Baubetrieb im Mittelalter [2 ed.] 3534268423, 9783534268429

Wie war die Arbeitszeit eines Zimmermanns? Was verdiente ein Steinmetz? Woher wurde das Baumaterial beschafft? Wie viele

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Baubetrieb im Mittelalter
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
1. Wiederaufbau der Kathedrale von Canterbury 1174-1185
2. Klosterbau von Wittewierum 1238
3. Bauherr
A. ORGANISATION
1. Kirchliche Baulast und „fabrica ecclesiae" („Kirchenfabrik ")
2. Verwaltung der „Jabrica ecclesiae"
3. Fabrikverwalter
magisterium
Bestellung
Idoneität
Amtszeit
Zahl
Eid
Aufgabenbereich
Schreiber
Kontrolle
Besoldung
4. Straßburger Frauenwerk
5. Königliche Bauorganisation in England im 13. Jh.
6. Königliche Bauorganisation in Unteritalien im 13. Jh.
7. Städtisches Bauamt
8. Städtische Bauordnungen
9. Hütte und Zunft
10. Steinmetzenbruderschaft (Regensburg 1459)
11. Hütten- Gebäude
12. Rechnungsbücher
13. Arbeitszeit und Lohn
a) Arbeitszeit und Festtage
b) Tagelohn
c) Stücklohn (Werkvertrag, Akkord)
d) Vergabeverfahren
B. PLANUNG
1. Architekturzeichnung - Werkzeichnung
2. Grundriß- und Ansichtszeichnungen
3. Vorbildhafte Gestalt: exemplar, forma, scema
4. Planung: dispositio, descriptio, ordinatio, designatio
5. Modelle
6. Fehlende Baupläne vor dem 13. Jh.
7. Ritzzeichnungen
8. Risse
9. Musterbücher
10. Reißboden und Reißbrett
11. Schablonen
C . AUSFÜHRUNG
1. Werkmeister und Parlier
1. Hälfte des 14. Jhs.
Peter Parler
2. Hälfte des 14. Jhs.
Ulrich von Ensingen und seiner Familie
Erwin von Steinbach
Hanns von Burghausen
15. Jh.
Amold von Westfalen
Entlohnung
Gutachten
Mailand
Parlier
2. Arbeitskräfte
a) Handwerkerzahlen und Wanderungen
b) Maurer, Steinmetz, Bildhauer
c) Steinbrecher
d) Mörtelmacher (Mörtelrührer)
e) Putzer und Tüncher
f) Zimmermann
g) Brettschneider/Säger
h) Dachdecker
i) Hilfsarbeiter/Tagelöhner und Hüttenknecht
3. Vermessung
4. Materialbeschaffung und Transport zur Baustelle
5. Transport auf der Baustelle
a) Leiter und Laufschräge
b) Tragbahre, Mulde, Vogel und Schulterkorb
c) Schubkarre und Wagen
d) Aufzug und Kran Windwerk 403 - Wolf 422 - Zange 422
6. Baugerüste
BILDNACHWEIS
LITERATUR
ANMERKUNGEN
VERZEICHNIS DER ABGEBILDETEN BI-NUMMERN
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Baubetrieb im Mittelalter [2 ed.]
 3534268423, 9783534268429

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Günther Binding

Baubetrieb •

llll

Mittelalter

2. Auflage

Baubetrieb im Mittelalter

Günther Binding

Baubetrieb im Mittelalter In Zusammenarbeit mit Gabriele Annas, Bettina Jost und Anne Schunicht 2.Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutsche n Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen se ine n Teile n urhe berrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in

und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., unveränderte Auflage 2013 © 1993 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermög licht. Einbandgestaltung: Pe te r Lohse, Heppe nhe im Printed in Germany Besuchen Sie uns im Inte rnet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25616-7 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73384-2

INHALT

Vorwort

VII

Einleitung 1. Wiederaufbau der Kathedrale von Canterbury 1174-1185 . 2. Klosterbau von Wittewierum um 1238 3. Bauherr

1 10 15

A. ORGANISATION 1. Kirchliche Baulast und „fabrica ecclesiae" (,,Kirchenfabrik")

31

Finanzierung 42

2. Verwaltung der „fabrica ecclesiae" . 3. Fabrikverwalter .

44 51

magisterium 58 - Bestellung 60 - Idoneität 61-Amtszeit 61- Zahl 62 - Eid 64 -Aufgabenbereich 64- Schreiber 68- Kontrolle 69- Besoldung 70

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Straßburger Frauenwerk . Königliche Bauorganisation in England im 13. Jh. . Königliche Bauorganisation in Unteritalien im 13. Jh. Städtisches Bauamt . Städtische Bauordnungen . Hütte und Zunft Steinmetzenbruderschaft (Regensburg 1459) Hütten-Gebäude Rechnungsbücher Arbeitszeit und Lohn a) Arbeitszeit und Festtage b) Tagelohn . c) Stücklohn (Werkvertrag, Akkord) d) Vergabeverfahren

71 75 80 86 93 101 107 121 130 137 137 143 151 167

V

B. PLANUNG 1. Architekturzeichnung - Werkzeichnung 2. Grundriß- und Ansichtszeichnungen . 3. Vorbildhafte Gestalt: exemplar, forma, scema 4. Planung: dispositio, descriptio, ordinatio, designatio 5. Modelle 6. Fehlende Baupläne vor dem 13. Jh. 7. Ritzzeichnungen . 8. Risse 9. Musterbücher 10. Reißboden und Reißbrett . 11. Schablonen

171 173 179 186 188 191 192 198 207 226 229

C. AUSFÜHRUNG

1. Werkmeister und Parlier

236

Erwin von Steinbach 241 -1. Hälfte 14. Jh. 242- Peter Parler 2422. Hälfte 14. Jh. 246 - Ulrich von Ensingen 248 - Hanns von Burghausen 253 - 15. Jh. 254 -Arnold von Westfalen 257 - Entlohnung 258 - Gutachten 260 - Mailand 261 - Parlier 266

2. Arbeitskräfte . a) Handwerkerzahlen und Wanderungen. b) Maurer, Steinmetz, Bildhauer c) Steinbrecher . d) Mörtelmacher (Mörtelrührer) e) Putzer und Tüncher. f) Zimmermann . g) Brettschneider/Säger h) Dachdecker . i) Hilfsarbeiter/Tagelöhner und Hüttenknecht . 3. Vermessung . 4. Materialbeschaffung und Transport zur Baustelle 5. Transport auf der Baustelle . a) Leiter und Laufschräge b) Tragbahre, Mulde, Vogel und Schulterkorb c) Schubkarre und Wagen d) Aufzug und Kran

268 269 285 312 313 316 317 330 332 334 339 355 370 370 377 386 393

Windwerk 403 - Wolf 422- Zange 422

6. Baugerüste Bildnachweis . Literatur Anmerkungen Verzeichnis der abgebildeten Bi-Nummern VI

427 446 447 453 531

VORWORT

Es ist die Absicht dieses Buches, für den mittelalterlichen Baubetrieb in West- und Mitteleuropa mit Ausblicken nach England und Italien einen zusammenfassenden Überblick bis in die 1460er Jahre zu bieten, bei dem der aktuelle Forschungsstand kritisch geprüft referiert wird. Auch heute noch gilt die Feststellung von Luc Mojon (1967, S. 30): ,,Obgleich in jüngster Zeit entscheidende Fragen neu gestellt und teilweise geklärt worden sind, ist unsere Vorstellung von dem ,Werk' der Gotik, von der engeren Wirkungsstätte der Meister und vom Werdegang der Architektur immer noch lückenhaft. Auch in bezug auf die Begriffe des Mittelalters, nicht zuletzt den der ,Bauhütte', ist man weiterhin auf eingehendes Quellenstudium angewiesen." Der Baubetrieb des Mittelalters, der um 1220 einen großen technischen Wandel erfahren hat, ging in der 2. Hälfte des 15. Jhs. zu frühneuzeitlichen Gepflogenheiten über. Ein gut organisiertes Bauwesen gestattete dem leitenden Werkmeister eine große Beweglichkeit. Der allgemeine Einsatz von Zeichnungen, die generelle Verwendung von Schablonen und die Rationalisierung im Steinversatz sowie der Einsatz von Maschinen führte seit der 1. Hälfte des 13. Jhs. zu perfekter Planung und Ausführung, die es nun auch gestatteten, Aufträge im Wettbewerb an den Niedrigstbietenden zu vergeben. Spätestens um 1300 hatte der Baubetrieb - technisch wie organisatorisch - international den höchsten Standard erreicht, der anschließend nur noch wenig verbessert worden ist. Die gesellschaftliche Stellung des leitenden Werkmeisters und sein z. T. großes Vermögen einschließlich Grundbesitz gaben ihm e in hohes Ansehen. Der Wechsel vom leitenden Handwerker zum eigenständigen Künstler der Renaissance vollzog sich in der· 2. Hälfte des 15. Jhs. So soll unsere Untersuchung nur bis in die 1460er Jahre hineinreichen, bis zu der Bildung einer einheitlichen Steinmetzenbruderschaft unter der Führung der Straßburger Hütte 1459 auf dem Steinmetzentag zu Regensburg beschlossen und auf der Torgauer Steinmetzentagung 1462 in der sog. Rochlitzer Hüttenordnung ergänzt; mit seinem Schutzbrief von 1464 schuf Kurfürst Friedrich II. ein zentralgeleitetes Landesbauwesen für Obersachsen, an dessen Spitze er 1471 den Leipziger VII

Steinmetz Arnold von Westfalen als obersten Werkmeister berief. Neben den Hüttenordnungen entstanden auch erste Lehrbücher: Matthäus Roriczer: Das Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit (Regensburg 1486) und die Geometria Deutsch sowie Hans Schmuttermayers Fialenbüchlein (etwa 1485/90). Es ist notwendig, die zeitliche Zugehörigkeit der Quellen deutlich zu scheiden, damit nicht Vorstellungen entstehen, wie sie die verdienstvollen Bücher von F. Salzman 1952, P. Booz 1956 und Du Colombier 1973 suggerieren, die ihre Aussagen zum gotischen Baumeister kaum nach der Quellenlage und ihren Zeitstufen differenziert haben. So hat auch K. J. Philipp 1989 für die Niederlande das 14. Jh. mit dem 15. Jh. und der 1. Hälfte des 16. Jhs. als Einheit aufgefaßt, während B. Schock-Werner mit ihren Darstellungen sich weitgehend auf das spätere 14. und die ersten zwei Drittel des 15. Jhs. beschränkt und damit zu einem für diese Zeit zutreffenden Bild kommt, womit sie den bisher besten Überblick bietet (Die Parler 1978). Für den frühgotischen Baubetrieb hat G. Binding 1986 einen entsprechenden Versuch vorgelegt; für den Verwaltungsbereich ist W. Schöllers Dissertation von 1989 eine reiche Fundgrube. Häufig wird auch übersehen, daß der Unterschied zwischen Holz-, Naturstein- und Backsteinbau und der Wechsel vom karolingisch-ottonischen Mauermassenbau zum salisch-staufischen Quaderbau sowie zum hochgotischen Steinmetzgliederbau, zum Backsteinbau und zum spätgotischen Mauerwerksbau einen veränderten Baubetrieb bedingt. So müssen immer wieder die Zeitstellungen der einzelnen Quellen beachtet und die Ergebnisse für die einzelnen Zeitstufen deutlich getrennt vorgetragen werden. Schließlich sind die Bezeichnungen in den Quellen sehr genau zu unterscheiden bzw. in ihrer Bedeutung zu klären. ,,Die Hauptschwierigkeiten dabei erwachsen aus dem Umstand, daß die verfügbaren und geläufigen forschungstechnischen Begriffe durchweg auch Quellentermini sind, die a) in den Quellen weiter oder enger gefaßt sein können bzw. etwas ganz anderes bedeuten, b) synonym gebraucht werden mit anderen Quellentermini, die wiederum - als Forschungsbegriffe verwendet - eine mehr oder weniger abweichende Bedeutung haben oder haben können. Und über alles legt sich noch der erkenntnishemmende Schleier der Übersetzungsproblematik. Von den zahlreichen Quellentermini ... besitzt jeder ein mehr oder weniger _breites Bedeutungsspektrum zum Allgemeinen wie zum Besonderen hin." Diese von Franz Irsigler mit Bezug auf die Gilde- und Zunftterminologie 1985 formulierten Schwierigkeiten betreffen auch den ganzen Bereich des mittelalterlichen Baubetriebes, komplizierter darüber hinaus noch deshalb, weil moderne Vorstellungen durch einseitige oder verengte Übersetzungen mittelalterliche Verhältnisse verfälschen oder durch moderne Bezeichnungen Fehlinterpretationen hervorrufen. Mit kritischem Gespür ist 0. Kletzl 1935 dem Problem der zeitgenössiVIII

sehen Benennung gotischer Baumeister nachgegangen mit dem Ergebnis, daß ohne Kontext nicht zwischen einem Bauverwalter und einem Baumeister/Werkmeister zu unterscheiden ist. Die gleichen Bezeichnungen können zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Gegenden den einen oder den anderen am Baugeschehen Beteiligten meinen bis hin zum Baumeister (paumeister, bawmeister, buwmeister), der in Schwaben, Bayern, am Niederrhein, am Mittelrhein usw. während des 15. Jhs. Baupfleger, Mitglied einer Baukommission oder ganz allgemein Wirtschaftsverwalter sein kann. Schließlich muß die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß zumindest bei kleinen Bauhütten beide Ämter in einer Hand vereinigt waren. Eine genauere Quellenanalyse hat viele liebgewordene und für verbindlich gehaltene Vorstellungen erschüttert und das allgemeine Bild vom mittelalterlichen Baubetrieb stark verändert. Bei der angedeuteten schwierigen Quellenlage ist es nicht verwunderlich, wenn bei unzulänglicher Berücksichtigung und mangelndem Überblick recht oberflächliche und fehlerhafte Darstellungen veröffentlicht und wegen ihrer vermeintlichen Klarheit häufig und gerne benutzt werden. Der Leser wird deshalb viele Bücher vermissen; sie wurden durchgesehen, aber nur dann zitiert, wenn sie eigenständige und nachprüfbare Angaben enthalten und nicht nur mehr oder weniger zuverlässig andere Quellen zusammenstellen und häufig einseitig oder falsch auswerten , wie auch jüngst das von Dieter Hägermann verfaßte Kapitel „Bau und Bautechnik" im 1 Band der Propyläen Technikgeschichte, Berlin 1991, das allzu viele Ungenauigkeiten enthält, die u. a. dadurch bedingt sind, daß die Literatur nur unzureichend berücksichtigt worden ist. Das hier vorgelegte Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit, an der sich Studenten der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln intensiv und engagiert beteiligt haben; vorrangig und verantwortlich beschäftigt haben sich Gabriele Annas mit den Kapiteln A.1 und A. 2 und teilweiseA. 3, Bettina Jost mit A. 5 und A. 6 und teilweise C. 1, Anne Schunicht mit C. 5; von Jochen Schröder stammen eine Anzahl von Übersetzungen, von Angelika Steinmetz, Ute Mechmann u. a die Umzeichnungen. Gabriele Annas, Claudia Euskirchen, Guido Hinterkeuser, Bettina J ost, Elisabeth Kötteritzsch, Stephanie Lieb, Ursula Lövenich, Annette Roggatz und Dorothee Witting haben Literatur beschafft, Beiträge geleistet, die Texte kritisch gelesen, stilistisch überarbeitet und in Übereinstimmung gebracht, die Anmerkungen durchgesehen, den Text eingegeben und Korrektur gelesen; Dr. Petra Leser hat das Gesamtmanuskript abschließend kritisch durchgelesen. Ihnen verdanke ich eine kollegiale , äußerst kritische und zugleich konstruktive Mitarbeit, ohne die das umfangreiche Material, die verstreute Literatur und die vielgestaltige Fragestellung nicht hätten bewältigt werden können, dabei waren die in über 20 Jahren aufgebaute Bibliothek der Abt. Architekturgeschichte und die verständnisvolle und unbürokratische Unterstützung durch die Universitätsbibliothek IX

besonders hilfreich. Herr Dr. Wolfgang Schöller hatte freundlicherweise zwischenzeitlich die Kapitel A .1-3 kritisch durchgelesen, bei deren Abfassung seine Dissertation intensiv genutzt werden konnte. Museen, Archive und Bibliotheken in aller Welt haben uns bereitwillig Abbildungen als Vorlagen zur Verfügung gestellt und auf Honorare verzichtet. Der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt und hier vor allem Herrn Dr. Reinhard Hootz danke ich für die Bereitschaft, den von mir vorgeschlagenen Titel in das Verlagsprogramm aufzunehmen. Frau Dorothee Feigel hat dann im März 1992 das Manuskript angenommen, ohne sich von dem Umfang abschrecken zu lassen, und die Produktion verständnisvoll begleitet, wofür ich ihr sehr herzlich danke. Wir haben uns von der Forderung Martin Luthers in einer seiner Tischreden (Nr. 5240) leiten lassen, auf die „verbositas" und „maiestas", die Worturnschweifigkeit und die Glorie des hohen Stils, zu verzichten und statt dessen „proprie" (sachgemäß) zu reden und mit „significantia verba": das richtige Wort zur richtigen Zeit für die zu bezeichnende Sache. Nach Hugo von St. Viktor (gest. 1141) ,,ist die ars als das zu bezeichnen, was in der untergeordneten Materie erfolgt und sich durch eine Werktätigkeit (per operationem) entfaltet , wie die architectura". Das Thema unseres Buches ist die Organisation der „operatio", die zu den beeindruckenden romanischen und gotischen Bauwerken nördlich der Alpen geführt hat. Köln, im März 1992

Günther Binding

Ein unveränderter Nachdruck nach 20 Jahren ist gerechtfertigt, wenn auch inzwischen weitere Veröffentlichungen zum mittelalterlichen Baubetrieb vorgelegt wurden, die auf Seite 451 f. verzeichnet sind. Köln, im März 2012

X

Günther Binding

EINLEITUNG Als Einleitung sollen zwei Beschreibungen des Baubetriebes in Canterbury/England für die Jahre 1174-1179 und in Wittewierum/Holland im Jahre 1238 in Übersetzungen geboten und durch sechs mittelalterliche Abbildun- 1-6 gen des Baubetriebes exemplarisch veranschaulicht werden. 7-17

1. Wiederaufbau der Kathedrale von Canterbury 1174-1185

Eine im Verhältnis zu anderen mittelalterlichen Berichten besonders ausführliche Beschreibung des Baubetriebes hat Gervasius, seit 1163 Mönch in Christ Church, der Kathedrale von Canterbury, und 1193-1197 deren Sakristan, in seinem 1185 verfaßten „Tractatus de combustione et reparatione Cantuariensis ecclesiae" gegeben. 1 Er beginnt mit dem Bericht über den Brand am 5. Sept. 1174 und die ersten Beratungen über den Wiederaufbau (S. 3-7); es folgt eine Beschreibung dessen, was bei dem Brand verlorenging (S. 7-19), wobei Gervasius für die Frühzeit den Text von Eadmer (S. 7-9), dem Biographen des Hl. AnseIm, übernimmt, der als Augenzeuge die 1067 abgebrannte Kirche beschrieben hat. Anschließend gibt Gervasius eine Beschreibung des „opus Lanfranci" (S. 9-12), das Bischof Lanfranc 1070, im Jahre seines Amtsantritts, begonnen hatte, das aber z. Zt. der Weihe 1077 wohl noch nicht fertiggestellt war, und geht dann besonders ausführlich auf den Conrad-Chor (S. 12-19) mit Exkurs zum Hl. Thomas Becket ein. Die Ostteile waren ab 1096 unter ErzbischofAnselm (1093-1109) und den Prioren Emulph (10961107) und Conrad (1108-1126) um eine Krypta, einen Chor mit Umgang und drei Kapellen und um ein östliches Querhaus erweitert worden (Weihe 1130). Dieser Bau brannte 1174 ab. Im letzten Drittel des Traktates findet sich eine Schilderung der 1185 abgeschlossenen Neubauarbeiten (S. 19-29), wobei die in der Literatur immer wieder abgedruckte eigentliche Beschreibung der Bauabfolge nur einen vergleichsweise kleinen Raum einnimmt (S. 19-22), während die Berichte über die Umbettung der Reliquien der Hll. Dunstan und Alphegius, der Wiedereinzug der Mönche in den neuen

1

Chor zu Ostern 1180, das Aufbrechen des Dreifaltigkeitsaltars, die Öffnung erzbischöflicher Gräber und die Vorbereitung der Translatio der ThomasReliquien (S. 24-27) größere Bedeutung haben. Ein interessanter Vergleich zwischen romanischem und gotischem Chor und die Beschreibung der 1180-1182 durchgeführten Baumaßnahmen sowie die kurze Erwähnung der Wahl und Inthronisation Balduins zum neuen Erzbischof am 19. Mai 1185 bilden den Abschluß des Traktates (S. 27-29). Der Bericht über den Verlauf der Bauarbeiten soll hier wiedergegeben werden. „Inzwischen suchten die Brüder Rat, wie und nach welcher Maßgabe der Vernunft (quornodo vel qua ratione) die niedergebrannte Kirche wiederhergestellt werden könne, aber sie fanden ihn nicht. Denn die Säulen der Kirche, die gewöhnlich Pfeiler genannt werden (colurnpnae ecclesiae, quae vulgo pilarii dicuntur), fielen in (ihrer) allzu großen Schwächung durch das Wüten des Feuers stückweise herunter und konnten kaum standhalten, und entzogen ( damit) allen, auch den sehr Klugen, den richtigen und nützlichen Rat. So wurden Baumeister (artifices) aus Frankreich und England zusammengerufen, aber selbst die stimmten nicht überein beim Ratgeben. Denn die einen versprachen, die vorgenannten Säulen (colurnpnas) ohne Schaden für das (Mauer-)Werk darüber (operis superioris) wiederherzustellen, aber ihren Überlegungen widersprachen andere, die sagten, daß die ganze Kirche abgerissen werden müsse, wenn denn die Mönche sicher leben wollten. Dieses Wort, wenn es sich auch als wahr erwies, quälte sie dennoch mit Schmerz, kein Wunder, denn die Mönche konnten nicht hoffen, daß ein so großes Werk ( opus tarn rnagnurn) zu ihren Zeiten durch irgendeine menschliche Erfindungsgabe (aliquo humano ingenio) vollendet werden könne. Es kam aber unter den anderen Baumeistern einer aus Sens, Wilhelm mit Namen, ein ausgesprochen tüchtiger Mann, in Holz und Stein ein ganz besonders Kunstfertiger (vir adrnodurn strenuus, in ligno et lapide artifex subtilissirnus). Diesen nahmen sie, indem sie die anderen fortschickten, wegen der Lebhaftigkeit der Erfindungsgabe (proptervivacitatern ingenii) und wegen des guten Rufes in das Werk auf (in opus susceperunt). Ihm und der göttlichen Vorsehung wurde anvertraut, das Werk zu vollenden. Er lebte viele Tage mit den Mönchen und untersuchte sorgfältig das Obere und Untere, das Innere und das Äußere der verbrannten Mauer; er verschwieg aber eine Zeitlang, was zu tun sei, um nicht die kleinmütig Gewordenen (noch) schärfer zu verletzen. Doch er zögerte nicht, was für das Werk nötig war, selbst oder durch andere vorzubereiten. Als er sah, daß die Mönche ein bißchen getröstet waren, gestand er, daß die durch das Feuer beschädigten Pfeiler (pilarios igne laesos) und alles, was darüberlag, eingerissen werden müßten, wenn die Mönche ein sicheres und unvergleichliches Werk (opus tutum et incornparabile) haben wollten. Sie stimmten schließlich zu, von der Vernunft (ratione) überzeugt, denn sie wollten das Werk, 2

1 Herrad von Landsberg, Hortus deliciarum, fol. 27, 1175/91 (Bi526). Die nur noch in Kopie erhaltene Bilderhandschrift zeigt in der Illustration zum Turmbau zu Babel die Steinmetzen und ihre Handlanger bei der Arbeit. Während links neben dem Turm ein Handlanger mit einer langstieligen beidhändig geführten Mörtelmischhacke den Mörtel in einem rechteckigen Trog mischt, trägt ein zweiter Handlanger den fertiggemischten Mörtel in einer Mulde zum Turm. Rechts sind zwei Steinmetzen mit dem Behauen eines Quaders beschäftigt; der linke stellt mit Schlageisen und Holzklöpfel den Randschlag her, und der rechte arbeitet mit der beidhändig geführten Doppelspitze die stehengebliebene Bosse bis auf die Ebene des Randschlages ab. Ein weiterer Handlanger trägt hinter ihnen einen bereits fertigbehauenen Quader zum Turm, wo zwei Steinmetzen mit dem Versetzen der Quader beschäftigt sind. Während der eine Steinmetz auf dem Turm kniet und mit dem Lot die Ausrichtung eines soeben versetzten Quaders prüft, legt der andere mit der rechten Hand das Richtscheit an die Mauer an und hält in seiner linken Hand eine Mörtelkelle. das er ihnen versprochen hatte, und vor allem die Sicherheit haben. Sie stimmten also ergeben, aber nicht gerne zu, den verbrannten Chor einzureißen. So wurde viel Mühe für die Beschaffung von Steinen von Übersee (Kontinent) aufgewendet. Um die Schiffe zu beladen und zu entladen und um den Mörtel (cementum) und die Steine zu ziehen, verfertigte er mit großem Erfindungsreichtum Winden (ad lapides trahendos tornamenta fecit valde ingeniose). Er übergab den Steinmetzen, die zusammengekommen waren, auch Formen zum Formen der Steine (formas quoque ad lapides formandos his qui convenerant sculptoribus tradidit) und bereitete anderes in gleicher Weise sorgfältig vor. Der Chor (chorus) also, der zum Abriß bestimmt war,

3

2 Matthew Paris, Vita der hll. Albanus und Amphibalus, um 1250 (Dublin, Trinity College, Sign. E. i. 40, fol. 59, 60. -Bi 168). Bei den zusammen komponierten Federzeichnungen handelt es sich um eine Darstellung zum Leben des St. Alban. Links stehen hintereinander König Offa in Begleitung seines Werkmeisters mit Bodenzirkel und Winkel und seines Bauverwalters am Bauplatz der Kathedrale. Zwei Arbeiter transportieren Steinquader auf einer 'frage über eine Laufschräge aus Holmen mit Quersprossen. Unten schiebt ein Handlanger eine mit Steinquadern beladene Schubkarre. Die rechte Hälfte zeigt Handwerkerund Handlanger bei ihren verschiedenen Tätigkeiten. Links zieht ein Handlanger mit Hilfe einer Seilwinde, die über

wurde eingerissen, und darüber hinaus wurde in diesem ganzen Jahr (Sept. 1174-Sept. 1175) nichts getan ... Im folgenden Jahr, das heißt nach dem Fest des hl. Bertin (5. Sept. 1175), richtete er vor dem Winter vier Pfeiler (pilarios) auf, d. h., auf beiden Seiten zwei. Nachdem der Winter vergangen war, fügte er zwei hinzu, so daß auf beiden Seiten drei in einer Reihe seien. Über diesen und den Seitenschiffaußenmauern (super quos et murum exteriorem alarum) baute er passend (decenter) Bogen und Gewölbe (arcus et fornicem), d. h., drei Schlußsteine (claves) auf beiden Seiten. Ich setze Schlußstein (clavem) für das ganze Gewölbe (ciborio), weil der Schlußstein, in die Mitte gesetzt, die Teile, woher sie auch kommen, abzuschließen und zu festigen scheint. Damit ist das zweite Jahr (Sept. 1175-Sept. 1176) vollendet worden. Im dritten Jahr (Sept. 1176-Sept. 1177) fügte er auf jeder Seite zwei Pfeiler (pilarios) hinzu, von denen er die beiden äußeren rundherum durch marmorne Säulen schmückte (in circuitu columpnis marmoreis decoravit), und

4

eine Rolle läuft, einen mit kleinen Steinen gefüllten Korb zu den auf der Mauer Beschäftigten hinauf. Rechts von ihm steht ein Mann, der mit einer Doppelfläche ein vor ihm auf dem Boden liegendes Kapitell behaut. Am Boden liegen ein Klöpfel, ein Winkel und eine Doppelfläche. Hinter ihm bearbeitet ein Zimmermann mit dem beidhändig geführten Breitbeil einen aufgebockten Balken. Auf einer Leiter steht ein Arbeiter mit einem Brustbohrer. Auf der bereits errichteten Mauer steht ein Maurer, der mit einem Lot die Mauerflucht kontrolliert; zu seinen Füßen steht ein runder Mörteltrog mit Kelle, ganz links ein weiterer Maurer, der mit beiden Händen eine Lotwaage auf die Mauer setzt. weil dort Chor und Querhausarme (cruces) zusammenkommen mußten, setzte er sie als Haupt(pfeiler). Und nachdem auf diese die Schlußsteine gesetzt waren und das Gewölbe gebaut war, spannte er von dem größeren Turm bis zu den vorgenannten Pfeilern, d. h. bis zum Querhaus, das untere Triforium (triforium = Laufgang) mit vielen Marmorsäulen (multis columpnis marmoreis) ein. Über dieses Triforium fügte er noch ein anderes aus einem anderen Material (ex alia materia) und die oberen Fenster hinzu, dann drei Schlußsteine des großen Gewölbes, und zwar vom Turm bis zum Querhaus. Das alles erschien uns und allen, die es sahen, unvergleichlich und des Lobes sehr würdig. Über diesen so glorreichen Anfang froh gemacht und bezüglich der künftigen Vollendung gute Hoffnung fassend, bemühten wir uns, die Fertigstellung des Werkes mit dem Wunsch des feurigen Geistes zu beschleunigen. Damit ist das dritte Jahr vollendet worden, und das vierte hat seinen Anfang genommen (Sept. 1177). Im Sommer dieses Jahres (1178) errichtete er, vom Querhaus ausgehend, 5

3 Altes Testament, 14. Jh. (New York, Pierpont Morgan Library, Ms. fr. 638, fol. 3. Bi 355). Alle wichtigen Arbeiten sind auf der Illustration des Turmbaus zu Babel wiedergegeben. Unten rechts sind zwei Steinmetzen damit beschäftigt, einen Quader mit dem Winkel anzureißen und mit dem Klöpfel und Setzeisen zu bearbeiten. Handlanger tragen Steine auf einer nage und Mörtel in einem geschulterten Holztrog über eine leiterartige Laufschräge zu den die Quader versetzenden Maurern (Setzern). Mit Galgenkran und Laufrad werden Steine aufgezogen. zehn Pfeiler (pilarios), zu beiden Seiten fünf. Deren beiden ersten mit marmornen Säulen schmückend (marmoreis ornans columpnis), baute er sie als Haupt(pfeiler) den anderen beiden gegenüber. Über diesen zehn setzte er Bogen und Gewölbe. Nachdem aber die beiden Triforien und die oberen Fenster fertig waren, als er die Gerüste zur Wölbung des großen Gewölbes (machinas ad fornicem magnam volvendam) zum Anfang des fünften Jahres (Sept. 1178) vorbereitet hatte, da zerbrachen plötzlich die Balken (trabibus) unter seinen Füßen, und er stürzte mit Steinen und Hölzern, die mit ihm zugleich abstürzten, zur Erde, von der Höhe der Kapitelle des oberen Gewölbes (a capitellis fornicis superioris), nämlich 50 Fuß. Er, durch die Stöße der Hölzer (lignorum) und Steine schwer verletzt, war für sich selbst und für das Werk unbrauchbar (inutilis) geworden, und kein anderer außer ihm war irgendwie verletzt worden. Über dem Meister allein wütete entwe6

4 Rudolf von Ems, Weltchronik, 1340/50 (Zürich, Cod. Rh. 15, fol. 6v. -Bi 651).

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der die Rache Gottes oder der Neid des Teufels. Der also so verletzte und unter der Pflege der Ärzte llill der Hoffnung auf Wiedererlangung der Gesundheit willen eine Zeitlang im Bett damiederliegende Meister (magister) konnte, von (seiner) Hoffnung betrogen, nicht gesunden. Aber weil doch der Winter bevorstand und es nötig war, das obere Gewölbe zu vollenden, übergab er einem fleißigen und klugen Mönch (monacho industrio et ingenioso), der den Maurern (cementariis) vorstand, die Vollendung des Werkes. Daraus entstand viel Mißgunst und tätige Hinterlist, weil er, obgleich er noch ein Jüngling sei, klüger (prudentior) angesehen werde als die Mächtigeren und Reicheren. Der Meister jedoch, der im Bett darnierderlag, ordnete an (ordinavit), was früher, was später gemacht werden mußte. So wurde das Gewölbe (ciborium) zwischen den vier Hauptpfeilern (pilarios principales) geschaffen, in dessen Schlußstein gewissermaßen der Chor und die Querhausarme zusammenzukommen scheinen. Auch wurden vor dem Winter (noch) zwei Gewölbe (ciboria) auf beiden Seiten gemacht, aber die immer heftiger auftretenden Regenfälle erlaubten nicht, mehr zu machen. Damit ist das vierte Jahr zu Ende gegangen, und das fünfte nahm seinen Anfang (Sept. 1178). In diesem Jahr, das heißt im vierten, ereignete sich eine Sonnenfinsternis, am achten Tag vor den Iden des September (6. 9. 1178), etwa zur sechsten Stunde, vor dem Sturz des Meisters. So spürte der vorgenannte Meister, daß er durch keine Kunst oder keinen Fleiß der Ärzte (nulla medicorum arte vel industria) geheilt werden könne, kündigte das Werk auf (operi renuntiavit) und kehrte über das Meer nach Frankreich zu den Seinen zurück. Ihm folgte aber in der Bauleitung (in curam operis) ein anderer mit Namen Wilhelm, ein Engländer von Geburt, klein an Gestalt, aber in unterschiedlichen Tätigkeiten sehr geschickt und tüchtig (sed in diversis operibus subtilis valde et probus). Dieser vollendete im Sommer des fünften Jahres (1179) beide Querhäuser, nämlich das südliche und das nördliche, und wölbte das Gewölbe (ciborilllll volvit), das über dem Hauptaltar ist, was nicht im vorgenannten Jahr geschehen war, obwohl alles vorbereitet (gewesen) war, weil die R egenfälle es verhindert (hatten). Außerdem machte er ein Fundament im östlichen Teil der Erweiterung der Kirche, weil die Kapelle des heiligen Thomas dort von neuem aufgebaut werden sollte. Dieser Ort also ist für ihn vorgesehen worden, die Kapelle nämlich der heiligen Dreifaltigkeit, wo er die erste Messe feierte, wo er sich in Tränen und Gebeten hinzuwerfen pflegte, unter deren Krypta (cripta) er so viele Jahre begraben gewesen war, wo Gott wegen seiner Verdienste viele Wunder gewirkt hatte , wo Arme und R eiche, Könige und Fürsten ihn verehrten, von wo der Klang seines Lobes hervorging über den ganzen Erdkreis. Es begann also der Meister Wilhelm des Fundamentes wegen im Friedhof (cimiterium) der Mönche zu graben, wodurch er gezwungen war, die Gebeine vieler heiliger Mönche auszugraben. Diese sind sorgfältig an einer Stelle gesammelt und in ein großes Grab (in 8

5 Stundenbuch des Herzogs von Bedford, 1405/30 (London, Brit. Mus., Add. Ms. 18850, fol. 17'. - Bi 250). 9

fossa grandi) gelegt worden, in jenem Winkel, der im Süden zwischen der Kapelle und dem Krankenhaus (domum infirmorum) ist. Nachdem aber ein äußerst festes Fundament für die Außenmauer aus Stein und Mörtel gemacht war, errichtete er auch die Mauer der Krypta bis zu den Sockeln der Fenster (ad bases fenestrarum). Damit wurde das fünfte Jahr vollendet, und das sechste begann (Sept. 1179) ... . . . Außerdem wurde in diesem Jahr, d. h. im 6. Jahr, die äußere Mauer um die Kapelle des hl. Thomas, die vor dem voraufgehendenWinter begonnen war, bis zum Wölben des Gewölbes hochgeführt. Auch begann der Meister den Turm am Ostteil, nämlich außerhalb der Mauer des (Chor-)Umgangs, dessen unteres Gewölbe vor dem Winter vollendet war."

