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German Pages 584 [592] Year 2021
Roland Seifert
Basiswissen Pharmakologie 2. Auflage
Basiswissen Pharmakologie
Roland Seifert
Basiswissen Pharmakologie 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Prof. Dr. med. Roland Seifert Medizinische Hochschule Hannover Institut für Pharmakologie Hannover, Deutschland
ISBN 978-3-662-60503-5 ISBN 978-3-662-60504-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018, 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Einleitung: Worum geht es in diesem Kapitel?
Merke: Das muss man für die Praxis wissen! Sonst können schwere Behandluungsfehler auftreten! (Red Flag)
Merksätze Die wichtigsten Punkte am Anfang im Überlick
5
Die Neurotransmitter ACh und NE sowie das Hormon EPI regulieren über das autonome Nervensystem eine Vielzahl von Organfunktio nen. ACh spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle als Neurotransmitter an der neuromuskulären Endplatte. ACh wirkt entweder über Ligand-gesteuerte Ionenkanäle oder GPCR; NE und EPI über GPCR. Mit Agonisten und Antagonisten an diesen Rezeptoren lassen sich verschiedene Erkrankungen behandeln. Auch die Hemmung der ACh-Freisetzung durch Botulinum-Neurotoxin ist therapeutisch bedeutsam. Weitere pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in diese Systeme sind die Hemmung des Neurotransmitterabbaus, die Hemmung der Wiederaufnahme von Neurotransmittern sowie die Stimulation der Freisetzung von Neurotransmittern aus Speichervesikeln.
Botulinum-Neurotoxin hemmt die ACh-Freisetzung und wird zur Therapie von Muskelspasmen und Dystonien eingesetzt. AChE-Inhibitoren werden bei Myasthenia gravis und Glaukom eingesetzt. MxR-Antagonisten werden bei Bradykardie, Koliken, AChE-Inhibitorintoxikation, Asthma, Kinetose sowie zur Pupillendilatation eingesetzt. EPI wird beim anaphylaktischen Schock, in der Lokalanästhesie und bei Herzstillstand eingesetzt; NE beim septischen Schock. Tachyphylaxie limitiert die therapeutische Anwendung indirekter Sympathomimetika. α1AR-Agonisten werden bei Rhinitis und Konjunktivitis eingesetzt.
β1
Reaktionen und erhöht die Leistungsbereitschaft des Körpers, während der Parasympathikus rest-and-digest-Reaktionen vermittelt digest-Reaktionen vermittelt und der Erholung des Körpers dient. Sympathikus und Parasympathikus sind funktionell antagonistisch, aber nicht für alle Körperfunktionen sind beide Schenkel des autonomen Nervensystems klinisch gleich bedeutsam.
ACh ist der endogene Agonist an AChR. ACh hat keine therapeutische Bedeutung, da es sehr rasch abgebaut wird. . Abb. 5.1 zeigt eine Übersicht über AChR, die in MxR und nAchR unterteilt werden. nAChR gehören zu den Ligandgesteuerten Ionenkanälen ( 7 Kap. 1).
Ein 27-jähriger Mann klagt seit vier Wochen über Abgeschlagenheit und Muskelschwäche. Das Hauptproblem sei, dass ihm schon am frühen Vormittag die Augen zufielen und Doppelbilder aufträten, obwohl er ausreichend lange schläft. Ihnen fallen eine gering ausgeprägte Mimik und ein schwacher Händedruck auf. Sie stellen die Verdachtsdiagnose Myasthenia gravis.
α1AR-Antagonisten werden bei Hypertonie und BPH eingesetzt.
5.1
Physiologische Grundlagen
-
Fallbeispiele: Stellen einen anschaulichen Bezug zur Praxis her
7
Übungsfragen am Kapitelende: Fragen zur Selbstkontrolle. Auflösungen in der Sektion Prüfungsteil
61
Tyrosin
Na+
Indirekte Sympathomimetika Tachyphylaxie
NSMRI, SSNRI
1
Gi/Go
α2AR
Xylometazolin
α1AR
Bedeutung der Faben:
Depression
2
NE
NE
K+
Tamsulosin Urapidil
Eingängiger Farbcode für schnelles Verstehen
NE Ca2+
Hyperpolarisation
Mirtazapin
Abbildungen:
Depolarisation
Ca2+
NE
Clonidin
5
Blau: nützliche pharmakologische Intervention Rot: toxische Intervention oder UAW Grün: pathophysiologische Veränderung
Tranylcypromin
MAO
negatives Feedback
Ca2+
NE NE
Abbau produkte
βxAR
Gq
Gs
PLC
AC
Propranolol Salbutamol (β2AR)
Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in die noradrenerge Synapse.
Prufüngsteil MC-Fragen und -Antworten
Klinische Fälle
-
Klinische Fälle
IX
Widmung Ich widme dieses Buch meiner Frau Rita.
Vorwort zur 1. Auflage Die Pharmakologie ist im Medizinstudium ein typisches Querschnittsfach an der Schnittstelle zwischen vorklinischer und klinischer Ausbildung. Das Ziel des Erlernens der Kenntnisse in Pharmakologie ist es, mithilfe von Arzneistoffen Krankheitszustände zu heilen oder zumindest zu lindern. Es gibt eine Vielzahl von umfassenden Pharmakologielehrbüchern auf dem Markt. Durch die bundesweit fortschreitende Modularisierung des Curriculums in Unterrichtsblöcke ist es jedoch für Studenten zunehmend schwierig geworden, innerhalb eines Zeitraumes von maximal 4–5 Wochen neben den Lehrveranstaltungen ein solches Lehrbuch kursbegleitend zu studieren. Das vorliegende Lehrbuch schließt die Lücke zwischen den umfassenden Pharmakologielehrbüchern und den häufig ausgegebenen Kursskripten und gibt den Studenten ein Buch an die Hand zu geben, das parallel zum Pharmakologiemodul verstanden werden kann. Dies bedeutet auch, dass dieses Buch nicht den Anspruch erfüllen kann, umfassend zu sein. Der Fokus des Buches liegt darauf, Prinzipien der Pharmakologie zu verstehen und ärztlichen Kollegen, Pflegepersonal, Patienten und Angehörigen erklären zu können. Das Buch wurde aus dem über viele Jahre stets sehr positiv evaluierten und mit Preisen ausgezeichneten Modul „Pharmakologie und Toxikologie“ an der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelt. Wichtige Gründe für den nachhaltigen Erfolg des Moduls sind die klare Struktur und die Lernspirale, die Themen wiederholt in verschiedenen Kontexten aufnimmt. Das Buch folgt dem Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) für das Fach Pharmakologie. Damit gibt das Buch auch eine gute Orientierung für den neuen Gegenstandskatalog des IMPP, der derzeit aus dem NKLM entwickelt wird. Der NKLM stellt für Dozenten, Studenten und Buchverlage eine immense Herausforderung dar, da fächerübergreifendes Wissen, Handlungskompetenzen und die Fähigkeit zum kritischen Denken im Kontext des Gesundheitssystems erworben werden sollen. Dadurch verwischen die Fachgrenzen und es ist unmöglich, alle Themen in einem vernünftigen Umfang umfassend darzustellen. Daher versucht dieses Buch an vielen Stellen, die Ziele des NKLM beispielhaft zu erreichen. Das in den jeweiligen Kapiteln erworbene Wissen müssen Studenten dann selbstständig auf andere Themen übertragen. In dem Buch werden die traditionellen, aber oft willkürlichen Grenzen zwischen der „Grundlagenpharmakologie“ und der „Klinischen (oder speziellen) Pharmakologie“ entsprechend dem NKLM konsequent aufgelöst und beide Aspekte des Fachs werden integriert. Das Buch stellt pharmakologische Therapieprinzipien für wichtige Erkrankungen dar und vermittelt anhand von Fallbeispielen, dass Pharmakologie ein praktisches Fach ist. Es richtet sich primär an Medizinstudenten und junge Ärzte, kann aber auch von Pharmaziestudenten zur Vorbereitung des Staatsexamens und von Apothekern zur Patientenberatung eingesetzt werden. 7 Kap. 1, 2, 3 und 4 führen in die Pharmakologie und in die Grundlagen von Arzneimittelallergie und Arzneimittelvergiftungen ein. Das Buch behandelt ca. 400 ausgewählte Arzneistoffe, die nach integrativen Systemen (7 Kap. 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12) oder Indikationen (7 Kap. 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34 und 35) abgehandelt werden. Etliche A rzneistoffgruppen
XI Vorwort zur 1. Auflage
werden mit unterschiedlichem Schwerpunkt in mehreren Kapiteln diskutiert (Lernspirale). Im Text sowie in den Abbildungen und Tabellen sind zahlreiche Querverweise angegeben. Dadurch ist es möglich, die Lektüre des Buches in jedem Kapitel zu beginnen und von einem zum anderen Kapitel zu springen. Ausgewählte Prüfungsfragen (7 Kap. 36) und Fallbeispiele in 7 Kap. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34 und 35 sowie 7 Kap. 37 sowie Zusammenfassungen, Merksätze, Übersichtstabellen und pathophysiologisch-pharmakotherapeutische Übersichtsschemata sollen das Lernen sowie Wiederholen des Stoffs erleichtern. Der Anhang gibt einen Überblick über alle in diesem Buch dargestellten Arzneistoffgruppen mit ausgewählten Arzneistoffen, jeweils nach Kapiteln sortiert und in einigen Fällen auch zusätzlich kapitelübergreifend. In den Übersichtsschemata (Abbildungen) bedeutet die Farbe blau eine nützliche pharmakologische Intervention, die Farbe rot eine toxische Intervention oder UAW und die Farbe grün eine pathophysiologische Veränderung. Bei der Bezeichnung von Arzneistoffgruppen wurde, wenn immer möglich, der Wirkmechanismus in den Vordergrund gestellt und auf tradierte und breit benutzte, aber unpräzise Begriffe wie „Anticholinergika“, „Antihistaminika“, „Basistherapeutika“, „Betablocker“ oder „nicht-steroidale Antirheumatika“ konsequent verzichtet. Zu dieser Problematik hat der Autor kürzlich einen Übersichtsartikel verfasst (Seifert R. (2018) Rethinking pharmacological nomenclature Trends Pharmacol Sci 39:785-797 (2018)). Aus Gründen der Lesbarkeit wurde generell bei Personenbezeichnungen nur das männliche Geschlecht genannt, damit werden aber alle Geschlechter umfasst. Geschlechterspezifische Zuordnungen ergeben sich aus dem Kontext. Nach der Lektüre des Buches sollte der Leser einen guten Überblick über die wichtigsten Arzneistoffgruppen haben und in der Lage sein, deren Stellenwert in der Pharmakotherapie wichtiger Erkrankungen kritisch beurteilen können.
Roland Seifert
Hannover Juni 2018
Vorwort zur 2. Auflage Ich danke allen Studenten, Dozenten und Rezensenten für die sehr freundliche Aufnahme der 1. Auflage von „Basiswissen Pharmakologie“ und die konstruktiven Verbesserungsvorschläge. Im Rahmen des gemeinsamen NKLM/GK-Prozesses wurde über alle medizinischen Fächer hinweg im Oktober 2019 eine ca. 300 Arzneistoffe umfassende Arzneistoffliste konsentiert. Außerdem wurde eine stringente mechanistische bzw. chemische Nomenklatur von Arzneistoffgruppen verabschiedet. Diese Arzneistoffliste mit der neuen Arzneistoffgruppen-Nomenklatur wurde im Dezember 2020 verbindlicher Bestandteil des kompetenzorientierten Gegenstandskatalogs Medizin des IMPP, der ab März 2022 examensrelevant sein wird. Dies machte eine sehr rasche Überarbeitung des Lehrbuches erforderlich. Die zweite Auflage von „Basiswissen Pharmakologie“ richtet sich strikt nach der Arzneistoffliste im GK2 und ermöglicht daher eine optimale Examensvorbereitung. Die in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste eingeführte Nomenklatur von Arzneistoffgruppen wurde in der Überarbeitung des Lehrbuches konsequent umgesetzt. Der Hintergrund für die Einführung der neuen Nomenklatur ist in dem im Juli 2019 erschienenen Lehrbuch Basic Knowledge of Pharmacology ausführlich dargelegt worden. Zunächst mag die neue Nomenklatur, in der jetzt tradierte, aber sehr unpräzise Begriffe wie „Antidepressiva“, „Antipsychotika“, „Antiepileptika“, „Biologicals“, „Diuretika“, „Antiestrogene“ und „Antibiotika“ konsequent zu gunsten präziserer Termini ersetzt wurden, gewöhnungsbedürftig sein. Auch die konsequente Benutzung von Abkürzungen für Arzneistoffgruppen mag zunächst nicht jedem Leser behagen, aber die Genauigkeit des Textes wird dadurch größer. In der ausführlich kommentierten NKLM/IMPP-Arzneistoffliste im Serviceteil des Buches findet der Leser eine detaillierte Gegenüberstellung „neuer“ und „alter“ Begriffe als Übersetzungshilfe. Nach einer kleinen Durststrecke wird der Student (und Arzt und Apotheker) die Vorteile der Reform erkennen und merken, dass das Lernen einfacher wird. Das Verständnis von erwünschten und unerwünschten Arzneistoffwirkungen wird einfacher, ebenso die Zuordnung von Arzneistoffen zu Indikationen, die interprofessionelle Kommunikation und das Erklären von Indikationen für den Patienten. Last but not least soll die Präzision und Fairness von Examensfragen durch die Reform größer werden. Es soll an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, dass die NKLM/IMPPArzneistoffliste und die neue Nomenklatur einschließlich der Abkürzungen im Einvernehmen mit den am NKLM/GK-Prozess auch beteiligten Medizinstudenten entwickelt wurden. Am schwierigsten ist sicher die Eingewöhnung für Ärzte und Apotheker, die Pharmakologie noch in der traditionellen Weise gelernt haben. Für diese Kollegen enthält die neue Arzneistoffliste eine ausführliche Übersetzungshilfe mit den tradierten Begriffen bereit. Im Buch wird an den passenden Stellen in rot markierten Merksätzen erklärt, warum die neuen und nicht die alten Begriffe benutzt werden sollten. Es geht darum, alle „mitzunehmen“ und nicht den Eindruck
XIII Vorwort zur 2. Auflage
akademischer Besserwisserei zu vermitteln. Das Ziel ist es, die Arzneitherapie besser und sicherer zu machen. Es bestand Einigkeit bei allen am NKLM/GK-Prozess beteiligten Wissenschaftlern, Ärzten, Studenten und IMPP-Mitarbeitern, dass jetzt eine historisch einmalige Chance besteht, lange überfällige Reformen der pharmakologischen Nomenklatur konsequent umzusetzen. Die im GK2 enthaltene Arzneistoffliste sowie die Neuauflage dieses Lehrbuches stellen gleichsam die erste öffentliche Version dieser Reform dar. Alle interessierten Kollegen sind ausdrücklich dazu eingeladen, an der Reform der pharmakologischen Nomenklatur mitzuarbeiten und sie weiterzuentwickeln. Die neue NKLM/IMPP-Arzneistoffliste ist auch praxistauglich. Die AWMF hat damit begonnen, die neue Nomenklatur in die therapeutischen Leitlinien zu übernehmen. Den Anfang hat die Colitis ulcerosa gemacht. Insofern können die Studenten beruhigt sein, dass sie aus diesem Buch auch für ihre berufliche Zukunft lernen und nicht „nur“ für das Staatsexamen. Auch die für die Pharmakologie relevanten Aspekte zu COVID-19 wurden in der Neuauflage berücksichtigt. Ein wichtiger Aspekt des Buches besteht darin, beim Studenten und Arzt die Fähigkeit zum kritischen Denken zu erhöhen und häufige Fehler in der Arzneitherapie zu erkennen. Daher wurden in dem Buch die Aspekte Patientensicherheit und Arzneitherapiesicherheit besonders berücksichtigt. Das Buch gibt viele praktische Tipps, um die Handlungskompetenz der Studenten zu erhöhen. Zum Erreichen dieser ehrgeizigen Ziele ist auch eine exakte Nomenklatur von Arzneistoffgruppen sehr förderlich. Außerdem soll die Fähigkeit verbessert werden, die häufig subtilen Interessenkonflikte mit der Pharmaindustrie zu erkennen. Auch dies ist ein erklärtes Ziel des überarbeiteten GK-2 und ausdrücklicher Wunsch der Studenten. Grundsätzlich wird im Zeitalter der im Internt jederzeit abrufbaren Information die Frage aufgeworfen, wozu man denn Lehrbücher überhaupt noch benötige. Es ist richtig, dass man im Internet zu jedem hier dargestellten Arzneistoff sehr viel detaillierte Informationen findet als in diesem Buch. Allerdings findet man mindestens fünf Dinge nicht im Internet: 1. Eine klare und validierte Fokussierung auf die wesentlichen Inhalte. 2. Quernetzung aller Inhalte. 3. Einheitlichkeit der Nomenklatur. 4. Logische Nomenklatur. 5. Systematische Darstellung des Fachs. All dies sind Vorteile eines Lehrbuches gegenüber Internet-basierten Informationen, die sich eher zum „Nachschlagen“ eignen, aber nicht zum Lernen. Für Patienten (sowie Ärzte und Apotheker als Kommunikationshilfe) ist kürzlich das Sachbuch „Medikamente leicht erklärt“ erschienen. Ich hoffe, dass die zweite Auflage des Lehrbuches ebenso erfolgreich wie die erste Auflage werden wird und eine rasche und effiziente Examensvorbereitung ermöglicht. Aus Gründen der Lesbarkeit wird in Springer-Publikationen das generische Maskulinum als geschlechtsneutrale Form verwendet. Roland Seifert
Hannover Juni 2021
Danksagung Frau Annette Stanke danke ich herzlichst für die hervorragende Gestaltung der Abbildungen und die unermüdliche Mitarbeit bei der Fertigstellung des Buches. Ich danke Frau PD Astrid Rohrbeck, Frau Dr. Sabine Wolter, Herrn Prof. Dr. Detlef Neumann und Herrn Dr. Bastian Schirmer für die kritische Durchsicht des überarbeiteten Lehrbuchs. Frau Dr. Anja Goepfrich und Frau Rose-Marie Doyon vom Springer-Verlag danke ich für die sehr gute Projektplanung.
XV
Inhaltsverzeichnis I
Allgemeine Prinzipien
1
Einführung und Pharmakodynamik ���������������������������������������������������������������������������������� 3
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10
Was ist Pharmakologie und womit beschäftigt sie sich? ������������������������������������������������������ 5 Was ist der Unterschied zwischen einem Arzneistoff und einem Arzneimittel?���������� 7 Arzneistoffdosierung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 8 Arzneimittelentwicklung und Pharmakotherapie-Leitlinien���������������������������������������������� 12 Pharmakologische Zielstrukturen�������������������������������������������������������������������������������������������������� 13 Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen������������������������������������������������������������������������������������� 20 Therapeutische Breite����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 23 Arzneistoffe mit unbekanntem Wirkmechanismus ���������������������������������������������������������������� 26 Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen?���������������������������������������������� 27 Welche Gefahren lauern im Gebrauch von Arzneimittelspezialitäten-Namen (Handelsnamen)? �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 36 Repositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling und off-label-use von Arzneistoffen����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 42
1.11
2 Pharmakokinetik���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 47 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
ADME-Parameter: Pharmakotherapeutische Relevanz���������������������������������������������������������� 49 Bedeutung des first-pass-Effektes�������������������������������������������������������������������������������������������������� 53 Bedeutung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) ���������������������������������������������������������������������������������� 55 Bedeutung der Plasma-HWZ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 58 Bedeutung von CYP-Induktoren und CYP-Inhibitoren���������������������������������������������������������� 61
3 Arzneimittelallergie���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 67 3.1 3.2 3.3 3.4
Pathophysiologische Grundlagen�������������������������������������������������������������������������������������������������� 68 Übersicht über Typ-I- bis Typ-IV-Arzneimittelallergien���������������������������������������������������������� 71 Pathophysiologie und Therapie der Typ-I-Reaktion sowie pseudoallergischer Reaktionen���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 72 Pathophysiologie und Prävention von Typ-IV-Reaktionen �������������������������������������������������� 74
4
Behandlung von Arzneimittelvergiftungen������������������������������������������������������������������ 77
4.1 4.2 4.3 4.4
Allgemeines zu Vergiftungen���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 78 Primäre Giftelimination �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 84 Sekundäre Giftelimination �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 84 Leitsymptome, Behandlung und Antidote wichtiger Arzneimittelvergiftungen �������� 84
II
Pharmakologie integrativer Systeme
5
Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems�������������������������������� 89
5.1 5.2
Physiologische Grundlagen�������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 90 Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren�������������������������������������������������������������������������� 91
XVI Inhaltsverzeichnis
5.3 5.4 5.5
Pharmakologische Modulation ausgewählter Organfunktionen durch Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren�������������������������������������������������������������������������� 98 Pharmakologische Modulation der cholinergen Synapse���������������������������������������������������� 100 Pharmakologische Modulation der noradrenergen Synapse���������������������������������������������� 103
6
Pharmakologie des serotonergen Systems ������������������������������������������������������������������ 107
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
(Patho-)Physiologische Grundlagen �������������������������������������������������������������������������������������������� 108 Pharmakologische Modulation von 5-HTxR�������������������������������������������������������������������������������� 109 Pharmakologische Modulation der serotonergen Synapse ������������������������������������������������ 109 Pharmakotherapie der Migräne������������������������������������������������������������������������������������������������������ 112 Pharmakotherapie des Erbrechens����������������������������������������������������������������������������������������������� 114
7
Pharmakologie des histaminergen Systems ���������������������������������������������������������������� 117
7.1 7.2 7.3 7.4
(Patho-)Physiologische Grundlagen und Histaminrezeptoren ������������������������������������������ 118 H1R-Antagonisten�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120 Pharmakologische Modulation der Protonensekretion im Magen����������������������������������� 122 Pharmakologische Modulation der Mastzelle �������������������������������������������������������������������������� 123
8
Pharmakologie des dopaminergen Systems���������������������������������������������������������������� 125
8.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in das dopaminerge System�������������������������������������������������������������� 126 Pathophysiologie und Pharmakotherapie des M. Parkinson ���������������������������������������������� 130 Pathophysiologie und Pharmakotherapie des AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätssyndroms������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 133
8.2 8.3
9
Pharmakologie des NO-cGMP-Systems���������������������������������������������������������������������������� 137
9.1 9.2 9.3 9.4
(Patho-)Physiologische Grundlagen �������������������������������������������������������������������������������������������� 138 NO-Donatoren �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 139 PDE5-Inhibitoren���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 141 sGC-Stimulatoren �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 143
10 Schmerzpharmakologie ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 145 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Pathophysiologie des Schmerzes�������������������������������������������������������������������������������������������������� 146 Pharmakologische Ansatzpunkte zur Schmerztherapie�������������������������������������������������������� 148 COX-Inhibitoren������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 154 p-Aminophenole und Pyrazolone�������������������������������������������������������������������������������������������������� 157 MOR-Agonisten������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 159
11 Immunpharmakologie���������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 165 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen und Transplantatabstoßung: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten�������������������������������������������������������������������������������� 166 GCR-Agonisten�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 180 Inhibitoren des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels und der DNA-Synthese ���������������� 182 Immunophilin-Liganden ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 184 Monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine ���������������������������������������� 184
XVII Inhaltsverzeichnis
12
Pharmakologie der Niere���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 187
12.1 12.2
Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens ������������������������������������������������������������ 188 Pharmakotherapeutische Prinzipien und spezifische Arzneistoffe zur Behandlung des chronischen Nierenversagens ������������������������������������������������������������������������������������������������ 198 Dosisanpassung von Arzneistoffen bei chronischem Nierenversagen���������������������������� 200 Arzneistoffe mit UAW auf die Nierenfunktion �������������������������������������������������������������������������� 202
12.3 12.4
III Pharmakotherapie 13
Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 207
13.1
Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroösophagealen Refluxerkrankung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 209 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroduodenalen Ulcuserkrankung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 214 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Diarrhoe ������������������������������������������������������ 216 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Obstipation ������������������������������������������������ 218 Pathophysiologie und Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn�������������� 219
13.2 13.3 13.4 13.5 14
Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen������������������������������ 225
14.1 14.2 14.3 14.4
Pathophysiologie des Asthmas ������������������������������������������������������������������������������������������������������ 226 Pharmakotherapie des Asthmas���������������������������������������������������������������������������������������������������� 230 Pathophysiologie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung���������������������������������� 233 Pharmakotherapie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung�������������������������������� 234
15 Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie�������������������������������������������������������������� 237 Pathophysiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Glatte Gefäßmuskelzellen als Angriffspunkt für Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 15.3 Pharmakologische Modulation des Blutdrucks über RAAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 15.4 Arzneistoffe der Klasse A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 15.5 Arzneistoffe der Klasse B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 15.6 Arzneistoffe der Klasse C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 15.7 Arzneistoffe der Klasse D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 15.8 Reservearzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 15.9 Pharmakotherapie der Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 15.10 Pharmakotherapie des hypertensiven Notfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 15.1 15.2
16
rzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren A Herzerkrankung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 251
16.1 16.2 16.3 16.4
Pathophysiologie der Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Wichtige klinische Studien zur Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . 254 Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der koronaren Herzerkrankung . . . . . . . . . . 261
XVIII Inhaltsverzeichnis
17
Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 265
17.1 17.2 17.3 17.4
Pathophysiologische Grundlagen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . 266 Pathophysiologie und Pharmakotherapie des Vorhofflimmerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Pathophysiologie und Pharmakotherapie ventrikulärer Tachykardien . . . . . . . . . . . . . . . 271 Torsade-de-pointes-Arrhythmien: Ursachen, Vermeidung und Pharmakotherapie . . . 271
18
Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen �� 275
18.1
18.7
Pathophysiologie thromboembolischer Erkrankungen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 UFH, NMH und Heparinoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 VKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Faktor-Xa-Inhibitoren und Thrombin-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Gewebeplasminogen-Aktivatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Pathophysiologie der Thrombozytenaggregation und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Irreversible COX-Inhibitoren und irreversible P2Y12R-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
19
Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes �������������������������� 289
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6 19.7 19.8
Pathophysiologische Grundlagen des Diabetes und pharmakotherapeutische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Insuline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Biguanide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Kaliumkanal-Blocker (PCB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 GLP-1R-Agonisten und DPP4-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 SGLT-2-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Therapie der Hypoglykämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Therapie des Coma diabeticum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
20
Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose���������������������������������������������������������� 301
20.1 20.2 20.3 20.4 20.5 20.6
Pathophysiologie der Osteoporose und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Vitamin D3 und Calcium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Bisphosphonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 SERM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 RANKL-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 PTHR-Agonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
18.2 18.3 18.4 18.5 18.6
21
Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen������������������������ 309
21.1 21.2 21.3
Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Hyperthyreose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Hypothyreose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
22
Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien������������������������������������������������������ 317
22.1 22.2 22.3
Pathogenese der Arteriosklerose und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . 318 MG-CoA-Reduktase-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 H Cholesterinresorptions-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
XIX Inhaltsverzeichnis
22.4 22.5 22.6
Anionenaustauscherharze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 PAR-α-Agonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 P PCSK9-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
23
Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht���������������������������������������������������������������������������� 327
23.1 23.2 23.3
Pathophysiologie der Gicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Pharmakotherapie der akuten Gicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Pharmakotherapie der chronischen Gicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
24
Pharmakologie der Sexualhormone���������������������������������������������������������������������������������� 335
24.1 24.2 24.3 24.4
Physiologie der Sexualhormonrezeptor-Agonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 harmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 P ER- und/oder PR-Agonisten-enthaltende Kontrazeptiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Hormonersatztherapie bei der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
25
Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern und Modulatoren Ligand-gesteuerter Ionenkanäle��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 355
25.1
25.4
Pathophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Pathophysiologie von Epilepsien und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . 357 Wichtige Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen mit einem neuronalen Ungleichgewicht . . . . . . . 359 Allosterische GABAAR-Modulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
26
Arzneistoffe zur Lokalanästhesie ���������������������������������������������������������������������������������������� 369
26.1 26.2 26.3
Wirkmechanismus der SCB mit lokalanästhetischer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Wichtige SCB mit lokalanästhetischer Wirkung, Anwendungsgebiete und UAW . . . . . 371 EPI als Vasokonstriktorzusatz zu SCB mit lokalanästhetischer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . 374
27
Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose���������������������������������������������� 375
27.1 27.2 27.3
Prinzipien der Inhalationsnarkose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Wichtige Stickoxide und Haloether . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Wichtige Arzneistoffe zur Durchführung einer Injektionsnarkose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
28
Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung�������� 385
28.1
Pathophysiologische Grundlagen der Depression und pharmakotherapeutische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 NSMRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 SSRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 SSNRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 α2AR-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 MAO-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Pathophysiologie der bipolaren Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Pharmakotherapie der bipolaren Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
25.2 25.3
28.2 28.3 28.4 28.5 28.6 28.7 28.8
XX Inhaltsverzeichnis
Pharmakotherapie von Angststörungen, obsessiv-kompulsiven Störungen, Panikstörungen, der postraumatischen Belastungsstörung und von Polyneuropathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 28.10 Pharmakotherapie der Depression mit p-mGPCR-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 28.9
29
Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie ������������������������������������������������������ 401
29.1
Pathophysiologische Grundlagen der Schizophrenie und pharmakotherapeutische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 D2R-mGPCR-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 p-mGPCR-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Einsatz vom mGPCR-Antagonisten bei anderen Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Pharmakotherapie der Schizophrenie mit NE/5-HT-Verstärkern, Lithium sowie SCB und CCB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
29.2 29.3 29.4 29.5
30
Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen �������������������������������������� 415
30.1 30.2 30.3 30.4
Pathophysiologie des Glaukoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 harmakotherapie des Glaukoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 P Pathophysiologie der altersbedingten Makuladegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 Pharmakotherapie der altersbedingten Makuladegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
31
Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen ���������������� 425
31.1 31.2 31.3 31.4
Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Prinzipien der Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Klassische Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Zielgerichtete Tumorbeeinflussung: Targeted Therapeutics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440
32
Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen������������������������������������������ 443
32.1 32.2 32.3 32.4 32.5 32.6 32.7
Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . 444 Wichtige bakterielle Infektionen und deren Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Antibakterielle Arzneistoffe, die die Zellwandbiosynthese hemmen . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Antibakterielle Arzneistoffe, die die DNA-Replikation hemmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Antibakterielle Arzneistoffe, die die Proteinbiosynthese hemmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Antibakterielle Arzneistoffe, die die Tetrahydrofolsäuresynthese hemmen . . . . . . . . . . 466 Antimykobakterielle Arzneistoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
33
Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen������������������������������������������������������ 469
33.1 33.2 33.3 33.4 33.5
Überblick über Virusinfektionen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten . . . . . 470 Arzneistoffe zur Behandlung von Herpes-Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 Arzneistoffe zur Behandlung der HIV-Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Arzneistoffe zur Behandlung der Hepatitis C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Arzneistoffe zur Behandlung von COVID-19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
34
Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen���������������������������� 481
34.1 34.2 34.3
Überblick über die wichtigsten Mykosen und deren Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . 482 riazole und Allylamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 T Polyene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
XXI Inhaltsverzeichnis
34.4 34.5 34.6
Echinocandine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen, die durch Würmer, Milben und Läuse verursacht werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
IV Prüfungsteil 35
MC-Fragen und Antworten ������������������������������������������������������������������������������������������������������ 499
35.1 35.2
MC-Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 MC-Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
36
Klinische Fälle ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 517
Plötzliche Muskelschmerzen in der Reha-Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Generalisierter Juckreiz und fehlende klinische Wirkung eines antibakteriellen Arzneistoffs bei unkomplizierter Zystitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 36.3 Schmerzen trotz Einnahme von Paracetamol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 36.4 Kleinkind mit gastrointestinalem Infekt und Schiefhals in der Notaufnahme . . . . . . . . 521 36.5 Kritische Überprüfung eines Medikationsplanes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 36.6 Eine Ballerina mit Hypertonie und Nervosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 36.7 Schwangerschaftsdiabetes durch Wehentropf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 36.8 Eine sinnvolle Dauertherapie mit Pantoprazol? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 36.9 Nervenzusammenbruch nach nächtlichen Computersitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 36.10 Ausreichende Schmerztherapie bei metastasierendem Mammakarzinom? . . . . . . . . . . 527 36.1 36.2
37
Antworten zu den Fallbeispielen������������������������������������������������������������������������������������������ 529 Serviceteil NKLM/IMPP-Arzneistoffliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ���� 546 Fragen und Antworten rund um die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ���� 568 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ���� 573
Abkürzungsverzeichnis AA
arachidonic acid
AC Adenylylzyklase ACE
angiotensin-converting enzyme ACh Acetylcholin AChE Acetylcholinesterase ACS acute coronary syndrome ACTH adrenocorticotropes Hormon ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom ADME Absorption, Distribution, Metabolisierung, Elimination AICAR 5-Aminoimidazol-4-carboxamidribonucleotid AMD altersbedingte Makuladegeneration AR Androgenrezeptor (5-)ASA (5-)Aminosalicylsäure ASS Acetylsalicylsäure AT1R Angiotensin-II-Rezeptor, Subtyp 1 αxAR α-Adrenozeptoren (x, Subtypen 1 und 2) BD Blutdruck BHS Blut-Hirn-Schranke BK2R Bradykininrezeptor, Subtyp 2 BPH benigne Prostatahyperplasie BtMVV Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung βxAR β-Adrenozeptoren (x, Subtypen 1-3) CAD cationic-amphiphilic drug CAH Carboanhydrase cAMP zyklisches AMP (ein Second Messenger) CaSR calciumsensitiver Rezeptor CB1R Cannabinoidrezeptor, Subtyp 1 CCB Calciumkanal-Blocker CCK2R Cholecystokininrezeptor, Subtyp 2 CDK cyclin-dependent kinase cGMP zyklisches GMP (ein Second Messenger) 2+ [Ca ]i intrazelluläre freie Calciumkonzentration CGRP calcitonin gene-related peptide CHF chronic heart failure CKD chronic kidney disease COMT Catechol-O-Methyltransferase
XXIII Abkürzungsverzeichnis
COPD
chronic-obstructive pulmonary disease COX Cyclooxygenase (Isoenzyme 1 und 2) COVID-19 Corona virus disease 2019 CTZ Chemorezeptortriggerzone CYP Cytochrom-P450-Isoenzym (CYPXXX; Subtypenklassifikation mit Kombination ZifferBuchstabe-Zahl) DA Dopamin DHFR Dihydrofolsäure-Reduktase DPP4 Dipeptidylpeptidase 4 D2R-mGCPR-Antagonist Antagonisten an multiplen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit Präferenz für den Dopamin-D2Rezeptor Dx R Dopaminrezeptoren (x, Subtypen 1–5) EC50 (ED50) Konzentration (Dosis), bei der ein Agonist 50 % seines Maximaleffektes erreicht ECL enterochromaffin-like ED erektile Dysfunktion EGF epidermal growth factor EMB Ethambutol EPI Epinephrin (Adrenalin) EPR E-Typ-Prostaglandin-Rezeptoren EPMS extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen ER Estrogenrezeptoren (Subtypen α und β) FPR F-Typ-Prostaglandin-Rezeptor FSH Follikel-stimulierendes Hormon (5-)FU (5-)Fluorouracil GABA γ-Aminobuttersäure GABAAR γ-Aminobuttersäurerezeptor, Subtyp A G-CSF Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor GCR Glucocorticoid-Rezeptor GERD gastroesophageal reflux disease GFR glomeruläre Filtrationsrate GLP-1 glucagon-like peptide 1 GPCR G-Protein-gekoppelter Rezeptor GTN Glyzeroltrinitrat Gx-Protein heterotrimeres Guaninnukleotid-bindendes Protein (x; Subtyp s, i, o oder q) HA Histamin HAART highly-active antiretroviral therapy
XXIV Abkürzungsverzeichnis
HCMV
humanes Cytomegalievirus HCN4 hyperpolarization-activated cyclic nucleotide-gated channel 4 HCV Hepatitis-C-Virus HDAC Histondecarboxylase HER2 human epithelial growth factor receptor 2 HERG-Kanal human ether-à-go-go-related gene-Kanal HET Hormonersatztherapie HF Herzfrequenz HIT Heparin-induzierte Thrombozytopenie HIV humanes Immundefizienz-Virus HLA human leukocyte antigen HMG-CoA-Reduktase 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase HMV Herzminutenvolumen (5-)HT (5-)Hydroxytryptamin (5-HT, Serotonin) HSV Herpes-simplex-Virus (5-)HTxR (5-)Hydroxytryptamin (5-HT, Serotonin)rezeptoren (x, Subtypen 1-7) HWZ Halbwertzeit H xR Histaminrezeptoren (x, Subtypen 1-4) I Inhibitor (eines Enzyms oder Zytokins) IC50 (ID50) Konzentration (Dosis), bei der ein Antagonist oder Enzym-Inhibitor 50 % seiner Maximalhemmung erreicht IFN Interferon IL-X Interleukin, Zahl X bezeichnet das spezifische Interleukin i.m. intramuskulär INH Isoniazid IMPP Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen INI Integrase-Inhibitoren (HIV-Therapie) INN international non-proprietary name (internationaler Freiname eines Arzneistoffs) INR international normalized ratio (Parameter zur Einstellung einer Therapie mit VKA) IOD intraokulärer Druck IPR Prostazyklin(PGI2)-Rezeptor i.v. intravenös KHK koronare Herzerkrankung
XXV Abkürzungsverzeichnis
long-acting β2-adrenoceptor agonist (controller) LAMA long-acting muscarinic receptor antagonist LH luteinisierendes Hormon LOX Lipoxygenase LSD Lysergsäurediethylamid LT Leukotrien LTR CysLT1-Rezeptor MAO Monoaminoxidase (Isoenzyme A und B) MCP Metoclopramid MCR Mineralocorticoidrezeptor mGPCR-Antagonisten Antagonisten an multiplen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren MI Myokardinfarkt MOR μ-Opioidrezeptor (6-)MP (6-)Mercaptopurin MRP multidrug resistance protein MRSA multiresistenter Staphylococcus aureus mTOR mechanistic target of rapamycin MTX Methotrexat M xR muskarinische Acetylcholinrezeptoren (x, Subtypen 1–5) nAChR nikotinische Acetylcholinrezeptoren NCC Na+/Cl−-Cotransporter NE Norepinephrin (Noradrenalin) NEP Neprilysin NKA Na+/K+-ATPase NKCC Na+/K+/2Cl−-Cotransporter NKLM Nationaler kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin NK1R Neurokininrezeptor, Subtyp 1 NMDA N-Methyl-D-Aspartat NMH niedermolekulares Heparin NNP Natriumnitroprussid NO Stickstoffmonoxid NPC1L1 Niemann-Pick C1-like protein NRTI nukleosidische/nukleotidische Reverse-TranskriptaseInhibitoren (HIV-Therapie) NNRTI nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (HIV-Therapie) NSMRI nicht-selektive Monoamin-Wiederaufnahmeinhibitoren LABA
XXVI Abkürzungsverzeichnis
OAT
organischer Anionentransporter PAH pulmonale arterielle Hypertonie PAR1 protease-activated receptor 1 (Rezeptor für Thrombin) PARP-1 Poly-ADP-Ribose-Polymerase 1 PCB potassium channel blocker (Kaliumkanal-Blocker) PCSK9 Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 PDE Phosphodiesterase (Isoenzyme 3, 4 und 5 sind wichtig) PI Protease-Inhibitoren (HIV- und HCV-Therapie) PG Prostaglandin p-mGPCR-Antagonisten Antagonisten an multiplen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit pleiotropen therapeutischen und unerwünschten Wirkungen FPR F-Typ-Prostaglandin-Rezeptor PK Proteinkinase (allgemein) PLA2 Phospholipase A2 PLC Phospholipase C PML progressive multifokale Leukenzephalopathie p.o. per os (peroral) PP Protonenpumpe PPAR peroxisome proliferator-activated receptor (Subtypen α und γ) PTHR Parathormonrezeptor PUD peptic ulcer disease PR Progesteronrezeptor PTH Parathormon P2Y12R purinerger Rezeptor für ADP, der auf Thrombozyten exprimiert wird PZA Pyrazinamid R Rezeptor RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System Raf rapidly accelerated fibrosarcoma RANK receptor activator of nuclear factor κB RANKL receptor activator of nuclear factor-κB ligand RAR Retinsäurerezeptor RMP Rifampicin ROS reaktive Sauerstoffspezies SABA short-acting β2-adrenoceptor agonist (reliever) SAMA short-acting muscarinic receptor antagonist s.c. subkutan
XXVII Abkürzungsverzeichnis
SCB
sodium channel blocker (Natriumkanal-Blocker) SERM selektive Estrogenrezeptormodulatoren sGC lösliche Guanylylzyklase SGLT-2 sodium/glucose cotransporter 2 SJS Stevens-Johnson-Syndrom S1P1R Sphingosin-1-Phosphatrezeptor, Subtyp 1 SSNRI selektive 5-HT/NE-Wiederaufnahme-Inhibitoren SSRI selektive 5-HT-Wiederaufnahme-Inhibitoren T3 Liothyronin T4 Levothyroxin TD50 Dosis, bei der ein Arzneistoff (Wirkstoff) 50 % seines maximalen toxischen Effektes erreicht TDM therapeutisches Drug Monitoring TdP Torsade-de-Pointes-Arrhythmie TEN toxische epidermale Nekrolyse TR T3-Rezeptor TIVA totale intravenöse Anästhesie TK Tyrosinkinase TMP Trimethoprim TNF Tumornekrosefaktor TOPO Topoisomerase TPO Thyreoperoxidase TPR Thromboxan-A2(TXA2)-Rezeptor TPW totaler peripherer Widerstand TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon TX Thromboxan UAW unerwünschte Arzneimittelwirkung UFH unfraktioniertes Heparin URAT1 Urattransporter 1 VEGF vascular endothelial growth factor VHF Vorhofflimmern VKA Vitamin-K-Antagonist VT ventrikuläre Tachykardie VZV Varicella-Zoster-Virus XO Xanthinoxidase
Über den Autor Professor Dr. med. Roland Seifert Roland Seifert ist Arzt für Pharmakologie und Toxikologie und habilitierte sich 1992 für dieses Fach. Er ist Direktor des Instituts für Pharmakologie der Medizinischen Hochschule Hannover sowie der zentralen Forschungseinheit Massenspektrometrie-Metabolomics und ist Autor von mehr als 240 Originalpublikationen und 40 Übersichtsarbeiten, vornehmlich auf dem Gebiet der G-Proteingekoppelten Rezeptoren und zyklischen Nukleotide. Er ist Herausgeber von Fachbüchern und der ältesten existierenden pharmakologischen Fachzeitschrift, Naunyn-Schmiedebergs Archives of Pharmacology. Seifert lehrt seit 1986 engagiert das Fach Pharmakologie in allen Aspekten. Für seine ausgezeichnete Lehre hat Seifert zahlreiche Preise erhalten. Das deutschsprachige Lehrbuch „Basiswissen Pharmakologie“ hat Seifert 2019 für eine internationale Leserschaft unter dem Titel „Basic Knowledge of Pharmacology“ weiterentwickelt. Die Arzneistoffliste des IMPP wurde unter seiner Federführung entwickelt. Seit 2020 ist er Sachverständiger für das IMPP.
1
Allgemeine Prinzipien Inhaltsverzeichnis Kapitel 1
Einführung und Pharmakodynamik – 3
Kapitel 2 Pharmakokinetik – 47 Kapitel 3 Arzneimittelallergie – 67 Kapitel 4
Behandlung von Arzneimittelvergiftungen – 77
I
3
Einführung und Pharmakodynamik Inhaltsverzeichnis 1.1
as ist Pharmakologie und womit W beschäftigt sie sich? – 5
1.2
as ist der Unterschied zwischen W einem Arzneistoff und einem Arzneimittel? – 7
1.3
Arzneistoffdosierung – 8
1.4
Arzneimittelentwicklung und Pharmakotherapie-Leitlinien – 12
1.5
Pharmakologische Zielstrukturen – 13
1.6
Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen – 20
1.7
Therapeutische Breite – 23
1.8
rzneistoffe mit unbekanntem A Wirkmechanismus – 26
1.9
ie erkenne ich Arzneistoffgruppen am W Arzneistoffnamen? – 27
1.10
elche Gefahren lauern im Gebrauch von W Arzneimittelspezialitäten-Namen (Handelsnamen)? – 36
1.11
epositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling R und off-label-use von Arzneistoffen – 42
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_1
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4
1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
Die Pharmakodynamik analysiert Effekte von Wirkstoffen auf den menschlichen Organismus. Wirkstoffe umfassen Arzneistoffe und Gifte. Arzneistoffe haben nützliche, Gifte schädliche Wirkungen. Arzneimittel sind pharmazeutische Zubereitungen von Arzneistoffen zur Anwendung beim Menschen. Die Entwicklung eines Wirkstoffs zum Arzneimittel umfasst eine präklinische Phase und eine klinische Phase, die in drei Stadien unterteilt wird. Rezeptoren, Enzyme, Ionenkanäle und Transporter sind die wichtigsten Zielstrukturen für Arzneistoffe. Rezeptoren werden in GPCR, Ligand-gesteuerte Ionenkanäle, TK-gekoppelte Rezeptoren und nukleäre Rezeptoren unterteilt. Rezeptoren werden durch Agonisten aktiviert; Antagonisten verhindern die Wirkungen von Agonisten. Enzyme und Transporter werden durch Inhibitoren gehemmt; Ionenkanäle durch Blocker. Vollständige Konzentrations- Wirkungs-Beziehungen sind erforderlich, um die Wirkungen von Arzneistoffen durch die Parameter EC50, IC50 sowie intrinsische Aktivität zu bestimmen. Die therapeutische Breite ist ein Maß für die Sicherheit eines Arzneistoffs. Der Wirkmechanismus etlicher klinisch wichtiger Arzneistoffe ist unbekannt. In dem Kapitel wird auch ausführlich die große Bedeutung der INN für die Arzneitherapie- und Patientensicherheit diskutiert; ebenso die Risiken des unreflektierten Gebrauchs von Arzneimittelspezialitäten-Namen (Handelsnamen).
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55
Merksätze 55 Arzneistoffe haben nützliche; Gifte schädliche Wirkungen. 55 Die Klassifikation eines Wirkstoffs als Arzneistoff oder Gift ist kontexabhängig. 55 Placebo-Effekte können in der Therapie bewusst genutzt werden. 55 Eine wichtige Aufgabe des Arztes besteht darin, abschreckende Beipackzettel für den Patienten zu entschärfen. 55 Viele Behandlungsfehler entstehen durch fehlende Kenntnis der Unterschiede zwi-
55 55
55
schen den Maßeinheiten g, mg und μg sowie durch ungenaue Verschreibungen. Die Pharmakodynamik beschreibt die Effekte von Wirkstoffen auf den Organismus. Die Endung in internationalen Frei namen gibt häufig Informationen über den Wirkmechanismus eines Arzneistoffs. Die Entwicklung von Arzneimitteln beinhaltet eine präklinische und eine klinische Phase. Bei der klinischen Prüfung neuer Arzneistoffe ist darauf zu achten, dass ein Vergleich mit einer Standardtherapie durchgeführt wird. Leitlinien geben wichtige Informationen zur praktischen Durchführung der Arzneitherapie; aber auch hier spielen Interessenkonflikte mit der Pharma industrie möglicherweise eine Rolle. Rezeptoren, Enzyme, Transporter und Ionenkanäle sind die wichtigsten Zielstrukturen für Arzneistoffe. Die Potenz bezeichnet die Konzentration eines Arzneistoffs, bei der er seine halbmaximale stimulierende oder hemmende Wirkung erzielt. Die intrinsische Aktivität beschreibt die Maximalwirkung eines Agonisten am Rezeptor. Partielle Agonisten besitzen eine geringere intrinsische Aktivität als volle Agonisten; Antagonisten besitzen keine intrinsische Aktivität. Bei Dauertherapie mit Agonisten an GPCR kann es zum Wirkungsverlust durch Rezeptordesensitisierung kommen. Die therapeutische Breite ist ein Maß für die Arzneistoffsicherheit. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen muss zur Erzielung therapeutischer Wirkungen eine niedrigere therapeutische Breite in Kauf genommen werden als bei nicht-lebensbedrohlichen Erkrankungen. Der Wirkmechanismus wichtiger Arzneistoffe wie Lithium, Paracetamol, Metamizol, Metformin und Tramadol ist unbekannt.
5 1.1 · Was ist Pharmakologie und womit beschäftigt sie sich?
55 Erkennungssilben in vielen Arzneistoffgruppen erleichtern dem Arzt die Einordnung „unbekannter“ Arzneistoffe. 55 Jargon-Begriffe für Arzneistoffgruppen fördern einen sorglosen Umgang mit Arzneistoffen. 55 Durch Verwechslungen ähnlich aussehender oder in der Aussprache ähnlich klingender Arzneistoffnamen können schwere Behandlungsfehler entstehen. 55 Es sollen ausschließlich INN verwendet werden, um keine Abhängigkeit von den häufig suggestiven Arzneimittelspezialitäten-Namen aufkommen zu lassen. 55 Der Gebrauch von Arzneimittelspezialitäten-Namen (Handelsnamen) kann unbeabsichtigte Doppelverschreibungen und damit Überdosierung und UAW fördern. 55 Der konsequente Gebrauch mechanistischer bzw. chemischer Arzneistoffgruppen- Bezeichnungen erleichtert die Zuordnung von Arzneistoffgruppen zu neuen Indikationen. 55 Durch off-label-Gebrauch, Repositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling von Arzneistoffen entstehen völlig neue Indikationsgebiete
1.1
as ist Pharmakologie und W womit beschäftigt sie sich?
Die Pharmakologie ist die Wissenschaft, die die Interaktionen des menschlichen Organismus mit Wirkstoffen analysiert. Traditionell wird die Pharmakologie in die experimentelle Pharmakologie und klinische Pharmakolo gie unterteilt, aber die Fächergrenzen verschwimmen zunehmend. Am ehesten kann man festhalten, dass sich die experimentelle Pharmakologie mehr mit den molekularen Wirkmechanismen von Arzneistoffen befasst, während die klinische Pharmakologie mehr klinische Studien und die Arzneimittelbera tung und -bewertung im Blick hat. Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkungen von Wirkstoffen auf den Organismus, während die Pharmakokinetik
1
(7 Kap. 2) den Weg des Arzneistoffs durch den Körper und die Wirkungen des Organismus auf Wirkstoffe beschreibt. Die Pharma zie beschäftigt sich mit der Entwicklung und Herstellung von Arzneistoffen sowie dem Verkauf von Arzneimitteln sowie der Arznei mittelberatung in der Apotheke.
>>Es ist überraschend, dass viele Ärzte nicht den Unterschied zwischen Pharmakologie und Pharmazie kennen, obwohl alle Ärzte im Studium zwei Pharmakologiekurse hatten!
Wirkstoffe sind alle chemischen Verbindungen, die Körperfunktionen beeinflussen. Der Begriff Wirkstoff besagt nichts über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit einer Wirkung. Arzneistoffe sind Wirkstoffe, die nützliche Wirkungen besitzen, während Gifte schädliche Wirkungen haben. Die Toxikolo gie beschäftigt sich mit den Giften und ist integraler Bestandteil der Pharmakologie. Deshalb heißt das Fach korrekt auch Phar makologie und Toxikologie. Die Definition eines Wirkstoffs als Arzneistoff oder Gift hängt von Dosis und Applikationsart des Wirkstoffs und der klinischen Situation ab. Insofern sind Pharmakologie und Toxikologie untrennbar miteinander verwoben. >>Es gilt nach wie vor die Aussage von Paracelsus: Dosis facit venenum; die Dosis macht das Gift! Viel hilft nicht immer viel!
Isst ein Kleinkind versehentlich Tollkirschen, die Atropin in großen Mengen enthalten, so resultiert daraus ein antimuskarinerges Syndrom (7 Kap. 4 und 5). In dieser Situation ist Atropin ein Gift. Hingegen wirkt Atropin bei intraoperativer Bradykardie als Arzneistoff. NSMRI können bei depressiven Patienten Stimmungsaufhellung und Antriebssteigerung bewirken, aber bei Einnahme großer Arzneistoffmengen in suizidaler Absicht werden diese Arzneistoffe zum Gift und können MxR- und α1AR- Antagonismus mit BD-Abfall bewirken (7 Kap. 4 und 28).
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
6
1
>>Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Ärzte den Begriff „Wirkstoff“ benutzen, wenn sie eigentlich „Arzneistoff“ meinen. Ärzte verschreiben Arzneistoffe, weil sie eine nützliche Wirkung am Menschen haben oder zumindest haben sollen.
Die Pharmakologie ist an der Schnittstelle zwischen Physiologie, Pathophysiologie und Klinik lokalisiert. >>Entgegen weit verbreiteter Ansicht ist Pharmakologie kein Fach, das man auswenig lernen, sondern vor allem verstehen muss. Mit logischem Denken kann man leicht gute Therapiepläne erstellen und Therapiefehler vermeiden!
Die Pharmakologie ist ein interdisziplinäres Fach, das in Zeiten der immer stärker werdenden Spezialisierung (Versäulung) der Medizin dafür Sorge trägt, dass die einzelnen Teilgebiete der Medizin miteinander verbunden bleiben. Ausdruck dieser Querverbindung zwischen den verschiedenen Fächern ist die neue NKLM/IMPP-Arznei stoffliste (siehe Serviceteil). Die Verbindung der einzelnen Teilgebiete der Medizin wird in diesem Buch durch die zahlreichen Querverweise zwischen den einzelnen Kapiteln dargestellt. >>Ziel der Pharmakologie ist es, mit physiologisch begründeten Wirkmechanismen pathophysiologische Veränderungen im menschlichen Körper so zu beeinflussen, dass es zu einer Heilung oder Linderung von Krankheitssymptomen mit möglichst wenig „Giftwirkungen“ (UAW) kommt.
Falls diese Ziele nicht erreicht werden können, gilt als Minimalziel: Nihil nocere; schade dem Patienten nicht! Dies bedeutet z. B. das Absetzen potentiell schädlicher Arzneistoffgruppen wie NKA-Inhibitoren (7 Kap. 16), COX-Inhibitoren (7 Kap. 10) und proarrhythmisch wirkender Arzneistoffe (7 Kap. 17). Ein guter Arzt darf niemals vergessen, dass ein von ihm verschriebener Arzneistoff
UAW und Interaktionen an einem Organsystem „außerhalb seiner Zuständigkeit“ zeigen kann. Er muss immer daran denken, dass ein „Krankheitssymptom“ innerhalb seines „Zuständigkeitsgebietes“ in Wirklichkeit die UAW eines Arzneistoffs aus einem „anderen Zuständigkeitsgebiet“ sein kann. Der größte Fehler ist es dann, dieses Symptom mit einem weiteren Arzneistoff zu behandeln. >>UAW halten sich nicht an Fächergrenzen der Medzin. Sie können sich an ganz anderen Organen als dem Zielorgan der Therapie manifestieren. Dies wird im Arztalltag häufig vergessen.
Deshalb werden in jedem Kapitel die Zusammenhänge zwischen den v erschiedenen Organsystemen betont, sowohl die therapeutischen Wirkungen als auch die UAW betreffend. Auf „überraschende“ UAW wird explizit aufmerksam gemacht. Traditionell wird in der Pharmakologie gerne von der „Hauptwirkung“ und von den „Nebenwirkungen“ eines Arzneistoffs gesprochen. Der Begriff „Nebenwirkungen“ wird auch (leider noch) auf den Beipack zetteln und Fachinformationen von Arzneimitteln verwendet. Dieses Konzept stammt aus einer vergangenen Zeit, als man jedem Arzneistoff eine einzige Indikation (die Hauptwirkung) zuordnete und Arzneistoffe entsprechend den Indikationen klassifizierte (siehe Arzneistoffliste). Inzwischen hat sich jedoch für viele Arzneistoffgruppen das Indikationsspektrum so erweitert und verändert, dass aus der Hauptwirkung eine Nebenwirkung geworden ist, und die Nebenwirkungen sind zu Hauptwirkungen geworden (7 Abschn. 1.11 sowie 7 Kap. 25, 28 und 29). Deshalb werden die obsoleten Begriffe „Hauptwirkung“ und „Nebenwirkung“ in diesem Buch nicht mehr verwendet.
>>Stattdessen werden die Begriffe erwünschte Wirkung oder therapeutische Wirkung sowie UAW (unerwünschte Arzneimittelwirkung) verwendet.
7 1.2 · Was ist der Unterschied zwischen einem Arzneistoff und einem Arzneimittel?
Diese Begriffe erlauben eine neutralere Beschreibung und Beurteilung des pharmakologischen Profils eines Arzneistofffs bei verschiedenen Indikationen. 1.2
as ist der Unterschied W zwischen einem Arzneistoff und einem Arzneimittel?
Arzneimittel sind pharmazeutische Zubereitungen von Arzneistoffen zur Anwendung beim Menschen und beim Tier. Ein Arzneimittel enthält außer dem Arzneistoff Hilfs stoffe, die den Arzneistoff in Lösung bringen und seine Aufnahme in den Körper beschleunigen oder verzögern (Retardpräparate). Arzneistoffe und Hilfsstoffe können Allergien auslösen (7 Kap. 3). Arzneimittel umfassen Tabletten und Dragées zur oralen Anwendung, Suppositorien zur rektalen Anwendung, Hautpflaster mit Arzneistoffdepot zur kontinuierlichen Abgabe des Wirkstoffs (transdermale Systeme), Lösungen zur i.v.-, s.c.- oder i.m.-Injektion, Sublingualkapseln zur raschen systemischen Resorption sowie Salben und Cremes, Augentropfen, Nasentropfen, Nasensprays oder Inhalationssprays zur Lokaltherapie. In den meisten Fällen werden heutzutage Fertigarzenimittel verschrieben und angewendet. Auch Arzneimittel ohne Arzneistoff können therapeutische Wirkungen zeigen, insbesondere bei Krankheitszuständen mit psychischer Komponente. Solche Arzneimittel werden als Placebo bezeichnet. Bei Kopfschmerzen findet man Placeboansprechraten zwischen 30–70 % (7 Kap. 10), bei GI-Beschwerden zwischen 20–60 % (7 Kap. 13) und bei Schlafstörungen zwischen 50–80 % (7 Kap. 25). Placebowirkungen sind auf die Suggestivkraft des Arztes, die Erwartungshaltung des Patienten und Konditionierungseffekte zurückzuführen. Placebos können auch UAW zeigen (Noce boeffekt). Typische Noceboeffekte sind Müdigkeit, Bauchschmerzen und Kopfschmer
1
zen mit einer Häufigkeit von bis zu 50 % aller behandelten Patienten. Die klinische Wirksamkeit vieler „hochpotenter“ (also in Wirklichkeit extrem verdünnter!) homöopathischer Arzneimittel ist auf den Placeboeffekt zurückzuführen. Diesen Placeboeffekt kann der Arzt in der Therapie durchaus sinnvoll nutzen. >>Der bewusste und offene Einsatz von Placebos (open-label placebo, OLP) kann bei verschiedenen Beschwerden mit starker psychischer Komponente (z. B. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, perimenopausale Beschwerden) therapeutische Wirkungen entfalten.
Je positiver ein Placebo dargestellt wird, desto ausgeprägter sind die Placebo- Wirkungen und desto geringer sind die Nocebo-Wirkungen. Diese Erkenntnisse aus der Placeboforschung spielen auch für die Pharmakotherapie mit Arzneistoffen eine wichtige Rolle. Eine wichtige Rolle des Arztes besteht darin, die positiven Wirkungen der Pharmakotherapie hervorzuheben und die häufig sehr abschreckend formulierten Beipackzettel zu entschärfen. Beipackzettel fokussieren sich viel zu wenig auf die erwünschten Wirkungen und listen stattdessen in einer für den Patienten unübersichtlichen Form alle denkbaren UAW, ohne eine klare Fokussierung auf die wirklich häufigen und aus der therapeutischen Wirkung ableitbaren UAW zu machen. Beipackzettel sind vor allem umständlich formulierte und meist schlecht leserliche ju ristische Dokumente ohne wirklichen Blick für die Bedürfnisse von Arzt und Patient. >>Beipackzettel schrecken den Patienten meist ab und verringern dadurch seine Therapietreue (Adhärenz). Beipackzettel sind meist schlecht lesbar und zu kompliziert. Sie sind schlecht gegliedert.
Aufgabe des Arztes ist es, dem Patienten die wichtigen und häufgen UAW zu nennen, die aus dem Wirkmechanismus des jeweiligen Arzneistoffs ableitbar sind.
8
1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
Ein Arzneimittel wird entweder als Arz neimittelspezialität unter einem geschützten Warenzeichen (ArzneimittelspezialitätenNamen, Handelsnamen) oder nach Ablauf des Patentschutzes als G enerikum unter dem internationalen Freinamen (INN) in den Handel gebracht. Arzneimittelspezialitäten- Namen sind Phantasienamen, die häufig absatzfördernden Suggestivcharakter haben und von Land zu Land je nach Klang in der jeweiligen Landessprache sehr unterschiedlich sein können. >>Als Faustregel gilt, dass Arzneimittel spezialitäten deutlich teurer sind als Generika.
Nach Ablauf des Patentschutzes sinken die Arzneimittelpreise. Wenn immer möglich, sollte der Arzt versuchen, eine kostengünstige Therapie mit Generika durchzuführen, da die stetig wachsenden Arzneimittelkosten in einer alternden Gesellschaft eine große Gefahr für finanzielle Überbeanspruchung des Gesundheitssystems darstellen. >>Stellt ein Arzt einen Patienten von einer teuren Arzneimittelspezialität auf ein preiswerteres Generikum um, so vermutet der Patient häufig fälschlicherweise, dass er jetzt ein weniger gut wirksames, also „schlechteres“ Arzneimittel bekäme.
Dies kann das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigen. Es stellt daher eine wichtige ärztliche Aufgabe dar, den Patienten über den gravierenden Irrtum aufzuklären, dass Generika schlechter als Arzneimittel spezialitäten sind. In diesem Buch werden Arzneistoffe nur mit den INN benannt. Diese sind weltweit gebräuchlich; es gibt nur wenige länderspezifische Ausnahmen. So wird der β2AR- Agonist Salbutamol in angelsächsischen Ländern als Albuterol bezeichnet; das analgetisch und antipyretisch wirkende p-Aminophenol Paracetamol als Acetamino phen. In vielen Lehrbüchern werden die Begriffe Arzneistoff, Arzneimittel und Medi
kament (seltener auch Heilmittel, Arznei) ohne klare Abgrenzung gegeneinander verwendet. In diesem Buch werden nur die Begriffe Arzneistoff und Arzneimittel verwendet. >>Der Gebrauch von INN und der klar definierten Begriffe Arzneistoff und Arznei mittel sowie der Verzicht auf Arzneimittel spezialitäten-Namen (Handelsnamen) fördern die Arzneitherapiesicherheit.
1.3
Arzneistoffdosierung
Fehldosierungen von Arzneistoffen sind häufig, und zwar sowohl Überdosierungen, die zu Intoxikationen (Vergiftungen, 7 Kap. 4) führen, als auch Unterdosierun gen, die zu Wirkungslosigkeit führen. Dies liegt daran, dass Ärzte häufig Probleme mit dekadischen Logarithmen haben und den Unterschied zwischen g, mg (10−3 g), und μg (10−6 g) nicht kennen. 1 Gramm entspricht 1.000 mg bzw. 1.000.000 μg. Ärzte und Patienten werden gleichermaßen von großen Zahlenwerten geblendet und denken häufig, dass 1.000.000 μg eines Arzneimittels sehr viel mehr als 1 g sei.
>>Die Suggestivkraft großer Zahlen wird von den Herstellern bestimmter pflanzlicher Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmit tel bewusst genutzt, um den Eindruck gro ßer Wirksamkeit kleiner Wirkstoffmengen vorzutäuschen.
Es handelt sich um Scharlatanerie, die aber auf fruchtbaren Boden fällt. Arzneistoffdosierungen sollten möglicht übersichtlich mit möglichst wenig Kommastellen angegeben werden, um Irrtümer zu vermeiden. Die Dosierung von Arzneistoffen beim Menschen ist abhängig von der Potenz des eingesetzten Arzneistoffs (7 Abschn. 1.6) und kann sich im g-Bereich, mg-Bereich oder μg-Bereich bewegen. . Tab. 1.1 zeigt die unterschiedliche Dosierung verschiedener Arzneistoffe und die je
Typische Dosierung
100 mg/Tag
1 mg i.v.
100 μg i.v.bis maximal 1.000 μg in 100 μg-Schritten je nach Wirkung
10 mg/Tag
Arzneistoff (Arzneistoffgruppe)
ASS (irreversible COX-Inhibitoren)
Atropin (MxR-Antagonisten)
EPI (αxAR/βxARAgonisten)
Haloperidol (D2R-mGPCR- Antagonisten) 0,01 g (wird leicht als 0,1 g interpretiert)
0,1 mg (wird leicht als 0,1 g interpretiert)
0,001 g i.v. (wird leicht als 10 mg iterpretiert)
0,1 g/Tag (wird leicht als 1 g interpretiert)
Beispiel für ungünstige Schreibweise der Dosierung
Bipolare Störung, akute Psychosen, Schizophrenie
Anaphylaktischer Schock
Intraoperative Bradykardie
Sekundärprophylaxe thromboembolischer Erkrankungen
Indikation
.. Tab. 1.1 Dosierung exemplarischer Arzneistoffe: Gefahr von Fehldosierungen
Vor allem schwere EPMS. Früher wurden routinemäßig sehr viel höhere Dosierungen gegeben. Dadurch gab es sehr viele schwere EPMS und Haloperidol kam (völlig zu Unrecht!) in den Verruf, sehr toxisch zu sein. Dieses Vorurteil hat sich aber bis heute gehalten und zum vermehrten Verschreiben von p-mGPCR-Antagonisten geführt
Arrhythmien, MI. Risiko kardiovaskulärer UAW wird bei Anaphylaxie aber überschätzt; deshalb wird EPI aus „Angst“ oft unterdosiert
Antimuskarinerges Syndrom
GI-Blutungen (bereits in therapeutischer Dosis) Salicylismus (ab 5–10 g)
Folgen einer Überdosierung
(Fortsetzung)
7 Kap. 29
7 Kap. 3, 5, 14
7 Kap. 5, 17
7 Kap. 16, 18
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
1.3 · Arzneistoffdosierung 9
1
Maximal 20 mg/ Woche
1 g als Einzeldosis; maximal 4 g/Tag
100 μg/Hub; maximal 2 Hübe
100 μg/Tag
MTX (Folsäure-Analoga)
Paracetamol (p-Aminophenole)
Salbutamol (β2AR-Agonisten)
T4 (TR-Agonisten) 0,1 mg (wird häufig als 1 mg interpretiert)
0,1 mg (wird häufig als 1 mg interpretiert)
1.000 mg (wird häufig als 100 mg oder 10 g interpretiert)
0,02 g/Woche (wird häufig als 0,2 g gelesen). Außerdem wird die wöchentliche Dosis als tägliche Dosis gegeben. Einmal wöchentliche Gabe eines Arzneistoffs ist selten und nicht „in der Routine“.
Beispiel für ungünstige Schreibweise der Dosierung
Hypothyreose
Akuter Asthmaanfall
Leichte Schmerzen
Viele Autoimmunerkrankungen
Indikation
7 Kap. 21
7 Kap. 5, 14
β1AR-Aktivierung mit Tachykardie und Erregung, ggf. bei KHK MI und Arrhythmien Thyreotoxikose schon bei geringer Dosiserhöhung (z. B. 125 μg/Tag)
7 Kap. 4, 10
7 Kap. 11, 12, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Akutes Leberversagen
Akutes Nierenversagen bei CKD, Blutbildungsstörungen, GI-Störungen, Haarausfall
Folgen einer Überdosierung
Bitte unbedingt beachten, dass MTX zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen nur einmal wöchentlich gegeben wird. Bitte auch beachten, dass T4 fein abgestuft täglich im Mikrogramm-Bereich gegeben wird
Typische Dosierung
1
Arzneistoff (Arzneistoffgruppe)
.. Tab. 1.1 (Fortsetzung)
10 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
11 1.3 · Arzneistoffdosierung
weils unmissverständlichste Darstellung der Dosierung. Die Notierung von Dosierungen auf Rezepten sollte eindeutig (in sehr guter Handschrift oder vorzugsweise elektronisch) erfolgen, damit keine Irrtümer entstehen. Dies ist nicht nur für die Arzneitherapieund P atientensicherheit bedeutsam, sondern auch bei etwaigen Gerichtsverfahren. Arzneistoffdosierungen sollten möglichst ohne Kommastellen angegeben und dafür die Größenordnungen „milli (m)“ oder mikro (μ)“ benutzt werden. Große Zahlenwerte (insbesondere 1.000) sollten bei Dosierungen vermieden werden, da sie fehleranfällig sind und beim Patienten die A ssoziation von „viel“ und „Überdosierung“ hervorrufen können. Eine weitere Fehlerquelle ist die Fehlinterpretation des Punktes hinter der ersten Ziffer. Sie dient dazu, Zahlenwerte im Tausender-Bereich besser zu strukturieren und ist von dem Komma zur Kenntlichmachung von 1/10-Mengen abzugrenzen: 1.000 mg bedeutet eintausend Milligramm; 1,100 mg bedeutet 1 Milligramm + 1/10 Milligramm. >>Viele Patienten sind von großen Zahlenwerten und Dosierungen im g-Bereich abgeschreckt. Große Arzneistoffmengen werden fälschlich mit hoher „Stoffbelastung“ und „Giftigkeit“ gleichgesetzt. Diese Fehlannahmen führen dann dazu, dass die Patienten weniger Arzneistoff einnehmen als notwendig.
Dieses Phänomen lässt sich täglich in der durch Angst getriebenen Unterdosierung von Ibuprofen, Paracetamol und insbesondere dem vermeintlich besonders gefährlichen Metamizol in der Therapie von Schmerzen beobachten. Unterdosierung von Arzneistoffen führt dann zum Phänomen der subhomöopathischen Arzneithera pie, bei der man eher UAW, aber keine erwünschten Wirkungen beobachtet.
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>>Wenn ein Patient Sätze wie: „Wissen Sie Frau Doktor, ich war auch ganz vorsichtig und habe auch nur einmal eine halbe Tablette Ibu-400 gegen die Schmerzen genommen“ äußert, steht dem Arzt viel Aufklärungsarbeit über eine rationale Arzneitherapie bevor.
Versuchen Sie einmal, den Patienten davon zu überzeugen, dass er gegen die Schmerzen nach Knöcheldistorsion jetzt statt 1 × 200 mg Ibuprofen 4 × 600 mg Ibuprofen (12-fache Dosis!) einnehmen soll. Der Patient wird zu Unrecht vermuten, dass Sie ihn jetzt vergiften wollen oder unfähig sind. >>Internetforen, in denen ein Patient für jede auch (oft unsinnige) Ansicht „Zitate“ und „Belege“ findet, erschweren immer mehr die tägliche Arbeit eines jeden Arztes.
Arzneistoffdosis-Angaben im 10 mg– 100 mg-Bereich werden von den Patienten meist gut angenommen. Die meisten Patienten kennen nicht den Unterschied zwischen milli (m) und mikro (μ). Bei Arzneistoffdosierungen ist auch stets darauf zu erachten, worauf sich die Dosis bezieht: Ist es eine einmalige Gabe? Oder ist es die Einzeldosis, die mehrmals täglich gegeben wird? Deshalb sollte der Patient immer einen schriftlichen Dosierungsplan bekommen, um Missverständnisse zu vermeiden. >>Eine Besonderheit ist die einmal wöchent liche Gabe von MTX in niedriger Dosis zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Wird MTX trotz fett gedruckter Warnhinweise in der Fachinformation versehentlich täglich gegeben, können massive Intoxikationen auftreten.
Dieser Tatbestand ist noch immer nicht ausreichend bekannt, sodass es regelmäßig zu Todesfällen kommt.
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Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
Viele Tabletten haben Bruchrillen, sodass die Tablette prinzipiell geteilt werden kann. Je nach Tablettenart und -größe funktioniert diese Teilung aber nur ungleichmäßig. Es können Dosisunter schiede von bis zu 50 % in den beiden Fragmenten auftreten. Außerdem kommt es beim Brechen von Tabletten regelmäßig zum Abbröseln kleiner Fragmente und damit zu einem Arzneistoffverlust. Manche Patienten und Ärzte argumentieren, dass sie Geld sparen würden, wenn sie Tabeltten teilen. Das ist aber Sparen am falschen Ende. >>Grundsäztlich ist von einem Zerbrechen von Tabletten wegen der Dosierungs ungenauigkeit abzuraten.
