Wenn ihr Ehre habt, verlaßt unser Land!“ (s. Abbildung 13) umreißt das bedrohte Kollektivsubjekt: „das Land“ steht metonymisch für die deutsche Gesellschaft, „unser Land“ macht die Täter zu Anderen. Ähnliche dichotome Konstruktionen des Wir-Sie-Gegensatzpaares sind in zwei weiteren Aussagen gut zu erkennen. Das Lachen und die Freude der Angehörigen über die Freisprüche wird als Verhöhnung der deutschen Gesellschaft durch die „Ehrenmord-Familie“ gedeutet („Eine ganze Familie lacht Deutschland aus“/„Kopftuch-Schwester verhöhnt ermordete Hatun“). Je weiter der Diskursstrang sich entspinnt, desto näher rückt das Opfer an die deutsche Normalgesellschaft heran – die „ermordete Hatun“ wird beim Vornamen genannt und stellt unsere Lebensgewohnheiten, allen voran die Unabhängigkeit und Freiheit der Frau, dar – was als kultureller Gegensatz zum Sie Sinn macht. Die offene Kulturalisierung in Nachahmung klassischer Ethnographie in „Wenn Väter Morde befehlen. Ein Sohn packt aus“ (20060418-BILD), worin ein Gewährsmann mit kulturellen Details zitiert wird, vermittelt den Eindruck einer nahezu okkulten Parallelwelt. In mehreren Artikeln dieser Doppelseite des 15. April werden die Forderungen nach Konsequenzen für das abweichende Verhalten spezifiziert. Jetzt ist nicht der „Skandal“ des (vermutlich zu milden) Urteils das Thema, sondern nun wird die Legitimation für weitergehende Konsequenzen geliefert. Sie besteht, wie folgende Zusammenstellung zeigt, in der Bewertung der Vorgänge als kollektive Verweigerung der Integration:
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
„Berlins Innensenator Ehrhart Körting (63, SPD) forderte die Familie S. zum Wegzug aus Berlin auf: ‚Wenn sie denn wirklich Ehre im Leib hätten, dann sollten sie die Konsequenz ziehen und die Bundesrepublik Deutschland verlassen.‘ Auch der Berliner CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger (51) forderte eine Ausreise: ‚Wer Ehrenmorde bejaht oder sogar begeht, für den darf kein Platz in Deutschland sein. Der Täter Ayhan S. muß nach der Verbüßung seiner Haftstrafe ausgewiesen oder abgeschoben werden.‘ Ins gleiche Horn stößt der rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Stephan Mayer (32): ‚Wer ‚Ehrenmorde‘ in dieser Weise billigt, ist ganz offensichtlich nicht gewillt, sich in Deutschland zu integrieren. Für derart dauerhaft integrationsunwillige Ausländer müssen wir die rechtlichen Möglichkeiten zur Beendigung ihres Aufenthalts in Deutschland schaffen.‘“ (20060415a-BILD)
Abbildung 13: BILD vom 15.4.2006, S. 3
Auch die hier zitierten Argumentationen liefern wieder eine inhaltliche Füllung der Konstruktion kultureller Abweichung. Es handelt sich um eine gegenüber der Normalvorstellung divergente Vorstellung von Ehre („wirklich Ehre im Leib haben“) und die Bewertung von bestimmten Morden als ehrenhaft („Ehrenmorde bejahen“ oder „billigen“). Dies zeige eine „dauerhafte Unwilligkeit“ an, „sich zu integrieren“. Dann auszureisen sei nur „konsequent“, denn in Deutschland dürfe für solche Einstellungen „kein Platz“ sein. Damit ist die Zuspitzung zur Exklusionsforderung bereits erreicht. Am 21. April werden unter dem Seiten-Titel „Warum wird die Ehrenmord-Familie nicht ausgewiesen?“ Zitate aus der Politik mit ‚Volkes Stimme‘ (in Form einer Umfrage) kombiniert. Unter der Überschrift „65 Prozent der Deutschen wollen, dass die Sürücüs in ihr Heimatland zurückgeschickt werden. Jetzt fordern dies auch erste Politiker“ heißt es dort: „Bischof Wolfgang Huber bezeichnete den Ehrenmord an Hatun in BILD als ‚kollektives Verbrechen einer ganzen Familie‘. Jetzt drängen erste Politiker, die Sürücüs in ihr Heimatland auszuweisen! CSU-Chef Edmund Stoiber (64) erklärte: ‚Ich fordere den Berliner Senat auf, die Ausweisung der Familie aus Deutschland zu prüfen. Der Mord durch ihren Bruder ist ein Fall von Selbstjustiz, der für den deutschen Rechtsstaat nicht akzeptabel ist.‘
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EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Laut einer ‚Emnid‘-Umfrage wollen 65 Prozent der Deutschen, daß die EhrenmordFamilie Deutschland verlassen muß!“ (20060421-BILD).
Diese Elemente des othering und die dargestellte diskursive Erweiterung zur Exklusionsforderung sind aber nicht nur auf dem Boulevard wirksam, sondern auch in FAZ, SZ, Spiegel und FOCUS.89 Ist direkt nach der Urteilsverkündung die Berichterstattung über den Prozess und das Urteil noch meist direkt auf die Gerichtssituation oder rechtliche Fragen bezogen, ist später in Meldungen und Hintergrundberichten der eigentliche rote Faden die Parallelgesellschaft, das „nicht richtig in Deutschland leben“ (20060424-FOCUS). Der Spiegel verweist in seinem ersten Artikel nach der Urteilsverkündung in der Ausgabe vom 24. April auf das öffentliche Interesse, „aufgerüttelt von den Gewaltproblemen mit jungen Migranten an der Berliner Rütli-Hauptschule und der Erkenntnis, dass die Parallelwelt vornehmlich türkischer Einwanderer immer undurchdringlicher wird“ und referiert die Sanktionsforderungen: „CSU-Chef Edmund Stoiber forderte die kollektive Ausweisung des ganzen SürücüClans, Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting verlangte die Ausreise der Familie.“ (20060424-Spiegel)
Stets präsent ist in den Diskursfragmenten zu diesem Ereignis die Verknüpfung von Integrationsdefizit und der Verweigerung im Topos der Parallelwelt. Typisch dafür ist die Logik des genannten Beitrags, angesichts „kultureller Eigenheiten“ der „muslimischen Clans“ den „Kern des Problems“ in fehlender „Anpassung“ auszumachen: „Wie viel kulturelle Eigenheit kann man tolerieren, wie viel Anpassung verlangen?“ (20060424-Spiegel) Letztlich kommen damit alle diese Beiträge, als Fragmente der Integrationsverweigerung, immer wieder zurück zur Ausweisung als Mittel, um Integration herzustellen. Auch wenn in Abonnentenzeitungen die dafür grundlegende Wir-Sie-Binarität nicht wie in der Bild-Zeitung als linearer Gegensatz funktioniert, ist die Logik der divergenten, sich abgrenzenden Kulturen auch dort erkennbar virulent. Im ersten Kommentar der SZ zwei Tage nach dem Urteil (20060415-SZ) wird durchweg Kultur als Explikans eingesetzt (noch gibt es dort allerdings keinen Hinweis auf die Integrationsdebatte). Es wird eine Differenz zwischen uns und ihnen konstruiert, indem der Anderen Nicht-Zugehörigkeit markiert wird („eine tiefe Verachtung für die deutsche Gesellschaft“) und die Parallelwelt89 Was nicht heißen soll, dies sei durchweg so der Fall. Vielmehr finden sich Beiträge, die jeder Kulturalisierung eine Absage erteilen, etwa in der FAZ am 18. April im Aufmacher des Feuilletons „An Beweises statt“ (20060418b-FAZ) – im Politik-Teil habe ich allerdings keine ähnlichen Analysen gefunden. 223
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Metapher „zwischen zwei Welten“, diesmal als Verortung, bemüht wird („zu Hause“ – wieder die Familie – fände sich die Andere Kultur der Machos, „draußen aber, im deutschen Leben“ wären die Akteure unsicher und schwach). Auch das Wir bleibt nicht unakzentuiert, indem „unsere Werte“ die „Freiheit der Frau“ implizieren: „Der Staat hat die Pflicht, den Frauen der Einwanderer zu ihrer Freiheit zu verhelfen“ (ebd.).90 Im Aufmacher der FAZ des selben Tages, „Politiker wollen Rechte muslimischer Frauen stärken“, wird die „politische Debatte über die Integration“ zum Anlass genommen und neben der Forderung, Rechte von Frauen stärken und „Zwangsehen“ zu pönalisieren taucht die Idee einer „Rückkehr“ bei fehlender Integration auf – zitiert wird die Forderung des bayerischen Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), „Einwanderer sollten die ‚deutsche Alltagskultur‘ akzeptieren. Dazu gehörten die deutsche Sprache, die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wer sich nicht integriere, solle in seine Heimat zurückkehren, sagte Stoiber der Zeitschrift ‚FOCUS‘.“ (20060415b-FAZ)
Die in den Beiträgen nach dem Urteil auffällig dichotome Gegenüberstellung von Wir und Sie wird erst dann deutlich mobilisiert, nachdem die Forderung nach Exklusion der vermeintlichen Kollektivtäter artikuliert worden ist. Die Leitglosse „Mord bleibt Mord“ auf der Titelseite der FAZ vom 15. April kreist um Traditionen, Sitten, Differenzen (20060415a-FAZ). Problematisiert werden die „mitgebrachten Sitten“ der „Migranten etwa aus Ostanatolien“, darunter besonders der „archaische Ehrbegriff“. Dies sei mit der „verordneten Leitkultur des multikulturellen Volksfestes“ nicht kompatibel, denn die „Zwangsheiraten“ und der „Ehrbegriff“ seien „archaisch“, „vormodern“, „islamisch“, gewalttätig und frauenfeindlich. In diesem Kommentar wird also offen kulturalisiert. Zwar wird kein expliziter Verweis auf Ausweisung gemacht, doch wird eine Kampfmetaphorik gewählt: „Durch abschreckende Strafen, aber auch durch Aufklärung muß man dieses spezielle Gewaltgeflecht, das heute hauptsächlich ein ‚islamisches‘ Phänomen ist, allmählich auflösen und zerstören.“ (20060415a-FAZ)
Das Problem wird als gewalttätig und geflechtartig (ungreifbar) beschrieben und durch das Prädikat „islamisch“ als kulturelles Problem gerahmt. Es wird als gravierende Bedrohung wahrgenommen, die „zerstört“ werden muss. Repression und Rationalität („Aufklärung“), Bekämpfung der gewalttätigen is90 Derartige Kulturalisierung ist in diesem Diskursstrang tatsächlich möglich neben dem Hinweis, der Bezug auf kulturelle Begleitumstände sei verharmlosend, er „verkennt das Problem“. 224
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
lamischen Unterwanderung („Geflecht“) sind Vokabeln, die eine sich bedroht fühlende Mehrheitsbevölkerung dem als grundsätzlich different präsentierten Anderen gegenüberstellt. Die speziellen Sanktionierungen sind in dieser Logik als „Integrationsbemühungen“ zu verstehen: sie bringen die Anderen dazu, sich entweder anzupassen oder auszureisen. Das Postulat der Integrations-Bringschuld stellt im Übrigen auch ein Artikel in der ZEIT auf, der sich am 20. April mit der rhetorischen Frage „Ist das Gerichtsurteil wirklich alles, was dem Staat zu Gebote steht?“ in diese Debatte über die Ausreiseaufforderung einschaltet. Dabei wird das Straf- um das Ausländerrecht erweitert mit dem auf das nationalstaatliche Souveränitätskonzept aufruhende Konstrukt des „Gastrecht“ (s. dazu bereits auf S. 152): „Wer als Gast in diesem Land Aufenthalt begehrt, hat sich an die hier geltende ordre public zu halten, an das Recht des Landes. Den Gast trifft hier die Bringschuld. Und nicht nur das: Ihn trifft auch grundsätzlich die Beweislast dafür, dass er die Grundrechte und Gesetze kennt, achten will und künftig achten wird. Es ist alles andere als unbillig, wenn ein liberaler Verfassungsstaat sowohl auf dieser Bringschuld als auch auf dieser Beweislast beharrt“ (20060420-ZEIT).
Die Ausweisung einzusetzen sei also nicht nur möglich, sondern geboten, denn es gehöre „gerade zur Wehrhaftigkeit unserer am Menschenrecht orientierten freiheitlichen Ordnung […], die Auseinandersetzung mit solchen Taten auch über das Strafrecht hinaus zu führen“ (ebd.). Die letzte Anmerkung zielt erwartungsgemäß auf das Ausländerrecht ab: „über das Strafrecht hinaus“ meint, eine Ausweisung in Betracht zu ziehen, wenn die „Einfügung in die ordre public“ verweigert wird. Auffällig ist an dieser Argumentation die Setzung der Anderen als vollständig fremd und nahezu rechtlos über die Bezeichnung als „Gäste“. Ist diese Deutung akzeptiert, kann jede Anpassung („Bringschuld“) problemlos gefordert werden.
5.4.3 Integration durch Sanktionierung In Kapitel 3.3 wurde bereits kurz erwähnt, dass es im Juli 2007 zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts kam. Die uns dabei interessierende wesentliche inhaltliche Änderung war die Neuaufnahme von drei spezifizierten Ausweisungsgründen in die Norm der Ermessensausweisung (die neuen Nummern 9-11 in § 55, 2 AufenthG).91 Zu diesen neuen Möglichkeiten der 91 Ein weiteres umstrittenes, für unsere Diskussion allerdings weniger bedeutsames Detail, ist die Einschränkung des Ausweisungsschutzes für „Serientäter“ „wenn der Heranwachsende wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren 225
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ausweisung bei „Integrationsfeindschaft“ ist vor allem darauf hinzuweisen, dass die Formulierung „integrationsfeindliches Verhalten“ nicht im Gesetz zu finden ist. Darin sind als neue zusätzliche Grundlagen für eine Ermessensausweisung definiert, andere „in verwerflicher Weise“ davon abzuhalten, „am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben“ oder zu einer Ehe zu nötigen. (§ 55 Abs. 2 AufenthG; s. S. 91 u. Anhang). Die jeweiligen Zeitumstände vorausgesetzt mobilisiert dieser Formulierung bestimmte stereotype Bilder: den (meist bärtigen) ‚fundamentalistischen‘ Patriarchen im Kreise seiner Kinder beim Koranstudium (s. Abbildung 14) oder die im Haushalt ihres Ehemannes isolierte ‚Importbraut‘ aus einem muslimischen Land (vgl. Kelek 2005). Abbildung 14: Focus-Magazin vom 22.10.2001, S. 28
Um zu verstehen, weshalb diese Handlungen als so schwerwiegend betrachtet werden, dass sie durch eine Ausweisung sanktioniert werden sollen (und nicht lediglich strafrechtlich, denn das kann etwa eine Nötigung zur Ehe selbstverständlich), ist ein Blick in die Begründung des Gesetzentwurfs hilfreich. Darin wird die Logik, die hinter den drei Nummern steckt, folgendermaßen erläutert: „Mit den Nummern 9 bis 11 in Absatz 2 werden neue Regelbeispiele der Ermessensausweisung nach Absatz 1 aufgrund der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen. Die Nummern 9 bis 11 knüpfen an Handlungen an, die in schwerwiegender Weise die Integration anderer Perso-
Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.“ (§ 56, 2 AufenthG; s. o., sog. „Mehmet-Klausel“, s. o.). Weder das Zuwanderungsgesetz noch alle Novellierungsentwürfe bis Anfang 2006 sahen diese Rückkehr zur alten Rechtslage vor, vermutlich weil der Topos des „Intensivstraftäters“ kaum mehr Gefahrenpotential barg. 226
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
nen, insbesondere Familienangehöriger, beeinträchtigen und damit einen besonders integrationsfeindlichen Charakter aufweisen.“ (20070423-BTDrs.16/5065:183)
Hier wird die „Integration“ als ein zu schützendes Gut dargestellt, das durch bestimmte Handlungen „beeinträchtigt“ werden kann. Eine solche Beeinträchtigung der Integration, sofern sie „schwerwiegend“ genug ist, ist gleichermaßen eine „Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Damit wird „Integration“ zu einem „erheblichen Interesse“ geadelt, was die „Integrationsfeindschaft“ zu einem erheblichen Delikt werden lässt.92 Dessen Pönalisierung durch Ausweisung ist somit legitimiert.
Wie gelangt die „Integrationsfeindschaft“ in das Gesetz? Der Ende März 2007 als Kabinettsbeschluss und schließlich am 23. April „offiziell“ ausgefertigte „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ (in der BTDrs.16/5065) unterscheidet sich hinsichtlich der Paragraphen zur Ausweisung (§§ 53-56), die hier von Interesse sind, nur unwesentlich von der Fassung, die am 14.06.2007 dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt und beschlossen wurde. Das Gesetz trat am 28.08.07 in Kraft (BGBl. I 2007, S. 1970). Ich werde anschließend auf einige Passagen aus dem Protokoll der Novellierungsdebatten im Bundestag zu sprechen kommen. Dieser Gesetzentwurf hat jedoch auch noch eine lange Vorgeschichte, die uns über früherer Dokumente und erste Entwurfstexte ‚Kontrastmittel‘ liefert, mittels derer Spuren sichtbar gemacht werden können, die am endgültigen ‚glatten‘ Gesetzestext unsichtbar oder zumindest unauffällig sind. Bereits bei der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes 2004 (s. S. 87ff) wurden Korrekturen und Ergänzungen angeregt; zur Überarbeitung sollte nach einem Jahr eine Evaluation durchgeführt werden.93 In den Versionen
92 Diese Setzung wird im Expertendiskurs weitgehend mitgetragen; es handle sich bei den betreffenden Ausweisungsgründen um „neue Risiken für gewichtige öffentliche Interessen (Integration)“ (20070521-Hailbronner) erklärt Kay Hailbronner (vom Forschungszentrum für internationales und europäisches Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz). 93 Diese fand im Mai 2006 statt und erbrachte zahlreiche Überarbeitungsempfehlungen (vgl. Bundesinnenministerium 2006). Zu diesem Zeitpunkt lagen (datiert vom 03.01. und vom 13.03.2006) bereits zwei Referentenentwürfe aus dem BMI zu diesem Novellierungsprojekt vor. Die Begründung der Notwendigkeit einer Novellierung des deutschen Ausländerrechts wurde damit auf die Ebene der EU verlagert, spätere – weitergehende – Änderungen waren aber tatsächlich ausschließlich innenpolitisch motiviert. 227
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
bis März 2006 waren noch keine der später diskutierten (und oben bereits ausführlich dargestellten) Änderung enthalten. Konkret heißt das, erst Anfang 2007 tauchen die neuen Nummern 9-11 in der Norm der Ermessensausweisung auf, und auch die Änderung bzgl. des Ausweisungsschutzes war noch nicht vorgesehen (nur die Nr. 1 in § 55 Abs. 2 wurde überarbeitet). Verständlich wird dieser dann einsetzende Schub an gesetzgeberischer Phantasie erst, wenn man sich klar macht, dass die Ereignisse um die „RütliSchüler“ sowie um den „Sürücü-Prozess“ zwischen alten und neuen Entwurf fallen. Ganz offensichtlich verlief die redaktionelle Arbeit an diesem Gesetzentwurf nicht losgelöst vom politischen Geschehen und von massenmedialem Einfluss. Die Deutung der Gewaltvorfälle als Integrationsproblem, die Argumente für ein „Durchgreifen“ in der folgenden Bundestagsdebatte über Integrationspolitik und schließlich das laute Nachdenken über eine Ausweisung der Familie Sürücü als „Integrationsverweigerer“ begleiteten die Neuerung, ein Verhalten mit „besonders integrationsfeindlichem Charakter“ zu sanktionieren (vgl. 20070423-BTDrs.16/5065: 183). Sichtbar wird die ordnende Wirkung diskursiver Ereignisse94 an Situationen der Stockung oder der Kritik. In der Arena der Politik sind diese Prozesse relativ transparent und zum Teil auch schriftlich fixiert, lassen sich also auch gut retrospektiv empirisch beforschen. Eine solche Situation des (mehr oder weniger ritualisierten) Streits ist im konkreten Fall beispielsweise die bereits vorgestellte Bundestagsdebatte am 5. April 2006, „Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin“ (s. den vorhergehenden Abschnitt). Darüber hinaus erweisen sich zwei weitere Bundestagsdebatten in April und Juni 2007 zur Beratung und Abstimmung des „Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ als wichtige Quellen (20060426-Plenprot16/094, 20060614PlenProt16/103). Darin ist vor allem die Eröffnung interessant: Bundesinnenminister Schäuble setzt als Hintergründe zur Novellierung des Ausländerrechts die drei Bereiche Europäische Harmonisierung des Ausländer- und Asylrechts, Integration und Sicherheit. Direkt im Anschluss an die ersten Absätze der Eröffnungspassage wird deutlich, dass die Bleiberechtsregelung diese Plenardebatte dominieren wird – und der Schluss liegt nahe, dass dieses Thema auch die jüngsten Beratungen dominiert hatte. Doch bleiben wir bei der Eröffnungssequenz und sehen wir uns anschließend die für unsere Fragestellung im Besonderen aussagekräftigen Punkte an. Weil der Begriff der „Integration“ viele einzelne, oft disparate Thematiken miteinander vermengt und aus dieser Vermengung gerade seinen schillernden Charakter bezieht, ist es sinnvoll, die Eröffnungspassage der unter94 ‚Ordnend‘ nicht im normativen Sinne, sondern als Einschränkung von Kontingenz. 228
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
suchten Bundestagsdebatte genauer unter die Lupe zu nehmen die zeigt, wie der Sprecher das Konzept der „Integration“ bestimmt. Wolfgang Schäuble, der als Bundesinnenminister den Gesetzentwurf vorstellt, macht schnell deutlich, dass im Zentrum der Novellierungen wie seiner Rede das Prinzip des „Fördern und Fordern“ steht: „Darüber hinaus fördern wir mit den Vorschlägen, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, in vielfältiger Weise die Integration von Menschen, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern aus anderen Ländern und Kontinenten zu uns nach Deutschland gekommen sind. Wir fördern die Integration nach dem Prinzip ‚Fördern und Fordern‘; denn Integration wird umso besser gelingen, wenn sie nicht als Einbahnstraße verstanden wird, sondern als Verhältnis von Geben und Nehmen, wobei sich die aufnehmende Bevölkerung genauso integrationsbereit zeigen muss, wie der hinzukommende Teil bereit sein muss, sich in das Land zu integrieren.“ (20060426Plenprot16/094: 9545)
Der Sprecher führt mittels seiner autoritativen Position im Diskurs und durch die Positionierung als erster Redner der Debatte die Argumentation ein, an der sich alle folgenden Aussagen orientieren müssen. Demnach sei Integration nicht die alleinige Aufgabe der Gesellschaft, sondern die einzelnen neu Dazugekommenen müssten „sich in das Land“ integrieren. Auch dort, wo sich die „aufnehmende Bevölkerung genauso integrationsbereit“ zeige, müssten sie sich als „integrationsfähig“ erweisen. Erwartet werde, dass sie „selbst ihren Beitrag leisten“, die Sprache der Mehrheitsbevölkerung „auch sprechen müssen“ und ebenso „notfalls eine geringer bezahlte Arbeit“ annehmen müssten, eben „die Wirklichkeit unseres Landes irgendwo akzeptieren“. Scheitere die durch die Gesellschaft vorangetriebene Integration läge das daran, dass sie sich „abschotten“: „Wer sich abschottet und wer mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit unseres Landes gar nichts zu tun haben will - und die modernen Kommunikationsmöglichkeiten bieten dazu vielfältige Chancen -, der wird auf Dauer nicht zu integrieren sein.“ (20060426-Plenprot16/094: 9548)