2. Klosterbau von Wittewierum 1238 Die vom Klostergründer Emo von Wittewierum begonnene Klosterchronik von Bloemhof wurde nach Emos Tod 1237 erst 1248 von dem späteren Abt Menko von Wittewierum fortgesetzt. Die Stelle, die über den Baubeginn im Jahre 1238 berichtet, ist von Menko als Augenzeuge der Bauarbeiten mit 10, höchstens 15 Jahren Zeitabstand zum Geschehen geschrieben und damit als zeitgenössisch zu betrachten. „Im selben Jahr, nämlich im Jahr des Herrn 1238, dem dritten Jahr seit Beginn des aus Backstein gebauten Werkes (opus lateritius), kam genannter Abt nach St. Mariengarten und führte dort auf den Rat des Herrn Abtes Sibrand den in der Steinmetzkunst erfahrenen (lapicidariae artis peritus) Meister Everard, von Köln gebürtig, ein, um die neue Kirche (ecclesia) in Bloemhof zu bauen (facere) , wobei sein Lohn für den Winter wie für den Sommer vereinbart war, nämlich daß er außer der Verpflegung zur Sommerzeit pro Tag 7 Deventriner, zur Winterzeit aber -vom Fest Martini bis Lichtmeß - 3 erhalte und in dieser Zeit sitze, um Backsteine zu schneiden (secare lateres), aber nachteilig genug wegen der Kürze des Tages und der Verdunklung des Himmels. Der Vertrag (forma conventionis) wurde jedoch später wegen seiner und seiner Söhne unerträglicher Gefräßigkeit geändert, so daß er pro Jahr 24 Pfund erhielt und pro Tag 2 groningische Unzen bekam. Dieser Meister nun untersuchte in der Vigil Mariä Himmelfahrt den Grund und Boden (fundus) zur Vorhalle (atrium) der Kirche, und gleich danach wurde das Fundament begonnen, mit sehr großen Mühen und Kosten, da ein Bauwerk sofort wankt, dem ein schwaches Fundament unterliegt. Indem also das Senkblei für gerade Linien angelegt wurde, maß der Meister, wie tief das Fundament gegraben werden müsse, damit die auf den Grund gelegten Hölzer (ligna in fundo posita) allzeit Wasser hätten, das sie vor Fäulnis zu bewahren pflegt. Er beschloß aber bezüglich des Wassers, das im Graben (fossatum) der Vorhalle war, daß der Wasserstand (aequalitas) 10

6 L'Histoire de Charles Martel, 1448/65 (Brüssel, Bibi. Royale, Ms. 6, fol. 554v_ Bi 101). Diese in der Wiedergabe von Details besonders eindrucksvolle Darstellung von Bauarbeiten auf einer spätmittelalterlichen Kirchenbaustelle zeigt das Bearbeiten der Werksteine in der Hütte, davor das Mörtelmischen, den Werksteintransport mittels Trage und Schubkarre, das Versetzen der Steine und im Hintergrund die Abdeckung der Mauerkrone mittels Mist zur Sicherung gegen Witterungseinflüsse.

durch Gänge (cuniculi) in der Erde zwei Fuß über der Oberseite der Balken abgeleitet werden sollte, obwohl doch in diesem Herbst eine sehr große Trockenheit gewesen war, und so war es nötig, das ganze Fundament bis zu einer Tiefe von 20 oder 18 Fuß auszuheben (fodere). Außerdem verlief nach Westen zu, wo der größere Teil des Gebäudes (aedificium) ist, einst ein Fluß mit Namen Fivele, so daß dort ein Schiffshafen war. Nachdem er zur Ems hin versperrt und ausgetrocknet war, wurde er nach und nach mit Mist vom Mistplatz und mit Streu verfüllt, und daher war es nötig, in (große)Tiefe (in profundum) zu graben (fodere), damit auf festen Grund gelangt werden konnte. Nachdem also das Fundament ausgeschachtet (effossus) war, wurden abwechselnd von Grube zu Grube (cavea) zuunterst Tannenhölzer (ligna abiegna) eingebracht (ponere), noch frische und saftige wegen der sichereren Bewahrung (conservatio) des Werkes, die ersten nach der Längsrichtung (in longum) des Werkes, nämlich von Ost nach West, und darauf andere in Querrichtung (in transversum). Als sie mit großer Sorgfalt verlegt waren (collocare), wurde Erde daraufgeworfen, erst fettige und lehmige für eine bessere Anziehung der Feuchtigkeit und Bewahrung der Hölzer, danach trockene, die mit Rammen (trunci) gestampft wurde (verdichtet, conden-

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sare), wobei an jede einzelne vier starke Männer traten, denen, wenn sie ermüdet waren, vier andere folgten, und so mußten in der ganzen Zeit der Fundamentierung dieser Art (huiusmodus fundatio) 80 Männer da sein, weil es 10 Rammen gab und sie auf die gegenseitige Abwechslung nicht verzichten konnten. Durch die mit voller Kraft Arbeitenden bebte das ganze Dorf, so daß in den benachbarten Häusern die Milchspeisetöpfe verschüttet wurden und die Enteneier, wegen des Bebens der Erde vermischt, keine Jungen hervorbringen konnten. Es arbeiteten aber mit den Pfarrkindern dieser Kirche die Bürger von Wackersum einträchtig zusammen, so daß diese fast die Hälfte des Werkes ausführten. Und es wurde den Arbeitenden täglich die Hälfte eines runden Brotes gegeben und ein Stück Käse und drei oder wenigstens zwei große Krüge zu trinken. Und so arbeiteten sie in großer Heiterkeit, und durch die Vollmacht (auctoritas) des Herrn Bischofs wurden den einzelnen Arbeitern (je) 5 Tage von der auferlegten Strafe (poenitentia) nachgelassen (=Ablaß). Die Kanoniker aber und die Konversen arbeiteten redlich und kräftig mit. Die Hauptbeteiligten am Vorantreiben des Werkes (opus) waren Prior Andreas, ein kluger Mann im angenehmen Scherzen und mit fröhlicher Miene, der die Menschen gut zum Arbeiten gewann, Bruder Menko, damals Kleiderwart (vestiarius) und Cellerar im Innern und nicht zuletzt Schulmeister, später aber Abt dieses Klosters geworden, Bruder Kanonikus Itat und der Konverse Sigrep. Diese riefen, weil ihre Bitten in den beiden Pfarren (parochiae) wirksamer waren, die Menschen zum Arbeiten auf, und oft gingen sie nach des Tages Arbeit und Sorge um Ordnung und Vorantreiben des Werkes (operis ordinatio et promotio), während die anderen sich am Abend zur Ruhe begaben, noch nach Sonnenuntergang einzeln von Tür zu Tür herum und baten und luden ein zur morgigen Arbeit und teilten sich und den (einzelnen) Pfarrsprengeln (partitiones parochiarum), wie es die Beschaffenheit des Werkes (qualita operis) forderte, den Dienst zu. Die Setzung aber des Fundamentes war in fünf Jahren vollendet, wobei Gott seine Gnade dazutat, daß die Zeiten die besten waren und das Korn überall in Fülle vorhanden war. Denn vom Beginn des Fundamentes bis zum dritten Jahr konnte die Kirche von Bloemhof in den einzelnen Höfen zwei oder drei Ladungen (partitiones) von Kornkrügen (clibani frumenti) ungedroschen für das nächste Jahr zurücklegen. Aber gleich nachdem das Fundament gelegt war, begannen sich die Zeiten für das Wachstum des Getreides zu verschlechtern, denn in dem Jahr, als es vor dem Fest St. Johann Baptist eine große Trockenheit gegeben hatte, folgten später sehr starke R egenfälle, die (auch) das Fundament der Kirche am westlichen Ende nicht wenig behinderten, weil oft die am Tag ausgehobene Erde wegen des Gewichtes und der Schlüpfrigkeit infolge des Wassers zurückrutschte, und so konnte die Grube, zumal sie in der Breite soviel wie zum Stand (status) der Kirche (nötig war, nämlich) mehr als 60 Fuß und der Länge nach 40 hatte,

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nicht richtig auf den Grund ausgehoben und eingeebnet (effodere et complanare) und konnten die Hölzer nicht richtig nach Wunsch verlegt werden. Dennoch wurden in dieser ganzen Grube die Hölzer auf dem Grund verlegt und zur Wand des Kirchenendes hin(= Fassade) verdoppelt. Der Grund war aber in diesem westlichen Teil nach Norden schwächer als nach Süden und weniger fest, denn man konnte die Meßlatte (virga geometrica) mit wenig Mühe bis zum Ende hineindrücken. Wenn also dort eine Gefahr entsteht, sollt ihr wissen, daß sie daraus entstanden ist. Aber nicht nur aus diesen Gründen senkt (descendere) sich das westliche Ende mehr, sondern auch, weil das östliche schon früher auf 20 Fuß hochgezogen war und so sein Fundament schon gefestigt war, bevor das andere begonnen wurde. Weiterhin: Weil schwer weiterzubauen ist, wenn die Absicht des ersten Gründers (fundator) nicht (mehr) bekannt ist, zumal jeder ausgezeichnete Künstler die Gestalt (materia) seines Werkes vorrangig im Geiste (primo in mente) disponiert und alles seine Nützlichkeit hat, deshalb führen wir an dieser Stelle die Beschreibung (descriptio) der ersten Konzeption (ordinatio) des Werkes durch, damit, wenn es den Nachkommen gefällt weiterzubauen, sie daraus die Gestalt (materia) der Fortsetzung (proficiendum) ersehen (habere). Es war nämlich die Absicht (propositio), daß zwischen zwei Armen der Kirche ein Baldachin (ciborium) in Form eines Turmes werde, dessen Decke -wie bei solchen Werken üblich - über das Kirchendach emporgehoben werden sollte, so daß die über dem Dach hervortretenden Fenster den Chor belichten (illuminare). Dort wollten sie dann auch die Glokken des Konventes hängen haben. Zu seiten aber des Baldachins über zwei Kapellen, die ein besonders starkes Fundament haben, war vorgesehen, daß zwei kleinere Türme werden sollten, und am Westende ein großer Turm für die Pfarrglocken. Das alles, obwohl es Zierde genug gewesen wäre, wurde dennoch wegen der großen Mühen und Kosten, in denen die Prälaten wie die Gesamtheit der Brüder gleichsam im Ofen der Trübsal ausgekocht wurden, bis heute weggelassen und den Nachkommen, die in die Arbeit derer gleichsam umsonst und hoffentlich nicht ungern einmal eintreten werden, wenn das Vermögen zur Vollendung ausreicht, überlassen. Die (es) aber durchführten, mit unsäglichen Schwierigkeiten - denn das Werk war groß, wie der Augenschein lehrt, (und) die verschiedenen Mauern, die Meister und die Arbeiter alle mit hohen Kosten zu finanzieren (conducere) -, überkamen sehr harte Jahre, und viele, auch die von Besitz überflossen, waren gezwungen, das Land zu verlassen und ihren Unterhalt zu suchen, wo sie eben konnten. Und es darf nicht ausgelassen werden, was Herr Abt Sibrand von Mariengarten betrieb, daß (nämlich) im Sanktuarium zwei Altäre werden sollten, wie in Premontre, und deswegen die Kirche nach Osten erweitert worden war, damit der Umgang (circuitus) der Ministranden breit werde, vor allem wegen des Gedränges der Priester (afferentes) und Kommunikanten. "l 13

3. Bauherr ,,Das Einssein von Urheber und Werk bewirkt den Erfolg des Tätigen" (Identitas auctoris et operis sufficientiam facit operantis), so charakterisiert 8 Abt Suger von Saint-Denis in seiner zwischen 1144/45 und 1151 verfaßten kleinen Schrift „De consecratione ecclesiae Sancti Dionysii" den Zusammenhang von Bauherr mit seinem Bauwerk, wobei der auctor dem göttlichen Willen folgt (2. Kor. 3. 5). 3 Die Funktion des Bauherrn bei der Erstellung von Großbauten wird wohl am deutlichsten, wenn man die um 885 abgefaßten Gesta Karoli des St. Galler Mönches Notker Balbulus heranzieht, 4 wo er „ein wenig von den Bauwerken berichtet, die Caesar Augustus Imperator Karl in Aachen nach dem Vorbild (iuxta exemplum) des allerweisesten Salomo ... in wunderbarer Weise errichtet hat (mirifice construxit) ... Er wollte nicht in der Muße erschlaffen, sondern sich für den Dienst Gottes einsetzen, so daß er sich anschickte, in seinem Heimatland eine Kirche, herrlicher als die alten Werke der Römer, nach eigener Anordnung zu erbauen (basilicam antiquis Romanorum operibus praestantiorem fabricare propria dispositione) 5 ••• Zu diesem Werk berief er aus allen Regionen diesseits des Meeres die Meister und Werkleute aller Künste dieser Art zusammen (Ad cuius fabricam de omnibus cismarinis regionibus magistros et opifices omnium id genus artium advocavit). Über sie setzte er zur Ausführung des Werkes (ad executionem operis) einen Abt, der von allen der kundigste (peritissimum) war ... Der vorsorgende Karl gab allen Großen der Umgebung die Weisung, dafür zu sorgen, daß sie die von ihnen abgesandten Werkleute (opifices a se directos) mit aller Tatkraft unterhielten und alles Nötige zum Bau beisteuerten (cuncta ad opus illud necessaria subministrare). Die, die aus entfernten Gegenden gekommen waren, überwies er seinem Haushofmeister Liutfried, damit er sie aus öffentlichen Mitteln ernähre und kleide, aber auch alles zum Bau Erforderliche (cuncta, quae ad constructionem illam pertinerent) aufzuwenden sich stets mit Sorgfalt angelegen sein lasse." Das persönliche Engagement Karls des Großen klingt, etwas allgemeiner gehalten , auch in Einhards um 833 verfaßten Vita Karoli an 6 : ,,Darum erbaute er (Karl) auch die allerheiligste Kirche zuAachen und stattete sie mit Gold und Silber, mit Leuchtern und ehernen Gittern und Türen aus. Da er die Säulen und Marmorplatten für diesen Bau (structura) anderswoher nicht bekommen konnte, sorgte er dafür, daß sie aus Rom und Ravenna herbeigeschafft wurden." Deutlicher wird die „Eigenhändigkeit" aus einem Brief, den Alkuin, der Vorsteher der königlichen Hofkapelle, 798 an Karl

7 Jean Fouquet, Antiquites et Guerres des Juifs, Ende 15. Jh. (Paris, Bibl. Nat., Ms. fI: 247, fol. 163. - Bi 462). 15

schrieb 7: ,,Wir haben ja auch über die Säulen gesprochen, die in dem wunderschönen und staunenswerten Bau der Kirche, die Eure Weisheit bestimmt hat (quam vestra dictavit sapientia), eingesetzt worden sind." ,,Propria dispositione fabricare" und „vestra sapientia dictavit" besagen nicht mehr, als daß Karl auf die Baugestaltung und die reiche Ausstattung Einfluß genommen hat, wie es das Chronicon Moissiacense zu 796 bemerkt 8 : „Dort hatte er eine Kirche von wunderbarer Größe erbaut, deren Türen und Gitter er aus Bronze herstellen ließ, und mit großer Sorgfalt und Ehrerbietung, soviel er nur konnte und angebracht war, erbaute er diese Kirche mit anderen Zieraten" (ibi fabricavit ecclesiam mirae magnitudinis, cuius portas et cancella fecit aerea, et cum magna diligentia et honore, ut potuit et decebat, in ceteris ornamentis ipsam basilicam composuit). In welcher Weise Karl den Einfluß übermittelte, ist nicht ausdrücklich genannt; auf jeden Fall war die Durchführung, wie es auch die ehern. Inschrift im unteren Teil der Aachener Pfalzkapelle erkennen läßt, Bauleitern übergeben 9 : ,,Diese ausgezeichnete Ehrenhalle hat der große Karl errichtet (instituit); der hervorragende Meister Odo hat sie ausgeführt (egregius Odo Magister explevit), er liegt in der Stadt Metz begraben." Und Notker Balbulus ergänzt allgemein 10 : ,,Wenn aber Kirchen, die zum Königsgut gehörten, mit Holzdecken oder Wandgemälden auszustatten waren, das wurde von den benachbarten Bischöfen oder Äbten besorgt. Und wenn Neubauten zu errichten waren, dann mußten alle Bischöfe, Herzöge und Grafen, auch Äbte und wer sonst eine königliche Kirche leitete, samt allen, die ein Lehen vom König hatten, dies in emsiger Arbeit von den Fundamenten bis zum First (a fundamentis usque ad culmen) aufführen." Die Absicht, die der Bauherr mit dem Bau einer Kirche verbunden hat, hat Bischof Bernward von Hildesheim in seinem zweiten Testament von 1019 besonders nachdrücklich formuliert: ,,Lange habe ich darüber nachgedacht, durch welches verdienstvolle Bauwerk, durch welchen Kaufpreis (rerum precium) ich ... mir die göttliche Gnade verdienen könne ... Nun, da ich den Thron der Kirche von Hildesheim bestiegen hatte, wollte ich durch die Tat vollenden, was ich seit langem im Geiste geplant hatte (conceperam animo) ... Ich begann ... eine neue Kirche zu gründen, wodurch ich zum Lob und Ruhm des Namens des Herrn sowohl mein eigenes Versprechen erfüllt als auch für die heilige Christenheit gesorgt habe"; Bernward sieht sich in der Tradition des „hl. Salomon, der nach der Errichtung des Tempels Gottes gemäß den Gesetzen seiner Religion sich reinigte und sich durch geheimnisvolle Kulthandlungen Gott näherbrachte, er, dem als Büßer niemand gleich befunden wurde" . 11 165 Im 12. und frühen 13. Jh. wurden besonders Theologen als Stifter, Bau2 herren und Bauorganisatoren mehrfach als architectus bezeichnet. 12 Die früheste Nennung findet sich im Abtskatalog von Fulda, wo Abt Ratger (802-817) als „sapiens architectus" genannt wird, 13 ebenfalls als „sapiens

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8 Schöpfergott mit Zirkel, die Welt bemessend: a) Bible moralisee in Toledo, um 1230 (Toledo, Kath. Kirchenschatz, Bd. 1, fol. 1\ - Bi 555). b) Bible moralisee in Wien, 2. Viertel 13. Jh. (Wien, Österr. Nat. Bibi., Cod. 2554. -Bi 621). c) Holkham Bible, 1326/31 (London, Brit. Mus., Add. Ms. 47682, fol. 2'. -Bi 258). d) Augustin, Cite de Dieu, 1376 (Paris, Bibi. Nat., Ms. fr. 22913, fol. 2v. -Bi471).

architectus" im 10. Jh. (?) Bischof Evraclus von Lüttich 14 , nach 1091 Abt Wilhelm von Hirsau ( 1071-91) 15 , 1133 die Bischöfe Gerhard I. (gest. 1049) und II. (1076-92) von Cambrai1 6 , 1139 Bischof Jean de Commines in Therouanne (gest. 1130) 17 und um 1170 in Ramsey HerzogAilwin (gest. 992) 18 , als „devotus architectus" 1174Abt Hugo von Lacy (1097-1123) 19 , und in der 1. Hälfte des 13. Jhs. Bischof Rudolf von Halberstadt (gest. 1149) 20 , als „bo17

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4-6 15 78

93 127 143 144 165 172 173 188

nus architectus" im 12. Jh. Abt Saracho von Corvey (zu 1059)Z1, als „fidelis architectus prudenter exstruxit'' in der l Hälfte des 13. Jhs. Bischof Burchard II. von Halberstadt (1040-88)zz, als „prudens architectus" im 12. Jh. der hl. Cuthbert von DurhamZ3 , als „theoreticus architectus" im 12. Jh. Bischof Ethelwold 1. von Winchester (963-84)Z4, als „architectus, cementarii operis solertissimus erat dispositor" um 1090/1100 Bischof Benno II. von Osnabrück (um 1025-1088)Z5 • Schließlich wird für Schaffhausen im 11. Jh. „Liutbald, sui fidelissimi ac venerandi presbiteri, artis architectoriae satis conscii" bezeichnet, und im 10. Jh. Abt Anstäus von St. Arnulf in Metz (945-960) als „architet coriae non ignobilis ei pericia suberat" charakterisiert. z6 Der Augustiner-Stiftsherr Gerhoh von Reichersberg (1093/94-1169) überschreibt 1128 Kapitel 1 seines Erstlingswerks Liber de aedificio Dei: ,,Quis huius aedificii auctor et architectus? quae materies, quae instrumenta?" und stellt dann fest, daß zur Ausführung eines jeden Bauwerks drei Dinge notwendig sind: ,,artifex, qui operetur; materia, de qua operetur; instrumenta vel adiumenta, quibus operetur. "Z7 Alle diese Nennungen gehen zurück auf l Korinther 3.10, wo Paulus sagt: ,,Gemäß Gottes Gnade, die mir gegeben worden ist, habe ich wie ein weiser Architekt das Fundament gesetzt: ein anderer aber möge darauf bauen" (secundum gratiam Dei, quae data mihi, ut sapiens architectus fundamentum posui: alius autem superaedificat). Entsprechend wird in dem zwischen 1388 und 1408 geschriebenen Liber constructionis des Klosters St. Blasien über den Abt Beringer (1036-1045) gesagt: ,,Post discessum ... Beringeri, qui omnem labyrinthum suum cum magna benevolentia secundum inspirationem devinam ordinavit, geometrice omnia habitacula claustralia inhabitatione congrua fundamentum ponendo, ut posset dicere cum Paulo: ut sapiens architectus fundamenta posui. "Z8 Dieser Gedankengang hat wohl auch die Feststellung des Mainzer Erzbischofs Hrabanus Maurus (780-856) in De universo XXI, c. 1 beeinflußt: ,,Architecti autem caementarii sunt, qui disponunt in fundamentis" z9 , bei dem er auf den Etymologiae des Bischofs Isidor von Sevilla (570-636) fußt, der darin das zeitgenössische Wissen zusammengefaßt hat. Demgegenüber sind einige Quellen des 10.-12. Jhs. zu nennen, bei denen der Gebrauch des Wortes „architectus" nicht genauer zu bestimmen ist. So werden architectus genannt der Edle Otto vom Kloster Lorsch30 , ein Kleriker des Klosters Hornbach3 1, Donatus „architectus magister operis" im Nekrologium des Domes inLundzu 1123/45JZ und Geimmon im Kloster Remiremont. 33 Ohne Aussage sind zwei englische Quellen, u. a. zu 1170 für Canterbury. 34 Im Zusammenhang mit Handwerkern werden ebenfalls architecti genannt. In der Vita des Bischofs Otto von Bamberg (um 1060-1139) wird um 1160 berichtet, Kaiser Heimich IV. habe (nach 1080/84) nach Speyer geholt: „omnes sapientes et industrios architectos, fabros et cementarios aliosque 18

9 Wenzelsbibel, 1390/1400 (Wien, Österr. Nat. Bibi., Cod. 2760, fol. 116. -Bi 632).

opifices regni sui vel etiam de aliis regni in opere ipso habens. " 35 Ganz ähnlich wie schon in der 1045/56 geschriebenen Vita des Kölner Erzbischofs Heribert, der nach Einsturz der 1003 überhastet errichteten Klosterkirche in Köln-Deutz „primis peritiores architectos ab externis finibus" für den Neubau angeworben habe. 36 Entsprechend hat Bischof Ulrich von Augsburg 19

923 „architecti" beschafft, um das Zerstörte wiederaufzubauen, wie um 980 im 1. Kapitel seiner Vita berichtet wird, 37 und in einem vermutlich von Gerbert von Reims stammenden Brief aus dem Jahre 988 wurde Erzbischof Adalbero von Reims gebeten, er möge ihm den Baumeister zurückschicken ( vestrum architectum A. remittite), damit er seinen zerstörten Palast wieder errichten könne. 38 Abt Samson (1182-1211) berichtet für Bury St. Edmonds/Suffolk über die Zeit 1066/87: ,,Abbas (Baldwinus) vero lapides de lapidicinis advehi maturius praecipit; convocat latomos; architectos invitat; caementarios et artis sculptoriae peritos viros conducit. Inde iactis fundamentis, opus ... inchoatur."39 Im Chronicon Walkenredense Eckstormii wird im Zusammenhang mit einer Wundergeschichte erwähnt: ,,Fuit aliquando in monasterio nostro architectus aliunde conductus", und um 1170 für Cluny „architectus" als Baumeister. 40 In der zwischen 716 und 725 abgefaßten Vita Ceolfridi (gest. 716) wird berichtet, daß 674 für den Bau des Klosters Wearmouth der Abt Benedictus „mare transiens architectos ... petiit"; das gleiche berichtet Beda vor 735, der dabei die berufenen Fachleute als caementarii bezeichnet: ,,Benedictus oceano transmisso Gallias petens, cementarios, qui lapideam sibi aecclesiam iuxta Romanorum quam semper amabat morem facerent, postulavit, accepit, et adtulit" .41 Über diese Nennungen von architecti hinaus gibt es noch zwei ausführliche theoretische Darlegungen aus der 1. Hälfte des 13. Jhs. Robert Grosseteste schreibt um 1228 in seinem Brief an Magister Adam Rufus im Zusammenhang mit seinen Darlegungen über die Form: ,,Stelle Dir die zu machende Form des arteficium im Geiste des artifex vor, wie z.B. im Geiste des Architekten (in mente architectoris) die Form und die Ähnlichkeit des zu bauenden Hauses, auf dessen Form und Vorbild er sich einzig bezieht, um nach dessen Ähnlichkeit das Haus zu bauen." 4 l Hier werden Tätigkeiten und Fähigkeiten angesprochen, wie sie Thomas von Aquin (1224/25-1274) dargelegt hat, wobei er allerdings den Satz im Korintherbrief zitiert: 43 „Dies aber ist so, weil die einen die Ursache kennen , die anderen nicht. Denn die Erfahrenen (experti) wissen nur das Daß, aber nicht das Weswegen; jene aber (die artifices) kennen das Weswegen und die Ursache. Wir achten deshalb auch die architectores jeweils höher und nehmen an, daß sie mehr wissen als die Handwerker (artifices) und weiser (sapientiores) sind, weil sie die Ursache dessen wissen, was zustande kommt." An anderer Stelle wird Thomas noch deutlicher: ,,Ein anderer aber, der nicht tätig ist (wie der artifex), sondern vorschreibt und dabei die Konzepte (rationes) des Werkes weiß, die er aus der Zielsetzung dessen genommen hat, wovon er der Entwerfer ( conjectator) ist - ein solcher wird architector genannt, gewissermaßen der Oberste der arti.fices." Ebenfalls nach Thomas von Aquin bedeutet die ars „die Anwendung des rechten Wissens auf etwas Herzustellendes" (applicatio rationis rectae ad aliquid factibilis) , ,,artifex operatur ex rebus naturalibus, ut ex ligno et aere". ,,Ars autem facit salum 20

10 Grandes Chroniques de Saint-Denis, 14./15. Jh. (Bi 665).

facultatem boni operis, quia non respicit appetitum" im Unterschied zur Klugheit: ,,Prudentia autem non solum facit boni operis facultatem, sed etiam usum: respicit enim appetitum, tamquam praesupponens rectitudinis appetitus" oder die „prudentia est recta ratio agibilium", während die „ars est recta ratio facibilium". 44 Diese auf Aristoteles zurückgehenden, von der Antike (Vitruv) geprägten Vorstellungen entsprechen den Beobachtungen in bezug auf die Entwicklung der die Bauausführung bestimmenden Handwerksmeister (Maurer, Steinmetzen), die dank ihrer Ausbildung und Erfahrungen die Planung und Leitung der Baustelle übernehmen und seit der Mitte des 13. Jhs. die Pläne anfertigen; diese werden schließlich aber nicht architectus, sondern magister operis/Werkmeister genannt und sind nicht Bauherr, sondern ge-

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hören in die Gruppe der bauausführenden Handwerker (siehe Kap. C. 2). Jedoch wird in einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Friedrich von 1391 für Xanten ein „artifex architecti ad fabricam ecclesie" von allen „exatio et oppidana servitius" befreit, und im Anniversarienbuch von Schwäbisch Gmünd wird 1520 und 1535 am 16. Okt. der Jahrestag eines „magister Hainricus architector ecclesie" und sein Grabmal erwähnt, wohl des Heinrich von Gmünd, des Vaters von Peter Parler. 45 Einen allgemeinen Eindruck vom Einwirken des Bauherrn auf das Baugeschehen vermittelt Folcuin, Abt des Kloster Lobbes 965-990, in seinem Bericht über die unter König Pippin vom hl. Ursmer im Jahre 697 erbaute Kirche: ,,Sie wurde, nachdem sie durch die Freigebigkeit der Könige und anderer Gläubigen an Fülle von Dingen gewachsen war, abgerissen ( destruere) und von Grund auf zerstört (funditus evertere), weil sie für den Adel des Ortes (loci nobilitas) klein und wenig passend (aptus) erschien, und es wurde die neue, die nun steht, in feinerer Form und Erscheinung erbaut (elegantioris formae et speciei aedificare). Sie ist durch ihre zu diesem Zweck von überallher zusammengetragenen Säulen mit Basen und Epistylen (columnae cum basibus et epistiliis) und durch alle übrigen Werke (disciplinae) der Steinmetzen oder Maurer (latomi vel cementarii) in der Größe ihres Maßes (pro moduli sui quantitate) allen umliegenden (Kirchen) unvergleichlich, was (aber), weil es, wie man so sagt, durch den Augenschein bestätigt wird, hier genug berührt sein soll. Ob aber der Urheber (auctor) dessen (des Kirchenbaus) der König war oder der Abt, das wissen wir nicht. Wenn es jemand tadelt, so zürne er der alten Zeit, die darüber schwieg, nicht uns. "46 Nach der um 1160 verfaßten Vita des Bischofs Meinwerk von Paderborn (1009-1036) errichtete der Bischof drei Tage nach Amtsantritt die Bischofskirche „schnell und freudig von Grund auf, nachdem er den mittelmäßigen Bau (opus modicus) abgerissen hatte, den sein Vorgänger begonnen und nachlässig bis zu den Fenstern aufgeführt hatte. Als die Handwerker (operarii) tüchtig am Bau beschäftigt waren, kam eines Tages ein Unbekannter, der den dabeistehenden Bischof demütig grüßte und ihm ergeben seinen Dienst (servitium) antrug. Als ihn der Bischof fragte, welche Kunstfertigkeit (ars) er beherrsche, gab er an, Maurer und Zimmermann zu sein (cementarium et carpentarium se profitetur); und bald wurde ihm vom Bischof befohlen, einen Nagel (clavum) herzustellen, der gerade für eine Holzverbindung (lignis compingendis) gebraucht wurde. Als der mit großer Schnelligkeit und raschen Handgriffen angemessen und passend gefertigt war, wurde er den Arbeitenden (operantibus) als Mitarbeiter (cooperaturus) beigestellt, und nachdem er durch sein Fachwissen als tüchtig erkannt (artis suae scientia probatus) und durch jegliche Erfahrung ausgewiesen war ( approbatus omni experientia), wurde er vom Bischof dem ganzen Werk vorgestellt (omni operi preponitur). Als er wenig später starb, bereitete der Bi22

11 Jan van Eyck, Die Heilige Barbara, 1437 (Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten. -Bi 7).

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schof seinem Ankömmling ein würdiges Begräbnis: er ließ ihm in der Krypta neben der Mauer ein Grabmal errichten und legte an seinem Kopf seine Kelle (trulla) und seinen Hammer (malleus) nieder zur Erinnerung für die Späteren ... Nachdem er nun einzelne Meister dem Werk (opus) vorgesetzt hatte, wandte er selbst sich den übrigen Aufgaben des Bistums zu, nämlich das Gebiet der Diözese häufig zu bereisen. " 47 Anzuschließen ist die um 1170 kompilierte Chronik der Abtei Ramsey: Bischof Oswald betrat am 29. Aug. 968, ,,gefolgt von dem berühmten Herzog Aethelwyne (gest. 992), der ihm ebendort gemäß dem Geleitrecht (condictum) als Gast freundlich begegnet war, unsere Abgeschiedenheit (heremus) und führte in die neu erbauten und dank seines Besuches geheiligten Hürden (caulae) eine winzige Herde ein, wo, während mit Freude die jährlichen göttlichen Mysterien gefeiert würden, zu desto mehr Ordnung die (ihnen) übertragene Verwaltung der inneren (Angelegenheiten) von Germanus, der äußeren von Aednoth geführt werden sollten . . . Nachdem schließlich der Plan (consilio) gefaßt war, sorgte die sehr umsichtige Kunstfertigkeit der Maurer (ars cementariorum) im folgenden Winterfür alles sowohl an eisernen als auch an hölzernen Werkzeugen (ferrei ligneique instrumenti), und sie bereiteten alle (Dinge) vor, die für das künftige Gebäude (aedificio) nötig erschienen. Nach dem harten Winter schließlich, als schon der folgende Frühling mit Blumen den Kopf erhob, geschah eine Aufteilung der zusammengebrachten Gelder (thesauri), ausgesuchte Handwerker (exquisiti artifices) wurden zusammengeholt, Länge und Breite der zu errichtenden Kirche (basilica) wurden eingemessen (commensurare), die Fundamente wurden wegen des nahen Sumpfes tiefer gelegt und durch dichte Stöße der Rammen (arieti) sehr kräftig zu einer soliden Festigkeit (solida fortitudo) zum Aufsetzen der Last (onus) zusammengestoßen. Während nun die Arbeiter (operarii) mit ebensoviel Eifer der Hingabe wie Liebe zum Lohn (merces) die Arbeit vorantrieben, indem die einen die Steine (lapides) zusammentrugen, andere den Mörtel mischten (cementum conficere) und (wieder) andere diesen und jene mit einer Winde (rotali machina) in die Höhe schafften, erhob sich das Werk, mit der Förderung Gottes, täglich höher."48 Um 1060 wird in der Chronik von Saint-Benigne in Dijon zum Jahre 1001 die Arbeitsteilung eindeutig formuliert: ,,Der Bischof (Brun von Langres) finanzierte diesen Bau und ließ Säulen aus Marmor und Stein von überallher herbeiführen, während der verehrungswürdige Abt (Wilhelm von Volpiano) die fleißigen Meister (magistri insudantes) zusammenführte und selbst das Werk bestimmte (ipsum opus dictando); so errichteten sie eine dem göttlichen Kult würdige Kirche. " 49 Seit dem 13. Jh. geht die Baulast generell vom Bischof auf das Kapitel über, was nicht ausschließt, daß in manchen Fällen die Bauinitiative vom Bischof ausging. Das Bauengagement und die Baufinanzierung sind sehr 24

12 Girart-de-Roussillon-Handschrift, 1447/50 (Wien, Österr. Nat. Bibl., Cod. 2549, fol. 164. - Bi 620).

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13 Livre de Rois, Mers des Histoires, 1448/49 (Paris, Bibi. Nat., Ms. lat. 4915, fol. 46".-Bi434).

facettenreich und die Anteile des Einflusses auf die Bauerstellung sehr verschieden, besonders bei kollektiver Bauträgerschaft im einzelnen schwer zu bestimmen. Die Quellenlage ist zumeist für die Klärung dieser Fragen zu wenig aussagekräftig. Wenn auch beispielsweise der Kölner Erzbischof dem gotischen Domneubau vielfältige Unterstützung zuteil werden ließ, war er doch auf den Kapitelbeschluß angewiesen; Erzbischof Engelbert I. von Berg (1216-1225) hatte die Domkanoniker zur Erneuerung der Kirche des hl. Petrus ermahnt und 500 Mark zur Finanzierung des Neubaus in Aussicht gestellt, aber erst in der Amtszeit von Konrad von Hochstaden (1238-1261) beschloß 1247 das Kapitel den Neubau, zu dem es zwar den Konsens des Erzbischofs einholen mußte, der aber in den Quellen auch nicht als Bauherr auftritt. 50 Für die Situation in spätgotischer Zeit sei beispielhaft die von K. J. Philipp publizierte Planungssituation zu dem Bau der Stiftskirche Sainte-Waudru in Mons/Hennegau 1449-1450 referiert. 51 Nachdem im Februar 1449 die Stiftsdamen von Sainte-Waudru einen Neubau beschlossen hatten, wur26

14 Chroniques de Hainaut I, um 1448 (Brüssel, Bibi. Royale, Ms. 9242, fol. 233. Bi 110). den auf Samstag, den 2. März, Michel de Rains (Stadtbaumeister von Valenciennes), Jehan Huwellin (maistre machon de Haynnau, im Dienste des Herzogs von Burgund), J ehan Le Fevre (maistre machon, Stadtbaumeister von Mons) und Zimmermeister Hellin de Sars zur Beratung eingeladen, ,,pour prendre advis de commenchier ordonner et mettre en forme l'ouvraige". Sie blieben bis Mittwoch, den 5. März, und erhielten ein Handgeld: Michel de Rains und Jehan Huwellin je Tag 20 solidi, Jehan Le Fevre insgesamt 40 und Hellin de Sars täglich 7 solidi. Am gleichen Tage erhielt Michel de Rains auch zwei Gulden für zwei Zeichnungen auf Pergament (patrons en parchemin), die K. J. Philipp mit den beiden im Staatsarchiv Mons erhaltenen Plänen identifiziert hat (s. Kap. B. 9). Das Ergebnis der Tagung und die Risse wurden von den Stiftsdamen abgelehnt. Sie bestellten am 31. Januar 1450 Jean Spiskin zum Werkmeister (maistre ouvrier), der am 5. Februar mit Hellin de Sars und dem Vogt des Kapitels auf eine Besichtigungsreise geschickt wurde, um Anregungen für die Neubauplanung zu sammeln. Am 1. März fand wieder eine Meisterbesprechung mit Besich-

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tigung des Bauplatzes in Mons statt: Jehan Spiskin, Hellin de Sars, Jehan Le Fevre und Pierre de Moulins. Am 13. März wurde der Grundsteinfeierlich gelegt und mit den Fundamentierungsarbeiten begonnen. Als Ende Juni die Vermutung aufkam, die Fundamente entsprächen nicht der „divise", wurden Gille Pole aus Brüssel und Mattheus de Layens aus Löwen nach Mons gebeten, ,,pour visiter le fondacions en long et en large, pour ce que aucuns disoient que elles estoient aultre que le devise ne porte". Die beiden „maistres machon de Brabant" befanden jedoch die Arbeiten für fehlerfrei, so daß die Bauarbeiten zügig vorangehen konnten und 1451 bereits die Chorpfeiler aufgestellt wurden. Leitender Werkmeister war bis zu seinem Tod 1457 Jehan Spiskin, der einen Jahreslohn von 40 Pfund erhielt, dazu Kleidung und ein Haus. Mattheus de Layens führte wahrscheinlich bis 1483, seinem Todesjahr, die Aufsicht auf der Baustelle und erhielt dafür jährlich 34 „livre tournoise", wenn an der Kirche gebaut wurde, und 17, wenn die Bauarbeiten ruhten. 1506 war der Chor vollendet. Auch im profanen Bereich wurden Leistungen und Anspruch abgewogen und durchaus erkannt. So schrieb der Prager Erzbischof Johann von Jen28

15, 16

Chroniques de Hainaut II, um 1468 (Brüssel, Bibi. Royale, Ms. 9243, fol. 106v, 168. - Bi 112, 115).

zenstein (1348-1400) an seinen Freund Benesch von Horovitz in Böhmen, der ihm über den Fortschritt des Baues seiner Propstei berichtet hatte, die auf festem Fundament (solido fundamento), mit hohen Mauern und in gutem Mauerwerk bewundernswert ausgeführt würde. Nachdem Johann ihn beglückwünscht, daß er sein Geld auf solche Weise verwende und sich gegenwärtig mit einer anspruchsvollen Arbeit befasse, berührt er die Erfordernisse einer prächtigen Bauausführung: ,,Damit dieses Haus fester und dauerhafter hergestellt würde, sei, ich bitte darum, die Rechte nicht karg, der Geldbeutel nicht geschlossen, lasse die Kasse sich nicht ermüden, auf daß das Begonnene glücklich zu Ende geführt werde; man nehme - darum bitte ich- dazu reichlich von dem Erdpeche Kalk (cimenti bitumine), damit die durchfeuchtete Mauer nicht nach kurzer Zeit austrockne, die Steine seien trefflich (nobilia), die Lichtöffnungen der Fenster groß, die Säle (palacia) weit (larga) und die Wohnräume (penates) innen nicht eingeengt. Dennoch fürchte ich, daß das Werk (opus) klein und anspruchslos (modi-

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17 Chronik von Jerusalem, für Herzog Philipp den Guten von Burgund in Frankreich vor 1467 gemalt (Wien, Österr. Nat. Bibi., Cod. 2533, fol. 17. -Bi 619).