Besonders gefährlich ist dies bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite. Dazu gehören die T4-Tabletten zur Therapie der Hypothyreose. Deshalb gibt es für T4 eine so große Vielzahl von Dosierungsstärken in 12,5 μg-Abstufungen (7 Kap. 21).
1.4
Arzneimittelentwicklung und Pharmakotherapie-Leitlinien
Der Weg von einem Wirkstoff zum Arzneimittel ist langwierig und kostenintensiv. Es können 10–20 Jahre vergehen, ehe aus einem Wirkstoff ein Arzneimittel entsteht. Am Anfang der Arzneimittelentwicklung steht heute oft die Identifikation einer pharmakologischen Zielstruktur, die durch einen Wirkstoff in ihrer Funktion beeinflusst werden soll. Diese Zielstruktur sollte in einem Krankheitsprozess eine Schlüsselrolle spielen. In einigen Fällen erfolgte die Identifikation von Zielstrukturen durch Knockout-Tiermodelle. In diesen Tiermodellen (meist Maus) wird ein bestimmtes Gen inaktiviert. Dadurch kommt es zu spezifischen Krankheitsveränderungen, die Rückschlüsse auf die Bedeutung einer pharmakologischen Zielstruktur erlauben. Ist eine pharmakologische Zielstruktur identifiziert, werden im nächsten Schritt
Wirkstoffe entwickelt, die die Funktion der Zielstruktur beeinflussen. Die Entwicklung dieser Wirkstoffe ist Aufgabe der Medizinischen Chemie, einem Teilgebiet der Pharmazie. In aller Regel versucht man Wirkstoffe zu identifizieren, die mit hoher Selektivität und Potenz die Zielstruktur beeinflussen. Auf dem Weg zu Arzneistoffkandidaten ist die Analyse vieler Tausender Verbindungen erforderlich. Die Kristallisation pharmakologischer Zielstrukturen und der Einsatz von computergestützten Verfahren sind aus der Entwicklung neuer Arzneistoffe nicht mehr wegzudenken. Arzneistoffkandidaten werden in einer präklini schen Phase intensiv untersucht. In dieser Phase werden Versuche an Zellkultur- und Organmodellen sowie an Tiermodellen durchgeführt. Sind diese Untersuchungen erfolgreich verlaufen, beginnt die Phase der klinischen Prüfung. In der Phase 1 der klinischen Prüfung wird der neue Arzneistoff an gesunden Probanden in Bezug auf Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik getestet. In der Phase 2 wird der Arzneistoff erstmalig an Patienten hinsichtlich Pharmakokinetik und Wirksamkeit untersucht. In dieser Phase werden häufig Surrogatparameter (Ersatzgrößen) erhoben, die Vorhersagen auf die langfristige Wirksamkeit ermöglichen sollen. Die größte Hürde in der Arzneimittelentwicklung sind die Phase-3-Studien. In diesen Studien wird die Wirksamkeit des neuen Arzneistoffs an großen Patientenkollektiven mit einem validen Endpunkt untersucht. Entscheidend in Phase-3-Studien ist es, Kontrollgruppen mit Placebo sowie einer Standardtherapie mitzuführen, um einen therapeutischen Fortschritt zu erkennen. Zwar wird in Phase-3-Studien häufig eine Placebogruppe mitgeführt, aber nicht immer eine Standardtherapie. Dies ist ethisch sehr problematisch. Ebenso problematisch ist, dass in klinischen Studien häufig nur selek tionierte („geeignete“) Patientenkollektive untersucht werden, die nicht unbedingt der Zusammensetzung der eigentlichen Patientenpopulation entsprechen. Häufig werden
13 1.5 · Pharmakologische Zielstrukturen
in klinischen Studien multimorbide Patien ten nicht eingeschlossen. Bei erfolgreichem Verlauf der Phase- 3- Studien erfolgt die Zulassung des neuen Arzneistoffs als Arzneimittel für den Arzneimittelmarkt. Auch nach der Zulassung muss ein Arzneimittel weiter hinsichtlich Wirksamkeit und UAW beobachtet werden, denn die Therapiebedingungen in Klinik oder Praxis unterscheiden sich häufig von den kontrollierten Therapiebedingungen im Rahmen einer klinischen Studie. Es kommt immer wieder vor, dass ein neues Arzneimittel kurz nach der Zulassung neu bewertet oder sogar vom Markt zurückgezogen wird, weil die Wirksamkeit unter Real-World-Bedingungen nicht so überzeugend wie in den Studien ist oder neue UAW auftreten. Beispiele hierfür sind UAW und unzureichende Wirkung unter Faktor-Xa-Inhibitoren (7 Kap. 18) sowie das Post-Finasterid-Syndrom (7 Kap. 24). Daher ist der Arzt grundsätzlich gut beraten, zunächst auf altbewährte und preiswerte Arzneistoffe zurückzugreifen und teure „Innovationen“ kritisch zu beobachten.
>>Ein guter und erfahrener Arzt kommt in den meisten Fachrichtungen mit weniger als 20 bewährten Arzneistoffen aus. Dies geht aus den entsprechenden Kapiteln dieses Buches hervor.
Die wichtigste Ausnahme ist die Onkologie, in der extrem viele Spezialarzneistoffe eingesetzt werden. Diese werden dementsprechend im Rahmen dieses Buches nur exemplarisch behandelt (7 Kap. 31 und Arzneistoffliste). Nach der Zulassung eines Arzneimittels wird der praktische Einsatz der Arzneimittel bei Patienten unter Real-World-Bedingungen erprobt. Die tasächlichen Lebensbedingungen eines Patienten unterscheiden sich naturgemäß erheblich von den sehr gut kontrollierten Bedingungen klinischer Studien.
>> Im täglichen Leben gibt es viele Störfaktoren, die dazu führen können, dass ein Arzneistoff weniger gut wirkt als in klinischen Studien.
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Dazu gehören Unregelmäßigkeiten und Fehldosierungen der Tabletteneinnahme (7 Abschn. 1.3), interkurrente Erkrankungen (z. B. Diarrhoe), die die Resorption des Arzneistoffs reduzieren (7 Kap. 13), oder Arzneimittelinteraktionen mit anderen, auch rezeptfreien, Arzneimitteln oder Nahrungsmitteln (7 Kap. 2). Wisssenschaftliche Fachgesellschaften entwickeln dann Leitlinien zur Behandlung wichtiger Krankheiten. Das vorliegende Buch orientiert sich an solchen Leitlinien, gibt sie jedoch nicht als „Bibel“ wieder, um den Arzt dazu zu ermuntern, für jeden Patienten individuell die beste Pharmakotherapie zu verhandeln (einen „Deal“ machen).
>>Obwohl Leitlinien dem Arzt wertvolle Hinweise zur Pharmakotherapie geben, ist stets kritisch zu überprüfen, inwiefern die Autoren der Leitlinien auch Pharma industrie-Interessen vertreten, um bestimmte Arzneistoffe zu propagieren bzw. durch Festlegung strikterer Grenzwerte den Umsatz bestimmter Arzneistoffgruppen zu steigern.
Aktuelle Beispiele dafür sind die Versuche der Neudefinition der Hypertonie (7 Kap. 15) und der LDL-Cholesterin- Zielwerte (7 Kap. 22) und die Propagierung der Faktor-Xa-Inhibitoren gegenüber den VKA-Antagonisten bei thromboembolischen Erkrankungen (7 Kap. 18). Es gibt Pharmaindustrie-unabhängige Zeitschriften und Internetportale, die den Arzt bei seinen Therapieentscheidungen unterstützen.
1.5
Pharmakologische Zielstrukturen
Rezeptoren, Enzyme, Transporter und Ionenkanäle stellen die wichtigsten pharmakologischen Zielstrukturen (Targets) dar. Auch DNA (7 Kap. 31) und Zytokine (7 Kap. 11) können Zielstrukturen sein. Als Antitargets werden Zielstrukturen im Orga
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Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
nismus bezeichnet, die keinesfalls durch einen Arzneistoff beeinflusst werden sollten, weil dadurch gravierende UAW entstehen können. Ein klinisch wichtiges Beispiel sind HERG-Kanäle, deren Blockade durch Arzneistoffe zu lebensbedrohlichen Arrhythmien führen kann (7 Kap. 7 und 17). Appetitzügelnde 5-HT2BR-Agonisten können Herzklappenfehler induzieren. Deshalb wurden diese Arzneistoffe vom Arzneimittelmarkt zurückgezogen.
. Abb. 1.1 gibt einen Überblick über Rezeptoren als Zielstrukturen. Rezeptoren enthalten Bindungsstellen für Liganden, die prinzipiell nach dem Schloss-Schlüssel- Prinzip funktionieren. Sowohl Rezeptor als auch Ligand besitzen konformationelle Flexibilität, d. h. sie können sich aneinander anpassen. Insofern sollte man besser von einem Gummischloss-Gummischlüssel-Prinzip sprechen. Durch die Variabilität ihrer Form und die Möglichkeit der Ausbildung
Parameter
GPCR
Ligand-gesteuerte Ionenkanäle
TK-gekoppelte Rezeptoren
Nukleäre Rezeptoren
Lokalisation
Plasmamembran
Plasmamembran
Plasmamembran
Zytosol; nach Ligandbindung Translokation in den Zellkern
Zugänglichkeit für Arzneistoffe
Sehr gut, hydrophile und lipophile Arzneistoffe
Sehr gut, hydrophile und lipophile Arzneistoffe
Hydrophile Arzneistoffe (Antikörper) zur Rezeptorblockade; lipophile Arzneistoffe zur Blockade der TK-Domäne
Wirkstoffe müssen Plasmamembran penetrieren; daher müssen Arzneistoffe lipophil sein
Strukturmerkmale und Ligandbindungsstellen
Sieben Transmembrandomänen; orthosterische Ligandbindungsstelle für Agonisten und Antagonisten; allosterische Ligandbindungsstellen bislang nur in einem Fall (Cinacalcet) therapeutisch relevant
Oligomerisch mit zentraler Ionenpore; orthosterische Ligandbindungsstelle für Agonisten und Antagonisten; allosterische Ligandbindungsstellen bedeutsam, z. B. nAChR, GABAAR und NMDAR
Eine Transmembrandomäne, extrazelluläre Ligandbindung, intrazelluläre Kinasedomäne; Proteinliganden für extrazelluläre Domäne mit agonistischer Wirkung, Antikörper gegen Rezeptoren und Liganden; ATPBindungsstelle in TK-Domäne wichtig für Tumortherapie
Protein mit einer Ligandbindungsdomäne und einer DNA-Bindungsdomäne; Ligandbindungsstelle für Agonisten und Antagonisten; Rezeptorisoformen mit unterschiedlicher Gewebeverteilung und Ligandspezifität (wird z. B. bei Mammakarzinom und Osteoporose ausgenutzt)
Strukturschemata und Angriffspunkte für Arzneistoffe (Symbole in Abbildungen)
Allosterischer Modulator
Agonist Antagonist
Allosterische Modulatoren
Agonist Antagonist
Antikörper
Ligand-Bindung
Agonist
Rezeptor
Agonist Antagonist
Antikörper Kinase ATP ADP Inhibitor
DNA-Bindung P
Signaltransduktion
Aktivierung von G-Proteinen mit nachfolgender Aktivierung oder Hemmung von Effektoren
Direkte Öffnung eines Ionenkanals (Rezeptor und Effektor im selben Protein); führt zur Hyperpolarisation (Chloridkanal) oder Depolarisation (Natriumkanal)
Komplexe Protein-TyrosinPhosphorylierungskaskaden mit vielfältigen Verzweigungen
Veränderung der Gentranskription mit nachfolgender Veränderung der Proteinbiosynthese
Wirkungseintritt von Liganden
Innerhalb von Sekunden (schnell); gut geeignet für Notfälle
Innerhalb von Millisekunden (sehr schnell); gut geeignet für Notfälle
Innerhalb von Minuten bis Stunden (mittelschnell – langsam); eher Dauertherapie (Ausnahme Insulin bei Hyperglykämie)
Innerhalb von Stunden – Tagen (langsam); Dauertherapie
Beispiele für klinisch relevante Agonisten
5-HT1B/D R-Agonisten bei akuter Migräne; EPI beim anaphylaktischen Schock (hier sind α1AR und βxAR relevant)
Benzodiazepine (allosterische Liganden) zur Therapie von Status epilepticus und zur Narkoseeinleitung; nAChRAgonisten für Kurznarkosen
Insulinanaloga mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschafften zur Therapie des Typ-1-Diabetes; EPO-Analoga zur Behandlung der renalen Anämie
ER- und PR-Agonisten als Bestandteile von oralen Kontrazeptiva; GCR-Agonisten zur Therapie von Autoimmunerkrankungen; SERM zur Therapie der Osteoporose
Beispiele für klinisch relevante Antagonisten
β1AR-Antagonisten zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen; mGPCR-Antagonisten zur Behandlung der Schizophrenie
nAChR-Antagonisten bei operativen Eingriffen
TK-Inhibitoren zur Behandlung von Tumorerkrankungen
PR-Antagonisten zum Schwangerschaftsabbruch; MCR-Antagonisten bei CHF; SERM zur Behandlung des ER-positiven Mammakarzinoms
Mehr Information in Kapitel
Kap. 3, 5, 6, 15, 16,17, 20, 29, 34
Kap. 5, 25, 26, 30
Kap. 11, 12, 19, 32
.. Abb. 1.1 Rezeptoren als pharmakologische Zielstrukturen
Kap. 11, 16, 24, 32
15 1.5 · Pharmakologische Zielstrukturen
alternativer oder zusätzlicher Kontakte besitzen Rezeptoren die Fähigkeit, verschiedene Liganden zu binden, sodass die Entwicklung von Arzneistoffen mit unterschiedlichen Wirkprofilen möglich ist. Die meisten klinisch eingesetzten Arzneistoffe interagieren nicht-kovalent über Ionenpaarbindungen, Wasserstoffbrückenbindungen, van-der- Waals-Interaktionen und hydrophobe Wechselwirkungen mit ihrem Rezeptor. Dies bedeutet, dass Arzneistoffwirkungen reversibel sind. Einerseits wird dadurch die Wirkdauer limitiert, andererseits aber auch die Steuerbarkeit der Therapie verbessert und das Risiko von Vergiftungen bei Überdosierung verringert. Ein klinisch wichtiges Beispiel hierfür ist die Möglichkeit, die atemdepressive Wirkung von Morphin am MOR bei analgetischer Therapie oder Heroinintoxikation durch den MOR- Antagonisten Naloxon rasch aufzuheben (7 Kap. 4 und 10). Es gibt jedoch auch einige Fälle, in denen ein Arzneistoff kovalent und damit irreversibel mit seinem Rezeptor interagiert. Ein Beispiel hierfür ist der irreversible Antagonismus des P2Y12R durch Clopidogrel, das dadurch sehr effektiv und langanhaltend die Thrombozytenaggregation hemmt (7 Kap. 18). Ein Rezeptor besitzt die Aufgabe, die Selektivität der Interaktion mit endogenen Liganden sicherzustellen. Selektivität ist in diesem Zusammenhang ein relativer Begriff. Es gibt Rezeptoren mit sehr hoher Selektivität, d. h. nur ein endogener Ligand aktiviert den Rezeptor (Beispiele sind MxR, 5-HTxR und HxR (7 Kap. 5, 6 und 7)). Es gibt aber auch Rezeptoren, die mehrere Liganden haben. Beispiele hierfür sind αxAR und βxAR, die durch EPI, NE und DA aktiviert werden (7 Kap. 5 und 8). In vielen Fällen, z. B. in der Therapie des Asthma mit β2AR-Agonisten (7 Kap. 5 und 14) und des akuten Migräneanfalls mit 5-HT1B/DR-Agonisten (7 Kap. 6), ist man bestrebt, möglichst selektive Rezeptorliganden einzusetzen, aber in anderen Fällen, wie in der Therapie der Schizophrenie mit
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mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29), beruht der Therapieerfolg offenbar auf der Interaktion mit multiplen Rezeptoren. Eine weitere wichtige Funktion von Rezeptoren besteht darin, quantitative Beziehungen zwischen der Dosis/Konzentration eines Liganden und dem biologischen Effekt zu vermitteln (7 Abschn. 1.6). Durch Nutzung dieses quantitativen Zusammenhangs lässt sich die therapeutische Wirkung eines Arzneistoffs beim Patienten individuell einstellen. An Rezeptoren unterscheidet man Ago nisten von Antagonisten. Agonisten wirkend aktivierend, während Antagonisten die Wirkungen von Agonisten durch Konkurrenz um die Bindung an den Rezeptor entsprechend dem Massenwirkungsgesetz verhindern. In der Literatur und im Klinkjargon (siehe Arzneistoffliste) werden Agonisten oft unsystematisch mit Präfixen wie Pro_ und Suffixen wie _mimetika und _ergika bezeichnet. In etlichen Fällen (z. B. Opioidanalgetika, Triptane, Cannabinoide, Steroide, Retinoide) geht aus der traditionellen Arzneistoffgruppen-Bezeichnung überhaupt nicht hervor, dass es sich um Rezeptor- Agonisten handelt. Bei den Antagonisten zeigt sich eine noch größere Vielfalt verwirrender Silben wie Anti_, _hemmer, _blocker, _lytika und _statika. Aus manchen traditionellen Arzneistoffgruppen-Bezeichnungen (z. B. Setrone, Sartane, Sentane, Phenothiazine, Butyrophenone) geht nicht hervor, dass es sich um Rezeptor-Antagonisten handelt. All dies verschleiert die den Arzneistoffwirkungen zugrundeliegenden molekularen Wirkmechanismen (siehe Erläuterungen in der im Serviceteil enthaltenen NKLM/IMPP-Arzneistoffliste).
>>Um die Wirkmechanismen von an Rezeptoren angreifenden Arzneistoffen zu betonen, werden in diesem Buch ausschließlich die Begriffe Agonist und Antagonist verwendet. Dies ist mit der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste konform.
Dabei wird zunächst der Rezeptor als Akro nym bezeichnet, gefolgt vom Buchstaben
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
16
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„R“ für Rezeptor. Es folgt (zur besseren Kenntlichmachung mit einem Bindestrich) der Begriff Agonist oder Antagonist. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass man über alle Rezeptoren und Indikationsgebiete hinweg den Wirkmechanimsus des jeweiligen Arzneisstoffs erkennt. >>Das Wissen, ob ein gegebener Arzneistoff ein Rezeptor-Agonist oder Rezeptor- Antagonist ist, hat für die Arzneitherapiesicherheit unmittelbare Bedeutung.
GPCR (G-protein-coupled receptors) stellen mit über 800 Genen die größte Familie im menschlichen Genom dar. GPCR regulieren praktisch jede Körperfunktion und sind für Arzneistoffe gut zugänglich in der Plasmamembran lokalisiert. Bislang wird nur ein geringer Anteil der GPCR auch klinisch genutzt. GPCR bestehen aus sieben helikalen Transmembrandomänen, einer extrazellulären N-terminalen und einer intrazellulären C-terminalen Domäne sowie drei extrazellulären und drei intrazellulären Domänen. GPCR koppeln an G-Proteine, die wiederum verschiedene Effektoren wie Enzyme oder Ionenkanäle in ihrer Aktivität modulieren. Die GPCR-vermittelte Signaltransduktion erfolgt innerhalb von Sekunden. Daraus folgt, dass man in vielen Fällen durch GPCR-Liganden rasch pharmakologische Wirkungen erzielen kann. >>Die rasche Wirkung von GPCR-Liganden (sowohl Agonisten als auch Antagonisten) ist insbesondere für die Therapie von Notfallsituationen von Bedeutung.
Beispiele hierfür sind die Behandlung des anaphylaktischen Schocks mit EPI (Aktivierung von αxAR und βxAR) (7 Kap. 3 und 5), die Behandlung des Vernichtungsschmerzes bei MI mit dem MOR-Agonisten Morphin (7 Kap. 10 und 16) oder die Behandlung akuter Psychosen mit mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29). Eine wichtige Ausnahme von dieser Regel ist die Behandlung der KHK mit β1AR-Antagonisten (7 Kap. 16). In diesem Falle erfolgt die Verbessserung
der Sauerstoffversorgung des Herzens in Relation zur Herzarbeit NICHT ausreichend schnell, um einen schmerzlindernden Effekt beim Angina pectoris- Anfall zu erzielen. >>Die prophylaktische Wirkung der β1ARAntagonisten tritt erst innerhalb einiger Tage maximal ein, da komplexe Anpassungsvorgänge im Herz-Kreislauf-System erforderlich sind.
GPCR besitzen eine orthosterische Bindungsstelle für den endogenen Liganden sowie manchmal allosterische Bindungsstellen für Liganden, die die orthosterische Bindungsstelle funktionell beeinflussen. Derzeit spielen in der Therapie fast ausschließlich Liganden an der orthosterischen Bindungsstelle eine Rolle, die entweder aktivierend wirken (Agonisten) oder die Wirkungen von Agonisten verhindern, ohne eine Eigenwirkung zu haben (Antagonisten) (7 Abschn. 1.6). Eines der wenigen Beispiele für einen klinisch relevanten allosterischen GPCR-Modulator ist der CaSR-Modulator Cinacalcet (7 Kap. 12). . Abb. 1.2 zeigt die βxAR-Signal transduktion sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. βxAR werden durch die First Messengers EPI und NE aktiviert, koppeln an das G-Protein Gs und vermitteln darüber eine AC-Aktivierung. Die AC synthetisiert aus ATP den Second Messenger cAMP. Wichtigster cAMP- abhängiger Effektor ist die PKA. Sie phosphoryliert Zielproteine, die Zellfunktionen verändern: In Kardiomyozyten kommt es zu positiv chronotropen, dromotropen und inotropen Effekten, in glatten Muskelzellen der Atemwege zur Relaxation (7 Kap. 5). Die cAMP-Inaktivierung erfolgt durch PDE. EPI wird beim anaphylaktischen Schock eingesetzt (7 Kap. 3), der β2AR-Agonist Salbutamol beim Asthmaanfall (7 Kap. 5 und 14) und der β1AR-Antagonist Meto prolol bei Hypertonie, KHK und CHF (7 Kap. 15 und 16). Auf der Ebene der Gs-Proteine gibt es derzeit keine therapeutisch relevanten Ein
17 1.5 · Pharmakologische Zielstrukturen
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griffsmöglichkeiten. Das Choleratoxin von Agonisten (7 Kap. 8), β2AR-Agonisten Vibrio cholerae verursacht eine Gs- (7 Kap. 5 und 14) sowie MOR-Agonisten Daueraktivierung in den Darmepithelzellen (7 Kap. 10) auftreten. Im Falle einer Rezepund führt dadurch zur Cholera, die durch tordesensitisierung hilft demnach das Abmassive Durchfälle mit Wasser- und Elek setzen des Agonisten. In der Zeit zwischen trolytverlust charakterisiert ist. Die Chole- dem Absetzen des Agonisten und Rezeptorratherapie erfolgt mit Wasser- und Elektro- resensitisierung geht es dem Patienten jedoch lytsubstitution (7 Kap. 13). Die AC kann meist schlecht, sodass es erforderlich ist, ihn durch Forskolin aus den Wurzeln der indi- über diese Zeit mit anderen Therapiemaßschen Pflanze Coleus forskohlii aktiviert wer- nahmen zu begleiten. Beim Asthma bieten den. Forskolin wird derzeit vor allem als sich PDE-Inhibitoren oder GCR-Agonisten „natürliches“ Mittel zur Gewichtsreduktion als therapeutische Alternative zu β2ARbeworben. Pharmakotherapeutisch spielt Agonisten an. Bei Schmerzen kommen anForskolin keine Rolle, weil durch ubiquitäre stelle von MOR- Agonisten, Paracetamol, AC-Expression vielfältige UAW auftreten. Metamizol, COX- Inhibitoren, NE/5-HT- Es gibt auch eine Reihe von bakteriellen Verstärker, mGPCR-Antagonisten sowie AC-Toxinen wie CyaA von Bordetella per- CCB oder SCB in Frage. Bei einer Therapie tussis, dem Erreger des Keuchhustens, sowie mit GPCR-Antagonisten gibt es keine Deden Ödemfaktor von Bacillus anthracis, dem sensitisierung. Erreger des Milzbrandes, die Zellen mit >>Wegen der fehlenden Desensitisierung eigcAMP überfluten und dadurch Krankheitsnen sich GPCR-Antagonisten oft auch symptome hervorrufen. Im Gegensatz zu sehr gut für die Dauertherapie von G-Proteinen und AC sind PDE gut etabErkrankungen. GPCR-Antagonisten verlierte Zielstrukturen: PDE4 wird vor allem ursachen entgegen weitverbreiteter Meiin den Atemwegen exprimiert. PDE4- nung in Ärzte- und Laienkreisen keine Inhibitoren wie Roflumilast erhöhen daher Abhängigkeit oder Gewöhnung. in den Bronchien die cAMP-Konzentration und sind zur COPD-Therapie geeignet Ligand-gesteuerte Ionenkanäle sind ebenso (7 Kap. 14). Klinisch relevante Eingriffs- wie GPCR in der Plasmamembran lokalimöglichkeiten auf der Ebene der PKA gibt siert und für Arzneistoffe gut zugänglich (. Abb. 1.1). Ligand-gesteuerte Ionenkaes derzeit noch nicht. näle bestehen aus mehreren Untereinheiten. >>Ein wichtiges Problem in der Dauer Dadurch, dass Ligandbindungsstelle und anwendung von GPCR-Agonisten stellt Ionenkanal in einem Protein lokalisiert sind, die Desensitisierung dar. erfolgt die Signalweiterleitung innerhalb Unter Desensitisierung versteht man die von Millisekunden. Die Wirkungen von verringerte Wirkung von Agonisten nach Arzneistoffen werden sehr rasch vermittelt, wiederholter Gabe. Durch Dauerexposition was für die Notfallmedizin von großer Begegenüber einem Agonisten werden GPCR deutung ist. Ligand-gesteuerte Ionenkanäle am C-Terminus phosphoryliert und durch besitzen wie GPCR eine orthosterische BinBindung des Adapterproteins β-Arrestin dungsstelle für den endogenen Liganden von den G-Proteinen entkoppelt und inter- und allosterische Ligandbindungsstellen. nalisiert. Eine Resensitisierung erfolgt erst Allosterische Bindungsstellen spielen an Linach Absetzen des Agonisten. Dann werden gand-gesteuerten Ionenkanälen eine größere die Rezeptoren dephosphoryliert und wie- klinische Rolle als an GPCR. Ein sehr wichder an die Plasmamembran transloziert. De- tiges Beispiel hierfür ist die Benzodiazepinsensitisierung kann z. B. bei Dauertherapie bindungsstelle am GABAAR, der einen mit α1AR-Agonisten (7 Kap. 5), DxR- Chloridkanal beinhaltet. Durch Benzodia
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
18
Epinephrin Norepinephrin
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Bakterielle AC-Toxine
β1AR-Antagonisten Choleratoxin von Vibrio cholerae
βxAR-Agonisten
PDE-Inhibitoren
βxAR Gs
PDE
AC ATP
AMP
cAMP PKA Protein + ATP
P Protein + ADP
→ z. B. positive Inotropie, Chronotropie, Dromotropie (β1AR) → z. B. Bronchodilatation (β2AR)
.. Abb. 1.2 Pharmakologische Beeinflussung von GPCR-vermittelten Signaltransduktionskaskaden am Beispiel der βxAR
zepingabe kommt es innerhalb kürzester Zeit zu Hyperpolarisation, die sich in Sedation, Muskelrelaxation und antiepileptischer Wirkung manifestiert. Diese Benzo diazepinwirkungen werden in der Anästhesie (z. B. Narkoseeinleitung) und Notfallmedizin (z. B. Behandlung vom Status epilepticus) genutzt (7 Kap. 25 und 27). Im Vergleich zu GPCR und Ligand- gesteuerten Ionenkanälen erfolgt die Signaltransduktion über TK-gekoppelte Rezeptoren langsamer, d. h. im Bereich von Minuten bis Stunden, da erst mehrstufige verzweigte Proteinphosphorylierungskaskaden ablaufen müssen. TK-gekoppelte Rezeptoren enthalten eine einzelne Transmembrandomäne (. Abb. 1.1). In einigen Fällen bilden sie Dimere. Im extrazellulären Bereich befindet sich die Bindungsdomäne für den Liganden, der ein Protein ist. Die intrazelluläre TK schließt entweder unmittelbar als TK-Domäne an die Transmembrandomäne an oder koppelt als assoziierte TK nichtkovalent an den Rezeptor. Mutierte und dadurch konstitutiv aktivierte intrazelluläre TK (z. B. BCR
ABL) spielen vor allem bei Tumorwachstumsprozessen eine große Rolle (7 Kap. 31). TK-gekoppelte Rezeptoren können an beiden Domänen in ihrer Funktion moduliert werden. In einigen Fällen werden Agonisten an TK-gekoppelten Rezeptoren als Arzneistoffe eingesetzt. Das klinisch wichtigste Beispiel hierfür sind Insulinanaloga, deren physikochemische Eigenschaften so verändert sind, dass sie entweder rasch oder langsam vom Injektionsort resorbiert werden und entsprechend eine kurze oder lange Wirkdauer besitzen (7 Kap. 19). Grundsätzlich ist es schwierig, Antagonisten für TK-gekoppelte Rezeptoren zu entwickeln, weil die Interaktionsfläche zwischen dem Rezeptor und dem Liganden groß ist. Daher werden vor allem Antikörper gegen Agonisten und Rezeptoren eingesetzt. Außerdem besteht die Möglichkeit, die TK-Aktivität durch Arzneistoffe, die im katalytischen Zentrum die ATP-Bindungsstelle besetzen, zu hemmen. TK-Inhibitoren spielen vor allem in der Therapie von Tumorerkrankungen eine Rolle (7 Kap. 31).
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19 1.5 · Pharmakologische Zielstrukturen
Bei nukleären Rezeptoren verläuft die ignaltransduktion am langsamsten (. Abb. S 1.1). Nukleäre Rezeptoren bestehen aus einer Ligand- und einer DNA-Bindungsdomäne. Diese Rezeptoren sind im Zytosol lokalisiert und werden nach Ligandbindung in den Zellkern transloziert. Dort binden sie an spezifische DNA-Abschnitte und aktivieren oder hemmen Gentranskription. Daher dauert es Stunden bis Tage, ehe nach Ligandgabe eine pharmakologische Wirkung erzielt wird. Dementsprechend ist die Bedeutung von Arzneistoffen mit Angriff an nukleären Rezeptoren für Notfallsituationen gering. Auch für die Patientenaufklärung ist dieser Wirkmechanismus bedeutsam. Dem Patienten muss kommuniziert werden, dass eine Latenz zwischen dem Beginn der Arzneistoffeinnahme und dem Wirkungseintritt besteht, die nichts mit Wirkungslosigkeit zu tun hat und keineswegs zum Absetzen des Arzneistoffs führen darf. Klinisch wichtige Beispiele für nukleäre Rezeptoren sind TR (7 Kap. 21), GCR (7 Kap. 11), MCR (7 Kap. 15 und 16) und die Sexualhormonrezeptoren ER, PR und AR (7 Kap. 24). Für nukleäre Rezeptoren gibt es Agonisten und Antagonisten. Es gibt auch nukleäre Rezeptoren in der Leber, die relativ unspezifisch durch Fremdstoffe (Xenobiotika) aktiviert werden und zur Induktion Arzneistoff-abbauender CYP führen (7 Kap. 2).
>>Im Gegensatz zu GPCR-Agonisten zeigen Agonisten an nukleären Rezeptoren bei Dauertherapie keine Desensitierung. Deshalb eignen sich bestimmte Agonisten an nukleären Rezeptoren wie TR-Agonisten (7 Kap. 21) auch sehr gut für eine Langzeittherapie.
Während Rezeptoren durch Agonisten aktiviert werden und ihre Aktivierung durch Antagonisten verhindert wird, steht bei den Enzymen, Transportern und Ionenkanälen immer die Hemmung im Vordergrund. Die einzige Ausnahme in diesem Buch ist die Aktivierung von Natriumkanälen in parasi tären Krankeitserregern durch Permethrin
(7 Kap. 34). . Abb. 1.3 gibt einen Überblick über einige klinisch wichtige Enzyme, Transporter und Ionenkanäle als pharmakologische Zielstrukturen. Die meisten Arzneistoffe hemmen diese Zielstrukturen reversibel. In der Literatur und im Klinikjargon herrscht ein Durcheinander, was die Bezeichnung solcher hemmenden Arzneistoffe anbelangt (siehe NKLM/IMPP-Arzneistoffliste im Serviceteil). Die Suffixe _hemmer, _inhibitoren, _senker, _blocker und _statika werden ohne innere Logik verwendet. Aus etlichen Begriffen (z. B. Lokalanästhetika, Antiarrhythmika, Antiepileptika, Inkretinmimetika, Methylxanthine, Stimmungsstabilisatoren, Säureblocker, Diuretika, Digitalisglykoside) geht überhaupt nicht hervor, dass diese Arzneistoffe Enzyme, Transporter oder Ionenkanäle hemmen! Um eine praktikable Systematik in dieses Wirrwarr zu bringen und um eine Abgrenzung zu den an Rezeptoren angreifenden Arzneistoffen (Agonisten und Antagonisten) zu erzielen, werden in diesem Buch folgende Begriffe verwendet:
>>Bei Enzymen und Transportern wird konsequent von Inhibitoren gesprochen, bei Io nenkanälen von Blockern. Dies ist mit der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste konform. Arzneistoffe, die über die o. g. Mechanismen wirken, machen bei Langzeittherapie keine Gewöhnung oder Abhängigkeit. Dies ist von großer klinischer Bedeutung!
Es gibt auch einige klinisch relevante irreversi ble Enzym- und Transporter-Inhibitoren. Das wichtigste Beispiel ist die COX-1-Acetylierung in Thrombozyten durch ASS. Mit niedrig dosierter ASS (ca. 100 mg/Tag) lässt sich sehr effektiv die TXA2-Synthese und damit Thrombozytenaggregation hemmen (7 Kap. 16 und 18). Die irreversible Hemmung der Protonenpumpe in Parietalzellen des Magens führt zu einer effektiven Hemmung der Protonensekretion und wird in der GERD- und PUD-Therapie genutzt (7 Kap. 7 und 13). Die irreversible Hemmung von MAO-A und
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
20
1
ZielstrukturGruppe (Symbole in Abbildungen)
Spezifische Zielstruktur
Arzneistoff
Enzyme
AChE
Transporter
Ionenkanäle
Arzneistoffwirkung
Indikation
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Pyridostigmin Reversible Hemmung
Myasthenia gravis
5
COX
Ibuprofen
Reversible Hemmung
Schmerzen, Entzündungen, Fieber
10, 11
COX-1
ASS (low dose)
Irreversible Hemmung
Hemmung der Thrombozytenaggregation bei KHK
18
HMG-CoAReduktase
Simvastatin
Reversible Hemmung
Hypercholesterinämie
22
MAO
Tranylcypromin
Irreversible Hemmung
Schwere, therapierefraktäre Depression
6, 28
5-HT-Transporter
Sertralin
Reversible Hemmung
Depression
6, 28
H+/K+-ATPase (PP)
Pantoprazol
Irreversible Hemmung
PUD, GERD
7, 13
Kaliumkanäle (PCB)
Glibenclamid
Reversible Blockade
Typ-2-Diabetes
19
Natriumkanäle (SCB)
Lidocain
Reversible Blockade
Lokalanästhesie
26
Calciumkanäle (L-Typ) (CCB)
Amlodipin
Reversible Blockade
Hypertonie
15
Wenn durch Enzymhemmung UAW vorgerufen werden, sind Enzyme in den Abbildungen rot unterlegt. .. Abb. 1.3 Beispiele von Enzymen, Transportern und Ionenkanälen als pharmakologische Zielstrukturen
MAO-B durch Tranylcypromin ist in der Therapie schwerer Depressionen bedeutsam (7 Kap. 5, 6 und 28).
chen Enzyms kommt. Anderenfalls wären Trimethoprim (7 Kap. 32) und P roguanil (7 Kap. 34) ebenso toxisch wie MTX (7 Kap. 31)!
>>Die DHFR ist ein Beispiel für ein Enzym, das nicht nur im menschlichen Organismus vorkommt, sondern auch in pathogenen Bakterien, Pilzen und Protozoen.
Die Hemmung der DHFR durch DHFR- Inhibitoren in diesen Krankheitserregern (7 Kap. 32 und 34) stellt ein wichtiges pharmakotherapeutisches Prinzip dar. Strukturell unterscheidet sich die DHFR von Krankeitserregern sehr deutlich von der menschlichen DHFR, so dass es zu keiner klinisch relevanten Inhibition des menschli
1.6
Konzentrations-WirkungsBeziehungen
Konzentrations-Wirkungs-Kurven bzw. Dosis-Wirkungs-Kurven werden im halb logarithmischen Maßstab aufgezeichnet (. Abb. 1.4). Die Konzentration/Dosis des Arzneistoffs wird auf der x-Achse im logarithmischen Maßstab aufgetragen und die pharmakologische Wirkung des Arzneistoffs auf der y-Achse im linearen Maßstab.
1
21 1.6 · Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen
1
Pharmakologische Wirkung
100 %
Voller Agonist
2
b 100 %
100 %
70 %
Partielle Agonisten
50 %
30 % 3 0%
Antagonist EC50
Pharmakologische Wirkung
a
1 2 50 %
0%
IC50
EC50 EC50
log Konzentration Ligand
Potenz:
IC50
log Konzentration Antagonist
3 > 1 > 2
Potenz:
2 > 1
.. Abb. 1.4 a, b Konzentrations-Wirkungs-Kurven für Agonisten und Antagonisten an Rezeptoren. a Vergleich von vollen Agonisten, partiellen Agonisten
und Antagonisten. b Wirkungen von Antagonisten in Gegenwart eines Agonisten. Siehe auch . Abb. 10.2, 25.2 und 29.2
Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man einen großen Bereich von Konzentrationen/ Dosen abbilden kann. Aus solchen Kurven lässt sich der Wendepunkt (Konzentration/ Dosis, bei der der Arzneistoff seine halbmaximale Wirkung erreicht) und das Plateau (maximale Wirkung des Arzneistoffs) gut ablesen, und man kann verschiedene Arzneistoffe übersichtlich miteinander vergleichen. Konzentrations-Wirkungs-Bezie hungen werden erhoben, wenn man die Konzentration eines Arzneistoffs in Lösung genau bestimmen kann, z. B. an Versuchen mit rekombinanten Proteinen, kultivierten Zellen oder isolierten Organen. Betrachtet man hingegen die Wirkung eines Arzneistoffs am Organismus, so erhebt man Dosis- Wirkungs-Beziehungen, wobei man sich auf die applizierte Arzneistoffdosis bezieht. Agonisten binden an einen Rezeptor und stabilisieren eine aktive Konformation, die die Signalweiterleitung (G-Proteinaktivierung, Ionenkanalöffnung, TK-Aktivierung, Gentranskription) ermöglicht. Endogene Agonisten an einem Rezeptor sind mit ganz wenigen Ausnahmen volle Agonisten, d. h. sie aktivieren ein gegebenes System maximal. Dies ist für die Kalibrierung bedeutsam, denn die maximale Wirkung des endogenen Agonisten, die als intrinsische Aktivität be-
zeichnet wird, wird mit 100 % gleichgesetzt. Die Regulation von Rezeptoren im Organismus erfolgt über die Konzentration des endogenen Agonisten. Daraus folgt, dass die Mechanismen bedeutsam sind, die die Freisetzung bzw. Inaktivierung des endogenen Agonisten regulieren (7 Kap. 5, 6, 7 und 9). Antagonisten binden ebenfalls an den Rezeptor, stabilisieren aber keine aktive Konformation. Antagonisten besitzen eine intrinsische Aktivität von 0 %, d. h. in Abwesenheit eines Agonisten hat ein Antagonist keine Eigenwirkung. Partielle Agonis ten besitzen eine geringere Fähigkeit als volle Agonisten, einen aktiven Rezeptorzustand zu stabilisieren. Die intrinsische Aktivität eines partiellen Agonisten ist 0 %. In . Abb. 1.4a hat Arzneistoff 1 die größte intrinsische Aktivität (voller Agonist), gefolgt von Arzneistoff 2 und Arznei stoff 3 (partielle Agonisten). Ein Antagonist besitzt keine intrinsische Aktivität. Zahlreiche klinisch eingesetzte Arzneistoffe sind partielle Agonisten. Dazu gehören der β2AR- Agonist Salbutamol (Therapie des Asthma-Anfalls, 7 Kap. 5 und 14), der MOR-Agonist Buprenorphin (Behandlung mittelschwerer Schmerzen, 7 Kap. 10), der DxR-Agonist Pramipexol (Behandlung des fortgeschrittenen M. Parkinson, 7 Kap. 9)
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
22
1
und der CB1R-Agonist Dronabinol, der zur Therapie von Übelkeit und Erbrechen (7 Kap. 6), von Muskelspasmen bei multipler Sklerose und bei Tumorschmerzen eingesetzt wird (7 Kap. 10). Der Wendepunkt der in . Abb. 1.4a dargestellten Kurven entspricht den Konzentrationen/Dosen, bei denen die Arzneistoffe ihre halbmaximale Wirkung besitzen. Im Falle von Konzentrationen spricht man von EC50-Werten, im Falle von Dosen von ED50- Werten. Zusätzlich zu den Begriffen EC50/ ED50 wird häufig auch der Begriff der Potenz benutzt, insbesondere, wenn verschiedene Arzneistoffe miteinander verglichen werden. Arzneistoff 3 besitzt den niedrigsten EC50- Wert, gefolgt von Arzneistoff 1 und dann Arzneistoff 2. Arzneistoff 3 ist also potenter als Arzneistoff 1, der wiederum potenter als Arzneistoff 2 ist. Die hier dargestellten Konzentrations-Wirkungs-Kurven zeigen, dass die Parameter intrinsische Aktivität und Potenz nicht parallel laufen müssen: Arzneistoff 3 besitzt zwar die geringste intrinsische Aktivität, aber die höchste Potenz. Für einen exakten Vergleich verschiedener Arzneistoffe ist es erforderlich, vollständige Konzentrations-Wirkungs-Kurven aufzunehmen. Bei Dosisvergleichen verschiedener Arzneistoffe muss man wissen, ob man sich im Bereich einer sättigenden Wirkung befindet oder nicht. Leider werden diese wichtigen Voraussetzungen zum Vergleich von Arzneistoffen in klinischen Studien nicht immer eingehalten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen, insbesondere, wenn wertende Aussagen über die „größere Wirksamkeit“ eines Arzneistoffs im Vergleich zu anderen Arzneistoffen gemacht werden. Bei dem Begriff „größere Wirksamkeit“ bleibt unklar, ob er sich auf Potenz oder intrinsische Aktivität bezieht.
>>Die Pharmakologie lebt von Dosis/ Konzentrations-Wirkungskurven. Pharmakologie, die nur mit einzelnen Dosen/ Konzentrationen eines Arzneistoffs operiert, ist nicht aussagekräftig.
Viele Patienten nehmen fälschlicherweise an, dass besonders große Tabletten/Kapseln eines Arzneimittels besonders wirksam seien und kleine Tabletten/Kapseln weniger wirksam. Es ist eine wichtige Aufgabe des Arztes, dem Patienten zu erklären, dass man aus der Größe einer Tablette/einer Kapsel keine Rückschlüsse auf die therapeutische Wirkung ziehen kann. Wie bereits oben dargestellt, besitzt ein Antagonist allein keine Eigenwirkung, jedoch werden Antagonisten mit Erfolg bei verschiedenen Erkrankungen wie Hypertonie (β1ARAntagonisten, 7 Kap. 15), CHF (MCR- Antagonisten, 7 Kap. 16) oder Schizophrenie (mGPCR-Antagonisten, 7 Kap. 29) eingesetzt. Die klinische Wirkung von Antagonisten beruht darauf, dass sie die Wirkung des endogenen Agonisten verhindern. Konzentrations-Wirkungs-Kurven für Antagonisten werden ebenfalls im halblogarithmischen Maßstab dargestellt (. Abb. 1.4b). Der Unterschied zu den Konzentrations- Wirkungs-Kurven für Agonisten besteht darin, dass das biologische System zunächst durch den endogenen Agonisten aktiviert sein muss, ehe man einen Antagonisteffekt sieht. Antagonisten hemmen die Agonistwirkung entsprechend einer sig moidalen Konzentrations-Wirkungs-Kurve. Der Wendepunkt der Kurve entspricht dem IC50-Wert bzw. ID50-Wert, bei der der Antagonist seine halbmaximale Hemmwirkung besitzt. Bei entsprechend hoher Dosierung des Antagonisten kann die Wirkung des endogenen Agonisten vollständig aufgehoben werden. Die IC50-Werte von Antagonisten können ebenfalls miteinander verglichen werden. Der IC50-Wert des Antagonisten 2 ist niedriger als der des Antagonisten 1, somit ist Antagonist 2 potenter als Antagonist 1, aber hinsichtlich der maximal möglichen Wirkung am Rezeptor (vollständige Aufhebung der Agonistwirkung) unterscheiden sie sich nicht. Prinzipiell können die Betrachtungen für Rezeptor-Antagonisten in . Abb. 1.4b auf Enzym-Inhibitoren übertragen werden. Bei ir
23 1.7 · Therapeutische Breite
reversibel wirkenden Rezeptor-Antagonisten bzw. Enzym-Inhibitoren lässt sich die Wirkung des Arzneistoffs nicht mehr durch Erhöhung der Agonist- bzw. Substratkonzentration aufheben. Man muss warten, bis der irreversibel modifizierte Rezeptor/das irreversibel modifizierte Enzym durch de-novo- Synthese ersetzt ist. Daraus ergibt sich eine lange Wirkdauer irreversibler Rezeptor antagonisten und Enzym- Inhibitoren (7 Kap. 6, 13, 16, 18 und 28).
1.7
Therapeutische Breite
Ziel der Medizin allgemein und speziell der Pharmakologie ist es, Erkrankungen zu heilen oder zu lindern, ohne dem Patienten Schaden zuzufügen. Die therapeutische Breite ist ein Maß für die Sicherheit eines Arzneistoffs. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen (z. B. malignen Tumorerkrankungen, 7 Kap. 31) muss man eine geringere therapeutische Breite in Kauf nehmen als bei nicht-lebensbedrohlichen Erkrankungen (z. B. Rhinitis, 7 Kap. 5; Migräneanfall, 7 Kap. 6). Um die therapeutische Breite eines Arzneistoffs zu bestimmen, erhebt man Dosis-Wirkungs-Kurven für eine erwünschte Wirkung und eine toxische Wirkung (unerwünschte Arzneimittelwirkung, UAW). Solche Vergleiche sollten nur in Tierversuchen durchgeführt werden, um toxische Wirkungen beim Menschen zu vermeiden. Über den β2AR vermittelt der endogene Ligand EPI eine Relaxation glatter Muskelzellen (. Abb. 1.2). Da EPI ein voller β2ARAgonist ist, ließe sich das Hormon prinzipiell sehr gut zur Behandlung eines Asthma-Anfalls einsetzten. Das Problem dabei ist jedoch, dass EPI β2AR und β1AR mit gleicher Potenz aktiviert (. Abb. 1.5a). Über den β1AR wird Tachykardie vermittelt, die bei Patienten mit KHK zu Angina pectoris, Arrhythmien und MI führen kann. Die therapeutische Breite wird über den the rapeutischen Index quantifiziert. Dieser Index ist der Quotient TD50/ED50, wobei TD50
1
die Dosis bezeichnet, bei der 50 % des maximal möglichen toxischen Effektes erzielt wird (im Falle von EPI die über den β1AR vermittelte Tachykardie). Die ED50 bezeichnet die Dosis, bei der 50 % des erwünschten (therapeutischen) Effektes (Bronchodilatation über den β2AR) vermittelt werden. Da der therapeutische Index von EPI für die Anwendung beim Asthma bei 1 liegt, wird es für diese Indikation nicht angewendet. Ziel der Arzneistoffentwicklung zur Behandlung des Asthmas ist es, Arzneistoffe zu finden, die den β2AR mit höherer Potenz als den β1AR aktivieren. Durch chemische Modifikation von EPI gelangte man zu Salbutamol. Dieser Arzneistoff aktiviert den β2AR mit ca. 10-mal höherer Potenz als den β1AR (. Abb. 1.5b). Damit beträgt der therapeutische Index für Salbutamol 10. Allerdings ist der Preis für die Erhöhung des therapeutischen Indexes, dass Salbutamol als partieller β2AR-Agonist bei schwerem Asthma nur unzureichend wirkt. Dies bedeutet, dass man mit Salbutamol bei leichtem oder mittelschwerem Asthma eine gute Bronchodilatation ohne Tachykardie erzielen kann. Durch Überdosierung induzierte UAW können auftreten, wenn der Patient starkes Asthma hat, für das die intrinsische Aktivität von Salbutamol zu gering ist, und wenn der Patient in Unkenntnis dieser Tatsache zu viel von dem Arzneistoff inhaliert. Dadurch wird nicht die maximale antiasthmatische Wirkung größer, sondern es kommt zur verstärkten Aktivierung des kardialen β1AR. Tachykardien unter Salbutamol können auch auftreten, wenn der Patient bei der Anwendung des Sprays nicht in Rechnung stellt, dass der Arzneistoff erst die Bronchialschleimhaut durchdringen muss und eine Latenz von einigen Minuten bis zum Wirkungseintritt besteht, und daher eine zu große Arzneistoffdosis zuführt. Wenn der therapeutische Index sehr groß ist, kann erwogen werden, das Arzneimittel mit dem entsprechenden Arzneistoff aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Ein Bei
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
24
spiel für einen Arzneistoff mit solch großer therapeutischer Breite ist der H2R-Antagonist Ranitidin, der zur Selbsttherapie von GERD und PUD eingesetzt wird (7 Kap. 7). Ranitidin antagonisiert den H1R, über dessen Blockade es zur Sedation kommen kann, nur in klinisch nicht erreichbaren Dosen.
>>Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig sind, grundsätzlich eine große therapeutische Breite besitzen. Dies trifft z. B. auf Arzneimittel, die Paracetamol (7 Kap. 10) oder H1R-Antagonisten der 1. Generation (7 Kap. 7) enthalten, nicht zu.
Auch an βxAR-Antagonisten lässt sich das Konzept der therapeutischen Breite erläutern. Durch β1AR-Antagonismus werden gute the-
rapeutische Wirkungen bei Hypertonie, KHK und CHF erzielt (7 Kap. 15 und 16). Propranolol antagonisiert mit gleicher Potenz den β1AR und den β2AR (. Abb. 1.5c). Über β2AR-Antagonismus werden jedoch UAW wie kalte Akren, Risiko von unerkannten Hypoglykämien bei insulinpflichtigen Patienten mit Diabetes sowie Risiko von Asthmaanfällen vermittelt. Daher ist Propranolol für die Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen obsolet geworden. Durch chemische Modifikation von Propranolol gelangte man zu Metoprolol, welches den β1AR mit ca. 10-mal höherer Potenz antagonisiert als den β2AR (. Abb. 1.5d). Metoprolol besitzt ein geringeres Risiko als Propranolol bezüglich der im Vorhergehenden genannten und über β2AR- Antagonismus vermittelten UAW. Aber auch bei Anwendung von Metoprolol ist Vorsicht
β1AR (Tachykardie, Unruhe, Blutdruckanstieg)
Pharmakologische Wirkung
100 %
β2AR (Bronchodilatation)
50 % Therapeutischer Index
TD50
TD50
ED50
ED50
0% a
100 % β2AR
100 % 100 %
β1AR
50 % 50 %
Therapeutischer Index
50 % ED50 TD50 0%
b
= 1,0
log Dosis Epinephrin
Pharmakologische Wirkung
1
TD50 ED50
= 10
log Dosis Salbutamol
.. Abb. 1.5 a–d Therapeutische Breite als Maß für die Sicherheit eines Arzneistoffs. a, b Vergleich von Epinephrin und Salbutamol hinsichtlich ihrer agonistischen Wirkung am β1AR und am β2AR. c, d Ver-
gleich von Propranolol und Metoprolol hinsichtlich ihrer antagonistischen Wirkung am β1AR und β2AR. Siehe auch . Abb. 10.2
1
25 1.7 · Therapeutische Breite
+ Epinephrin β1AR
Pharmakologische Wirkung
100 %
β2AR 50 % Therapeutischer Index
ID50
TD50
TD50
ID50
0% c
= 1,0
log Dosis Propranolol + Epinephrin Pharmakologische Wirkung
100 %
β1AR erwünscht: negativ inotrop, dromotrop, chronotrop β2AR toxisch: erhöhtes Asthmaanfallrisiko, Maskierung von Hypoglykämie, Vasokonstriktion
50 % Therapeutischer Index
ID50
TD50
TD50
ID50
0% d
= 10
log Dosis Metoprolol
.. Abb. 1.5 (Fortsetzung)
geboten. Man sollte eine Therapie mit Metoprolol stets einschleichend beginnen, um unerwünschten β2AR-Antagonismus zu vermeiden. Die hier diskutierten Beispiele für die therapeutische Breite von Agonisten und Antagonisten zeigen, dass auch für diesen Parameter die vollständige Erhebung von Dosis-Wirkungs-Kurven erforderlich ist. Ein Vergleich von Arzneistoffen in einer einzigen Dosis ohne genaue Kenntnis darüber, an welchem Punkt der Dosis- Wirkungs- Kurven man sich befindet, ist irreführend.
Dazu gehören die COX-Inhibitoren (7 Kap. 10), AT1R-Antagonisten (7 Kap. 15 und 16), CCB vom Dihydropyridin-Typ (7 Kap. 15), β2AR-Agonisten (7 Kap. 5 und 14), H1R- Antagonisten der 2. Generation (7 Kap. 7), β1AR-Antagonisten (7 Kap. 15 und 16) und α1AR-Agonisten (7 Kap. 5).
>>Nur wenige Arzneistoffgruppen haben eine große therapeutischer Breite.
>>Sehr viele Arzneistoffgruppen besitzen eine nur geringe therapeutische Breite.
Prototypische Arzneistoff-Gruppen mit großer therapeutischer Breite sind die M3R-Antagonisten (7 Kap. 5 und 14), 5-HT1B/DR-Agonisten (7 Kap. 6), H2R-
Prototypische Arzneistoff-Gruppen mit geringer therapeutischer Breite sind alle klassischen Zytostatika (7 Kap. 31), NKA- Inhibitoren (7 Kap. 16 und 17), VKA
Antagonisten (7 Kap. 7) und bestimmte antibakteriell wirkende Arzneistoffe wie die Penicilline (7 Kap. 32).
>>Etliche Arzneistoffgruppen besitzen eine mittelgroße therapeutische Breite.
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
26
1
weiter: Zahlreiche im Immunsystem angreifende Arzneistoffe wie 5-Aminosalicylsäure, Dimethylfumarat, Glatirameracetat, Hydro xychloroquin und Sulfasalazin können mit Erfolg zur Therapie verschiedener Auto immunerkrankungen eingesetzt werden (7 Kap. 11 und 13). Zahlreiche (pleiotrope) Wirkungen dieser Arzneistoffe auf das Immunsystem sind beschrieben worden, aber der genaue Wirkmechanismus dieser Arznei1.8 Arzneistoffe mit unbekanntem stoffe bleibt trotz intensiver Forschung bislang ungeklärt. Wirkmechanismus Eine ähnliche Situation wie bei vielen im Immunsystem angreifenden ArzneistofIn den vorhergehenden Abschnitten wurden fen ergibt sich bei zahlreichen im ZNS andie wichtigsten Zielstrukturen für Arzneistoffe greifenden Arzneistoffen. Der molekulare dargestellt. Es gibt jedoch eine Reihe klinisch Wirkmechanismus der zur Inhalationsnarwichtiger Arzneistoffe, für die der genaue kose eingesetzten Arzneistoffe Stickoxydul, Wirkmechanismus unbekannt ist. Zu diesen Desfluran und Sevofluran ist unbekannt Arzneistoffen gehören das in der Therapie des Kap. 27). In Bezug auf die D R-mGPCR- (7 Typ-2-Diabetes eingesetzte Biguanid Metfor 2 min (7 Kap. 19), das schwach analgetisch Antagonisten (Prototyp Haloperidol) wird wirkende p-Aminophenol Paracetamol angenommen, dass der D2R-Antagonismus (7 Kap. 10) und das stärker analgetisch und eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung zusätzlich auf glatte Muskelzellen relaxierend der antipsychotischen Wirkungen spielt wirkende Pyrazolon Metamizol (7 Kap. 10). (7 Kap. 29). Bei den p-mGPCR-Antago Auch der Mechanismus des in diesem Buch nisten wird der 5-HT2AR-Antagonismus als als schwacher partieller MOR-Agonist klas- zentral für die antipsychotische Wirkung sifizierten Cyclohexanol-Derivates Tramadol dargestellt (7 Kap. 29). Aber letztlich wis(7 Kap. 10) ist letztlich nicht geklärt. Das sen wir nicht genau, welcher GPCR-AntaAlkali-Ion Lithium verhält sich im Körper gonismus bei der Vermittlung der Wirkunähnlich wie Natrium (7 Kap. 28). Aber der gen dieser Arzneistoffe am wichtigsten ist. genaue Mechanismus, über den Lithium Ähnliche Unsicherheiten bei dem Verständseine stimmungsstabilisierende und Suizid- nis des Wirkmechanismus ergeben sich bei präventive Wirkung bei der bipolaren Stö- den bei zahlreichen neuropsychiatrischen rung entfaltet, ist unbekannt. In der NKLM/ Erkrankungen eingesetzten SCB (Prototyp IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil) gibt Lamotrigin) und CCB (Prototyp Pregaba es ein eigenes System „unbekannt“ für einige lin) (7 Kap. 25, 28 und 29). Letztlich versteArzneistoffe, deren Wirkmechanismus unklar hen wir auch nicht genau, warum NSMRI (Prototyp Amitriptylin), SSRI (Prototyp ist. Citalopram) und SSNRI (Prototyp Venlafa Wir verstehen auch nicht genau, über xin) bei so vielen neuropsychiatrischen Erwelchen Mechanismus die NCC-Inhibito krankungen wirksam sind (7 Kap. 25, 28 ren (Prototyp Hydrochlorothiazid) und und 29). NKCC-Inhibitoren (Prototyp Furosemid) glatte Gefäßmuskeln relaxieren und damit >>Der Wirkmechanismus etlicher wichtiger den TPW und letztlich den BD senken und wirksamer Arzneistoffe ist unbe(7 Kap. 15). kannt. Paradebeispiele für unser mangelnDie Unsicherheiten hinsichtlich des Wirkdes mechanistisches Wissen sind Lithium, mechanismus von Arzneistoffen gehen noch Paracetamol, Metamizol und Tramadol.
und Faktor-Xa- sowie Thrombin-Inhibitoren (7 Kap. 18), mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29), Barbiturate (7 Kap. 25 und 27), TR-Agonisten (7 Kap. 21), p-Aminophenole (Paracetamol, 7 Kap. 10) Alkali-Ionen (Lithium, 7 Kap. 28) und bestimmte antibakteriell wirkende Arzneistoffe wie die Aminoglykoside (7 Kap. 32).
27 1.9 · Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen?
1.9
ie erkenne ich W Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen?
In diesem Buch werden gut 300 Arzneistoffe besprochen. In der Apotheke eines Universitätsklinikums sind ca. 1.500 Arzneistoffe in 7.500 Arzneimitteln vorrätig. In Deutschland sind mehr als 100.000 (!) Arzneimittel verkehrsfähig. Diese unübersichtliche Situation stellt für Ärzte, Apotheker und natürlich Patienten eine riesige Herausforderung dar. Hier gibt es eine sehr wichtige Hilfestellung, die aber noch immer nicht ausreichend bekannt und genutzt wird: >>In vielen Fällen kann man die Arzneistoffgruppe (und damit den Wirkmechanismus oder die chemische Gruppe) an einer spezifischen Arzneistoffnamensilbe erkennen.
In den meisten Fällen handelt es sich um eine Wortendung (Suffix), in einigen Fällen auch um einen Wortanfang (Präfix) oder Mittelsilben. . Tab. 1.2 fasst Erkennungssilben von wichtigen Arzneistoffgruppen zusammen. Die sichere Erkennung dieser Silben erleichtert das Zuordnen der Wirkmechanismen, Indikationen und UAW von Arzneistoffgruppen. Es wird dadurch auch möglich, die (meist unbeabsichtigte) Verschreibung von ähnlichen Arzneistoffen aus derselben Gruppe (Me-too-Arzneistoffe) zu erkennen. Die Arzneistoffsilben erleichtern es auch, dem Patienten Umstellungen von einem Arzneistoff zu einem anderen Arzneistoff derselben Arzneistoffgruppe (Substitu tion) zu erklären.
>>Die Kenntnis von Arzneistoffsilben ermöglicht es dem Arzt, sich unabhängig von Werbung der Pharmaindustrie zu machen.
In einigen Fällen haben gut aussprechbare Endsilben von Arzneistoffgruppen-Bezeichnungen im Klinikjargon Eingang gefunden. So werden 5-HT1B/DR-Agonisten als „Trip tane“ bezeichnet; 5-HT3R-Antagonisten als
1
„Setrone“. Diese gängige Praxis hat jedoch den großen Nachteil, dass in den Jargon-Begriffen der Wirkmechanismus nicht mehr abgebildet ist und daher die Erkennung von Indikationen und UAW erschwert wird. Außerdem kommt es häufiger vor, dass „Triptane“ mit „Setronen“ oder „Sentanen“ verwechselt werden. Die Benutzung von Jargon-Begriffen ist auch deshalb problematisch, weil sie nicht für jede Arzneistoffgruppe existieren, sondern nur für solche, bei denen es sich aus sprachlichen Gründen anbietet. Dies kann zu einer für den Arzt unbewussten (und den Erfinder der Jargon-Begriffe durchaus beabsichtigten) Bevorzugung der Verschreibung bestimmeter Arzneistoffgruppen führen. In aller Regel sind Erkennungssilben am Anfang und Ende eines Arzneistoffs sehr viel prägnanter als Erkennungssilben in der Mitte des Wortes. Manchmal sind nur zwei Buchstaben ein Erkennungsmerkmal. Dann wird die Zuordnung eines Arzneistoffs zu seiner Arzneistoffgruppe zum Suchspiel (Beispiele Dabigatran, Diclofenac). >> Einige problematische, aber mit griffigem und flüssig auszusprechendem Klinik jargon belegte Arzneistoffgruppen sind die „Coxibe“, „Xabane“ und „Glitazone“. Das UAW-Potential wird unbewusst durch die „gefälligen“ Klinikjargon- Begriffe unterschätzt. Zahlreiche Arzneistoffe besitzen die Endung _mycin. Diese Endung besagt jedoch nur, dass es sich dabei um einen aus Mikroorganismen isolierten Arzneistoff oder einen davon abgeleiteten Arzneistoff handelt.
Eine Arzneistoffgruppenzuordnung ist leider nicht möglich. Bleomycin ist ein klassisches Zytostatikum, aber Daptomycin und Clarithromycin sind antibakterielle Arzneistoffe aus unterschiedlichen Arzneistoffgruppen. Bei manchen wichtigen Arzneistoffgruppen gibt es leider keine einheitlichen Erkennungssilben. Dies hat damit zu tun, dass diese Arzneistoffe zu einer Zeit entwickelt
Erkennungssilbe (Kommentare)
_zolin
_onidin
_osin
_pril (Prilate)
_sartan (Sartane), Verwechslungsmöglichkeit mit „Setronen“
_olol
_dronat
_zolamid
_dipin
Cef_
_capon
_profen; _ac; keine sehr prominenten Erkennungssilben, die zudem unterschiedlich voneinander sind
α1AR-Agonisten
α2AR-Agonisten
α1AR-Antagonisten
ACE-Inhibitoren
AT1R-Antagonisten
β1- und βxARAntagonisten
Bisphosphonate
CAH-Inhibitoren
CCB (Dihydropyridintyp)
Cephalosporine
COMT-Inhibitoren
COX-Inhibitoren
Ibuprofen, Diclofenac; Achtung: Auf unterschiedliche Endungen achten! Bestimmte Arzneistoffe wie Indomethacin und ASS werden nicht durch die Abkürzungen abgebildet. Im Klinikjargon wird das Problem der wenig prägnanten Endsilbe _profen damit „gelöst“, dass die Anfangssilbe „Ibu“ für Ibuprofen und verwandte Arzneistoffe verwendet wird
Entacapon
Cefaclor („f“ statt „ph“ in der Arzneistoffgruppenbezeichnung)
Amlodipin (Achtung: CCB vom Phenylalkylamin-Typ (Verapamil) besitzen eine andere Endung)
Acetazolamid
Alendronat
Metoprolol, Propranolol (keine Erkennung der RezeptorSelektivität an der Endung!). Die Rezeptor-Selektivität der einzelnen Arzneistoffe muss also aktiv gelernt werden
Candesartan
Ramipril
Tamsulosin (aber wichtige Ausnahme Urapidil)
Clonidin, aber Ausnahme α-Methyldopa (sehr alter Arzneistoff, der entwickelt wurde, bevor der Wirkmechanismus erkannt wurde)
Xylometazolin
Prototypischer Arzneistoff (INN)
7 Kap. 10
7 Kap. 8
7 Kap. 32
7 Kap. 15, 17
7 Kap. 30
7 Kap. 20
7 Kap. 5, 15, 16
7 Kap. 15, 16
7 Kap. 15, 16
7 Kap. 5
7 Kap. 5
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
1
Arzneistoffgruppe
.. Tab. 1.2 Erkennungssilben in wichtigen Arzneistoffgruppen
28 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
_coxib (Coxibe)
_gliptin (Gliptine)
_sentan (Sentane) Endothelin-A-RezeptorAntagonisten, Verwechslungsmöglichkeit mit den „Sartanen“ und „Setronen“
_xaban (Xabane)
_floxacin
_on (nicht sehr prägnant)
_par_
_tidin (aber keine gemeinsame Endung bei H1R-Antagonisten!)
_triptan (Triptane)
_setron (Setrone), Verwechslungsmöglichkeit mit den „Sartanen“ und „Sentanen“)
_lukast (Lukaste), Verwechslungsmöglichkeit mit den PDE4-Inhibitoren (Endung _last; aber keine „Laste“)
_gilin
_tropium
COX-2-Inhibitoren
DPP4-Inhibitoren
ETAR-Antagonisten
Faktor-Xa- Inhibitoren
Fluorchinolone
GCR-Agonisten
Heparine/ Heparinoide
H2R-Antagonisten
5-HT1B/DR-Agonisten
5-HT3R- Antagonisten
LTR-Antagonisten
MAO-B-Inhibitoren
M3R-Antagonisten
Tiotropium
Rasagilin
Montelukast
Ondansetron
Sumatriptan
Ranitidin
Enoxaparin
Prednisolon, aber Budesonid
Ciprofloxacin
Rivaroxaban
Bosentan (spezielle Indikation (PAH); deshalb nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste)
Sitagliptin
Etoricoxib
(Fortsetzung)
7 Kap. 5, 14
7 Kap. 8
7 Kap. 14
7 Kap. 6
7 Kap. 6
7 Kap. 7
7 Kap. 18
7 Kap. 11
7 Kap. 32
7 Kap. 18
7 Kap. 19
7 Kap. 10
1.9 · Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen? 29
1
Penicillin G, Amoxicillin Fenofibrat Pioglitazon (wegen unzureichender Wirkung bei Typ-2-Diabetes und schwerer UAW nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste)
Dig_ (Assoziation zu Digitalisglykosiden; irreführende Betonung der pflanzlichen Herkunft an Stelle des Wirkmechanismus; historisch bedingt)
_pitant (aus sprachlichen Gründen kein Gegenstück zu den „Setronen“ vorhanden)
_last (Verwechslungsmöglichkeiten mit den LTR-Antagonisten mit der Endung _lukast). Es gibt für die PDE4-Inhibitoren aus sprachlichen Gründen kein Gegenstück zu den „Lukasten“
_afil
_cillin
_fibrat (Fibrate)
_glitazon (Glitazone). Slang-Begriff suggeriert „Gleichwertigkeit“ mit Gliptinen und Gliflozinen. Außerdem Verwechslungsgefahr der Begriffe!
NKA-Inhibitoren
NK1R-Antagonisten
PDE4-Inhibitoren
PDE5-Inhibitoren
Penicilline
PPAR-α-Agonisten
PPAR-γ-Agonisten
Sildenafil
Roflumilast
Aprepitant
Digoxin
Rocuronium
_curonium
nAChR- Antagonisten
Prototypischer Arzneistoff (INN)
Erkennungssilbe (Kommentare)
7 Kap. 19
7 Kap. 22
7 Kap. 32
7 Kap. 9
7 Kap. 14
7 Kap. 6
7 Kap. 16, 17
7 Kap. 5
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
1
Arzneistoffgruppe
.. Tab. 1.2 (Fortsetzung)
30 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
_prazol
_tr_ (aus sprachlichen Gründen kein Gegenstück zu den „Xabanen“ vorhanden; keine sehr prägnante Erkennungssilbe im vergleich zu den Faktor-Xa-Inhibitoren
_conazol (Azole)
_nib (diese Arzneistoffgruppe wächst rasant und ist selbst für Experten kaum überschaubar)
_domid
Zo_ (Erkennungssilbe betont nicht die klinisch wichtigen Ähnlichkeiten mit den Benzodiazepinen)
PPI
Thrombin- Inhibitoren
Triazole
Tyrosinkinase- Inhibitoren
Ubiqutinierungs- Stimulatoren
Z-Substanzen
Zopiclon
Lenalidomid
Imatinib
Fluconazol
Dabigatran
Pantoprazol
Prototypischer Arzneistoff (INN)
7 Kap. 25
7 Kap. 31
7 Kap. 31
7 Kap. 34
7 Kap. 18
7 Kap. 7, 13
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Die Erkennungssilben in prototypischen Arzneistoffen (INN) sind fett hervorgehoben. Eine systematische Übersicht über alle Erkennungssilben in INN findet sich unter: https://www.who.int/medicines/services/inn/publication/en/. Hier findet man auch Informationen über das Zustandekommen der komplexeren und oft schwer auszusprechenden INN von monoklonalen Antikörpern und therapeutischen Fusionsproteinen (7 Kap. 11 und 31)
Erkennungssilbe (Kommentare)
Arzneistoffgruppe
.. Tab. 1.2 (Fortsetzung)
1.9 · Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen? 31
1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
32
1
wurden, als der Wirkmechanimsmus noch nicht bekannt war und man sich häufig an einer klinischen Wirkung orientierte. Zu den Arzneistoffgruppen ohne einheitliche Erkennungssilbe gehören z. B. die H1R-Antagonisten der 1. Generation (7 Kap. 6), NO-Donatoren (7 Kap. 9), MCR-Antagonisten (7 Kap. 15 und 16), MOR-Agonisten (7 Kap. 10), VKA (7 Kap. 18), SCB und CCB (7 Kap. 15, 17, 25 und 26), Sexualhormonrezeptor-Liganden (7 Kap. 24), SSRI (7 Kap. 28), NSMRI (7 Kap. 28) sowie mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) und antiparasitäre Arzneistoffe (7 Kap. 34). In diesen Fällen muss man die Namen der einzelnen Arzneistoffe genau kennen und zuordnen können.
>>Besonders problematisch ist das Fehlen einer gemeinsamen Erkennungssilbe bei den SCB. Sie sind strukturell sehr unterschiedlich uns besitzen viele Indikationen. Traditionell wurden die SCB den Anti arrhythmika, Lokalanästhetika und Anti epileptika zugeordnet.
Die SCB beinhalten Arzneistoffe mit antiarrhythmischer (und proarrhythmischer) Wirkung (7 Kap. 17), lokalanästhetischer Wirkung (7 Kap. 26), antiepileptischer Wirkung und Wirkung bei verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen (7 Kap. 25, 28 und 29). Da diese Arzneistoffgruppe so heterogen ist, sollte der Begriff SCB im Zusammenhang mit der jeweiligen interessierenden pharmakologischen Wirkung genannt werden. Außerdem gibt es eine Reihe von wichtigen „Einzelarzneistoffen“ aus Arzneistoffgruppen mit unbekanntem Wirkmechanismus, die mann kennen und zuordnen muss. Dazu gehören Lithium, Paracetamol, Metamizol und Metformin (siehe Arzneistoffliste). Ein immenses Problem für jeden Arzt stellt die Zuordnung der oft sehr teuren the rapeutischen Antikörper, deren Namen alle auf _ab enden, zu den Wirkmechanismen dar. Lösliche Rezeptorfragmente, die Proteine abfangen, besitzen die Endung _cept.
