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German Pages 140 [56] Year 1909
Bayern im Jahre 1866 und die
Berufung des Fürsten Hohenlohe Zweites Kapitel Persönlichkeit und polittsche Anschauungen
des Fürsten Hohenlohe
Inaugural-Dissertation der
philosophischen Fakultät Sektion l der
Ludwig-Maximilians-Universität in München
Bon Karl Alexander von Müller aus München
Jur Zensur eingereicht am 4. Juli 1908
München
Druck von R. Oldenbourg 1909
Genehmigt auf Antrag der Herren: Professor Dr. v. Riezler. Professor Dr. v. Heigel.
Mit Genehmigung der hohen Fakultät kommt hier nur ein Teil der ganzen Arbeit, welche ihr zur Beurteilung vorlag, zum Abdruck. Das Ganze erscheint gleichzeitig als 20. Band der Historischen Bibliothek, herausgegeben von der Redaktion der „Historischen Zeitschrift". (Druck und Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin.)
Inhaltsübersicht der ganzen Arbeit.
1. Kapitel. Lage, Haltung und Stimmung Bayerns 1866. Umschwung der öffentlichen Meinung durch den Krieg. Überblick über die Lage der deutschen Mittelstaaten und ihrer Dyna stien in den letzten Jahren des alten Bundes S. 1. — Ihre Stellung zur nationalen Einheitsbewegung; Stärke und Schwäche der liberalen Be wegungspartei S. 1. — Ihre Stellung zur preußischen Einheitsbewegung S. 6. — Bismarcks Bundesreformantrag S. 8. Besonderheiten der Stellung Bayerns unter den deutschen Mittel staaten S. 10. — Bismarcks Anerbietungen an Bayern S. 11. Staatsminister Ludwig Freiherr von der Pfordten S. 11. — Rück blick auf seine bisherige Haltung S. 12. — Er geht anscheinend auf Bismarcks Anerbietungen ein, S. 13 — beharrt aber auf dem Ver bleiben beider Großmächte im Bund S. 15. — Tiefere Begründung seiner Haltung in der vorhergehenden Entwicklung Bayerns S. 16.— Mangelnde Voraussetzungen einer selbständigen Machtpolitik: sowohl mit Hilfe der übrigen Mittelstaaten, S. 17 — als allein mit Preußen oder Österreich S. 18 — als mit Hilfe des Auslandes S. 19. — Von der Pfordten und Frankreich S. 19. — D. d. Pfordten beharrt trotzdem auf den großbayerischen Ideen S. 20. — Zwei Gedankenreihen seiner Politik: 1. Erhal tung des bestehenden Bundes und erhöhte Stellung Bayerns an der Spitze der 3. Gruppe S. 21; — Unmöglichkeit dieses Plans S. 23; — nur das formelle Bundesrecht bleibt übrig S. 24. — 2. Für den Zerfall des Bundes selbständige Stellung Bayerns in völkerrechtlicher Allianz mit Preußen S. 25; — Unmöglichkeit auch dieses Planes S. 26; — Widersprüche seiner Politik 5. 27; — Unmöglichkeit sie durchzuführen S. 28. Haltung der Dynastie S. 30. Stimmung des Landes S. 31. — Allgemeine Verwirrung S. 32. — Verlangen nach Erhaltung des Friedens und Erbitterung gegen P
IV
Inhaltsübersicht.
Preußen S. 32. — 3n ihr vereinigen sich alle Parteien: Die Partikula rsten (Nativisten) S. 33. — Die Bewegungspartei S. 33. — Die Groß deutschen S. 34. — Anwachsen der partikularistischen Strömung S. 35. — Die Dolkspartei S. 35. — Die Kleindeutschen: auch sie auf die Seite der Gegner Preußens getrieben S. 36. — Gründe hiefür S. 36. — Erbitte rung gegen Bismarck S. 37. — Aufnahme seines Parlamentsantrags S. 39. — Hoffnung auf seinen Sturz S. 40. — Anzeichen einer beginnen den Schwenkung der preuß. Liberalen S. 41. — Besorgnis vor dem preuß. Ehrgeiz: vor dem Einheitsstaat 5. 41, — vor der Mainlinie S. 42, — vor dem Bündnis Preußens mit Frankreich S. 43. — Preß hetze für Österreich S. 44. — Bayerische Ruhmredigkeit S. 45. — Mangel einer positiven Begeisterung S. 46. — Keine Begeisterung für Österreich S. 46. — Haltung der klerikalen Partei S. 46. — Verworrenheit der öffentlichen Meinung S. 49. Die Kammersession vor dem Krieg S. 49. — Die bestehenden Frak tionen S. 49. — Ihre Jahlenverhältnisse S. 50. — Ihre Stellung zur deutschen Frage S. 51. — Ihre gegenwärtige Haltung S. 52. — Die Kammerverhandlungen S. 54. — Adreßentwurf der Mehrheit S. 55. — Regierung und Kammer S. 56. — Anregung der Trias S. 57. — Hal tung der Linken S. 57. — Politischer Dilettantismus und allgemeine Phraseologie S. 59.
Umschwung der Stimmung durch den Krieg S. 61. — Verlangen nach raschem Friedensschluß S. 63. — Retardierende Momente S. 64. — Beschämende Erscheinungen im Volk S. 64. — Ihre Verquickung mit demokratischen Tendenzen S. 65. — Freiheit, Föderalismus, Südbund S. 67. — Utopische Gedanken über die allgemeine Dolkswehr S. 67. — Die Offiziere als erste Träger des Widerspruchs S. 68. — Zusammen hang der militärischen mit der nationalen Frage S. 70. — Wirkung der Anrufung der französischen Intervention durch Österreich S. 71. — Ende der großdeutschen Partei S. 71. — Erbitterung gegen Österreich S. 72. — Vereinfachung der deutschen Frage durch den Krieg S. 72. — Preußen oder Frankreich S. 72. — Verwerfung der Mainlinie, des Südbundes, Forderung des Anschlusses an Preußen S. 73. — Neues Hervortreten der einigenden Momente: geistige Einheit S. 74, — wirtschaftliche Einheit S. 74, — nationale Einheit S. 75. — Annäherung durch den Krieg S. 75. — Erkenntnis der neuen Stellung Preußens S. 75. — Ende des alten Bundes S. 76. — Mäßigung Bismarcks S. 76. — Ausschlag durch die französischen Kompensationsforderungen S. 77. — Schwenkung der Liberalen S. 78. — Endgültige Abtrennung von den Demokraten S. 79. — An schluß an Bismarck S. 79. — Anzeichen der neuen Parteistellung in Süddeutschland S. 80. — Neues Programm der bayer. Fortschrittspartei S. 81. — Erklärung der Linken S. 81.
Inhaltsübersicht.
V
Die Kammersession nach dem Krieg 5 82. — Anträge der Linken und der Mittelpariei in der deutschen Frage S. 82. — Kammervotum vom 30. August S. 83. — Haltung der Reichsratskammer S. 85. — Rede des Fürsten Hohenlohe für sofortigen Anschluß an Preußen S. 86.
2. Kapitel. Persönlichkeit und politische Anschauungen des Fürsten Hohenlohe. Fürst Hohenlohe kein Bayer S. 89. — Abstammung aus einem kürzlich mediatisierten reichsfürstlichen Geschlecht S. 89. — Mangel eines engeren Vaterlandes, Hinweis auf eine gemeindeutsche Wirksamkeit, Schwierigkeiten, eine solche zu finden S. 91. — Frühes deutsch-nationales Empfinden S. 92. — Erfolglose Versuche, eine seinem Stand entsprechende politische Wirksamkeit zu finden S. 93. — Ungenügen an dem erzwungenen unpolitischen Landleben S. 94. — Die Zwitterstellung zwischen Nord und Süd weist ihn auf eine vermittelnde Tätigkeit S. 95. Einer solchen kommen auch seine persönlichen Anlagen entgegen S. 95. — Versuch einer Schilderung seiner Persönlichkeit S. 95—101. Entwickelung seiner politischen Ansichten S. 101. — Ihr süddeutscher Ausgangspunkt S. 102. — Verbindung mit der liberalen, Gegensatz zur konservativen Gedankenrichtung in der nationalen Frage S. 102. — Ideal eines nationalen Machtstaats; das Recht der Nation steht höher als das Recht der Dynastien S. 104. — Die politische Freiheit und Selbstbestim mung als Grundlage des modernen Staats: der Kern seiner politischen Anschauungen S. 105. — Parteistellung als bayerischer Reichsrat 1846 S. 106. — Worin Hohenlohe vom Liberalismus abweicht S. 107. — Das nationale Element überwiegt das liberale S. 107. — Einschätzung der Dynastien S. 108. — Stellung zur Frankfurter Einheitsbewegung S. 109. — Deren Einwirkung auf die Entwicklung seiner politischen Ansichten S. 112. — Stellung zum preußischen Unionsprojekt S. 113. — Nach wirkungen der früheren Verbindung mit Preußen S. 114. — Kleindeut sches Programm im Sinne des Radowitzischen Bundesstaats S. 115. — Rede in der bayerischen Neichsratskammer vom 12. Nov. 1849 S. 115. — Deren Bedeutung für seine Stellung in Bayern S. 116. — Überblick über die 2. Periode von 1850—1866 S. 116. — Annäherung an die partikularistische und föderalistische Richtung S. 117. — Lauter negative Momente bestimmen seine Haltung; öfteres Schwanken S. 118. — Anerbieten in bayerische Dienste zu treten 1859 S. 119. — Verbindungen mit Preußen S. 120. — Deren Unterbrechung durch das Ministerium Bismarck S. 121. — Erneute Annäherung an Bayern S. 121. — Allgemeines über seine Haltung 1864—1866 S. 122. — Stellung zum österreichischen Reform projekt 1863, S. 124 — in der schleswig-holsteinischen Frage S. 124. —
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Inhaltsübersicht.
Vorübergehende Befürwortung der Trias S. 125. — Seine Haltung 1866 S. 127. — Audienz vom 11. April S. 128. — Tagebuchaufzeichnungen aus der Kriegszeit S. 129. — Seine Auffassung der Katastrophe von 1866 S. 130. — Neue Hoffnung auf Durchführung des kleindeutschen Programms S. 131. — Rede vom 31. August 1866 S. 132.
3. Kapitel.
Regierung und Bevölkerung im Herbst 1866.
Die Berufung des Fürsten Hohenlohe. Politische Bedeutung der Rede vom 31. August- Hohenlohes eigene Ansicht S. 133. — Welche Faktoren waren für seine Berufung maß gebend? S. 134. — Regierung und Bevölkerung S. 134. — Haltung v. d. Pfordtens während des Krieges S. 135. — Schwankende Haltung im Juni- nochmalige Triaspläne S. 135. — Entscheidende Annäherung an Österreich Ende Juni; mangelndes Kriegsziel S. 137. — Neues An gebot Bismarcks nach Königgrätz S. 138. — Haltung im Juli S. 138. — Geringer Einfluß der öffentlichen Meinung S. 139. — Modifikation des Ministeriums S. 139. — Annäherung an Frankreich; Nikolsburg S. 140. Allianzverträge, Anschluß an Preußen S. 141. — D. d. Pfordtens Beweg gründe dabei S. 142.
Ausblick auf einige Momente der vorläufigen Lösung der deut schen Frage im Sommer 1866 S. 143. — Das Ergebnis des Bismarckischen Parlamentsantrags S. 144. — Schwäche der nationalen Volks bewegung S. 144. — Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit der Dynastien S. 144. — Die Lösung von 1866 ein Sieg der preußisch-partikularistischen Bewegung S. 145, — aber nur im Bündnis mit der natio nalen Idee S. 146. — Bedeutung der volkstümlichen Bewegung S. 146. — Die Regierungen bleiben die entscheidenden Faktoren S. 147. Haltung v. d. Pfordtens nach dem Krieg S. 147. — Seine Stellung im Lande durch den Krieg geschwächt S. 147. — Ziel seiner jetzigen Politik? S. 148. — Seine Kammererklärungen über die bayerische Selb ständigkeit S. 149. — Auffassung der Allianzverträge S. 150. — Er steht immer noch auf der alten Basis S. 151. — Ablehnung eines festen Pro gramms in der deutschen Frage; Vorbehalt des Südbundes S. 151. — Ablehnung eines näheren Bundesverhältnisses mit Preußen allein S. 151. — Ablehnung der deutschen Festungsgemeinschaft S. 152. Unfähigkeit der öffentlichen Meinung, eine andere Politik herbei zuführen S. 153. — Stellung der Parteien im Herbst S. 154. — V. d. Pfordten und die Parteien S. 157. — Der Minister als Sünden bock S. 158. — Geringe Wirkung der Rede Hohenlohes S. 159. — Ab flauen der nationalen Bewegung, Wiederaufleben der alten Stimmungen S. 160.
Inhaltsübersicht.
VH
Die Entscheidung liegt beim König S. 162. — Unmöglichkeit, Ludwig II. bereits zu charakterisieren 5. 162. — Versuch, einige in der damaligen Krise wesentliche Züge heroorzuheben S. 163. — Der König vor dem Krieg S. 164. — Erschütterung durch den Krieg S. 165. — Unklarheit über seine Ansichten S. 166. — D. d. Pfordtens Stellung beim König erschüttert 5. 166. — Gründe hiesür; Hofintrigen S. 167. — Ludwig II. und Hohenlohe 5. 168. — Bisheriges Verhältnis- Hohenlohe und der König S. 168. — Bedeutung der Audienz vom 11. April; persönliche Vorliebe des Königs für Hohenlohe S. 169. — Andere, für Hohenlohe günstige Einflüsse auf den König: Oberststallmeister Graf v. Holnstein 5.170. — Richard Wagner S. 170. — Die politischen Inter essen des Staates entscheidend S. 172. — Die Kandidaturen Ldelsheim und Hohenlohe S. 173. — Langes Schwanken des Königs; Einflüsse gegen Hohenlohe S. 174. — Berufung Hohenlohes S. 175.
4. Kapitel. Das Programm des neuen Ministeriums. Veränderungen des Programms seit dem August S. 177. — Geringe Wirkung der Rede vom 31. August; pessimistische Gedanken Hohenlohes über die Zukunft Bayerns S. 178. — Erst durch das Eingreifen des Königs wird seine Berufung wahrscheinlich S. 178. — Formulierung des Programmes für den König: Gutachten vom 1. November S. 179. — Seine Entstehung S. 179. — Sein Inhalt S. 180—184. — Entschiedener Gegensatz zur Politik v. d. Pfordtens S. 181. — Sofortiges Verfassungs bündnis mit dem Norden S. 183. — Es entspricht im wesentlichen noch dem Programm der Augustrede S. 183. — Vertagung der Berufung Hohenlohes, mit seinem Einverständnis S. 184. — Seine Gründe für diese Verzögerung: mangelnder Rückhalt an der öffentlichen Meinung S. 184. — Verquickung der Berufung mit den Hofintrigen; „Wagner ministerium" S. 184. — Falsche Hoffnung Hohenlohes auf eine Wand lung der öffentlichen Meinung zugunsten seines Programms S. 185. — Seine Lage bis zum Dezember eher verschlechtert S. 187. — Entlassungs gesuch v. d. Pfordtens; neue Verhandlungen S. 187. — Verhandlungen Hohenlohes mit Schlör S. 188. — Entstehung des neuen (Dezember-) Programms S. 189. — Sein Inhalt S. 190—197. — Ablehnung des be dingungslosen Eintritts in den norddeutschen Bund S. 191. — Ablehnung des Südbundes S. 193. — Positive Ziele S. 193. — Das Programm bedeutet eine Niederlage Hohenlohes S. 197. — Hohenlohes Motive für sein Iurückweichen S. 197. — Einfluß der Haltung Preußens S. 198. — Konsequenzen des ersten Iurückweichens: Verminderung des Vertrauens im Lande S. 200, — Beibehaltung der bisherigen Minister S. 201, — Verzicht auf die Bildung eines Gesamtministeriums und auf die Minister-
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Inhaltsübersicht.
Präsidentschaft 5. 202. — Hohenlohes Verhandlungen mit den Ministern S. 203. — Gründe Hohenlohes, unter so ungünstigen Umständen in das Ministerium einzutreten S. 204. — Persönliche Momente S. 205. — Sachliche Gründe S. 206. — Auch das Dezemberprogramm im Zusammen hang der bayerischen Politik ein wesentlicher Fortschritt S. 206. — Hohen lohes Absichten in der deutschen Frage S. 207. — Ausblick auf sein Ministerium 5. 208.
Anhänge. Anhang 1.
Zur Beurteilung der Politik v. d. Pfordtens. S. 211.
Anhang 2.
Jur Schilderung der öffentlichen Meinung: a) bayerische Zeitungen 1866 S. 227; b) bayerische Flugschriften zum Jahr 1866 S. 242.
Anhang 3.
Jur Parteigeschichte S. 264.
Nachtrag. Zur Kritik von A. v. Ruville, Bayern und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches S. 273.
Zweites Kapitel.
