Baustilkunde [Reprint 2020 ed.] 9783112318942, 9783112307830


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Table of contents :
VORWORT
GRIECHISCHE BAUKUNST
RÖMISCHE BAUKUNST
DIE ALTCHRISTLICHE BAUKUNST
ROMANISCHE BAUKUNST
GOTISCHE BAUKUNST
DIE RENAISSANCE
BAUKUNST DES BAROCKS UND ROKOKOS
KLASSIZISTISCHE BAUKUNST
Register der Fachausdrucke
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Baustilkunde [Reprint 2020 ed.]
 9783112318942, 9783112307830

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E R W I N

G R A D

M A N N

Hallwag-Taschenbücherei B a n d 15

Abbildung auf Titelblatt Akroter Giebelscbmuck am griechischen Tempel ( P a l m e t t e m i t zwei Voluten) Text und Auswahl der Illustrationen von £ . G r a d m a n n Clichés, D r u c k

und

Ausstattung

Hallwag AG.

Alle R e c h t e v o r b e h a l t e n

Bern

VOR

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T

Diese kleine Stilkunde soll den Leser mit wesentlichen Formen der einzelnen Baustile vertraut machen. Im Gegensatz zu einer Kunstgeschichte, die von Zusammenhängen berichtet, greift die Stilkunde die wichtigsten zeitlich begrenzten Erscheinungen im Strom der Kunstformen auf und befasst sich mit ihren typischen Merkmalen, eben jenen Merkmalen, die in ihrer Gesamtheit den Charakter eines Stiles bestimmen. Ein Baum macht noch keinen Wald und ein gotischer Spitzbogen noch keine Gotik, erst seine Verbindung mit anderen Elementen bedeutet, dass er Teil eines gotischen Bauwerkes ist. Stil kommt vom griechischen Wort stylos und heisst Griffel, aber auch Säule und Stütze. Mit dem Begriff des Schreibinstruments stylos ergibt sich im übertragenen Sinn die Bedeutung des Wortes Stil. Wie jedem Schreibenden eine besondere Form des Ausdrucks und der Schrift eigen ist, wie diese typischen Merkmale seines Schriftcharakters unveräusserlich bleiben und im Zusammenhang — im Stil — immer wieder vom Wesen seiner Persönlichkeit aussagen, so lässt sich im Bereiche der Kunst das einzelne Element, das Bauglied, Säule, Pfeiler, Schmuck, Gewölbe, Fenster- und Giebelform, als Teil und Merkmal eines Ganzen begreifen, der im Zusammenklang mit gleichen Teilen und Gliedern die Einheit eines Stiles bildet. Stil bezeichnet also eine «Haltung» — daher auch die andere Bedeutung von Säule und Stütze. Stil ist Haltung, Gerüst, dem sich nach allgemein verbindlichen Gesetzen alles ein- und zuordnet, solange diese Gesetze Gültigkeit haben. Es gibt stillose Zeiten, Zeiten des Übergangs, des Zwischenreiches zweier Stile, da der untergehende Stil noch wirksam ist, aber die Formenwelt einer neuen Gesinnung bereits ihre ersten Vorboten aussendet. Ein neuer Stil wird meistens von der Baukunst getragen. Sie geht den anderen Künsten voran, die lange Zeil in engster Bindung zur 3

Architektur standen. Den Giebel des griechischen Tempels schmückten die Gestalten der Sagen- und Götterwelt, im romanischen Gotteshaus war die Plastik an den Portalen und Kapitellen beheimatet, den gotischen Dom bevölkert die menschliche Figur gleich einer Stadt, im Altarschrein war sie auf die geheimnisvolle Dichte des dämmernden Raumes angewiesen, Wandbild (Fresko) und Glasmalerei können ohne Bauwerk nicht existieren, und im Barock sind Bauwerk, Plagebunden. stik und Malerei zu einer grossartigen Einheit Als der Mensch aus dem Höhlendasein der Vorzeit heraustrat und nach eigenem Willen seine Wohnung baute, sei es nun Zelt oder Hütte, war mit dieser ersten Stufe höherer Lebensentfaltung das Grundgesetz der Architektur erfüllt: Die Bildung eines Raumes, der von der Umwelt abgeschlossen, vom Naturraum gesondert, nur für sich besteht. Von aussen bietet sich das Gebaute als körperhafte Form dar, innen ist es des Menschen eigener, ihm angemessener Raum. Unter «angemessen» lässt sich alles das verstehen, was Lebensbedürfnis und Lebensgefühl ausmachen. Darin ist die Baukunst von den darstellenden und schmückenden Künsten unterschieden, dass sie zuerst einem Lebensbedürfnis, einem Zweck dient: dem Wohnen, der Versammlung, der Erhebung, der Bewahrung, also Funktionen des menschlichen Lebens im Bereiche des Körpers, der Seele und des Geistes. Durch die besondere Art des Lebensgefühls, das in der menschlichen Kulturentwicklung immer wieder neue und andere Formen annimmt, wird nun das Gebaute über seine rein zweckhafte Bestimmung erhoben, es erfährt eine Ausbildung, Bereicherung und Veredelung. Beide Elemente also formen das architektonische Gebilde: Lebensbedürfnis und Lebensgefühl. Jede Zeit hat auf ihre Weise die Bindung von Zweck und höherer Aufgabe im Bauwerk verwirklicht und so mit schöpferischer Kraft Sinnbilder ihrer Daseinsform gestaltet. Monumentale Grabbauten der Pharaonen, das edle Mass hellenischer Tempel, der Dom, das Haus des Bürgers, das einfache Kirchlein, Adelspaläste, Bauernhaus, Burgen und Schlösser, sie alle zeugen davon, dass der Geist des Menschen nie an den baren Notwendigkeiten des Daseins hängenblieb. Gesinnung und Eigenart seiner Lebensform hat der Mensch den Wohnstätten, den Bauten stolzen Bürgertums oder imperialer Macht eingeprägt; von der Kraft seines Glaubens künden Tempel und Dome. Wehrhafte Mauern mit Türmen und 4

Toren schützten die mittelalterliche Stadt, eng standen die Häuser um den Dom gedrängt, später siedelte sich ein Kranz von Schlössern und Gärten an, Mauern und Bastionen fielen, und heute durcheilen breite Strassen die Stadt. Das äusserlich enge Leben einer mittelalterlichen Stadtgemeinschaft hat sich in die weite, ungehemmte Lebensform der modernen Großstadt verwandelt. Architektur kann nicht betrachtet werden wie ein Bild, sie muss erlebt werden gleich einer Landschaft. Die Photographie kann nur eine leise Ahnung von der Wirklichkeit des Bauwerks vermitteln. Architektur spricht unser Körpergefühl an, wir sehen nicht nur, wir spüren das Geteilte und Ungeteilte des Raumes, sie kann das A uge täuschen und die Begrenzung des Raumes scheinbar aufheben, aber stets ist das leibliche Gefühl an allen Eindrücken beteiligt, ob wir ein Bauwerk umschreiten oder den Innenraum im Durchschreiten erfassen. Um einen gewissen Zusammenhang der Formentwicklung anschaulich zu machen, ivurde im Anhang eine Reihe von Portalen abgebildet. Dem Portal, wie der einfachen Türe, wird bei jedem Bauwerk stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist Pforte, die einlässt und aussendet, Vorzeichen des Raumes, der uns erwartet, Brücke in die stille oder feierliche Ruhe des Hauses, Tor zur Arbeit, zu Fest Feind. und Freude. Es öffnet sich dem Gast und verschliesst sich dem Immer sagt es uns etwas vom Wesen des Bauwerks, seiner Aufgabe und Bestimmung. Und da es mehr für das Auge gebaut ist, weniger unser Körpergefühl anspricht, ist es auch klarer im Bild zu zeigen als der Innenraum und kann daher der Eigenart eines Baustils — Wirkung verhelfen. im Abbild — zu einer lebendigeren

GRIECHISCHE

BAUKUNST

7. J a h r h u n d e r t b i s c a . 2. J a h r h u n d e r t v . C h r . ( A b b . 32—37)

Griechischer T e m p e l u n d gotischer D o m sind die beiden grossen Sinnbilder abendländischer K u l t u r . I n d e m der Mensch den Göttern W o h n - u n d W e i h e s t ä t t e n schuf, h a t er auch seiner Glaubensk r a f t ein D e n k m a l gesetzt. So e r h e b t sich der T e m p e l im B r e n n p u n k t der griechischen W e l t , indessen alle a n d e r e n B a u t e n , wie Burgen, T h e a t e r u n d Paläste, d e m göttlichen W o h n h a u s an Bed e u t u n g n a c h s t e h e n — u n d so n a h e scheinen die G ö t t e r Griechenlands d e m Menschen, dass der T e m p e l aus dem schlichten W o h n h a u s e n t s t e h e n u n d in der Grundanlage dessen C h a r a k t e r b e w a h r e n k o n n t e , ganz anders als in Ä g y p t e n , wo alles zu übermenschlicher W u c h t u n d Grösse gesteigert w u r d e . A m T e m p e l entwickelte sich die K u n s t f o r m der griechischen A r c h i t e k t u r . D a s H e r z s t ü c k u n d der in j e d e m Sinne t r a g e n d e Teil des B a u w e r k s ist die Säule. Die Säule w u r d e n i c h t v o n den Griechen e r f u n d e n ; als Stütze v o n D a c h u n d Gebälk war sie seit j e — in Ä g y p t e n u n d i m Orient — ein wichtiges Bauglied. I n der A r t ihrer A n w e n d u n g u n d Ausbildung liegt die schöpferische Leistung der Griechen. Die Säule selbst u n d ihre Gliederung in Basis ( B o d e n p l a t t e ) , Säulenschaft u n d Kapitell (Capitellum = K ö p f c h e n , S ä u l e n k o p f ) d ü r f t e n die Griechen in Ä g y p t e n kennengelernt h a b e n . Sie h a b e n weder die m o n u m e n t a l e Grösse der ägyptischen Säule n o c h die gewaltigen Säulenwälder der G r a b b a u t e n ü b e r n o m m e n , sondern m i t dem ihnen eigenen Sinn f ü r Mass u n d B e s c h r ä n k u n g , der hohen E i n sicht in alles Organische eine Säulenform geschaffen, die dem B a u werk A t e m e i n h a u c h t , d e m t o t e n Stein etwas v o n der plastischen Fülle u n d K r a f t des menschlichen K ö r p e r s verleiht. D e r griechische T e m p e l ist ein körperhaftes Bauwerk. Die l e i b h a f t e Schönheit seiner Gestalt v e r d a n k t er der Säule, die als Einzelglied ihre Freiheit b e w a h r t u n d doch ohne Zwang sich d e m Ganzen des B a u w e r k s einordnet. Die Anlage des Tempels ist d e n k b a r einfach. Auf einem meist dreistufigen U n t e r b a u e r h e b t sich das W o h n h a u s des Gottes in der F o r m eines rechteckigen R a u m e s (Cella, Naos). I n diesem eigentlichen H e i l i g t u m ist auch das Standbild des Gottes aufgestellt. Die L ä n g s w ä n d e des Tempels ü b e r r a g e n a n d e n Breitseiten den B a u k ö r p e r u n d bilden so an der Vorderseite (Stirn) und 6

1

D o p p e l a n t e n t e m p e l ( T b e r a i s t e m p e l zu

2

Grundriss

eines D o p p e l a n t e n t e m p e l s

3

Rhamnus)

Grundriss

eines Amphiprostylos

Rückseite des Tempels offene Vorhallen (Pronaos), in deren O f f n u n g e n Säulen gestellt sind. Die f r ü h e n F o r m e n des griechischen Tempels h a t t e n diese Gestalt (Antent e m p e l ; m i t entsprechender H i n t e r h a l l e : D o p p e l a n t e n t e m p e l , A b b . 1 u n d 2), oder sie w a r e n d e r a r t angelegt, dass v o r dem E i n g a n g an der Breitseite eine freie Säulenreihe s t a n d (Prostylos); bei entsprechender Gestaltung der r ü c k w ä r t i g e n B r e i t s e i t e : Amphiprostylos (Abb. 3 u. 36). Sobald der T e m p e l k e r n jedoch v o l l k o m m e n v o n Säulen umstellt w u r d e (Peristyl), war die vollendete u n d klassische Gestalt des griechischen Tempels gegeben (Perípteros, Abb. 4). E i n K r a n z v o n Säulen t r ä g t das Gebälk des Giebeldaches u n d hüllt d e n T e m p e l k e r n ein. Man ging noch weiter u n d umschloss den T e m p e l m i t 2 Säulenreihen (Dípteros) oder setzte den einfachen S ä u l e n k r a n z in G r u n d r i s s eines P e r í p t e r o s Paestum, Poseidontempel doppelt so grossem A b s t a n d v o m Gehäuse A) P r o n a o s (Pseudodipteros = falscher Dípteros), oder B) N a o s o d e r Celia auch f ü g t e m a n n u r H a l b s ä u l e n d i r e k t an (vgl. A b b . 33) die Aussenwände des T e m p e l r a u m e s (Pseudoperipteros = falscher Perípteros) u n d beliess n u r a n der E i n gangsseite freistehende Säulen. Die klassisch edle Gestalt des Tempels ist jedoch j e n e m i t einfacher Säulenumkleidung. D e r Baustoff war in den f r ü h e s t e n Zeiten sicherlich H o l z ; d e n n manches a n den u n s h e u t e erhaltenen steinernen T e m p e l n erinnert an die H o l z b a u t e c h n i k . D a n n ging m a n zu K a l k s t e i n u n d M a r m o r über. Ohne jedes B i n d e m i t t e l , fugenlos, w u r d e n die B a u s t e i n e aufeinandergesetzt u n d d u r c h bronzene K l a m m e r n zusammengehalten. D a s bedingte ein technisches K ö n n e n in der S t e i n b e a r b e i t u n g , d e m selbst das m o d e r n e technische Zeitalter die B e w u n d e r u n g n i c h t versagen k a n n ; aber es ist eben m e h r als blosse Technik gewesen : eine wahre Liebe zum Stein u n d ein tiefes V e r t r a u t s e i n m i t dem Stoff. I m 19. J a h r h u n d e r t k o n n t e man d u r c h Messungen erm i t t e l n , wovon übrigens schon der römische A r c h i t e k t u n d

8

Schriftsteller Marcus Pollius Vitruvius zu berichten wusste, dass die W a a g r e c h t e n a m T e m p e l b a u , also U n t e r b a u u n d Gebälk, nicht durchgehend w a a g r e c h t verlaufen, sondern an j e d e r Seite leicht gewölbt sind, K u r v a t u r e n bilden u n d z u s a m m e n m i t den leichten Einwärtsneigungen der Cellawände d e m Bauwerk die S t a r r h e i t n e h m e n u n d i h m die belebte Fülle körperlichen Daseins schenken. In der Säule, dem wichtigsten Glied des Tempels, e n t f a l t e t sich erst die K r a f t griechischen Bildens in ihrer ganzen Grösse. Ohne die Säule wäre das wirkliche Gotteshaus, die Cella, nichts weiter als ein schlichtes W o h n h a u s m i t Vorhalle. I n drei verschiedenen F o r m e n w u r d e die Säule v o n d e n Griechen gestaltet u n d jede dieser F o r m e n oder Säulenordnungen, die dorische, die ionische und die korinthische, h a t den übrigen Baugliedern des Tempels ein so charakteristisches Gepräge gegeben, dass m i t der Säulenform schon von d e n Alten der Stil des ganzen B a u w e r k s bezeichnet wurde. Die dorische u n d ionische Säule, in denen sich auch die E i g e n a r t der griechischen H a u p t s t ä m m e — der Dorer u n d der Ionier — ausspricht, e n t s t a n d e n beinahe zu ; gleicher Zeit (7. J a h r h . ) , w ä h r e n d der korinthisehe Stil wesentlich später a u f t r i t t (4. J h . ) u n d als die E r f i n d u n g des Bildhauers Kallimachos gilt. Die dorische Säule (Abb. 5, 33, 34) w ä c h s t direkt, ohne Fuss, aus dem steinernen Boden, ihr stämmiger S c h a f t schwillt als a u f s t r e b e n d e u n d stützende K r a f t im U m f a n g ein wenig an (Entasis), um sich d a n n n a c h oben massvoll zu v e r j ü n g e n . 16—20 R i n n e n ( K a n n e l ü r e n ) von flacher H ö h lung, die in scharfen K a n t e n aneinanderstossen, u m g e b e n den S c h a f t u n d bewirken eine stärkere 5 Dorische O r d n u n g : a) b) e) d-e) f) g) h) i)

Ahakus \ ^ - t 11 Echinus / Kannelierter Säulenschaft SäulenhaU Architrav Metope * Fries Triglyphe / Geison ( K r a n z g e s i m s ) , d a r ü b e r S i m a ( T r a u f r i n n e )

9

S T ®

Profilierang, d a r a n L i c h t u n d S c h a t t e n t e i l h a b e n . E i n Eins c h n i t t a m Säulenhals gibt den Ü b e r g a n g zum K a p i t e l l an, die K a n n e l ü r e n w e r d e n infolge des geringeren U m f a n g e s desSäulenhalses dichter a n e i n a n d e r g e d r ä n g t , die Säule s t r a f f t sich gleichsam dem Gebälk, der L a s t entgegen. « a i M f e g « - ^ s 13 D a s Kapitell m i t den vorquellenden W ü l s t e n , d e m polsterartigen Gebilde (Echinus) u n d der q u a d r a t i s c h e n P l a t t e (Abakus) ist Wiiiiriiiiii d a n n der v e r b i n d e n d e , ausgleichende Teil zwischen S t ü t z e und Last. E s leitet die Senkrechte des Säulenschaftes in die W a a g r e c h t e des Gebälkes, d e m A r c h i t r a v , 6 Ionische O r d n u n g über. D e r A r c h i t r a v oder Epistyl (Blöcke, die von Mitte zu M i t t e der A b a k u s p l a t t e n gelegt sind) bildet eine neutrale, schmucklose Zone, ü b e r welcher der Fries m i t wechselnder R e i h u n g von Metopen ( q u a d r a t i s c h e S t e i n t a f e l n m i t Reliefs) u n d Triglyphen (senkrechte Dreischlitze) als s t ä r k s t e Belebung der Gebälkfläche v e r l ä u f t . An der U n t e r s e i t e des herv o r r a g e n d e n Daches (Geison) sind h ä n g e n d e P l a t t e n a n g e b r a c h t , die d e m R h y t h m u s v o n Triglyphe u n d Metope folgen u n d t r ö p f chenartige Gebilde (Mutuli) aufweisen, v o n gleicher F o r m wie j e n e a m u n t e r e n E n d e der Triglyphen (Regula). Diese scheinbaren Zierformen, die d e m D a c h den E i n d r u c k des Gewichtlosen u n d Schwebenden geben, v e r d a n k e n ihre H e r k u n f t d e n Gebräuchen der H o l z b a u t e c h n i k . E s w a r e n einst, als das Gebälk aus Holz gebildet wurde, Nagelköpfe auf den S c h u t z b r e t t c h e n der Deckenbalkenköpfe, die n u n eine sinnvolle Umstilisierung zu T r ö p f c h e n e r f a h r e n h a b e n . A n den Schmalseiten des T e m p e l s n i m m t schliesslich das Giebelfeld ( T y m p a n o n ) die k r ö n e n d e M i t t e ein u n d bezeugt m i t seinem plastischen S c h m u c k , welcher G o t t h e i t der T e m p e l geweiht. A m P a r t h e n o n (Abb. 32), d e m S t a d t t e m p e l A t h e n s , dessen S t a d t g ö t t i n A t h e n a er geweiht, t r a g e n die Giebel-