>>Es ist wichtiger, die Wirkmechanismen von Antikörpern und Rezeptorfragmenten zu kennen als einzelne Vertreter dieser Arzneistoffgruppen.
Der für diese Antikörper und Rezeptorfragmente häufig verwendete Überbegriff Biologicals nimmt Bezug auf die biotechnologische Herstellung dieser Arzneistoffe, nicht aber auf die pharmakologische Wirkung. Außerdem suggeriert die Silbe „Bio“ eine gute, milde und natürliche Wirkung (im Gegensatz zu der „harten“ und „unnatürlichen“ Wirkung von Chemicals (klassischen Arzneistoffen). >>Entgegen dem suggestiven Begriff können Biologicals gravierende UAW besitzen. Die UAW sind nur anders als die der Chemicals. Biologicals sind aus Aminosäuren bestehende Chemicals. Die Begriffe betonen Unterschiede, die es nicht gibt.
Der Begriff Biologicals ist daher für die Pharmakotherapie entbehrlich. >>In manchen Fällen gibt es Inkonsistenzen in der Schreibweise von Arzneistoffen innerhalb derselben Arzneistoffgruppe! So heißt es Gentamicin, aber Tobramycin; nicht Trobramicin.
Ein weiteres wichtiges Problem in diesem Zusammenhang ist die Verwechslung von ähnlich geschriebenen oder in der Aussprache ähnlich klingenden Arzneistoffen, die ganz unterschiedliche Indikationen besitzen. Aus solchen Verwechslungen können gravierende Behandlungsfehler mit schweren UAW bis hin zum Tod resultieren. . Tab. 1.3 listet einige häufige und gefährliche Beispiele für Verwechslungen von Arzneistoffen. Um Verwechslungen von Arzneistoffen zu vermeiden, ist es zwingend erforderlich, alle Eintragungen auf Rezepten und Krankenakten in gedruckter Schrift oder elektronischer Form vorzunehmen.
>>Unleserliche Handschrift auf Rezepten und in Krankenakten ist nach wie vor eine häufige Ursache für Fehlbehandlungen.
Indikation Arzneistoff 1
Colitis ulcerosa
Prävention thromboembolischer Erkrankungen
Vor allem Förderung der Nierendurchblutung bei akutem Nierenversagen (D1R-Agonismus)
Autoimmunerkrankungen (insbesondere Psoriasis und rheumatoide Arthritis)
Mittelschwere Schmerzen, hohes Fieber, Koliken
Hypertonie, CHF, KHK (β1AR-Antagonismus)
Arzneistoff 1 (Arzneistoffgruppe)
5-Aminosalicylsäure oder Mesalazin (pleiotrope Immunmodulatoren)
ASS (irreversible COX-Inhibitoren)
Dopamin (DxR-Agonisten)
Leflunomid (Dihydroorotat Dehydrogenase-Inhibitoren)
Metamizol (Pyrazolone)
Metoprolol (β1AR-Antagonisten)
Hyperthyreose Essentieller Tremor, infantiles Hämangiom, Migräneprophylaxe (βxAR-Antagonismus)
Propranolol (βxAR-Antagonisten)
Maligne Tumorerkrankungen (insbesondere multiples Myelom)
Positiv inotrope Wirkung bei akutem Herzversagen (β1AR-Agonismus)
Colitis ulcerosa
M. Crohn
Indikation Arzneistoff 2
Thiamazol (TPO-Inhibitoren)
Lenalidomid (Ubiquitinierungs- Stimulatoren)
Dobutamin (αxAR/βxAR-Agonisten)
5-ASA (pleiotrope Immunmodulatoren)
Sulfasalazin (pleiotrope Immunmodulatoren)
Arzneistoff 2 (Arzneistoffgruppe)
.. Tab. 1.3 Verwechslungsmöglichkeiten ähnlich geschriebener oder ähnlich klingender Arzneistoffe
(Fortsetzung)
7 Kap. 5, 15, 16
7 Kap. 10, 21
7 Kap. 11, 31
7 Kap. 5, 8
7 Kap. 14, 18
7 Kap. 13
Weitere Zusammenhänge in Kap.
1.9 · Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen? 33
1
Anaerobier-Infektionen, bestimmte dermatologische Erkrankungen, bestimmte Protozoenerkrankungen
Zusatztherapie bei Asthma
Postmenopausale Osteoporose
M. Crohn
Metronidazol (Nitroimidazole)
Montelukast (LTR-Antagonisten)
Raloxifen (SERM)
Sulfasalazin (pleiotrope Immunmodulatoren)
Sulfamethoxazol (Sulfonamide)
Tamoxifen (SERM)
Roflumilast (PDE4Inhibitoren)
Mebendazol (Mikrotubuli- Inhibitoren)
Arzneistoff 2 (Arzneistoffgruppe)
Bakterielle Infektionen mit empfindlichen Erregern (wegen UAW nicht als Einzelarzneistoff in NKLM/IMPP-Arzneistoffliste), Infektion mit Pneumocystis jirovecii
ER-positives Mammakarzinom
Schwere COPD
Faden- und Bandwurmerkrankungen, Echinokokkose
Indikation Arzneistoff 2
7 Kap. 13, 32
7 Kap. 24, 31
7 Kap. 14
7 Kap. 32, 34
Weitere Zusammenhänge in Kap.
Ein großer Vorteil der Größenbeschränkung der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil) besteht darin, dass die Anzahl der Verwechslungsmöglichkeiten begrenzt ist. Je stärker Student, Arzt und Apotheker davon abweichen, desto größer wird die Anzahl der Verwechslungsmöglichkeiten und desto geringer wird die Arzneitherapiesicherheit Die hier aufgeführten Verwechslungen können fatal sein!
Indikation Arzneistoff 1
1
Arzneistoff 1 (Arzneistoffgruppe)
.. Tab. 1.3 (Fortsetzung)
34 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
1
35 1.9 · Wie erkenne ich Arzneistoffgruppen am Arzneistoffnamen?
Schlechte Handschrift ist kein Zeichen für ärztliche Genialität!
Sehr häufig wird ASS mit 5-ASA verwechselt. Dies ist folgenreich, da beide Arzneistoffe sehr unterschiedliche Indikationen besitzen. Verwirrung kann auch dann entstehen, wenn für einen Arzneistoff mehrere Schreibweisen existieren. Ausgeschrieben wird 5-ASA als 5-Aminosalicylsäure bezeichnet; alternativ wird der Name Mesalazin verwendet. Gerade in letzterer Schreibweise wird 5-ASA häufig mit dem zur gleichen Arzneistoffgruppe gehörenden Sulfasalazin verwechselt, welches jedoch andere Indikationen besitzt. Auch Verwechslungen von Sulfasalazin mit Sulfamethoxazol kommen vor. Eine Verwechslung von Leflunomid und Lenalidomid hätte dramatische Folgen für den Patienten. Der einzige Grund, warum diese Verwechslung nicht passiert, liegt darin, dass Lenalidomid auf einem speziellen Rezept für teratogene Arzneistoffe (T-Rezept) abgegeben werden muss. Metoprolol und Propranolol besitzen die gleiche Arzneistoffnamen-Endung, aber sie unterscheiden sich sehr deutlich voneinander in ihrem pharmakologischen Profil (Selektivität für β1AR) was unterschiedliche Indikationen zur Folge hat (7 Kap. 5). In diesem Fall muss der Arzt tasächlich die konkreten Arzeistoffnamen mit dem entsprechenden Rezeptorprofil kennen, um keine Fehlbehandlung zu verursachen. Ra loxifen und Tamoxifen gehören in dieselbe Arzneistoffgruppe (SERM), besitzen aber unterschiedliche Wirkprofile und Indikationen (7 Kap. 24 und 31). Auch in diesem Falle muss der Arzt die konkreten Arzneistoffnamen kennen, um keine Fehlverschreibungen zu verursachen. Vorsicht ist auch geboten, das analgetisch wirkende Metamizol (7 Kap. 10) nicht mit dem bei Hyperthyreose eingesetzten Thia
mazol (7 Kap. 21) zu verwechseln. Dies kann leicht passieren, weil beide Arzneistoffe häufig verschrieben werden. Verwechslungen treten nicht nur wegen der ähnlichen Schreibweise der Arzneistoffe auf, sondern auch wegen der Tatsache, dass beide Arzeistoffe lebensbedohliche Agranulozytosen auslösen können. Dies ist jedoch ein reiner Zufall und hat nichts mit dem Arzneistoffnamen zu tun. Metronidazol (7 Kap. 32) und Mebenda zol (7 Kap. 34) werden bei durch verschiedene Erreger verursachten Erkrankungen eingesetzt. Aber die durch die Arzneistoffe addressierten Erreger sind sehr unterschiedlich, sodass auch hier eine Verwechslung gravierende Konsequenzen hat. Montelukast und Roflumilast klingen ebenfalls ähnlich und werden beide bei Atemwegserkrankungen eingesetzt (7 Kap. 14). Die Indikationen unterscheiden sich jedoch voneinander (Asthma versus COPD), sodass auch hier eine Verwechslung nicht stattfinden darf.
>>Ärzte schreiben häufig undeutlich die Endsilben von Arzneistoffen, weil hier Unsicherheiten bestehen. Dies fördert Verwechslungen bei Verschreibungen.
Es ist zwingend erforderlich, dass jeder Arzt in der Lage ist, die Namen der in diesem Buch vorgestellten Arzeistoffe 100%ig richtig auszusprechen und zu schreiben, um potentiell tödliche Verwechslungen zu vermeiden. Im Zweifelsfall muss jeder Arzt bei jedem unleserlichen Arzneistoff beim Kollegen konkret nachfragen, welcher Arzneistoff gemeint ist. Auf elektronischen Rezepten und Krankenakten ist das Verwechslungsrisiko von Arzneistoffen geringer, aber immer noch gegeben. Die Beherrschung der korrekten Schreibweise und Aussprache der Arzneistoffliste dieses Buches erfordert aktives Üben.
36
1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
1.10 Welche Gefahren lauern im
hervorheben, ohne angemessen und objektiv über UAW zu informieren. . Tab. 1.4 Gebrauch von zeigt einige Beispiel für suggestive ArzneiArzneimittelspezialitätenmittelspezialitäten-Namen. Namen (Handelsnamen)? Im Namen „Acomplia®“ steckt „ohne Komplikationen und etwas erreichen (to In der ärztlichen Kommunikation und in der accomplish something)“. Im Gegensatz zu den Arzt-Patient-Kommunikation werden prak- vollmundigen Versprechungen musste Acomtisch immer und selbstverständlich Arzneimit plia® jedoch wegen schwerer UAW vom telspezialitäten-Namen (Handelsnamen) ver- Markt zurückgezogen werden. wendet, falls nicht Generika verschrieben Der Arzneimittelspezialitäten-Name Akiwerden. Die Arzneimittelspezialitäten-Namen neton® suggeriert eine gute (tonisierende) sind groß und deutlich auf der Arzneimittel- Wirkung bei Akinese im Rahmen eines packung und dem Beipackzettel geschrieben. M. Parkinson (7 Kap. 8). In Wirklichkeit Daher entsteht bei Arzt und Patient der Ein- wirkt der darin enthaltene Arzneistoff Bipe druck, dass dies die wichtigste und entschei- riden jedoch vor allem auf den Tremor und dende Bezeichnung des Arzneimittels ist. Dies weniger auf die Akinese. Das Arzneimittel ist jedoch nichtzutreffend. Antiparkin® verspricht eine generelle Wirkung bei M. Parkinson, aber es handelt sich >> Die wichtigste Information eines Arzneimitnur um einen Zusatzarzneistoff mit limitiertels ist nicht der Arzneimittelspezialitäter Wirkung (7 Kap. 8). Im Namen Chamten-Name (Handelsname), sondern der im® steckt der „Champion“ und „Champapix mer klein und recht unaufällig gedruckte gner“. So gut soll sich der Patient fühlen, INN des Arzneistoffs. wenn er Champix® zum Nikotin- Entzug Dies ist noch immer nicht ausreichend be- nimmt. Leider sieht die Realität anders aus: kannt und führt entsprechend zu einer sub Depressionen und Aggressionen sind häustantiellen Abhängigkeit von Arzneimittel- fige UAW des in Champix® enthaltenen parspezialitäten. In der Arzneistoffliste (siehe tiellen nAChR-Agonisten Vareniclin. Serviceteil) sind eine Reihe von traditionell Bonviva® suggeriert ein gutes Leben unverwendeten Arzneimittelspezialitäten auf- ter dem beworbenen Bisphosphonat. Dass geführt, die geradezu als Synonym für eine diese Arzneistoffgruppe auch gra vieren de ganze Arzneistoffgruppe verwendet werden UAW (z. B. Ösophagusulzera und Kiefer und sich im Klinikjargon hartnäckig halten. osteonekrosen; 7 Kap. 13 und 20) verursachen kann, wird in dem sehr positiv gefärb>> Aus Sicht der Wissenschaftlichkeit, Pharten Arzneimittelspezialiäten-Namen nicht makoökonomie, Arzneitherapie- und Paerwähnt. tientensicherheit ist der Gebrauch solcher Die Silbe „Equa“ in Equasym® suggeArzneimittelspezialitäten-Namen in der proriert eine ausgleichende Wirkung. Dies Silbe fessionellen Kommunikation und Arzt-Pa„Sym“ könnte sich auf den Symapthikus betient-Kommunikation strikt abzulehnen. ziehen (Sympathomimetika), aber die Wie in 7 Abschn. 1.9 dargestellt wurde, be- Hauptwirkung von Methylphenidat betrifft inhalten die INN in vielen Fällen wichtige das dopaminerge Syndrom (7 Kap. 8). Dies Informationen über den Wirkmechanismus, ist eine Irreführung. Die Silbe „Sym“ könnte woraus sich Indikationen und UAW ableiten aber auch bedeuten, dass die Patienten unter lassen. Arzneimittelspezialitäten-Namen Methylphenidat nett und sympathisch wersind hingegen reine Phantasienamen, die den. Ein Hinweis auf die Tachyphylaxie unhäufig suggestiven Charakter besitzen und ter Methylphenidat- Therapie ist in diesen positive Eigenschaften eines Arzneimittels Namen nicht enthalten.
Arzneistoff (INN)
Rimonabant (nicht in NKLM/IMPPArzneistoffliste; wegen gravierender UAW vom Markt zurückgezogen)
Biperiden
Selegilin (nicht in der NKLM/IMPPArzneistoffliste, dafür Rasagilin)
Ibandronat (nicht in NKLM/IMPPArzneistoffliste, dafür Alendronat)
Vareniclin (nicht in NKLM/IMPPArzneistoffliste)
Methylphenidat
Formoterol
Acetazolamid
Arzneimittelspezialität
Acomplia®
Akineton®
Antiparkin®
Bonviva®
Champix®
Equasym®
Formotop®
Glaupax®
Offenwinkelglaukom
Asthma, COPD
ADHS
Nikotinentzug
Osteoporose, Osteolysen bei Karzinomen
M. Parkinson
M. Parkinson
Adipositas, metabolisches Syndrom
Wichtige Indikation
Geschmackstörungen
Gefahr der Desensitierung und Asthmanfällen bei Monotherapie
β2AR-Agonisten
CAH-Inhibitoren
Gefahr der Tachyphylaxie und Abhängigkeit
Depression, Aggression
Kieferosteonekrosen
Kaufrausch, Sexsucht
Antimuskarinerges Syndrom
Depression, Suizid
UAW
Indirekte Dopamimetika
Partielle nAChR- Agonisten
Bisphosphonate
MAO-B- Inhibitoren
MxR- Antagonsiten
CB1R- Antagonisten
Arzneistoff- Gruppe
.. Tab. 1.4 Suggestive Arzneimittelspezialitäten: Reflektieren die Namen die Eigenschaften des Arzneimittels korrekt?
(Fortsetzung)
7 Kap. 30
7 Kap. 5, 14
7 Kap. 8
7 Kap. 5
7 Kap. 20
7 Kap. 5, 8
7 Kap. 5, 8
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
1.10 · Welche Gefahren lauern im Gebrauch von Arzneimittelspezialitäten-Namen... 37
1
Triazolam
Methlyphenidat
Zopiclon
Flucloxacillin
Ustekinumab
Testosteron
Theophyllin
Halcion®
Medikinet®
Optidorm®
Staphylex®
Stelara®
Testim®
Uniphyllin® COPD
Hypogonadismus
Psoriasis, rheumatoide Arthritis
Infektion mit empfindlichen Stämmen von S. aureus
Einschlafstörungen
ADHS
Einschlafstörungen
Wichtige Indikation
Nicht-selektive PDE-Inhibitoren
AR-Agonisten
IL-12/23- Inhibitoren
Isaxozolyl Penicilline
Z-Substanzen
Indirekte Dopamimetika
Benzodiazepine
Arzneistoff- Gruppe
Gravierende UAW an GI-Trakt, Herz-KreislaufSystem und ZNS
Testes-Atrophie, Aggressivität, HerzKreislauf-Erkrankungen
Erhöhtes Tuberkulose- und Tumorrisiko
Fehlende Wirksamkeit bei MRSA
Paradoxe Reaktionen, anterograde Amnesie
Gefahr der Tachyphylaxie und Abhängigkeit
Paradoxe Reaktionen, anterograde Amnesie
UAW
7 Kap. 14
7 Kap. 24
7 Kap. 11
7 Kap. 32
7 Kap. 25
7 Kap. 8
7 Kap. 25
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
In Einzelfällen sind auch INN suggestiv. Famotidin, ein famoser (großartiger) H2R-Antagonist (7 Kap. 7)? Idealisb, ein ideales Targeted Therapeutic (7 Kap. 31)? Die o. g. Arzneistoffe sind nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
Arzneistoff (INN)
1
Arzneimittelspezialität
.. Tab. 1.4 (Fortsetzung)
38 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
1
39 1.10 · Welche Gefahren lauern im Gebrauch von Arzneimittelspezialitäten-Namen...
In Formotop® ist immerhin zu erahnen, dass das Arzneimittel den Arzneistoff Formoterol enthält, Die Silbe „top“ soll eine Spitzenwirkung des Arzneimittels suggerieren. Dass es gerade beim alleinigen Dauergebrauch von Formoterol zum Wirkungsverlust kommen kann (7 Kap. 5 und 14), kommt dem Verschreiber bei der Silbe „top“ natürlich nicht in den Sinn. Glaupax® verspricht Frieden beim Glaukom. Zwar wirkt der in Glaupax® enthaltende CAH-Inhibitor Acetazolamid (7 Kap. 30), aber es gibt inzwischen andere Arzneistoffgruppen (FPR-Agonisten, Prototyp La natoprost), die wirksamer sind und damit einen besseren Frieden mit dem Glaukom schließen. Der Arzneimittelspezialitäten-Name Medikinet® suggeriert eine Wirkung auf die Akinese beim M. Parkinson. Auffallend ist die Ähnlichkeit mit der Arzneimittelspezialität Akineton®. Allerdings haben beide Arzneimittel trotz der suggestiven Ähnlichkeiten ganz unterschiedliche Indikationsgebiete. Das in Medikinet® enthaltende Me thylphenidat wird bei ADHS eingesetzt, das in Akineton® enthaltene Biperiden wird bei M. Parkinson eingesetzt (7 Kap. 8). Halcion® verspricht Glück. Dass das in Halcion® enthaltene Triazolam auch gravierende UAW wie Abhängigkeit und anterograde Amnesien hervorrufen kann (7 Kap. 25), wird nicht assoziiert. Optidorm® suggeriert optimalen Schlaf. Die in dem Arzneimittel enthaltene Z-Substanz Zopiclon kann jedoch gravierende UAW (7 Kap. 25) wie das in Halcion® enthaltende Benzodiazepin Triazolam verursachen. Durch den positiven Charakter des Namens Optidorm® wird das UAW- Potential der darin enthaltenden Z-Substanz Zopiclon leider häufig unterschätzt.
>>Sorglose Verschreibungen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen, die durch suggestive Arzneimittelspezialitäten-Namen gefördert werden, sind eine Ursache für die hohe Prävalenz von Benzodiazepinund Z-Substanz-Abhängigkeit.
Im Arzneimittelspezialitäten-Namen Stelera® steckt der englisch Beggriff „stellar“ oder der lateinische Begriff „Stella“ (Stern) und suggeriert eine herausragende Wirkung. Sicher nicht gemeint ist eine Assoziation mit dem herausragend hohen Verkaufspreis von Stelara®. Zwar wirkt der in Stelara® enthaltende Arzneistoff Ustekinumab bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen sehr gut, aber es gibt auch andere effektive und zudem sehr preiswerte (!) Behandlungsmöglichkeiten (7 Kap. 11). Der Arzneimittelspezialtäten-Name Staphylex® (Ex, Extermination, Ausrottung) suggeriert eine effektive Wirkung auf Staphylokokken-Infektionen. Leider ist dieses Versprechen in vielen Fällen nicht mehr zutreffend, denn durch die zunehmende Resistenz von Staphylococcus-aureus-Stämmen wirkt das in Staphylex® enthaltende Flucloxacillin leider nur noch bei wenigen Staphylokokken-Infektionen (7 Kap. 32). Ironischerweise könnte man den Namen der Arzneimittelspezialität auch so interpretieren, dass es vormals (der Ex-Partner, die Ex-Partnerin) bei Staphylokokken-Infektionen wirksam war. Diese Assoziation ist aber gewiss von Hersteller nicht intendiert. Uniphyllin® enthält den Arzneistoff Theophyllin, einen nicht-selektiven PDE- Inhibitor. Die Silbe „Uni“ soll Assoziationen mit dem Begriff „unique“ (einzigartig) hervorrufen. Dies ist jedoch nichtzutreffend, da es eine Reihe von gleichwirksamen Arzneimitteln gibt, die Theophyllin enthalten. Außerdem ist die Darstellung von Theophyllin als einzigartig in Anbetracht seiner UAW, Arzneimittelinteraktionen und der Notwendigkeit irreführend (7 Kap. 14). Ein abschließendes Beispiel sei mit Testim® diskutiert. Der Arzneimittelspezialitäten-Name kann so interpretiert werden, dass das Arzneimittel stimulierendes Testosteron enthält. Allerdings wird aus der Bezeichnung nicht deutlich, dass Testosteron auch gravierende UAW haben kann (7 Kap. 24). Man könnte den Arzneimittelspezialitäten-Namen Testim® aber auch so interpretieren, dass es
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1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
zu einer Stimulation (und damit natürlich Vergrößerung!) der Testes (Hoden) kommt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil: Durch Suppression der FSH- und LH-Sekretion in der Hypophyse kommt es zu einer Hodenatrophie. Somit ist der Arzneimittelspeizialitäten-Name irreführend und fördert den Missbrauch. Die Liste suggestiver Arzneimittelspezialitäten- Namen lässt sich beliebig fortsetzen. >> In der Kommunikation mit Ärzten, Apothekern und Patienten sollten ausschließlich die INN von Arzneistoffen benutzt werden, um Verzerrungen zu Gunsten vermeintlich positiver Wirkungen zu vermeiden.
Eine wesentliche Unterstützung für dieses Unterfangen wäre es, wenn auf Arzneimittelpackungen der Arzneistoff größer als der Arzneimittelspezialitäten-Name gedruckt werden müsste. Dies wäre eine sehr lohnenswerte Aufgabe für den Gesetzgeber, um die Arzneitherapiesicherheit zu erhöhen. Allerdings ist harter Widerstand der entsprechenden Lobbyisten zu erwarten. Eine weitere Gefahr der Verwendung von Arzneimittelspezialitäten-Namen anstelle von INN liegt darin, dass es sehr leicht (von verschiedenen Ärzten oder sogar von ein und demselben Arzt) zu Doppelverschreibungen kommen kann. . Tab. 1.5 gibt eine Auswahl von Doppelverschreibungen, die dadurch leicht entstehen können, dass es aus kommerziellen Gründen (Alleinstellungsmerkmal!) keine ersichtlichen Ähnlichkeiten in den Arzneimittelspezialitäten-Namen unterschiedlicher Hersteller den gleichen Arzneistoff betreffend gibt. Das Branding „unverwechselbarer“ Arzneimittelspezialitäten läuft jedoch dem Ziel der Arzneitherapie- und Patientensicherheit entgegen.
>>Doppelverschreibungen von Arzneistoffen können leicht vermieden werden, wenn der Arzt konsequent Generika verschreibt.
Bei Ritalin® und Concerta® handelt es sich um Arzneimittel mit ein und demselben Arz-
neistoff (Methylphenidat) aber unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften (7 Kap. 8). Diese für die Therapie entscheidende Information ist jedoch aus den Arzeimittelspezialitäten-Namen nicht erkennbar. Im Arzneimittelspezialitäten-Namen Ritalin® wird der Vorname der Erstanwenderin von Methylphenidat aufgenommen. „Rita“ hatte kein ADHS, sondern missbrauchte den Arzneistoff zur Leistungssteigerung im Tennis. Der Begriff Concerta® suggeriert, dass der ADHS-Patient nicht mehr bockig ist, sondern als braver Mitspieler zum Erfolg des Konzertes beiträgt. Oder dirigieren die Eltern den Patienten unter Concerta® so wie ein Spitzendirigent sein Orchester? Diese Arzneispezailitäten-Namen sind nicht weniger problematisch als der bereits oben diskutierte Name Equasym® (. Tab. 1.4). Die Arzeimittelspezialitäten-Namen Zofran® und Zoloft® könnten vermuten lassen, dass es sich in beiden Fällen um ein Arzneimittel mit einer Z-Substanz (z. B. Zopiclon, 7 Kap. 25) handelt. Dies trifft jedoch für keines der beiden Arzneimittelspezilaitäten zu. Zofran® enthält einen 5-HT3R-Antagonisten (Ondansetron) und Zoloft® ein SSRI (Sertra lin). Diese Arzneistoffgruppen besitzen jedoch ganz andere Indikationen als Z-Substanzen (7 Kap. 6, 25 und 28). Somit wird der Arzt in die Irre geführt. Die Verwirrung wird auch dadurch verursacht, dass die unterschiedlichen Hersteller der Arzneimittelspezialitäten- die entsprechenden Namen nicht miteinander absprechen, sondern in Eigenregie bestimmen. Wer kommt schon auf die Idee, dass so unterschiedlich aussehende Arzneimittelspezialitäten wie Diamox® versus Glaupax®, Reactine® versus ZYRTEC®, Aktren® versus Dolormin®, Beloc-Zok® versus Lopresor® und Rifun® versus Pantozol® jeweils denselben Arzneistoff enthalten? Bei Doppelverschreibungen kann es zu entsprechenden UAW und Intoxikationserscheinungen kommen. Der Fall von Sultanol® und Pentamol® ist auf besondere Art irreführend. Beide
1
41 1.10 · Welche Gefahren lauern im Gebrauch von Arzneimittelspezialitäten-Namen...
.. Tab. 1.5 Gefahr von Doppelverschreibungen desselben Arzneistoffs in Arzneimitteln mit sehr unterschiedlichen Arzneimittelspezialitäten-Namen und Generika Arzneistoff (Arzneistoffgruppe)
Arzneimittelname 1
Arzneimittelname 2
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Acetazolamid (CAHInhibitoren)
Diamox®
Glaupax®
7 Kap. 30
Cetirizin (H1R-Antagonisten der 2. Generation)
Reactine®
ZYRTEC®
7 Kap. 7
Ibuprofen (COX-Inhibitoren)
Aktren®
Dolormin®
7 Kap. 10
Metoprolol (β1AR-Antagonisten)
Beloc-Zok®
Lopresor®
7 Kap. 5, 15, 16
Methotrexat (Folsäure-Analoga)
Lantarel®
Methotrexat „Lederle“
7 Kap. 11, 31
Methylphenidat (indirekte Dopamimetika)
Ritalin®
Concerta®
7 Kap. 8
Ondansetron (5-HT3R-Antagonisten)
Zofran®
Ondansetron- Ratiopharm
7 Kap. 7
Oxymetazolin (α1AR-Agonisten)
Nasivin®
Wick®-Nasenspray
7 Kap. 5
Pantoprazol (PPI)
Rifun®
Pantozol®
7 Kap. 13
Paracetamol (p-Aminophenole)
ben-u-ron®
Paracetamol-STADA
7 Kap. 10
Salbutamol (β2AR-Agonisten)
Sultanol®
Pentamol®
7 Kap. 5, 14
Sertralin (SSRI)
Zoloft®
Sertralin-Hexal
7 Kap. 28, 6
Sildenafil (PDE5-Inhibitoren)
Viagra® (ED)
Revatio® (PAH)
7 Kap. 9
Sumatriptan (5-HT1B/DR-Agonisten)
Imigran®
Sumatriptan- Neuraxpharm
7 Kap. 8
Durch unbeabsichtigte Doppelverschreibungen steigt die UAW-Gefahr
Arzneimittelspezialitäten enthalten den β2AR-Agonisten Salbutamol. In Pentamol® ist die Arzneistoffnamen-Endung _mol im Arzneimittelspezialitäten-Namen enthalten. Hingegen wurde der Arzneistoffname Salbutamol in Sultanol® so verändert, dass er nicht mehr ohne weiteres erkannt werden kann. Bei der Silbe Sul_ denkt man eher an ein Sulfonamid (7 Kap. 32) oder Sulfasalazin zur Behandlung des M. Crohn (7 Kap. 13).
Die recht nichtssagende Wortendung _ol lässt vermuten, dass es sich um einen βxAR- oder β1AR-Antagonisten handeln könnte (Propranolol, Metoprolol) (7 Kap. 5), vielleicht auch ein antimykotisch wirkendes Triazol (z. B. Fluconazol) (7 Kap. 34) oder einen Abkömmling von Metamizol (7 Kap. 10). Als letztes Beispiel seien die unterschiedlichen Arzneimittelspezialitäten- Namen des PDE5-Inhibitors Sildenafil genannt (7 Kap. 9).
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Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
Unter dem Arzneimittelspezialitäten-Namen Viagra® (Assoziation mit „Manneskraft“) wird der Arzneistoff zur Behandlung der ED vermarktet; unter dem Arzneimittelspezialitäten-Namen Revatio® zur Behandlung der PAH. Dieser Tatbestand ist aus den sehr verschiedenen Arzneimittelspezialitäten-Namen nicht ersichtlich. Es ist durchaus denkbar, dass ein Patient mit den Diagnosen ED und PAH von zwei verschiedenen Fachärzten (Urologe und Pulmonologe) Sildenafil verschrieben bekommt, ohne dass das für den jeweiligen Facharzt über die jeweiligen Arzneimittelspezialitäten-Namen erkennbar ist. Der Schlüssel zur Erkennung des Risikos ist die Kenntnis des INN. >>Arzneistoffe, die von verschiedenen Fach ärzten für unterschiedliche Indikationen eingesetzt werden, sind besonders anfällig für Doppelverschreibungen.
Ein mit der Doppelverschreibung identischer Arzneistoffe verwandtes Problem besteht darin, dass es zu Doppelverschreibungen von unterschiedlichen Arzneistoffen derselben Arzneistoffgruppe kommen kann. Im besten Fall lassen sich diese Doppelverschreibungen ähnlicher Arzneistoffe an den gemeinsamen Arzneistofferkennungssilben erkennen (. Tab. 1.2). Allerdings ist es im Falle von Arzneistoffen, die keine systematischen Erkennungssilben besitzen (Beispiele SSRI, NSMRI, SCB, H1R-Antagonisten, mGPCR-Antagoisten), sehr viel schwieriger, Doppelverschreibungen ähnlicher Arzneistoffe zu erkennen. Hier hilft die Kenntnis der Arzneistoffliste weiter (siehe Serviceteil); zumindest für die wichtigsten Arzneistoffe. Die hier unter verschiedenen Blickwinkeln diskutierte Problematik der Arzneimittelspezialitäten-Namen zeigt, dass diese primär den Zweck haben, ein bestimmtes Arzneimittel auf dem Markt positiv zu positionieren und nicht den Arzt objektiv über einen bestimmten Arzneistoff zu informieren.
1.11 Repositioning, Repurposing,
Redirecting und Reprofiling und off-label-use von Arzneistoffen
In dem vom IMPP im November 2019 eingeführte Arzneistoffliste (siehe Serviceteil) werden Arzneistoffe nach übergeordneten Systemen klassifiziert und in einzelne Arz neistoffgruppen (dem Kernstück der Arzneistoffliste) nach Wirkmechanismen bzw. nach chemischen Gruppen klassifiziert. Konsequent wurde die traditionelle Bezeichnung von Arzneistoffgruppen nach Indikationen verlassen. Dieses System ermöglicht es, einfacher als bisher „alten“ Arzneistoffen bzw. Arzneistoffgruppen „neue“ Indikationen zuzuordnen. Insbesondere im Bereich der neuropsychiatrischen Erkrankungen hat sich in den letzten 10 Jahren eine dramatische Expansion der Indikationen von Arzneistoffen ergeben, die eine kritische Revision der Arzneistoffgruppen-Nomenklatur erforderlich machten (7 Kap. 25, 28 und 29). Im Rahmen dieser Revision wurden auch zahlreiche irreführende Fehlbezeichnungen (Misnomere) von Arzneistoffgruppen beseitigt. Der Gebrauch traditioneller Arzneistoffgruppenbezeichnungen macht es auch zunehmend schwieriger, wissenschaftliche Datenbanken sinnvoll zu durchsuchen.
>>Die Nutzung von bekannten Arzneistoffgruppen für neue Indikationen nimmt immer häufiger Ausgang vom off-label-use, d. h. dem bewussten Einsatz von Arzneistoffen für nicht zugelassene Indikationen.
Grundsätzlich ist ein off-label-use von Arzneistoffen in der Klinik und Praxis im Rahmen eines „individuellen Heilversuches“ möglich, aber der Arzt trägt das Haftungsrisiko für etwaige UAW und muss den Patienten entsprechend aufklären.
1
43 1.11 · Repositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling…
Die Revision der Nomenklatur von Arzneistoffgruppen ist umso wichtiger, als in fast allen Teilgebieten der Medizin in den letzten Jahren eine Entwicklung eingesetzt hat, die in diesem Ausmaß nicht vorherzusehen war. Die traditionelle Entwicklung von Arzneistoffen, wie sie unter 7 Abschn. 1.4 dargestellt wurde, ist ein immens kostenintensiver Prozess geworden, der leicht 1 Milliarde € kosten kann. Wenn dann aus irgendeinem Grund ein Arzneistoff in der späten Entwicklung oder nach der Zulassung scheitert, entstehen den betroffenen Pharmafirmen riesige Kosten, die letztlich für eine weitere Entwicklung neuer Arzneistoffe fehlen. Gerade im Bereich neuropsychiatrischer Erkrankungen hat es in den letzten 10 Jahren viele gescheiterte Arzneistoffentwicklungen gegeben. Vor diesem Hintergrund ist es eine logische und kostengünstige Strategie, altbekannte Arzneistoffe für neue Indikationen weiterzuentwickeln. Diese Strategie hat den Vorteil, dass man schon über umfangreiche klinische Erfahrungen mit dem Arzneistoff verfügt und seine UAW gut kennt. Dadurch können im großen Umfang Kosten gespart werden. Diese Strategie wird als Repositioning, Repurposing, Redirecting oder Reprofiling von Arzneistoffen bezeichnent. Die vier Begriffe sind nicht klar gegeneinander abgegrenzt und werden weitgehend synonym verwendet. Dies kann zu Verwirrung führen. . Tab. 1.6 zeigt einige Beispiele von bereits etablierten und noch in Entwicklung befindlichen neuen Indikationen für bekannte Arzneistoffe. Diese Auflistung ließe lässt sich beliebig und auf sehr viele Indikationsgebiete erweitern. Aktuelle und prominente Beispiele für das Repositioning von Arzneistoffen sind die Weiterentwicklung der traditionell den „ora len Antiabetika“ zugerechneten SGLT2- Inhibitoren (7 Kap. 19) für die Indikationen CKD und CHF. Gut etabliert sind inzwischen auch Indikationen der βxARAntagonisten Propranolol jenseits kardio
vaskulärer Erkrankungen für die Indikationen essentieller Tremor, Migräneprophylaxe und infantiles Hämangion (7 Kap. 5). Der PDE5-Inhibitor Sildenafil sollte ursprünglich für die KHK entwickelt werden, eher als UAW „Erektion“ auffiel. Anschließend wurde die Indikation KHK fallengelassen und die Indikation ED weiterverfolgt. Später kam dann die Indikation PAH hinzu; zahlreiche andere (vor allem urogenitale) Indikationen für Sildenafil sind in der Entwicklung (7 Kap. 9). Für das beim Typ-2-Diabetes zugelassene Metformin (7 Kap. 19) haben sich neue interessante Indikationen ergeben. Für einige Indikationen (z. B. polyzystisches Ovar) haben sich die neuen Indikationen für Metformin aus Zufallsbeobach tungen an Patienten mit mehreren Erkrankungen entwickelt. Durch logische Überlegungen, bei welchen Erkrankungen die Hemmung von Osteoklasten sinnvoll sein könnte, haben sich etliche neue Indikationen für die Bisphosphonate und RANKL- Inhibitoren jenseits der Osteoporose ergeben (7 Kap. 20). Die Anwendung von Levodopa für M. Alzheimer und des GLP- 1R- Agonisten Liraglutid für die Adipositas haben sich aus den Ursprungsindikationen entwickelt. Überraschend war hingegen die (Weiter-)Entwicklung des eigentlich als Arzneimittels gescheiterten Thalidomids für die Indikationen Lepra, Tuberkulose und multiples Myelom. Auch für das primär für die bipolare Störung zugelassene Lithium haben sich deutliche Indikationserweiterungen ergeben (7 Kap. 28 und 29). Überraschend ist, dass z. B. irreversible COX-Inhibitoren und Tetrazykline bei der Indikation Schizophrenie von Nutzen sein könnten. Umgekehrt können klassische „An tipsychotika“ (D2R-mGPCR-Antagonisten) möglicherweise in der Therapie von bestimmten Pilzerkrankungen nützlich sein. Klassische antimykotische Arzneistoffe könnten eine Indikationswerweiterung in Richtung Protozoenerkrankungen erfahren, wohinge
Arzneistoffgruppe
Irreversible COX-Inhibitoren
Tetrazykline
SGLT-2- Inhibitoren
Makrolide
Triazole
D2R-mGPCR- Antagonisten
GABAAR- Aktivatoren
Dopamin-Prodrugs
GLP-1R- Agonisten
Alkali-Ionen
ASS
Doxycyclin
Empagliflozin
Erythromycin (nicht in der NKLM/IMPPArzneistoffliste, da Makrolide mit besseren antibakteriellen Eigenschaften verfügbar)
Fluconazol
Haloperidol
Ivermectin
Levodopa
Liraglutid
Lithium
Bipolare Störung, Depression
Typ-2-Diabetes
M. Parkinson
Fadenwurm-, Laus- und Milbenerkrankungen
Schizophrenie, bipolare Störug
Kandidose, Kryptokokkose
Infektionen mit empfindlichen bakteriellen Krankheitserregern
Typ-2-Diabetes
Infektionen mit empfindlichen bakteriellen Krankheitserregern
Sekundärprävention thromboembolischer Erkrankungen
Traditionelle Indikation(en)
Schizophrenie, M. Parkinson, M. Alzheimer
Adipositas
M. Alzheimer
Malaria, Tumorerkrankungen, COVID-19
Kryptokokkose
Leishmaniasis
Gastrointestinale Stase (Angriff als Agonist am Motilinrezeptor, der zu den GPCR gehört): off-label-Anwendung
CHF, CKD (effektiver als bei Typ-2Diabetes); Begriff „orale Antidiabetika“ daher ein Misnomer
Schizophrenie, Malaria
Schizophrenie
Neue Indikationen (teilweise noch experimentell und sehr überraschend)
7 Kap. 8, 28, 29
7 Kap. 19
7 Kap. 8
7 Kap. 24, 33
7 Kap. 29, 34
7 Kap. 34
7 Kap. 13, 32
7 Kap. 12, 16, 19
7 Kap. 29, 32
7 Kap. 18, 29
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
1
Arzneistoff
.. Tab. 1.6 Beispiele von neuen Indikationen für bekannte Arzneistoffe
44 Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
GERD, PUD KHK, Hypertonie
PPI
βxAR-Antagonisten
RNA-PloymeraseInhibitoren
RNA-Polymerase- Inhibitoren
PDE5-Inhibitoren
Ubiquitinierungs- Stimulatoren
Pantoprazol
Propranolol
Remdesivir
Ribavirin
Sidenafil
Thalidomod (wegen Teratogenität nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste)
Lepra, Tuberkulose, multiples Myelom
PAH, BPH, Blasenfunktionsstörungen
Kandidose
COVID-19
Essentieller Tremor, Migräneprophylaxe, infantiles Hämangiom
Tumorerkrankungen
Rosacea, periorale Dermatitis
Polyzystisches Ovar, Tumorerkrankungen
7 Kap. 31, 32
7 Kap. 9
7 Kap. 33, 34
7 Kap. 33
7 Kap. 5, 6
7 Kap. 13, 31
7 Kap. 32, 34
7 Kap. 19, 24, 31
Wenn das Repurposing von Arzneistoffen sich weiter so rasant entwickelt wie in den letzten Jahren, wird eine mechanistische Arzneistoffgruppen-Klassifikation (siehe NKLM/IMPP-Arzneistoffliste im Serviceteil) hinfällig. Dann wird eine rein chemische Nomenklatur erforderlich werden
Schlafstörungen bei Schwangeren (1950–1960er-Jahre) (Achtung: schwerste Phokomelien und Amelien bei Kindern!)
ED
HCV-Infektion
Ebola-Virus-Krankheit
Anaerobier-Infektionen, Protozoen-Infektionen
Nitroimidazole
Metronidazol
Typ-2-Diabetes
Biguanide
Metformin
1.11 · Repositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling… 45
1
46
1
Kapitel 1 · Einführung und Pharmakodynamik
gen klassische antivirale Arzneistoffe bei Pilzinfektionen Wirkung zeigen können. Es kommt also zu einer zunehmenden Aufweichung der klassischen Indikationen von Arzneistoffen. >>Um das immer wichtiger werdende Repositioning, Repurposing, Redirecting und Reprofiling von Arzneistoffen sowie den off-label-use von Arzneistoffen abbilden zu können, muss die traditionelle indikationsbezogene Klassifikation von Arzneistoffgruppen zu Gunsten einer nach Wirkmechanismen und chemischer Struktur basierten Klassifikation fallengelassen werden. >>Das wohl bekannteste Beispiel für ein erfolgreiches Repurposing ist die Zulassung des „Ebolamedikaments“ Remdesivir für COVID-19 (7 Kap. 33).
stoffgruppen-Klassifikation dieses Buches NICHT mit einer eigenen Gruppe erfasst worden.
Das Antitarget der HERG-Kanäle umfasst Vertreter unterschiedlicher Arzneistoffklassen mit chemischen Ähnlichkeiten (7 Kap. 17). Jeder Arzt muss die Arzneistoffe kennen, die HERG-Kanäle blockieren!
Fallbeispiel
Ein 65-jähriger Patient mit Lungenkarzinom und Knochenmetastasen hat starke Schmerzen. Deswegen wird der Patient mit einem partiellen MOR-Agonisten behandelt. Nach einigen Wochen lässt die Wirksamkeit der Therapie nach.
>>Das wohl bekannteste Beispiel für ein gescheitertes Repurposing ist die Rücknahme der Zulassung des Malariamedikaments Chloroquin für COVID-19 (7 Kap. 33).
Im Falle vollständig neuer Indikationen (z. B. mGPCR-Antagonisten bei Pilzerkrankungen) muss die mechanistische Klassifikation der Arzneistoffgruppe um das neue Target erweitert werden oder der chemische Name verwendet werden. >>Das klinisch sehr wichtige Antitarget der HERG-Kanäle ist innerhalb der Arznei-
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Mit welchem Arzneistoff ist der Patient am wahrscheinlichsten behandelt worden? 2. Warum hat die Effektivität der Therapie nachgelassen? 3. Was sind die nächsten Schritte, damit der Patient wieder schmerzfrei wird? 4. Was ist zu tun, wenn der Patient trotz der verbesserten Therapie wieder Schmerzen bekommt? Antworten in 7 Kap. 37
47
Pharmakokinetik Inhaltsverzeichnis 2.1
DME-Parameter: Pharmakotherapeutische A Relevanz – 49
2.2
Bedeutung des first-pass-Effektes – 53
2.3
Bedeutung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) – 55
2.4
Bedeutung der Plasma-HWZ – 58
2.5
edeutung von CYP-Induktoren B und CYP-Inhibitoren – 61
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_2
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48
2
Kapitel 2 · Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik analysiert den Weg von Arzneistoffen im Organismus und die Wirkungen des Organismus auf Arzneistoffe. Die pharmakokinetischen Eigenschaften eines Arzneistoffs werden durch die ADME-Parameter beschrieben. Zur Sicherstellung einer guten intestinalen Resorption sowie BHS-Passage muss ein Arzneistoff niedermolekular, ungeladen und lipophil sein. Unter dem first-pass-Effekt versteht man die Inaktivierung eines Arzneistoffs bei der ersten Leberpassage. CYP-Hemmung verstärkt die Wirkung von Arzneistoffen, die über dasselbe CYP inaktiviert werden, während CYP-Induktion die Wirkung von Arzneistoffen abschwächt. Ein großes Verteilungsvolumen weist auf ein tiefes Kompartiment hin, in dem ein Arzneistoff akkumuliert. Prodrugs sind inaktive Vorstufen eines Arzneistoffs, die durch Metabolismus in den aktiven Arzneistoff umgewandelt werden. Der enterohepatische Kreislauf ist ein zyklischer Prozess der Abgabe eines Arzneistoffs in die Galle mit anschließender intestinaler Reabsorption. Ein Arzneistoff zur p.o.-Anwendung sollte i. d. R. eine gute Bioverfügbarkeit besitzen, nicht mit CYP interferieren, keinen first-pass-Effekt, keine hohe Plasmaproteinbindung und kein zu großes Verteilungsvolumen aufweisen, keinen enterohepatischen Kreislauf besitzen und eine HWZ haben, die gute Steuerbarkeit ermöglicht. Zur Behandlung von ZNS-Erkrankungen müssen Arzneistoffe die BHS gut durchdringen können, während zur Behandlung anderer Erkrankungen eine fehlende ZNS-Penetration wünschenswert ist.
Merksätze 55 Die meisten Arzneistoffe werden bei p.o.Gabe mit einer Kinetik 1. Ordnung resorbiert und eliminiert. 55 Die Arzneistoffresorption im GI-Trakt wird durch viele Faktoren beeinflusst. 55 Der first-pass-Effekt kann für die Pharmakotherapie gezielt genutzt werden.
55 Die Eigenschaften der BHS können genutzt werden, um UAW im ZNS zu vermeiden. 55 Bei einer Kinetik 1. Ordnung ist nach 4–5 HWZ ein Steady State des Arzneistoffs erreicht. 55 Nach ca. 5 HWZ ist ein Arzneistoff aus dem Körper eliminiert. 55 Eine hohe Plasmaproteinbindung eines Arzneistoffs kann durch Konkurrenz mit anderen Arzneistoffen zu UAW führen. 55 TDM erhöht die Arzneitherapiesicherheit. 55 Der sicherste Weg zur Minimierung von Arzneistoffinteraktionen ist die Vermeidung von Polypharmazie. 55 CYP-Polymorphismen können Arzneistoffwirkungen verstärken oder abschwächen. 55 Nahrungsmittel, pflanzliche Arzneimittel und Rauchen können durch CYP- Interferenzen UAW oder Wirkungsverlust von Arzneistoffen auslösen. 55 Leberinsuffizienz und CKD verlängern Arzneistoffwirkungen und können UAW hervorrufen. 55 MRP tragen zu Zytostatikaresistenz bei. 55 Bei Meningitis sowie in bestimmten Lebensaltern (Säuglinge und Kleinkinder) ist die BHS-Durchlässigkeit erhöht. 55 Risikoarzneistoffe wegen ZNS-UAW bei Säuglingen und Kleinkindern sind Xylometazolin, MCP und Loperamid. 55 Amiodaron ist ein problematischer Arzneistoff mit extrem langer HWZ, großer Akkumulationsgefahr und vielen UAW. 55 RMP, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Johanniskraut-Inhaltsstoffe und Nikotin sind klassische CYP-Induktoren. 55 Fluorchinolone, Makrolide, Triazole und Grapefruitsaft-Inhaltsstoffe sind klassische CYP-Inhibitoren. 55 Eine Therapie mit Arzneistoffen geringer therapeutischer Breite wie mGPCR- Antagonisten, Theophyllin, Ciclosporin und Phenprocoumon ist anfällig für CYP-Interaktionen.
2
49 2.1 · ADME-Parameter: Pharmakotherapeutische Relevanz
2.1 ADME-Parameter:
Pharmakotherapeutische Relevanz
Die Pharmakokinetik beschreibt den Weg von Arzneistoffen im Organismus und die Wirkungen des Organismus auf einen Arzneistoff. Die Pharmakokinetik umfasst die ADME-Parameter Absorption (Resorption), Distribution (Verteilung), Metabolisierung (Verstoffwechslung) und Elimination (Ausscheidung). Diese Parameter beeinflussen die pharmakologische Wirkung eines Arzneistoffs im Organismus. Pharmakokinetische Vorgänge laufen entsprechend einer Kinetik 0. Ordnung oder 1. Ordnung ab: 55 Bei der Kinetik 0. Ordnung wird pro Zeitraum eine konstante Arzneistoffmenge resorbiert bzw. eliminiert. Paradebeispiel für die Resorptionskinetik 0. Ordnung ist die i.v.-Dauerinfusion eines Arzneistoffs; klassisches Beispiel für die Elimination 0. Ordnung ist der Ethanolabbau über die Alkoholdehydrogenase. 55 Bei einer Kinetik 1. Ordnung wird ein Arzneistoff konzentrationsabhängig resorbiert bzw. eliminiert; die Kinetiken haben den Verlauf einer Exponentialfunktion. Die Plasma-HWZ ist das Zeitintervall, in dem die Plasmakonzentration eines Arzneistoffs um 50 % reduziert wird. Entsprechend ist die Arzneistoffkonzentration nach 2 HWZ auf 25 % reduziert, nach 3 HWZ auf 12,5 % und nach 4 HWZ auf 6,25 %. In einem offenen System mit einer Resorptions- und Eliminationskinetik 1. Ordnung wird nach 4–5 HWZ ein Gleichgewicht zwischen Resorption und Elimination, die Steady-State-Plasmakonzentration des Arzneistoffs, erreicht. . Abb. 2.1 gibt eine Übersicht über ADME-Parameter. In den meisten Fällen wird ein Arzneistoff p.o. appliziert. Wichtigstes Resorptionsorgan ist der Dünndarm.
Um die Inaktivierung des Arzneistoffs durch den niedrigen Magen-pH zu verhindern, werden viele Arzneistoffe in magensaftresistenten Formulierungen appliziert. Ziel der Pharmakotherapie ist es, die Arzneimittelanwendung für den Patienten einfach zu gestalten, d. h. wenn möglich, mit einer einmaligen Gabe pro Tag. Außerdem soll bei vielen chronischen Erkrankungen (z. B. Hypertonie, 7 Kap. 15; CHF, 7 Kap. 16; Hypo- und Hyperthyreose, 7 Kap. 21) eine möglichst gleichmäßige Arzneistoffwirkung erzielt werden. Deshalb werden viele Arzneistoffe in Form von Retardpräparaten appliziert. Die meisten Arzneistoffe werden über Diffusion resorbiert. Dafür müssen die Arzneistoffe niedermolekular sein (Molekulargewicht 80 l deutet auf ein tiefes Kompartiment hin. Tiefe Kompartimente sind für die Pharmakotherapie problematisch, weil sie die Speicherung von Arzneistoffen im Organismus (z. B. im Fettgewebe oder in Knochen) anzeigen und damit langfristig UAW verursachen können. Aus tiefen Komparti
menten wird ein Arzneistoff nur langsam freigesetzt. Ein klassisches Beispiel ist der pleiotrope Ionenkanal-Blocker Amiodaron (7 Abschn. 2.4 sowie 7 Kap. 17). Tetrazykline bilden mit Calcium Komplexe und können bei Gabe an Schwangere in Knochen und Zähnen des Fetus akkumulieren (7 Kap. 32). Ein weiteres Beispiel für einen Arzneistoff mit tiefem Kompartiment ist das Barbiturat Thiopental (7 Kap. 27). Nach Injektion gelangt Thiopental rasch ins ZNS und verteilt sich danach in die Skelettmuskulatur und schließlich in das Fettgewebe, aus dem es langsam freigesetzt wird. So kann Thiopental bei mehrmaliger Applikation oder prolongierter einmaliger Applikation sehr lange wirken. Im Falle der Bisphosphonate (7 Kap. 20) trägt das tiefe Kompartiment (Akkumulation in Osteoklasten) zu einer erwünschten langanhaltenden protektiven Wirkung bei Osteoporose bei. Die Bindung von Arzneistoffen an Plasmaproteine reduziert den Anteil des Arzneistoffs, der ungebunden und damit pharmakologisch wirksam ist. Eine hohe Plasmaproteinbindung wird vor allem dann zum Problem, wenn es zur Verdrängung eines Arzneistoffs mit hoher Plasmaproteinbindung und geringer therapeutischer Breite durch einen zweiten Arzneistoff kommt. Dadurch nimmt die freie Konzentration des ersten Arzneistoffs zu und es kann zu UAW kommen. Ein klassisches Beispiel ist die Verdrängung des VKA Phenprocoumon (7 Kap. 18; Plasmaproteinbindung >99 %) durch andere stark proteingebundene Arzneistoffe wie den PCB Glibenclamid (7 Kap. 19). Wird Glibenclamid durch Phenprocoumon aus der Plasmaproteinbindung verdrängt, kann es zu schweren Hypoglykämien kommen. Daher sollte die Kombination von Arzneistoffen mit hoher Plasmaproteinbindung vermieden werden. Ein besonderes Kompartiment für die Pharmakotherapie sind Tumorzellen. Ziel der Tumortherapie ist es, Tumorzellen selektiv zu schädigen und Körperzellen zu
Kapitel 2 · Pharmakokinetik
52
schonen (7 Kap. 31). Durch Ausnutzung spezifischer Rezeptoren, Enzyme und pathobiochemischer Mechanismen gelingt es inzwischen in einem gewissen Umfang, Tumorzellen zielgenauer als bisher zu bekämpfen. Diese besitzen jedoch auch Mechanismen, um sich dem Angriff der Tumortherapeutika zu entziehen. Von großer Bedeutung ist die Expression von MRP in der Plasmamembran von Tumorzellen. Diese Transporter pumpen aktiv viele Zytostatika aus der Tumorzelle heraus und verhindern somit die Zytostatikawirkung. Leider ist es bislang nicht möglich, MRP selektiv in Tumorzellen zu hemmen, um den Zytostatikaexport zu verhindern. Eine Möglichkeit zur Umgehung des Problems besteht darin, verschiedene Zytostatika miteinander zu kombinieren und so die Selektion von Tumorzellen mit hoher MRP-Aktivität zu verzögern. Das Hauptorgan für den Arzneistoff metabolismus ist die Leber. Er wird in zwei Phasen unterteilt: 1. In der Phase 1 wird der Arzneistoff oxidiert, reduziert oder hydrolysiert. Phase-1-Metaboliten können pharmakologisch aktiv oder inaktiv sein. 2. In der Phase 2 erfolgt die Konjugation des Phase-1-Metaboliten an Glucuronsäure, Essigsäure, Schwefelsäure oder eine Aminosäure. Durch die Konjugation wird der Phase-1-Metabolit (bis auf wenige Ausnahmen; Morphin-6- Glucuronid, 7 Kap. 10 und 12) inaktiviert, wasserlöslich und damit einer Ausscheidung über die Galle und/oder die Nieren zugänglich gemacht.
2
Bei Lebererkrankungen wie Hepatitis C (7 Kap. 33), Leberzirrhose, Intoxikation mit hepatotoxischen Arzneistoffen wie Paracetamol (7 Kap. 4 und 10) sowie im Neugeborenenalter ist die metabolische Kapazität der Leber eingeschränkt. Dementsprechend ist die Wirkdauer von Arzneistoffen verlängert und die Dosis muss reduziert werden.
CYP spielen für den Phase-1-Meta bolismus die größte Rolle. CYP sind Hämoproteine mit Monooxygenaseaktivität. Sie spielen auch im Steroidhormonstoffwechsel eine bedeutende Rolle (7 Kap. 24 und 34). Das menschliche Genom enthält über 50 CYP-Gene. CYP werden mit einem dreistelligen Ziffer-Buchstaben-Zahl-Code klassifiziert. Die erste Ziffer bezeichnet die Genfamilie, der Buchstabe dahinter die Genunterfamilie und die Zahl das individuelle Gen. Die CYP-Expression wird über nukleäre Rezeptoren reguliert, z. B. den Pregnan-X-Rezeptor (PXR) (7 Kap. 1), der viele Xenobiotika (darunter auch Arzneistoffe) bindet, die CYP-Expression stimuliert und die Arzneistoffinaktivierung beschleunigt. Die CYP- Aktivität unterliegt erheblichen individuellen Variationen. Es gibt CYP-Polymorphismen mit sehr hoher enzymatischer Aktivität (Fast Metabolizer) und solche mit sehr niedriger Aktivität (Slow Metabolizer). CYP-Polymorphismen spielen in der Ansprechbarkeit von Patienten auf einen gegebenen Arzneistoff eine große Rolle. So kommt es beim Fast Metabolizer für CYP2D6 zu beschleunigter Inaktivierung von Tamoxifen und damit zum Wirkungsverlust (7 Kap. 24 und 31). Umgekehrt kommt es beim Slow Metabolizer für CYP2C9 zu verzögerter Inaktivierung von VKA und COX- Inhibitoren und entsprechend stärkeren UAW (7 Kap. 10 und 18). Bei unerwarteter fehlender Arzneistoffwirkung oder gravierenden UAW ist daher TDM angezeigt. CYP-Interaktionen von Arzneistoffen sind klinisch so bedeutsam, dass sie in einem separaten 7 Abschn. 2.5 abgehandelt werden. Ein wichtiger Eliminationsweg für Arzneistoffe ist die Galle. Biliär eliminierte Phase-2-Metaboliten gelangen in den Darm, wo sie durch Bakterien zu lipophilen Phase-1- Metaboliten dekonjugiert werden. Diese Metaboliten werden resorbiert und können pharmakologisch wirksam werden. So entsteht ein enterohepatischer Kreislauf, durch den die Wirkdauer von Arzneistoffen ver
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53 2.2 · Bedeutung des first-pass-Effektes
Wirkung von GTN kann jedoch in verschiedenen Notfallsituationen (Anginapectoris- Anfall, hypertensiver Notfall, Kolikschmerzen, 7 Kap. 9, 10, 15, 16 und 23) genutzt werden. Um den firstpass-Effekt zu umgehen, stehen zahlreiche Darreichungsformen des Arzneistoffs zur Verfügung, z. B. Sublingualsprays. Im Vergleich zur sublingualen Applikation ist der Wirkungseintritt bei rektaler Applikation eines Arzneistoffs zur Umgehung des firstpass-Effektes verzögert. Die Auswahl der Applikationsform muss bedarfsgerecht angepasst werden. Auch wenn die Leber bei bukkaler, sublingualer, dermaler, rektaler oder i.v.-Applikation umgangen wird, wird sie dennoch bald erreicht und der Arzneistoff rasch inaktiviert. Dies hat zur Folge, dass die Wirkung von GTN zeitlich sehr beschränkt ist (ca. 30 Minuten), aber dieser Zeitraum ist zunächst ausreichend, um weitergehende pharmakotherapeutische Maß2.2 Bedeutung des first-passnahmen einzuleiten. Effektes Scopolamin ist ein MxR-Antagonist und kann in hoher Dosierung ein anti In . Tab. 2.1 sind repräsentative Arzneimuskarinerges Syndrom auslösen (7 Kap. 4 stoffe mit hohem first-pass-Effekt zusamund 5). In niedriger Dosierung besitzt mengestellt. Scopolamin jedoch auch gute antiemetische Wirkung bei Kinetose (7 Kap. 6). >>Ein hoher first-pass-Effekt ist für die p.o.Diese Wirkung kann man aber wegen des Gabe eines Arzneistoffs ungünstig, weil er first-pass-Effektes von Scopolamin nicht nicht systemisch wirksam werden kann. für eine p.o.-Therapie nutzen. Stattdessen Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: wird ein Pflaster mit einem Scopolamin- HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren, die mit Depot auf die Haut (z. B. hinter ein Ohr) Erfolg in der Therapie von Dyslipidämien geklebt. Aus diesem Depot wird der Arzeingesetzt werden (7 Kap. 22), entfalten ihre neistoff dann prolongiert (unter teilweiser Wirkung primär in der Leber. HMG-CoA- Umgehung der Leber) freigesetzt und kann Reduktase-Inhibitoren mit hoher Biover- dann seine therapeutische Wirkung entfalfügbarkeit besitzen ein hohes Rhabdomyo- ten. GCR-Agonisten sind effektive antilyserisiko. Das Risiko für systemische UAW von HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren mit inflammatorische und immunsuppressive hohem first-pass-Effekt wird durch gleich- Arzneistoffe, die bei Autoimmunerkranzeitige Applikation von Arzneistoffen, die kungen, Asthma sowie zur Verhinderung CYP3A4 oder die Aufnahme in die Leber einer Transplantatabstoßung eingesetzt werden (7 Kap. 11, 13 und 14). Das Proüber OATPB1 hemmen, vergrößert. GTN ist der klassische Arzneistoff blem in der GCR-Agonist-Anwendung mit hohem first-pass-Effekt. Er wird nach besteht darin, dass sie globale Wirkungen p.o.-Gabe nicht wirksam. Die relaxierende auf Stoffwechsel und Elektrolythaushalt längert wird. Prinzipiell ist der enterohepatische Kreislauf negativ zu beurteilen, da das Risiko von UAW bei Überdosierungen von Arzneistoffen besteht. Er kann durch Absorbenzien durchbrochen werden (7 Kap. 4 und 22). Zu Arzneistoffen mit hohem enterohepatischen Kreislauf gehören Tamoxifen (7 Kap. 24 und 31), Carbamazepin (7 Kap. 28), Leflunomid (7 Kap. 11) und NSMRI (7 Kap. 28). Hauptorgan für die Arzneistoffausscheidung (Phase-2-Metaboliten) ist die Niere. Die Elimination erfolgt über glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion. Bei CKD kommt es zu verzögerter Arzneistoffelimination und dementsprechend zu Arzneistoffakkumulation mit verstärkten UAW. Dies erfordert eine individuell angepasste Dosis erniedrigung (7 Kap. 12).
Kapitel 2 · Pharmakokinetik
54
.. Tab. 2.1 Bedeutung des first-pass-Effektes für Arzneistoffwirkungen: Beispiele
2
Arzneistoff
Applikationsart
Pharmakologische Eigenschaften und Konsequenzen für die Pharmakotherapie
Budesonid
Inhalativ (bronchial), rektal
Lokale antiinflammatorische und immun- 7 Kap. 11, 13, 14 suppressive Wirkung bei Asthma bzw. Colitis ulcerosa. Der systemisch resorbierte Arzneistoff wird rasch in der Leber abgebaut; dadurch kaum systemische UAW.
Estradiol
Transdermal (Pflaster, Gel)
Estradiol ist das wichtigste physiologische Estrogen und zeigt bei peri- und postmenopausalen Beschwerden gute Wirkung. Bei p.o.-Gabe würde ein Großteil des Estradiols jedoch bereits bei der ersten Leberpassage inaktiviert. Durch die dermalen Applikationsformen kann Estradiol systemisch zur Wirkung gelangen.
7 Kap. 24
Glyzeroltrinitrat
Bukkal, sublingual, rektal, i.v.
Durch die genannten Applikationsformen wird die rasche Inaktivierung von GTN in der Leber zunächst umgangen und es kommt zu einem kurz andauernden relaxierenden Effekt auf glatte Muskelzellen, der in Notfallsituationen genutzt wird.
7 Kap. 9
Scopolamin
Transdermal (Pflaster)
Prolongierte Abgabe des Arzneistoffs über die Haut, dadurch prolongierte antiemetische Wirkung (z. B. bei Schiffsreisen).
7 Kap. 5, 7
Simvastatin
p.o.
Simvastatin hemmt in der Leber die HMG-CoA-Reduktase und damit Synthese von Cholesterin. Simvastatin wird aber auch rasch in der Leber abgebaut. Dadurch vermindern sich die systemischen UAW von Simvastatin (geringes Risiko für Rhabdomyolyse, wenn nicht gleichzeitig CYP3A4- oder OATPB1- Inhibitoren gegeben werden)
7 Kap. 22
besitzen und daher gravierende UAW hervorrufen können (7 Kap. 11). Das Ziel einer GCR-Agonist- Therapie besteht darin, die Wirkung auf das erkrankte Organ zu beschränken. Dies gelingt zum einen durch lokale Anwendung der Arzneistoffe (7 Kap. 13 und 14) und zum anderen durch die Gabe von GCR-Agonisten, die nach systemischer Resorption rasch in der Leber inaktiviert werden.
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Auch ER-, PR- und AR-Agonisten werden nach p.o.-Gabe rasch in der Leber inaktiviert. Eine Möglichkeit zur Kompensation des first-pass-Effektes besteht darin, große Arzneistoffmengen p.o. zu verabreichen (z. B. PR-Agonisten). Eine andere Strategie ist es, die Arzneistoffe transdermal in Form von Pflastern oder Gelen zu applizieren und damit den first-pass-Effekt partiell zu umgehen (7 Kap. 24).
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55 2.3 · Bedeutung der Blut-Hirn-Schranke (BHS)
2.3 Bedeutung der Blut-Hirn-
wandelt. Dieser Mechanismus wird in der Therapie des M. Parkinson ausgenutzt Schranke (BHS) (7 Kap. 8). Im Gegensatz dazu wird der Die BHS stellt eine physiologische Barriere Dopadecarboxylase-Inhibitor Benserazid zwischen Blutkreislauf und ZNS dar. Tight nicht ins ZNS transportiert. In der PeriJunctions zwischen Endothelzellen sind da- pherie können durch Dopadecarboxylase- für verantwortlich, dass Stoffe nicht para- Hemmung DA-UAW verringert werden. zellulär diffundieren können, sondern beide In der Area postrema ist die BHS nicht Endothelmembranen durchdringen müs- vollständig ausgebildet, weshalb dort auch sen. Die Endothelzellen liegen einer Basal- hydrophile Arzneistoffe das ZNS erreichen membran auf. Auf der kontralateralen Seite können. Dies ist von (patho)physiologischer der Basalmembran liegen Gliazellen, die Bedeutung, denn über eine Aktivierung verdie Neuronen schützen und ernähren. Die schiedener Rezeptoren in der CTZ der Area BHS-Funktion besteht darin, für das ZNS postrema wird Erbrechen ausgelöst. Demein optimales Milieu herzustellen und es vor entsprechend kann durch Antagonisierung toxischen Stoffen zu schützen. Arzneistoffe dieser Rezeptoren mit hydrophilen und dakönnen die BHS über Diffusion oder Trans- mit nur gering oder nicht die BHS durchportprozesse überwinden. dringenden Arzneistoffen eine antiemetische . Tab. 2.2 zeigt, wie die unterschied- Wirkung erzielt werden. Zu diesen Arzneiliche BHS-Penetration von Arzneistoffen stoffen gehören die D2R-Antagonisten Domderen therapeutische Anwendung beein- peridon und MCP, der NK1R-Antagonist flusst. Zur Behandlung von ZNS-Erkran- Aprepitant und der 5-HT3R-Antagonist Onkungen (7 Kap. 25, 28, 29 und 30) und für dansetron (7 Kap. 6). die Narkose (7 Kap. 27) ist es erforderlich, Bei Säuglingen und Kleinkindern ist dass Arzneistoffe die BHS überwinden. Die die BHS physiologisch noch nicht voll ausmeisten Arzneistoffe erreichen das ZNS gebildet. Dies bedeutet, dass Arzneistoffe, über Diffusion. Dafür müssen die Arznei- die beim Schulkind, Jugendlichen und Erstoffe niedermolekular sein (Molekularge- wachsenen nur schlecht oder überhaupt wicht >Die wichtigste Maßnahme zur Reduktion von UAW- und Interaktionsrisiken besteht darin, die Anzahl der Arzneistoffe so weit wie möglich zu reduzieren. Dies ist in den meisten Fällen möglich.