Persönlichkeit und politische Anschauungen des Fürsten Hohenlohe'). ürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, welcher so in einem o bedeutsamen Augenblick mit einem neuen Programm für die
bayerische Politik hervortrat, war seiner Herkunft nach kaum ein Bayer zu nennen. Er war 1819 zu Rotenburg an der Fulda als zweiter Sohn einer jüngeren Linie des alten fränkischen Fürstenhauses der Hohenlohe geboren, das jüngst erst durch den Abschluß des Rheinbundes seine Reichsunmittelbarkeit verloren y Die Hauptquelle für die Erkenntnis der Persönlichkeit und der politischen Anschauungen des Fürsten bilden natürlich seine Denkwürdig keiten (Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu HohenloheSchillingsfürst, herausgegeben von Friedrich Curtius. 2 Bde. Stuttgart und Leipzig 1907. 3m folgenden zitiert als H. — Einzelne Bruchstücke daraus unter verschiedenen Titeln in der Deutschen Revue XXX 1, 2; XXXI 2, 3). Auf sie stützen sich bereits die beiden Aufsätze von Dr. Ernst Salzer, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, seine politischen Anschauungen und seine politische Tätigkeit bis zum 3ahre 1870, Nord und Süd 121 (1907), S. 246—266 (zit. als Salzer N. u. S.) und Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst und die deutsche Frage, Historische Vierteljahrsschrift 11 (1908), S. 40—74 (zit. als Salzer Hist. Vj.). — Dgl. auch die Besprechung der Denkwürdig keiten durch Frhrn. v. Hertling, Hochland 4 (1907), S. 679—706. — Eine französische, freilich seltsam verzerrte Spiegelung in Jacques Bainville, Bismarck et la France d’apres les M^moires du Prince de Hohenlohe, Paris 1907 (des. S. 1—10). Früher hat bereits reiches biographisches Material für die gesamte Tätigkeit des Fürsten, vor allem freilich in den späteren 3ahren, zu-
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Zweites Kapitel.
fyatte*1).2
Das Geschlecht glaubte die Reihe seiner Ahnen bis auf
das salische Kaiserhaus zurückleiten zu können; seit dem dreizehnten Jahrhundert besaß es Sitz und Stimme auf der fränkischen Grafen bank ; als ihm im achtzehnten Jahrhundert der Reichssürstenstand
verliehen wurdet,
geschah
es
mit
dem
besonderen Bemerken,
daß diese Würde nicht als neu erteilt, sondern nur als erneuert
betrachtet werden müsse, weil die Abstammung des Hauses aus dem fränkischen Herzogsgeschlecht diplomatisch erwiesen fei; es trug
das Bewußtsein seiner alten Unmittelbarkeit auch in die neuen Berhältnisse hinüber.
Der Bater des Fürsten, Franz Josef, der zuerst in österreichi
schen, dann in preußischen Diensten gestanden hatte, war freilich sammengetragen H. Rust, Reichskanzler Hohenlohe und seine Brüder, Düsseldorf 1897. — Ferner O. Frhr. v. Völderndorf.f, Vom Reichs kanzler Fürsten Hohenlohe, München 1902, und Harmlose Plaudereien eines alten Müncheners, Reue Folge, München 1898, passim (zit. als Völd. D. R., bzw. Völd. H. Pl. II). — Nekrolog Hohenlohes im Bio graphischen Iahrbuch (her. v. A. Bettelheim), 7 (1902), S. 410—434 von Ernst Hauviller. — H. Blum, Vorkämpfer der deutschen Einheit, Berlin 1899, S. 87—104. (Ium größten Teil bereits als Aufsatz in den Grenzboten 1872, S. 41 — 52, ohne Nennung des Verfassers.) — Fürst Hohenlohe als Reichskanzler. Don einem unabhängigen Politiker. Deutsche Revue XXVII 3. — L. v. Kobell, Fürst Chlodwig und Kardinal Prinz Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Deutsche Revue XXII 1. — Sigmund Münz, Moderne Staatsmänner, Berlin 1901, S. 3—32, befaßt sich nur mit dem Reichskanzler Hohenlohe. — Ein panegyrisch geratener biographischer Versuch aus dem Jahre 1873 bei A. E. Brachvogel, Die Männer der neuen Zeit, Hamburg 1873, III 161—224. Einzelnes ferner bei Mohl a. a. O. II 360 ff.; Bluntschli, Denk würdiges aus meinem Leben, Nördlingen 1884, III passim; L. v. Ko bell, Unter den ersten vier Königen Bayerns, München 1894, II passim. 1) Näheres über das Haus Hohenlohe: Christoph Friedr. Stalin, Wirtembergische Geschichte II 540 ff. — (Dazu: Fr. K. Fürst zu Hohen lohe-Waldenburg, Einige Bemerkungen zu Statins Geschichte Württem bergs, das Haus Hohenlohe betr. Heilbronn 1882.) — Hohenlohesches Urkundenbuch. Im Auftrag des Gesamthauses der Fürsten zu Hohen lohe her. v. C. Weller, Stuttgart 1899. — C. Weller, Geschichte des Hauses Hohenlohe. Stuttgart 1903. — Rust a. a. O. S. 1 ff. 2) Der katholischen Linie 1744 durch Karl VII., der protestantischen 1764 durch Franz I. (Rust a. a. O. S. 2).
Persönlichkeit und polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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mit der Übernahme der 1806 an Bayern gefallenen Herrschaft Schillingsfürst nominell auch in das bayerische Heer übergetreten und gehörte nach der Verfassung des Königreichs der bayerischen Kammer der Reichsräte als erbliches Mitglied an. Er scheint aber dort keine feste Wurzel geschlagen zu haben. Wenigstens teilte er sein Leben zwischen dem eigenen, mit einer schweren Schuldenlast behafteten bayerischen Besitz und verwandtschaftlichen Gütern seiner beiden Schwäger in Österreich und Hessen. Und
als 1834 nach dem Tode des einen von diesen, des Landgrafen Biktor Amadeus von Hessen-Rotenburg, dessen gesamter, in ver schiedenen Teilen des preußischen Territoriums liegender Allodial besitz i) an die beiden ältesten Söhne Franz Josefs fiel, wurde der regelmäßige Aufenthalt der Familie nach Westfalen verlegt und schien sich wieder völlig von dem bayerischen Zentrum zu -entfernen. Mit Recht ist gesagt worden, daß schon seine Herkunft den Fürsten über den reinen mittelstaatlichen Partikularismus hinaushob und auf ein größeres Vaterland hinwies-). Das Erbe dieser Tradition war aber zunächst keineswegs ein durchaus erfreuliches. Die erste Generation der Mediatisierten, welche unter den neuen Verhältnissen heranwuchs, war in eine Übergangszeit gefallen und hatte deren Leiden zu tragen. Die
selbständige Vergangenheit war noch zu nahe, als daß sie sich dem dynastischen Interesse des Ginzelstaates, dem ihre Herrschaft zum Opfer gefallen war, vollständig hätte unterordnen können. Eine größere, gemeindeutsche Bühne der Wirksamkeit aber vermochte ihr die lockere Vereinigung der souveränen deutschen Staaten nicht zu verschaffen. Die meisten ihrer Glieder zogen sich schmollend aus dem politischen Leben der Ration, das für sie keinen Platz bot, in die standesherrliche Einsamkeit ihrer Güter zurück und erinnerten das deutsche Volk nur durch Klagen über verletzte Privilegien zuweilen noch unliebsam an ihr vergessenes Dasein3). Den wenigen aber, in denen, wie in dem jungen Fürsten Ehlodwig, der Ehrgeiz und ein lebhafterer Drang nach größerer Wirksamkeit diesem aristokratischen Stilleben widerstrebten, blieb nur die Wahl, auf ihr persönliches Lebensziel oder auf die alten Prärogativen
y Das Herzogtum Ratibor in Schlesien, das Fürstentum Corvey in Westfalen und die Herrschaft Treffurt im Regierungsbezirk Erfurt. H. I 4. 2) Salzer, Hist. Vj. 40. *) Treitschke, Deutsche Geschichte II5 178.
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Zweites Kapitel.
ihres Standes zu verzichten. Und selbst dann mochten sie sich fragen, in welchem der kleineren Vaterländer nun eigentlich ihre Heimat sei und ob sie nicht besser täten, sich irgendwo sonst in der Welt eine Stätte des Schaffens zu suchen, wo sich ihrem Ehrgeiz ein freies Feld eröffnete. Aber die Zeiten, in denen auch die Hohenlohe gleich so vielen anderen deutschen Geschlechtern sich in fremden Diensten auf fremden Schlachtplätzen in aller Herren Ländern herumschlugen, waren jetzt gleichfalls dahin. Es mutet doch mehr wie ein letztes abgeschwächtes Ausklingen jener alten reisläuferischen Tendenzen unseres hohen Adels an, wenn auch Fürst Chlodwig in jungen Jahren einmal einen Augenblick daran dachte, in englischen Kriegsdienst zu treten1),2 3 oder später ernsthafter dem Plan näher trat, sich völlig der Bewirtschaftung der großen russischen Besitzungen seines Schwiegervaters zu widmen-). Das Band zwischen Individuum und Nation war im neunzehnten Jahr hundert nicht mehr so dehnbar wie früher. Die Übergangszeit, in welcher die Mediatisierten sich in ihre neue Stellung in Deutsch land hineinzufinden hatten, fiel zusammen mit jener Übergangszeit, in welcher die Nation langsam zum Gefühl ihrer politischen Ge meinsamkeit erwachte und aus der Zersplitterung des überkommenen Zustandes heraus, noch unsicher und auf verschiedenen Wegen vorwärts drängend, nach dem entsprechenden staatsrechtlichen Ausdruck ihres Einheitsbewußtseins suchte. Wenn eine politisch gerichtete Befähigung unter den Mediatisierten von dieser allge meinen Strömung der Zeit ergriffen wurde, so fand sie in den eigenen alten Erinnerungen an die Neichszeit und in der freieren Stellung, welche der Bund ihrem Stande garantierte, Elemente, welche dies Gefühl noch steigern und sie auf eine Wirksamkeit im gemeindeutschen Interesse Hinweisen mußten. Es. wird später noch näher zu betrachten sein, wie Fürst Hohenlohe sich mit den wichtigeren politischen Tendenzen seiner Zeit auseinandersetzte: ein lebhaftes deutschnationales Empfinden war von früh auf in ihm lebendig. Schon mit dreiundzwanzig Jahren fühlte er sich im Ausland „durch und durch deutsch"^). Ein lebhaftes deutsches ]) November 1841, um den sog. Opiumfeldzug in China mitzu machen. H. I 14. 2) 1851—53. H. I 67—73. 3) Tagebuchaufzeichnung aus Lausanne v. 27. IX. 1842. H. I 21; vgl. auch II 92, 97.
Persönlichkeit und poTit. Anschallungen des Fürsten Hohenlohe.
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Gemeingefühl, die Sehnsucht nach einer Einigung des Vaterlandes haben ihn von da ab nie mehr verlassen und ihn, zunächst immer stärker anschwellend, durch alle Stellungen und Verhältnisse be gleitet, in welchen er versuchte, den persönlichen Drang nach politischer Tätigkeit mit den Vorrechten und Vorurteilen seines Standes auszugleichen. Als Fürst Chlodwig nach dem Tode seines Vaters das Fürsten tum Corvey übernahm, während sein älterer Bruder das Herzogtum in Schlesien, der jüngere die bayerische Herrschaft Schillingsfürst behielt H, und sich so aller Voraussicht nach dauernd in den deutschen Norden verpflanzt sah, entschloß er sich, die Standesvor urteile zu überwinden und in den preußischen Staatsdienst ein zutreten'-), obwohl sein Gesuch, der reglementarischen Vorbereitung als Auskultator entbunden zu werden, abschlägig beschiedeu wurde. Er lebte sich rasch in die gründliche Arbeit ein und, wenngleich seine Jukunftspläne in diesen Jahren noch öfters unsicher hin und her schwankten-^), schien doch die Möglichkeit gegeben, daß die reichere Tätigkeit des größten deutschen Einzelstaates die widerstrebenden Clemente des Reichsunmittelbaren überwinden und ihn schließlich völlig in ihrem engeren Rahmen absorbieren würde. Sein Weg sollte nicht so einfach verlaufen. Er war schon als Referendar in die preußische Verwaltungslaufbahn eingetreten, als der Tod des jüngsten Bruders die bayerische Standesherrschaft erledigte und ihn durch die neue Verteilung des Familienbesitzes, welche dadurch nötig wurde, nach Schillingsfürst und in den deutschen Süden zurückführte4*).2 * Er unterzog sich diesem Wechsel, der für 9 Die abweichenden Angaben bei Völd. D. R. 2 und Blum 88 sind jetzt nach den Angaben der Denkwürdigkeiten I 4, 13, 27 zu verbessern. 2) Danach ist die irrtümliche Angabe bei Salzer Hist. Vj. 40, daß Hohenlohe mit Rücksicht auf die künftige Erbschaft Corveys in den preuß. Staatsdienst trat, zu berichtigen. Die Erbschaft war schon 1834 an die beiden ältesten Prinzen Hohenlohe gefallen (H. I 4). So richtig bereits in Salzers Aufsatz in N. u. S. 250. y) Vgl. H. l 14, 15, 18, 21, 22, 23, 24, 26. 4) Fürst Chlodwig verzichtete dabei auf Corvey, behielt aber die Herrschaft Treffurt zunächst bei. H. I 27. Zum Folgenden: Völd. V. A. 2; vgl. H. I 27 ff.
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Zweites Kapitel.
ihn den Verzicht auf den preußischen Staatsdienst und damit auf alle seine bisherigen Lebenspläne zur Folge hatte, nur ungern, auf den dringenden Wunsch der Familie, und vielleicht in der Hoffnung auf eine rasche politische Karriere in Bayern. Diese Erwartung erfüllte sich aber nicht. Er wurde im Frühjahr 1846 in die bayerische Reichsratskammer eingeführt, aber im bayerischen Staatsdienst war für einen Mediatisierten, der obendrein aus der preußischen Verwaltung kam, damals noch keine Stelle. Eine kurze Spanne Zeit schien sodann die Einheitsbewegung von 1848 dem deutschen Fürsten eine würdige Laufbahn zu eröffnen: er übernahm im Dienst der provisorischen Zentralgewalt die Notifikation des Antritts des Reichsverwesers an den Höfen zu Athen, Rom und Florenz. Aber das verfrühte Intermezzo des Deutschen Reiches ging vor über, und die kurze Tätigkeit im Dienst der achtundvierziger Gewalt war nur ein neues Hindernis mehr für eine etwaige bayerische Laufbahn. So zwangen die Zersplitterung des deutschen Staatslebens und die Interessen seines Hauses den Fürsten dennoch auf Jahre hinaus zu dem unpolitischen Landleben, dem er hatte entrinnen wollen. Er fand auch jetzt darin kein Genügen, keinen Wirkungskreis, der ihn hätte befriedigen können, bereute, mit der Übernahme von Schillingsfürst einen seiner Natur und Bildung
widersprechenden Schritt getan zu habend). Wie sein Vater schien auch er in den bayerischen Kreisen zunächst nicht heimisch zu werden. In diese Jahre fällt der Versuch, in Rußland eine reichere Tätig keit zu finden; durch ausgedehnte Reisen an die Zentren der europäischen Politik suchte der Fürst seinen Drang nach politischem Leben zu stillen, sich für eine künftige Wirksamkeit vorzubereiten, die Interessen seines Standes zu fördern2), während er doch in mitten des regen nationalen Lebens der Nachbarvölker den Stachel der eigenen nationalen Zerrissenheit nicht los wurde und die wirkungslos entfliehenden Jahre schmerzlich beklagte. Auch nach dem preußischen Staat, mit dem er durch den Besitz der Herrschaft Treffurt in Verbindung geblieben war, richtete er immer wieder x) Brief an Prinzessin Amalie v. 4. X. 1851. H. I 68; vgl. I 30, 94. -) Vgl. Aufzeichnung v. 7. III. 1857 aus Nom H. I 75, v. 24. VIII. 1863 aus Frankfurt I 133; vgl. auch noch I 112/13, 128. — Deutsche Revue XXX 2, 11 (Aufzeichnung Hohenlohes aus dem April 1850). — Ium Folgenden: Brief an Prinzessin Elise aus Paris v. 22. II. 1862. H. I 121.
Persönlichkeit und polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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seine Blicke: er dachte daran, auch dort im preußischen Herren haus einen Sitz zu erwerben, hielt auch eine Rückkehr in den höheren preußischen Staatsdienst nicht für unmöglich*2).3 Wir werden noch sehen, wie Fürst Hohenlohe trotzdem in den zwanzig Jahren, welche zwischen seiner Rückkehr nach Schillingsfürst und dem deutschen Krieg lagen, langsam in Bagern Wurzel schlug, allmählich und fast unmerklich auch in die Besonderheiten des bayerischen Staatswesens sich einfügte. Seine Vergangenheit bürgte dafür, daß er den weiteren deutschen Horizont dabei niemals aus den Augen verlor. Solange der einige deutsche Staat fehlte, der die getrennten deutschen Einzelstaaten überspannte, war ein Gefühl der Heimatlosigkeit im eigenen Vaterland die notwendige Folge dieser Iwitterstellung zwischen Nord und Süd-). Auch später ist ein gewisser Mangel an bodenständigem Heimatgefühl das Los des Mediatisierten geblieben. Und doch lag gerade in dieser persönlich drückenden Iwitterstellung die Bedeutung seines Lebens. Es stellte ihm die Aufgabe, die Gegensätze, an denen das deutsche Leben krankte, zu vermitteln, die Einigung des Vaterlandes von innen heraus befördern zu helfens. Indem Fürst Hohenlohe diese Aufgabe erkannte und auf sich nahm, hat er in der Periode der Reichsgründung als einziger unter den deut schen Mediatisierten den höchsten politischen Beruf erfüllt, welcher diesem Stande als solchem zukam. Er war um so mehr dazu befähigt, als auch seine persön lichen Anlagen einer solchen vermittelnden Tätigkeit, wie sie die alte Tradition seiner Herkunft in Verbindung mit der augenblick lichen Lage des Vaterlandes ihm nahe legte, entgegenkamen. Fürst Chlodwig gehörte nicht zu den Kämpfernaturen, die in überschäumender Leidenschaft über alle Hindernisse hinweg sich ihren Weg suchen, weil sie die Kraft in sich fühlen, ihrer aller Herr zu werden. Sein Wille, wenn er nach reiflicher Erwägung zum Entschluß gelangt war, in der Hauptsache klar und entschieden, hatte nichts von der fortreißenden heroischen Kraft geborener Tat menschen. Den Verhältnissen sich anschmiegend, nachgiebig, vor1) 2) Amalie 3) am 17.