cum) ist, wie ich aus Eurem Schreiben ersehen habe. Denn wie Ihr schreibt, soll schon nach Verlauf eines Monats Euer Haus vollständig fertig sein; daher kam mir auch die nicht günstige Vermutung, da Großes nicht in kurzer Zeit vollendet werden kann. Bauet also Mauern und das Übrige mit vollkommen ansprechender Wandentwicklung (largis perietibus) und allen übrigen Schutzmitteln (munimentis), damit an Euch nicht der Kargheit, sondern vielmehr der Freigebigkeit Quelle hervorleuchte und dadurch mein Herr Propst Bequemlichkeit (comodum) und Ehre (honorem) in ein richtiges Verhältnis bringe (comparet). " 52 30

A. ORGANISATION 1. Kirchliche Baulast und „fabrica ecclesiae" (,J(irchenfabrik") Angaben über die kirchliche Baulast als der „Rechtspflicht zur Errichtung und Unterhaltung kirchlicher Gebäude" 53 sowie über die „fabrica ecclesiae", d. h. die dem „Bau bzw. Unterhalt einer Kirche und schließlich auch für gottesdienstliche Aufgaben im weiteren Sinn (so z.B. luminaria, ,Lichtergut') dienende Vermögensmasse" 54 sind zwar antik-frühchristlichen und - in größerem Umfange - mittelalterlichen Quellen zu entnehmen, 55 doch hat sich eine Betrachtung (kirchen)rechtlicher Entwicklungen in der Zeit des frühen Christentums und im Mittelalter von einem vor allem die Rechts- und Verfassungsgeschichtsforschung des 19. Jhs. prägenden idealistischen bzw. positivistischen Verständnis der mittelalterlichen Rechtsordnung im Sinne einer Konstruktion abstrakt-normativer Rechtssysteme zu lösen; das Bild des mittelalterlichen Rechtslebens ist - ungeachtet aller Versuche einer allgemeinverbindlichen Kodifizierung bereits bestehender Rechtsnormen bzw. einer durchgreifenden herrscherlichen Gesetzgebung vielmehr gekennzeichnet durch ein kompliziertes System von Rechtsausformungen, die nicht allein regional gebunden waren, sondern auch von einzelnen Rechtskreisen (Stadtrechte, Hofrechte, Landrechte) und Ausnahmeregelungen (Privilegien) überlagert wurden. Konfrontiert mit der komplexen Realität mittelalterlicher Rechtsverhältnisse und -damit verbunden - der Schwierigkeit einer adäquaten Würdigung und Formulierung der zu beobachtenden vielfältigen und zugleich disparaten individuellen Rechtsäußerungen, die zudem durch die z. T. äußerst lückenhafte und ungleichmäßige Überlieferungslage erschwert wird, hat sich eine breitangelegte, um die Darlegung allgemeiner Entwicklungslinien bemühte Darstellung daher auf eine vorsichtige Herausarbeitung regionaler Strukturen und - vereinzelt - übergreifender Tendenzen zu beschränken. Der Begriff „Kirchengut" bzw. ,,Kirchenvermögen" bezeichnet - im Unterschied zu dem inhaltlich enger gefaßten Ausdruck „Kircheneigentum" allgemein alle kirchlichen Eigentums- und Herrschaftsrechte bzw. Nutzungsrechte (dingliche Rechte) sowie Rechte der Kirche an Personen auf

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Leistungen (Forderungsrechte) in Gestalt u. a von Abgaben sowie Handund Spanndiensten (Frondienste). Zum Kirchenvermögen gehören in diesem Sinne auch jene Gegenstände, die sich zwar im Besitz nichtkirchlicher Personen befinden, zugleich jedoch aufgrund der diesen zugewiesenen Zweckbestimmung einer ekklesialen Verfügungsgewalt unterstehen. 56 Die Wurzeln des kirchlichen Vermögens reichen - wie Hinweise im Neuen Testament auf freiwillige Gaben an Christus und seine Jünger belegen, die gemeinsam verwaltet wurden und der Deckung notwendiger Ausgaben dienten57 - bis in die Zeit der ersten christlichen Gemeinden zurück, die zur Erfüllung verschiedener kirchlicher Aufgaben, darunter auch der finanziellen Unterstützung der geistlichen Amtsinhaber, auf den Erwerb von Vermögenswerten angewiesen waren. 58 Insbesondere die bischöflichen Großgemeinden der Städte verfügten nach den Angaben zeitgenössischer Quellenzeugnisse offenbar bereits im 3. Jh. über ein beträchtliches Vermögen, das sich nicht allein aus Barmitteln und anderen beweglichen Gütern zusammensetzte, sondern auch aus Immobilien (Häusern, Friedhöfen und anderen Liegenschaften) bestand. 59 Vermehrt wurden diese kirchlichen ,,Vermögensfonds" durch Schenkungen und Stiftungen, Erträge aus kirchlichem Besitz und, da eine allgemeine Verpflichtung zur Entrichtung spezieller Kirchensteuern noch nicht bestand, durch freiwillige Abgaben der Gläubigen (oblationes60), die vor allem an Sonntagen und bei anderen gemeinsamen Versammlungen der Gemeinde geleistet wurden. Die Existenz eines korporativen Vermögens der bischöflichen Ortskirchen war den staatlichen Behörden zwar durchaus bekannt und wurde von diesen auch - unabhängig von einer vereinsrechtlichen Konzessionierung der Kirche61 - bereits in vorkonstantinischer Zeit weitgehend, d. h. vor allem mit Ausnahme der Zeit der Christenverfolgungen, toleriert bzw. respektiert;62 eine endgültige rechtliche Klärung der kirchlichen Eigentumsfrage trat jedoch erst mit der offiziellen staatlichen Anerkennung des Besitztums- und Versammlungsrechts der christlichen Gemeinden durch die Toleranzerlasse der Jahre 311 bis 313 ein, welche die christenfeindlichen Maßnahmen des Diokletian (284-305), des Galerius (293-311) und des Maximinus Daia (310-313) beendeten. Hatte bereits Kaiser Galerius im Erlaß von Serdika 311 mit der Anerkennung der rechtlichen Stellung der Christen (ut denuo sint Christiani) und der Erlaubnis zur Wiederherstellung der gemeindlichen Versammlungsstätten und zur Bildung eigener „instituta" und „leges" den früheren „Status quo" 63 offiziell rechtlich bestätigt, 64 so wurde dieser Versuch einer ideologischen und administrativen Integration des Christentums und seiner pseudostaatlich-ökumenischen Organisationsformen in den römischen Staat schließlich in den Maßnahmen des Konstantin im Westen (u. a. erneute Verkündigung des Erlasses des Galerius in Afrika) 65 sowie im Nikomedischen Reskript des Licinius im Osten 313, 66 das fälschlicherweise häufig mit dem in der jüngeren Forschung als gelehrte 32

Konstruktion erkannten sog. ,,Toleranzedikt von Mailand" 313 identifiziert wird, 67 fortgesetzt: das Besitztums- und Versammlungsrecht wurde nicht mehr den zuvor allein als eine religiöse Gemeinschaft betrachteten „Christiani" zugestanden, sondern dem „Corpus Christianorum" gewährt (ad ius corporis eorum id est ecclesiarum non hominum singulorum), welches auf diese Weise mit allen einer Korporation nach römischem Recht zugewiesenen Rechten und Pflichten sowie staatlichem Schutz ausgestattet wurde. 68 Mit dieser Einfügung der Kirche in die alten Normen des staatlichen Verbandsrechts war jedoch zugleich eine rechtliche Schwierigkeit verknüpft, die deutlich die singuläre Stellung der Kirche im Gefüge des römischen Staates offenbart; eingebunden in das römische Verbandsrecht war dem ,,Corpus Christianorum" zwar in der Rechtspraxis die Fähigkeit zum Erwerb von korporativem Vermögen zugesprochen worden, doch fehlen im (kirchen)rechtstheoretischen Schrifttum der Spätantike genauere Angaben über den - im eigentlichen juristischen Sinne - Träger der Vermögensrechte, das „Rechtssubjekt": die örtliche Bischofskirche oder die Reichskirche, die jeweilige Gemeinde oder die ecclesia universalis. 69 Faktisch, d. h. im Rahmen des antiken Rechtsverkehrs, war der kirchliche Besitz als eine einheitliche Vermögensmasse stets einer bestimmten Ortskirche unter der Leitung eines Vorstehers zugeordnet. 70 Der genossenschaftliche Charakter der frühchristlichen Gemeinden wurde im Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung partiell überlagert von herrschaftlichen Strukturen: an der Spitze der ekklesialen Vermögensverwaltung stand der bischöfliche Kirchenvorsteher als Empfänger der freiwilligen Abgaben und Schenkungen der Gemeinde, 71 der bisweilen von seinem Mandatierungsrecht Gebrauch machte und Diakone sowie Presbyter vorbehaltlich der Aufsicht des Gemeindevorstehers - mit dem Empfang und der Verwaltung kirchlicher Vermögenszuwendungen, freiwilliger Abgaben, Spenden und Einkünften aus Liegenschaften, betraute. 72 Als Vorsteher der Gemeinde und ordentlicher „dispensator" des Kirchenvermögens oblag dem Bischof zugleich die unbeschränkte Verfügungsgewalt über die eingehenden Beiträge sowie Einnahmen aus ekklesialem Grundbesitz, deren Verwendung und Verteilung aus Mangel an positiven Anordnungen häufig je nach den individuellen Bedürfnissen der Gemeinde und des Klerus geregelt wurde. Ein ordnungsgemäßes Verhalten des Kirchenvorstehers vorausgesetzt, der in seiner Funktion als kirchlicher Vermögensverwalter allein allgemeinen religiösen und sittlichen Normen verpflichtet war, wurden diese bischöflichen Verfügungsrechte indes durch gewisse gewohnheitsrechtlich ausgebildete Grundsätze eingeschränkt: Aus den kirchlichen Vermögensfonds wurden - wenn auch die Höhe der Ausgaben schwankte und im freien Ermessen des bischöflichen Gemeindevorstehers lag - vor allem Mittel für den Unterhalt des Bischofs und des Klerus, für die Armenfürsorge sowie 33

kirchenbauliche Bedürfnisse (im doppelten Wortsinne Mittel für den Bau bzw. die Instandhaltung und Ausstattung der von der christlichen Gemeinde genutzten Gebäude und Räume etc.) bereitgestellt. 73 Eine allgemeine kirchenrechtliche Verpflichtung des Gemeindevorstehers zum Bau und Unterhalt ekklesialer Gebäude ist aus diesen gewohnheitsrechtlichen Regelungen jedoch nicht abzuleiten, zumal vor der staatlichen Anerkennung des Christentums durch die Toleranzedikte der Tetrarchenzeit offenbar vornehmlich private Gebäude als Versammlungsstätten genutzt wurden. Die Fähigkeit zum Erwerb, zur Bewahrung und zur Nutzung kirchlicher Vermögenswerte wurde - wenngleich letztlich allein auf einer gewohnheitsrechtlichen Ebene74 - zunächst, im 4. Jh., offenbar allein Bischofskirchen zugesprochen; 75 der kirchliche Besitz einer Diözese, eine einheitliche Vermögensmasse bildend, war dem Bistum bzw. der Bischofskirche als Eigentum zugeordnet und wurde vom zuständigen Bischof verwaltet. 76 Erst seit dem 5. Jh. mehren sich Hinweise auf die Entwicklung von Sondervermögen an einzelnen Lokalkirchen innerhalb einer Diözese 77 : Während im Orient und in Nordafrika offenbar bereits zu Beginn des 5. Jhs. einzelne Niederkirchen (vornehmlich auf der Grundlage privater Schenkungen) Eigenbesitz erwarben, der - wie die Beschlüsse der Konzilien von Karthago 419 und 421 78 zeigen - bald auch von der synodalen Gesetzgebung anerkannt wurde, vollzogen sich entsprechende Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent vermutlich erst im Verlaufe des 5. Jhs. Nach den Verfügungen des Kanons 36 der 2. Synode von Arles (443 oder 453) über die Rechteeines bischöflichen Grundherrn an einer auf eigenem Boden oder kirchlichem Besitz in einem fremden Bistum errichteten Kirche wurde die geistliche Leitungsgewalt dem Bischof der fremden Diözese zugewiesen (und auf diese Weise die diözesane Ordnung vor dem Eindringen fremder Leitungsgewalten bewahrt), während dem Erbauer der Kirche die Verwaltungsrechte an dem von diesem zusammengetragenen Kirchengut zugesprochen wurden. 79 Von weitreichender Bedeutung für das weitere Vordringen eigenständiger Vermögensbildungen an Niederkirchen war im Gallien des 6. Jhs., nach der Landnahme der Franken und der Bekehrung sowie Taufe ihres Heerführers Chlodwig 506, die Gesetzgebung der Synode von Orleans 541; hier wurde- offenbar zur Vermeidung von Mißständen- eine ausreichende Ausstattung einer grundherrlichen Eigenkirche mit Ländereien und Klerikern durch den Gründer vorgesehen. 80 Eine entsprechende Regelung wurde auch von der 2. Synode zu Braga in Spanien 572 erlassen. 81 Erst aus dem 6. Jh. schließlich stammen Belege für die Ausbildung eines Sondervermögens an einzelnen bischöflichen Land- und Pfarrkirchen. Nach den Bestimmungen der Synode von Agde 50682 und Epao 51783 beispielsweise wurden den an den Kirchen des Bistums tätigen Priestern zwar die Nutzungsrechte am jeweiligen Kirchengut zugestanden, doch blieben die 34

entsprechenden Verwaltungs- und Dispositionsbefugnisse dem Bischof vorbehalten. Während jedoch die Bischöfe in Italien die Verfügungsgewalt über das diözesane Kirchenvermögen über die Langobardenzeit hinaus zu wahren wußten, erfuhren die Verwaltungsrechte der Bischöfe im fränkischen Gallien und im Spanien der Westgoten durch die Synoden von Orleans 511 84 und 53885 sowie Braga 57286 eine gewisse Modifizierung: In wachsendem Umfange wurden episkopale Verwaltungsund Dispositionsbefugnisse beschnitten und Teile des kirchlichen Vermögens der Verfügungsgewalt der an der jeweiligen Kirche tätigen Priester unterstellt. Von Bedeutung waren diese Verschiebungen und Veränderungen, die sich im Rahmen der Auflösung der spätantiken Vermögens- und Verwaltungseinheit der Bistümer im Gallien und Spanien des 6. Jhs. vollzogen, vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach dem Träger der kirchlichen Baulast. ,,Mit der fortschreitenden Vermögensfähigkeit der Einzelkirche trat die Inanspruchnahme des Bistumsvermögens (Kathedralvermögens) für die Instandhaltung des öffentlichen diözesanen Kirchenbaues folglich mehr und mehr in den Hintergrund. Allerdings befreite dies den Bischof nicht von seiner Bau-,Pflicht', zumindest nicht dort, wo er an der Dispositionsgewalt über das betreffende Sondergut festhielt." 87 Ansätze zu einer Regelung der Baulast auf der Grundlage einer gesetzlichen Vereinbarung sind zunächst in der 2. Hälfte des 5. Jhs. in Rom und den Bistümern des römischen Metropolitanbezirks zu beobachten. 88 Im Rahmen der seit dem 3. Viertel des 5. Jhs. einsetzenden päpstlichen Reform der bischöflichen Vermögensverwaltung wurde eine Quartteilung der kirchlichen Einkünfte eingeführt. Bereits Papst Simplicius (468-483) verfügte in einem an die Bischöfe von Florenz, Equitium und Severum gerichteten Schreiben eine Aufspaltung der Einkünfte der Kirche bzw. der Oblationen der Gläubigen: Ein Teil wurde jeweils dem Bischof und den Klerikern zugesprochen, eine „portio" jeweils der Unterhaltung der kirchlichen Gebäude sowie der Betreuung der Armen und Fremden zugewiesen. 89 Papst Gelasius I. (492-4%) erneuerte in einem Schreiben an die Bischöfe von Lukanien, Brutii und Sizilien aus dem Jahre 494 dieses „Quartsystem": „Quatuor autem tarn de reditu quam de oblatione fidelium, prout cujuslibet ecclesiae facultas admittit, sicut dudum rationabiliter est decretum, convenit fieri portiones: quarum sit una pontificis, altern clericorum, pauperum tertia, quarta fabricis applicanda. " 90 Mit der Verwaltung dieser Vermögensteile war -wie einem zweiten Schreiben des Gelasius an die Bischöfe in Sizilien aus dem Jahre 494 zu entnehmen ist91 -der Bischof der jeweiligen Diözese betraut, dem mithin auch die gesetzliche Baupflicht oblag; diese erstreckte sich jedoch nicht auf alle Kirchen des bischöflichen Amtsbezirks: Die bauliche Unterhaltung der privaten „basilicae" und „oratoria" sowie der öffentlichen Kirchen und „monasteria", die Sondergut gebildet hatten 35

und deren Verwaltung mehr und mehr dem örtlichen Klerus zugefallen war, wurde nicht von der diözesanen „quarta fabricarum" getragen. 9:2 Im westgotischen Spanien stammen erste Hinweise auf ähnliche Teilungsmodi des diözesanen Kirchenvermögens und deren Aufnahme durch eine synodale Gesetzgebung - die jurisdiktionelle Autorität des Papstes beschränkte sich allein auf den römischen Metropolitanbezirk93 - aus dem Anfang des 6. Jhs. 94 Dem Bischof als dem Empfänger eines Drittels der Einkünfte der Kirchen95 oblag die Baulast für die Kirchen in der Bischofsstadt sowie für die Pfarrkirchen auf dem Lande. 96 Mit der zweckbestimmten Bindung des bischöflichen Anteils „ad fabricam", d. h. an die Verwendung für die bauliche Unterhaltung der Kirchen, durch synodale Verfügungen des 7. Jhs. wurde die Bischofsterz schließlich faktisch gleichsam in einen Güterkomplex umgewandelt, dessen Einkünfte der Instandhaltung der kirchlichen Gebäude sowie der Bestreitung der Kultusbedürfnisse vorbehalten waren. 97 Eine ähnliche Verfügung hatte bereits die 2. Synode zu Braga 572 erlassen: An den Pfarrkirchen sollte ein Drittel der Einkünfte aus den Oblationen der Gläubigen offenbar zur Instandhaltung der Baulichkeiten sowie zur Kirchenbeleuchtung verwendet werden. Dem Bischof hingegen wurde untersagt, einen Anspruch auf diesen Anteil zu erheben: ,,nam si tertiam partem illam episcopus tollat, lumen et sacra tecta abstulit ecclesiae" .98 In der abendländischen Kirche des frühen Mittelalters vollzogen sich unter dem Einfluß der zeitgenössischen Wirtschaftssysteme (Naturalwirtschaft und Grundherrschaft) vermögensrechtlicher Vorstellungen der germanischen Volksrechte sowie des Lehens- und Benefizialsystems grundlegende Veränderungen bzw. Verschiebungen in der rechtlichen Stellung und Verwaltung des ortskirchlichen Vermögens sowie im Bereich des kirchlichen Abgabenwesens. 99 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere drei Phänomene, die nicht allein Einfluß auf die gesamte weitere Entwicklung des kirchlichen Rechts nahmen, sondern zugleich unmittelbar auch die Regelungen zur kirchlichen Baulast betrafen: die Ausbildung des Rechtsinstituts der Eigenkirche (uneingeschränkte Verfügungsgewalt des Eigenkirchenherren über die jeweilige Eigenkirche einschließlich des Kirchengutes), die weitere stiftungsrechtliche Aufspaltung des diözesanen Vermögens bis zur Entwicklung des geistlichen Benefizial- und Pfründensystems sowie die Entwicklung des kirchlichen Zehntrechts. Ursächlich verbunden war diese im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter zu beobachtende Aufnahme zeitgenössischer Entwicklungen des weltlichen Rechts- und Wirtschaftssystems durch das Kirchenrecht vor allem mit einer wachsenden Einflußnahme weltlicher Herrschaftsträger auf kirchliche Institutionen bzw. deren Eingliederung in das weltliche Herrschaftsgefüge, die zugleich mit einer zeitweiligen inneren Schwäche der (abendländischen) Kirche einhergingen. 100

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In einzelnen Bereichen berührte sich dieser kirchenrechtliche Umbildungsprozeß unmittelbar mit der unter den karolingischen Hausmeiern Karlmann (740-747) und Pippin d. J. (740-768, ab 751 König) einsetzenden Reform der fränkischen Landeskirche (sog. karolingische Kirchenreform), die zunächst vor allem von der reformerischen Tätigkeit des angelsächsischen Missionars und päpstlichen Legaten für Germanien, Bonifatius-Winfrith (t 754), getragen wurde: Auf verschiedenen Synoden (Concilium Germanicum 742/43, Les Estinnes 743, Soissons 744) bemühte sich Bonifatius in Zusammenarbeit mit Karlmann und Pippin d. J., zuvor entfremdete und als Lehen an weltliche Große vergebene Kirchengüter erneut der kirchlichen Verfügungsgewalt zu unterstellen; mit der Durchführung verschiedener Regelungen zur Sicherung des Bestandes von Niederkirchen wurde jedoch zugleich die weitere Aufspaltung des diözesanen Vermögens in rechtliche Bahnen geleitet. 101 An der Wende zum 9. Jh. war schließlich die vermögensrechtliche Verselbständigung der ländlichen Kirchen weitgehend abgeschlossen, während sich dieser Vorgang im Bereich des städtischen Kirchenwesens bis ins 10. Jh. fortsetzte. Im Rahmen dieser Umstrukturierungen vollzog sich daneben auch die Rückbildung der vermögensrechtlichen Stellung des Bischofs, dem zumeist nur noch begrenzte Aufsichtsrechte zugestanden wurden. 1 0;2 Im Unterschied zu Italien oder Spanien war die kirchliche Baulast im Frankenreich bis weit ins 8. Jh. hinein nicht Gegenstand einer gesonderten Gesetzgebung. 103 Nach dem Niedergang der Metropolitanverfassung und dem Verfall der Synodaltätigkeit blieb es vielmehr vornehmlich weltlichen Machthabern vorbehalten, in die gesetzlichen Verfügungen der Kapitularien auch Regelungen zur baulichen Unterhaltung aufzunehmen, die auf diese Weise gemeinhin für das gesamte fränkische Reich Verbindlichkeit erlangten. Einen entscheidenden Einfluß auf die weitere Entwicklung des karolingischen Kirchenrechts nahm hierbei insbesondere die sog. ,,DionysioHadriana", eine überarbeitete und erweiterte historisch geordnete Kirchenrechtssammlung des gelehrten skythischen Mönches Dionysius Exiguus (t vor 556), die Papst Hadrian I. (772-795) König Karl dem Großen bei dessen Aufenthalt in Rom im Jahre 774 als Geschenk überreicht hatte und die sich bis zum Beginn der klassischen Kanonistik im 12. Jh. neben anderen kirchenrechtlichen Autoritäten großer Beliebtheit erfreute. 104 Die Durchführung der Bestimmungen dieser und anderer Kirchenrechtssammlungen zum Eigenkirchenwesen erfolgte indes nicht im Hinblick auf eine mögliche Beseitigung des Eigenkirchenrechts, das den Rechtsträgern, Laien und Klerikern, das freie Eigentum an ihrer Kirche und deren Vermögen gewährte, sondern hatte vorrangig die Einfügung der wildgewachsenen Eigenkirchen in den hierarchisch ausgerichteten Bau des Bistums zum Ziel. Das Gut der Kirche blieb auch weiterhin Eigentum des Kirchenherrn, doch war es als zweckgebundenes Sondervermögen rechtlich geschützt. Wichtig ist in die37

sem Zusammenhang, daß nach altkirchlichem Recht die kirchliche Baupflicht auf den Kircheneinkünften lastete, mithin der Pfründeninhaber bzw. Eigenkirchenherr zum Unterhalt der Kirche verpflichtet war. 105 In den Rahmen der karolingischen Kirchenreform ist schließlich auch die unter König Pippin d. J. bzw. Karl d. Gr. erfolgte Einführung des kirchlichen Zehnten als einer allgemeinen, rechtlich verbindlichen „Steuer" einzufügen (vor allem im Kapitular von Heristal 779) 106 , die ursprünglich allein Bischofskirchen zustand, später jedoch ausschließlich auf Pfarr- und Taufkirchen überging und diesen mithin den Erwerb eines eigenständigen Vermögens ermöglichte. 107 Zu den Jahren 799/800 sind darüber hinaus die Beschlüsse der Synoden von Riesbach, Freising und Salzburg überliefert, die in Anlehnung an die päpstlichen Verfügungen des 5. Jhs. eine Vierteilung der Zehnterträge zugunsten des Bischofs, des Klerus, der Armen sowie der kirchlichen Gebäude vorsahen; 807 wurde diese Bestimmung auf einer weiteren Salzburger Synode erneuert. 108 Die wachsenden eigenherrlichen Anschauungen der Bischöfe, die bei der Veräußerung einer Zehntkirche zugleich auch den jeweils anhängigen Zehnten übertrugen, sowie der Brauch, Zehntanteile als Lehen zu vergeben, führten im Verlaufe des 10. Jhs. jedoch zu einem Verblassen der Zehntteilung und - damit eng verbunden - zu einer Verkürzung bzw. Abschaffung der (nicht mehr verfügbaren) ,,Fabrikportio". 109 Einzelnen Nachrichten und Beschlüssen ist zu entnehmen, daß die Quartteilung der Kathedraleinkünfte, die in Italien weite Verbreitung fand, sowohl im west- als auch im ostfränkischen Reich im 9. Jh. bekannt war. 110 Im unklaren bleibt jedoch, inwieweit die aus dieser Quartregelung erwachsene Verpflichtung zum Kirchenbau und zur Bauunterhaltung tatsächlich eingehalten wurde; jedenfalls erinnern in der zweiten Hälfte des 9. Jhs. Erlasse nur noch selten an diese Pflicht. Zwar nahm um 906 Abt Regino von Prüm noch einige Baulastbestimmungen in sein für Visitationsreisen bestimmtes Handbuch auf, 111 doch sind in dieser Zeit vor allem partikularrechtliche Regelungen wirksam, die sich einer allgemeinen Verbindlichkeit entziehen. Das Ende der kanonischen Teilung der Kathedraleinkünfte war schließlich eng mit einer Entwicklung verknüpft, welche in der Forschung gemeinhin unter dem Begriff der „Güter- oder Mensenteilung" zusammengefaßt wird: die Verselbständigung des Kathedralklerus (gegenüber dem Bischof) und die Bildung eines auch finanziell eigenständigen Domkapitels, die sich vom 9. bis zum 11. Jh. vollzog. 112 Im Rahmen dieser im Bereich der Hochkirchen zu beobachtenden vermögensrechtlichen Umstrukturierungen ist an zahlreichen Dom- und Stiftskirchen des Karolingerreiches und seiner Nachfolge„staaten" die Ausbildung eines für den Bau und den Unterhalt der kirchlichen Gebäude bestimmten Sondervermögens nachzuweisen. Die kirchenrechtliche Grundlage dieser Entwicklung bildete die nicht zuletzt unter dem Einfluß germa38

nischer Rechtsvorstellungen ausgeprägte Rechtsform des zweckgebundenen Sondervermögens, die den Stiftern eine Spezifizierung der Einkünfte ihrer Stiftung erlaubte. 113 Diese Tendenz zu einer speziellen Zweckbestimmung von Teilen des Kirchenvermögens, die sich später auch auf ältere, ursprünglich nicht zweckgebundene kirchliche Güterkomplexe ausdehnte, ist zunächst, im 9./10. Jh., vornehmlich an den rechtlich weiter entwickelten Bischofskirchen in der westlichen Hälfte des fränkischen Reiches zu beobachten.114 Für den deutschsprachigen Raum liegen Hinweise auf die zweckbestimmte Zuweisung von Gütern für die Unterhaltung kirchlicher Gebäude seit dem 11 Jh. vor. In einer vom 1 März 1021 datierten Urkunde verleiht Kaiser Heinrich II. beispielsweise der Paderborner Bischofskirche die Grafschaft des verstorbenen Grafen Liudolf mit der Bestimmung, daß ihr Ertrag zur baulichen Unterhaltung der Domkirche verwendet werden sollte (ad restaurationem constructionis ipsius ecclesie, ut inde muri releventur, tecta reparentur et quicquid oportunum fuerit ad corporalem formam ipsius domus domini, ibi inde administretur). 115 Kaiser Heinrich III. schließlich verleiht im Jahre 1053 der bischöflichen Kirche zu Eichstätt einen Markt in Beilngries und Waldkirchen im Nordgau und fügt hinzu, daß Bischof Gebhard und seine Nachfolger die Einkünfte aus diesem Markt „ad utilitatem et restaurationem aecclesiae suae" verwenden sollen. 116 Entsprechende Entwicklungen sind auch im Niederkirchenbereich zu beobachten. 117 Die Verselbständigung des ,,Fabrikgutes" zu einer eigenständigen Vermögensmasse und eines für den Unterhalt des Geistlichen bestimmten Vermögens (Benefizial- bzw. Pfründengut) ist eng mit der Überwindung des Eigenkirchenwesens seit dem 10. Jh. verknüpft. 118 Mit der Umwandlung des Eigenkirchenrechts in das gemäßigte Patronatsrecht wurden vor allem die Vermögensrechte der Eigenkirchenherren eingeschränkt und der jeweiligen Kirche als einer rechtlichen Anstalt zugesprochen. 119 Eine große Bedeutung für die Bildung des „Fabrikgutes" erlangten neben dem älteren, ,,zweckfreien" Kirchenvermögen und den zweckgebundenen Stiftungen die den Kirchen dargebrachten Gaben der Gläubigen (oblationes); diese wurden nicht selten zum Gegenstand von Auseinandersetzungen mit Pfarrern, die die Oblationen als Pfründeneinkommen beanspruchten, bzw. mit Klöstern und Stiften, denen die jeweiligen Kirchen gegebenenfalls inkorporiert waren. 12 Konnten sich die Rechte der „fabrica ecclesiae" an den Oblationen tatsächlich durchsetzen, so bildeten diese einen weiteren „Kristallisationspunkt" für die einheitliche administrative Zusammenfassung des „Fabrikgutes" . 121 Die Trennung beider Bereiche des Finanzbedarfs ist seit dem 12. Jh. vollzogen, um die „Stiftungen und Opfergaben, die für die Erhaltung der Kirche und des Gottesdienstes bestimmt waren, vor dem Zugriff des Pfründeinhabers oder, wenn die Kirche inkorporiert war, des Eigentümers der Kirche sicherzustellen". 122 Einen deutlichen Hinweis auf eine sorgfältigeTrennung der beiden Berei-

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ehe des Finanzbedarfs, des Pfründegutes und des Fabrikgutes, enthält eine Urkunde des Bischofs Friedrich II. von Halberstadt aus dem Jahre 1230, in der dieser die Güter der Kirche zu Gersdorf bestätigt. Zum Pfründegut vermerkt er: ,,De bis bonis sustentabiter sacerdos loci illius, et ecclesia ad sui reparationem nullum ad ea respectum habebit." 123 Die Verwendung des Pfründegutes und des Fabrikgutes sollte also streng auseinandergehalten werden, das Fabrikgut mithin auch nicht dem Unterhalt des Geistlichen dienen. Die bischöfliche Verwaltung beschränkte sich im 11. Jh. in erster Linie auf Einkünfte aus dem Bischofsgut, geistlichen Patronaten, privatwirtschaftlichen Einnahmen sowie „Steuern". Die bischöfliche Einflußnahme auf das übrige Kirchenvermögen seiner Diözese kann indes nur noch als ein Aufsichtsrecht bzw. eine Aufsichtspflicht bezeichnet werden. Nicht ohne Auswirkung ist dieser Prozeß auch auf die Baulast geblieben: Es häuften sich Regelungen, die auf einer individuellen Basis versuchten, eine Lösung dieses Problems zu finden; zwar liegen vereinzelt Nachrichten über die Festlegung der bischöflichen Baulastanteile vor, doch vollzog sich bereits seit dem 11 Jh. eine Ablösung der episkopalen Baupflicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß diese Ablösung vor allem aus der Eigenständigkeit des Vermögens von Niederkirchen resultiert, d. h., es ist hier vor allem zwischen Regelungen für den Kathedralbau und solchen für Niederkirchen zu unterscheiden. Um 1130 wurde in einem möglicherweise Papst Innozenz II. (1130-1143) zuzuweisenden Schreiben bestimmt, daß ein Mönch, der als Seelsorger an einer (Nieder-)Kirche tätig ist, die vollen kirchlichen Einkünfte erhalten solle, um zur Wiederherstellung der Kirche, falls notwendig, beitragen zu können. 124 Eine genauere Regelung erscheint in einer Dekretale Alexanders III. aus dem Jahre 1179: Die Kosten für den Kirchenbau und Kirchenunterhalt seien vorrangig von der „fabrica ecclesiae" selbst zu tragen, erst subsidiär sollten auch der Patron und die Pfründner herangezogen werden. Eine rechtliche Verpflichtung der Parrochianen (Pfarrmitglieder) zur Beteiligung an den Unkosten war jedoch nicht vorgesehen, diese sollte vielmehr allein auf einer freiwilligen Basis erfolgen. 125 Die Bedeutung de r Priester als Pfründeninhaber bei der Kostendeckung an Niederkirchen betont zugleich eine Dekretale Alexanders III. aus dem Jahre 1161/81: der Priester solle für den Bau und Unterhalt der Kirche sorgen und auf diese Weise ein Beispiel für die Pfarrgenossen geben. 126 Überstiegen die Kosten für Renovierung oder Neubau die finanziellen Möglichkeiten des Fabrikgutes, des Pfarrers und der Gemeinde, so konnte auch der Empfänger des entsprechenden Kirchenzehnten herangezogen werden. 127 Entsprechenden Vorstellungen sind auch die Dekretalisten des 13. Jhs. verpflichtet: die Baulast an einer Kirche sollte vor allem aus dem speziellen Fabrikvermögen - sofern dies bestand - bestritten werden; die Einkünfte des Kirchenvorstandes und der Benefiziaten dürften nur dann herangezo40

gen werden, wenn das Fabrikgut nicht ausreiche. Die zu tragende „onus fabricae" sollte jedoch dem Umfang der Einkünfte (pro rata beneficiorum) angepaßt werden, wie Goffredus de Trano in seiner 1241/43 verfaßten und weitverbreiteten Schrift „Summa super titulis decretalium" vermerkte; 128 entsprechende Bestimmungen enthält auch die 1253 abgeschlossene ,,Summa aurea" des Dekretalisten Heinrich von Segusia. 129 Auf einer Synode in Arles 1275 wurde verfügt, daß die Bischöfe, die „rectores ecclesiarum vel alii, qui ad hoc de consuetudine tenentur", zur Wiederherstellung der Landkirchen zu zwingen seien, soweit dies finanziell möglich sei. 130 1310 wurden auf einerTrierer Synode die Kirchenrektoren und Benefiziaten aufgefordert, sich bei der Errichtung von Gebäuden, der Reparatur der Kirchen und Gebäude sowie der Bücher usw. den Einkünften ihrer Kirchen entsprechend zu bemühen, mit ihrem Beitrag den Pfarreimitgliedern ein gutes Beispiel zu geben. 131 Typisch für dieses Problem ist auch der Streit um die Baulast beim Neubau der Pfarrkirche St. Georg in Nördlingen, die 1310 König Heinrich VII. dem Zisterzienserkloster Heilsbronn bei Ansbach geschenkt hatte und die 1311 durch den Bischof von Augsburg dem Kloster inkorporiert worden war. 132 Bereits 1427 beschlossen die Nördlinger Ratsherren offenbar einen Neubau der städtischen Pfarrkirche. 133 Die Aufforderung des Nördlinger Rates an das Kloster Heilsbronn, sich an den Baukosten zu beteiligen, führte zu einem Streit, den der Augsburger Bischof 1444 zu Dillingen klären wollte. Die Sachlage stellte sich den Richtern folgendermaßen dar: Stadt und Pfarrvolk hatten den Bau einer Pfarrkirche begonnen. Weil sie jedoch daraus keinen Nutzen (gült oder nüczung) hätten und das Kloster Heilsbronn Lehensherr der Pfarrkirche sei, glaubten sie, das Kloster solle zu Hilfe (hilf und steur) kommen. Der Abt von Heilsbronn erklärte dagegen, es sei gegen landesübliche Gewohnheit, daß derjenige, dem die Kirche einverleibt sei, die Kirche allein baue oder Hilfe von ihm erbeten werde. Die Kirche diene der Allgemeinheit (gemain seyen) und solle vom gemeinen Almosen gebaut werden. Dabei verwies er auf den Tempelbau König Salomos, der das Scherflein einer armen Frau zum Bau angenommen habe, die des Gotteslohnes teilhaftig werden wollte. Er sei jedoch bereit, aus Freundschaft Hilfe zu leisten. Noch im Juni 1445 war es nicht gelungen, eine Einigung herbeizuführen; ein neuer Prozeß wurde angestrengt. 134 Die Schiedsrichter erbaten sich erneut eine Bedenkzeit mit der Versicherung aus, man wolle hochgelehrte und weise Leute von Hochschulen „tütscher und welscher land" um Rat fragen. Doch wurde erst am 3. März 1449 endgültig entschieden, daß „der Abt und das Convent nicht schuldig syen, etwas zu dem Bau beyzutragen, ausser was sie von guter Freundschaft halber thun wollten; sondern die Stadt sollte selbsten wie bisher sothanen Bau von den fallenden Almosen fortsetzen ...".135 Diese Entscheidung kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Die mangelnde Einheitlichkeit der 41

Regelungen der Baupflicht an Niederkirchen zeigt noch das Wormser Synodale von 1496, 136 ein Bericht über eine Pfarrkirchenvisitation in der Diözese Worms, der die Verteilung der Baulasten an den Pfarrkirchen aufzeichnet; häufig war die Baulast auf mehrere Personengruppen aufgeteilt und für Chor, Schiff und Turm verschieden. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie im Verlaufe des Mittelalters der Anteil der Pfarrgemeinde am Unterhalt und Bau der Kirche sich immer mehr vergrößerte. Hinsichtlich der Baulast an Kathedralen ist zu bemerken, daß auch im 13. Jh. die Bischöfe nicht generell von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Kathedralbau befreit waren; Querelen über die Übernahme von . Baulasten sind häufig überliefert. Zumeist waren auch die Domherren verpflichtet, einen gewissen Beitrag zum Unterhalt der Kirche zu leisten. So verkündete Papst Innozenz III. 1198, daß, sofern der Erzbischof sowie der größere und bessere Teil des Domkapitels zustimme, jeder einzelne Domherr zur Instandsetzung der Kathedrale beitragen müsse. 137 Für die Reimser Kathedrale lieferte der Bischof nach dem Brande von 1210 - abgesehen von einer bescheidenen Landstiftung - keinen nennenswerten Beitrag; das Kapitel hatte vielmehr allein für die Finanzierung der Bauarbeiten zu sorgen. 138 In Beauvais verpflichteten sich nach dem Brande von 1225 Bischof und Kapitel, zehn Jahre lang ein Zehntel ihrer Einkünfte für den Neubau zu geben. 139 Häufig ist nicht eindeutig zu klären, ob bischöfliche Beiträge zum Kirchenbau freiwillig geleistet wurden oder aus der - rechtlich noch immer bestehenden - Baupflicht erwuchsen. Für den Straßburger Münsterbau ist im 15. Jh. kaum ein finanzieller Beitrag des Bischofs und des Domkapitels nachzuweisen; das Bauvermögen wurde - vor allem seit dem späten 13. Jh. - weitgehend von den Bürgern der Stadt Straßburg aufgebracht. 140 Mit diesen Überlegungen aber ist bereits ein weiterer Bereich angesprochen, der das Problem des Kirchenvermögens bzw. die Baupflicht betrifft: die Finanzierung des Kirchenbaus. 141 Wie die bislang erwähnten Beispiele gezeigt haben, reichte das Fabrikgut offenbar nur in seltenen Fällen aus, , um eine Kirche zu errichten. Oft mußte die finanzielle Hilfe der Gemeindemitglieder, der Patronatsherren und der Pfründeinhaber herangezogen werden, was nicht zuletzt auch zu vielfachen Streitigkeiten über die Höhe der zu leistenden Anteile führte. Die ökonomische Grundlage des mittelalterlichen Baubetriebs, sowohl Geldmittel als auch Naturalien, die entweder unmittelbar verwendet oder durch Verkauf in Geld umgesetzt wurden , war ebenso heterogen zusammengesetzt wie die Formen der Finanzierung selbst vielfältig waren. So scheint es im 15. Jh. in Straßburg Brauch gewesen zu sein, daß Männer dem sog. Frauenwerk, d. h. der Domfabrik, Rock, Rüstung und Pferd vermachten, aus deren Erlös dann der Münsterbau mitfinanziertwurde. 14:2 Die Ren42

dite aus Grund- und Hausbesitz spielte bei der Finanzierung zumeist eine recht bescheidene Rolle, ebenso der Rentenkauf. Von größerer Bedeutung war hingegen die zeitweise oder dauerhaft erfolgende Übertragung einer oder mehrerer Pfründen an die Fabrik sowie die Verpflichtung neu in das Kapitel aufgenommener Kanoniker, neben der Zahlung einer Aufnahmegebühr, für eine gewisse Zeit auf ihre Einkünfte zu verzichten (anni fabricae) bzw. vakant gewordene Praebenden eine Zeitlang „ad sustentationem eius fabricae" (1220 Speyer) unbesetzt zu lassen. 143 Der Neubau des Aachener Münsterchores wurde dadurch möglich, daß das Kapitel 1355 für die Dauer des Baus die Einkünfte einer vollen Kanonikerpfründe zur Verfügung stellte; der Propst verpflichtete sich für dieselbe Zeit zu einem gleich hohen Jahresbeitrag, der in erster Linie aus seinem Anteil an den Erträgen der drei im Paradies, vor dem Kreuzaltar des Münsters und bei dem Predigtstuhl auf dem Kirchhof stehenden Opferstöcke gedeckt werden soll. 144 Als weitere Quellen sind neben Straf- und Bußgeldern Gelder aus dem Verkauf von Kirchengut, aus Münzverpachtungen, Abgaben der Pfarreien und Gelder, die aus dem Verzicht dieser Pfarreien auf die erstjährigen Einkünfte (Annaten) bei der Neubesetzung von Pfarrstellen erwachsen waren, zu nennen. Von besonderer Bedeutung waren die freiwilligen Leistungen der Gläubigen, die auf sehr unterschiedliche Weise erbracht werden konnten, durch Reliquientranslationen, Ablässe145 und Kollekten reisender Almosensammler, ferner durch umfangreiche, vornehmlich der Seelenpflege und dem Totengedächtnis dienende Schenkungen (legata, donationes). Schließlich sind auch die Baubruderschaften zu erwähnen, die seit dem 11. Jh. nachgewiesen werden können. 146 Die Bedeutung der Altarstiftungen für den Kirchenbau ist sehr zurückhaltend zu beurteilen. Der Zusammenhang zwischen Altarstiftungen und Bautätigkeit, wie er in der Kunstgeschichte gern zur Baudatierung herangezogen wird, erfordert größte Zurückhaltung und jeweilige Klärung, zumal die Altarstiftung nicht zur Baufinanzierung beiträgt, sondern dem Altar und seinem Kult zugute kommt; allein bei spätgotischen Seitenkapellen kann ein Zusammenhang vermutet werden.