Die erste Maßnahme jedes guten Arztes sollte es daher sein, die Arzneimittelliste des Patienten kritisch zu überprüfen. Häufig werden Doppelverschreibungen, unsinnige Kombinationen oder obsolete Arzneistoffe gefunden. Das Absetzen von Arzneistoffen (Deprescribing) führt häufig zur Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten. Dies trifft insbesondere auf ältere Patienten zu. . Tab. 2.4 zeigt Beispiele für Arzneistoffinteraktionen von CYP-Induktoren und CYP-Inhibitoren mit CYP-Substraten. Eine häufige Situation in der Behandlung psychiatrischer Patienten ist, dass der Patient zur vermeintlichen Stabilisierung seiner psychischen Situation mehr oder weniger stark raucht. Bestandteile des Zigarettenrauches können effektiv CYP induzieren und dadurch die Wirksamkeit von mGPCR- Antagonisten (Beispiel Clozapin, 7 Kap. 29) reduzieren. Dies wiederum kann die Psyche des Patienten beeinträchtigen und damit weiteren Zigarettenkonsum fördern. Psychiatrische Patienten müssen über die negativen Folgen des Rauchens auf die
Wirkstoff 2 und Funktion an CYP (Induktor oder Inhibitor)
Nikotin, CYP1A2- Induktor
Clozapin, CYP1A2-Substrat
Clopidogrel, CYP2C19- Substrat
Pantoprazol, CYP2C19- Inhibitor
CYP-Inhibitoren (Wirkstoff 2)
Johanniskraut (Hyperforin), CYP3A4- Induktor
Ciclosporin, CYP3A4-Substrat
CYP-Induktoren (Wirkstoff 2)
Arzneistoff 1 (CYP-Substrat)
Ausbleibende metabolische Aktivierung von Clopidogrel und fehlende Hemmung der Thrombozytenaggregation, Risiko von Stentthrombose, MI und Schlaganfall erhöht
Antipsychotische Wirkung nimmt ab
Abschwächung der immunsuppressiven Wirkung von Ciclosporin; Verschlechterung der Autoimmunerkrankung/Transplantatabstoßung
Veränderte Wirkung von Arzneistoff 1
Kritische Überprüfung, ob Pantoprazol als prophylaktischer „Magenschutz“ gegen theoretisch mögliche (Mikro)blutungen tatsächlich erforderlich ist; Dosis adjustierung von Clopidogrel unter Überprüfung der Thrombozytenfunktion
TDM, Aufklärung des Patienten darüber, dass Nikotinkonsum mit Therapieerfolg interferiert; Versuch Nikotinentzug durchzuführen. Dosisadjustierung; ggf. Umstellung auf einen anderen p-mGPCRAntagonisten
Aufklärung des Patienten darüber, dass bestimmte pflanzliche Arzneimittel sowie Nahrungsbestandteile keineswegs harmlos sind, sondern durch CYP-Interferenzen gefährliche Interaktionen verursachen können; Absetzen des Johanniskrautes; TDM und Dosis adjustierung; ggf. Umstellung auf andere immunmodulatorische Arzneistoffe
Problemlösungsstrategie
.. Tab. 2.4 Bedeutung von CYP-Induktoren und CYP-Inhibitoren für Arzneistoffwirkungen: Beispiele
(Fortsetzung)
7 Kap. 18
7 Kap. 29
7 Kap. 11
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
2.5 · Bedeutung von CYP-Induktoren und CYP-Inhibitoren 63
2
Wirkstoff 2 und Funktion an CYP (Induktor oder Inhibitor)
Clarithromycin, CYP3A4- Inhibitor
Grapefruitsaft (Naringin), CYP3A4- Inhibitor
Ciprofloxacin, CYP1A2- Inhibitor
Phenprocoumon, CYP3A4-Substrat
Simvastatin, CYP3A4-Substrat
Theophyllin, CYP1A2-Substrat
Verstärkte UAW von Theophyllin (z. B. Tachykardie, Diarrhoe, Erregungszustände)
Rhabdomyolyse mit Myoglobinämie und akutem Nierenversagen
Gefährliche Blutungen
Veränderte Wirkung von Arzneistoff 1
TDM und Dosisadjustierung; Ersatz von Ciprofloxacin gegen einen anderen wirksamen antibakteriellen Arzneistoff, der nicht CYP1A2 hemmt (z. B. aus der Gruppe der Penicilline, wenn es die Infektion zulässt), ggf. Umstellung auf spezifischer wirkenden PDE4-Inhibitor (Roflumilast) anstelle von Theophyllin
Der Patient muss über Interaktionspotential von Simvastatin mit anderen Arzneistoffen und Nahrungsbestandteilen aufgeklärt werden; ebenso über Frühsymptome einer Rhabdomyolyse (Muskelschmerzen); Dosisadjustierung und Vermeidung anderer Arzneistoffe, die Rhabdomyolyse auslösen können (z. B. PPAR-α-Agonisten)
Im akuten Notfall Substitution von Gerinnungsfaktorkonzentraten, Vitamin K antagonisiert die Wirkung von Phenprocoumon nur langsam, Dosisadjustierung unter Kontrolle des INR-Wertes; Patient muss darüber informiert werden, welche Arzneistoffe Interferenzen mit Phenprocoumon zeigen, Überprüfen der Arzneimittelliste des Patienten und ggf. Absetzen von Problemarzneistoffen; ggf. Umstellen auf einen Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitor; aber hierbei hohe Therapiekosten beachten
Problemlösungsstrategie
7 Kap. 14
7 Kap. 22
7 Kap. 18
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
2
Arzneistoff 1 (CYP-Substrat)
.. Tab. 2.4 (Fortsetzung)
64 Kapitel 2 · Pharmakokinetik
65 2.5 · Bedeutung von CYP-Induktoren und CYP-Inhibitoren
Wirksamkeit einer psychopharmakologischen Therapie aufgeklärt werden. Der Arzt muss ferner sicherstellen, dass der Patient die verschriebenen Arzneistoffe einnimmt. Zur Überwachung der Therapie und Dosis adjustierung muss häufig TDM durchgeführt werden. Viele Patienten mit fortgeschrittener COPD nehmen den Bronchodilatator Theophyllin ein (7 Kap. 14). Theophyllin besitzt eine geringe therapeutische Breite und hat viele UAW, die therapielimitierend sind. Oft bekommen Patienten mit COPD eine Pneumonie. Bei Pneumonien werden häufig antibakterielle Arzneistoffe eingesetzt. Das Fluorchinolon Ciprofloxacin hemmt effektiv den Abbau von Theophyllin und verstärkt dadurch dessen UAW. Als Alternative zu Ciprofloxacin kommen Penicilline und Cephalosporine infrage, da sie CYP nicht hemmen. Für Theophyllin muss TDM und Dosisadjustierung durchgeführt werden. Auch Umstellung auf Roflumilast, einen selektiven PDE4-Inhibitor mit größerer therapeutischer Breite als Theophyllin, ist in Betracht zu ziehen. Ciclosporin ist ein immunsuppressiv wirkender Arzneistoff, der in der Therapie von Autoimmunerkrankungen und zur Verhinderung der Organabstoßung eingesetzt wird (7 Kap. 11). Auch hier ist die therapeutische Breite gering. Patienten, die Ciclosporin einnehmen, erhalten häufig auch noch GCR-Agonisten zur Immunsuppression. GCR-Agonisten können jedoch eine Depression verstärken (7 Kap. 28). Häufig versuchen diese Patienten unter Umgehung psychiatrischer Konsultation, die Depression mit Johanniskrautextrakten zu behandeln. Dabei wird übersehen, dass diese potente CYP3A4-Induktoren (Hyperforin) enthalten, die die Ciclosporininaktivierung beschleunigen. Folglich lässt die immunsuppressive Wirkung von Ciclosporin nach und die Autoimmunerkrankung verschlechtert sich bzw. es kommt zur Transplantatabstoßung. Patienten, die Ciclosporin erthalten, müssen daher über die Interaktionsmöglich
2
keiten mit Johanniskraut aufgeklärt werden. In jedem Falle ist aus Sicherheitsgründen bei Ciclosporin-Therapie TDM angezeigt. Phenprocoumon hemmt die VitaminK- abhängige Carboxylierung von Gerinnungsfaktoren und wird in der Therapie thromboembolischer Erkrankungen mit Erfolg eingesetzt (7 Kap. 18). Phenprocoumon wird über CYP3A4 und CYP2C9 metabolisiert. Daher ergeben sich vielfältige Interaktionsmöglichkeiten im Sinne einer Wirkungsabschwächung (Thrombosegefahr) oder Wirkungsverstärkung (Blutungsgefahr). Falls der Patient bei einem Atemwegsinfekt Clarithromycin verschrieben bekommt oder Gojibeeren konsumiert, kann es durch CYP3A4-Hemmung zu gefährlichen Blutungen kommen, wohingegen CYP3A4-Induktoren (z. B. Carbamazepin, Phenytoin, Johanniskrautbestandteile) die Entstehung von Thrombosen begünstigen. Eine Phenprocoumontherapie erfordert gute Adhärenz sowie Aufklärung des Patienten und Therapieüberwachung. Der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitor Simvastatin ist ein Arzneistoff zur Behandlung von Dyslipidämien (7 Kap. 22). Allerdings kann Simvastatin bei zu großer Bioverfügbarkeit (7 Abschn. 2.2) Rhabdomyolysen auslösen. Dieses Risiko wird durch gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Inhibitoren erhöht. Zu diesen Inhibitoren gehören Makrolide, Triazole und der Bitterstoff Naringin aus Grapefruitsaft. Deshalb sollte der Konsum von Grapefruit bei Patienten, die über CYP3A4 metabolisierte Arzneistoffe erhalten, grundsätzlich vermieden werden. Clopidogrel ist ein irreversibler P2Y12R- Antagonist zur Sekundärprophylaxe nach MI und Schlaganfall (7 Kap. 16 und 18). Das Besondere an Clopidogrel ist, dass CYP nicht für Inaktivierung, sondern Aktivierung erforderlich ist; Clopidogrel ist also ein Prodrug. Die metabolische Clopidogrelaktivierung erfolgt über CYP2C19. Die Wirkung von Clopidogrel ist bei einigen Patienten abgeschwächt. Dies kann daran liegen, dass der Patient einen CYP2C19-
Kapitel 2 · Pharmakokinetik
66
2
Phänotyp mit niedriger Aktivität besitzt (Slow Metabolizer) oder der Patient den PPI Pantoprazol erhält, der CYP2C19 hemmt (7 Kap. 13). Es ist leider inzwischen zur reflexartigen Routine geworden, Patienten zusätzlich zu irreversiblen COX-Inhibitoren oder P2Y12R-Antagonisten als „Magenschutz“ langfristig PPI zu verschreiben (7 Kap. 13). Der Einsatz von PPI ist wegen potenzieller UAW kritisch zu überprüfen und gastrotoxische Arzneistoffe wie COX-Inhibitoren sollten vermieden werden.
Fallbeispiel
Ein 54-jähriger Patient wird wegen einer Lungentuberkulose seit 3 Monaten mit einer Kombination aus INH + EMB + RMP behandelt. Wegen eines neu aufgetretenen Typ-2-Diabetes wird der Patient nun zusätzlich mit Glibenclamid therapiert, aber trotz Einhaltens einer Diät kommt es zu keiner Verbesserung der Hyperglykämie.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Wie erklären Sie das Therapieversagen von Glibenclamid? 2. Welche anderen therapeutischen Möglichkeiten haben Sie, um den Typ-2-Diabetes zu behandeln? 3. Ist die Wirkung von RMP auf die Induktion von CYP2C9 reversibel? Lösungen 7 Kap. 37
67
Arzneimittelallergie Inhaltsverzeichnis 3.1
Pathophysiologische Grundlagen – 68
3.2
Übersicht über Typ-I- bis Typ-IV-Arzneimittelallergien – 71
3.3
athophysiologie und Therapie der Typ-I-Reaktion P sowie pseudoallergischer Reaktionen – 72
3.4
athophysiologie und Prävention P von Typ-IV-Reaktionen – 74
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_3
3
68
3
Kapitel 3 · Arzneimittelallergie
Arzneimittel können über die darin enthaltenen Arznei- und Hilfsstoffe allergische Reaktionen auslösen, die potenziell lebensbedrohlich verlaufen. Typ-I-Reaktionen beruhen auf einer Mastzelldegranulation und können innerhalb kürzester Zeit über anaphylaktischen Schock zum Tod führen. Wichtigste Maßnahme bei Typ-I-Allergien ist die i.v.-Gabe von Epinephrin (EPI, Adrenalin) durch den Arzt bzw. die i.m.-Gabe durch den Patienten mittels EPI-Autoinjektor. Bei Typ-II-Reaktionen kommt es zu immunologisch vermittelter Zerstörung von Blutzellen, bei Typ-III-Reaktionen zu Immunkomplexablagerungen, die sich in rheumatischen Symptomen manifestieren. Bei Typ-IV-Reaktionen kommt es zu HLA-Fehlsteuerung, die eine autoimmunologische Reaktion auslöst. Besonders gefährlich sind SJS und TEN. Bestimmte HLA-Polymorphismen prädisponieren zu Typ-IV-Reaktionen.
Merksätze 55 Arzneimittelallergien können überraschend auftreten und lebensbedrohlich sein. 55 Typ-I-Reaktionen können das gesamte Spektrum von harmlosen bis lebensbedrohlichen Reaktionen umfassen. 55 Wichtigste Maßnahme beim anaphylaktischen Schock ist die EPI-Gabe. 55 Pseudoallergische Reaktionen werden durch Morphin, nAChR-Agonisten, nAChR-Antagonisten, Röntgenkontrastmittel, COX- Inhibitoren und ACE- Inhibitoren hervorgerufen und wie Typ-I- Reaktionen behandelt. 55 Typ-II-Reaktionen beruhen häufig auf immunologischer Zerstörung hämato poetischer Zellen. 55 Bei Typ-III-Reaktionen kommt es zu Immunkomplexablagerungen und rheumatischen Krankheitserscheinungen. 55 Typ-IV-Reaktionen beruhen auf zellvermittelten Immunreaktionen und sind klinisch heterogen. 55 Die wichtigsten Formen der Typ-IV- Reaktion sind SJS und TEN.
55 Die Prävention allergischer Arzneimittelreaktionen ist sehr wichtig. 55 Bestimmte HLA-Polymorphismen erhöhen das Risiko von Typ-IV-Allergien.
3.1
Pathophysiologische Grundlagen
Viele UAW von Arzneimitteln lassen sich mit dem Wirkmechanismus des Arzneistoffs erklären und sind vorhersehbar (7 Kap. 1 und 4). Im Gegensatz dazu sind Arzneimittelallergien nicht mit dem Wirkmechanismus erklärbar und nicht vorhersehbar.
>>Arzneimittelallergien können lebens bedrohlich verlaufen und müssen daher vermieden werden.
Grundsätzlich können die im Arzneimittel enthaltenen Arzneistoffe oder deren Metaboliten und pharmazeutische Hilfsstoffe Allergien auslösen. Diese meist niedermolekularen Substanzen wirken als Haptene und nach Bindung an Proteinträger als Immunogene. Sie lösen eine immunologische Reaktion aus, in der Antikörper oder sensibilisierte T-Zellen gebildet werden. Die Sensibilisierungsphase verläuft innerhalb von Tagen bis Monaten nach Exposition symptomlos ab. Reexposition gegenüber dem Allergen führt zu allergischer Reaktion der Typen I–IV (. Tab. 3.1). Bestimmte Arzneistoffgruppen haben ein besonders hohes Risiko für allergische Reaktionen. Dazu gehören die Sulfonamide (7 Kap. 32 und 34). Hier besteht das zusätzliche Risiko einer Kreuzsensibilisierung mit Sulfasalazin (7 Kap. 13), SCB vom Estertyp mit lokalanästhetischer Wirkung (daher obsolet; 7 Kap. 26), CAH-Inhibitoren (7 Kap. 30) und Konservierungsstoffen (Paragruppenallergie).
>> Der Einsatz von Sulfonamiden bei durch Bakterien verursachten Erkrankungen (insbesondere Harnwegsinfekten) sollte wegen des hohen Allergierisikos minimiert werden. Das Risiko von Sulfonamid-Allergien wird regelmäßig unterschätzt.
Mechanismus
IgE-vermittelte Mastzelldegranulation bzw. pseudoallergisch durch kationisch-amphiphile Substanzen (CAD)
IgG/IgM-vermittelte Zellzerstörung
IgG/IgM- Immunkomplexablagerungen
Th1-Immunreaktion (Monozyten)
Th2-Immunreaktion (Eosinophilie)
Typ
I
II
III
IVa
IVb
Drug Related Eosinophilia with Systemic Symptoms (DRESS)
Allergisches Kontaktekzem, fixes Arzneimittelexanthem
Vaskulitis, Arthritis, Glomerulonephritis, Serositis
Hämolyse, Thrombopenie, Agranulozytose
Urtikaria, Angioödem, Juckreiz, Anaphylaxie
Symptome
Carbamazepin, Allopurinol, Sulfonamide
Barbiturate, Tetrazykline, Sulfonamide
Penicilline
Penicilline, α-Methyldopa, TPOInhibitoren, Sulfonamide
Penicilline, Cephalosporine, Metamizol (nur i.v.-Gabe), Sulfonamide, CAD (z. B. Morphin, Suxamethonium, Thiopental, Rocuronium)
Typische Arzneistoffe/ Arzneistoffgruppen
.. Tab. 3.1 Übersicht über allergische Arzneimittelreaktionen und deren Therapie
Präventive HLA-Typisierung; symptomatisch: Fiebersenkung mit COX-Inhibitoren, bei Juckreiz H1R-Antagonisten, Organüberwachung, Flüssigkeitssubstitution, Infektionsprophylaxe
Präventive HLA-Typisierung; lokal GCR-Agonisten
Symptomatisch: GCR-Agonisten und andere immunmodulatorische Arzneistoffe zur Abschwächung der Entzündungssymptome, Dialyse bei Niereninsuffizienz
Symptomatisch: Substitution fehlender Blutzellen bzw. Gabe von Wachstumsfaktoren (EPO, G-CSF)
EPI i.v. bzw. i.m., GCR-Agonisten sowie H1R-Antagonisten supportiv; Vermeidung von CAD, COX-Inhibitoren und ACEInhibitoren bei empfindlichen Patienten
Therapieprinzipien
(Fortsetzung)
7 Kap. 23, 25, 32, 34
7 Kap. 10, 25, 27, 32, 34
7 Kap. 32
7 Kap. 15, 21, 32, 34
7 Kap. 10, 32, 34
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
3.1 · Pathophysiologische Grundlagen 69
3
Immunologische Keratinozytenzerstörung
Aktivierung neutrophiler Granulozyten
IVc
IVd
Akute generalisierte exanthemische Pustulose (AGEP)
Stevens-Johnson- Syndrom (SJS), toxische epidermale Nekrolyse (TEN)
Symptome
Penicilline, Cephalosporine
Carbamazepin, Allopurinol, Sulfonamide
Typische Arzneistoffe/ Arzneistoffgruppen
Präventive HLA-Typisierung; Infektionsprophylaxe, GCRAgonisten und andere immunmodulatorische Arzneistoffe
Präventive HLA-Typisierung; intensivmedizinische Therapie mit Flüssigkeitsbilanzierung, Infektionsprophylaxe, GCRAgonisten, TNF-Inhibitoren, andere immunmodulatorische Arzneistoffe, Immunglobuline
Therapieprinzipien
7 Kap. 32
7 Kap. 23, 25, 32, 34
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Bei allen Allergieformen ist die Vermeidung erneuter Antigenexposition entscheidend. Bitte beachten, dass es vier Unterformen von Typ-IV-Reaktionen gibt. Typ IVc (SJS und TEN) ist am gefährlichsten!
Mechanismus
3
Typ
.. Tab. 3.1 (Fortsetzung)
70 Kapitel 3 · Arzneimittelallergie
3
71 3.2 · Übersicht über Typ-I- bis Typ-IV-Arzneimittelallergien
Auch Penicilline haben ein hohes Allergie von Antikörpern der Klassen IgG und IgM, risiko (7 Kap. 32), besitzen aber wegen ih- wodurch hämatopoetische Zellen zerstört rer nach wie vor guten Wirksamkeit bei kor- werden. Hämolyse, Thrombopenie und Grarekt gestellter Indikation und Anwendung nulozytopenie sind diagnostisch leicht zu erein sehr viel besseres Nutzen-Risiko- fassen. Die Therapie von Typ-II-Reaktionen besteht im Absetzen des Allergens und Sub Verhältnis als die Sulfonamide. stitution der fehlenden Blutzellen. Typ-III-Re>>Besonders hoch ist das Sensibilisierungsaktionen beruhen auf Ablagerung von IgGrisiko bei lokaler Applikation von Penicilund IgM-enthaltenden Immunkomplexen an linen auf die Haut und Schleimhäute. inneren Organen, was sich in rheumatischen Insgesamt wird aber das Risiko für PeniSymptomen wie Vaskulitis, Serositis, Arthricillinallergie stark überschätzt und führt tis und Glomerulonephritis äußert. Die Thezum weitverbreiteten Phänomen der rapie erfolgt ebenfalls durch Absetzen des Penicillin-Phobie. Allergens und Behandlung von OrgansympEine Allergieanamnese muss vor jeder Arz- tomen. Entscheidend ist, bei jedem Patienten neimittelverschreibung durchgeführt wer- mit unklaren rheumatischen Beschwerden den, um das Risiko allergischer Reaktionen auch an die Möglichkeit einer Arzneimittelzu minimieren. Bei bekannten Allergien allergie zu denken. muss dem Patienten ein Allergiepass ausgeTyp-IV-Reaktionen treten ebenso wie stellt werden. Typ-II- und Typ-III-Allergien verzögert auf Grundsätzlich besteht die Therapie aller- und beruhen auf einer zellulären Reaktion gischer Reaktionen darin, das auslösende des Immunsystems, bei der HLA eine entArzneimittel sofort abzusetzen und darüber scheidende Rolle spielen (7 Abschn. 3.4). hinaus Maßnahmen zu ergreifen, die je nach Die Manifestationen und der Schweregrad Allergieart unterschiedlich sind. Daher ist von Typ-IV-Allergien sind unterschiedlich. eine präzise Klassifikation der Arzneimittel- Bei Typ-IVa-Reaktionen kommt es zu einer allergie essentiell. Th1-dominierten Immunreaktion mit Monozytenaktivierung und Sekretion von IFN-γ und IL-2. Allergisches Kontaktek3.2 Übersicht über Typ-I- bis zem und fixes Arzneimittelexanthem sind typische und nicht lebensbedrohliche ManiTyp-IV-Arzneimittelallergien festationen des Typs IVa. Bei Typ-IVb- Reaktionen liegt eine Typ-I-Reaktionen sind Sofortreaktionen, die innerhalb von Sekunden bis Minuten Th2-dominierte Immunreaktion mit Eosinach Allergenexposition eintreten können. nophilie und Sekretion von IL-4, IL-5 und Jeder Arzt muss in der Lage sein, IL-13 vor, die mit einem generalisierten ExTyp-I-Reaktionen zu erkennen und zu be- anthem, Fieber und Funktionsstörungen handeln und von Typ-IV-Reaktionen zu un- von Leber und Niere einhergeht. Typ-IVc- terscheiden. Bei Typ-I-Reaktionen kommt Reaktionen beruhen auf Keratinozytenzeres zu IgE-vermittelter Mastzelldegranula- störung durch zytotoxische T-Zellen. Beim tion (7 Kap. 7). Leitsymptome der SJS findet man schmerzhafte Blasen im Typ-I-Reaktion sind Urtikaria, Ödeme Mund-, Rachen- und Genitalbereich sowie (z. B. Angioödem an Lippen und Larynx- eine erosive Konjunktivitis. Hinzu kommen ödeme) sowie anaphylaktischer Schock schwere Störungen des Allgemeinbefindens mit Fieber. Bei der noch gefährlicheren TEN (7 Abschn. 3.3). Typ-II- und Typ-III-Reaktionen entwi- bilden sich an der gesamten Haut Blasen und ckeln sich innerhalb von Minuten bis Tagen. die Epidermis löst sich großflächig ab (SynBei Typ-II-Reaktionen kommt es zur Bildung drom der verbrühten Haut). In der Folge
Kapitel 3 · Arzneimittelallergie
72
3
kommt es zu gravierenden Flüssigkeits- und schwellung im Gesichts-, Mund- und LaElektrolytverlusten sowie Infektionsgefahr. rynxbereich. Über den β1AR wird die HerzDazu haben die Patienten hohes Fieber. funktion stimuliert. Patienten mit bekannten Bei Typ-IVd-Reaktionen werden über IL-8 schweren Typ-I-Allergien (auch gegen andere und Granulozyten/Makrophagen-Kolonie- Antigene als Arzneistoffe wie Gräserpollen stimulierenden Faktor massiv neutrophile und Nahrungsmittelbestandteile) müssen Granulozyten aktiviert. Die Therapie von EPI-Autoinjektoren bekommen. Diese AutoTyp-IV-Allergien ist symptomatisch (Fie- injektoren lösen bei Injektion in den Oberbersenkung, Substitution von Flüssigkeit schenkel die EPI-Abgabe aus und können und Elektrolyten, Therapie von Infektionen, vor Eintreffen des Notarztes die Symptome Entzündungshemmung durch GCR-Ago- lindern bzw. eine Verschlimmerung verhinnisten). Entscheidend ist die Prävention von dern. Autoinjektoren können auch von entTyp-IV-Allergien (7 Abschn. 3.4). sprechend in struierten Angehörigen sowie Ärzten angewendet werden, die keine Routine in der Behandlung von Typ-I-Allergien besitzen. Da die EPI-Dosis beim Autoinjek3.3 Pathophysiologie und tor geringer ist als bei i.v.-Gabe und die Therapie der Typ-I-Reaktion EPI-Resorption in die Zirkulation verzögert sowie pseudoallergischer eintritt (7 Kap. 2), bekommt man nicht die Reaktionen volle Wirkung wie bei i.v.-Anwendung, aber dafür ist auch das Risiko kardialer UAW geBei Typ-I-Reaktionen kommt es über IgE- ringer. Antigen-Komplexe zur Freisetzung von HA, EPI wird aus weitverbreiteter Angst vor Bradykinin und LTD4 aus Mastzellen kardialen UAW bei Anaphylaxie noch immer (. Abb. 3.1a), die Symptome an Haut, GI- viel zu selten eingesetzt. Stattdessen dominiert Trakt, Atemwegen und am Herz-Kreislauf- nach wie vor der seit Jahrzehnten tradierte System hervorrufen und sich gegenseitig ver- Einsatz von H1R-Antagonisten (7 Kap. 7). schlimmern. Typ-I-Allergien werden in vier Mit dieser Arzneistoffgruppe lassen sich zwar Stadien unterteilt. Im Stadium 1 liegen Juck- Urtikaria und Juckreiz gut behandeln, aber reiz, Urtikaria und Angioödem vor. Im Sta- die Wirkungen auf schwere Ödeme im Gedium 2 kommen Übelkeit und GI-Krämpfe, sichts-, Mund- und Larynxbereich sind unzuHeiserkeit, Dyspnoe sowie Tachykardie, Hy- reichend und Asthmaanfälle werden nicht bepotonie und Arrhythmien hinzu. Im 3. Sta- einflusst. Der Einsatz von H2R-Antagonisten dium kommt es aufgrund von Larynxödem bei Anaphylaxie zur „Stressulcusprophylaxe“ und Bronchospasmus zu Zyanose und als ist wirkungslos, aber auch noch sehr verbreiFolge des O2-Mangels zu Schock und Be- tet. wusstlosigkeit. Im 4. Stadium treten AtemEbenso werden beim anaphylaktischen stillstand und Tod ein. Schock häufig hochdosiert GCR-Agonisten Entscheidend für die erfolgreiche Thera- injiziert. Bei einmaliger Gabe hoher GCRpie von Typ-I-Allergien ist es, frühe Symp- Agonist-Dosen kommt es zur Membranstabitome rechtzeitig zu erkennen und einen si- lisation und Prophylaxe von Anaphylaxie, cheren i.v.-Zugang zu legen. Über diesen aber der Wirkungseintritt der GCR-AgonisZugang wird EPI nach klinischer Wirkung ten bei akuter Anaphylaxie ist bei weitem injiziert. EPI hemmt über den β2AR die Me- nicht so rasch wie der von EPI. LTR-Antagodiatorsekretion aus Mastzellen und relaxiert nisten werden in der Prophylaxe von Asthmadie Bronchien (7 Kap. 5). Über den α1AR anfällen angewendet, nicht jedoch in der akuerfolgt eine Vasokonstriktion und eine Ab- ten Anaphylaxie.
3
73 3.3 · Pathophysiologie und Therapie der Typ-I-Reaktion sowie …
Antikörper (IgE)
nAChR-Agonisten/Antagonisten, Röntgenkontrastmittel, Morphin, Thiopental, Wespengifte
Antigene
Mastzelle
Gi
Mastzelle
Epinephrin
Degranulation H1R-Antagonisten LTR-Antagonisten
Histamin LTD4 Bradykinin
Epinephrin
Degranulation H1R-Antagonisten LTR-Antagonisten
Histamin LTD4 Bradykinin
b
a Metamizol, Paracetamol COX-Inhibitoren
spontan Arachidonsäure
hereditär LOX
COX PGE2↓
Bradykinin↑
ACE
ACE-Inhibitoren
Bienen-/Wespengifte • allergisch Vasodilatation↑ • toxisch
LTD4↑
β2ARAgonisten
Asthma
c
.. Abb. 3.1 a–d Allergische und pseudoallergische Arzneimittelreaktionen. a Typ-I-Reaktion (Ana phylaxie, IgE-vermittelt). b Pseudoallergische Reaktion – direkte G-Protein-Aktivierung durch CAD.
Abbauprodukte
AT1R-Antagonisten
Angioödeme
Epinephrin
d c Pseudoallergische Reaktion – COX-Inhibitor- Asthma. d Pseudoallergische Reaktion – ACE-Inhibitor-Intoleranz. Siehe auch . Abb. 7.2
aktion unterscheidet sich jedoch nicht von der Therapie der allergischen Reaktion: Entscheidend ist die i.v.-Gabe von EPI soAlle anderen therapeutischen Maßnahmen wie das sofortige Stoppen der Zufuhr des sind nachgeordnet. Dieses Prinzip wird in Pseudoallergie-auslösenden Arzneistoffs. Eine mildere Form der pseudoallergischen der Praxis und Klinik noch immer nicht Reaktion ist das COX-Inhibitor-Asthma, das konsequent genug umgesetzt. bei ca. 25 % aller Patienten mit chronischer Typ-I-Allergiesymptome können nicht Urtikaria und 10 % aller Patienten mit nur über IgE vermittelt werden. Bestimmte Asthma auftreten kann (. Abb. 3.1c). WerCAD wie Morphin (7 Kap. 10), nAChR- Agonisten und -Antagonisten (7 Kap. 5), den diese Patienten mit COX-Inhibitoren beRöntgenkontrastmittel (7 Kap. 12), die nar- handelt, kommt es zwar zu verminderter kotisch wirkenden Arzneistoffe Thiopental PGE2-Synthese und damit Fiebersenkung und Propofol (7 Kap. 27) sowie der Lö- bzw. Schmerzlinderung, aber gleichzeitig wird Stoffwechsel in sungsvermittler Cremophor EL (7 Kap. 31) auch der Arachidonsäure- können bei i.v.-Gabe Mastzellen über eine Richtung LOX verschoben. LOX produzieren Rezeptor-unabhängige G-Proteinaktivie- vermehrt LTD4, welches das Asthma verrung stimulieren (. Abb. 3.1b) (7 Kap. 7). schlechtert. Deshalb muss der Einsatz von Die Therapie der pseudoallergischen Re- COX-Inhibitoren bei Patienten mit Asthma >>Die wichtigste Maßnahme bei schweren Typ-I-Allergien ist die RECHTZEITIGE Gabe von EPI.
Kapitel 3 · Arzneimittelallergie
74
vorsichtig erfolgen, um pseudoallergische Reaktionen zu vermeiden. Etwaige Asthmaanfälle können mit β2AR-Agonisten behandelt werden.
3
>>Der Begriff „Analgetika-Asthma“ muss vermieden werden, weil er nicht präzisiert, welche analgetisch wirkenden Arzneistoffgruppen das Asthma verursachen.
Dadurch wird Patienten mit Asthma und Schmerzen möglicherweise eine effektive Schmerztherapie vorenthalten. Ebenso irreführend ist der Begriff „Aspirin®-Asthma“, da er fälschlich suggeriert, dass ASS ein besonders hohes Risiko für die Auslösung von Asthmaanfällen besitzt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Gerade in der Sekundärprävention thromboembolischer Erkrankungen mit low-dose-ASS spielt Asthma als UAW keine Rolle (7 Kap. 18) So führt ein falscher Begriff (Misnomer) nur zu einer gefährlichen Minderverschreibung von ASS bei thromboembolischen Erkrankungen.
ACE-Inhibitoren behandelten Patienten zum Angioödem, werden diese Patienten auf AT1R-Antagonisten umgestellt. Diese Arzneistoffgruppe interferiert nicht mit dem Bradykininabbau (7 Kap. 15).
3.4
Pathophysiologie und Prävention von Typ-IVReaktionen
Wie bereits unter 7 Abschn. 3.2 dargestellt wurde, sind SJS und TEN lebensbedrohlich und es gibt keine kausale Therapie. Deshalb kommt der Prävention von Typ-IV-Allergien entscheidende Bedeutung zu. Obwohl deren Manifestationen verschieden und auch unterschiedliche Immunzellpopulationen involviert sind (. Tab. 3.1), gibt es einen Mechanismus, der allen Typ-IV-Allergien zu Grunde liegt (. Abb. 3.2). Human leukocyte antigens (HLA) besitzen in der Immunabwehr bakterieller und viraler In>>Außerdem wird mit dem Begriff „Aspifektionen eine wichtige Funktion. rin®-Asthma“ eine einzelne ArzneimittelIn Immunzellen werden sowohl körperspezialität mit einer großen Arzneistoffeigene als auch körperfremde Proteine zu gruppe gleichgesetzt. Dies ist jedoch Peptiden abgebaut. Diese Peptide binden an unzutreffend. intrazellulär lokalisierte HLA. Nach TransBei Patienten mit COX-Inhibitor- Asthma lokation an die Plasmamembran werden können zur Fiebersenkung und Schmerzlin- HLA, die körperfremde Peptide gebunden derung Paracetamol und Metamizol einge- haben, von CD8-positven T-Zellen erkannt setzt werden. Paracetamol und Metamizol und lösen eine Immunantwort zur Abwehr hemmen nicht COX (7 Kap. 10) und besit- von Infektionen aus. HLA, die körpereigezen daher kein Risiko für ein COX-Inhibitor- nen Peptide gebunden haben, lösen keine Asthma. Dies ist nicht ausreichend bekannt. Immunantwort aus. HLA besitzen allosteZur Schmerztherapie bei Patienten mit rische Bindungstaschen, an die bestimmte COX-Inhibitor-Asthma kommen auch p.o. Arzneistoffe binden können. Durch die Binverabreichte MOR- Agonisten in Frage dung von Arzneistoffen an HLA ändert sich (7 Kap. 10). deren Konformation. Sie werden dann vom Auch ACE-Inhibitoren können Symp- Immunsystem als „fremd“ erkannt und lötome einer Pseudoallergie, insbesondere sen je nach involviertem Immunzelltyp eine Ödeme im Gesichts-, Mund- und Larynxbe- spezifische Immunreaktion aus. Es handelt reich, auslösen (. Abb. 3.1d). ACE- sich bei Typ-IV-Reaktionen also um durch Inhibitoren verhindern den Abbau von Bra- Arzneistoffe ausgelöste autoimmunologidykinin und verstärken dadurch dessen sche Prozesse. proinflammatorische Wirkungen. Kommt es HLA sind bei verschiedenen Individuen spontan oder nach Insektenstichen bei mit unterschiedlich. Dies ist von klinischer
3
75 3.4 · Pathophysiologie und Prävention von Typ-IV-Reaktionen
Physiologische Immunantwort
+ -Zelle
CD8
Fremdproteine Keine Immunantwort Körpereigene Proteine Peptide
a
HLA
Immunzelle
Typ-IV-Reaktion
+ -Zelle
Arzneistoff
CD8
Körpereigene Proteine
HLA-Typisierung (Prophylaxe) Peptide
b
HLA-Polymorphismus
Immunzelle
.. Abb. 3.2 a, b Pathophysiologie von Typ-IV-Arzneimittelreaktionen. a Keine Typ-IV-Reaktion in Abwesenheit eines Arzneistoffs. b Typ-IV-Reaktion in Anwesenheit eines Arzneistoffs
edeutung, weil es bestimmte HLA- Polymorphismen lässt sich im Sinne einer B Polymorphismen gibt, die die Bindung individualisierten Arzneitherapie das Rispezieller Arzneistoffe und damit die Aus- siko von Typ-IV-Allergien senken. lösung von Typ-IV-Allergien begünstigen. Es gibt HLA-Polymorphismen, die die >>Allopurinol wird viel zu häufig und ohne Überlegung bei asymptomatischer HyperAuslösung von Typ-IV-Reaktionen unter urikämie verschrieben (7 Kap. 23). Durch Therapie mit dem XO-Inhibitor AllopuriAbsetzen von unnötig verschriebenem Alnol (7 Kap. 23) oder dem antiepileptisch lopurinol lassen sich viele Typ-IV-Allergien wirkenden SCB Carbamazepin (7 Kap. 25) vermeiden. begünstigen. Durch Typisierung von HLA-
76
Kapitel 3 · Arzneimittelallergie
Fallbeispiel
3
Eine 61-jährige Patientin mit chronischer Herzinsuffizienz (CHF) wird von einer Biene in den Mund gestochen und erleidet ein schweres Gesichts-, Lippen-, Zungen- und Larynxödem. Die Patientin wird mit Ramipril, Metoprolol und Furosemid behandelt.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welcher Arzneistoff ist am wahrscheinlichsten Auslöser dieses Angioödems? 2. Wie sieht die Notfalltherapie der Patientin aus? Lösungen 7 Kap. 37
77
Behandlung von Arzneimittelvergiftungen Inhaltsverzeichnis 4.1
Allgemeines zu Vergiftungen – 78
4.2
Primäre Giftelimination – 84
4.3
Sekundäre Giftelimination – 84
4.4
L eitsymptome, Behandlung und Antidote wichtiger Arzneimittelvergiftungen – 84
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_4
4
78
4
Kapitel 4 · Behandlung von Arzneimittelvergiftungen
Arzneimittelvergiftungen sind häufig und erfolgen meist oral. Bei Erwachsenen dominieren suizidale Absichten, bei Kindern Unfälle. Nach Anamnese unter Berücksichtigung der 7W-Regel sollte eine primäre Giftelimination mittels Gabe von Adsorbenzien durchgeführt werden. Ist das Gift bereits resorbiert worden, erfolgt eine sekundäre Giftelimination. Repetitive Gabe von Adsorbenzien, forcierte Diurese, Dialyse und Plasmapherese kommen zur Anwendung, wobei die Wirksamkeit für verschiedene Arzneistoffe sehr unterschiedlich ist. Für einige Arzneistoffe gibt es Antidote. In den meisten Fällen bleibt die Therapie von Vergiftungen symptomatisch. Wegen der Häufigkeit von Arzneimittelvergiftungen spielen präventive Maßnahmen wie Polypharmazievermeidung, Einhaltung von Dosierungsschemata und das Erkennen suizidaler Tendenzen bei depressiven Patienten eine entscheidende Rolle.
Merksätze 55 Arzneimittelvergiftungen sind häufig, meist p.o. und meist in suizidaler Absicht. 55 Die 7W-Regel: Wer? Warum? Wann? Was? Welche Dosis? Welche Begleitumstände? Wie? 55 Die Sicherung der Vitalfunktionen und die primäre Giftelimination sind wichtig. 55 Bei erfolgter Giftresorption kommen sekundäre Gifteliminationsverfahren zum Einsatz. 55 Bei einigen Vergiftungen gibt es charakteristische Leitsymptome. 55 Bei einigen Vergiftungen gibt es Antidote. 55 Viele Vergiftungen können nur symptomatisch behandelt werden. 55 Die Vergiftungsprävention besitzt hohe Priorität.
4.1
Allgemeines zu Vergiftungen
In Deutschland gibt es ca. 250.000 Vergiftungsfälle pro Jahr, die zu 5–15 % der notfallmedizinischen Versorgungsfälle beitragen. Ca. 80 % dieser Vergiftungsfälle sind auf Arzneimittel zurückzuführen und bei
80 % aller Fälle liegt eine Intoxikation nach oraler Aufnahme vor. Bei Kindern dominieren akzidentelle Intoxikationen, bei Erwachsenen suizidale. Ca. 10 % aller Intoxikationen sind auf den Konsum von Drogen (z. B. MOR-Agonisten, indirekten Sympathomimetika sowie CB1R-Agonisten) zurückzuführen, ca. 5 % der Fälle sind Folge exzessiven Alkoholkonsums. Dieses Kapitel fokussiert sich auf die Behandlung von Arzneimittelintoxikationen. . Tab. 4.1 gibt eine Zusammenstellung wichtiger Arzneistoffgruppen, die Intoxikationen auslösen können, die dazugehörigen Leitsymptome und Behandlungsmaßnahmen. Für die Behandlung von Vergiftungen ist die genaue Erhebung der Vergiftungsanamnese essentiell. Die Fragen der 7W-Regel müssen beantwortet werden: 1. Wer hat das Gift eingenommen (Name, Alter, Geschlecht)? 2. Warum ist das Gift eingenommen worden (Unfall, Suizid, Mordversuch, Medikationsfehler)? 3. Wann ist das Gift eingenommen worden? Die Beantwortung dieser Frage ist wichtig, um die Wirksamkeit primärer und sekundärer Gifteliminationsverfahren abschätzen zu können. 4. Was wurde eingenommen? Etwaige Umverpackungen, Blisterverpackungen mit fehlenden Tabletten, einzelne Tabletten, Beipackzettel und Medikationspläne müssen asserviert werden. 5. Welche Dosis wurde eingenommen? Dies lässt sich eventuell aus Punkt 4 rekon struieren. 6. Welche Begleitumstände haben zur Vergiftung geführt? Zeitliche und örtliche Rekonstruktion der Intoxikation sowie sozialer Kontext können wichtige Informationen zur Ursache geben. 7. Wie wurde das Gift eingenommen? Meist liegt eine Intoxikation nach oraler Aufnahme vor, aber auch inhalative, transdermale, intravenöse oder nasale Intoxikationswege sind möglich und zu überprüfen.
Typischer Arzneistoff
Pyridostigmin
Lithium
Cyclophosphamid
Paracetamol (bis 10 g nicht verschreibungspflichtig!)
Propranolol
Diazepam, Midazolam. Gefährlich ist die Kombination mit Alkohol oder MOR-Agonisten (Potenzierung)
Metoclopramid (MCP)
Arzneistoffgruppe
AChE-Inhibitoren
Alkali-Ionen
Alkylanzien
p-Aminophenole
βxAR-Antagonisten
Benzodiazepine
D2R-Antagonisten
Akute Dyskinesien insbesondere bei Kleinkindern mit noch nicht vollständig ausgebildeter BHS
Sedation, Bewusstlosigkeit, Atemdepression, Hypotonie der Skelettmuskulatur
Bradykardie, AV-Block, Hypotonie, Sedation. Verschleierte Hypoglykämie bei Patienten mit Typ-I-Diabetes
Leberversagen (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Ikterus, Blutungsneigung), Frühsymptome nicht spezifisch
Hämorrhagische Zystitis durch Metaboliten Acrolein
Ataxie, Bewusstlosigkeit, Dehydratation, Krampfanfälle, Koma, TDM zur Diagnosesicherung
Muskarinerges Syndrom: Verstärkte Tränen-, Speichel-, Schweiß- und Bronchialsekretion, GI- und Blasenkrämpfe, Miosis
Leitsymptome
.. Tab. 4.1 Leitsymptome, Behandlung und Antidote wichtiger Arzneimittelvergiftungen
Antidot: Biperiden (MxR-Antagonist)
Antidot: Flumazenil (nur kurze Wirkdauer, wiederholte Injektionen erforderlich); Beatmung bei Atemdepression
Antidot: EPI (αxAR/βxARAgonist); symptomatische Behandlung.
Antidot: Acetylcystein (Substitution für fehlendes Glutathion)
2-Mercaptosulfonat (MESNA); fängt Acrolein ab
Dialyse (Natriurese)
Antidot: Atropin
Behandlung
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 8, 13
7 Kap. 25
7 Kap. 5
7 Kap. 10
7 Kap. 31
7 Kap. 12, 28
7 Kap. 5
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
4.1 · Allgemeines zu Vergiftungen 79
4
Typischer Arzneistoff
Haloperidol
Rivaroxaban
Methotrexat (MTX)
Sevofluran, Desfluran
Diphenhydramin
ASS
6-MP
nur Clozapin
Arzneistoffgruppe
D2R-mGPCRAntagonisten
Faktor-Xa-Inhibitoren
Folsäure-Analoga
Haloether
H1R-Antagonisten der 1. Generation
Irreversible COXInhibitoren
Klassische Zytostatika
p-mGPCRAntagonisten
.. Tab. 4.1 (Fortsetzung)
Agranulozytose, Fieber, bakterielle Infektionen
Agranulozytose, Fieber, bakterielle Infektionen
Tinnitus, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Atemlähmung, Schock
Antimuskarinerges Syndrom durch MxR-Antagonismus (siehe auch MxR-Antagonisten in der Tabelle)
Maligne Hyperthermie
Wachstumshemmung schnell proliferierender Zellen (Mukositis, Diarrhoe, Knochenmarksuppression). Achung: Erhöhtes Intoxikationsrisiko bei CKD!
Absetzen des auslösenden Arzneistoffs, Gabe von G-CSF (Filgastrim)
Absetzen des auslösenden Arzneistoffs, Gabe von G-CSF (Filgrastim)
Urinalkalisierung (Dialyse)
symptomatische Behandlung
Antidot: Dantrolen (Calciumfreisetzungs-Inhibitor); Sedation mit Propofol
Antidot: Folinsäure (substituiert das fehlende Enzymprodukt)
Antidot: Andexanet, Ersatz von Gerinnungsfaktoren bei akuten schweren Blutungen
Antidot: Biperiden (MxRAntagonist) bei akuten Dyskinesien; ansonsten symptomatische Behandlung
Behandlung
4
Verlängerte Blutungszeit bei Verletzungen, Spontanblutungen in inneren Organen
Akute Dyskinesien, Tremor, Bewusstseinsstörungen
Leitsymptome
7 Kap. 29
7 Kap. 31
7 Kap. 10
7 Kap. 7
7 Kap. 27
7 Kap. 31
7 Kap. 18
7 Kap. 29
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
80 Kapitel 4 · Behandlung von Arzneimittelvergiftungen
Morphin, Heroin (als Suchtstoff missbraucht; Suche nach Einstichstellen am ganzen Körper)
Atropin (Tollkirschengift, Arzneistoff in der Anästhesie), Scopolamin (Arzneistoff gegen Kinetose)
Suxamethonium
Rocuronium
Theophyllin
Isoniazid (INH)
Digoxin
Amitriptylin
Sildenafil
MOR-Agonisten
MxR-Antagonisten
nAChR-Agonisten
nAChR-Antagonisten
Nicht-selektive PDE-Inhibitoren
Nikotinsäure-Derivate
NKA-Inhibitoren
NSMRI
PDE5-Inhibitoren
Blausehen, BD-Abfall, Tachykardie
Erregungszustände, Halluzinationen, Krampfanfälle, Arrhythmien, BD-Abfall, antimuskarinerges Syndrom
Gelb-Grün-Sehen, jede mögliche Form von Arrhythmien, Verwirrung, Übelkeit, Erbrechen
Vitamin-B6-Mangel
Übelkeit, Erbrechen, Tachykardie, BD-Abfall, Tremor, Agitation, Krampfanfälle
Atemlähmung
Maligne Hyperthermie
Antimuskarinerges Syndrom: Verringerte Tränen-, Speichel-, Schweiß- und Bronchialsekretion, Obstipation, Sodbrennen, Harnverhalt, Mydriasis
Atemdepression, Sedation, Obstipation, Miosis (bei Heroinabhängigen werden zur Verschleierung häufig mydriatisch wirkende Augentropfen genommen!)
Symptomatische Behandlung
Symptomatische Behandlung
Antidot: Fab-Antikörperf ragmente, symptomatische Behandlung; Vermeidung des Einsatzes von NKA-Inhibitoren als Prophylaxe der Intoxikation
Antidot: Vitamin B6
Symptomatische Behandlung (β1AR-Antagonisten)
Beatmung. Antidot: Pyridostigmin
Antidot: Dantrolen (Calciumfreisetzungs-Inhibitor), Sedation mit Propofol
Symptomatische Behandlung
Antidot: Naloxon (nur kurze Wirkdauer, wiederholte Injektionen erforderlich), Beatmung, Behandlung von Entzugssymptomen mit Clonidin
7 Kap. 9
7 Kap. 28
7 Kap. 16
7 Kap. 32
7 Kap. 14
7 Kap. 5
7 Kap. 27
7 Kap. 5
7 Kap. 10
(Fortsetzung)
4.1 · Allgemeines zu Vergiftungen 81
4
Typischer Arzneistoff
Metamizol
Sertralin, Citalopram
Dabigatran
Thiamazol
T4, auch getrocknete Rinderschilddrüsen („natürliche“ TRAgonisten)
Heparin
Phenprocoumon
Arzneistoffgruppe
Pyrazotone
SSRI
Thrombin-Inhibitoren
TPO-Inhibitoren
TR-Agonisten
Unfraktionierte Heparine (UFH)
Vitamin-KAntagonisten (VKA)
.. Tab. 4.1 (Fortsetzung)
Verlängerte Blutungszeit bei Verletzungen, Spontanblutungen in inneren Organen
Verlängerte Blutungszeit bei Verletzungen, Spontanblutungen in inneren Organen
Tachykardie, Hypertonie, Erregungszustände, Übelkeit, Erbrechen, erhöhte Körpertemperatur
Agranulozytose, Fieber, bakterielle Infektionen
Verlängerte Blutungszeit bei Verletzungen, Spontanblutungen in inneren Organen
Serotoninsyndrom (Krampfanfälle, Halluzinationen, Übelkeit, Erbrechen, Tachykardie, Hypertonie)
Antidot: Phytomenadion (Vitamin K1), lokale Blutstillung, aber verzögerter Wirkungseintritt. Ersatz von Gerinnungsfaktoren bei akuten schweren Blutungen
Antidot: Protamin (bindet physikochemisch Heparin); nicht bei NMH und Heparinoiden
Antidot: Metoprolol (β1ARAntagonist); Plasmapherese, symptomatische Behandlung
Absetzen des auslösenden Arzneistoffs, Gabe von G-CSF (Filgrastim)
Antidot: Idarucizumab (bindet Dabigatran), Ersatz von Gerinnungsfaktoren bei akuten schweren Blutungen
Symptomatische Behandlung
Absetzen des auslösenden Arzneistoffs, Gabe von G-CSF (Filgrastim)
Behandlung
4
Agranulozytose, Fieber, bakterielle Infektionen
Leitsymptome
7 Kap. 18
7 Kap. 18
7 Kap. 21
7 Kap. 21
7 Kap. 18
7 Kap. 6, 28
7 Kap. 10
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
82 Kapitel 4 · Behandlung von Arzneimittelvergiftungen
4
83 4.1 · Allgemeines zu Vergiftungen
Parallel zur Klärung dieser wichtigen >>Explizit formulierte Suizidgedanken sind grundsätzlich ernst zu nehmen! Bei VerFragen müssen die Vitalfunktionen des intoxikierten Patienten (Atmung, Herz- dacht muss der Arzt proaktiv nach Suizidalität fragen. Kreislauf- Funktion) gesichert werden. Wichtig ist der Eigenschutz des Arztes, daSuizidalen Patienten dürfen niemals Großmit er sich nicht selber vergiftet. Dies spielt packungen von Arzneistoffen mit Wirkung jedoch weniger bei Arzneimittelvergiftunauf das ZNS (z. B. NE/5-HT- Verstärker, gen als bei Gas- und ChemikalienintoxikamGPCR-Antagonisten) in die Hände gegetionen eine Rolle. Weil viele Arzneimittel bei ben werden, da diese Arzneistoffe schwere Überdosierung Übelkeit und Erbrechen Vergiftungen auslösen können (. Tab. 4.1). auslösen, ist insbesondere die AspirationsAuch die Berücksichtigung bestimmter vermeidung durch Seitenlagerung essentiell. Grunderkrankungen kann das Risiko von Da viele Intoxikationen nur symptomaArzneimittelintoxikationen verringern. So tisch behandelt werden können, kommt der sollte das bei hypertensiven Notfällen wirkPrävention entscheidende Bedeutung zu. same NNP nicht bei Patienten mit chroniDie Grundregel, Arzneimittel für Kinder scher Niereninsuffizienz (CKD) eingesetzt unzugänglich aufzubewahren (z. B. verwerden, weil bei diesen Patienten das Risiko schließbarer Schrank oberhalb der Reicheiner Zyanidintoxikation besonders groß ist weite von Kindern, Vermeidung der Aufbe(7 Kap. 12). Bei Lebererkrankungen sollte wahrung von Arzneimitteln in Küchen-, der Einsatz des in hoher Dosierung hepatoBadezimmer- oder Nachttischschränken) toxisch wirkenden Paracetamol nur sehr zuwird noch immer viel zu selten beachtet. rückhaltend (wenn überhaupt) erfolgen Auch die exakte Einhaltung von Medika (7 Kap. 10). Bei Patienten mit Epilepsien tionsplänen gelingt in der Praxis zu selten. muss der Einsatz von Theophyllin, mGPCR- Es kann zu Fehlern von Seiten der Ärzte, Antagonisten und NE/5-HT-Verstärkern Apotheker, Pflegekräfte, Angehörigen und sehr vorsichtig und einschleichend gescheder Patienten kommen. Klar formulierte hen, weil diese Arzneistoffgruppen Krampfschriftliche Einnahmepläne sowie Einnahanfälle auslösen oder verschlimmern könmehilfen sind für die Vermeidung von nen (7 Kap. 25). Arzneimttelintoxikationen essentiell. Auch durch bestimmte Arzneistoffkombinationen können Intoxikationen hervor>>Wichtige präventive Maßnahmen zur Vergerufen werden: Wird der PDE5-Inhibitor hinderung einer Intoxikation stellen die Sildenafil mit dem NO-Donator GTN komunzugängliche Aufbewahrung von Arzneibiniert, kann es zu lebensbedrohlicher Hymitteln und verständliche Einnahmepläne potonie kommen (7 Kap. 9). Wird einem dar. mit dem VKA Phenprocoumon behandelten Patienten gleichzeitig wegen eines bakteEine Gruppe mit einem besonders hohen In- riellen Infektes Clarithromycin verschrietoxikationsrisiko sind Patienten mit psychi- ben, können lebensbedrohliche Blutungen schen Erkrankungen, insbesondere mit De- auftreten, weil Makrolide die Phenprocoupression (7 Kap. 28). Der behandelnde moninaktivierung über CYP3A4 hemmen Arzt muss das Suizidrisiko im Gespräch mit (7 Kap. 2 und 18). Deshalb ist es sehr wichdem Patienten erkunden. Bei hohem Suizid- tig, dass alle an der Behandlung eines Pa risiko muss der Patient stationär aufgenom- tienten beteiligten Haus- und Fachärzte men werden bzw. engmaschig ambulant über die komplette Arzneimittelliste des Pavom Arzt, Angehörigen und ggf. in ge- tienten Bescheid wissen; dies betrifft auch schlossenen Abteilungen überwacht werden. Arzneimittel der Selbstmedikation.
84
4.2
4
Kapitel 4 · Behandlung von Arzneimittelvergiftungen
Primäre Giftelimination
Ist das Zeitintervall zwischen Giftaufnahme und Eintreffen des Arztes nur kurz und sind die Vergiftungserscheinungen gering, ist eine primäre Giftelimination sinnvoll und häufig erfolgreich. Früher wurde häufig induziertes Erbrechen mit Ipecacuanha-Saft (Wirkungseintritt nach 10 Minuten) oder D2R-Agonisten angewendet, aber das Risiko der Aspiration und Ösophagus verätzung ist sehr groß. Daher wird heute vor allem die Magenspülung mit isotoner Elektrolytlösung unter endotrachealer Intubation zur A spirationsvermeidung durchgeführt. Zur Verhinderung vagaler Reaktionen wird Atropin i.v. gegeben (7 Kap. 5). Auch eine Darmspülung mit isotonen Elektrolytlösungen kommt infrage. Bestandteil jeder Therapie von Arzneimittelvergiftungen ist die p.o.-Gabe von Aktivkohle (0,5–1 g/kg Körpergewicht), entweder mit iosotonen Getränken oder per Magensonde in isotoner Aufschwemmung. Aktivkohle ist porös und besitzt eine Adsorptionsfläche von 1000–2000 m2/g. Dadurch können die meisten Arzneistoffe unspezifisch gebunden und eliminiert werden. Aktivkohle wirkt nicht bei Vergiftungen mit organischen Lösungsmitteln, Säuren, Laugen und Salzen. Wird Aktivkohle nur mit Wasser statt mit isotonen Lösungen gegeben, besteht das Risiko hypotoner Elektrolytstörungen.
4.3
Sekundäre Giftelimination
nierten und damit ungeladenen Zustand vor. Dadurch kann ASS über das Tubulus epithel in den Organismus zurückdiffundieren. Bei alkalischem pH ist ASS jedoch hauptsächlich im deprotonierten und negativ geladenem Zustand, kann daher nicht zurückdiffundieren und wird deshalb vermehrt ausgeschieden. Das stimmungsstabilisierend wirkende Alkali-Ion Lithium, das eine nur sehr geringe therapeutische Breite besitzt (7 Kap. 28), kann über eine Dialyse aus dem Körper eliminiert werden. Bei Arzneistoffen mit hoher Proteinbindung kann die Dialyse jedoch nicht angewendet werden. In diesen Fällen müssen spezielle Gifteliminationsverfahren angewendet werden. Bei der Plasmapherese werden Plasmaproteine über Membranen oder Zentrifugation vom Blut abgetrennt und durch entsprechende nicht mit Arzneistoff vergiftete Proteinpräparate substituiert. Beides sind sehr aufwändige und teure Verfahren, die nicht ohne Risiken sind.
4.4
Leitsymptome, Behandlung und Antidote wichtiger Arzneimittelvergiftungen
In vielen Fällen lassen sich die Symptome einer Arzneimittelvergiftung aus dem Wirkmechanismus ableiten (. Tab. 4.1). Arzneistoffe mit einer geringen therapeutischen Breite haben ein besonders hohes Intoxikationsrisiko. Dazu gehören Lithium und NE/5-HT-Verstärker (7 Kap. 28), mGPCR- Antagonisten (7 Kap. 29), TR-Agonisten (7 Kap. 21), VKA (7 Kap. 18) und NKA- Inhibitoren (7 Kap. 16). Bei Lithium, mGPCR-Antagonisten, NE/5-HT-Verstärkern und NKA-Inhibitoren wird deshalb häufig TDM durchgeführt. Im Falle einer T4-Therapie wird die Schilddrüsenfunktion durch eine Bestimmung der TSH-Konzentration im Plasma überprüft, bei VKA erfolgt die Therapieüberwachung durch INR-Bestimmung.
Auch bei bereits erfolgter Arzneimittel resorption wird die Aktivkohletherapie fortgeführt. Aktivkohle adsorbiert Arzneimittel im Darm, die unverstoffwechselt oder verstoffwechselt über die Galle eliminiert wurden und durchbricht somit den enterohepatischen Kreislauf. Über eine Harn alkalisierung lässt sich die ASS-Ausscheidung (7 Kap. 10, 11 und 18) steigern. ASS ist eine schwache Säure und liegt im sauren Urin zum überwiegenden Anteil im proto
4
85 4.4 · Leitsymptome, Behandlung und Antidote wichtiger …
In einigen Fällen spielt auch die Zugänglichkeit des Arzneistoffs eine Rolle für die Vergiftungshäufigkeit. Paracetamol ist in Packungsgrößen von bis zu 20 Tabletten mit jeweils 500 mg Arzneistoff nicht verschreibungspflichtig. Ein Patient kann sich also ohne weiteres 10 g Paracetamol beschaffen. Wird der gesamte Inhalt einer Packung (10 g) eingenommen, kann eine schwere Leberintoxikation resultieren (7 Kap. 10). Die Paracetamolintoxikation beruht darauf, dass der Entgiftungsweg über Paracetamolkopplung an Glutathion erschöpft ist und deshalb verstärkt ein reaktiver hepatotoxischer Paracetamolmetabolit gebildet wird. Bei rechtzeitiger Erkennung einer Paracetamolintoxikation kann Acetylcystein i.v. gegeben werden. Es fungiert als Substitut für Glutathion und inaktiviert reaktive Metabolite. In Spätstadien der Paracetamolvergiftung bei bereits erfolgter Leberschädigung ist Acetylcystein wirkungslos. Auch bestimmte H1R-Antagonisten sind nur apothekenpflichtig, können aber durch MxR-Antagonismus ein antimuskarinerges Syndrom verursachen (7 Kap. 5 und 7). Ein antimuskarinerges Syndrom kann auch durch Atropin (z. B. Tollkirschen vergiftung), Scopolamin (unsachgemäße Anwendung von Pflastern zur Behandlung der Kinetose), mGPCR-Antagonisten und NE/5-HT-Verstärkern ausgelöst werden (7 Kap. 5, 6, 28 und 29). Barbiturate, die die GABAAR-Aktivität allosterisch verstärken, sind wegen ihrer geringen therapeutischen Breite (Gefahr der Atemdepression), der fehlenden anxiolytischen Wirkung und des fehlenden Antidots bis auf Spezialindikationen aus der Arzneimitteltherapie verschwunden (7 Kap. 25 und 27). Benzodiazepine hingegen, die ebenfalls GABAAR-Effekte allosterisch verstärken, werden wegen ihrer anxiolytischen, sedativen und muskelrelaxierenden Wirkung häufig angewendet. Im Vergleich zu Barbituraten besitzen Benzodiazepine ein geringeres Risiko für eine Atemdepression und ihre Wir
kungen können durch den spezifischen Antagonisten Flumazenil (chemisch ebenfalls ein Benzodiazepin) rasch aufgehoben werden. Allerdings ist dieser nur kurz wirksam und muss ggf. wiederholt gegeben werden. Benzodiazepine können jedoch in Kombination mit Ethanol, der die GABAAR-Funktion ebenfalls allosterisch verstärkt, lebensbedrohliche Atemdepressionen hervorrufen (7 Kap. 25). Auch MOR-Agonisten wie Morphin, die in der Therapie schwerer Schmerzen große Bedeutung besitzen, können bei Überdosierung Atemdepression auslösen. In diesem Fall kann der MOR-Antagonist Naloxon eingesetzt werden. Hier ist wiederum die nur kurze Wirkdauer des Antagonisten zu beachten, sodass eine Atemdepression nach Abklingen der Naloxonwirkung wieder auftreten kann (7 Kap. 10). Sehstörungen können maßgeblich zur Diagnose einer Arzneimittelvergiftung beitragen. Eine Miosis kann Ausdruck einer Morphinvergiftung sein; allerdings erweitern MOR-Agonist-Abhängige häufig die Pupillen mit atropinhaltigen Augentropfen, um ihre Abhängigkeit zu verschleiern. „Blausehen“ ist typisch für eine Überdosierung des PDE5-Inhibitors Sildenafil (7 Kap. 9), während ein „Gelb-Grün-Sehen“ beweisend für eine Überdosierung von NKA-Inhibitoren ist (7 Kap. 16). Als Antidot für akute Dyskinesien bei einer Überdosierung des D2R-Antagonisten MCP (insbesondere bei Kindern, 7 Kap. 2) und D2R-mGPCR-Antagonisten (speziell bei i.v.-Gabe, 7 Kap. 29) kann der MxR- Antagonist Biperiden eingesetzt werden. MxR-Antagonisten können auch bei Überdosierung von AChE-Inhibitoren in der Therapie der Myasthenia gravis verwendet werden (7 Kap. 5). T4-Intoxikation führt zu thyreotoxischer Krise (7 Kap. 21). Da T4 jedes Organ beeinflusst, liegt eine komplexe Symptomatik vor. Leider gibt es keinen TR-Antagonisten, mit dem sich Intoxikationssymptome aufheben lassen. Aber selbst, wenn es einen
Kapitel 4 · Behandlung von Arzneimittelvergiftungen
86
4
solchen Antagonisten gäbe, wäre der Wirkungseintritt verzögert, da T4 seine Wirkung über eine Veränderung der Gentranskription entfaltet. Immerhin kann man einen Großteil der kardiovaskulären Wirkungen von T4, die auf einer verstärkten β1ARExpression beruhen, durch Gabe von β1ARAntagonisten antagonisieren. Der Wirkungseintritt von Antidoten ist sehr unterschiedlich. Einige Antidote wie Atropin, Biperiden, Metoprolol und Naloxon sind GPCR-Antagonisten und führen durch Kompetition mit den toxisch wirkenden Agonisten zum raschen Wirkungseintritt, insbesondere nach i.v.-Injektion (7 Kap. 1 und 2). Fab-Antikörperfragmente können rasch NKA-Inhibitoren abfangen, das positiv geladene Protamin inaktiviert durch Ionenpaarbindung schnell das negativ geladene Heparin, Antikörper gegen Thrombin- Inhibitoren neutralisieren in kurzer Zeit den Thrombin-Inhibitor und stellen damit die Thrombinfunktion wieder her (7 Kap. 18). Flumazenil zeigt bei einer Benzodiazepin-Intoxikation ebenfalls eine rasche Wirkung (7 Kap. 25). Andere Antidote wie Phytomenadion haben einen verzögerten Wirkungseintritt (7 Kap. 18). Im Falle gravierender Blutungen unter VKA-Therapie müssen daher Gerinnungsfaktoren i.v. substituiert werden, um die Zeit bis zur Resynthese carboxylierter Gerinnungsfaktoren zu überbrücken. Auch die Gabe von Folinsäure bei einer MTX-Intoxikation zeigt keinen sofortigen Effekt (7 Kap. 31).
Eine Atemdepression muss mit Beatmung behandelt werden, Krampfanfälle mit CCB und SCB, Erregungszustände mit Benzodiazepinen, ein hypertensiver Notfall mit geeigneten Arzneistoffen (z. B. GTN, Clonidin, Furosemid), Tachykardien mit β1AR-Antagonisten oder CCB vom Verapamiltyp, lebensbedrohliche Hypotonien mit EPI sowie Flüssigkeitsund Elektrolytsubstitution und Übelkeit mit antiemetisch wirkenden Arzneistoffen. Wichtig in der Vergiftungstherapie ist Bilanzierung des Flüssigkeits- und Elek trolythaushaltes. Sowohl Dehydratation (Gefahr von Thrombosen) als auch Hyperhydratation (Gefahr von Hypertonie, Nierenversagen, Lungenödem und Hirnödem) sind zu vermeiden. Eine Hyperkaliämie begünstigt Bradykardie, eine Hypokaliämie fördert Tachykardie (7 Kap. 17). Die Bilanzierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes begünstigt die „natürliche“ Elimination toxischer Arzneistoffe über Leber und Niere.
Fallbeispiel
Bei einer Narkose im Rahmen einer Schieloperation an den Augenmuskeln einer 23-jährigen Frau tritt plötzlich eine Bradykardie auf, die von einem Assistenzarzt im ersten Ausbildungsjahr zum Anästhesisten mit einer Dosis von 20 mg Atropin i.v. behandelt wird. Eine übliche Atropindosis beträgt 1 mg.
>>Für die meisten Arzneimittelintoxikationen gibt es leider keine Antidote, sondern die Therapie muss sich symptomatisch an der Normalisierung von Organfunktionen orientieren. Dies fördert auch die „Selbstentgiftung“ des Körpers. Diese Fähigkeit des Körpers wird häufig unterschätzt.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche UAW sind bei einer solch hohen Atropindosis zu erwarten? 2. Gibt es ein Antidot für die Atropin vergiftung? Lösungen 7 Kap. 37
87
Pharmakologie integrativer Systeme Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems – 89 Kapitel 6
Pharmakologie des serotonergen Systems – 107
Kapitel 7
Pharmakologie des histaminergen Systems – 117
Kapitel 8
Pharmakologie des dopaminergen Systems – 125
Kapitel 9
Pharmakologie des NO-cGMP-Systems – 137
Kapitel 10
Schmerzpharmakologie – 145
Kapitel 11
Immunpharmakologie – 165
Kapitel 12
Pharmakologie der Niere – 187
II
89
Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems Inhaltsverzeichnis 5.1
Physiologische Grundlagen – 90
5.2
Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren – 91
5.3
harmakologische Modulation ausgewählter P Organfunktionen durch Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren – 98
5.4
harmakologische Modulation der cholinergen P Synapse – 100
5.5
harmakologische Modulation der noradrenergen P Synapse – 103
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_5
5
90
5
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
Die Neurotransmitter ACh und NE sowie das Hormon EPI regulieren über das autonome Nervensystem eine Vielzahl von Organfunktionen. ACh spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle als Neurotransmitter an der neuromuskulären Endplatte. ACh wirkt entweder über Ligand-gesteuerte Ionenkanäle oder GPCR; NE und EPI über GPCR. Mit Agonisten und Antagonisten an diesen Rezeptoren lassen sich verschiedene Erkrankungen behandeln. Auch die Hemmung der ACh-Freisetzung durch Botulinum-Neurotoxin ist therapeutisch bedeutsam. Weitere pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in diese Systeme sind die Hemmung des Neurotransmitterabbaus, die Hemmung der Wiederaufnahme von Neurotransmittern sowie die Stimulation der Freisetzung von Neurotransmittern aus Speichervesikeln.
Merksätze 55 Botulinum-Neurotoxin hemmt die ACh- Freisetzung und wird zur Therapie von Muskelspasmen und Dystonien eingesetzt. 55 AChE-Inhibitoren werden bei Myasthenia gravis eingesetzt. 55 MxR-Antagonisten werden bei Bradykardie, Koliken, AChE-Inhibitor intoxikation, Asthma, Kinetose sowie zur Pupillendilatation eingesetzt. 55 EPI wird beim anaphylaktischen Schock, in der Lokalanästhesie und bei Herzstillstand eingesetzt; NE beim septischen Schock. 55 Tachyphylaxie limitiert die therapeutische Anwendung indirekter Sympathomimetika. 55 α1AR-Agonisten werden bei Rhinitis und Konjunktivitis eingesetzt. 55 α1AR-Antagonisten werden bei hypertensiven Notfällen und BPH eingesetzt. 55 α2AR-Agonisten werden bei Hypertonie und in der Schmerztherapie eingesetzt. 55 α2AR-Antagonisten sowie Inhibitoren der neuronalen NE-Wiederaufnahme
und des NE-Abbaus werden bei Depression eingesetzt. 55 β1AR-Antagonisten werden zur Dauertherapie von Hypertonie, KHK und CHF eingesetzt. 55 β2AR-Agonisten werden bei Asthma, COPD und vorzeitigen Wehen eingesetzt.
5.1
Physiologische Grundlagen
Das autonome Nervensystem reguliert die Funktion aller peripheren Organe. Der Sympathikus vermittelt Fight-and-Flight- Reaktionen und erhöht die Leistungsbereitschaft des Körpers, während der Para sympathikus Rest-and-Digest-Reaktionen vermittelt und der Erholung des Körpers dient. Sympathikus und Parasympathikus sind funktionell antagonistisch, aber nicht für alle Körperfunktionen sind beide Schenkel des autonomen Nervensystems klinisch gleich bedeutsam. Einige Körperfunktionen werden auch innerhalb des Sympathikus gegenläufig reguliert. Die interzellulären Signalmoleküle (First Messenger) im autonomen Nervensystem sind die Neurotransmitter ACh und NE sowie das Hormon EPI. Im autonomen Nervensystem sind zwei Neurone hintereinander gekoppelt. Das erste (präganglionäre) Neuron hat seinen Ursprung im Rückenmark und wird in der ganglionären Synapse auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet. Das postganglionäre Neuron bildet eine Synapse mit der Effektorzelle. Der Neurotransmitter in den ganglionären Synapsen ist ACh, sowohl im Sympathikus als auch im Parasympathikus. Die Innervation von Effektorzellen im Parasympathikus erfolgt ebenfalls über ACh, im Sympathikus über NE und EPI. Schweißdrüsen, die funktionell dem Sympathikus zuzuordnen sind, werden über ACh aktiviert. Das Nebennierenmark stellt ein modifiziertes postganglionäres Neuron dar und sezerniert EPI.
5
91 5.2 · Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren
>>Adrenalin und Epinephrin sind Synonyma; gleiches gilt für Noradrenalin und Norepi nephrin.
In diesem Buch wird der Begriff Epinephrin (EPI) verwendet, um den Studenten daran zu erinnern, dass die Erstmaßnahme beim anaphylaktischen Schocks (7 Kap. 3 und 7) die Injektion des Inhaltes eines EPI-Pens ist!
5.2
Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren
ACh ist der endogene Agonist an AChR. ACh hat keine therapeutische Bedeutung, da es sehr rasch abgebaut wird. . Abb. 5.1 zeigt eine Übersicht über AChR, die in MxR und nAchR unterteilt werden. nAChR gehören
zu den Ligand-gesteuerten Ionenkanälen (7 Kap. 1). nAChR, bestehend aus fünf Untereinheiten, vermitteln einen Natriumeinstrom in die Zelle und somit eine Depolarisation. Je nach Zusammensetzung besitzen nAChR unterschiedliche pharmakologische Eigenschaften. Der nAChR an der neuromuskulären Endplatte besteht aus zwei α1Untereinheiten sowie je einer β-, δ- und ε-Untereinheit. Rocuronium ist ein typischer Antagonist an diesem nAChR und wird in der Anästhesie als „nicht-depolarisierendes (oder hyperpolarisierendes)“ Muskelrelaxanz eingesetzt (7 Kap. 27). Die Muskelrelaxation erleichtert die Durchführung von Eingriffen im Bauchraum, Thorax und an den Extremitäten. Patienten, die nAChR- Antagonisten erhalten,
Acetylcholin
ACh-Rezeptoren
Muskarin Muskarinerges Syndrom Atropin, NSMRI Antimuskarinerges Syndrom
Scopolamin Biperiden
nAChR (Ligand-gesteuerte Ionenkanäle)
M2R
(α1)2βδε Neuromuskuläre Endplatte
(α3)2(β4)3 Vegetative Ganglien
(α4)2(β2)3 ZNS
M4R M1R M5R
Gi
M3R
Gq Tiotropium (AC )
Nikotin
Pilocarpin
MXR (GPCR)
KaliumkanalÖffnung
PLC
[Ca2+]i
Hyperpolarisation
Rocuronium Suxamethonium
Kontraktion, Sekretion
.. Abb. 5.1 Übersicht über Acetylcholinrezeptoren und ausgewählte Agonisten und Antagonisten. Weitere Arzneistoffe werden in . Abb. 5.3 sowie . Tab. 5.1 gezeigt
MxR-Antagonist
MxR-Antagonist
ACh-Freisetzungs- Inhibitor
MxR-Antagonist
MxR-Agonist
Atropin
Biperiden
Botulinum- Neurotoxin
Butyl scopolamin
Pilocarpin
Cholinerges System
Arzneistoffgruppe
Stimulation der Speichelund Schweißsekretion, Miosis
Relaxation glatter Muskelzellen, dadurch spasmolytische Wirkung
Selektive Hemmung der ACh-Freisetzung an der neuromuskulären Endplatte; langandauernde Verminderung aller Wirkungen von ACh, Relaxation der Skelettmuskulatur; Hemmung der Schweißsekretion
Gute Penetration der BHS; daher vor allem Blockade von MxR im ZNS
Blockade aller Parasymphatikuswirkungen und der Schweißsekretion (gehört funktionell zum Sympathikus!)