Diese Argumentationskette ist bereits bekannt: Die Bringschuld des „sich integrieren“ in Form von Deutsch sprechen, Arbeiten, am gesellschaftlichen Leben normal teilnehmen wird gesetzt, erfolgreiche Integration letztlich an der Erfüllung dieser Kriterien gemessen. Angebote von Seiten der Mehrheitsbevölkerung bleiben diffus, die Integrationsforderung beinhaltet letztlich eine Assimilationspflicht. Im weiteren Verlauf der Debatte werden an einer Stelle die neuen Ausweisungsgründe explizit als „Stammtischpopulismen, die in Gesetzesform gegossen wurden“ kritisiert (Jelpke in 20060426-Plenprot16/094: 9552). Was an 229
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
dieser kritischen Aussage auffällt ist die permanente Notwendigkeit, sich auf die durch die Logik des Diskurses diktierten Grundannahmen zu beziehen – auch wenn diese (implizit oder zumindest nachträglich) hinterfragt werden (sollen). Die Rednerin nimmt, möglicherweise ungewollt, bekräftigend Bezug auf die Setzung der Integration als erstrebenswertes Ziel, indem sie, quasi wie eine Kurzversion dessen, was im neuen Gesetz geplant ist, davon spricht, dass „Eltern, die ihre Kinder angeblich an der Integration hindern, ausgewiesen werden sollen.“ (20060426-Plenprot16/094: 9552). Problematisiert werden anschließend folgerichtig nicht der Zwang zur Integration, sondern die fehlende Umsetzbarkeit dieser Forderung sowie die Gefahr der unbegründeten Denunziation. Die geplanten Paragraphen würden „vor allem eines“ zeigen, „das abgrundtiefe Misstrauen der Bundesregierung gegenüber Einwanderern, vor allem gegenüber Menschen aus islamischen Ländern.“ (20060426Plenprot16/094: 9552). So grundsätzlich diese Kritik klingt (und so wenig sie an anderer Stelle in der Debatte aufgegriffen wird, weil sie offenbar schon das Gebiet des zulässig sagbaren verlässt), bezieht sie sich doch affirmativ auf die gesetzte Integrationspflicht. Dies zeigt, dass die von den Vorrednern vorgenommene grundsätzliche Setzung der „Bringschuld“ der Integration bereits nicht mehr hinterfragbar ist. Diese Diskurslogik macht auch die Konstruktion der „präventiven Integration“ sagbar, worunter von einem späteren Redner der „Nachweis einfacher Deutschkenntnisse vor dem Familiennachzug“ eingeordnet wird (Grindel in 20060426-Plenprot16/094: 9554). Mit den Deutschkenntnissen sollen sie „eigene Handlungsfähigkeit“ bekommen, sollen „Subjekt des Verfahrens“ werden. Was wie ein Empowerment-Ansatz zur Stärkung der Rechte (besonders) von Frauen wirkt ist tatsächlich nur der bekannte Bringschuld-Ansatz: „Die Zuwanderer werden sich ganz anders auf ihr Leben in unserem Land vorbereiten können. Versäumnisse bei der nachholenden Integration zu beseitigen, ist richtig. Defizite zu vermeiden, indem wir mehr für die präventive Integration tun, ist aber mindestens genauso richtig.“ (Grindel in 20060426-Plenprot16/094: 9554)
Im Zuge der Konstruktion einer handlungsunfähigen, sprachlich isolierten und zum Objekt gemachten eingewanderten Frau erläutert der Redner auch die Vorstellungen davon, was mit den neuen gesetzlich definierten Ausweisungstatbeständen eigentlich genau gemeint sein soll. „Viele Zuwanderer, die auf dem Wege des Familiennachzugs kommen, sind doch in Wahrheit Objekt des Geschehens. Sie werden verheiratet, sie werden nach Deutschland gebracht, sie werden in Wohnungen gehalten, einige werden Opfer von Gewalt. In fast jedem Integrationskurs begegnet man Frauen, die 17 oder 20 Jahre in Deutschland sind, aber praktisch kein Wort Deutsch können, die ihr unmittelbares
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EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Umfeld nicht verlassen, weil sie unsicher sind oder weil sie es nicht verlassen dürfen. Familiennachzug, das war bisher oftmals Umsiedlung in eine Parallelgesellschaft.“ (Grindel in 20060426-Plenprot16/094: 9554)
Gegen das „integrationsfeindliche Verhalten“ der Garanten dieser hier drastisch ausgemalten „Parallelgesellschaft“ ist die Verschärfung des Ausweisungsrechts gerichtet. Dementsprechend sind die abschließenden Worte des Redners, die in seiner Rede als Zusammenfassung angelegt sind, innerhalb des diskursiven Ereignisses als inhaltliche Füllung des Topos „Integrationsfeindlichkeit“ zu lesen. Sie führen auf, was „in unserem Land“ nicht gewünscht ist und daher externalisiert werden soll: „In unserem Land ist kein Platz für Zwangsehen und schon gar nicht für Ehrenmorde. Von den Zuwanderern fordern wir ein, diese Voraussetzungen zu erfüllen, weil es sonst immer bei einem Nebeneinander bleiben und kein Miteinander geben wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Wir müssen den Zuwanderern in unserem Land vermitteln, dass wir gerne vieles zur Förderung der Integration tun. Aber letztlich kann sie nur gelingen, wenn sich unsere ausländischen Mitbürger in die Pflicht nehmen lassen und ihre Verantwortung, vor allem für ihre Kinder, wahrnehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration ist nicht nur eine Bringschuld des Staates, sie ist auch eine Holschuld des Ausländers.“ (Grindel in 20060426-Plenprot16/ 094: 9555)
Hier wird „die Holschuld des Ausländers“ der „Bringschuld Integration“ gegenüber gestellt. Diese Anwendung des Begriffs Integration auf die Ebene der Gesellschaft („der Staat“) evoziert jedoch nicht die Vorstellung der integrierenden Mehrheitsbevölkerung, sondern ermöglicht eine Gegenüberstellung „wir integrieren – sie müssen ihre Pflicht erfüllen“, wodurch wieder die Verantwortung beim Anderen liegt: Integration kann – beim besten Willen der Mehrheitsbevölkerung – nur gelingen, wenn die Anderen ihrer Verantwortung zum miteinander Leben nachkommen. Die weitere Debatte, besonders der zweite Termin der Beratung (und Verabschiedung des Gesetzes), drehte sich vor allem um die Regelungen zum Familiennachzug (Sprachkenntnisse für Partner/innen) und um die Bekämpfung von „Zwangsehen“ sowie um den Kompromiss zur Bleiberechtsregelung. Nur der erste Redner für die CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl, vertrat nochmals offensiv die Bedeutung der neuen Sanktionsmöglichkeiten bei „Integrationsverweigerung“.95 Eine solche möchte er „wirksamer als bisher“ sanktionieren: 95 Auch die Querverbindung von Sanktionen hin zum Schutz der Frauen vor Zwangsverheiratung wird in diesem Beitrag gezogen in Form folgender Formu231
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
„Einem Hartz-IV-Empfänger in Deutschland, der sich weigert, sich zu integrieren und ein Minimum an Deutsch zu lernen, aber gleichzeitig die Hand aufhält und Sozialleistungen in Empfang nimmt, können diese Sozialleistungen in Zukunft um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Das ist gut so.“ (Uhl in 20060614-PlenProt16/103: 10587)
Auch hier zeigt sich, wie der leere Signifikant „Integration“ gefüllt wird und was „Verweigerung“ genau bedeutet. Das Andere weigert sich, sich zu integrieren, indem es die Sprache nicht lernt und gleichzeitig Sozialleistungen erhalten möchte.
Aus Tatbeständen wird ein Medienereignis Im politischen Interdiskurs spielt der Topos der „Integrationsfeindschaft“ nahezu keine Rolle, denn die zunächst einzige Quelle für dieses Diskurselement ist die zitierte Begründung des Änderungsgesetzes (s. o.: „besonders integrationsfeindlicher Charakter“, 20070423-BTDrs.16/5065: 183), und diese hat als einzelne aus der juristischen Arena stammende Experten-Äußerung keine interdiskursive Wirkung. Zeitgleich mit der Novellierung des Ausweisungsrechts findet aber in der Arena des Mediendiskurses eine Umdeutung des „Integrationsfeindlichen“ hin zum „Integrationsfeind“ statt. Zunächst müssen wir uns vergegenwärtigen, dass der Terminus „integrationsfeindliche Haltung“ bis dato der Kritik an ausgrenzender (Innen-)Politik und Verwaltung vorbehalten war. Mit anderen Worten: Was die Integration von Migrantinnen und Migranten erschwert sei „integrationsfeindlich“ (etwa: wer diese räumlich oder symbolisch isoliert verwehre ihnen die Integration; wer ein Bleiberecht verhindert handle integrationsfeindlich, usw.). Doch nun wird, in der massenmedialen Multiplikation von Äußerungen aus der politischen Arena, eine veränderte Bedeutungskonstitution der „Feindlichkeit“ etabliert. Ende Februar 2007 wird von Nachrichtenagenturen und in der Folge von mehreren Tageszeitungen eine Meldung der Frankfurter Rundschau zitiert; diese skandalisierte unter dem Titel „Verschärftes Ausländerrecht – ‚Integrationsfeinde‘ sollen gehen“ (20070226-FR) Planungen zur gesetzlichen Festlegung eines derartigen Tatbestandes.96 lierung: „Diese frauenfeindlichen Parallelgesellschaften müssen von uns aufgebrochen werden.“ (Uhl in 20060614-PlenProt16/103: 10587). 96 Zum oben erläuterten Gesetzentwurf des Bundesministeriums des Innern von Anfang Februar 2007 hatten die Verbände Interkultureller Rat, ProAsyl und DGB wenige Tage vor dem Artikel in der FR eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht (20070223-Interkult.Rat/PROASYL/DGB). In dieser wurden einige Novellierungspunkte im Detail kritisiert, darunter auch die zusätzlichen Ausweisungsgründe (die Kritik an der Neuregelung wurde bereits im Zusam232
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
Jener kurze Beitrag weist auf ein Paket geplanter Sanktionsausweitungen hin, etwa das Bußgeld bei der Weigerung, an einem Integrationskurs teilzunehmen, und eben auch die neuen Ausweisungsgründe. Aufgrund des im Artikel verwendeten Wortlauts – „wer in ‚schwerwiegender Weise‘ die Integration von Familienangehörigen beeinträchtigt und hartnäckig durch einen ‚besonders integrationsfeindlichen Charakter‘ auffällt, soll künftig zum Verlassen des Landes verpflichtet werden können“ (20070226-FR) – ist anzunehmen, dass die Autorin entweder einen Blick in die Gesetzesbegründung geworfen oder die entsprechende Presseerklärung des BMI dazu zitiert hat, denn im Gesetz selbst (wie bereits referiert) taucht das Attribut „integrationsfeindlich“ nicht auf,97 wohl aber in der entsprechenden Erläuterung durch die Behörde. Damit war das diskursive Ereignis „Integrationsfeindschaft“ entstanden, denn nun berichteten die Medien im Zusammenhang mit dem Dissens unter den Koalitionsparteien über eine Bleiberechtsregelung bzw. in Meldungen über Fachdiskussionen (etwa in der Innenministerkonferenz) regelmäßig auch über die Einführung neuer Sanktionen. Die ursprünglich kritisch, möglicherweise skandalisierend intendierte Wiedergabe des Begriffes „Integrationsfeindschaft“ wendet sich dank ihrer komfortablen Benutzbarkeit – als Schlagwort und mythischer Signifikant98 – zu einer affirmativen Formel. Ein Beispiel: der Bericht der WELT vom 27. Februar 2007 unter dem Titel „Streit
menhang mit der Anhörung im Innenausschuss vorgestellt), und eben diese kritischen Anmerkungen gibt die Autorin der FR wieder. 97 Ebenso wenig findet sich der Begriff in der zitierten Presseerklärung der Verbände. 98 Jede Verknüpfung von Bedeutendem und Bedeutetem ist arbiträr, d.h. die Bedeutung des Signifikanten ergibt sich aus dem Kontext, in dem eine Aussage steht. Mit dem Konzept des mythischen Signifikanten (das Barthes 1991: 92 geprägt hat) ist gemeint, dass ein Zeichen zusätzlich zur primären eine sekundäre – mythische – Bedeutung erhält, wenn im Spiel der Bedeutung(en) durch den jeweiligen Kontext eine vorher nicht vorhandene Bedeutung auf einmal ‚Sinn macht‘ (Barthes 1991: 92; vgl. auch Laclau 1996: 36). Beispielsweise wird der Signifikant „islamisch“ innerhalb eines Diskursstranges wie Desintegration oder Gefährlichkeit folgendermaßen als „fremd“ bedeutsam: Die einzelne Äußerung „islamisch“ ist eine Aussage insofern, als der allgemeine Gehalt der Äußerung lautet: „hier liegt eine spezielle Religion vor“. Innerhalb der Rede von einer „Desintegration“ wird aus der Aussage-Bedeutung „Religion“ die sekundäre Bedeutung (also was nicht mehr gesagt wird sondern durch den Kontext entsteht) „es handelt sich um einen kulturellen Gegensatz zu unseren Werten“, denn darum geht es im Diskursstrang der mangelnden „Integration“. So entsteht aus dem primären Signum „islamisch = religiös“ im Diskursstrang der Desintegration das mythisches Signum „islamisch = kulturell abweichend“. Diese Abweichung kann dann als „fremd“ („vormodern“, „unzivilisiert“, „gefährlich“ usw.) verstanden werden. 233
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
um neues Bleiberecht landet im Koalitionsausschuss“ schließt mit folgendem Absatz: „Das von Schäuble geplante schärfere Ausländerrecht sieht vor, dass Ausländer ausgewiesen werden können, wenn sie sich ‚integrationsfeindlich‘ verhalten. Wer in ‚schwerwiegender Weise‘ etwa die Integration von Familienangehörigen beeinträchtige und hartnäckig durch einen ‚besonders integrationsfeindlichen Charakter‘ auffalle, solle zum Verlassen des Landes verpflichtet werden können.“ (20070227Welt).
Ähnliche referieren Artikel wie „Verschärfungen im Ausländerrecht geplant; Bleiberecht“ (20070314-Berl.Morgenpost) oder „Schäuble für Sanktionen“ (20070407-FAZ) die „Integrationsverweigerung“ – in letzterem wird das geplante Delikt nicht einmal mehr in Anführung gesetzt: „Innenminister Schäuble (CDU) will Integrationsverweigerer mit Sanktionen bis hin zur Ausweisung aus Deutschland bestrafen.“ (20070407-FAZ). Spätestens damit ist der Integrationsverweigerer als Topos eingeführt. Dazu kommt, dass in der medialen Aufbereitung die Aussagen der Politiker auf das vermeintlich wesentliche reduziert werden. In der eben zitierten FAZ-Meldung liest sich das dann wie folgt als wörtliche Zitate: „Innenminister Schäuble (CDU) will Integrationsverweigerer mit Sanktionen bis hin zur Ausweisung aus Deutschland bestrafen. ‚Wer nachhaltig seinen Integrationsverpflichtungen nicht gerecht wird und nicht will, daß seine Kinder wie Deutsche leben, hat einen Fehler gemacht, als er nach Deutschland kam‘, sagte er der ‚Berliner Zeitung‘. ‚Unsere Werte und Prinzipien müssen akzeptiert und eingehalten werden.‘ sagte der Minister. Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) riet am Donnerstag: ‚Wir müssen restriktiv gegen Zuwanderer vorgehen, die sich nicht eingliedern und unsere Regeln nicht beachten wollen.‘“ (20070407-FAZ)
Der leere Signifikant „Integrationsverweigerer“ nimmt wesentliche Distinktionselemente, die wir schon aus dem Diskursstrang der Desintegration kennen, auf. Die Binarität des Wir/Sie, ihre Abweichung gegenüber unseren Normen, das „Sich (nicht) eingliedern“ sind Qualitäten, die das integrationsverweigernde Andere inhaltlich beschreiben. Nicht der Inhalt von Integration wird verhandelt, vielmehr mündet die Benennung des Negativums „nichtintegriert sein“ (statt „nicht integriert, sondern … sein“) in der Forderung nach Anpassung, nach Assimilation („wie Deutsche leben“ wollen). Konstitutiv für diese veränderte Bewertung des abweichenden Verhaltens ist dessen aktiver Charakter. Angenommen wird eine „Verweigerung“, nicht eine bloße Unterlassung. Das Bedeutungsfeld der Nicht-Integration verlagert sich von Passivität zu Aktivität: die angenommene Feindschaft ist nicht mehr ein Verweigern durch Nichtstun, sondern ein aktiv Agieren gegen etwas (die Verpflichtung 234
EREIGNISSE DES AUSWEISUNGSDISKURSES 1996 - 2007
zur Integration, unsere Regeln und Werte). Wir haben es also mit einer veränderten Qualität der Nicht-Integration in Form einer „Feindlichkeit“ zu tun, die „Sanktionen bis hin zur Ausweisung“ sagbar werden lassen. Diese semantische Wendung ist ein bloßes diskursives Konstrukt, das allein in der massenmedialen Arena Wirkmächtigkeit entwickelt hat und doch die Kontingenz des Denk- und Sagbaren im Sinne einer Wissensordnung der Integrationspflicht entsprechend einschränkt. Nach dem Medienereignis zu den Verweigerungstatbeständen Anfang 2007 ist die Argumentationskette „Integrationspflicht kann aktiv verweigert werden – wer aktiv verweigert steht der Gesellschaft feindlich gegenüber – Feindlichkeit wird sanktioniert“ etabliert, alle folgenden Argumentationen müssen sich darauf beziehen. Am 14.6.2007 verabschiedete der Bundestag schließlich die entsprechenden Verschärfungen. In der letzten Lesung des Gesetzentwurfes schloss Hans-Peter Uhl im Namen der CDU/CSU seine Eröffnungsrede mit einer Passage, in der die sinnkonstituierende Wirksamkeit diskursiver Konzepte bestätigt wird: „Wir mussten offensichtlich Parallelgesellschaften in unseren Großstädten sich entwickeln lassen, um zu lernen, dass man Integration einfordern muss. Wir mussten offensichtlich erst zur Kenntnis nehmen, dass in einer Stadt wie Berlin jeder zweite arbeitsfähige Mensch mit Migrationshintergrund arbeitslos ist, um zu handeln. Wir mussten erst feststellen, dass im Bereich der Jugendgruppengewalt 70 bis 80 Prozent der Jugendlichen in Berlin einen Migrationshintergrund haben, um uns diesem Personenkreis intensiv zuzuwenden.“ (20070614-PlenProt16/103: 10588)
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6 Die Sa nk tionie rung von Diffe re nz
Im vorangegangenen Kapitel wurde die inhaltliche Ausgestaltung des NichtWir im Ausweisungsdiskurs detailliert beschrieben: die Spezifizierung des Anderen als für die Gesellschaft gefährlich, die Qualifizierung der Bedrohung als ‚kulturelle‘ Differenz. In Kapitel 3.3.2 wurde bereits expliziert, wie sich Anlass und Zweck des Ausweisens theoretisch trennen lassen. Nun soll deutlich werden, dass die Legitimation des Ausweisens auf diesen beiden Argumenten beruht. Die Gefahr für die Gesellschaft durch zu große kulturelle Distanz wird zum Anlass genommen, um Interventionen zu begründen. An der vermeintlich evidenten Unterscheidbarkeit von „Ausländern“ knüpft die Ausweisung als Intervention an, die letztlich diese Gegensätzlichkeit aufrecht erhält: als Schutz des Eigenen vor Gefahren von Außen. Diese bedrohliche kulturelle Distanz wird als Verschulden der Anderen wahrgenommen (Kap. 6.1). Daran anschließend kann genauer herausgearbeitet werden, durch welchen Zweck Ausweisungen diskursiv legitimiert sind. Der Ausweisungsdiskurs erzeugt zur Integration verpflichtete Andere, die nur dann als Teil der „deutschen Gesellschaft“ zugelassen werden, wenn sie anpassbar sind. Derart verstanden meint Integration die Kombination von Aussonderung und Assimilation. Das soll heißen, dass durch die Ausweisung als integrierende Sanktion zwei Kategorien des rechtlich Anderen diskursiv relevant werden. Das ausweisbare Andere bestätigt das Konzept der Norm, denn an sie soll es assimiliert werden. Das auszuweisende Andere verkörpert den Kontrast zum Eigenen, da es als unvereinbar gegensätzlich gilt und daher ausgesondert werden soll (Kap. 6.2). In Kapitel 6.3 wird schließlich die Wirkung dieses othering ausgeführt. Im affirmativen Reden über Ausweisungen wird deutlich, wie diese „deutsche Gesellschaft“ konzipiert ist, zu der das auszuweisende Andere ein konstitutives Gegenüber bildet und in die sich die ausweisbaren Anderen integrieren müssen. Die Ausweisungslogik wirkt damit als (Wieder-)Herstellung einer 237
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ordnung, die Differenz einhegt indem eine klare Trennung zwischen der „integrierten Gesellschaft“ und den ihr konträr gegenüberstehenden auszuweisenden Anderen installiert wird.
6 . 1 D e r An l a s s d e s Au s w e i s e n s Die Ausweisung, ja bereits die bloße Drohung mit der Verweisung, ist ein Mittel zur Durchsetzung von Differenzkonstruktionen. Sie beruht auf der Setzung einer gesellschaftlichen Bedrohungssituation, die ich in den empirischen Analysen herausgearbeitet habe und jetzt zusammenfasse. Die Machttechnik des Ausweisens erwies sich als ‚zuständig‘, weil Konstruktionen von „Gefährlichkeit“ den Diskurs dominierten. Die Gefahr für die Gesellschaft und die Zurechnung der Verantwortung für diese Bedrohung zu den Anderen wurden zum Anlass genommen, um eine Verweisung außer Landes zu fordern.
Das Festhalten an ausweisbaren Anderen Eingangs wurde dargelegt, dass der Ausweisungsdiskurs konstitutiv auf Differenzen angewiesen ist und zugleich Differenzen hervorbringt (s. Kap. 2). Das grundlegende Differenzverhältnis, wodurch sich die Ausweisung legitimiert, ist die Unterscheidbarkeit von „Ausländern“ gegenüber den eigenen Staatsangehörigen, den „Deutschen“. Die im Ausweisungsdiskurs bedeutende Stellung der Legalkategorie des „Ausländers“ legt den Schluss nahe, alles was nicht „inländisch“ sei, könne problemlos hinausgewiesen werden. Faktisch ist dem nicht so: auch formale Zugehörigkeitskategorien sind nicht ‚evident‘, sie haben sich erst in einem historischen Prozess herausgebildet und wandeln sich laufend. Die Kategorie des Staatsfremden und damit auch die deutsche Staatsangehörigkeit sind keine neutrale Setzung, sondern sie sind historisch gewachsene und durch politische Entscheidungen geschaffene Abgrenzungskategorien. Es handelt sich also um ein immer wieder neu hergestelltes Verhältnis, dessen inhaltliche Ausgestaltung durchaus variabel ist. Vor allem der in Deutschland überlieferte Grundsatz, dass man „deutsch“ zwar sein, aber nicht werden könne,1 gilt nicht mehr ungebrochen, denn die Realität tausendfacher rechtlich vollzogener Einbürgerungen von als Arbeitskräften eingewanderten rechtlichen Anderen und deren Kindern und Kindeskindern ist mittlerweile gesellschaftlich unumstritten.2 Der Zustand bruchloser Anwendbarkeit dieser vermeintlichen Eindeutigkeit löst sich also mehr und mehr auf. 1
2
Zum Konzept der kulturellen Homogenität des „Volkes“ vgl. Kaschuba 2008; zur klassischen ideologischen Formation des „Rassismus ohne Rassen“ vgl. Morgenstern 2002: 264. Entsprechende Phasen des Einwanderungsdiskurses beschreiben u. a. D'Amato 2001 u. Hell 2005: 61.