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^ "•".••"

felder die Darstellung der Geburt r Athenas aus dem Haupte des Zeus, im Beisein göttlicher Mächte und Athenas Kampf mit Poseidon (dem Meergott) um den Besitz des attischen Landes. Eine Traufrinne (Sima) bildet den Abschluss des Dachgebälkes (Geison). Die Wasserspeier haben zur Abwehr böser Geister die Gestalt von Löwenköpfen. Die monumentale Schlichtheit des dorischen Tempels, die straffe und elastisch ausgewogene Bildung seiner Säulen, ist schon im Altertum als Sinnbild männlicher Kraft und Würde angesehen worden. Vitruv sagt legendenhaft von der Grösse der dorischen Säule: auf diese Weise fanden die Dorer, dass der Fuss beim Mann ein Sechstel seiner Höhe beträgt, übertrugen dieses Mass verhältnis auf ihre 7 Korinthische Ordnung Säulen - und so ist die dorische Säule Abbild des krafterfüllten Ebenmasses des männlichen Körpers. Die ionische Säule (Abb. 6) ist schlanker, leichter und eleganter, sie hat, wenn man so sagen kann, ein Stück weiblicher Anmut, und Vitruv braucht auch den bildhaften Vergleich, die ionische Säule ähnle mit den schneckenförmigen Windungen des Kapitells dem weiblichen Lockenhaar und ihre Kannelüren den Falten der Frauengewänder. Der Unterschied zur dorischen Säule beginnt schon am Fuss, denn diesem sind mehrere Wulst- und Kehlplatten unterlegt (man denkt an das hohe Schuhwerk der Frau). Der Säulenschaft ist zierlicher gebildet, das Massverhältais vom unteren Durchmesser zur Säulenhöhe beträgt 1:8, die Kannelierung ist zahlreicher und weniger scharf in den Kanten. Statt der einfachen Form des dorischen Kapitells finden wir nun ein Gebilde, das zu beiden Seiten vorquillt und als kräftig geschwungene, spiralförmige Schnecke endigt (Volute). So bietet sich das Volutenkapitell von der Vorderseite dar, und für diese eine Ansicht ist 11

® a u c ^ berechnet, während die Seitenansichten nebensächlich sind. Die zierliche u n d innerlich lebendige Ges t a l t der ionischen Säule h a t schon pflanzenartigen Char a k t e r , wie eine Blume auf h o h e m Stengel belebt sie, in die Reihe gestellt, die Temp e l f r o n t e n . I m weisen Ausgleich v o n R u h e u n d Bewegung ist der Fries als durchlaufende, b a n d a r t i g e Zone gebildet, also weniger reich gegliedert als jener des dorischen B a u w e r k s . Noch n ä h e r der Pflanze ist die F o r m des korinthischen Kapitells (Abb. 7, 8 u n d 37). Stilisierte A k a n t h u s b l ä t t e r ( A k a n t h a = Distel) wachsen aus dem Säulenhals, spriessen u n d rollen sich gleich den Voluten des ionischen Kapitells ein. Die F u n k t i o n des Tragens k o m m t d a m i t nicht m e h r zum Ausdruck, d e n n weder B l ä t t e r noch Stengel t r a g e n wirklich. I m ganzen v e r l e u g n e t die korinthische Säule bereits das Gesetz körperlicher Schwere — von Stütze und Last —, i n d e m sie selbst zu einer A r t grosser B l ü t e wird u n d die L a s t des Gebälkes scheinbar aufgehoben ist. Die H ö h e der korinthischen Säule entspricht den Massen der ionischen Säule, das grössere Kapitell lässt sie jedoch u m einiges zierlicher erscheinen. Die Säulen sind das Sinnbild einer w e l t h a f t e n O r d n u n g . D a h e r h a b e n sie auch m i t solcher Macht die E i n b i l d u n g s k r a f t aller späteren Geschlechter stets v o n n e u e m zu bewegen v e r m o c h t . Die klassischen Säulenanordnungen griechischer A r c h i t e k t u r sind die dorische u n d die ionische. Die korinthische Bauweise gelangte erst in der Spätzeit (Hellenismus) griechischer B a u k u n s t zu grösserer B e d e u t u n g , als m a n dekorativen R e i c h t u m der F o r m e n strenge vorzog. A m weitesten v e r b r e i t e t blieb die dorische Bauweise. Überall, wo der griechische Kolonist f r e m d e n B o d e n bet r a t , erstanden auch seine T e m p e l b a u t e n ; n i c h t n u r in Griechenland u n d dem ionischen Kleinasien, in Sizilien u n d Unteritalien ' yKMA J R Ä W Ä A W U I U I W

12

e

(Agrigent, Selinunt, Paestum), in Afrika und Syrien (Palmyra, Baalbek). An einer Stelle finden sich alle drei Bauweisen nebeneinander — auf der Akropolis (Abb. 32) in Athen stehen im herben dorischen Stil das Parthenon und die Propyläen (Torbau), im ionischen Stil sind das Erechtheion mit der einzigartigen Korenhalle (Abb. 35) sowie der Niketempel (Abb. 36) gehalten, und im korinthischen Stil wurde das Denkmal des Lysikrates erbaut. Man ist leicht geneigt anzunehmen, die Griechen hätten ihre Tempel an landschaftlich bevorzugten Stellen errichtet. Dies trifft nur bedingt zu, denn wohl wählten sie für ihre Heiligtümer erlesene Stellen, doch das Heiligtum selbst war von Landschaft und Natur abgeschlossen — eine übermannshohe Mauer umgab es. Das Bauwerk selbst strahlte in starken Farben, vorwiegend rot und blau, nicht in greller Buntheit, sondern in harmonischer Abstimmung. Der griechische Tempel ist ein allseitiger Bau, er wurde in festlichen Prozessionen umschritten. Zutritt zum Heiligtum, zum Götterbild in der Cella, hatten nur die Priester.

8a

Aegina, A p h a i a - T e m p e ] , e r b a u t u m 490 v . Chr.

13

RÖMISCHE BAUKUNST

2. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr. (Abb. 38—41, 87)

Über das römische Reich ist das Wort geprägt worden, das Kunstwerk der Römer sei ihr « S t a a t » gewesen. Tatsächlich tritt die Kunst selbst etwas in den Hintergrund vor den grossen staatspolitischen Leistungen des römischen Volkes, seinen organisatorischen und zivilisatorischen (civis = Bürger) Fähigkeiten. Aber da die Kunst doch unteilbar an die Lebensformen und Weltanschauung eines Volkes gebunden ist, darf ihre Bedeutung keineswegs unterschätzt werden. Die römischen Baumeister haben Leistungen vollbracht, welche die hohe und reiche Kultur des über ungeheure Gebiete sich erstreckenden Weltreiches bezeugen. Die Bauaufgaben waren erstaunlich vielfältig. In den zahlreichen Städten Italiens, in den Provinzen und Kolonien erstanden Paläste, Theater, Bäderanlagen, Tempel, Villen, Brücken, Wasserleitungen, Markthallen, Triumphbogen und Stadttore. Der profane (weltliche) Bau nimmt in der römischen Architektur einen gewichtigen Platz ein; darin hat sich der römische Baukünstler besonders schöpferisch erwiesen, während im Tempel bau das Eigene weniger stark in Erscheinung trat. Die Anlage des römischen Tempels ist im Grundgedanken jener des griechischen verwandt, mit dem Unterschied, dass das Bauwerk auf einem Podium steht und eine deutliche Eingangsseite (Fassade) mit Freitreppe aufweist, also schon als Richtungsbau anzusehen ist. Weitere Eigenheiten ergeben sich aus der 9

14

Rom, Kolosseum. 80 n. Chr.

Art der Säulenstellung. D a s Gebälk t r a g e n d e Vollsäulen werden n u r in der Vorhalle angebracht, sie setzen sich als H a l b s ä u l e n a n den Cellawänden f o r t . W ä h r e n d also der griechische Baumeister der klassischen Zeit den B a u k ö r p e r stets m i t einem K r a n z freistehender Säulen u m g a b , wird beim römischen Tempel a n drei Seiten die Wandfläche der Cella v o n aussen frei sichtbar u n d lediglich durch die ln R ö m i s ( ! h e s Kompositkapitell vorgetäuschten Säulen gegliedert (Pseudoperipteros, A b b . 41). Die verschiedenen griechischen Säulenformen finden auch in der römischen B a u k u n s t Anwendung. N e b e n der ionischen Säule wird besonders die korinthische Säule v o n den R ö m e r n a u f g e n o m m e n u n d deren Kapitell weitergebildet (Kompositkapitell, A b b . 10). Aber die R ö m e r h a b e n n i c h t dasselbe Verhältnis zur Säule wie die Griechen, denen sie stets tragendes Bauglied war. So setzt der römische A r c h i t e k t bisweilen die Säule, ohne ihr eine wirkliche L a s t zu geben, n u r als schmückendes E l e m e n t vor den eigentlichen B a u k ö r p e r u n d v e r b i n d e t sie d u r c h ein vorspringendes Gebälk (Verkröpfung) (Abb. 87). Indessen finden wir in der römischen A r c h i t e k t u r ein neues, den Griechen f r e m d e s Bauglied, nämlich den Bogen. Die E i n f ü h r u n g des Bogens, von Bogen u n d Pfeiler, die R e i h u n g zu A r k a d e n , weiters die Ü b e r w ö l b u n g von I n n e n r ä u m e n — i m Gegensatz zu d e n flachen Decken der Griechen — , dies alles sind des R ö m e r s ureigene Leistungen. D a m i t in zwingendem Z u s a m m e n h a n g s t e h t auch die Verwendung v o n Ziegeln u n d B r u c h s t e i n m a u e r w e r k als B a u m a t e r i a l u n d des verbindenden Mittels, des Mörtels. B e s t i m m t e B a u a u f g a b e n w ä r e n ohne den Bogen n i c h t zu lösen gewesen. Mit den grossartigen, oberirdisch g e f ü h r t e n Wasserleitungen ( A q u ä d u k t e n ) , die Täler u n d Mulden zu ü b e r s p a n n e n h a t t e n u n d die S t ä d t e v o n weit her m i t 15

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Rom, C a r a c a l l a t h e r m e n . 212-223 nach Chr. R e k o n s t r u k t i o n

Wasser versorgten, h a t der römische Architekt ein rein zweckhaftes und im einfachen R h y t h m u s der Bogenführungen schönes Bauwerk geschaffen. Der A q u ä d u k t ist recht eigentlich das Sinnbild imperialer Macht. Der Gedanke der Raumbeherrschung kommt in diesem B a u w e r k sinnfällig zum Ausdruck, denn immer wird unser Blick in die Weite, in den R a u m gelenkt, den das Bauwerk selbst gleichsam durchschreitet (Abb. 40). Überall in der römischen Baukunst macht sich das räumliche Empfinden bemerkbar, dessen einfachstes Zeichen der Bogen ist. Im A q u ä d u k t , im Triumphbogen (Abb. 87) und Stadttor, bei der Gliederung von Fassaden, die eine Art von Schauwand sind, ist der Bogen genau so wesentliches Bauglied wie die Säule beim griechischen Tempel. A m Kolosseum in Rom, das beides, Säule und Bogen, zeigt, sind die in drei Stockwerken übereinandergesetzten Bogenreihen mit ihren tonnenartigen Wölbungen die wirklichen B a u t r ä g e r (Abb. 9). Die Säulen sind nur vorgeblendet, also schmückende Glieder, und zwar wurden alle drei Säulengattungen verwendet; im Erdgeschoss die dorische, i m ersten Geschoss die ionische und 16

darüber die korinthische Säule. Aus der Vorliebe für den Bogen erfährt in der römischen Baukunst selbst die klassische dreieckige Giebelform eine Umbildung. Es entsteht der sogenannte Bogen- oder Volutengiebel, der allerdings nur als Schmuckform auftritt. In der europäischen Architektur spielte dieser Volutengiebel seit der Renaissance noch eine grosse Rolle (vergleiche Abb. 68, 69, 72 und 73). Besondere Aufmerksamkeit schenkte der Römer seinen Badeanlagen, die — einem allgemeinen Bedürfnis dienend — in denkbar grosszügiger Weise ausgestaltet wurden. In diesen Thermen (Abb. 11), ihrer räumlichen Gliederung, wobei auch die Probleme der Überwölbung durch Tonnen, Kuppeln und Halbkuppeln restlos gelöst wurden, haben die Römer ihre baukünstlerischen Fähigkeiten in hohem Masse bewiesen.

i

Als einzigartiges und völlig isoliert dastehendes Denkmal römischer Baukunst ist das Pantheon anzusehen, in welchem wir die grandiose Gestaltung eines klassisch einfachen, halbkugelförmigen Kuppelraumes vor uns haben (Abb. I I a , 38 und 39). 17

DIE ALTCHRISTLICHE BAUKUNST 3.-7. J a h r h u n d e r t c a . ( A b b . 42, 43)

I n der F r ü h z e i t des Christentums, als sich Glaubensgemeins c h a f t e n auf d e m Boden des römischen Reiches i n vielen kleinen Zellen zu bilden b e g a n n e n , b o t e n die W o h n h ä u s e r w o h l h a b e n d e r Bürger noch genügend R a u m f ü r die V e r s a m m l u n g der Glaubensgenossen z u m Gottesdienst. Mit d e m E r s t a r k e n der Christengemeinde w a r d a n n wohl das B e d ü r f n i s n a c h eigentlichen Gotteshäusern v o r h a n d e n , allenthalben gab es auch schon kleinere Bethäuser, doch f ü h r t e die z u n e h m e n d e U n t e r d r ü c k u n g u n d Verfolgung des christlichen Glaubens d u r c h die M a c h t h a b e r des römischen Reiches dazu, dass die Z u s a m m e n k ü n f t e m e h r u n d m e h r im Verborgenen a b g e h a l t e n werden mussten. Solche Z u s t ä n d e w a r e n der E n t w i c k l u n g einer eigenen B a u k u n s t n i c h t günstig. Häufig w u r d e n damals die unterirdischen B e g r ä b n i s s t ä t t e n der Christen, die K a t a k o m b e n ( c a t a c u m b a s = bei der Senkung), auch als V e r s a m m l u n g s o r t gewählt. Die Sitte der B e s t a t t u n g in u n t e r irdischen Gängen h a t t e n die Christen von d e n J u d e n u n d den R ö m e r n ü b e r n o m m e n . — Die A n e r k e n n u n g des neuen Glaubens zur Staatsreligion, die im Osten des Reiches stellenweise schon f r ü h e r erfolgte, g e w ä h r t e zu Beginn des 4. J a h r h u n d e r t s u n t e r K o n s t a n t i n d e m Grossen den Christen die F r e i h e i t der Religionsa u s ü b u n g u n d liess d a m i t auch die E r r i c h t u n g v o n G o t t e s h ä u s e r n dringlich werden. Die christlichen Gemeinden h a b e n zuerst von jenen bestehenden B a u t e n Besitz ergriffen, die i h r e n Zwecken a m besten entsprachen, also genügend grossen I n n e n r a u m h a t t e n . D a s w a r u n t e r den p r o f a n e n B a u w e r k e n die M a r k t - u n d Versammlungshalle, ein B a u t y p u s , der schon lange vor dem C h r i s t e n t u m b e s t a n d e n h a t t e . Die Basilika («Königliche» Halle), wie sie gen a n n t wird, e n t s t a m m t d e m O r i e n t ; die R ö m e r h a t t e n sie bereits eingeführt. Die Basilik a w u r d e so zur U r f o r m der 12 R o m , S t . P e t e r . R e k o n s t r u k t i o n christlichen Kirche. Sie ist Fünfschiffige altchristliche Basilika

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ein Richtungsbau, ihre wesentliche A u f g a b e i s t : Innenraum zu sein — P r e d i g t r a u m , A n d a c h t s r a u m (Abb. 12, 13, 42 u n d 43). D a s langgestreckte H a u p t g e b ä u d e oder L a n g h a u s wird d u r c h einen offenen Vorhof (Atrium), m i t gedeckten Säulengängen, bet r e t e n . E s b e s t e h t aus drei Schiffen (Naos = Schiff, Nachen), einem sehr breiten Mittelschiff, das gegen die schmäleren Seitenschiffe d u r c h parallele Säulenreihen a b g e t r e n n t ist u n d die Seitenschiffe wesentlich ü b e r r a g t , so dass F e n s t e r (Lichtgaden) im oberen Teil der H o c h w a n d das Tageslicht d i r e k t einströmen lassen. P r u n k b a u t e n dieser A r t weisen sogar j e zwei u n d m e h r Seitenschiffe auf, also insgesamt f ü n f bis n e u n Schiffe. D e n Abschluss des Mittelschiffes bildet eine halbkreisförmige Nische (Apsis), in welcher der T h r o n des Bischofs ( K a t h e d r a ; d a h e r die spätere Bezeichnung f ü r ein prunkvolles Gotteshaus, K a t h e d r a l e ) s t a n d u n d wo sich der Altar e r h e b t . Die Bedürfnisse des Gottesdienstes f ü h r t e n d a n n zur E i n f ü g u n g eines Querhauses zwischen L a n g h a u s u n d Apsis. D a s ergab einen T - f ö r m i g e n Grundriss, der bereits zur späteren t - f ö r m i g e n Grundrissgestaltung der christlichen Kirche hinführt. In einer G r u f t u n t e r der Apsis liegt das G r a b des Heiligen, d e m die Kirche geweiht ist. Sie w u r d e Confessio (Bekenntnis) g e n a n n t u n d war d u r c h einen unterirdischen Gang erreichbar. Aus dieser Anlage entwickelte sich später ein eigener, u n t e r dem Chor gelegener R a u m , die K r y p t a ( k r y p t e i n = verbergen, begraben). Den Ü b e r g a n g v o m Mittelschiff zur Apsis, bzw. d e m Querhaus, so ein solches vorh a n d e n , bezeichnet ein grosser Bogen, « T r i u m p h b o g e n » genannt. Die H o c h w ä n d e ruhen mittels Deckbalken ( A r c h i t r a v ) oder Bogen (Archivolten) auf den Säulen. Die bevorzugte Kapitellform ist die korinthische u n d ihre 19

spätrömischen Abarten; dazu gehört das sogenannte Kämpferkapitell (Abb. 43), das eigentlich ein doppeltes Kapitell ist, indem sich zwischen Kapitell und Balken oder Bogen ein vierkantiger Steinblock einschiebt, der kapitellähnlich zugeschlagen ist. Die Basilika war mit einem offenen Dachstuhl versehen (Abb. 12); von aussen zeigt sie ein Satteldach über dem Mittelschilf und Pultdächer über den Seitenschiffen. Die frühen Basiliken waren turmlos; erst seit dem 6. Jahrhundert finden wir, allerdings noch freistehende, Glockentürme (Abb. 13). Vergegenwärtigen wir uns die Gestalt des griechischen Tempels, dann wird der Gegensatz zur Basilika in der Baugesinnung deutlich. Die Basilika ist gleichsam ein nach innen gewendeter Tempel; innen die Säulen und aussen die völlig unbelebte Wandfläche, die wie eine dünne Haut den Baukörper umgibt. Die Basilika ist vor allem Innenraum, der Tempel ist in erster Linie Aussenbau. Neben der Basilika tritt noch ein anderer Bautypus in Erscheinung, der im griechischen Osten des Reiches beheimatet ist — der Zentralbau. Er ist ein ausgesprochener Rundbau, ähnlich dem Pantheon. Die Grab- und Taufkirchen wurden vorwiegend in der Form des Zentralbaues errichtet. Die Taufkirchen (Baptisterium) hatten damals noch insofern eine besondere Bedeutung, als nicht nur Neugeborene zu taufen waren, sondern die grosse Menge der vom Heidentum zum neuen Glauben Bekehrten. Das Baumaterial für die Umbauten bestehender profaner Bauwerke, vor allem aber für die Neubauten, wurde bedenkenlos den heidnischen Tempeln entnommen. Aus den Trümmern der alten Welt erstanden die ersten Bauwerke des christlichen Abendlandes; bis weit in das Mittelalter hinein wurden immer wieder solche antike Bauteile, besonders die Säulen, in neue Bauten übernommen, wenn kostjbares Material und Form sie begehrenswert machten.