H. I 110 f., 115—21; auch 93, 126. Dgl. Brief an die Mutter v. 23. XI. 1841 und an Prinzessin v. 4. X. 1851. H. I 14, 68; vgl. Salzer, N. u. S. 250. Dgl. das Gespräch Hohenlohes mit dem Frhrn. v. Roggenbach VII. 1861 H. I 112/13.
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sichtig suchte er langsam auch der widerstrebenden Elemente sich zu bemächtigen, die letzten Ziele, welche er bei aller Anpassungs fähigkeit im einzelnen nicht aus den Augen verlor, womöglich mit ihrer Hilfe durchzusetzen. Sein eigenes Wesen hatte sich nur in allmählicher Ausgleichung und Versöhnung gebildet; nicht ohne inneren Kampf war ihm die Geschlossenheit des Wesens geschenkt worden, welche allein eine nachhaltige Tätigkeit ermöglicht. Wenn eine geistvolle Mutter ihm den klaren, durchdringenden Verstand ins Leben mitgegeben hatte, so zählten zum Erbteil des in josefinischer Luft aufgewachsenen Vaters persönliche Milde und Liebenswürdigkeit, ein stiller, in sich gekehrter, etwas melancholisch gefärbter Zug, der vor allem in der Jugend und im Alter stärker hervortrat und bei der Berührung mit der Außenwelt nicht ungern in geistreicher, beim Sohn nicht selten sarkastischer Ironie sich äußerteT). Die Briefe und Tagebuchfragmente aus den Jugend jahren Hohenlohes zeigen uns einen vorwiegend weichen, liebes bedürftigen, anschmiegsamen Charakter, der, Stimmungen aller Art zugänglich, unter sorgsamer Leitung zunächst ganz in den humanen aristokratischen Traditionen seiner Umgebung befangen erscheint2). Nicht ohne künstlerische Neigungen und Talente, blieb er auch von den sentimentalen und weltschmerzlichen Stimmungen der Zeit nicht unberührt. Mehrmals stoßen wir auf Züge einer empfindsamen Weichheit, die dem Leben eher leidend als tätig gegenübersteht. Auch die schöne, liebevolle Atmosphäre des elter lichen Hauses, ein inniges Band gegenseitigen Verständnisses unter den Geschwistern, das durch die konfessionelle Verschiedenheit der nächsten Angehörigen einen edlen Zug innerer Duldsamkeit erhielt, mochte diese beschauliche Neigung begünstigen. Es scheint kein bloßer Zufall, wenn wir mehrmals in den Denkwürdigkeiten auf die Lektüre des Thomas a Kempis, auf ein Zitat aus Augustin oder den Mystikern treffen^). Noch der Dreiundzwanzigjährige y H I 2. Vgl. auch die Schilderung des achtzigjährigen Reichs kanzlers Hohenlohe bei Andrew White, Aus meinem Diplomatenleben (Leipzig 1906) 261 f. 2) Dgl. Salzer N. u. S. 247, 249. 3) H. I 10, II 453, 494. — Dagegen kann ich für die Beschäftigung mit Spinoza, von der Salzer (N. u. S. 248) spricht, kein sicheres Zeugnis finden. Der zweimal (H. I 72, 119) angeführte Satz „man soll die menschlichen Dinge nicht beweinen, nicht belachen, man soll sie zu ver-
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schildert sich selbst, wohl nicht ohne die Übertreibung des Bessernden,
als eine „von Natur ruhige, träumerische, tatschwache Seele", „passiv, durch ewige Bevormundung zu einer großen Ausbildung innerer Beschaulichkeit, die man nicht einmal Philosophie nennen könne, gelangt, ohne daß der Charakter die geringste Festigkeit erlangt hätte" *). Aber dieser gefühlsmäßig quietistische Zug war im Wesen des Fürsten doch nicht herrschend. Don Kindheit auf hielt ihm ein wacher, auf das Reale gerichteter Verstand, eine gewisse rationa listische Klarheit und Kühle, die bei aller Wärme in einzelnen Verhältnissen seinem Wesen innewohnten, die Stange. Und wie es sich bei so gemischten Naturen, wenn sie innerlich aufrichtig sind, nicht selten findet, rief gerade die jugendliche Neigung zu sentimentalen Anwandlungen die Fähigkeit zur Kritik, zur Selbst beobachtung und Skepsis umso lebhafter hervor. Er erkannte scharf die Gefahren, welche seine Neigung, sich anderen anzupassen, barg2* ),1 und suchte sich dagegen durch gesteigerte Menschenbeobach tung und Berechnung zu schützen, wie denn ein schneller Blick für Lächerlichkeiten, eine Neigung zu diplomatischen Feinheiten sich gleichfalls von früh auf in seinem Wesen zeigen. Hierin lag freilich noch kein Schutz gegen das Passive seiner Natur; denn auch die Reflexion selbst war ja eine passive Kraft, und auch die kritische Betrachtung der Welt konnte ihrerseits wieder zur „bloßen Deliberation" führen, wie die gefühlsmäßigen Stimmungen zur „reinen Kontemplation'). Aber schon die Art, wie der junge Hohenlohe sich selbst beobachtete, zeigt, daß doch auch ein lebhafter Tätigkeitsdrang, ein ehrgeiziger Trieb zu wirken, innerlich vor wärts zu kommen, in ihm lebten; es blieb nicht bei der bloßen Erkenntnis eines Fehlers, diese weckte sogleich den Wunsch, ihn zu verbessern, für die Zukunft unschädlich zu machen. Die oben
stehen trachten" stammt allerdings aus Spinoza, ist aber doch bloß ein Züat und könnte Hohenlohe z. B. nur aus der Vorrede zu Dahlmanns Politik bekannt sein, nach welcher er ihn einmal ausdrücklich zitiert (I 119). — Herr Professor Friedrich war so liebenswürdig, mir den häufigen Gebrauch dieses Satzes in den vierziger und fünfziger Jahren zu bestätigen. 1) Tagebuch v. 12. IV. 1842 H. I 17. 2) Dgl. z. B. die Tagebuchaufzeichnung o. 30. VII. 1843 H. I 23. s) H. I 22, II 453.
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angeführte Selbstkritik, welche die „Aufregung des Selbsthandelns" als für seine Natur durchaus notwendig erkannte, wenn er wirklich zu etwas gelangen wolle, schließt bezeichnender Weise mit einer Mahnung zu Selbstzucht und Arbeit. Es fehlte dem Fürsten nicht an Willenskraft, diese Mahnung in die Tat umzusetzen. Wir haben schon gesehen, wie der frühe Wunsch nach politischer Wirksamkeit ihn zu dem damals für einen Mediatisierten außergewöhnlichen Entschluß vermochte, einer regel rechten Beschäftigung im preußischen Staatsdienst sich zu unter ziehen. Wohl möglich, daß auch eine bewußte Selbsterziehung diesen Schritt mit DeTanIa|3tc1).2 Sie hätte sich trefflich bewährt. Sogleich erprobte er an sich die stärkende Kraft ernster, gründ licher, wenn auch oft im einzelnen unerquicklicher Arbeit. (Er wurde von nun an nicht müde, ihren Segen zu preisen. Sie allein schien ihm den Menschen glücklich machen, über alle Äußerlichkeiten
des Lebens erheben zu können, den Mann überhaupt erst zum Manne zu reifen. „Der Mann soll und will schaffen und arbeiten, der vernünftige Mensch erkennt in der Arbeit die Quelle der Glückseligkeit, und deshalb dürste ich nach Arbeit, weil wir ja, mögen wir uns anstellen, wie wir wollen, doch immer nach Glück seligkeit streben 2)." Es war zunächst überhaupt die Tätigkeit, das Benutzen und Vervollkommnen der gegebenen Kräfte, welches er bei solchen Worten im Auge hatte. Wie er, trotz wahrnehm barer französischer Einflüsse in der Jugend, doch in der idealistischen Bildung unserer klassischen Periode wurzelte, schien die Ausbildung und Vervollkommnung des inneren Menschen, wie sie damals den Edelsten vorschwebte, auch ihm das oberste Ziel des Lebens. Dieser Wunsch begegnet sich vorübergehend wohl einmal mit dem beschaulichen Zug seiner Natur, wenn er etwa in einem Bries an seine Mutter3) erwägt, ob er nicht doch lieber seine Studien in friedlicher Zurückgezogenheit fortsetzen solle, und sich dabei auf die Ansicht Wilhelm von Humboldts beruft, daß das hauptsäch lichste Streben des Menschen dahin gehen müsse, sich als Indivi duum auszubilden und nach Vollkommenheit zu ringen, um durch das, was er geworden sei, dann auf andere zu wirken und so ’) Vgl. Tagebuchaufzeichnung v. 29. V. 1844 H. I 24. 2) Brief an Prinzessin Amalie v. 4. X. 1851 H. I 68. s) Dom 18. II. 1843 H. I 23; vgl. auch Brief an Prinzesiin Amalie
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Nutzen zu stiften. Aber wenn schon dieser viel reichere und tiefere Geist, nachdem er in allen „Ideen und Gestalten der klassischen Dichtung geschwelgt und den Becher der Schönheit bis zur Hefe geleert hatte"x), in dem Drang nach allseitiger Betätigung seiner Kräfte der wurzelhafteren Arbeit im Dienst des Staates nicht entbehren wollte, um wieviel stärker war dieser Trieb nach politischer Tätigkeit bei Hohenlohe, der sich wohl bewußt war, kein Künstler und kein Gelehrter zu sein, während ihn Stand und Neigung von Jugend an auf die Politik hingewiesen hatten. (Et glaubte auch, um die natürliche Beschaulichkeit, oder wie er wohl auch auf gut deutsch sagte, die Faulheit seiner Natur auf die Dauer zu überwinden, eines äußeren Antriebs zur Beschäftigung nicht entbehren zu können*2).3 Er mochte die Gefahren fühlen, die in seiner Neigung zu gelassener Indifferenz lagen. Wir haben schon gesehen, wie er in einem bloßen gutsherrlichen Leben keine Befriedigung finden konnte. Frühe schon hat er die Überzeugung ausgesprochen, daß der Adel nur durch geistige oder moralische Vorzüge oder wenigstens Anstrengungen die Stellung behaupten könne, die ihm überall streitig gemacht werdet; er hat späterhin wohl anerkannt, daß auch die „bloße Erfüllung des aristokra tischen Lebensberufes" ein Dasein achtungswert füllen könne — sich selber aber glaubte er nicht dafür geschaffen. Er wurzelte nicht in seinen Gütern wie etwa Bismarck, der aus Feld und Wald tiefe, urwüchsige Lebenskraft schöpfte. Das Beispiel seines Vaters mochte ihm vor Augen stehen, der den Mangel eines festen Berufes nie verwinden konnte; er fürchtete, ohne „tätige Teilnahme an den höheren Interessen der Menschheit" zu ver sitzen, es graute ihm vor dem „Schmutz einer mediatisierten Lange weile", die allzu leicht mit der „Sortierung von goldenen Dosen und Weihnachtsgeschenken" enbe4).* Immer wieder in den langen 9 Treitschke, Deutsche Geschichte 1 6 335. 2) Brief an Prinzessin Amalie v. 1. VII. 1846 H. I 32. 3) Brief an die Mutier v. 18. II. 1843 H. I 22; vgl. auch die Aus zeichnung v. 25. VI. 1844 H. I 26. — Zum Folgenden: Brief an Prin zessin Elise v. 14. I. 1860 H. I 94. 4) Vgl. Aufzeichnung v. 7. IV. 1846 H. I 30. Brief an Prinzessin Amalie v. 5. III. 1847, an Prinzessin Elise v. 14. I. 1860 H. I 37, 94. Über die segensreiche Tätigkeit, welche der Fürst trotzdem in den fünf ziger Jahren auf seinen Gütern entfaltete, vgl. Blum 90. 7*
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Jahren einer erzwungenen Zurückgezogenheit vom politischen Leben hören wir ihn seine Sehnsucht nach einer größeren Wirk samkeit aussprechen, wie sie ihm nur der staatsmännische Beruf bieten zu können schien. „Es ist eine schöne Sache, um eine großartige Tätigkeit für ein ganzes Land", schrieb er 1846, kurz vor seiner Hochzeit, in der Hoffnung auf ein baldiges ehrenvolles Tagewerk*). „Ich bin nun einmal zu sehr Politiker", klagte er sechzehn Jahre später, als er in Paris unmutig das Leben eines einigen, tatkräftigen Volkes betrachtete, „um nicht alles, was ich sehe, damit in Beziehung zu setzen". Er war eine zu ernste Natur gewesen, als daß er den proble matischen Zug, der in ihm lag, nicht schmerzlich empfunden hätte; Selbstzucht und innere Arbeit halfen ihm, ihn zurückzudrängen; er fühlte sich aber nicht stark genug, seiner ohne feste, gewiesene Tätigkeit für ein großes Ziel völlig Herr zu werden. Wenn ihm diese aber zuteil wurde, blieb es doch wieder von Bedeutung, daß sie ihm im letzten Grunde nicht Selbstzweck, sondern zugleich ein Mittel war, die eigene geistige Freiheit zu fördern-). Diese innere Freiheit des Geistes, deren er in diesen Kämpfen teilhaftig geworden war, gab seinem eher melancholischen als sanguinischen, zu vorsichtigen Erwägungen geneigten Wesen erst die Sicherheit, das Vertrauen, widerstrebende Aufgaben auch bei geringer Hoff nung zu wagen, Mut und Gelassenheit in der Gefahr. Die eigentliche Freude robuster oder leidenschaftlicher Naturen am bloßen Streit blieb ihm wohl auch jetzt fremd. Zeitlebens war er allem Radi kalen abgeneigt, eine feine aristokratische Natur, liebenswürdig, aber still und zurückhaltend im Verkehr. Hemdärmeligkeiten waren ihm, wie er schon als Student einmal sich äußerte, „sehr fatal"3). Von Kindheit auf gewohnt, in den exklusiven Kreisen der höchsten Gesellschaft zu verkehren, blieben ihm, sowenig er ihre Schwächen 9 Aufzeichnung v. 21. XI. 1846 H. I 35; das Folgende aus dem Brief an Prinzessin Elise v. 22. II. 1862. H. I 121; vgl. auch I 21, 37. 2) Dgl. z. B. Brief an Prinzessin Amalie v. 1. VII. 1846 und v. 24. V. 1848 H. I 32, 44; auch II 455, 512. — In diesem ganzen Zu sammenhang darf ich vielleicht auf die feinen Bemerkungen Fr. Meineckes über Hohenlohe Hinweisen (Hist. Ieitschr. 102 (1908) 149 ff., Besprechung der Denkwürdigkeiten), die mir gerade noch bekannt werden. s) Brief (?) aus Heidelberg v. 30. VI. 1839 H. I 9; vgl. auch I 80, II 272. — Zum Folgenden: z. B. H. I 11, 16—18, 42, 58 u. a. m.
Persönlichkeit und polit Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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verkannte, oder die Menschen sonst nach ihrem Stand einzuschätzen pflegte, deren Ton und Lebenshaltung persönlich immer Bedürfnis. Wenn diejenigen, die ihm am nächsten standen, den Eindruck seines Wesens schildern wollten ]), so sprachen sie nicht von leiden schaftlichem Wollen oder kühner Tat; aber sie wiesen hin auf das Maß und die milde Ausgeglichenheit, die ruhige Entschiedenheit seines Wesens, die alles Irreführende, Unehrliche und Verschwom mene, alle Phrasen und Selbsttäuschungen sicher von sich abwies, auf die heitere Resignation und die unerschütterliche Gelassenheit, welche ihn in keiner Lage verließen. Wer mit ihm zu tun hatte, wußte, daß er sich auf sein Wort verlassen konnte- wenn er nach umsichtiger Erwägung eine Aufgabe übernommen hatte, war er bereit, jede Folgerung daraus redlich zu ziehen. Er war auf richtig und zuverlässig, treu und beharrlich,- und dies war der Kern seines Wesens.
Wir werden den gleichen Grundzügen wieder begegnen, wenn wir nun noch die Entwicklung der politischen Ansichten Hohen lohes bis zum Jahre 1866 kurz zu verfolgen versuchen. Seine Geburt, sahen wir, wies ihn durch die alten Traditionen des Ge schlechtes auf eine Tätigkeit für ein größeres Deutschland hin, ohne ihm doch einen Boden für eine solche Tätigkeit zu gewähren; sein persönliches Wesen hatte die Klarheit, dieses Ziel zu erkennen, die Festigkeit, es zu verfolgen, und war doch auch geschmeidig genug, sich den augenblicklichen Verhältnissen anzupassen. Ein feinsinniges Urteil seiner Schwägerin nennt ihn einen Übergangscharakter, der, tief in den feudalen Anschauungen der Reichsunmittelbaren wurzelnd, ein intuitives lebhaftes Verständnis für alle liberalen Strebungen gehabt habe, die erst in unserer modernsten Zeit zum Durchbruch gekommen seiend). Deutlich bezeichnen diese Worte die Art seiner politischen Befähigung, wie die Mächte, welche die Richtung ihrer Tätigkeit bestimmten. Er war kein großer, selbstschöpferischer politischer Denker, der, seiner Zeit voran, neue Ideale für die Zu kunft aufrichtete. Aber es wohnte in ihm ein feines Gefühl für 1) Vgl. die Schilderungen der Schwester und Schwägerin des Fürsten H. I 148—51. Völd. H. Pl. II 259. — Ium Folgenden vgl. auch Mo hl II 323. — Dgl. auch den Goelheschen Vers, den Simson einmal zur Charakterisierung des Fürsten verwandle. H. II 103. 2) H. I 149 f.