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DIE SANKTIONIERUNG VON DIFFERENZ
Wer in den modernen europäischen Nationalstaaten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht besitzt ist den jeweiligen Staatsangehörigen in Teilbereichen gleichgestellt. Was diese Personen von den „Inländern“ weiterhin ganz kategorisch unterscheidet ist die Gefahr, des Landes verwiesen zu werden (es handelt sich also um die ausweisbaren Anderen). Das ist in manchen Staaten weniger deutlich, in anderen deutlicher ausgeprägt; beispielsweise sind in Österreich dauerhaft im Inland lebende „Ausländer“ vor Ausweisung geschützt (s. S. 99). In Deutschland jedoch ist die Ausweisungskompetenz des Staates gegenüber allen „Ausländern“, die nicht Angehörige der EU sind, nahezu unbegrenzt erhalten geblieben ist. Hier ist die Grenze einer annähernden rechtlichen Gleichstellung von Nicht-Staatsangehörigen zu eigenen Staatsangehörigen bisher nicht überschritten worden. Nach wie vor ist in Deutschland die Einbürgerung der einzige Weg, um den Aufenthalt von Staatsfremden auch unter Bedingungen zu sichern, die der deutschen Gesellschaft nicht nützen – zumindest ist dies im Konzept der Ausweisung so angelegt und soll durch sie gesichert werden. Und der formal inkludierende Schritt der Einbürgerung wird beim Vorliegen von Ausweisungsgründen bekanntlich verhindert (s. S. 93). In den deutschen Ausweisungsdebatten der vergangenen Jahre bildet sich also die Tendenz ab, an einer scheinbar eindeutigen Differenzsetzung festzuhalten, um symbolische Distanz zu erzeugen. Diese Tatsache macht deutlich, dass weiterhin die Vorstellung eines Status des „letztlich nicht wirklich Dazugehörens“ die deutsche Situation strukturiert. Die Exklusionstechnik des Ausweisens soll weiterhin zur Beschränkung von Teilhabechancen zur Verfügung stehen. Nutzen Staaten dieses Mittel nicht (mehr), führt der langfristige Aufenthalt dort zur faktischen bzw. impliziten Akzeptanz als FastStaatsbürger, der formale Erwerb der Staatsangehörigkeit wird zu einem stärker deklaratorischen Akt (ohne die symbolische Bedeutung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit damit zu mindern). Auch durch Unionsrecht wird die Ausweisungskompetenz der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten deutlich eingeschränkt (s. Kap. 3.3.1). Für das deutsche Ausschlussparadigma ist die derartige implizite Inklusion von Nicht-Staatsangehörigen skandalös. In Deutschland scheint sich in Reaktion darauf die symbolische Abgrenzung des auszuweisenden Anderen zu verschärfen. Obwohl laut EU-Recht nur noch bei konkreter personalisierbarer Gefährdungsprognose eine repressive Sanktion von Abweichung möglich ist, werden in Deutschland weiterhin Rechtsnormen mit kollektiv ausschließender Wirkung gefordert.3 Alle derartigen Verschärfungen im deutschen Recht sind aber populistischer Art: sie geben vor, auf Handlun-
3
Die genannte Tendenz dauerte auch Ende 2009 an, als der niedersächsische Innenminister erklärte, die Straffung der Regelungen würde „wieder zu mehr Ausweisungen von straffälligen Ausländern“ führen (20091204-Nds.MI). 239
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gen der Anderen zu reagieren, auch wenn sie tatsächlich nicht (mehr) zur Erleichterung der Ausweisung führen.
Die Gefahr für die Gesellschaft Die Deutung verschiedener Ereignisse als „Krieg“ oder „Terror“ beruht auf einer Wahrnehmung, nach der die deutsche Gesellschaft von außen bzw. durch ihr fremde Kräfte bedroht wird. Durch diese diskursive Position wird das eben beschriebene Differenzverhältnis zwischen einem Kollektivsubjekt und den in das gesellschaftliche Außen projizierbaren Anderen festgeschrieben. Die Verletzung von demokratischen Regeln der politischen Einflussnahme oder der öffentlichen Meinungsäußerung im Kontext der „KurdenKrawalle“ wird zu kulturellem Konflikt umgedeutet. Dies unterstreichen die Begründungsfiguren, die ich in Kapitel 5.1.2 ausführlich beschrieben habe: die postulierte Gefährdung des „Gemeinwesens“ in „unserem Land“ und die „Kriegserklärung an Deutschland“, an „unseren Rechtsstaat“ oder schlicht „an uns“. Darin steht die Konstruktion formaler neben der kultureller Differenz. Die rechtliche Differenzsetzung zwischen den eigenen Staatsangehörigen und den Anderen etwa in der Knüpfung des Aufenthaltsrechts an das „Gastrecht“ und dessen angeblichen Missbrauch wird zu einer unhintergehbaren Weltsicht, wenn parallel dazu die Sichtweise dominiert, dass die rechtlichen Anderen tatsächlich anders sind. Sie sind von uns durch kulturelle Praktiken unterscheidbar, die sie mitgebracht haben, wie etwa die blutige „archaische“ Gewalt oder den „heißen Tanz“ des „Krawallreigen.“ Die ‚mitgebrachte‘ Kultur wird dabei als das Verhalten determinierend und durch Migration räumlich transferierbar konzipiert. Implizit zeigt diese Differenzsetzung, dass das Eigene als höherwertig imaginiert wird, als modern und zivilisiert, demokratisch geordnet und rechtsstaatlich, urban und demokratisch statt ländlich und feudalstaatlich. Das Wir wird damit zu einer kulturellen Norm, an der die Abweichung des Nicht-Wir gemessen wird, und das sich in dieser Operation aufwertet. Zudem sind alle Verschärfungen des Ausweisungsrechts nach 2001, sowohl jene, die in der Kombination der Diskursstränge Gefährlichkeit und Islamismus sagbar wurden (s. Kap. 5.3), als auch die durch das Topos Integrationsverweigerung legitimierten (s. Kap. 5.4), offensichtlich anti-islamisch ausgerichtet. Dieser Umstand geht jedoch aus dem Gesetzestext, der weltanschaulich neutral formuliert ist, an keiner Stelle hervor. Vielmehr wird im Kontext der Novellierungen deutlich, wie das Gefährliche implizit als kulturell Fremdes plausibel gemacht wird. Der etablierte Topos der „Ausländerkriminalität“ erfährt hier eine spezifisch kulturalistische Ausgestaltung. Die ‚mitgebrachten‘ Verhaltensweisen, die noch im Kontext der „Kurden240
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Krawalle“ als essentieller Kern der fremden Kultur gedeutet wurden, sind im Zuge der Deutung als „islamistische“ Bedrohung zu einer ideologisch/religiös bestimmten Differenz geworden. Das Festhalten an den kulturell fremden Traditionen wird nun als eine bewusste Entscheidung gegen die Kultur des Aufenthaltslandes gedeutet, die analog zum terroristischen Kampf gegen unsere Werte funktioniert. Integrationsverweigerung in Form von „Ehrenmord“ und „Schul-Terror“ ebenso wie der Aufruf zu Terroranschlägen werden damit als gewalttätige Ablehnung der westlichen Liberalität, Rechtsordnung und Gleichberechtigung der Geschlechter bewertet. Das diskursive Feld der Bedrohungskonstruktion im Kontext der AntiTerror-Gesetzgebung 2002 und 2004 zeichnet sich durch Annahmen, Projektionen und Tautologien – gefährlich ist, wer als gefährlich gilt – aus (s. Kap. 5.3). Im Diskursstrang der Ausweisung als Reaktion auf terroristische Bedrohung ist es möglich, nicht nur eine weltpolitisch eher abstrakte Gefahr, sondern konkrete Gefährder zu identifizieren. Der Ausweisungsdiskurs fixiert das Gefährliche angesichts einer allgemein begründeten „Bedrohungssituation“ als religiösen bzw. islamistischen Terrorismus. Dabei weicht die ordnungsrechtliche Logik im Ausländerrecht an einem wichtigen Punkt von Grundregeln des Strafrechts ab: dort ist stets die Tat der Anknüpfungspunkt einer Intervention. Das Tatstrafrecht bestraft ein konkretes Delikt und nicht die Person. In der präventiven Ausweisungslogik ist das Täterprinzip (s. Kap. 5, FN 62) dominant, das die Begründung einer Sanktion in die Person des Abweichenden projiziert. Diese deutliche Betonung des Seins eines „Ausländers“ – in Absetzung von seinem Verhalten – bei der Sanktionsbegründung ist aus der Geschichte des deutschen Ausweisungsrechts bekannt, das ab 1965 die direkte politische Nutzung der staatlichen Ausweisungskompetenz ermöglichte (s. S. 80). Im juristisch-politischen Diskurs nach 2001 wird es plausibel, Gruppenzugehörigkeit zum Anknüpfungspunkt von Sanktionen zu nehmen. Die Gruppe der Muslime in Deutschland wird damit als Träger einer diffusen, allgemein anzunehmenden Bedrohung ausgemacht. In der Praxis manifestiert sich diese Differenzsetzung in der Deutung einer explizit islamisch bestimmten ‚gefährlichen‘ kulturellen Fremdheit als Bedrohung für die deutsche Gesellschaft. Der offensichtlich kulturalistische Kurzschluss von einer zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit – islamische Religion – auf ein als determinierend verstandenes Verhaltensrepertoire – extremistisch und gefährlich – wird durch spezialdiskursive Wahrheitssetzung untermauert. In der massenmedialen diskursiven Praxis wird diese Kulturalisierung besonders sichtbar in der Bedeutung des Topos „Hassprediger“.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
„Ausländische“ Täter und „deutsche“ Gesellschaft Die Verwendung der rechtlichen oder verwaltungstechnischen Kategorie „Ausländer“ zur Bezeichnung einer Realgruppe ist weder umgangssprachlicher Lapsus noch gezielte Täuschung. Vielmehr ist das Konzept der fremden Kultur(en) ein Paradigma, das die „ausländische Herkunft“ und den „hohen Ausländeranteil“ zu bedeutungstragenden Aussagen werden lässt. Erst durch eine kulturalistische Aufladung der formellen Kategorie „Ausländer“ lässt sich diese schon an sich zur Erklärung sozialer Verhältnisse einsetzen. Angenommen wird dabei der Kontrast der Anderen zu uns, der in deren kultureller Unterschiedlichkeit begründet ist, und in die Forderung nach kultureller Assimilation münden kann. Damit wird eine doppelte Konstruktionsleistung vollzogen: zunächst wird die Gruppe der „Ausländer“ homogenisiert und zur praktischen Nutzung (etwa in der PKS) konzeptuell ontologisiert. Gleichzeitig wird diese zunächst rein differentiale Kategorie durch kulturelle Differenzsetzung gefüllt; „ausländisch“ bedeutet dann, in seiner Gesamtheit dem Eigenen kulturell fremd. Diese Setzung ist sag- und verstehbar, denn in der diskursiven Praxis ist die Spezifizierung dieser (unterstellten) Fremdheit stets der Ausgangspunkt, um auch die Qualität des Eigenen zu bestimmen. Demnach kann als „typisch deutsch“ die Sprache gelten, wenn die Anderen diese nicht beherrschen. Ebenso nimmt angesichts der „Ausländerkriminalität“ eine Rechtsordnung Gestalt an, die als unsere Ordnung erscheint. In dieser herrsche Gerechtigkeit und Emanzipation der Frau, wozu wiederum der religiöse Fundamentalismus als Begründungs- und Kontrastfigur fungiert. Wenn alltägliches Verhalten der Anderen als primär religiös abweichend interpretiert wird, ist schließlich sogar die Anrufung unseres „christlichen Erbes“ denkund sagbar. Darin aktualisiert sich ein historisch gewachsenes Verhältnis von nationalstaatlich verfasster Gesellschaft und „Ausländern“, das Statusunterschiede auf der Grundlage einer behaupteten Wesensdifferenz bewirkt. Dies ist also keine Konstruktionsleistung spezifisch des Ausweisungsdiskurses und nur dessen allein. In ihm wird aber diese wirkmächtige Differenz auf spezifische Weise perpetuiert und kulturalistisch ausbuchstabiert. Seine diskursive Praxis identifiziert eine ethnisierte Differenz und skandalisiert damit nicht soziale, sondern kulturelle Unterschiede. Anpassung im Sinne von Akkulturation wird zum Desiderat. Deutlich wird diese Diskursordnung in der Bezeichnung Mehmets als „Produkt dieses Landes“. Darin scheint die Komplexität durch, die jede eindeutige Zuordnung zum Land seiner Staatsangehörigkeit ausschließt, aber auch nicht zuzulassen scheint, ihn einfach als „Münchner“ oder „Jugendlicher“ zu bezeichnen. An der Markierung von Andersartigkeit festzuhalten scheint diskursiv erforderlich zu sein, denn die überwiegenden Bezeichnungen sind eindeutige nationale Zuschreibungen wie „junger Türke“ oder „tür242
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kisches Kind“. So wird das komplexe Verhältnis zwischen formalem Status, persönlicher Biographie und Geschichte der Einwanderung nach Deutschland wieder auf ein scheinbar eindeutiges Differenzverhältnis reduziert. In der diskursiven Praxis wird hegemoniale Wahrheit zulasten alternativer Sichtweisen festgelegt. Schließlich wird durch die Rede vom „Gastrecht“ (deren Wirksamkeit seit mindestens Mitte der 1990er Jahre nachgewiesen ist; s. Kap. 5.1.3) die Annahme selbstverständlich, dass das Verhalten als Gast allgemein geteilten und daher nicht zu explizierenden Regeln gehorche. Durch die Rede von einem „legitimen Sicherheitsempfinden der Bevölkerung“ wird sagbar, dass ein entsprechend abweichendes Verhalten der Anderen automatisch zu Rassismus führe. Wenn sich „Ausländer“ nicht wie Gäste verhielten, hätten sie es selbst zu verantworten, dass sie bei der Mehrheitsbevölkerung auf Ablehnung träfen. In der Diskussion um das Fehlverhalten „Mehmets“ taucht das identische Argument auf: derartige „kriminelle Karrieren von großer Gefährlichkeit“ berechtigten die Mehrheitsbevölkerung, ausländerfeindlich zu sein; eine Ausweisung sei daher notwendig, um derart scheinbar wohlbegründetem Rassismus vorzubeugen (s. S. 174ff).
Desintegration als Absage an die herrschenden Normen Wie wir in Kapitel 5.2 gesehen haben produzieren maßgeblich juridische Argumente den „Serienstraftäter“ als Adressat einer Ausweisung. Diese Formalismen verstärken den Machteffekt bestehender ausländerrechtlicher Grundannahmen und schreiben diese angesichts einer Situation fest, in der vermeintliche Eindeutigkeiten in Frage gestellt werden. Im Erlaubnisvorbehalt des Aufenthaltsrechts manifestiert sich die Definitionsmacht über Einreise und Aufenthalt, ja die Souveränität des Nationalstaats ist geradezu an die Differenzsetzung zum Anderen gebunden, denn das formal-rechtlich „Eigene“ existiert nicht ohne das (Staats-)Fremde (was am Verhältnis „besonderer Schutzpflichten“ des Staates gegenüber den Staatsangehörigen zu erkennen ist, s. das Zitat S. 34). Darüber hinaus liegt in diesem Fall ein lediglich temporärer Aufenthaltstitel vor. Die Existenz „Mehmets“ in Deutschland ist also prekär, seine physische Präsenz symbolisch auf Temporalität beschränkt (was im Übrigen auf kurdische Flüchtlinge der 1990er Jahre ebenso, auf die „Familie Sürücü“ gerade nicht zutrifft). Neben der ausgrenzenden Symbolik dieses Vorbehalts wirkt hier die im Rotationsprinzip (s. Kap. 5, FN 88) angelegte Regulationsfunktion weiter. Durch die Erfordernis, den Aufenthalt periodisch neu beantragen zu müssen, erwächst dem Ausweisungsrecht eine zusätzliche, verdeckte Macht (s. S. 92). Was dabei wie das Walten einer blinden Justitia aussieht – formelle Regeln, die für alle als anders Markierten gleich gelten – ist tatsächlich eine 243
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Konstruktionsleistung, die individuelle Faktoren wie die Biographie und die soziale Lage in rechtliche Kategorien der gesellschaftlichen „Verwurzelung“, des „öffentlichen Interesses“ oder den „Bindungen an das Herkunftsland“ zu überführen sucht. Damit treten dem juridisch als eindeutig definierten Kriterium der Staatsangehörigkeit ‚kulturelle‘ Faktoren zur Seite, um die ‚tatsächliche‘ Fremdheit des Betreffenden zu plausibilisieren: Mehmets fehlende Sprachkenntnisse und als signifikant bewertete familiäre Bande (denn eine „ausländische“ Herkunft des in München Geborenen liegt ja nicht so ohne Weiteres auf der Hand). Hier wirkt zudem seine Ablehnung unserer Regeln oder seine Unfähigkeit dazu, sich bei uns einzufügen; Ausweisung wird so zur Konsequenz einer Entscheidung gegen die Rechtsordnung. „Mehmets“ Kriminalität wird als Inkompatibilität zur ‚deutschen Gesellschaft‘ gedeutet. Die „schwerwiegende Gefahr“, die durch seine Straftaten für uns ausgeht, führt zum Entzug des Aufenthaltsrechts. Der Bruch von Normen gilt dieser Konstruktion als Fehlen grundlegender Werte, als fehlende Orientierung an der „Leitkultur“. Devianz ist damit weder individuelle noch soziale Anomie, sondern eine auf die Ebene der Kultur transferierte Differenz. Noch deutlicher kulturalisiert wird die Sanktionsbegründung anlässlich des „Ehrenmord“-Prozesses und der analog dazu verlaufenden Debatte um die „Gewalt-Schüler“ (was sich 2007 in der Verschärfung des Ausweisungsrechts niederschlägt). Dort ist die Quelle der Abweichung sowohl eine mitgebrachte Differenz zur Mehrheitsbevölkerung als auch eine praktizierte Ablehnung der hegemonialen Normen. Die Postulierung einer derart ‚offensichtlich‘ bestehenden und negativ besetzten Abweichung des Anderen bildet den direkten Anknüpfungspunkt für Interventionen. Eine explizite Forderung an die Anderen, sich zu integrieren, wird sagbar als klar ist, dass Abweichungen – von Respektlosigkeit an Schulen über Gewalt in Familien bis hin zu schweren Verbrechen wie Mord – kultureller Differenz zugeschrieben werden können. Mehrere Begründungsfiguren liefern dazu Versatzstücke ‚kultureller‘ Differenz. Die „ausländische Familie“ wird explizit zum Akteur, der sich „nicht integrieren will“. In dieser ‚Sippe‘ werden Kinder nicht erzogen, Frauen unterdrückt oder sogar getötet. Die Sprache bildet den Kern der Kultur, die Gemeinschaft gilt daher als gespalten, wenn die Anderen die deutsche Sprache nicht beherrschen. Deshalb wird auch die versagende Schule zum Skandal. Diese Institution ist nationalstaatlich höchst bedeutsam, weil sie vollwertige Mitglieder erzeugen soll, indem sie nationale Sprache, Werte und Wissen vermittelt. Die „deutsche Alltagskultur“ nimmt gegenüber den aus „ihrer Heimat mitgebrachten Sitten“ der Nicht-Deutschen Gestalt an. In der „Paral-
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lelgesellschaft“ wird schließlich kollektiv die Integration verweigert, diese und die „deutsche Gesellschaft“ sind rhetorisch getrennt.4 Dieser Nexus von Kultur und Kriminalität findet sich in mehreren von mir untersuchten Ereignissen. Die ‚kurdische‘ Gewalt zeichnet sich als mitgebrachte kulturelle Praxis aus, der Ehrenmord ist nichts anderes als ein archaisches Ritual, transferiert aus einer fernen Welt. In der Parallelgesellschaft gelten Regeln und Werte, die aus anderen Kontexten stammen und daher zu den unseren konträr sind. Zudem erinnert die Rede von den „legitimen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“ im Zusammenhang mit der Terrorismusgefahr nach 2001 stark an die Rede von einem „legitimen Sicherheitsempfinden der Bevölkerung“ im Kontext der Kurdenkrawalle 1996. Darin wird ein Kollektivsubjekt generiert – die Bevölkerung – das der Bedrohung gegenüber steht. Damit kommt die Gefahr von außen, ist jedenfalls nicht in der Gruppe zu suchen, die als „Bevölkerung“ bezeichnet wird. Marginal bleibt im diskursiven Geschehen die Deutung des unterstellten Verweigerungsverhaltens als strategisch-interaktives Moment der Aufrechterhaltung oder Verschärfung von (auch ethnisierter) Differenz und damit die Spiegelung von Anderssein, das gesellschaftlich zugeschrieben ist. Vielmehr werden konkrete Handlungen essentialistisch ausgelegt: durch die Zwangsjacke des statischen Kulturmodells könnten die Anderen gar nicht anders, als fremd zu sein. Erst die Aufgabe der fremden und die Annahme unserer Kultur kann zum notwendigen Grad der kulturellen Nähe führen, der ‚Integration‘ zur Folge hat. In der Ausdeutung von Straftaten als kulturelle Differenz wird abweichendes Verhalten wie „Gewalt“ oder „Disziplinlosigkeit“, später auch Mord, durch die Differenzsetzung ‚deutsch-ausländisch‘ an die Anderen gekoppelt. Auf diese Weise wird sowohl mit dem „Fall Mehmet“ als auch im Kontext der „Integrationsunwilligkeit“ 2006/2007 eindeutige Zurechnung von Verantwortlichkeit produziert. Die Eigenschaft Problem wird damit mit dem Merkmal Herkunft verknüpft – eine Kulturalisierung sozialer Verhältnisse, die so nicht zwingend ist, sondern durch diskursive Regeln möglich wird und sich in der diskursiven Praxis durchsetzt. Ausweisung ist damit Reaktion auf ‚kulturfremdes‘ Verhalten und gleichzeitig Zwang zu kultureller Anpassung.
4
Bukow deutet diesen Vorgang als exklusiven Nationalismus: durch Verwaltung und andere staatliche Institutionen wird „negative Integration“ „inszeniert“, d.h. erst erfolgt eine erzwungene soziale Segregation, dann der Vorwurf einer Parallelgesellschaft des ethnisierten und kriminalisierten Anderen (Bukow 2008: 174). Erst Halm/Sauer 2004 unterzogen die tatsächliche Existenz parallelgesellschaftlicher Strukturen einer kritischen Prüfung und kamen auf der Grundlage von Längsschnittdaten der Stiftung Zentrum für Türkeistudien von 1999-2003 zu dem Ergebnis, dass zumindest hinsichtlich der türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten eine ökonomische Segregation nicht aufzuzeigen sei. 245
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Wandel des Integrationsarguments Noch in den Debatten zur Ausweisung „Mehmets“ 1998 wurde die Ausweisung nicht an das Problem der Integration angebunden, sondern war ausschließlich als Reaktion auf Devianz konzipiert. Integration war damals nur ein Indikator für andere Merkmale, wie die soziale Lage von „Mehmets“ Eltern, seine mangelnde Schulbildung oder seine geringen Zukunftschancen. Integration war in diesem Zusammenhang keine Forderung, kein Ziel der Ausweisung. Sanktionen wurden nicht mit dem Ziel legitimiert, Integration erreichen zu wollen, vielmehr diente der Hinweis auf fehlende Integration entweder der Begründung von Devianz oder der Zulässigkeit von Ausweisungen – er sollte jedoch nicht die Notwendigkeit einer Ausweisung belegen: „Erst kurz vor ihrem 16. Geburtstag kehren die Jugendlichen nach Deutschland zurück ohne Sprachkenntnisse und Integrationschancen. Eine kriminelle Laufbahn ist so oft programmiert.“ (19980420-Focus) „Weil ein Kind seines Alters nicht ohne Eltern fortgeschickt werden darf, müssen Yusuf und Gülsen Aslan mit. Von ihnen behauptet Uhl, sie seien sowieso ‚nicht integriert‘, weil sie die deutsche Sprache ‚kaum beherrschen‘. Es sei ein ‚harter Eingriff zu sagen, packen Sie Ihre Koffer‘, räumt Uhl ein. ‚Aber im Geiste haben sie ihre Koffer ja schon gepackt, die wollen als Rentner doch zurück in die Türkei.‘“ (19980527-SZ)!