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2. Verwaltung der „fabrica ecclesiae" Im Rahmen der sich seit dem 9. Jh. im kirchlichen Bereich anbahnenden vermögensrechtlichen Umstrukturierungen, die in der Forschung gemeinhin unter dem Begriff der „Güterteilung" zusammengefaßt werden, ist an zahlreichen Hoch- und Niederkirchen im Karolingerreich und seinen Nachfolge„staaten" die Ausbildung eines gesonderten Vermögensfonds zur Deckung der Kosten für den Bau und Unterhalt der jeweiligen kirchlichen Gebäude sowie für die Kultusbedürfnisse (Meßwein, Hostien, Kerzen) zu beobachten. 147 In lateinischen Quellen wird dieser zweckgebundene Güterkomplex - zeitlich parallel und ohne regionale Schwerpunkte - gemeinhin als „fabrica ecclesiae" oder „opus" bezeichnet; im norddeutschen Raum wurde daneben auch der Ausdruck „structura" verwendet: In einem Statut des Bischofs Burchard und des Domkapitels zu Lübeck aus dem Jahre 1277 zur Rechnungslegung der Domherren, die mit verschiedenen Kapitelsämtern betraut waren, werden auch jene erwähnt, ,,qui presunt structure" . 148 Bisweilen wurden die Begriffe „fabrica ecclesiae" und „opus" sogar in einem einzelnen Schriftstück synonym verwendet. In einer Urkunde des Dekans Archembaudus und des Kapitels der Kathedrale von St. Etienne zu Bourges aus dem Jahre 1201 werden die Verpflichtungen des Bernard Chauvez gegenüber der „fabrica ecclesie nostre", die auch als „opus" bezeichnet wird, festgelegt. 149 Bischof Wilhelm von Bourges vermacht in einer Urkunde aus dem Jahre 1210 zahlreiche kostbare Reliquien der Kathedrale von Bourges und bestimmt in diesem Zusammenhang, ,,ut oblationes ... sive proventus in perpetuum debeant in opus et fabrice ecclesie absque ulla diminutione converti". 150 Erschwert wird eine Betrachtung des Phänomens „fabrica ecclesiae" daneben durch den Umstand, daß die Ausdrücke „fabrica" und „opus" nicht selten auch zur Bezeichnung des Kirchengebäudes bzw. des Baus einer Kirche verwendet wurden. In einer Urkunde des Kölner Domkapitels aus dem Jahre 1247/48 über die Beiträge des Thesaurars Philipp sowie des „ custos camere" Winrich zum Neubau des Domes werden die Spenden der Gläubigen am St-Peters-Altar auf sechs Jahre „ad opus nove fabrice maioris ecclesie" zugewiesen. 151 Bezeichnet der Begriff „fabrica" in diesem Zusammenhang den Bau der Kathedrale, so verweist der Ausdruck „opus" im Kontext der Urkunde möglicherweise auf eine zu dieser Zeit vielleicht bereits existierende Kölner „Domfabrik". Nach einer Vereinbarung des Domkapitels und des Thesaurars Emicho von „Spaynheim" aus dem Jahre 1325 sollte der Thesaurar „ex parte ipsius fabrice", d. h. aus der Vermögensmasse der „Domfabrik", jährlich eine Rente von 100 Mark erhalten und dafür die am Hochaltar des Kölner Domes eingehenden Spenden abtreten. 152 Archembault de Sully hinterläßt im Jahre 1240 der „fabrica ecclesiae sancti Stephani Bituricensis", d. h. der „Kirchenfabrik" zu St. Stephan in Bourges,

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20 L. 153 Eine im Jahre 1239 ausgefertigte Urkunde hingegen verzeichnet ein Legat des Priors von St. Ursin zu Bourges in Höhe von 50 L. Tur. an das „opus fabricae" der Kathedrale zu Bourges. 154 In einer Vereinbarung aus dem Jahre 1232 zwischen dem Kapitel und dem Propst Robertus der Kollegiatskirche Saint-Ame zu Douai wird festgelegt, daß der genannte Praepositus für die bauliche Erneuerung der „fabrica ejusdem ecclesie", d. h. des Baus der genannten Kirche, verantwortlich sei. 155 Auch der Begriff „structura" wurde bisweilen zur Bezeichnung des Kirchenbaus verwendet. So unterscheiden die vom 24. Juli 1336 datierten Satzungen der Hamburger Kirche in einem Abschnitt über die Wahl, die Aufgaben sowie die Pflichten der als „structurarii" bezeichneten „Fabrikverwalter" deutlich zwischen der Kirchenfabrik der „fabrica ecclesiae" und dem mit dem Begriff der „structura" belegten Bau der hamburgischen Kirche. 156 Seit dem 13. und 14. Jh. sind daneben auch volkssprachliche Bezeichnungen für die „Kirchenfabrik" nachzuweisen. In einer Urkunde des Grafen Johann von Kleve und seiner Frau Mechthild aus dem Jahre 1357 beispielsweise wird die Kölner Domfabrik „werck der kirken van Coelne" genannt.157 Im Jahre 1418 wird die örtliche „Fabrikverwaltung" zu Pfaffenhofen (Elsaß) als „Sankt Peters Werk", zu Hagenau als „Sant J ergenwerck" bezeichnet.158 Von der „Kirchenfabrik" als einem für den Bau und Unterhalt der kirchlichen Gebäude bestimmten Vermögensfond deutlich abzugrenzen sind die Vermögenswerte der „fabrica ecclesiae", die gemeinhin als „facultates fabricae/operis" 159 bezeichnet werden. Zu diesen Vermögenswerten der ,,fabrica ecclesiae" gehören neben Sachwerten auch Immobilien und Geldwerte, die zumeist als „bona fabricae/operis" 160 bzw. ,,pecunia fabricae/operis"161 bezeichnet werden. In einer Vereinbarung zwischen dem Kapitel und dem Bischof von Coutance aus dem Jahre 1322 wird beispielsweise deutlich zwischen der „fabrica ecclesiae Constantiensis" und den „bona fabricae dictae" unterschieden. 162 In einer Verfügung des Domkapitels zu Lausanne aus dem Jahre 1226 zur Verwaltung des Fabrikguts werden unter den Vermögenswerten des „opus ecclesiae" die „pecunia operis" sowie die „bona operis" genannt. 163 In einer im Jahre 1319 zu Straßburg ausgestellten Urkunde werden die „pecuniae fabricae" als Geldwerte der Münsterfabrik deutlich von den „facultates fabricae" als der Gesamtheit der Vermögenswerte der „fabrica ecclesiae" des Straßburger Frauenwerks unterschieden.164 Die im Verlaufe des frühen Mittelalters zu beobachtende Ausbildung eines für den Bau und die Bestreitung der Kultusbedürfnisse bestimmten kirchlichen Sondervermögens erfolgte vor allem auf der Grundlage der vom kirchlichen Stiftungsrecht entwickelten Rechtsform des zweckgebundenen Sondervermögens, die den Stiftern eine Spezifizierung der Einkünfte ihrer Schenkung ermöglichte. 165 Die „fabrica ecclesiae" ist in diesem Sinne nicht 45

allein und unmittelbar aus der Teilung des allgemeinen Güterbesitzes der jeweiligen Kirche hervorgegangen; einzelne zweckbestimmte Stiftungen bildeten vielmehr - idealtypisch gesehen - zunächst einen „Kristallisationskern", an den sich andere Güterkomplexe anlagerten. So begegnen in den Quellen immer wieder -ohne eine unmittelbare Bezugnahme auf eine möglicherweise vorhandene „fabrica ecclesiae" - Bestimmungen zu kleineren zweckgebundenen Schenkungen, die zur Deckung einzelner Ausgaben im Rahmen der Kosten für den Bau und die Unterhaltung der kirchlichen Gebäude gestiftet wurden. Bischof Volrad von Halberstadt bestimmte beispielsweise in einer Urkunde aus dem Jahre 1267, daß die der Kirche in Eilwardesdorf geschenkte halbe Hufe nicht allein „ad luminaria", sondern auch „ad ornamenta et ad sarta tecta" dienen sollte. 166 Im allgemeinen bestand der Vermögensfond der „fabrica ecclesiae" zunächst offenbar aus einem rechtlich heterogenen Konglomerat einzelner Stiftungen, Oblationen der Gläubigen, Gebühren usw. und wurde zumeist erst in späteren Jahren unter einer gesonderten und eigenständigen Verwaltung zusammengefaßt. Mit dieser „technischen" Zusammenfassung der für den Bau und Unterhalt der kirchlichen Gebäude bestimmten Güter und Einkünfte in einem gesonderten Vermögensfonds wurde schließlich eine weitere Entwicklungsstufe erreicht, die nicht allein einen besseren Schutz des „Fabrikvermögens" vor Zweckentfremdung erlaubte, sondern auch Klarheit über den Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel schuf. 167 Mit der Absonderung eines spezifischen Vermögensfonds in Gestalt der „fabrica ecclesiae" war jedoch nicht die Ausbildung eines entsprechenden Kapitelamtes verbunden. Zumindest zeitweise lag die Verwaltung dieses Vermögensfonds z. B. nachweislich in den Händen des Bischofs. So behielt in Arras Bischof Gottschalk 1157/59 in der Kathedrale die Einkünfte der dem Domschatzamt verbundenen Altäre ein; darunter waren auch jene Zuwendungen, ,,que eidem ecclesie conferuntur et quecunque ex voto fidelium ad eiusdem ecclesie hedificationem, vel ut lapsa possint edificia restaurari seu de novo construi" . 168 Zumeist jedoch wurde - je nach der inneren Verfassung der betreffenden kirchlichen Anstalt - der Thesaurar, Custos oder Sakristan des jeweiligen Dom-/Stiftskapitels mit der Verwaltung einzelner Vermögenswerte oder des gesamten Güterkomplexes der „facultates fabricae" betraut, die Administration des „Fabrikgutes" mithin in die Hände von Kapitelsmitgliedern gelegt, deren Amtspflichten, wie z. B. die Sorge für das Lichtergut, die Ausschmückung und Reinigung der Kirche, sich zumindest partiell auch mit der Aufgabenstellung deckten, die der ,,fabrica ecclesiae" zugeordnet war. Bischof Ermengaudus von Agde hinterließ in einem Testament aus dem Jahre 1149 1000 Solidi mel. für Baumaßnahmen an der dortigen Stephanskathedrale (ad reparationem altaris S. Stephani & ad chorum perficiendum), deren Verwaltung dem Archidiakon Pontius und dem Sakristan 46

Bertrandus übertragen wurde. 169 In St. Viktor zu Xanten war der „scholasticus" Berthold (1165-1190), ,,frater noster scolarum magister auctor novi operis" (des vor 1191 begonnenen Westbaus, der 1213 geweiht wurde) bzw. ,,auctor turrium ecclesiae nostrae", mit der Verwaltung von Vermögenswerten der „fabrica ecclesiae" betraut. 170 Zum Jahre 1226 ist für Lausanne die Nachricht überliefert, daß die Verwaltung der „oblationes operis" und das „opus" der Kathedrale dem Sakristan Giroldus und dem Cellerar J osephus des Domkapitels übertragen wurde. 171 Nach den Bestimmungen der Residenz- und Verwaltungsstatute des Stiftes Karden aus dem Jahre 1316 sollte der Cellerarius des Stifts als „procurator fabricae" die Verwaltung der stiftischen „Kirchenfabrik" übernehmen. m. In Reims schließlich wird im Jahre 1215 ein Vergleich zwischen dem Reimser Domkapitel und dem Thesaurar der Kathedrale vereinbart, nach dem die „ecclesia Remensis" alle der Kirche gespendeten Opfer und milden Gaben sowie verschiedene Abgaben erhalte sollte und dafür anstelle des Thesaurars alle notwendigen Kosten für· die Beleuchtung, den Schmuck und die Reparatur des Kirchengebäudes übernehmen sollte. 173 Zum Jahre 1265 schließlich liegen Nachrichten über Streitigkeiten zwischen dem Thesaurar und dem Sakristan der Kathedrale von Nevers über die Verantwortlichkeit für die Reparaturen des Kirchengebäudes vor. 174 An der Domkirche zu Meissen war am Ende des 13. Jhs. offenbar ein Thesaurar mit der Sorge um die Reparatur, die Beleuchtung und den Schmuck des Kirchengebäudes betraut. 175 Diese Form der Verwaltung war jedoch keineswegs frei von Unzulänglichkeiten: es bestand die durchaus begründete Gefahr, daß die „facultates fabricae" aufgrund ihrer Verflechtung mit dem übrigen Amtsgut der genannten Kapitelsämter im Laufe der Zeit ihre eigentliche Zweckzueignung einbüßten. Auch ist zu berücksichtigen, daß in jener Zeit der wachsenden Ämterkumulation die Bereitschaft der Kapitelsmitglieder, ihren jeweiligen Amtsobliegenheiten in befriedigendem Maße zu genügen, oft nur wenig ausgeprägt war. Nicht selten berichten die Quellen von Streitigkeiten um Beitragspflichten des Thesaurars oder des Custos zur Instandhaltung der kirchlichen Baulichkeiten oder von statutarischen Verfügungen, die im Zusammenhang mit diesem Problem eine eindeutige Regelung einzubringen suchten. Nur selten und zeitlich begrenzt wurde diese organisatorische Trennung zwischen der Administration des „Fabrik.gutes" durch den Bischof oder das Dom-/Stiftskapitel und der Bauleitung durch einen Baumeister/Werkmeister aufgehoben und letzterer mit der Verwaltung der „fabrica ecclesiae" betraut. Im Jahre 1175 beispielsweise übertrug Bischof Arnoldus von Urgel mit der Zustimmung offenbar des Domkapitels das „opus Beatae Mariae" ,,cum omnibus rebus tarn mobilibus quam immobilibus, scilicetmansos, alodia, vineas ... et cum oblationibus oppressionum et penitentialum et cum elemosinis fidelium, et cum omnibus illis, quae huc vel in antea aliquo titulo

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videntur spectasse sive spectare ad prephatum opus Beatae Mariae" Raymundus Lombardus, der sich gleichzeitig verpflichtete, im Z.eitraum von sieben Jahren mit der Hilfe von vier Lombarden und-falls notwenig- anderen Steinmetzen (ma1,ons) die Kirche zu vollenden und einen Glockenturm sowie eine Wölbung zu errichten. 176 Nicht ohne Grund wurde daher die Verwaltung der „Kirchenfabrik" an manchen Dom- und Stiftskirchen einem gesonderten Verwalter übertragen, dem „Fabrikverwalter" oder- im laikalen Bereich - dem „Kirchenpfleger". Im 11. und beginnenden 12. Jh. zunächst in Südfrankreich und Italien nachweisbar, breitete sich diese Form einer eigenständigen Vermögensverwaltung durch einen - oder mehrere - klerikale oder laikale Verwalter seit dem 13. Jh. im gesamten französischen und deutschsprachigen Raum aus. 177 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Quellen wenig Einblick in die tatsächlichen rechtlichen Gegebenheiten gewähren. Nur selten ist von einem organisatorisch von bestimmten Dignitäten oder Personaten getrennten Verwaltungsamt zur Betreuung der Vermögenswerte der „fabrica ecclesiae", d. h. dem Fabrikamt (officium fabricae, officium operarii), die Rede.17s Aus den späteren und zufällig überlieferten Quellen ist kaum verbindlich zu klären, wo die Anfänge eines selbständigen Fabrikamtes liegen. Bereits 1097 (?) wurde für das HochstiftApt/Vaucluse eine Vereinbarung getroffen, wonach Autrannus ein Weingut zum Zweck der Wiederherstellung der Marienkathedrale in die Hand eines besonderen, für die Verwaltung zuständigen Klerikers oder Laien übergab (in manum ipsius clerici aut laici qui erit exactor aut dispensator aut ministrator huius operis in construendo praedictam sedem), 179 so daß an dieser Stelle vermutlich tatsächlich von einem eigenständigen Fabrikamt gesprochen werden kann. Bei anderen Nachrichten ist diese Eindeutigkeit indes nicht gegeben. Daß bisweilen zur Sicherung einer zweckentsprechenden Verwendung der Vermögenswerte auch einzelne Güterkomplexe einer gesonderten Verwaltung unterstellt wurden, belegt eine Urkunde des Hildesheimer Bischofs Siegfried vom 28. Februar 1297: der Bischof bestätigt ein Statut des Moritzstiftes zu Hildesheim zur Verwendung von Präbenden abwesender Stiftsmitglieder. Diese sollten nicht unter die Anwesenden verteilt werden, sondern zum gemeinen Nutzen der Kirche sowie vor allem zum Nutzen der ,,fabrica ecclesiae" des Domstiftes verwendet werden und wurden zu diesem Zweck unter die Verwaltung von drei Mitgliedern des Domstiftes gestellt.180 Im Verlaufe des 13. und 14. Jhs. erlangten die Vermögenskomplexe der jeweiligen „fabrica ecclesiae" bisweilen auch - über die „technische" Absonderung vom übrigen Kirchengut hinaus - eine stiftungsrechtliche Eigenständigkeit und wurden als eine juristische Person mit eigenen Rechten und Privilegien ausgestattet. 48

Das Straßburger Frauenwerk war als ein wirtschaftlich selbständiges Aggregat von Gütern und Einkünften, die dem Münsterbau dienten, spätestens am Ende des 13. Jhs. ausgebildet. 181 Hinweise auf die Existenz einer gesonderten Baukasse in Gestalt einer „fabrica ecclesiae" unter der Verwaltung eines Domherren am Kölner Domstift liegen für die Zeit vor 1248 nicht vor. 18:2 Die zwischen 1244 und 1246 niedergeschriebenen Statuten des Domstiftes beispielsweise erwähnen das Fabrikamt noch nicht. 183 Erste Hinweise auf die Existenz einer Kölner Domfabrik sind - ein richtiges Verständnis der verwendeten Bezeichnungen „opus" und „fabrica" vorausgesetzt - einem Vertrag aus dem Jahre 1247/48 über die Beiträge des Thesaurars und des Custos camere zum Neubau des Domes zu entnehmen.184 Vermutlich spätestens seit dem Jahre 1251 bildete das Fabrikvermögen des Kölner Domstifts jedoch - über eine „technische" Trennung vom Kapitelgut hinaus - auch rechtlich eine selbständige Vermögensmasse.185 Einer gesonderten Betrachtung bedarf in diesem Zusammenhang die laikale Kirchenpflegschaft, 186 die sich, ausgehend von Italien in der Mitte des 12. Jhs., 187 in den einzelnen Ländern im Verlaufe des Hoch- und Spätmittelalters ausbreitete. Sie zeugt von einem wachsenden Einfluß der Laien auf die Verwaltung kirchlicher Vermögensrechte vor allem vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen der Bischofs- und der Stadtherrschaft, aber auch im Zusammenhang mit dem wachsenden Selbstbewußtsein der städtischen Gemeinden. Die frühesten Spuren einer gesonderten Verwaltung des Fabrikvermögens durch laikale Pfleger stammen für Italien aus der Mitte des 12. Jhs.: Vor 1157 wurde in Florenz die „opera" von San Giovanni der Calimala-Zunft zur Verwaltung überwiesen, die dann „operarii" ernannte; 1193, 1207 und 1217 wird als Leiter der „opera" Arduin genannt (operarius et rector apere et domus Sei. Johannis). 188 Eine „opera" von San Miniato wurde erstmals 1180 in den Quellen mit einem gewissen Boneius als „rector operae" an der Spitze erwähnt, und auch hier wurden die „operarii" von der Calimala-Zunft gestellt. 189 Die seit 1206 nachweisbare städtische „opera di Ponte Vecchio" wurde von einem von der Stadt ernannten „operarius ac rector domus et apere pontis veteris" geleitet; als Sitz besaß diese „opera" - ebenso wie eine kirchliche „opera" -ein eigenes Haus, welches in der Nähe der Brücke am Arno lag. In Lucca war für die Fassade des Domes San Martina ein seit 1196 dokumentiertes Bauamt (opera frontispicii ecclesiae S. Martini) eingerichtet, das einen eigenen Baufond verwaltete und dessen Leitung zwei von der Regierung ernannte Konsuln übernahmen. Nach S. Schröcker ist ein bestimmter Ausgangspunkt für die Herausbildung des laikalen Kirchenpflegeramtes nicht zu erkennen; vielmehr ist es wahrscheinlich, ,,daß die gleiche rechtsgeschichtliche Ursache in den verschiedenen Verbreitungsgebieten zu gleichen rechtsgeschichtlichen Erschei49

nungen geführt hat". 190 Diese Institution hat sich in Italien und England etwa zeitlich parallel und nicht viel später auch im deutschsprachigen Raum ausgebildet. ,,Bereits gegen Ende des 13. Jhs. scheint das Institut der Laienverwaltung für das kirchliche Fabrikvermögen stark verbreitet gewesen zu sein, denn im Jahre 1287 befaßt sich das Nationalkonzil von Würzburg damit in einem eigenen Kapitel: ,De laicis, qui fabricae ecclesiae administrant'. " 191 Während bei den Pfarrkirchen Fabrikmeister durch die Kommune, in Dorfgemeinden auch vom Patron bestellt wurden, waren an Domkirchen nur dann städtische Pfleger vorhanden, wenn der Dom der Bürgerschaft zugleich als Pfarrkirche diente (Straßburg, Freiburg, Wien, Siena). Die Entstehung der kommunalen Pflegschaft „ist zurückzuführen auf Bestimmungen und Auflagen, die mit der Errichtung von Seelgerätstiftungen und der Zuwendung sonstiger Oblationen ans Gotteshaus verbunden waren. Die Verwaltung durch Pfleger war das Mittel, die Selbständigkeit des Kirchenstiftungsvermögens gegenüber dem Pfründevermögen durchzusetzen", 192 zu dem der Pfarrer, das Kapitel oder die inkorporierte Kirche einen ungehinderten Zugriff besaßen. Treuhänder kirchlicher Stiftungen (Seelgerätstiftungen = Schenkungen und Vergaben von Todes wegen) waren seit dem 13. Jh. in der Regel die Gemeinde oder deren Organ, der Rat, aber auch Zünfte und Bruderschaften. 193 „Der Treuhänder der Seelgerätstiftungen setzte die Verwalter des Stiftungsvermögens ein. Der Rat übte die aus der Treuhänderschaft der Gemeinde sich ergebenden Verwaltungsbefugnisse über das aus den Stiftungen der Bürger zusammengeflossene Gotteshausvermögen aus, die Kirchenpflegschaft war, soweit sie den Charakter eines städtischen Amtes hatte, die vom Rat eingesetzte Behörde zur Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte. "194 Seit dem 13. Jh. mehren sich Hinweise in den Quellen auf die Mitwirkung von Laien an der Verwaltung von Vermögenswerten der Pfarrkirchen. In einem Vergleich, der 1236 zwischen dem Propst des Stiftes St. Johann in Halberstadt und den Angehörigen der Pfarrgemeinde von Veltheim über die Verwaltung des Fabrikgutes der Veltheimer Kirche, einer inkorporierten Kirche (super bonis ecclesie in Velthem ad luminaria pertinentibus), erfolgte, wurde bestimmt, daß die Bewohner der Gemeinde zwei zuverläs. sige Gemeindemitglieder (duos ex concivibus suis, quibus bene credi possit) wählen sollten, denen dann der Propst zusammen mit dem Leutpriester ( sacerdos) die Verwaltung des Fabrikgutes (bona) anvertrauen würde. 195 Diese drei sollten die Zinsen und die anderen Einkünfte zum Nutzen der Kirche verwenden und jährlich dem Propst eine Abrechnung vorlegen. Falls einer der Gemeindevertreter vor dem Ablauf der „Amtsperiode" sterben oder wegen schlechter Verwaltung abgesetzt würde, sollte der Nachfolger in derselben Weise bestimmt werden. Ein Vertrag aus dem Jahre 1272 zwischen einem Halberstädter Kloster, dem Pleban von Sallersleben und 50

der Pfarrgemeinde Sallersleben legte fest, daß die Verwaltung des Lichtergutes der inkorporierten Kirche (predia luminarium), bestehend aus verschiedenen Grundstücken und einem der Kirche geschenkten Zehnten, in Zukunft vier Personen übertragen werden sollte: dem Pleban, dem Pfleger des Klosters (provisor curie monachorum monasterii) und zwei geeigneten Gemeindevertretern (duo cives ydonei et fidedigni ipsius ville). 196 In den Jahren zuvor war das Lichtergut von Laien aus der Pfarrgemeinde verwaltet worden, die darüber jährlich vor der Gemeinde Rechnung abgelegt und bei dieser Gelegenheit die auch sonst üblichen Rechnungsmahlzeiten zu Zechgelagen (in gurgitationibus conviviis ac aliis usibus illicitis) mißbraucht hatten.

3. Fabrikverwalter Im Gefüge der mittelalterlichen Bauorganisation war insbesondere die Stellung des sog. ,,Fabrikverwalters" an der „Nahtstelle" zwischen Finanz- 2 verwaltung und Bauverwaltung, zwischen der Administration des Vermögenskomplexes der „fabrica ecclesiae" und der Verantwortlichkeit für eine dem vorgegebenen kirchenbaulichen Zweck entsprechende Verwendung des „Fabrikgutes", geprägt von Abhängigkeiten bzw. Verbindlichkeiten gegenüber dem allgemeinen Stand der Entwicklung der jeweiligen Kirche sowie gegenüber bereits bestehenden administrativen Strukturen; deren Ausformung erfolgte nicht zuletzt auch in Anlehnung an die jeweiligen machtbzw. interessenpolitischen Konstellationen (Bischof/Abt-Kapitel-Gemeinde bzw. - im Niederkirchenbereich - Pfarrer-Gemeinde) und Einflußsphären.197 Zu berücksichtigen ist hierbei vor allem der Umstand, daß mit der Einrichtung des Amtes eines Fabrikverwalters zugleich - über die funktionelle Bedeutung als Instrument der Verwaltung eines zweckgebundenen Vermögenskomplexes hinaus - die Möglichkeit verbunden war, Einfluß auf kirchliche Belange im allgemeinen und auf die Baugestaltung im besonderen, u. a. als Medium der öffentlichen Selbstdarstellung der bürgerlichen Gemeinde, zu nehmen. In diesem Sinne reflektiert die je spezifische Ausgestaltung der Stellung bzw. des Amtes des „Fabrikverwalters" zumindest partiell die jeweiligen Machtverhältnisse, die sich innerhalb einer kirchlichen Gemeinschaft gebildet hatten. Mit diesem im einzelnen breit gefächerten Spektrum möglicher Erscheinungsformen der mittelalterlichen Bauvermögensverwaltung korrespondiert zugleich eine Vielfalt der in den Quellen belegten Bezeichnungen, die in ihrer Heterogenität und sprachlich-inhaltlichen „Unschärfe" bzw. Mehrdeutigkeit nur bedingt Rückschlüsse auf den genauen Tätigkeitsbereich des genannten Verwalters, seine Funktionen und seine Stellung im Bereich der mittelalterlichen Bauorganisation erlaubt. 198 Von der Mitte des 13. bis zum Ende des 14. Jhs. sind beispielsweise für den bzw. die Verwalter der „fabrica

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ecclesiae" des Kölner Doms u. a folgende Bezeichnungen urkundlich nachzuweisen 199: ,,magister fabricae", ,,magister operis", ,,magister fabrice seu operis", ,,magister seu provisor fabrice", ,,provisor seu rector fabricae", „rector operis", ,,amministrator fabricae", ,,provisor fabricae", ,,procurator fabricae". Seit dem Ende des 13. Jhs. zeichnete sich zwar mit der - gegenüber anderen Ausdrücken - häufigeren Verwendung der Begriffe „procurator fabricae" und „provisor fabricae" als Bezeichnungen für den Verwalter des sog. ,,Fabrikvermögens" die Tendenz zu einer gewissen Vereinheitlichung der terminologischen Vielfalt ab, doch wurde auch im Verlaufe des 14. Jhs. die vor allem bei der Verwendung der Begriffe „magister operis" und „magister fabricae" zur Bezeichnung des baulichen Vermögensverwalters bzw. zur Benennung des Werkmeisters beispielhaft zu belegende inhaltliche Unbestimmtheit der Bezeichnungen nicht gänzlich überwunden: zumindest zeitweise wurde - wie eine aus dem Jahre 1364 stammende Urkunde des Kölner Erzbischofs Engelbert von Mark belegt - im Rang deutlich zwischen dem „provisor fabricae" als Ernpfänger der in der Diözese gesammelten Gelder für den Bau des Kölner Doms, der auch über Weisungsbefugnis gegenüber den Rektoren der Niederkirchen verfügte, und dem „procurator fabricae" unterschieden, der vermutlich allein als ein einfacher Bote bzw. Bevollmächtigter der „fabrica ecclesiae" tätig war. 200 Diese analog auch an anderen kirchlichen Gemeinschaften zu beobachtende Mehrdeutigkeit der im Zusammenhang mit der baulichen Vermögensverwaltung gebrauchten mittelalterlichen Bezeichnungen und die damit verbundene Möglichkeit einer polyvalenten Verwendung der entsprechenden ,,Fach"ausdrücke erschwert zugleich eine Übertragung der am Einzelbeispiel gewonnenen Erkenntnisse zur Verwaltung der sog. ,,fabrica ecclesiae" auf andere kirchliche Gemeinschaften, wenn gleichlautende Bezeichnungen vorliegen. Die Baurechnungen der Pfarrkirche St. Lorenz zu Nürnberg beispielsweise wurden in den Jahren 1445/46, 1447/48 und 1448/ 1449 von dem zu dieser Zeit wirkenden „Kirchenmeister" Christian Imhof geführt, der mit der Verwaltung des kirchlichen Vermögens betraut worden war. Diesem war ein aus dem Rat der Stadt Nürnberg gewählter „Kirchenpfleger" übergeordnet, der die Interessen des städtischen Rates gegenüber der Kirche und dem Klerus vertrat und zugleich auch im Sinne des Klerus zu wirken suchte. Der Kirchmeister und der Kirchenpfleger waren dem Rat der Stadt für eine ordnungsgemäße Verwaltung des kirchlichen Vermögens verantwortlich und hatten alljährlich vor einigen verordneten Ratsherren Rechnung zu legen. 201 Als „Baumeister" wurde daneben in Nürnberg ein Beauftragter des städtischen Rates bezeichnet, der mit der Beaufsichtigung städtischer Bauten insbesondere im Hinblick auf die Finanzverwaltung und die Verwendung der öffentlichen Gelder betraut war. 202 Verweisen die Begriffe „Kirchenpfleger", ,,Kirchenmeister" sowie „Baumeister" auf durchaus unterschiedliche Amtsbereiche innerhalb der baube-

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zogenen Finanzverwaltung der Pfarrei St. Lorenz zu Nürnberg, so wurden diese Ausdrücke an anderen Orten synonym verwendet: In einem Chartular des Klosters St. Dunis aus dem Jahre 1265 werden „magistri eiusdem ecclesie, qui dicuntur kercmesters" erwähnt, 2 0 3 unter den Zeugen einer am 1. Mai 1275 abgeschlossenen Vereinbarung der Gräfin Margarethe von Flandern und deren Sohn Guy zur Inkorporierung der Herrschaft Maendaegsche nach Brügge werden auch „kerkemeesters" der Stadt Brügge genannt;204 weitere Belege für diese Bezeichnung stammen vor allem aus Westfalen und dem Rheinland: In Werl ist für die Jahre 1368 und 1460 die Tätigkeit von „kerychmestere" nachzuweisen; 205 die Sendordnung der Kirche zu Paffrath in der Erzdiözese Köln vom 12. Februar 1452 erwähnt ,,kirchmestere", die für den Bau und Unterhalt der Pfarrkirche verantwortlich waren;206 zum Jahre 1382 werden für Leudesdorf (am rechten Rheinufer, zum Hochstift Trier gehörend) ,,Kirchenmeister" bezeugt. 207 Der Begriff „Kirchenpfleger" als Bezeichnung für den Verwalter des kirchlichen Bauvermögens hingegen fand vor allem am Oberrhein, in Baden, im Elsaß und in der Schweiz Verbreitung. In einer vom 16. Juni 1404 datierten Urkunde des Grafen Hans von Fürstenberg wird ein „kilchenpfleger" der Kirche zu Frauenfeld (bei Fürstenberg) erwähnt, 208 in Staufen (im Breisgau bei Freiburg) ist ein Kirchenpfleger für das Jahr 1485209 , für Neuenburg ist ein „kilchenpfleger" zum Jahre 1403 belegt. 210 In der Schweiz ist eine Verwendung des Begriffes „Kirchenpfleger" vor allem seit dem 16. Jh. nachzuweisen. Zwar ist im allgemeinen eine gewisse Abhängigkeit der Verbreitung und intentionalen inhaltlichen Bedeutung einzelner Bezeichnungen für den Rechtsbegriff des ,,Fabrikverwalters" an bestimmte Sprach- oder Rechtsgrenzen (Dialektgrenzen, Herrschaftsgrenzen, Diözesan- oder Kirchspielgrenzen) nicht zu leugnen, doch bedarf es im einzelnen - und dies mag das Beispiel von St. Lorenz zu Nürnberg gezeigt haben - stets einer sorgfältigen Überprüfung des jeweiligen Aussagegehaltes der Bezeichnungen im Kontext der Nennung. Analog zu der zunächst vor allem im südfranzösischen Raum zu beobachtenden Ausbildung eines gesonderten „Fabrikvermögens" ist bereits seit dem Ende des 11 bzw. im 12. Jh. vergleichsweise häufig die Tätigkeit eines „operarius" an Kathedral-/Stiftskapiteln und in Klöstern in Südfrankreich nachzuweisen. Im Kloster Sankt Viktor zu Marseille wurde beispielsweise zur Zeit des Abtes Bernardus de Ruthenis (1064-1079) eine Urkunde im Namen des Guirannus, ,,monachus et operarius", ausgestellt. 211 Eine im Kreuzgang des Klosters Saint-Trophime zu Arles erhaltene Inschrift erwähnt ein im Jahre 1182 verstorbenes Mitglied des Konvents namens Poncius Rebolli, der als „sacerdos et canonicus regularis et operarius ecclesie Sancti 'Irophimi" bezeichnet wird. 2 12 Ein „Petrus Malaura, caput scole et operarius" wird unter den Zeugen einer vom März 1196 datierten Urkunde des Erzbischofs Imbert von Arles genannt. 213 53