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die tiefen historischen Strömungen, in deren Mitte er stand, ein sicherer Instinkt für die lebendigen Mächte, deren Drängen oder Widerstreben den Gang der Wirklichkeit beeinflußte. So blieb er von den Widersprüchen der Zeit nicht unberührt. Nicht mit einem Male und nicht ohne mehrmaligen Wechsel gewann er eine feste Stellung zu allen Fragen der nationalen Entwicklung; aber indem er von Anfang an in dem Drang nach kraftvoller staat licher Einigung den tiefsten politischen Trieb der Zeit erkannte und sich ihm unbedingt auf immer anschloß, traf sein Streben im Kern doch immer wieder mit dem großen Gang der nationalen Entwicklung zusammen. Betrachten wir die beiden großen Gedankenströmungen, in denen die nationale Idee sich in der ersten Hälfte des Jahr hunderts in Deutschland Dahn bracht), so könnten die Herkunft des Fürsten, die konservativ aristokratischen Traditionen, unter denen er aufwuchs, seine frühe Verbindung mit Preußen uns auf den ersten Blick veranlassen, ihn unter dem Zeichen des konser vativen Nationalstaatsgedankens zu suchen. Wir würden ihn dort nicht finden können. Es blieb doch von entscheidender Be deutung, daß Hohenlohe in süddeutscher Luft aufgewachsen roar*2) und noch in jungen Jahren dauernd nach dem Süden zurück kehrte. So bedeutsam die Epoche vom fünfzehnten bis zum sechs undzwanzigsten Lebensjahr, welche er in Preußen zubrachte, auf die Entwicklung seiner Ansichten einwirkte, so wichtig sie für seine ganze spätere Haltung wurde, zu einem richtigen Preußen hatte sie ihn nicht gemacht. Don Anfang an wurde sein deutscher Patriotismus durch seinen süddeutschen Ausgangspunkt bestimmt3).4 Der mittelstaatliche Südwesten aber war die Heimat des liberalen Nationalstaatsgedankens i), von selbst erhielten die nationalen Wünsche hier eine liberale Färbung. Behagen wie Unbehagen über die alten deutschen Zustände war hier tiefer begründet, leb9 Dgl. zu den folgenden Ausführungen vor allem das schon mehr mals angeführte Werk Meineckes. 2) Vgl. die Vorliebe seines Vaters für Süddeutschland H. I 2. 8) Diesen „spezifisch klein- und mittelstaatlichen Einschlag" in Hohen lohes Patriotismus hat Salzer bereits deutlich hervorgehoben: N. u. 5. 251 f., Hist. Vj. 41. — Dgl. auch über seine Stellung zu Preußen N. u. $. 250, 256. 4) Meinecke 449 ff. Iastrow 257.
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Hafter als in den beiden Vormächten, welche ja als solche an der großen europäischen Politik teilhatten, regte sich hier die Sehnsucht nach einer machtvollen Zusammenfassung der zersplitterten Bruchteile, welche dem deutschen Volk als Ganzem endlich wieder das gebührende Ansehen in der Welt verschaffe. (Es ist diese charakteristische Klage über die politische „Nullität Deutschlands gegenüber den anderen Staaten", über die unwürdige Rolle vor allem des sog. dritten Deutschlands, das „immer die Nebenrolle und den kannegießernden Zuschauer spiele"x), der Ausdruck eines reizbaren Nationalgefühles, das, unzufrieden mit der Zersplitte rung in „achtunddreißig Lappen", mit Scham drei Meere an seine Küsten schlagen sieht, ohne daß ein deutsches Schiff, eine deutsche Flagge auf der See den stolzen Engländern und Fran zosen den üblichen Gruß abzwinge*2), welche uns aus der ersten größeren politischen Aufzeichnung des Fürsten, die uns bekannt ist3), entgegenklingen, und die nun zwanzig Jahre lang fast allen seinen wichtigeren öffentlichen Kundgebungen wie privaten Auf zeichnungen das Gepräge geben. Der Gegensatz zur konservativen Gedankenrichtung war damit gegeben. Wenn diese, aus einem gefestigteren Staat ausgehend und im Bestreben, die alten Zu stände mit ihren eigenen Vorrechten zu erhalten, grundsätzlich auf bie politische Einigung des gesamten Deutschlands verzichtete und dem Gedanken der staatlichen Zusammenfassung den der kulturellen Einheit bei politischer Mannigfaltigkeit entgegensetzte, so vermochte diese Lehre dem Süden keinen Trost mehr zu bieten. Als lächer lich und betrübt, eine „Phantasmagorie unseres gutmütigen Opti mismus", wies Hohenlohe dieses „elende Gerede über Einheit x) Vgl. die ähnlichen Klagen Fr. v. Gagerns (1831) bei Sastrow 124; vgl. auch Meinecke 449 A. 2) Hier, wie an einigen anderen Stellen z. B. I 53, dürfte auch in Hohenlohes Patriotismus jenes voluntaristische Nationalgefühl der deutschen Volkskraft zum Ausdruck kommen, das Meinecke 303 als das Charak teristikum von Bismarcks deutschem Patriotismus hervorhebt. 8) Aufzeichnung Hohenlohes „über den politischen Zustand Deutsch lands, seine Gefahren und die Mittel zur Abwehr", v. Nov. und Dez. 1847. H. I 38—41. Die Wiedergabe des Aufsatzes in der Deutschen Revue XXX 1, 258 enthält ein paar inhaltlich bedeutungslose Sätze mehr, deren Form jedoch darauf hindeuten könnte, daß der Aufsatz für die Öffentlichkeit bestimmt war.
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Deutschlands" in dem genannten Aufsatz zurück4*).2 3 Er hat sich auch später nie damit befreundet. Wenn philosophische Sozial politiker, so drückte er sich ein anderes Mal, fünfzehn Jahre später, aus, das deutsche Volk über seine politische Ohnmacht mit der Formel trösten wollten, daß es ein Kulturvolk sei, weniger berufen zum Eingreifen in die äußeren Geschicke der Welt als zur Pflege der geistigen Entwicklung und zur Lösung der großen Fragen der Menschheit, so brauche man, um sich dabei zu be ruhigen, die Resignation der Juden, die ja auch ein Kulturvolk gewesen seien. „Zu dieser Resignation haben wir es noch nicht gebracht. Wir glauben, daß das deutsche Volk noch nicht so tief gesunken ist, um sich mit dem Bewußtsein, ein Kulturvolk zu heißen, über seine politische Machtlosigkeit zu tröstens." Deutlich
erkannte er in dieser Sehnsucht nach Macht den treibenden Faktor der nationalen Bewegung^). Er wiederholte mehrmals, daß gerade dies Bedürfnis nach Ehre und Ansehen, welches Deutsch land trotz seines materiellen Wohlbefindens nicht zur Ruhe kommen lasse, ein Zeichen der Lebensfähigkeit des deutschen Volkes {ei4), und sah auf der anderen Seite auch die wirtschaftliche Entwicklung selbst, den wachsenden Handel, der überseeische Verbindungen unb nationalen Rückhalt verlange, und die erleichterten Verkehrs möglichkeiten, welche die einzelnen Teile der Nation täglich in engere Verbindung brächten, unaufhaltsam in derselben Richtung auf einen deutschen Nationalstaat wirksam5). Er verkannte aber 9 H. I 40. 2) Aufzeichnung aus dem Jahre 1862 H. I 115. Salzer hat auf Grund der mangelnden näheren Angaben über die äußere Form der Überlieferung zuerst (N. u. S. 247 A.) Zweifel an der Autorschaft Hohen lohes erhoben, sie aber dann (Hist. Vj. 41 A. 5) aus inneren Gründen, wie mir scheint, mit Recht, wieder bejaht. Die hier geäußerten An schauungen entsprechen den sonst von Hohenlohe vertretenen (vgl. 1 39 ff., 122 ff., 141 ff.) und auch stilistisch ist kein Grund, eine andere Feder anzunehmen. Die Ausgabe läßt freilich fast durchaus die wünschens werten Aufschlüsse über die Beschaffenheit des ihr zugrunde liegenden Materiales vermissen. Vgl. unten S. 109 A. 2. 3) Vgl. den Ausspruch Dahlmanns bei Meinecke 468 A. 2. 4) Brief an Königin Viktoria v. 4. V. 1864 H. 1 142; vgl. auch II 531, 539 f. 5) Aufzeichnung vom Nov. und Dez. 1847 und v. 9. III. 1862 H. I 40 f., 122 f.; Völd. V. R. 4.
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nicht, daß dies Ideal eines nationalen Machtstaats an sich einen revolutionären
welche der
Zug
trage.
Er bestritt,
daß
lebendigen Macht ewige Grenzen
es
Rechte gäbe,
setzen könnten^).
Die Gedanken einer universalen Bindung der deutschen Einheits hoffnungen durch die Rücksicht auf das europäische Gleichgewicht oder die romantischen Ideale der heiligen Allianz begegnen bei ihm bereits in einer Zeit, wo die konservative Denkweise sie noch
keineswegs ausgestoßen hattet), nur einer leidenschaftlichen Ab lehnung 3* ). 2 Aber auch die legitimistische Geltendmachung der wohl erworbenen Rechte der Dynastien gegenüber den Wünschen des
Volkes wies der Mediatisierte zurück.
nicht ohne Verständnis
für
Er erkannte, wenn auch
die widerstrebenden
Empfindungen
der Regierenden, das Recht der Nation als das höhere an, wenn
es, wie einst gegen die Ansprüche seines eigenen Hauses, so jetzt in Konflikt mit den noch übrigen deutschen Dynastien geraten sollte4).5 Wir treffen damit aus die eigentliche innere Begründung der Anschauung Hohenlohes, zugleich auf die tiefere Wurzel, welche
ihn
mit
dem
liberalen
Nationalstaatsgedanken
verband:
den
Glauben an die wachsende Mündigkeit des Volkes, das, endlich
zum Selbstbewußtsein gelangt, auch durch die wohlmeinendsten Regierungen sich nicht länger am Gängelband führen lassen wolle
und dringend begehre, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen^). Dieser Glaube an
die
politische Freiheit und Selbstbestimmung
als die Grundlage des modernen Staats6), wie er sich mit dem 9 Rede Hohenlohes in der Sitzung der Reichsräte v. 18. VI. 1866 Verh. d. K. d. R. 1866 Prot. I 89 ff. 2) Vgl. Meinecke 263 f. Wenn Salzer (N. u. S. 248) aus dem einmaligen Hegelzitat (H. I 72) eine Verwandtschaft Hohenlohes mit der konservativen Weltanschauung folgern will, so widerlegt sich dies durch die Anwendung des Zitates an jener Stelle selbst. 3) Vgl. den Artikel für das Frankfurter Journal 1850 H. I 62. 4) Vgl. insbesondere Journal v. 13. VII. und 18. VIII. 1866 H. I 169, 171. — Herr Pros. Friedrich war so liebenswürdig, mir von ähn lichen mündlichen Äußerungen des Kardinals Hohenlohe Mitteilung zu machen. 5) Aufzeichnung vom Nov. und Dez. 1847 H. I 39 f., Brief an Königin Viktoria v. 4. V. 1864 I 142. 6) Dessen Gedanken er bezeichnender Weise zuerst in der französischen Revolution ausgedrückt findet: Tischrede v. 24. IV. 1874 H. II 118; vgl. Meinecke 450.
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Drang nach der deutschen Einigung untrennbar verband und gegenseitig bedingte, darf wohl als der Kern der politischen An schauungen Hohenlohes bezeichnet werden. Seine allgemeine Überzeugung von dem aufsteigenden Fortschritt der Menschheitl)2 3 traf hier zusammen mit dem feinen Gefühl für die herrschende Zeitströmung, und auch der rationalistische Zug seines Wesens mochte in den liberalen Gedankengängen ein verwandtes Element finden. Lehr früh tritt diese Anschauung auch deutlich hervor; sie scheint ihn schon in Preußen von den Kreisen Friedrich Wil helms IV. ferngehalten zu haben, und er bezeichnete schon damals scharf den Gegensatz, der ihn hier von den konservativen An schauungen trennte'^). Um so stärker war sie natürlich nach seiner Rückkehr nach Bayern wirksam, wo von einer konservativen Partei im preußischen Sinne überhaupt nicht gesprochen werden konnte. Zwei Parteien sah der junge Reichsrat damals in Bayern sich gegenüberstehen und um Herrschaft und Einfluß ringen: die eine von Rom abhängig, mit theokratischen Tendenzen, die andere auf dem praktischen Boden der Verfassung stehend, bestrebt, den modernen Rechtsstaat zu verwirklichen 3); die eine partikularistisch, gewillt, schon im eigenen Interesse die Autonomie des Einzel staates unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, die andere, wenn auch von widerspruchsvollen Regungen durchsetzt, doch Trägerin der nationalen Idee. (Er zweifelte nicht, welcher er sich anschließen müsse. Und wenn er kurz vorher in Preußen es noch für besser gehalten, seine Prinzipien möglichst im Dunkel 1) Festrede zu Ehren der Preuß. Akademie der Wissenschaften 1900 H. II 538. 2) Brief an die Mutter v. 17. I. 1845 (H. I 27), in welchem er über seine Vertretung im schlesischen Provinziallandtag berichtet: trotz des großen Nutzens, den diese Vertretung für ihn habe, sei ihm doch un angenehm dabei zumute. „Ich habe aus den wenigen Konversationen die Verwirrung und Unklarheit der Begriffe in den höchsten Regionen erkannt und gesehen, wie man jeden Wunsch des Volkes, der mit den Absichten der Regierung nicht übereinstimmt, für ein Staatsverbrechen ansieht. Der Landtag würde für mich ein Wendepunkt sein, wenn ich nicht als Anfänger das Recht hätte, wenig zu sprechen und meine Prin zipien möglichst noch im Dunkeln zu halten." 3) So formuliert erst in dem Brief an Graf Münster v. 10. III. 1871. H. II 42.
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zu halten*), so schien ihm jetzt die widerspruchsvolle Zeit offene Aussprache und Parteinahme zu verlangen. Sogleich nach seiner Einführung in die bayerische Reichsratskammer trat er der kleinen, von den Grafen Reigersberg und Giech geführten liberalen Partei bei*2);3 4Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit3) lassen vermuten, daß er auch mit seiner damals leidenschaftlichen Abneigung gegen die ultramontane Partei nicht hinter dem Berge gehalten habe: so war er gleich bei seinem Eintritt ins politische Leben in die Kampfstellung eingerückt, die es auf lange hinaus bestimmen sollte. Gleichwohl wäre es falsch, den Fürsten nun als „Liberalen" schlechtweg zu bezeichnen. In seiner Herkunft wie in seinem Wesen lagen doch Momente, die einem völligen Aufgehen im Liberalismus widersprachen^), und wohl zu keiner Zeit haben sich seine Anschauungen mit denen der liberalen Doktrin voll ständig gedeckt. Zwei Punkte vor allem sind es, in welchen diese Abweichung sogleich bedeutsam hervortritt, und von denen aus die allmähliche Wandlung seiner politischen Anschauung ausgeht. Zunächst war bei der Verbindung nationaler und liberaler Elemente in Hohenlohe das nationale weitaus das überwiegende, wie er denn später einmal seine Verbindung mit dem Liberalismus einfach damit erklärt, daff dieser in Bayern die nationale Partei gewesen {ei5). Er verkannte die Mischung verschiedenartiger Unterströmungen nicht, aus denen sich die allgemeine deutsche Unruhe nährte, aber er hielt die berechtigte nationale Unzu friedenheit darunter für die mächtigste und für diejenige, welche allein die etwa damit verquickten Umwälzungen rechtfertigen J) Dgl. die vorletzte Anm.; zum Folgenden: Brief an Prinzessin Amalie v. 1. VII. 1846 H. I 33. 2) «Bölb. D. R. 2; vgl. H. Pl. II 47, 259. Brief Hohenlohes an Prinzessin Amalie v. 18. Nov. 1849 H. I 58. 3) Dom 9. V. 1846 H. I 31, Aufsatz vom Nov. und Dez. 1847 H. I 39. — Dgl. auch die Aufzeichnungen v. 2. und 12. XII. 1856, H. I 73 f.; Notizen über die Reise nach England 1859 I 88; Journal v. 4. VI. 1866 I 157. 4) Übereinstimmend Salzer N. u. 5. 252; vgl. auch Hauviller a. a. O. 428. B) Aufzeichnung v. 31. X. 1895 H. II 522.
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könne. Wenn der Liberalismus gerade in den vierziger Jahren durch die inneren kleinstaatlichen Fragen sich mehr und mehr von der nationalen Frage abdrängen tiefe1), so lehnte Hohenlohe liberale Reformen in den Einzelstaaten ohne Verbindung mit der deutschen Gesamtreform schroff ab. Ja diese Ablehnung steigerte sich bis zum unmittelbaren Gegensatz. Solange die Regierungen nicht die Umgestaltung der deutschen Bundesverhältnisse mit Ernst und Aufopferung angriffen, sagte er sich kurz vor dem Ausbruch der Revolution von 18482), führe das ganze Fortschritts- und Konzessionswesen zur Revolution. Ehe er aber Mitarbeiter an einer Revolution werde, sei er lieber ultrakonservativ, worin er immer noch mehr Garantie für die Ruhe des Vaterlandes finde. In diesen Worten tritt auch bereits der zweite Punkt, wo der Fürst sich von der liberalen Anschauung trennte und in der Folge noch weiter trennen sollte, zutage: die Einschätzung der Dynastien. Ts ist bezeichnend, dafe gerade der Ausbruch der Revolution die erste deutlichere Äußerung des Fürsten über die deutschen Regierungen hervorgerufen zu haben scheint. Wenn die unpolitische liberale Lehrmeinung die Autonomie der Staats persönlichkeiten gelassen vergewaltigte, so konnte einem empirischen Kopf gerade beim Herannahen des Konfliktes doch nicht lange verborgen bleiben, dafe in ihnen noch ein gutes Teil Lebenskraft pulsierte und dafe vor allem eine Reform der deutschen Dinge gegen sie in Ordnung jedenfalls nicht zu machen war. Es mag, wenn wir aus den spärlichen Äufeerungen, die uns aus jener Zeit hier über vorliegen, Folgerungen ziehen dürfen, zunächst vielleicht mehr die Abneigung gegen die Radikalen, die Furcht vor der Anarchie als bereits ein eigentliches Verständnis für die dyna stischen Kräfte gewesen sein, was Hohenlohe damals den deutschen Regierungen genähert hat. Sein deutsches Staatsideal dürfte, wenn wir nicht irren, in dieser Zeit in unitarischer Richtung noch um ein gutes weitergegangen sein, als selbst der berechtigte Partikularismus zugestehen konnte3), und seine mehrmals wech*) Baumgarten a. a. O. 102. 2) Bemerkung zu dem Aufsatz vom Rov. und Dez. 1847 H. I 41. 3) Vgl. die Äußerung Hohenlohes im Gespräch mit König Maxi milian II. (1859) H. I 93. — Hauviller 415: Hohenlohes polit. Ideal sei 1848 wohl in der Richtung des Dahlmannschen Entwurfes im Sieb zehnerausschuß gelegen.