Wichtige Wirkungen
Mundtrockenheit, Engwinkel glaukom, Diagnostik der Mukoviszidose
Kolikartige Schmerzen (Gallengänge, Darm, Uterus, Blase)
Unterschiedlichste Formen lokalisierter Dystonien (z. B. Torticollis spasticus), Muskelspasmen bei Zerebralparese, Hyperhidrosis, experimentelle Indikationen (z. B. Migräneprophylaxe, Spannungskopfschmerz)
Therapie von Rigor und Tremor bei M. Parkinson; Therapie akuter EPMS, die durch D2R-Antagonisten und D2R-mGPCR- Antagonisten verursacht wurden
Intraoperative Bradykardie, Iritis, bestimmte Formen der Myopie (niedrige Dosierung, lokal)
Wichtige Indikationen
Wenig bei lokaler Anwendung
Prinzipiell wie Atropin, aber keine ZNS-Wirkungen wegen positiver Ladung
Überschießende Muskellähmung, Allergien, generalisierte Muskellähmung bei systemischer Intoxikation
Antimuskarinerges Syndrom: Tachykardie, Mundtrockenheit, Sodbrennen, Obstipation, Harnverhalt, Mydriasis, heiße trockene Haut
Antimuskarinerges Syndrom: Tachykardie, Mundtrockenheit, Sodbrennen, Obstipation, Harnverhalt, Mydriasis, heiße trockene Haut
Wichtige UAW
5
Arzneistoff
.. Tab. 5.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im cholinergen/adrenergen System
7 Kap. 14, 30
7 Kap. 10, 13, 23
7 Kap. 1, 10
7 Kap. 4, 6, 8, 13, 29
7 Kap. 4, 13, 17, 30
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
92 Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
nAChR-Antagonist
MxR-Antagonist
nAChR-Agonist
M3R-Antagonist
Rocuronium
Scopolamin
Suxa methonium
Tiotropium
Siehe Kombination der Wirkungen von Tamsulosin/ Urapidil sowie Propranolol
Reduktion des Sympathikotonus
α1AR: Vasokonstriktion β1AR: positive Inotropie β2AR: Bronchodilatation
α1AR/βxARAntagonist
α2AR-Agonist
αxAR/βxARAgonist
Clonidin
EPI
Keine systemische Resorption; Bronchodilatation
nAChR-Agonist an der neuromuskulären Endplatte; sogenanntes depolarisierendes Muskelrelaxans, initial Muskelfaszikulationen
Blockade des Nucleus vestibularis im ZNS
nAChR-Antagonist an der neuromuskulären Endplatte; hyperpolarisierendes (nicht-depolarisierendes) Muskelrelaxanz
Reversible AChE-Hemmung, Verstärkung der Wirkungen von ACh in der Peripherie
Carvedilol
Adrenerges System
AChE-Inhibitor
Pyrido stigmin
Anaphylaxie (β1AR, β2AR, α1AR), Herzstillstand (β1AR), Lokal anästhesie (α1AR, β2AR)
Hypertonie, Analgesie, Verminderung von Entzugssymptomen bei MOR-Agonist-Abhängigen
Hypertonie, CHF
COPD
Bestandteil von Kurznarkosen
Kinetosen (lokale Applikation als Pflaster auf die Haut hinter dem Ohr)
Bestandteil von Intubationsnarkosen; Muskelrelaxation, Einsparung von Haloethern
Myasthenia gravis, Überdosierung von nAChR-Antagonisten in der Anästhesie
Überschießende EPI-Wirkungen: BD-Anstieg, Arrhythmien, MI
Sedation
Siehe Urapidil, Tamsulosin und Propranolol
Wenig bei lokaler Anwendung außer Mundtrockenheit
Mastzelldegranulation, maligne Hyperthermie
Prinzipiell wie Atropin
Mastzelldegranulation
Wie Physostigmin, aber keine ZNS-Wirkungen (Tremor, Erbrechen)
(Fortsetzung)
7 Kap. 1, 3, 17, 26
7 Kap. 10, 15
7 Kap. 15, 16
7 Kap. 2, 14
7 Kap. 3, 4, 7, 27
7 Kap. 2, 6
7 Kap. 3, 27
7 Kap. 2
5.2 · Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren 93
5
Negative Chrono-, Dromound Inotropie, dadurch Reduktion der Herzarbeit und Ökonomisierung der Herzfunktion
Verstärkte NE-Freisetzung durch Wegfall des negativen Feedback
β1AR: negative Chrono-, Dromo- und Inotropie β2AR: diverse Wirkungen
Partieller β2AR-Agonist; Bronchodilatation
Relaxation glatter Muskelzellen (vor allem in der Prostata)
Relaxation glatter M uskulatur (vor allem in Blutgefäßen)
Kontraktion glatter Muskelzellen (Blutgefäße)
β1AR-Antagonist
α2AR-Antagonist
βxAR-Antagonist
β2AR-Agonist
α1AR-Antagonist
α1AR-Antagonist
α1AR-Agonist
Metoprolol
Mirtazapin
Propranolol
Salbutamol
Tamsulosin
Urapidil
Xylometazolin
Konjunktivitis und Rhinitis
Hypertensiver Notfall
BPH (symptomatisch)
Akuter Asthma-Anfall
Infantiles Hämangiom (Vaso konstriktion, Wachstumsfaktoren↓, β2AR), Migräneprophylaxe, essentieller Tremor
Depression
Hypertonie, KHK, CHF
Wichtige Indikationen
MAO-Inhibitoren, NSMRI sowie SSNRI werden in 7 Kap. 6 und 28 diskutiert
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
Desensitisierung (Wirkungsverlust) bei längerer Anwendung
Orthostatische Hypotonie, BD-Abfall
Orthostatische Hypotonie, BD-Abfall
Desensitisierung (Wirkungsverlust) bei längerer Anwendung, β1AR-Aktivierung bei höherer Dosierung
Bradykardie, Hypo glykämie und Asthma (β2AR-Antagonismus in hohen Dosierungen)
Tachykardie, Hypertonie
Bradykardie (β1ARAntagonismus), verschleierte Hypo glykämie und Asthma (β2AR-Antagonismus) in therapeutischer Dosierung kein Problem
Wichtige UAW
5
Arzneistoff
.. Tab. 5.1 (Fortsetzung)
7 Kap. 1
7 Kap. 15
7 Kap. 1, 14
7 Kap. 1, 6
7 Kap. 28
7 Kap. 15, 16, 17
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
94 Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
5
95 5.2 · Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren
werden wegen der Atemmuskulaturlähmung beatmet. Bei Rocuronium ist die Mastzelldegranulation (7 Kap. 3 und 7) sehr viel schwächer als bei dem früher eingesetzten Tubocurarin. Bei einer Überdosierung von nAChR-Antagonisten werden AChE-Inhibitoren eingesetzt (7 Kap. 4). Dadurch steigt die ACh-Konzentration an und das Muskelrelaxans wird vom nAChR verdrängt. Suxa methonium ist ein nAChR-Agonist und wird als „depolarisierendes“ Muskelrelaxans eingesetzt (7 Kap. 27). Nach kurzfristiger nAChR-Aktivierung, die sich in ungeordneten Muskelfaszikulationen äußert, kommt es zu Rezeptordeaktivierung. Suxamethonium wird rasch durch Esterasen inaktiviert, daher ist die Wirkdauer des Arzneistoffs nur kurz. Ein Problem in der Anwendung von Suxamethonium ist die Gefahr der malignen Hyperthermie (7 Kap. 4 und 27). Außerdem kann Suxamethonium eine Mastzelldegranulation auslösen (7 Kap. 3 und 7).
>>Der Begriff „nikotinische ACh-Rezeptoren (nAChR)“ hat historische Wurzeln und stammt aus einer Zeit, als man noch nicht wusste, dass die nAChR im autonomen Nervensystem und an der neuromuskulären Endplatte strukturell miteinander verwandt sind.
nAChR vermittelt Nikotin seine stimulierenden Wirkungen, die Aktivierung des dopaminergen Belohnungssystems (7 Kap. 8) sowie die Auslösung von Abhängigkeit. MxR gehören zu den GPCR (7 Kap. 1) und werden im ZNS sowie auf den Effektorzellen des autonomen Nervensystems exprimiert. Das Pilzgift Muskarin ist ein MxR- Agonist und induziert ein muskarinerges Syndrom mit Bradykardie, BD-Abfall, Miosis, Tränen-, Speichel- und Schweißsekretion, Bronchospasmus, Darmkrämpfen, Diarrhoe sowie Harndrang. Im ZNS löst Muskarin Erbrechen (7 Kap. 6) sowie Tremor (7 Kap. 8) aus.
>>Traditionell wird das muskarinerge Syndrom als „cholinerges Syndrom“ bezeichnet. Dieser Begriff sollte vermieden werden, da er impliziert, dass alle Wirkungen von ACh verstärkt werden.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die über nAChR vermittelten Wirkungen von ACh werden nicht verstärkt. Da MxR-Agonisten Tremor verur sachen, wird dementsprechend der MxR- Antagonist Biperiden gegen Tremor bei M. Parkinson (7 Kap. 8) und EPMS bei D2R-mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 4 und 29) eingesetzt. Der MxR-Antagonist Scopol amin wird gegen Übelkeit und Erbrechen bei Kinetosen verwendet (7 Kap. 6).
Es kommt aber hier regelmäßig zu Verwirrung, weil Nikotin am nAChR der neuromuskulären Endplatte KEIN Agonist ist. Bislang wurde aber noch kein guter Weg ge- >>Traditionell werden die MxR-Antagonisten als „Parasympatholytika“ oder Antifunden, diese Inkonsistenz der Rezeptor- cholinergika bezeichnet. Dieser Begriff ist Nomenklatur zu korrigieren. Es handelt inkorrekt und sollte aus drei Gründen sich glücklicherweise um eine der wenigen nicht mehr benutzt werden. Ausnahmen in der ansonsten sehr stringen 1. Die Schweißsekretion ist funktionell ten Rezeptor-Nomenklatur. dem Sympathikus zuzuordnen. In ganglionären Synapsen von Sympa 2. MxR-Antagonisten wirken nicht auf thikus und Parasympathikus besteht der nAChR. nAChR aus zwei α3- und drei β4 3. Die Wirkungen der MxR-Antagonisten im Untereinheiten. Nikotin ist ein Agonist an ZNS haben nichts mit dem Parasympathidiesem Rezeptor und induziert das Mischkus zu tun, sondern sind davon bild einer Sympathikus- und Parasympathiunabhängige Wirkungen. Dies ist klinisch kusaktivierung. Im ZNS wird ein nAChR relevant, denn bei einer Intoxikation mit bestehend aus zwei α4- und drei β2MxR-Antagonisten sind auch die Untereinheiten exprimiert. Über diesen
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
96
ZNS-Symptome sehr wichtig. Dies wird bei Benutzung des Begriffes „Parasympatholytikum“ leicht übersehen. Analoge Betrachtungen gelten für die obsoleten Begriffe „Parasympathomimetika“ bzw. Cholinergika.
5
MxR werden in fünf Subtypen unterteilt: M1R, M3R und M5R koppeln über Gq- Proteine an PLC. Über diese Rezeptoren wird die Sekretion aus Drüsen sowie die Kontraktion glatter Muskelzellen stimuliert. Von besonderer pharmakologischer Bedeutung ist der M3R in glatten Muskelzellen der Atemwege (7 Kap. 14). Tiotropium ist ein M3R-Antagonist, was für die COPD-Therapie von großer Bedeutung ist. Tiotropium ist ein quaternäres Amin und penetriert Membranen nur schlecht. Daher wird es bei COPD lokal in Form eines Inhalationssprays angewendet. M2R und M4R sind Gi-Protein-gekoppelt und vermitteln neben einer AC-Hemmung die funktionell bedeutsame Aktivierung von Kaliumkanälen im Herzen, wodurch es zur Hyperpolarisation kommt. Pilocarpin ist ein MxR-Agonist und wird lokal am Auge zur Behandlung des Engwinkelglaukoms eingesetzt (7 Kap. 30), ferner zur Behandlung der Mundtrockenheit nach Bestrahlung oder bei Autoimmunerkrankungen der Speicheldrüsen (Sjögren-Syndrom). Atropin (der pharmakologisch aktive Inhaltsstoff der Tollkirsche) ist ein MxR-Antagonist. Atropin penetriert mäßig die BHS und kann insbesondere bei Kindern bei versehentlicher Ingestion von Tollkirschen schwere Vergiftungserscheinungen („Tollsein“ und ein an timuskarinerges Syndrom mit Tachykardie, Obstipation, Harnverhalt, heißer trockener Haut, Mundtrockenheit, Sodbrennen sowie Mydriasis mit Akkommodationsstörungen und Blendungsempfindlichkeit) hervorrufen (7 Kap. 4). Die wichtigste systemische Anwendung von Atropin ist die Behandlung intraoperativer Bradykardien (7 Kap. 17). Es wird außerdem lokal zur Pupillendilatation eingesetzt (7 Kap. 30).
>>Traditionell wird das antimuskarinerge Syndrom auch als „anticholinerges Syn drom“ bezeichnet. Dieser Begriff sollte vermieden werden, da er impliziert, dass alle Wirkungen von ACh antagonisiert werden.
Dies ist jedoch nicht der Fall: Die über nAChR vermittelten Wirkungen von ACh bleiben erhalten. In Zeiten des Klimawandels spielt die MxR-antagonistische Wirkung vieler Arzneistoffe einschließlich von NSMRI (7 Kap. 28) und etlicher mGCPR-Antagonisten (7 Kap. 29) eine zunehmende Rolle:
>>Durch die Hemmung der Schweißsekretion wird die Thermoregulation gestört und es kommt leicht zur Überhitzung. Besonders betroffen sind ältere Menschen.
. Abb. 5.2 zeigt eine Übersicht über drenozeptoren. Die biogenen Amine NE A und EPI sind die endogenen Agonisten an Adrenozeptoren. Diese Rezeptoren gehören zu den GPCR (7 Kap. 1) und werden in αxAR und βxAR unterteilt. Propranolol blockiert die über βxAR vermittelten Wirkungen.
>> Traditionell werden die βxAR-Antagonisten als „Betablocker“ bezeichnet. Dieser B egriff stammt aus einer Zeit, als die βxAR als GPCR noch nicht bekannt waren. Der Begriff „Betablocker“ sollte aus drei Gründen vermieden werden.
1. Aus dem Begriff geht nicht der korrekte Wirkmechanismus (GPCR-Antagonismus) hervor. 2. Der Begriff ist nicht konsistent mit dem korrekten Sprachgebrauch für alle anderen Arzneistoffe mit GPCR-antagonistischer Wirkung. 3. Die korrekte Bezeichnung der Arznei stoffgruppe als βxAR-Antagonisten macht deutlich, dass sie ohne Desensitisierung (GPCR-Antagonismus!) in der Langzeittherapie verwendet werden kann.
5
97 5.2 · Acetylcholinrezeptoren und Adrenozeptoren
Epinephrin, Norepinephrin Propranolol Adrenozeptoren
Xylometazolin Tamsulosin Urapidil
Salbutamol αxAR
Metoprolol βxAR
Mirtazapin
Clonidin α1AR postsynaptisch
α2AR präsynaptisch
Gq
Gi/Go
PLC
β1AR Herz, Niere
β2AR weit verbreitet
Gs
Kaliumkanal-Öffnung Calciumkanal-Blockade
[Ca2+]i
AC
Hyperpolarisation
Kontraktion glatter Muskelzellen
β3AR glatte Muskelzellen
cAMP
Sympathikushemmung
Zelltypspezifische Wirkungen
.. Abb. 5.2 Übersicht über Adrenozeptoren und ausgewählte Agonisten und Antagonisten. Weitere Arzneistoffe werden in . Abb. 5.4 sowie . Tab. 5.1 gezeigt
>>Der Begriff „Betasympatholytika“ ist ebenso problematisch, da bestimmte Indikationen der βxAR-Antagonisten (z. B. essentieller Tremor, Migräneprophylaxe) nichts mit einer Sympathikusblockade zu tun haben.
αxAR werden unterteilt in α1AR und α2AR. α1AR koppeln über Gq-Proteine an PLC und vermitteln eine Kontraktion glatter Muskelzellen. Tamsulosin und Urapidil sind prototypische α1AR-Antagonisten, die die Relaxation glatter Muskelzellen induzieren. α2AR sind vor allem präsynaptisch lokalisiert und bewirken über Gi/Go-Proteine eine Hemmung von Calciumkanälen sowie eine Aktivierung von Kaliumkanälen. Dadurch kommt es zu einer neuronalen Hyperpolarisation und Sympathikushemmung. Mirta zapin antagonisiert α2AR und führt durch einen Wegfall der präsynaptischen Hemmung zu Sympathikusaktivierung.
βxAR werden in drei Subtypen (β1AR, β2AR und β3AR) unterteilt. βxAR koppeln an Gs-Proteine und vermitteln darüber eine AC-Aktivierung und einen cAMP-Anstieg (7 Kap. 1). Der β1AR wird vor allem im Herzen und in der Niere exprimiert, der β2AR ubiquitär und der β3AR in bestimmten glatten Muskelzellen. Obwohl cAMP als gemeinsamer Second Messenger der βxAR dient, ist die biologische Wirkung von cAMP Zelltyp-spezifisch. cAMP bewirkt am Herzen eine Kontraktion (positiv inotroper Effekt), aber in den glatten Muskelzellen der Atemwege und der Blase eine Relaxation (7 Kap. 14). Ein cAMP-Anstieg hemmt auch Zellen des Immunsystems. Von besonderer Bedeutung für die Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen sind β1AR-Antagonisten wie Metoprolol, das den β1AR mit deutlich höherer Potenz als den β2AR antagonisiert (7 Kap. 1). β2AR
98
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
Agonisten wie Salbutamol finden vor allem in der Therapie des Asthmas sowie der COPD Anwendung (7 Kap. 1 und 14). Der Antagonist Propranolol zeigt keine Selektivität für βxAR. Beim infantilen Hämangiom bewirkt Propranolol durch Hemmung der Freisetzung von Wachstumsfaktoren eine Rückbildung des Gefäßtumors. Diese Wirkung beruht auf β2AR-Antagonismus. Auch die Wirkung des βxAR-Antagonisten Timolol beim Glaukom (7 Kap. 30) ist Folge des β2ARAntagonismus. Für die Praxis und Klinik sind keine β2AR-Antagonisten zugelassen. Carvedilol vereint die Wirkkomponenten von Tamsulosin/Urapidil + Propranolol und stellt einen α1AR/βxAR-Antagonisten dar. Die beträchtlichen UAW von Carvedilol (z. B. Bronchospasmus, BD-Abfall, Verschleierung von Hypoglykämie) limitieren die Anwendung bei Hypertonie und CHF.
5
>>Propranolol ist aufgrund seiner fehlenden β1AR-Selektivität und den daraus resultierenden UAW für die Bluthochdruck therapie und Behandlung von KHK und CHF obsolet.
Propranolol wird jedoch in anderen Indikationen (infantiles Hämangiom, essentieller Tremor und Migräneprophylaxe) eingesetzt.
kung). Der M2R spielt im Ventrikelmyokard keine Rolle. Dies ist therapeutisch bedeutsam, weil man mit Atropin bei intraoperativer Sinusbradykardie und AV-Block einen positiv chronotropen und dromotropen Effekt ohne gleichzeitige positiv inotrope Auswirkungen auf das Ventrikelmyokard auslösen kann. Dadurch können besonders beim Vorliegen von KHK und CHF gefährliche VT vermieden werden (7 Kap. 16 und 17). Die stimulierenden Wirkungen des β1AR am Herzen werden in der Therapie des anaphylaktischen Schocks sowie beim Herzstillstand genutzt; Arzneistoff der Wahl ist EPI (7 Kap. 3). Der β1AR am Herzen spielt jedoch vor allem in der Therapie chronischer kardiovaskulärer Erkrankungen eine Rolle: Durch β1AR-Antagonismus werden negativ chronotrope, dromotrope und inotrope Wirkungen erzielt. Dadurch lässt sich das Verhältnis von O2-Zufuhr zu O2-Verbrauch bei KHK so verbessern, dass die Wahrscheinlichkeit von Angina-pectoris-Anfällen geringer wird (7 Kap. 16).
>>β1AR-Antagonisten haben jedoch keine schmerzlindernde Wirkung beim Anginapectoris-Anfall. Dafür ist der Wirkungseintritt doch zu langsam.
Bei der CHF wird durch β1AR-Antagonisten die pathophysiologisch ungünstige Sympathikusüberaktivierung blockiert (7 Kap. 16) und bei der Hypertonie wird der BD durch eine 5.3 Pharmakologische HMV-Verringerung erniedrigt (7 Kap. 15). Modulation ausgewählter An glatten Muskelzellen ist vor allem die Organfunktionen durch über den α1AR vermittelte Kontraktion beAcetylcholinrezeptoren und deutsam. α1AR-Antagonisten wie Tamsulo Adrenozeptoren sin und Urapidil führen zur Relaxation glatter Muskelzellen. Urapidil wird bei hypertensiDer β1AR hat am Herzen stimulierende ven Notfällen eingesetzt. Die muskelrelaxieFunktion. Am Sinusknoten wirkt β1AR- rende Wirkung von Tamsulosin auf glatte Aktivierung positiv chronotrop, am Vorhof Muskelzellen in der Prostata wird bei einer und am Ventrikel positiv inotrop und am BPH symptomatisch genutzt, um die MikAV-Knoten positiv dromotrop. Diese dem tion zu erleichtern. Sympathikus zuzuordnenden Funktionen werden durch den dem Parasympathikus zu- >>Tamsulosin stellt jedoch keine kausale Therapie der BPH dar; die Proliferation gehörigen M2R antagonisiert (negativ chroglatter Muskelzellen wird nicht gehemmt. notrope, inotrope und dromotrope Wir
99 5.3 · Pharmakologische Modulation ausgewählter Organfunktionen durch…
Durch lokale Applikation von α1AR- Agonisten wie Xylometazolin in der Nase kann eine behinderte Atmung bei Rhinitis verbessert werden, durch Gabe ins Auge werden Konjunktivitissymptome abgemildert. Beides ist Folge einer Vasokonstriktion. Der β2AR vermittelt insbesondere an Hautgefäßen Vasodilatation.
5
erkannten Hypoglykämien kommen, insbesondere bei mit Insulin behandelten Patienten mit Diabetes (7 Kap. 19). Am Auge wird die Pupillenweite durch Sympathikus und Parasympathikus gegenläufig reguliert. Über den α1AR wird die Pupille erweitert (Mydriasis) und über MxR verengt (Miosis). Von klinischer Bedeutung ist die lokale Gabe von Pilocarpin beim Engwin>>Bei Gabe hoher β1AR-Antagonist-Dosen kelglaukom, bei dem es über IOD-Erhöhung kann es auch zu β2AR-Antagonisierung zu Retinazerstörung und Erblindung kommt kommen. Dies manifestiert sich vor allem (7 Kap. 30). Durch Pupillenkontraktion erdurch kalte Akren. weitert sich der Schlemmsche Kanal, der Diese UAW stellt eine Möglichkeit dar, die Kammerwasserabfluss aus dem Auge wird erDosierung von β1AR-Antagonisten zu ad- leichtert und der IOD sinkt. Kurzwirksame justieren. MxR vermitteln eine NO-MxR-Antagonisten werden zur Pupillenerweiterung bei Augenhintergrundspiegelung einabhängige Vasodilatation (7 Kap. 9). In der Niere ist der β1AR ebenso klinisch gesetzt, langwirksame MxR-Antagonisten wie bedeutsam. Er ist im juxtaglomerulären Ap- Atropin zur Verhinderung von Synechien zwiparat lokalisiert und stimuliert die Renin- schen Iris und Linsenvorderseite bei Iritis. In den Bronchien werden die glatten freisetzung. Durch Antagonismus am renalen β1AR lässt sich die Reninfreisetzung und Muskelzellen gegenläufig durch Sympathidamit über einen verminderten TPW der kus und Parasympathikus reguliert. Der β2AR vermittelt eine Relaxation und der BD senken (7 Kap. 12 und 15). Im GI-Trakt sind MxR klinisch relevant. M3R eine Kontraktion. Diese Wirkungen Die wichtigste MxR-Funktion ist die Kon- werden bei Asthma und COPD genutzt traktion glatter Muskelzellen. Bei patholo- (7 Kap. 14). β2AR-Agonisten und M3R- gisch erhöhter Kontraktilität der glatten Antagonisten reduzieren den AtemwegswiMuskulatur im GI-Trakt, z. B. im Rahmen derstand. Beide Arzneistoffgruppen können viraler Infekte, können MxR-Antagonisten kombiniert werden. Mastzellen, die ubiquiwie Butylscopolamin als muskelrelaxierende tär vorkommen, exprimieren den β2AR. Arzneistoffe p.o. zur Schmerzlinderung ein- Über eine β2AR-Aktivierung wird die Freigesetzt werden (7 Kap. 10, 13 und 23). Bei setzung von Entzündungsmediatoren geschweren Schmerzen wie Gallengangs- oder hemmt und es resultiert eine antiinflammaHarnleiterkoliken muss Butylscopolamin torische Wirkung (7 Kap. 3 und 7). Der Uterus wird über den β2AR relai.v. appliziert werden, um eine ausreichende xiert und über MxR kontrahiert. β2AR- Schmerzlinderung zu erzielen (7 Kap. 2). In der Leber stimuliert die β2AR- Agonisten wie Fenoterol werden i.v. zur Aktivierung Gluconeogenese und Glykoge- Hemmung vorzeitiger Wehen eingesetzt nolyse. Dadurch wird die Blutglucosekon- (Tokolyse), um eine Frühgeburt zu verhinzentration erhöht. Der β2AR in der Leber dern. Nicht selten wird jedoch aus Angst fungiert als wichtiger Rescue-Mechanismus, um das Wohlergehen des Kindes Fenoterol um lebensbedrohliche Hypoglykämien zu so hoch dosiert, dass es bei der werdenden verhindern. Dementsprechend kommt es bei Mutter zu sehr unangenehmen Tachykarsystemischer Applikation von EPI zu Hy- dien (β1AR-vermittelt) und zu β2ARperglykämie. Bei einer hochdosierten Thera- vermittelten Hyperglykämien kommt, die pie mit β1AR-Antagonisten kann es durch als Schwangerschaftsdiabetes fehlinterpreAntagonismus am hepatischen β2AR zu un- tiert werden und in der Folge zu einer
100
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
überflüssigen Insulingabe führen (7 Kap. 19). MxR-Antagonisten wie Butylscopol amin werden p.o. oder rektal in Form von Suppositorien als zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden eingesetzt.
5
>>Traditionell werden MxR-Antagonisten vom Typ des Butylscopolamins als „Spas molytika“ bezeichnet. Dieser Begriff sollte jedoch vermeiden werden, weil zahlreiche andere Arzneistoffgruppen (insbesondere NO-Donatoren und PDE5- Inhibitoren (7 Kap. 9) und Pyrazolone (7 Kap. 10 und 23)) ebenfalls spasmolytische Wirkungen besitzen.
In der Blase wird die glatte Muskulatur über den β3AR relaxiert und MxR kontrahiert. Dementsprechend werden β3AR-Agonisten und MxR-Antagonisten zur Behandlung von Blasenfunktionsstörungen wie der Reizblase eingesetzt. EPI und NE aktivieren αxAR und βxAR. Der wesentliche pharmakologische Unterschied zwischen EPI und NE besteht darin, dass EPI den β2AR potenter als NE aktiviert. Daraus ergibt sich, dass NE eine stärkere Vasokonstriktion als EPI induziert. NE findet vor allem Anwendung beim septischen Schock, bei dem häufig eine Vasodilatation vorliegt. Wegen seiner pleiotropen Wirkung an αxAR und βxAR ist EPI Arzneistoff der Wahl zur Behandlung des anaphylaktischen Schocks. Über α1AR-Agonismus kommt es zu Vasokonstriktion, die insbesondere bei Ödemen im Gesichts-, Mund- und Larynxbereich lebensrettend sein kann. Eine zu starke Vasokonstriktion wird über eine β2AR-vermittelte Vasodilatation verhindert. Ein EPI-Agonismus am β2AR ist auch zur Behandlung von Asthma im Rahmen eines anaphylaktischen Schocks erwünscht, ebenso die Stimulation der Herztätigkeit durch den Agonismus am kardialen β1AR (7 Kap. 3). Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet von EPI ist die Lokalanästhesie (7 Kap. 26). EPI verzögert durch eine Vasokonstriktion die Abdiffusion und damit systemische UAW des SCB.
5.4
Pharmakologische Modulation der cholinergen Synapse
Synapsen stellen Verbindungen zwischen zwei Neuronen bzw. einem Neuron und einer Effektorzelle dar. Prinzipiell funktionieren alle Synapsen ähnlich (7 Kap. 6, 7, 8, 28 und 29), aber es gibt Unterschiede im Detail. Dies lässt sich durch den Vergleich der cholinergen Synapse (. Abb. 5.3) und der noradrenergen Synpase (. Abb. 5.4) illustrieren. Die Erregung eines präsynaptischen Neurons im cholinergen System (. Abb. 5.3) führt zum Einstrom von Natrium und Calcium. Der Einstrom von Calcium ist für die Fusion von ACh enthaltenden Vesikeln mit der präsynaptischen Membran sehr wichtig. Dieser Prozess ist komplex und erfordert die Interaktion mit spezifischen Adapterproteinen. Nachdem ACh in den synaptischen Spalt freigesetzt wurde, aktiviert es postsynaptische nAChR und MxR. Die ACh- Inaktivierung erfolgt extrazellulär durch die hochaktive AChE, die den Neutrotransmitter in Cholin und Acetat spaltet. Cholin ist quaternär und wird über einen Transporter aktiv ins Zytosol des Neurons aufgenommen. Dort erfolgt die ACh-Resynthese durch die Kondensation von Cholin mit Acetyl-Coenzym A, katalysiert durch die Cholinacetyltransferase. ACh wird dann wieder in Vesikel verpackt. Wie bereits in 7 Abschn. 5.2 und 5.3 dargestellt, kann die cholinerge Synapse durch Agonisten und Antagonisten an nAChR und MxR beeinflusst werden. Darüber hinaus ist die AChE-Hemmung klinisch bedeutsam. Sie bewirkt einen Anstieg der ACh-Konzentration im synap tischen Spalt und verstärkt damit die ACh- Wirkungen. Man unterscheidet zwischen reversiblen und irreversiblen AChE- Inhibitoren. Irreversible AChE-Inhibitoren phosphorylieren das aktive Zentrums des Enzyms. Dadurch kommt es zu langanhal
5
101 5.4 · Pharmakologische Modulation der cholinergen Synapse
Cholin ⊕
Cholin ⊕ +
Acetat
ACh
Acetyl-Coenzym A
Pyridostigmin
AChE
Myasthenia gravis
Cholinacetyltransferase
ACh
Na+
Depolarisation
Ca2+
Systemisch: Botulismus
BotulinumNeurotoxin
ACh
Lokal: Muskuläre Dystonien
Ca2+
Suxamethonium Rocuronium
ACh Na+
Atropin Pilocarpin
ACh
nAChR
MxR
.. Abb. 5.3 Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in die cholinerge Synapse
tender ACh-Überflutung der Synapse (muskarinerges Syndrom). Irreversible AChE- Inhibitoren sind nur von toxikologischer Bedeutung. Das Zytostatikum Irinotecan kann als Folge einer reversiblen AChE-Hemmung ein muskarinerges Syndrom auslösen (7 Kap. 31). Therapeutisch bedeutsam sind reversible AChE-Inhibitoren. Es wird unterschieden zwischen Arzneistoffen, die einen tertiären Stickstoff besitzen, unter physiologischen Bedingungen ungeladen sind und gut Membranen penetrieren, sowie Arzneistoffen, die einen quaternären Stickstoff tragen und daher Membranen nur schlecht durchdringen (7 Kap. 2). Zu letzterer Gruppe gehört Pyridostigmin. Es findet in der Therapie der Myasthenia gravis Anwendung. Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer nAChR-Zerstörung an
der neuromuskulären Endplatte kommt. Die Folge davon ist eine abgeschwächte Neurotransmission, die sich in erhöhter Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur manifestiert, insbesondere bei reicher Innervierung wie im Falle der externen Augenmuskeln. Durch Gabe von AChE-Inhibitoren kann die Neurotransmission über die noch verbliebenen nAChR verbessert werden. Aufgrund ihrer positiven Ladung hat Pyridostigmin keine ZNS-UAW. Zur Diagnostik der Myasthenia gravis werden ultrakurz wirkende AChE-Inhibitoren (Edropho nium, nicht im NKLM/IMPP-Arzneistoffliste) eingesetzt. Während der Injektion des Arzneistoffs beobachtet man eine sofortige Besserung der Symptome und kann die Diagnose sichern. AChE-Inhibitoren werden auch in der Anästhesie eingesetzt, um überschießende relaxierende Wirkungen von nAChR-Antagonisten auf die Skelettmuskulatur aufzuheben.
102
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
Tachyphylaxie
Depolarisation
Tyrosin
Tyramin, Amphetamin, Methamphetamin
Na+ Ca2+
Depression
NE NSMRI (Amitriptylin) SSNRI (Venlafaxin)
Ca2+
NE Hyperpolarisation
5
1
Clonidin Mirtazapin
G i/G o
Xylometazolin Tamsulosin Urapidil
β1AR
Tranylcypromin
MAO
negatives Feedback
β2AR
2
NE
NE
K+
Ca2+
NE NE
Abbauprodukte
βxAR
Gq
Gs
PLC
AC
Propranolol Salbutamol (β2AR)
.. Abb. 5.4 Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in die noradrenerge Synapse. 1, vesikulärer Transporter; 2, NE-Transporter. Siehe auch . Abb. 6.1 und 28.2
Durch Botulinum-Neurotoxin kann die Funktion der cholinergen Synapse (aber nicht von Synapsen, die andere Neurotransmitter nutzen!) selektiv gehemmt werden. Botulinum-Neurotoxin wird in cholinerge Neurone aufgenommen und induziert dort Das trifft aber nicht zu. Es werden auch die den Abbau von Adapterproteinen, die für Wirkungen an nAChR verstärkt! die Verschmelzung ACh-enthaltender VesiBeim M. Alzheimer kommt es zu einer kel mit der Plasmamembran von Bedeutung Degeneration verschiedener Neuronensys- sind. Botulinum-Neurotoxin hemmt die teme, u. a. von cholinergen Neuronen. Des- ACh-Freisetzung für mehrere Monate. Diese halb werden im großen Umfang ZNS- langandauernde und neurotransmitterspezigängige ACh-Inhibitoren verschrieben, um fische Wirkung kann man bei neurologischen die Funktion der verbleibenden cholinergen Erkrankungen nutzen, die durch lokale ErNeurone zu stärken. höhung des Muskeltonus charakterisiert sind. Dazu gehören Torticollis spasticus, Blepharospasmus, Pylorospasmus sowie fokale >>Wegen einer fehlenden überzeugenden kliDystonien an der Hand oder Glottis. Am nischen Wirkung wurden ZNS- gängige bekanntesten ist die kosmetische AnwenAChE-Inhibitoren (Prototyp Donepezil) dung von Botulinum-Neurotoxin zur Glätnicht mit in die NKLM/IMPP-Arzneistofftung von Gesichtsfalten. liste aufgenommen. >>Traditionell werden AChE-Inhibitoren als „indirekte Parasympathomimetika“ bezeichnet. Dieser Begriff impliziert, dass AChE-Inhibitoren nur die Wirkungen von ACh im Parasympathikus verstärken.
5
103 5.5 · Pharmakologische Modulation der noradrenergen Synapse
NE aktiviert. Über Gi/Go-Proteine aktivieren α2AR Kaliumkanäle und hemmen Calciumkanäle. Dadurch wird weitere NE-Freisetzung gehemmt. Eine präsynaptische α2AR-Aktivierung schützt den Körper vor einer übermäßigen Sympathikusaktivierung, die lebensgefährlich sein kann. α2ARAgonisten wie Clonidin hemmen über verringerte NE-Freisetzung den Sympathikus Bei systemischer Vergiftung mit Botulinum- und führen zu Sedation. Außerdem senken Neurotoxin, z. B. durch Verzehr von mit Closα2AR-Agonisten den BD (7 Kap. 15) und tridium botulinum kontaminierten Fleischkonhemmen die Funktion schmerzleitender serven, entsteht das Krankheitsbild des Neurone (7 Kap. 10). Umgekehrt führt eine Botulismus, das durch generalisierte MuskelAntagonisierung präsynaptischer α2AR paralyse einschließlich Atemlähmung charakdurch Mirtazapin zu verstärkter NE-Freiterisiert ist. Dementsprechend müssen Botusetzung. Diese Wirkung wird bei der Delismuspatienten langzeitbeatmet werden. pression genutzt, da bei dieser Erkrankung ein funktionelles NE-Defizit vorliegt (7 Kap. 28).
>>Bei der kosmetischen Anwendung von Botulinum-Neurotoxin kann es zu langandauernder Lähmung der Gesichtsmuskulatur sowie mimischer Ausdruckslosigkeit kommen. Dies verschlechtert das Aus sehen und kann zu Missverständnissen in der zwischenmenschlichen Kommunikation führen.
5.5
Pharmakologische Modulation der noradrenergen Synapse
Die Synthese von NE in der noradrenergen Synapse geht von der Aminosäure Tyrosin aus (. Abb. 5.4). Nach Umwandlung zu Levodopa erfolgt die Decarboxylierung zu DA, das einen eigenständigen Neurotransmitter darstellt (7 Kap. 8). DA ist das Vorläufermolekül von NE. EPI entsteht aus NE im Nebennierenmark. NE wird über einen vesikulären Transporter in Vesikel verpackt und nach Depolarisation in den synaptischen Spalt freigesetzt. NE bindet an postsynaptische α1AR sowie βxAR und reguliert eine Vielzahl von Zellfunktionen (7 Abschn. 5.2 und 5.3). Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Aufhebung der biologischen Wirkungen von NE ist die neuronale Wiederaufnahme des Neurotransmitters über einen spezifischen NE-Transporter. Im Neuron wird NE (ebenso wie EPI und DA) über COMT und MAO zu inaktiven Metaboliten umgewandelt. Von großer funktioneller Bedeutung ist der präsynaptische α2AR. Er wird parallel zu postsynaptischen α1AR und βxAR durch
>>Regelmäßig kommt es zur Verwirrung, ob man α2AR-Agonisten und α2AR-Anta gonisten als „Sympathomimetika“ oder „Sympatholytika“ klassifizieren soll.
Wenn man die Wirkung am Rezeptor zu Grunde legt, wären α2AR-Agonisten Sympathomimetika und α2AR-Antagonisten Sympatholytika. Betrachtet man hingegen die funktionelle Wirkung auf den Sympathikus, wäre die Klassifikation genau umgekehrt. Deshalb sollten die Begriffe „Sympatholytika“ und „Sympathomimetika“ nicht mehr verwendet werden. Eine Erhöhung der synaptischen NE- Konzentration kann auch durch eine Blockade der neuronalen NE-Wiederaufnahme bewirkt werden. Therapeutisch relevant sind die NSMRI und SSNRI (7 Kap. 28). In schweren Fällen von Depression kommt eine MAO-Hemmung, z. B. durch Tranyl cypromin, infrage (. Abb. 5.5a). Eine Reihe von biogenen Aminen, die strukturelle Ähnlichkeit mit NE und EPI aufweisen, aktivieren Adrenozeptoren nur mit niedriger Potenz und intrinsischer Aktivität, können aber aufgrund ihrer physikochemischen Eigenschaften in noradrenerge Neurone penetrieren und vom Zytosol über
104
Kapitel 5 · Pharmakologie des cholinergen und adrenergen Systems
a
Abbauprodukte Tranylcypromin Depression (NE-Defizit)
b
5
Tyramin-haltige Nahrungs- und Genussmittel
Depression (NE-Defizit)
BD Herz-KreislaufSystem
MAO NE
αxAR, βxAR
(langfristig)
ZNS
Antidepressive Wirkung
Abbauprodukte
BD Herz-KreislaufSystem
MAO
NE
HF
αxAR, βxAR
(kurzfristig, Tachyphylaxie)
(kurzfristig)
HF
(kurzfristig)
ZNS
∅ antidepressive
Wirkung
(kurzfristige Stimulation)
c
Abbauprodukte Tranylcypromin + Tyramin Depression
MAO NE
(NE-Defizit)
αxAR, βxAR
Myokardinfarkt Herz-KreislaufHypertensiver System Notfall Aneurysmenrupturen ZNS Hämorrhagischer Infarkt Erregungszustände
.. Abb. 5.5 a–c Wirkungen von MAO-Inhibitoren und Tyramin auf das Herz-Kreislauf-System und ZNS. a Wirkung von MAO-Inhibitoren alleine. b Wir-
kung von Tyramin alleine. c Interaktion von MAO- Inhibitoren mit Tyramin. Siehe auch . Abb. 6.2
den vesikulären Transporter in NE-speichernde Vesikel gelangen. Diese Arzneistoffe werden deshalb als indirekte Sympa thomimetika bezeichnet.
retrograd über NE-Transporter in den synaptischen Spalt. Indirekte Sympathomimetika induzieren eine rasche NE-Freisetzung. Dies geht mit einer kurzfristigen Erhöhung von Leistungsfähigkeit, BD, HF und Wohlbefinden einher, weshalb bestimmte indirekte Sympathomimetika wie Amphetamin und Methamphe tamin auch als Dopingmittel missbraucht werden und erhebliches Suchtpotential besitzen. Durch die massive NE-Freisetzung nach der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin wird der präsynaptische α2AR-Schutzmechanismus außer Kraft gesetzt, sodass es zum plötzlichen Herztod kommen kann. Ein zusätzliches typisches Problem bei Methamphetamin-Abhängigkeit ist
>> Da der Begriff der „direkten Sympathomimetika“ jedoch ambivalent ist (z. B. Clonidin im Vergleich zu Mirtazapin), müsste konsequenterweise auch der Begriff „indirekte Sympathomimetika“ nicht mehr verwendet werden, sondern durch „Stimulatoren der vesikulären NE-Freisetzung“ ersetzt werden. In der aktuell gültigen NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste ist diese Änderung jedoch noch nicht umgesetzt worden.
Das in den Vesikeln gespeicherte NE wird im Austausch gegen indirekte Sympathomimetika ins Zytosol transportiert und gelangt
105 5.5 · Pharmakologische Modulation der noradrenergen Synapse
der Meth Mouth. Dabei kommt es durch eine Kombination verschiedener Faktoren (NE-vermittelte Hemmung der Speichelproduktion, exzessiver Konsum von Softdrinks sowie starkem Zähneknirschen) zu schwerster Karies. Unter dem Einfluss von Methamphetamin darf niemals eine Lokalanästhesie (7 Kap. 26) durchgeführt werden. Falls EPI oder der SCB versehentlich in die systemische Zirkulation gelangen, können die beiden Arzneistoffe die kardiovaskulären und zentralnervösen Wirkungen von Methamphetamin verstärken. Ein weiteres Problem nach Einnahme indirekter Sympathomimetika besteht darin, dass nach Speicherentleerung erst wieder NE resynthetisiert werden muss. In dieser Phase geht es den Konsumenten indirekter Sympathomimetika entsprechend schlecht und sie klagen über Müdigkeit und mangelnde Leistungsfähigkeit. Deswegen und wegen des Suchtpotentials besteht das Verlangen nach einer raschen Wiederzufuhr der indirekten Sympathomimetika, aber als Folge der entleerten NE-Speicher zeigen die Wirkstoffe keinen Effekt. Die Wirkungslosigkeit indirekter Sympathomimetika nach Speicherentleerung wird als Tachyphylaxie bezeichnet und ist nicht mit der Wirkungslosigkeit von Agonisten als Folge von Rezeptordesensitisierung zu verwechseln (7 Kap. 1). Wegen der Tachyphylaxie und des Suchtpotentials ist die pharmako therapeutische Bedeutung indirekter Sympathomimetika gering. Synthetische indirekte Sympathomimetika wie Amphetamin induzieren eine massive NE-Freisetzung und eine entsprechend starke Tachyphylaxie. Tyramin ist ein in vielen Nahrungsmitteln wie Käse, Nüssen und Schokolade sowie in Rotwein enthaltenes indirektes Sympathomimetikum, das eine sehr viel geringere Maximalwirkung als Amphetamin besitzt und unschädlich ist, wenn Nahrungsmittel und Wein in üblichen Mengen konsumiert werden (. Abb. 5.5b). Allerdings kann es zu einer gefährlichen Interaktion zwischen
5
Tyramin-haltigen Nahrungsmitteln bzw. Getränken und MAO-Inhibitoren kommen. Nimmt ein wegen schwerer Depression mit einem MAO-Inhibitor (Prototyp Tranyl cypromin) behandelter Patient Tyramin zu sich, kommt es zu verstärkter Freisetzung von NE (. Abb. 5.5c). Freigesetztes NE wird jedoch nicht mehr abgebaut und es können lebensbedrohliche BD-Krisen, MI, Aneurysmaruptur, Erregungszustände und ZNS- Blutungen auftreten.
>>Bei der Einnahme von MAO-Inhibitoren muss an die Interaktionsgefahr mit Tyramin-haltigen Nahrungsmitteln gedacht werden!
Mit MAO-Inhibitoren behandelte Patienten sind darüber aufzuklären, dass sie keinesfalls Tyramin-haltige Nahrungsmittel und Getränke konsumieren dürfen. Fallbeispiel
Ein 27-jähriger Mann klagt seit vier Wochen über Abgeschlagenheit und Muskelschwäche. Das Hauptproblem sei, dass ihm schon am frühen Vormittag die Augen zufielen und Doppelbilder aufträten, obwohl er ausreichend lange schläft. Ihnen fallen eine gering ausgeprägte Mimik und ein schwacher Händedruck auf. Sie stellen die Verdachtsdiagnose Myasthenia gravis.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche pharmakologische Untersuchung führen Sie durch, um die Diagnose abzusichern? 2. Warum wird in der Dauertherapie der Myasthenia gravis Pyridostigmin eingesetzt? Lösungen 7 Kap. 37
107
Pharmakologie des serotonergen Systems Inhaltsverzeichnis 6.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen – 108
6.2
Pharmakologische Modulation von 5-HTxR – 109
6.3
harmakologische Modulation der serotonergen P Synapse – 109
6.4
Pharmakotherapie der Migräne – 112
6.5
Pharmakotherapie des Erbrechens – 114
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_6
6
108
6
Kapitel 6 · Pharmakologie des serotonergen Systems
5-HT (5-Hydroxytryptamin) ist ein Neurotransmitter sowie lokaler Mediator und reguliert viele Zellfunktionen. 5-HT vermittelt seine Wirkungen über 5-HT1-7R. 5-HT1B/DRAgonisten werden beim akuten Migräneanfall eingesetzt, p-mGPCR-Antagonisten mit 5-HT2AR-antagonistischer Komponente wirken antipsychotisch. 5-HT3R-Antagonisten wirken antiemetisch und haben die Verträglichkeit der Zytostatikatherapie deutlich erhöht. SSRI, NSMRI sowie MAO-Inhibitoren werden in der Therapie der Depression verwendet. Eine Überdosierung von SSRI oder MAO-Inhibitoren bzw. die Kombination der beiden Arzneistoffgruppen kann ein Serotoninsyndrom auslösen. In diesem Kapitel werden auch die Konzepte zur Behandlung der Migräne und des Erbrechens diskutiert. Diese Konzepte zeigen die integrative Rolle von 5-HT bei Erkrankungen auf.
Merksätze 55 Beim Karzinoidsyndrom wird vermehrt 5-HT sezerniert; dies kann durch Somatostatinanaloga gehemmt werden. 55 5-HT1B/DR-Agonisten werden beim akuten Migräneanfall eingesetzt. 55 p-mGPCR-Antagonisten mit 5-HT2AR- antagonistischer Komponente wirken antipsychotisch. 55 5-HT3R-Antagonisten wirken gut bei akutem Zytostatika-induziertem Erbrechen. 55 Bei Depression werden SSRI, NSMRI oder MAO-Inhibitoren eingesetzt. 55 Das Serotoninsyndrom ist eine lebensgefährliche Komplikation von SSRI- und MAO-Inhibitor-Überdosierung. 55 Die Therapiekonzepte bei der Migräne umfassen Hemmung der Wirkungen von CGRP und PGE2 sowie pathologischer neuronaler Aktivität. 55 Die Therapie des Erbrechens richtet sich nach der Pathogenese und umfasst Antagonismus an NK1R, MxR, D2R und H1R sowie CB1R-Agonismus.
6.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen
5-HT ist ein biogenes Amin, das die Funktion eines Neurotransmitters und lokalen Mediators besitzt. 5-HT reguliert vielfältige Körperfunktionen, was besonders bei Störungen des 5-HT-Stoffwechsels offensichtlich wird. 5-HT entsteht durch Hydroxylierung und Decarboxylierung aus Tryptophan. Über die MAO-A wird 5-HT zur 5-Hydroxyindolessigsäure abgebaut. ECL-Zellen im GI-Trakt enthalten 90 % des 5-HT im menschlichen Körper. Durch Zytostatika und Bestrahlung wird die 5-HT- Freisetzung aus ECL-Zellen stimuliert und Erbrechen ausgelöst. Eine maligne Entartung der ECL-Zellen führt zum Karzinoidsyndrom, bei dem große Mengen 5-HT, aber auch anderer Mediatoren wie HA, Bradykinin und Substanz P freigesetzt werden. Das Karzinoidsyndrom ist durch Diarrhoe, Erbrechen, PUD, Flush und BD- Abfall charakterisiert und wird durch erhöhte Ausscheidung von 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin nachgewiesen. Die Sekretion von 5-HT und anderen Mediatoren aus Karzinoidzellen kann durch metabolisch stabile Somatostatinanaloga gehemmt werden. Somatostatinrezeptoren koppeln an Gi/Go-Proteine und hemmen die Mediatorsekretion durch eine Calciumkanalblockade. Dies ist ein Beispiel für ein Targeted Therapeutic (7 Kap. 31). 5-HT ist ein Vorläufermolekül für den Neurotransmitter Melatonin. Melatonin wird in der Zirbeldrüse produziert. Die Melatoninproduktion unterliegt einem zirkadianen Rhythmus und ist in den Nachtstunden hoch. Daher wird Melatonin auch als „natürliches Schlafmittel“ bezeichnet und zur Therapie von Schlafstörungen bei Jetlag und Schichtarbeit verwendet. Eine Wirksamkeit von Melatonin ist jedoch nicht gegeben, weil es einem starken first-pass-Effekt unterliegt (7 Kap. 2). Synthetische Agonisten an Melatoninrezeptoren, die zu den
6
109 6.3 · Pharmakologische Modulation der serotonergen Synapse
GPCR gehören, stellen ein neues Prinzip zur Therapie der Depression dar, aber der Stellenwert dieses Ansatzes ist noch nicht klar. . Tab. 6.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe, die im serotonergen System angreifen, zusammen.
darunter Clozapin und Risperidon, antagonisieren u. a. 5-HT2AR und vermitteln darüber antipsychotische Wirkungen, die in der Therapie der Schizophrenie und bipolaren Störung genutzt werden (7 Kap. 29). Ein 5-HT2AR-Antagonismus vermittelt auch eine appetitsteigernde Wirkung (7 Kap. 29). Der 5-HT3R ist postsynaptisch lokalisiert und ist ein Ligand-gesteuerter Natriumkanal. Er ist vor allem in der Area postrema und am N. vagus lokalisiert; dadurch wird Erbrechen ausgelöst. Dementsprechend sind 5-HT3R-Antagonisten (Prototyp Ondansetron) potente antiemetisch wirkende Arzneistoffe, insbesondere beim frühen durch Zytostatika ausgelösten Erbrechen.
6.2
Pharmakologische Modulation von 5-HTxR
5-HT vermittelt seine Wirkungen über insgesamt 14 Rezeptorsubtypen (5-HT1-7R mit diversen Unterformen). Der therapeutisch wichtige 5-HT3R gehört in die Klasse der Ligand-gesteuerten Ionenkanäle (7 Kap. 1). Alle anderen 5-HTxR sind GPCR (7 Kap. 1). Derzeit sind nur einige der vielen 5-HTxR klinisch relevant. Der 5-HT1B/DR ist präsynaptisch lokalisiert und führt über Aktivierung von Gi/Go-Proteinen zur Hemmung von Calciumkanälen und Aktivierung von Kaliumkanälen. Dadurch wird die Neurotransmitterfreisetzung gehemmt. 5-HT1B/DR ist in hoher Dichte in Neuronen exprimiert, die den Meningealarterientonus regulieren. Über 5-HT1B/DR kommt es indirekt zur Arterienkontraktion. 5-HT1B/DR-Agonisten (Prototyp Sumatriptan) finden in der Therapie des akuten Migräneanfalls Anwendung (7 Abschn. 6.4). Der 5-HT2AR wird weit verbreitet im ZNS exprimiert und koppelt an Gq-Proteine, worüber die PLC aktiviert wird. Der 5-HT2AR ist wichtig für die korrekte Wahrnehmung unserer Umwelt. Bei Überfunktion, z. B. im Rahmen einer Schizophrenie, kann es zu Halluzinationen kommen (7 Kap. 29). 5-HT2AR-Agonisten wie LSD wirken halluzinogen. Dadurch kann es zu tödlichen Unfällen kommen, aber es können auch Kreativität und Assoziationsfähigkeit zunehmen. LSD kann bei Cluster- Kopfschmerz wirken. Von großer klinischer Bedeutung sind Arzneistoffe, die eine 5-HT2AR-antagonistische Wirkkomponente besitzen. Viele p-mGPCR-Antagonisten,
6.3
Pharmakologische Modulation der serotonergen Synapse
Die Regulation der serotonergen Synapse (. Abb. 6.1) und der noradrenergen Synapse (7 Kap. 5) ist ähnlich. Nach Synthese wird 5-HT über einen vesikulären Transporter in Vesikel verpackt. Eine neuronale Depolarisation führt zur 5-HT-Freisetzung in den synaptischen Spalt. 5-HT aktiviert postsynaptische Rezeptoren, deren Funktion durch Agonisten und Antagonisten beeinflusst werden kann. Präsynaptisch lokalisiert ist der 5-HT1B/DR, der als Autorezeptor über Hemmung von Calciumkanälen und Aktivierung von Kaliumkanälen die weitere 5-HT-Freisetzung hemmt. Die neuronale Wiederaufnahme von 5-HT ist der geschwindigkeitsbestimmende Faktor von 5-HT- Wirkungen. Im Neuron wird 5-HT über MAO inaktiviert. Bei Depression (7 Kap. 28) liegt ein funktionelles 5-HT- (und NE-)Defizit vor. Das 5-HT-Defizit lässt sich dadurch korrigieren, dass die 5-HT- Wiederaufnahme durch SSRI oder durch NSMRI gehemmt wird. Ein entscheidender Unterschied zwi
5-HT3R- Antagonist
5-HT1B/DRAgonist
Ondansetron
Sumatriptan
Kontraktion von Meningealarterien durch verringerte CGRPFreisetzung; wenig systemische Wirkungen
Antiemetisch
Wichtige Wirkungen
Akuter Migräneanfall; NICHT Migräneprophylaxe wegen Desensitisierung bei Dauertherapie
Akutes Zytostatikainduziertes Erbrechen
Wichtige Indikationen
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Engegefühl in der Brust, aber nicht mit Angina pectoris zu verwechseln! Insgesamt sehr gute Verträglichkeit
7 Kap. 1
Obstipation, Kopfschmerzen, 7 Kap. 13, 17, 31 Wärmegefühl, Flush, Störungen der Okulomotorik, TdP, aber insgesamt gute Verträglichkeit; die Gabe von 5-HT3R-Antagonisten hat die Verträglichkeit der Zytostatikatherapie deutlich verbessert
Wichtige UAW
6
MAO-Inhibitoren, NMSRI, SSRI und SSNRI werden in 7Kap. 28 diskutiert; mGPCR-Antagonisten in 7Kap. 29. Es gibt eine Vielzahl von 5-HT3RAntagonisten und 5-HT1B/DR-Agonisten mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 6.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im serotonergen System
110 Kapitel 6 · Pharmakologie des serotonergen Systems
6
111 6.3 · Pharmakologische Modulation der serotonergen Synapse
Tryptophan
Na+
MDMA
Depolarisation
Ca2+
Tachyphylaxie Serotoninsyndrom
Depression
5-HT NSMRI (Amitriptylin) SSRI (Citalopram)
Ca2+
5-HT
Sumatriptan
5-HT1B/DR
Tranylcypromin
1
K+
5-HT
5-HT negatives Feedback
G i/G o
Ca2+
5-HT
Clozapin Risperidon
5-HT
2
MAO 5-Hydroxyindolessigsäure
Ondansetron
Na+ 5-HT3R
5-HT2AR
.. Abb. 6.1 Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in die serotonerge Synapse. MDMA, Methylendioxy metamphetamin (Ecstasy). Siehe auch . Abb. 5.4, 6.2 und 28.2. 1, vesikulärer Transporter; 2, 5-HT-Transporter
schen den SSRI und den NSMRI liegt darin, dass die NSMRI auch etliche GPCR antagonisieren, woraus UAW resultieren (7 Kap. 4 und 28). Bei schwerer Depression können MAO-Inhibitoren eingesetzt werden. Prototyp ist Tranylcypromin, das MAO irreversibel hemmt. Einerseits kann die Korrektur eines 5-HT-Defizits bei Depression durch SSRI bzw. MAO-Inhibitoren therapeutische Wirkung entfalten (. Abb. 6.2a), andererseits jedoch ein 5-HT-Überschuss zum Serotoninsyndrom führen (. Abb. 6.2b). Ein großes Problem in der Therapie der Depression besteht darin, dass NE/5-HT-Verstärker häufig zunächst den Antrieb verbessern, aber die Stimmungsaufhellung erst nach einer mehrwöchigen Latenz erfolgt (7 Kap. 28). Im Zeitfenster zwischen Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung besteht ein erhöhtes Suizidrisiko.
Nimmt ein Patient in suizidaler Absicht viele SSRI- Tabletten, kommt es zu einer 5-HT-Überflutung. Fast jedes Organsystem ist betroffen. Am ZNS kommt es zu Tremor, Krampfanfällen und Halluzinationen, am Herz- Kreislauf-System zu Tachykardie und Hypertonie und am GI-Trakt zu Erbrechen und Diarrhoe. Es gibt leider keinen „Pan“-5-HTxR-Antagonisten, den man als Antidot einsetzen könnte. Daher muss das Serotoninsyndrom symptomatisch behandelt werden: Tachykardie und Hypertonie werden mit β1AR-Antagonisten behandelt, Krampfanfälle mit antiepileptisch wirkenden SCB und CCB und Erbrechen mit 5-HT3R-Antagonisten. Das Serotoninsyndrom kann auch nach MAO-Inhibitor-Überdosierung auftreten bzw. bei kombinierter Einnahme von SSRI und MAO-Inhibitoren. Eine Kombination dieser beiden Arzneistoffgruppen ist da-
112
Kapitel 6 · Pharmakologie des serotonergen Systems
Therapeutische Dosis SSRI MAOI Depression (5-HT)
5-HT ↑
HerzKreislaufSystem 5-HT 1–7 R
GI-Trakt ZNS
a
SSRI
Antidepressive Wirkung
HerzKreislaufSystem
MAOI
Depression (5-HT)
Übelkeit
Hypertonie
Suizidalität Überdosis
6
Tachykardie
5-HT
5-HT 1–7 R
Schwitzen Tachykardie
GI-Trakt
Diarrhoe Übelkeit
SSRI + MAOI
ZNS
Kontraindikation!
Krämpfe Tremor
b
Halluzinationen
.. Abb. 6.2 a, b Pathogenese und Klinik des Serotoninsyndroms. a Therapeutische Dosierung von SSRI oder MAO-Inhibitoren (MAOI). b Serotoninsyndrom
bei Überdosierung von SSRI oder MAOI bzw. bei Kombination von SSRI + MAOI in therapeutischer Dosierung. Siehe auch . Abb. 5.5
her kontraindiziert. Da die Depression eine chronische Erkrankung ist, könnte der Arzt geneigt sein, aus Sparsamkeit dem Patienten Großpackungen mit SSRI bzw. MAO- Inhibitoren (N3, Stückzahl 100) zu verschreiben. Aber gerade bei Suizidgefährdung ist es sehr wichtig, Patienten nur Kleinpackungen zu verordnen bzw. Teile von Großpackungen mitzugeben, um das Suizidrisiko gering zu halten. Die kleinteilige Verschreibung hat außerdem den Vorteil, dass der Arzt regelmäßig das Suizidrisiko überprüfen kann. Als Partydroge zur Stimmungsverbesserung spielt vor allem Methylendioxymeth amphetamin (MDMA, Ecstasy) eine Rolle. Es gelangt über den vesikulären Transporter in Vesikel, die 5-HT speichern und führt zu massiver 5-HT-Freisetzung. Dieser Mecha-
nismus einschließlich der Tachyphylaxie ist analog dem Wirkmechanismus der indirekten Sympathomimetika (7 Kap. 5). In der Zeit zwischen 5-HT-Speicherentleerung und dem Wiederauffüllen geht es den MDMA- Konsumenten entsprechend schlecht. Die erneute Einnahme von MDMA hat aber keine weitere Wirkung. Es besteht Suchtgefahr.
6.4
Pharmakotherapie der Migräne
Migräne ist durch hemikraniale, pulsierende Kopfschmerzen charakterisiert, die mit Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen einhergehen. Oft spüren die Patienten das Anrollen eines Migräneanfalls (Aura).
6
113 6.4 · Pharmakotherapie der Migräne
Die Pathophysiologie der Migräne wird bislang nur unvollständig verstanden, aber in den letzten Jahren haben sich 5-HT und CGRP als zentrale Neurotransmitter für die Auslösung der Migräne herauskristallisiert (. Abb. 6.3). Durch pathologische Aktivität wird an den Synapsen zwischen Neuronen und glatten Muskelzellen der Meningealarterien vermehrt CGRP freigesetzt. CGRP bindet an CGRPR auf den glatten Muskelzellen. CGRPR ist Gs-gekoppelt. Dadurch kommt es zu AC-Aktivierung mit nachfolgendem cAMP-Anstieg und Vasodilatation. In der Folge werden vermehrt Schmerzrezeptoren im Bereich der erweiterten Meningealgefäße stimuliert. CGRP-freisetzende Neurone bilden Synapsen mit 5-HT-freisetzenden Neuronen und tragen präsynaptische 5-HT1B/DR, die als Heterorezeptoren über eine verminderte
Aktivierung von Calciumkanälen und verstärkte Aktivierung von Kaliumkanälen die CGRP-Freisetzung hemmen und damit die Vasodilatation und den Schmerz aufheben. Dadurch, dass die 5-HT1B/DR-Expression in den Meningealgefäßen hoch ist, haben 5-HT1B/DR-Agonisten (Prototyp Sumatriptan) auch eine selektive Wirkung, d. h. die Vasokonstriktion in anderen Gefäßbereichen ist gering. Am häufigsten ist Engegefühl im Brustbereich, das jedoch nicht mit Angina pectoris verwechselt werden darf (7 Kap. 16). Die Sicherheit von 5-HT1B/DR-Agonisten wird auch dadurch reflektiert, dass bestimmte Zubereitungen nicht mehr verschreibungspflichtig sind. Migräneattacken können nicht nur mit 5-HT1B/DR-Agonisten kupiert werden, sondern auch mit COX-Inhibitoren wie Ibuprofen (7 Kap. 10). Da bei Migräne häufig
Na+
MCP Übelkeit, Erbrechen
5-HT
Depolarisation
2+
Ca
NSMRI SCB βxAR-Antagonisten
Ca2+
(Migräne-Prophylaxe)
COX-Inhibitoren Metamizol Paracetamol (akute Migräne)
K+ CGRP Gi/Go
Sumatriptan
negatives Feedback
Ca2+
(akute Migräne)
5-HT1B/DR
CGRP
CGRPR-Antikörper
(Migräne-Prophylaxe)
CGRPAntikörper
(Migräne-Prophylaxe)
CGRPR Gs
Hemikranialer Kopfschmerz
AC↑
cAMP↑
Vasodilatation
.. Abb. 6.3 Pharmakologische Modulation glatter Muskelzellen in den Meningealarterien durch 5-HT und CGRP: Pharmakotherapie der Migräne. CGRP-Antikörper und CGRPR-Antikörper (CGRP-Inhibitoren) sind (noch) nicht in die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste aufgenommen worden, weil die klinische Wirkung als nicht ausreichend überzeugend angesehen wurde. Daher wird hier nur das allgemeine Wirkprinzip vorgestellt
114
Kapitel 6 · Pharmakologie des serotonergen Systems
auch eine verringerte GI-Motilität mit Übelkeit und Erbrechen vorliegt, empfiehlt es sich, zunächst den D2R-Antagonisten MCP (7 Kap. 8) einzunehmen und 20–30 Minuten danach Ibuprofen. Die Wirksamkeit von 5-HT1B/DR-Agonisten im Vergleich zu Ibuprofen + MCP ist individuell unterschiedlich und muss bei jedem Patienten herausgefunden werden. Auch Paracetamol und Metamizol (7 Kap. 10) können bei Migräneattacken wirken. Wichtig in der Migränetherapie ist es auch, Auslöser von Attacken zu erkennen und so weit wie möglich zu vermeiden. Zu diesen Triggern gehören bestimmte Weinsorten, Schokolade und Nikotin. Auch Stresssituationen, Menstruation und Föhnwetterlagen können Migräne auslösen. Bei sehr häufigen Migräneattacken kann eine Migräneprophylaxe erwogen werden. Zum Einsatz kommen NSMRI (7 Kap. 28), bestimmte SCB wie Valproinsäure und Glutamatfreisetzungs-Inhibitoren wie Topiramat (7 Kap. 25) und βxAR-Antagonisten (7 Kap. 5). Man vermutet, dass pathologische Neuronenentladungen im Bereich des N. trigeminus unterdrückt werden. Antikörper gegen CGPR oder CGRPR (CGRP-Inhibitoren) stellen neue Konzepte in der Migräneprophylaxe dar.
6
>>Die Migräneprophylaxe ist nur unzulänglich wirksam und reflektiert unser derzeit noch mangelhaftes Wissen über die Migränepathophysiologie.
setzen insbesondere nach Zytostatikagabe und bei Bestrahlung 5-HT frei. Die stimulatorischen Wirkungen von 5-HT auf die Area postrema und den N. vagus werden im Brechzentrum integriert, wo der Brechreflex ausgelöst wird. Auch Impulse aus dem Gleichgewichtsorgan werden über den Nucleus vestibularis im Brechzentrum verarbeitet. Der Nucleus vestibularis exprimiert den H1R sowie den MxR. Außer dem 5-HT3R exprimieren die CTZ und der N. vagus auch Rezeptoren für das Neurokinin Substanz P (NK1R), das ebenfalls Brechreiz induziert. Die CTZ exprimiert ferner den D2R. Prinzipiell wirkt eine Antagonisierung aller genannten Rezeptoren antiemetisch, wobei es klinisch relevante Unterschiede gibt, bei welcher Form des Erbrechens welcher Antagonist besonders wirksam ist. Ein frühes Zytostatika-induziertes Erbrechen wird sehr gut durch 5-HT3R-Antagonisten (Prototyp Ondansetron) unterdrückt, verzögertes Zytostatika-induziertes Erbrechen durch NK1R-Antagonisten. Prototyp dieser Arzneistoffgruppe ist Aprepitant. mGPCR- Antagonisten (Prototyp Haloperidol) (7 Kap. 29) wirken über Angriff am D2R des Brechzentrums antiemetisch; CB1R- Agonisten (Prototyp Dronabinol) über einen Angriff im Brechzentrum. Durch Kombination verschiedener Arzneistoffgruppen lässt sich das durch Zytostatika induzierte Erbrechen bei den allermeisten Patienten gut kontrollieren (7 Kap. 31). Dies stellt einen wesentlichen Fortschritt in der Tumortherapie dar, da früher das Erbrechen, auch mit den damit verbundenen Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten, ein limitierender Faktor in der Therapie war. Heutzutage können dank der modernen, antiemetisch wirkenden Arzneistofftherapie viele Patienten mit Tumorerkrankungen ambulant behandelt werden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie eine symptomatische Therapie zu einem erheblichen Zugewinn an Lebensqualität führen kann. Erbrechen, das durch virale GI-Infekte ausgelöst wird, lässt sich gut durch
6.5
Pharmakotherapie des Erbrechens
Der Brechreflex dient der Elimination toxischer Substanzen. Wegen seiner vitalen Bedeutung ist er durch verschiedene Mechanismen abgesichert. Das serotonerge System spielt dabei eine zentrale Rolle (. Abb. 6.4). Der N. vagus und die CTZ in der Area postrema (außerhalb der BHS) exprimieren den 5-HT3R, der durch aus ECL-Zellen freigesetztes 5-HT aktiviert wird. ECL-Zellen
6
115 6.5 · Pharmakotherapie des Erbrechens
Karzinoidsyndrom Zytostatika, γ-Stahlen
Aprepitant
MCP, Domperidon
5-HT Aprepitant
Diphenhydramin
Substanz P NK 1R
Innenohr
D 2R
Nervus vestibularis
Nucleus vestibularis
NK 1R
5-HT3R
Area postrema ChemorezeptorenTriggerzone
5-HT3R Ondansetron
Nervus vagus
BHS
Scopolamin H 1R
GI-Trakt
ECL-Zelle
Nucleus tractus solitarii
M xR Brechzentrum Medulla oblongata D 2R
Kinetose
Haloperidol
CB 1R Erbrechen
Dronabinol
.. Abb. 6.4 Pathophysiologie und Pharmakotherapie des Erbrechens. Bitte beachten, dass alle antiemetisch wirksamen Arzneistoffgruppen mit Ausnahme der CB1R-Agonisten Rezeptor-Antagonisten sind
an der Area postrema angreifende D2R- 1. Der Begriff umfasst Arzneistoffe mit AnAntagonisten wie MCP oder Domperidon griff an ganz unterschiedlichen Rezepkontrollieren (7 Kap. 8). Bei Schwangertoren (sowohl GPCR als auch Ligand- gesteuerte Ionenkanäle). schaftserbrechen sind H1R-Antagonisten der 1. Generation wirksam und sicher 2. Bei den Arzneistoffen kann es sich um Rezeptor-Agonisten oder Rezeptor-Antago(7 Kap. 7). Bei Kinetose wird der MxR- nisten handeln. Antagonist Scopolamin mit Erfolg eingesetzt (7 Kap. 5), H1R-Antagonisten der 3. Arzneistoffe mit antiemetischer Wirkung haben auch noch andere wichtige phar1. Generation stellen eine Alternative dar. makologische Wirkungen, die je nach SiLetztere Arzneistoffgruppe wirkt auch setuation erwünscht oder unerwünscht sein dierend, was im Rahmen einer Kinetose können. durchaus erwünscht sein kann. 4. Die Arzneistoffe haben sehr unterschied>>Der traditionelle Begriff „Antiemetika“ liche Indikationen bei verschiedenen Forfür Arzneistoffe mit antiemetischer Wirmen des Erbrechens. Diese Heterogenität kung sollte aus vier Gründen vermieden wird in dem Überbegriff „Antiemetika“ werden. nicht abgebildet.
116
Kapitel 6 · Pharmakologie des serotonergen Systems
Fallbeispiel
Ein 30-jähriger Mann, der in Oberbayern lebt, leidet unter Migräneattacken, die durch starke Föhnwetterlagen ausgelöst werden. Durchschnittlich hat der Patient 5–8 Migräneattacken pro Jahr.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche Arzneistoffe sind gut geeignet, um die Migräneattacken rasch zu kupieren? 2. Welche Arzneistoffe kommen für die Therapie nicht infrage? Lösungen 7 Kap. 37
6
117
Pharmakologie des histaminergen Systems Inhaltsverzeichnis 7.1
( Patho-)Physiologische Grundlagen und Histaminrezeptoren – 118
7.2
H1R-Antagonisten – 120
7.3
harmakologische Modulation der Protonensekretion P im Magen – 122
7.4
Pharmakologische Modulation der Mastzelle – 123
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_7
7
118
7
Kapitel 7 · Pharmakologie des histaminergen Systems
HA ist ein Neurotransmitter und lokaler Mediator. HA vermittelt seine Wirkungen über H1-4R. HA wird aus Mastzellen freigesetzt und löst über den H1R Ödeme, Urtikaria, Erytheme und Juckreiz aus. Die Mastzelldegranulation wird effektiv über den β2AR gehemmt. An Parietalzellen aktiviert der H2R die Protonensekretion. Im ZNS wird über den H1R und den H3R der Wachheitszustand reguliert. Der H4R vermittelt Juckreiz und die Aktivierung eosinophiler Granulozyten. ZNS-gängige H1R-Antagonisten der 1. Generation werden als Hypnotika, in der Prämedikation, bei schweren Typ-I-Allergien und starkem Juckreiz, Kinetosen sowie Schwangerschaftserbrechen eingesetzt. Wichtigste UAW ist die Sedation. H1R-Antagonisten der 2. Generation sind weniger ZNS-gängig und werden gegen Urtikaria, Konjunktivitis und Rhinitis bei Typ-I-Allergien eingesetzt. H2R-Antagonisten finden in der Therapie von GERD sowie PUD Anwendung, sind jedoch weitgehend von PPI abgelöst worden.