Ebenso wie der Begriff des „magister operis", der in den Quellen nicht selten auch zur Bezeichnung des auf der Baustelle tätigen „Werkmeisters" verwendet wurde, war der Ausdruck „operarius" mit mehreren Bedeutungen belegt. Aus dem Kontext der jeweiligen Notiz geht jedoch hervor, daß der Begriff „operarius" in den genannten Beispielen nicht auf einen Handwerker oder Arbeiter/Tagelöhner verweist, sondern - als eine dritte Möglichkeit - einen Verwalter von Vermögenswerten bezeichnet. Daß sich die administrativen Aufgaben eines „operarius" tatsächlich - wie in der Forschung allgemein angenommen wird214 - auf die Verwaltung eines allein für den Bau und Unterhalt der jeweiligen Kathedral-, Stifts- oder Klosterkirche bestimmten Vermögensfonds beschränken, ist zwar nicht auszuschließen, doch sind derartige Aussagen aufgrund der zitierten und in der Literatur als Belege angeführten Nennungen, die keine genaueren Angaben über den Tätigkeitsbereich der erwähnten „operarii" enthalten, nicht möglich. Bestätigt werden diese Überlegungen beispielhaft durch eine vom 15. Juni 1178 datierte Vereinbarung zwischen den Juden der StadtArles und dem Erzbischof sowie den „consules" von Arles über den finanziellen Beitrag der städtischen Judenschaft zum Bau der Brücke von Crau, der unter der Leitung des als „pontanarius sive operarius" bezeichneten Petrus Johannes de Mandolio ( de Manduel) erfolgte. 215 In Pisa schließlich waren im Jahre 1162 offenbar in öffentlich-städtischen Diensten „operarii generales super viis, fossis et aqueductis" tätig. 216 Die Erwähnung eines „operarius" in den Quellen des 11. und 12. Jhs. ist in diesem Sinne nicht unmittelbar als Hinweis auf die Existenz eines dem Bau und Unterhalt der jeweiligen Kathedral-, Stifts- oder Klosterkirche vorbehaltenen „Fabrikvermögens" bzw. als Beleg für dessen eigenständige Betreuung durch einen gesonderten Verwalter zu berücksichtigen. Erst seit dem Ende des 12./Anfang des 13. Jhs. mehren sich die Quellenbelege für die Tätigkeit eines kirchlichen „operarius", die neben der einfachen Nennung der (Amts-)Bezeichnung auch Angaben über den genaueren Aufgabenbereich der erwähnten „operarii" als Verwalter der für den Bau und Unterhalt der kirchlichen Gebäude bestimmten Güterkomplexe enthalten. Im Rahmen einer Reform des Regularkanonikerstifts Saint-Salvi zu Albi verfügte beispielsweise Bischof Wilhelm von Albi um 1185 die Einrichtung des Amtes eines „operarius", ,,qui omnia quae ejusdem operis solent esse, accipiat fideliter et dispenset" 217• Zur Unterstützung der Instandsetzung der von den Kanonikern des Stiftes Notre-Dame-des-Doms zu Avignon genutzten Gebäude übertrug Erzbischof Wilhelm von Avignon in einer vom März 1216 datierten Urkunde dem „officium operarii" der Kathedrale zu Avignon verschiedene Güter. 218 In den lateinischen Quellen dieser Jahrhunderte sind daneben zahlreiche weitere Begriffe als Bezeichnungen für den geistlichen (oder auch weltlichen) ,,Fabrikvenvalter'' nachzuweisen. 219 Zu nennen sind in diesem Zu-

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sammenhang vor allem die Ausdrücke „magister fabricae" und „magister operis" sowie deren Kombinationen wie z.B. ,,magister operis seu fabricae"220, die seit der Mitte des 12. Jhs. bzw. seit dem 13. Jh. vor allem im westeuropäischen Raum eine weite Verbreitung fanden. 221 Am Magdeburger Domkapitel wurden offenbar seit dem Jahre 1274 klerikale „magistri fabricae" mit der Verwaltung der „fabrica ecclesiae" betraut. 222 Am Stift St. Florin zu Koblenz war spätestens am Ende des 15. Jhs. das Amt eines „magister fabricae" eingerichtet worden. 223 Eine Verwendung des Begriffs „magister fabricae" als Bezeichnung für den „Fabrikverwalter" ist daneben auch für das Domkapitel zu Paris (1335)224 , für das Metzer Domkapitel (1384) 225 , für das Stift St. Marien zu Erfurt (1286, 1327)226, für das Merseburger Domkapitel (1351)227, das_ Domkapitel zu Meissen (1324)228 , das Stift St. Viktor zu Xanten (1350)229 ; das Essener Domstift (um 1410)230 , das Stift Weilburg (1318),231 das Domkapitel zu Basel232 und das Domstift zu Wien233 nachzuweisen. Mit dem Ausdruck „magister operis" wurden die ,,Fabrikverwalter" zumindest zeitweise wohl am Kölner Domstift (1251) 234 , am Stift St. Marien zu Erfurt (1209)235 , am Straßburger Frauenwerk (1274)236 sowie in Halberstadt (1288)2 37 benannt. Insbesondere die Begriffe „magister operis" und „magister fabricae" haben vor allem in der älteren Forschung zu Mißverständnissen hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs der genannten Personen geführt, da diese bisweilen auch zur Bezeichnung des Baumeisters verwendet wurden. Im Jahre 1253 hatte der Bischof und das Domkapitel zu Meaux dem als „magister fabricae" bezeichneten Baumeister Gautier de Varinfroy die Leitung des Baus der Kathedrale zu Meaux übertragen. 238 Als „magister fabricae" wird in den Rechnungen der Kathedrale von Sens aus dem Jahre 1319 der Baumeister der Kathedralen von Chartres, Sens und Meaux, Nicolas de Chaumes, benannt. 239 In einer Eintragung des Kapitelregisters der Kathedrale NotreDame zu Paris vom 17. und 19. Juli 1363 wird der Baumeister der Kathedrale, Jean le Bouteillier, als „magister Johannes Buciculari, magister operis ecclesiae parisiensis" aufgeführt. 240 In seinen Darlegungen zur Bauführung am Xantener Dom konstatierte bereits St. Beissel 1889, daß bisweilen die Entscheidung, ob es sich bei einem erwähnten „magister fabricae" bzw. ,,magister operis" um einen Fabrikverwalter oder den Werkmeister/Baumeister handelt, mit Schwierigkei- · ten verbunden ist. 241 Dennoch haben seit dem Ende des 19. Jhs. zahlreiche Autoren immer wieder den Versuch unternommen, namentlich genannte „magister fabricae" bzw. ,,magistri operis" als den Kirchenbau gestaltende Baumeister/Werkmeister zu identifizieren; zumeist handelt es sich bei den genannten „magistri" jedoch um Verwalter der „fabrica ecclesiae" der genannten Kirche. 242 Seit den achtziger Jahren des 13. Jhs. wurde beispielsweise der Kölner Dombaumeister u. a. als „magister operis ecclesie Coloniensis"243 bezeichnet, während der Terminus „magister operis" in der

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zweiten Hälfte des 13. Jhs. bzw. zu Beginn des 14. Jhs. auch im Zusammenhang mit dem Verwalter der Kölner Domfabrik verwendet wurde. 244 Ein früher Beleg für den Gebrauch des Begriffes „procurator ecclesiae (fabricae)" zur Bezeichnung eines „Fabrikverwalters" stammt aus der Mitte des 12. Jhs. aus Italien (Venedig). 245 In der zweiten Hälfte des 12. Jhs. ist dieser Ausdruck auch in Frankreich nachzuweisen (Bayeux, Bourges)246; so waren nach den Angaben einer Urkunde des Kapitels Saint-Mertin-de Picquigny aus dem Jahre 1234 mehrere „procuratores fabrice" am Domkapitel zu Amiens tätig. 247 Im deutschsprachigen Raum schließlich ist vor allem seit der Mitte des 13. Jhs. die Verwendung des Begriffs „procurator fabricae" zu beobachten. 248 Mit der Bezeichnung „procuratores fabrice" wurden u. a. Fabrikverwalter am Domkapitel zu Halberstadt249 und am Mainzer Domkapitel (1287)250 belegt. In Frankreich, im west- und norddeutschen Raum sowie in der Schweiz fand daneben der Ausdruck „provisor" eine weite Verbreitung. 251 In einer Rechnung der Kirche Saint-Lazare zu Autun zum Jahre 1294/95 wird ein Mann namens Robertus Clavellus als „provisor fabricae" erwähnt. 252 Im 14. Jh. waren an der Kathedrale von Chartres „Fabrikverwalter" tätig, die in vielfältigen Kombinationen mit dem Begriff des „provisor" neben anderen Ausdrücken u. a auch als „canonici provisores operis ecclesie Carnotensis"253, ,,magistri provisores fabrice ecclesie", ,,magistri seu provisores fabrice ecclesie", ,,magistri provisores seu magistri fabricae", ,,magistri fabrice ecclesie provisores", ,,provisores fabrice ecclesie" bezeichnet wurden. 254 Nach den Angaben einer Urkunde des Bischofs Ludwig von Münster aus dem Jahre 1314 war am Domkapitel zu Münster ein „provisor fabrice" mit der Verwaltung der „portio fabrice" betraut.255 Einer vom 14. Oktober 1325 datierten Urkunde des Domdechanten Anno sowie des Domkapitels zu Goslar ist ein Hinweis auf die Tätigkeit eines „provisor fabrice" an der Domkirche zu Goslar zu entnehmen. 256 Die „nova fabrica" (neue Baukasse) für den Aachener Domchor wurde 1400/01 von den zwei als „provisores" benannten Kanonikern Reynerus de Namurco und Nicolaus de Messyen geleitet. 257 Für St. Marien in Lübeck ist 1293 und 1300 ein „provisor" belegt, der jedoch 1337 auch als „magister operis ecclesie" bezeichnet wird. 258 Einer Urkunde des Bischofs Widukind von Minden und des dortigen Domkapitels aus dem Jahre 1258 ist ein Hinweis auf die Tätigkeit eines „provisor structure" an der Mindener Domkirche zu entnehmen. 259 Aus der Fülle und Vielfalt der verwendeten Ausdrücke sind als weitere Begriffe zur Bezeichnung des Fabrikverwalters „structuarius" bzw. ,,magister structurae" zu nennen, die vor allem im norddeutschen Raum nachzuweisen sind. 260 Die vom 24. Juli 1336 datierte Satzung der Kirche zu Hamburg z. B. widmet sich in einem gesonderten Abschnitt auch dem Amt des „structuarius". 261 Einer Urkunde des Erzbischofs Otto von Bremen aus dem Jahre 1348 ist der Hinweis aufdie Tätigkeit eines „magister structure" 56

an der Bremer Domkirche zu entnehmen262 . Im Jahre 1294 schlichtete Bischof Burchard von Lübeck einen Streit zwischen dem Thesaurar und den „magistri structure" der Lübecker Domkirche wegen eines halben Zehnten zu Middleburg. 263 Seltener und z. T. regional begrenzt werden daneben die Termini „administrator", ,,gubernator" oder ,,(di)rector fabricae" in den Quellen erwähnt. 264 Entsprechende lateinische Bezeichnungen sind auch im Bereich der laikalen Kirchenpflegschaft zu beobachten. Offenbar wurde hinsichtlich der Benennung nicht zwischen klerikalen Fabrikverwaltern und laikalen Kirchenpflegern unterschieden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bisweilen Laien und Geistliche gemeinsam mit der Verwaltung einer „fabrica ecclesiae" betraut wurden und sich der im geistlichen Bereich ausgebildete Sprachgebrauch hierbei auch auf die laikale Kirchenpflegschaft übertrug. Der Straßburger Bürger Konrad Olemann wurde als Pfleger des dortigen Frauenwerks zwischen 1261 und 1274 als „procurator fabricae", ,,appreciator fabricae", ,,magister fabricae", ,,magister seu rector fabricae" und „magister operis" bezeichnet,265 mithin mit Titeln belegt, die auch im Bereich der geistlichen Fabrikverwaltung nachzuweisen sind. Seit den neunziger Jahren des 13. Jhs. mehren sich die Belege für die Titel „procurator'' 266 oder ,,gubernator" bzw. ,,gubernator seu procurator fabricae ecclesiae Arg. (Straßburg)"267. Als Bezeichnung für die Kirchenpfleger an Niederkirchen ist daneben vor allem der Ausdruck „rector ecclesiae" nachzuweisen. 268 · Seit dem 13. und 14. Jh. sind schließlich vor allem im Bereich der laikalen Kirchenpflegschaft auch volkssprachliche Bezeichnungen zu belegen, die indes im Unterschied zu den lateinischen Bezeichnungen stärker an Sprach-, Rechts- oder Herrschaftsgrenzen gebunden waren. 269 Vor allem im französischen Sprachraum begegnen Ausdrücke und Wendungen zur Benennung des ,,Fabrikverwalters" , die offenbar vor allem aus einer Übersetzung der lateinischen Wendungen entstanden sind. Am Münster zu Fribourg in der Schweiz wurden die Fabrikverwalter „governator du mostier" (1379), „governator de l'ouvra du mostier" (1386), ,,recthour de la fabrica sain Nicolay" (1423), ,,recteur de la fabrique de l'eglise St. Nicolas" (1481), ,,maistre de la fabrique" (1483 ), ,,maistre et recteur de la fabrique" (1488) genannt; seit 1470 hat sich die Bezeichnung „recteur de la fabrique" und in den deutschsprachigen Quellen „Kirchmeier'' allgemein durchgesetzt. 270 Um 1477 wird zu Metz auch der Pfleger von St. Nicolas du Port, Simon Moyecette, als „maistre du neuf ouvrage" bezeichnet. 271 Verschiedene Einträge in den Protokollen des Metzer Domkapitels aus der zweiten Hälfte des 14. Jhs. belegen vor allem den Gebrauch des Begriffs „maistre de l(i)euvre" zur Bezeichnung des Verwalters der Metzer „fabrica ecclesiae" .272 Daneben wurden die Kirchenpfleger in Frankreich auch als „fabriciens, fabriqueurs (1461), fabriceurs (1476), fabrisseurs" bezeichnet. 273 Im deutschsprachigen Raum schließlich waren vor allem Begriffe zur Be57

zeichnung des Fabrikverwalters verbreitet, die aus Kombinationen mit den Ausdrücken ,,-pfleger" und ,,-mei(st)er" gebildet wurden. So ist der Begriff ,,(Fabrik)pfleger" in Freiburg/Breisgau ab 1318274 und am Ulmer Münster ab 1387275 nachzuweisen und vor allem im 16. Jh. weit verbreitet. 276 Der Gebrauch des Begriffs „chilchenpfleger" ist daneben in den Kantonen Aargau, Appenzell, Luzern, im Thurgau, in St. Gallen und Zürich zu belegen. 277 Seit dem Anfang des 14. Jhs. ist darüber hinaus der Begriff des „Gotteshauspflegers" im süddeutschen Raum und den Alpenländern (Schweiz und Österreich) nachzuweisen. 278 1491 und 1505 schließlich waren am Münster zu Freiburg/Breisgau „Baupfleger" tätig. 279 Zu Beginn des 15. Jhs. ist in Wien die Verwendung der Begriffe „kirchenmaister" .bzw. ,,verweser des paus" zu belegen. 280 In Basel schließlich waren „gotzhusrileier" 281 tätig. In einer Kampener Urkunde aus dem Jahre 1369 ist der Begriff „kerckmeyster" nachzuweisen. 282 Am Halberstädter Dom wurden die „Fabrikverwalter" zumindest zeitweise auch „meister der fabriken, bumester to dem dome" genannt. 283 In Speyer ist für das 15. Jh. die Verwendung des Begriffs „fabrickenmeister" als Bezeichnung für den Fabrikverwalter nachzuweisen. 284 Auch im süd- und westdeutschen Raum sowie in Österreich war im 14. und 15. Jh. der Begriff „Baumeister" zur Benennung des Fabrikverwalters verbreitet. In einer Wetzlarer Urkunde aus dem Jahre 1285 heißt es beispielsweise: ,,inter nos procuratoribus sive magistris, qui vulgariter ,bumeystere' appellantur, operis beate Marie virginis" .285 In der Anstellungsurkunde für Godijn von Dormael 1356 als „magister" des Doms zu Utrecht wird verlangt, daß er nur „bi rade des werkmeysters" Urlaub nehmen darf; im lateinischen Teil der Urkunde wird die gleiche Person als „magister fabrice" - hier im Sinne von Fabrikverwalter bezeichnet. 286 Zur Vermeidung von Verwechslungen mit dem Baumeister/ Werkmeister ist insbesondere auch in diesem Falle der jeweilige Kontext der Nennung sorgfältig zu überprüfen. Auch der Begriff „magisterium" weist weder auf die Einrichtung oder Leitung eines Fabrikamtes noch auf die Stellung eines bauleitenden Werkmeisters hin, sondern nur ganz allgemein auf eine Verwaltungstätigkeit. So enthält der Widmungstext auf dem St. Galler Klosterplan um 820/30 den Hinweis, er sei nicht erstellt worden, ,,weil wir glauben, daß Ihr unserer guten Ratschläge bedürft" (quod vos putemus nostris indigere magisteriis). 287 In seiner zwischen 1151 und 1159 entstandenen Vita des Bischofs Otto von Bamberg (1102- 1139) erwähnt Ebbo, daß Kaiser Heinrich IV. Otto im Zusammenhang mit Bauarbeiten am Speyerer Dom zwischen 1090 und 1102 mit dem „operis magisterium" betraut habe. Sein zweiter Biograph Herbord nennt in seiner 1158/59 verfaßten Vita diese Tätigkeit „omne opus ei commisit". Die Aussagen beider Viten bezüglich Ottos Tätigkeit in Speyer sind auf die Gegebenheiten in der Mitte des 12. Jhs. zu beziehen und gelten 58

keinesfalls für die Zeit um 1100. ,,Operis rnagisteriurn" scheint sich in diesem Zusammenhang eindeutig auf eine „Bauverwaltungstätigkeit" zu beziehen, ebenso wie Norbert in der um 1090/1100 abgefaßten Vita des Bischofs Benno II. von Osnabrück berichtet, ,,daß unter seiner Leitung (rnagisterium) von (Bischof) Hezilo (1054-1079) ... so viele hervorragende Gebäude (in Hildesheim) erbaut worden sind" .288 Ferner besagt eine Inschrift von 1188, daß die Kathedrale von Santiago durch den angesehenen Magister Matheus gegründet worden ist, ,,qui a fundamentis ipsorurn portaliurn eressit rnagisterium"; das wird durch eine Urkunde König Ferdinands II. aus dem Jahr 1168 bestätigt, in der dem Magister Matheus, der das „prirnaturn et rnagisterium" der Jacobskirche innehatte, auf Lebenszeit ein Jahreslohn gezahlt wird. 289 Als besonders problematisch erweist sich die Deutung von M Hasak, daß der Laie Enzelin, Empfänger einer 1133 vorn Würzburger Bischof Ernbrich ausgestellten Urkunde, ein reicher und hochangesehener Baumeister war; von der Urkunde sagt W. Jüttner, daß sie „eine Art Anstellungsurkunde - wohl die älteste auf deutschem Boden" - für einen Baumeister ist.290 Der Urkundentext zeigt aber eindeutig, daß Enzelin mit „cura et rnagisteriurn" der Domwiederherstellung betraut war. Damit er „desto lieber die Verwaltung dieses Baues führe" (libentius huius operis curarn gereret), wird die von ihm erbaute Kapelle in der Vorstadt von Würzburg „von der Pfarrei, zu der sie gehörte, frei gemacht, damit das Volk, welches um diese Kirche wohnt, daselbst einen eigenen Priester und ebenso Taufe und Begräbnis habe". ,,Da das Dach unserer Hauptkirche wegen der Schäden des Alters fast völlig verfallen war und einzustürzen und zusammenzubrechen drohte, so haben wir eingehend nachgedacht, wie wir auch dieses Übel abwenden und die ganze Kirche in besseren Zustand versetzen könnten. Und da Gott gutem Trachten immer hilft, so ist uns durch den Zuruf aller unserer Bürger ein guter Mann (vir bonus) bezeichnet worden, welcher uns auch die Brücke in hervorragender Art (praeclari operis) gebaut hat, der Laie Enzelin, dem wir die Verwaltung und Leitung (curarn et rnagisterium) für die Wiederherstellung und Ausschmückung (reparanda et ornanda) unserer Kirche übertragen haben in genugsam schöner und glücklicher Ordnung (pulcliro satis et felici ordine) , so daß der, welcher Brücke und Weg zur Kirche hergestellt hat, selbst auch durch die Wiederherstellung der Kirche zum königlichen Palast, d. h. zum himmlischen Palaste, emporsteige ." Entsprechend ist der Eintrag in das Mernorienbuch des Stiftes St. Kunibert in Köln zu verstehen, wo vor 1250 der Tod des Kanonikers und Subdiakons Vogelo vermerkt ist, ,,unter dessen Rat und Leitung (consilium et rnagisteriurn) der Neubau der Kirche (Ostteile 1222 und 1226/27 geweiht) begonnen und vorangetrieben worden ist" (inchoata et prornota est nova fabrica ecclesie). Vogelos Aufgabe im Kanonikerstift St. Kunibert war administrativer Art, wie schon J. J. Merlo 1895 richtig gedeutet hat.29 1 Das gleiche gilt für die verbalen Umschreibungen dieser Tätigkeit, wie vor 1250 „consi59

lium et magisterium", ,,cura et consilium" oder ganz allgemein in einer Urkunde vom 20. März 1299, die im Schrein der Hll. Felix und Adauctus in St. Gereon in Köln lag, wo es nach dem Hinweis auf die zusammengetragenen Reliquien heißt, daß „zu dieser Zeit die Kirche eingewölbt worden ist; das hat der Laie Albern, ein frommer Mann, mit großer Sorgfalt verwaltet (cum multa solicitudine hoc procurante)" .292 Seit der Mitte des 12. Jhs. bezeichnet magisterium auch eine organisierte städtische Handwerkerschaft mit eigenem Rechtsstatus, die Zunft (s. Kap. A 9). 293 Andererseits kann mit „cura" auch die technische Bauleitung durch einen Werkmeister benannt werden, wie Gervasius von Canterbury schreibt: ,,successit huic artifex et magister (Wilhelm von Sens) in curam operis alius quidam Willelmus (der Engländer)."294 Die Bestellung des „Fabrikverwalters" war auf verschiedenen Wegen möglich, die vor allem abhängig von den Machtverhältnissen innerhalb des jeweiligen Dom- bzw. Stiftskapitels, eines Klosters oder der Gemeinde waren und sich im Verlaufe der Jahre auch ändern konnten. Wurden zunächst die Fabrikverwalter vornehmlich durch den Bischof und/oder das Kapitel ernannt, so wurden später, zumeist nach ausgehandelten Kompromissen, Fabrikverwalter häufig paritätisch durch den Bischof und das Dom-/Stiftskapitel bzw. das Dom-/Stiftskapitel und die Gemeinde besetzt. In Prag wurden die Fabrikverwalter offenbar regelmäßig vom Erzbischof von Prag ernannt. 295 In Metz wurden die „maistres de la fabrique" durch die Mitglieder des Domkapitels gewählt 296 In einem Vergleich aus dem Jahre 1269 einigte sich der Rat der Stadt Hamburg mit dem Domkapitel über die Einsetzung eines Ratsherren „ad peticionem et suscipiendam elemosinam ecclesie sancte Marie", dessen Wahl jedoch allein mit der Zustimmung des Domkapitels erfolgen sollte. 297 Nach den Bestimmungen der im Jahre 1336 verkündeten Satzungen der Hamburgischen Kirche sollten die beiden „structurarii" der Domkirche - jeweils ein Kanoniker und ein Ratsherr - vom Dekan und dem Domkapitel gewählt werden (Item structurarii ecclesie a decano et capitulo eligentur, quorum unus erit canonicus et alter consul). 298 Nachdem das Kölner Domkapitel etwa hundert Jahre lang allein die Fabrikverwalter eingesetzt hatte, kam es zu einem Streit mit Erzbischof Engelbert III. von Berg, der 1365 mit dem Kompromiß endete, daß in Zukunft Bischof und Kapitel je einen Domkanoniker nach eigener Wahl zum Verwalter (amministrator) bestellen sollten. 299 1390 kam es nach Streitigkeiten über die Leitung und Verwaltung der Domfabrik zu einem Vergleich zwischen Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden und dem Kölner Domkapitel. Dem Kölner Metropoliten wurde das Recht zugesprochen, einen Domkanoniker nach eigener Wahl zu bestellen, welcher zu jeder Zeit Einsicht in die Geschäftsführung der Kölner Domfabrik nehmen durfte und bei der Abrechnung eines ebenfalls vom Erzbischof eingesetzten „provisors" der 60

Fabrik - falls er wollte - zugegen sein konnte. Angaben über die verbleibenden Rechte des Kapitels an der Kölner Domfabrik sind diesem Schiedsspruch hingegen nicht zu entnehmen. 3 oo Erst im Jahre 1446 wurde die unter Erzbischof Engelbert III. von Berg getroffene Vereinbarung von 1365 erneut in Kraft gesetzt. 301 Nach den Angaben einer Vereinbarung aus dem Jahre 1335 wurden an der Kathedrale Notre-Dame zu Paris zwei Kanoniker als „magistri fabrice" bestellt, ,,unum scilicet per episcopum et alium per decanum et capitulum" 302 • In Fribourg in der Schweiz wurden im 15. Jh. die laikalen Kirchenpfleger durch den Rat der Stadt gewählt. 303 Eine entsprechende Verfügung enthält auch die Verfassung der Stadt Siena aus dem Jahre 1337: ,,Durch die zwölf Herren und die Konsuln der Mercantia der Stadt Siena sollen drei tüchtige Männer aus vorbenannter Stadt erwählt werden, und über die drei so Erwählten soll im allgemeinen Rat der Glocke der Stadt Siena abgestimmt werden. Und wer von ihnen die meisten Stimmen bekommt, soll der Operarius des besagten Baues sein. " 304 Als Kriterium für die Wahl eines Fabrikverwalters wird in den Quellen immer wieder der Ausdruck der „ldoneität" genannt. In einer Urkunde aus dem Jahre 1264 wird z.B. als Voraussetzung für den Fabrikverwalter des Passauer Domstifts gefordert: ,,uni de fratribus Capituli, quem magis idoneum viderimus"305 • Einer entsprechenden Vorstellung ist auch eine für die Hildesheimer Domkirche getroffene Vereinbarung aus dem Jahre 1297 verpflichtet: ,,per tres canonicos nostros ad hec ydoneos". 306 Ähnliche Vorschriften sind auch im Bereich der laikalen Kirchenpflegschaft nachzuweisen. Bischof Ludwig II. von Münster setzte beispielsweise im Jahre 1317 fest, daß an allen Pfarrkirchen seiner Diözese dem jeweiligen Kirchenrektor zur Fabrikvenvaltung zwei „viri honesti et ydonei" an die Seite zu stellen seien. 307 1267 ordnete BischofVolrad von Halberstadt an, daß in Eilwardesdorf die Pfarrgemeinde im Einklang mit dem Pleban aus ihrer Mitte zwei Leute „ad haec idonei" wählen sollte. 308 Nach einer Verfügung der Verfassung der Stadt Siena aus dem Jahre 1337 sollten drei „boni viri de civitate predicta" als Venvalter der „fabrica ecclesiae" gewählt werden. 309 In der Regel gehörten laikale Kirchenpfleger zu den angesehenen Pfarrangehörigen. Das Amt des Kirchmeisters (magister ecclesie) von St. Stephan zu Wien wurde offenbar jeweils einem Mitglied des Inneren Rates übertragen; der erste namentlich bekannte Kirchmeister war 1338 Berthold der Geukramer aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie. 310 Auch die Pfleger des Freiburger Münsters sowie der dortigen Nikolauskirche waren Mitglieder des städtischen Rates. 311 In Fribourg in der Schweiz waren es seit 1379 namentlich bekannte Bürger. 312 Die Verwalter der Kirchenfabrik wurden gemeinhin nur für eine be-

grenzteAmtszeit, in der Regel für ein Rechnungsjahr, gewählt; eine Wieder61

wahl war jedoch nicht ausgeschlossen, so daß sowohl bei klerikalen Fabrikverwaltern als auch bei laikalen Kirchenpflegern nicht selten längere Amtszeiten zu beobachten sind. Nach den Verlügungen eines Statuts des Bischofs Burchard und des Domkapitels zu Lübeck sollten die mit der Ausübung von Ämtern betrauten Domherren - darunter auch jene, ,,qui presunt structure" - künftig jährlich am Freitag nach Johannis Baptistae (24. 6.) Rechnung ablegen. Bei einer mangelnden ldoneität sollten diese „officiati" ausgetauscht werden; offenbar geeignete Domherren hingegen konnten gebeten - und nicht, wie ausdrücklich betont wird, gezwungen - werden, auch weiterhin dieses Amt zu übernehmen (si autem ydonei. possunt rogari. ut in suis officiis perseverent. nulli autem sunt cogendi). 313 Nach einer Verfügung des Erzbischofs Balduin von Trier aus dem Jahre 1338 zur Gründung des Kollegiatsstifts St. Maria zu Oberwesel sollte ein Kanoniker zusammen mit einem Vikar das Amt des Fabrikverwalters übernehmen; falls diese untauglich sein würden, sollten neue Verwalter durch den Dekan und das Kapitel bestimmt werden. 314 Ähnliche Regelungen für den Fabrikverwalter sind schließlich auch für Chartres und Cahors überliefert. 315 An der Metzer Kathedrale wurden wie den seit 1342 erhaltenen Protokollen des Domkapitels zu entnehmen ist - die „maistres de la fabrique" alle zwei Jahre neu- oder wiedergewählt. 316 Nach den Verfügungen der Verlassung der Stadt Siena aus dem Jahre 1337 wurde der „operarius" der Kathedrale für ein Jahr gewählt, ,,und sein vorbesagtes Amt dauert ein Jahr lang und zählt vom Tage seines Amtsantrittes an (et duret predictum eius offitium per unum annum a die introitus sui officii computandum)" .317 Tendenzen zu einer längerlristigen, auch für eine Kontinuität der Rechnungsführung vorteilhaften Bindung des „Fabrikverwalters" sind auch im laikalen Bereich zu beobachten: von Todesfällen abgesehen, lag die Mindestamtsdauer der Fabrikmeister in Xanten vom 14. bis zum Ende des 15. Jhs. bei sieben Jahren, die längste Amtszeit betrug 23 Jahre. 318 Im 15. Jh. wurden Fabrikverwalter in Fribourg/Schweiz für eine mehrjährige Amtszeit vom städtischen Rat gewählt. 319 In Wien ist „Hanns der Mosprunner, die zeit kirchmaister und verweser des paus Aller Heiligen tumkirchen dacz sand Stephan ze Wienn" in den Jahren 1403 bis 1408 sowie 1420 bis1422 nachzuweisen; Hanns Kaufmann war im Jahre 1415 und Otto Weiss in den Jahren 1416-1417 als Kirchmeister tätig, in den Jahren 1426 bis 1429 folgte Ulrich der Gundloch. 320 Die Zahl der eingesetzten Fabrikpfleger schwankte - wie bei allen Kapitelämtern - von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit. In Xanten wurde jeweils ein Kanoniker mit dem Amt des Fabrikverwalters betraut, vereinzelt (1414, 1454/55 und 1459) sind jedoch auch zwei Pfleger nachzuweisen. 3 2 1 Als Verwalter der Halberstädter Domfabrik waren nach den Angaben einer Urkunde des 62

Domkapitels aus dem Jahre 1288 zwei Kanoniker tätig. 322 Von St. Marien in Lübeck sind für 1293 und 1300 jeweils zwei Kirchenpfleger (provisores) namentlich bekannt, die auf einem 1337 gegossenen Taufbecken als „magister ecclesie" bezeichnet werden. 323 Auch in Köln waren 1248 urtd 1251 wie - zumindest zeitweise - im 14. Jh. mindestens zwei Fabrikverwalter an der Domkirche tätig. 324 Nach den Angaben einer Vereinbarung des Bischofs Wilhelm von Paris und des Pariser Domkapitels aus dem Jahre 1335 waren an der Kathedrale Notre-Dame zu Paris zwei Kanoniker mit der Verwaltung der ,,fabrica ecclesiae" betraut. 325 Am Prager Dombau ernannte in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. der Erzbischof in der Regel zwei Kanoniker zu „directores" bzw. ,,rectores fabricae"; in Zeiten geringer Bautätigkeit konnte diese Zahl jedoch auch reduziert werden. Im Jahre 1372 schließlich sind ausnahmsweise drei Fabrikverwalter nachzuweisen. 326 In Chartres waren im 14. Jh. drei oder - seltener - zwei bzw. ein Kanoniker mit der Verwaltung der „fabrica ecclesiae" betraut. 327 Am Domstift St. Moritz zu Magdeburg wurden in einer vom 10. März 1274 datierten Urkunde zur Überwachung und Verrechnung der „Kirchenfabrik" zwei Domherren - vermutlich durch eine Wahl des Domkapitels - bestellt. 328 Für Amiens (1234)329 und Lübeck (1277) 330 ist ebenfalls die Tätigkeit mehrerer „Fabrikverwalter" nachzuweisen. An manchen Dom- und Stiftskirchen wurde die Verwaltung auch gemeinsam von Laien und Kanonikern getragen, so daß grundsätzlich bereits jeweils mehrere Fabrikverwalter tätig waren. Im Stift Notre-Dame-en-Vaux in Chälons-sur-Marne waren 1329 zwei Pfarrangehörige und ein Kanoniker als Fabrikpfleger tätig. 331 Mit der Verwaltung der Hamburger Domfabrik sollten nach den Verfügungen eines Statuts aus dem Jahre 1336 zwei „structurarii ecclesie" - ein Kanoniker und ein Ratsherr - betraut werden. 332 Ansprüche auf eine Mitwirkung an der Verwaltung und Verwendung von Spenden der Gläubigen für den Bau der Lübecker Domkirche hatten städtische Bürger offenbar bereits im Jahre 1227 erhoben. 333 Auch im Bereich der laikalen Kirchenpflegschaft sind zumeist mehrere Pfleger nachzuweisen, die gemeinsam mit der Verwaltung der „fabrica ecclesiae" betraut waren. Der Rat der Stadt Straßburg wählte gemeinhin zwei, zeitweise auch drei Pfleger zur Betreuung des Frauenwerks. 334 In Bern waren im 15. Jh. drei Kirchenpfleger (kilchenpfleger, aber auch kilchmeyer oder schaffner) mit der Verwaltung des Kirchenbaus betraut; unter ihnen ragt Thüring von Ringoltingen hervor, der 1447 auf seinen Vater folgte und bis 1458 im Amt blieb. Ihm standen bis 1451/53 Hans Schütz und Hans Fränkli zur Seite, ab 1452/53 Hans Kindemann und Nikolaus von Scharnachthal, von denen einer ab 1456/57 von Ulrich von Langen und der andere ab 1463 von Laupen Peter Stark abgelöst wurde.335 In Ulm waren im 14. und 15. Jh. zumindest zeitweise drei laikale (Kirchen-)Pfleger tätig.336 Die Freiburger Ordnung kennt im 15. Jh. drei (Kirchen-)Pfleger, 337 Nördlingen 1427 sogar vier. 338 63

Beim Antritt ihres Amtes waren die Kirchenpfleger verpflichtet, einen Eid abzulegen. Entsprechende Nachrichten liegen für Bourges 1194, Narbonne 1238 und Chartres im 14. Jh. - jeweils ohne Wortlaut - vor. 339 Erst aus dem 14. Jh. stammen Eidesformeln, die Auskunft auch über den Inhalt der von den Fabrikverwaltern abgelegten Eide geben. Am Kölner Dom hatten 1365 die Pfleger (amministratores) dem Bischof und dem Kapitel zu geloben (fidem et juramentum facient), die Verwaltung der Fabrik getreu und rechtmäßig auszuüben und deren sämtliche Einkünfte ausschließlich für den Dombau zu verwenden (quod officium huiusmodi dispositionis et amministrationis fabrice fideliter et legaliter gerere et exercere debeant ad honorem et utilitatem ecclesie et fabrice); ferner sollten sie die Ausgaben gering halten und stets um den Nutzen der Fabrik besorgt sein; sie hatten viermal im Jahr zu bestimmten Terminen dem Bischof und dem Kapitel bzw. deren Beauftragten über die Einnahmen und Ausgaben Rechnung zu legen. 340 Weitere Eide und Eidesformeln sind erst für das 15. Jh., u. a. aus Frankfurt, Köln (St. Andreas), Speyer und Basel überliefert. 341 Sie sind dem Eid der Verwalter der Kölner Domfabrik ähnlich Der Speyerer „procurator" hatte zusätzlich zu geloben, daß er die Zimmerleute, Steinmetzen und die anderen Angehörigen (familiares) ohne Gunst oder Haß (non favore vel odio) zum Arbeiten übernehme.342 Der 1457 formulierte Frankfurter Eid der „magistri fabricae" und ebenso ihrer Nachfolger lautet: ,,Ich N., und ich N. schwören, daß wir der fabrica ecclesiae und dem Kapitel des HI. Bartholomäus zu Frankfurt Treue halten wollen und daß wir getreu das Korn und das Einkommen und die anderen Zuwendungen dieser Kirche für uns und die anderen anmahnen und einfordern wollen, ( daß wir) dieses und diese nicht ohne spezielles Wissen und Erlaubnis des Kapitels besagter Kirche veräußern und ausgeben wollen, sondern, (daß wir) dieses und diese in dieser Weise zum Nutzen der fabrica und der Kirche und nicht anderweitig auswerfen und verausgaben wollen, ferner, daß wir nichts Wesentliches bauen oder bauen lassen wollen in oder außerhalb der besagten Kirche außer durch Beschluß und Erlaubnis (consensus et licentia) besagten Kapitels, ferner, daß wir wenigstens zweimal jedes Jahr, vom Kapitel dazu angehalten, dem Kapitel selbst eine Abrechnung (computum) von Einnahmen und Ausgaben und anderen machen wollen und (daß wir) alle in derfabricaeinzeln notwendig zu bauenden (Dinge) in der schuldigen Zeit ohne Falsch bauen lassen wollen. Dazu helfe mir Gott und dieses Heilige Evangelium Gottes. " 343 Der Aufgabenbereich des Fabrikpflegers war sehr breit gefächert und konnte von Kirche zu Kirche, von Stift zu Stift den jeweiligen individuellen Gegebenheiten angepaßt werden. Synodale oder päpstliche Regelungen, die eine eindeutige Abgrenzung gegenüber den Tätigkeitsbereichen anderer 64