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selnde, nach den vorliegenden Dokumenten oft widerspruchsvoll erscheinende Haltung während der Jahre 1848/49, soviel an ihr auch durch den verworrenen Gang der Bewegung selbst erklärt werden kann, läßt doch auch eine gewisse Unsicherheit, eine all mähliche Klärung seiner Ansichten erkennen. Es ist hier nicht der Ort, diesen Wechsel im einzelnen zu verfolgen,- es wird ge nügen, die Erfahrungen aufzuzeigen, welche er aus dieser ersten großen Krise Deutschlands, die er handelnd miterlebte, als dau ernden Besitz in die Zukunft hinübertrug, den entscheidenden Fortschritt soweit als möglich zu erklären, welchen seine politische Erkenntnis am Ende dieser Periode ausweist: es ist die neue oder wenigstens veränderte Ansicht von dem Berus Preußens für die deutsche Zukunft, um welche es sich handelt. Die Forschungen Meineckes haben neuerdings das innere Ringen zwischen Deutschland und Preußen, das Widerspiel und die Wandlungen der streitenden Kräfte und Meinungen gerade in jenen entscheidungsvollen Monaten in ein neues Licht gerückt. Genau festzulegen, welche Stellung Hohenlohe in diesem Ringen eingenommen, wann und wodurch sie sich etwa im Lauf dieser Monate verändert habe, scheint mir noch nicht möglich. Wir sehen ihn zunächst im März ruhig gefaßt den kommenden Um wälzungen entgegengehen *). Dann folgt unter dem Eindruck der Ergebnisse des Frankfurter Vorparlaments eine leidenschaft liche Aufzeichnung*2) über den revolutionären Gang, den die Dinge einzuschlagen schienen, über die unheilbare Erschütterung des Rechtslebens, welche eine radikale Minderheit durch die Ausschaltung der Regierungen bei der Reorganisation Deutsch9 Brief an Prinzessin Amalie aus Schillingsfürst v. 3. HI. 1848 H. I 41; vgl. auch den Brief aus München v. 3. IV. 1848 H. I 42. Darüber, ob Hohenlohe Kenntnis von den Verhandlungen über die Bundesreform hatte, welche seit dem 7. März zuerst zwischen den süddeutschen Regierungen, dann zwischen diesen und Preußen hin und her gingen (Meinecke 341 ff., 472) enthalten diese Briefe nichts. 2) Dom 7. IV. 1848 H. I 42 f. Leider fehlt jede Angabe über ihren Zweck, wodurch ihr Wert bedeutend vermindert wird. Denn der un gewöhnlich leidenschaftliche Ton und die stark konservative Tendenz sind offenbar ganz anders zu beurteilen, je nachdem, ob wir nur eine rein private, oder, wie mir wahrscheinlicher dünkt, eine für die Öffentlichkeit bestimmte Aufzeichnung des Fürsten (Zeitungsartikel) vor uns haben.
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Zweites Kapitel.
lands hervorriefe, eine bewegte Mahnung an die Regierungen, die Reform in der Hand zu behalten, nicht eine konstituierende Versammlung, sondern ein Parlament zu berufen, ihm eine Fürstenkammer und ein Bundeshaupt an die Seite zu stellen. Richt eine Woche später, während welcher er in der Reichsratskammer aufs eifrigste in nationalem und freiheitlichem Sinne tätig roar1),2 3hören 4 wir ihn hier das Wahlgesetz für das Frank furter Parlament, die „Volksvertretung am Bund" als den ersten fühlbaren Schritt zur Einheit auf gesetzmäßigem Weg begrüßens. Die hoffnungsvolle Stimmung scheint länger angehalten zu haben, — wie Hohenlohe aber im einzelnen sich damals die Lösung der deutschen Frage dachte, wie er das liberaldemokratische Ideal, welches die Frankfurter Versammlung verfolgte-'), mit den partikularistischen Widerständen auszugleichen gedachte, wissen wir nicht. Unter dem Druck der Volksbewegung, so mochte wohl sein Gedanke gehen, würden die Regierungen den Entschluß fin den, im Interesse der Einheit auf ihre Sonderrechte in größerem oder geringerem Umfang zu verzichten. Dann aber gab die Versammlung, wie Hohenlohe meinte, indem sie die erste günstigste gelt durch „dumme, einfältige Schwätzereien" verbrachte, den ein zelnen Rationalitäten und insbesondere Preußen Zeit zu er starken^). Die bitteren Worte, mit denen er jetzt und später sich über dies Versäumnis äußerte, zeigen, daß Hohenlohe doch im J) Brief an Prinzessin Amalie v. 12. IV. 1848 H. I 43; Döld. H. Pl. II 259 f. — Dgl. auch den Bries aus München v. 31. III. 1848 und den Brief an Prinzessin Amalie v. 24. V. 1848 H. I 41 f., 44. Auch die undatierte Aufzeichnung I 46. — Die Stellung in der Reichsratskammer, welche Hohenlohe in dem Nekrolog der Münchener Neuesten Nachrichten (d. 7. VII. 1901, Nr. 310) und danach bei Hauviller 413 zugeschrieben wird, ist m. E. übertrieben. Auch die „Partei Hohenlohe", welche damals schon in dem Fürsten den bayerischen Zukunftsminister sah, dürfte wahrscheinlich klein genug gewesen sein. Auch Dölderndorff (§. Pl. II 259) spricht zwar von ihr; er sagt aber auch ein anderes Mal (D. R. 3), vielleicht richtiger: „Ich (Döld.) proklamierte den neuen Reichsrat als bayerischen Ministerpräsidenten in spe." 2) Dortrag in der Reichsratskammer v. 13. IV. 1848 H. I 44. — Ium Folgenden vgl. H. I 44 A. 2; I 45. 3) Meinecke 303. 4) Brief aus Frankfurt v. 31. VIII. 1848 H. I 45. Zum Folgenden vgl. das Tagebuch v. 18. I. 1849 H. I 53, 54.
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wesentlichen auf dem Boden des Frankfurter Ideals gestanden haben, darin eine wirkliche Möglichkeit, die deutsche Einheit zu begründen, gesehen haben muhte. Zunächst schien ihm durch diesen Umschwung die Einheit ferner gerückt als je, die National versammlung lächerlich geworden. Dazu kam der starke Eindruck der Frankfurter Revolte, der Ermordung Auerswalds und Lichnowskys, durch welche das Ansehen der Reichsgewalt ja in der Tat eine Schwächung erfuhr, die sie niemals wieder zu über winden vermochte. „(Eine Hoffnungslosigkeit ohnegleichen", sagt ein ganz unter dem Druck dieses Ereignisses stehendes Schriftstück vom 23. September T), lege sich mehr und mehr über sein politisches Bewußtsein. Es scheint ein seltsamer Widerspruch, wenn wir den Fürsten kaum fünf Wochen später als Gesandten der provisorischen Zentral gewalt wiederfinden*2). Was hatte in der kurzen Zwischenzeit diese pessimistische Stimmung überwinden können? Eine Auf zeichnung des Fürsten aus den letzten Monaten seines Lebens gibt die Hoffnung auf den Sieg der preußisch-deutschen Idee als Hauptmotiv seines Entschlusses an3).4 Die Studien Meineckes haben uns gelehrt, daß dieses Wort zwei sehr verschiedene Be griffe umschließen kann und gerade damals wirklich umschloß. Trügt der Anschein, daß Hohenlohe die zwei Möglichkeiten, daß entweder Preußen in Deutschland oder Deutschland in Preußen aufgehen müsse, nicht als schroffe Alternative empfunden habe? Seine Aufzeichnungen geben jedenfalls keinen unmittelbaren An haltspunkt dafür, welche von beiden ihm bei der Annahme der Reichsgesandtschaft vorschwebte. Es läßt sich mit beiden vereinen, daß nach kühn auffliegenden Plänen in der Ferne die Nachricht der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. für ihn das Schicksal des Frankfurter Reiches besiegelte ^). Eine Stelle im Ministerium Grävell, welche ihm nach seiner Rückkehr 9 Brief oder Aufzeichnung aus Wiesbaden v. 23. IX. 1848 H. I 45. 2) Am 1. Nov. erhielt Hohenlohe nach vorausgegangenen Vor besprechungen bereits die amtliche Mitteilung seiner Ernennung. H. I 46. 3) H. I 46. — Eine andere Erklärung, die aber offenbar sehr stark auf den Adresiaten berechnet ist, gibt Hohenlohe in der Unterredung mit König Max II. (1859) H. I 92 f. 4) Tagebuch v. 18. I. 1849 H. I 52 ff.; Bries an Prinzessin Amalie v. 11. IV. 1849 H. I 58. - Zum Folgenden: H. I 58.
im Mai 1849 angeboten wurde, lehnte er ab, „ba er keine Lust hatte, einem Ministerium anzugehören, das nur dazu berufen war, das Reich zu Grabe zu tragen". Damit, wenn nicht früher, war das alte Ideal der deutschen Einheit, welches mehr oder minder der in Frankfurt geplanten Lösung und also dem von Süddeutschland ausgehenden *) liberaldemokratischen Nationstaats gedanken entsprach, für Hohenlohe jedenfalls endgültig beseitigt. Die Nation hatte sich nicht stark genug gezeigt, die Dynastien zur Einheit zu zwingen. Im Gegenteil, sie selber hatte sich, in ihren einzelnen Teilen, der Auflösung ihrer partikularen Ver bände aufs lebhafteste widersetzt und damit den dynastischen Widerstand erst aufs neue entflammt. Das war es, was Hohen lohe im Auge hatte, wenn er von da ab immer wieder betonte, daß die Einheit 1848 zugrunde gegangen sei, nicht sowohl durch die Sonderinteressen der Dynastien als durch die Feindseligkeit der einzelnen deutschen Stämme* 2).3 Die Erkenntnis der inneren Stärke des deutschen Partikularismus war die wichtigste Lehre, welche er aus dem Jahre 1848 zog,- er stand von nun an als feste Größe in seiner politischen Berechnung. Nicht freilich als ein an sich zu konservierendes Element: der Gedanke der deutschen Einheit unter einer starken Ientralgewalt blieb nach wie vor der Kern seiner politischen Wünsche. Aber er erkannte, daß die Nation als solche, eine bloß ideale Macht, ihn nicht durchführen konnte^)- es handelte sich jetzt, wenn er an jenem Endziel sestx) Den südwestdeutschen Ausgangspunkt der Frankfurter Bewegung betont Hohenlohe selbst in dem Brief an Königin Viktoria v. 4. V. 1864 H. I 142 und in der, stark an diesen Brief anklingenden Rede in der Reichsratskammer v. 3. VII. 1865. Verh. d. K. d. R. 1865 Prot. I 206. — Vgl. Mein ecke 453, 365. 2) Rede v. 12. XL 1849 H. I 60; vgl. H. I 93, 106. Verh. d. K. d. R. 1863 I 28 ff. — Wir würden statt „Stämme" heute wohl eher „Staatspersönlichkeiten" sagen. Daß Hohenlohe aber mit diesem Aus druck den Partikularismus des 19. Jahrhunderts tatsächlich auf die alten Stammesgegensätze unseres Mittelalters zurückführen wollte, ergibt sich aus dem Schreiben an Königin Viktoria v. 15. IV. 1865 H. I 146 — eine Ansicht, welche damals nicht selten gewesen zu sein scheint. Eine ganz analoge Äußerung v. d. Pf.s in den Reden und Proklama tionen S. 37. Vgl. Sybel VI 23. 3) Brief an Königin Viktoria v. 4. V. 1864 H. I 142.
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halten wollte, darum, ob es eine andere reale Macht gäbe, welche imstande wäre, die widerstrebenden deutschen Elemente zusammen zuhalten. Deutlich trat dieser Kern der Anschauungen Hohenlohes so wie sein praktischer, durch Theorien ungetrübter Instinkt ins Licht, als nun unmittelbar nach dem Scheitern des Frankfurter Einigungswerkes die preußische Regierung, an deren Wider streben es vor allem zugrunde gegangen war, selbst mit einem neuen Projekt hervortrat, das als preußischer Gegenschlag gegen jene, im wesentlichen süddeutsche Bewegung zu verstehen ist und, wenngleich dem eigenen preußischen Partikularismus in unitarischer Richtung noch zu weit gehend, doch den Weg zur Einigung vom norddeutschen Zentrum aus bezeichnete: das preußische Unions projekt. Das Endziel war auch hier die Einheit des außer österreichischen Deutschlands, weniger unitarisch sogar, als es die von allgemeinen Gesichtspunkten aus kühn durchgreifende Frank furter Lösung gewesen wäre, aber durch die Hegemonische Ge staltung des geplanten Bundesstaats den bisherigen Theorien und Idealen scharf widersprechendl). Es war für Süddeutsche nicht leicht, den Weg von einer Lösung zur anderen zu finden; es hat langer Zeit bedurft, daß die Mehrheit der Teilnehmer der Volksbewegung von 1848 ihn fand, und auch dann hat mancher die Bekehrung immer als eine schmerzliche Abkehr von früheren Idealen empfunden. Wenn Hohenlohe sogleich und an scheinend ohne einen Bruch mit seiner Vergangenheit für die neue Lösung sich einsetzen konnte, so unigrenzt das noch einmal deutlich seine Stellung zu dem liberalen Nationalstaatsgedanken wie zur Frage der deutschen Einheit überhaupt. Hier wirkte es nun doch wieder nach, daß er seine politische Laufbahn in Preußen begonnen hatte. Wir haben leider aus den früheren Jahren keine einzige Äußerung, welche uns über Hohenlohes Stellung zum großdeutschen Ideal Aufschluß gäbe: ob er schon vor 1848 den Gegensatz zwischen Preußen und Österreich, als einem vor herrschend deutschen und einem vorherrschend slavischen Staate, wie er ihn später formulierte2), klar erkannt und deshalb einen irgendwie gestalteten Unterschied in ihrer Verbindung mit dem 9 Meinecke 463, 476 f. 2) Brief an Königin Viktoria v. 4. V. 1864 H. I 143.
übrigen Deutschland für notwendig gehalten, ob er schon damals die preußische Führung als die wahrscheinliche Lösung vor Augen gehabt hattet). Auf jeden Fall war seine Verbindung mit Preußen durch seinen langen Aufenthalt im Norden von jeher die engere. Er hatte von dorther mitgebracht, was den meisten Süddeutschen jener Zeit völlig fehlte, Kenntnis und eine gewisse Vorliebe für den preußischen Staat. Daß diese keineswegs eine unbedingte war, ist bereits erwähnt worden. Es war nicht das eigentlich Wurzelhafte des altpreußischen Militär- und Beamten staats, worin er dessen Stärke und Bedeutung für Deutschland fand — gerade diesen Seiten des preußischen Lebens stand er mehr oder minder doch immer mit der Abneigung und dem Miß trauen des geborenen süddeutschen Standesherrn gegenüber* 2) — sondern dessen Verbindung mit den liberalen Tendenzen, welche ihm die innere Macht Preußens, seinen berechtigten Anspruch aus Suprematie in Deutschland zu bilden schien. Die dem Geist der Zeit voranschreitende Reformperiode Steins erschien ihm als die Geburtsstunde des preußischen Anspruchs auf Hegemonie in Deutschland, die Vertretung der „freien Entwicklung des mensch lichen Geistes innerhalb der gesetzlichen Sphäre", des „Protestan tismus in der weitesten Bedeutung", wie er es ein anderes Mal ausdrückte, als die eigentliche Aufgabe des preußischen Staates: Gedanken, die sich mit denen der besten Vorkämpfer der preußischen Hegemonie begegnen, wenn ihnen gleich eine ebenso klare Erkenntnis der konservativen Mächte der preußischen Monarchie noch nicht zur Seite staub3). Gerade so aber mochte ihm jetzt der Übergang zur preußisch-deutschen Lösung leichter 9 Dgl. die Notiz über die Lektüre der Schrift: Preußen, seine Ver fassung und Verwaltung, sein Verhältnis zu Deutschland von v. BülowCummerow (Berlin 1842) H. I 16. 2) Vgl. auch noch das Journal v. 15. XII. 1898 H. II 534.— Ium Folgenden: Aufzeichnung v. 25. VI. 1844 H. I 25 f. und Aufsatz vom Nov. und Dez. 1847 I 38 f.; vgl. auch Notizen v. 26. II. 1859 und vom 24. I. 1862 I 83, 119. — Vgl. auch Blum 88. — Über die Wurzeln dieser Anschauung vgl. Meinecke 326 f., 329 f. 3) Nur so etwa vermag ich mich der scharfen Äußerung Salzers über das mangelnde Verständnis Hohenlohes für den preußischen Staat (N. u. S. 250) anzuschließenr auf der anderen Seite scheint mir v. Hertling (Hochland 683) die Verbindung Hohenlohes mit Preußen allzu einseitig hervorzuheben.