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ROMANISCHE BAUKUNST 8. - 12. Jahrhundert (Abb. 4 4 - 5 0 , 88)

Die romanische B a u k u n s t h a t den altchristlichen K i r c h e n b a u zur Voraussetzung u n d Grundlage. Aus der U r f o r m der f r ü h e n christlichen Kirche, in der Begegnung u n d Auseinandersetzung m i t d e m F o r m e n g u t der Antike, wie des morgenländischen Ostens, e n t wickelten die Völker des Abendlandes eine neue u n d d u r c h a u s selbständige B a u k u n s t , der bereits sehr vernehmlich auch die nationalen E i g e n a r t e n eingeprägt sind. Der Begriff «romanisch» ist eine wenig glückliche W o r t s c h ö p f u n g des 19. J a h r h u n d e r t s , die im Bereich der Sprache (romanische Sprachfamilie: Italienisch, Französisch u n d Spanisch) Geltung h a t , aber das viel gestaltete Wesen der « F o r m e n » s p r a c h e jener Zeiten n i c h t umfassend bezeichnet. Sinnfällig ist i m m e r h i n die H e r k u n f t des romanischen Stils von der römischen A n t i k e u n d tatsächlich haben alle Völker — auch die G e r m a n e n — das E r b e der römischen A n t i k e angetreten, u m d a n n in ihrer Weise das Eigene auszubilden. I m Mittelp u n k t der romanischen K u n s t s t e h t der Kirchen- u n d K l o s t e r b a u . Wie seinerzeit in Griechenland, wird n u n auch in E u r o p a die Holzbauweise v o m Steinbau abgelöst. D a s Schema der Kirchenanlage war m i t dem Vorbild des altchristlichen Richtungs- u n d Zentralbaues gegeben, aber sehr rasch vollzog sich die U m b i l d u n g der christlichen Kirche (vgl. Abb. 13 m i t 14), sobald einmal der vorh a n d e n e B a u t y p u s den B e d ü r f nissen nicht m e h r e n t s p r a c h u n d die schöpferischen K r ä f t e n a c h neuen Lösungen u n d weiterer Ausgestaltung d r ä n g t e n . J e d e s Volk h a t , seinem Wesen u n d seiner künstlerischen Begabung entsprechend, aus tastenden A n f ä n g e n über erste wichtige Ansätze, den W e g zu grossen u n d b e d e u t s a m e n architektonischen Leistungen gefunden. Der romanische Stil wird h ä u fig u n d im Gegensatz zur Gotik 21

als ein Rundbogenstil angesprochen. Der halbkreisförmige Rundbogen ist nun ein sehr charakteristisches Merkmal, aber es erschöpfen sich in ihm noch nicht alle Grundzüge der romanischen Architektur. Erst die Bauanlage LjgP im ganzen, Innenraum wie Aussenraum, ergeben ein voll15 Romanisches Kreuzrippengewölbe kommenes Bild der Romanik. (nur über quadratischem und rechteckigem Grundriss möglich) Die romanische Baukunst zeichnet sich immer durch eine gewisse körperhafte Schwere und Wucht der Erscheinung aus; es ist ein ausgesprochener Massenbau. Die Ausbildung des Innenraumes führt von der einfachen und übersichtlichen Form langgestreckter Hallen, wie es der Basilika eigen war, zu stärkerer Gliederung und grösserer Vielfalt; es entstehen eigentliche Raumgebildc, die, neben der Hauptrichtung zum Altar hin, auch eine Höhenrichtung haben. Die Gestalt des aufrechten Baukörpers gegenüber dem liegenden Baukörper der Basilika ist damit entwickelt. Der Gestaltung des Innenraumes entspricht die ebenso reiche Durchbildung des Aussenbaues. Es ist auch ein typisches Merkmal des romanischen Bauwerks, dass Innen und Aussen miteinander in engster Beziehung stehen, in dem Sinne, dass Anordnung und Form der einzelnen Bauteile — wie Mittelschiff, Seitenschiffe, Querhaus, Chor, Kapellen — sehr deutlich dem Bauwerk von aussen abzulesen sind (Abb. 19a). Der Grundriss erhält die Gestalt des lateinischen Kreuzes — zugleich Sinnbild des Kreuzes Christi — dessen Balken von Mittelschiff und Querschiff gebildet werden (Abb. 16). Wo sich diese durchdringen, entsteht ein quadratischer Raumabschnitt, die sogenannte Vierung. Die Vierung wird zum Grundmass für den ganzen Innenbau, indem die Aneinanderfügung gleich grosser Quadrate zur Kreuzform, den Grundriss für Mittelschiff, Querhaus, Chorquadrat und Chor ergibt (gebundenes System). An der Vierung befindet sich der Eingang zur Krypta (Abb. 19, vgl. S. 19), die unter dem etwas höher gelegten Chor einen eigenen durch Säulen gestützten Raum bildet. Die Hochwände des Mittelschiffes werden 22

nicht mehr allein von Säulen getragen; die schweren Mauermassen verlangten, besonders wenn die gewaltigen Gewölbe mit ihrem starken Seitendruck auf ihnen lasteten, nach gewichtigeren Stützen, dem Pfeiler. Im Wechsel wird diese Aufgabe häufig von Säule und Pfeiler übernommen, è N wobei der Pfeiler die Hauptlast auf sich nimmt und zugleich die einzelnen Raumabschnitte, die ' " \ ! Joche, in belebendem Rhythmus betont. Die ro- » >: • 1 manische Säule ist im allgemeinen viel gedrungener und herber als die griechische. Die romanische Kunst hat eine besondere Kapitellform, das sog. Würfelkapitell (Abb. 19), entwickelt, das Grundrissin knapper, anschaulicher Form die Überleitung schema einer vom runden Säulendurchmesser zum rechtromanischen eckigen Bogenansatz anzeigt. Es ist in Deutschüberwölbten land viel angewandt worden. Daneben spielt das Kirche (gebunAkanthusblatt und figuraler Schmuck im Kadenes S y s t e m ) pitell eine grosse Rolle. Der Säulenschaft weist oft die eigenartigsten Bildungen auf, einmal ist er ganz glatt, dann wie eine Schraube gedreht oder mit Flechtwerk- oder Gitterwerkornament umkleidet. Häufig wird die Säule in Form einer Blend- oder Halbsäule dem Pfeiler angefügt, sei es als schmückendes Element oder aber zu einer besonderen Zweckbestimmung, die mit der Wölbung des Kirchenraumes in ZusammenAufrißschema einer romanischen überhang steht. Dann hatte sie wölbten K i r c h e . nämlich die das Gewölbe a ) Gurtbogen stützenden Grate oder Ripb ) Schild bogen pen auf sich zu sammeln c) Dienste und die lastenden Kräfte an d ) Pfeiler in Arkadenstellung

«

Pfeiler u n d W a n d weiterzuleiten. Man k a n n d a n n diesen wulst- oder b a n d a r t i g e n Gebilden (Abb. 1 7 , 1 8 , 4 4 , 4 9 u n d 50), die bis zum Gewölbeansatz aufsteigen u n d sich dort in das Gewölbe verzweigen, k a u m mehr den N a m e n einer Blendsäule geben, sondern bezeichnet sie ihrer

,„ R„ o m a n i.s c h. e _G e w.... . ölberippe

18

Aufgabe gemäss als ,Dienste'. Mit der Anlage des kreuzförmigen Grundrisses, der Vierung u n d der K r y p t a sind die Gestaltungsformen der romanischen B a u k u n s t bei weitem nicht erschöpft. Die einzelnen Bauschulen u n d N a t i o n e n unterscheiden sich wesentlich in ihren Bestrebungen. So findet m a n schon in f r ü h e r Zeit K i r c h e n m i t d o p p e l t e m Chor und zwei Querschiffen, also vollkommen symmetrische Grundrissanlagen, die seitliche E i n g ä n g e bedingten, grossräumige Hallenkrypten, Chorumgänge m i t K a p e l l e n k r a n z , vielschiffige K i r c h e n b a u t e n u n d eine f a s t durchgehende Vorliebe f ü r das T u r m w e r k . I t a l i e n stellt den T u r m (Campanile) gesondert neb e n das B a u w e r k . Die B a u meister in D e u t s c h l a n d u n d F r a n k r e i c h n e h m e n ihn in den B a u k ö r p e r auf, erricht e n ihn ü b e r der Vierung, setzen schlanke T ü r m e als Flankierung an Querhaus u n d Chor u n d steigern besonders i n der ein- oder mehrtürmigen Westfassade (Westwerk) den Aussenbau 19 V i b o r g , D o m . zu m a c h t v o l l e r W i r k u n g Romanische

24

Krypta.

13. J a h r h u n d e r t

(Abb.

19a. 45 u n d

47).

Die

christliche Kirche ist stets n a c h Osten a u s g e r i c h t e t ; d e m n a c h ist der Chor im Osten u n d der E i n g a n g an der Westseite des Baues. Deutschland k e n n t lange Zeit n u r die flache Holzdecke (Abb. 46) und b e g i n n t erst spät ( u m 1100) m i t der W ö l b u n g , w ä h r e n d F r a n k reich schon sehr f r ü h u n d aus der grösseren N ä h e (als alte römische Provinz Gallien) zu den römisch-antiken B a u t e n die Tonnenwölbung (Abb. 44), das Kreuzrippengewölbe ( A b b . 15) u n d die K u p p e l w ö l b u n g a n w e n d e t u n d m i t der stärker gegliederten u n d durchbrochenen Wandfläche, wie eben auch m i t der W ö l b u n g , bereits Neigungen erkennen lässt, die zur Gotik h i n f ü h r e n . I t a lien v e r h a r r t im wesentlichen bei der basilikalen G r u n d f o r m der K i r c h e n a n l a g e ; D e u t s c h l a n d hingegen bleibt dem einmal ausgebildeten romanischen Stil a m s t ä r k s t e n u n d längsten v e r b u n d e n . Der R u n d b o g e n als das sehr typische Merkmal des romanischen Stils t r i t t in verschiedenen V e r b i n d u n g e n auf. Stets ist er im I n n e r n des romanischen B a u w e r k s als tragendes Glied der W ä n d e und K l a m m e r der Pfeiler zu finden, als grosser Bogen findet er sich in der Vierung u n d in den Gewölben, F e n s t e r u n d P o r t a l e sind m i t i h m gebildet, u n d den Aussenbau s c h m ü c k t er in m a n nigfachen A r k a d e n f o r m e n (vgl. Abb. 45 u n d 47).

G O T I S C H E BAUKUNST 12.-15. J a h r h u n d e r t .

(Abb. 51-63, 89-91)

I n der Gotik findet die mittelalterliche B a u k u n s t ihre letzte u n d höchste Vollendung. D a s U r s p r u n g s l a n d der Gotik ist F r a n k r e i c h . Der erste gotische B a u e n t s t a n d im J a h r e 1140, als der A b t Sugerius die alte Begräbniskirche der französischen Könige, St-Denis bei Paris, u m b a u e n liess. Schon in den romanischen B a u t e n des nördlichen F r a n k r e i c h s war das B e s t r e b e n deutlich geworden, den schweren Mauermassen e t w a s v o n ihrer W u c h t zu n e h m e n u n d die H ö h e n a u s d e h n u n g des I n n e n r a u m e s zu steigern. Die gotische B a u k u n s t verwirklicht diese B a u g e d a n k e n in ihrer letzten Konsequenz, u n d schafft ein Bauwerk v o n unvergleichlicher W i r k u n g , das den Gesetzen der stofflichen Schwere zu widersprechen scheint, i n d e m die Massen nicht lasten, sondern wachsend aufsteigen. Die gotische Kirche ist ein reiner Gerüst- oder Skelettbau (Abb. 20 u n d 61); dies besagt, dass

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die W ä n d e i h r e r stützenden F u n k t i o n e n t h o b e n werden u n d n u r als d ü n n e Hülle den Kirc h e n r a u m u m k l e i d e n . An Stelle d e s M a u e r w e r k s t r e t e n die farbig l e u c h t e n d e n Glaswände. Die L a s t der h o c h r a g e n d e n Gewölbe wird v o n Bündelpfeilern getragen, d e n Seitenschub des Gewölbes n i m m t das Strebewerk auf, i n d e m es den seitlichen D r u c k ü b e r die schrägen Strebebogen l e i t e t u n d m i t dem Gewicht der Strebepfeiler im Boden, ausserhalb des eigent20 A u f r i s s e i n e r g o t i s c h e n K i r c h e . ( 4miens, K a t h e d r a l e , vergl. Abb. a) b) c) d) e)

26

Strebepfeiler Fiale Strebebögen Dienste Gewölbe

1

1)

liehen K i r c h e n r a u m e s , vera n k e r t (Abb. 20). D u r c h die E i n f ü h r u n g des spitzbogigen Gewölbes, dem der spitze oder deutlicher der im Scheiteil geknickte Bogen zugrunde liegt, ist der Seitenschub, der b e i m r u n d e n romanischen Bogen ein so starkes Mauerwerk bedingte, wesentlich ge21

Gotisches Rippengewölbe

ringer

(über jedem Grundriss möglieh)

A b e r

geworden d a s

( A b b . 21).

K r ä f t e s p i e l

v o n

senkrecht u n d seitlich wirkenden Gewölbelasten im gotischen B a u s y s t e m wird uns im I n n e r e n des R a u m e s gar nicht bewusst (Abb. 52—55). W i r e m p f a n g e n n u r den E i n d r u c k eines gewaltig zur H ö h e aufsteigenden R a u m e s (Abb. 51), j a m a n c h m a l von richtigen R a u m s c h l u c h t e n , denen die f a r b i g l e u c h t e n d e n Glaswände (Abb. 55 u n d 61) ein feierlich-festliches, allem Irdischen e n t r ü c k t e s Gepräge geben. Der gotische R a u m h a t e t w a s Wesenhaftes, er u m f ä n g t u n s u n d ergreift v o n u n s Besitz wie ein Gefühl. D e r Geist des gotischen Zeitalters, m i t seinem starken Jenseitsdrang gestaltet so m i t den Mitteln der Wirklichkeit (dem technischen S y s t e m der Wölbung) ein W u n d e r w e r k der B a u k u n s t , das v o n unwirklicher Erscheinung gleich einer himmlischen S t a d t die Gläubigen e m p f ä n g t . W e n n u n s zudem noch überliefert ist, dass eine gotische K a t h e d r a l e ( c a t h e d r a = Bischofssitz) gewöhnlich weit m e h r Gläubigen P l a t z b o t , als eine mittelalterliche S t a d t E i n w o h n e r 22 Frühgotisches Kapitell ( K n o s p e n f o r m ) 27

hatte, dann wird wohl eindringlich genug, welche Kraft die Menschen zu solchen Bauleistungen, die von Generationen bestritten wurden, bewegt haben muss — der starke christliche Glaube. Die ausserordentliche Höhensteigerung war nur dank des Spitzbogens in Verbindung mit 23 G o t i s c h e s R i p p e p r o f i l dem Strebewerk möglich. An der Aussenseite der Kathedrale wird gewissermassen das technische Geheimnis gelüftet, denn hier ist das Strebewerk zu sehen und seine Funktion deutlich zu erkennen (Abb. 57 und 58). Das Innen deckt sich nicht mehr mit dem Aussen, wie bei der romanischen Kirche, vielmehr ist das Innen, der Raum, durch das Aussen, das Strebewerk, erst möglich gemacht. Der starke Höhendrang, aber auch die klare Ausrichtung nach dem Chor hin, der lichtesten Stelle der Kirche, rief nach einer Vereinheitlichung des Raumes. Die Vielfalt und ihrem Wert nach gestufte Gliederung der verschiedenen Räume und Baukörper, wie es das romanische Bauwerk kannte, wird aufgehoben und zu einer neuen Einheit gebunden. So entfällt die Krypta, das Querschiff tritt nur wenig in Erscheinung oder verschwindet ganz, die Seitenschiffe werden verdoppelt und begleiten das Mittelschiff bis zum Chor, um diesen dann noch einzubeziehen oder ganz zu umfassen (Abb. 24 und 25). Alles ist straff gegliedert, ob nun drei, fünf, sieben oder neun Schiffe nebeneinanderlaufen. Jede Raumform, jeder Grundriss kann überwölbt werden, da die Rippengewölbe sich wie Baldachine eigentlich nur auf einzelne Punkte stützen. Das System der Kräfteverteilung des Gewölbedruckes ist mit höchster Logik ausgebildet. Mit dem Wort Bündelpfeiler (Abb. 23) ist auch schon die Art seiner stützenden Aufgabe bezeichnet. In Bündeln sind Halb- oder Dreiviertelsäulen (Dienste) um einen Pfeilerkern gelegt, der sie gleichsam zu verschiedenen «Dienstleistungen in der Stützung der Gewölbe aussendet. J e nach Aufgabe sind sie dicker oder dünner und werden daher «alte» oder «junge» Dienste genannt. Da diese Dienste als durchgehende Kräftebahnen vom Boden bis zum Gewölbe auf28

steigen (Abb. 61), ist das Kapitell in vielen Fällen überflüssig geworden. Wo es noch a n g e w a n d t wird, h a t es knospenartige (Abb. 22), später b l ä t t e r f ö r m i g e Gestalt. Aus d e m Vergleich eines gotischen m i t einem romanischen G r u n d riss geht hervor (Abb. 16 m i t 24 u. 25), dass das ehemals d u r c h l a u fende Mauerwerk der W ä n d e n u n in viele S t ü t z p u n k t e zerlegt i s t : Bündelpfeiler u n d Strebepfeiler. Wie s t a r k der Strebepfeiler sein muss, vor allem aber auch die T a t s a c h e , dass das der W a n d f l ä c h e entzogene B a u m a t e r i a l an einer a n d e r e n Stelle wieder z u m Vorschein k o m m e n muss, d e m o n s t r i e r t sehr eindringlich der Aussenb a u des gotischen B a u w e r k s m i t seinem Strebewerk (Abb. 57 und 58). E s ist ein ganzer W a l d v o n Strebebögen u n d Strebepfeilern, die im Z u s a m m e n k l a n g m i t dem Schmuck (Fialen, K r e u z b l u m e n und K r a b b e n , Masswerk, S t a b w e r k , Wasserspeier u n d Figuren, Abb. 26) eine eigene packende W i r k u n g ausüben. Bei einfachen

Grundrisse gotischer 24

Bourges, Kathedrale

25

Kirchen W i e n , St. S t e p h a n

(Netzgewölbe)

gotischen K i r c h e n e n t f ä l l t selbstverständlich wegen ihrer geringen H ö h e die reiche Ausbildung des Strebewerks, unentbehrlich bleiben n u r die Strebepfeiler, die als schwere P f o s t e n d i r e k t a n die Aussenwand gestellt sind. In D e u t s c h l a n d w u r d e das v o n F r a n k r e i c h ausgebildete gotische S y s t e m erst zu A n f a n g des 13. Jahrhunderts übernommen, und nach einer grösseren Zeitspanne der Auseinandersetzung entwikkelte es seine eigene Bauweise. Die deutschen gotischen K i r c h e n sind z u m grössten Teil, soweit sie nicht in s t a r k e r Abhängigkeit von französischen Bauschulen (wie i m Rheingebiet) stehen, geK r a b b e , K r e u z b l u m e u n d Fiale drungener u n d k ö r p e r h a f t e r . Die mit Wasserspeier E i g e n a r t deutscher Gotik k o m m t d a n n seit dem 14. J a h r h u n d e r t i m m e r deutlicher hervor. Der D r a n g n a c h Z u s a m m e n f a s s u n g des ganzen mehrschiffigen R a u mes zu einer grossen Halle ist ihr typischer Wesenszug, er f ü h r t zur Ausbildung der spätgotischen H a l l e n k i r c h e n (gleiche H ö h e von Mittel- u n d Seitenschiff) m i t säulenartigen Pfeilern (Abb. 62) u n d ihrem o r n a m e n t h a f t e n Netzgewölbe (Abb. 25 u n d 62). Auch die E i n t ü r m e a n Stelle von zweitürmigen F a s s a d e n sind in Deutschland häufig. E n g l a n d entwickelte eine besonders eigenständige Gotik. I t a l i e n v e r h ä l t sich hingegen der Gotik gegenüber ablehnend u n d n i m m t sie f a s t widerwillig u n d in einer d e m Wesen der Gotik ungemässen A r t auf. Aus I t a l i e n s t a m m t a u c h der Begriff « G o t i k » . Mit dem herabsetzenden A u s d r u c k «Maniera tedesca» u n d «Stile gotico» f ü r alles was v o m Norden k a m , war der E r i n n e r u n g an den Einfall der V a n d a l e n u n d Goten, zur Zeit der Völkerwanderung, A u s d r u c k verliehen. So ist Gotik zur Stilbezeichnung einer E p o c h e geworden, obwohl es sicher sinngemässer wäre, die Gotik als einen Stil des spitzen Bogens zu be30

zeichnen. Der spitze Bogen darf uns bei der stilistischen Beurteilung eines Bauwerks übrigens nicht zu Fehlschlüssen verleiten. Er ist in manchen spätromanischen Bauten zu finden (Abb. 48), wo er den kommenden gotischen Stil gleichsam nur ankündigt. Auch wurden viele romanische Kirchen nach Bränden und teilweisen Zerstörungen gotisch umgebaut und eingewölbt, oder man hat an Stelle der romanischen Holzdecke ein gotisches Gewölbe in den Baukörper hineingeschoben. Über die Herkunft der Gotik gibt es verschiedene Meinungen, jede Meinung geht von anderen Voraussetzungen aus. Wichtig ist jedenfalls, dass die gotische Baukunst als eine höchst geistvolle Schöpfung zu betrachten ist, an deren Gestaltung Logik, technisches und handwerkliches Können ebenso wie das für uns nie wirklich fassbare Geheimnis menschlicher Sehnsucht und tiefen Glaubens teilhaben.