Als der Bundesrat im Sommer 1998 die Ausweisungsverschärfung debattiert, wird Integration im Zusammenhang mit räumlicher Segregation, Bildung und Sprachkenntnissen verhandelt; die Kriminalität „ausländischer“ Jugendlicher ist 1998 noch ein separat diskutiertes Thema. Erst als das Integrationsdefizit per se zum Ausweisungstatbestand erhoben wird, ist ein diskursiver Wandel vollzogen. In einem Bericht über das abschließende BVerwG-Urteil zum „Fall Mehmet“ wird im Jahr 2002 erstmals, und von Seiten der Politik strategisch gesetzt, die Unmöglichkeit der Integration angeführt: „Der bayerische Innenminister Beckstein (CSU) bedauerte die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Die Bevölkerung habe nicht das geringste Verständnis dafür, daß jugendliche ‚Intensivstraftäter‘, die nicht zur Integration fähig seien, ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik erhielten.“ (20020717-FAZ)
Ebenso verlagert sich parallel dazu der Kernpunkt dessen, was in den 1990er Jahren „Ausländerkriminalität“ genannt wurde. 1998 entzündete sich eine massive öffentliche Debatte noch an der Ausweisung eines „Intensivtäters“. Fast zehn Jahre später waren es 2007 die „Parallelgesellschaften“, die im Parlament die Verschärfung des Ausweisungsrechts legitimierten. In beiden Fällen ging es um die Frage, welche Rolle Devianz bei der Bewertung „geglück246
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ter Integration“ spielt. In den Ausweisungsargumenten zum „Fall Mehmet“ wurde das prototypische Nicht-Wir in Form eines „ausländischen jugendlichen Mehrfachtäters“ erzeugt. Demgegenüber besteht mit der Berichterstattung über „Schulgewalt“, „Ehrenmorde“ und Schäubles „wer sich nicht integriert wird ausgewiesen“ der Jahre 2006 und 2007 der Kontrast zum Wir in der kollektiven Ablehnung des deutschen Rechtssystems. Schon angesichts des zunehmenden Ausweisungsschutzes für in Deutschland Geborene in der zweiten Hälfte der 1990er wird die Anbindung von Kriminalität an Eigenschaften der Anderen diskursiv mobilisiert. Sie setzt sich aber als normative Integrationspflicht erst mit der Konstruktion des zwar nicht strafrechtlich, aber ausweisungsrechtlich relevanten Deliktes der „Integrationsverweigerung“ im Jahr 2007 durch. Spätestens mit der Wandlung des Arguments der „Integrationsfeindschaft“ von struktureller Diskriminierung aus einer machtvollen Position heraus zu individuellem Verhalten tendenziell Benachteiligter Anfang 2007 ist die Argumentation, dass fehlende Integration eine Bedrohung für die Gesellschaft ist, durchgesetzt (s. S. 232ff). Die Folgerung, Desintegration von Seiten der Anderen sei gesamtgesellschaftlich problematisch, beschreibt ein Bedrohungsszenario, das der Gefährdung durch Kriminalität, Gewalt und Terror gleich kommt. Fehlende Integration ist dann nicht mehr die Beschreibung einer sozialen Situation, die wiederum von anderen Faktoren abhängig ist. ‚Integration‘ ist kein Indikator-Konzept mehr. Vielmehr handelt es sich nun um ein Regelungskonzept. ‚Integration‘ wird zum ausschlaggebenden Faktor, wenn es um Stabilität, Frieden, Demokratie, Recht, um das Soziale an sich geht. Sie zu beeinflussen heißt, ‚an einem Regler zu drehen‘ und den Zustand der Gesellschaft als Ganzes beeinflussen zu können. Wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen also nichts für ihre Integration tun, ja sich sogar gegen ihre Integration wehren, dann sind sie es, die Probleme, Konflikte, das Auseinanderfallen der Gesellschaft usw. zu verantworten haben. Dies gilt umso mehr, je mehr sich ihr Desintegriert-Sein in der Gesellschaft ausbreitet, als auszuweisendes Anderes zunehmend schwer oder gar nicht mehr kontrollierbar wird – eben ent-integriert. Die Abweichung der Anderen in Form defizitärer „Integration“ stellt in dieser Leseweise den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft in Frage. Integration wird in dieser Argumentationskette nicht inhaltlich gefüllt. Defizitäre Integration ist nun kein Problem der Gewalt, der Armut, der Perspektivlosigkeit an sich mehr, es geht nicht länger um einzelne Symptome. Nun steht stattdessen die Gefahr im Mittelpunkt, die von der „fehlenden Integration“ als Summe aller genannten (und bei den Diskursteilnehmenden assoziierten) Einzelsymptome für die deutsche Gesellschaft als Ganzes ausgeht. Die ungenügende Integration ist nicht mehr eine Folge gesellschaftlicher Pro-
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zesse, sondern sie wirkt als deren Begründung. Das Explikandum „Integration“ wird zum Explikans.
6 . 2 D e r Zw e c k d e s Au s w e i s e n s Die Bewertung von einer die Norm bestätigenden Anpassung als geglückt, von einer gescheiterten Anpassung als für die Gesellschaft potentiell gefährlich, legitimiert wie dargestellt bestimmte Sanktionen. Das affirmative Reden über Ausweisung verknüpft die beiden Sanktionszwecke Repression und Prävention miteinander. Repressiv, also in Strafanalogie, werden erstens die im eben erläuterten Sinne ‚störenden‘ und ‚gefährlichen‘ Auszuweisenden aus der „deutschen Gesellschaft“ entfernt. Zweitens nähert die Ausweisungspraxis dem Konzept nach vorbeugend, also präventiv, die ausweisbaren Anderen an die hegemonialen Normen an. Damit werde der Wille der Mehrheitsbevölkerung zur Akzeptanz des Anderen aufrechterhalten.5 Analog zur Ahndung einer Tat durch die Strafe reagiert das Ausweisen auf das abweichende Individuum im engeren Sinne repressiv durch Ausschluss. Analog zur strafrechtlichen Sanktion – die auch einen inneren Ausschluss durch das Gefängnis kennt – wird der Täter aus der Gesellschaft ausgesondert, eine fortgesetzte Normverletzung ist verhindert. Die Identifikation des auszuweisenden Anderen, dessen Bestimmung innerhalb der Gruppe der ausweisbaren Anderen, führt zu dessen physischer oder symbolischer Aussonderung; individuelle Abweichungen werden aus der Gesellschaft getilgt. Dies nimmt Bezug auf die inhaltliche Spezifizierungen der sanktionierbaren Abweichungen, die ich als Differenzkonstruktionen in Kapitel 6.1 ausführlich dargelegt habe. Sie laufen zunehmend auf den Anspruch zu, eine ‚integrierte Gesellschaft‘ zu garantieren. Die Bestimmung dieser ‚Integration‘ besteht in der unausgesprochenen Norm, die durch die Wahrnehmung der „deutschen Gesellschaft“, die Ausgangs- und Endpunkt der Integration ist, erzeugt wird. In den typischen Aussagen zum behaupteten Integrationsunwillen, etwa im Stil „Wer sich hier nicht integrieren will, sollte das Land verlassen“ (20060417-FOCUS), werden kaum konkrete, durch Ausweisung zu sanktionierende Delikte genannt, sondern allgemeine Kriterien wie Sprache oder Devianz aufgeführt. Der generalpräventive durch Ausweisung erzielte Zweck ist deren Auswirkung auf die ausweisbaren Anderen. Durch die Entfernung besonders abweichender Faktoren werden die zu Integrierenden in ihrer Gesamtheit näher
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Die weiteren Kategorien des Nicht-Wir, die nicht ausweisbaren sowie die frei verfügbaren Anderen, thematisiere ich hier nicht weiter, da sie für die Begründung der ‚integrierenden Sanktion‘ keine Rolle spielen.
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an das Integrationsziel herangebracht. Die Selektion zwischen nützlich und schädlich, zwischen angepasst und fremd, die in das Entfernen der abweichenden Elemente münden kann, erhöht den Grad der Integration des verbleibenden Kollektivs durch dessen Reinigung von negativen Einflüssen, der Grad seiner Normtreue wird insgesamt erhöht, die „Integration“ verbessert. Die permanente Bedrohung, bei Fehlverhalten das Aufenthaltsrecht zu verlieren, ist also eigentlich für die Ausweisbaren „nützlich“. Die zu befürchtende Sanktionierung hilft dieser Logik nach auch den rechtstreuen „Ausländern“, denn als eine Folge ihres Wohlverhaltens erfolgt ihre „Integration“. Nicht der Einzelne wird durch Ausweisung besser „integriert“ (genau das Gegenteil, der Ausschluss, ist ja der Fall). Vielmehr sinkt die Gefahr andauernder desintegrativer Tendenzen für die in der deutschen Gesellschaft Verbleibenden, wenn die hartnäckigen Störungen der Integration tatsächlich entfernt werden. Die im weiteren Sinne präventive Verhinderung von Abweichung wird also nicht primär durch einen direkt verhaltenssteuernden Effekt der Ausweisungsdrohung erzielt. Auch wenn die individuelle Normbefolgung in Antizipation einer möglichen Sanktion denkbar ist,6 ist dieser Ansatz hier nicht das Hauptargument. Vielmehr wird das gesamte Kollektiv derer, über deren Verbleib im Falle desintegrativer Tendenzen disponiert werden kann, zum Adressaten solch korrektiver Ausweisungen. Wie wir etwa am Beispiel der „Kurden-Krawalle“ gesehen haben, führt die „Begehung von Straftaten“ durch „Ausländer“ dazu, dass die Mehrheitsbevölkerung ihr Angebot zurückzieht, die Integration dieser „Ausländer“ zu „verbessern“. Die Identifikation der auszuweisenden Anderen ist nach dieser Logik erforderlich, um den Willen der Mehrheitsbevölkerung zur Akzeptanz der sich integrierenden ausweisbaren Anderen nicht zu gefährden. Diese Argumentation wird in der Begründung der Ausweisung „Mehmets“ ebenso sichtbar wie im Falle der „integrationsunwilligen“ Familie Sürücü, die zur Ausreise aufgefordert wird. Eine derartige prinzipielle Setzung der rechtlich Anderen als kollektiv benachteiligt legitimiert nahezu jede Forderung nach Anpassung als „Bringschuld“ der Gäste. Diese hätten vollständig zu akzeptieren, was sie anträfen und dann erst wäre eine Akzeptanz für das Verbleiben der Anderen durch die Mehrheitsbevölkerung denkbar, dann erst würde sich das Wir nicht mehr bedroht fühlen. Insofern stellt die Ausweisungsdrohung keinen individuellen, sondern einen kollektiven Assimilationsdruck her. Damit wird eine Differenz zwischen unseren Regeln und ihrer Abweichung behauptet, die von der Norm als etablierte Entität ausgeht. Die repressive Reaktion auf einzelne Abwei-
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Dies wäre die negative Generalprävention im engeren Sinne, bei der die potentiellen Täter vor Augen geführt bekommen, welche Folgen abweichendes Verhalten für sie haben kann, und die bei ihnen zu normkonformem Verhalten führen soll. 249
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
chungen kann damit für das Kollektivsubjekt versichernd wirken, denn dadurch wird die Norm des ‚richtigen‘ Verhaltens durchgesetzt. Beide Perspektiven – Anpassung an die Norm und Abweichung als Kontrast – machen freilich nur dann Sinn, wenn eine Norm bereits fraglos angenommen wird. Auch wenn die Abweichung der Normkonstruktion tatsächlich stets vorgängig ist,7 erscheint sie durch diese Anrufungen als Ausweisbares bzw. Auszuweisendes als rückwirkende Bestätigung des Kollektivsubjekts. Damit wird die Differenz zwischen unseren Regeln und ihrer Abweichung bestätigt, die Differenzsetzung aktualisiert. Die Einhegung von Differenz durch Aussonderung und Anpassung ist somit weit mehr als ein binär kodierter Ausschluss. Sie bewirkt die Identifikation von separat zu sanktionierenden Differenzen, also eben nicht nur die räumliche Verweisung des Auszuweisenden sondern auch die Aussonderung dessen, was nicht mehr oder noch nicht zu assimilieren ist, durch die integrierende Sanktion.
Die integrierende Sanktion Wird das Ausweisen als integrierende Sanktion verstanden, kommt das dargelegte Regelungskonzept des Integrationsbegriffs zum Einsatz. „Integration“ ist demnach etwas, das den gesellschaftlichen Frieden bedingt und das von den Anderen erbracht werden muss. Lebten die Anderen in einer Parallelgesellschaft sei die Integration gescheitert, der von den Anderen geforderte Beitrag fehle. Daher könnten Wir diese Integration einfordern und fehlende Schuldigkeit sanktionieren. Integration ist damit kein gesellschaftliches Ziel mehr, sondern ein Mittel, um das Ziel zu erreichen: die an eine fiktive „Leitkultur“ angepasste, oder mit anderen Worten, integrierte Gesellschaft. Integration wird zum ‚Regler‘, durch den Aussonderung und Assimilation produziert wird. Dies bedeutet einerseits, Integration assimilativ zu verstehen und die Disziplinierung der abweichenden ausweisbaren Subjekte zu erzwingen.8 Andererseits ist die Ausweisung auch eine konkrete Technik zur Umsetzung dieser ‚Integration‘. Durch (nachträgliche) Aussonderung des auszuweisenden Anderen soll der harmonische Zustand einer ‚integrierten Gesellschaft‘ etabliert werden. In diesem Integrations-Modell gilt ausschließlich die Integration in die „deutsche Gesellschaft“ als legitimes Ziel. Integration wird dabei zum Postulat einer klaren Norm, zur Forderung, sich innerhalb der „deutschen Gesellschaft“ und nirgends sonst zu verorten. „Integration“ wird also nicht im Sinne 7 8
Es ist die Priorität des späteren Anormalen, welche eine normalisierende Intervention erfordert; vgl. Canguilhem 1974: 168 und Bröckling 2008: 43. Der Nexus von Integration und Repression materialisiert sich ebenso im Integrationskursregime; vgl. Ha/Schmitz 2006.
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DIE SANKTIONIERUNG VON DIFFERENZ
der Inklusion in soziale Systeme verstanden, also etwa als Integration ins Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt, in ein soziales Milieu usw. Denn dann wäre eine ‚vollständige‘ Inklusion weder denkbar noch notwendig und jede teilsystemische Exklusion von verschiedenen anderen Inklusionen flankiert (vgl. Stichweh 1998). Stattdessen wird hier ein normativer Integrationsbegriff gesetzt, der letztlich Anpassung im Sinne des Abschleifens von „Fremdheit“ meint. Derart verstandene Integration beruht auf dem statischen Kulturmodell. Sie lässt kein Verständnis sozialer Widersprüche innerhalb der Gesellschaft zu, sondern schließt Gesellschaft und Kultur kurz. Darauf beruht auch die Forderung nach Akzeptanz bestimmter Werte, also die Assimilation an eine Leitkultur. Das Konzept der integrierenden Sanktion wird erst in der Logik des Ausweisungsdiskurses plausibel, steht es doch jenseits der Typologie möglicher Sanktionszwecke als präventiv oder repressiv. Hier wird eine ausschließende Sanktion insofern als innerhalb der Gesellschaft wirkend begriffen, als auch der Vorgang der Exklusion (Ausschluss vom Staatsgebiet) kollektiv „integrierend“ wirken kann. Die integrierende Sanktion stellt eine Ordnung der Gesellschaft her, in der diese als kulturell statisch und nach außen klar abgegrenzt erscheint. In der Aussonderung des Störenden und der Anpassung des Anderen zeigt sich, wo die Grenzen kultureller Abweichung liegen; die Abwehr von Gefahren etabliert die zu schützenden Normen. Darauf bezieht sich auch das Schlagwort „Leitkultur“: der Begriff fordert „eine kulturelle Hegemonie ein, die Grenzen festlegt“ (Sökefeld 2004: 26). Der Gedanke der Leitkultur definiert Kultur über einen ‚Kern‘ – etwa das jüdisch-christliche Erbe, die Sprache, ein Bündel von zentralen Werten usw. Dieses Konzept begreift Kultur als eine abgrenzbare Erscheinung mit einem Set von zentralen Normen und Werten. Menschen werden in eindeutige und feste Kategorien eingefügt und diese zueinander in ein hierarchisches Verhältnis gestellt. Die „Kultur“ gibt diesem Ordnungssystem den scheinbar bestimmten Inhalt. Bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten können so als kulturelle Differenz gedeutet werden. Die integrierende Sanktion aktualisiert solche kulturalistische Vorannahmen. Das unterstellte Scheitern eines „multikulturellen“ Gesellschaftsmodells – die BILD kommentierte: „Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel“ – meint tatsächlich gescheiterte Assimilation und zeigt das Bedürfnis nach klaren Grenzen zwischen den in ihrem Inneren als homogen und zueinander als different vorgestellten „Kulturen“. In den Debatten über Integration werden nicht die geringeren Rechte der „Ausländer“ im Nationalstaat thematisiert und problematisiert, sondern deren abweichende „Kultur“. Auch die Rede von der „Parallelgesellschaft“ kann entsprechend als Konstruktion „innerer Fremdheit“ gedeutet werden, der das ‚richtige‘ Deutsche entgegengesetzt werden kann (vgl. Kaschuba 2007: 29). In dieser Logik wirkt das oben genannte Schuldprinzip, also der Vorwurf, etwas per se Differentes werde aktiv auf251
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rechterhalten oder sogar verschärft, indem Anpassung verweigert wird. Dies spalte die Gesellschaft in ihrem Inneren, was dann wiederum dem Ideal der „integrierten Gesellschaft“ entgegensteht.
6.3 Die Wirkung der „integrierenden Sanktion“ Nach der bisher dargelegten Perspektive erzeugt der Ausweisungsdiskurs eine spezifische Ordnungsvorstellung, in deren Kern die integrierende Sanktion steht. Sie ist zugleich durch einen Anlass wie durch ein Ziel legitimiert. Der Anlass dieser Sanktion besteht in der Bedrohung durch kulturelle Abweichung und in der Verantwortlichkeit der Abweichenden für ihre Fremdheit. Ihr Ziel besteht darin, Aussonderung und Anpassung zu produzieren. Die Wirkung dieser Sanktion schließlich ist die ‚integrierte‘ Gesellschaft. Das derart erzeugte und ‚versicherte‘ Kollektivsubjekt der „integrierten deutschen Gesellschaft“ ist abschließend noch genauer zu beleuchten. Ich gehe hierbei nicht von einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung als normativem Bezugspunkt aus, sondern verstehe trotz der nationalstaatlichen Vergesellschaftungsform die Untersuchungseinheit der ‚Gesellschaft‘ als unklar bzw. umstritten. Da deren Abgrenzung nicht fraglos gegeben ist, muss die Kategorisierung von zugehörig/nichtzugehörig in irgendeiner Form explizit erfolgen. Durch Ausschluss wird diese Trennung von Innen und Außen, die für ‚Gesellschaft‘ als Bezugsgröße benötigt wird, erst hervorgebracht. Jede solche Ordnung ist eine hegemoniale Normsetzung, und als solche immer vorübergehend, immer ein Aushandlungsprozess zwischen Akteuren und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen und vor allem (dank vorgefundener und aktualisierbarer Ordnung) unterschiedlicher Machtausstattung. Den Vorstellungen von Einheit, Homogenität, Gemeinschaft, des Identischen usw. steht realiter Diversität, Pluralität, Prozesshaftigkeit gegenüber, was für die moderne Gesellschaft konstitutiv ist. Die Definition von Zugehörigkeit ist eine kontrafaktische Einheitssemantik (Bommes 1994: 367), die Übersichtlichkeit stiftet, indem sie die notwendigerweise postulierte Differenz nach außen projiziert.