Persönlichkeit und polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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werden i)- denn sie bedeutete ihm keinen Abfall von den freiheit lichen Tendenzen, die er in sich ausgenommen hatte. Im Gegen teil, sie erst enthielt diejenige Mischung konservativer und liberaler Elemente, welche, wie dem wahren Verhältnis der deutschen Kräfte, so auch der eigenen Anlage Hohenlohes am meisten entsprach. Das genaue Verhältnis ihrer Mischung war freilich damals noch nicht gefunden, die Zeit für ihre Ausführung noch nicht reif. Wie die liberale Volksbewegung so war auch der preußische Anlauf vereinzelt noch nicht stark genug, die wider strebenden Mächte zu überwinden. Es waren nicht viele Süd deutsche *2), welche damals in diesem Versuch, Preußen zum Zwing herrn der deutschen Einheit zu machen, den Weg der Zukunft erkannten. Den genauen Zeitpunkt, in welchem Hohenlohe dies kleindeutsche Programm etwa im Sinne des Radowitzschen Bundes staates zu dem seinen machte, wie weit die Ansätze dazu schon in frühere Zeiten zurückreichen, wage ich nicht zu bestimmen- mit dem Ende des Jahres 1849 war seine preußisch-deutsche Stellung jedenfalls klar durchgebildet. Nach den verschiedenen Ansätzen der Iugendjahre hatte er durch die praktischen Erfahrungen des letzten Jahres mit ihr ein festes Programm gefunden, von dem er von jetzt ab nie mehr völlig abwich. Die erste große Rede, in welcher er am 12. November 1849 in der bayerischen Reichsratskammer seine Stellung zur deutschen Frage präzisierte ^), wie sie den Abschluß seiner politischen Lehrzeit bezeichnete, blieb in gewissem Sinn programmatisch für seine ganze Zukunft. Er sprach sich darin aus für einen starken deutschen Bundesstaat mit einheitlicher Zentralgewalt und gemeinsamem Parlament unter preußischer Führung. Er war sich bewußt und betonte es, daß er sich mit diesem Programm im Gegensatz zur öffentlichen Meinung des Landes befand, die Frage selbst war durch die Ablehnung der Regierung für den Augenblick bereits entschieden; seine Über
zeugung von der Notwendigkeit dieser Entwicklung muß also sehr stark gewesen sein, daß er sich ohne eine sachliche Nötigung durch eine Meinungsäußerung von solchem Nachdruck aus sie festlegte. !) Die ja in der Tat auch nicht etwa die des konservativen Nationalstaatsgedankens war. Dgl. Meinecke 255 f. 2) I. B. Rümelin, vgl. O. Elben a. a. O. 83; über die Anschluß bewegung in Württemberg überhaupt Rapp a. a. O. 14. y) Verh. d. K. d. R. 1849 Prot. II 146ff., zum Teil auch bei H. I 59 f. 8*
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Zweites Kapitel.
Für seine Stellung und Zukunft in Bayern war diese Rede von der größten Bedeutung. Schon drei Jahre vorher hatte eine erste sich bietende Gelegenheit, in bayerische Dienste zu treten, nicht zum Erfolge gefügtT); schon bisher war er als liberal und national gesinnter Mediatisierter bekannt gewesen. Nun hatte er sich vollends den offenen Stempel des „Preußenfreundes" auf geprägt mit allen guten und bösen Folgen, die sich daran knüpften. Die letzteren überwogen zunächst weitaus. Der Fürst selbst scheint in jenem Augenblick die der preußisch-deutschen Lösung widerstrebenden Kräfte in Bayern doch zu gering ein geschätzt, also die volle Tragweite seiner Worte nicht ganz richtig bemessen zu habens. Er sollte die Stärke des bayerischen Partikularismus am eigenen Leibe erfahren. Siebzehn Jahre machte diese Rede ihn für den bayerischen Staatsdienst unmöglich. Und auch dann eröffnete sich ihm dieser nur durch die neue, wenn auch geringere, innere Wandlung, die er selber mittlerweile durch die Erkenntnis und unter dem Druck dieser Verhältnisse durch gemacht hatte. Wir treten damit in die zweite Periode der Entwicklung der poli tischen Anschauungen des Fürsten, an deren Ende wir ihn im Herbst 1866 als bayerischen Ministerkandidaten finden. Sie ist in ihrer ersten, größeren Hälfte ausgefüllt durch das Leben und Wirken auf seinen Gütern und die schon erwähnten größeren Reisen, auf denen er sich mit den Verhältnissen der mächtigeren europäischen Nachbarstaaten vertraut zu machen, über die wechselnden Kon stellationen der großen Politik auf dem laufenden zu halten suchte. So bedeutend diese Jahre für die Erweiterung seines politischen Horizontes im allgemeinen waren, so tritt doch die deutsche Frage in ihnen in den Hintergrund zurück. Die Ver stimmung, in welche der Ausgang der deutschen Einheits bestrebungen ihn versetzte, äußert sich noch in einer Aufzeichnung T) Hohenlohe war 1846 die Stelle des Vorstandes des landwirt schaftlichen gentralvereins Angeboten, dann aber doch nicht gegeben worden. Brief an die Mutter v. 20. VI. 1846 H. I 31 f. — Zum Folgenden vgl. Hohenlohes Gespräch mit dem preuß. Kronprinzen am 18. I. 1862 H. I 117; Döld. H. Pl. II 260; Fr. Lampert, Ludwig II., König von Bayern (München 1890) 76. -) Brief an Prinzessin Amalie v. 18. XL 1849 H. I 59. 3) 1850-59. H. I 64-82; Bold. H. Pl. II 260. - Dgl. Blum 90.
Persönlichkeit und polit Anschauungen des Fürsten Hohenlohe. 117
vom April 18501)2; 3 dann schweigen seine Briefe und Tagebücher über die deutsche Frage vollkommen. Wie die innere deutsche Entwicklung selbst in der Reaktionszeit unter der Decke fast unbemerkt fortlief, scheint auch bei Hohenlohe das lebhafte augenblickliche Interesse abgeflaut zu haben. Erst gegen Ende des Jahrzehnts, wie in Deutschland die Bewegung wieder anschwillt, sehen auch die politischen Äußerungen und Bestrebungen des Fürsten wieder lebhaft ein, um dann bis zum Jahre 1866 nicht mehr ab zubrechen. Der Kern seiner politischen Anschauungen steht in dieser ganzen Zeit bereits fest, die Wandlungen sind nur mehr Modi fikationen an dem alten kleindeutschen Programm, wie sie die augenblickliche Lage, die Hoffnung auf raschere Verwirklichung ihm nahelegten: gegen Ende der Periode scheint er sich einmal etwas weiter davon zu entfernen,- im Grunde aber erschien, so weit seine Aufzeichnungen und Kundgebungen uns Aufschluß geben, das Radowitzsche Unionsprojekt, Bundesstaat unter Preußen und Bündnis mit Österreich, ihm während dieser ganzen Zeit als die beste mögliche Lösung der deutschen Fraget). Die bisherige Entwicklung hatte ihn, vor allem wohl durch die Erfahrungen des Jahres 1848, zur Erkenntnis der partikularistischen Kraft des mächtigsten deutschen Einzelstaates geführt und ihn gelehrt, daß der deutsche Staat nur mit dessen Hilfe und also unter dessen Vormacht begründet werden könne. Er hatte sich dann der von Preußen in diesem Sinn begonnenen Bewegung an geschlossen, hatte aber auch sie, trotz der großen Gunst der europä ischen Lage, mißlingen sehen, zum Teil durch eigene Schwäche, zum Teil durch die Stärke der übrigen partikularistischen Wider stände, welche seiner Ansicht nach eben die Gunst dieser aus wärtigen Lage Preußen vielleicht hätte helfen können zu über winden^). Es ist der nächstliegende Schritt, daß er nun auch diese Hindernisse mehr in den Kreis seiner Berechnung zieht. Wiederum schlug ihm das liberale Element seiner Anschauung auch auf diesem Wege eine Brücke. Die Rede vom 12. November 1849
9 Deutsche Revue XXX 2, 11 (in der Ausgabe der Denkwürdig keiten weggelassen). Dgl. auch die Rede Hohenlohes in der Sitzung der Reichsräte v. 13. II. 1856. Prot. I 248. 2) Übereinstimmend Salzer N. u. S. 254. Vgl. Döld. D. R. 3 f.; H. Pl. II 250. 3) Vgl. Brief an Königin Viktoria v. 15. IV. 1865 H. I 145.
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Zweites Kapitel.
hatte die von der eigenen Ansicht Hohenlohes abweichende Haltung der bayerischen Negierung ausdrücklich gerechtfertigt, weil sie nur das getan habe, was die Mehrheit des Volkes wolle. „In einer Frage, wo es sich um die Rechte eines ganzen Volkes, um die Selbständigkeit eines Staates handelt, muß die persönliche subjek tive Überzeugung des einzelnen zurücktreten 1)°. Hohenlohe hätte nicht gezaudert, einen äußeren Druck zu benützen, der imstande gewesen wäre, diesen Widerstand zu überwinden. Wenn aber die Kraft fehlte, ihn auszuüben, so galt es eben doch, eine Form der deutschen Einheit zu finden, welche biegsam genug war, auch diese widerstrebenden Kräfte einstweilen in sich aufzunehmen. Dies Streben, dem mittelstaatlichen Partikularismus so weit entgegen zu kommen, um ihn in den deutschen Staat eingliedern zu können, ist der Hauptinhalt dieser Periode2).3 4 Und zwar sind es charakteristischerweise irrt wesentlichen lauter negative Momente, welche die Stellung des Fürsten bestimmten. Auf der einen Seite hielten ihn zwei negative Momente auf der alten klein deutschen Basis fest: die jetzt völlig klar ausgesprochene Einsicht in die Unmöglichkeit einer dualistischen Lösung der deutschen Fraget) wie eines praktischen großdeutschen Programmes: das nur entweder eine große deutsche Republik bedeuten könne oder eine bloße Phrase sei, mit der Preußen entgegengearbeitet und der gutmütige Spießbürger in Schlaf gehalten werde. „Alles, was man von der Wieder herstellung eines Deutschen Reiches unter dem Haus Habsburg redet, ist eitel Träumerei^)." Auf der anderen Seite waren es
wiederum drei negative Momente, welche ihm die ungeschwächte 9 H. I 60. Ganz analoge Ausführungen in der Unterredung mit König Max II. (1859) und in der Rede in der bayer. Reichsratskammer v. 4. V. 1861. H. I 93, 106. a) Don einer ähnlichen Entwicklung des Kronprinzen Albert von Sachsen berichtet Hassel II 88. Auch an die Wandlung P. Pfizers darf vielleicht erinnert werden, der in seiner kleinen Schrift „Deutschlands Aussichten i. 3. 1851", nach dem Versagen Preußens, vorläufig die Trias empfiehlt. 3) Vgl. Aufzeichnung aus Paris v. 9. III. 1862 H. I 123: „Der Antagonismus zwischen Preußen und Österreich kann beklagt, aber nicht wegdemonstriert werden. Es ist ebenso unmöglich, daß Österreich unter Preußen wie daß Preußen unter Österreich stehe." — Völd. D. R. 4 f. 4) Gleiche Aufzeichnung v. 9. III. 1862 H. 1123; vgl. Völd. D. R. 4; H. Pl. 260 f. Dgl. auch Rede Hohenlohes v. 31. VIII. 1866 H. I 172:
Persönlichkeit und polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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Durchführung des kleindeutschen Programms von 1849 nicht mehr wahrscheinlich erscheinen ließen und ihn also zu Konzessionen an
den Partikularismus geneigt machten: die ablehnende Haltung der Bevölkerung in Süddeutschland, die für die preußischen Pläne ungünstigere europäische Lage und nicht zuletzt die Enttäuschung
über Preußen selbst1).
3m einzelnen ist seine Haltung in diesen
Jahren, eben weil sie durch die hindernden Momente der jeweiligen Lage bestimmt wird, öfters wechselnd; im ganzen aber ist eine wachsende Annäherung an die partikularistische und föderalistische Richtung nicht zu verkennen.
Schon
1859 hielt er selbst seine
Stellung für soweit verändert, daß er, nachdem eine plötzlich auf tauchende Aussicht auf die Nachfolgerschaft von der Pfordtens sich
nicht
verwirklicht hattet), nach dem Tod des bayerischen
sandten in Wien-') im Herbst persönlich
Ge
dem König von Bayern
seine Dienste anbot, da er schon lange gewünscht habe,
die Ge
sinnung der Treue und Anhänglichkeit durch die Tat zu beweisen und
gewillt sei,
„die bayerische Fahne mit Energie
und Ent-
„Seitdem sind zahlreiche Projekte im großdeutschen Sinn aufgetaucht und wieder verschwunden. Ich habe sie nie für praktisch durchführbar ge halten." 9 Vgl. Aufzeichnungen v. 14. III. und 26. VI. 1859 H. I 84, 90; Unterredung Hohenlohes mit dem preuß. Kronprinzen am 18. I. 1862 H. I 117. 2) Notizen v. 27. und 31. III. 1859 H. I 84. Der dort erwähnte Artikel der Allgem. Zeitung findet sich in Nr. 84 v. 25. III. 1859 S. 1356. 8) Des Grafen Max Joseph v. Lerchenfeld, der am 3. Nov. 1859 gestorben war. Der Herausgeber der Denkwürdigkeiten glaubt hienach die im folgenden erwähnte Unterredung mit König Max II. auf Nov. 1859 ansehen zu sollen. — Zum Folgenden vgl. die Niederschrift Hohen lohes über diese Unterredung für seine Gemahlin in H. I 92—94. Charak teristisch ist, daß Hohenlohe, um das bayer. Mißtrauen wegen seiner früheren Haltung zu entkräften, nur von seiner Reichsgesandtschaft im Dienst der Frankfurter Zentralgewalt spricht, deren Ideale er ruhig als überlebt bezeichnen kann, während er den Hauptpunkt, seine kleindeutsche Rede von 1849, mit keinem Wort erwähnt. I 117 in der Unterredung mit dem Kronprinzen von Preußen führt er sie dagegen ganz zutreffend als einen Hauptgrund des bayer. Mißtrauens an. — Die Verhandlungen über eine Verwendung Hohenlohes im bayer. Staatsdienst zogen sich noch bis in den Januar 1860 hin: Brief an Prinzessin Elise v. 14. I. 1860 H. I 94.
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Zweites Kapitel.
schiedenheit aufzupflanzen". Es mag, wenn wir alle Zeugnisse ins Auge fassen, fraglich erscheinen, wieweit Hohenlohe sich in jenem Zeitpunkt wirklich schon mit den Zielen der damaligen bayerischen Politik gleichsetzte, wieweit er in der Folge imstande gewesen wäre, sie mitzumachen. Seine augenblickliche Loyalität scheint mir nicht zu bezweifeln. Die Dynastie aber war jedenfalls auch jetzt noch nicht überzeugt, daß der Mediatisierte sich ihren Kreisen völlig einfügen würde, und auch dieser zweite Versuch Hohenlohes, seinen Frieden mit der bayerischen Politik zu machen, blieb erfolglos. So hielt er denn gleichzeitig auch seine alten Verbindungen mit Preußen, die ja bereits durch seinen älteren Bruder gegeben waren, immer noch aufrecht, ja suchte sie durch neue zu ver mehren. Des 1861 auftauchenden Planes, einen Sitz im preußi schen Herrenhaus zu erwerben, wurde bereits in einem anderen Zusammenhang gedacht *). Schon Anfang 1859 aber hatte ihn die neue Ära des Prinzregenten zu einer Reise nach Berlin ver anlaßt, um sich über die leitenden Persönlichkeiten und Tendenzen der neuen preußischen Politik zu unterrichten. Gegen Ende des selben Jahres erwartete er Propositionen, in den preußischen Dienst zurückzukehren 2), und seine Verbindungen mit dem preußischen Hof, dem König, der Königin und dem Kronprinzen reißen die nächsten Jahre nicht mehr ab. Wenn er sich gleich dabei in erster Linie immer als Süddeutschen fühlte und bezeichnete unb zunächst wohl immer an eine Stellung in Bayern dachte^), so blieb er doch auch den preußischen Plänen, welche eben durch ihre Verbindung mit dem Liberalismus damals seiner Anschauung ent gegenkamen, nicht fern und hielt sich für alle Fälle den Weg offen.
x) Dgl. oben S. 94 f. Zum Folgenden vgl. die Aufzeichnungen aus Berlin aus den ersten Monaten 1859 H. I 82—84. 2) H. I 93. — Zum Folgenden vgl. 1 110 f. (Herrenhausfrage), 111—13 (Reise zu König Wilhelm nach Baden-Baden, Sommer 1861), 115—21 (Reise nach Berlin, Winter 1861/62). — Dgl. auch die Äußerung Roggenbachs im Sept. 1862 I 126 und Journal v. 11. V. 1870 II 9. 3) Dgl. den Brief an den Herzog v. Ratibor v. 14. V. 1861 und die Aufzeichnung v. 24.1.1862 H. I 111, 119; aus späteren Zeiten: Journal v. 8. XII. 1870 II 33, Brief an Bismarck v. 10. II. 1875 II 146, Rede in Wildbad 1899 II 535; Rust 5 A.