26a ] 2

Gotische Bogen- u n d Masswerkformen

Frübgotisches Masswerkfenster u n d Sechspass Hochgotisches D r e i b l a t t f e n s t e r

3 Spätgotisches Fischblasenfenster 4—6 Drei-, Vier-, F ü n f p a s s 7 Spätgotische Fischblase 8 Flamhoyantstil (Flammeaform) (Aus L ü t z e l e r , Vom Sinn der B a u f o r m e n )

I II

Breiter Spitzbogen Normaler Spitzbogen

III IV

Schmaler Spitzbogen Kielbogen ^

V Eselsrücken I . „ , , ) sr p ä t eg o t i s c h VI Tudorbogen VII Vorhangbogen J

31

DIE RENAISSANCE

15.-16. J a h r h u n d e r t (Abb. 6 4 - 7 0 , 9 2 , 9 3 )

Mit der Renaissance ist die zweite grosse Wende in der Geschichte der abendländischen Kultur bezeichnet. Der Mensch durchbricht die Schranken gläubiger Einordnung und Gebundenheit. Der Drang nach Wissen und Erkenntnis gewinnt Macht über 27 Pilasterknpitell ihn. E r entdeckt die Welt — und sich selbst. Renaissance heisst Wiedergeburt. Den Italienern, die diesen Ausdruck (Rinascimento) zuerst gebrauchten, bedeutete er einfach Wiedergeburt eines nationalen Lebens, nachdem Italien seit dem Zerfall des römischen Reiches, das ganze Mittelalter hindurch ein schattenhaftes, kulturell wenig schöpferisches Dasein geführt hatte. Das Bewusstsein von der Grösse des antiken Reiches war nie verlorengegangen; die Zeugen dieser Grösse in Gestalt zahlloser antiker Bauwerke hielten die Erinnerung wach, so stark, dass Kenntnis und Anwendung bestimmter architektonischer Formen — wie der Säule — als selbstverständliche Regel galt. In bewusster Ablehnung gegen die nordische Gotik, den «Stile gotico» entstand die Baukunst der Renaissance. Die stolze Stadtrepublik Florenz gab ihr die Taufe. Die ersten Bauten der Renaissance sind dort beheimatet — es sind die Werke des Brunelleschi: die Domkuppel, die Kirche San Lorenzo, die Pazzi-Kapelle und das Findelhaus. Der «Name» des Künstlers taucht nun auf, womit die Betonung der Persönlichkeit (personare = durchtönen) ausgesprochen ist, nachdem der Künstler des Mittelalters als namenloser Diener hinter seinem Werk zurückgestanden hatte. Die antike Kunst ist zum Maßstab alles Gestaltens erhoben worden; nicht in der Nachahmung, sondern im Nacheifern sahen die Künstler ihre Aufgabe. E s der Antike an Schönheit, Klarheit und Ebenmass gleichzutun, war das Ziel. Die Renaissance bedeutet also Wiedergeburt nationaler Kräfte, Wiedergeburt aus dem Geist der Antike. Das Schwergewicht archi32

tektonischen Plauens u n d B a u e n s r ü c k t aus der beherrschenden Mitte des mittelalterlichen K i r c h e n b a u e s in den Bereich p r o f a n e r (weltlicher) A r c h i t e k t u r . P a l ä s t e u n d öffentliche B a u t e n beanspruchen n u n gleiche Geltung wie die sakrale B a u k u n s t . Die B a u t e n der Renaissance sind v o n körperhafter Erscheinung. Sie bieten sich d e m Auge in v o l l k o m m e n klarer, ruhiger u n d bes t i m m t e r F o r m d a r , w ä h r e n d das gotische B a u w e r k m i t seinem Zug ins Grenzenlose n u r aus Bewegung u n d S p a n n u n g zu bestehen scheint. Die reine, ü b e r s c h a u b a r e W a n d f l ä c h e ist wieder da, ihre Gliederung geschieht n a c h der Regel einfacher Aneinander- u n d Übereinandersetzung v o n gleichwertigen E l e m e n t e n , die n u r so weit v e r b u n d e n sind, als es ohne Nachteil f ü r die Geltung jedes einzelnen Gliedes geschehen k a n n (Abb. 65). Die Säule in einer der a n t i k e n Säule s t a r k a n g e n ä h e r t e n F o r m spielt als Voll- oder Halbsäule u n d Pilaster (Abb. 27) die wichtigste Rolle. Mit ihren angemessenen Grössenverhältnissen gibt sie den B a u t e n wieder ein menschliches Mass. E i n vollkommenes P r o p o r t i o n s g e f ü h l lenkt und b e s t i m m t die künstlerische Gesinnung. E i n f a c h e geometrische G r u n d f o r m e n sind f ü r die Grundrissanlage ebenso wie f ü r I n n e n r a u m u n d Aussenbau massgebend. I m Grundriss des K i r c h e n b a u e s n i m m t m a n wieder die K r e u z f o r m auf (Abb. 29). Mehr als drei Schiife werden n i c h t g e d u l d e t ; das w ü r d e die Übersichtlichkeit des R a u m e s stören. D a s f r e i einströmende Tageslicht, im Gegensatz zur f a r b i g bewegten L i c h t f ü h r u n g der Gotik, erhöhte die klare R a u m w i r k u n g (Abb. 64). Die Abmessung des I n n e n r a u m e s m i t seiner flachen oder tonnengewölbten Decke k a n n in einem Blick ü b e r s c h a u t werden. Mit der Neigung zu Z e n t r a l b a u t e n (Kuppelb a u t e n , A b b . 28 u n d 66) u n d der Anlage v o n K u p p e l n ü b e r der Vierung (Abb. 29) von L a n g h a u s b a u t e n k o m m t der Wesenszug der Renaissance noch stärker zum A u s d r u c k . Die K u p p e l , die sich über uns wie ein Himmelsgewölbe r u n d e t , b e d e u t e t R u h e , Begrenzung u n d vollkommenes Gleichgewicht. Die spätere Zeit h a t d a n n beide R a u m f o r m e n (Richtungs- u n d Z e n t r a l b a u ) zu einer E i n h e i t verschmolzen. E s b e s t e h t kein D r a n g m e h r zur unbegrenzten H ö h e , wie in der Gotik, sondern der R a u m wird als messbare Grösse e m p f u n d e n . Klare k ö r p e r h a f t e F o r m e n u n d edles Gleichmass in der B i n d u n g der Bauglieder ist wesentliches Kennzeichen der Renaissance. Die Horizontale herrscht vor (Abb. 67). I n wohl33

28

Rom, Peterskirche.

Grundriss.

E n t w u r f v o n B r a m a n t e . 1506. ( Z e n t r a l b a u in F o r m eines griechischen Kreuzes)

34

gesetzter u n d sichtlich bet o n t e r A r t w e r d e n die Fassaden der P a l ä s t e (Abb. 30) beh a n d e l t . M a n l i e b t es, gewöhnlich b e i m Erdgeschoss der kubisch gesetzten B a u t e n den u n b e h a u e n e n Stein (rustica = ländlich) i m Mauergefüge sichtbar w e r d e n zu lassen, u n d w i d m e t der äusseren E r s c h e i n u n g des B a u werks, besonders der F a s s a d e , wie auch dem I n n e n h o f stets grosse A u f m e r k s a m k e i t . Die Kirchenfassade n i m m t das alte G r u n d m o t i v der römischen T e m p e l f a s s a d e (Säule und Giebel — aber in Verbindung m i t dem Bogen) wieder auf. (Abb. 6) Dies alles w ä h r t eine S p a n n e Zeit, bis an Stelle der n a t ü r lichen F o r m e n s i c h e r h e i t , die irgendwie d e m G e f ü h l einer unbedingten Weltsicherheit entspricht, ein n e u e r F o r m e n k a n o n sich z u m W o r t meldet, der die Gleichwertigkeit der einzelnen Bauglieder n i c h t m e h r voll gelten lassen will (Abb.68), s o n d e r n eine A r t Auslese zu treffen b e g i n n t ; hier stärker b e t o n t , d o r t u n t e r ordnet, j a u n t e r d r ü c k t , die Ausgeglichenheit der F o r m e n s t ö r t u n d sogar Bauglieder des Aussenbaues, wie den Giebelschmuck der F e n s t e r , k ü h n in

das R a u m i n n e r e ü b e r t r ä g t . D a s k o m m e n d e Zeitalter, der Barock, sendet seine Vorboten. I n den Hochrenaissancebauten des Michelangelo (Abb. 69) ist dieses Vorspiel zu sehen. Zur selben Zeit, als sich die Renaissance in Italien entwickelte, wurde i m N o r d e n noch gotisch gebaut. Allerdings wird m a n in den spätgotischen Hallenkirchen D e u t s c h l a n d s mit ihren klaren u n d übersichtlichen R a u m b i l d u n g e n (Abb. 62) eine Gemeinsamkeit mit den Bestreb u n g e n der Renaissance erkennen k ö n n e n . Eigentliche Renaiss a n c e b a u t e n sind im N o r d e n k a u m zu finden; ü b e r n o m m e n werden nicht die B a u g e d a n k e n , sondern die E l e m e n t e des B a u schmuckes u n d einzelne Bauglieder, wie Säule, Giebel, Pilaster u n d die antikischen O r n a m e n t m o t i v e . Die B a u k u n s t des N o r d e n s weist d a h e r keinen typischen Renaissancebaustil auf, sondern muss als ausgesprochener O r n a m e n t s t i l angesprochen werden. Die d e u t sche Renaissance ist eine fortlebende Spätgotik, die sich antikische Motive umgelegt h a t t e .

BAUKUNST DES B A R O C K S UND R O K O K O S 17. und 18. Jahrhundert. (Abb. 71-82, 94-98)

Das W o r t Barock leitet sich v o m portugiesischen «barocco» a b u n d b e s a g t : seltsam, unregelmässig, absonderlich, im eigentlichen Sinne schiefrund, wie m a n v o n Perlen u n d Edelsteinen sagt. I m Gegensatz zur Renaissance ist n u n der ihr zeitlich folgende Stil, der Barock, sicherlich v o n einer b e f r e m d e n d e n Unregelmässigkeit. E r m u s s j e d e m Auge, das klare u n d abgemessene K ö r p e r - u n d R a u m f o r m e n zu sehen g e w o h n t ist, als v e r w i r r e n d , u n k l a r , ja schwulstig v o r k o m m e n . So w u r d e die Bezeichnung B a r o c k auch langehin im h e r a b s e t z e n d e n Sinne g e b r a u c h t . D a s ä n d e r t freilich nichts a n der T a t s a c h e , dass die barocke K u n s t einzigartige Leis t u n g e n h e r v o r g e b r a c h t u n d dass es ihr weder a n schöpferischer K r a f t noch a n E r f i n d u n g s r e i c h t u m gefehlt h a t . I m Gegenteil, barocke K u n s t w u r d e aus d e m gewaltigen Z u s a m m e n w i r k e n aller K r ä f t e geboren, welche die menschliche Seele u n d den menschlichen Geist zu bewegen i m s t a n d e sind. Tiefer G l a u b e n s d r a n g , der mit der R e f o r m a t i o n u n d Gegenreformation wieder n e u e r s t a r k t ist, u n d eine nicht geringe W e l t - u n d Daseinsfreude sind auf eine gewiss seltsame Weise z u s a m m e n g e f ü g t . J e n s e i t s s e h n s u c h t u n d Diesseitsdenken — Sinnlichkeit u n d Geistigkeit, beide sind so s t a r k u n d u n g e b ä n d i g t , dass sie gleich s c h ä u m e n d e n W o g e n übereinanderschlagen u n d sich mischen. Die barocke K u n s t ist aus der italienischen Renaissance hervorgegangen. D a s F o r m e n g u t der Renaissance : Säule, Bogen, Pilaster, Giebel usw., ist das B a u m a t e r i a l , m i t welchem a u c h der B a r o c k bildet u n d g e s t a l t e t , aber die andere A r t seiner A n w e n d u n g f ü h r t bald zu n e u e n Erscheinungsf o r m e n i m I n n e n r a u m wie a m A u s s e n b a u , die m i t der Renaissance nichts m e h r gemein h a b e n . Die V e r ä n d e r u n g e n beginnen an der W a n d . Die Gliederung geschieht n i c h t m e h r n a c h dem Gesetz v o n Gleichklang u n d r u h i g e m Ausgewogensein. Die Fläche beginnt zu leben, sie wird k ö r p e r h a f t bewegt, Gesimse, Säulen, ganze Teile der W a n d springen vor, andere w e r d e n zurückgeschoben. E i n e regelrechte T i e f e n s t u f u n g v o n W a n d s c h i c h t e n e n t s t e h t . Die Säule e r f ä h r t m a n n i g f a c h e U m b i l d u n g e n , sie windet sich gleich einer Spirale (Abb. 77), sie v e r k r ö p f t sich, sie s t e h t n i c h t mehr allein als selbständiges Bauglied, eine zweite wird an sie heran36

gerückt und mit ihr verkoppelt (gekuppelte Säulen, Abb. 72 und 73). Einmal stehen diese frei, dann sind sie in der Wand versunken, von ihr umgriffen. Sie werden als Blendsäulen oder Pilaster übereinandergelegt, so dass sie eigentliche Schichten bilden (Abb. 31). An den Fassaden und im Innenraum wächst die Säule ins Ungemessene, sie umfasst zwei, sogar drei und vier Stockwerke und hält sie, wie grosse Klammern, zusammen (grosse oder kolossale Säulenordnung, Abb. 74 und 75). Der runde Giebel (Volutengiebel) taucht wieder auf, 31 Barockes Pilasterkapitell er wird über den klassischen Dreieckgiebel gewölbt, er verschmilzt mit ihm (Abb. 72 und 73), oder beide schmücken im Wechsel die Fensterreihen. Alles wird verdoppelt, verdreifacht, die Formen verwachsen miteinander, eine steigert die andere, wobei die starke Betonung der Mitte ein wesentliches Anliegen der barocken Architekten ist. Schliesslich beginnt die Wand, das ganze Mauerwerk, zu schwellen, als wäre es von Riesenhänden geknetet (Abb. 81). Eine geheime Kraft bewegt, wölbt und buchtet die Mauermassen zu seltsamen Bildungen; sie wirkt auch im Innern des Bauwerks, sie bewegt den Raum, sie verdehnt den kreisförmigen Grundriss zu einem Oval und erzeugt eine Vorwärtsbewegung und Flutung der Räume, dass man sagen kann, das barocke Bauwerk sei mit Raum geladen. Eine raffiniert angelegte Lichtführung aus verborgenen Fenstern, die Licht und Schatten mit aller Berechnung verteilen, steigert die Wirkung eines bewegten Raumes, zudem ist die Anwendung perspektivischer Täuschung ein beliebtes Mittel barocker Baukunst. Wirklichkeit und Unwirklichkeit sind vertauscht, vieles ist darauf hin angelegt, dem Auge Rätsel aufzugeben, wie im Theater ihm Visionen vorzuzaubern. Die Deckenmalerei wird diesen Absichten dienstbar gemacht (Abb. 78). «So flutet der barocke Innenraum in die gemalte Unendlichkeit.» Wo hört der wirkliche Arehitekturraum auf und wo beginnt der Frei37

r ä u m ? (Abb. 78.) I s t diese Säule wirkliche Säule oder n u r an die W a n d gemalt, ist jene plastische Heiligengestalt körperlich greifb a r oder n i c h t ? M a n c h m a l ist sie beides, n ä m l i c h z u m Teil plastisch gebildet, z u m Teil n u r gemalt. I m Z u s a m m e n w i r k e n aller K ü n s t e , der B a u k u n s t , der P l a s t i k u n d der Malerei gipfelt das S t r e b e n der b a r o c k e n A r c h i t e k t e n . So ist das barocke B a u w e r k im vollen Sinne ein G e s a m t k u n s t w e r k , an dessen Gestaltung alles, auch das O r n a m e n t , teil h a t . Selbst der Spiegel wird — besonders in der p r o f a n e n B a u k u n s t — zu einem wichtigen I n s t r u m e n t , indem er den wirklichen R a u m scheinbar vervielfältigt, die R a u m grenzen d a m i t a u f h e b t u n d dem Auge eine W e i t e u n d Tiefe vort ä u s c h t , die gar n i c h t existiert. Der A u f w a n d barocker B a u k u n s t ist im gleichen Masse der kirchlichen A r c h i t e k t u r wie der weltlichen B a u k u n s t d i e n s t b a r . Die Unterschiede sind im G r u n d e n i c h t sehr gross. Die Fassade einer Kirche ist m i t j e n e r eines Palastes m a n c h m a l leicht zu verwechseln (Abb. 74), z u m m i n d e s t e n wird n i c h t i m m e r deutlich, zu welchem Zweck das B a u w e r k b e s t i m m t ist. Überall finden wir eine festliche Weltlichkeit u n d sinnliche F r e u d e , die o f t rasch und u n v e r m i t t e l t in die W e l t der Seele u n d des Glaubens hinüberschlagen k a n n . D e m s t a r k e n r ä u m l i c h e n D e n k e n bei der Innenanlage des barocken B a u w e r k s , seinen grossartigen, freskengeschmückten, m i t Stuck verzierten, kuppelgewölbten Hallen, seinen T r e p p e n , Sälen u n d Gängen e n t s p r i c h t a u c h die Gestaltung des Aussenbaues, die den freien R a u m m i t einbezieht. E i n besonderer Sinn f ü r N a t u r u n d F r e i r a u m errichtet die B a u t e n — Klöster, Kirchen u n d P a l ä s t e — an l a n d s c h a f t l i c h ausgezeichneten Stellen (Abb. 79). Der landschaftliche R a h m e n e r h ö h t die Wirkung des B a u w e r k s . Die Anlage v o n riesigen G ä r t e n m i t Wasserk ü n s t e n u n d Teichen wird v o n derselben A b s i c h t gelenkt, Bauwerk u n d N a t u r zu v e r b i n d e n , wobei allerdings d u r c h das Beschneiden der B ä u m e die N a t u r architektonisch vergewaltigt wird. Bewegung, Bewegtheit, Ausgreifen n a c h allen R i c h t u n g e n , dies ist f ü r den Barock, das Lebensgefühl des b a r o c k e n Menschen bezeichnend. Beredtes Zeugnis geben die T r e p p e n a n l a g e n des Barocks, die grossartig angelegt (Abb. 76 u n d 80), m a j e s t ä t i s c h b r e i t u n d auslad end, u n s i m m e r auf Umwegen z u m Ziel f ü h r e n , weil n i c h t das Ziel allein, sondern vor allem der Weg, die « B e w e g u n g » wichtig sind. 38

Von I t a l i e n ist der Barock ausgegangen u n d h a t rasch ganz E u r o p a ergriffen, a m stärksten wohl den deutschen Süden, wo die schönsten Schöpfungen b a r o c k e r B a u k u n s t e n t s t a n d e n . D e u t s c h l a n d h a t gleichsam die Renaissance ü b e r s p r u n g e n und sich — aus d e m gotischen Mittelalter k o m m e n d — d e m Geist barocker B a u k u n s t am tiefsten ergeben u n d i h m recht eigentlich volkstümliche Gestalt verliehen. Die barocke K u n s t klingt in einen Stil aus, der m i t R o k o k o bezeichnet wird. R o k o k o k o m m t von Rocaille u n d b e d e u t e t Muschelwerk. Diese N a m e n s g e b u n g h ä n g t m i t der allgemeinen A n w e n d u n g der Muschcl als O r n a m e n t in jener Zeit z u s a m m e n . Barock u n d R o k o k o überschneiden sich stellenweise so s t a r k , dass es hier nicht angezeigt erscheint, n ä h e r auf den Rokokostil einzugehen. D a s R o k o k o bringt, allgemein gefasst, keine wesentlichen Neuer u n g e n . E i n e A u f l o c k e r u n g des R a u m g e f ü g e s , grössere K l a r h e i t , eine gewisse Helligkeit u n d Leichtigkeit w ä r e n als K e n n z e i c h n u n g zu n e n n e n . D a m i t in Z u s a m m e n h a n g s t e h t , dass der W a n d f l ä c h e selbst wieder m e h r Geltung zuk o m m t . Sie begrenzt die R ä u m e deutlich, wird indessen v o n Ornamenten übersponnen und überspielt (Abb. 82), die in einer letzten F o r m noch einmal den Bewegungsreichtum barocker K u n s t a u f n e h m e n , u m allmählich zu verebben. Der Klassizismus und m i t i h m die R ü c k k e h r zur Formenstrenge k ü n d i g t sich d a m i t bereits an.