Merksätze 55 Verdorbener Fisch, Wein und Käse können eine HA-Vergiftung auslösen. Die Therapie erfolgt mit H1R- und H2R-Antagonisten. 55 An der Parietalzelle vermittelt der H2R eine Protonensekretion. PGE2 besitzt protektive Wirkungen am Magen, während COX- Inhibitoren und GCR-Agonisten ulzerogen wirken. 55 Mastzellen setzen nach immunologischer Stimulation (Typ-I-Allergie) und nicht- immunologischer Stimulation (CAD) HA und andere Mediatoren frei. 55 Über β2AR-Aktivierung wird die Mediatorfreisetzung aus Mastzellen gehemmt. Dies wird beim anaphylaktischen Schock (EPI) und Asthma (β2AR-Agonisten) genutzt. 55 H1R-Antagonisten der 1. Generation werden als Hypnotika, in der Prämedikation, bei schweren Typ-I-Allergien und
starkem Juckreiz, Kinetosen sowie Schwangerschaftserbrechen eingesetzt. H1R-Antagonisten der 1. Generation wirken sedierend und schränken insbesondere in Kombination mit Alkohol die Verkehrstüchtigkeit ein. Bei Intoxikation induzieren H1R- Antagonisten der 1. Generation ein antimuskarinerges Syndrom. H1R-Antagonisten der 2. Generation wirken weniger sedierend als H1R-Antagonisten der 1. Generation und werden bei Urtikaria, Rhinitis und Konjunktivitis im Rahmen von Typ-I-Allergien eingesetzt. H1R-Antagonisten sind bei Asthma wirkungslos. PPI hemmen die Protonensekretion effektiver als H2R-Antagonisten.
55
55
55
55 55
7.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen und Histaminrezeptoren
HA ist ein biogenes Amin, das die Funktion eines Neurotransmitters und lokalen Mediators besitzt. HA entsteht durch Histidindecarboxylierung und wird durch Oxidasen und die N-Methyltransferase inaktiviert. Hohe HA-Konzentrationen findet man in Mastzellen, aus denen HA unter bestimmten Bedingungen freigesetzt wird und pathophysiologisch wichtige Wirkungen auslöst (7 Abschn. 7.4). Auch basophile Granulozyten setzen HA frei. Ferner wird HA in den ECL-Zellen des GI-Traktes gespeichert. Bei maligner Entartung der ECL- Zellen (Karzinoidsyndrom, 7 Kap. 6) kommt es u. a. zu den Symptomen einer systemischen HA-Vergiftung. HA hat wichtige homöostatische Funktionen. . Tab. 7.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe zusammen, die im histaminergen System eingreifen. HA vermittelt seine Wirkungen über GPCR, die in vier Subtypen (H1-4R) unterteilt werden. Der H1R koppelt an Gq-Proteine und aktiviert die
H1R-Antagonist der 2. Generation
H1R-Antagonist der 1. Generation
H2R-Antagonist
Cetirizin
Diphenhydramin
Ranitidin Hemmung der H2R-vermittelten Protonensekretion in der Parietalzelle
Sedation, Juckreizlinderung, antiallergische Wirkungen
Juckreizlinderung, antiallergische Wirkungen
Wichtige Wirkungen
PUD, GERD (Selbstmedikation)
Typ-I-Allergien, Juckreiz bei Neurodermitis, Sonnenbrand und Insektenstichen, Prämedikation vor Narkosen, Schlafstörungen, Kinetose, Schwangerschaftserbrechen
Typ-I-Allergien (Urtikaria, Konjunktivitis, Rhinitis, nicht Asthma)
Wichtige Indikationen
Gefahr der zu späten Diagnostizierung von GERD und PUD durch Selbsttherapie (keine Rezeptpflicht)
Sedation, insbesondere in Kombination mit Alkohol, antimuskarinerges Syndrom bei Überdosierung (keine Rezeptpflicht), Appetitsteigerung bei Dauertherapie
Weniger Sedation als H1R-Antagonisten der 1. Generation
Wichtige UAW
7 Kap. 13
7 Kap. 2, 4, 6
7 Kap. 2
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Promethazin (p-mGPCR-Antagonist) wird in 7 Kap. 29 behandelt. Man könnte Promethazin auch als H1R-Antagonisten der 1. Generation klassifizieren
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 7.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im histaminergen System
7.1 · (Patho-)Physiologische Grundlagen und Histaminrezeptoren 119
7
120
Kapitel 7 · Pharmakologie des histaminergen Systems
PLC. Im ZNS vermittelt der H1R gesteigerte Aufmerksamkeit und hemmt den Appetit. In Endothelzellen stimuliert der H1R die NO-Produktion (7 Kap. 9). Als Folge der dadurch entstehenden Vasodilatation kommt es zu Ödemen, Urtikaria und Erythemen. Außerdem vermittelt der H1R Juckreiz. Dabei spielen periphere und zentralnervöse Mechanismen eine Rolle. Der H2R koppelt an Gs-Proteine und aktiviert die AC. Er stimuliert die Protonensekretion in Parietalzellen (7 Abschn. 7.3). Der H3R ist präsynaptisch im ZNS lokalisiert. Er koppelt wie der α2AR und MOR (7 Kap. 5 und 10) an Gi/Go-Proteine. Dadurch kommt es zur Hemmung von Calciumkanälen und Aktivierung von Kaliumkanälen. Als Folge dieses Mechanismus hemmt der H3R die Freisetzung verschiedener Neurotransmitter, u. a. von HA, und moduliert Essverhalten und Aufmerksamkeit. H3R-Antagonisten werden in der Therapie der Narkolepsie und Schlafapnoe eingesetzt. Der H4R ist in Zellen des Immunsystems, insbesondere eosinophilen Granulozyten, exprimiert und koppelt an Gi-Proteine. Dadurch wird die PLC (Gβγ-vermittelt) aktiviert und die AC gehemmt. Der H4R hat proinflammatorische Wirkungen beim Asthma und vermittelt Juckreiz. Mögliche Indikationen für H4R-Antagonisten sind Asthma und Neurodermitis. In Nahrungsmitteln kann Histidin durch Decarboxylasen zu HA umgewandelt werden. Thunfisch, Makrelen und Sardinen enthalten viel Histidin.
7
>>Bei Unterbrechung der Kühlkette kann es zur Aktivierung von Decarboxylasen im Fisch und zu massiver HA-Anreicherung kommen! Wird solch verdorbener Fisch konsumiert, treten die Symptome einer HA-Intoxikation auf.
Diese äußert sich in Kopfschmerzen, BD-Abfall und reflektorischer Tachykardie, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Meist
ist das Krankheitsbild einer Fischvergiftung selbstlimitierend und wird durch H1R- und H2R-Antagonisten sowie Flüssigkeitssubstitution behandelt. >>Metallischer Geschmack ist Warnzeichen einer Fischvergiftung.
HA kann auch durch Fermentierung aus Histidin entstehen. Beim Genuss von stark fermentiertem Käse und Wein können ebenfalls Symptome einer HA-Intoxikation (meist milderer Art) auftreten.
7.2
H1R-Antagonisten
Die derzeit am häufigsten angewendete Arzneistoffgruppe im histaminergen System sind H1R-Antagonisten. Sie werden in H1R- Antagonisten der 1. Generation (prototypische Vertreter Diphenhydramin und Clemastin) und H1R-Antagonisten der 2. Generation (prototypischer Vertreter Cetirizin) unterteilt. >> H1R-Antagonisten der 1. Generation sind lipophiler als die Vertreter der 2. Generation und durchdringen daher die BHS besser (7 Kap. 2).
Deshalb zeigen H1R-Antagonisten der 1. Generation stärkere ZNS-Wirkungen. Aber auch H1R-Antagonisten der 2. Generation können insbesondere in höherer Dosierung und in Kombination mit Alkohol ZNS- Funktionen beeinträchtigen. H1R-Antagonisten wirken juckreizlindernd, antiödematös und antierythematös. H1R- Antagonisten der 1. Generation wirken darüber hinaus auch sedierend. Aus diesen Wirkungen lassen sich Indikationen ableiten. Vertreter der 1. Generation werden eingesetzt, wenn eine Sedation erwünscht ist, also bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen sowie in der Prämedikation vor Narkosen. Bei großflächigem Juckreiz, z. B. bei Neurodermitis und nach Sonnenbrand, können H1R-Antagonisten
7
121 7.2 · H1R-Antagonisten
der 1. Generation durch einen peripheren und zentralen Angriff gut wirken, allerdings immer um den Preis einer Einschränkung der intellektuellen Leistungsfähigkeit. Bei der Prämedikation (z. B. mit Promethazin, 7 Kap. 29) wird auch der MxR-Antagonismus ausgenutzt, der zu einer verminderten Sekretion im Mund sowie den Atemwegen führt (7 Kap. 5). Auch bei Kinetose und Schwangerschaftserbrechen sind H1R- Antagonisten der 1. Generation wirksam. Sie werden häufig beim anaphylaktischen Schock eingesetzt (7 Kap. 3), allerdings hemmen diese Arzneistoffe nicht die Wirkung von anderen Mediatoren als HA.
>>H1R-Antagonisten wirken beim anaphylaktischen Schock nur unterstützend! Ihre Wirksamkeit wird allgemein stark überschätzt. Die oft empfohlene hohe Dosierung von H1R-Antagonisten bei prominenter Symptomatik führt nur zum antimuskarinergen Syndrom!
Gegen den Irrglauben „viel hilft viel“ hilft ein Verständnis des Konzeptes sättigbarer Konzentrations-Wirkungs-B eziehungen (7 Kap. 1) sowie das Studium anderer Arzneistoffe, die mit mehreren Zielstrukturen interagieren (z. B. NSMRI, 7 Kap. 28 sowie mGPCR-Antagonisten, 7 Kap. 29). Deshalb ist EPI beim anaphylaktischen Schock Arzneistoff der Wahl; nicht H1R- Antagonisten der 1. Generation. H1R-Antagonisten der 1. Generation können lokal in Form von Gelen auf die Haut aufgetragen werden, um Erytheme, Urtikaria und Juckreiz nach Insektenstichen zu lindern. Hauptanwendungsgebiet von H1R- Antagonisten der 2. Generation sind Typ-I- Allergien. Diese Arzneistoffe können entweder lokal oder systemisch gegeben werden. Insbesondere bei Urtikaria und großflächigem Juckreiz an der Haut empfiehlt sich die systemische Gabe. Bei Rhinitis und Konjunktivitis können sie lokal appliziert werden. Der Wirkungseintritt bei lokaler Gabe
ist rasch. H1R-Antagonisten haben keine Wirkung beim Asthma. Wichtigste UAW ist die Sedation, es sei denn, diese ist erwünscht. Sie ist besonders ausgeprägt bei H1R-Antagonisten der 1. Generation und kann die Verkehrstauglichkeit deutlich einschränken, insbesondere bei gleichzeitigem Alkoholkonsum. Das Problem hierbei ist, dass etliche H1R- Antagonisten der 1. Generation nicht verschreibungspflichtig sind. Damit kommt dem Apotheker besondere Verantwortung zu, die Abgabe dieser Arzneistoffe zu kontrollieren. Durch die Nicht-Verschreibungspflicht vieler H1R-Antagonisten der 1. Generation kommt es auch immer wieder zu Intoxikationen. Diese äußern sich in einer starken Sedation oder paradoxen Erregung und dem antimuskarinergem Syndrom, das Folge von MxR-Antagonismus ist (7 Kap. 4 und 5). H1R-Antagonisten der 2. Generation sind bei sachgerechter Anwendung gut verträglich, weshalb sie auch zu den weltweit am häufigsten angewendeten Arzneistoffen gehören. Zu beachten ist, dass auch sie bei systemischer Gabe sedierend wirken können. In dieser Situation kommen Dosiserniedrigung oder lokale anstelle systemischer Applikation infrage.
>> Der tradierte, obsolete und unpräzise Begriff „Antihistamikum“ stammt aus einer Zeit, als man den Wirkmechanismus der H1R-Antagonisten noch nicht kannte. Es gibt viele „funktionell antihistaminische“ Arzneistoffgruppen, darunter IgE-Inhibitoren, GCR-Agonisten und β2AR-Agonisten.
Der Begriff H1R-Antagonist sollte nicht nur verwendet werden, weil er präzise ist, sondern weil er auch wichtige praktische Information enthält: GPCR-Antagonisten wirken sehr rasch und sind für die Dauertherapie geeignet (7 Kap. 1). Diese Information ist in dem unpräzisen Begriff „Antihistaminikum“ nicht enthalten.
122
7.3
Kapitel 7 · Pharmakologie des histaminergen Systems
Pharmakologische Modulation der Protonensekretion im Magen
Prinzipiell könnte die Protonensekretion auch partiell über MxR-Antagonisten und CCK2R- Antagonisten blockiert werden, aber das spielt klinisch keine Rolle.
. Abb. 7.1 zeigt die Regulation der Protonensekretion im Magen. In Parietalzellen vermittelt der H2R über den Gs-AC-Weg die PP-Aktivierung. H2R-Antagonisten stellten die erste effektive Pharmakotherapiemöglichkeit für PUD und GERD dar und führten zum Ersatz von Magenteilresektionen oder Vagotomien. Allerdings lässt sich mit H2R-Antagonisten die Protonensekretion nicht vollständig hemmen, da es noch weitere Signalwege gibt: MxR vermitteln über den Gq-PLC-Weg ebenso eine Protonensekretion wie der CCK2R, der durch Gastrin und Cholecystokinin aktiviert wird.
>>Die effektivste Möglichkeit zur Hemmung der Protonensekretion besteht darin, die PP mit irreversibel wirkenden Arzneistoffen, den PPI (7 Kap. 13), zu blockieren.
7
Karzinoidsyndrom
Basierend auf der Tatsache, dass H2R- Antagonisten die Protonensekretion nur partiell hemmen und PPI viel effektiver sind, hat die Bedeutung der H2R-Antagonisten stark abgenommen. Etliche Zubereitungen sind inzwischen nicht mehr verschreibungspflichtig und werden vor allem in der Selbstmedikation von GERD und PUD angewendet.
Gastrinom
N. vagus
ECL-Zelle
CCK2R
Gq
Gs
Gq
basal
PLC ↑
K+
cAMP ↑
H +/K +ATPase
COX-1 PGE2
[Ca2+]i↑ PKC ↑
PKA ↑
PLA2 Arachidon säure
COXInhibitoren
AC ↑ Parietalzelle
GCRAgonisten
Gastrin, CCK
MxR H2R
Phospholipide
G-Zelle
Acetylcholin
Histamin
Ranitidin
EPR
K+ Cl PPI (Pantoprazol)
H+
Gi
luminal
HCl PUD, GERD
HCO3-↑ Mucus ↑
.. Abb. 7.1 Pharmakologische Modulation der Protonensekretion im Magen. Siehe auch . Abb. 13.1 und 13.2
7
123 7.4 · Pharmakologische Modulation der Mastzelle
COX-1 durch COX-Inhibitoren gehemmt, so entfällt die protektive Wirkung von PGE2 am Magen und es kann zu PUD kommen. Auch PLA2-Hemmung durch GCR-Agonisten, die zu verminderter AA-Freisetzung führt, kann ulzerogen wirken. Zur Verhinderung einer PUD, die insbesondere bei Dauertherapie mit COX-Inhibitoren und Der am häufigsten angewendete H2R- GCR-Agonisten auftritt, können H2R-AntAntagonist ist Ranitidin. Es hemmt in einer agonisten oder PPI eingesetzt werden. Einzeldosis von 150 mg die Protonensekretion zu ca. 70 %. Famotidin (nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste) hat die gleiche maximale Wirkstärke, ist aber potenter als Raniti- 7.4 Pharmakologische din (Einzeldosis von 20 mg, 7 Kap. 1). Modulation der Mastzelle Von großer homöostatischer Bedeutung im Magen ist PGE2. Es aktiviert über . Abb. 7.2 zeigt die pharmakologische Mospezifische GPCR Gi-Proteine und einen dulation der Mastzelle. Mastzellen spielen in Signalweg, der zur Stimulation der Mukus- der Pathophysiologie der Typ-I-Allergie eine und Bicarbonatsekretion führt und somit entscheidende Rolle (7 Kap. 3). Sie setzen der Entstehung von PUD entgegenwirkt. nach Stimulation HA und andere EntzünPGE2 wirkt also magenprotektiv. Wird nun dungsmediatoren, insbesondere LTD , frei. 4 >>Darin liegt eine gewisse Gefahr, da die exakte endoskopische Diagnose der zugrunde liegenden pathologischen Prozesse verzögert werden kann. Deshalb spielt die Beratungstätigkeit des Apothekers in der Selbstmedikation mit H2R-Antagonisten eine wichtige Rolle.
CAD: nAChR-Agonisten/Antagonisten, Röntgenkontrastmittel, Morphin, Thiopental, Wespengifte
Antigene
IgE-FcRezeptor
γ Gi β
IgE
PLC-β ↑ Epinephrin
IgE-Inhibitoren
PLC-γ ↑
(Asthma)
Schlangen- und Insektengifte
[Ca2+]i↑
(Anaphylaktischer Schock)
AC ↑
Gs β2AR-Agonisten
GCR-Agonisten (Typ-1-Allergie)
HA
β2AR
Phospholipide
PLA2
(Asthma)
LTD4 LOX
Ca2+
Arachidonsäure
Ödeme, Erytheme Juckreiz, Urticaria
LTRAntagonisten (Asthma)
H1R-Antagonisten
(Rhinitis, Konjunktivitis)
.. Abb. 7.2 Pharmakologische Modulation der Mastzelle. Siehe auch . Abb. 3.1
CysLT1R
Bronchokonstriktion Sekretion
124
7
Kapitel 7 · Pharmakologie des histaminergen Systems
Mastzellen exprimieren Rezeptoren für den Fc-Anteil von IgE. Der IgE-Fc-Rezeptor bindet IgE-Antigen-Komplexe, wobei Gräserpollen oder Nahrungsbestandteile als Allergene wirken können, und aktiviert die PLC-γ mit nachfolgendem Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration. Calcium vermittelt die Fusion von HA- enthaltenden Granula mit der Zellmembran. Freigesetztes HA induziert die typischen Symptome von Typ-I-Allergien (Ödem, Erythem, Urtikaria, Juckreiz). Calcium vermittelt weiterhin die Aktivierung der PLA2, die aus Phospholipiden AA freisetzt. AA wird über LOX zu LTD4 umgesetzt, das eine Bronchokonstriktion auslöst. Viele Schlangen- und Insektengifte enthalten PLA2. HA kann auch nicht-immunologisch aus Mastzellen freigesetzt werden. CAD, also Arzneistoffe, die sowohl hydrophobe als auch positiv geladene Partialstrukturen besitzen, können ohne GPCR-Involvierung direkt Gi-Proteine aktivieren und über GβγKomplexe die PLC-β mit nachfolgendem Calciumanstieg und HA-Freisetzung stimulieren. Zu den CAD gehören der MOR-Agonist Morphin, der nAChR-Agonist Suxamethonium sowie der nAChR-Antagonist Rocuronium (7 Kap. 5), Röntgenkontrastmittel (7 Kap. 12), die bei der Injektionsnarkose verwendeten Arzneistoffe Propofol und Thiopental (7 Kap. 27) und der Lösungsvermittler Cremophor-EL (7 Kap. 31). Diese Arzneistoffe können bei i.v.-Gabe die Symptome einer Typ-I-Allergie auslösen (7 Kap. 3). Wespengifte wie Mastoparan aktivieren ebenfalls Gi-Proteine direkt. Diese proinflammatorischen Signalwege können über den β2AR gehemmt werden. Der β2AR antagonisiert funktionell über den Gs-AC-Weg die stimulatorischen Wirkungen von Calcium. Diese antiinflammatorische Wirkung des β2AR wird klinisch genutzt: Beim anaphylaktischen Schock wird der β2AR mit EPI aktiviert, da in dieser Situation auch die über den α1AR vermittelte Vasokonstriktion bedeutsam ist (7 Kap. 3). Beim Asthma werden β2AR- Agonisten (SABA und LABA) eingesetzt
(7 Kap. 14). H1R-Antagonisten mitigieren Urtikaria, Ödeme, Erytheme und Juckreiz, wobei die juckreizlindernde Wirkung wegen der zusätzlichen Rolle des H4R nur mäßig ist. Die Wirkungen von LTD4 können durch LTR-Antagonisten gehemmt werden. GCR- Agonisten hemmen die PLA2.
>>Im Unterschied zu EPI, SABA und H1R-Antagonisten wirken LTR-Antagonisten und GCR-Agonisten nicht akut, sondern nur prophylaktisch bei klinischen Symptomen, die durch eine Mastzell- Aktivierung hervorgerufen werden.
Eine weitere, allerdings sehr teure und damit nur bei ausgewählten Patienten anwendbare Strategie, Asthma-Symptome zu lindern, besteht darin, IgE-Inhibitoren (Omalizumab) zu applizieren. Die Wirkung von Omalizumab ist prophylaktisch. >>Wegen geringer Wirksamkeit wurden Inhibitoren des Mastzelldegranulation (Prototyp Cromoglicinsäure) nicht in die N KLM/ IMPP-Arzneistoffliste aufgenommen. Fallbeispiel
Eine 23-jährige Medizinstudentin leidet unter einer Typ-I-Allergie gegen verschiedene Gräserpollen. Die Allergie manifestiert sich in einer stark juckenden Konjunktivitis und Rhinitis. Die Studentin kommt in Ihre Hausarztpraxis und erbittet eine rasch wirksame Arzneitherapie, die nicht ihr Lernen für die Pharmakologieklausur erschweren sollte.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche Arzneistoffe sind gut geeignet, um die Symptome der Studentin rasch zu lindern? 2. Welche Arzneistoffe sollten in jedem Falle vermieden werden? Lösungen 7 Kap. 37
125
Pharmakologie des dopaminergen Systems Inhaltsverzeichnis 8.1
( Patho-)Physiologische Grundlagen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in das dopaminerge System – 126
8.2
athophysiologie und Pharmakotherapie des P M. Parkinson – 130
8.3
athophysiologie und Pharmakotherapie des P Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms – 133
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_8
8
126
8
Kapitel 8 · Pharmakologie des dopaminergen Systems
DA ist ein Neurotransmitter, der eine Vielzahl von Körperfunktionen in der Peripherie und im ZNS reguliert. DA vermittelt seine Wirkungen über D1-5R und wird als Arzneistoff in der Intensivmedizin zur Steigerung der Nierendurchblutung eingesetzt. Bei M. Parkinson liegt ein Funktionsverlust dopaminerger nigrostriataler Neurone mit einem Überwiegen cholinerger Neurone vor. Dies führt zu Rigor, Tremor und Akinese. Durch Stimulation des dopaminergen Systems mit dem Prodrug Levodopa, das zu DA umgewandelt wird, sowie dem peripher wirksamen Dopadecarboxylase-Inhibitor Benserazid, DxR-Agonisten, Inhibitoren der MAO-B sowie COMT und MxR-Antagonisten können die Symptome des M. Parkinson gelindert werden. Halluzinationen, Verwirrung, Spielsucht, Sexsucht und Kaufrausch sind wichtige UAW dopaminerger Arzneistoffe. Peripher wirkende D2R-Antagonisten werden als antiemetisch wirkende Arzneistoffe eingesetzt. Haloperidol ist ein mGPCR-Antagonist mit Präferenz für den D2R (D2R-mGPCR-Antagonist). Bei ADHS liegt eine Unterfunktion des dopaminergen frontostriatalen Systems vor, die durch das indirekte Dopamimetikum Methylphenidat positiv beeinflusst werden kann. Der Einsatz von Methylphenidat beim ADHS darf nur nach Diagnosestellung durch einen Psychiater erfolgen; es besteht Missbrauchsgefahr von Methylphenidat zur Leistungssteigerung („Gehirndoping“).
Merksätze 55 Bei M. Parkinson liegt eine Unterfunktion dopaminerger nigrostriataler Neurone vor. 55 Die Stärkung des dopaminergen Systems bei M. Parkinson durch Levodopa und peripher wirkende Dopadecarboxylase- Inhibitoren, DxR-Agonisten, MAO-Bund COMT-Inhibitoren sowie Amantadin (indirektes Dopamimetikum) lindert vor allem das Negativsymptom Akinese. 55 Dopaminerg wirkende Arzneistoffe können Halluzinationen, Sexsucht, Spielsucht und Kaufrausch auslösen.
55 MxR-Antagonisten wie Biperiden beeinflussen vor allem die Positivsymptome Rigor und Tremor. 55 In der Area postrema angreifende D2R- Antagonisten wie MCP wirken antiemetisch. 55 Haloperidol ist ein D2R-mGPCR-Antagonist mit hohem EPMS-Risiko. 55 Beim ADHS liegt eine Unterfunktion des dopaminergen frontostriatalen Systems vor. 55 Methylphenidat ist ein beim ADHS wirksames indirektes Dopamimetikum. Es hemmt die neuronale DA-Wiederaufnahme und fördert die DA-Freisetzung aus Vesikeln. 55 Methylphenidat hat erhebliche UAW und kann Tachyphylaxie und Abhängigkeit auslösen. 55 Methylphenidat besitzt Missbrauchspotential.
8.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten in das dopaminerge System
Es gibt zahlreiche pharmakologische Möglichkeiten zur Beeinflussung des dopaminergen Systems (. Abb. 8.1). . Tab. 8.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe, die im dopaminergen System angreifen, zusammen. DA ist ein Neurotransmitter, der aus den Vorstufen Tyrosin und Levodopa entsteht, das durch Dopadecarboxylase in DA umgewandelt wird. Levodopa wird als Prodrug für DA therapeutisch eingesetzt. DA gehört zu den biogenen Aminen und vermittelt seine Wirkungen über D1-5R, die alle GPCR sind. DA ist selbst unmittelbare Vorstufe für die Synthese der Katecholamine NE und EPI (7 Kap. 5). Der DA-Abbau erfolgt vor allem über MAO-B und COMT. Für die im DA- Stoffwechsel wichtigen Enzyme Dopadecarboxylase, MAO-B und COMT gibt es selektive Inhi
8
127 8.1 · (Patho-)Physiologische Grundlagen und pharmakologische …
Tyrosin Levodopa
Levodopa Metoclopramid
Benserazid
Dopadecarboxylase
Pramipexol
Dopamin D2R
D2R-mGPCR-Antagonisten (Haloperidol)
EPMS
D1R
>
> β1AR
COMT
Entacapon
MAO -A MAO -B
Rasagilin
α1AR
Intensivmedizin (akutes Nierenversagen, Schock)
Abbauprodukte
.. Abb. 8.1 Dopaminstoffwechsel, DxR und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
bitoren. DxR können mit Agonisten aktiviert werden, ihre Aktivierung kann durch Antagonisten verhindert werden. In der Peripherie vermittelt der D1R eine Vasodilatation, vor allem in der Niere. Diese Wirkung wird in der Intensivmedizin durch Dauerinfusion von DA in niedriger Dosierung zur Verbesserung der Nierendurchblutung bei akutem Nierenversagen ausgenutzt (7 Kap. 12). In höherer Dosierung aktiviert DA zusätzlich den β1AR und steigert damit die Herzfunktion. Auch diese Wirkung wird in der Intensivmedizin ausgenutzt. In noch höherer Dosierung kontrahiert DA dann über den α1AR Blutgefäße, eine Wirkung, die man bei Vasodilatation im Rahmen eines septischen Schocks nutzen kann. In der CTZ (Chemorezeptortriggerzone) wird über den D2R Erbrechen ausgelöst. D2R-Antagonisten wie MCP wirken antiemetisch. Bei Erwachsenen wirkt MCP vornehmlich an der Area postrema. Bei hoher Dosierung oder bei noch nicht voll ausgebildeter BHS kann MCP ins ZNS penetrieren und akute Dyskinesien auslösen. Deshalb
darf MCP nicht zu hoch dosiert werden bzw. die Anflutung darf nicht zu schnell sein und bei Kindern darf es gar nicht angewendet werden (7 Kap. 2). Im ZNS besitzt DA vielfältige Funktionen. DA aktiviert das Belohnungssystem und spielt bei der Auslösung von Suchtverhalten (z. B. Alkohol, Nikotin, Dronabinol, indirekte Sympathomimetika, Heroin; 7 Kap. 5 und 10) eine wichtige Rolle. Im mesolimbischen und mesokortikalen System reguliert DA Verhalten, Denken und Gefühlswelt. Bei Schizophrenie kommt es u. a. zu Überaktivität in diesem System, was sich in Affektstörungen, gestörtem Sozialverhalten, Denkstörungen sowie Halluzinationen manifestiert (7 Kap. 29). Viele antipsychotisch wirkende Arzneistoffe besitzen eine DxR-antagonistische Wirkkomponente. Haloperidol ist ein D2R-mGPCR-Antagonist (7 Kap. 29). DA spielt eine wichtige Rolle in der Regulation der Extrapyramidalmotorik (7 Abschn. 8.2), in der Regulation der Motorik und Aufmerksamkeit (7 Abschn. 8.3)
Arzneistoffgruppe
Dopadecarboxylase- Inhibitor
DxR-Agonist
COMT-Inhibitor
DA-Prodrug
Benserazid
DA
Entacapon
Levodopa Aufnahme ins ZNS über Aminosäuretransporter; durch Umwandlung zu DA DxR-Aktivierung im ZNS und der Peripherie
Initialtherapie bei M. Parkinson; praktisch immer in Kombination mit Benserazid zur Verringerung peripherer UAW und Verstärkung der ZNSWirkungen, gute Wirkung auf Minussymptome, weniger auf Plussymptome
Zusatztherapie bei M. Parkinson; nur Wirkungsverstärkung von Levodopa, keine Eigenwirkung
Nierenversagen oder Schock. Je nach kardiovaskulärer Situation kann durch unterschiedliche Dosierung die Kreislaufsituation symptomatisch beeinflusst werden.
Agonist an DxR, β1AR (höhere Dosierungen) und α1AR (hohe Dosierungen); Vasodilatation und erhöhte Nierendurchblutung (D1R), Steigerung der Herzfunktion (β1AR), systemische Vasokonstriktion (α1AR) Verstärkung der DA-Wirkung in der Peripherie und im ZNS
M. Parkinson
Wichtige Indikationen
Hemmung der Dopadecarboxylase in der Peripherie; dadurch Verstärkung der Wirkungen von Levodopa im ZNS
Wichtige Wirkungen
8
Arzneistoff
.. Tab. 8.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im dopaminergen System
Übelkeit, Erbrechen, BD-Abfall, Halluzinationen, Verwirrung, Spielsucht, Sexsucht, Kaufrausch
Verstärkung der UAW von Levodopa
Die Anwendung von DA erfordert eine kontinuierliche Überwachung des Patienten und muss an die aktuelle klinische Situation angepasst werden.
Verstärkung der UAW von Levodopa
Wichtige UAW
7 Kap. 2
7 Kap. 5, 12
7 Kap. 2
Weitere Zusammenhänge Kapitel
128 Kapitel 8 · Pharmakologie des dopaminergen Systems
D2R-Antagonist
Indirektes Dopamimetikum
DxR-Agonist
MAO-B-Inhibitor
MCP
Methylphenidat
Pramipexol
Rasagilin Verstärkung der DA-Wirkung in der Peripherie und im ZNS
Partielle DxR-Aktivierung in der Peripherie und im ZNS
Hemmung der DAWiederaufnahme und Stimulation der DAFreisetzung aus Vesikeln; Verstärkte dopaminerge Neurotransmission im frontostriatalen System, führt zu verbesserter Konzentrationsfähigkeit
Peripher wirksam; antiemetische und prokinetische Wirkung im GI-Trakt
Wichtige Wirkungen
Zusatztherapie bei M. Parkinson; schwächere Wirkung als Pramipexol
M. Parkinson bei Verlust der Wirkung von Levodopa + Benserazid, insgesamt schwächere Wirkung als obige Kombination
Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. BtMVV!
Übelkeit und Erbrechen, z. B. bei Migräne und GI-Infekten
Wichtige Indikationen
Verstärkung der UAW von Levodopa
Wie Levodopa + Benserazid; aber insgesamt schwächer wegen Partialagonismus
Missbräuchliche Anwendung bei Gesunden zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit (Gehirndoping), Appetitstörungen, BD-Anstieg, Schlafstörungen, Priapismus, Gefahr der Abhängigkeit und Tachyphylaxie insbesondere bei i.v.-Anwendung
In hoher Dosierung und bei Kleinkindern (noch unvollständige BHS!) EPMS (akute Dystonien)
Wichtige UAW
7 Kap. 1
7 Kap. 5
7 Kap. 2, 6, 13
Weitere Zusammenhänge Kapitel
D2R-Antagonisten werden in 7 Kap. 13 diskutiert; mGPCR-Antagonisten in 7 Kap. 29. Wegen unzureichender Wirkung ist Amantadin bewusst nicht in die Tabelle aufgenommen worden
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
8.1 · (Patho-)Physiologische Grundlagen und pharmakologische … 129
8
130
Kapitel 8 · Pharmakologie des dopaminergen Systems
sowie im tuberohypophysären System. DA wird aus dem Hypothalamus freigesetzt und hemmt in der Adenohypophyse die Freisetzung von Prolaktin, das die Milchproduktion stimuliert. Prolaktin hemmt zugleich die Sekretion von FSH und LH. Dadurch wird die Ovulation unterdrückt (7 Kap. 24). Hyperprolaktinämie ist eine Ursache von Infertilität und Amenorrhoe. Durch die Gabe von DxR-Agonisten lässt sich die Prolaktinsekretion hemmen; damit wird das Wiedereintreten eines normalen Zyklus begünstigt und die Frau kann wieder schwanger werden. Umgekehrt kann es bei Dauertherapie mit D2R-mGPCR-Antagonisten zu Hyperprolaktinämie und Galaktorrhoe kommen. Diese UAW kann auch beim
Mann auftreten und beeinträchtigt die Adhärenz einer antipsychotischen Therapie (7 Kap. 29).
8.2
Pathophysiologie und Pharmakotherapie des M. Parkinson
DA spielt in der Regulation der Extrapyramidalmotorik eine wichtige Rolle (. Abb. 8.2a). Dopaminerge Neurone projizieren von der Substantia nigra in das Neostriatum und hemmen cholinerge und GABAerge Neurone. Letztere inhibieren ihrerseits glutamaterge Neurone im Thalamus,
8 a
Pyramidenbahn
Cortex
Normale Motorik
Thalamokortikale Bahn ACh
Glu
GABA
Neostriatum
Thalamus
Nigrostriatale Bahn DA Substantia nigra
b
Pyramidenbahn
Cortex
Biperiden (Rigor, Tremor) ACh
GABA
Neostriatum
Nigrostriatale Bahn
DA Substantia nigra
Thalamokortikale Bahn
M. Parkinson
Rigor, Tremor, Akinese
Glu Thalamus
D2R-mGPCR-Antagonisten (Haloperidol) Levodopa + Benserazid; Pramipexol, Rasagilin, Entacapon, Amantadin (Akinese)
.. Abb. 8.2 a, b Extrapyramidalmotorik. a Normale Extrapyramidalmotorik. b Gestörte Extrapyramidal motorik und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten bei M. Parkinson
131 8.2 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie des M. Parkinson
die in die Großhirnrinde projizieren. Stehen diese Neurotransmittersysteme im Gleichgewicht zueinander, so ermöglicht dies eine normale spinale Motorik mit der Fähigkeit zu raschen und präzisen Bewegungen. Bei M. Parkinson kommt es zu einer fortschreitenden Degeneration dopaminerger nigrostriataler Neurone (. Abb. 8.2b). Ursache dafür können Drogen, Traumata (Boxer) und Mutationen in bestimmten Proteinen sein. Auch Dauertherapie mit D2R- mGPCR-Antagonisten kann ein Parkinsonsyndrom auslösen (7 Kap. 29). Die Therapie des medikamentösen Parkinsonsyndroms besteht im Absetzen des auslösenden Arzneistoffs bzw. in der Dosisreduktion und zusätzlicher Gabe von MxR-Antagonisten. Ein Problem in der Therapie des M. Parkinson besteht darin, dass das nigrostriatale System eine große Kompensationsfähigkeit besitzt.
>>Dies bedeutet, dass erst bei einem Ausfall des überwiegenden Teils nigrostriataler Neurone Symptome auftreten.
Durch den Ausfall nigrostriataler Neurone fällt der hemmende Einfluss dieses Systems auf cholinerge und GABAerge Neurone im Neostriatum aus. Die Überaktivität letzterer Systeme hemmt den Einfluss glutamaterger Neurone auf die Großhirnrinde. Als Folge des gestörten Gleichgewichtes entstehen die Leitsymptome des M. Parkinson. Akinese stellt ein Minussymptom dar, während Tremor und Rigor zu den Plussymptomen gehören. Die Pharmakotherapie des M. Parkinson zielt auf die Korrektur des Neurotransmitterungleichgewichtes ab. Der Krankheitsverlauf lässt sich durch Arzneistoffe nicht aufhalten. Im Zentrum der Therapie steht die Stärkung des dopaminergen Systems. Das DA-Prodrug Levodopa passiert die BHS über einen Aminosäuretransporter (7 Kap. 2) und wird im ZNS über Dopadecarboxylase zu DA umgewandelt (. Abb. 8.3). Durch die vermehrte DA-Freisetzung wird vor allem die Akinese gebessert, und
8
auch im geringeren Ausmaß Rigor und Tremor. Hauptproblem in der alleinigen Anwendung von Levodopa ist, dass es bereits in der Peripherie in erheblichem Ausmaß zu DA umgewandelt wird. Dadurch kommt es zu UAW wie Übelkeit, Erbrechen sowie Hypotonie. Durch eine verminderte Bereitstellung von Levodopa im ZNS wird die therapeutische Wirksamkeit verringert. Eine Dosiserhöhung von Levodopa würde vor allem periphere UAW verstärken und kommt daher nicht infrage. Der entscheidende „Trick“ in der Levodopatherapie besteht deshalb darin, das Prodrug mit dem Dopadecarboxylase-Inhibitor Benserazid zu kombinieren. Benserazid hemmt die Dopadecarboxylase in der Peripherie, wird aber nicht über den Aminosäuretransporter ins ZNS aufgenommen. Dadurch werden die peripheren UAW von Levodopa deutlich reduziert und es steht mehr davon für die Umwandlung zu DA im ZNS zur Verfügung. Das führt zu einem deutlich verbesserten Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie. Allerdings erfolgt die Umwandlung von Levodopa zu DA in jedem dopaminergen Neuron; es kommt deshalb zu einer generellen Verstärkung der Aktivität dopaminerger Neurone. Typische UAW einer Kombinationstherapie von Levodopa + Benserazid sind daher Verwirrung und Halluzinationen. Es kann auch zu verstärkter Aktivierung des dopaminergen Belohnungssystems kommen. Dies äußert sich in Spiel- und Sexsucht (häufiger Männer) sowie Kaufrausch (häufiger Frauen). Die Wirkungen von DA auf das Belohnungssystem führen zu missbräuchlicher Anwendung von Levodopa + Benserazid. >>Wegen seiner stimulierenden Wirkung auf das Belohnungssystem wird Levodopa zunehmend missbraucht.
Der Arzt muss genau unterscheiden, ob ein Patient einen „echten“ M. Parkinson hat oder einen Fake-M. Parkinson. Im Falle des Fake-M. Parkinson ahmt der Patient (mehr oder weniger schlecht) die Symptome der
132
Kapitel 8 · Pharmakologie des dopaminergen Systems
Blut-Hirn-Schranke
Aminosäuretransporter
ZNS
Peripherie Levodopa
Levodopa
Dopadecarboxylase
Dopadecarboxylase Dopamin↑
Dopamin↑
Benserazid
8
UAW: Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie
UAW: Halluzinationen, Verwirrung, Spiel- und Sexsucht, Kaufrausch
Besserung der ParkinsonSymptome (vor allem Akinese)
.. Abb. 8.3 Interaktion von Benserazid mit Levodopa. Erwünschte und unerwünschte dopaminerge Wirkungen im ZNS und in der Peripherie
Erkrankung nach, um an Levodopa zu gelangen. Bei zunehmender Degeneration nigro striataler Neurone nimmt die Wirksamkeit von Levodopa + Benserazid ab. Man versucht daher, die Wirkung dieser Kombination durch eine Zusatztherapie zu verstärken. In Frage kommen vor allem MAO-B-Inhibitoren wie Rasagilin und COMT-Inhibitoren wie Entacapon, die den DA-Abbau hemmen (. Abb. 8.1). MAO-B- Inhibitoren allein haben deutlich geringere Wirkungen als Levodopa + Benserazid. COMT- Inhibitoren besitzen keine Eigenwirkung, sondern verstärken nur die Wirkung von Levodopa. Amantadin ist ein indirektes Dopamimetikum, das die Freisetzung von DA aus den dopaminergen Neuronen fördert; seine Wirkung bei M. Parkinson ist jedoch nur sehr gering. Durch die Gabe des MxR-Antagonisten Biperiden lassen sich vor allem Rigor und Tre
mor beeinflussen, weniger die Akinese. Biperiden verursacht ein antimuskarinerges Syndrom (7 Kap. 5). Bei fortgeschrittener nigrostriataler Degeneration reicht die Dopadecarboxylaseaktivität nicht mehr aus, um Levodopa ausreichend in DA umzuwandeln. In dieser Situation bietet sich die Gabe von DxR- Agonisten an, die nicht metabolisch aktiviert werden müssen. Ein prototypischer Arzneistoff mit DxR-agonistischer Wirkung ist Pramipexol. Es besitzt eine geringere Maximalwirkung als Levodopa + Benserazid. Dies ist zum einen auf den Einsatz bei fortgeschrittener Erkrankung zurückzuführen und zum anderen auf die Tatsache, dass Pramipexol nur ein Partialagonist ist und somit geringere intrinsische Aktivität als DA besitzt (7 Kap. 1). Ein Problem in der Dauertherapie mit allen DxR-agonistisch wirkenden Arzneistoffen ist die Tatsache, dass es zu Rezeptordesensitisierung kommt
8
133 8.3 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie des …
(7 Kap. 1). In diesen Fällen muss die Therapie unterbrochen werden. Allerdings ist dies häufig nur unter stationären Bedingungen möglich, weil es dem Patienten in dieser Entzugsphase zunächst schlechter geht. Grundsätzlich können bei allen dopaminerg wirkenden Arzneistoffen Symptome einer verstärkten dopaminergen Aktivität in anderen Systemen als dem nigrostriatalen auftreten. Die Therapie des M. Parkinson gehört in die Hände eines Neurologen. Letztlich wird man für jeden Patienten einen individuellen Kompromiss (Deal) zwischen ausreichender therapeutischer Wirkung und möglichst geringen UAW finden müssen. Dieser Kompromiss muss sich an den progredienten Krankheitsverlauf anpassen. Nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten wie Krankengymnastik und Training der noch verfügbaren motorischen Fähigkeiten spielen daher eine große Rolle.
8.3
Pathophysiologie und Pharmakotherapie des AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätssyndroms
ell wie eine noradrenerge Synapse funktioniert (7 Kap. 5). Die ADHS-Ursache ist noch nicht bekannt, aber eine wichtige Veränderung ist die erhöhte Aktivität von DA- Transportern im frontostriatalen System (. Abb. 8.4b). Dabei wird DA vermehrt in die Synapse wiederaufgenommen und es steht somit weniger DA für die Aktivierung postsynaptischer DxR zur Verfügung. Diese Veränderung der DA-Transporteraktivität betrifft jedoch nicht das gesamte ZNS, weshalb es beim ADHS auch nicht zu generellen Symptomen eines DA-Mangels kommt. Entsprechend der ADHS-Pathophysiologie besteht der wichtigste pharmakologische Angriffspunkt darin, die DA-Wiederaufnahme zu hemmen (. Abb. 8.4c). Ein prototypischer Arzneistoff zur Hemmung des DA-Transporters ist Methylphenidat. Durch Hemmung der DA-Wiederaufnahme werden die DA-Konzentration im synaptischen Spalt erhöht und die dopaminerge Transmission im frontostriatalen System verstärkt. Methylphenidat wirkt bei ADHS symptomatisch. Die Langzeitwirkungen sind bislang nur unzulänglich bekannt. Zusätzlich wirkt Methylphenidat auch indirekt dopamimetisch (und sympathomimetisch, 7 Kap. 5). Dies bedeutet, dass Methylphenidat in das dopaminerge Neuron gelangt und dort über den vesikulären DA-Transporter in DA-speichernde Vesikel. DA wird im Austausch gegen Methylphenidat in hohen Konzentrationen ins Zytosol freigesetzt und über unspezifische Transporter in den synaptischen Spalt befördert. Dadurch wird die DA-Konzentration weiter erhöht. Durch diesen zusätzlichen Wirkmechanismus von Methylphenidat ergibt sich die Gefahr einer Tachyphylaxie, d. h. bei zu hoher Dosierung des Arzneistoffs kann es zu einer Entleerung der DA- speichernden Vesikel und damit zu einer Symptomverschlechterung kommen.
Das frontostriatale dopaminerge System reguliert Aufmerksamkeit und Motorik. Bei Unterfunktion dieses System kommt es zum ADHS. Es manifestiert sich in Unaufmerksamkeit, Impulsivität und motorischer Überaktivität. Zusätzlich können geringe Frustrationstoleranz, geringes Selbstwertgefühl, Vergesslichkeit, Beziehungsstörungen und Stimmungsschwankungen auftreten. Typisch ist auch eine fahrige und schlechte Handschrift. Die ADHS-Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland soll bei 3–10 % liegen, wobei Jungen ca. dreimal häufiger als Mädchen betroffen sind. In ca. 60 % der Fälle besteht ADHS bis ins Erwachsenenalter fort. Beim ADHS liegt eine Funktionsstörung in der dopaminergen Synapse vor. . Abb. 8.4a zeigt eine dopaminerge Synapse, die prinzipi
>>In Analogie zum adrenergen System (indirekte Sympathomimetika, 7 Kap. 5) sollte der Begriff „indirekte Dopamime
134
Kapitel 8 · Pharmakologie des dopaminergen Systems
MPH-Pausen
Tyrosin
Tachyphylaxie
Tyrosin Levodopa
Levodopa Methylphenidat
Levodopa
1 DA
DA
3 2
1
DA
DA
DA
DA
3
8
DA
Tyrosin
DA
3
Methylphenidat
2
DA
1 DA
DA
2
Normale Aufmerksamkeit
Verbesserte Aufmerksamkeit DA
ADHS a
b
.. Abb. 8.4 a–c Dopaminerge Synapse und Veränderungen bei ADHS: Wirkmechanismus von Methylphenidat. a Normalzustand. b ADHS. c ADHS unter
tika“ durch „Stimulatoren der vesikulären DA-Freisetzung“ ersetzt werden. Da Methylphenidat aber auch ein „Inhibitor der DA-Wiederaufnahme“ ist, wurde der tradierte (aber inkorrekte) Begriff in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste zunächst beibehalten.
Methylphenidat zeigt nach p.o.-Gabe innerhalb von 30–45 Minuten eine beruhigende und konzentrationsfördernde Wirkung, die ca. 3–6 Stunden anhält. Es gibt auch Retardformen von Methylphenidat, die deutlich länger wirken. Derzeit werden ca. 1 % aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland mit Methylphenidat behandelt. Seit einiger Zeit kann es auch Erwachsenen verschrieben werden. Methylphenidat unterliegt der BtMVV. Gute Freizeitangebote wie Sport und Musizieren sowie ein vernünftig geregelter
c MPH-Therapie. MPH, Methylphenidat. 1, vesikulärer DA-Transporter; 2, spezifischer DA-Transporter; 3, unspezifischer Transporter für biogene Amine
Zugang zu Internet und Smartphones unterstützen die medikamentöse ADHS-Therapie. Die ADHS-Diagnose muss durch einen Kinder- und Jugendpsychiater erfolgen. Methylphenidat wirkt nicht nur bei ADHS- Patienten konzentrationsfördernd, sondern auch bei Menschen ohne ADHS. Methylphenidat wird als „Gehirndoping“ missbraucht. Umso wichtiger ist es, die Diagnose ADHS genau zu stellen, denn man kann nicht sicher ausschließen, dass Patienten oder Eltern von Patienten „ADHS“ nur vorschieben, um in missbräuchlicher Absicht an den Arzneistoff zu gelangen. Besonders groß ist das Missbrauchspotential von Methyl phenidat bei i.v.-Gabe. Durch schnelle Anflutung im ZNS kommt es zu einem „High“-Gefühl, ähnlich wie bei der Injektion von Heroin (7 Kap. 2 und 10).
135 8.3 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie des …
Das Tachyphylaxierisiko unter Methylphenidatgabe erfordert häufig das Absetzen außerhalb der Schulzeit, z. B. am Wochenende. Durch eine indirekte sympathomimetische Wirkung (Stimulation der vesikulären NE-Freisetzung, 7 Kap. 5) kommt es unter Methyl phenidat zu Appetitlosigkeit, HFund BD-Anstieg sowie Schlafstörungen. Bei Jungen wird Priapismus (7 Kap. 9) als UAW berichtet. Auch die appetithemmende Wirkung von Methylphenidat kann missbraucht werden, z. B. zur Gewichtsreduktion bei Mädchen, die als Tänzerinnen oder Models arbeiten.
>>Insgesamt ergibt sich aus dem Wirkprofil von Methylphenidat, dass die Verschreibung sehr kritisch erfolgen muss und eine genaue Diagnosestellung sowie Abschätzung etwaigen Missbrauchs erfordert.
Fallbeispiel
Eine 72-jährige Patientin mit M. Parkinson gerät in große finanzielle Schwierigkeiten. Nachforschungen bei ihrem Ehemann ergeben, dass sie mit ihrer Kreditkarte online 150 wertvolle Handtaschen von namhaften Designerfirmen gekauft hat.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Arzneistoffe können diese Problematik verursacht haben? 2. Wie lässt sich die Problematik in den Griff bekommen? Lösungen 7 Kap. 37
8
137
Pharmakologie des NO-cGMP-Systems Inhaltsverzeichnis 9.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen – 138
9.2
NO-Donatoren – 139
9.3
PDE5-Inhibitoren – 141
9.4
sGC-Stimulatoren – 143
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_9
9
138
9
Kapitel 9 · Pharmakologie des NO-cGMP-Systems
NO wird in Endothelzellen synthetisiert und aktiviert in glatten Muskelzellen die sGC, die den Second Messenger cGMP produziert. Die wichtigste Funktion von cGMP ist die Relaxation glatter Muskelzellen. cGMP wird über die PDE5 abgebaut. Der NO-Donator GTN aktiviert die sGC und relaxiert Muskelzellen. Diese Wirkung wird bei Angina pectoris, beim hypertensiven Notfall und bei Kolikschmerzen genutzt. Der NO-Donator NNP wird beim therapierefraktären hypertensiven Notfall eingesetzt. Die Dauertherapie mit NO-Donatoren ist wegen Wirkungsverlust nicht sinnvoll. Allosterische NO-abhängige sGC-Stimulatoren hingegen sind für eine Dauertherapie geeignet. Ihre muskelrelaxierende Wirkung wird bei PAH genutzt. Bei ED kommt es aufgrund kardiovaskulärer, urologischer oder neurologischer Erkrankungen oder UAW zu verminderter NO-Produktion im Corpus cavernosum. Die Erektion kann durch Hemmung des cGMP-Abbaus mit PDE5-Inhibitoren verbessert werden. Bei Überdosierung von PDE5-Inhibitoren können aufgrund von PDE6-Hemmung Blausehstörungen auftreten. Die Kombination von NO-Donatoren + PDE5-Inhibitoren kann einen lebensbedrohlichen BD-Abfall verursachen.
Merksätze 55 Die wichtigste Funktion des NO-cGMP- Systems ist die Relaxation der glatten Muskulatur. 55 sGC wird durch NO-Donatoren und allosterische Modulatoren aktiviert. 55 GTN ist für den akuten Angina-pectoris- Anfall, den hypertensiven Notfall und Koliken geeignet. 55 NNP ist die ultima ratio zur Behandlung eines hypertensiven Notfalls. 55 Die UAW von NO-Donatoren sind Folge der Vasodilatation. 55 PDE5-Inhibitoren werden zur ED- Therapie eingesetzt. 55 sGC-Stimulatoren werden zur PAH- Therapie eingesetzt.
9.1
(Patho-)Physiologische Grundlagen
NO ist ein membranpermeables Gas, das als lokaler Mediator und Neurotransmitter viele Körperfunktionen reguliert. Am wichtigsten ist die relaxierende Wirkung von NO auf glatte Muskelzellen, die sich an Blutgefäßen sowie Hohlorganen (z. B. Gallengänge, Harnleiter) manifestiert. . Abb. 9.1 zeigt die Regulation des NO-cGMP-Systems und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Endothelzellen exprimieren eine Reihe von GPCR, z. B. H1R, MxR und BK2R. Über diese Rezeptoren wird der Gq-PLC-Weg aktiviert, worüber es zum Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration kommt. Calcium bindet an den Calciumsensor Calmodulin, der wiederum die endotheliale NO-Synthase stimuliert. Diese spaltet aus Arginin das biologisch aktive NO ab. Aufgrund seiner geringen Größe kann NO in die unter den Endothelzellen liegenden glatten Muskelzellen diffundieren. Etliche GPCR induzieren in glatten Muskelzellen über den Gq-PLC-Weg eine Kontraktion (7 Kap. 15). NO antagonisiert deren Effekt funktionell, indem es die sGC aktiviert. Die NO-stimulierte sGC produziert den Second Messenger cGMP. cGMP stimuliert die PKG, die verschiedene Zielproteine phosphoryliert und in ihrer Funktion verändert. Eines der PKG-Zielproteine ist IRAG (inositol 1,4,5-trisphosphate receptor-associated cGMP kinase substrate), das in phosphorylierter Form die Freisetzung von Calcium aus dem endoplasmatischen Retikulum nicht mehr stimuliert. Dadurch kommt es zur Relaxation glatter Muskelzellen. In diesen besteht ein funktioneller Antagonismus zwischen Calcium (kontrahierend) und cGMP (relaxierend). Die cGMP-Wirkung wird durch die PDE5 aufgehoben. Die PDE5 hydrolysiert cGMP zum biologisch inaktiven GMP. Bei Gefäßschädigung, z. B. bei Hypertonie, diabetischer Mikro-/Makroangiopathie, LDL-
9
139 9.2 · NO-Donatoren
Acetylcholin, Bradykinin, Substanz P, Histamin
GPCR PLC↑
Gq
Hypertonie, Diabetes, LDL-Cholesterin↑
[Ca2+]i↑ Calmodulin
Ca2+-Calmodulin
Tabakrauch
NOS
Endothelzelle
Citrullin + NO
Arginin
GTN, NNP Riociguat
Sildenafil NO↑ Norepinephrin sGC↑
α1AR
Gq
PDE5
PLC↑ IP3 [Ca2+]i↑
Kontraktion Vorlast↑, Nachlast↑
Hypertonie, Koliken, ED
glatte Muskelzelle
GMP
cGMP↑
IRAG
GTP
PKG↑ [Ca2+]i↓↓
Ca2+
Relaxation↑ BD↓, Vorlast↓, Nachlast↓ Spasmolyse, Erektion
ER
.. Abb. 9.1 Regulation des NO-cGMP-Systems und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. ER, endoplasmatisches Retikulum. Bitte beachten, dass intakte Endothelzellen den Schlüssel für eine effektive Relaxation glatter Muskelzellen darstellen. Deshalb muss man seine Endothelzellen durch eine gesunde Lebensweise „pflegen“ und Schädigung verhindern. ER, endoplasmatisches Retikulum
Hypercholesterinämie und Nikotinkonsum kommt es zu endothelialer Dysfunktion, bei der die über cGMP vermittelte Vasodilatation gestört ist (7 Kap. 5, 15, 16, 19 und 22). Der klassische pharmakologische Eingriff in dieses System besteht in der Applikation von Arzneistoffen, die NO freisetzen (NO-Donatoren). Ein großes Problem in der Anwendung von NO-Donatoren resultiert daraus, dass ihre Wirkung bei einer Dauertherapie nachlässt und somit nur eine kurzfristige Anwendung sinnvoll ist. Das Problem des Wirkungsverlustes bei der Dauertherapie kann durch die NO-abhängigen sGC-Stimulatoren (7 Abschn. 9.4) umgangen werden. Diese Arzneistoffe binden allosterisch an die sGC und potenzieren die Wirkung von en-
dogenem NO. . Tab. 9.1 gibt eine Zusammenfassung über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im NO-cGMP-System.
9.2
NO-Donatoren
GTN ist ein Prodrug, aus dem NO enzymatisch freigesetzt wird. GTN besitzt einen großen first-pass-Effekt (7 Kap. 2). Daher muss die Leber umgangen werden. GTN wird entweder in Form von sublingual applizierter Zerbeißkapseln oder bukkal applizierter Sprays angewendet. Bereits nach einer Minute kommt es wegen der sehr guten Resorption des Arzneistoffs zur Relaxation glatter Muskelzellen. Die GTN-Wirkung
NO-Donator
NO-Donator
sGC-Stimulator
PDE5-Inhibitor
GTN
NNP
Riociguat
Sildenafil
PDE5-Hemmung und damit cGMP-Erhöhung, Relaxation glatter Muskelzellen
NO-abhängige sGC-Stimulation (allosterische Verstärkung der Wirkung von NO an sGC), Relaxation glatter Muskelzellen
Nicht-enzymatische Freisetzung von NO, sGC-Aktivierung, Relaxation glatter Muskelzellen
Enzymatische Freisetzung von NO, sGC-Aktivierung, Relaxation glatter Muskelzellen
Wichtige Wirkungen
ED, PAH
PAH
Hypertensiver Notfall
Angina pectoris, hypertensiver Notfall, Kolikschmerzen
Wichtige Indikationen
Flush, verstopfte Nase, Blausehen bei Überdosierung (PDE6Hemmung), gefährliche Interaktion mit GTN
BD-Abfall
Hypotonie, Zyanidintoxikation bei Dauertherapie und CKD
Orthostase, Flush, Tachykardie, Wirkungsverlust bei Dauertherapie
Wichtige UAW
7 Kap. 13
7 Kap. 15
7 Kap. 4, 15
7 Kap. 2, 13, 15
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Wegen unzureichender Wirkung sind verschiedene andere NO-Donatoren (z. B. Molsidomin, Isosorbidmononitrat) nicht in die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste und damit nicht in diese Tabelle aufgenommen worden
Arzneistoffgruppe
9
Arzneistoff
.. Tab. 9.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit Angriff im NO-cGMP-System
140 Kapitel 9 · Pharmakologie des NO-cGMP-Systems
9
141 9.3 · PDE5-Inhibitoren
hält aber nur 30 Minuten an, da es durch Esterasen rasch inaktiviert wird. GTN relaxiert die glatte Muskulatur in den Venen (Reduktion der Vorlast) sowie in den Arterien (Reduktion der Nachlast). Außerdem besitzt GTN eine relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur in den Hohlorganen. Aus den muskelrelaxierenden Wirkungen von GTN ergeben sich die Indikationen. Beim Angina-pectoris-Anfall und bei akuter Herzinsuffizienz ist vor allem die Vorlast reduktion (7 Kap. 16), beim hypertensiven Notfall ist dagegen die Nachlastreduktion relevant (7 Kap. 15). GTN eignet sich wegen des Wirkungsverlustes (Desensitisierung) nicht zur KHK-Dauertherapie.
>>Noch immer bekommen viel zu viele Patienten mit KHK und Herzinsuffizienz eine Dauertherapie mit NO-Donatoren.
Diese Therapie ist nicht nur wirkungslos, sondern beraubt den Arzt auch der Möglichkeit, in einer akuten Notfallsituation effektiv in das NO-cGMP-System einzugreifen. Deshalb sollte bei jedem Patienten eine Dauertherapie mit NO-Donatoren abgesetzt werden. Es gibt gute therapeutische Alternativen (7 Kap. 16). Die relaxierende Wirkung von GTN auf Hohlorgane lässt sich auch bei Gallen- und Nierenkolikschmerzen nutzen. Es gibt off- label-Anwendungen (d. h. Anwendungen außerhalb der offiziellen Zulassung) von GTN, die auf seiner muskelrelaxierenden Wirkung beruhen. Die Resorption von Schlangengiften lässt sich durch Erweiterung von Lymphgefäßen proximal von der Bissstelle reduzieren. Beim Raynaud- Syndrom kann die Durchblutung der distalen Fingerglieder verbessert werden. GTN erleichtert außerdem die Punktion von Venen zur Blutabnahme oder zum Legen eines Katheters. Über die Vasodilatation können auch die GTN-UAW erklärt werden: Es kommt zu bifrontalen klopfenden Kopfschmerzen (nicht zu verwechslen mit dem einseitigen Migrä
nekopfschmerz!), Erweiterung der Blutgefäße im Thorax-Kopf-Bereich mit Hautrötung (Flush), orthostatischer Hypotonie und reflektorischer Tachykardie bis hin zu Angina-pectoris-Anfällen und Schock. Daher ist GTN vorsichtig zu dosieren. Die GTN-Anwendung verbietet sich bei schwerer Hypotonie und bei kardiogenem Schock. NNP setzt NO nicht-enzymatisch frei. NNP wird i.v. als Dauerinfusion verabreicht und stellt die ultima ratio zur Therapie eines anderweitig nicht beherrschbaren hypertensiven Notfalls dar (7 Kap. 15). Mit NNP kann der BD effektiv gesenkt werden. Bei Überdosierung droht die Gefahr von Schock und Herz-Kreislauf-Versagen. Unter langfristiger Therapie kann es zu Zyanidintoxikation kommen (7 Kap. 4). NNP ist lichtempfindlich und muss frisch gelöst werden. Die NNPAnwendung beschränkt sich aus den oben genannten Gründen auf die Intensivmedizin.
9.3
PDE5-Inhibitoren
Bei sexueller Erregung wird aus Endothelzellen und Neuronen des Corpus cavernosum NO freigesetzt, das in den glatten Muskelzellen über die sGC die cGMP-Synthese stimuliert. cGMP vermittelt die Dilatation der Arterien im Corpus cavernosum. Dadurch nimmt der Bluteinstrom in den Penis zu. Zugleich wird der Blutabfluss durch Venenkompression verringert. Die Folge ist ein transienter Blutstau im Penis, der sich in einer Erektion manifestiert (. Abb. 9.2a). Bei ED sind NO- und cGMP-Produktion aufgrund von Hypertonie (7 Kap. 15), Diabetes (7 Kap. 19) sowie urologischer oder neurologischer Erkrankungen gestört (. Abb. 9.2b). Nikotin, Alkohol, indirekte Sympathomimetika, βxAR-Antagonisten (7 Kap. 5), AR-Antagonisten und 5α-Reduktase-Inhibitoren (7 Kap. 24 und 31), NE/5-HT-Verstärker (7 Kap. 28) und bestimmte antiepileptisch wirkende SCB und CCB (7 Kap. 25) können ebenfalls ED verursachen. Schließlich führt auch eine Dauererektion (Priapismus), die
142
Kapitel 9 · Pharmakologie des NO-cGMP-Systems
Endothelzelle, Penisnerven
a
b
• Diabetes • Hypertonie • Neurologische Erkrankungen
NO GMP
c
PDE5
Endothelzelle, Penisnerven
GMP
cGMP
• • • • • • •
NO
PDE5
cGMP
Vasodilatation
Vasodilatation
Corpus cavernosum
Corpus cavernosum
Erektion
Erektion
Endothelzelle, Penisnerven
d
Tabakrauch Alkoholabusus NE/5-HT-Verstärker CCB, SCB βxAR-Antagonisten AR-Antagonisten 5α-ReduktaseInhibitoren
Erektile Dysfunktion
Endothelzelle, Penisnerven
GTN Sildenafil
Sildenafil NO
9
GMP
PDE5
Mors in coitu
NO
cGMP
GMP
PDE5
cGMP
MyokardInfarkt
Systemische Vasodilatation
Vasodilatation
Corpus cavernosum
Erektion
BD
, O2-Angebot im Herzen
.. Abb. 9.2 a–d Physiologie der Erektion und Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. a Normalzustand. b ED.
c ED unter Therapie mit PDE5-Inhibitoren. d Interaktion von PDE5-Inhibitor + GTN bei ED
z. B. durch Methylphenidat (7 Kap. 8) oder p-mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) verursacht werden kann, durch Thrombosierung der Penisgefäße langfristig zu ED. Das Prinzip der ED-Therapie besteht darin, die Grunderkrankungen zu behandeln, ED begünstigende Arzneistoffe und Gifte zu vermeiden und cGMP im Corpus cavernosum zu erhöhen. GTN eignet sich nicht zur ED-Therapie, weil die sGC ubiquitär exprimiert wird. Daher wären die für die ED-Therapie erforderlichen GTN-Dosen mit massiven UAW verbunden. Hingegen wird PDE5 vor allem in den Gefäßen des Urogenitalsystems und in den Lungenarterien exprimiert. Daher zeigen PDE5-Inhibitoren eine größere Organ-
selektivität in ihren Wirkungen als NO-Donatoren. PDE5-Inhibitoren hemmen den cGMP-Abbau, was gerade bei ED wegen der hier nur geringen cGMP- Produktion wichtig ist und führen dadurch zu einer verstärkten Vasodilatation im Corpus cavernosum und damit zu einer verbesserten Erektion (. Abb. 9.2c).
>>Die Wirkung der PDE5-Inhibitoren auf die Erektion ist abhängig von sexueller Stimulation, d. h. es kommt nicht zu einer Spontanerektion (Priapismus).
PDE5-Inhibitoren wirken auch bei Patienten ohne ED, d. h. es kommt bereits bei sehr
9
143 9.4 · sGC-Stimulatoren
geringer sexueller Stimulation zur Erektion. Deshalb wird Sildenafil auch als „Life- Style- Droge“ verwendet. Bei Penisfehlbildungen mit gestörter peniler Hämodynamik ist Sildenafil kontraindiziert, weil zum Priapismus kommen kann. Der Prototyp der PDE5-Inhibitoren ist Sildenafil. Es zeigt ca. 30 Minuten nach Einnahme seine Wirkung, die maximal 4 Stunden anhält. Die Resorption von Sildenafil wird durch vorhergehende Nahrungsaufnahme und Alkoholkonsum verzögert. Die PDE5 ist strukturell mit der in der Retina exprimierten und am Sehprozess involvierten PDE6 verwandt. >>Daher kann es bei Sildenafil-Überdosierung zu zusätzlicher PDE6- Hemmung kommen, die sich in reversiblen Blausehstörungen manifestiert.
Diese Sehstörungen sind von den Phosphenen (Lichtblitzen) durch HCN4-Kanal- Blocker sowie dem Gelb-Grün-Sehen durch NKA-Inhibitoren (7 Kap. 16 und 17) abzugrenzen. Eine große Gefahr bei der Anwendung von PDE5-Inhibitoren bei ED besteht in der Kombination mit GTN. Viele ED-Patienten leiden unter KHK (7 Kap. 16). Eine nicht ausreichend behandelte KHK führt beim Geschlechtsverkehr wegen des cerhöhten O2-Bedarfs zu Angina pectoris. Nimmt der Patient zur Linderung kardialer Beschwerden GTN ein, wird verstärkt NO freigesetzt und sGC aktiviert. Das vermehrt produzierte cGMP wird jedoch nicht abgebaut und kann zu massiver Vasodilatation führen (. Abb. 9.2d). Als Folge davon kann es zum Schock und wegen des verschlechterten Verhältnisses zwischen O2-Angebot und O2-Verbrauch zum potenziell tödlichen MI (mors in coitu) kommen. Daher ist die Kombination von PDE5-Inhibitoren mit GTN kontraindiziert. Diese gefährliche Arzneistoffinteraktion ist auch deshalb von Bedeutung, weil für die verschreibungspflichtigen PDE5-Inhibitoren ein großer Schwarzmarkt und ille-
galer Internethandel bestehen und die Umgehung der Verschreibungspflicht ärztliche Einflussmöglichkeiten verhindert. KHK bei ED-Patienten wird mit den in 7 Kap. 16 diskutierten Arzneistoffgruppen behandelt. PDE5-Inhibitoren führen auch zu verstärkter Durchblutung der weiblichen Genitalien und erhöhter vaginaler Lubrikation, sind aber bei sexueller Dysfunktion der Frau, insbesondere Anorgasmie und Libidostörungen, wirkungslos. Aus der muskelrelaxierenden Wirkung von PDE5-Inhibitoren lassen sich möglicherweise weitere Indikationen entwickeln. So wird derzeit untersucht, inwiefern PDE5-Inhibitoren bei BPH, Reizblase, Blaseninkontinenz, Uretersteinen sowie Asthma therapeutischen Wert besitzen. Bei PAH werden PDE5-Inhibitoren neben sGC-Stimulatoren bereits eingesetzt.
>>Die einseitige Klassifikation von PDE5Inhibitoren als „Erektionshilfe“ oder „Potenzmittel“ wird dieser Arzneistoffgruppe nicht gerecht.
Die PAH ist eine weitere wichtige Indikation für PDE5-Inhibitoren, und weitere Indikationen sind in der Entwicklung. Entgegen landläufiger Meinung steigern PDE-Inhibitoren nicht die Libido. Die Libido wird durch AR-Agonisten erhöht (7 Kap. 24).
9.4
sGC-Stimulatoren
Probleme in der Daueranwendung von NO- Donatoren (7 Abschn. 1.2) waren Anlass zur Entwicklung von Arzneistoffen, die die sGC auch bei langfristiger Anwendung stimulieren. sGC-Stimulatoren (Prototyp Riociguat) binden allosterisch an die sGC und potenzieren NO-Wirkungen. Riociguat steht als Alternative zu Sildenafil zur Behandlung der PAH zur Verfügung. Potenzielle klinische Anwendungen der sGC-Stimulatoren umfassen Hypertonie, periphere arterielle Verschlusserkrankung (PAVK), CHF, diabetische Mikro- und Makroangiopathie,
144
Kapitel 9 · Pharmakologie des NO-cGMP-Systems
Raynaud-Syndrom sowie PDE5-Inhibitorresistente ED. UAW von sGC-Stimulatoren sind ähnlich wie die der NO-Donatoren und PDE5-Inhibitoren. >>Die klinische Entwicklung der sGC- Inhibitoren ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie eine molekulare Zielstruktur unterschiedlichen Indikationen zugeordnet wird. Hier findet das Repurposing von Anfang an statt (7 Kap. 1).
Fallbeispiel
9
Ein 59-jähriger übergewichtiger Patient mit KHK und Typ-2-Diabetes kommt zu Ihnen in die urologische Praxis. Er sei von seiner Ehefrau geschickt worden, um sich Sildenafil verschreiben zu lassen. Im Bett laufe es nicht mehr so gut und beim Sex bekäme er auch regelmäßig Angina-pectoris-Beschwerden.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche pharmakotherapeutischen Maßnahmen sind besonders gut dazu geeignet, die KHK und den Diabetes zu behandeln? 2. Wie beraten Sie den Patienten, wenn Sie ihm Sildenafil verschreiben? Lösungen 7 Kap. 37
145
Schmerzpharmakologie Inhaltsverzeichnis
10.1
Pathophysiologie des Schmerzes – 146
10.2
Pharmakologische Ansatzpunkte zur Schmerztherapie – 148
10.3
COX-Inhibitoren – 154
10.4
p-Aminophenole und Pyrazolone – 157
10.5
MOR-Agonisten – 159
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_10
10
146
10
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
Schmerzen sind unangenehme Empfindungen, die höchste therapeutische Priorität besitzen. Eine Analgesie kann durch eine Vielzahl von Arzneistoffgruppen mit ganz unterschiedlichen Wirkmechanismen erzielt werden und ist abhängig von der Schmerzursache. Die COX-Inhibitoren Ibuprofen und Diclofenac wirken antipyretisch, analgetisch und antiinflammatorisch. Letztere Wirkkomponente fehlt dem p-Aminophenol Paracetamol und dem Pyrazolon Metamizol. MOR-Agonisten können entsprechend ihrer maximalen Wirkstärke in schwach wirksame MOR-Agonisten (Beispiel Tramadol), mittelstark wirkende MOR-Agonisten (Beispiel Buprenorphin) und stark wirksame MOR-Agonisten (Beispiele Morphin und Fentanyl) unterteilt werden. Außerdem werden CCB, SCB, allosterische NMDAR- Modulatoren, α2AR-Agonisten, Benzodiazepine, NE/5-HTVerstärker, mGPCR-Antagonisten, Bisphosponate and RANKL-Inhibitoren in der Schmerztherapie eingesetzt. Die verschiedenen Arzneistoffgruppen haben unterschiedliche UAW-Profile. Dies erleichtert die Kombination von verschiedenen Arzneistoffen bei Patienten mit schweren Schmerzen.