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Freilich mußten dann gerade das Mißlingen der liberalen Ära, der darauf mit Bismarck eintretende konservative Rück schlag um so lebhafter auf ihn zurückwirken. Sie veranlaßten ihn in der Tat, schon im Dezember 1862 sein Herrenhausprojekt definitiv aufzugeben, da er nun fürchtete, wegen des ausge brochenen Verfassungskonfliktes alsbald in Gegensatz zur preußi schen Regierung 311 frommen1). Es war klar, wie sich nach seiner Auffassung dadurch die Aussichten Preußens auf die Hegemonie in Deutschland verringern mußten- in der Tat wurde ja der Glaube an Preußen und damit die neu eingeleitete Verbindung Preußens mit der nationalen Volksbewegung durch die miß glückte liberale Ära stark erschüttert2).* 4 Daß gerade damals aber die Mittel geschaffen wurden — und nur auf dem Wege des Konflikts geschaffen werden konnten — welche Preußen in den Stand setzen sollten, seinerseits die Lösung der deutschen Frage gegen alle widerstrebenden Mächte in die Hand zu nehmen, er kannte Hohenlohe so wenig wie die öffentliche Meinung. Das lange Leben in Süddeutschland hatte ihn doch den preußischen Verhältnissen allzusehr entfremdet, als daß er diese Leistung des konservativen Preußens, dem er von jeher nicht nahegestanden war, richtig hätte beurteilen können 3). Auch sein persönlicher Drang nach politischer Wirksamkeit, so lange unbefriedigt und mit jedem entfliehenden Jahr lebhafter erwachend, mochte sich jetzt wieder ausschließlicher auf Bayern beschränkt sehen und um so mehr dessen eigentümlichen Ansprüchen gerecht zu werden versuchen ^). 9 Brief an den Herzog v. Ratibor v. 12. XII. 1862 H. I 117 A. 2) Vgl. den Brief Baumgartens an Duncker v. 5. IX. 1862 Baum garten a. a. O. LV; ebbt. XLVIII. 8) Ein Urteil Hohenlohes über Bismarck und den preuß. Verfassungs konflikt findet sich in einer Rede in der Reichsratskammer v. 26. IX. 1863. Verh. d. K. b. R. 1863 Prot. I 260: „Wohin es führt, wenn z. B. eine falsch verstandene Theorie des Königtums von Gottes Gnaden als Maßstab an die gegebenen Verhältnisse angelegt wird, zeigen die Zustände in Preußen. Dort haben die Doktrinäre des Absolutismus in irriger Auffassung und Anwendung der Lehren des Prof. Stahl die Monarchie an den Rand des Abgrunds gebracht." 4) Dgl. die Ausführungen von Curtius H. I 64. Doch scheint mir seinen Äußerungen über bayerische Verhältnisse noch lange, ja vielleicht immer eine gewisse fremde Schärfe eigentümlich; vgl. z. B. Aufzeichnung
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Zweites Kapitel.
So sind gerade die Jahre, in denen Preußen von Monat zu Monat zu der Aufgabe heranreifte, welche Hohenlohe ihm früher als andere gewiesen, diejenigen geworden, in denen er persönlich sich am weitesten von jenem Ideal entfernte, den widerstrebenden Kräften die größten Konzessionen zu machen geneigt war; die jenigen , in denen seine Anpassungsfähigkeit und sein oppor tunistisches Aufgreifen jedes teilweisen Fortschritts einmal bis hart an die Grenzen streiften, wo eine scheinbare Besserung das Ganze zu gefährden geeignet war. So scharf er in der plötz lichen Erhellung von 1849 die einzig mögliche Entwicklung der Dinge erkannt hatte, jetzt, wo diese, freilich auf eine nicht geahnte Weise, sich tatsächlich vorbereitete, schien auch ihm die Lage sich hoffnungslos zu verwirren. Die Grundlage seiner politischen Anschauungen zwar wurde auch jetzt nicht erschüttert. Das Streben nach der deutschen Einigung blieb ihm nach wie vor das oberste Ziel, in ihm er blickte er auch unverändert den tiefsten Grund der in Deutschland verbreiteten Unzufriedenheit. Immer aufs neue wiederholte er, daß die deutsche Frage nicht bloß in den Köpfen der Demagogen entstanden sei, daß sie sich aus der Natur der Dinge ergebe und von den redlichsten und gewissenhaftesten Männern und von allen Ständen und Parteien getragen werde. Einseitiger noch als früher wird vor allem Süddeutschland als eigentliche Heimat des deutschen Einheitsstrebens hingestellt, das natürliche Verlangen von neunzehn Millionen Deutschen, welche den reinsten Kern des
germanischen Stammes darstellen, über ihre lokalen Interessen hinaus an der Bestimmung der Geschicke der Nation teilzuhaben, immer aufs neue in den Vordergrund der Betrachtung gerückt1). vom 15. VIII. 1863 H. I 127 f., Journal vom 13. VII., 18. VIII., 1. IX. 1866 I 169, 170, 175. Aus späteren Zeiten z. B. die vielen Äußerungen aus dem Jahre 1870, II 12, 17, 19, 20 u. a. m. — Dgl. auch S. 120 A. 3 und S. 117 21.1.— Daß ein ursprünglich bayerisches Staatsgefühl in Hohen lohe nicht lebendig sein konnte, auch Salzer N. u. S. 256, Hist. Vj. 40 ff. 9 Vgl. Aufzeichnung aus dem Jahre 1862 H. 1113—15, Aufzeichnung aus Paris vom 9. III. 1862 I 122—24, zwei Briefe an Königin Viktoria vom 4. V. 1864 und 15. IV. 1865 I 140—47, Rede in der Reichsratskammer vom 1. VII. 1865. Verh. d. K. d. R. Prot. I 204 ff. — Vgl. auch z. B. den bei Hassel II 87 f. mitgeteilten Bericht des Militärausschusses in Frankfurt 1860.
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Auch seine alte Verbindung mit den Liberalen hielt der Fürst immer aufrecht. Wie Jolly in Baden blieb er stets der Meinung, daß nationale Politik jetzt nur unter der Flagge und im Schlepp tau des Liberalismus zu treiben fei1).* Er vertrat dessen Anträge in der Reichsratskammer in der Frage der Iudenemanzipation, der kurhessischen Verfassung und der Militärstrafgesetzgebung 2), ohne dadurch seine Sympathien in dieser aristokratischen Ver sammlung wie beim Hofe zu erhöhen- schon seit langem galt er als Ministerkandidat im Falle einer freisinnigen Phase der Re gierung, wie er denn seit 1859 bei jedem Ministerwechsel unter den aufgestellten Kandidaten wiederkehrte. Er war überzeugt, daß diese Zeit, wo die wachsende Stärke der nationalen Be wegung die Regierungen zu Zugeständnissen zwingen werde, kommen müsse3),4 und seine Reden gewannen in diesen Jahren zu weilen eine sarkastische Schärfe, wenn er die Adreßentwürfe über die deutsche Politik als harmlose Manifestationen und Träume beiseite schob oder bei der Kundgebung gegen den preußisch französischen Handelsvertrag dem hohen Hause die nötige Einsicht in den Stand der Lage absprach und sein Urteil als eine bloße Phrase bezeichnete'1). Aber er war sich auch wohl bewußt, daß diese Einheitsbewegung des Volkes noch nicht klar genug durch gebildet fei, um die Regierungen mit sich fortzureißen, und daß es noch lange dauern könne, bis sie diese Klarheit des Willens erreiche. Eine andere Macht aber, die Lösung der verworrenen deutschen Frage zu erzwingen, sah er nicht. Schon 1862 hatte er, da ihm die kleindeutsche Lösung in die Ferne zu rücken schien, geäußert, er sehe zurzeit überhaupt keine Möglichkeit, zu irgend einem befriedigenden Resultat zu gelangen5), ein Jahr später
*) Baumgarten-Jolly, a. a. O. 123. >) April, Mai 1861 und Juni 1865 H. I 102—110, Verh. d. K. d. R. 1865 Prot. III 33 ff. - Brief an den Herzog von Ratibor vom 14. V. 1861 H. I 110 f. — Ium Folgenden: Mo hl II 320 ff.- vgl. oben S. 119 A. 2. Aufzeichnung vom 18. II. und vom 2.—10. X. 1864 I 134, 137 f.; Döld. V. R. 3 und H. Pl. II 259. s) Vgl. Aufzeichnung vom 9. III. 1862 H. I 124, Rede vom 30. VI. 1863 Verh. d. K. d. R. 1863 Prot. I 29. 4) Nicht das der Regierung, wie Hauviller 418 interpretiert. 9 Unterredung mit Königin Augusta vom 24. I. 1862 H. I 120; das folgende aus der Rede vom 30. VI. 1863 a. a. O. 28, 29.
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Zweites Kapitel.
nannte er die Arbeit an der deutschen (Einigung unter diesen Umständen eine „Danaidenarbeit", ein „unlösbares Rätsel". Ein fach zuzuwarten aber, bis die innere Klärung soweit vorge schritten wäre, dünkte ihm bei der ständigen Gefahr europäischer Verwicklungen, bei der wachsenden demokratischen Tendenz der Bewegung gleichfalls unmöglich und insbesondere für die Mittel staaten mit den äußersten Gefahren verbunden *). Es entsprach eher seiner Natur, jeden Schritt, wenn er nur vorwärts ging, dem tatlosen Stillesitzen vorzuziehen, jede flüchtige Gelegenheit womöglich in seinem Sinn auszunutzen. So erklärt es sich, daß er einen Augenblick selbst das öster reichische Projekt des Frankfurter Fürstentages für möglich und für einen Weg zur deutschen Einheit in seinem Sinn gehalten zu haben scheint'^), sowenig er die großdeutsche Lösung mit den wahren Interessen Deutschlands für vereinbar, die Aufrecht erhaltung des Dualismus auf die Dauer für möglich erachtete 3* ).2 4 Er nahm keinen tätigen Anteil an jenen Verhandlungen, und der Irrtum, der die Gefahren der opportunistischen Neigungen Hohen lohes doch deutlich aufzeigt, blieb ohne Folgen. Dann aber kamen die schleswig-holsteinische Verwicklung, das Bündnis der beiden Vormächte, die Beiseiteschiebung der Mittelstaaten. Mit der weit aus überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes gehörte Hohen lohe zu den entschiedenen Anhängern des Augustenburgers und der „altverbrieften" schleswig-holsteinischen Rechte ^); die liefere ’) Brief an die Königin Viktoria vom 15. IV. 1865 H. I 145. 2) Dgl. die unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankfurt niedergeschriebenen Tagebuchaufzeichnungen vom 14.—24. VIII. 1863 H. I 127—33, womit Döld.s Angaben D. R.4 und H. Pl. II261 f. zu vergleichen sind. Wenn Salzer Hist.Vj.42 sagt, daß Hohenlohe einen Augenblick auf eine Lösung der deutschen Frage im großdeutschen Sinne gehofft habe, so scheint mir das zu viel gesagt zu sein. H. I 128, worauf Salzer verweist, enthält jedenfalls keine entscheidende Beweisstelle. — Über die anfängliche Überraschung durch das österr. Projekt, das blendende Schauspiel in Frank furt und die rasch folgende Ernüchterung vgl. auch Mo hl II 249 ff., Bern hardt V 118 f. 3) Vgl. oben S. 118 A. 4. 4) Vgl. das Schreiben 13 bayer. Reichsräte an den auf der Londoner Konferenz befindlichen Minister v. Beust vom 12. V. 1864 H. I 135 f. und die Rede Hohenlohes als Ausschußreferent über einen Antrag des
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Bedeutung dieser Angelegenheit für die deutschen Zustände blieb ihm von Anfang an nicht verborgen. Aber die wahren Ziele der verschlungenen Politik Bismarcks durchschaute er nicht. Es scheint, daß die Allianz der beiden Großmächte, die ja in der Tat bereits zu einem tiefen Zerwürfnis am Bund geführt hatte, ihm zunächst das übrige Deutschland zu bedrohen schien. Eine Teilung Deutsch lands zwischen beiden Rivalen mochte ihm vor Augen schweben, er sah die alte Gefahr österreichischer Arrondierungspläne für Bayern wieder auftauchen *). Ls waren die Monate, wo auch Roggenbach in Baden die Idee der Trias aufgriff und von einer Bereinigung der mittleren und kleinen deutschen Staaten durch ein gemeinsames Parlament sprach, wo der Gedanke der Trias, seit 1859 zum erstenmal wieder auftauchend, bei dem gewaltsamen Vorgehen der beiden Vormächte auch in den Bevölkerungen einen Widerhall fand*2). Wir wissen, daß Hohenlohe die Trias bisher für unpraktisch gehalten hatte, daß sie seinem im Kern klein deutschen Programm widersprach. Dies letztere dünkte ihm aber jetzt der Ausführung ferner denn je, und die augenblickliche Lage konnte bei energischem, einheitlichem Auftreten eine wesentliche Stär kung der politischen Stellung der deutschen Mittelstaaten zu ermög lichen scheinen: in einem Gespräch mit dem bayerischen Minister von Schrenck vom Februar 1864 setzte auch Hohenlohe als sein Programm auseinander, daß zur Aufrechterhaltung der Selb ständigkeit Bayerns jetzt die Zusammenberufung eines mittel staatlichen Parlaments und eine entschiedene Politik nötig fei3). Roch im Herbst, als die Möglichkeit einer Berufung ins Mini sterium wieder nahegerückt war, war er mit seinem Freunde Abgeordneten Kolb die schleswig-holsteinische Angelegenheit betr. Verh. d. K. d. R. 1865 Prot. III 204 ff. - Zum Folgenden: Brief an Königin Viktoria vom 4. V. 1864 H. I 141. 9 Dgl. Journal vom 18. II. 1864 H. I 134, Brief an Königin Viktoria vom 15. IV. 1865 I 145 und Rede in der Reichsratskammer vom 3. VII. 1865 a. a. O. — Dgl. auch Hassel II 180. 2) Dove, Großherzog Friedrich 128; Hassel II167; Hist. pol.Bl.53 (1864) 232. — Völd. D. R. 6; Rede Hohenlohes in der Reichsratskammer vom 31. VIII. 1866 H. I 172. 3) Aufzeichnung vom 18. II. 1864 H. I 134. - Vgl. in diesem Zu sammenhang auch die Aufzeichnung König Johanns von Sachsen vom Ende 1863 bei Hassel II 156.
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Zweites Kapitel.
Dölderndorff darüber einig, daß Vorsicht in den Bestrebungen, Bayern an die Spitze der Mittelstaaten zu bringen, jetzt die wichtigste Aufgabe der äußeren bayerischen Politik fei*1). Es ist bekannt, wie auch dieser Anlauf einer Einigung der Kleinen an der gegenseitigen Eifersucht scheiterte. Wir dürfen annehmen, daß Hohenlohe niemals, auch indem er sie selber vorübergehend ver trat, die Schwierigkeiten ihrer Ausführung unterschätzte- in einem Brief an die Königin von England vom 15. April 1865 setzt er sie ausführlich auseinander: die Abneigung der verschiedenen in Betracht kommenden Dynastien, auf einen Teil ihrer Souveräni tätsrechte zu verzichten- die Abneigung der demokratischen Parteien, welche an ihren kleindeutschen oder republikanischen Idealen fest hielten ; die Abneigung Österreichs und Preußens, welche Aufrecht
erhaltung des bisherigen Bundes beziehungsweise Hegemonie über Deutschland erstrebten2). Aber er wiederholt auch jetzt noch ein mal, daß ihm eine andere Lösung des deutschen Rätsels nicht mög lich scheine, und malt die Zukunft der Mittelstaaten, wenn diese Einigung nicht doch noch gelinge, in den düstersten Farben. Es bezeichnet die völlig hilflose Lage dieser Staatengruppe, daß Hohenlohe kein anderes Mittel hiezu möglich schien, als daß die beiden Dormächte, gegen deren befürchteten Eigennutz doch die Trias nicht zuletzt gerichtet war, in einer besseren Erkenntnis ihres wahren Dorteils selber einen Druck auf die Mittelstaaten ausüben müßten, sich zu einem Bund des reinen Deutschlands zu-
r) Es ist freilich fraglich, ob der Ton hier nicht vielmehr auf das Wort Vorsicht zu legen ist. Auszeichnungen vom 2.—10. X. 1864 H. I 137, vgl. auch I 140 ff. — Übereinstimmend Salzer Hist. Dj. 42 A. 4, welcher mit Recht diesen unmittelbaren Zeugnissen gegenüber die Aus führungen Völd.s V. R. 3 f. für nicht haltbar erklärt. Wenn Hohen lohe selbst in der Rede vom 31. VIII. 1866 H. I 172 sagt, daß ihm noch nie ein wirklicher Anhänger des südwestdeutschen Bundes vorgekommen sei, so zeigt schon die absolute Form dieses Ausspruches, daß hier unter dem südwestdeutschen Bunde nicht alle Triasbestrebungen, sondern nur deren extremste, un- und deshalb antinationale Spezies verstan den sind.
2) H. I 144 f. — Eine ähnliche Schilderung der Schwierigkeiten einer parlamentarischen Trias in der Wochenschrift der Fortschrittspartei vom 18. II. 1865.