Kapitelsmitglieder oder in die kirchliche Verwaltung eingebundener Pfarrangehöriger erlaubten, sind weitgehend unbekannt. Zu den zentralen und wichtigsten Aufgaben des Fabrikverwalters gehörte die Verwaltung der Vermögenswerte der „fabrica ecclesiae" im Hinblick vor allem auf die Mehrung des Vermögens; hierzu gehörte die Entgegennahme von Sach- und Geldgaben (Legate, Oblationen, Strafgelder, Gebühren, Zinsen, Renten) oder das Eintreiben von Schulden. Ferner hatte er-wie z. B. in Wien und Straßburg- das ,,Fabrikvermögen" (Grundbesitz, Häuser, Weingärten usw.) ordentlich zu verwalten und für die Instandhaltung der Kirche und anderer kirchlicher Gebäude zu sorgen. 344 1185 bestimmten beispielsweise die Reformstatuten des Kollegiatsstiftes Saint-Salvi in Albi, daß ein operarius einzusetzen sei, ,,qui omnia quae ejusdem operis solent esse, accipiat fideliter et dispenset". 345 In Cahors bestimmte 1252 ein Statut des Bischofs Bartholomäus II., daß „es künftig einen operarius an der Kirche von Cahors gebe, der das Bauvermögen getreulich verwalte und es einfordere, von wo er es bekomme, so wie es bisher gehalten worden ist". 346 In einer Urkunde vom 25. Oktober 1325 werden die Pflichten der „magistri fabricae" am Magdeburger Domkapitel dargelegt: ,,duo Domini de Canonicis nostris praeesse debent fabricae ecclesiae nostrae colligendo, recipiendo et expendendo, quae eidem fabricae obveniunt, ita quod omnia ad eorum arbitrium et mandatum et consilium, quae ipsi fabricae opus fuerint, disponantur. " 347 Eine entsprechende Vereinbarung ist für Siena vom 7. Mai 1272 überliefert. Der Zisterziensermönch Melanus wurde zum „factor, ordinator und operarius der Kirchenfabrik (opera), wie des Gebäudes (opus) der hl. Maria, der Kathedrale von Siena" gewählt, ,,damit der Bau zustande käme in seiner Ausführung und Vollendung und in allem zu diesem Bau Erforderlichen. Und sie bestimmten und erwählten ihn in aller Form zum actor, factor und procurator des besagten Baues, daß er namens des besagten Baues und für denselben alle und jede Schuld, alles Vertragliche oder Hinterlassene, was am Bau und für diesen noch ausstände, von welcher Person und woher dies auch stamme , bitten und eintreiben, sammeln und annehmen dürfe, daß er die Schuldner desselben insgesamt und sonders vollständig entlasten, daß er ferner Rechte übertragen, Verträge und Rechnungen aufstellen oder auch Quittungen über Gezahltes und über Übertragungen von Rechten, daß er Vergleiche und Klagebeantwortungen machen dürfe , für den Bau Geliehenes annehmen, daß er Güter desselben verpfänden und Güter des besagten Baues verkaufen dürfe, daß er alles und jedes tun dürfe, was er als förderlich für den Bau erkannt habe. Und sie gaben und gestanden zu und beauftragten diesen Frater Melanus mit der allgemeinen und freien Verwaltung (administratio) in Vorbenanntem und über Vorbenanntes und mit allem, was ein wahrer und gesetzlich befugter operarius, administrator und factor nur tun darf. " 348 1337 wurde für die Sieneser Kathedrale ergänzend festgelegt, 65

daß „zur Bewachung des Gebäudes (opus) und des Bauplatzes (laborarius) der besagten Kirche beständig ein Wächter (custos) vorhanden sein soll, welcher vom operarius des besagten Werkes die Auslagen und von der Stadt Siena in jedem Monat 20 solidi als seinen Lohn ( salarius) zu bekommen hat". 349 Der Fabrikverwalter war jedoch auch mit der Verwaltung der Ausgaben betraut, die im Zusammenhang mit der Ausstattung der Kirche und deren Instandhaltung sowie den Regiebedürfnissen entstanden. Er hatte auf die Ordnung und die Reinlichkeit in der Kirche wie auf dem Friedhof zu achten; ihm oblag die Sorge für die Fenster und Glocken, die Paramente, Meßbücher, Altargerät usw. sowie die Unterhaltung der Lichter. In einer Verfügung des Domkapitels zu Goslar aus dem Jahre 1325 beispielsweise wurde nach der Stiftung eines ewigen Lichtes durch Bodo von Mahlum der jeweilige Fabrikpfleger (provisor fabricae) mit der Unterhaltung dieser Lampe betraut. 350 In Wien bezahlte 1404 der Kirchmeister „den mesnerknechten ain ganz jar von dem kor zu hütten und von den lampen ze züntten" und hatte darüber hinaus die Kirchenstühle zu vermieten und die Grabstellen anzuweisen. 351 Im Stift Notre-Dame-en-Vaux in Chfilons-sur-Mame hatten nach einer Regelung des Jahres 1329 die drei Pfleger neben der Betreuung des Fabrikvermögens auch die Bewachung der Reliquien und Juwelen, Bücher und aller übrigen der Fabrik gehörenden beweglichen Güter durch einzusetzende Wachleute zu gewährleisten; sie hatten die Aufsicht über den Opferteller am Hauptaltar und mußten für die Aufstellung der Reliquien und für das Glockengeläut sorgen. 352 In Wien und Straßburg gehörte neben der Verwaltung der Kirchengüter auch die Sorge für die Häuser und Weingärten zu den Aufgaben des „Fabrikverwalters". Nach den Angaben der Satzung der Kathedrale von Saint-Papoul aus dem Jahre 1320 hatte der „operarius" ,,ecclesiam, refectorium, dormitorium, claustrum, capitulum et cameras privatas capituli de tegulis duntaxat coopertas tenere. Et etiam si coopertura talis mortario vel cemento indigeat, illud habere et ibi ponere teneatur. " 3 53 Nach den Angaben der um 1410 aufgezeichneten „consuetudines" des Essener Stiftskapitels gehörte es zu den Pflichten des „magister fabricae" , ,,respicere omnem structuram et tecturam monasterii". 354 Die vermutlich aus dem 13. Jh. stammende Beschreibung der Funktionen der Offiziaten des Klosters Saint-Martial in Limoges vermerkt, daß der „magister operis" für alle Arbeiten an den Abteigebäuden in Holz und Stein aufzukommen hatte; ferner war er für die Fenster, den Glockenturm mit seinem Gebälk und Glocken verantwortlich, alljährlich hatte er zur Fastenzeit vor Ostern und um Weihnachten einen Almosensammler (quaestor) durch die Diözese zu schicken. 355 Die Satzungen der Hochkirche von Maguelone aus dem Jahre 1331 legen auch die Pflichten eines „operarius" fest: der Fabrikverwalter hatte ebenso für die Instandhaltung der Kathedrale (einschließlich der Bedachung) und aller Bauten „infra portas ferreas" sowie für die Instandhal-

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tung auch des Turmes der Küche (wohl der Schornstein) und der steinernen Treppe des Schlaf- und Speisesaales zu sorgen; auch für die Beseitigung von Unkraut, Bäum~n, Sträuchern und anderem, das dem Mauerwerk hätte schädlich werden können, war er verantwortlich; ferner war ihm die Begehung von „misericordiae" zum Seelenheil bestimmter Bischöfe vorgeschrieben sowie die jährliche Ausrichtung eines Mahles zugunsten der Seele des 1230/33 verstorbenen Bischofs Bernhard von Menosa. 356 Der Bauzustand der Domherrenkurien unterstand demgegenüber - wie mehrere Quellen aus dem französischen und deutschsprachigen Raum belegen - unmittelbar der Aufsicht des jeweiligen Dom-/Stiftskapitels, 357 welches meist in jährlichem Abstand durch hierfür bestellte (meist zwei oder drei) Kanoniker (1269 in Evreux, 1282 und 1327 in Reims, 1275 in Paris nachgewiesen) Visitationen vornehmen ließ. 358 Beobachtete Baumängel wurden dem Kapitel mitgeteilt, das dann die Baupflichtigen zur Reparatur anhielt. In Paris legte 1275 ein Beschluß des Domkapitels fest, daß zwei der Domherren gemeinsam mit dem Dekan „vel eciam sine decano ... , adhibitis lathomo et carpentario ecclesie Parisiensis juratis, (singulis annis) domos singulas claustri .inspicient diligenter; et, si quid fuerit reparandum vel emendandum, ipse decanus et duo canonici injungent canonico in cuius domo defectus inventus fuerit. .. ut infra certum terminum defectum huiusmodi reparet et emendet, secundum quod ipsi decanus et duo canonici aut major pars eorum, de consilio lathomi et carpentarii predictorum, decreverint faciendum". 359 Auch zu den Pflichten der Paderborner Domherren gehörte die Instandhaltung der von diesen bewohnten Kurien, die zum Besitz des Domkapitels gehörten. 360 In Merseburg verfügten die Domherren gegen die Zahlung einer einmaligen Summe über ein lebenslanges Nutzungsrecht an der betreffenden Kurie, die im Eigentum des Kapitels verblieb; bauliche Veränderungen durften daher erst nach einer vorherigen Absprache mit der Kongregation vorgenommen werden. 361 Als Vermögensverwalter übernahm der Fabrikverwalter bisweilen auch die Aufgaben eines Bauvenvalters, der für eine reibungslose Organisation des Baubetriebes verantwortlich war: Er hatte die Bauarbeiter zu entlohnen und die Werk- und Lohnverträge abzuschließen, 362 für die Materialbeschaffung und deren Transport zu sorgen und Zollbefreiungen auszuhandeln, 363 sofern dies nicht- wie auch die Beschaffung von notwendigem Baugrund - durch das Kapitel selbst erfolgte. 364 In einer in Xanten entstandenen „Dienstanweisung für den Fabrikmeister'' in dem von Johann von Bemel 1399/1400 angelegten „Liber ruber" des Stiftsarchivs heißt es z. B.: ,,Der magister operis sive fabrice soll bei dem Pfarrer (plebanus) und seinen capellani bemüht sein, daß die fabrica (hier: der Bau) gefördert werde. Wein des ID. Viktor soll er, wenn es dem Kapitel gefällt, erhalten und den am OrtAnwesendenfürihreArbeit austeilen. Altgewordene Hölzer, die nicht mehr notwendig sind, soll er behalten und an67

deres treu beaufsichtigen. Für die große Glocke, wenn sie für einen Toten geläutet wird, soll er 12 Denarii zum Nutzen der fabrica erhalten. Mit Bitten (Spenden) in der Kirche soll er das zu erstellende Werk (faciendis opus) vermehren. " 365 Derartige Dienstanweisungen oder Aufgabenumschreibungen sind recht selten erhalten oder in ihrer Aussage sehr knapp gehalten wie z.B. die aus dem Jahre 1450 stammenden Anweisungen für den „magister fabricae" des Baseler Münsters. 366 Bei größeren Bauvorhaben oder vermögenden Hütten waren dem Fabrikverwalter Schreiber zur Unterstützung beigegeben; der Kirchschreiber war „der Vertreter und Helfer des Kirchmeisters in allen die Verwaltung des Kirchenvermögens und insbesondere die Bauführung betreffenden Angelegenheiten". 367 Der ab 1414 nachgewiesene Schreiber des Straßburger Frauenwerks, Claus Schilling, stieg 1418 sogar zum Schaffner auf. 368 Ein in das städtische Ordnungsbuch der Stadt Wien 1452/58 eingetragener Eid bemerkt zur Tätigkeit des Kirchenschreibers: ,,Des kirchschreiber zu sand Steffan aid. Ir wert swern, daz ir dem kirchmaister von unsern wegen gehorsam und gewertig seit, seinen und der kirchen in allen sachen nucz und frumen trachtet und im schaden wendet nach allen euerm vermugen und daz ir pei der stainhutten mit steinkauffen, stainmeczengesellen, zimerleutgesellen, hantwerhern, tagwerhern, arbaittern und andern mit aufschreiben irs Ions und in den andern der kirchen notdurft treulichen handeln und zuesehen wellet, auch all und jeglich der kirchen zins, 30 Heilig-Grab-Kirche in Jerusalem in Arculf, De locis sanctis, Abschrift 3. Drittel 9. Jh. aus St. Gallen (Bern, Burger Bibi., cod. 582, fol. 8).

aus dem Zisterzienserkloster Rein/Steiermark (Anfang 13. Jh. ), wobei hier jedoch die beiden Grundrisse (fol. 4r, Sv) um in die Fläche geklappte Ansichten ergänzt sind. Die Redaktionen des Beda, in Abschriften des 9.-11. Jhs., zeigen vereinfachte Skizzen. 875 W. Schöller hat ferner auf eine französische Handschrift aus dem 1. Drittel des 13. Jhs. hingewiesen, die einen ähnlich schematischen Grundriß des Tempels Salomon enthält. 876 Entsprechend ist auch die von M. Hasak und anderen auf ein Wachsmodell gedeutete Nachricht in der um 1146 verfaßten Vita s. Heinricii II. bezogen auf Saint-Germain in Auxerre in der Mitte des 9. Jhs. zu verstehen: ,,Das Werk

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(res) wird Kunstfertigen (artifices), die in solchen Dingen höchst erfahren (experientissimos) sind, übertragen. Durch ihren Fleiß (industria), der die günstige Lage des Ortes ergänzt, wird das Vorbild des geplanten Werkes hergestellt (concepti operis exemplar conficitur); und gleichsam wie durch ein Vorspiel wird die Masse der zukünftigen Größe auf kleinen Wachstafeln in solcher Schönheit und Feinheit dargestellt (et quasi quodam praeludio futurae moles magnitudinis caeris brevibus informatur ea pulchritudine, ea subtilitate), daß sie dem König der Engel und der Menschen, sowohl der Versammlung der Heiligen als auch der Hoheit des Ortes würdig sei. " 877 In diesen Zusammenhang gehört auch der St. Galler Klosterplan, der im 1. Drittel des 9. Jhs. entstanden und dessen Kirche mit Maßbeischriften für ein Bauvorhaben versehen worden ist. 878 Der Plan zeigt die Organisation des Raumprogramms, das durch Beischriften verdeutlicht wird. Einzelheiten wie Stützen, Öffnungen und Einrichtungen werden durch Signaturen gekennzeichnet, besondere Aufrißgliederungen wie Kreuzgangarkaden oder Abtshausportikus sind in die Zeichenebene geklappt dargestellt. Das 112 x 77 ,5 cm große Kalbspergament besteht aus fünf Teilen, die mit Darmsaiten in zwei aufeinanderfolgenden Arbeitsgängen - erst die Mitte, dann das obere, rechte und untere Blatt- zusammengenäht worden sind. Die roten Tintenstriche sind mit der Kielfeder freihändig gezogen, die Beischriften mit braunschwarzer Tinte hinzugefügt. Die von N. Stachura beobachteten Zirkeleinstiche und Blindrillen lassen für Teilbereiche der Plankirche an eine experimentierende Konstruktion denken. 879 Der übrige Plan ist mangels Blindrillen als Kopie anzusehen, wobei innerhalb einzelner Partien des Planes die Linien parallel und rechtwinklig sind, gegeneinander aber geringfügig abweichen; hieraus ist zu vermuten, daß sich das auf dem Original aufliegende Pergament der Kopie während der Arbeit mehrfach verschoben hat. Die Rasterungsmöglichkeit hat zusammen mit den eingetragenen Fußmaßen zahlreiche Autoren veranlaßt, nach dem Maßstab des Planes zu suchen. Das Ergebnis ist trotz scharfsinniger Überlegungen von K. Hecht, der einen Maßstab 1: 192 erschlossen hat, unrealistisch, weil mit der Bestimmung der zugrundeliegenden Fußlänge und der Bezogenheit der Maßbeischriften unbeweisbare Annahmen gemacht werden. 880 Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Zeichnung, die spätgotischen Visierungen oder neuzeitlichen Bauplänen entspricht, sondern um einen Systemplan, der allerdings als Grundlage zur Baugrundvermessung dienen konnte. 881 Der Reichenauer Abt Heito erläutert im Widmungstext den Zweck der Plankopie: ,,Ich habe Dir, liebster Sohn Gozbert (Abt von St. Gallen), dieses bescheidene Abbild (paucis exemplata) der Anordnung der Klostergebäude (de positione officinarum) geschickt, damit Du daran D eine Findigkeit übest." Als bemaßte Skizze können wir uns wohl auch das Ergebnis vorstellen, das Abt Wino von Helmarshausen 1033 im Auftrag von Bischof Meinwerk 178

von Paderborn aus Jerusalem mitbringen sollte, um danach die 1036 geweihte Busdorf-Kirche in Paderborn zu bauen. In der um 1160 niedergeschriebenenVita Meinwerci heißt es: ,,Der Bischof holte sich, um ein himmlisches Jerusalem zu erhalten, den Abt Wino von Helrnarshausen, ... , damit er eine Kirche, entworfen nach der Ähnlichkeit (ad similitudinern disponens) der heiligen Jerusalerner Kirche, baue ... und er gebot ihm, nach Jerusalem schickend, die Maße (rnensuras) jener Kirche und des Heiligen Grabes zu überbringen (deferri) ... Nachdem AbtWino aus Jerusalem zurückgekehrt war und die Maße jener Kirche und die Reste des Heiligen Grabes herbeigebracht hatte (rnensuras ... deferente), begann der Bischof, ähnlich (ad sirnilitudinern) jener, eine Kirche ... zu errichten. " 88:2

3. Vorbildhafte Gestalt: exemplar, forma, scema In verschiedenen Schriftquellen wird die Absicht genannt, einen Bau nach einer vorbildhaften Gestalt (ad forrnarn, ad exernplar, ad exernplurn, ad rnodurn, ad instar) zu errichten. Auf welche Weise diese Ähnlichkeit (similitudo) erreicht wird, ist nicht eindeutig, ebensowenig wie die Art und der Grad der Übereinstimmung bestimmt ist. 883 In der Nachfolge der neuplatonischen Auffassung des Pseudo-Dionysius, durch Johannes Scotus (um 810-877) vermittelt, wird die sichtbare, natürliche Welt als Abglanz der unsichtbaren Welt verstanden. 884 Die Natur empfängt ihre Bezeichnung (significatio) von Gott. Die Beziehung zwischen jener „res" (Sache/Ding) und ihrer „significatio" (Bezeichnung) kommt durch Analogie zustande, über die die Bibel Aufschluß gibt; entsprechend hat jede „res" nach Augustinus (354-430) einen Zeichenwert. Alanus (um 1120-1202) versteht das Symbol als „signurn" (Zeichen), als „Ebenbildlichkeit, die vorn Irdischen auf Himmlisches übertragen wurde" (sirnilitudines, quae transferentur a terrenis ad caelestis), und Hugo von St. Victor (um 1096-1141) sagt im Anschluß an Dionysius: ,,das Symbol ist der Vergleich der sichtbaren Formen mit der unsichtbaren Darstellung" (syrnbolurn est collatio forrnarurn visibilium ad invisibilium dernonstrationern). In der Kirchweihsequenz „Rex Salornon fecit ternplurn" des Adam von St. Victor (um 1100-1192) ist die Analogie das konstituierende Prinzip; mit „instar" und „exernplurn" wird das Verhältnis der Erbauung des Tempels durch Salorno (als Präfiguration) und der Gründung der Kirche durch Christus bezeichnet. Entsprechend sieht Abt Suger von Saint-Denis (um 1081-1151) seinen Kirchenbau als Abbild des Salomonischen Tempels. Größe und Licht des Baues sollen die Gläubigen auf anagogische Weise (anagogicus rnos) vorn Materiellen zum Immateriellen erheben, jedoch erst im liturgischen Vollzug vollendet sich die Erbauung der Kirche im Äußeren und im Inneren durch die Vereinigung des Materiellen mit dem Immateriellen. Die 179

im Bau und in der Liturgie sichtbaren Zeichen werden von den Gläubigen als Manifestation des Unsichtbaren verstanden. So sieht der 1172 verstorbene Richard von St. Victor (Benjamin Major I, 6) in der „contemplatio" (Betrachtung) die Vollendung auf dem Weg zur Wahrheit; sie findet auf sechs Arten (genera) statt: ,,Die erste ist in der Vorstellung und gemäß reiner Vorstellung", sie führt über die sichtbare Form (visibilium forma) zum Bestaunen von Schönheit und Angenehmem (pulchra vel iucunda). ,,Die zweite ist in der Vorstellung und gemäß der Vernunft"; sie erreicht das Staunen durch das Erkennen von „ratio, ordo, dispositio" und „unius cuiusque rei causa". ,,Die dritte ist in der Vernunft und gemäß der Vorstellung", sie erkennt durch die sichtbaren Dinge die Ähnlichkeit mit den unsichtbaren Dingen (per rerum visibilium similitudinem in rerum invisibilium speculationem). Die vierte bis sechste Art ist frei von unmittelbarer Betrachtung realer Dinge. Die Dinge (res) werden dreifach wahrgenommen: in ihrer „materia", dem Stoff, aus dem sie bestehen, in ihrer „forma" - nach Hugo von St. Victor „ist die äußere Erscheinung die sichtbare Form, die zweierlei enthält: die Gestalten und die Farben" (species est forma visibilis, quae continet duo: figuras et colores) - und in ihrer „natura" (durch Tast-, Geschmacks- und Geruchssinn). Auf dieser Basis müssen wir die Schriftquellen und die Bauten beurteilen, wenn wir die volle Bedeutung von „forma" in den „Werken der Kunstfertigkeit" (opera artis) erkennen und verstehen wollen. So heißt es zum Bremer Dom um 1075 bei Adam: ,,Nachdem nach dem Brande von 1044 die Fundamente gelegt waren, ordnete er an, nach dem Vorbild (ad formam) der Kölner Kirche die Größe unserer Kirche auszuführen", und etwas später: ,,Die Mauer der Kirche erhob sich, deren ,forma' zuvor Alebrandus nach Kölner Vorbild (ad instar Coloniensis) angefangen hatte, er selbst aber gedachte, sie nach dem Vorbild (ad exemplum) des Beneventer Baues fortzuführen. " 885 Hieraus wird deutlich, wie wenig ein einzelnes Wort interpretiert werden kann; es wird jeweils mit „ad formam", ,,ad instar" und „ad exemplum" nur allgemein die Vorbildhaftigkeit bezeichnet. Das gilt auch für das Kloster Frankenthal bei Worms, zu dem es in der Vita des 1132 verstorbenen Abtes Eckenbert heißt: ,,So widmeten sich jetzt die vorgenannten Brüder (der Diakon Gotfrid und der Laie Gosman), nachdem sie sich zum Bleiben entschlossen hatten, mit Eifer dem Werk (operi) gemäß der sich selbst gegebenen Form (secundo datam sibi formam); sie waren aber verpflichtet, nach dem Vorbild (ad exemplar) der Kirche des hl. Amandus, die in der Vorstadt von Worms steht, ein bescheidenes Bauwerk zu errichten (modicam fabricam extruere). " 886 Um 1130 wurde das Steinportal der Abteikirche von Andres bei Boulogne-sur-Mer nach dem Vorbild des Portals von Saint-Bertin begonnen (ad exemplar porte Sancti Bertini portam hie lapideam incepit). 887 Ob und auf welche Weise die Form des Vorbildes festgehalten worden ist, wird hier ebensowe-

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nig genannt wie bei Gervasius von Canterbury, der 1185 berichtet, daß 1174 der Baumeister Wilhelm von Sens den Steinmetzen „Formen, um die Steine zu formen" (formas ad lapides formandos), gegeben hat; Gervasius von Canterbury zitiert auch den Baubericht Eadmers, wonach die „ecclesia ... ex quadam parte ad imitationem ecclesiae beati apostolorum principis Petri" und die Krypta „ad instar confessionis sancti Petri fabricata" errichtet war. 888 In der um 1060 verfaßten Chronik von Saint-Benigne in Dijon wird die Baubeschreibung eingeleitet: ,,Es mag für solche, die weniger gut unterrichtet sind, nicht überflüssig sein, die Gestalt (forma) und die Feinheit (subtilitas) dieses kunstvollen Baus (artificiosi operis) hier durch Worte darzustellen (ostenditur per litteras)." 889 Um die Mitte des 12. Jhs. wird überThiemo, seit 1090 Erzbischof von Salzburg, berichtet, daß er nicht nur in den freien Künsten (artes liberales), sondern auch in allen angewandten Künsten ( artes mechanicae) fähig war, in der Malerei, Gußtechnik, Skulptur, Zimmerei und in allen „genera et species in modis et formis". 890 Was man sich im 12./13. Jh. unter „forma" vorzustellen hat, wird aus den ausführlichen Darlegungen in dem Brief deutlich, den der in Paris ausgebildete Magister Regens und Kanzler in Oxford Robert Grosseteste (um 1175-1253, seit 1235 Bischof von Lincoln) um 1228 an den Magister Adam Rufus geschrieben hat: ,,Deshalb wird die Form (forma) Vorbild (exemplar) genannt, auf das der Kunstfertige (artifex) zurückblickt, damit er seinen Handwerksgegenstand in Nachahmung (imitationem) und Ähnlichkeit (similitudinem) zu ihm forme. So wird der Holzfuß, auf den der Schuster sich bezieht, um nach diesem eine Sandale zu formen, Form (forma) der Sandale genannt ... Auch wird Form (forma) genannt, woran die zu formende Materie angefügt wird, und durch die Anfügung erhält sie in der Nachahmung (imitatoriam) die Form dessen, dem sie angefügt wird. So sagen wir von einem silbernen Siegel, daß es selbst die Form des Wachssiegels, und von dem Ton, in dem eine Statue gegossen wird, daß er selbst die Form der Statue ist. Wenn aber ein Kunstfertiger (artifex) in seinem Geist (Vorstellungsvermögen) die Ähnlichkeit (ein Bild) des zu schaffenden Handwerksgegenstandes (in anima sua artificii fiendi similitudinem) hat, dann blickt er allein auf das, was er in seinem Geist (in mente) trägt, um den Handwerksgegenstand (artificium) nach dessen Ähnlichkeit zu formen (eius similitudinem suum formet); so wird die im Geist des Kunstfertigen befindliche Ähnlichkeit (Bild) selbst die Form des Handwerksgegenstandes genannt (ipsa in mente artificii similitudo forma artificii dicitur) ... Stelle dir also die zu machende Form des Handwerksgegenstandes im Geiste des Kunstfertigen vor, wie z. B. im Geiste des Architekten die Form und die Ähnlichkeit des zu bauenden Hauses (in mente architectoris formam et similitudinem domus fabricandae), auf dessen Form und Vorbild (exemplar) er sich einzig bezieht, um nach dessen Ähnlichkeit (imitationem) das Haus zu bauen. Und stelle dir dazu noch den unmöglichen Fall vor, daß der Wille

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des Architekten, der das Haus bauen will, so stark sei, daß er allein die zu seinem Haus zu formende Materie jener Form im Geiste des Architekten (formae in mente architectoris) anpassen kann, so daß sie durch die Anpassung (applicatione) zu einem Haus geformt werde ... Stelle dir also den Willen des Kunstfertigen (voluntatem artificis) vor, der die Materie des Hauses der Form im Geiste des Architekten (ad formam in mente architectoris) anpaßt, und nicht nur so, daß sie an diese angepaßt ist, so lange wie das Haus im Haus-Sein besteht, ihr Gestalt-Sein (formata) behält. In der gleichen Weise wie die Form dieses Hauses im Geiste des Architekten eine Form des Hauses ist (forma huius in mente huiusmodi architectoris esset forma domus), ist die Kunst, sei es die Weisheit, sei es das Wort des allmächtigen Gottes, die Form aller Geschöpfe. Diese nämlich ist selbst zugleich Idealbild und Hervorbringende und Formende und in der gegebenen Form Bewahrende, während die Geschöpfe an diese selbst angeglichen werden und auf sie bezogen werden. " 891 Robert Grosseteste kennt in diesem Brieftext um 1228 weder Zeichnungen noch Modelle als „similitudo" der „forma in mente architectoris" des zu bauenden Hauses. Seine Ausführungen sind auch geprägt durch die von Platons „Timaios" ausgehende Vorstellung von der Kunstfertigkeit des Schöpfergottes als Baumeister des Kosmos. Diese beinhaltet eine Auffassung von der Schöpfung, wonach Gott nach der in ihm vorgegebenen Idee als dem O.QXE-tunov oder „exemplar" (Urbild) die Welt als Extunov oder „exemplatum" (Abbild) geschaffen und ihr das Dasein gegeben hat. 892 Die wiedergegebene Passage aus dem Brief dient Grosseteste zur Erläuterung zu der Auffassung „Gott ist Form und Form alles Seienden"; bei seiner Antwort bezieht er sich auf Augustinus. Die „forma" kann einerseits die Figuration im Sinne der materiellen Gestaltung bezeichnen, andererseits bezieht sie sich auch auf das Was-Sein der Dinge. In bezug auf Gott müssen drei Ebenen der „forma" unterschieden werden (Gott als erste „forma", das Was-Sein der Dinge und schließlich die Figuration der Materie), im Beispiel des Kunstfertigen jedoch nur zwei (das Vorbild im Vorstellungsvermögen und die Figuration). Die göttliche „forma" (bzw. deren Prinzip) ist der Wille, etwas zu formen, die Kraft, dies zu tun, und die Fähigkeit, das Geformte in der Form zu bewahren; alles zusammen umfaßt der Begriff der „formositas". Nach Augustin und Grosseteste umfaßt der menschliche Geist die Fähigkeit des gedanklichen Konstruierens und der Vorstellungskraft (,,in mente" oder „in anima"). Der „architectus" als „artifex" (Kunstfertiger) hat das Bild des zu schaffenden Gegenstandes in seinem Vorstellungsvermögen und schafft die „forma" in Ähnlichkeit (similitudo) dazu. Recht allgemein ist die verbale Umschreibung von „forma" durch den Begriff „scema",893 wozu wenige Beispiele angeführt werden sollen. Nach der um 1060 abgefaßten Chronik von Saint-Benigne in Dijon wurde nach 1001 von Abt Wilhelm von Volpiano an die Krypta gen Osten ein „orato182

rium ... rotundo scemate factum" angefügt. 894 In der Mitte des 12. Jhs. wird in den Annales Rodenses von Klosterrath bei Aachen zu 1106/08 berichtet: ,,iacentes fundamentum monasterii scemate Longobardino" (gelegt wurde das Fundament des Klosters in der Art der Langobarden). 895 Nach der um 1105 vollendeten Vita Annonis hat Erzbischof Anno II. (1056-75) die „rotundi scematis basilicam" St. Gereon in Köln erweitert; 896 ähnlich wird für St. Wandrille zu 822/33 „rotundo scemate formatum erat" 897 oder für Hereford zu 1079 „tereti scemate" (in länglichrunder Form) 898 oder in der Vita Hrabani „arcam oblongam quadrangulo schemate factum" 899 genannt. Im 12. Jh. heißt es, das Grab des Herrn in der Mitte der Kirche von Cambrai „construxit rotundo scemate" ,900 andererseits aber auch in der gleichen Quelle ,,iuxta eam meliori et ampliori scemate monasterium ... aedificavit:''901 wie gleichzeitig in den Gesta Treverorum zu Koblenz „basilicam ... meliori scemate et ampliori am bitu ex lapidibus ... construxit". 902 Dudo von Saint-Quentin schreibt zwischen 1015/1026 über die 990 geweihte Klosterkirche von Fecamp „altiore amplioris culminis schemate" und „miri schematis forma construxit" sowie in anderem Zusammenhang „scemate pulchro aedificaverat", entsprechend in der um 1170 geschriebenen Historia Remensiensis zu 1004/16 „caementeriis muros pulchro schemate construentibus". 903 Nach einer 1113/1114 von Gilo, Mönch in Cluny, überliefer- 109 ten Legende erschienen die Patrone der Klosterkirche zu Cluny dem Mönch Gunzo im Traume und steckten vor dessen Augen den Grundriß der Kirche ab ( schemate fabricanda basilica bzw. dimensionis et schematis memoriam). 904 Für Weißenburg ist aus dem 12. Jh. überliefert „monasterium non vili factum scemate gloriosissime construxit", 905 für Senones im 13. Jh. „firmo scemate firmat" 906 und für Klosterneuburg im 14. Jh. ,,monasterium cum adhaerente claustro ... pulchro schemate, ut liquido apparet, construxit". 907 In jedem Fall wird „scema" mit einem Eigenschaftswort kombiniert und dürfte mit „Art und Weise" zu übersetzen sein. Dieser Deutung kam bereits J. Reimers 1887 recht nahe: ,,Die gewöhnliche Bezeichnung für Stil, soweit von einem Ausdruck dafür im Mittelalter die Rede sein kann, ist 'scema, schema, oder genus aedificandi' usw.", 908 d. h., hier wird in der im 19. Jh. üblichen Weise der Stilbegriff angewandt, der in der Kunsttheorie von Vasari „maniera" genannt wird und nicht im heutigen Sinne eine aus historischer Sicht erwachsene Feststellung einer auf wesentlichen Eigenschaften beruhenden Gleichartigkeit künstlerischer Werke ist. Auch zahlreiche englische Quellen überliefern eine entsprechende Verwendung von ,,scema" u. a. als „lapideum, ligneum, laudabile, mirum, elegans, nobile, pulchrum, quadrangulum, crucis, rotundans, simplex, antiquae structurae, venustissimum". 909 So heißt es z.B. um 1170 zum Kloster von Ramsey/ Huntingdonshire ,,iuxta modum et formam ... sibi praemonstratam pulchro scemate construxit" und 1369 zum Minoritenkloster Neuhaus in Südböhmen, daß der Kreuzgang „ad modum et formam" des Kreuzganges zu 183

Wittingau zu bauen sei, oder 1424 in einem Bronnbacher Vertrag für das Dachwerk „nach der forme und weyß, als es begriffen und bezeichett ist uff einem briff". 910 Die Art und Weise einer Formgebung wird auch durch „mos" in vielfacher Kombination mit Eigenschaftsworten bezeichnet,911 wobei bei einer Interpretation nicht unberücksichtigt bleiben darf, daß z. B. Richard von St. Victor unter „mores" die Einrichtungen (institutiones) versteht, die auf Gott zurückgehen wie die Sakramente der Kirche, oder auf den Menschen wie Brauch, Recht und Gesetz. Entsprechend werden „genus" und „ritus" verwendet, wie z. B. ,,genus novum aedificandi"912 , auch „manu Gothica constructa" .913 Dagegen bezeichnet „opus" allgemein mehr die technische Ausführung. 914 Dem St. Galler Klosterplan (um 820/830) ist eine Widmung an den Empfänger Abt Gozbert von St. Gallen beigegeben, die beginnt: ,,Ich habe dir dieses bescheidene Abbild (exemplata) der Anordnung der Klostergebäude geschickt. " 915 Konrad Hecht übersetzt „exemplata" mit „abschreiben, Abschrift" im Gegensatz zur älteren Auffassung „Exempel, Beispiel". Bernhard Bischoff konnte durch einen Kölner Text von 865 die Bedeutung „Abschrift, Nachzeichnung" belegen, in dem für die Vervielfältigung eines an die Bischöfe herauszugebenden Heftes das Wort „exemplari" gebraucht wird. Für Saint-Germain in Auxerre heißt es um 1146, ,,das Vorbild des geplanten Werkes wird hergestellt" (concepti operis exemplar conficitur), und zwar auf kleinen Wachstafeln. 916 Für „exemplar, exemplum" gibt es eine sehr große Zahl entsprechender Belege , die jeweils die Bedeutung von „Vorbild, Abbild" unmittelbar und übertragen erkennen lassen. 917 Über die von Kunsthistorikern durch Formenvergleich aufgezeigten Bezogenheiten auf vorbildhafte Bauten geben erst die spätmittelalterlichen Quellen genauere Auskunft. So stellten am 31 Januar 1450 die Stiftsdamen von Sainte-Waudru in Mons/Hennegau Meister Jehan Spiskin als Werkmeister (maistre ouvrier) für den Neubau ihrer Kirche ein, mieteten am 5. Februar einen bequemen Reisewagen und fuhren mit Jehan Spiskin, dem Zimmermeister Hellin de Sars und dem Vogt des Kapitels zu dem 20 km östlich von Mons gelegenen Zisterzienserinnenkloster Bonne-Esperance, um gegen ein Trinkgeld an den Portier der Kirche diese zu besichtigen. 918 Das Ergebnis scheint nicht befriedigt zu haben, denn kurz danach wurden J ehan Spiskin, Hellin de Sars und der Notar Henri de Jauche auf eine neuntägige Studienreise zu Stiftskirchen in der weiteren Umgebung von Mons geschickt: Tournai, Lille, Grammont, Brüssel, Mechelen und Löwen. Über jede Kirche wurde ein schriftliches Gutachen angefertigt (leur advis mettre par escript). Wahrscheinlich am 14. Februar kehrten die drei wieder zurück; am folgenden Tage, Sonntag, den 15. Februar, kamen noch Gille Pole , ,,maistre machon de Mons, le Duc en son pays de Braibant", Piert Pole, sein Sohn, und Matheus de Layens, ,,maistre machon de Louvaing" (Lö184

wen), hinzu und erhielten ein Handgeld für 4 bzw. 5 Tage, die sie in Mons „sur le conclusion de le devise del a:uvre" verweilten. Zehn Tage später, am Sonntag, dem 1. März, trafen sich die Meister wieder in Mons, besichtigten am Montag den Bauplatz und reichten den Stiftsdamen ein schriftliches Gutachten ein, auf das noch am Nachmittag eine Antwort gegeben wurde (Item, a lendemain, quifule lundj, apres ce que tous les dessusdis maistres ouvriers eulrent aucune le place del a:uvre visitee, et leur avis pas escript, pour al'apresdisner faire response). 9 19 Dieser ausführlich belegte Planungsverlauf wird ergänzt um eine ganze Reihe weiterer ähnlicher Nachrichten, die K. J. Philipp für die Niederlande und F. Salzman für England zusammengestellt haben.n° So verpflichtete der Konvent des Minoritenklosters zu Neuhaus in Südböhmen 1369 die Steinmetzen Nicolaus und Andreas, den Bau des Klosterkreuzganges „nach Art und Form" (ad modum et formam) des Kreuzganges zu Wittingau zu erstellen, und 1377 bekamen ein Schöffe, ein Steinmetz und ein Zimmermann der Stadt Dendermonde den Auftrag, den gerade vollendeten Belfried von Oudenburg zu besichtigen, um Anregungen für den geplanten Belfried von Dendermonde zu gewinnen. Im Jahr 1402 verpflichtete sich der Genter Zimmermann Laureins van der Leyen, den Vierungsturm der St.-Willibrords-Kirche zu Hulst (Zeeland) ,,also goet als eenich tor in Vlaederen (Flandern)" zu erbauen, wobei er besonders dem Vorbild der Türme von Dixmunde, Deynse und Beveren folgen sollte. 1423 reiste eine Gruppe aus Löwen nach Bergen im Hennegau, um dort die „Sale van Naes" zu besichtigen und ,einen Plan (oder Beschreibung) anzufertigen' (daer af die ordinantie te nemen), wonach in Löwen „die Sale ... int Hof van Vliederbeke opte Vyschmaert achter op die Dyle" errichtet werden sollte. Vogt, Bürgermeister und Schöffen der zeeländischen Stadt Goes bestimmten am 5. März 1455, daß der Chor ihrer Pfarrkirche in der Art der Pfarrkirche von Gouda erbaut werden sollte: ,, ... in alre manieren, als binnen der stede van der Goude an de prochiekerke staet". Und schließlich wird in einer Löwener Rechnung von 1464 während des Rathausbaues notiert, daß der Bürgermeister, weil sie gleiches im Sinne hatten, den städtischen Werkmeister Mattheus de Layens nach Mechelen schickte, um dort Bauten zu besichtigen ( om zekere wercken te Mechelen toversiene, daeraff de Burgermeesters von gelycken to sinne hadden). Die Belege werden im letzten Drittel des 15. und im 16. Jh. zahlreich. 9 n Auch für Frankreich sind entsprechende Nachrichten bekannt. 1445 war Bleuet, der Werkmeister der Kathedrale von Reims, wegen der zukünftigen Gestaltung der Fassade der Kathedrale von Troyes um Rat gefragt worden; er empfahl eine Reise nach Reims, Amiens und Paris, um sich an den dortigen Bauten zu orientieren; die Reise fand dann tatsächlich statt. 922 Aber auch andere Werkmeister, leitende Steinmetzen und Bauorganisatoren des Kathedralkapitels reisten, um andere Bauten oder Portal- und Fensterformen kennenzulernen. 923 185