Die Pönalisierung von Fremdheit Das Ausweisungswissen ist eine solche diskursive Inszenierung von NichtZugehörigkeit, indem es materiellen und symbolischen Ausschluss aktualisiert. Im Ausweisungsdiskurs wird ein Selbstbild der „deutschen Gesellschaft“ etabliert, das diese als moderne, offene und im Eigeninteresse aufnehmende Nation imaginiert, die auch Anderes zulässt und „integriert“. Voraussetzung ist aber, dass dieses Andere zur „deutschen Kultur“ passend ist. Die an die Legalkategorien deutsch/nicht-deutsch angelehnte kategoriale Dif252
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ferenz bleibt bestehen, insofern das zulässige Andere ausweisbares Anderes bleibt. Diese Argumentationsfigur bewertet jedoch primordiale Bindungen nicht mehr als determinierende Voraussetzung eines derartigen bedingten Zugehörigkeitsstatus, sie verhandelt Zugehörigkeit angesichts der Einwanderungsrealität nicht mehr ausschließlich vor dem Hintergrund ‚deutscher‘ Abstammung. Wenn keine fraglose, eindeutige Definition von Nicht-Zugehörigkeit über den Ausländerstatus mehr gegeben ist, müssen zusätzliche normative Begründungen dafür geliefert werden, den Formalismus des nationalstaatlichen Inländer/Ausländer-Paradigmas ungebrochen anzuwenden. Das Kollektivsubjekt, der für staatliche Souveränität konstitutiven vollen Verfügungsgewalt über Staatsfremde beraubt, sucht sich seiner selbst daher durch die Fiktion einer „integrierten“ Gesellschaft zu versichern: Die klare Abgrenzung vom Anderen dient der Wiedererrichtung einer „Leitkultur“. Wäre die juridische Setzung völlig fraglos in Kraft, käme es nicht zum ausführlich beschriebenen sukzessiven Ausweisungsschutz, es hätte die Aussage „er ist einer von uns“ in der Debatte um die Ausweisung „Mehmets“ nicht gegeben und auch die Familie Sürücü wäre nicht öffentlichkeitswirksam „zur Ausreise aufgefordert“, sondern der verurteilte Täter vermutlich schlicht ausgewiesen worden. Hier kommt es offenbar zu einer signifikanten Verdichtung im diskursiven Geschehen, in dem sich zwei Ebenen der diskursiven Praxis und mit ihnen zwei unterschiedliche Logiken überlappen. Der formalistische Fremdenstatus – die bloße „deskriptive“ Feststellung einer fremden Staatsangehörigkeit im juristischen Spezialdiskurs – wird um eine nichtformalistische, lebensweltliche Definition von Fremdheit ergänzt. Es wird also eine normative Setzung vorgenommen, an welchen Merkmalen Zugehörigkeit und Fremdheit jenseits des Ausländerrechts zu erkennen sein sollen. Damit wirkt das Konzept der kulturellen Fremdheit in den Spezialdiskurs hinein, was die Analysen der impliziten Argumentationen und Kontextualisierungen des rechtlichen Ausweisungsarguments belegten. Wie ich gezeigt habe macht der Diskursstrang des Ausweisens eine Pönalisierung von Fremdheit denk- und sagbar und spezifiziert zugleich die Ansatzpunkte für legislative Interventionen. Die Novellierungen des Ausländerrechts im Untersuchungszeitraum zeigen, wie verschiedene Anlässe für eine Ausweisung, die explizit zu sanktionierende Delikte benennen, diskursiv entstehen. Erinnert sei an den Einzug des Landfriedensbruchs in das Ausweisungsrecht, die Kombination von „islamisch“ und „gefährlich“ in der Verdachtsausweisung, sowie an die explizite Anmahnung der Teilhabe am „wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben“ im Ausweisungsrecht ab 2007. Gleichzeitig fungiert die juristische Norm selbst als Aussage im Diskurs und wirkt stets strukturierend und Kontingenzen einschränkend in andere diskursive Felder hinein. Der „Fall Mehmet“ zeigt an erster Stelle, wie wichtig das Wechselverhältnis der Diskursstränge, etwa der Bezug von formalen 253
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
und kulturalisierenden Begründungszusammenhängen, ist. Ohne die Erlaubnispflicht und die Visumspflicht im Aufenthaltsrecht, die Hürde der Strafmündigkeit und des Familienbestands im Ausweisungsrecht, wäre die interdiskursive Machtwirkung des Ausweisens gar nicht denkbar. Ohne die an das Recht angelehnte Analogiesetzung von Ausweisung und Strafe könnte sich die Ausweisungsbegründung nicht auf die Schwere von Devianz beziehen und erhielte keine zusätzliche Legitimation im hegemonialen Pönalisierungsdiskurs, der sich u. a. im „wegschließen für immer!“ des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder manifestiert. Des Weiteren sind alle in Kapitel 5.4.3 zitierten Äußerungen, die das Prädikat „integrationsfeindlich“ enthalten, Referenzen auf den Gesetzestext (wenn auch, wie dargestellt, populistisch verkürzt). Über dieses spezielle Medienereignis hinaus nehmen auch andere öffentliche Abwägungen, was erlaubt und was möglich ist, Bezug auf juridische ‚Wahrheiten‘. Sie blenden also deren Konstruktionscharakter aus, wenn etwa mit dem denkbar weitesten der Expertenargumente, den „erheblichen Interessen der Bundesrepublik“, argumentiert wird. Auch bei scheinbar formalistischen Aussagen bleibt eine normative Konnotation stets erkennbar, etwa wenn die BILD mit der Frage „Können Krawall-Schüler ausgewiesen werden?“ zunächst nur eruiert, wie die Norm ausgestaltet ist, diese Formulierung aber eine deutliche Wertung enthält – denn die Frage wird nur dann bedeutsam, wenn die „Krawall-Schüler“ eigentlich ausgewiesen werden sollten. „Deutsch-Sein“ muss diskursiv errichtet werden mittels einer (stets prekären) Abgrenzung vom Anderen. Traditionell bedeutete „Deutsch sein“ nicht eingewandert, nicht eingebürgert, nicht kulturell anders zu sein. Durch die Einwanderungssituation und die Realität hoher kultureller Diversität ist eine derart völkische Identität offenbar nicht mehr plausibel, die offensichtliche Problematik der alten Sicherheiten ist nicht länger zu negieren. Als ein möglicher Ausweg daraus scheint der Weg beschritten zu werden, partiell bestimmte Abweichungen zuzulassen und gleichzeitig (umso stärker) andere Abweichungen auszugrenzen. Dabei zentral und zunehmend bedeutend ist die Forderung, dass einzuhegende Abweichungen kulturell anpassbar sein müssen. Die ausweisbaren Anderen müssen zentrale Werte dieses deutschen Kollektivs akzeptieren und sich zu eigen machen. Mit dieser Forderung wird ein ethnisierender Grundsatz weiter aufrechterhalten, das statische Kulturverständnis. Die ausweisbaren Anderen stehen permanent unter dem Vorbehalt der Inkompatibilität. Demnach müsse es sich erst erweisen, ob es fremde Religion und fremde Sitten überhaupt zulassen, dass sich ihre Träger/innen an die deutsche Gesellschaft kulturell anpassen. Das Ausweisen produziert eine Qualität von Fremdheit, von der sich das Wir abgrenzen kann, und schreibt damit spezifische kulturalisierte Ausschlüsse innerhalb der „integrierten deutschen Gesellschaft“ fest.
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DIE SANKTIONIERUNG VON DIFFERENZ
Im Ausweisungsdiskurs kommt es also zu einer Erweiterung der Legaldefinition des „Deutschen“ hin zu einer Vorstellung der „deutschen Gesellschaft“ als „integrierter Gesellschaft“, die kulturelle Abweichungen entweder assimiliert oder aussondert. Die Aktualisierung der inhaltlichen Abgrenzung zwischen zugehörig und nicht-zugehörig funktioniert dabei erstens über Kontrast-, zweitens über Normenkonstruktionen. Kontrast besteht in der ‚gefährlichen‘ Fremdheit; Norm wird über die Ordnung der ‚integrierten‘ Gesellschaft konstruiert, in der ein Wir mit dauerhaftem Bestand und mit klaren Grenzen zum Sie die Normen setzt, an dem die Anderen sich zu orientieren haben. Der Ausweisungsdiskurs stützt damit ein Kollektivsubjekt, das die „deutsche Gesellschaft“ oder schlicht „Deutschland“ genannt wird. Die „deutsche Gesellschaft“ begreift sich selbst als geordnetes Zusammenleben von an sich differenten essentialisierten Kulturen unter der Dominanz der „deutschen Kultur“. Sie imaginiert sich zwar als Einwanderungsgesellschaft; darin würden sich aber aus der „deutschen Kultur“ naturgemäß die Normen ergeben, an die die Anderen sich zu halten hätten. Im Ergebnis kann Fremdheit nur an die „Leitkultur“ angepasst („integriert“) existieren. In diese „deutsche Gesellschaft“ können jene (auch rechtlichen) Anderen einbezogen sein, deren Fremdheit abgeschliffen wurde oder anpassbar ist. Sie sollen nicht (mehr) ausgewiesen werden, so lange sie sich nicht ‚bedrohlich‘ abweichend verhalten. Dieser Assimilationsdruck wird in Form der „Integrationspflicht“ geäußert und durch die integrierende Sanktion institutionalisiert. Integration ist damit zu einem normativen Begriff geworden, der kulturelle Anpassung als basale und evidente Voraussetzungen der Existenz innerhalb der deutschen Gesellschaft ausgibt und damit deren Zwangscharakter verschleiert. Integration ist im gegenwärtigen Mainstream des Einwanderungsdiskurses zu einem Euphemismus für Assimilation geworden. So erklärt sich auch das Paradox, den Exklusionsvorgang der Ausweisung als Technik der „Integration“ einzusetzen. Die integrierende Sanktion ermöglicht nun genau die dafür notwendige Differenzierung: zwischen angepassten oder anpassbaren Anderen, die geduldet und tendenziell einverleibt werden sollen, und den schädlichen und gefährlichen Anderen, die ausgeschieden werden müssen. Die verschärfte Abwehr des „kulturell Fremden“ als gesellschaftliche Integration auszugeben wird unter diesem Blickwinkel plausibel.
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7 Au sblick
Zum Jahreswechsel 2007/2008 trat eine auf wenige Wochen begrenzte Debatte um „ausländische“ Straftäter auf, bei der Ausweisung erneut als Reaktion auf Jugenddelinquenz vorgeschlagen wurde. Ende Dezember 2007 verletzten der damals 20jährige Serkan A. und der 17jährige Spiridon L. in der Münchner U-Bahn einen Rentner schwer und wurden dabei von einer Überwachungskamera gefilmt. Die dokumentierten Bilder gingen durch die Medien und schon wenige Tage nach der Tat wurde die Abbildung zweier junger Männer, die auf ihr am Boden liegendes Opfer eintretenden, folgendermaßen untertitelt: „Ausländische Täter schneller ausweisen“ (20071227-SZ). Die Gewalttat führte nicht nur zu Forderungen mehrerer konservativer Justizminister und Ministerpräsidenten nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, sondern vom ersten Tag dieses Medienereignisses an wurde auch die „ausländische Herkunft“ der Täter, die türkische bzw. griechische Staatsangehörige sind, zum Anknüpfungspunkt für Sanktionsforderungen: „Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) will den türkischen Täter (20) des Überfalls auf den Rentner in der U-Bahn so schnell es geht abschieben“ (20071226-BILD).
Als im Juli 2008 das Urteil von mehrjährigen Haftstrafen wegen versuchten Mordes erging, wurde erneut die Ausweisung beider Täter angemahnt. Die Analogie der Argumentation zum „Fall Mehmet“ ist offensichtlich: die formale Staatsangehörigkeit der Täter ist das Kriterium, auf das sich deren Entfernung bezieht. Auch in diesem formalisierenden Bezug auf ein für sie ‚zuständiges‘ Land wirkt die Logik der kulturellen Differenz. Diskutiert wird zwar nicht, ob die Devianz der Täter eine „mitgebrachte“ oder eine „erworbene“ sei (was in ihrem Fall auch müßig gewesen wäre, da die Täter in Deutschland aufgewachsen sind). Vielmehr galt deren Staatsfremdheit durch die Erfüllung eines formal-rechtlichen Kriteriums als evident. Auch wenn kritische 257
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Einwände dieses Argument angriffen: die Ausweisung als Sanktion vorzuschlagen machte diskursiv ‚Sinn‘. Das Konzept der Ausweisung war stets gedacht als Hinausweisung. Die Ausweisungsforderung basiert immer auf der Ferne der Täter zum Wir, nicht aus der Pflicht eines anderen Staates – nie wurde behauptet, wegen der Herkunft der Eltern wäre Griechenland oder die Türkei für die Täter, die Taten oder deren Sanktionierung verantwortlich. Die Externalisierung der Devianz allerdings war und ist denkbar aufgrund der nicht-deutschen Staatsangehörigkeit der Täter, die mit einer Distanz zur „deutschen Gesellschaft“ gleichgesetzt wird. In den aktuellen Debatten um die Zulässigkeit des Ausweisens ist das vernehmbarste kritische Argument die europäische Rechtslage. Sie macht es bereits seit einigen Jahren zunehmend schwerer, EU-Angehörige und ihnen Gleichgestellte – also auch formal-türkische Arbeitnehmer/innen – des Landes zu verweisen (s. S. 94). Verhandelt wird diese Thematik meist als Eingriff der EU-Bürokratie in nationale Kompetenzen. Mediale Präsentationen der Rechtslage wie auch spezialdiskursive Erörterungen lassen den Ausweisungsschutz oft als ein okkultes Fachwissen erscheinen, das der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt sei und erst langsam in das breitere Bewusstsein diffundiere. Tatsächlich wäre die Rechtswirklichkeit ganz einfach zu vermitteln: die Freizügigkeit im Schengenraum ist eine Realität, die ex lege für alle gilt. Nur scheint dies für die deutsche Öffentlichkeit schwer zu akzeptieren zu sein. Sicherlich mag das daran liegen, dass das deutsche Ausweisungsrecht im europäischen Vergleich restriktiver als andere ist. Wichtiger ist aber wohl, dass sich die integrierende Sanktion als Mittel der symbolischen Abschottung bewährt hat. Wie sich das Verschwimmen eindeutiger Ordnungskategorien in Zukunft auswirken und möglicherweise in rechtliche Anerkennung von erweiterter Zugehörigkeit niederschlagen wird, muss auch weiterhin untersucht werden. Ebenso ist weitere Forschung sinnvoll, die nach der konkret ausschließenden Anwendung von bestimmten rechtlichen Kategorien fragt. Etwa danach, ob und wie die in den letzten Jahren implementierten Tatbestände des Terrorismusverdachts und der Integrationsfeindschaft tatsächlich angewendet werden. So wäre es möglich, der Bedeutung und Ausgestaltung des „gefährlichen Ausländers“ in der Ausweisungspraxis nachzugehen, wenn dazu Zahlenangaben verfügbar würden. Selbiges bildet sich möglicherweise ebenfalls in der Einbürgerungspraxis ab. So könnte mittels einer detaillierten Untersuchung der Einbürgerungsstatistik der Frage nachgegangen werden, inwiefern Einbürgerungsansprüche nach dem seit 2000 gültigen reformierten Staatsangehörigkeitsrecht durch Ausweisungsgründe faktisch nichtig gemacht werden (s. S. 93). Bisher sind die dazu notwendigen Primärdaten jedoch nicht verfügbar (s. Kap. Datenlage).
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AUSBLICK
Ebenso wurde in dieser Arbeit nur darauf hingewiesen, dass das Ausweisen mit geschlechtlicher Markierung der kulturalisierten und zum Wir auf Distanz gebrachten Anderen arbeitet. Systematisch nach den Wechselbeziehungen von Differenzsetzungen im Ausweisungsdiskurs und der Konstruktion von sozialem Geschlecht zu fragen würde heißen, die Rolle der Familie im Argument der Integrationspflicht, den Ausweisungstatbestand der Nötigung zur Ehe (die neue Nr. 11 des § 55 Abs. 2) oder auch die Debatte um „Importbräute“ und das Konzept der „präventiven Integration“ durch von Ehefrauen geforderte Sprachkenntnisse vor der Visumserteilung (s. S. 230) zu untersuchen. Das deutlich vernehmbare Schweigen jeglicher grundsätzlicher Kritik an der ausschließenden Anwendung formaler Differenzsetzung durch das Ausweisen war eine Motivation zu dieser Arbeit. Kritik an hegemonialen Leseweisen schien in meiner Untersuchung der diskursiven Praxis nur vereinzelt durch. Nun ist deutlich geworden, dass diese kritischen Positionen Kraft ihrer schwachen Sprechpositionen nur geringen diskursiven Einfluss besaßen. Vor allem versuchten sie aber, sich auf die im Diskurs als Wahrheit gesetzten Aussagen zu beziehen (was notwendig war, um überhaupt gehört zu werden). Eine alternative Logik konnte also gar nicht erfolgreich etabliert werden. Wie eine solche Alternative aussehen würde habe ich deutlich gemacht: die determinierende Sicht auf kulturelle Differenzen müsste aufgegeben werden zugunsten eines prozessorientierten und interaktiven Kulturmodells, wie es sich in der sozialwissenschaftlichen Migrations- und Rassimsusforschung durchgesetzt hat (vgl. Bukow u. a. 2007, Morgenstern 2002, Reuter 2002, Terkessidis 2000). In der Thematisierung des Wir und Sie ist die hauptsächlich verwendete Kategorie „Ausländer“ nicht umsonst auch das Hauptproblem. Sie ist nur brauchbar als rechtliche, nicht als soziale Kategorisierung. Ihr Einsatz im öffentlichen Reden ist entsprechend stark juristisch und vor allem: ordnungsrechtlich beeinflusst. So lange Andere als „Ausländer“ angerufen werden, ist das Argument der „Gefahr“ vorprogrammiert, wie ich es in dieser Analyse herausgearbeitet habe. Die dem „sie bedrohen uns“ inhärente Differenz lässt sich dann nicht mehr wegdenken. Gelöst werden könnte dieses Problem nur durch die Beendigung aller sozial wirksamen rechtlichen Diskriminierungen, die aus dem Ausländer-Status abgeleitet werden. Eine einzelstaatliche gesetzliche Gleichstellung zumindest der denizen mit den formalen „Deutschen“ wäre ein erster Schritt, um trotz der dominanten nationalstaatlichen Ordnung der Welt die diskursive Macht der Inländer-AusländerDichotomie einzuschränken.
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An ha ng
Ab b i l d u n g s ve r z e i c h n i s Abbildung 1: Kategorien des Anderen im Ausweisungsdiskurs ...............................44 Abbildung 2: Schichtung des Ausweisungssystems................................................101 Abbildung 3: Auszug Codebaum.............................................................................121 Abbildung 4: BILD vom 18.3.1996, S. 2 ................................................................140 Abbildung 5: Der Spiegel vom 25.3.1996; Focus-Magazin vom 25.3.1996 ..........144 Abbildung 6: Der Spiegel vom 14.4.1997 ...............................................................150 Abbildung 7: Focus-Magazin vom 25.3.1996, S. 24...............................................159 Abbildung 8: Focus-Magazin vom 25. 5.1998, S. 82..............................................170 Abbildung 9: Focus-Magazin vom 2.11.1998, S. 11...............................................180 Abbildung 10: Der Spiegel vom 4.3.2002, S. 56.....................................................191 Abbildung 11: BILD vom 2.4.2006, S. 13 ..............................................................213 Abbildung 12: BILD vom 7.4.2006, S. 2 ................................................................219 Abbildung 13: BILD vom 15.4.2006, S. 3 ..............................................................222 Abbildung 14: Focus-Magazin vom 22.10.2001, S. 28...........................................226
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ab k ü r z u n g s ve r z e i c h n i s APVO ........... AufenthG ..... AufenthVO .. AuslG ........... AuslR ........... AuswErl ....... AuswG ......... AuswR .......... BerlZtg ......... BGBl ............ BMI .............. BRDrs .......... BRProt ......... BtDrs ............ BVerwG ....... EMRK .......... EU .............. EuGH ........... FAZ .............. FdGO ........... FN .............. Focus ............ FR .............. FreizügG/EU. GBl .............. GG .............. InfAuslR ....... IVW ............. MBliV ........... OVG ............. PKS ............. PlenProt ........ PrALR........... PrGS ............. RGBl ............ RuStaG ......... Spiegel ......... StAG ............ SZ .............. TerrorG ........ VAH.............. VG .............. ZAR ............. ZuwG ...........
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Ausländerpolizeiverordnung Aufenthaltsgesetz Aufenthaltsverordnung Ausländergesetz Ausländerrecht Ausweisungserlass Ausweisungsgesetz Ausweisungsrecht Berliner Zeitung Bundesgesetzblatt Bundesministerium des Innern Bundesratsdrucksache Plenarprotokoll des Bundesrats Bundestagsdrucksache Bundesverwaltungsgericht Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäische Union Europäischer Gerichtshof Frankfurter Allgemeine Zeitung freiheitlich demokratische Grundordnung Fußnote Focus-Magazin Frankfurter Rundschau Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Gesetzblatt der DDR Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Informationsbrief Ausländerrecht Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung Oberverwaltungsgericht Polizeiliche Kriminalitätsstatistik Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags Preußisches Allgemeines Landrecht Preußische Gesetzessammlung Reichsgesetzblatt Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Der Spiegel Staatsangehörigkeitsgesetz Süddeutsche Zeitung Terrorismusbekämpfungsgesetz Vorläufige Anwendungshinweise Verwaltungsgericht Zeitschrift für Ausländerrecht Zuwanderungsgesetz
ANHANG
Au s w e i s u n g s r e c h t 1 9 2 1 b i s 2 0 0 7 Ausweisung lästiger Ausländer. vom 21. Oktober 1921 (MBliV., S. 372; Auszug) [...] Dabei hat als leitender Gedanke zu gelten, daß die andauernde Notlage des Staates, insbesondere die noch immer vorhandenen Ernährungsschwierigkeiten, Wohnungsnot und die Lage des Arbeitsmarktes dazu zwingen, die Genehmigung zum Aufenthalt in Preußen auf solche Ausländer zu beschränken, deren Zuwanderung und Aufenthalt im Inlande als erwünscht angesehen werden kann oder wenigstens den auf das Gesamtwohl zu nehmenden Rücksichten nicht widerspricht. Gegen die weitere Zuwanderung anderer Ausländer sollen die Landesgrenzen im Allgemeinen gesperrt bleiben. Bereits Eingewanderte, die sich der Erlaubnis zum Verbleiben im Inlande unwürdig gezeigt haben, oder dem Staate sonst lästig fallen, sind im Wege des Zwanges zur Abwanderung zu bringen, d.h. auszuweisen. In allen Fällen sind die im Inlande befindlichen Ausländer und Staatenlosen grundsätzlich gleichmäßig zu behandeln, soweit völkerrechtliche Bestimmungen dies zulassen. A. Abgesehen von den Fällen, in denen nach geltendem Reichsrecht eine Ausweisung aus dem Reichsgebiet angeordnet werden kann, ist die A u s w e i s u n g a u s dem preußischen Staatsgebiet zulässig: I. bei Verstößen gegen Strafbestimmungen, und zwar wenn ein Ausländer: 1. wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist, oder gegen ihn der dringende Verdacht eines Verbrechens vorliegt; 2. zu einer Freiheitsstrafe von längerer Dauer als einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden ist; 3. zu einer Freiheitsstrafe von geringerer Dauer als einem Jahre oder zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist und die Ausweisung mit Rücksicht auf die Bedeutung der Straftat für das Gemeinwohl oder das Verhalten der Täters angezeigt erscheint; jedoch kann von der Anordnung der Ausweisung Abstand genommen werden, wenn seit der Strafverbüßung mehr als fünf Jahre vergangen sind und der Bestrafte sich während dieser Zeit einwandfrei geführt hat; 4. auf Grund kriegswirtschaftlicher Bestimmungen oder wegen Lebensmittelwuchers rechtskräftig verurteilt worden ist oder der dringende Verdacht solcher strafbaren Handlungen vorliegt; 5. nach dem 15. Nov. 1921 ohne die vorgeschriebenen Legitimationspapiere (Reisepässe, Personalausweise, Einreisesichtvermerke, Reiseausweise der Grenzämter der Deutschen Arbeiterzentrale) in der preußische Staatsgebiet gelangt ist, es sei denn, daß a) seine Staatsangehörigkeit infolge der Friedensschlüsse ungeklärt ist, b) er sich bei einer fremden diplomatischen Vertretung im Inlande ordnungsgemäße Legitimationspapiere nicht hat beschaffen können; 6. sich gegen die Meldepolizeiordnung vergangen hat. In Fällen zu 1-4 ist die Ausweisung auch vor Verbüßung der Strafe zulässig; sie darf aber nur im Einvernehmen mir den Strafvollstreckungsbehörden durchgeführt werden; II. bei sonstiger Lästigkeit insbesondere 1. wenn gegen einen Ausländer der Beweis oder der dringende Verdacht staatsfeindlicher politischer Betätigung vorliegt;
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
2. wenn die Beteiligung eines Ausländers an sogenannten Schiebergeschäften, sei es auf dem Gebiet der Ernährung oder des Warenhandels, insbesondere auf dem des Gold-, Silber- und Juwelenhandels, der Valutenspekulation oder des unerlaubten Geldhandels, oder an Glücksspielen feststeht, auch ohne daß eine strafgerichtliche Verurteilung wegen dieser Handlungen erfolgt ist; 3. wenn ein Ausländer sich in den Besitz selbstständiger Wohn- und Geschäftsräume gesetzt hat, ohne von der Gemeindebehörde in die Räume eingewiesen zu sein, und deren Genehmigung nicht innerhalb zweier Wochen beibringen kann; 4. wenn ein Ausländer unter Nichtbeachtung der geltenden Vorschriften über die Arbeitsvermittlung ausländischer Arbeiter in eine Arbeitsstelle vermittelt worden ist, es sei denn, daß die Arbeitsvermittlung zu einer Zeit stattgefunden hat, als entsprechende Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften noch nicht erlassen waren, und der Ausländer sich noch auf der von ihm vorher erlangten Arbeitsstelle befindet; 5. wenn ein Ausländer sich ohne Unterkommen oder ohne „nutzbringende Beschäftigung“ in Preußen aufhält. Unter „nutzbringender Beschäftigung“ ist eine solche zu verstehen, die das deutsche Wirtschaftsleben nicht schädigt, es dem Ausländer aber ermöglicht, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel seine Unterhalt im Inlande zu bestreiten. Auch wenn eine in diesem Sinne nutzbringende Beschäftigung dem Ausländer ausreichende Mittel zur Bestreitung seines notdürftigen Lebensunterhaltes nicht einbringt, jedoch Fürsorgeorganisationen für ihn eintreten, und er infolgedessen der öffentlichen Armenpflege oder der Erwerbslosenfürsorge nicht zur Last fällt, wird ein Grund zur Ausweisung in der Regel nicht gegeben sein. Sofern Lästigkeit l e d i g l i c h auf dem Mangel einer nutzbringenden Beschäftigung beruht, soll vor Anordnung der Ausweisung den anerkannten privaten Fürsorgeorganisationen Gelegenheit gegeben werden, dem Auszuweisenden binnen einer Frist von höchstens zwei Wochen unter Beachtung der geltenden Vorschriften über die Arbeitsvermittelung [...] bei der Erlangung von Arbeit behilflich zu sein. B. Von der Ausweisung sind g r u n d s ä t z l i c h a u s g e s c h l o s s e n : 1. Ausländer, die bereits vor dem 1. April 1914 in Preußen ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt gehabt und ihn seitdem beibehalten haben; 2. deutschstämmige Rückwanderer aus dem Auslande, die sich in Preußen angesiedelt haben oder ansiedeln wollen; 3. deutschstämmige Ausländer, denen infolge der politischen Verhältnisse die Rückkehr in die Heimat einstweilen verwehrt ist, sofern die nicht: a) wegen strafbarer Handlungen verurteilt sind oder b) unter dem dringenden Verdacht der Verübung solcher strafbaren Handlungen stehen, die einen ausreichenden Grund für die Ausweisung darstellen; oder c) sich durch staatsfeindliche politische Betätigung lästig gemacht haben. C. Für das Verfahren zur Durchführung der Ausweisung gilt Folgendes: [...] D. Unbillige Härten, die die Anordnung und Durchführung einer Ausweisung für den Betroffenen selber oder für die von ihm zu unterhaltenen Familienangehörigen mit sich bringen würde und die sich auch bei Berücksichtigung des Verhaltens, das die Ausweisung bedingt, nicht rechtfertigen lassen, sind bei voller Wahrung der Interessen der deutschen Allgemeinheit zu vermeiden. [...]