Merksätze 55 COX-Inhibitoren (Ibuprofen und Diclofenac) wirken analgetisch, antipyretisch und antiinflammatorisch. 55 COX-Inhibitoren können PUD, CKD, COX-Inhibitor-Asthma, Hypertonie und Wehenhemmung verursachen. 55 Paracetamol wirkt zentral analgetisch und antipyretisch und in Überdosierung hepatotoxisch. 55 Metamizol hat eine größere analgetische und antipyretische Maximalwirkung als Paracetamol sowie eine relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur und kann sehr selten Agranulozytose und bei i.v.-Injektion einen anaphylaktischen Schock auslösen. 55 Für die Anwendung von MOR-Agonisten ist die maximale Wirkstärke entschei-
55
55
55
55 55
55
dend; nicht die im Klinikalltag immer wieder betonte Potenz. MOR-Agonisten rufen Obstipation hervor, die den Einsatz wasserbindender Arzneistoffe erforderlich macht. Durch MOR-Agonisten bedingte Übelkeit und Erbrechen kann mit MCP behandelt werden. MOR-Agonisten verursachen einen BDAbfall und einen reduzierten Muskeltonus, was in Kombination mit Benzodia zepinen zu schweren Stürzen führen kann. Die gefährlichste UAW der MOR-Agonisten ist die Atemdepression. Die Atemdepression durch MOR-Agonisten kann rasch durch den Antagonisten Naloxon aufgehoben werden, der allerdings nur eine kurze Wirkdauer besitzt. Risikofaktoren für MOR-Agonist-Missbrauch sind unklare Diagnosen, Missbrauch von anderen suchtauslösenden Wirkstoffen sowie psychiatrische Erkrankungen.
10.1 Pathophysiologie des
Schmerzes
Schmerz ist eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit Gewebeschädigung oder Nervenschädigung (Neuropathie) einhergeht. Schmerz hat höchste therapeutische Priorität. . Abb. 10.1 gibt eine Übersicht über Schmerzursachen, Schmerzleitung und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Die Abbildung zeigt auch einige wichtige UAW wichtiger Arzneistoffgruppen bzw. einzelner Arzneistoffe sowie Maßnahmen zur Vermeidung von Problemen bei deren Anwendung. Eine Vielzahl von Noxen, darunter Hitze, Kälte, Gifte und Entzündungsmediatoren, können über spezifische Rezeptoren schmerzleitende Neurone aktivieren. Eine besondere pharmakologische Bedeutung kommt dabei dem PGE2 zu, welches über den EPR-Gs-AC-Weg die Öffnungswahrscheinlichkeit depolarisierend wirkender
10
147 10.1 · Pathophysiologie des Schmerzes
NODonatoren
MxRAntagonisten
(MOR-Agonisten) CB1R-Agonisten
Muskelspasmen
5-HT1B/DRAgonisten
GCR-Agonisten
Metamizol
Nozizeptoren
Va sodilatation
PGE2
PLA2
AA
COX Phosphatidylcholin
Knochenmetastasen CCB SCB
Bisphosphonate RANKLInhibitoren
COX-Inhibitoren • Asthma • Hypertonie • Natriumretention • Wasserretention • Wehenhemmung • PUD
Afferentes Neuron
Rückenmark
Ketamin
α2AR-Agonisten
Haloether Stickoxide Paracetamol • Hepatotoxizität (>8-10g)
Acetylcystein
Metamizol • Schock Epinephrin bei schneller i.v.-Injektion G-CSF • Agranulozytose
Gehirn
CCB
PPI
MOR-Agonisten • Atemdepression • Obstipation • Miosis • Hypothermie • Harnverhalt
Benzodiazepine • Atemdepression • muskuläre Hypotonie NSMR I SSNRI
MOR-Agonisten Paracetamol Metamizol
SCB mGPCR-Antagonisten
Blutbild-Kontrolle
.. Abb. 10.1 Schmerzentstehung und Schmerzleitung und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten sowie UAW ausgewählter Arzneistoffe/Arzneistoffgruppen
spannungsabhängiger Natriumkanäle erhöht und damit die Schmerzempfindung potenziert. Der Vielzahl schmerzauslösender Mechanismen steht ein pharmakologisch wichtiger antagonistischer Signalweg gegenüber: MOR vermitteln über Gi/Go-Proteine die Aktivierung von Kaliumkanälen und die Hemmung von Calciumkanälen und bewirken darüber die Hyperpolarisation schmerzleitender Neuronen. . Tab. 10.1 gibt eine Übersicht über die Funktion und Pharmakologie des MOR. Die Schmerzweiterleitung erfolgt über afferente Neurone.
>>Stark myelinisierte Aδ-Neurone leiten schnell und vermitteln scharfe Schmerzsensationen; dünn myelinisierte C-Fasern leiten langsam und vermitteln dumpfe Schmerzempfindungen (7 Kap. 26).
Das erste afferente Neuron wird im Hinterhorn des Rückenmarkes auf das zweite afferente Neuron umgeschaltet, das auf der kontralateralen Seite als Tractus spinothalamicus in den Thalamus zieht. Dort erfolgt die Umschaltung auf ein drittes afferentes Neuron, das zum sensorischen Kortex projiziert und die exakte Schmerzlokalisation und Wahrnehmung ermöglicht. Es gibt zusätzliche Bahnen, die die Schmerzempfindung vom Rückenmark in die rostroventrale Medulla, das limbische System und das zentrale Höhlengrau senden. In diesen Gehirnarealen erfolgt die subjektive Schmerzbewertung und es kommt zur Auslösung vegetativer und emotionaler Begleitreaktionen (7 Kap. 5 und 25), die man pharmakologisch beeinflussen kann. Wichtige Neurotransmitter für die Schmerzweiterleitung sind Substanz P, die über NK1R den Gq
148
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
.. Tab. 10.1 Funktion und Pharmakologie des MOR
10
Parameter
μ (MOR)
Rezeptorklasse
GPCR
Endogene Liganden
Enkephalin, β-Endorphin
G-Protein-Kopplung
Gi/Go
Effektorkopplung
AC↓; Calciumkanäle ↓; Kaliumkanäle ↑
Funktionelle Konsequenz in den Neuronen
Hyperpolarisation und verminderte Freisetzung exzitatorischer (schmerzleitender) Neurotransmitter
Wichtige Rezeptorlokalisationen
Periphere sensorische Neurone, Rückenmark (Substantia gelatinosa), Gehirn (Hirnstamm, Thalamus, Cortex)
Besonders wichtige Funktionen
Periphere, spinale und supraspinale Analgesie; antitussive Wirkung, Abhängigkeit, Atemdepression, Miosis, Euphorie, Dysphorie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Bradykardie, Hypotonie, reduzierter Tonus der Skelettmuskulatur.
Volle Agonisten
Morphin, Methadon, Fentanyl, Remifentanil
Mittelstarke partielle Agonisten
Buprenorphin (geringere Maximalwirkung als volle Agonisten)
Schwache partielle Agonisten
Tramadol (geringere Maximalwirkung als Buprenorphin außerdem Wirkungen, die unabhängig von MOR sind)
Antagonisten
Naloxon
PLC-Weg aktiviert, sowie Glutamat, das den NMDAR aktiviert und über eine Erhöhung der Natriumleitfähigkeit die Depolarisation von Neuronen auslöst (7 Kap. 25). Der MOR moduliert die Schmerzweiterleitung, indem er durch überwiegend präsynaptische Lokalisation (in Analogie zu α2AR an der noradrenergen Synapse, 7 Kap. 5), die Depolarisation und damit die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter hemmt. Schmerzen können auch durch andere pathophysiologische Prozesse ausgelöst werden. Dazu gehören der durch O2-Mangel hervorgerufene Vernichtungsschmerz bei MI (7 Kap. 16), die durch Dilatation der Meningealarterien verursachte Migräne (7 Kap. 6), durch Kontraktion glatter Muskelzellen hervorgerufene Koliken (7 Kap. 5, 9 und 23)
sowie durch Knochenmetastasen ausgelöster Schmerz (7 Kap. 20). Durch bisher nur unvollständig verstandene funktionelle Veränderungen im Gehirn können allerschwerste anfallsartige Schmerzen hervorgerufen werden, die sich als Trigeminusneuralgie oder Clusterkopfschmerz manifestieren.
10.2 Pharmakologische
Ansatzpunkte zur Schmerztherapie
Es gibt multiple pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten zur Therapie von Schmerzen, die sich nach der jeweiligen Schmerzform richten. Daher ist vor jeder Therapie eine möglichst exakte Diagnose erforderlich.
10
149 10.2 · Pharmakologische Ansatzpunkte zur Schmerztherapie
Schmerzen werden mit analgetisch wirkenden Arzneistoffen behandelt. Der Begriff „Analgetika“ sollte vermieden werden, da er nicht ausreichend abbildet, dass diese Arzneistoffe auch andere Wirkkomponenten besitzen, die nichts mit mit einer Analgesie zu tun haben (Beipiel Metamizol, das auch relaxierend auf die glatte Muskulatur wirkt). Der Begriff analgetisch wirkender (oder analgetischer) Arzneistoff ist neutraler. >>Traditionell werden analgetisch wirkende Arzneistoffe in „Opioidanalgetika“ und „NichtOpioid-Analgetika“ unterteilt. Diese Unterteilung ist unbefriedigend und irreführend.
Die Gruppe der „Nicht-Opioid-Analgetika“ beinhaltet Arzneistoffe mit ganz unterschiedlichen Wirkmechanismen und UAW. Arzneistoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen können miteinander kombiniert werden. Diese Möglichkeit wird nicht ausreichend wahrgenommen, wenn man COX-Inhibitoren, Pyrazolone und p-Amino phenole in einen Topf wirft. Schmerzen sind subjektiv. Um die Stärke der Schmerzen abschätzen zu können und danach die erforderliche Schmerztherapie auszuwählen, wurde eine Schmerzskala von 0 bis 10 (keine Schmerzen → stärkste vorstellbare Schmerzen) entwickelt. Zu den stärksten vorstellbaren Schmerzen gehören Trigeminusneuralgie, Clusterkopfschmerz und Vernichtungsschmerz beim MI (7 Kap. 16). . Abb. 10.1 zeigt die wichtigsten pharmakologischen Angriffspunkte zur Schmerztherapie. Die Schmerztherapie umfasst COX-Inhibitoren, das p-Aminophenol Paracetamol und das Pyrazolon Metamizol (7 Abschn. 10.3), MOR-Agonisten (7 Abschn. 10.5) sowie eine Vielzahl weiterer Arzneistoffgruppen. . Tab. 10.2. gibt eine Übersicht über ausgewählte COX-Inhibitoren, Paracetamol, Metamizol und MOR-Agonisten.
>>Außer den COX-Inhibitoren, Paracetamol, Metamizol und MOR- Agonisten werden zahlreiche weitere schmerzmodulierende Arzneistoffgruppen in der Schmerztherapie eingesetzt.
Dazu gehören u. a. CCB, SCB und allosterische NMDAR-Modulatoren (7 Kap. 25), α2AR-Agonisten (7 Kap. 5), Benzodiazepine (7 Kap. 25), NE/5-HT-Verstärker (7 Kap. 28), mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29), Bisphosponate und RANKL-Inhibitoren (7 Kap. 20). Akute Schmerzen (z. B. Zahn- und Kopfschmerzen, postoperative Schmerzen, Lumbalgie, posttraumatische Schmerzen) sind einer Pharmakotherapie gut zugänglich. Chronische Schmerzen erfordern meist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die neben pharmakotherapeutischen auch physio- und psychotherapeutische sowie chirurgische Ansätze beinhaltet. Wichtige chronische Schmerzformen sind Tumorschmerzen und neuropathische Schmerzen. Entsprechend dem WHO-Stufenplan zur Schmerztherapie werden in der Stufe 1 zunächst COX-Inhibitoren, Paracetamol oder Metamizol ± schmerzmodulierende Arzneistoffgruppen eingesetzt. In der Stufe 2 erfolgt der Einsatz von schwach wirksamen MOR-Agonisten ± COX-Inhibitoren, Paracetamol oder Metamizol ± schmerzmodulierenden Arzneistoffgruppen (z. B. SSRI, NSMRI, mGPCR- Antagonisten). In der Stufe 3 werden dann stärker wirksame MOR-Agonisten eingesetzt. . Abb. 10.2 verdeutlicht die Unterschiede zwischen verschiedenen MOR-Agonisten hinsichtlich ihrer Potenz und der klinisch viel wichtigeren maximalen Wirkstärke (7 Kap. 1).
>>Neuropathische Schmerzen sind einer Therapie mit COX-Inhibitoren, Paracetamol, Metamizol und MOR- Agonisten kaum zugänglich. Hier finden SSRI, NSMRI, mGPCR- Antagonisten, SCB und CCB Anwendung.
Die PGE2-Synthese erfolgt im entzündeten und verletzten Gewebe über COX-2. Da COX-2-Inhibitoren schwere kardiovaskuläre Probleme (Thrombosen, 7 Kap. 18) verursachen, spielen sie in der Schmerztherapie nur eine untergeordnete Rolle. Nach wie vor wer
10
Arzneistoffgruppe
Wichtige Wirkungen
COX-Inhibitor
COX-Inhibitor
Pyrazolon
Diclofenac
Ibuprofen
Metamizol
Nicht geklärter Wirkmechanismus; Hypothesen: Vorwiegend ZNS-Wirkung, Blockade von TRPA1-Kanälen (zentraler chemischer Nozizeptor), Kaliumkanal-Blockade, Modulation sertonerger und opioiderger Synapsen. UAW-Spektrum spricht gegen COX-Hemmung. Stärkere analgetische und antipyretische Maximalwirkung als Paracetamol, zusätzlich relaxierende Wirkung auf glatte Muskulatur, aber keine anti inflammatorische Wirkung
Hemmung von COX-1 und COX-2; wirkt analgetisch, antipyretisch, antiinflammatorisch; gute Steuerbarkeit
Hemmung von COX-1 und COX-2; wirkt analgetisch, antipyretisch, antiinflammatorisch
Verschiedene Arzneistoffgruppen („Nicht-Opioid-Analgetika“)
Arzneistoff
Starke Schmerzen nach Operationen und Koliken; Schmerzen, die nicht auf Paracetamol ansprechen; Tumorschmerzen; wegen des unterschiedlichen Wirkmechanismus Kombination mit COX-Inhibitoren möglich
Schmerzen mit entzündlicher Komponente (z. B. Zahnschmerzen, Sportverletzungen, Exazerbationen bei degenerativen Gelenkerkrankungen oder rheumatischen Erkrankungen, Gichtarthritis, Migräne, Lumbalgie)
Ähnlich wie Ibuprofen; Unterschiede in individueller Wirkung und Verträglichkeit
Wichtige Indikationen
.. Tab. 10.2 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe für die Therapie von Schmerzen
Keine der typischen UAW von COX-Inhibitoren, kaum Risiko für PUD und Hypertonie, keine ausgeprägte Hepatotoxizität; aber: Risiko für Agranulozytose (ca. 1:1.000.000); daher bei Langzeittherapie regelmäßige Blutbildkontrollen. Bei i.v.-Gabe Gefahr des anaphylaktischen Schocks (< 0,1 %); Müdigkeit, Angst, Depression
PUD, COX-Inhibitor Asthma, Natrium- und Wasserretention, Hypertonie, Wehenhemmung
Ähnlich wie Ibuprofen; Unterschiede in individueller Wirkung und Verträglichkeit
Wichtige UAW
7 Kap. 3, 4, 6, 23, 31
7 Kap. 2, 3, 6, 7, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 23, 31
7 Kap. 2, 3, 6, 7, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 23, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
150 Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
Cyclohexanol- Derivat
Tramadol
Buprenorphin
MOR-Agonist
MOR-Agonisten („Opioidanalgetika“)
p-Aminophenol
Paracetamol
Partieller MOR-Agonist; Analgesie für ca. 6–8 Stunden; stärkere Maximalwirkung als Tramadol, aber geringere Maximalwirkung als Morphin (Ceiling-Effekt)
Unbekannter Mechanismus. Hypothesen: Schwacher partieller Agonismus am MOR, Blockade der 5-HT-Wiederaufnahme, Antagonismus an verschiedenen Neurotransmitterrezeptoren. Wirkt analgetisch; nicht antipyretisch und nicht antiinflammatorisch
Unbekannter Mechanismus. Hypothesen: Vorwiegend ZNS-Wirkung, Beeinflussung von Vanilloidrezeptoren und CB1R, Modulation serotonerger Synapsen. UAW-Spektrum spricht gegen COX-Hemmung. Wirkt analgetisch und antipyretisch; nicht antiinflammatorisch.
Stärkere Schmerzen, die durch Tramadol nicht ausreichend beherrscht werden, aber noch nicht den Einsatz von vollen MOR-Agonisten wie Morphin oder Fentanyl erfordern
Schwache bis mäßige Schmerzen; häufig Kombination mit Paracetamol
Leichte-mittelschwere Schmerzen, wenn Entzündung nicht im Vordergrund steht (Kopfschmerzen, Migräne, Menstruationsschmerzen), häufig Kombination mit schwach wirksamen MOR-Agonisten und COX-Inhibitoren
Geringe Obstipation und Atemdepression bei transdermalen Systemen
Gefahr des Serotoninsyndroms; Metabolismus über CYP3A4 und CYP2D6; daher Potential für Arzneistoffinteraktionen; Halluzinationen, Krampfanfälle, Müdigkeit, Übelkeit, Verstopfung, Juckreiz, Atemnot, Schluckstörungen
Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gute Verträglichkeit; keine der typischen UAW von COX-Inhibitoren. Hauptgefahr ist die Leberschädigung, wenn Tagesdosierungen von > 8–10 g/Tag beim Erwachsenen eingenommen werden (therapeutische Tagesdosierung beim Erwachsenen bis 4 g).
(Fortsetzung)
7 Kap. 1, 4, 31
7 Kap. 2, 6, 31
7 Kap. 4, 6
10.2 · Pharmakologische Ansatzpunkte zur Schmerztherapie 151
10
MOR-Agonist
MOR-Agonist
MOR-Agonist
Fentanyl
Morphin
Remifentanil
100- bis 200-fach potenterer MOR-Agonist als Morphin mit vergleichbarer maximaler Wirkstärke. Starke Analgesie und Sedation, sehr kurze Wirkdauer
Potenter voller MOR-Agonist; starke Analgesie für 4 Stunden nach p.o.-Gabe (Retardformen 8–12 Stunden); Referenzarzneistoff für die Einordnung aller MOR-Agonisten; Sedation, hypnotisch-anxiolytische und antitussive Wirkung
120-fach potenterer MOR-Agonist als Morphin mit vergleichbarer maximaler Wirkstärke; starke Analgesie und Sedation. Wegen hoher Lipophilie wird die BHS rasch penetriert, daher rascher Wirkungseintritt.
Wichtige Wirkungen
Anwendung in der Anästhesie in Kombination mit anderen Arzneistoffen zur TIVA, wegen extrem kurzer HWZ sehr gute Steuerbarkeit (Dauerinfusion)
Stärkste Schmerzen (z. B. bei MI, Tumoren), die auf Partialagonisten wie Buprenorphin nicht mehr ansprechen; Buprenorphin antagonisiert/ verringert den Effekt von Morphin
Anwendung in der Anästhesie (in Kombination mit Midazolam), transdermale Systeme mit langsamer Arzneistoffabgabe zur Behandlung starker chronischer Schmerzen; Lutschbonbons und Sublingualtabletten für rasche Wirkung bei starken Schmerzen
Wictige Indikationen
Atemdepression, Hypotonie, Bradykardie, Benommenheit, Übelkeit, HA-Freisetzung; wegen der sehr kurzen HWZ dauern UAW auch nur kurz an
Zunächst emetische Wirkung, die dann in eine antiemetische Wirkung umschlägt, Dysphorie oder Euphorie (vor allem bei rascher i.v.-Injektion), Atemdepression, Miosis, Hypotonie, Bradykardie, spastische Obstipation, Harnverhalt, HA-Freisetzung bei i.v.-Gabe mit Zeichen des anaphylaktischen Schocks
Weniger Übelkeit als Morphin, keine HA-Freisetzung; ansonsten typische Morphin-UAW, stärkere Atemdepression (Wooden Chest durch Umverteilung), aktuelles Problem ist der Missbrauch von Fentanylpflastern durch MOR-Agonist-Abhängige
Wichtige UAW
7 Kap. 1, 27
7 Kap. 1, 2, 3, 4, 7, 12, 13, 16, 31
7 Kap. 1, 27, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Bei bestimmten Schmerzformen wirken auch andere Arzneistoffgruppen analgetisch bzw. schmerzmodulierend. MxR-Antagonisten und α2AR-Agonisten werden in 7 Kap. 5 behandelt, 5-HT1B/DR-Agonisten in 7 Kap. 6, NO-Donatoren in 7 Kap. 9, Bisphosphonate und RANKL-Inhibitoren in 7 Kap. 20, allosterische NMDAR-Modulatoren, CCB, SCB und Benzodiazepine in 7 Kap. 25, SCB mit lokalanästhetischer Wirkung in 7 Kap. 26, Haloether, Stickoxide sowie Arzneistoffe für die Injektionsnarkose in 7 Kap. 27, NE/5-HT-Verstärker in 7 Kap. 28 und mGPCR-Antagonisten in 7 Kap. 29. Bitte beachten, dass in der Sortierung dieser Tabelle Tramadol entgegen der Tradition nicht den MOR-Agonisten zugeordnet ist. In der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste ist Tramadol dem System „unbekannt“ zugeordnet. (siehe Serviceteil)
Arzneistoffgruppe
10
Arzneistoff
.. Tab. 10.2 (Fortsetzung)
152 Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
10
153 10.2 · Pharmakologische Ansatzpunkte zur Schmerztherapie
100 %
Analgetische Wirkung
Remifentanil
Morphin (voller Agonismus)
Ceiling-Effekt (mittelstarker Partialagonismus) 50 %
Buprenorphin + Morphin in fixer Dosis Ceiling-Effekt (schwacher Partialagonismus)
Buprenorphin Tramadol
Naloxon + Morphin in fixer Dosis
0%
(bei Atemdepression)
EC50 EC50
EC50
EC50
log Konzentration Arzneistoff .. Abb. 10.2 Vergleich der analgetischen Wirkung von MOR-Agonisten am MOR. Partielle und volle Agonisten. Siehe auch . Abb. 1.4 und 1.5. Die Klassifikation von Tramadol als schwacher partieller MOR- Agonist ist ambivalent. Siehe auch Klassifikation der Arzneistoffe mit analgetischer Wirkung in . Tab. 10.2 sowie NKLM/IMPP-Arzneistoffliste (Serviceteil) zur Einordnung von Tramadol
den in der Schmerztherapie vor allem nicht-selektive COX-Inhibitoren eingesetzt (COX-1und COX-2-Hemmung). GCR-Agonisten wirken antiinflammatorisch, indem sie die AA-Bereitstellung hemmen. Dies wird z. B. bei Nervendekompression genutzt. MOR-Agonisten wirken vor allem über eine Hemmung der Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter analgetisch. Über den MOR werden periphere, spinale und supraspinale Analgesie sowie auch UAW vermittelt. Über viele Jahrzehnte wurden MOR-Agonisten in Deutschland in der Tumorschmerztherapie wegen der bei dieser Indikation überschätzten Gefahr der Abhängigkeit und Euphorie zu zurückhaltend verschrieben. Diese Gefahr ist vor allem dann sehr groß, wenn MOR-Agonisten i.v. injiziert werden und im ZNS rasch anfluten, wie es bei einer Heroininjektion der Fall ist (7 Kap. 2). In der Tumorschmerztherapie werden MOR-Agonisten jedoch meist p.o. oder kontinuierlich in Form von transdermalen Systemen oder s.c.- bzw. i.v.-Infusionen appliziert. Bei diesen Applikationsformen
ist das Risiko von psychischer Abhängigkeit und Euphorie gering. Die größte Gefahr bei Überdosierung ist eine Atemdepression. SSRI, NSMRI, mGPCR-Antagonisten, SCB und CCB haben eine zunehmende Bedeutung in der Schmerztherapie g ewonnen (7 Kap. 25, 28 und 29). Sie werden mit Erfolg in der Therapie von verschiedenen Formen neuropathischer Schmerzen (z. B. Trigeminusneuralgie, Phantomschmerz) oder Tumorschmerzen eingesetzt. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt, aber diese Arzneistoffe führen auch dazu, dass der Schmerz subjektiv nicht mehr als so quälend empfunden wird. Es kommt zu innerlicher Distanzierung vom Schmerz. Die o. g. Arzneistoffgruppen können auch miteinander kombiniert werden. Bisphosphonate und RANKL-Inhibitoren finden vor allem in der Therapie von Schmerzen durch Knochenmetastasen Anwendung (7 Kap. 20 und 31), 5-HT1B/DR- Agonisten bei Migräne (7 Kap. 6). MxR- Antagonisten (7 Kap. 5), NO-Donatoren (7 Kap. 9) und Metamizol werden vor allem
154
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
bei Koliken verwendet. Botulinum-Neurotoxin, das die ACh-Freisetzung in der neuromuskulären Endplatte hemmt (7 Kap. 5), kann bei muskulären Dystonien und Spastizität (z. B. nach Schlaganfall) eingesetzt werden. Der partielle CB1R-Agonist Dronabinol wirkt günstig auf schmerzhafte Spasmen bei multipler Sklerose. Allerdings ist die Qualität vieler klinischer Studien zum Einsatz von Dronabinol sehr mangelhaft. Es besteht eine auffallende Diskrepanz zwischen den Erwartungen an CB1R-Agonisten und der klinischen Realität. Die aktuelle Euphorie in der Öffentlichkeit über das therapeutische Potential von CB1R-Agonisten, insbesondere in der Schmerztherapie, ist aus pharmakologischer Sicht nicht nachvollziehbar.
>>Das Abhängigkeitspotential von CB1R- Agonisten wird oft verharmlost!
10
Es besteht die Gefahr, dass CB1R-Agonisten verstärkt missbraucht werden und damit der Weg in eine weitergehende Drogenabhängigkeit (z. B. MOR-Agonisten, direkte Sympathomimetika) geebnet wird. Außerdem begünstigen CB1R-Agonisten die Entstehung einer bipolaren Störung (7 Kap. 28) und Schizophrenie (7 Kap. 29), gerade bei Jugendlichen. Deshalb wird vor dem unkritischen Konsum von CB1R-Agonisten dringend gewarnt. Ketamin wirkt als NMDAR-Antagonist (7 Kap. 27) und findet bei akuten Schmerzzuständen und in der Tumorschmerztherapie Anwendung. α2AR-Agonisten hemmen einerseits wie MOR-Agonisten die Frei setzung exzitatorischer Neurotransmitter in der Schmerzbahn und andererseits zugleich den Sympathikus (7 Kap. 5). Diese Wirkungen können in der Therapie postoperativer Schmerzen und von Tumorschmerzen ausgenutzt werden. Die sedative Wirkung der α2AR-Agonisten wirkt unterstützend. Die sedierende, muskelrelaxierende und anxiolytische Wirkung der Benzodiazepine kann in der Therapie des Vernichtungsschmerzes beim MI (7 Kap. 16) und in der Tumorschmerztherapie genutzt werden. Zu beach-
ten ist das erhöhte Atemdepressionsrisiko bei der Kombination von Benzodiazepinen mit MOR-Agonisten. Lokalisierte Schmerzen können auch mit langwirkenden SCB mit lokalanästhetischer Wirkung behandelt werden (7 Kap. 26), O2 sowie der vornehmlich bei tachkarden Arrhythmien eingesetzte CCB Verapamil (7 Kap. 17) haben bei bestimmten Schmerzformen analgetische Wirkung. Jeder analgetische Arzneistoff besitzt spezifische UAW, woraus sich Kontraindikationen ergeben. Aus den Unterschieden der UAW und Kontraindikationen ergibt sich in den allermeisten Fällen die Möglichkeit, für den Patienten eine wirksame und gut verträgliche Schmerztherapie zusammenzustellen.
>>Eine effektive Schmerztherapie erfordert enge Zusammenarbeit mit dem Patienten und Adhärenz.
Um das Ziel zu erreichen, muss der Arzt dem Patienten erläutern, 1. welchen Arzneistoff er einnimmt, 2. wann er ihn einnimmt, 3. wie er ihn einnimmt, 4. warum er ihn einnimmt, 5. wie lange er ihn einnimmt und 6. welche UAW zu erwarten sind (6W-Regel).
10.3 COX-Inhibitoren
Diese Arzneisoffgruppe ist für leichte bis mittelschwere Schmerzen geeignet. Die COX-Inhibitoren werden in die nicht- selektiven COX-Inhibitoren (Prototypen Ibuprofen und Diclofenac) sowie die COX- 2-Inhibtoren (Prototyp Etoricoxib) unterteilt. COX-Inhibitoren wirken nicht nur analgetisch, sondern auch antipyretisch und antiinflammatorisch. >>Traditionell werden die nicht- selektiven COX-Inhibitoren auch mit dem Namen „nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)“ belegt. Dieser Begriff ist hochproblematisch.
Einer der Gründe ist, dass es nicht eindeutig definiert ist, ob „NSAR“ auch die neueren COX-2-Inhibitoren beinhalten, die teilweise ähnliche Indikationen wie die COX-Inhi-
155 10.3 · COX-Inhibitoren
bitoren besitzen. Da sich die COX-2-Inhibitoren hinsichtlich der UAW jedoch sehr von den nicht-selektiven COX-Inhibitoren unterscheiden, stiftet der Begriff NSAR Verwirrung. „Nicht-steroidal“ suggeriert weniger UAW als „Steroide“ (GCR-Agonisten, 7 Kap. 11) und „Antirheumatika“ problemlose Langzeitanwendung bei rheumatischen Erkrankungen. All das trifft nicht zu.
10
zu CKD (7 Kap. 12) und Hypertonie (7 Kap. 15) kommen. Ein Frühzeichen ist eine anderweitig nicht erklärbare Gewichtszunahme. Außerdem können PUD und GI- Blutungen auftreten (7 Kap. 7), die durch die gleichzeitige Gabe von PPI verhindert werden können (7 Kap. 13). Bei ca. 15 % aller Patienten mit Typ-I-Allergie kann ein COX-Inhibitor-Asthma auftreten, das >>Wenig hilfreich ist auch der traditiodurch die vermehrte LT-Biosynthese ernelle Begriff der „sauren Nicht-Opioidklärt wird (7 Kap. 3, 7 und 14). Da COX- Analgetika“ für die COX-Inhibitoren, da Inhibitoren auch die Synthese des für die er keine mechanistische Information enthält und häufig nicht klar ist, inwiefern Uteruskontraktion wichtigen PGF2α hemdieser Begriff mit den „NSAR“ deckungsmen, kann bei Schwangeren die Geburt vergleich ist. zögert werden. Aus diesen UAW ergibt sich, Die antiinflammatorische Wirkung der dass COX-Inhibitoren bei Patienten mit COX-Inhibitoren kann vor allem kurzfristig CKD, Hypertonie, CHF, PUD und Asthma genutzt werden, wenn Schmerzen mit einer sowie kurz vor der Geburt möglichst nicht entzündlichen Komponente (z. B. Sport- eingesetzt werden sollten. In diesen Situatioverletzungen, Arthrosen und rheumatische nen sind andere, analgetische Arzneistoffe Erkrankungen) vorliegen. COX-Inhibito- z. B. Paracetamol und Metamizol (s. u.) soren eignen sich für die Therapie akuter und wie MOR-Agonisten (7 Abschn. 10.4), bespassagerer Schmerzen wie Spannungskopf- ser geeignet. Eine Daueranwendung von COX-Inhischmerz, Lumbalgie, Migräne (7 Kap. 6), bitoren (> zwei Wochen) muss unbedingt akuter Gichtanfall (7 Kap. 23), Zahnvermieden werden, da sie nur symptomaschmerzen, Menstruationsschmerzen und tisch wirken und das UAW-Risiko steigt. postoperative Schmerzen. Auch für die Stattdessen muss eine kausale Therapie Kurzzeittherapie, nicht jedoch Langzeittheerfolgen, die je nach Ursache der Schmerrapie, chronischer Schmerzen bei Arthrosen zen sehr unterschiedlich sein kann. Bei Arund rheumatischen Erkrankungen können throsen kommt ein Gelenkersatz infrage, COX-Inhibitoren unter UAW-Beachtung bei Autoimmunerkrankungen wie rheumaeingesetzt werden. toider Arthritis, Psoriasis oder M. Crohn >>COX-Inhibitoren eignen sich ausschließeine spezifische Immuntherapie, die antilich für die Kurzzeittherapie akuter und inflammatorisch und damit indirekt auch chronischer Schmerzen! Alles andere stellt analgetisch wirkt (7 Kap. 11). Dabei ereinen schweren Kunstfehler dar. gänzen sich Pharmakotherapie und Phy>>Der Missbrauch von COX-Inhibitoren als siotherapie. „Fitmacher“ bei Profi- und FreizeitsportDie kurzfristige Pharmakotherapie von lern stellt ein immenses Problem dar. Schmerzen im Bewegungsapparat mit COX- Viele UAW der nicht-selektiven COX- Inhibitoren erhöht durch die analgetische Inhibitoren lassen sich dadurch erklären, (und antiinflammatorische) Wirkung die Bedass sie die PG-Synthese im gesamten weglichkeit, was die Physiotherapie erleichKörper hemmen. Da PG wichtige homöo- tert. Dadurch wiederum werden schmerzhafte statische Funktionen besitzen, kommt Fehlstellungen und Bewegungseinschränkunes bei deren Wegfall zu entsprechenden gen vermieden, was langfristig den ArzneimitUAW. Bei längerfristiger Gabe kann es telkonsum reduziert.
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
156
>>Dem langfristigen Konsum von COX-Inhibitoren bei „rheumatischen Beschwerden“, der immer noch sehr verbreitet ist, muss entschieden entgegengetreten werden. >>Entgegen Gerüchten in Social Media und Stellungnahmen einiger Politiker gibt es keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Ibuprofen bei COVID-19 schädliche Wirkungen auf den Verlauf der Krankheit hat (7 Kap. 33).
Ibuprofen ist ein reversibler COX-Inhibitor. Es gibt ihn in zahlreichen Darreichungsformen (z. B. Tabletten, Säfte, Suppositorien). Ibuprofen wird in Dosen von 400–600 mg alle 6–8 Stunden gegeben. Seine Wirkung ist gut steuerbar und es hat im Gegensatz zu ASS (7 Kap. 18) wegen des reversiblen Wirkmechanismus keinen langfristigen Effekt auf die Thrombozytenaggregation. Nach p.o.-Gabe wird Ibuprofen vollständig resorbiert. Es wird in der Leber inaktiviert und die inaktiven Metaboliten werden zu 90 % renal eliminiert. Bei Leberinsuffizienz und CKD muss die Dosis reduziert werden. Ibuprofen ist ein chiraler Arzneistoff; nur das (S)-Enantiomer wirkt analgetisch. Die Eliminations-HWZ ist mit 2 Stunden kurz. Das ist auch der Grund für die gute Steuerbarkeit der Wirkung, was gerade bei akuten Schmerzen von Vorteil ist. Diclofenac besitzt einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Ibuprofen und das typische Indikationsspektrum von COX-Inhibitoren. Diclofenac kann p.o., in Form von Suppositorien und in Form von Gels und Sprays appliziert werden, wenn lokalisierte oberflächliche Schmerzen mit entzündlicher Komponente vorliegen. Beispiel dafür sind Schmerzen im Bereich der Fingergelenke oder des Knöchels. Durch kleinflächige lokale Anwendung lassen sich systemische UAW weitgehend vermeiden. Diclofenac wird nach p.o.-Gabe vollständig resorbiert und in der Leber inaktiviert. Die inaktiven Metabolite werden zu 70 % renal eliminiert. Die Elimination erfolgt mit einer HWZ von 2 Stunden, woraus sich die gute Steuerbarkeit erklärt. Das erhöhte Risiko für thromboembolische Komplikation bei Diclofenac
10
(7 Kap. 18) folgt aus einer gewissen Selektivität für COX-2 im Vergleich zu COX-1, die bei Ibuprofen nicht vorhanden ist. Traditionell wird auch ASS den COX-Inhibitoren zugerechnet. Jedoch sollte ASS wegen der UAW (vor allem GI-Blutungen) und des Intoxikationsrisikos (7 Kap. 4) nicht mehr als analgetischer und antiinflammatorischer Arzneistoff verwendet werden. ASS sollte nur noch in sehr niedriger Dosierung zur Sekundärprävention thromboembolischer Erkrankungen eingesetzt werden (7 Kap. 18). COX-2-Inhibitoren wurden entwickelt, um das Risiko von GI-UAW bei COX-Inhibitoren zu reduzieren, die über eine COX-1-Hemmung vermittelt werden (7 Kap. 7). Etoricoxib ist der Prototyp eines COX-2-Inhibitors. Suggestive ArzneimittelspezialitätenNamen wie Arcoxia® (eine wie ein Bogen biegsame Hüfte) fördern den unkritischen Langzeit-Konsum von Etoricoxib. Die Sicherheit von Etoricoxib wird kulturell sehr unterschiedlich bewertet. In Deutschland und mehr als 80 weiteren Ländern ist Etoricoxib verfügbar, nicht jedoch in den USA. COX-2-Inhibitoren besitzen nur ein geringes Risiko für GI-UAW. Da COX-2 in Endothelzellen die Synthese des für die Vasodilatation und Thrombozytenaggregationshemmung wichtigen Prostazyklin katalysiert (7 Kap. 18), sind COX-2-Inhibitoren mit einem sehr hohen Risiko für thromboembolische Komplikationen (MI, Schlaganfall) belastet. Deshalb wurden etliche COX-2-Inhibitoren vom Markt genommen, und es kam in den USA zu Regress-Prozessen. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Selektivität eines Arzneistoffs für eine Zielstruktur nicht automatisch hohe therapeutische Breite bedeutet. Die Anwendung von COX-2-Inhibitoren ist wegen der UAW sehr stark eingeschränkt. Sie werden nur bei Ermangelung anderer Therapieoptionen kurzfristig bei schweren akuten Schmerzen (z. B. Gichtarthritis oder Exazerbation bei Arthrose) gegeben, wenn der Patient keine kardiovaskulären Risikofaktoren aufweist.
157 10.4 · p-Aminophenole und Pyrazolone
>>COX-2-Inhibitoren können schwere kardiovaskuläre UAW hervorrufen. Sie stellen keine überzeugende Alternative zu den (nicht-selektiven) COX-Inhibitoren dar.
Deshalb besitzen diese Arzneistoffe nur Reservestatus für die Kurzzeittherapie von Schmerzen, wenn nicht-selektive COX-Inhibitoren kontraindiziert sind.
10
3. Es gibt inzwischen eine Reihe weiterer „nicht-saurer Arzneistoffgruppen“ (z. B. SCB, CCB, NSMRI, SSRI, SSNRI, mGPCR-Antagonisten), die über verschiedene Mechanismen analgetische Wirkungen entfalten. Diese Arzneistoffgruppen sind jedoch in der obigen doppelt negativen „Definition“ nicht enthalten.
Paracetamol ist in Deutschland eines der am häufigsten angewendeten Arzneistoffe. 10.4 p -Aminophenole und Eine COX-Hemmung kann die pharmaPyrazolone kologischen Wirkungen von Paracetamol Diese Arzneistoffgruppen sind wie die COX- nicht erklären, da die UAW der COX-InhiInhibitoren für leichte bis mittelschwere bitoren nicht vorhanden sind. Dies ist von Schmerzen geeignet. p-Aminophenole (Proto- praktischer Bedeutung, da Paracetamol vor typ Paracetamol) und Pyrazolone (Prototyp allem bei solchen Patienten infrage kommt, Metamizol) wirken analgetisch und antipy- bei denen COX-Inhibitoren kontraindiziert retisch, jedoch nicht antiinflammatorisch. sind. Paracetamol wirkt vornehmlich im Metamizol besitzt eine größere analgetische ZNS. Eine Modulation von CB1R und VaMaximalwirkung als Paracetamol und wird nilloidrezeptoren sowie serotonerger Mechazusätzlich relaxierend auf glatte Muskelzellen. nismen scheint dabei eine Rolle zu spielen. Die p-Aminophenole und Pyrazolone wer- Paracetamol liegt in zahlreichen Darreiden noch immer häufig fälschlicherweise den chungsformen (Tabletten, Saft, Tropfen, „nicht-steroidalen Antirheumatika“ (NSAR, Suppositorien, Injektionslösungen) vor. Bei COX- Inhibitoren) zugeordnet, obwohl die Erwachsenen wird Paracetamol in DosierunProfile erwünschter und unerwünschter Wir- gen von 0,5–1,0 g alle 4–6 Stunden gegeben. Es eignet sich vor allem für die Behandlung kungen eindeutig dagegensprechen. von leichten bis mittelschweren Schmerzen >>Dies ist therapeutisch bedeutsam, weil viszeralen Ursprungs sowie zur Senkung von Paracetamol und insbesondere Metamizol leichtem bis mittelhohem Fieber. Wegen des wertvolle therapeutische Alternativen bei fehlenden antiinflammatorischen Effektes ist UAW durch COX-Inhibitoren darstellen. die Wirkung von Paracetamol bei SchmerParacetamol und Metamizol werden auch in zen mit entzündlicher Komponente gering. der Gruppe der „nicht-sauren Nicht-Opioid>>Paracetamol ist der analgetische Arzneistoffe Analgetika“ zusammengefasst. der Wahl in Schwangerschaft und Stillzeit Diese Zusammenfassung ist aus drei Grünund bei Kindern, bei denen die Dosis an das den nicht sinnvoll: Körpergewicht angepasst werden muss. 1. Paracetamol und Metamizol unterschieden sich pharmakologisch sehr und Paracetamol wird nach p.o.-Gabe rasch und müssen daher als Einzelarzneistoffe be- vollständig resorbiert. Ca. 55 % des Arzneistoffs wird in der Leber an Glucuronsäure getrachtet werden. 2. Eine doppelt-negative Definition einer koppelt, 30 % an Schwefelsäure. Zu 15 % wird Arzneistoffgruppe dokumentiert ledig- Paracetamol über CYP2E1 in das hepatotoxilich unser Unwissen über den Wirk- sche N-Acetyl-p-benzochinonimin umgewanmechanismus dieser Arzneistoffe und delt. Bei normaler Dosierung stellt dieser untergeordnete Stoffwechselweg kein Problem schafft keine positive Klarheit.
158
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
dar, da N-Acetyl-p-benzochinonimin sofort mit Glutathion gekoppelt und als Mercapturat eliminiert wird. Die Ausscheidung erfolgt mit einer Eliminations-HWZ von 2–3 Stunden. Paracetamol besitzt deshalb eine sehr gute Steuerbarkeit. Werden die Dosierungen von Paracetamol eingehalten, so zeichnet es sich durch sehr gute Verträglichkeit und sehr geringe UAW aus. Aufgrund des andersartigen Wirkmechanismus kann Paracetamol mit COX-Inhibitoren kombiniert werden. Das Hauptproblem von Paracetamol ist die Hepatotoxizität bei akzidenteller oder suizidaler Überdosierung (7 Kap. 4).
>>Bei Erwachsenen kann es ab 8–10 g Paracetamol zu Leberintoxikationen kommen und einmalige Dosen von 10–15 g können zum Tod führen.
Bei vorbestehender Leberschädigung (z. B. Hepatitis C, 7 Kap. 33) oder Alkoholismus sind die zur Auslösung von Leberversagen erforderlichen Dosen von Paracetamol geringer. Seine Hepatotoxizität beruht darauf, dass bei diesen hohen Dosierungen die Glutathionvorrräte der Leber erschöpft werden, sodass die Inaktivierung zum unschädlichen Mercapturat nicht mehr ausreichend funktioniert. N-Acetyl-p-benzochinonimin bindet als reaktiver Metabolit kovalent an Leberproteine und stört dadurch die Leberfunktion. Prinzipiell lässt sich eine Paracetamolintoxikation durch i.v.-Injektion des Antidots Acetylcystein behandeln. Dadurch werden wieder SH-Gruppen für die Inaktivierung von N-Acetyl-p-benzochinonimin bereitgestellt. Das Hauptproblem bei Lebervergiftungen ist jedoch, dass sie häufig nicht rechtzeitig erkannt werden, da eine Latenz von ca. 24 Stunden zwischen der Schädigung und der klinischen Manifestation besteht. Im Falle einer irreversiblen Leberschädigung hilft nur noch eine Lebertransplantation. Es wird geschätzt, dass es jährlich in Deutschland zu 80–200 Fällen akuten Leberversagens nach Paracetamolintoxikation kommt. Metamizol wirkt ebenfalls nicht über COX-Hemmung. Es besitzt nicht die ty
10
pischen UAW der COX-Inhibitoren. Als Wirkmechanismen von Metamizol werden Blockade von zentralen Nozizeptoren und Kaliumkanälen sowie die Modulation opioiderger und serotonerger Synapsen diskutiert. Metamizol besitzt eine größere analgetische Maximalwirkung als Para cetamol und wird daher vor allem bei Schmerzen eingesetzt, die auf Paracetamol nicht mehr ansprechen. Metamizol wirkt zusätzlich relaxierend auf glatte Muskelzellen, wahrscheinlich über eine Hemmung der intrazellulären Calciumfreisetzung. Diese Wirkkomponente wird bei Kolikschmerzen genutzt (7 Kap. 13 und 23).
>>Aufgrund des andersartigen Wirkmechanismus kann Metamizol mit COX-Inhibitoren bei starken Schmerzen gut kombiniert werden.
Wegen der höheren analgetischen Maximalwirkung und der geringeren akuten Toxizität sollte Metamizol wenn immer möglich dem Paracetamol in der Schmerztherapie vorgezogen werden. Dies reflektiert sich auch in den aktuellen Verordnungstrends in Deutschland. Metamizol kann in Form von Tabletten, Tropfen, Suppositorien und i.v. appliziert werden. Die Dosierung bei Erwachsenen beträgt 0,5–1,0 g alle 4–6 Stunden. Wie Paracetamol eignet sich auch Metamizol vor allem für viszerale Schmerzen, nicht aber für Schmerzen mit starker entzündlicher Komponente. Es wird häufig zur Therapie von Tumorschmerzen in Kombination mit MOR-Agonisten angewendet, ebenso zur Senkung sehr hohen Fiebers. Metamizol wird im Darm zum aktiven Metaboliten 4-Methylaminoantipyrin umgewandelt. Dieser wird vollständig resorbiert und renal mit einer HWZ von 2–5 Stunden eliminiert. Die kurze HWZ von Metamizol ermöglicht gute Steuerbarkeit der analgetischen Therapie. Es kann allergische Reaktionen auslösen. Insbesondere bei schneller i.v.-Gabe, z. B. zur Behandlung von Koliken, kann Metamizol einen anaphylaktischen
10
159 10.5 · MOR-Agonisten
Schock verursachen (7 Kap. 3). Daher ist eine langsame und kontrollierte Injektion (ca. 0,5 g/min) erforderlich und es muss die Möglichkeit zur Behandlung eines anaphylaktischen Schocks mit EPI bestehen (7 Kap. 3 und 5). Bei hohen Dosen kann sich der Urin durch den Metaboliten Rubazonsäure rötlich verfärben. Mit einer Inzidenz von ca. 1 pro Millionen Expositionen kann es zu Agranulozytose kommen, weshalb bei längerdauernder Therapie Blutbildkontrollen durchgeführt werden müssen. Bei Agranulozytose wird Metamizol sofort abgesetzt und durch andere Arzneistoffe substituiert. Die Granulozytenkonzentration im Blut kann durch G-CSF wieder normalisiert werden (7 Kap. 4). Die Agranulozytose wird in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich bewertet. In Deutschland ist Metamizol verschreibungspflichtig, in vielen englischsprachigen Ländern und Skandinavien nicht zugelassen und in anderen Ländern wie Israel und Russland sogar ohne ärztliche Verschreibung erhältlich. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel für die unterschiedliche interkulturelle Bewertung von Arzneistoffen. Inzwischen ist Metamizol in Deutschland der am häufigsten verschriebene Arzneistoff, ohne dass es zu einer auffälligen Häufung von UAW gekommen ist. Dies ist Ausdruck der insgesamt sehr guten Wirksamkeit und Verträglichkeit von Metamizol im Vergleich zu den COX-Inhibitoren. Insbesondere bei Patienten mit Hypertonie (7 Kap. 15), CHF und KHK (7 Kap. 16), CKD (7 Kap. 12) sowie PUD und GERD (7 Kap. 13) stellt Metamizol wegen seiner geringen UAW bei diesen Erkrankungen eine wertvolle Alternative zu den COX- Inhibitoren dar. Es gibt immer wieder unter Ärzten, Apothekern und Patienten Verwirrung wegen des korrekten INN für Metamizol.
Hinzu kommt dann noch der Arzneimittelspezialitäten-Name Novalgin®. Arzt, Apotheker und Patient müssen wissen, dass hier drei Begriffe für ein und denselben Arzneistoff verwendet werden, weil es sonst leicht zu Doppelverschreibungen kommen kann. Wahrscheinlich bevorzugen einige Generika-Hersteller den INN „Novaminsulfon“ gegenüber „Metamizol“, weil ersterer Name eine größere Ähnlichkeit mit der sehr bekannten Arzneimittelspezialität „Novalgin®“ besitzt. Das Begriffs-Wirrwarr dient aber nicht der Arzneitherapiesicherheit. 10.5 MOR-Agonisten
Morphin ist und bleibt der unverzichtbare Goldstandard der MOR-Agonisten trotz der häufig geäußerten aber unzutreffenden Meinung, dass Morphin absolet sei. Das Hauptanwendungsgebiet ist die Therapie von tumorbedingten Schmerzen. Die Anwendung erfolgt nach der Grundregel by ladder, by mouth, by clock. Dies bedeutet, dass die Morphindosis ansteigend der Schwere der Schmerzen angepasst werden soll und dass es bevorzugt p.o. (nicht i.v., 7 Kap. 2) und regelmäßig (nicht erst beim Auftreten von Schmerzen) gegeben werden soll. Morphin ist ein voller MOR-Agonist (. Abb. 10.2 und 7 Kap. 1). Tramadol gehört zu den niederpotenten, Buprenorphin sowie Remifentanil zu den hochpotenten MOR-Agonisten.
>>Metamizol wird (auch in Deutschland) häufig als Novaminsulfon bezeichnet und unter diesem INN auch als Generikum verschrieben.
>>Allerdings ist für die praktische Therapie mit MOR-Agonisten die intrinsische Aktivität (maximale Wirkung) sehr viel wichtiger als die Potenz, von der in Praxis und Klinik immer gesprochen wird.
Remifentanil, Fentanyl und Morphin sind volle MOR-Agonisten, wohingegen Bupre norphin trotz hoher Potenz nur ein mittelstarker partieller Agonist ist. Tramadol ist ein schwacher partieller Agonist. Demzufolge ist die maximale analgetische Wirkung
160
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
von Morphin mit der von Fentanyl und Remifentanil vergleichbar. Dagegen ist die maximale analgetische Wirkung von Buprenorphin deutlich geringer (Ceiling-Effekt) und bei Tramadol noch weiter vermindert. Tramadol unterliegt wegen der geringen maximalen analgetischen Wirkung im Gegensatz zu Buprenorphin und allen vollen MOR-Agonisten nicht der BtMVV. Die partialagonistische Wirkung von Buprenorphin impliziert, dass es in Kombination mit Morphin in maximal stimulierender Dosis zum partiellen Antagonisten wird und die Wirkung von Morphin reduziert (. Abb. 10.2). Das Resultat ist eine Schmerzzunahme statt der angestrebten Schmerzabnahme.
>>Somit ist es kontraindiziert, Morphin und Buprenorphin zu kombinieren, wenn die analgetische Wirkung von Morphin nicht ausreicht. Dieser Fehler passiert aber immer wieder in der Klinik.
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Zunächst sollte sichergestellt sein, dass man die therapeutische Maximaldosis von Morphin erreicht hat (Sättigung der Dosis-Wirkungs-Kurve). Ist das der Fall, so besteht die Möglichkeit der MOR-Desensitisierung und dadurch reduzierter analgetischer Wirkung (7 Kap. 1). Man sollte dann zunächst die Morphindosis erhöhen. Die BtMVV eröffnet hier hinsichtlich der Dosiserhöhungen einen sehr großen Spielraum, den man ausnutzen sollte. Dies passiert in der Klinik und Praxis noch immer viel zu selten. Wichtige pharmakologische Wirkungen von Morphin sind eine periphere und zentrale Analgesie, Sedation, initiale Dysphorie (dann Euphorie), Hypotonie, Bradykardie, reduzierter Tonus der Skelettmuskulatur, Übelkeit und Erbrechen, antitussive Wirkung, Atemdepression und Miosis.
>>Eine Sedation und ein reduzierter Muskeltonus können insbesondere bei älteren Patienten und in Kombination mit Benzodiazepinen (7 Kap. 25) zu schweren Stürzen mit Frakturen führen.
Hinzu kommen spastische Obstipation, Störung des Gallenabflusses (eventuell Auslösung von Gallenkoliken) sowie Harnleiterkoliken und Harnverhalt. Schließlich kann Morphin bei i.v.-Injektion (Vernichtungsschmerz bei MI, 7 Kap. 16) durch direkte G-Proteinaktivierung eine Mastzelldegranulation auslösen (7 Kap. 3 und 7). Dies kann Hypotonie und Bradykardie verstärken und zu Bronchokonstriktion sowie Urtikaria führen. Deshalb sollte die i.v.-Injektion von Morphin langsam erfolgen.
>>MOR-Agonisten besitzen vielfältige pharmakologische Wirkungen, die weit über eine Analgesie hinausgehen und klinisch auch genutzt werden.
Die obstipierende Wirkung peripher wirkender MOR-Agonisten wird bei Diarrhoe genutzt (7 Kap. 13), die antitussive Wirkung von zentral wirkenden MOR-Agonisten (insbesondere Codein) bei trockenem Reizhusten und die sedative, atemdepressive und hypotensive Wirkung von zentral wirkenden MOR-Agonisten (insbesondere Morphin) bei Luftnot im Rahmen eines MI (7 Kap. 16) oder einer Lungenembolie. Deshalb ist der traditionelle Begriff „Opioidanalgetika“ für diese Arzneistoffgruppe obsolet und irreführend. Der Begriff MOR-Agonist sensibilisiert den Arzt auch dafür, dass diese Arzneistoffgruppe Agonisten an GPCR sind und somit Desensitisierung zeigen. Das Risiko von Abhängigkeit und Toleranz wird bei indizierter und fachgerechter Therapie stark überschätzt und hat in der Vergangenheit zur Unterversorgung schwerkranker Patienten mit Morphin geführt. Diese unbefriedigende Situation hat sich in den letzten Jahren gebessert. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die vermehrte Verschreibung von MOR-Agonisten bei fehlender Indikation für eine Schmerztherapie.
>>MOR-Agonisten sind nicht indiziert bei Patienten mit Spannungskopfschmerzen, Arthrosen, Fibromyalgie, Demenz oder undefinierten psychischen Beschwerden.
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161 10.5 · MOR-Agonisten
In diesen Fällen wird dem Missbrauch und einer Abhängigkeit Vorschub geleistet. Risikofaktoren für MOR-Agonist- Missbrauch sind bekannte Abhängigkeiten von Benzodiazepinen und Propofol (7 Kap. 25 und 27), der Konsum von Missbrauchssubstanzen wie CB1R-Agonisten, Amphetamin und Ethanol oder das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung (7 Kap. 28 und 29). Ein Verdacht auf Abhängigkeit und Missbrauch liegt auch nahe, wenn ohne entsprechende Schmerzsymptomatik hohe MOR-Agonistdosen verschrieben oder vom Patienten aktiv (häufig sogar aggressiv) eingefordert werden. In den USA ist es in den letzten Jahren durch unkritische Verschreibung von MOR-Agonisten ohne entsprechende Indikation zu einem starken Anstieg der MOR-Agonist-Abhängigkeit mit vielen Todesfällen durch Atemdepression gekommen (Opioid Crisis). MOR-Agonist-abhängige Personen konsumieren häufig eine Vielzahl von verschiedenen MOR- Agonisten. Diesem Tatbestand wird der Begriff „Heroin-Abhängigkeit“ nicht gerecht und sollte deshalb vermieden werden.
>>Aktuell spielt insbesondere der Missbrauch von Fentanyl (rasche Anflutung im ZNS!) eine große Rolle. Deshalb ist der Begriff der MOR-Agonist-Abhängigkeit oder Fentanyl-Abhängigkeit korrekter.
Die Atemdepression ist die gefährlichste UAW, die vor allem bei Überdosierung von MOR-Agonisten und bei Kombinationen mit zentral dämpfenden Arzneistoffgruppen wie Benzodiazepinen und CCB oder SCB mit antiepileptischer Wirkung auftritt (7 Kap. 25). Ein Atemstillstand erfordert eine sofortige Beatmung mit O2. Die atemdepressive, aber auch die analgetische Wirkung von Morphin kann rasch durch i.v.-Injektion des MOR-Antagonisten Naloxon aufgehoben werden (7 Kap. 4). Allerdings besitzt Naloxon eine deutlich kürzere Eliminations- HWZ (30–45 min) als Morphin (ca. 3 Stunden), sodass es zum Wiederauftreten der Atemdepression kom
men kann. Dementsprechend kann es erforderlich werden, Naloxon wiederholt zu injizieren. Falls ein Patient unter Morphintherapie zur Schmerzlinderung wider Erwarten psychisch und physisch abhängig geworden sein sollte, kommt es beim Absetzen des Morphins bzw. bei Gabe von Naloxon zu Entzugserscheinungen (Cold Turkey), die zum großen Anteil auf einer Sympathikusaktivierung beruhen. Die Entzugssymptomatik lässt sich deshalb sehr gut durch den α2AR-Agonisten Clonidin (7 Kap. 5) unterdrücken. Zur Substitution bei MOR-Agonist- Abhängigen kann Methadon (p.o.-Gabe) eingesetzt werden. Es zeichnet sich durch eine für diesen Anwendungszweck besonders günstige lange HWZ (16–26 Stunden) und gleichmäßige Wirkung (keine Euphorie und Vermeidung von Entzugserscheinungen) aus. Dihydrocodein ist ein weiterer MOR-Agonist, der zur Behandlung starker Schmerzen und zur Substitution bei MOR- Agonist- Abhängigen eingesetzt wird. Außerdem wird die antitussive Wirkung von Dihydrocodein (oder Codein) bei trockenem Reizhusten genutzt. Die Obstipation unter MOR-Agonist- Therapie ist gravierend. Sie zeigt nur eine geringe Toleranz. In den allermeisten Fällen muss der mit vollen MOR-Agonisten behandelte Patient wasserbindende Arzneistoffe (Prototyp Macrogol) einnehmen (7 Kap. 13). Bei Übelkeit und Erbrechen können der D2R-Antagonist MCP (7 Kap. 8) oder D2R- mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) eingesetzt werden. Die Kombination von MOR-Agonisten + D2R-mGPCR-Antagonisten besitzt zudem den Vorteil, dass sie den Patienten vom Schmerzerlebnis innerlich distanziert. Insgesamt sind die UAW unter Morphingabe in der Schmerztherapie gut handhabbar, vor allem wenn die Dosierung adäquat ist, zusätzlich schmerzmodulierende Arzneistoffe sowie Arzneistoffe zur Verhinderung von MORAgonist-UAW gegeben werden. Morphin hat eine Bioverfügbarkeit von 30 % und eine Wirkdauer von 4 Stunden.
162
Kapitel 10 · Schmerzpharmakologie
Es wird hepatisch metabolisiert (Morphin- 6- Glucuronid ist ein aktiver Metabolit) und die Elimination erfolgt vorwiegend renal. Bei Leberinsuffizienz und CKD muss die Morphindosis reduziert werden (7 Kap. 12). Das Ziel in der Therapie schwerer Schmerzen, insbesondere Tumorschmerzen, besteht darin, diese gar nicht erst entstehen zu lassen. Dafür ist die kurze Wirkdauer von Morphin nicht ideal. Deshalb wurden Retardformen von Morphin sowie Derivate wie Hydromorphon entwickelt, die eine Wirkdauer von 8–12 Stunden besitzen. Heroin (in englischsprachigen Ländern auch als Diamorphin bezeichnet) ist die diacetylierte Form von Morphin und flutet nach i.v.-Gabe rasch im ZNS an (7 Kap. 2). Dort erfolgt die Deacetylierung zu Morphin. Die schnelle Anflutung von Heroin im Gehirn bewirkt Euphorie und positiv empfundene Traumzustände. Das Risiko einer Abhängigkeit und Toleranz ist bei i.v.Heroingabe sehr groß. In Deutschland wird Heroin im Gegensatz zu Großbritannien in der Schmerztherapie nicht angewendet, ein Beispiel für die unterschiedliche Bewertung der Risiken von Heroin in verschiedenen Kulturen (7 Abschn. 10.4., Metamizol). Fentanyl besitzt eine höhere MOR- Potenz als Morphin, aber eine vergleichbare analgetische Maximalwirkung. Es ist lipophil und flutet rasch im ZNS an. Diesen Effekt kann man nutzen, indem man Fentanyl als Bedarfsmedikation (on-demand, rescue) z. B. in Form von Lutschtabletten oder Nasenspray appliziert, um akute Schmerzen oder Durchbruchschmerzen zu lindern. Zur Dauertherapie von Schmerzen werden vor allem transdermale Systeme angewendet. Solche transdermalen Systeme sind jedoch nicht unproblematisch, da sie den häufig hilflosen Patienten leicht von der Haut ab
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gezogen und dann zur Substitution einer MOR-Agonist-Abhängigkeit missbraucht werden können. Der Patient leidet entsprechend unter stärkeren Schmerzen. Auch werden Fentanylpflaster von MORAgonist-Abhängigen aufgeschnitten, um den Arzneistoff herauszudrücken und sich dann als Bolus p.o. zuzuführen. In dieser Missbrauchssituation besteht wegen der schnellen Fentanylanflutung im ZNS ein hohes Atemdepressionsrisiko. Fentanyl als voller MOR-Agonist ist zur Therapie starker Schmerzen geeignet. Es müssen entsprechend dem WHO-Stufenplan zunächst COX-Inhibitoren, Paracetamol oder Metamizol und schwächer wirksame MOR-Agonisten wie Tramadol und später Buprenorphin eingesetzt werden. Durch eine Umverteilung von Fentanyl im Körper kann es zu Atembeschwerden (Wooden Chest) kommen. >>Kürzlich ist es zu einer tödlichen Intoxikation mit Fentanyl gekommen. Es kam zur Verwechslung des Fentanyl enthaltenden Instanyl® mit Nasenspray, das abschwellende α1AR-Agonisten enthielt.
Tramadol besitzt nur ca. 10 % der maximalen Wirkstärke von Morphin. Wahrscheinlich spielen neben der geringen MOR- Aktivierung andere Mechanismen bei seiner analgetischen Wirkung eine Rolle. >>Obwohl Tramadol oft als schwacher partieller MOR-Agonist bezeichnet wird, ist sein Wirkmechanismus letztlich unbekannt (siehe NKLM/IMPP-Arzneistoffliste, . Tab. 10.2).
Tramadol ist wegen seiner kurzen Wirkdauer (1–3 Stunden) gut steuerbar, eignet sich aber nicht für die Behandlung schwerer Schmerzen. Als eine Alternative zu Tramadol wird häufig die Kombination von Tilidin + Naloxon eingesetzt. Tilidin ist ein Prodrug,
163 10.5 · MOR-Agonisten
welches in einen partiellen MOR-Agonisten umgewandelt wird. Der Zusatz des MOR-Antagonisten soll das Missbrauchspotential reduzieren. Allerdings wird auch die maximale analgetische Wirkung reduziert. Deshalb ist der therapeutische Stellenwert von Tilidin + Naloxon beschränkt. Vorteile gegenüber Tramadol sind nicht klar erkennbar. >>In der Klinik und Praxis wird die Wirksamkeit von Tramadol und der Kombination von Tilidin + Naloxon weit überschätzt.
Buprenorphin ist ein potenter MOR-Partial agonist. Es hat eine sehr geringe Bioverfügbarkeit (5 %), sodass es sublingual oder als transdermales System appliziert wird (7 Kap. 2). Buprenorphin wird über CYP3A4 metabolisiert. Wegen des MOR-Partialagonismus besitzt Buprenorphin auch ein geringeres Risiko für eine Atemdepression und Obstipation als Morphin und Fentanyl. Buprenorphin dissoziiert nur langsam von MOR ab; daher sind UAW wie Atemdepression durch Naloxon nur schwer antagonisierbar.
>>In der Klinik und Praxis wird immer wieder Potenz mit intrinsischer Aktivität verwechselt (7 Kap. 1).
Dies hat zur Folge, dass angenommen wird, Buprenorphin besitze eine größere analgetische Maximalwirkung als das Morphin. Dies trifft jedoch nicht zu (. Abb. 10.2). Remifentanil ist ein hochpotenter voller MOR-Agonist. Es wird rasch inaktiviert
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und besitzt deshalb auch nur eine kurze Wirkdauer. Dementsprechend ist die Steuerbarkeit der Wirkung sehr gut. Remifentanil wird deshalb vor allem für die Durchführung von Narkosen (TIVA) eingesetzt (7 Kap. 27).
Fallbeispiel
Ein 26-jähriger Patient hat sich beim Fußballspielen den rechten Knöchel verstaucht und stellt sich in Ihrer Sport praxis vor. Die Untersuchung ergibt, dass keine Fraktur oder Bänderruptur vorliegt. Zur Stabilisierung des Gelenkes verschreiben Sie dem Patienten eine Schiene. Die Anamnese ergibt, dass der Patient, abgesehen von einer saisonalen allergischen Rhinitis, gesund ist. Zur Linderung der Schmerzen wegen der Verstauchung verschreiben Sie dem Patienten für eine Woche 4 × 600 mg Ibuprofen/Tag. Nach drei Tagen wird der Patient mit einem Asthma-Anfall in die Notaufnahme eingeliefert.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie therapeutisch vor? 2. Wie betreuen Sie den Patienten weitergehend? Lösungen 7 Kap. 37
165
Immunpharmakologie Inhaltsverzeichnis 11.1
athophysiologie von Autoimmunerkrankungen und P Transplantatabstoßung: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 166
11.2
GCR-Agonisten – 180
11.3
I nhibitoren des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels und der DNA-Synthese – 182
11.4
Immunophilin-Liganden – 184
11.5
onoklonale Antikörper und therapeutische M Fusionsproteine – 184
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_11
11
166
11
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
Bei Autoimmunerkrankungen kommt es zum Verlust der immunologischen Toleranz gegen den eigenen Körper. Bei Transplantatabstoßung entsteht eine Immunreaktion gegen das Transplantat, das dadurch seine Funktion verlieren kann. Therapieziel ist, Symptome der Immunprozesse so weit wie möglich zu unterdrücken, ohne die Funktionen des Immunsystems bei der Infektabwehr und Zerstörung von Tumorzellen zu stark in Mitleidenschaft zu ziehen. Diese Ziele werden bei vielen Patienten inzwischen befriedigend erreicht. Eine wichtige Strategie zur Optimierung der Wirkung und Reduktion von UAW ist die Kombination verschiedener Wirkprinzipien. Die wichtigsten Arzneistoffe sind nach wie vor GCR-Agonisten, die über multiple Mechanismen immun modulierend wirken. Immunophilin-Liganden hemmen vor allem die T-Zell-Proliferation. Durch klassische Zytostatika in niedriger Dosierung (low dose) lassen sich Immunreaktionen ebenfalls unterdrücken. In den letzten Jahren ist es zu einer explosionsartigen Entwicklung von therapeutischen Antikörpern und Fusionsproteinen gekommen. Dabei handelt es sich um gentechnisch hergestellte Arzneistoffe, die Zytokine, Zytokinrezeptoren, Integrine oder Lymphozytenantigene funktionell ausschalten. Die hohen Kosten einer Therapie mit diesen Arzneistoffen stellen ein großes pharmakoökonomisches Problem dar.
Merksätze 55 Arzneistoffe, die das Immunsystem modulieren, erhöhen häufig die Infektanfälligkeit. 55 GCR-Agonisten wirken über multiple Mechanismen immunmodulierend und können bei langfristiger Gabe ein Cushing- Syndrom und die Suppression der Nebennierenrinde bewirken. 55 MTX (low dose) hemmt über eine indirekte Adenosinrezeptoraktivierung Immunprozesse. 55 Leflunomid wirkt über eine Pyrimidinsynthesehemmung, Mycophenolat-Mofe-
55
55 55 55 55
55
55 55
55 55
til über eine Purinsynthesehemmung immunsuppressiv. Ciclosporin und Tacrolimus hemmen Calcineurin und dadurch die für die T-Zell- Proliferation wichtige IL-2-Produktion. Everolimus hemmt mTOR und dadurch die T-Zell-Proliferation. Adalimumab und Etanercept wirken über TNF-Inhibition immunsuppressiv. IFN-β hemmt die Aktivierung und Mi gration von T-Zellen. Anakinra blockiert den IL-1R; Basiliximab den IL-2R (CD25). Tocilizumab blockiert den IL-6R. Natalizumab hemmt die Integrin-abhängige Migration von T-Zellen über die BHS. Rituximab bewirkt über die Bindung an CD20 die Apoptose von B-Zellen. Alemtuzumab bewirkt über die Bindung an CD52 die Apoptose von B- und T-Zellen. Muromonab bewirkt über die Bindung an CD3 die Apoptose von T-Zellen. Abatacept blockiert die Interaktion von CD80/86 mit CD28.
11.1 Pathophysiologie von
Autoimmunerkrankungen und Transplantatabstoßung: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Physiologisch besteht eine Toleranz des Immunsystems gegen körpereigene Zellen. Bei Autoimmunerkrankungen bricht diese Selbsttoleranz aus nicht genau bekannten Gründen zusammen und es entwickelt sich ein autoimmunologischer Prozess mit den Zeichen einer Entzündung (Schmerzen, Schwellung, Rötung, Überwärmung; dolor, tumor, rubor, calor), die letztlich zum Funktionsverlust des betroffenen Organs führen kann. Jedes Organ kann von einer Autoimmunoerkrankung betroffen sein.
11
167 11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen …
Bei einer Transplantatabstoßung generiert der Körper eine Immunantwort gegen das Transplantat (Ausnahme: Transplantate von eineiigen Zwillingen). Es gibt Ähnlichkeiten in der Reaktion des Immunsystems bei Autoimmunerkrankungen und Transplantatabstoßung. Daraus ergeben sich ähnliche pharmakotherapeutische Ansätze. Ziel der Pharmakotherapie ist es, pathologische Immunreaktionen so zu unterdrücken, dass der Patient möglichst symptomfrei ist und Organfunktionen erhalten bleiben bzw. ein Transplantat nicht abgestoßen wird. . Abb. 11.1 gibt einen Überblick über die pathophysiologischen Prozesse bei Autoimmunerkrankungen und Transplantatabstoßung sowie die daraus resultierenden pharmakologischen Eingriffsmöglichkeiten. Es kommt zur Freisetzung proinflammatori-
scher Zytokine wie IL-1, IL-6, IL-12, IL-23 sowie TNF. Von großer Bedeutung ist die IL-2-Freisetzung, die die T-Zell- Proliferation stimuliert. T-Zellen spielen bei Autoimmunprozessen und bei der Transplantatabstoßung eine zentrale Rolle und stellen daher Angriffspunkte vieler Arzneistoffe dar. . Tab. 11.1 gibt eine Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe. Der S1P1R spielt für die Migration von T-Zellen aus den Lymphknoten eine entscheidende Rolle. Außerdem wird die Expression von proinflammatorischen Enzymen wie Kollagenasen, COX-2, PLA2 und NO-Synthasen erhöht und es kommt zu verstärkter Freisetzung proinflammatorisch wirkender PG und LT. Schließlich werden Makrophagen aktiviert, die über ROS-Freisetzung zur Gewebeschädigung beitragen.