4. Planung: dispositio, descriptio, ordinatio, designatio Die gewollte Form bzw. Anordnung von Gebäuden wird entsprechend dem philosophischen Verständnis mit „dispositio" (Bestimmtheit) ausgedrückt, z.B. für Lincoln „dispositio fundamenti fabricae" oder zu 1265 ,,etiam ubi alias recte mensurari loci dispositio non permittit". 924 Im weitverbreiteten Rationale des Durandus (1230-1296) heißt es: ,,dispositio autem ecclesiae materialis modum humani corporis tenet. " 925 Die Rotunde von Saint-Benigne in Dijon war gemäß des Chronikberichtes von etwa 1060 ,, von 48 Säulen in geometrischer Anordnung umgeben (geometricale dispositione ambitur)". 926 Notker Balbulus (um 840-912) spricht in den „Taten Karls des Großen" von den Pfalzgebäuden und Wohnhäusern, ,,die um die Pfalz des klugen Karl herum nach seiner Anordnung gebaut sind" (eius dispositione constructae), entsprechend im sogenannten „Paderborner Epos" zu 799 (804-814 entstanden), wo für Karl „signans" und „disponens" mit Bezug auf die Pfalz gebraucht werden. 927 Für die Verwendung des Begriffs ,,dispositio" in der allgemeinen Form gibt es eine große Zahl von Belegen. Die „descriptio" kann sowohl eine zeichnerische wie verbale Darstellung beinhalten. Einhard überliefert im letzten Kapitel seiner „Vita Karoli" die von Karl dem Großen 811 verfügte Verteilung seines Besitzes, zu dem auch drei silberne und ein goldener Tisch gehörten: Der viereckige enthält eine Darstellung (descriptionem) der Stadt Konstantinopel, der zweite runde ein Bild der Stadt Rom (Romanae urbis effigie figurata est); der dritte besteht aus vier Kreisen und enthält eine Weltkarte von genauer und feiner Darstellung (totius mundi descriptionem subtili et minuta figuratione complectitur). Auch in den Annales Bertiniani zu 842 wird der Tisch „orbis totius descriptio" gekennzeichnet. 928 Wie diese Darstellung ausgesehen hat, können wir uns aus zeitgleichen Buchillustrationen zum Text des Isidor von Sevilla vorstellen: es ist die vom kreisförmigen Ozean umgebene T-förmig geteilte Welt mit Jerusalem in der Mitte. Die in den Quellen genannte „descriptio", die P. Booz929 als Hinweis auf Baupläne interpretiert, muß wie „designare" allgemeiner verstanden werden: bezeichnen, bestimmen, festlegen, ähnlich wie „ordinatio". Noch im 15./16. Jh. werden in den niederländischen Quellen „ordonnanchien", ,,ordinancien", ,,ordonnancie", ,,ordineren" in einer sehr weitläufigen Bedeutung im Sinne von Anordnung, schriftlichen oder mündlichen Richtlinien, verstanden;930 so baten 1438/39 die Kirchmeister der Buurkerk zu Utrecht den Werkmeister Willem de Boelre, von 's-Hertogenbosch nach Utrecht zu kommen, um Anweisungen für den Fortgang des Baues zu geben (om ons weder te ordineren hoe wy te werk souden gaen). Am 13. Juli 1435 erhielt Matthäus Ensinger „pro advidendo et ordinando modum ordinationis ecclesie" Notre-Dame de Ripaille am Genfer See 10 Dukaten, und 1257 wurde unter König Heinrich III. in England festgelegt, ,,operaciones fiant per or186

dinacionem magistrorum Johannis de Gloucester et Alexandri carpentarii regis" .931 In dem auf lill9 datierten Testament des Bischofs Bernward von Hildesheim heißt es: ,,Nachdem das neue Werk (Kloster St. Michael) gegründet und dafür die Gestalt der einzelnen Räume festgelegt worden war" (fundato enim novello opere, et designatis eo loci locorum qualitatibus). 932 Die „designatio" kann auch „in mente conceptum" sein, wie um 1200 Lambert vonArdres bei dem Burgenbau bei Saint-Omer schildert, den der Graf von Guines 1139 angeordnet hatte. Der in der Feldmeßkunst erfahrene Grabungsmeister Symon vermaß „hier und dort das im Geiste konzipierte Werk (in mente conceptum rei opus) nicht mit der Meßlatte, sondern mit dem Augenmaß" .933 Nach dem zwischen 1106 und 1115 geschriebenen Bericht über den Kathedralbau von Modena hatten die Einwohner für ihren Kirchenbau 1099 „einen Entwerfer (designator) für ein so beschaffenes Gebäude (structura) gesucht. Endlich wurde durch die Barmherzigkeit Gottes ein Mann mit Namen Lanfrancus gefunden, ein bewundernswerter Kunstfertiger (artifex), ein außerordentlicher Erbauer (edificator). Schließlich erhielten durch seinen Rat (consilio) und sein Ansehen (auctoritate) die Bürger von Modena und das ganze Volk eben diese Kirche. " 934 Von Menco wird bald nach 1238 festgestellt, daß „jeder tüchtige Kunstfertige zunächst in Gedanken (in mente) den Gegenstand seines Werkes (materiam sui operis) zurechtlegt (disponat)". 935 In der ersten Hälfte des 12. Jhs. wird über Abt Girald im Gründungsbericht der Abtei Sauve Majeur in der Diözese Bordeaux berichtet: ,,An diesen Ort kam ein Mann Gottes, und unter alleiniger sorgfältiger Überlegung begann er zu vermessen (et singula coepit diligenti consideratione metiri) ... Schon im Geiste bestimmte er (designabat in mente), wo er die Kirche und die anderen Klostergebäude geeignet verteilen und errichten würde (apte disponeret et locaret)."936 Entsprechend beschreibt Ordericus Vitalis (1075-um 1142) um 1130, wie der Baumeister Thomas (peritissimus artifex) den Bau unmittelbar im Gelände entwikkelte: ,,Der König Gundaforus aber sprach mit ihm über den Bau des Palastes und zeigte ihm den Ort jenes Gebäudes. Thomas ergriff eine Rute und maßnehmend sagte er (arundinem apprehendit et metiendo dixit): Siehe, hier werde ich Türen anordnen (januas hie disponam) und einen einzigen Eingang nach Osten, zunächst eine Vorhalle, dann ... Der König sagte abwägend: Wahrlich du bist ein Kunstfertiger (artifex), du mußt dem König dienen." 937 Bei Guillaume de Conches (1080-1145), Lehrer an der Kathedralschule in Chartres, findet sich: ,,Gott hat die Welt geschaffen, wie nämlich ein Handwerker, der etwas anfertigen will, es zuerst in seinem Geiste sich zurechtlegt, dann das Material sucht und nach seiner Vorstellung bearbeitet (Ut enim faber volens aliquid fabricare prius illud in mente disponit, postea quesita materia juxta mentem suam operatur). " 938 Das wird um 1228 von Robert Grosseteste wiederaufgenommen (s.o.). 187

Allgemein ist W. Sehlink zuzustimmen, der die in der Chronik von SaintBenigne in Dijon um 1060 zum Jahr 1001 überlieferte Formulierung „ipsum opus dictando" (ihnen selbst das Werk vorschreibend) durch „ihnen den Plan gab" übersetzt und kommentiert: ,,Ich meine damit selbstverständlich nicht einen Bauriß, ... sondern ein Ordnungsschema der liturgischen Einrichtung des Neubaus sowie Richtlinien für Größe, Form und Anordnung der einzelnen Bauteile. " 939 Das entspricht der um 1050 von Lantbert abgefaßten Vita des Kölner Erzbischofs Heribert, die für das von ihm gegründete Kloster in Deutz berichtet, daß die Mutter Gottes ihm befohlen habe, ,,in dem Kastell Deutz ein Kloster zu bauen in vorher bezeichneter Ordnung der Bauten (designatio ordine cuiusque habitationis)"; ähnlich äußert sich auch Abt Suger von Saint-Denis in seinem Buch „De consecratione" um 1145: ,,Sobald das, was wir zu weihen uns vorgenommen hatten, in einer ansehnlichen Ordnung bezeichnet worden ist (luculento ordine designatum est)". 940 In Italien ist jedoch auch eine andere Bedeutung im Verlauf des 14. Jhs. möglich. 1357 wurde ein „designiamento" , eine Zeichnung oder ein Modell des Florentiner Dombaus zur allgemeinen Kenntnisnahme öffentlich ausgestellt. 941 E. Pitz übersetzt „provisio" fälschlich mit Plan; in einem Schreiben König Karls 1. von Anjou aus dem Jahre 1273 an den Kastellan der Burg Canosa in Apulien wird eine Holzlieferung „pro machinis" (Gerüste) erwähnt, die nach der Planung (iuxta provisionem) des Meisters Johannes zu erbauen waren. 942 Eber ist Pitz zuzustimmen, wenn er die Pläne (provisio et designatio, forma designata, forma et modus designatus, provisio et ordinatio, consilium et provisio, designatio et ordinatio, mandatum et ordinatio) , die der König in Unteritalien 1270/1280 schriftlich ausfertigen und den Baustellenleitern zustellen ließ, als „schriftliche Anweisungen" deutet, ,,die verbunden sein konnten mit sehr genauen Verzeichnissen des zu verarbeitenden Materials nach Mengen, Maßen und Preisen" .943

5. Modelle Im 15. Jh. , teilweise bis ins 16. Jh., werden in Italien häufig „modello" und „disegno" als gleichwertige Ausdrücke verwendet; es läßt sich nicht entscheiden, ob mit „modello" tatsächlich ein dreidimensionales Modell oder eine Zeichnung gemeint war. 944 Bei den Beratungen der Florentiner Dombauhütte 1366 lag eine „Zeichnung oder Modell" (designum seu modellum) zugrunde, an dem der weitere Baufortschritt diskutiert wurde. 945 Antonio di Manetto Ciaccheri (gen. Ciando, 1405-1460) legte kurz vor seinem Tode 1460 eine „Zeichnung auf Papier" (disegno di carta) vor, wobei durch den Zusatz „auf Papier" klargestellt wird, daß es sich um eine Zeichnung handelt. 946 Noch 1585 beurteilte eine Kommission in Rom die zur Ver188

setzung des vatikanischen Obelisken eingegangenen Projekte nach „jenen Modellen, die gewöhnlich Zeichnungen genannt werden", 947 und bei Shakespeare in King Henry the Fourth (1597/98) im 2. Teil, L Akt, 3. Szene betont Lord Bardolph über das Planen von neuen Häusern die Notwendigkeit, nach dem Vermessen eines Grundstücks „das Modell zu zeichnen" (then draw the model). Andererseits gab es im 14./15. Jh. in Italien auch dreidimensionale Modelle als Präsentations- und Schaumodelle oder als Studien-, Konstruktions- und Detailmodelle, die sowohl im Entwurfsprozeß als auch während der Bauausführung als Hilfsmittel von Bedeutung waren. So lieferte eine Gruppe von Werkmeistern, Malern und Goldschmieden 1'366/67 für die Gestaltung des Chores des Florentiner Domes Zeichnungen, nach denen verschiedene Modelle angefertigt werden sollten; nach langer Beratung wurden schließlich zwei wohl ziemlich große Modelle aus Ziegeln gemauert, die in zwei der Domopera gehörenden Gebäuden standen; als eines der beiden Modelle endgültig zur Ausführung bestimmt war, wurden die übrigen Entwürfe und das andere Modell zerstört. Eine entsprechende Aufgabe hatte das Holzmodell des Mailänder Domes, das Giovanni de'Grassi begonnen hatte und das nach dessen Tode 1398 von Werkmeistern der Hütte vollendet wurde, ,,ut in exemplum remaneat semper ad evidentiam cuiuslibet personae, pro avisamento operum ipsius fabricae, cum contingat ipsum finire et cooperire, et possint cognoscere si adsint aliqui defectus", also die gleiche Kontrollfunktion besaß wie die Risse und Visierungen. 948 Gemäß eines noch erhaltenen Vertrages vom 20. Februar 1390 über ein Modell von S. Petronio in Bologna war dieses ein Bauwerk aus Stein und Mörtel, mit Gips überzogen, über 40Fuß lang und über 30Fuß breit, im Maßstab 1:12; es stand im Hof des Palazzo Pepoli unter einem hölzernen Schutzdach: als Grundlage für den Modellbau diente wie in Florenz eine Zeichnung auf Papier des Baumeisters Antonio di Vincenzo. 949 Die Verwendung von Modellen nördlich der Alpen ist weder für den romanischen noch für den gotischen Baubetrieb nachgewiesen. 950 Die zumeist spätmittelalterlichen Schriftquellen sind nicht eindeutig; auch hat sich aus dem Mittelalter kein Modell erhalten. 951 Die Idealmodelle als Kleinarchitekturen (z.B. Baldachine) oder Votiv- und Stiftermodelle , die als Wiedergabe bereits bestehender Großarchitekturen gelten können, gehören nicht in den Zusammenhang der Bauplanung. Im Norden war die antike Tradition verlorengegangen. 952 Auch die vielfachen Kontakte in der täglichen Baupraxis zwischen Italien und dem Norden haben anscheinend nicht zur Übernahme der italienischen Praxis bezüglich der Baumodelle geführt, 953 obwohl die seit dem Ende des 14. Jhs. am Mailänder Dom tätigen Werkmeister aus dem Norden dort zumindest seit etwa 1400 ein Holzmodell des geplanten Dombaus sehen konnten. Die frühesten Architekturmodelle, die sich im Norden erhalten haben, stammen aus Augsburg95 4 : um 189

1503 Umbauvorschlag für den Perlachturm, für den der Augsburger Goldschmied Jörg Seld ein Modell angefertigt hat; 1515 Turmmodell für den Luginsland; 1519 Modell von Hans Hieber für den Perlachturm. Auch außerhalb Augsburgs ist mit Beginn des 16. Jhs. der Gebrauch von Modellen zu beobachten955 : 1519/20 für die Regensburger Wallfahrtskirche zur Schönen Maria. Eine Antwort auf die Frage, warum nördlich der Alpen die Verwendung von Baumodellen erst Anfang des 16. Jhs. einsetzte, während für Italien diese seit der Mitte des 14. Jhs. nachweisbar sind, kann nur bedingt mit dem Hinweis auf eine stärkere personelle Trennung zwischen dem planenden und dem auf der Baustelle tätigen Werkmeister gegeben werden, 956 denn zumindest im 15. Jh. lieferten auch nördlich der Alpen die Werkmeister Entwürfe zu Bauten, deren örtliche Bauleitung sie nicht übernahmen. Schriftquellen aus dem 15. Jh. und früher, die das Vorhandensein von Modellen nördlich der Alpen belegen sollen, sind nicht eindeutig und können eher anders interpretiert werden: Den „patronum ecclesie de fusta factum", den Meister Matthäus Ensinger 1435 für N otre-Dame de Ripaille am Genfer See hat anfertigen lassen und der nach den Rechnungen von beträchtlicher Größe war, deutet M. Bruchet als Holzmodell und L. Mojon als Präsentationsmodell für den Auftraggeber Herzog Amandus VIIl. 957 Der Begriff „patronus" ist sonst für „Modell" nicht eindeutig nachweisbar; er hat vielmehr eine vielfältige Bedeutung wie „Form", ,,Muster" und auch ,,Zeichnung". Im niederländischen Raum bezeichnet im 15./16. Jh. ,,patroen" zumeist die Entwurfs- oder Schauzeichnung. 958 So denktF. Bischoff an einen Riß auf einer Holztafel ( statt auf Pergament) und verweist auf den Streit von 1465 zwischen dem Werkmeister Nikolaus Eseler d. Ä. und einem Nördlinger Bürger um die hohe Summe von 50 fl, die der Steinmetz für eine von ihm gerissene „Tafel" - nach F. Bischoff wohl ein Werkriß auf Holz - forderte. 959 Entsprechend dürfte die Eintragung im Straßburger Rechnungsbuch von 1418 zu deuten sein: ,,meister Wemher dem zimbermanne von des werks wegen das er dem wergmeister zum riß gemaht hat zum helme. " 960 Noch deutlicher wird die Bedeutung von „patronus" aus einer Rechnung des 14. Jhs. , die auf Ripaille Bezug nimmt und wonach Stephan de Balma eine „turris formam ... seu patronum ... in papiru depitam in coloribus", also einen farbig angelegten Plan auf Papier, aus Paris mitgebracht hat. 961 Als solcher Papierplan ist auch „patron en parchemin" zu verstehen, wofür 1448 der Stadtbaumeister Michel de Rains von Valenciennes bezahlt wurde. 962 1418 wird Meister Eberhart von Urach bezahlt, ,,uf ain nü form" für das Ulmer Münster, das K Habicht als „Modell - irgendeiner Art" interpretiert 9 6 3 Das Wachsmodell, das nach M. Hasak für Saint-Germain in Auxerre um die Mitte des 9. Jhs. angefertigt worden ist, muß als Zeichnung auf kleinen Wachstafeln (caeris brevibus) gedeutet werden. 964

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6. Fehlende Baupläne vor dem 13. Jh. Unbewiesen sind die zahlreichen Behauptungen, gezeichnete Baupläne seien im 11./12. Jh. vorhanden gewesen, wie siez. B. von H. Graf vertreten werden: ,,Unter ihnen (den Mönchsbaumeistern des frühen Mittelalters) treffen wir nämlich auch solche, die nur die Fähigkeit zum Entwerfen und Zeichnen von Bauplänen besaßen. " 965 M. Warnke vermutet die Existenz von Bauzeichnungen (,,Heute wird diese Frage eigentlich weitgehend bejaht"), setzt aber sogleich fort: ,,Wir wissen jedoch nichts über die konkrete Funktion der Bauzeichnung in der Baupraxis. " 966 Wenn er auch zugibt, daß die Wendung in französischen Rechnungsbüchern „sicut fuit divisum ante regem" oder „sicut magister Amalricus divisit" wohl nicht mehr als eine Arbeitszuteilung meint, so sei es dennoch „kaum vorstellbar, daß die Gruppe der ersten an viele Orte entsandten Hofarchitekten, John of Gloucester, Alexander the Carpenter und Guillaume de Saint-Pathus, ihre weitgespannten Tätigkeitsfelder anders als durch das Mittel der Zeichnung beherrschen konnten." Auch diese Vermutung nimmt er anschließend zurück: ,,Ob dies mit Hilfe von Zeichnungen geschah, muß offen bleiben." Diese Unentschiedenheit bezüglich der Existenz von gezeichneten Bauplänen im 11./ 12. Jh. lehnt P. Pause u. a. mit einem Hinweis auf die Unabkömmlichkeit des Baumeisters auf der Baustelle ab, 967 die sich auch aus der Beschreibung des Mönches Gervasius von Canterbury um 1185 zum Jahre 1178 ergibt968 : der bei dem Sturz vom Gerüst schwer verletzte Baumeister Wilhelm von Sens, ,,der für sich selbst und das Werk unbrauchbar geworden war ... , übergab einem gewissen fleißigen und einfallsreichen Mönch, der den Maurern vorstand, das zu vollendende Werk ... Der Meister, der im Bett darniederlag, ordnete an, was früher und was später gemacht werden mußte." Als sich im nächsten Jahr herausstellte, daß der Baumeister nicht wieder geheilt werden könnte, kehrte er nach Frankreich zurück. ,,Ihm folgte aber in der Sorge um das Werk der gewisse andere mit Namen Wilhelm, ein Engländer, klein an Gestalt, aber in den unterschiedlichsten Fähigkeiten sehr geschickt und tüchtig." Aus diesem Bericht ist das unmittelbare, sukzessive Gestalten auf der Baustelle erkennbar. Vorhandene Pläne lassen sich in dem Bericht nicht nachweisen. Entsprechend setzen D. Kimpel und R Suckale das Auftreten von Bauplänen in die 1. Hälfte des 13. Jhs. Die neue Technik der seriellen Vorfertigung von Steinen, wie sie D. Kimpel zuerst an den französischen Kathedralen um 1220/30 feststellen konnte, verlange von dem Baumeister die Erweiterung seiner Fähigkeiten; ,,vorher unbekannte Hilfsmittel wurden geschaffen, vor allem der maßstäblich verkleinerte Plan". 969 In spätgotischen Musterbüchern finden sich Angaben über verschiedene Maßstäbe im Duodezimalsystem: bei Lechler 1: 4, 36, 72, 144, bei Roritzer 1: 16, 24, 192 und im Ulmer Musterbuch 1: 3, 18, 216. 970 Erst im 16. Jh. haben die Pläne 191

allgemein Meßlinien. 971 Gotische Werkrisse sind geometrisch konstruiert und können auf die gleiche Weise auf dem 1: 1-Reißboden oder auf der Baustelle in natürlicher Größe wiederaufgetragen werden. Generell verlief nach R Oertel der Bauvorgang in der Gotik „weitgehend unabhängig von vorher festgelegten Projekten, in empirischer Auseinandersetzung mit dem Material und den im Lauf der Bauführung auftauchenden Einzelproblemen. Die architektonische Idee nahm also erst im emporwachsenden Bau selbst ihre endgültige Form an ... Denn sowohl für die Raumkomposition wie für die Proportionen bestand in den meisten Fällen eine feste, in knappen Formeln auszudrückende Konvention. Eine zeichnerische Fixierung dieser Dinge war deshalb kaum erforderlich. Die Aufgaben der Architekturzeichnung begannen erst bei der Gestaltung der Teileinheiten, angefangen von der auf mehreren Pergamentstücken gezeichneten Fassade bis hinab zu einzelnen Pfeilern und Maßwerkmotiven, für die kleine Einzelblätter genügten, wenn man es nicht vorzog, solche Bauteile unmittelbar in Originalgröße auf dem 'Reißboden' zu entwerfen. " 9 n

7. Ritzzeichnungen Wichtige Dokumente hochmittelalterlicher Bauplanung stellen die zum Teil mit erheblichem Aufwand zwei bis drei Millimeter in den Stein eingetieften, mit Richtscheit und Zirkel konstruierten Ritzzeichnungen dar, die zumeist einen Bauteil in natürlicher Größe wiedergeben. Sie sind seit dem 2. Viertel des 13. Jhs. in größerer Zahl entweder auf gequaderten oder verputzten Wandflächen oder auf dem aus Steinplatten bestehenden Belag von 31 Terrassendächern oder Fußböden (vorrangig von französischen Kirchen) an den Stellen nachweisbar, 973 „wo eine Störung des Baubetriebs oder ... der Kirchenbesucher nicht zu befürchten war". 974 Die 32 von W. Schöller aufgeführten Bauten975 mit solchen Ritzzeichnungen sind u. a. um Ambronay, Narbonne (Kathedrale, Achskapelle), Carcassonne, Lojsta/Gotland, Hörching und Limburg zu ergänzen. 976 Von den Fundstellen liegen 16 in Frankreich, 13 in England, 9 in Deutschland und 1 in Dalmatien, dazu kommen schriftlich überlieferte Risse in Italien, 977 wobei hier auch Monumentalzeichnungen von natürlicher Größe gemeint sein können, die die gleiche Funktion hatten. Die Bedeutung der Ritzzeichnungen läßt sich erschließen, wenn man die Funde nach Darstellungsart, Objekt, Anbringungsort und Zeitstellung ordnet. Hier sind zunächst 30 1: 1-Risse und 7 verkleinerte Risse zu unterscheiden; zu letzteren zählen zwei Grundrisse (Reutlingen und Trier). Während die 7 verkleinerten Risse alle auf Wände aufgebracht sind, befinden sich von den 30 1: 1-Rissen 13 Funde auf Plattenfußböden und 17 auf Wänden.

192

31 Bourges, Kathedrale, 1:1-Riß auf dem Plattenboden des Zwischengeschosses des um 1300 errichteten südwestlichen Strebepfeilers, 4,53 X 6,04 m großer Riß eines Maßwerkfensters.

Die Bodenrisse - 8 in Frankreich, 4 in England und 1 in Dalmatien - datiert W. Schöller nach der Literatur in die Mitte des 13. bis in die 2. Hälfte des 15. Jhs., wobei zwei heute verlorene Werkrisse einer Rose auf den Bodenplatten des ersten Geschosses des Wärmehauses im Zisterzienserkloster Byland/North Yorkshire vielleicht schon im letzten Jahrzehnt des 12. Jhs. anzusetzen sind. 978 Die auf den Plattenboden 2 mm dick aufgetragene Gipsschicht von Wells (ca. 3,5 X 4,5 m) und York (ca. 8 X 5 m) ordnet diese Risse in die Gruppe der Reißböden ein (s. u.). Während Wells undatiert ist, wurde der Boden in York in den 1360er Jahren angelegt und bis ins 1. Drit- 34 tel des 16. Jhs. benutzt. Der früheste erhaltene und recht zuverlässig datierte Bodenriß ist der von Soissons aus der Mitte des 13. Jhs.; Bourges, Clermont-Ferrand, Limoges, Narbonne und Cambridge sind um 1300 anzusetzen; Trogir stammt erst aus der 2. Hälfte des 15. Jhs. Im Zwischengeschoß des Nordwestturmes der Kathedrale von Soissons 193

33 entstanden wahrscheinlich um die Mitte des 13. Jhs. die sehr gut erhaltenen 1: 1-Risse, die ca. 2 mm tief in den Plattenboden geritzt sind. Hilfs- und Konstruktionslinien sind nicht zu erkennen. Es handelt sich um einen 1,66 x 1,86 m großen Aufriß einer Blendarkade (mit Bezug zu den Arkaden am Obergeschoß der Westfassade), um den 2,63 m großen Aufriß des rechten oberen Teiles eines vierbahnigen Maßwerkfensters (vielleicht eine verworfene Planung für das Westfassadenfenster) und den Querschnitt durch eine Fensterbank. Von herausragender Bedeutung ist der äußerst sorgfältig konstruierte, ca. 4,53 x 6,04 m große Riß eines dreibahnigen Maßwerkfensters im Plattenboden des Zwischengeschosses des südwestlichen Strebetur31 mes der Kathedrale von Bourges. Die 2 mm tief eingeritzte Zeichnung, in der noch einige Hilfs- und Konstruktionslinien zu erkennen sind, entspricht exakt den beiden um 1300 zu datierenden Fenstern der Ost- und Westwand des gleichen Geschosses. Im frühen 14. Jh. wurde die im Maßstab 1; 1 etwa 1 mm tief geritzte Zeichnung eines Strebebogens, der in dieser Form am Chorobergaden zur Ausführung gelangte, auf dem Plattenboden der Terrasse über dem Chorumgang der Kathedrale von Narbonne aufgetragen. Mit 2 mm etwas tiefer geritzt diente während der 2. Hälfte des 13. Jhs. und in der 1. Hälfte des 14. Jhs. die Dachterrasse über dem Chor32 umgang der Kathedrale von Clerrnont-Ferrand mehrfach als Reißboden für Strebebogen, Maßwerkfenster und Portalwimperge. Allgemein zeigen die Risse Maßwerkfenster, vereinzelt dazu auch Profile und seit dem Anfang des 14. Jhs. auch Strebebogen (Narbonne, Clerrnont-Ferrand). Es sind sorgfältige 1: 1-Risse als Festlegung und Vorlage für Steinmetzarbeiten. Auch die Wandrisse, die zahlenmäßig auf Frankreich, England und Deutschland etwa gleich verteilt sind, bilden in der Hauptsache Maßwerk oder Teile davon ab. Selten werden die dazugehörigen Profile oder, wie etwa in Faurndau, gar nur Profile dargestellt. Von den 17 Wandrissen sind 9 zu Ende des 13. bis ins 15. Jh. entstanden. 979 Aus dem 13. Jh. stammen nach der Datierung in der Literatur acht, davon sind Reims, Soissons, Lausanne und Limburg verhältnismäßig sicher in das 2. Viertel des 13. Jhs. datiert; Saint-Quentin/Aisne und Gengenbach wie auch Corcomroe/Irland sind nur recht allgemein in das 13. Jh. zu setzen. Der Wandriß des Okulus mit liegendem Sechspaß von Chälons-sur-Mame um 1215 und der Faumdauer Wandriß um 1210/20 sind die frühesten. In der spätromanischen Chorherrenstiftskirche in Faurndau/Göppingen haben sich auf putzfreien Quaderflächen nur schwach in den Stein geritzte, geometrische Zeichnungen erhalten. R. Hussendörfer bezieht sie u. a. auf die Säulen und Basen der Diagonalrippen der vermutlich um 1210/20 entstandenen westlichen Turmhalle. Ähnlich schwach in den Stein eingeritzt sind die beiden Zeichnungen in der Kathedrale von Lausanne, die die Maßwerkdurchbrechungen am Tympanon der Westvorhalle zeigen. Sie wurden übereinander innen auf dem öst194

32 Clermont-Ferrand, Kathedrale, auf der Dachterrasse über dem Chorumgang in der 2. Hälfte des 13. Jhs. und in der 1. Hälfte des 14. Jhs. aufgetragene Ritzzeichnungen. liehen Sockel der Fensteröffnung zwischen Glockenturm und Orgelempore entdeckt; um 1235 entstanden, geben sie in natürlicher Größe aufgetragene Risse unterschiedlicher Entwurfsstadien wieder, wobei der zweite Riß mit dem Dreipaßmotiv des Tympanons fast genau mit der Ausführung der Pässe übereinstimmt. An der Stirnwand des Nordquerarmes des Limburger Domes sind in den trockenen, gekalkten Putz mit Zirkel und Richtscheit mehrere Austragungen von Spitzbogen und eine Speichenrosette eingeritzt. Sie stammen vielleicht aus der Bauzeit des Nordwestturmes und der damit zusammenhängenden Bedachung, also aus der Zeit vor 1231. In der Kathedrale von Soisson hat sich im südlichen Querhausarm auf den Quadern der inneren Ostwand des Emporengeschosses eine ca. 1,70 m große geometrische Entwurfsfigur in Fragmenten mit geringer Ritztiefe erhalten. Sie zeigt ein zwölfteiliges Radfenster in der Form des Westfensters der Kathedrale von Chartres (um 1210/20). Ihre Entstehungszeit ist unsicher. Der 1: 1-Riß eines 1,84 m großen Okulus mit liegendem Sechspaß, den K. Corsepius 2-3 mm tief in die Quader gekratzt im Dachraum der Südvorhalle von Notre-Dame-en-Vaux in Chälons-sur-Marne entdeckt hat, wird als Entwurf für die gleichgroße Westfassadenröse gedeutet. Diese ist entgegen der Da195

tierung von K Corsepius (um 1190/1200) aufgrund der maßwerkähnlichen Form und engen Verwandtschaft mit der Ostrose von Laon (um 1205/15) erst um 1215 entstanden. Während es sich in Lausanne, Soissons, Limburg und Chfilons-surMarne um Entwurfsrisse von Kleinformen handelt, sind in der Rückwand des Triforiums im Südquerhaus der Kathedrale von Reims zwei bis zu 2,8 m hohe Zeichnungen erhalten, die als 1 mm tiefe und bis zu 3 mm breite Rillen in den Stein eingekratzt worden sind. Dargestellt ist einmal ein in der Längsachse halbierter Grundriß eines durch Trumeau-Pfeiler geteilten Portals und damit kombiniert der Aufriß der Archivoltenabsprünge des Portals, zum andern in gleicher Weise die Abbildung eines Nebenportales. Es handelt sich nach R. Branner und P. Kurmann um Vorstudien zu einer der heutigen Fassade (Mitte 13. Jh.) vorangegangenen Planung des Westabschlusses der Kathedrale; demnach müssen die Zeichnungen aus den 1230er oder 1240er Jahren stammen. Auch die gleichzeitigen oder jüngeren Risse von Saint-Quentin, Gengenbach und Corcomroe weisen alle Merkmale eines Entwurfes auf, d. h. , sie waren keine Werkzeichnungen für das Abtragen von Werksteinen, was bei ihrer senkrechten Wandlage auch Probleme gegeben hätte. Die fünf Wandrisse mit verkleinerten Maßwerkdarstellungen sind in ihrer Zeitstellung unsicher; nur die 2 mm tief in den Stein gerissene Zeichnung einer Fensterrose an leicht zugänglicher Stelle an der inneren südlichen Erdgeschoßwand der Chapelle de la Resurrection der Kathedrale von Soissons ist nach B. Klein um 1210/20 zu datieren, da sie sehr verwandt ist mit der Nordquerhausrose der Kathedrale von Laon. Der Gruppe der verkleinerten Wandrisse gehören auch die beiden einzigen Grundrisse an. Den um 1240/50 datierten, 1,34 x 1,11 m großen Riß im nordwestlichen Treppenturm der Trierer Liebfrauenkirche hat zuletzt N. Borger-Keweloh wohl mit Recht als „Übungsbeispiel für Grundrißkonstruktion" angesprochen; 980 konstruktive Hilfslinien und die Vorzeichnung der Mauem und Stützen sind wahrscheinlich mit einer Reißnadel in den weichen Sandstein geritzt, die Grundrißlinien wurden dann rillenartig eingemeißelt. Die in brauner Farbe unter Zuhilfenahme eines Richtscheits ausgeführte , 3 x 1 m große Zeichnung an der innern Nordwand der südlichen Sakristei der Pfarrkirche St. Marien in Reutlingen zeigt den südlichen Teil eines in der Längsachse halbierten Grundrisses einer gotischen Kirche mit 5/8-Chorschluß, Chorflankenturm, Querhaus und in den Winkel eingestellter Kapelle. B. Kadauke stellt Übereinstimmungen mit der 1269 begonnen Stiftskirche zu Wimpfen im Tal fest und datiert deshalb in das letzte Drittel des 13. Jhs. Der Riß gehört demnach zu den in dieser Zeit auch auf Pergament überlieferten gotischen Werkrissen. Die verkleinerten Werkrisse und wohl auch alle frühen Wandrisse 1: 1 machen den Eindruck von experimentierender, z. T. flüchtiger Veranschau196

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33 Soissons, Kathedrale, Ritzzeichnungen auf dem Fußboden des Zwischengeschosses im Nordwestturm, um 1250 aufgetragene Ritzzeichnung einer 1,66 X 1,86 cm großen Blendarkade, eines 2,63 m großen Maßwerkfensters und eines Querschnitts durch eine Fensterbank.

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34 York, Kathedrale, Kammer im Obergeschoß der Vorhalle des Kapitelhauses, auf dem Fußboden aufgetragene 8 X 5 m große Gipsfläche mit Ritzzeichnungen 1360 bis 1. Hälfte 16. Jh., Maßwerkfenster (A) für die Marienkapelle der Kathedrale (seit 1361 im Bau), ausgeführt vermutlich von Werkmeister William Hoton d. J. (gest. vor Jan. 1368/69).