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ANHANG
Ausweisungserlaß des d. M. d. I. v. 24. 8. 1923 (MBliV., S. 883, Auszug) A. Die Verweisung eines Ausländers a u s d e m R e i c h s g e b i e t ist nur aufgrund reichsrechtlicher Vorschriften zulässig. [...] Die Verweisung aus dem Reichsgebiet erfolgt durch die Landespolizeibehörden und schließt naturgemäß die Ausweisung aus dem preußischen Staatsgebiete in sich. B. In allen anderen Fällen erfolgt die Ausweisung durch die zuständigen Ortspolizeibehörden nur aus dem P r e u ß i s c h e n S t a a t s g e b i e t . Dabei gilt als Grundsatz, daß die Ausweisung als Verwaltungsmaßnahme des Staates nur aus Gründen ausgesprochen werden kann, die auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes liegen, nicht aus solchen rein privatrechtlicher Natur, wie z. B. wegen Vertragsbruchs, Privatbeleidigung und dergleichen. Sie dient dazu, den Staat von solchen Ausländern zu befreien, die sich gegen die Strafgesetze vergangen haben, oder sonst eine Gefahr für die innere oder äußere Ruhe, Sicherheit und Ordnung des Staates bilden. Wie auf dem Gebiete der Strafverfolgung, wird aber auch auf dem Gebiete des Ausweisungswesens dem Zeitablauf ein gewisser Einfluss einzuräumen sein: hat sich der Ausländer eine Reihe von Jahren dem Rechtszustande des Gaststaates angepaßt, hier festen Fuß gefaßt, und ist zu erwarten, daß er sich ihm weiter einfügen wird, so soll die Tatsache allein, daß er seinerzeit unbefugt hier zugewandert ist, keinen Ausweisungsgrund mehr bilden. (S. unter III.) Im Übrigen ist die Anordnung der Ausweisung in keinem Falle obligatorisch, sondern in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Polizeibehörde gestellt; auch ist die nachstehende Aufzählung der Ausweisungsgründe keine erschöpfende; eine Ausweisung ist vielmehr auch in anderen Fällen möglich, in denen der Ausländer den auf das Gemeinwohl des Gaststaates zu nehmenden Rücksichten zuwider gehandelt hat. Demgemäß ist die Ausweisung eines Ausländers I. zulässig: 1. gegenüber einem Ausländer, der zu einer F r e i h e i t s - o d e r G e l d s t r a f e r e c h t s k r ä f t i g v e r u r t e i l t ist, wenn durch die Straftat oder die bei ihrer Begehung zutage getretene Gesinnung des Täters das Gemeinwohl gefährdet ist; diese Voraussetzung wird immer als vorliegend zu erachten sein, wenn die Verurteilung wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlungen gegen die Strafvorschriften wider Preistreiberei, Schleichhandel, verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände und unzulässigen Handel [...], sowie gegen Maßnahmen wider die Valutaspekulation [...] oder wegen Steuerhinterziehung erfolgt ist; sind seit der Strafverbüßung 5 Jahre verflossen und hat der Verurteilte sich während dieser Zeit einwandfrei geführt, so wird in der Regel von der Ausweisung Abstand zu nehmen sein; 2. b e i s t a a t s f e i n d l i c h e r p o l i t i s c h e r B e t ä t i g u n g in Wort oder Schrift, auch wenn ein Strafverfahren nicht oder noch nicht eingeleitet ist; 3. gegenüber einem Ausländer, der vor dem Inkrafttreten der Verordnung über die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Paßvorschriften v. 6.4.1923 [ . . . ] d i e L a n d e s g r e n z e n u n b e f u g t ü b e r s c h r i t t e n h a t , insbesondere ohne im Besitz eines nach den geltenden Bestimmungen erforderlichen Ausweises (Reisepaß, Einreisesichtvermerk, Reiseausweis der Grenzämter der Deutschen Arbeiterzentrale) zu sein;
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
4. gegenüber einem Ausländer, der sich a n d a u e r n d e u n d s c h w e r e V e r s t ö ß e g e g e n d i e M e l d e p o l i z e i v o r s c h r i f t e n hat zu Schulden kommen lassen; 5. gegenüber einem Ausländer, der sich in den Besitz v o n W o h n - o d e r G e s c h ä f t s r ä u m e n gesetzt hat, ohne die erforderliche Genehmigung der Gemeindebehörde zum Bezuge der Räume erhalten zu haben oder sie innerhalb zweier Wochen beibringen zu können; die Ausweisung wegen unbefugter Inbesitznahme nichtselbstständiger Wohn- oder Geschäftsräume soll jedoch nicht erfolgen, wenn die Räume vor dem 1.1.1923 bezogen sind; 6. bei M a n g e l e i n e s U n t e r k o m m e n s o d e r e i n e r g e s i c h e r t e n w i r t s c h a f t l i c h e n E x i s t e n z , die den deutschen Gesetzen und den guten Sitten nicht zuwider läuft, d.h. einer solchen, die es dem Ausländer ermöglicht, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (der Armenpflege oder der Erwerbslosenfürsorge) seinen Lebensunterhalt während seines Aufenthaltes im Inlande auf ehrliche und anständige Weise zu beschreiten, sei es, daß er als Unternehmer, Kaufmann, Angestellter (auch Volontär), Arbeiter, Künstler, Studierender oder sonst in einem freien Berufe tätig ist. Angehörige derjenigen ausländischen Staaten, denen gegenüber auf Grund zwischenstaatlicher Abmachungen oder gegenseitiger Übung die Verpflichtung zur Unterstützung Erwerbsloser besteht, können lediglich aus dem Grunde, daß sie hier erwerbslos geworden sind, nicht ausgewiesen werden. Auch wenn bei vorübergehender Erwerbs- und Mittellosigkeit anerkannte Fürsorgeorganisationen für einen Ausländer eintreten, wird ein Grund zur Ausweisung, in der Erwerbs- und Mittellosigkeit regelmäßig nicht zu erblicken sein; es soll diesen Organisationen daher, bevor die Ausweisung wegen Mangels einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz angeordnet wird, Gelegenheit gegeben werden, dem Auszuweisenden binnen einer Frist von höchstens 2 Monaten unter Beobachtung der geltenden Vorschriften über die Arbeitsvermittlung ausländischer Arbeiter bei der Erlangung von Arbeit behilflich zu sein; 7. bei Zuwiderhandlungen gegen die Verordnungen der Präsidenten der Reichsarbeitsverwaltung. [...] II. g r u n d s ä t z l i c h a u s g e s c h l o s s e n : wenn, von besonders gearteten Fällen abgesehen, der Ausländer bereits vor dem 1.1.1914 seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in Preußen gehabt und ihn seitdem beibehalten hat; III. i n d e r R e g e l u n z u l ä s s i g : wenn der Ausländer mindestens 4 Jahre in Preußen seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt gehabt, sich hier eine „gesicherte wirtschaftliche Existenz“ im Sinne der Bestimmung zu I Ziff. 6 geschaffen und sich weder gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit vergangen hat, selbst dann, wenn er seinerzeit die Landesgrenze unbefugt überschritten ha, die ihm amtlich gewährten Reisefristen nicht innegehalten oder die Meldepolizeivorschriften übertreten hat. Ausländer, die nach Nr. II und Nr. III nicht ausgewiesen werden, erhalten eine amtliche Bescheinigung, über deren Ausgestaltung und Inhalt ich mir nähere Bestimmungen vorbehalte, die aber die Beschaffung von Personalausweisen nicht überflüssig macht. IV. Über die besondere Behandlung von Ausländern deutschen Stammes lassen sich mit Rücksicht auf die politische Lagen zur Zeit allgemeine Richtlinien nicht aufstellen.
266
ANHANG
C. Für das V e r f a h r e n z u r D u r c h f ü h r u n g der Ausweisung gilt folgendes: I. Die Ausweisungsverfügung ist dem Ausgewiesenen ordnungsmäßig und unverzüglich zuzustellen. Dabei ist eine angemessene Frist zur freiwilligen Ausreise festzusetzen [...]. II. Nach Zustellung der Ausweisungsverfügung und Ablauf der zur freiwilligen Abreise gesetzte Frist ist […] zunächst stets die unmittelbare Abschiebung nach den Heimatländern zu versuchen. […] III. Ausländer, die nach Abschn. B, I, Ziff. 1 u. 2 ausgewiesen worden sind, können in eine Sammellager untergebracht werden, wenn ihre Abschiebung sich als unmöglich erwiesen hat und ihr weiterer freier Aufenthalt im Inlande bis zur Abschiebung eine unmittelbare Gefahr für die innere oder äußere Ruhe, Sicherheit und Ordnung des Staates bilden würde. IV. Geisteskranke sowie alleinstehende jugendliche Personen unter 16 Jahren dürfen nicht interniert werden. V. Soweit de Internierung nach den vorstehenden Bestimmungen unzulässig ist, ersuche ich, die unterstellten Polizeibehörden anzuweisen, im größeren Umfange als bisher die ihnen […] zustehenden Zwangsmittel anzuwenden, um die Abreise der ausgewiesenen Ausländer nach Ablauf der Abzugsfrist zu erzwingen. VI. Ist dagegen die Unterbringung in ein Sammellager zulässig und nicht zu vermeiden, so muß mit allen Mitteln die möglichste Abkürzung der Internierungszeit und der rasche Abschub der Ausgewiesenen durch die Lagerdirektion angestrebt werden. […] D. U n b i l l i g e H ä r t e n , die die Anordnung und Durchführung einer Ausweisung für den Betroffenen selber oder für die von ihm zu unterhaltenen Familienangehörigen mit sich bringen würde sind zu vermeiden. [...] E. Wegen der Erteilung von Personalausweisen an Ausländer, denen der Aufenthalt im Inlande vorläufig zu gestatten ist, behält es beim Erl. des Herrn Reichsminist. d. Inn. v. 18.10.1921 sein Bewenden. F. Zur Vermeidung aufgetauchter Zweifel weise ich darauf hin, daß die Einlegung einer Beschwerde gegen eine Ausweisungsverfügung grundsätzlich aufschiebende Wirkung hat. G. Wenn auch durch vorstehende Richtlinien gegenüber den im Inlande ansässig gewordenen Ausländern eine mildere Übung, als sie bisher verfolgt werden konnte, vorgeschrieben wird, so erwarte ich, daß gegen solche Ausländer, die sich nicht scheuen, das ihnen gewährte Gastrecht zu mißbrauchen, mit aller Schärfe [...] vorgegangen wird.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Polizeiverordnung über die Behandlung der Ausländer (Ausländer-Polizeiverordnung) vom 1. Juli 1932 (PrGS 1932, S. 179, zit. nach Gutmann 1932: 8-12, Auszug) § 5 Die Aufenthaltserlaubnis kann mit Wirkung für das gesamte preußische Staatsgebiet oder für einen bestimmten Teil dieses Gebiets einem Ausländer versagt werden: 1. wenn er im Reichsgebiet wegen eines Verbrechens oder wegen eines Vergehens oder im Ausland wegen einer Tat, die nach deutschem Rechte als Verbrechen oder Vergehen gilt, rechtskräftig verurteilt ist; 2. wenn im Reichsgebiet oder im Ausland durch unanfechtbare Entscheidung seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in einer Trinkerheil- oder Erziehungsanstalt, in einem Arbeitshaus, in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist; 3. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sein Aufenthalt die innere Sicherheit im Reichsgebiet oder die äußere Sicherheit des Reichs gefährdet; 4. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sein Aufenthalt erhebliche wirtschaftliche Interessen des Reichs oder eines deutschen Landes gefährdet; 5. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sein Aufenthalt die öffentliche Gesundheit oder Sittlichkeit im Reichsgebiet gefährdet; 6. wenn er offenbar nicht über genügende Mittel zur Bestreitung seines und des Lebensunterhalts seiner Familie verfügt. § 12 (1) Ein Ausländer kann nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften aus dem Reichsgebiet oder aus dem preußischen Staatsgebiet ausgewiesen werden. (2) Die Ausweisung enthält das Gebot des Verlassens und das Verbot des Wiederbetretens des Gebiets, für das die Ausweisung verfügt ist. § 13 Ein Ausländer kann aus dem Reichsgebiete nur auf Grund reichsrechtlicher Vorschriften ausgewiesen werden. § 14 Ein Ausländer kann aus dem preußischen Staatsgebiet ausgewiesen werden: 1. wenn er im Reichsgebiet wegen eines Verbrechens oder wegen eines Vergehens oder im Ausland wegen einer Tat, die nach deutschem Rechte als Verbrechen oder Vergehen gilt, rechtskräftig verurteilt ist; 2. wenn im Reichsgebiet oder im Ausland durch unanfechtbare Entscheidung seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in einer Trinkerheil- oder Erziehungsanstalt, in einem Arbeitshaus, in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist; 3. wenn er sich staatsfeindlich gegen das Reich oder ein deutsches Land betätigt oder betätigt hat; 4. wenn sein Verhalten die ordnungsgemäßen Beziehungen des Reichs zum Ausland gefährdet; 5. wenn sein Verhalten die öffentliche Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdet; 6. wenn er der wegen Inanspruchnahme der öffentlichen Fürsorge ergangenen Aufforderung der zuständigen Behörde, in den außerdeutschen Staat abzureisen, dessen Übernahmeverpflichtung ohne weiteres besteht oder in einem förmlichen Heimschaffungsverfahren anerkannt worden ist, nicht nachkommt; 7. wenn er als Bettler oder Landstreicher umherzieht;
268
ANHANG
8. wenn er sich im Sinne der § 10 unbefugt im preußischen Staatsgebiet aufhält; 9. wenn er aus dem Reichsgebiet ausgewiesen werden kann. § 15 (1) Ein Ausländer soll nicht ausgewiesen werden: 1. wenn er sich zehn Jahre ununterbrochen im Reichsgebiet aufhält; 2. wenn er das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat; 3. wenn er sich fünf Jahre ununterbrochen im Reichsgebiet aufhält und nur eine Zuwiderhandlung gegen die Paßvorschriften oder ein Ausweisungsgrund nach § 14 Ziffer 8 vorliegt; 4. wenn er glaubhaft macht, daß er als politischer Flüchtling bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat der Verfolgung ausgesetzt sein würde und nur eine Zuwiderhandlung gegen die Paßvorschriften oder ein Ausweisungsgrund nach § 14 Ziffer 6 oder 8 vorliegt; 5. wenn er, obwohl ein Ausweisungsgrund nach § 14 Ziffer 1 vorliegt, sich fünf Jahre seit Beendigung der Strafvollstreckung ununterbrochen im Reichsgebiet aufhält und während dieser Zeit wegen eines Verbrechens oder Vergehens nicht wieder bestraft worden ist. (2) Die Vorschriften des Abs. 1 Ziffer 1, 2 und 5 finden keine Anwendung, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Ausweisung erfordert. (3) Die Vorschrift des Abs. 1 Ziffer 1 findet keine Anwendung, wenn ein Ausweisungsgrund nach § 14 Ziffer 6 vorliegt. § 16 Ein Ausländer soll nicht ausgewiesen werden, wenn die Durchführung der Ausweisung für ihn oder seine Ehefrau oder für seine oder seiner Ehefrau minderjährigen Kinder im Verhältnis zu der Bedeutung, die der Ausweisungsgrund für die Allgemeinheit hat, eine unbillige Härte bedeuten würde. § 17 (1) Einem von einer preußischen Polizeibehörde aus dem Reichsgebiet oder aus dem preußischen Staatsgebiet ausgewiesenen Ausländer kann, wenn besondere in seiner Person liegenden Gründe es erfordern und ein von der Polizei zu schützendes Interesse nicht erheblich verletzt ist oder bedroht wird, auf Antrag die Rückkehr in das preußische Staatsgebiet zu vorübergehendem Aufenthalte bis zu sechs Monaten, jedoch nicht zur Ausübung eines der im § 3 Abs. 2 bezeichneten Berufe1 oder zum Besuch einer der in § 3 Abs. 3 bezeichneten Bildungsanstalten2 gestattet werden. (2) Einem von einer Behörde eines anderen deutschen Landes aus dem Reichsgebiet ausgewiesenen Ausländer kann nach Maßgaben des Abs.1 der vorübergehende Aufenthalt im preußischen Staatsgebiet bis zu sechs Monaten gestattet werden, wenn die zuständige Behörde des Landes, in dem die Reichsverweisung verfügt worden ist, zugestimmt hat. § 18 (1) Die Ausweisung ist auf Antrag aufzuheben, wenn der Ausweisungsgrund weggefallen ist. (2) Die Ausweisung kann auf Antrag aufgehoben werden, wenn besondere in der Person des ausgewiesenen Ausländers liegende Gründe es erfordern und ein von der Polizei zu schützendes Interesse nicht erheblich verletzt ist oder bedroht wird.
1 2
Abhängig oder selbstständig in Gewerbe oder Landwirtschaft beschäftigt. Deutsche öffentliche Bildungsanstalten. 269
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Reichsverweisungsgesetz vom 23. März 1934 (RGBl. I, S. 213; zit. nach Rütten 1936: 35-42) §1 (1) Die Verweisung eines Ausländers aus dem Reichsgebiet (Reichsverweisung) enthält das Gebot des Verlassens und das Verbot des Wiederbetretens des Reichsgebiets. (2) Eine Verweisung aus dem Gebiet eines Landes findet nicht mehr statt. §2 Ein Ausländer kann aus dem Reichsgebiet verwiesen werden, 1. wenn gegen ihn im Inland wegen eines Verbrechens oder wegen eines Vergehens oder im Ausland wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Verbrechen oder Vergehen gilt, rechtskräftig auf Strafe erkannt worden ist; 2. wenn gegen ihn im Inland oder im Ausland durch rechtskräftige Verfügung einer Behörde eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung oder seine Unterbringung in einer Fürsorgeerziehungsanstalt oder seine Entmannung angeordnet ist; 3. wenn er sich staatsfeindlich gegen das Reich betätigt oder betätigt hat, oder wenn sonst sein Verbleiben im Inland geeignet sein würde, die innere und äußere Sicherheit des Reiches zu gefährden; 4. wenn sein Verhalten geeignet ist, die Beziehungen des Reichs zum Ausland zu gefährden; ` 5. wenn er gegen Vorschriften des Steuerrechts (einschließlich des Zollrechts), des Monopolrechts oder des Devisenrechts oder gegen Einfuhr oder Ausfuhrverbote wiederholt oder schwer verstoßen hat, insbesondere wenn er die Pflicht zur Zahlung von Steuern (Zöllen) oder zur Anbietung von Devisen wiederholt oder schwer vernachlässigt hat; 6. wenn er gegen die Bestimmungen des § 1 der Verordnung über die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Paßvorschriften vom 6. April 1932 verstoßen hat; 7. wenn er sich nach den ausländerpolizeilichen Bestimmungen unbefugt im Inland aufhält; 8. wenn er gegen die Meldepolizeivorschriften wiederholt oder schwer verstoßen hat; 9. wenn sein Verhalten die öffentliche Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdet; 10. wenn er von der zuständigen Behörde wegen Inanspruchnahme der öffentlichen Fürsorge aufgefordert wird, in den außerdeutschen Staat abzureisen, dessen Übernahmeverpflichtung ohne weiteres feststeht oder in einem förmlichen Verfahren anerkannt worden ist, und er dieser Aufforderung nicht nachkommt; 11. wenn er im Inland gewerbs- oder gewohnheitsmäßig bettelt oder als Landstreicher umherzieht. §3 (1) Von der Reichsverweisung soll in der Regel abgesehen werden, 1. wenn der Ausländer das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat; 2. wenn der Ausländer sich fünf Jahre seit der Beendigung der Strafvollstreckung wegen eines Vergehens (§ 2 Nr. 1) oder, falls die Strafe nicht vollstreckt worden ist, seit der Verurteilung im Inland ununterbrochen aufhält und während dieser Zeit wegen eines Verbrechens oder Vergehens nicht wieder verurteilt worden ist;
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ANHANG
3. wenn der letzte der Verstöße gegen die im §2 Nr. 6 und 8 erwähnten Vorschriften zwei Jahre zurückliegt und sich der Ausländer seitdem unbeanstandet in Inland aufgehalten hat; (2) Die Vorschriften des Abs. 1 finden keine Anwendung, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Reichsverweisung erfordert. §4 Die Reichsverweisung wird von der Landespolizeibehörde angeordnet, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält oder sich die Notwendigkeit zu polizeilichem Eingreifen gegen ihn ergibt. §5 (1) Wer aus dem Reichsgebiet oder vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grund landesrechtlicher Vorschriften aus dem Gebiet eines deutschen Landes verwiesen ist, wird, wenn er ohne Erlaubnis zurückkehrt, mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. (2) Die gleiche Strafe trifft einen Ausländer, gegen den auf Grund landesrechtlicher Vorschriften ein Aufenthaltsverbot für das Gebiet eines Landes verhängt worden ist, und der ohne Erlaubnis das Land betritt. §6 Ausländer im Sinne dieses Gesetzes ist jeder, der die Reichsangehörigkeit nicht besitzt. § 7-11 [Änderungen des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze]
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 (RGBl. I, S. 10533, Auszug) §1 Der Aufenthalt im Reichsgebiet (Bundesgebiet) wird Ausländern erlaubt, die nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts im Reichsgebiet (Bundesgebiet) die Gewähr dafür bieten, daß die der gewährten Gastfreundschaft würdig sind. §5 (1) Der Aufenthalt im Reichsgebiet (Bundesgebiet) kann4 einem Ausländer verboten werden, der den Voraussetzungen des § 1 nicht entspricht. Ein Aufenthaltsverbot kann insbesondere gegen den Ausländer erlassen werden, a) dessen Verhalten geeignet ist, wichtige Belange des Reichs (Bundes) oder der Volksgemeinschaft zu gefährden; b) der im Reichsgebiet (Bundesgebiet) wegen eines Verbrechens oder Vergehens oder im Ausland wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Verbrechen oder Vergehen gilt, rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt worden ist; c) gegen den im Reichsgebiet (Bundesgebiet) oder im Ausland durch rechtskräftige Entscheidung einer Behörde eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung, die Unterbringung einer Fürsorgeeinrichtung oder die Entmannung angeordnet ist; d) der gegen Vorschriften des Steuerrechts (einschließlich des Zollrechts), des Monopolrechts oder des Devisenrechts oder gegen Einfuhr- oder Ausfuhrverbote verstoßen hat; e) der gegen die über die wirtschaftliche Betätigung oder die Regelung des Arbeitseinsatzes erlassenen Vorschriften verstoßen hat; f) der gegen die auf dem Gebiete der Ausländerpolizei, des Paß-, des Ausweisoder des Meldewesens erlassenen Vorschriften verstoßen hat; g) der gegenüber einer amtlichen Stelle zum Zwecke der Täuschung unrichtige Angaben über seine Person, seine Familie, seine Staatsangehörigkeit, seine Muttersprache seine Rassezugehörigkeit, seinen Beruf oder seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat; h) der im Reichsgebiet (Bundesgebiet) bettelt, als Landstreicher, als Zigeuner oder nach Zigeunerart umherzieht, der Gewerbsunzucht nachgeht oder sich als arbeitsscheu erweist; i) der nicht über genügende Mittel zur Bestreitung seiner oder des Unterhalts seiner Familie verfügt. (2) Das Aufenthaltsverbot kann5 auf den Ehegatten des Ausländers und seine minderjährigen Kinder ausgedehnt werden, auch wenn die Voraussetzungen für ein solches Verbot in der Person dieser Familienmitglieder nicht vorliegen.