31a B a r o c k e r C r u n d r i s s . V i e r z e h n heiligen, W a l l f a h r t s k i r c h e B. N e u m a n n ,

von

1742—1772

39

K L A S S I Z I S T I S C H E BAUKUNST 1770-1840. (Abb. 83-86, 99)

Aus der bewussten Ablehnung barocken Überschwanges entwickelte sich im Zeitalter der Französischen Revolution der Stil des Klassizismus. Die Klarheit und Würde antiker Bauformen wird nun abermals zum Vorbild genommen. Begeistert blickt man zurück in die Ferne des Altertums und begegnet allem, was Griechisch oder Römisch heisst, mit Liebe und Verehrung. In den Worten von «der edlen Einfalt und stillen Grösse» der Antike, die Justus Winckelmann damals prägte, kommt zum Ausdruck, was man in der antiken Kunst zu sehen vermeinte. Die Antike sollte — wenigstens im Kunstwerk — neu auferstehen. Dabei rückte nicht nur Rom und Griechenland, sondern auch die Baukunst Ägyptens ins Blickfeld des Interesses. Aber es mangelte an der starken umbildenden Kraft, wie sie die Renaissance besessen hatte. Man war zu sehr vom Verstand, vom nachahmenden Eifer und antiquarischen

31b

Berlin, Altes Museum, Treppenbaus, erbaut von C. Fr. Schinkel, 1823—1830

31c

G a r t e n h a u s m i t flachem K u p p e l d a c h , e r b a u t von C. F . H a n s e n , zirka 1815

Interesse gelenkt, so dass m a n c h e n o r t s B a u w e r k e e n t s t a n d e n , die nicht viel m e h r als kühle N a c h b i l d u n g e n antiker B a u t e n darstellen. Die Pariser Börse, die den Vespasiantempel in R o m nacha h m t , ist ein Beispiel f ü r die sinnwidrige A r t , in der m o d e r n e B a u t e n a n t i k u m k l e i d e t wurden. D e r Klassizismus b e d e u t e t dam i t schon A u f t a k t zur B a u k u n s t des s p ä t e n 19. J a h r h u n d e r t s , jener wenig r ü h m l i c h e n Stilepoche, dem Historizismus, in welchem jedes B a u w e r k in jeder Stilform, in der romanischen, griechischen, der gotischen, der b a r o c k e n u n d im Renaissancestil möglich war. K a s e r n e n u n d K a f f e e h ä u s e r im gotischen Stil, B a n k e n im griechischen Stil; jedes öffentliche Gebäude h a t t e einen anderen Stil, u n d schliesslich w u r d e n sogar noch die Zinshäuser der G r o ß s t a d t m i t F a s s a d e n versehen, die m i t irgendeinem Stil p r u n k e n sollten, aber i m G r u n d e v o n einer erbärmlichen Stillosigkeit w a r e n . D e r Klassizismus b e w a h r t jedoch i m Gegensatz zu diesen späteren Zerfallserscheinungen der B a u k u n s t eine gewisse H a l t u n g u n d Grösse. Zahlreiche B a u w e r k e bezeugen, dass ihre Schöpfer — wie Schinkel, Weinbrenner, Gentz, H a n s e n , Nobile, Gilly, L e d o u x u. a. m . — über die bare N a c h a h m u n g klassisch a n t i k e r B a u f o r m e n h i n a u s zu eigenwilligen u n d a u s d r u c k s s t a r k e n G e s t a l t u n g e n fähig w a r e n . 41

G R I E C H E N L A N D

32 A t h c D , die Akropolis v o n Westen. Auf höchster Stelle rechts der P a r t h e n o n (447-438 v. Chr.). In der Mitte die P r o p y l ä e n (437-32 v. Chr.). L i n k s u n t e r d e m P a r t h e n o n der T e m p e l der Athena Nike (Siegreiche A t h e n a ) . L i n k s a u s s e n d i e Vorhalle des E r e c h t h e i o n s (425-406 v. Chr.), geweiht der A t b e n a P o l i a s , S t a d t b e s c h ü t z e r i n , und d e m

Erechtheus-

Poseidon.

Von der Göttin Athena hat die Stadt Athen ihren Namen erhalten. Auf der Akropolis (Hochstadt, Burg) wurden Athena schon in der Vorzeit die ersten Kultmale errichtet. Anfangs waren Stadt, königliche Burg und Tempelbezirk auf dem Felsenplateau vereint. Als die Perser bei ihrem Einfall in das attische Land im Jahre 480 v. Chr. Athen in Trümmer legten, versanken auch Tempel und Altäre in Schutt und Asche. In der folgenden Epoche, der Glanzzeit Athens, wurde die Akropolis neu befestigt und nun ausschliesslich zur Weihestätte der Stadtgöttin bestimmt. So überragte nun die Akropolis als Burg der Götter die menschliche Siedlung. Die beherrschende Stellung nimmt das Hauptheiligtum, der Parthenon, ein. Er ist der Athena Parthenos (jungfräuliche Athena) geweiht. Die Architekten Iktinos und Kallikrates errichteten diesen berühmtesten aller dorischen Tempel in pentelischem Marmor. Die Höhe der Säulen beträgt 10,5 m, ihr durchschnittlicher Durchmesser 2 m. Den einzigen Zugang zur Akropolis krönt der gewaltige Torbau, die Propyläen, die kurz nach der Vollendung des Parthenons aufgeführt wurden. Die Akropolis hat im Laufe der Geschichte noch manches Schicksal erfahren. Im Mittelalter wurden Parthenon und Erechtheion zu christlichen Kirchen, die Propyläen zur Burg fränkischer Herzöge. 1458, nach der Eroberung durch die Türken, wurde das Erechtheion in einen Harem, der Parthenon in eine Moschee verwandelt. Bei der Belagerung Athens durch die Venezianer im Jahre 1687 erlitt der Parthenon durch eine Pulverexplosion schwere Beschädigungen. Heute ist der hochragenden Tempelstadt wieder, soweit dies möglich, ihre alte Gestalt zurückgegeben worden. 42

G R I E C H E N L A N D

33 P a e s t u m , P o s e i d o n t c m p e l , 4 6 0 - 4 5 0 v. Chr. (Grundriss s. A b b . 4)

Einsam, in einer heute unbewohnten Gegend Süditaliens, an der Bucht von Salerno, stehen drei Tempelruinen, die einstmals heilige Mitte der blühenden, griechischen Kolonistenstadt Poseidonia waren. Der jüngste unter diesen drei Tempeln, zugleich auch der besterhaltene, wird der Tradition nach als Tempel des Poseidon bezeichnet. Zerstörung, R a u b und Aushöhlung vermochten der herrischen Grösse des Bauwerks wenig anzuhaben. Der Poseidontempel ist an Wert, Gestalt und Erhaltungszustand ein einzigartiges Denkmal dorischen Bauens. E r wurde, an Stelle des fehlenden Marmors, aus Kalkstein erbaut, den der Boden gab, und marmorgleich mit Stuck umkleidet. So lückenhaft heute das Bauwerk vor uns steht, erhalten ist die K r a f t und der Adel eines plastischen Gebildes, das im hellen Licht des Südens eine Dichte und bildhafte Eindringlichkeit bekommt, die über jeder Vorstellung liegt. Sechs Säulen tragen die Giebelfronten, vierzehn stehen an den Längsseiten. Ihre Höhe beträgt beinahe 9 m. U m der optischen Ablösung der stets gefährdeten Ecksäulen, ihrem scheinbaren Herausfallen aus der Säulenreihe zu begegnen, wurde der Durchmesser der Ecksäulen nicht vollkommen kreisrund, sondern sein äusserer Halbkreis elliptisch gearbeitet. Feinste Nuancierungen der Abmessung und Gestaltung im einzelnen haben so an der Schönheit des ganzen Bauwerks bestimmenden Anteil. 34 A t h e n » s o g e n a n n t e s T h e s e i o n , O s t f r o n t , u m 4 4 0 - 4 2 0 v . Chr.

Ein klassischer dorischer B a u , der etwa gleichzeitig mit dem Parthenon entstand. E r zeigt im Gegensatz zur schweren und gedrungenen Form des noch altertümlichen Poseidontempels in Paestum elegantere Proportionen. Die Säulen sind schlanker und mehr gestreckt. Auch das Verhältnis im Grundriss ist anders, indem an den Längsseiten statt 14 Säulen, wie in Paestum, nur deren 13 stehen. Ihre Höhe beträgt 6 m. Der Tempel ist aus pentelischem Marmor errichtet und von aussergewöhnlich guter Erhaltung. (Vergleiche Abb. 8a.) 44

G R I E C H E N L A N D

35 AÜ1CI1, A k r o p o l i s , E r e c h t h e i o n , K o r e n h n l l e , 4 2 5 - 4 0 6 V. Chr.

I m E r e c h t h e i o n i s t — w o h l n i c h t z u m e r s t e n Male, a b e r in u n n a c h a h m l i c h e r W e i s e — die m e n s c h l i c h e G e s t a l t a n Stelle der Säule g e t r e t e n . Sechs weibliche G e s t a l t e n t r a g e n i n A n m u t d a s m a r m o r n e G e b ä l k d e r Vorhalle. Sie sind ü b e r l e b e n s g r o s s , j e d o c h n o c h v o n einer Grösse (2,37 m ) , die sie i m B e r e i c h des M e n s c h lichen b l e i b e n l ä s s t . Die Grazie dieser K a r y a t i d e n , i h r e schöne W ü r d e , d a s edle Mass i h r e r H a l t u n g i s t m i t s i c h e r e m F o r m g e f ü h l in ein h a r m o n i s c h e s V e r h ä l t n i s z u m B a u w e r k selbst g e b r a c h t . Der Name K a r y a t i d e f ü r gebälktragende, menschliche Gestalten wird v o n d e r S t a d t K a r y a a b g e l e i t e t , d e r e n F r a u e n z u r S ü h n e f ü r die U n t e r s t ü t z u n g d e r P e r s e r , welche die B e w o h n e r K a r y a s d e n P e r s e r n gegen G r i e c h e n l a n d g e w ä h r t e n , in die S k l a v e r e i geschickt, deren Männer jedoch getötet wurden.

36 A t h e n , Akropolis, T e m p e l d e r A t h e n a Nike, u m 421 v . Chr.

D e r N i k e t e m p e l ist d e r zierlichste B a u ( A m p h i p r o s t i l o s ) u n t e r d e n T e m p e l n auf d e r A k r o p o l i s u n d w o h l d a s a n m u t i g s t e Gebilde aller i o n i s c h e n T e m p e l . Seine a c h t i o n i s c h e n S ä u l e n sind a u s p e n t e l i s c h e m M a r m o r g e b i l d e t , i h r e H ö h e b e t r ä g t 4 m . Dieser kleine T e m p e l , d e r h a r t a m B u r g h a n g e r r i c h t e t w u r d e u n d die b e s c h e i d e n e n A u s m a s s e v o n 8,5 zu 5,5 m h a t , m u s s t e v o r h u n d e r t J a h r e n erst wieder aus d e m S c h u t t der türkischen Befestigungen gegraben u n d neu z u s a m m e n g e f ü g t werden. E r war der friedenbringenden Siegesgöttin A t h e n a (Athena Nike) geweiht.

37 A t h e n , O l y m p c i o n , 175 v . Chr.

D e r T e m p e l m i t seinen ü b e r s c h l a n k e n , r i e s e n h a f t e n k o r i n t h i s c h e n S ä u l e n v o n 17 m H ö h e blieb u n v o l l e n d e t . D a s k o r i n t h i s c h e K a p i t e l l ist in A t h e n e n t s t a n d e n u n d w i r d als die S c h ö p f u n g eines einzelnen K ü n s t l e r s , des K a l l i m a c h o s , bet r a c h t e t . D i e erlesenste F o r m dieses p f l a n z e n h a f t e n K a p i t e l l s b i e t e t das b e r ü h m t e L y s i k r a t e s d e n k m a l auf d e r A k r o p o l i s . 46

R Ö M I S C H E

B A U K U N S T

38 und 39 R o m , Pantheon, 115-125 n. Chr. Innenansicht nach einem Stich des Antonio Sarti ( R o m 1829)

Das Pantheon stammt aus der Zeit des Kaisers Hadrian. E s ist die eigenartigste Schöpfung römischer Baukunst. Den Baumeister vermutet man in dem orientalischen Griechen Apollodoros aus Damaskus. Das schlichte Äussere des Bauwerks lässt kaum etwas von der eindrucksvollen Grösse seines Innenraumes ahnen. Ein breiter und tiefer Säulenvorbau aus 16 Granitsäulen mit korinthischen Marmorkapitellen gibt der Bedeutung des Baues eine gewisse Betonung, doch erscheint heute die übrige Gliederung der Aussenseite von spartanischer Kargheit. Lediglich Gesimsbänder umspannen die monumentale Rundung des Baukörpers, der einstmals mit Stuck verkleidet war. Der Innenraum mit seiner gewaltigen halbkreisförmigen Kuppel führt dann die eigentliche Leistung römischen Bauens sehr eindrücklich zu Bewusstsein. Es ist ein Raumgebilde von vollkommener Klarheit; im Baugedanken eine Raumkugel, die, in einen zylindrischen Unterbau gesteckt, gerade den Boden berührt, daher ist die Halbkugel der Kuppel genau so hoch wie der Unterbau, und Höhe und Durchmesser des Baues haben dasselbe Ausmass. Mit 43,2 m Durchmesser stellte sie wohl die grösste Kuppel in jener Zeit dar. Die vollkommene Wölbung, ihre Wirkung majestätischer Ruhe gab schon im Altertum Anlass, sie dem Himmelsgewölbe zu vergleichen. Der Himmel selbst leuchtet durch die 9 m weite Öffnung im Scheitel der Kuppel herein. Mit dieser Raumschöpfung, die keinerlei Beziehung zur griechischen Baukunst hat, vielmehr orientalischen Kuppelbauten verwandt ist, wurde gleichsam der andere Grundstein zur abendländischen Baukunst gelegt; Griechenland hatte die leibhafte Gestalt des Bauwerks entwickelt, Rom entdeckte die räumlichen Möglichkeiten. Die Idee des Zentralbaues mit Kuppelwölbung hat im Mittelalter fortgewirkt und in der Renaissance, mit den Kuppelbauten des Brunelleschi und Michelangelos (vgl. Abb. 63, 66 und 70) neue Gestalt gefunden. 48

RÖMISCHE

B A U K U N S T

40 R ö m i s c h e W a s s e r l e i t u n g ,

sogenannter

Pont

du

Gard

bei N l U l e S

in

Süd-

f r a n k r e i c h , u m 15 V. C h r .

Ohne das Vorbild griechischer Schöpfungen e n t s t a n d e n die rein z w e c k h a f t e n B a u t e n der R ö m e r , grossartige A q u ä d u k t e , die der Quellwasserversorgung der S t ä d t e dienten. A n vielen Stellen des römischen Reiches, in Italien, Spanien, F r a n k r e i c h , N o r d a f r i k a und Kleinasien, sind solche B a u w e r k e e r h a l t e n geblieben, von denen jenes bei Nimes als das schönste gilt. I n drei ü b e r e i n a n d e r gesetzten Bogenreihen ü b e r s p a n n t hier die W a s s e r l e i t u n g das Tal des Gardon. Zwei Bogenreihen v o n gleicher S p a n n w e i t e u n d gleicher H ö h e bilden die eigentliche B r ü c k e . Ü b e r sie l ä u f t gleich einem O r n a m e n t b a n d die zierliche Reihe kleiner Bogen, die den W a s s e r k a n a l t r ä g t . J e n s e i t s des Tales h a t die Wasserleitung d a n n wieder die Gestalt einfacher A r k a d e n . D e n k l a r e n u n d k r a f t v o l l e n R h y t h m u s der Bogen u n t e r b r i c h t einzig der ü b e r der F l u s s m i t t e sich wölbende Bogen d u r c h seine grössere Spannweite. Die W a s ser, die R o m in solchen Wasserleitungen z u s t r ö m t e n , speisten elf grosse B ä d e r ( T h e r m e n ) u n d m e h r als 2000 öffentliche B r u n n e n , Becken u n d P r i v a t h ä u s e r . Die L ä n g e aller s t a d t r ö m i s c h e n W a s serleitungen b e t r u g einige h u n d e r t Kilometer.

41 R o m , s o g e n a n n t e r V e s t a t e m p e l u n d T e m p e l a m F o r u m b o a r i u m ( R i n d e r m a r k t des a l t e n R o m s ) , 1. J a h r h u n d e r t v . C h r .