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lichung von Baudetails, vornehmlich der geometrisch zu konstruierenden komplizierten Maßwerkfiguren, die 1215/20 mit den Reimser Chorumgangskapellen aufkommen. Die Bodenrisse und ein Teil der späteren Wandrisse gehören in die Gruppe der 1: 1-Werkrisse von steinmetzmäßig zu erstellenden Werkstücken, vorrangig wieder von Maßwerk. Sie dienten der dauerhaften Grundlage zum Abgreifen der Maße und auf dem Boden wohl auch zum Auslegen der bearbeiteten Stücke. Es ist jedoch nicht generell zu erschließen, daß sie die Grundlage für die Herstellung von Schablonen waren; dazu könnten sie gedient haben, nachdem die Benutzung von Schablonen üblich geworden war; man kann aber aus der Existenz der 1: 1-Risse nicht auf das Vorhandensein von Schablonen schließen. 981 1357/58 wurden in Florenz für den Dombau bestimmte Konkurrenzentwürfe von Kapitellen durch zwei Maler als Pinselzeichnungen auf Kalkputz im Kreuzgang von SS. Annunziata in Originalgröße zur Begutachtung aufgetragen: ,,ehe a'Servi si faciesse intonichare e designiare l'asempro della colonna e de'chapitelli in vera grandeza", weil man die vorgelegten kleinformatigen Entwurfszeichnungen für· die Begutachtung als nicht ausreichend ansah. 982 Ähnlich sind die Entwürfe für den Mittelgiebel der Fassade des Domes von Orvieto zu beurteilen, die 1451 auf das Dompaviment gezeichnet wurden, ebenso wie die Entwurfszeichnung von 1447 des Michelozzo für das Gitter am Reliquienalter des hl Stephanus im Dom von Florenz: „uno disegnio fatto nel muro della loggetta dell'opera di mano del detto Michelozzo". 983

8. Risse Durch den dauerhaften Zeichengrund aus Stein und die schwer auslöschbaren Ritzungen sind uns in 1: 1-Rissen wie auch in verkleinerten Zeichnungen vorrangig seit den 1220er Jahren wichtige Planungs- und Durchführungsgrundlagen erhalten, die durch die erst später nachweisbaren Risse auf Pergament ergänzt werden. 984 Papier wird erst im 15. Jh. häufiger verwendet. 985 Die ältesten erhaltenen, auf Pergament gezeichneten, verklei35 nerten Risse sind die beiden sog. Reimser Palimpseste, die 1250/60 von derselben Hand aufgetragen wurden, wobei Vorlagen aus der Zeit 1230/50 benutzt worden sind. 986 Um 1260/70 liegen die Entstehungszeiten für die ältesten Straßburger Risse A und A', die als Nachrisse (Übungsrisse) den 36 Teilaufriß der Westfassade des Münsters zeigen. 987 Der Straßburger Riß B ist um 1275 und Anfang des 14. Jhs. in zwei Arbeitsphasen entstanden. Der Straßburger Riß D 1277/80, vielleicht ein Riß Erwin von Steinbachs, entspricht der inneren Westfassadenausführung. Alle anderen erhaltenen Risse stammen frühestens aus dem letzten Viertel des 13. Jhs. 988 In Italien sind schriftlich nachgewiesene oder erhaltene Risse erst seit der Mitte des 14. Jhs. bekannt. 989 198

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Reimser Palimpseste (Umzeichnung) um 1250/60 nach Vorlagen aus der Zeit um 1230/50.

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Der älteste erhaltene Grundriß ist der sog. Wiener Riß A für den Südturm des Kölner Dornes (Pergament, schwarze Tusche über Blindrillennetz, 70 x 61 cm) als jüngere Kopie einer aus der Frühzeit des Meisters Arnold um 1280 stammenden Planung einer Fünfportalfront. 990 Gotische Architekturzeichnungen haben sich vor allem in Süddeutschland/Öster38 reich, Holland/Belgien und Italien991 erhalten, besonders zahlreich in Köln, Straßburg und Wien; für die norddeutsche Backsteingotik und für England fehlen jegliche Pergarnentrisse, in Frankreich (Clerrnont-Ferrand) und Spanien (Barcelona, Tortosa) sind sie äußerst selten. 9 9:2 Diese ungleichmäßige Verteilung kann verschiedene Gründe haben. Einmal liegen sie in unterschiedlicher Bestandsüberlieferung; die traditionsreichen Kathedralhütten von Köln, Straßburg, Wien und Ulm archivierten, bedingt durch die Kontinuität ihrer Hüttenorganisation, ihre Risse. In Mailand verwahrte der zum Dombaumeister ( designatore super fabrica 1398) ernannte Maler Giovannino di Grassi seine Zeichnungen für den Dornbau in einer verschlossenen Truhe; nach seinem Tod wurden diese Zeichnungen seinem Sohn Salornone übergeben, wobei ein Inventar aller den Dombau betreffenden Blätter angelegt wurde; außerdem wurde am 4. Jan. 1400 festgelegt, daß alle „ingegneri della fabrica" nach Bedarf Kopien anfertigen durften. 993 Im Anstellungsvertrag für Moritz Ensinger verlangte der Pfleger des Ulrner Münsters 1470 ausdrücklich: ,,Dazu soll er alle die visierungen, die sin vatter rnaister rnatheus säliger über das Munster und Thurn, sondern (auch) die er zu Berrn und ouch hie gemacht haut, ... die ouch ... rnaister Mauricius selbs gemacht haut, oder noch fürhin machen ,virdt, nach seinem abgangen demselben u. L fr. buwe ... übergeben. " 994 1419 bestimmte Meister Simon, Steinmetz zu Wien, in seinem Testament: ,,Itern mein kunst in dem papir oder pyrrneid (Pergament), di sol man geben meinem swager dem Helbling" (Mathes Helbling). 995 Einen Entwurf des Steinrnetzes Jan Hebbins für einen Giebel der Pieterskirche in Gent von 1399, der im Besitz der Auftraggeber verblieb, versah dieser mit seinem Siegel. ,,Bestimmte noch die sogenannte 'Prornissio' des Henrik van Tienen (16. Februar 1397, Diest, St. Sulpitius), daß der Entwurf der Kirche stets von den Kirchenmeistern aufbewahrt werden solle und Henrik ihn nur im Beisein der Kirchenmeister einsehen dürfe, so war es um die Mitte des 15. Jahrhunderts den Werkmeistern möglich, Risse auszuleihen: 1447/48 schickten die Löwener Ratsherren ihren Boten Coppen Merchant nach Mechelen zu einem Steinmetzen ,ornrne dbeworp te halen van der Stathuse dat Meester Plissis (i. e. Sulpitius van Vorst) ghernaect hadde, ende jonghe Plissis daer gheleent hadde ... '. Alte, nicht mehr benötigte ,patroenen' konnten verkauft werden. Wie im Genter Vertrag scheint es üblich gewesen zu sein, daß nach dem Tod des oder der Meister die Entwurfszeichungen und Baupläne in den Besitz des Bestellers übergingen. " 996 Neben den Bedingungen der Archivierung mögen aber auch Hüttentraditionen und die Vergänglichkeit 200

36 Straßburg, Kathedrale, Westfassade, Riß B (Umzeichnung) um1275/77 (Straßburg, Frauenhaus-Museum).

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der Materialien für den Zeichengrund (Papier/Holz/Pergament) das Fehlen von Rissen erklären. Die Zeichnungen, die Villard de Honnecourt von der Reimser Kathe44-48 drale angefertigt hat, weisen nach R. Branner darauf hin, daß Villard bei seinem Besuch in Reims 1225/30 noch keine Werkrisse als Vorlagen für 39 seine Darstellungen verwendet hat, wogegen er in Cambrai vielleicht Grundrißpläne zur Verfügung hatte. 997 Nach allen Beobachtungen hat es den Anschein, daß es erst seit den 1220er Jahren etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen der Ritzzeichnungen ( s. o.) und der Schablonen ( s. u.) die kleinmaßstäblichen Architekturzeichnungen gab, die es erlaubten, ein ganzes Gebäude oder Teile davon in seinen wirklichen Maßverhältnissen vorweg zu veranschaulichen, und die teilweise gleichzeitig als Werkzeichnung für den Bauhandwerker dienen konnten. 998 „Kurz vor 1220 wird, wahrscheinlich zuerst in der Picardie, die maßstäblich verkleinerte Planzeichnung zum eigentlichen Medium architektonischer Planung. " 999 Sie sind nach R Branner erst für den linear darstellbaren gotischen Baustil erprobt worden und lassen sich auf eine Veränderung der baukünstlerischen Absichten sowie auf bautechnische Entwicklungen zurückführen; sie vermehren ihrerseits, worauf D. Kimpel hingewiesen hat, den Flächencharakter in der Architektur. Diese Argumentation ist schlüssig, denn sie erklärt das Fehlen älterer Risse und das langsame und vereinzelte Aufkommen während des 2. Viertels des 13. Jhs. Erst durch die Zeichnungen ist auch die steigende Motivfülle und ihre zitatweise Verbreitung im späteren 13. Jh. zu erklären. Unumgänglich war die Zeichnung im 14./15. Jh., als vielbeschäftigte Baumeister örtlichen Bauleitern die Bauausführung überließen. Zur Erstellung dieser Zeichnungen wurde zuerst mit einem Blindrillenstift, einem spitzen Metallstift, eine Vorzeichnung in Form von in das Pergament eingedrückten Rillen angefertigt. 1000 Vorzeichnungen mit anderen Zeichengeräten, beispielsweise bei Villard de Honnecourt, 1001 sind bisher nur im Einzelfall beobachtet worden. Möglicherweise trat hier im 16. Jh. eine Änderung ein. So beschreibt Hieronimus Rodler 1546 in einem Buch über perspektivisches Zeichnen: ,,Alle die werden Blintlinien oder strich genent/ welche man mit lindenkolen (Lindenkohle) oder blei verzeichnet ... Darnach so die fenster an die ort du sie haben wilt, außgerissen sindt/ so thu die vorangezeigten linien auß, das man sie nit mer sehe/ und darumb so werden sie blindstrich oder blindlinien genannt ... " 100 2 Der unterschiedliche Umfang der Blindrillen läßt verschiedene Bedeutungen der Vorzeichnungen vermuten. Zum einen sind sie ein Grundgerüst der Konstruktion aus geometrischen Figuren , Symmetrieachsen und waagerechten Höhenlinien. Sie wurden für Großformen (Straßburger Riß A) und Detailformen (Straßburg, Parlerriß, sog. ,,Michael-Riß") gleichermaßen angewandt. 100 3 Hanns Schmuttermayr und Matthias Roriczer beschrieben Ende des 15. Jhs. jeweils die Konstruktion von Wimperg und Fialen mittels Blindril202

37 Straßburg, Kathedrale, Riß des Werkmeisters Johann Hültz (Umzeichnung) vor 1439. len. Bei einer eingehenden Untersuchung dieser Konstruktionsmethoden wendet sich C. Gerlach entschieden gegen eine „immer noch verbreitete Forderung nach übergeordneten ,Proportionsfiguren' und ,Proportionierungsverfahren' und ähnlichen praxisfernen ,Geheimnissen"' und propagiert die These K. Hechts von einer pragmatischen Entwurfs- und Arbeitsmethode.1004 Weiterhin ermöglichen die Blindrillen und Zirkeleinstichlöcher die Erstellung von Plankopien und Vergrößerungen durch Übertragung der jederzeit nachvollziehbaren Konstruktion. So vermutet P. Pause beim Frankfurter Grundriß, daß vielleicht eine Übertragung in einen grö-

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ßeren Maßstab erreicht werden sollte. 1005 Auf einfache Weise erhielt man eine Planvariante durch Übertragung der wichtigsten Stellen mittels Zirkeleinstichpunkten (Frankfurt, Blatt mit zwei Grundrissen). 1006 Beim Kölner Musterbuch dienten die Blindrillen als ein in Grundzügen gleichbleibendes Raster, über dem die Tuschzeichnungen als Variante angelegt sind. 1007 In der Regel wurde die Vorzeichnung erst fertiggestellt, bevor mit der Durchführung der Zeichnung begonnen wurde. P. Pause nennt aber auch Beispiele wie den Aufriß des Straßburger Münsterturmes in Bern, bei dem wegen der Unvollständigkeit der Blindrillen Vorzeichnung und Tuscheausführung vermutlich schrittweise im Wechsel vorgenommen worden sind. 1008 Die Ausführung der Zeichnung erfolgte zumeist zunächst mit Feder und Tusche, nur in seltenen Fällen, vor allem bei spätmittelalterlichen Visierungen zu Altären, mit Rötel- oder Kohlestift. 1009 Als Zeichengerät sind bei Roriczer und Schmuttermayr Richtscheit oder Lineal, Winkelmaß und Zirkel erwähnt, womit sich, wie C. Gerlach nachweisen konnte, alle von ihnen beschriebenen Konstruktionen ausführen lassen. 1010 Als Gestaltungsmittel finden farbige Tinte zur Unterscheidung von Umriß und Füllung, Schraffur mit Feder oder Pinsel, z B. für Schlagschatten, Modellierung oder Oberflächenbeschreibung und Lavierung mit Tusche oder Farbe Anwendung. Zur Wiedergabe von Architektur auf Planrissen entwickelten sich im Mittelalter mehrere Darstellungsarten. Beim Grundriß wurden, wie beispielsweise bei der Werkzeichnung des 15. Jhs. zu einem Langhausstrebepfeiler von St. Stephan in Wien, oft mehrere Ebenen in einer Zeichnung darge37 stellt. Soll ein Aufriß über polygonalem Grundriß abgebildet werden, so ist es notwendig, die der Bildebene nicht parallele Seite zu verkürzen. Im Musterbuch des Villard de Honnecourt werden vier Verkürzungsverfahren angewendet, auf die die Verkürzungen gotischer Architekturzeichnungen allgemein zurückgeführt werden können. 1011 Villard de Honnecourt war auch der orthogonale Aufriß, der in den späteren gotischen Architekturzeichnungen vorherrschend ist, bekannt; dies belegen seine Aufrisse des 46 Reimser Langhauses. In einer Zeichnung werden oft mehrere Verkürzungen gleichzeitig angewendet, wie bei Villard de Honnecourts 'portrait' eines Uhrgehäuses oder beim Frankfurter Riß A. Eine Datierung aufgrund der Zeichenart ist ebenso unmöglich wie eine eindeutige Klärung der ursprünglichen Verwendungsabsicht. Die Funktion der Zeichnung als Entwurfsmedium kann nur durch eine intensive Untersuchung der Vorzeichnungen erschlossen werden , die trotz der Dissertation von C. Gerlach 1986 noch aussteht. 1012 „Konkrete Aufschlüsse über die Verwendung der Pläne bieten, zumindest für das 15. und 16. Jh., die bei K J. Philipp resümierten niederländischen Quellen. Hier erschienen Architekturzeichnungen auch zur Dokumentation von Vorbildbauten, die von den leitenden Werkmeistern in Studienreisen aufgenommen wurden." 1013

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38 Paris, Notre-Dame, Riß, 2. Hälfte 13. Jh. (Umzeichnung) (Straßburg, Frauenhaus-Museum). Als Beispiel seien die zwei für die Damenstiftskirche Sainte-Waudru in Mons bei Bergen im Hennegau auf Pergament gezeichneten Grundrisse genannt, die im Zusammenhang mit der Neubauplanung von 1449/50 stehen.1014 Der eine Plan (64x 80 cm) zeigt den Grundriß eines Umgangschores mit Kapellenkranz, dreischiffigem Querhaus und dem Ansatz eines dreischiffigen Langhauses, Maßangaben für Längen und Höhen und in einer Kartusche die Jahreszahl 1448 (nach damaliger Osterrechnung, heute 1449); alle Geraden sind in schwarzer Tusche mit Reißschiene und Reißfeder über Blindrillen und stellenweise Blei- oder Silberstiftvorzeichnung, die Details freihändig mit der Rohrfeder gezeichnet. Wie bei den Straßbur-

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ger Umgangschorrissen 21 und 21 R sind Pfeiler und andere Details in einem größeren Maßstab gezeichnet als die Großformen; ,,bemerkenswert ist zudem, daß die Maße ungefähr (environ) angegeben sind, der Zeichner sich also keinem Proportionssystem unterwirft". 1015 Dieser Riß ist als Erfindung eines Werkmeisters zu charakterisieren, genauer als eine Kompilation verschiedenster Bauten und architektonischer Versatzstücke, die hier zu einer neuen Einheit gefügt sind. 1016 Der andere Plan zeigt in ähnlicher Zeichentechnik die linke Hälfte eines längs der Kirchenachse halbierten Kirchengrundrisses, der dem der Kathedrale von Amiens entspricht. Der obere Teil des Risses ist auf Pergament (40 x 67 cm) gezeichnet, daran ist ein aus drei Lagen zusammengefügter Streifen Papier (85 x 41 cm) angeklebt. Auf der Rückseite ist in größerem Maßstab eine Detailstudie der Südwestecke einer Kirche mit sterngewölbten Kapellen aufgetragen, die mit den von Bischof Jean de la Grange (1373-1375) gestifteten Kapellen der Kathedrale von Amiens zu identifizieren sind, gezeichnet im Maßstab 1: 38. Das Wasserzeichen des Papiers läßt sich zwischen 1375 und 1427 in Nordfrankreich nachweisen. Am 5. März 1449 wurden dem Stadtbaumeister von Valenciennes, Michel de Rains, vom Kapitel des Damenstiftes Sainte-Waudru in Mons zwei Gulden für zwei auf Pergament gezeichnete Entwürfe (patrons en parchemin) bezahlt, die er für den anstehenden Neubau der Stiftskirche gefertigt hatte. K. J. Philipp vermutet, daß die beiden im Staatsarchiv von Mons erhaltenen Pläne die sind, für die Michel de Rains bezahlt worden ist, zumal das angegebene Datum dies nahelegt. Den zusammengeklebten Pergament-Papier-Plan mit der modifizierten Bauaufnahme der De-la-Grange-Kapellen an der Kathedrale von Amiens habe er als Übungsaufgabe eines angehenden Werkmeisters mitgebracht. Die Kanonissen lehnten die Risse ab und bestellten am 31 Januar 1450 Jean Spiskin zum Werkmeister (maistre ouvrier). Die in dieser günstigen Überlieferungssituation erkennbare unterschiedliche Funktion von Rissen als Studienrisse (Bauaufnahmen oder Plankopien), Entwurfsvorschläge als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für den Auftraggeber, als juristisch verbindliche Projektfixierung zur Kontrolle der Einhaltung von Werkverträgen sowie schließlich als Bauausführungspläne muß für alle zufällig erhaltenen Pläne gelten; eine Entscheidung ist bisher zumeist kaum möglich. In Italien ist wiederholt von Konkurrenzentwürfen für einzelne Bauteile die Rede; 1366/67 wurden für die Gestaltung des Florentiner Domchores von einer Kommission von Werkmeistern, Malern und Goldschmieden Zeichnungen geliefert, nach denen Modelle angefertigt wurden, von denen dann eines endgültig zur Ausführung bestimmt worden ist. 1017 Andererseits gibt es zahlreiche spätmittelalterliche Quellen, die besagen, daß Risse von Werkmeistern oder Malern öffentlich ausgestellt wurden, um zu Spenden für den projektierten Bau aufzurufen , also als Schaurisse zu gelten haben . 1018

206

9. Musterbücher Das älteste erhaltene Musterbuch ist das von H R Hahnloser als Bauhüttenbuch bezeichnete Musterbuch des Villard de Honnecourt, der es 39-51 selbst „livre", also nur „Buch" nennt. 1019 Das seit 1795 in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrte, um 1220/30 entstandene, 24 x 16 cm große Buch ist zwar nicht vollständig, aber immerhin in einem ansehnlichen Umfang von 33 statt der ursprünglich etwa 46 Pergamentblätter erhalten. Sonst sind vom 9. Jh. bis zur 2. Hälfte des 14. Jhs. nur Fragmente, zumeist Einzelblätter aus Musterbuchvorlagen bekannt; 1020 erst aus dem letzten Viertel des 14. und dem Beginn des 15. Jhs. sind eine Reihe von Vorlagenkompendien überkommen, die aber alle nur den Bereich der Malerei und Skulptur und nicht die Architektur berücksichtigen. Sie enthalten sorgfältig und eindeutig gezeichnete Figuren zumeist in Reihen neben- und übereinander als Muster, Modelle, Similes oder Exempla, wie diese Vorlagen genannt wurden (es sind keine Skizzenbücher). Der zufällige und fragmentarische Erhaltungszustand der im Mittelalter das künstlerische Schaffen bestimmenden Musterbücher führte zu der Vermutung, daß Vorlagensammlungen in der Art des Buches von Villard de Honnecourt auch für Architekturmotive verbreitet waren. Villards Musterbuch gibt in 325 Einzelfiguren von Menschen, Tieren, Architektur, Ausstattung und Maschinen einen Einblick in den weitgespannten Aufgabenbereich eines mittelalterlichen Werkmeisters und stellt eine recht heterogene Sammlung vorbildlicher Typen malerischer, plastischer, konstruktiver und geometrischer Provenienz dar; nur etwa ein Drittel der Zeichnungen betreffen im weitesten Sinne den Bereich der Architektur. Die Zusammenfügung der einzelnen Pergamentblätter in einer Ledermappe (1533, 1893 und 1926 neu gebunden) sowie deren Ordnung und erläuternde Beschriftung hat noch Villard vorgenommen; zwei spätere Meister (um 1250/60 und Ende 13. Jh.) haben die Erläuterungen ergänzt. Mit anderen Musterbüchern hat Villards Buch das Zufällige in Auswahl, Ordnung und Technik der Exempla gemeinsam; der wesentliche Unterschied beruht auf der nachträglichen Beschriftung mit Überschriften und detaillierten Kommentaren und verbalen Ergänzungen, teilweise in direkter persönlicher Hinwendung des Autors an den Leser. Villard steht in Form und Gestaltung des Buches einerseits in der Tradition der seit dem 9. Jh. nachweisbaren mittelalterlichen Mustervorlagen, knüpft mit der Beschriftung jedoch andererseits an die illustrierten technischen Traktate der Antike an. Der auffol. lv und 15r1 021 verzeichnete Name „Wilars dehonecort" und ,,Vilars dehonecort" (erst nach 1858 kommt die Schreibweise Villard auf) weist auf die Herkunft des französisch mit picardischem Dialekt schreibenden Verfassers aus Honnecourt, 15 km südlich von Cambrai, hin, dessen KircheNotre Dame sich als Grundriß im Bm:h findet. Auffol. lv nutztVil- 39 207

39 40 41

42,43

lard den Platz über der obersten Apostelreihe zu einem Wort an seine Leser: ,,Wilars dehoncort grüßt Euch und bittet alle diejenigen, die mit diesen Fähigkeiten (engiens), die man in diesem Buch (livre) findet, arbeiten werden, für seine Seele zu beten und sich seiner zu erinnern Denn in diesem Buch kann man großen Rat (grant consel) finden über die große Fertigkeit (force) der Maurerei und die Fähigkeiten (engiens) der Zimmerei, und Ihr werdet die Fertigkeit (force) des Zeichnens (portraiture) finden, die Grundzüge (trais), wie das Wissen (ars) der Geometrie sie verlangt und lehrt (ensaigne). " 1 0 22 Unter den mit Feder gezogenen Tuschelinien finden sich Vorzeichnungen als Blindrillen oder Bleistiftstriche, z. T. mit Richtscheit und Zirkel konstruiert, auch freihändig gezeichnet oder kopiert. Details sind auf signaturhafte Formen reduziert. Villard hat nach Auskunft der erhaltenen Blätter Cambrai, Chartres, Laon, Lausanne, Meaux, Reims und Vaucelles besucht und dort anscheinend den Baubestand als Vorlage für seine geometrisch konstruierten Zeichnungen benutzt; mehrfach ist aufzuzeigen, daß er das gesehene Vorbild verändert hat, vorrangig aufgrund seiner eigenen konstruktiv-geometrisch bestimmten Logik. Der schematische Grundriß einer „eckigen Kirche, die für einen Bau des Zisterzienserordens vorgesehen war", und der Chorentwurf, den Villard und Peter von Corbie „in gemeinsamer Besprechung (inter se disputando) miteinander erfunden haben (invenerunt)" 1 0 23 und für den der Chor der Zisterzienserkirche zu Vaucelles vorbildhaft gewesen war, zeigen in ihrer unterschiedlichen Darstellungsweise als Linienschema bzw. horizontaler Mauerschnitt mit Gewölbeeintragung die Vielfalt der Darstellungsweisen. Mit dem in mehreren Ebenen zusammenprojizierten Grundriß und perspektivischen Aufriß eines der nach 1205 errichteten Westtürme von Laon beweist Villard, wie erschöpfend er ein architektonisches Vorbild wiederzugeben vermochte: ,,Ich bin in vielen Ländern gewesen, wie Ihr in diesem Buch finden könnt; an keinem Ort habe ich jemals einen solchen Turm erblickt, wie der von Laon einer ist. Seht hier den ersten Grundriß (le prem. esligement), wo die ersten Fenster sind. Auf (der Höhe) dieses Grundrisses ist der Turm von acht (Strebe-)Pfeilern umgeben; die vier Türmchen, auf (Bündeln), von (je) drei Säulen sind viereckig. Alsdann kommen Bogen und Gesimse. Und dann sind wieder Türmchen da, durch acht Säulen gegliedert, und zwischen zwei Säulen ragt ein Ochse heraus. Und dann folgen Bogen und Gesimse. Darüber ist der Helm mit acht Graten (crestes). In jedem Feld dient ein Schlitzfenster (arkiere) zur Beleuchtung. Schauet vor Euch: Ihr werdet viel darin sehen über die Bauart (maniere) und über den ganzen Aufbau und darüber, wie die Türmchen miteinander abwechseln. Und überlegt es Euch wohl: denn wenn Ihr einen guten Turm machen wollt, so müßt Ihr große (Strebe-)Pfeiler wählen, die von genügender Tiefe sind. Habt wohl acht auf Eure Arbeit; so werdet Ihr tun, was eines weisen und großzügigen Mannes würdig ist." 1 0 24 208

39 Musterbuch des Villard de Honnecourt um 1220/30, links: ,,Seht hier die eckige Kirche, die für den Bau des Zisterzienserordens vorgesehen war"; rechts: ,,Seht hier den Grundriß des Chors unser hl. Frau Maria zu Cambrai, so wie er aus der Erde aufsteigt." (Paris, Bibi. Nat., ms. fr. 19093, fol. 14v.)

Der Schnitt ist in Höhe des zweiten Turmfreigeschosses gelegt und zeigt den Verlauf des mächtigen, die Eckstrebepfeiler umgreifenden Geschoßgesimses und die vier Ecktabernakel, die, auf rechteckigem Grundriß errichtet und von Bündeln zu je drei Säulchen getragen, an den Diagonalseiten des oktogonalen Kerns sitzen. 1025 Die vierfach zurückgestuften, durch eingestellte Säulchen akzentuierten Laibungen der großen Turmfester sind ebenfalls angegeben. Die Ansicht des Turmes verdeutlicht die auf „gedanklicher Konstruktion" (Hahnloser) beruhende Umsetzung einer „Naturansicht" und macht Villards Vorgehen bei der Erfassung von Perspektive deutlich. Das Turmfreigeschoß erscheint in Frontalansicht und mit allen Details. Räumliche Wirkung und den Eindruck, wirklich von unten zu schauen, erzielt der Zeichner, indem er die Linien vorstehender Architekturteile - in diesem Fall der Ecktabernakel - nach oben umbiegt und eine von unten nach oben sich steigernde Untersicht gibt. Wenn auch dasAbwinkeln bis ins 16. Jh. üblich bleibt, so ist die besondere Behandlung durch Villard ohne Nachfolge geblieben. Die Zeichnung stimmt fast genau mit dem Baubefund überein. Die den Eckstrebepfeilern vorgesetzten, mit Steinpyramiden gedeckten Tabernakel des ersten Turmfreigeschosses sind getreu kopiert. Die

209

210

41 Musterbuch des Vtllard de Honnecourt, um 1220/30. ,,Dies ist der Chor der HI. Maria von Vaucelles, einer Kirche vom Orden der Zisterzienser." (Paris, Bibi. Nat ., ms. fr. 19093 , fol. 17.)

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3 Alexandre Magot de Dijon

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5

4 Gilet Louot (apprenticeol Colas)

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4

3

5 Pieret de S-Quentin

3s. 4d.

5 5 4 6 5 6 5 4 5 5 5 6 5 5 4 5 6

5

6 Nicolas Pla tot serviteur des m~ons

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7 Henry Tetel

2s. 6d.

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7

8 Jehan de Channite

2s.6d.

9 JehanderMonstier,mar;on

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6 5 6 5 4 5 5 5 6 1 4

8

10 Jehan Jaqueton son manouvrier

2s. 6d.

4

10

11 Nicolas Bonne Chiere

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4

11

12 Jehan Thiebault manouvrier

2s. ld.

4

12

13 Simon Maistre Apart

2s. ld.

4

13

14 Estienne Hundelot

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5

15 Colin Colart

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1 1

15

16 Thevenin Drouart

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1 1

16

2

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17 TassinJaquart 18 Thevenin le Menestrier 19 Jehan Martiau

3s. 4d.

2 6 5 6 4 4 6 5 5 6 6 5

20 JehanMathieu

3s. 4d.

2 4 5 6 4 4 4 5 1 3

21 Jaquet le Pointre 22 ColO\'on de Chaslons

19

5 20 21

3s. 4d.

5 6 6 5 22

Troyes, Kathedrale, Beschäftigte 1462/63 (nach Murray).

tauchende ,sifrid', der in den Rechnungsbüchern gleich nach dem Polier geführt wird, also sehr qualifiziert gewesen sein muß, nur für 11 Wochen in Basel. Ebenso der ihm nachfolgende Hans von Köln. Andere bleiben sogar nur eine oder zwei Wochen, wie die in Ulm um Weihnachten 1418 erscheinenden Steinmetzen Hans Beiger und Heinrich von Pforzheim. Es gibt aber wohl in jeder Hütte eine Gruppe von Stammgesellen, die längere Zeit verweilen, vielleicht sogar am Ort verheiratet waren, so in Basel der Steinmetz Andree, der in den Rechnungen von 1414 vorkommt, aber auch noch 1420 in Basel arbeitet. Ein besonders lange tätiger Steinmetz ist der in Ulm arbeitende Peter Rosendorn, der über Jahre hin zu verfolgen ist, schließlich Parlier wird, diese Stelle aber den nachrückenden Meistersöhnen abtreten muß. " 1258 Auch für die Ulmer Hütte stellt K. Habicht für 1417-21 einen „überaus lebhaften Wechsel ... bei einem relativ kleinen, treu bleibenden Stamme" fest. 1259 Nicht anders sah es in der Xantener Hütte aus; dort gab es aber auch recht lange beschäftigte Steinmetzen, so den Steinmetz Herrmann von Königswinter, der 36 Jahre (1382-1418) tätig war. 1260 Auf der Albrechtsburg in Meißen waren nach den Lohnlisten von 1477 in der Bausaison während des Sommers wöchentlich 9-29 Steinmetzen und Maurer beschäftigt, 1472/73 waren es neben dem Parlier im Durchschnitt 14 Steinmetzen, 1473/74 einschließlich der Maurer auch nur 14; 1475 arbeiteten zwischen Lätare und Judica 40 Steinmetzen, 1475/76 19-20 Werkleute, 1476/77 sind es 27, 1478/79 im Durchschnitt 48. 1261 Der Wechsel in der Zahl der wöchentlich beschäftigten Handwerker ist auch bei städtischen Baumaßnahmen zu beobachten. Beim Koblenzer Mauerbau waren 1276-1280 durchschnittlich 10 Steinmetzen beschäftigt, aber abwechselnd: 1276 Okt. 12-14, 1277 Apr. anfangs 19, dann 18 und 16, Mai-Aug. 9-16, Sept. 8-12, Okt. 7-8, Nov. 5, 1278 2-5, 1279 5-10, 1280 6-8; dazu 3-4 Hilfsarbeiter, vereinzelt auch 6-7. 1262 In Krems wurden 1459 für die ablaufende Woche jeweils ein Meister und folgende Arbeiter entlohnt 1263 :

Maurer 10. März 24. März 7. Apr. 21. Apr. 5. Mai 19. Mai 26. Mai 2. Juni 14. Juni 30. Juni

11 10 10 11 8

7 6 7 6 4

Mörtel- Tageknecht löhner 1 4 7 4 4 3 4 4 2 1

24 23 22 16 20 13 15 15 13 5

Zimmermann

3

5

-

281

Das Anwerben von Handwerkern von „überallher" ist zahlreich belegt.1264 Schon Beda berichtet vor 735, daß Benedikt, Abt von Waennouth, 675 Maurer aus Gallien angeworben hat: ,,Benedictus oceano transmisso Gallias petens, cementarios, qui lapideam sibi aecclesiam iuxta Romanorum quam semper amabat morem facerent", auch schickt er Boten nach Gallien, die Glaser, die in Britannien unbekannt waren, heranführen sollten (misit legatarios Galliam, qui vitri factores, artifices videlicet Brittanniis eatenus incognitos, ... adducerent). 1265 Diese Nachricht wird durch die zwischen 716 und 725 abgefaßte Vita Ceolfridi bestätigt: ,,Benedictus mare transiens architectos a Torhthelmo abbate, dudum sibi in amicitiis iuncto, quorum magisterio et apere basilicam de lapide faceret, petiit, acceptosque de Gallia Brittaniam perduxit. " 1266 Noch 1175, als nach dem Brand der Kathedrale von Canterbury die Kirche wieder aufgebaut werden. mußte, erhielt Wilhelm von Sens, ein Franzose, den Auftrag für die Bauleitung. Um 1134 heißt es, ErzbischofWilfried (gest. 709) habe die Kirche von Rexham erneuert „adductis secum ex partibus transmarinis artificibus", 1267 und 1215 beschließen die Barone eine Belagerung von Northampton „vocatis a Francia artificibus ad machinas bellicas construendas". 1268 In der etwa zeitgenössischen Vita des Abtes Johannes von Gorze (gest. 976) heißt es, er habe den Klosterkreuzgang mit einer festen Mauer allseits umgeben „magistris artium diversarum undecumque conductis" . 1269 Herbord berichtet um 1160 in der Vita des Bischofs Otto von Bamberg, Kaiser Heinrich IV. habe beschäftigt „omnes sapientes et industrios architectos, fabros et cementarios aliosque opifices regni sui, vel etiam de aliis regnis in apere ipso (Dom zu Speyer nach 1180/84) habens." 1270 Der Mönch Lantbert von Lüttich weist in seiner zwischen 1045 und 1056 geschriebenen Vita S. Heriberti darauf hin, daß der Kölner Erzbischof Heribert sich 1003 „peritiores architectos ab externis finibus" beschafft habe, um die kurz nach ihrer Fertigstellung eingestürzte Kirche in Köln-Deutz neu zu bauen. 1271 1021 ließ Bischof Meinwerk von Paderborn (gest. 1036) die Bartholomäus-Kapelle neben dem Dom „per Graecos operarios" errichten. 1272 Besonders aufschlußreich ist der Vertrag, den der Werkmeister Etienne de Bonneuil am 30. Aug. 1287 vor dem „Prev6" (Bürgermeister) von Paris unterzeichnet hat. 1273 Danach hat Etienne de Bonneuil, Steinmetz (tailleur de pierre), Werkmeister (maistre de faire) der Kirche von Uppsala in Schweden zugesagt, nach Schweden zu gehen. Er bestätigt, zur freien Verfügung 40 Pfund Pariser Währung von den Herren Olivier und Charles, beide Rechtsanwälte und Notare in Paris, entgegengenommen zu haben, um zu Lasten des Bauwerks der Kirche in Uppsala vier Maurer (compaignons) und vier ledige Arbeiter (bachelers) mit sich zu führen, um den Stein für die Kirche zu behauen (pour ouvrer de taille de pierre). Er verpflichtet sich, mit diesem Betrag alle Auslagen der Arbeiter, die ihm in dieses Land folgen werden, zu decken. Wenn aber Etienne de Bonneuil und 282

seine Begleiter vor ihrer Ankunft in Schweden auf hoher See durch einen Sturm oder auf andere Weise ums Leben kommen sollten, so würden er, seine Begleiter und deren Erben von der Erstattungspflicht der besagten Summe entbunden. Lombardische, also oberitalienische Bauleute, Comaciner genannt, suchten auch nördlich der Alpen Arbeit. 1274 Davon zeugt ausführlich der um 1146 verfaßte Brief der beiden Regensburger Geistlichen Paul und Gerhard an Obert, Erzbischof von Mailand, wo sie sich gegen Geldforderungen an den Überbringer des Briefes wehren. 1275 ,, ••• Was hätte ich, Gebhard nämlich, der ich für den Urheber des Baues betrachtet werde, diesen Leuten, die mir so sehr mißfallen, versprechen sollen, da ich ihrer Behauptung sofort mit nackten Worten widersprochen habe, daß sie vom Meister kämen (ab magistro venire)? Gleichwohl haben sie sich in ihrer Unverschämtheit angemaßt, da ich in Rom war, hierher zu kommen, und soweit es damals die Zeit erlaubte, haben sie angefangen, die Steine herzurichten (lapides aptare). Als ich sie dabei traf, habe ich vor Entrüstung nicht einmal sprechen können; aber gehindert von den Brüdern habe ich mich kaum bezwungen, sie nicht abzuweisen, und ich habe ihnen zwar erlaubt, die Steine zu schlagen (lapides cedere), aber das Mauerwerk aufzuführen, habe ich ihnen verboten. Denn auch im vergangenen Jahre hatten sie mich getäuscht, indem sie mir einen Meister mitbrachten, als wäre er von Herrn Martin geschickt. Zuletzt überzeugt, im Guten das Schlechte zu übenvinden, habe ich sie einer reichen Äbtissin zugeführt, die einen großen, aber einfachen Bau hatte, um ihnen sowohl zu nützen, wie ich die Äbtissin nicht betrogen habe. Trotzdem quälte sie es, weil unser Bau, nicht weit ab von ihnen, gelobt wird, während bei jenem Fehler getadelt werden ..." 1333 warb Bischof Johann IV. von Prag in Rom den Meister Wilhelm (in arte pontium peritissimo) an, weil in Böhmen und Umgebung keiner zu finden war, der ihm in Prag die Brücke über den Fluß Albea machen konnte; dazu wurden drei Handwerker aus Gallien eingestellt (assumptis sibi aliis tribus operariis Gallicis ad opus ipsum necessariis) .1276 Die Wanderung von Handwerksgesellen war im 13. Jh. wahrscheinlich und im 14. Jh. nachweislich in vielen Handwerken üblich, sie war aber grundsätzlich in das Belieben des einzelnen Gesellen gestellt , ,,erst in späterer Zeit haben die Zünfte sie zur Pflicht gemacht". 1277 „Seit dem 15. Jh. mehren sich dann allgemeine Bestimmungen, wonach die Wanderschaft eine Pflicht für alle jene wurde , die ihre Lehrzeit in einem Handwerk abgeschlossen hatten. Nicht eher durften sie seßhaft werden oder gar sich um eine Meisterstelle bewerben, ehe sie in der R egel drei bis sechs Jahre - dies war je nach Handwerk verschieden - von einem Ort zum andern, von einem Meister zum andern gewandert waren und dort gearbeitet hatten. " 1278 Nach der Regensburger Ordnung der Steinmetzenbruderschaft von 1459 hatte sich an die_ sechsjährige Lehrzeit eine einjährige Wanderschaft anzu283

schließen. 1279 Endres Tucher berichtet 1464 von einer Bestimmung