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Text in Klammern zitiert aus: Überarbeitete Ausgabe 1954, W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld; „Kursiv gesetzte Wörter sind dem heutigen Recht angepasst“. Laut Dienstanweisung „ist“ ein Aufenthaltsverbot in vielen Fällen „regelmäßig zu erlassen“ (ebd.: 18). Laut Dienstanweisung soll davon „regelmäßig Gebrauch gemacht werden“ (ebd.: 20).
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ANHANG
§6 (1) Das Aufenthaltsverbot wird für das Reichsgebiet (Bundesgebiet) oder ausnahmsweise für bestimmte Teile des Reichsgebietes (Bundesgebietes) erlassen. (2) Das Aufenthaltsverbot wird unbefristet oder befristet erlassen. §7 (1) Der Ausländer hat das Reichsgebiet (Bundesgebiet) unverzüglich zu verlassen, wenn ein Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet (Bundesgebiet) gegen ihn erlassen ist. Das gleiche gilt, wenn a) die Voraussetzungen, unter denen der Ausländer gemäß § 2 Abs. 1 und 2 einer besonderen Aufenthaltserlaubnis nicht bedarf, weggefallen sind; b) seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist; c) seine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Buchstaben b) oder c) erloschen ist und er nicht rechtzeitig eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. (2) Ist die Aufenthaltserlaubnis nur für bestimmte Teile des Reichsgebiet (Bundesgebiet) erteilt, oder ist der Aufenthalt für bestimmte Teile des Reichsgebiets (Bundesgebietes) verboten, so hat der Ausländer das Gebiet, für das die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt oder der Aufenthalt verboten ist, unverzüglich zu verlassen. (3) Der Ausländer darf das Gebiet, für das die Aufenthaltserlaubnis nicht erlaubt oder der Aufenthalt verboten ist, nur mit besonderer Erlaubnis der Polizeibehörde betreten, die die räumlich beschränkte Aufenthaltserlaubnis erteilt oder den Aufenthalt verboten hat. (4) Ein Ausländer kann zur Vorbereitung des Erlasses eines Aufenthaltsverbots vorübergehend in polizeiliche Verwahrung genommen werden. (5) Der Ausländer ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 durch Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Reichsgebiet (Bundesgebiet) abzuschieben, wenn er das Reichsgebiet (Bundesgebiet) nicht freiwillig verläßt, oder wenn die Anwendung unmittelbaren Zwanges aus anderen Gründen geboten erscheint. Zur Sicherung der Abschiebung kann der Ausländer in Abschiebungshaft genommen werden.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353) in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juli 1978 (BGBl. I, S. 1108), Stand nach Änderung des AuslG vom 20. 12. 1988 (BGBl. I S. 2362) § 10 Ausweisung (1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn 1. er die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, 2. er wegen einer Straftat oder wegen einer Tat verurteilt worden ist, die im Geltungsbereich des Gesetzes eine Straftat wäre, 3. gegen ihn eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung, die Unterbringung in einer Arbeitseinrichtung oder einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet oder Fürsorgeerziehung in einem Heim durchgeführt wird, 4. er gegen eine Vorschrift des Steuerrechts einschließlich des Zollrechts und des Monopolrechts oder des Außenwirtschaftsrechts oder gegen Einfuhr-, Ausfuhr-, Durchfuhr-, oder Verbringungsverbote oder -beschränkungen verstößt, 5. er gegen eine Vorschrift über die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes oder einer unselbständigen Erwerbstätigkeit verstößt, 6. er gegen eine Vorschrift des Aufenthaltsrechts verstößt, 7. er gegenüber einer amtlichen Stelle zum Zwecke der Täuschung unrichtige Angeben über seine Person, seine Gesundheit, seine ‚Familie, seine Staatsangehörigkeit, seinen Beruf oder seine wirtschaftlichen Verhältnisse macht oder die Angaben verweigert, 8. er bettelt, der Erwerbsunzucht nachgeht oder als Landstreicher oder Landfahrer umherzieht, 9. er die öffentliche Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdet, 10. er den Lebensunterhalt für sich oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe bestreiten kann oder bestreitet oder 11. seine Anwesenheit erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland aus anderen Gründen beeinträchtigt. (2) In den Fällen des Absatzes 1 Nrn. 4 und 9 dürfen den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Auskünfte erteilt werden. § 11 Einschränkungen der Ausweisung (1) Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, können nur ausgewiesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 vorliegen oder die übrigen in § 10 Abs. 1 aufgeführten Gründe besonders schwer wiegen. (2) Ausländer, die als politische Verfolgte Asylrecht genießen, heimatlose Ausländer und ausländische Flüchtlinge können, wenn sie sich rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden.
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ANHANG
Verordnung über den Aufenthalt von Ausländern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik vom 14. Dezember 1956 (GBl. I Nr. 1, S. 1; Auszug) § 1. Ausländer im Sinne dieser Verordnung ist jede Person, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. § 2. (1) Ausländern wird der Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik gestattet, wenn sie für die in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik niedergelegten Grundsätze eingetreten sind und deshalb im Ausland verfolgt werden. Sie werden weder ausgeliefert noch ausgewiesen. (2) Ausländern kann auch aus anderen Gründen der Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik gestattet werden. § 6. (1) Die Aufenthaltsberechtigung kann nur für ungültig erklärt werden, wenn der Ausländer a) wegen eines Verbrechens oder Vergehens an der Deutschen Demokratischen Republik bestraft oder wegen einer Tat, die nach den Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik als Verbrechen oder Vergehen gilt, im Ausland strafrechtlich verfolgt oder rechtskräftig verurteilt wird; b) gegen die Devisenbestimmungen oder gegen die Melde- und Ausweisbestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik verstößt. (2) Die Ungültigkeitserklärung der Aufenthaltsberechtigung kann auf den Ehegatten des Ausländers sowie dessen minderjährige Kinder ausgedehnt werden, auch wenn für diese die Voraussetzungen für eine Ungültigkeitserklärung der Aufenthaltsberechtigung nicht vorliegen. § 7. Ausländer sind verpflichtet, die Deutsche Demokratische Republik unverzüglich zu verlassen, wenn a) die Aufenthaltsberechtigung (§ 5 Abs. 1) abgelaufen ist und keine Verlängerung erfolgt; b) wegen der Ungültigkeit des Heimatpasses oder durch eine sonstige Veränderung des Staatsangehörigkeitsverhältnisses die Aufenthaltsberechtigung durch die zuständigen Organe der Deutschen Volkspolizei eingezogen wurde und keine Neuausstellung erfolgt; c) die Aufenthaltsberechtigung für ungültig erklärt wurde.
Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik, § 59 vom 12. Januar 1968 § 59. Ausweisung. Gegenüber Tätern, die nicht Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind, kann anstelle oder zusätzlich zu der im verletzten Gesetz angedrohten Strafe auf Ausweisung erkannt werden. wie folgt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 1979 (GBl. I S. 139, neu bekannt gemacht am 14. 12.1988, GBl. 1989 I S. 33): (1) Gegenüber Tätern, die Ausländer sind, kann anstelle oder zusätzlich zu der im verletzten Gesetz angedrohten Strafe auf Ausweisung erkannt werden. (2) Gegenüber Verurteilten, die Ausländer sind, kann anstelle des weiteren Vollzuges einer zeitigen Freiheitsstrafe jederzeit die Ausweisung beschlossen werden. 275
BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Gesetz über die Gewährung des Aufenthaltes für Ausländer in der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. Juni 1979 (GBl. I Nr. 17, S. 149, Auszug) geändert bzw. aufgehoben mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) § 1. Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für Ausländer, die sich in der Deutschen Demokratischen Republik aufhalten. § 2. Ausländer im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die nicht die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik besitzen. Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990: „Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.“ § 3. (1) Für den Aufenthalt von Ausländern in der Deutschen Demokratischen Republik ist eine Genehmigung erforderlich. (2) Die Einholung einer Genehmigung zum Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik ist nicht erforderlich, soweit in anderen Rechtsvorschriften oder völkerrechtlichen Verträgen entsprechende Festlegungen getroffen wurden. § 6. [...] (2) Die Erteilung einer Genehmigung zum Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik kann von der Vorlage entsprechender Unterlagen abhängig gemacht werden. (3) Die Genehmigung kann zeitlich und örtlich beschränkt, versagt, entzogen oder für ungültig erklärt werden. Die Entscheidung bedarf keiner Begründung. [...] Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 zu § 6 Abs. 3 Satz 1: „b) Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 darf eine Genehmigung nur unter den in §§ 10 und 11 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353), das zuletzt durch Artikel 9 Abs. 5 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163) geändert worden ist, bezeichneten Voraussetzungen entzogen werden; die Wörter ‚oder für ungültig erklärt‘ finden keine Anwendung.“ Der § 6 Abs. 3 Satz 2 wurde aufgehoben. § 7. (1) Ausländer, die sich in der Deutschen Demokratischen Republik aufhalten, haben, wenn die Genehmigung zum Aufenthalt a) durch Fristablauf ungültig wurde und eine Verlängerung versagt wird, b) entzogen oder für ungültig erklärt wurde, die Deutsche Demokratische Republik unverzüglich zu verlassen. Ausländer, die dieser Verpflichtung nicht nachkommen, können ausgewiesen werden.
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ANHANG
Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl. I, S. 1354, Auszug) zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.6.1993 (BGBl. I, S. 1062) § 45 Ausweisung. (1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. (2) Bei der Entscheidung über die Ausweisung sind zu berücksichtigen 1. die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, 2. die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und 3. die in § 55 Abs. 2 genannten Duldungsgründe. (3) Eine Verwaltungsvorschrift eines Landes, Ausländer oder bestimmte Gruppen von Ausländern bei Vorliegen der in Absatz 1 und in § 46 bezeichneten Gründe oder einzelner dieser Gründe nicht oder in der Regel nicht auszuweisen, bedarf des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern. § 46 Einzelne Ausweisungsgründe. Nach § 45 Abs. 1 kann insbesondere ausgewiesen werden, wer 1. die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht, 2. einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist, 3. gegen eine für die Ausübung der Gewerbsunzucht geltende Rechtsvorschrift oder behördliche Verfügung verstößt, 4. Heroin, Cocain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, 5. durch sein Verhalten die öffentliche Gesundheit gefährdet oder längerfristig obdachlos ist, 6. für sich, seine Familienangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalten und denen er allgemein zum Unterhalt verpflichtet ist, oder für Personen in seinem Haushalt, für die er Unterhalt getragen oder auf Grund einer Zusage zu tragen hat, Sozialhilfe in Anspruch nimmt oder in Anspruch nehmen muß oder 7. Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie oder Hilfe für junge Volljährige nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch erhält; das gilt nicht für einen Minderjährigen, dessen Eltern oder dessen allein personensorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
§ 47 Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit. (1) Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist oder 2. mehrfach wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen von mindestens acht Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. (2) Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn er 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, 2. den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel anbaut, herstellt, einführt, durchführt oder ausführt, veräußert, an einen anderen abgibt oder in sonstiger Weise in Verkehr bringt oder mit ihnen handelt oder wenn er zu einer solchen Handlung anstiftet oder Beihilfe leistet. (3) Ein Ausländer, der nach §48 Abs. 1 erhöhten Ausweisungsschutz genießt, wird in den Fällen des Absatzes 1 in der Regel ausgewiesen. In den Fällen des Absatzes 2 wird über seine Ausweisung nach Ermessen entschieden. § 48 Besonderer Ausweisungsschutz. (1) Ein Ausländer, der 1. eine Aufenthaltsberechtigung besitzt, 2. eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, 3. eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und mit einem der in Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt, 4. mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, 5. als Asylberechtigter anerkannt ist, im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt oder einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen über die Rechtsstellung für Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, 6. [1993 - BGBl. I S. 1062 - ergänzt um:] eine nach § 32a erteilte Aufenthaltsbefugnis besitzt, kann nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. (2) Ein minderjähriger Ausländer, dessen Eltern oder dessen allein personensorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wird nicht ausgewiesen, es sei denn, er ist wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden. Das gleiche gilt für einen Heranwachsenden, der im Bundesgebiet geboren oder aufgewachsen ist und mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt. (3) Ein Ausländer, der einen beachtlichen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, daß das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn 1. ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 1 eine Ausweisung rechtfertigt, oder 2. der Asylantrag nach § 11 des Asylverfahrensgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
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ANHANG
Änderungen der §§ 47 und 48 AuslG im Jahr 1994 durch das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ (BGBl. I S. 3186), Oktober 1994 § 47 Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit. (1) Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er 1. (unverändert) 2. (unverändert) oder 3. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. (2) Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn er 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, 2. (unverändert) (3) (unverändert) Über die Ausweisung eines heranwachsenden Ausländers, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 nach Ermessen entschieden. Auf minderjährige Ausländer finden Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 1 keine Anwendung. § 48 Besonderer Ausweisungsschutz. (1) (unverändert) (2) (Satz 1 unverändert) Ein Heranwachsender, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, wird nur nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 3 ausgewiesen. (3) (unverändert)
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Änderungen der §§ 47 und 48 AuslG im Jahr 1997 durch das „Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften“ (BGBl. I S. 2585), Oktober 1997 §47 Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit. (1) Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist oder 2. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, wegen Landfriedensbruches unter den in § 125a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß § 125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. (2) Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn er 1. (unverändert) 2. (unverändert) 3. sich im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen oder aufgelösten Aufzugs an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt. (3) (unverändert) § 48 Besonderer Ausweisungsschutz. (1) (Satz 1 unverändert) Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 vor.
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ANHANG
Änderungen der §§ 8, 46 und 47 AuslG im Jahr 2002 durch das „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ (BGBl. I S. 361), 9. Januar 2002 § 8 Besondere Versagungsgründe. (1) Die Aufenthaltsgenehmigung wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn 1. - 4. unverändert 5. er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zu Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder wenn Tatsachen belegen, dass er einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. § 46 Einzelne Ausweisungsgründe. Nach § 45 Abs. 1 kann insbesondere ausgewiesen werden, wer 1. in Verfahren nach diesem Gesetz oder zur Erlangung eines einheitlichen Sichtvermerkes nach Maßgabe des Schengener Durchführungsübereinkommens falsche Angaben zum Zwecke der Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung gemacht oder trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat, wobei die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig ist, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben hingewiesen wurde, § 47 Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit. (1) (unverändert) (2) Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn er 1. - 3. unverändert 4. wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Versagungsgrundes gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten dürfte oder 5. in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus verdächtig sind. Die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben hingewiesen wurde.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) (BGBl I 2004, 1950), 30. Juli 20046 § 53 Zwingende Ausweisung Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, 2. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, wegen Landfriedensbruches unter den in § 125a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß § 125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist oder 3. [neu ggü. der Version von 2002] wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 oder § 97 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. § 54 Ausweisung im Regelfall Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn 1. er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, 2. er wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 oder § 97 rechtskräftig verurteilt ist, 3. er den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel anbaut, herstellt, einführt, durchführt oder ausführt, veräußert, an einen anderen abgibt oder in sonstiger Weise in Verkehr bringt oder mit ihnen handelt oder wenn er zu einer solchen Handlung anstiftet oder Beihilfe leistet, 4. er sich im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen oder aufgelösten Aufzugs an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt, 5. [neu ggü. der Version von 2002] Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen, 5a. [neu ggü. der Version von 2002] er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht, 6
Das Aufenthaltsgesetz vom 20. Juni 2002 (BGBl. I S. 1946) ist nicht in Kraft getreten; alle Erweiterungen der Version von 2004 sind hier kenntlich gemacht.
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ANHANG
6. er in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde; oder 7. [neu ggü. der Version von 2002] er zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. § 54a Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit [neu ggü. der Version von 2002] (1) Ein Ausländer, gegen den eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5a oder eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Ist ein Ausländer auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig, kann eine Satz 1 entsprechende Meldepflicht angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. (2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. (3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können. (4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, bestimmte Kommunikationsmittel oder -dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkung notwendig ist, um schwere Gefahren für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. (5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar. § 55 Ermessensausweisung (1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. (2) Ein Ausländer kann nach Absatz 1 insbesondere ausgewiesen werden, wenn er 1. in Verfahren nach diesem Gesetz oder zur Erlangung eines einheitlichen Sichtvermerkes nach Maßgabe des Schengener Durchführungsübereinkommens falsche oder unvollständige Angaben zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht oder trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat, wobei die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig ist, wenn der Ausländer
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, 2. einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist, 3. gegen eine für die Ausübung der Gewerbsunzucht geltende Rechtsvorschrift oder behördliche Verfügung verstößt, 4. Heroin, Cocain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, 5. durch sein Verhalten die öffentliche Gesundheit gefährdet oder längerfristig obdachlos ist, 6. für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt, 7. Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie oder Hilfe für junge Volljährige nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch erhält; das gilt nicht für einen Minderjährigen, dessen Eltern oder dessen allein personensorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, oder 8. a) [neu ggü. der Version von 2002] öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, oder b) [neu ggü. der Version von 2002] in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. (3) Bei der Entscheidung über die Ausweisung sind zu berücksichtigen 1. die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, 2. die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben, 3. die in § 60a Abs. 2 genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. § 56 Besonderer Ausweisungsschutz (1) Ein Ausländer, der 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, 2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, 3. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, 4. mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, 5. als Asylberechtigter anerkannt ist, im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt oder einen von einer Behörde der Bundesrepublik 284
ANHANG
Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, genießt besonderen Ausweisungsschutz. Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen. [neu ggü. der Version von 2002:] Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 vor. Liegen die Voraussetzungen des § 53 vor, so wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen. Liegen die Voraussetzungen des § 54 vor, so wird über seine Ausweisung nach Ermessen entschieden. (2) Über die Ausweisung eines Heranwachsenden, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und eine Niederlassungserlaubnis besitzt, sowie über die Ausweisung eines Minderjährigen, der eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis besitzt, wird in den Fällen der §§ 53 und 54 nach Ermessen entschieden. Soweit die Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil des Minderjährigen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wird der Minderjährige nur in den Fällen des § 53 ausgewiesen; über die Ausweisung wird nach Ermessen entschieden. (3) Ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 oder § 29 Abs. 4 besitzt, kann nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 ausgewiesen werden. (4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 1 abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn 1. ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 1 eine Ausweisung rechtfertigt, oder 2. eine nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. § 58a Abschiebungsanordnung [neu ggü. der Version von 2002] (1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht. (2) Das Bundesministerium des Innern kann die Übernahme der Zuständigkeit erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht. Die oberste Landesbehörde ist hierüber zu unterrichten. Abschiebungsanordnungen des Bundes werden von der Bundespolizei vollzogen. (3) Eine Abschiebungsanordnung darf nicht vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 gegeben sind. § 59 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Die Prüfung obliegt der über die Abschiebungsanordnung entscheidenden Behörde, die nicht an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren gebunden ist. (4) Dem Ausländer ist nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich zuvor anwaltlichen Beistands versichert; er ist hierauf, auf die Rechtsfolgen der Abschiebungsanordnung und die gegebenen Rechtsbehelfe hinzuweisen. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen. Die Abschiebung darf bis zum Ablauf der Frist nach Satz 2 und im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht vollzogen werden.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Änderungen der §§ 54, 55 und 56 Aufenthaltsgesetz im Jahr 2007 durch das „Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ (BGBl. I S. 1970) am 19. August 2007 § 55 Ermessensausweisung (1) (unverändert) (2) Ein Ausländer kann nach Absatz 1 insbesondere ausgewiesen werden, wenn er 1. in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Anwenderstaates des Schengener Durchführungsübereinkommens durchgeführt wurde, im In- oder Ausland a) falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder b) trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde, (2. - 8. unverändert) 9. auf ein Kind oder einen Jugendlichen gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken, 10. eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, oder 11. eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht. (3) (unverändert) § 56 Besonderer Ausweisungsschutz (1) Ein Ausländer, der 1. (unverändert) 1a. eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt, (2-5 unverändert) (2) (Satz 1 u. 2 unverändert) Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. (3) (unverändert) (4) (unverändert)
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ANHANG
Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986); § 6 zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) § 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 5 Abs. 5 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 39 Abs. 3, Artikel 46 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft) festgestellt und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht oder über den Daueraufenthalt eingezogen und die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte widerrufen werden. Aus den in Satz 1 genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nur erfolgen, wenn die Krankheit innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise auftritt. (2) Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. (3) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. (4) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. (5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht. (6) Die Entscheidungen oder Maßnahmen, die den Verlust des Aufenthaltsrechts oder des Daueraufenthaltsrechts betreffen, dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden. (7) Wird der Pass, Personalausweis oder sonstige Passersatz ungültig, so kann dies die Aufenthaltsbeendigung nicht begründen. (8) Vor der Feststellung nach Absatz 1 soll der Betroffene angehört werden. Die Feststellung bedarf der Schriftform.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Liste der Primärquellen Aufgeführt sind in chronologischer Ordnung alle Primärquellen (Zeitungs-/ Zeitschriftenartikel, Bundestagsdrucksachen, Parlamentsprotokolle, Stellungnahmen, Presseerklärungen) die im Text zitiert wurden und nicht im Literaturverzeichnis erscheinen 19931110-PlenProt.12/188, Die Anschläge terroristischer Kurdenorganisationen auf türkische Einrichtungen in Deutschland und die deutschtürkischen Beziehungen. Aktuelle Stunde; Plenarprotokoll des dt. Bundestags vom 10.11.1993. 19940322-BerlZtg; CDU fordert harte Strafen gegen Gewalttäter – Innenausschuß des Abgeordnetenhauses befaßte sich mit den blutigen Ausschreitungen vom Wochenende; Berliner Zeitung vom 22.3.1994, Tagesthema S. 2. 19940326-FAZ; Das Abschieben bleibt, FAZ vom 26.03.1994, Leitglosse S. 1. 19951124-BRProt 691; Antrag des Freistaates Bayern zur Änderung des Ausländergesetzes; Protokoll der 691. Sitzung des Bundesrats vom 24.11. 1995. 19960316-ap; Union plant Abschiebung bei schwerem Landfriedensbruch – Kinkel ruft Kurden in Deutschland zu Gewaltlosigkeit auf; Associated Press Worldstream, 16.03.1996. 19960317-ap; Autobahnblockaden und Krawalle von Kurden – Kanther und Kinkel fordern Abschiebung der Rädelsführer; Associated Press Worldstream, 17.03.1996. 19960318a-BILD; Kurden-Terror in NRW. Kinkel: Rädelsführer sofort abschieben!; BILD vom 18.3.1996, S. 1. 19960318b-BILD; „Wer stoppt den Straßen-Terror“ Zu: Kurden-Krawalle; BILD vom 18.03.1996, Leserbriefe, S. 2. 19960318c-BILD; Gewalt-Kurden. Ausweisung sofort; BILD vom 18.03.1996, Kommentar S. 2. 19960318-FAZ; Kinkel: Terror der Kurden Kriegserklärung an den Rechtsstaat – „Rädelsführer abschieben“; FAZ vom 18.03.1996, S. 1. 19960318-Focus; PKK: Heißer Tanz, Focus Magazin Nr. 12 vom 18.3.1996, S. 44. 19960319a-BILD; Kurden-Terror – Schützt endlich unsere Polizei!; BILD vom 19.03.1996, S. 1. 19960319b-BILD; Bundespräsident Herzog bei verletzten Polizisten ... und Bild zahlt den Erholungsurlaub / Kurden-Krawalle: „Polizisten werden gnadenlos verheizt!“; BILD vom 19.03.1996, S. 2.