Die typische F o r m des römischen Tempels, der auf einem P o d i u m s t e h t u n d sich d u r c h die Säulenstellung (Pseudoperipteros), H e r v o r h e b u n g der einen Giebelfront u n d einseitigen T r e p p e n a u f g a n g wesentlich v o m griechischen T e m p e l u n t e r s c h e i d e t . Dieser w a r ein allseitiger B a u , der römische T e m p e l ist hingegen ein Richtungskau. E r weist eine ausgesprochene Schauseite auf. Die W ä n d e des T e m p e l r a u m e s (Cella) w e r d e n a n d e n Längsseiten zwischen den H a l b s ä u l e n sichtbar. I m H i n t e r g r u n d ein R u n d t e m p e l m i t 20 korinthischen Säulen. D a s einfache Schindeldach ist im Mittelalter als E r s a t z f ü r den a n t i k e n D a c h a u f b a u angelegt worden. 50

A L T C H R I S T L I C H E

B A U K U N S T

42 R o m , S a n t a Maria Maggiore, 4. J a h r h u n d e r t n . Chr.

Die Kirche v o n S a n t a Maria Maggiore v e r m i t t e l t den ursprünglichen C h a r a k t e r einer altchristlichen Basilika in beinahe u n v e r ä n d e r t e r Gestalt, t r o t z d e m sie in späterer Zeit verschiedene b a u liche Ä n d e r u n g e n e r f a h r e n h a t t e . So ist die reich k a s s e t t i e r t e Decke eine Z u t a t des 15. J a h r h u n d e r t s . F r ü h e r d ü r f t e das offene D a c h gebälk sichtbar gewesen sein. Der breite u n d m ä c h t i g e R a u m (16,5 m b r e i t , 71 m lang) des Mittelschiffes wird d u r c h die lange Reihe v o n j e 22 ionischen Säulen m i t i h r e m d u r c h l a u f e n d e n Gebälk u n d Gesimsen zu einer straffen E i n h e i t z u s a m m e n g e f a s s t . Die R i c h t u n g zum Altar bes t i m m t den Sinn der ganzen Anlage. Die Säule ist n u n zu einem wichtigen Glied des I n n e n r a u m s geworden, d e n schmucklose W ä n d e umkleiden. Die f r ü h e F o r m der Basilika ist also gewissermassen ein n a c h innen g e s t ü l p t e r Tempel. P l a n u n g u n d G e s t a l t u n g des Innenraums sind wesentliche Anliegen christlicher B a u k u n s t , w ä h r e n d dem A u s s e n b a u wenig Aufm e r k s a m k e i t geschenkt wird. 43 R a v e n n a ,

San Apollinare N u o v o , u m 500 n . Chr.

An Stelle des d u r c h l a u f e n d e n w a a g r e c h t e n Gebälkes ist die Bogenreihe getreten. D a m i t erhält der Gleichklang der Bewegung auf den A l t a r zu einen n e u e n R h y t h m u s . Die feingliedrigen Säulen mit ihren korinthischen K a p i t e l l e n h a b e n n u n als E l e m e n t e einer Bogenreihe die hochaufsteigenden W ä n d e zu t r a g e n . Aber Bogen und Säule sind n i c h t ganz f ü r e i n a n d e r geschaffen: der Bogen ist römischer H e r k u n f t , die Säule k o m m t v o n Griechenland. D e r Bogen v e r l a n g t eigentlich n a c h dem Pfeiler, u n d die Säule verb i n d e t sich glücklicher dem w a a g r e c h t e n Gebälk. U m diese Gegensätze zu ü b e r b r ü c k e n , schob m a n ein neutrales Glied zwischen das korinthische Säulenkapitell u n d den B o g e n a n s a t z , den sogenannt e n K ä m p f e r . D e n Abschluss des H a u p t r a u m e s bildet der A l t a r r a u m (Apsis), der d u r c h einen grossen, die volle Breite des Mittelschiffes überwölbenden Bogen ( T r i u m p h b o g e n ) bezeichnet wird. 52

ROMA

N I K

44 N e v c r s , St-Etienne, Inneres m i t Tonnenwölbung, 1063—1097.

Der R a u m des Mittelschiffes ist nicht mehr flach gedeckt, sondern mit einer tonnenförmigen (also tunnelartigen) Decke überwölbt. Starke quadratische Pfeiler mit Halbsäulen tragen die Hochwände. Jeweils eine Halbsäule ist bis zum Wölbungsansatz geführt und stützt die das Tonnengewölbe haltenden Gurtbögen. Ein zweites Geschoss, die sogenannten Emporen, liegt über der Decke der Seitenschiffe. Es öffnet sich gegen das Mittelschiff in einer Fenstergalerie von je zwei kleinen Fenstern, die von grossen Blendbogen übergriffen werden. 45 M a u r s m ü n s t e r ,

Benediktincrabtei, Westbau, um 1150.

Zwei Seitentürme mit achteckigem Obergeschoss flankieren die schlichte dreigliedrige Pforte. Sie enthalten die Treppenzugänge zu den Emporen. Die Mitte beherrscht der wuchtige Glockenturm. Zur Belebung der grossen Wandfläche sind senkrechte Mauerstreifen (Lisenen) und Blendbogenfriese angebracht. Der Gesamteindruck wird durch die starken Waagrechten der Gesimse, durch die Aufrechten des Turmwerks und der Lisenen bestimmt, wobei Giebelschrägen und Bögen das vermittelnde Element bilden. Das Baumaterial, ein tiefroter Vogesen-Sandstein, erhöht die feierliche Wirkung dieses körperhaft geschlossenen Bauwerks. 46

Quedlinburg,

Stiftskirche. Blick gegen Westen. 1070—1192.

Das Beispiel eines einfachen romanischen Innenraumes bietet die Stiftskirche von Quedlinburg im Harz. Gleich der altchristlichen Basilika (vgl. Abb. 43), ist sie mit einer flachen Holzdecke versehen. Eine neue Erscheinung ist der Wechsel von Pfeilern und Säulen (Stützenwechsel). Mit jedem Pfeiler wird ein Raumabschnitt bezeichnet, drei solcher fast quadratischer Abschnitte ergeben die Länge des Mittelschiffes. Die glatten Wandflächen, die wohl einstmals mit Malereien geschmückt waren, werden einzig durch Lichtgaden unterbrochen. Da die Mauern keine Gewölbe zu tragen haben, ist ihr Durchmesser verhältnismässig gering 54

ROMANIK

47 L i m b u r g an der L a h n . Der Dom S t . Georg, um 1235.

Auf felsiger Höhe über dem Lahntal erhebt sich der Dombau von Limburg. Die charakteristische Silhouette der sieben Türme beherrscht weithin das Land, und als erster, stärkster Eindruck bleibt wohl die festgeformte und gedrungene Gestalt des ganzen Bauwerks haften, das, gleich einer Burg, aus dem Felsen gewachsen zu sein scheint und doch auch die Masse der Baukörper in ihrer ganzen Schwere zur Geltung kommen lässt. Zwei mächtige Fronttürme flankieren den Eingang der Westseite; sie wird überragt durch das Herzstück des Bauwerks, den schiankern Turm über der Vierung, der auf achteckigem Grundriss angelegt ist. J e zwei schlankere Türmchen zieren das Querschiff im Norden und Süden. In der Nähe offenbart sich die volle Schönheit des Bauwerks. Wohl ist es schon ein Spätling im Bereich romanischen Bauens; dem aufmerksamen Auge wird nicht entgehen, dass der gotische Spitzbogen an manchen Stellen der Wandgliederung neben dem romanischen Rundbogen in Erscheinung tritt. Im dritten Geschoss der Fronttürme übergreift sogar der romanische Rundbogen die doppelten Spitzbogen der Fenster. Auch ist — ein Vergleich mit Abb. 45 macht dies deutlich — die Wand vor allem im Turmwerk schon stark aufgebrochen und belebt, indessen die Seitenwände noch ruhig und geschlossen aufsteigen. Obwohl die Erbauer schon von der gotischen Bauweise Kenntnis hatten und Nutzen daraus zogen, bewahrt das Bauwerk ganz noch die strenge Feierlichkeit der romanischen Epoche. Klar und deutlich ist die Innenanlage dem Aussenbau abzulesen: Kreuzförmiger Grundriss, kurzes Langhaus, das von den grossen Westtünnen umstellt ist, und Seitenschiffe von geringer Höhe.

56

R O M A N I K

48 L e M a a s , K a t h e d r a l e , 11. J a h r h u n d e r t ; gotische EinWölbung 1145—1158.

Gotische E i n w ö l b u n g eines romanischen B a u w e r k e s . U r s p r ü n g lich w a r die Säulenbasilika flach gedeckt. E i n e glcichmässige Säulenreihe ging d u r c h das ganze Mittelschiff, ebenso die Blendgalerie als d u r c h l a u f e n d e r Streifen. Als m a n das gotische Gewölbe einschob, w u r d e j e d e zweite Säule d u r c h s t a r k e U m m a n t e l u n g zu einem Pfeiler m i t Diensten v e r w a n d e l t . Die d a d u r c h e n t s t a n d e n e n geringeren Zwischenräume b e d i n g t e n d e n U m b a u der R u n d b o g e n zu Spitzbogen, w ä h r e n d die Blendgalerie d a r ü b e r ihre romanischen Bogen u n v e r ä n d e r t b e h a l t e n k o n n t e . 49 M a r i a L a a c , B e n e d i k t i n e r a b t e i , Mittelschiff n a c h W e s t e n , 1093—1156.

E i n f a c h e s Beispiel eines m i t Kreuzgratgewölbe versehenen romanischen K i r c h e n r a u m e s . Wie beim Tonnengewölbe, steigen Dienste von den schmucklosen Pfeilern zu d e n G u r t b ö g e n auf. J e d e r G u r t b o g e n bezeichnet einen R a u m a b s c h n i t t , dessen Wölb u n g mittels Kreuzgratgewölbe geschieht. Die Dienste sind n i c h t m e h r v o n H a l b s ä u l e n gebildet, sondern e r f a h r e n d u r c h H a l b pfeiler eine V e r s t ä r k u n g . Auf d e m K a p i t e l l d e r H a l b s ä u l e r u h t d e r Gurtbogen, auf dem Gesimse oder K ä m p f e r des H a l b pfeilers die Schildbögen. 50 V e z c l a y , Ste-Madeleine, Mittelschiff n a c h N o r d w e s t e n , 1120—1198.

Die b e r ü h m t e burgundische W a l l f a h r t s k i r c h e ist ein besonders schönes Beispiel f ü r den ausgebildeten r o m a n i s c h e n Baustil. Sie ist in der Anlage j e n e r v o n Maria L a a c h v e r w a n d t , doch viel reicher gegliedert. So w e r d e n die Pfeiler v o n H a l b s ä u l e n u m stellt wie in Nevers (vgl. Abb. 44) u n d in j e d e B o g e n ö f f n u n g noch ein auf H a l b s ä u l e n gestellter Bogen eingeschoben. Die Dienste sind s p a n g e n a r t i g von Gesimsen u m f a s s t . Die W a n d selbst springt i m ersten Geschoss ein wenig zurück. D e r Schichtwechsel v o n R o t und Weiss verleiht dem R a u m eine belebende W i r k u n g . I m ganzen ist also m i t wenigen E l e m e n t e n eine stärkere R a u m g e s t a l t u n g erzielt, u n d doch ist überall auch der Stein in seiner ganzen Schwere gefühlt. Auch bei dieser Pfeilerbasilika ist das K r e u z g r a t g e w ö l b e a n g e w a n d t . 58

GOTIK

51 A m i e n s , Kathedrale, Mittelschiff gegen Osten, 1220-1269.

Der gotische Innenraum in seiner klassischen Gestalt. Grosse Säulenpfeiler sind von Dreiviertelsäulen umstellt, deren eine als Dienst zum Gewölbe aufsteigt und auf ihrem Weg an jedem Absatz — beim Kapitell und beim Gesimse der Triforien — zwei weitere, jüngere Dienste mitnimmt und bündelt, bis alle im Gewölbe dann zu verschiedenen Aufgaben auseinanderlaufen (vgl. Abb. 61). Weit öffnet sich der Hauptraum den Seitenschiffen. Der gewaltige Zug zur Höhe entführt den Menschen aus der sinnlichen Gegenwart in eine übersinnliche, überirdische Welt. So stark wirkt das Erlebnis des hochaufsteigenden Raumes, dieser Raumschlucht zum Altar hin, dass man gar nicht zur Überlegung kommt, welche Kraft eigentlich alles zusammenhält. Das Steigen der Wände wird zu einem Schweben und die leuchtenden Glaswände spenden ein Licht, das den Raum mit Farben durchflutet und die dunklen Massen der Pfeiler scheinbar auflöst. In manchen Zügen ist mit der gotischen Architektur die Vorstellung einer anderen, jenseitigen Welt, einer himmlischen Stadt erstrebt, und alle technischen Mittel, wie Kreuzrippen, Spitzbogen und Strebewerk, scheinen diesem Verlangen dienstbar gemacht zu sein. In den religiösen Schriften jener Zeit geht die Sprache von einer himmlischen Stadt mit leuchtenden Wänden aus Edelsteinen, von göttlichem Licht durchschienen, von Gesang erfüllt. Das technische Wunderwerk der gotischen Kathedrale ist also nicht nur als eine rein verstandesmässige Leistung aufzufassen, wonach der Architekt in konstruktiven Dingen genau Bescheid weiss, sondern diese Kräfte des Geistes sind von der Kraft der Seele und des Glaubens geführt. Man wollte das Unmögliche möglich machen, die Gewölbe noch höher aufführen, als es technisch zu verantworten war, und manche Urkunden berichten über Katastrophen, welche die einstürzenden Gewölbe verursacht haben. In Amiens beträgt die Höhe des Mittelschiffes das Dreieinhalbfache seiner Breite. Mit der Auflösung der Masse, der Aufhebung aller Wandflächen (im Chor deutlich sichtbar) und der ausschliesslichen Betonung der Vertikallinien war das höchste Ziel gotischen Bauens erreicht. 60

G O T I K

52 L a o n , Kathedrale. 1160—1220. Mittelschiff gegen Osten.

Der Raumeindruck dieser frühgotischen Kathedrale wird noch von einer gewissen Schwere bestimmt, obwohl die Wände bereits durch eine weitere Galerie (Triforien) über den Emporen aufgelöst sind und der oberste Teil der Wand nur mehr aus grossen Fenstern besteht. Die Säulen sind von gedrungener und stämmiger Form. Die Dienste steigen nicht vom Boden, sondern erst von der breiten Kapitellplatte (Kämpfer) der Säulen auf. Nur bei einigen Säulen wird diese Platte durch vorgestellte dünne Säulenpaare gestützt. 53 L a u s a n n e , Kathedrale Notre-Dame. 1275 eingeweiht. Mittelschiff gegen Osten.

I n Lausanne sind s t a t t der vielen wulstartigen, gebündelten Dienste (vgl. Abb. 52) alte und junge Dienste einzelnen Säulen frei vorgesetzt. Sie reichen bis über die Triforien (die Emporen sind weggefallen) und senden erst von dort die Gewölberippen aus. Laon wie Lausanne sind noch über kreuzförmigem Grundriss errichtet und haben daher eine Vierung, die als hellster und höchster Raumabschnitt des Kirchenraumes deutlich in Erscheinung tritt. Die Einweihung der Kathedrale wurde durch Papst Gregor X . im Beisein Rudolfs von Habsburg vollzogen. 54 S l - D e n l s bei Paris. Abteikirche. 1231—1281. Mittelschiff gegen Westen. 55 T r o y e s , Kathedrale, 13.—14. Jahrhundert. Mittelschiff und Querschiff.

Die gitterhafte Auflockerung der Wandfläche ist schon so weit vollzogen, dass die Wände nur mehr den Charakter eines eigentlichen Raummantels haben. D a m i t wurde die höchste Vollendung gotischer Bauweise erreicht. Der Dreitakt im Wandaufbau (vgl. Abb. 52)ist für die reife Gotik typisch: Erdgeschossarkaden, darüber Triforiengalerie, die an Stelle der Emporen getreten ist, und riesige Glasfensterflächen, welche durch schmale Stege, das Massund Stabwerk, gehalten werden. Mächtige Pfeiler aus gebündelten Rippen streben in die Höhe. Die Bögen im Erdgeschoss haben kein Mauerwerk mehr zu tragen, sondern sind nur zur Verspannung der Pfeiler sowie für die Seitenschiflgewölbe von Bedeutung. 62

GOTIK

56 W i e n , S t e p h a n s k i r c h e , 1367—1433. H ö h e des T u r m e s 137 m .

A n d e r A u s s e n s e i t e des L a n g h a u s e s sind k e i n e S t r e b e b o g e n s i c h t b a r . D e r S e i t e n s c h u b d e r Gewölbe w i r d h i e r n u r v o n k r ä f t i g e n , d i r e k t an die W a n d g e s t e l l t e n S t r e b e p f e i l e r n a u f g e n o m m e n . D a s e r k l ä r t sich d a r a u s , dass Mittelschiff u n d Seitenschiffe v o n gleicher H ö h e sind ( H a l l e n k i r c h e ) u n d d e r S e i t e n s c h u b des s o n s t h ö h e r g e f ü h r t e n Mittelschiffgewölbes d a h e r n i c h t ü b e r S t r e b e b o g e n geleitet w e r d e n m u s s . Alle Schiffe w e r d e n v o n e i n e m riesigen D a c h ü b e r d e c k t . Die d o p p e l t ü r m i g e F a s s a d e l i n k s s t a m m t a u s r o m a n i scher Zeit. D i e s e r r o m a n i s c h e R e s t t e i l w u r d e v o m b r e i t e r e n gotischen N e u b a u u m f a s s t , die T ü r m e m i t g o t i s c h e n H e l m e n u n d Z i e r k r o n e v e r s e h e n . Als W a h r z e i c h e n d e r S t a d t r a g t d e r gotische T u r m gleich einer riesigen N a d e l z u m H i m m e l . 57 M a i l a n d , D o m , 1387—1418.

Strebewerk.

D e r gotische T u r m , wie i h n S t . S t e p h a n in W i e n zeigt (vgl. A b b . 56), i s t i m A u f b a u n i c h t s a n d e r e s als die m o n u m e n t a l e Steiger u n g j e n e r k l e i n e n F i a l e n t ü r m c h e n , die gleich N a d e l n d e n S t r e b e p f e i l e r n a u f g e s e t z t sind. D a s g a n z e S t r e b e w e r k b i e t e t sich d e m A u g e als eine p h a n t a s t i s c h e A r c h i t e k t u r l a n d s c h a f t d a r , i n d e r ein W a l d v o n T ü r m c h e n s t e h t u n d d e r e n Gebilde v o n M a s s w e r k , K r e u z b l u m e n u n d K r a b b e n ü b e r s p o n n e n sind. So w u r d e die rein t e c h n i s c h e F o r m des A u s s e n g e r ü s t e s filigranhaft a u f g e l ö s t . 58 P a r i s , N o t r e - D a m e , K a t h e d r a l e . 12./13. J a h r h .

Südwestseite.

Die A u s s e n s e i t e d e r K a t h e d r a l e zeigt d a s t e c h n i s c h e S y s t e m d e r G o t i k i n voller K l a r h e i t . W e i t g e s p a n n t e S t r e b e b o g e n ( b e s o n d e r s d e u t l i c h a m Chor s i c h t b a r ) s t ü t z e n Gewölbe u n d P f e i l e r g e r ü s t im I n n e r n . Gleich riesigen A r m e n greifen sie v o n allen Seiten a n d e n B a u k ö r p e r , d e r sich w o h l als ein solcher d a r s t e l l t , t a t s ä c h l i c h a b e r ein v o n e i n e m d ü n n e n W a n d m a n t e l u m g e b e n e s G e r ü s t i s t . D e u t l i c h i s t die W a n d a u f l ö s u n g d e n M a s s w e r k f e n s t e r n i m Chor m i t ihren kreisrunden Öffnungen abzulesen. Eine überwältigende W i r k u n g ü b t die r i e s e n h a f t e F e n s t e r r o s e ü b e r d e m E i n g a n g des Querschiffes a u s . 64

GOTIK

Paris, Notre-Dame, Kathedrale (wie Abb. 58), 1163—1235. Westfassarte. Die Fassade der gotischen Kathedrale wirkt in der Frühzeit gotischen Bauens noch blockhaft und schwer. Die drei Portalöffnungen sind wie mit dem Kerbmesser der Wandfläche eingeschnitten. Ein durchlaufendes, gitterhaftes Band von Figuren unter Arkaden schliesst das Erdgeschoss ab. Von der Wandauflösung im Innern zeugt dann das grosse Radfenster über dem Hauptportal mit den Zwillingsfenstern zu beiden Seiten. Im dritten Geschoss ist die Masse des Baukörpers durch sich übergreifende Arkaden aufgelöst, die als vollkommenes Gitter zur Brücke zwischen den Türmen werden. Die hohen Bogenöffnungen der Türme zeigen bereits den starken Aufwärtsdrang der Gotik. 59

60

Amlens,

Kathedrale, 13. Jahrhundert. Westfassade.