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sammenzuschließen'). Nicht viel über ein Fahr vor dem Ausbruch des deutschen Krieges war es, daß Hohenlohe so weit von der schon ein mal gefundenen richtigen Erkenntnis abirrte. Preußen könne seinen deutschen Bundesstaat nur infolge einer ganz besonders günstigen europäischen Konstellation ausführen, so motivierte er selbst aus drücklich diesen Vorschlag, und nur dann, wenn Österreich von der Karte von Europa verschwände. 1848 habe es diese Gelegenheit nicht ausgenützt, sie werde so rasch nicht wieder kommen. Die Vorbedingungen eines deutsch-preußischen Bundesstaates würden noch lange nicht gegeben sein-). Es konnte nach dieser Entwick lung möglich scheinen, daß auch er, wie so viele andere ehrliche süddeutsche Patrioten und frühere Anhänger Preußens, durch die Wirrnis der Lage im entscheidenden Augenblick auf die Seite Österreichs getrieben würde. Diese Erfahrung blieb ihm doch erspart. Es war doch ent scheidend, daß nur negative Momente ihn allmählich von seinem früheren kleindeutschen Standpunkt abgedrängt halten. Die Unterschätzung des preußischen Staates und seiner alten militärisch konservativen Kräfte war der Grundirrtum gewesen, aus dem alle anderen folgten3*).2 4 Als die Krise herannahte, fand sich sein klarer realpolilischer Sinn doch bald wieder in den wirklichen Verhältnissen zurecht. Noch gegen Ende März scheint seine Stellung schwankend, er glaubt, Bayern werde wohl oder übel mit Österreich gehen müssen^). Dann aber scheint der preußische Antrag auf Bundesreform mit sofortiger Einberufung eines deut schen Parlaments ihm die Augen geöffnet zu haben. Er erkannte die Wichtigkeit des Augenblickes und machte sofort den Versuch, 1) Dieselbe Erkenntnis der Ohnmacht der Mittelstaaten, welche im Herbst 1865 Roggenbach zum Rücktritt veranlaßte. Dove a. a. 0.135, Bernhardt VI 237. Vgl. Sybel IV 198. 2) H. I 145. 3) Wie sich denn von der Bedeutung der preuß. Heeresresorm, der bisherigen Bismarckischen Politik in den Denkwürdigkeiten nicht ein Wort findet. 4) Für Prinz Karl bestimmte Aufzeichnung vom 21. III. 1866 H. I 151 ff. Salzer Hist. Dj. 42 A. 6 findet den Kern dieses Memoires in der Erkenntnis, „daß das Triasprogramm im Gegensatz gegen Preußen nicht realisierbar sei"; damit dürfte der Inhalt dieser interessanten, aber für mich noch nicht genügend durchsichtigen Aufzeichnung noch nicht erschöpft fein.
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Zweites Kapitel
eine entscheidende Schwenkung der bayerischen Politik herbei zuführen. Er erbat eine Audienz und entwickelte dem König persönlich am 11. April die Notwendigkeit der Unterstützung des preußischen Parlamentsantrags, indem er eine sofortige Ver ständigung mit Preußen befürwortetes. Ein großgedachter, in seinen späteren Folgen bedeutsamer Antrag! Nicht daß Hohen lohe schon die tiefste Bedeutung der preußischen Schwenkung, wie sie sich im Verlaufe dieses Sommers entrollen sollte, erkannt hätte: wie er bisher die letzten Ziele der Bismarckschen Politik nicht durchschaut hatte, umfaßte er auch jetzt nicht den ganzen Umfang der Konzeptionen des preußischen Staatsmannes*2).3 4 Er erkannte aber die Möglichkeit, daß Preußen sich in diesem Augenblick mit der Suprematie über Norddeutschland begnügen könne und nichts dagegen haben werde, wenn Bayern sich eine ansehnlichere Stellung in Süddeutschland bilden wollte 3). Wie weit er dabei schon von den tatsächlichen Anträgen Bismarcks unterrichtet war^), mag dahingestellt bleiben,- es war jedenfalls der gleiche Gedanke, den der preußische Staatsmann damals der bayerischen Regierung nahelegte, eine Art preußisch-baye rischer Dualismus, in welchem Bayern als Äquivalent für die 9 Journal vom 11. IV. 1866 H. I 154. Nach Döld. V. R. 5 f. hat Hohenlohe sich eigens nach München begeben, um bei der Regierung für Annahme des preuß. Parlamentsvorschlags zu wirken. — Dagegen kann ich die erregte Rede, welche Hohenlohe nach Blum 91 „im Frühjahr 1866" gegen v. d. Pfordten und für ein Freundschaftsbündnis mit Preußen gehalten haben soll, ebensowenig finden, wie die ebbt. 92 erwähnte vom 23. August — die Reichsratskammer hielt ihren 1. Zu sammentritt am 27., ihre 1. Sitzung am 29. Aug. (Prot. II 1, 15) — in welcher er den Rücktritt des Ministeriums v. d. Pf. verlangt habe. Auch im Nekrolog der Münchener Neuesten Nachrichten (o. 7. VII. 1901, Nr. 310) ist irrtümlicherweise von einem solchen Antrag Hohenlohes auf sofortigen Rücktritt des Ministeriums v. d. Pf. nach dem Friedensschluß die Rede. 2) Vgl. z. B. Journal vom 1. und 19. VI. 1866 H. I 156, 161. 3) 3m Gegensatz zu seiner bisherigen Annahme, daß Preußen in den bayer. Triasplänen nur ein Hindernis für seine Hegemonie über Deutschland sehe. Brief an Königin Viktoria v. 15. IV. 1865 H. I 145. 4) Ev. durch seinen Bruder, durch welchen er z. B. im Mai auch von der Gablenzischen Mission benachrichtigt wurde. Völd. D. R. 6, vgl. auch H. I 110, 203. Ferner oben S. 15 Anm.
Persönlichkeit mit) polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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Unterstützung Preußens gegen Österreich die wichtigsten Forde
rungen seines alten Triasprogramms sozusagen in einem klein deutschen Rahmen geboten wurden. Wir haben im ersten Kapitel die Hemmnisse zu überblicken gesucht, welche damals einer ent schieden zugreifenden Politik in Bayern entgegenstanden: die ver einzelte Mahnung Hohenlohes blieb ohne Erfolg; der König konnte sich nicht entschließen, seinerseits in die Lage einzugreifen, und die Ereignisse gingen ihren Gang meiteT1).* Bei den ent scheidenden Kammersitzungen Ende Mai war Hohenlohe nicht zu gegen,- er glaubte, daß der Präsident die Adreßdebatte nicht ohne innere Befriedigung unmittelbar vor seiner Ankunft angesetzt habe, um ihm die Gelegenheit zu nehmen, ein politisches Glaubens bekenntnis abzulegen-). Es kam zum Kriege, den er schon seit Jahren als die wahrscheinliche Lösung des Dualismus angesehen und dessen Möglichkeiten er in vertrauten Gesprächen mehrmals abgewogen hatte. Die Tagebuchaufzeichnungen jener Wochen zeigen uns den Fürsten aber doch unsicherer, den wechselnden Eindrücken des Tages stärker anheimgegeben, als sein ruhig ver schlossenes Wesen nach außen zeigen mochte. Er durchschaute klar die entscheidende Schwäche der offiziellen Haltung von der Pfordtens und hatte wenig Vertrauen in die ernstliche Durch führung der proklamierten Triasbestrebungen - auch die un genügende militärische Organisation Bayerns flößte ihm keine Zuversicht ein, die unerfreulichen inneren Zustände des König reichs begleitete er in seinem Tagebuch mit bitteren Randbemer kungen 3). Daß Bayern sich in diesem Feldzug keine Lorbeeren holen werde, daran zweifelte er nicht. Daneben aber erlag er doch der Versuchung der meisten nicht tätig im politischen Leben Stehenden, unkontrollierbaren Gerüchten zu viel Glauben bei zumessen. Die Gefahr internationaler Komplikationen stand ihm, wie allen mittelstaatlichen Politikern, immer als bedrohlichste im Vordergrund,- er vermutete eine Verständigung Bismarcks mit Napoleon und glaubte wieder, daß der Plan einer Teilung l) Anderer Ansicht A. v. Ruville, Bayern und die Wiederaufrich tung des Deutschen Reiches (Berlin 1909) 41 ff., welches soeben während der Korrektur dieses Kapitels erscheint. Dgl. darüber den Nachtrag am Ende dieser Arbeit. a) Journal vom 31. V. 1866 H. 1155. — Ium Folgenden Bold. D. R. 5. 3) Dgl. Journal vom 31. V., vom 3mit und 3uli 1866 H. I 155 ff. 9
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Zweites Kapitel.
Deutschlands entschieden sei, Preußen sich im Norden als großer Staat arrondieren und der Süden unter französischer oder öster reichischer Protektion fortvegetieren werde, bis auch seine Stunde geschlagen habe und ein Teil an Frankreich, ein Teil an Öster reich falle1).* Trotz dieser pessimistischen Auffassung scheint er in den Tagen nach Königgrätz noch einmal einen vergeblichen Ver such gemacht zu haben, die bayerische Regierung zur Annahme der neuen, äußerst günstigen Vorschläge, welche Bismarck damals über Paris nach München gelangen ließ, zu bewegens. In den folgenden Wochen schwankt er zwischen Friedenshoffnungen und der Befürchtung eines langen, blutigen europäischen Krieges. Die Möglichkeit trat ihm nahe, daß Bismarck Deutschland gegen Frank reich aufrufen und Bayern durch seine Lage zu dem „unehren haften" Bündnis mit Napoleon gezwungen roerbe3).* Es wirft ein scharfes Licht auf seine innerste Stellung zu den deutschen Mittelstaaten wie auf die eigentliche Wesensart seiner politischen Empfindung, .daß er trotz alledem — wie er Mitte Juli, unmittel bar im Anschluß an diese traurigste Perspektive in sein Tagebuch schrieb — die ganze Katastrophe „mit großer Ruhe" betrachtete. „Sie war unvermeidlich, weil der Gegensatz zwischen Österreich und Preußen zum Austrag und zur Entscheidung kommen mußte; und es war besser jetzt als zehn Jahre später. Sie ist aber heil sam, weil sie viele verrottete Zustände in Deutschland aufräumt und namentlich den Mittel- und Kleinstaaten ihre Nichtigkeit und Erbärmlichkeit recht klar ad Kammern demonstriert. Daß dies für die Dynastien ein Unglück ist, gebe ich zu, für die Völker ist l) Journal v. 19. VI, 1866 H. I 161. Dgl. die ganz ähnliche Stelle in dem Brief an Königin Viktoria vom 15. IV. 1865 I 145.
x) Döld. D. R. 7, H. Pl. II 257. Die Denkwürdigkeiten enthalten keinerlei Andeutung über einen solchen Versuch. Über die damaligen Anträge Bismarcks vgl. das folgende Kapitel. 3) Journal vom 6. und 13. VII. und 13. VIII. 1866 H. I 167 ff. Ganz ähnlich Treitschke (Artikel vom 10. VIII. 1866), Zehn Jahre I5 157. — Vgl. Hist. pol. Bl. 58 (1866) 322 ff.; Wochenschrift vom 14. VII. 1866. Ferner: H. Oncken a. a. O. Deutsche Revue XXXI 4, 72f. (dazu Wochenschrift vom 21. VII. 1866); Mittnacht, Erinnerungen an Bismarck (Stuttgart 1904) 16 ff.; Rothan, Luxembourg 427 ff.; Memor 350; Blum a. a. O. 233; La vie militaire du general Ducrot II 140. — Vgl. auch oben 5. 72 f. und unten S. 144 Anm. 2.
Persönlichkeit und polit. Anschauungen des Fürsten Hohenlohe.
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es ein Glücks." Der Mangel an Leidenschaft und unmittel barer Teilnahme tritt hier ebenso deutlich an den Tag, wie der gemeindeutsche und liberale Standpunkt seiner Betrach tungsweise. (Es war seine alte und eigentliche Auffassung der deutschen Frage, welche hier wieder hervortrat. Der Krieg bedeutete für ihn nicht wie für die meisten seiner süddeutschen Landsleute eine große Krisis seines inneren Daseins1 2). Er zerstreute nur eine Reihe von Täuschungen, die sich in den vorhergehenden Jahren um den Kern seiner Überzeugung ge lagert halten. Aber indem er jetzt zu seinem alten kleindeutschen Programm zurückkehrte, fand er sich plötzlich in einer unge wohnten Übereinstimmung mit der durch die Ereignisse des Krieges umgewandelten Meinung des Landes. Noch im Juni und Juli hatte er die Gerüchte und Projekte, welche ihn schon damals in das bayerische Ministerium berufen wollten, zurückgewiesen3); Anfang August betrachtete er, in den Gang der Friedensver handlungen nicht eingeweiht, die Lage noch sehr skeptisch, eine Verständigung mit Preußen dünkte ihm keineswegs wahrscheinlich. Dann verfehlte aber doch die Meinungsänderung des ganzen Landes, derengleichen ihm, wie er sagte, in seinem Leben noch nicht vorgekommen sei, nicht des Eindruckes auf ihn. Diese plötz liche nationale Flut, unterstützt durch die demütigenden Erfah rungen dieses Sommers, konnte eine Möglichkeit bieten, die Dynastien zu dem Verzicht auf einen Teil ihrer Souveränitäts rechte zu veranlassen, ohne welchen die deutsche Einigung nun
einmal nicht möglich war.
Jetzt waren durch die Ereignisse der
1) Journal vom 13. VII. 1866 H. I 168 f.; vgl. Döld. D. R. 6f. — Die Angabe H auvillers (419 f.), der die ersten Sähe dieser Aus führung als eine Stelle aus einem Brief Hohenlohes an Ludwig II. vom 13. Juli bezeichnet, dürfte — schon aus inneren Gründen! — irr tümlich sein. Ich vermag auch keine andere Quelle für sie zu finden als den Nekrolog der Münchener Neuesten Nachrichten - der die Angabe selbst zwar auch nicht enthält, aber bei nicht sehr sorgfältiger Lektüre zu diesem Mißverständnis verleiten kann. 2) Baumgarten a. a. O. LVII. ’) Journal vom 7. VI. und 5. VII. 1866 H I 158, 166. — Auch Anfang August tauchten sie wieder auf: Wochenschrift der Fortschritts partei vom 11. VIII. 1866 (Ieitungsschau). — Ium Folgenden vgl. das Journal vom 13. VIII. und 1. IX. 1866 I 170, 174 f.
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letzten Monate alle alten, unlösbaren Projekte für den Augen blick verschwunden, die Frage eines gesunden Verhältnisses der Südstaaten zu Preußen stand allein im VordergrundT). Auf der anderen Seite waren die alten konservativen Mächte noch stark genug, um die Leitung dieser Bewegung in der Hand zu be halten. Wenn im Volk die Erkenntnis der Notwendigkeit eines Anschlusses an Preußen rasch um sich griff, so war doch auch die alte süddeutsche Abneigung gegen den preußischen Staat noch kräftig genug, daß man mit ihrer Hilfe einen guten Teil Selb ständigkeit in dem neuen Bundesverhältnis durchsetzen konnte. Das gemeindeutsche Interesse vereinigte sich in diesem Augenblick mit dem der Dynastien, eine möglichst rasche Neuordnung der durch den Krieg zerrissenen deutschen Verhältnisse zu verlangen. Ein Bundesstaat unter preußischer Führung mit weitgehender Autonomie des Südens schien bei sofortigem Antrag eines ver fassungsmäßigen Anschlusses an den Norden möglich. Mit diesen: Programm trat Hohenlohe, wie wir gesehen haben, Ende August vor den bayerischen Landtag. Es faßte in seiner Mischung von unitarischen und partikularistischen, konservativen und liberalen Tendenzen die wesentlichen Erkenntnisse seines bisherigen poli tischen Lebens in einer klugen Synthese zusammen, welche der Lage der deutschen Verhältnisse in diesem Augenblick wohl ent sprechen konnte. Es war der Ausdruck zugleich der Lebens erfahrungen eines ehrlichen deutschen Patrioten wie der augen blicklichen Bedürfnisse der Lage des deutschen Südens und enthielt zweifellos die beste deutsche Politik, welche Bayern in diesem Zeitpunkt hätte einschlagen können. Wir fragen, ob die Hinder nisse, welche einer solchen Politik im Sinne Hohenlohes bisher entgegengestanden, jetzt soweit beseitigt oder durch positive Kräfte ausgewogen waren, daß ihre Durchführung in der Tat möglich geworden war. ') Baumgarten 212.
Lebenslauf. d), Karl Alexander Ludwig August von Müller, katholischer Konfession, bin geboren am 20. Dezember 1882 zu München als Sohn des K. bayerischen Staatsministers, damals Regierungs rates, Ludwig August von Müller und seiner Gattin Marie, geb. von Burchtorff. Vom Jahre 1892 ab besuchte ich das K. Wilhelms gymnasium in München, woselbst ich im 3ult 1901 das Reifezeugnis erhielt. 1901/2 leistete ich meiner Militärpflicht Genüge. Zugleich bezog ich Michaelis 1901 als Zögling des K. Maximilianeums die Ludwig-Maximilians-Universität zu München, um bis zum Sommer semester 1906 daselbst und im Studienjahre 1903/4 als kaiserlich deutscher Stipendiat am Oriel College in Oxford Rechts- und Staatswissenschaft zu studieren. Das juristische Iwischenexamen bestand ich am 1. März 1905 mit Auszeichnung. Dom Herbst 1906 ab wandte ich mich ausschließlich dem Studium der Geschichte zu. Während dieser Zeit hörte ich Vorlesungen bei den Herren Professoren und Privatdozenten: v. Amira, Birkmeyer, Brentano, Crusius, Doeberl, Dyroff, Edgeworth, Gareis, Grauert, v. Heigel, F. Hellmann, S. Hellmann, Holland, von der Leyen, Muncker,
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Pfänder, Phelps, Pöhlmann, Preuß, Riehl, v. Riezler, Seuffert, Simonsfeld, v. Stengel, Traube (f), Ullmann, Dinogradoff, Weese. Bei den Herren: v. Amira, Brentano, Doeberl, v. Heigel, S. Hellmann, von der Leyen, Riehl, v. Riezler, Traube (f), Dinogradoff, Weese durfte ich an den Übungen teilnehmen.
Ihnen allen, insbesondere meinen verehrten Lehrern Professor v. Riezler und Professor v. Heigel, deren Anregung und wohl wollendem Interesse auch die vorliegende Arbeit ihre Entstehung verdankt, sage ich meinen herzlichsten Dank. Die Promotionsprüfung bestand ich am 23. Juli 1908.