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ANHANG
19960319-FAZ; Die Sicherheitsbehörden rechnen mit weiteren gewalttätigen Kurden-Demonstrationen; FAZ vom 19.03.1996, S. 1. 19960319-SZ; Nach den Ausschreitungen vom Wochenende – Union will gewalttätige Kurden schneller abschieben; SZ vom 19.03.1996, S. 2. 19960320-SZ; Bundesregierung will das Ausländerrecht verschärfen – Kohl: PKK-Terroristen sofort in die Türkei abschieben; SZ vom 20.3.1996, Aufmacher S. 1. 19960322-FAZ; CSU will Verurteilung von Gewalttätern nicht abwarten – Glos: Ausweisung auch wegen Teilnahme an verbotenen Demonstrationen; FAZ vom 22.3.1996, S. 1. 19960325-Focus; PKK "AUFHETZEN UND ZUSCHLAGEN", Focus Magazin Nr.13 vom 25.3.1996, S. 20-24. 19960325-Spiegel; Kurden. Hilflos vor dem Terror; Der Spiegel vom 25.03.1996, S. 35. 19960328-SZ; Kabinett reagiert auf Kurden-Krawalle – Ausländer sollen bei schwerem Landfriedensbruch automatisch in ihre Heimat abgeschoben werden, SZ v. 28.03.1996, Aufm. S. 1. 19960430-FAZ; Ausweisung auch bei Landfriedensbruch Vorschläge von Koalitionspolitikern zur Änderung des Ausländerrechts; FAZ vom 30.4.1996, S. 4. 19960618-BtDrs13/4948; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften; Deutscher Bundestag: Drucksache 13/4948 vom 18.06.1996 19960618-BtDrs13/4948; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften; BundestagsDrucksache 13/4948 vom 18.06.1996. 19960621-Plenprot13.114; Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften; Plenarprotokoll des dt. Bundestags vom 21.6.1996. 19961114-Plenprot13.138; Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften; Plenarprotokoll des dt. Bundestags vom 14.11.1996. 19970720-BILD; Schröder: Kriminelle Ausländer raus!; Bild am Sonntag vom 20.07.1997, S. 4/5 19970728-Focus; INNERE SICHERHEIT. VERBRECHER IM VISIER; Focus Magazin Nr.31 vom 28.07.1997, S. 20-30. 19980419-ap; Bayern will Eltern krimineller Ausländerkinder ausweisen; Associated Press Worldstream 19.4.1998. 19980420-ap; Proteststurm gegen Bayerns Pläne zur Ausländerpolitik. Staatsregierung will Eltern krimineller Ausländerkinder ausweisen lassen; Associated Press Worldstream vom 20.4.1998.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
19980420-Focus; KRIMINALITÄT; Eltern haften für ihre Kinder; Focus Magazin Nr. 17 vom 20.4.1998, S. 32-33. 19980421-FAZ; Bayern: Ausweisung krimineller Ausländerkinder im Einzelfall, FAZ vom 21.4.1998, S. 5. 19980421-SZ; Bei Straftaten von Ausländer-Kindern – Bayern droht Eltern mit der Ausweisung; SZ vom 21.4.1998, S. 1. 19980430-FAZ; Ausweisung wegen kriminellen Kindes?; FAZ vom 30.4. 1998, S. 6. 19980431-BILD; Kriminelles Kind wird mit Eltern abgeschoben, BILD vom 31.4.1998; S. 1. 19980525-Focus; Eltern krimineller ausländischer Jugendlicher ausweisen?; Focus Magazin NR. 25 vom 25.5.1998, S. 82. 19980527-SZ; Der Fall Mehmet: Ein 13jähriger – zu kriminell für Deutschland?; SZ vom 27.5.1998, S. 3. 19980608-Focus; Türkei ist nur noch Urlaubsland; Focus Magazin Nr. 24 vom 8.6.1998, S. 290. 19980612-SZ; Mehmets Ausweisung verstößt gegen Menschenrechte; SZ vom 12.6.1998, S. 17. 19980708-FAZ; Auch Ude will Serientäter "Mehmet" ausweisen; FAZ vom 8.7.1998, S. 1. 19980710-BRPlenProt.728; Antrag des Freistaates Bayern zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes; Plenarprotokoll 728 des Bundesrats vom 10.07.1998. 19980710-SZ; SZ-Interview mit Hamburgs Senator Willfried Maier – „Mehmet ist unser aller Problem; SZ vom 10.7.1998, S. 5. 19980713-Focus; Jugendkriminalität; Allzu leicht aggressiv; Focus Magazin Nr. 29 vom 13.7.1998, S. 32-33. 19980716-SZ; "Ein interessanter Trick" Der völkerrechtliche Dreh, kriminelle Ausländerkinder gleich mit ihren Eltern auszuweisen; SZ vom 16.7.1998, S. 9. 19980727-Focus; "MEHMET"; Sonderarrest im Gefängnis; Focus Magazin Nr. 31 vom 27.7.1998, S. 12. 19980729-SZ; Münchner Verwaltungsgericht: – „Mehmet“ darf ausgewiesen werden; SZ vom 29.7.1998, S. 1. 19980810-SZ; „Mehmet“ ist einer von uns – Zu den Berichten über die von der Stadt gewünschte Ausweisung von Muhlis A.; SZ vom 10.8.1998, Leserbriefe S. L2. 19980905-FAZ; Serientäter "Mehmet" wird vorerst nicht ausgewiesen; FAZ vom 5.9.1998, S. 2. 19980905-SZ; Verfügte Ausweisung unrechtmäßig – „Mehmet“ wird vorerst nicht abgeschoben; SZ vom 5.9.1998, S. 1.
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ANHANG
19981102-Focus; FOCUS-FRAGE; Focus Magazin Nr. 45 vom 2.11.1998, S. 11. 19981216-Spiegel; Mehmet in die Türkei abgeschoben; Der Spiegel vom 16. 12.1998, S. 297. 19990405-Spiegel; „Kleiner Scheisser“; Der Spiegel Nr. 14 vom 5.4.1999, S. 52. 20011004-FAZ; Beckstein: Telefondaten weitergeben; FAZ vom 4.10.2001, S. 5. 20011008-Spiegel; „Scharfes Tempo“; Der Spiegel vom 8.10.2001, S. 26. 20011019-FAZ; Kritik am zweiten Sicherheitspaket; FAZ vom 19.10.2001, S. 2. 20011108-BTDrs. 14/7386; Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz), BundestagsDrucksache 14/7386 vom 8. 11. 2001. 20011108-BTDrs.14/7387; Begründung Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung; Bundestags-Drucksache 14/7387 vom 8. 11. 2001. 20011201-SZ; Beckstein verlangt Änderungen an Schilys Entwurf; SZ vom 1.12.2001, S. 5. 20020322-BRProt.774; Rede des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zum Zuwanderungsgesetz, Protokoll der 774. Sitzung des Bundesrats vom 22.03.2002. 20020701-Spiegel; Griff in Watte; Der Spiegel vom 1.7.2002, S. 30. 20020716-BVerwG; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. 07.2002; Az. BVerwG 1 C 8.02. 20020912-FAZ; Schily: Beckstein sagt Unwahrheit; FAZ vom 12.9.2002, S. 4. 20040317-FAZ; Stoiber: Wir sind viel zu lasch; FAZ vom 17.03.2004, S. 2. 20040322-Focus; TERROR. Schnittstelle Deutschland; Focus Magazin vom 22.3.2004, S. 20-26. 20040322-Spiegel; „Als wäret ihr im Krieg“; Der Spiegel vom 22.3.2004, S. 24. 20040322-SZ; Schily erwartet „schwierige Gespräche“; SZ vom 22.3.2004, S. 5. 20040325-FAZ; Deutschland „in massiver Weise bedroht“, FAZ vom 25.3. 2004, S. 2. 20040325-SZ; Für rasche Abschiebung gefährlicher Ausländer; SZ vom 25.3. 2004, S. 1. 20040325-SZ; Ruckzuck raus, egal wohin, Hauptsache weg – Die geplante Verschärfung des Ausweisungsrechts verschärft die Sicherheitsrisiken, SZ vom 25.03.2004, Kommentar S. 4.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
20040505-SZ; Ringen um neues Zuwanderungsrecht: Das grüne Ultimatum nach vier Jahren erregter Debatte; SZ vom 5.5.2004, S. 5. 20040515-FAZ; „Straftäter ausweisen, Kontaktsperre für Hassprediger“; FAZ vom 15.5.2004, S. 1. 20040517-SZ; „Der Ball liegt nun im Feld von Rot-Grün“; SZ vom 17.5. 2004, S. 5. 20040518-FAZ; Für Ausweisung und Regelanfrage; FAZ vom 18.5.2004, S. 2. 20040524-Spiegel; SPD macht Angebote; Der Spiegel vom 24.5.2004, S. 20. 20040525-Merkel/Stoiber; Gesetzliche Regelung zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung und für mehr Sicherheit in Deutschland; Presseerklärung von Dr. Angela Merkel und Dr. Edmund Stoiber vom 25.5.2004; 20040527-FAZ; Die Grünen fühlen sich ausgeschlossen; FAZ vom 27.05. 2004, S. 1. 20040529-FAZ; Im Dickicht des Ausländerrechts. Metin Kaplan auf dem Weg durch den deutschen Rechtsstaat; FAZ vom 29.5.2004, S. 2. 20040529-Focus; Ausländer: Alles unter Kontrolle; Focus Magazin Nr. 23 vom 29.5.2004, S. 18-22. 20040529-Focus; Islamist: Kaplan hat ausgespielt; Focus Magazin Nr. 23 vom 29.5.2004, S. 24-45. 20040529-SZ; Vermeidbare Blamage; Auch ein Kaplan hat Rechte: Durch die Beachtung des Gesetzes hätten sich die Behörden Peinlichkeiten erspart; SZ vom 29.5.2004. S. 5. 20040603-SZ; Beckstein will Zuwanderung vor Sommerpause regeln; SZ vom 3. 6.2004; S. 6. 20040607-Spiegel; Im Labyrinth des Kalifen; Der Spiegel vom 7.7.2004, S. 24. 20040618-SZ; SPD und Union einigen sich auf Zuwanderungsgesetz; SZ vom 18.6.2004, S. 1. 20040630-BTDrs.15/3479; Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz); Bundestags-Drucksache 15/3479 vom 30.6.2004. 20040701-PlenProt 15/118; Dritte Lesung und Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes; Plenarprotokoll 15/118 des Dt. Bundestags vom 1.7.2004. 20040710-FAZ; Erleichterungen, Verschärfungen: Das neue Einwanderungsgesetz; FAZ vom 10.7.2004, S. 4. 20040816-Focus; AL-QAIDA: Terror-Schüler leben in Deutschland; Focus Magazin Nr. 34 vom 16.8.2004, S. 15. 20041129-Spiegel; „Wenig verwurzelt“, Der Spiegel vom 29.11.2004, S. 40.
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ANHANG
20041222-BMI; Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand: 22.12.2004. 20041231-FAZ; Einwanderungsgesetz tritt in Kraft; FAZ vom 31.12.2004, S. 2. 20050124-Spiegel; Aktion Kehraus. Das neue Zuwanderungsgesetz vereinfacht die Abschiebung von Ausländern – die Innenminister bereiten die Ausweisung Hunderter Islamisten vor; Der Spiegel Heft 4 vom 24.1.2005, S. 62. 20050223-VGBerlin; Ausweisung eines Predigers der Mevlana-Moschee wegen Gewaltverherrlichung rechtmäßig; Presseerklärung des VG Berlin Nr. 13/2005 zum Beschluss vom 22.2.2005, VG 25 A 6.05. 20060331-FAZ; „Der Intensivtäter wird zum Vorbild“ Eine Hauptschule im Berliner Bezirk Neukölln ruft verzweifelt um Hilfe; FAZ vom 31.3.2006, S. 1. 20060401a-BILD; Die Wahrheit über unsere Schulen; BILD vom 1.4.2006, Kommentar auf S. 2. 20060401b-BILD; Können ausländische Krawallschüler abgeschoben werden?; BILD vom 1.4.2006, S. 7. 20060401-SZ; Berliner Rütli-Schule – Neukölln, fremdes Land; SZ vom 1.4. 2006, S. 4. 20060402-BILD; Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) fordert: Wer sich nicht integriert, muß Deutschland verlassen!; Bild am Sonntag vom 2.4.2006, S. 3. 20060403-BILD; Stoiber: Wer nicht Deutsch spricht, kommt auf die Sonderschule!; BILD vom 3.4.2006, S. 3. 20060403-FAZ; Weitere Berliner Schulen rufen um Hilfe; FAZ vom 3.4. 2006, S. 1. 20060403-FOCUS; ‚Die verachten unser System‘; Focus Magazin Nr. 14 vom 3.4.2006, S. 22-26. 20060403-Spiegel; Die verlorene Welt; Der Spiegel Heft 14 vom 3.4.2006, Titelgeschichte S. 22. 20060404-FAZ; Union fordert „nationalen Integrationsgipfel“; FAZ vom 4.4. 2006, S. 1. 20060405-BILD; Die Ausländerdebatte und die Gewalt an Berliner Schulen; BILD vom 5.4.2006, Doppelseite 2/3. 20060405-PlenProt01/31; Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin; Plenarprotokoll 16/31 des Dt. Bundestags: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP am 5.4.2006. 20060406a-BILD; Terror-Schulen – Die Wut der Berliner Lehrer / Integrationsdebatte Hier sprechen Berliner Ausländer und hier rechnen die Berli-
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
ner Lehrer mit der Schul-Politik ab; BILD vom 6.4.2006, S. 1 und Doppelseite 2/3. 20060406-BerlZtg; „Die Eltern sind in der Pflicht“ Innenminister Wolfgang Schäuble im Interview über das Integrationsproblem; Berliner Zeitung vom 6.4.2006, S. 5. 20060407-BILD; Ausländer-Politik: So hat der Staat versagt – 7 Wahrheiten über Ausländerpolitik; BILD vom 7.4.2006, S. ½ 20060408-BILD; Bundesbeauftragte sagt voraus: 2010 so viele Ausländer wie junge Deutsche!; BILD vom 8.4.2006 S. 2. 20060410-FOCUS; ABSCHIEBUNG: Harte Worte, weiches Recht; Focus Magazin Nr. 15 vom 10.4.2006, S. 30-32. 20060415a-BILD; Politiker fordern nach Ehrenmord-Urteil: Hatuns Familie soll das Land verlassen! / Jetzt fordern Politiker Konsequenzen und schärfere Gesetze; BILD vom 15.4.2006, S. 1 u. Doppelseite 2/3. 20060415a-FAZ; Mord bleibt Mord; FAZ vom 15.4.2006, Leitglosse S. 1. 20060415b-BILD; Volljährige sind voll verantwortlich; BILD vom 15.4. 2006. 20060415b-FAZ; Politiker wollen Rechte muslimischer Frauen stärken – „Null Toleranz bei Zwangsverheiratungen“; FAZ vom 15.4.2006, Aufmacher S. 1. 20060415-SZ; Hilflose Machos; SZ vom 15.4.2006, Kommentar S. 4. 20060418a-FAZ; Justiz – Folgen eines „Ehrenmords“; FAZ vom 18.4.2006, S. 4. 20060418b-FAZ; An Beweises statt – Nach dem Urteil: Was weiß man über Ehrenmorde?; FAZ vom 18.4.2206, Aufmacher Feuilleton S. 33. 20060418-BILD; Wenn Väter Morde befehlen. Ein Sohn packt aus; BILD vom 18.4.2006, S. 2. 20060420-ZEIT; Integration – Bitte um eine Ausreise; Die Zeit vom 20.4. 2006, S. 22. 20060421-BILD; 65 Prozent der Deutschen wollen, dass die Sürücüs in ihr Heimatland zurückgeschickt werden; BILD vom 21.4.2006, S. 6. 20060424-FOCUS; ‚EHRENMORD‘: Weil sie ihr Leben lebte; Focus Magazin Nr. 17 vom 24.4.2006, S. 48-50. 20060424-Spiegel; Verbrechen im Namen der Ehre; Der Spiegel Heft 17 vom 24.4.2006, S. 80. 20060426-Plenprot16/094; Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union; Plenarprotokoll 16/94 des Deutschen Bundestags vom 26.4.2007. 20060614-PlenProt16/103; Zweite Beratung und Abstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs; Plenarprotokoll 16/103 des Dt. Bundestags vom 14.6.2007. 294
ANHANG
20061120-IMK, Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 182. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 17. November 2006 in Nürnberg. 20070223-Interkult.Rat/PROASYL/DGB; Unter dem Deckmantel der Umsetzung von EU-Richtlinien: Regierungskoalition plant weitere Verschärfungen im Ausländer- und Einbürgerungsrecht; Stellungnahme von „Interkultureller Rat in Deutschland“, „Pro Asyl“ und „DGB-Bundesvorstand – Bereich Migrations- und Antirassismuspolitik“ vom 23.02.2007. 20070226-FR; Verschärftes Ausländerrecht – „Integrationsfeinde“ sollen gehen; Frankfurter Rundschau vom 26.2.2007, S. 10. 20070227-Welt; Streit um neues Bleiberecht landet im Koalitionsausschuss; Die Welt vom 27.2.2007, S.2. 20070314-Berl.Morgenpost; Verschärfungen im Ausländerrecht geplant; Berliner Morgenpost vom 14.3.2007, S.3. 20070407-FAZ; Schäuble für Sanktionen; FAZ vom 7.4.2007, S. 4. 20070423-BTDrs.16/5065; Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union; Bundestagsdrucksache 16/5065 vom 23.4.2007. 20070521-Hailbronner; Kay Hailbronner: Stellungnahme zur Anhörung des Innenausschusses zum „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“; Innenausschuss-Drucksache 16(4)209 F vom 21.5.2007. 20071226-BILD; Beckstein drängt auf Abschiebung; BILD vom 26.12.2007, S. 4. 20071227-SZ; Debatte nach Gewalttat in Münchner U-Bahn – „Ausländische Täter schneller ausweisen“; SZ vom 27.12.2007, S. 1. 20071228-Welt; Nach Rentner-Überfall – Koch will kriminelle Ausländer loswerden; Die Welt vom 28.12.2007, S. 5. 20080302-FAZ; Schäuble und Giordano über Integration: „Mir macht Angst, dass Sie so viel Verständnis haben“; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2.3.2008, S. 7. 20091204-Nds.MI; Innenministerkonferenz unterstützt Reform des Ausweisungsrecht, Presseerklärung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 04.12.2009.
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BEDROHUNG, GASTRECHT, INTEGRATIONSPFLICHT
Literaturliste Adam, J. (2004): Auseinandersetzungen um das neue Zuwanderungsgesetz, in: Barwig, K./Davy, U. (Hg.), Auf dem Weg zur Rechtsgleichheit? Konzepte und Grenzen einer Politik der Integration von Einwanderern: Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2003 und 2004, Baden-Baden. Adler, H. G. (1974): Der verwaltete Mensch, Tübingen. Albert, H. (1990): Das Grundrecht auf Leben als Schranke für aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Frankfurt/M., New York. Alleweldt, R. (1996): Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe: RefoulementVerbote im Völkerrecht und im deutschen Recht, Berlin, London. — (1999): Ausweisung und Abschiebeschutz – Novellierungsbedarf im deutschen Ausländerrecht mit Rücksicht auf die Europäische Menschend das Europäische Fürsorgeabkommen, in: Barwig, K. (Hg.), Neue Regierung – neue Ausländerpolitik? Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 1999, Baden-Baden. Allolio-Näcke, L./Kalscheuer, B./Manzeschke, A. (Hg.) (2005): Differenzen anders denken: Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdifferenz, Frankfurt/M., New York. Alt, J. (1999): Illegal in Deutschland – Forschungsprojekt zur Lebenssituation „illegaler“ Migranten in Leipzig, Karlsruhe. Aly, G./Roth, K. H. (1984): Die restlose Erfassung: Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus, Berlin. Anderson, B. (1988): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts, Frankfurt/M., New York. Artelt, C. u a. (Hg.) (2001): PISA 2000 Zusammenfassung zentraler Befunde. Schülerleistungen im internationalen Vergleich, Berlin. Austin, J. L. (1962): How to do things with words, Cambridge, Mass. Ayim, M. (2001): Die afro-deutsche Minderheit, in: Arndt, S. (Hg.), AfrikaBilder: Studien zu Rassismus in Deutschland, Münster. Bade, K. J. (1984): „Preußengänger“ und „Abwehrpolitik“. Ausländerbeschäftigung, Ausländerpolitik und Ausländerkontrolle auf dem Arbeitsmarkt in Preußen vor dem ersten Weltkrieg, in: AfS, S. 91-162. — (1985): Arbeitsmarkt, Bevölkerung und Wanderung in der Weimarer Republik, in: Stürmer, M. (Hg.), Die Weimarer Republik: belagerte civitas, Königstein/Ts. — (1992): ‚Billig und willig‘ – die ‚ausländischen Wanderarbeiter‘ im kaiserlichen Deutschland, in: Bade, K. J. (Hg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland, München. — (1995): Ausländer – Aussiedler – Asyl: eine Bestandsaufnahme, München.
296
ANHANG
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Gabriele Cappai, Shingo Shimada, Jürgen Straub (Hg.) Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns Mai 2010, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-89942-793-6
Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold (Hg.) Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität Juni 2010, ca. 146 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1375-9
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Kultur und soziale Praxis Özkan Ezli (Hg.) Kultur als Ereignis Fatih Akins Film »Auf der anderen Seite« als transkulturelle Narration August 2010, ca. 150 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1386-5
Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo Mai 2010, ca. 450 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1114-4
Sabine Hess, Jana Binder, Johannes Moser (Hg.) No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa 2009, 246 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-890-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Iman Attia Die »westliche Kultur« und ihr Anderes Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus 2009, 186 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1081-9
Jutta Aumüller Assimilation Kontroversen um ein migrationspolitisches Konzept 2009, 278 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1236-3
Esther Baumgärtner Lokalität und kulturelle Heterogenität Selbstverortung und Identität in der multi-ethnischen Stadt 2009, 264 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1340-7
Jörg Becker Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa Februar 2010, 256 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-946-6
Aida Bosch Konsum und Exklusion Eine Kultursoziologie der Dinge Januar 2010, 504 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1326-1
Kathrin Düsener Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion Januar 2010, 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1188-5
Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltags-Mobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten Juni 2010, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-89942-928-2
Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana Mai 2010, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6
Hans-Walter Schmuhl (Hg.) Kulturrelativismus und Antirassismus Der Anthropologe Franz Boas (1858-1942) 2009, 350 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1071-0
Asta Vonderau Leben im »neuen Europa« Konsum, Lebensstile und Körpertechniken im Postsozialismus Mai 2010, ca. 208 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1189-2
Arne Weidemann, Jürgen Straub, Steffi Nothnagel (Hg.) Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Ein Handbuch Mai 2010, ca. 568 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1150-2
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