In Amiens haben die Portale so gewaltige Ausmasse angenommen, dass man die ganze Fassade als monumentales Portal ansprechen kann. Keine glatte Wandfläche wird mehr geduldet, alles ist ausgehöhlt und aufgesplittert und in ein vielgliedriges System von Arkaden, Masswerk, Fialen und Baldachinen verwandelt. Die Senkrechte, vielmehr eine starke Aufwärtsbewegung, hat nun die ganze Fassade ergriffen. Amiens und Reims (vgl. Abb. 89) sind die beiden klassischen Beispiele hochgotischer Fassaden. 61 K ö l n , Dom, 1248—1322. Blick in das Chorgewölbe.

Die Dienste steigen an den Triforien und riesigen Glaswänden vorbei ins Gewölbe und treffen sich im Scheitel. Jeder Kreuzungspunkt der Dienste bezeichnet die Mitte eines Raumabschnittes, der den Charakter eines Baldachins hat. 62

Pirna,

Marienkirche, 1466—1546. Spätgotische Hullenkirche.

Mittelschiff und Seitenschiffe sind zur Raumeinheit (Hallenkirche) verschmolzen. Die Pfeiler haben die Gestalt freistehender Säulen. Die Dienste setzen erst am Säulenhals an und überspinnen das Gewölbe als ornamenthaftes Netzwerk. Die Wölbung nähert sich bereits dem runden Bogen; ein Vorzeichen der Renaissance. 66

G O T I K - R E N A I S S A N C E

63 F l o r e n z , Dom, 1296—1421. Domkuppel von Brunelleschi, 1420—1434.

Die Kuppel des Domes von Florenz repräsentiert eine letzte grossartige Schöpfung italienischer Gotik. Sie ist über der achteckigen Vierung des Domes errichtet und besteht aus zwei Schalen, einer inneren Schale und einer Mantelschale, in deren Zwischenraum die Gewölberippen gelegt sind. Äusserlich ist somit nichts vom technischen System zu spüren, das die gotischen Baumeister des Nordens stets sichtbar werden Hessen. Nur der gotische Umriss der Kuppel verrät ihre Herkunft. Der Italiener liebt die feste, plastische und klar begrenzte Form, daher hat er sich zur Gotik ablehnend verhalten oder sie nach seinem Sinn verändert. So verschmilzt er beispielsweise das Strebewerk der kleinen Halbkugel zu richtigen Strebewänden. In der körperhaften Wirkung der Domkuppel offenbart sich dann — noch in zurückhaltender Weise — der neue Geist der Renaissance, die eben von dieser Stadt, Florenz, ihren Ausgang genommen. 64 F l o r e n z , San Lorenzo, Inneres. Begonnen 1421. 65 F l o r e n z , Pazzi-Kapelle, 1429—1451. Beide Bauwerke stammen von Brunelleschi, dem ersten Renaissance-Archi* tekten. (Siehe auch Abb. 67.)

Die vollkommene Überschaubarkeit und klare Gliederung durch gleichwertige Bauelemente gehört zum stärksten Wesenszug der Renaissance. Klassische Säule und Rundbogen sind wieder zu Ehren gekommen. Im [nnenraum (S. Lorenzo), der an die altchristliche Basilika erinnert, aber mit seinen zierlichen Säulen, hohen Kämpfern und schlanken Hoch wänden wesentlich leichter und luftiger wirkt, ist die klare, körperlich spürbare Raumform einer Halle erzielt. Am Aussenbau (Pazzi-Kapelle), wurde die klassische Verbindung von Säule und Balken wieder aufgenommen. Das Gesetz von Stütze und Last kommt so in aller Deutlichkeit zur Geltung. Jedes Bauglied bewahrt i n der Einordnung eine gewisse Freiheit des Daseins. Mit der Kuppel ist der Gedanke einer reinen Renaissancekuppel (Halbkugel) zum erstenmal verwirklicht. (Siehe auch Abb. 66.) 68

R E N A I S S A N C E

66 R o m , Tempietto von San Pietro in Montorio, erbaut von B r a m a n t e . 1500—1502.

Auf einem gestuften Unterbau mit Podium erhebt sich der vollkommen zylindrische Baukörper eines Tempelchens, der von einer halbkugelförmigen Kuppel überwölbt ist. Ihn umhüllt ein Kranz von 16 toskanischen Säulen mit dorischem Triglyphengebälk und krönender Brüstung. In der eigenartigen Verbindung von Baukörper und Mantel entsteht die Wirkung, als ob der Säulenkranz über den Zylinder geschoben worden wäre. Die Gestalt antiker Rundtempel (vgl. Abb. 41) hat die Anregung zu diesem kleinen Rundbau gegeben, den man trotz seines christlichen Charakters (er ist dem Apostel Petrus geweiht, der an dieser Stelle zu Tode gemartert worden sein soll) den heidnischen Namen «Tempietto» = Tempelchen) gab. Als Ganzes genommen, verbindet der B a u die Allseitigkeit des griechischen Tempels, dessen Körperhaftigkeit, mit dem römischorientalischen Baugedanken des zentralen Kuppelbaues. Im einzelnen ist diese Verschmelzung zu einer neuen Form noch mit dem Podium (römisch) auf gestuftem Unterbau (griechisch) gegeben. So entstand ganz aus dem Geiste der Antike und in völliger Abwendung vom mittelalterlichen Richtungsbau ein neu verwandeltes und formvollendetes Bauwerk, das wohl eine der schönsten und edelsten Renaissancebauten darstellt. Um die Vorstellung des Rundbaues vollständig zu machen, hatte Bramante den Plan eines grossen, runden, säulenbestellten Hofes, der den Tempel hätte umgeben sollen. 67

Florenz,

Findelhaus, e r b a u t von

firunelleschi.

1421—1425.

Eine Reihe von neun schlanken Rundbogen über zierlichen Säulen mit Medaillons in den Bogenzwickeln und einem durchlaufenden Gesimsband bilden das Erdgeschoss der Fassade. Darüber steht die glatte Wandfläche des Obergeschosses, dessen Fenster in der einfachsten Weise mit Rahmung und Giebel geschmückt sind. Gleichklang der Glieder und Ebenmass der Proportionen bestimmen die anmutige Würde, die heitere Schönheit dieses ersten Bauwerks der Renaissance. 70

H O C H R E N A I S S A N C E

68 V l c e n z a , Palazzo Chierigati fertiggestellt vor 1566.

(Museo Civico), erbaut von Andrea

Palladio,

Die Bauten der Hochrenaissance haben nicht mehr die schlichte, unbetonte Haltung, die den frühen Renaissancebauten (Abb. 64, 65, 67) eigen war. Ihnen geben ein gewisser Ernst und eine strenge Feierlichkeit das Gepräge. Die naive Freude an antiken Formen wird von dem rein sachlichen Interesse übertönt, und schon meldet sich auch das Verlangen, stärkere Akzente zu setzen, die Gleichwertigkeit der einzelnen Bauglieder aufzuheben oder ihre Wirkung innerhalb der Ordnung zu steigern. In diesem Sinne baute Palladio, der neben Bramante der bedeutendste Architekt der Hochrenaissance war. Im Palazzo Chierigati ist die Vorhalle des Erdgeschosses mit dorischen Säulen bestellt, die ein Triglyphengebälk tragen. Das zweite Geschoss zeigt schlankere ionische Säulen auf hohen Sockeln, die nur in den Seitentrakten des Bauwerkes freistehen, in der Mitte hingegen, wo der eigentliche Baukörper nach vorne genommen ist, als Halbsäulen gebildet sind. Der Mitteltrakt wird also kräftig betont, indem er in beiden Geschossen sogar ein wenig über die Fassadenlinie hervorsteht und die Säulen, zu Paaren gestellt, diesen Angelpunkt am Bauwerk betonen. Figuren und vasenartige Gebilde krönen das flache Dach.

69 F l o r e n z , Medicikapelle, S. Lorenzo, Neue Sakristei, e r b a u t von Michelangelo. 1520—1534. Grabmal rechts und Madonna in der M i t t e links von Michelangelo.

Stark profilierte Bogen und Gesimse, Nischen und gekuppelte Säulen, Dreieck- und Volutengiebel, dies alles, besonders die beiden Fenster in der Ecke des Obergeschosses erwecken die Vorstellung, als wären zwei Wandflächen eines Aussenbaues in den Innenraum übernommen worden. Die Wand im Innenraum ist also nicht mehr einfache Begrenzungsfläche, sondern sie wird gleichsam in verschiedenen Schichten angelegt und bewirkt durch die plastisch hervortretenden Wandglieder, durch das Helldunkel, einen stark bewegten Raumeindruck. 72

R E N A I S S A N C E - B A R O C K

70 R o m , P e t e r s k i r c h e . K u p p e l n a c h d e m P l a n v o n Michelangelo, vollendet 1590. (Kirche v o n M a d e r n a , 1607—1617. P l a t z a n l a g e von Bernini, 1656—1667.)

Die K u p p e l b a u t e n der Renaissance finden ihre K r ö n u n g in der gewaltigen, gleichsam schwebenden K u p p e l der Peterskirche in R o m . Michelangelo h a t den E n t w u r f z u m K u p p e l b a u gegeben, dessen A u s f ü h r u n g er n i c h t m e h r erlebte. W ä h r e n d die einfache, sehr k ö r p e r h a f t e F o r m der D o m k u p p e l v o n Florenz (vgl. Abb. 63) ü b e r achteckigem Grundriss angelegt w a r , w ä h l t e Michelangelo das Sechzehneck, u m d e m Kreis möglichst n a h e z u k o m m e n . Mit den 16 R i p p e n u n d 16 S ä u l e n p a a r e n ist sowohl das Volumen der K u p p e l stärker sinnfällig g e m a c h t wie a u c h eine kräftige Aussengliederung erzielt. N a c h dem ursprünglichen P l a n sollte sie die beherrschende Mitte des B a u w e r k s e i n n e h m e n . D u r c h das L a n g h a u s der b a r o c k e n Kirche, die über d e m Grundriss des lateinischen Kreuzes errichtet wurde, ist die K u p p e l zu s t a r k in den H i n t e r g r u n d geschoben worden, was ihre W i r k u n g beeinträchtigt. Die grosse S ä u l e n o r d n u n g des B a r o c k s t r i t t a n der breiten Fassade in E r s c h e i n u n g . 71

Wien,

K a r l s k i r c h e , e r b a u t v o n Fischer v o n Erlach. 1716—1737.

E i n e sehr deutliche U m f o r m u n g der Peterskirche in vollkommen barockem Sinne (s. oben). Schon die Vielartigkeit der verschiedenen B a u k ö r p e r : K u p p e l , T ü r m e , Säulen, T e m p e l v o r b a u , zeigt dies a n ; vor allem die schlanke K u p p e l , die n i c h t m e h r die in sich ruhende, f a s t schwebende F o r m der R e n a i s s a n c e k u p p e l h a t . I h r Grundriss ist auch n i c h t der Kreis, sondern d a s f ü r den Barock typische Längsoval. Von j e d e r Seite b i e t e t sie d a h e r andere Aspekte, schlank a u f s t r e b e n d v o n vorne, b r e i t r u h e n d v o n den Seiten. D e r bewegte E i n d r u c k des ganzen B a u w e r k s , dessen Schönheit aus der Bewegung erst voll a u f g e n o m m e n werden k a n n , e n t s t e h t aus d e m einzigartigen Z u s a m m e n k l a n g aller Baukörper. Die Mitte der F a s s a d e n beherrschen K u p p e l u n d Tempelv o r b a u , in die E i n b u c h t u n g e n zu beiden Seiten sind riesenhafte Säulen gestellt, deren Vorbild die römische T r i u m p h s ä u l e ist, u n d den Abschluss bilden niedrige Glockentürme. 74

BAROCK

72 R o m ,

Santa

M a r i a della P a c e ,

erbaut vcn Pietro da Cortona,

1655—1657.

Fassade.

F ü r den V o r b a u der Fassade ist die Gestalt eines a n t i k e n R u n d tempels z u m Vorbild g e n o m m e n u n d im b a r o c k e n Sinne angew a n d t (vgl. A b b . 41 u n d 66). D e r gleichmässige S ä u l e n a b s t a n d ist aufgehoben, die K u p p e l u n g von je zwei Säulen schafft stärkere Akzente u n d h e b t die Mitte hervor. D a s Obergeschoss ist leicht geschwungen u n d zeigt ebenfalls die typisch b a r o c k e K u p p e l u n g von Säule u n d Pilaster. D e r G r u n d s a t z der K u p p e l u n g wird auch im Giebel a u f g e n o m m e n in der Verschmelzung zweier Giebelform e n : ein Volutengiebel ist dem grösseren Dreieckgiebel eingesetzt. 73 R o m , S a n t i V i n c e n z o ed A n a s t a s i o , e r b a u t v o n L u n g i n , d. J . 1650. F a s s a d e .

Hier sind sogar drei Säulen zur B e t o n u n g der F a s s a d e n m i t t e in einer A r t z u s a m m e n g e f a s s t , dass die Vorstellung e n t s t e h t , die Säulen seien als verschiebbare Glieder r u c k a r t i g zusammengeschoben und h ä t t e n sich u n t e r der W i r k u n g dieses K r a f t s t o s s e s leicht übereinandergeschichtet. D e r r u n d e Giebel d a r ü b e r ist gesprengt, u n d im oberen Geschoss ist der Vorgang dreifacher K u p pelung wiederholt, indem drei Säulenpaare m i t Giebel ineinandergeschachtelt wurden. 74 R o m , Basilica di S a n G i o v a n n i in L a t e r a n o . F a s s a d e v o n A. Galilei. 1734.

Die kolossale S ä u l e n a n o r d n u n g des Barocks v e r l e i h t d e r Fassade ihre beherrschende Grösse. E i n riesiges P o r t a l in der A r t eines Tempelvorbaues, aber m i t gekuppelten Säulen n i m m t die Mitte ein, gekuppelte Pilaster sind als Abschluss der F a s s a d e gesetzt. Die B e t o n u n g der Mitte geschieht überdies d u r c h die in jedes Geschoss e i n g e f ü g t e n kleinen Säulen m i t B a l k e n ( u n t e n ) und Bogen (oben) sowie d u r c h den sockelartigen A u f b a u ü b e r dem Giebel. Die Aufstellung der Figuren auf der D a c h k r ö n u n g ( A t t i k a ) ist der Säulen- u n d Pilasterstellung e n t s p r e c h e n d angeordnet. W e n n n i c h t diese Heiligenfiguren den religiösen C h a r a k t e r des B a u w e r k s sinnfällig m a c h t e n , würde m a n k a u m h i n t e r der palastartigen Fassade eine Kirche v e r m u t e n . 76

I l'I w I m I H I il I F I IUM



m

74

BAROCK

75 P r a g ,

Palais

Czernin,

auf

dem

Hradschin, Mitteltrakt,

1669—1687.

Die grosse S ä u l e n o r d n u n g des B a r o c k s ; m ä c h t i g e Säulen m i t korinthischen K a p i t e l l e n steigen bis zum D a c h des Gebäudes emp o r ; vier Stockwerke v e r k l a m m e r n sie. Die gewaltige Masse ihre! S c h ä f t e l a s t e t auf Sockeln i m Erdgeschoss, das aus grob beh a u e n e n S t e i n q u a d e r n ( R u s t i c a ) g e f ü g t u n d zur B e t o n u n g der Mitte s t a r k vorgewölbt ist. So e n t s t e h t beinahe die Vorstellung eines felsigen Grundes, auf dem ein r i e s e n h a f t e r T e m p e l r u h t . E s ist ein Lieblingsgedanke des Barocks, das R o h e u n d U n g e f ü g t e (Erdgeschoss) d e m G e f o r m t e n u n d Ausgebildeten (Säulen u n d Wandfläche) gegenüberzusetzen. 76 W ü r z b u r g , R e s i d e n z , 1720—1744. E r b a u t von B a l t h a s a r

Neumann.

I n der b a r o c k e n B a u k u n s t k o m m t d e m T r e p p e n h a u s grosse Bed e u t u n g z u ; kein P a l a s t ist ohne weitläufige T r e p p e n a n l a g e n d e n k b a r . D a s T r e p p e n h a u s h a t die A u f g a b e eines E m p f a n g s r a u m e s v o n ganz eigener A r t . I n b e s t i m m t e n B a h n e n wird der Aufsteigende wie aus einer Schlucht in die befreiende W e i t e einer strahlend grossen Halle geleitet. D a s R a u m e r l e b n i s ist vollkomm e n , sobald die erste T r e p p e erstiegen, die volle Breite des R a u mes u n d die im Deckenbild v o r g e t ä u s c h t e , unermessliche H ö h e des H i m m e l s r a u m e s sich a u f t u n . 77 T u r l o , V e s t i b ü l i m P a l a z z o A s i n a r i d i S a n M a r z a n o , e r b a u t z i r k a 1685 v o n G a r o e s .

Der eigene Sinn des b a r o c k e n Zeitalters f ü r B e w e g t h e i t erfasste auch die klassische Gestalt der Säule u n d v e r ä n d e r t e die straffe A r c h i t e k t o n i k ihres Schaftes zu einer neuen besonderen F o r m : die Säule windet sich, u n d m i t der gewundenen Säule wird die bewegende K r a f t des S t ü t z e n s sehr s t a r k zum A u s d r u c k g e b r a c h t , gleich Schrauben, m i t welchen das Gewölbe gehoben. Aber auch e t w a s P f l a n z e n h a f t e s s t e c k t in diesen Säulengewächsen, ebenso wie die Bildung des Gewölbes f a s t einem Lebewesen, einem Seestern, gleicht. Die ganze A t m o s p h ä r e des R a u m e s b e k o m m t so einen f r e m d a r t i g e n , m a n k ö n n t e f a s t sagen tropischen C h a r a k t e r , der im Barock n i c h t selten anzutreffen ist. 78

BAROCK

78 P r a g . St. Nikolaus auf der Kleinseite. Erbaut von Christoph (und Kilian Ignaz) Dientzenhofer. 1703—1711. Blick aus dem Kuppelraum in das I.anghaus.

Das Streben nach Steigerung aller Bauformen zu überdimensionaler Grösse, nach machtvollem Ausdruck und packender Wirkung leitet die barocken Architekten auch bei der Gestaltung des Innenraumes. Gewiss waren die Bauten des Mittelalters — der gotische Dom — noch gewaltiger, und nicht geringer das Verlangen des Menschen, sich über das Dasein zu erheben und der drängenden Kraft seiner Seele im Bauwerk Ausdruck zu verleihen. Im Barock geschieht dies alles in einer ganz neuen und anderen Weise; denn der Mensch hat den Blick für die grösseren Zusammenhänge der Weltordnung gewonnen, die Geheimnisse der Natur beginnen sich ihm zu erschliessen. Daraus erwächst eine starke, fast überschäumende Daseinskraft und eine selbstherrliche Steigerung des Lebensgefühles; er liebt das Weite, Grenzenlose und Übergrosse. Sogar das religiöse Empfinden wird davon überflutet, so dass Schein und Wirklichkeit, Sinnliches und Übersinnliches sich mengen. Feierliche Repräsentation, Schauspiel, Prunk, Festlichkeit und heitere Sinnenfreude dienen dieser Selbsterhöhung des Menschen wie dem pathetischen Ausdruck seines Glaubens. Palast und Kirche laden gleichsam zu einem Fest der Augenfreude, der R a u m umfängt uns und zieht uns in seinen Bann. Seine Grenzen verschwimmen, aus der gebauten Architektur der schweren, grossen Säulen und Pfeiler, die in den R a u m des Langhauses übereck wie mächtige Kulissen hineinragen, wächst die gemalte Architektur, und in einem riesigen Gewölbebogen öffnet sich dei Himmel — nur zum Schein, nur Vision, aber doch fast mit der Gewalt des wirklichen Himmelsgewölbes. Der Architekturraum ist so ins Unendliche geweitet, und diese Raumflut wird noch bewegter durch die muschelartigen Offnungen der Nischen und Emporen. Es gibt fast keine ruhige Stelle in diesem Raumgebilde. Architektur, Plastik und Malerei sind zu einer grossen Wellenbewegung zusammengefasst, das einzelne gilt nichts, nur als Teil hat es dem Aufbau des Ganzen zu dienen.

80

BAROCK-ROKOKO

79 M e l k un der Donau, Stift, 1702 bis 1735. E i h a u t von J a k o b P r a n d t a u e r .

Im Barock ist mit dem starken Raumempfinden auch ein glücklicher Sinn für Natur und Landschaft erwachsen. Die Architektur wird nun von der sie umgehenden Natur nicht mehr streng gesondert, man strebt vielmehr nach Ausgleich und Verbindung. Das Stift Melk, ein gewaltiger Bau, thront in der Landschaft, es krönt den Fels mit den Türmen und Kuppeln seiner Kirche, aber es hat auch die Weite des Tales und den Wellenzug der Berge in sich aufgenommen. Von der Terrasse vor der Kirche, deren birnenartige Turmhelme weithin sichtbar sind, wird durch eine grosse Bogenöffnung der Blick mit feiner Berechnung in die Landschaft gelenkt, das Flusstal aufwärts. 80 S a l z b u r g , Scbloss Mirabell, erbaut von L u k a s von Hildebrandt, 1721-27. Treppe.

Die barocke Freude an der Bewegtheit der Formen lässt häufig die Frage der Nützlichkeit beiseite. D a s im Wellenrhythmus sich aufschwingende Geländer mit Steinbandwerk und Putten dient nicht als Stütze, es dient allein dem Auge, es steigert das Körpergefühl des Aufsteigenden — Sinnbild wogenden Lebens; der Zweckmässigkeit enthoben, ist es selbst «Bewegung» geworden. 81 W e i n g a r t e n , Klosterkirche. 1715—1723. Plan von K a s p a r Moosbrugger.

Von aussen, vor der Fassade einer barocken Kirche, wird oft schon spürbar, welche K r ä f t e im Innenraum sich entfalten, denn die leibhafte Schwellung des Mittelbaues ist die Resonanz der räumlichen Ausweitung und Durchdringung, die sich im Innern vollzieht. Die Türme wären fast abgelöst, wenn nicht das breite, starke Gesimse sie umgreifen und an die Mitte binden würde. 82 D r e s d e n , Zwinger, 1711—1722. E r b a u t von Daniel Püppelmann.

Die Form dieses schmuckstückhaften Pavillons mit seinen vielen Öffnungen verrät, dass er in einer besonderen Beziehung zum freien R a u m steht. Das Bauwerk ist Teil eines Kranzes von Pavillons und Verbindungsbauten, der einen grossen Gartenplatz, einen «Festsaal im Freien» umschliesst. 82

K L A S S I Z I S M U S

83 M ü n c h e n , Propyläen, 1848—1860. E r b a u t von Leo von Klenze.

Ein klassizistischer Torbau. E r besteht aus zwei kubischen Körpern von vollkommener geometrischer Klarheit, Turmbauten, die durch einen Brückenbalken verbunden sind. Diesem so gebildeten Tor ist eine Tempelfront mit dorischen Säulen vorgesetzt, wobei die Mitte durch den grösseren Säulenzwischenraum betont wird. Waagrechte, Senkrechte und Rechteck bestimmen den strengen Charakter des Bauwerks, dessen Starrheit einzig durch die Säulen, die Giebelschrägen und Reliefs etwas gelockert ist. Nicht mit Unrecht hat man von diesen kristallisch harten Bauschöpfungen des Klassizismus, die häufig mehr errechnet als erfunden zu sein scheinen, gesagt, sie seien recht eigentlich dem soldatischen Geist jenes Zeitalters gemäss, und daher wurde auch die Bezeichnung «Soldatenstil» geprägt. 84 P a r i s , Kirche Ste-Modeleine, 1809—1842. E r b a u t von Vignon.

Im Klassizismus sind die Bauformen der Antike — vor allem der römischen Antike — zum unmittelbaren Vorbild erhoben. D a s Bauwerk der Madeleine ist der Erscheinung des antiken Riesentempels in Baalbeck angenähert worden, dessen Gestalt dem Architekten aus Abbildungen vertraut war. E s erhebt sich auf einem Podest und umfasst 18 korinthische Säulen an den Längsseiten, deren acht an den Breitseiten. Sein Gebälk zeigt die typisch klassizistische Ornamentform der Girlanden. I m Gegensatz zum antiken Tempel, der im Giebelfeld stets vollplastische Figuren trägt, wurde der Giebelschmuck reliefartig gestaltet. Im Innern besteht das Bauwerk aus drei Kuppelräumen über quadratischem Grundriss, die hintereinander angeordnet sind — demnach ist die Tempelform nur Umkleidung eines gänzlich unantiken Innenraumes. Ursprünglich sollte der B a u ein «Monument de la Grande Armée» darstellen, Napoleon selbst hatte anlässlich des Preisausschreibens für das Bauwerk den Entwurf des Architekten Vignon zur Ausführung bezeichnet. Erst später wurde es für kirchliche Zwecke bestimmt. 84

K L A S S I Z I S M U S

85

Weimar,

Schloss, grosser F e s t s a a l . E r b a u t 1802—1804 v o n Heinrich Gentz.

Klarheit und Uberschaubarkeit der räumlichen Anlage sind Grundsätze klassizistischer Baukunst; der Raum ist wieder in feste Grenzen gesetzt, seine wirkliche Abmessung wird weder durch Spiegelwände noch durch Decken- und Wandfresken täuschend ausgeweitet. Der flutende und steigende Raum des Barocks ist von der unbewegten Raumform des Klassizismus abgelöst worden. Kreis und Geviert, einfache geometrische Grundformen haben nun Geltung, das Oval, jene typisch barocke Form, ist ebenso verpönt wie alles Unregelmässige und Unsymmetrische. Hinter jedem Baugedanken steht das grosse Vorbild der Antike, deren Geist man zu begreifen, deren Formen man mit Eifer nachzuahmen sucht. Im Festsaal des Weimarer Schlosses bestimmt der ionische Säulenumgang den Charakter des Raumes. Die Säulen reichen nicht in kolossaler Ordnung bis zur Decke, sondern haben eine dem menschlichen Mass angenäherte Grösse. Die Waagrechte des schweren Gebälkes, das sie tragen, verhindert gleichsam die Höhenausdehnung des Raumes, so dass der obere Raumteil mit seinem flachen Spiegelgewölbe wie schwebend erscheint. Ein Wandfries, Vasen und Nischen mit plastischen Figuren beleben die glatten Wandflächen. 86

Basel,

Christsches Gut. A n f a n g 19. J a h r h u n d e r t .

Die bürgerliche Fassung des klassizistischen Innenraumes hat nicht jene herrische Kühle der fürstlichen Festräume. Trotz der antikischen Wandgestaltung mit Pilastern und girlandengeschmücktem Gebälk ist dem Raum eine behagliche Atmosphäre eigen, die bereits den Geist des bürgerlichen Zeitalters des «Biedermeier» ankündet. Kleine Säulen mit gestelztem Giebel rahmen den Kaminspiegel. Der Figurenfries über den Türen und im Giebel ist aber auch schon Vorbote des industriellen Zeitalters, denn seine figürlichen Einzelteile sind fabrikmässig hergestellte Dekorationen aus Gussmasse, die aus einer Fabrik in Strassburg bezogen wurden und in beliebiger Reihung an die Wand geklebt werden konnten. 86

ROM 87 R o m , T r i u m p h b o g e n des K o n s t a n t i n d. Gr., n a c h 312 n. Chr.

Die römischen Triumphbogen sind Ehrenbogen, die in monumentaler Weise den römischen Willen zur Organisierung und Zusammenfassung zum Ausdruck bringen und die Macht der römischen Kaiser versinnbildlichen. Die übliche Gestalt dieser Triumphpforten ist mit der dreifachen Bogenstellung gegeben, indem die Hauptpforte von zwei im Ausmass kleineren Bogen flankiert wird. Die vorgesetzten Säulen mit korinthischen Kapitellen erheben sich auf hohen Sockeln und sind in das Gesimsband des Bauwerks einbezogen (Verkröpfung; siehe auch Abb. auf Seite 5). Den oberen Abschluss bilden abermals Sockel mit plastischen Figuren.

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R O M A N I K 88 S t - G l l l e s (Card) Kirche, Westfassade. 12. J a h r h u n d e r t .

Die Portalform der römischen Triumphbogen mit dem grossen Mitteltor und zwei kleineren Seitenportalen wird vom christlichen Kirchenbau übernommen. Sinn und Aufgabe sind nun anderer Art. In Born war der Triumphbogen das grosse Wegzeichen des Sieges, Sinnbild weltlicher Macht, jetzt ist er zur Pforte in das Gotteshaus geworden, ein Triumphbogen göttlicher Macht. Verändert ist auch die Anlage des Bogens selbst; er ist nach der Tiefe stufenförmig verengt, also trichterartig gebildet. Der kleinste der gestuften Bogen umschliesst mit der Waagrechten des Türsturzes das Bogenfeld (Tympanon). (Vgl. die einfachste Art der romanischen Portalbildung aus drei Bogen in Abb. 45.)

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GOTIK 89 R e i r a s , Kathedrale Notre-Damc, Westfassade. 13. Jahrhundert.

Die Portalform der gotischen Kathedralen. Der Spitzbogen ist an Stelle des Rundbogens getreten. Die Dreiheit der Portale entspricht der Gliederung des Kirchenraumes in Mittelschiff und Seitenschiffe. Alle drei Portale sind so eng miteinander verbunden, dass zwischen ihnen keine Wand mehr, sondern nur ein Grat steht. Die in die Tiefe gestuften Portalwände sind mit Figuren geschmückt. Die Bogenfelder, die meistens ebenfalls plastischen Schmuck zeigen, sind hier aus Glasfenstern gebildet (Mitte: Rad, Seiten: Vierpässe). Das Aufstrebende des gotischen Bogens wird durch die steilen Ziergiebelaufsätze (Wimperge) gesteigert. (Vgl. auch Abb. 59 u. 60; Bogen- und Masswerkformen der Gotik s. Abb. 26a.) Die dreifache Gliederung des Portals ist zu allen Zeiten mit Vorliebe angewandt worden. In den folgenden Abbildungen werden an Beispielen einfacher Portalformen die stilistischen Veränderungen von der Spätgotik bis zum Klassizismus veranschaulicht. 90

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G O T I K 90 Gotischcs F o r t a l . E n d e 15. J a h r h u n d e r t . ( S . A b b . 2 6 a . )

In der Spätzeit der Gotik verliert der gotische Bogen zusehends seine straffe, aufwärtsgerichtete Gestalt. Er wird breiter und gedrückt. Der sogenannte Kiel- oder Eselsrückenbogen, der sich an diesem Portal über der eigentlichen Türöffnung — noch als Ornament — zeigt, ist ein Kennzeichen später gotischer Architektur. Die Weiterführung der Rippen über den Bogenscheitel des Tores und ihre Neigung zur Waagrechten sowie die rechteckige Rahmung des Portals künden die Grundformen der Renaissance an. 91

Gotische» P o r t a l . E n d e 15. J a h r h u n d e r t . ( S . A b b . 2 6 a . )

Der gotische Bogen (Eselsrücken) hat an Breite zugenommen und seine Höhenrichtung beinahe ganz verloren; er nähert sich bereits stark der runden Form des Renaissancebogens. Die in Rippen gestufte Form des Portals, Krabbenschmuck und Kreuzblume betonen jedoch mit den plastischen Figuren an den Portalwänden die noch gotische Anlage. 91

r ^ n S

R E N A I S S A N C E 92 R e n a i s s a o c e p o r t a l . 1. H ä l f t e 16 J a h r h u n d e r t .

Der Renaissancebogen v e r b i n d e t — ähnlich dem römischen T r i u m p h b o g e n (vgl. A b b . 87) — die r u n d e B o g e n ö f f n u n g des eigentlichen Tores m i t Säule u n d Gebälk, die als P o r t a l r a h m u n g a u f t r e t e n . I m Obergeschoss ist die Fensterreihe aus R u n d b o g e n u n d Säulen gebildet (vgl. Abb. 67).

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Renaissanceportal. E n d e 16. J a h r h u n d e r t .

Die klassische Gestalt des Renaissanceportals. P o r t a l ö f f n u n g u n d vorgesetzte T e m p e l f r o n t aus säulen m i t Gebälk u n d Giebel. Medaillons in d e n D a s kleine P o r t a l d a n e b e n zeigt die einfachste naissancetüre; rechteckige Öffnung, g e k r ö n t v o n giebel, der auf v o l u t e n a r t i g e n Konsolen a u f r u h t . 92

R u n d b o g e n als ionischen VollBogenzwickeln. F o r m der Reeinem Dreieck-

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BAROCK 94

Frühbarockee Portal. Anfang 17. Jahrhunderl.

Der Barock verändert in fast gewaltsamer Weise die Architekturformen der Renaissance. Bei diesem Portal ist der Giebel gesprengt, in zwei Teile auseinandergerissen, um einem Wappen Raum zu geben, auf welchem nun der weggesprengte Giebelrest dachförmig aufsitzt.

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Frühbarockes Portal. 1. Hälfte 17. Jahrhundert.

Die Grundanlage des Renaissanceportals mit Rundbogenöflnung, flankierenden Säulen und Giebel besteht noch, aber der Giebel ist nun in der Mitte vollkommen gesprengt, die Giebellinien zudem gebrochen und gegen die Wandfläche zurückgeschoben. Die Mitte des derart veränderten Giebelfeldes nimmt ein riesiges Wappen ein; auf den Giebelschrägen lagern allegorische Figuren (vgl. Grabmal, Abb. 69). 93

BAROCK 96

96

Barockes Portal. 18. Jahrhundert.

Die Säulen sind übereck gestellt, ein zweites Paar in Form von Pilastern ist ihnen beigefügt. Die Waagrechte des Giebels ist verschwunden, die Giebelschrägen haben die bewegte Gestalt geschwungener und mehrfach gebrochener Linien angenommen. Das Giebelfeld, die ganze mittlere Fläche des Portals ist in die Wand zurückgenommen, wodurch die eigenartige, typisch barocke Form des konvexen Portals entsteht. 97

Barockes Portal. 18. Jahrhundert.

Vom Giebel sind nur mehr Eckansätze vorhanden, allerdings gewaltige, eher plastische als architektonische Gebilde, die auf übereckgestellten Pilastern aufsitzen und sich wie grosse Schlünde auftun. Würde man sich das Giebelfeld vollständig denken, so müsste es balkonartig vorspringen. Uber dem Portal, dessen Türsturz in gebrochenen Linien profiliert ist, sitzt ein Fenster von ovaler, also typisch barocker Form. 94

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K L A S S I Z I S M U S 98

Barockes Portal. 18. Jahrhundert.

Plastische Figuren und das Wappen über dem Fenster bezeichnen die Eckpunkte einer Dreieckkomposition, die an Stelle des gänzlich verschwundenen Giebels getreten ist. Die konvexe Anlage des Portals wird durch die übereckgestellten Säulen und die gekehlte Gesimslinie gebildet. Diese vom Fenster unterbrochene Iiinie lässt sich als Restbestand der waagrechten Giebellinie erkennen. Das Fenster des ersten Stockwerkes ist in das Portal einbezogen und stützt sich direkt auf den Bogen des Türsturzes. 99

Klassizistisches Portal. Anfang 19. Jahrhundert.

Der Klassizismus bringt wieder die schlichte und klare Form der Tempelfront zu Ehren; die ionischen Säulen erheben sich nicht mehr auf hohen Sockeln (vgl. Renaissanceportal, Abb. 92 u. 93) Der Rundbogen der eigentlichen Türöffnung ist in seiner Erscheinung möglichst neutral gehalten, damit der Vorbau mit Säule und Giebel desto stärker zur Wirkung kommt. 95

Register der Fadiausdriidte Die gewöhnlichen Zahlen (12) bzeichnen Seiten, die kursiven (40) Akanthus 12 Akroterion Titelblatt, Apsis 19 Aquädukt 15, 40 Architrav 10, 5 Archivolte 19 Arkade 15, 40 Atrium 19 Attika 74

8a

Basilika 18, 20, 12, 13, 42, 43 Baptisterium 20 Blendbogen 44, 45 Blendbogenfries 45 Bogenformen, gotische 26a Bündelpfeiler 28, 23, 54, 55 Cella 4 , 6 Dienste 24, 28, 17, 20, 49, 61 Dreipass 26a Emporen 44 Eselsrücken 26a Fassade 14, 16, 34 Fiale 26, 57 Fischblasenfenster 26a Flamboyant 26a Geison 5 Gewölbe römisch 11 romanisch 23 ff, 15, 17, 19, 44, 49, 50 gotisch 26 ff, 20, 21, 25, 51, 53, 61, 62 Gewölberippen romanisch 18 gotisch 23 siebe auch Dienste Gurtbogen 17 Hallenkirche 30, 56, 62 Kämpfer 20, 43, 64 Kapitell 6, 5 dorisch 9, 5, 8a, 33, 34 ionisch 11, 6, 36 korinthisch 12, 7, 8, 37 römisch 10 romanisch 23, 19, 46 gotisch 29, 22 Renaissance 27, 64—67 Barock 31, 77 Karyatide 35 Kannelierung 9, 5, 33 34, 3 ' Katakomben 18

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Abbildungen.

Kathedrale 19 Kielbogen 26a K r a b b e 26, 91 Kreuzblume 26, 91 Krypta 19, 19 Kuppelbauten 17, 33, IIa, 63, 65, 66, 70, 71

31c

Lichtgaden 19, 46 Lisene 45 Masswerk 26a Metope 10, 5 Naos 6, 8, 19, 4 Netzgewölbe 25, 30, 62 Peripteros 8, 4 Peristyl 8 Pfeiler 17 Pilaster 96, 97 Prostylos 8, 35 Pseudoperipteros 8, 41 Rocaille 39 Rustica 34, 30, 75 Säule, siehe Kapitellformen Schildbogen 17 Sima 5 Strebebogen 26, 20, 58 Strebepfeiler 26, 20, 58 Strebewerk 26, 20, 57, 58 Tempelformen griechisch 8, 1—Í, 8a, 33—37 römisch 14, 15, 38, 39, 41 Tempelvorbau 38, 71, 83 Thermen 17, 11 Tonnenwölbung 44 Triforien 52—55 Triglyphe 10, 5 Triumphbogen römisch 87 christlich 19 Tudorbogen 26a Tympanon 10, 8a Verkröpfung 15, 87 Vierung 22, 53 Vierungsturm 14, 19a, 47 Volute 11, Titelblatt Volutengiebel 17, 37, 72, 73 Westwerk 24, 45, 47 Würfelkapitell 23, 19