GCR-Agonisten Ciclosporin Tacrolimus
Basiliximab IL-2R
IL-2↑
Cyclophospamid
Anakinra
(low dose)
IL-1↑
Mycophenolat
Rituximab
TNF↑
Purinbiosynthese Pyrimidinbiosynthese
Autoimmunerkrankung Transplantatabstoßung
Alemtuzumab CD52 Muromonab
5-ASA
LOX
COX-2
Abatacept
CD28+ CD80/86
Glatirameracetat TH2-Zellen
CD20
CD52
Etanercept Adalimumab GCR-Agonisten
Adenosin
DNA-Biosynthese
BZellen↑
TNFR
IL-1R
6-MP (low dose)
Leflunomid
IL-12 IL-23 IL-6 (low dose)
Calcineurin↑
T-Zellproliferation
Azathioprin
Tocilizumab
MTX
Everolimus mTOR
Ustekinumab
S1P1R↑ Fingolimod
TZellen↑ T-Zellmigration aus CD3 Lymphknoten↑
ZelladhäsionsT-Zell- moleküle↑ GCRAktivierung (Integrine) Agonisten IFN-ß
Dimethylfumarat LT↑ Etoricoxib, Ibuprofen (auch COX-1) PGE2↑ Proinflammatorische Enzyme↑
T-Zellmigration Natalizumab
.. Abb. 11.1 Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen und der Transplantatabstoßung sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
11
Arzneistoffgruppe
CD80/86-CD28- Interaktions-Inhibitor
TNF-Inhibitor
CD52-Inhibitor
Arzneistoff
Abatacept
Adalimumab
Alemtuzumab Monoklonaler humanisierter Antikörper gegen das leukozytäre Glykoprotein CD52, der dadurch die Funktion von B- und T-Zellen hemmt und immunsuppressiv wirkt (Reset des Immunsystems, das sein „Gedächtnis“ verliert).
Immunsuppression durch Hemmung der Wirkung von TNF. Adalimumab ist ein gegen TNF gerichteter Antikörper.
Immunsuppression durch Hemmung der Interaktion von CD80/86 mit CD28 auf Immunzellen
Wirkungen
Therapie von schweren Formen multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf
Therapie von Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis, M. Crohn (Fistelbildung), Colitis ulcerosa, Spondylitis ankylosans, Psoriasis-Arthritis
Therapie der rheumatoiden Arthritis (Kombination mit MTX bei Versagen eines TNF-Inhibitors)
Wichtige Indikationen
Infusionsreaktionen (Zytokinfreisetzungssyndrom) (Prophylaxe mit GCR-Agonisten, H1R- und H2R-Antagonisten sowie COXInhibitoren), Herpes-Infektionen; Autoimmun-Hypothyreose (20–25 % der Patienten), Thrombopenie, Panzytopenie
Grippe-ähnliche Symptome, GI-Symptome, Leberschäden, Anämie, Leukopenie, Infektionen (Tuberkulose, Hepatitis B, opportunistische Erreger, Reaktivierung von Infekten), CHF, Tumorentstehung wird begünstigt; erhöhtes Infektionsrisiko bei Kombinationstherapie mit Anakinra; allergische Reaktionen
Kopfschmerzen, Übelkeit, erhöhte Infektanfälligkeit (Harn- und Atemwegsinfektionen); bei Kombination mit TNF-Inhibitoren verstärkte Immunsuppression
Wichtige UAW
7 Kap. 3, 6, 21, 33
7 Kap. 13, 16, 31, 32, 33, 34
7 Kap. 32
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
.. Tab. 11.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Therapie von Autoimmunerkrankungen und zur Verhinderung einer Transplantatabstoßung
168 Kapitel 11 · Immunpharmakologie
IL-1R-Antagonist
Purin-Analogon
CD25-Inhibitor
Calcineurin- Inhibitor
Anakinra
Azathioprin
Basiliximab
Ciclosporin Bindung an das Immunophilin Cyclophilin und dadurch Hemmung der Phosphatase Calcineurin, was zur Hemmung der IL-2-Gentranskription führt. Deshalb entfällt die stimulatorische Wirkung von IL-2 auf T-Zellen, und es resultiert eine immunsuppressive Wirkung.
Chimärer Antikörper, der den IL-2R blockiert und damit die T-Zell-Proliferation hemmt. Dadurch kommt der immunsuppressive Effekt zu Stande
Prodrug von 6-MP, das als falsche Base in DNA und RNA eingebaut wird. In niedriger Dosierung (low dose) hemmt 6-MP vor allem die T-Zell-Proliferation.
Gentechnologisch hergestellter und physiologisch vorkommender IL-1R-Antagonist, der die Wirkungen von IL-1 an Leukozyten hemmt und dadurch immunsuppressiv wirkt.
Einsatz als Arzneistoff für viele Autoimmunerkrankungen sowie Prophylaxe und Verhinderung von Transplantatabstoßung
Einsatz in der Abstoßungsprophylaxe nach Organtransplantation (Kombination mit Ciclosporin und GCR-Agonisten)
Preiswerter Arzneistoff für viele Autoimmunerkrankungen
Therapie der rheumatoiden Arthritis, z. B. bei Nichtansprechen auf MTX
Nieren- und Leberfunktionsstörungen, Hypertrichose, Gingivahyperplasie, erhöhtes Infektions- und Tumorrisiko, bei Langzeittherapie Hypertonie, Dyslipidämie und Diabetes; Metabolisierung über CYP3A4; daher zahlreiche Interaktionsrisiken; therapeutisches Drug Monitoring (TDM)
Überempfindlichkeitsreaktionen, keine erhöhte Infektionsrate
Leukopenie, Thrombopenie, Anämie, erhöhtes Infektrisiko, Teratogenität
Lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Neutropenie, schwere Infektionen; Potenziertes Infektionsrisiko mit TNF-Inhibitoren
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 12, 15, 19, 22
7 Kap. 3
7 Kap. 2, 31
7 Kap. 32, 33
11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen … 169
11
Arzneistoffgruppe
Pleiotroper Immunmodulator
TNF-Inhibitor
mTOR-Inhibitor
Dimethyl fumarat
Etanercept
Everolimus Bindung an das Immunophilin FKBP-12 und dadurch Hemmung der Serin/ Threoninkinase mTOR mit nachfolgender Hemmung von CDK; dadurch Hemmung der G1/S1-Transition im Zellzyklus. Deshalb wird vor allem die T-Zell-Proliferation gehemmt und es entsteht ein immunsuppressiver Effekt.
Fusionsprotein aus der extrazellulären Domäne des humanen TNFR mit der Fc-Domäne von humanem IgG; das Fusionsprotein bindet TNF. Dadurch werden die proinflammatorischen Wirkungen von TNF auf Zellen des Immunsystems verhindert und es resultiert eine immunsuppressive Wirkung.
Über vielfältige bislang nur unvollständig verstandene Mechanismen wird die Funktion von T-Zellen gehemmt, wodurch ein immunsuppressiver Effekt zu Stande kommt.
Wirkungen
Verhinderung der Organabstoßung (in Kombination mit GCR-Agonisten), Verhinderung von Stent restenosierung, Therapie des Nierenkarzinoms und neuroendokriner Tumoren
Therapie von Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis, Spondylitis ankylosans, Psoriasis)
Therapie von leichten-mittelschweren Formen von multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf; Psoriasis
Wichtige Indikationen
11
Arzneistoff
.. Tab. 11.1 (Fortsetzung)
Keine Nephrotoxizität, dafür Hyperlipidämie, Diabetes, Ödeme, Hypertonie, Infektionen der Atem- und Harnwege, Anämie, Diarrhoe, TDM
Ähnlich wie Adalimumab
GI-Beschwerden, Leberschäden, Lymphopenie, progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML)
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 16, 19, 22, 32
7 Kap. 13, 16, 31, 32, 33
7 Kap. 33
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
170 Kapitel 11 · Immunpharmakologie
S1P1R-Agonist
Pleiotroper Immunmodulator
Pleiotroper Immunmodulator
Fingolimod
Glatiramer acetat
Hydroxy chloroquin Hemmung von Proteasen, Einlagerung in Lysosomen, Hemmung des Toll-like receptor 9, Hemmung von Chemotaxis, Phagozytose und ROS-Produktion. Daraus resultiert eine immunsuppressive Wirkung, aber letztlich bleibt der Wirkmechanismus un bekannt.
Synthetisches Aminosäurepolymer mit chemischer Ähnlichkeit zum basischen Myelinprotein mit vielfältigen (und letztlich nicht verstandenen) Wirkungen auf T-Zellen, wodurch eine immunsuppressive Wirkung entsteht.
Phosphorylierung durch Sphingosinkinase 2 nach Resorption, Bindung an S1P1R, dann S1P1R-Internalisierung und damit Blockade der Signaltransduktion. Über diesen Mechanismus wird die T-Zellmigration aus Lymphknoten gehemmt und es resultiert eine immunsuppressive Wirkung.
Therapie von Lupus erythematodes, rheumatoider Arthritis, traditionell auch Therapie der Malaria (Resistenzprobleme!), KEINESFALLS Therapie von COVID-19!
Therapie von leichten-mittelschweren Formen von multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf
Therapie von schweren (aktiven) Formen von multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf.
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe allergische Reaktionen, Einlagerung in die Retina, Arrhythmien (TdP), ZNS-Funktionsstörungen (Psychosen)
Hautreaktionen und Lipoatrophie an Injektionsstellen, Postinjektionssyndrom mit Urtikaria, Tachykardie, Atemnot, Ängstlichkeit für 5–15 Minuten nach Injektion
Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Erkältung, Husten, Diarrhoe, Lymphopenie, Infektanfälligkeit (Herpes-Infektionen, PML), Teratogenität. Bei erstmaliger Gabe Bradykardie und AV-Block (EKG-Kontrolle!), BD-Anstieg, Makrophagenaktivierungssyndrom
(Fortsetzung)
7 Kap. 17, 28, 29, 33, 34
7 Kap. 3
7 Kap. 17, 33
11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen … 171
11
Arzneistoffgruppe
Interferon
RAR-Agonist
DihydrooratDehydrogenaseInhibitor
IFN-β
Isotretinoin
Leflunomid Prodrug von Teriflunomid, Hemmung der Dihydroorat-Dehydrogenase und damit der Pyrimidinsynthese. Letztlich wird die T-Zell-Proliferation gehemmt und es resultiert eine immunsuppressive Wirkung.
Induktion der Apoptose von Immunzellen und Keratinozyten
Interferon mit pleiotropen immunmodulierenden Wirkungen
Wirkungen
Arzneistoff für Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis und Psoriasis
Zur Behandlung von schwerer Akne
Therapie von leichten-mittelschweren Formen von multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf
Wichtige Indikationen
11
Arzneistoff
.. Tab. 11.1 (Fortsetzung)
GI-Beschwerden, Leberschäden, Haarausfall, Leukopenie mit Anfälligkeit für Atemwegsinfekte, allergische Reaktionen, Teratogenität
Teratogenität (sichere Kontrazeption erforderlich), trockene Haut und Lippen, Konjunktivitis, Anämie, Thrombozytopenie
Lokale Reaktionen an der Injektionsstelle, Grippe-ähnliche Symptome mit Fieber, Schüttelfrost und Abgeschlagenheit, Anämie, Lymphopenie, Neutropenie, Leberschäden, Autoimmunhypo thyreose
Wichtige UAW
7 Kap. 2
7 Kap. 24
7 Kap. 10, 21
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
172 Kapitel 11 · Immunpharmakologie
Folsäure-Analogon
CD3-Inhibitor
Inosinmonophosphat-Dehydrogenase- Inhibitor
Integrin-α4Inhibitor
MTX
Muromonab
Mycophenolat Mofetil
Natalizumab Monoklonaler humanisierter Antikörper gegen das α4-Integrin VLA4 in Leukozyten. Dadurch wird die Migration von T-Zellen gehemmt und es resultiert eine immunsuppressive Wirkung.
Hemmung der Inosinmonophosphat-Dehydrogenase und damit der Purin synthese. Letztlich wird so die T-Zellproliferation gehemmt und es entsteht ein immunsuppressiver Effekt.
Muriner Antikörper gegen das Leukozytenantigen CD3. Dadurch wird die T-Zell-Funktion gehemmt, und es entsteht ein immunsuppressiver Effekt.
In niedriger Dosierung (low dose) Hemmung der AICAR-Transformylase; dadurch Erhöhung der extrazellulären Adenosinkonzentration und verstärkte Aktivierung von Adenosinrezeptoren. Über Adenosinrezeptoren werden immunsuppressive Wirkungen an verschiedenen Zellen des Immunsystems vermittelt.
Therapie von schweren Formen multipler Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf
Einsatz bei Nieren-, Herzund Lebertransplantation (Kombination mit GCR-Agonisten und Ciclosporin)
Therapie der akuten GCR-Agonist-resistenten Organabstoßung (Leber, Herz)
Preiswerter Arzneistoff für viele Autoimmunerkrankungen
In aller Regel gute Verträglichkeit, Entwicklung neutralisierender Antikörper (Wirkungsverlust), Allergien, PML (hohes Risiko nach vorangegangener Therapie mit immunmodulatorischen Arzneistoffen und bei JC-Virus-Nachweis)
Zahlreich und gravierend (>10 % der Patienten): Erbrechen, Durchfall, Anämie, Thrombopenie, Leukopenie mit Infektanfälligkeit (Sepsis, Kandidose, Infektionen mit Herpes simplex und Herpes zoster), PML, Teratogenität
Infusionsreaktionen (Zytokinfreisetzungssyndrom), Infektionen, erhöhtes Tumorrisiko, neuro psychiatrische Reaktionen (Epilepsie, aseptische Meningitis, Enzephalopathie)
Appetitlosigkeit, Schwindel, Erbrechen, Diarrhoe, Stomatitis, Leberenzymanstieg, Leukopenie, Thrombopenie, Infektanfälligkeit, Lymphomentstehung, Teratogenität
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 3, 33
7 Kap. 2
7 Kap. 3, 6, 25, 31
7 Kap. 12, 31
11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen … 173
11
Arzneistoffgruppe
GCR-Agonist
CD20-Inhibitor
Calcineurin- Inhibitor
Prednisolon
Rituximab
Tacrolimus Bindung an das Immunophilin FKBP-12 und dadurch Hemmung der Phosphatase Calcineurin, was zur Hemmung der IL-2-Gentranskription führt (ähnlich wie Ciclosporin). Letztlich wird die T-Zell-Proliferation gehemmt und es resultiert ein immunsuppressiver Effekt.
Chimärer Antikörper gegen das Leukozytenantigen CD20. Dadurch wird die Funktion von B-Zellen gehemmt und es resultiert ein immunsuppressiver Effekt.
Pleiotrop: Hemmung der Synthese von Zytokinen, proinflammatorischen Enzymen und Adhäsionsmolekülen. Über die vielfältigen Wirkungen auf verschiedene Zellen des Immunsystems resultiert letztlich eine immunsuppressive Wirkung.
Wirkungen
Prophylaxe und Verhinderung von Transplantatabstoßung, Behandlung therapierefraktärer Autoimmunerkrankungen, topische Gabe auf die Haut bei atopischer Dermatitis
Therapie der rheumatoiden Arthritis (in Kombination mit MTX nach Versagen von TNF-Inhibitoren) und CD20-positiver Non-Hodgkin-Lymphome
Preiswerter Arzneistoff für viele Autoimmunerkrankungen und die Verhinderung der Transplantatabstoßung
Wichtige Indikationen
11
Arzneistoff
.. Tab. 11.1 (Fortsetzung)
Vergleich mit Ciclosporin: Nephrotoxizität ähnlich, keine Gingivahyperplasie, kein Hirsutismus, weniger Hyperlipidämien, stärkerer diabetogener Effekt; Neurotoxizität, Hautkrebsrisiko, Metabolisierung über CYP3A4; daher zahlreiche Interaktions risiken; TDM
Infusionsreaktionen (Zytokinfreisetzungssyndrom), Herzinsuffizienz, Aktivierung von Infektionen (z. B. Hepatitis B, Tuberkulose), PML
Bei systemischer und langfristiger (aber NICHT systemischer und kurzfristiger) Applikation oberhalb der Cushing-Schwelle CushingSyndrom mit Ödemen, Hypokaliämie, Osteoporose, Striae, Diabetes, Katarakt, Glaukom, ZNS-Veränderungen, Nebenniereninsuffizienz, Infektanfälligkeit
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 12, 19, 31
7 Kap. 3, 6
7 Kap. 13, 15, 19, 20, 23, 28, 31
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
174 Kapitel 11 · Immunpharmakologie
IL-12/23-Inhibitor
Ustekinumab Monoklonaler humaner Antikörper, der IL-12 und IL-23 bindet. Dadurch werden die pro-inflammatorischen Wirkungen von IL-12 und IL-23 auf Leukozyten unterbunden und es resultiert ein immunsuppressiver Effekt.
Monoklonaler humanisierter Antikörper gegen den IL-6R. Dadurch werden die pro-inflammatorischen Wirkungen von IL-6 auf Leukozyten unterbunden und es resultiert ein immunsuppressiver Effekt. Einsatz bei Autoimmun erkrankungen (Psoriasis, M. Crohn)
Autoimmunerkrankungen, insbesondere rheumatoide Arthritis
Lokale Reaktionen an Einstichstelle, Infektionen der oberen Atemwege, Depression, Schwindel, Kopfschmerzen, Diarrhoe, Müdigkeit, Muskelschmerzen
Aktivierung einer Tuberkulose, Infektionen der oberen Atemwege (insbesondere Nasopharyngitis), Kopfschmerzen, allergische Reaktionen
7 Kap. 3, 32, 33
Spezifische Arzneistoffe zur Behandlung der Colitis ulcerosa und des M. Crohn werden in 7 Kap. 13 besprochen; Arzneistoffe zur Behandlung des Asthmas in 7 Kap. 14. Einige Zytostatika wie Cyclophosphamid, 6-MP und MTX werden in niedriger Dosierung (low dose) zur Behandlung von Erkrankungen des Immunsystems eingesetzt. Wegen der klinischen Bedeutung werden in dieser Tabelle MTX sowie Azathioprin (6-MP-Prodrug) dargestellt. Cyclophosphamid und 6-MP werden in 7 Kap. 31 behandelt. Die Problematik der Nomenklatur von Arzneistoffen mit Angriff im Immunsystem geht auch deutlich aus den traditionellen Bezeichnungen hervor (siehe NKLM/IMPP-Arzneistoffliste, Serviceteil). In dieser Tabelle wird bewusst auf verwirrende Begriffe verzichtet
IL-6-Inhibitor
Tocilizumab
11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen … 175
11
176
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
moderne Pharmakotherapie obsolet. Er Die in . Abb. 11.1 dargestellten Prosuggeriert Gemeinsamkeiten, die es nicht zesse sind bei den einzelnen Erkrankungen gibt. von unterschiedlicher Bedeutung, weshalb nicht alle Eingriffsmöglichkeiten bei jeder Alle Arzneistoffe wirken mehr oder weniger Erkrankung genutzt werden. . Tab. 11.2 ausgeprägt immunsuppressiv und mit mehr gibt eine Zusammenfassung über drei häu- oder weniger UAW auf einen pathologifige Autoimmunerkrankungen – die rheu- schen Prozess, ohne die eigentliche Ursache matoide Arthritis, die multiple Sklerose und zu beseitigen. die Psoriasis. Weitere Autoimmunerkrankungen betreffen die Schilddrüse (7 Kap. 21), >>Dies impliziert, dass die Immunerkrankung wieder aufflackert, sobald der Arzdie neuromuskuläre Endplatte (Myasthenia neistoff abgesetzt wird. Deshalb muss die gravis) (7 Kap. 5), den Darm (Colitis ulcerosa Therapie von Autoimmunerkrankungen und M. Crohn) (7 Kap. 13) und die B-Zelle meist lebenslang durchgeführt werden. des Pankreas (Typ-1-Diabetes) (7 Kap. 19). Bestimmte Prozesse wie die T-Zell- Da viele Autoimmunerkrankungen schon im Proliferation (Hemmung durch Inhibitoren frühen bis mittleren Erwachsenenalter begindes Purin- und Pyrimidinstoffwechsels und nen, entstehen Behandlungszeiträume im Beder DNA-Synthese, verschiedene monoklo- reich von Jahrzehnten, was für Wirksamkeit, nale Antikörper, Immunophilin-Liganden, Verträglichkeit und Therapiekosten eine GCR-Agonisten), die TNF-Wirkung (Hem- große Herausforderung darstellt. Prinzipiell mung durch monoklonale Antikörper und ist eine kostengünstige und effektive TheraFusionsproteine) und die Expression proin- pie von Immunerkrankungen in vielen Fällen flammatorischer Enzyme (Hemmung durch möglich, wenn bewährte und preiswerte ArzGCR-Agonisten) werden bei vielen Immun- neistoffe wie GCR-Agonisten, MTX und erkrankungen pharmakologisch beeinflusst, Azathioprin eingesetzt werden. während andere Prozesse wie die T-Zell-Mi Demgegenüber entstehen mit therapeutigration über die BHS (Hemmung durch Na schen Fusionsproteinen und monoklonalen talizumab) oder die T-Zell-Wanderung aus den Antikörpern häufig Therapiekosten im BeLymphknoten (Hemmung durch Fingolimod) reich von derzeit 15.000–25.000 € pro Patinur bei multipler Sklerose therapeutisch beein- ent und Jahr, sodass eine sorgfältige Abwäflusst werden. Einige Arzneistoffe (insbeson- gung zwischen entstehenden Kosten und dere monoklonale Antikörper und Fusions- Nutzen (Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit, proteine) beeinflussen nur einen definierten UAW, Mortalität) erfolgen muss. Der Prozess, während andere Arzneistoffe (GCR- TNF-Inhibitor Etanercept zur Therapie von Agonisten, IFN-β, Fingolimod, Glatirame r rheumatoider Arthritis und Psoriasis gehört acetat und Dimethylfumarat, Hydroxychlor inzwischen zu den umsatzstärksten Arzneioquin, sowie 5-ASA, 7 Kap. 13) pleiotrop stoffen in Deutschland. Vor dem Hinterwirken. grund hoher Profitmargen ist die EntwickFrüher wurden alle Arzneistoffe zur Be- lung von monoklonalen Antikörpern und handlung von Autoimmunerkrankungen, Fusionsproteinen für die pharmazeutische die NICHT GCR-Agonisten oder COX- Industrie finanziell sehr interessant und es Inhibitoren darstellten, unter dem Begriff findet eine Zulassungsexplosion statt. Von „Basistherapeutika“ subsumiert. jedem neu zugelassenen Arzneistoff muss
11
>>Da der Begriff „Basistherapeutika“ mechanistisch nicht positiv (sondern nur durch Ausschluss bestimmter Arzneistoffgruppen negativ) d efiniert ist, ist er für die
erwartet werden, dass er im Vergleich zu einer meist bereits vorhandenen Standardtherapie einen therapeutischen Fortschritt darstellt (7 Kap. 1).
Multiple Sklerose
Prävalenz ~ 150 pro 100.000 Einwohner. Frauen : Männer = 2 : 1, Krankheitsbeginn häufig zwischen 15. und 40. Lebensjahr
Autoimmunerkrankung, die sich gegen die Myelinscheiden der Neuronen richtet.
Multiple entzündliche Entmarkungsherde in Gehirn und Rückenmark; typische Läsionen im MRT
Schubförmig-remittierender oder progredienter Verlauf; breites Spektrum neurologischer Störungen (z. B. Retrobulbär neuritis, Doppelbilder, Ataxie, Parästhesien, Schmerzen, Lähmungen, Spastik)
Parameter
Epidemiologie
Pathophysiologie
Pathologie
Klinik
Schleichender oder auch plötzlicher Beginn mit Schwellungen und Schmerzen in kleinen Fingeroder Zehengelenken; Müdigkeit, Fieber, Appetit losigkeit; Morgensteifigkeit; typische Erosionen und subchondrale Osteoporose und Fehlstellungen von Gelenken
Gelenkentzündungen mit typischer Lokalisation und Pannusbildung in der Synovialis, die langfristig zu Gelenkzerstörung und Funktionsverlust führen.
Autoimmunerkrankung, die sich primär in den Gelenken (vor allem in der Synovialis) manifestiert.
Prävalenz ca. 0,5–1 % der Bevölkerung. Frauen : Männer = 3 : 1; alle Altersgruppen können betroffen sein; Erkrankungsgipfel bei Frauen zwischen 55. und 65. Lebensjahr
Rheumatoide Arthritis
(Fortsetzung)
Stark schuppende Hautstellen (häufig Knie, Ellenbogen, Kopfhaut) von Punkt- bis Handtellergröße; dazu Nagelveränderungen
Hyper- und Parakeratose der Epidermis mit Funktionsstörung der Haut (punktförmige Blutungen, Mikro abszesse)
Autoimmunerkrankung, die sich primär an der Haut manifestiert; Kopplung an bestimmte HLA-Polymorphismen; Auslösung durch Trigger (Arzneistoffe, Streptokokkeninfekte)
Prävalenz ca. 2,5 % der Bevölkerung; Psoriasis vulgaris häufigste Form (60–70 % der Fälle); Manifestation vor dem 40. Lebensjahr (Gipfel zwischen 15. und 25. Lebensjahr); beide Geschlechter ähnlich häufig betroffen
Psoriasis
.. Tab. 11.2 Übersicht über die Pathophysiologie, Klinik und Pharmakotherapie von multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis und Psoriasis
11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen … 177
11
Multiple Sklerose
Massive Einschränkung der Lebensqualität (Gehbehinderung, Blasenfunktionsstörungen, Störungen der Sexualität, chronische Schmerzen, Depression)
Bei milden bis moderaten Verlaufsformen zunächst IFN-β, Glatirameracetat, Dimethylfumarat oder Teriflunomid; Reservetherapie Azathioprin. Bei schweren Verlaufsformen Fingolimod, Natalizumab oder Alemtuzumab; Reservetherapie mit Cyclophosphamid; außerdem symptomatische Therapie von Spastik (Dronabinol) und Schmerzen (NE/5-HT-Verstärker, SCB, CCB)
Komplikationen
Pharmakotherapie
Basistherapie mit MTX (low dose); Initial dazu GCR-Agonisten, die möglichst bald reduziert werden. Bei unzureichendem Erfolg wird MTX mit Leflunomid oder Sulfasalazin kombiniert. Bei weiterer unzureichender Wirkung wird MTX mit TNF- und/oder IL-1-Inhibitoren kombiniert. Alternativ können initial auch TNF- und/oder IL-1-Inhibitoren sowie IL-6-Inhibitoren eingesetzt werden. In therapierefraktären Fällen kommen Rituximab oder Abatacept zum Einsatz; außerdem kurzfristige symptomatische Behandlung von Schmerzen und Entzündung mit COX-Inhibitoren (keine Langzeitanwendung wegen UAW)
Massive Einschränkung der Lebensqualität durch verringerte Mobilität, systemische Komplikationen (Lungenfibrose, Peri- und Endokarditis, Anämie, Neuropathie, Augenentzündungen)
Rheumatoide Arthritis
11
Parameter
.. Tab. 11.2 (Fortsetzung)
Initial topische Therapie mit GCR- Agonisten und Vitamin-D-Derivaten. Später PUVA-Therapie (Psoralen + UVA). In schweren Fällen systemisch GCR-Agonisten, Ciclosporin, MTX (low dose), Leflunomid oder Dimethylfumarat; in therapieresistenten Fällen TNF- Inhibitoren, Ustekinumab (IL-12- und IL-23-Inhibitoren), PDE4-Inhibitoren oder IL-17-Inhibitoren
Generalisierung mit Allgemein symptomen (Fieber, Abgeschlagenheit) und Pustelbildung (Einwanderung neutrophiler Granulozyten); systemische Komplikationen: Arthritis, Uveitis
Psoriasis
178 Kapitel 11 · Immunpharmakologie
179 11.1 · Pathophysiologie von Autoimmunerkrankungen …
Obwohl das Immunsystem bei Autoimmunerkrankungen und bei der Transplantatabstoßung Krankheitssymptome verursacht, wird es dafür benötigt, den Organismus vor Infekten und der Ent stehung von Tumoren zu schützen. >>Da die derzeit zur Verfügung stehenden Arzneistoffe nicht zwischen physiologischen und pathologischen Immunprozessen unterscheiden, erhöhen viele Arzneistoffe Infektanfälligkeit und Tumorrisiko.
Deshalb ist man bestrebt, die Arzneistoffdosis so niedrig wie möglich zu wählen, um einerseits die Erkrankung zu kontrollieren und andererseits keine lebensgefährliche Immunsuppression zu induzieren. Eine andere Strategie zur Maximierung therapeutischer Wirkungen und Minimierung von UAW besteht darin, Arzneistoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zu kombinieren. Die Arzneistoffauswahl erfolgt angepasst an die Krankheitssituation. Insbesondere bei Gabe von Immunophilin-Liganden, die CYP3A4-Substrate sind, müssen Arzneistoffinteraktionen, die zu Wirkungsabschwächung bzw. -verstärkung führen können, berücksichtigt werden (7 Kap. 2). In diesen Fällen muss ein TDM erfolgen, um eine optimale therapeutische Wirkung zu erzielen. Da Spenderorgane in Deutschland Mangelware sind, sind eine genaue Einstellung der Patienten sowie hohe Adhärenz zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen zwingend erforderlich. Bestimmte Arzneistoffe haben sehr starke immunsuppressive Wirkung und werden deshalb nur in schwerwiegenden klinischen Situationen eingesetzt. So finden der CD3-Antikörper Muromonab und der Purinstoffwechsel-Inhibitor Mycophenolat mofetil vor allem bei gravierenden Transplantatabstoßungsreaktionen Anwendung und der CD52-Antikörper Alemtuzumab bei schwerer multipler Sklerose. Allerdings muss mit erheblichen UAW gerechnet werden.
11
Wegen ihrer potenziell lebensgefährlichen UAW gehören die in diesem Kapitel besprochenen Arzneistoffe in die Hände eines Facharztes. Die Rolle des Hausarztes besteht darin, die Adhärenz sicherzustellen und einen Überblick über alle weiteren verschriebenen Arzneistoffe zu behalten, um Interaktionen sowie UAW zu erkennen und zu vermeiden (7 Kap. 2). Abgeschlagenheit, Fieber und Schüttelfrost sind Hinweise auf einen Infekt. Zeichen für eine drohende Nierenabstoßung sind abnehmende Urinmenge und Ödeme, für eine beginnende Leberabstoßung Ikterus und heller Stuhl, für eine Pankreasabstoßung Hyperglykämie und für eine Herzabstoßung rasche Ermüdbarkeit, Atemnot, Ödeme und Arrhythmien. In diesen Fällen muss die immunsuppressive Medikation sofort überprüft (TDM) und adjustiert werden.
>>Da viele Patienten mit Autoimmunerkrankungen im fortpflanzungsfähigen Alter sind, spielt die Sicherheit der Arzneistoffe während der Schwangerschaft eine Rolle.
MTX, Leflunomid, Mycophenolat-Mofe til, Azathioprin, 6-MP und Cyclophos phamid sind aufgrund ihrer Zytostatika-ähnlichen Wirkmechanismen teratogen und daher in der Schwangerschaft kontraindiziert (7 Kap. 31). Werden diese Arzneistoffe bei Frauen im gebärfähigen Alter eingesetzt, ist eine sichere Kontrazeption erforderlich (7 Kap. 24). Bei einigen Autoimmunerkrankungen, insbesondere umgrenzter Psoriasis und atopischer Dermatitis sowie Colitis ulcerosa (7 Kap. 13), ist es möglich, Arzneistoffe lokal zu applizieren und damit die erwünschten Wirkungen auf ein Areal zu fokussieren und systemische UAW weitgehend zu vermeiden. In den meisten Fällen spielt sich das pathologische Immungeschehen aber an vielen Orten im Körper ab, sodass eine systemische Therapie unumgänglich ist. Dementsprechend muss auch mit systemischen UAW gerechnet werden. Es gibt bestimmte
180
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
besitzt Prednisolon als voller Agonist eine um 20 % geringere Potenz als Cortisol. Die Plasma-HWZ beträgt nur 3 Stunden, aber die Wirkdauer beträgt wegen der Beeinflussung der Genexpression 18–36 Stunden (7 Kap. 2). Dementsprechend vergehen ca. 12–18 Stunden, ehe eine Wirkung auf die Genexpression klinisch manifest wird. In 11.2 GCR-Agonisten der Anwendung von GCR-Agonisten gibt es vier wesentliche Probleme: GCR-Agonisten gehören seit Jahrzehnten 1. Die erwünschten immunsuppressiven zu den effektivsten Arzneistoffen mit sehr und antiinflammatorischen Wirkungen gut bekannten UAW. GCR-Agonisten sind lassen sich nicht von den metabolischen zudem sehr preiswert. Sie wirken sowohl Wirkungen dissoziieren. antiinflammatorisch als auch immunsup- 2. Anders als bei SERM (7 Kap. 20, 24 pressiv, indem sie über nukleäre Rezeptoren und 31) gibt es keine organspezifisch wirdie Expression vieler für Immunprozesse rekenden GCR-Agonisten. levanter Gene beeinflussen (7 Kap. 1). 3. Zur Erzielung einer ausreichenden GCR-Agonisten hemmen die Expression Wirkung müssen initial Prednisolon-Dosen der proinflammatorischen Zytokine IL-1, oberhalb der Cushing-Schwellendosis gegeIL-2, IL-6, IL-8 und TNF. Sie verringern die ben werden. Das ist die Dosis von Expression von Kollagenasen (Schutz vor Prednisolon, oberhalb derer bei Bindegewebsabbau), PLA2 (verringerte SynDauertherapie ein Cushing-Syndrom aufthese von PG und LT), COX-2 (verminderte tritt, nämlich dann, wenn der GCR im PG-Synthese) und NO-Synthase (verrinmenschlichen Organismus stärker aktiviert wird als durch das endogen produzierte gerte NO-Produktion). Außerdem wird die Cortisol. Cortisol wird täglich in einer Menge Expression von für die Immunzelladhäsion von 15–30 mg (Frauen) und 30–40 mg wichtigen Integrinen und Selektinen verhin(Männer) produziert. Da Prednisolon dert. Ferner reduzieren GCR-Agonisten die viermal potenter als Cortisol ist, entsteht Expression von Major-Histocompatibilioberhalb einer täglichen Prednisolon-Dosis ty-Complex (MHC)-Proteinen, die für die von 3,75–7,5 mg bei Frauen und 7,5–10 mg Immunerkennung (selbst versus fremd) bei Männern ein Cushing-Syndrom. wichtig sind. Wegen dieser Wirkungen können GCR- 4. Bei einer Therapiedauer > 7 Tagen hemmt Agonisten bei sehr vielen AutoimmunerPrednisolon die hypophysäre ACTH-Freikrankungen und Organtransplantationen setzung. Dadurch wird die endogene Cortisolproduktion in der Zona fascicumit Erfolg eingesetzt werden, weiterhin zur Prophylaxe (nicht Akut-Therapie!) des analata der Nebennierenrinde gehemmt. Bei phylaktischen Schocks, zur Verhinderung eimehrwöchiger Therapie kommt es zur nes Hirnödems und toxischen Lungenödems Atrophie der Zona fasciculata, sodass bei und zur Therapie des Asthmas (7 Kap. 14). plötzlichem Absetzen von Prednisolon die endogene Cortisolproduktion nicht Prednisolon ist ein prototypischer syneinsetzen kann und der Patient in eine thetischer GCR-Agonist, der sehr häufig Cortisolmangelsituation kommt (Addi zur Behandlung von Immunerkrankungen son-Syndrom). Ein Cortisolmangel ist leverwendet wird. Prednisolon aktiviert den bensbedrohlich und durch Schwäche, GeGCR mit vierfach höherer Potenz als der wichtsverlust, Anorexie, Hypoglykämie endogene GCR-Agonist Cortisol und ist ein und BD-Abfall gekennzeichnet. voller Agonist (7 Kap. 1 und 10). Am MCR Autoimmunerkrankungen wie Myasthenia gravis (7 Kap. 5), Autoimmunhypothyreose und -hyperthyreose (7 Kap. 21) sowie Typ-1-Diabetes (7 Kap. 19), die primär funktionell durch Korrekturen der gestörten Organfunktion behandelt werden können.
11
11
181 11.2 · GCR-Agonisten
Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, wird Prednisolon initial in hohen Dosierungen von 30–70 mg/Tag gegeben, um eine rasche antiinflammatorische und immunsuppressive Wirkung zu erzielen. Dann wird die Dosierung bei Männern möglichst zügig auf 7,5–10 mg reduziert (bei Frauen auf 3,75–7,5 mg). Dies entspricht der Cushing-Schwellendosis. Außerdem sollte man Prednisolon morgens (zwischen 6–8 Uhr) geben, weil in diesem Zeitraum die Empfindlichkeit der Hypophyse für die Hemmwirkung von Prednisolon auf die ACTH-Freisetzung am geringsten ist. Alternativ kann man die doppelte Prednisolon- Tagesdosis jeden zweiten Tag geben. Wenn immer möglich, sollten GCR-Agonisten lokal appliziert werden, um systemische UAW zu minimieren. Dies ist vor allem bei dermatologischen Erkrankungen, Colitis ulcerosa (7 Kap. 13) und Atemwegserkrankungen (7 Kap. 14) möglich. Lokal werden zur Minimierung systemischer UAW bevorzugt GCR-Agonisten mit hohem first-pass- Effekt gegeben (7 Kap. 2). Bei schweren Immunerkrankungen und bei Abstoßungsreaktionen nach Transplantation kann man die Cushing-Schwellendosis langfristig häufig nicht unterschreiten und ein Cushing-Syndrom muss als UAW in Kauf genommen werden. In diesen Fällen muss die Dosisreduktion bzw. das Absetzen ausschleichend erfolgen, um eine Nebennierenrindeninsuffizienz zu vermeiden. Oberhalb der Cushing-Schwellendosis bewirkt Prednisolon eine Natrium- und Wasserretention mit Hypokaliämie und Hypertonie als Folge der MCR-Aktivierung (7 Kap. 15 und 16). Als Konsequenz der GCR-Aktivierung werden die Gluconeogenese stimuliert, die Insulinwirkung reduziert und die Glucagonfreisetzung stimuliert. Die Folge ist eine Hyperglykämie, wodurch ein Diabetes verschlechtert wird. Dementsprechend muss bei insulinpflichtigen Patientien mit Diabetes die Insulindosis erhöht werden, um eine Hyperglykämie zu vermeiden (7 Kap. 19). Die verstärkte
Gluconeogenese geht mit einem gesteigerten Proteinabbau einher. Dies manifestiert sich in Abbau der Skelettmuskulatur, Osteoporose (7 Kap. 20) und Hautatrophie (striae rubrae und Pergamenthaut). Die Lipolyse wird stimuliert und das Fettgewebe umverteilt. Durch diese metabolischen Veränderungen haben Patienten unter Prednisolon-Therapie ein aufgedunsenes Gesicht (Mondgesicht), Stier- oder Büffelnacken und aufgetriebenen Bauch (Stammfettsucht) sowie atrophische Extremitäten. Außerdem kann es zu Angststörungen und Depression kommen. Die psychischen Veränderungen können die Adhärenz beeinträchtigen und müssen durch Dosisreduktion, psychotherapeutische Begleitung und/oder Gabe von NE/5-HT- Verstärkern (7 Kap. 28) behandelt werden. Am Auge kann es zu einer Katarakt und IOD-Erhöhung kommen (7 Kap. 30). Folge der Immunsuppression ist eine erhöhte Infektanfälligkeit, z. B. für Kandidose (7 Kap. 34). Außerdem ist die Wundheilung beeinträchtigt. Dies ist bei Verletzungen sowie chirurgischen Eingriffen relevant, weil dadurch die Gefahr von Wundinfektionen steigt.
>>Trotz seiner UAW bleibt Prednisolon der Goldstandard für die Therapie vieler Autoimmunerkrankungen. Die Cushing- Syndrom-Phobie unter Prednisolon-Therapie ist sehr viel häufiger als ein tatsächliches Cushing-Syndrom.
Eine Cushing-Syndrom-Phobie kann leicht zu einer Unterdosierung von Prednisolon führen und damit zum Aufflackern der Grunderkrankung. Dexamethason ist ein reiner GCR-Agonist mit 25-fach höherer Potenz am GCR als Cortisol. Daraus ergibt sich für Dexamethason eine Cushing-Schwellendosis von 1,2 mg bezogen auf eine tägliche Cortisolsekretionsrate von 30 mg. Im Gegensatz zu Prednisolon besitzt Dexamethason keine agonistische Wirkung am MCR. Prinzipiell entsprechen die Einsatzgebiete von D examethason denen von
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
182
Prednisolon. Dexamethason wird vor allem bei Hirnödemen, insbesondere bei Hirntumoren, und allgemein in der palliativen Tumortherapie eingesetzt. Klinische Studien weisen daraufhin, dass Dexamethason (gilt aus mechanistischen Gründen sehr wahrscheinlich auch für Prednisolon) schwere Verläufe von COVID-19 milden kann (7 Kap. 33). Es bleibt abzuwarten, ob dies bestätigt wird, da es gerade im Zusammenhang mit COVID-19 viele Fehlinformationen gegeben hat (7 Kap. 10, 11, 15, 33).
11.3 Inhibitoren des Purin- und
Pyrimidinstoffwechsels und der DNA-Synthese
11
Bei vielen Autoimmunerkrankungen und bei Transplantatabstoßung kommt es zu einer starken T-Zell-Proliferation, die pathologische Immunreaktionen unterhält. Die T-Zell-Proliferationshemmung ist daher ein wichtiges Therapieprinzip bei Erkrankungen des Immunsystems. Diese Strategie nahm ihren Ausgangspunkt von der Beobachtung, dass klassische Zytostatika als eine wichtige UAW eine Immunsuppression bewirken (7 Kap. 31). Das Ziel bei der Nutzbarmachung dieser UAW als therapeutische Wirkung bei Autoimmunerkrankungen lag darin, eine möglichst langfristige Hemmung der T-Zell-Proliferation zu erzielen, ohne die sonstigen typischen UAW der Zytostatika wie Haarausfall, Stomatitis, Übelkeit, Erbrechen und Knochenmarkdepression in Kauf nehmen zu müssen.
>>Bei vielen Autoimmunerkrankungen kann durch niedrige Dosierung klassischer Zytostatika (low-dose-Therapie mit MTX, Azathioprin oder 6-MP und Cyclophosphamid) eine effiziente T-Zell-Prolifera tionshemmung erzielt werden.
Der wichtigste Arzneistoff dieser Gruppe ist das Folsäure-Analogon MTX. In einer hohen (zytostatisch wirksamen) Dosis hemmt
MTX die DHFR und führt dadurch zur Verarmung an Thymidin und Purinbasen (7 Kap. 31). MTX kann bei vielen Autoimmunerkrankungen mit Erfolg eingesetzt werden, darunter rheumatoider Arthritis und Psoriasis (. Tab. 11.2), Myasthenia gravis (7 Kap. 5), M. Crohn (7 Kap. 13), Dermatomyositis, Vaskulitiden, Sklerodermie, Sarkoidose, Lupus erythematodes und Spondylitis ankylosans. Für die Immunsuppression werden MTX-Dosierungen von 5–25 mg einmal wöchentlich gegeben, also Dosierungen, die 70- bis 300-mal niedriger sind als bei zytostatischer Therapie. Dementsprechend ist eine immunsuppressive MTX-Therapie auch viel besser verträglich als eine zytostatische MTX-Hochdosistherapie.
>>Eine MTX-Überdosierung bei Autoimmunerkrankungen muss unbedingt vermieden werden, weil sonst gravierende UAW auftreten können. Insbesondere muss überprüft werden, ob eine CKD vorliegt.
Vom Therapiebeginn mit MTX bis zum Wirkungseintritt vergehen häufig 4–8 Wochen. >>Es ist wichtig, dem Patienten den verzögerten Wirkungseintritt einer immunsuppressiven Therapie zu erklären, damit die Adhärenz erhalten bleibt und die Therapie nicht vorzeitig wegen „Wirkungslosig keit“ abgebrochen wird.
Ein zusätzlicher Vorteil der MTX-Therapie sind die sehr geringen Therapiekosten. Der Wirkmechanismus von MTX in der low-dose-Immuntherapie ist ein anderer als bei der high-dose-Zytostase. In immunsuppressiver Dosierung hemmt MTX die AICAR-Transformylase. Das akkumulierende AICAR hemmt die AMP-Desaminase und Adenosindesaminase. Dies bewirkt einen Anstieg der intrazellulären Adenosinkonzentration. Adenosin wird vermehrt aus Entzündungszellen freigesetzt und aktiviert Adenosinrezeptoren, die immunsuppressive
11
183 11.3 · Inhibitoren des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels und der DNA-Synthese
Wirkungen vermitteln. Die Freisetzung von IL-1, IL-6 und TNF wird reduziert, ebenso die LT-Freisetzung und T-Zell-, Endothelund Fibroblastenproliferation. Unter MTX (low dose) werden vermindert Metalloproteasen freigesetzt; dadurch wird die Pannusbildung in der Synovialis bei rheumatoider Arthritis vermindert. Bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis mit MTX ist eine wichtige Arzneistoffinteraktion zu beachten.
mit die GMP-Synthese. Dadurch stehen weniger Purinbasen für die DNA-Biosynthese zur Verfügung und es kommt über eine Hemmung der B- und T-Zell-Proliferation zu starker Immunsuppression. Diese wird zur Verhinderung akuter Transplantatabstoßungen in Kombination mit GCR- Agonisten und Ciclosporin genutzt. Mycophenolat ist der aktive Metabolit des Prodrugs Mycophenolat Mofetil. Aus dem Ester wird Mycophenolat in der ersten Leberpassage nach p.o.-Gabe >>Diese Patienten werden häufig symptomafreigesetzt (7 Kap. 2). Die Bioverfügbarkeit tisch mit COX-Inhibitoren behandelt. ist sehr hoch und die HWZ mit 16 Stunden Diese Arzneistoffgruppe konkurriert mit recht lang. Dies liegt am enterohepatischen MTX um die tubuläre Sekretion, sodass Kreislauf. Mycophenolat wird in der Leber es zu einer verminderten MTX-Ausscheiglucuronidiert und damit inaktiviert. Der dung und damit erhöhten MTX-Toxizität Grund für die eingeschränkte Anwendung kommen kann (7 Kap. 12). von Mycophenolat-Mofetil ist darin zu sehen, dass es zahlreiche gravierende UAW beLeflunomid hemmt die Dihydroorotat-De- sitzt (. Tab. 11.1). hydrogenase. Da Orotat ein wichtiger Azathioprin ist ein Prodrug von Grundbaustein der Pyrimidinsynthese ist, 6-MP. Nach p.o.-Gabe wird 6-MP in der Lewerden weniger Vorstufen für die DNA- ber durch die Glutathion-S-Transferase aus Synthese bereitgestellt. Diese Hemmung be- Azathioprin freigesetzt. Die pharmakologitrifft insbesondere die bei Autoimmuner- schen Eigenschaften von 6-MP werden in krankungen und Transplantatabstoßung 7 Kap. 32 besprochen. In den für Immunerschnell proliferierenden T-Zellen, wodurch krankungen verwendeten niedrigen Dosiedie immunsuppressive Wirkung von Leflu- rungen (Low Dose) hemmt 6-MP die B- und nomid zustande kommt. Leflunomid wird T-Zell-Proliferation und wirkt dadurch imvor allem bei der rheumatoiden Arthritis munsuppressiv. Die UAW sind geringer als und der Psoriasis eingesetzt. Mit einem in der zytostatischen Hochdosistherapie. Wirkungseintritt ist frühestens 2–3 Wochen Aber auch bei niedrigen Dosen muss darauf nach Therapiebeginn zu rechnen. Nach geachtet werden, dass es bei Patienten mit p.o.-Gabe wird Leflunomid in der Leber verringerter Thiomethyltransferaseaktivität zum aktiven Metaboliten Teriflunomid um- zu verlangsamter Inaktivierung und erhöhgewandelt, d. h. Leflunomid ist ein Prodrug. ter Myelotoxizität kommen kann. Ebenso Teriflunomid unterliegt einem extensiven ist die Azathioprintoxizität bei Komedikaenterohepatischen Kreislauf mit einer HWZ tion mit XO-Inhibitoren erhöht (7 Kap. 23). von 14 Tagen (7 Kap. 2). Falls schwere Azathioprin ist sehr preiswert und wird zur UAW auftreten (. Tab. 11.1), kann der Therapie verschiedener Autoimmunerkranenterohepatische Kreislauf mit Aktivkohle kungen eingesetzt. (7 Kap. 4) oder Colestyramin (7 Kap. 22) Ein weiterer in der Therapie von Immununterbrochen werden, um die Ausscheidung erkrankungen eingesetzter Arzneistoff (low und damit das Abklingen der UAW zu be- dose) ist das Alkylans Cyclophosphamid schleunigen. (schwere Formen von rheumatoider ArthriMycophenolat-Mofetil hemmt die Ino- tis, Lupus erythematodes, Sklerodermie und sinmonophosphat-Dehydrogenase und so- Vaskulitiden) (7 Kap. 31).
184
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
11.4 Immunophilin-Liganden
handlung des Nierenzellkarzinoms und verschiedener neuroendokriner Tumoren. Everolimus ist somit auch ein Beispiel für ein Targeted Therapeutic für die Tumortherapie (7 Kap. 31). Immunophilin-Liganden erhöhen die Infektanfälligkeit und Tumorinzidenz. Es gibt klinisch wichtige Unterschiede, die bei der Auswahl des für den Patienten am besten passenden Arzneistoffs berücksichtigt werden müssen. Ciclosporin kann Nierenund Leberfunktionsstörungen, Hypertrichose und Gingivahyperplasie hervorrufen, bei Langzeittherapie auch Hypertonie, Dyslipidämie, Adipositas und Diabetes (7 Kap. 15, 19 und 22).
Ciclosporin bindet an das Immunophilin Cyclophilin und unterbindet damit dessen Interaktion mit der Phosphatase Calcineurin. Damit wird die Aktivierung eines Transkriptionsfaktors unterbunden, der die IL-2-Expression steuert. IL-2 ist für die T-Zell-Proliferation essentiell. Somit hemmt Ciclosporin über eine verminderte IL-2-Synthese die T-Zell-Proliferation und wirkt dadurch immunsuppressiv. Ta crolimus bindet an das Immunophilin FKBP-12 und hemmt auch die Calcineurin-Aktivierung. Everolimus bindet ebenfalls an FKBP-12, hemmt jedoch nicht Calcineurin, sondern die Proteinkinase mTOR, die als Checkpoint- >>Eine Gingivahyperplasie kann nicht nur Kinase am Übergang von der G1- zur S-Phase durch Ciclosporin, sondern auch durch die T-Zellproliferation kontrolliert (7 Kap. 31). den CCB Amlodipin (7 Kap. 15) und den Immunophilin-Liganden haben eine proSCB Phenytoin (7 Kap. 25) hervorgerublematische Bioverfügbarkeit und eine gefen werden. Um das Risiko dieser UAW zu ringe therapeutische Breite, weshalb bei der verringern, ist eine exzellente Zahnhygiene Transplantation ein TDM durchgeführt erforderlich. Hier ist interdisziplinäre Zuwird (7 Kap. 2). Das TDM ist auch deshalb sammenarbeit zwischen Neurologe und von Bedeutung, weil alle drei Arzneistoffe Zahnarzt gefragt. CYP3A4-Substrate sind und daher ein hohes Interaktionspotential für CYP3A4- Tacrolimus besitzt eine ähnliche NephrotoxiziInduktoren (Wirkungsabschwächung der tät wie Ciclosporin, aber kein Risiko für GingiImmunophilin-Liganden) oder CYP3A4- vahyperplasie und Hirsutismus. Das Risiko für Inhibitoren (Wirkungsverstärkung der Im- Dyslipidämie ist reduziert, dafür das Diabemunophilin-Liganden) besitzen (7 Kap. 2). tes-Risiko erhöht. Im Unterschied zu CicloCiclosporin wird zur Verhinderung der sporin ist Tacrolimus neurotoxisch. EveroliTransplantatabstoßung sowie zur Therapie mus ist im Gegensatz zu Ciclosporin und zahlreicher Autoimmunerkrankungen wie Tacrolimus nicht nephrotoxisch (7 Kap. 11), rheumatoider Arthritis, Psoriasis, Alopecia führt aber zu Stomatitis, Anämie, LDL-Hypercholesterinämie und Hyperglykämie. areata und Sjögren-Syndrom eingesetzt. Wegen der größeren immunsuppressiven Maximalwirkung als Ciclosporin wird Tacroli- 11.5 Monoklonale Antikörper und mus insbesondere bei drohender Transplantattherapeutische abstoßung und anderweitig therapierefraktäFusionsproteine ren Autoimmunerkrankungen wie Colitis ulcerosa, M. Crohn und Myasthenia gravis gegeben. Ein weiteres wichtiges Anwendungsge- >>Noch einmal zur Erinnerung (7 Kap. 1): Der Begriff Biologicals für die in diesem biet ist die topische Tacrolimusapplikation bei Abschnitt besprochenen Arzneistoffe ist atopischer Dermatitis. Im Unterschied zu irreführend und nicht informativ, daher GCR-Agonisten kommt es unter Tacrolimus also entbehrlich. nicht zu Hautatrophie. Everolimus wird zur Verhinderung der Organabstoßung nach Monoklonale Antikörper und therapeutische Transplantation eingesetzt, außerdem zur Be- Fusionsproteine sollen möglichst spezifisch
11
185 11.5 · Monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine
und mit geringen UAW in pathologische Immunprozesse eingreifen. Dieses Ziel wird jedoch nur teilweise erreicht. Generell muss damit gerechnet werden, dass Arzneistoffe, die bestimmte Moleküle des Immunsystems blockieren, nicht nur immunsuppressiv in der relevanten Indikation wirken, sondern als UAW auch Infektanfälligkeit und die Tumorinzidenz erhöhen. Beispiele sind Natali zumab, das PML begünstigt, und das insbesondere in Kombination mit anderen immunmodulatorischen Arzneistoffen Lymphome verursachen kann. Das PML-Risiko lässt sich reduzieren, wenn man Patienten von der Therapie ausschließt, die einen positiven Nachweis für das verursachende JC-Virus haben oder die vorher immunsuppressiv behandelt wurden. Unter Therapie mit bestimmten monoklonalen Antikörpern (z. B. Alemtuzumab) kommt es auch zu erhöhter Inzidenz von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (7 Kap. 21). Generell sind monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine, die dem Patentschutz unterliegen, sehr teure Arzneistoffe. Inzwischen gehen fast 15 % der Arzneimittelkosten in Deutschland auf deren Konto. Ca. 30 % der in der klinischen Prüfung befindlichen Arzneistoffe sind monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine. Aus diesen Zahlen ist absehbar, dass auf das Gesundheitssystem große finanzielle Herausforderungen zukommen werden, wenn diese Arzneistoffe unkritisch eingesetzt werden. Nach Ablauf des Patentschutzes werden generische therapeutische Antikörper (Biosimilars, abgeleitet von Biologicals) auf den Markt gebracht, die preiswerter sind als die entsprechenden Arzneimittelspezialitäten. Generische therapeutische Antikörper besitzen praktisch immer eine identische Wirksamkeit wie die Originalpräparate, auch wenn dies aus kommerziellen Interessen häufig zu Unrecht in Frage gestellt wird (7 Kap. 1).
11
>>Daher ist der Begriff „Biosimilars“ für die Pharmakotherapie entbehrlich. Die Begriffe „generische monoklonale Antikörper“ und „generische therapeutische Fusions proteine“ sind neutraler.
In der Therapie von Autoimmunerkrankungen werden monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine eingesetzt, die sich gegen eine Zielstruktur in einem bestimmten pathologischen Immunprozess richten. Die ersten in die Therapie eingeführten monoklonalen Antikörper waren zu 100 % Mausproteine; sie sind daher mit einem hohen Allergierisiko behaftet (7 Kap. 3). In humanisierten monoklonalen Antikörpern beträgt der Mausanteil nur noch 10 % (Arzneistoffendung _zumab) und in humanen monoklonalen Antikörpern (Arzneistoffendung _umab) ist kein Mausanteil mehr enthalten und das Allergisierungsrisiko deshalb nur noch sehr gering. Bei therapeutischen Fusionsproteinen (Arzneistoffendung _cept) wird die extrazelluläre Domäne eines Zytokinrezeptors mit dem Fc-Anteil von humanem IgG fusioniert. Das Allergisierungsrisiko ist wie bei humanen monoklonalen Antikörpern gering. Prinzipiell kann es zur Ausbildung neutralisierender Antikörper gegen therapeutische Antikörper und Fusionsproteine und damit zu einer Aufhebung der pharmakologischen Wirkung kommen. In der Therapie von Autoimmunerkrankungen und Transplantatabstoßung ist die T-Zell-Proliferation von besonderer Bedeutung; bei bestimmten Autoimmunerkrankungen spielen auch B-Zellen eine Rolle. Basilixi mab ist ein monoklonaler Antikörper gegen den für die T-Zell- Proliferation wichtigen IL-2R. Antikörper gegen das CD3-Antigen bewirken eine T-Zell-Apoptose; Abatacept hemmt die Kostimulation von T-Zellen durch Antigen-präsentierende Zellen. Alemtuzu mab führt über Bindung an CD52 zu T- und B-Zell-Apoptose (Reset des Immunsystems) und Rituximab bewirkt durch Bindung an CD20 eine B-Zell-Apoptose. Wegen hoher
186
11
Kapitel 11 · Immunpharmakologie
Therapiekosten und UAW muss der Einsatz o. g. Arzneistoffe auf therapierefraktäre Situationen beschränkt werden. Ein weiterer Grund für eine zurückhaltende Anwendung folgt da raus, dass diese Arzneistoffe in fundamentale Immunprozesse eingreifen, die für die Infektabwehr von Bedeutung sind. Eine andere Strategie zur Immunsuppression besteht darin, die Funktion proinflammatorischer Zytokine zu blockieren. Allerdings ist das Infektionsrisiko erhöht, insbesondere, wenn IL-1-Inhibitoren und TNF-Inhibitoren kombiniert werden. Anakinra bindet an den IL-1R und verhindert als Antagonist die Rezeptoraktivierung über IL-1. Dadurch werden Entzündungsprozesse gehemmt; der Ansatz wird bei der rheumatoiden Arthritis genutzt. Es gibt inzwischen eine Anzahl von Antikörpern und Fusionsproteinen, die TNF neutralisieren und damit die TNFR-Aktivierung verhindern. Dieses Prinzip wird in der Therapie zahlreicher Autoimmunerkrankungen einschließlich der rheumatoiden Arthritis, Spondylitis alkylosans, Psoriasis, M. Crohn und Colitis ulcerosa erfolgreich genutzt. Zwar ist unbestritten, dass sich mit monoklonalen Antikörpern und therapeuti schen Fusionsproteinen bei vielen Autoimmunerkrankungen therapeutische Wirkungen nachweisen lassen, aber Marketing-Aspekte spielen hier eine große Rolle. Ein Beispiel dafür ist Alemtuzumab. Ursprünglich wurde es zur Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie zugelassen. Es wurde auch off-label mit gutem Erfolg bei schweren Fällen von multipler Sklerose eingesetzt. Dann erfolgte die Marktrücknahme, um den off-label- Gebrauch zu stoppen. Nach kurzer Zeit erfolgte die Wiederzulassung zur Therapie der multiplen Sklerose, allerdings verbunden mit einem vielfachen Anstieg der Therapiekosten. Dies ist ein Beispiel für „Indikations- Hopping“ aus kommerziellen Gründen. Fallbeispiel
den in Ihre rheumatologische Praxis überwiesen. Die Patientin berichtet, dass sie seit einigen Jahren zunehmende Schmerzen in den Fingergrundgelenken habe. Es seien auch Schwellungen aufgetreten und morgens habe sie Anlaufschmerzen. Zunächst habe sie die Probleme mit Diclofenac-Gel im Griff gehabt. Später habe ihr der Hausarzt dann Diclofenac-Dragées (25 mg) als Bedarfsmedikation verschrieben. Als das nicht mehr reichte, sei sie auf Diclofenac-Retard-Kapseln (zunächst 50 mg, später 100 mg) eingestellt worden. Die letzte Dosiserhöhung habe sie vom Magen her nicht gut vertragen. Außerdem seien ihre Unterschenkel dick geworden und ihr Hausarzt habe jetzt auch noch einen erhöhten BD (zwischen 145– 165/90–95 mmHg) festgestellt. Bei der körperlichen Untersuchung sehen Sie, dass an beiden Händen die Interphalangealgelenke deutlich geschwollen, gerötet und bewegungseingeschränkt sind. Die von der Patientin angegebenen Unterschenkelödeme können Sie bestätigen, ebenso den erhöhten BD. Im Röntgenbild erkennen Sie Erosionen und eine subchondrale Osteoporose an Interphalangealgelenken. In der Laboruntersuchung ergeben sich deutlich erhöhte Werte für die Rheumafaktoren, das C-reaktive Protein, die Blutsenkungsgeschwindigkeit und die anti-citrullinated protein antibodies (ACPA). In der Gastroduodenoskopie sehen sie ein kleines Ulcus.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Welche UAW können unter einer Therapie mit MTX + Prednisolon auftreten? Lösungen 7 Kap. 37
Eine 40-jährige Frau wird vom Hausarzt wegen Gelenkschmerzen in beiden Hän-
187
Pharmakologie der Niere Inhaltsverzeichnis 12.1
athophysiologie des chronischen P Nierenversagens – 188
12.2
harmakotherapeutische Prinzipien und spezifische P Arzneistoffe zur Behandlung des chronischen Nierenversagens – 198
12.3
osisanpassung von Arzneistoffen bei chronischem D Nierenversagen – 200
12.4
Arzneistoffe mit UAW auf die Nierenfunktion – 202
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_12
12
188
12
Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Die CKD (chronic kidney disease) ist eine sehr häufige Erkrankung, die durch Diabetes, Hypertonie, Autoimmunerkrankungen und hereditäre Ursachen hervorgerufen wird. Die Behandlung der Grunderkrankungen ist die Basis der CKD-Therapie. CKD führt zu zahlreichen Komplikationen, die ohne Behandlung in Urämie und Tod münden. Das aktive Vitamin D3 (Calcitriol) wird substituiert. Zur Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus werden allosterische CaSR-Modulatoren eingesetzt, für die renale Anämie EPOR-Agonisten. Viele Arzneistoffe, darunter Lithium, MTX, Aci clovir, Gentamicin ud Metformin, werden überwiegend renal eliminiert. Die Dosis dieser Arzneistoffe muss bei CKD an die reduzierte Kreatininclearance angepasst werden, um UAW zu verhindern. Alternativ können, falls verfügbar, Arzneistoffe mit vorwiegend extrarenaler Elimination eingesetzt werden. Etliche Arzneistoffe, darunter Amphotericin B, iodhaltige Kontrastmittel, COX-Inhibitoren und Calcineurininhibitoren, sind nephro toxisch und sollten daher nur mit größter Vorsicht bei CKD eingesetzt werden. ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten können eine Hyperkaliämie bei CKD verschlechtern. NCC-Inhibitoren und NKCC- Inhibitoren können Hypokaliämie und Hypovolämie verursachen.
Merksätze 55 Patienten mit einer CKD sind multimorbide und erhalten zahlreiche Arzneistoffe, woraus sich viele Möglichkeiten für gefährliche Interaktionen ergeben. 55 Die Anzahl der Arzneistoffe bei einer CKD sollte auf das Minimum beschränkt werden. 55 Epoetin stimuliert die Erythropoese und verbessert die renale Anämie. 55 Epoetin kann Hypertonie und Thrombosen auslösen. 55 Cinacalcet ist ein allosterischer CaSR- Modulator und erhöht die Empfindlichkeit des Rezeptors für Calcium.
55 Allosterische CaSR-Modulatoren wirken einem sekundären Hyperparathyreoidismus entgegen. 55 Je niedriger der Q0-Wert eines Arzneistoffs ist, desto höher ist seine renale Elimination und desto stärker muss seine Dosis bei CKD reduziert werden. 55 Je niedriger die Kreatininclearance ist, desto niedriger muss die Dosis von renal eliminierten Arzneistoffen sein. 55 Wenn möglich, sollten Arzneistoffe mit einem niedrigen Q0-Wert bei CKD gemieden werden.
12.1 Pathophysiologie des
chronischen Nierenversagens
Die Niere spielt in der Homöostase des Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Säure/Basen- Haushaltes eine Schlüsselrolle. Außerdem ist die Niere für die Ausscheidung von Arzneistoffen über glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion sehr bedeutsam. Schließlich reguliert die Niere über die Reninsekretion den BD (7 Kap. 15), über die Calcitriolsynthese den Knochenstoffwechsel (7 Kap. 20) und über die EPO- Freisetzung die Erythropoese. Diese Funktionen sind bei CKD beeinträchtigt. . Abb. 12.1 gibt einen Überblick über die CKD- Pathophysiologie sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. . Tab. 12.1 enthält eine Zusammenfassung über ausgewählte Arzneistoffe zur CKD-Therapie. . Tab. 12.2 präsentiert wichtige Arzneistoffe, die überwiegend renal eliminiert werden und deren Dosis bei CKD angepasst werden muss. . Tab. 12.3 gibt eine Übersicht über Arzneistoffe, die CKD verschlechtern oder akutes Nierenversagen auslösen können. CKD ist unheilbar. Die einzige kausale Therapie ist die Nierentransplantation, aber die Anzahl der verfügbaren Spenderorgane reicht bei weitem nicht aus. Daher werden die meisten CKD-Patienten mit Dialyse behandelt,
189 12.1 · Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens
Insuline Biguanide
XO-Inhibitoren Immunmodulatorische URAT1-Inhibitoren Arzneistoffe A, B, C, D
Hypertonie
Diabetes
Nierentransplantation Herzinsuffizienz Hypertonie
Gastrointestinale Ca2+-Resorption↓ Hypocalcämie Cinacalcet
CaSR↓
Chronisches Nierenversagen ACE-Inhibitoren, AT1R-Antagonisten • • • • • •
PTH-Sekretion↑
HMG-CoAReduktaseInhibitoren
Systemische Glomerulo- Autoimmun- Dyslipidämie nephritis erkrankungen
Gicht
Immunmodulatorische Arzneistoffe Nierenabstoßung
12
•
Sek. Hyperparathyreoidismus
•
Calcium- und Phosphatmobilisation aus Knochen↑
• •
β1AR-Antagonisten
RAAS↑, Sympathikus↑ Erhöhte (Nephro-)Toxizität GFR und tubuläre Sekretion↓ Calcitriolsynthese↓ Calcitriol von vielen Arzneistoffen Phosphatausscheidung↓ Phosphatbinder Hyperphosphatämie Kaliumausscheidung↓ ACE-Inhib., AT1R-Antag., MCR-Antag. Hyperkaliämie NCC-, NKCC-Inhibitoren Natrium-, Wasserausscheidung↓ Ödeme Protonenausscheidung↓ ൺ Azidose Citrat, Bicarbonat ൺ renale Osteodystrophie EPO-Synthese↓ renale Anämie EPO, Fe2+ Pruritus CCB Antibakterielle Immunsuppression Infektanfälligkeit Arzneistoffe Tumorrisiko↑
.. Abb. 12.1 Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
um die Homöostase zu erhalten. Zusätzlich werden CKD-Symptome pharmakologisch behandelt. Zahlreiche Grunderkrankungen können zu CKD führen. Dazu gehören Diabetes (7 Kap. 19), Hypertonie (7 Kap. 15), chronische Gicht (7 Kap. 23) und Autoimmunerkrankungen (7 Kap. 11). Wichtige Risikofaktoren für CKD sind Dyslipidämien (7 Kap. 22), Nikotinkonsum, nephrotoxische Arzneistoffe (. Tab. 12.2 und 12.3), hohes Lebensalter sowie Bewegungsmangel. In Deutschland leiden ca. zwei Millionen Patienten an CKD; 80.000 erhalten eine Dialyse, 20.000 sind nierentransplantiert. Wegen des demographischen Wandels steigt die CKD-Prävalenz. Allein die Dialysekosten pro Patient betragen derzeit ca. 40.000 € pro Jahr. Hinzu kommen Kosten für Arzneimittel sowie die Behandlung von Arzneimittelintoxikationen (7 Kap. 4). Deshalb kommt der CKD-Prävention größte Bedeutung zu.
CKD wird entsprechend der GFR- Reduktion in fünf Stadien unterteilt. Die GFR wird über die Kreatininclearance bestimmt. Beim gesunden jungen Erwachsenen liegt die GFR bei 120–130 ml/min. Im symptomlosen Stadium 1 der CKD ist die GFR auf 90–120 ml/min reduziert. Gerade in diesem Stadium sind jedoch die Therapieaussichten am besten. Deshalb sollte bei Verdacht auf CKD frühzeitig die Kreatininclearance bestimmt werden. Im Stadium 2 der CKD ist die GFR auf 60–89 ml/min, im Stadium 3 auf 30–59 ml/min und im Stadium 4 auf 15–29 ml/min vermindert. Im Stadium 5 liegt ein präterminales Nierenversagen vor und der Patient ist dialysepflichtig bzw. benötigt ein Transplantat. Häufig verläuft CKD in den Stadien 1–3 zunächst unbemerkt. Im Stadium 4 treten unspezifische Symptome wie Einschränkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen auf. Später kommen Ödeme,
12
Biologisch aktive Form von Vitamin D3
Allosterischer CaSR-Modulator
EPOR-Agonist
Calcitriol
Cinacalcet
Epoetin Rekombinant hergestelltes EPO. EPOR-Stimulation auf Erythrozytenvorläuferzellen; dadurch Stimulation der Erythropoese. Wirkung tritt nach 2–6 Wochen ein.
Erhöhung der CaSR-Empfindlichkeit für Calcium, wodurch die PTH- Sekretion effektiver reduziert wird. Dadurch wird die Calcium- und Phosphatmobilisation aus dem Knochen gehemmt.
Förderung der intestinalen Calciumresorption und Hemmung der renalen Calciumelimination, Stimulation der Osteoblastenaktivität
Wichtige Wirkungen
Renale Anämie; wichtig ist gleichzeitige Substitution von Eisen, um die Hämoglobinbildung zu unterstützen.
Sekundärer Hyperparathyreoidismus bei CKD; häufig eingesetzt bei Patienten, die dialysiert werden.
CKD mit gestörter Calcitriolsynthese
Wichtige Indikationen
Hypertonie, Thrombosen, grippeähnliche Beschwerden, ZNS-Störungen; Thromboserisiko ist bei hochdosierter Therapie mit NCC- und NKCC-Inhibitoren erhöht (Hypovolämie und Exsikkose)
Hypocalcämie, Hypophosphatämie, Hyperkaliämie, Muskelkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Kopfschmerzen, Parästhesien, Myalgie, Hypotonie, QT-Zeit-Verlängerungen
Hypercalcämie, Hypercalciurie, Urolithiasis
Wichtige UAW
NCC-Inhibitoren, NKCC-Inhibitoren, ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten werden in den 7 Kap. 15 und 16 und in . Tab. 12.3 dargestellt
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 12.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe, die bei CKD eingesetzt werden
7 Kap. 15, 18
7 Kap. 1, 13, 17, 20
7 Kap. 20, 23
Weitere Zusam men hänge in Kapitel
190 Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Arzneistoff gruppe
DNA- Polymerase- Inhibitor
Amino glykosid
Alkali-Ion
Biguanid
Arzneistoff
Aciclovir
Gentamicin
Lithium
Metformin
0,10
0,02
0,02
0,15
Q0
Typ-2-Diabetes als Ursache der CKD (diabetische Nephropathie)
Bipolare Störung, die sich als Folge der CKD verschlechtert hat
Infekt mit gramnegativen Bakterien als Folge der Immunsuppression
Reaktivierung einer HZV-Infektion als Folge der Immunsuppression
Mögliche Indikation bei CKD
Laktatazidose mit nachfolgenden Elektrolytstörungen, die wegen der CKD nicht kompensiert werden können
Multiorgantoxizität (Niere, Herz-Kreislauf, Schilddrüse, ZNS)
Nephro- und Ototoxizität
Kristallisation in der Niere und in den Harnwegen; dadurch Störung des Harnabflusses und Koliken und CKD-Verschlechterung
Folgen der Akkumula tion bei CKD
Dosiserniedrigung. Umstellen auf Arzneistoff aus einer anderen Klasse z. B. GLP-1R-Agonisten, DPP4- Inhibitoren, SGLT-2-Inhibitoren.
Dosiserniedrigung. Dialyse bei Intoxikation. Alternativ Umstellen auf einen weniger stark renal eliminierten stimmungsstabilisierend wirkenden Arzneistoff (z. B. Valproinsäure; Q0, 0,95), Vermeidung der Kombination mit NCC- und NKCC-Inhibitoren, COX- Inhibitoren und ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten (Lithiumclearance ↓).
Dosiserniedrigung. Umstellen auf antibakteriellen Arzneistoff einer anderen Gruppe, für den der Erreger der Infektion empfindlich ist (z. B. Penicillin, Fluorchinolon).
Dosiserniedrigung. Langsame i.v.-Gabe und ausreichende Flüssigkeitszufuhr, um Kristallisation zu vermeiden. Umstellen auf einen anderen antiviralen Arzneistoff (z. B. Ganciclovir) nur bei Resistenz, da dieser antivirale Arzneistoff auch stark renal eliminiert wird.
Problemlösungsstrategie
.. Tab. 12.2 Ausgewählte Arzneistoffe mit sehr hoher renaler Elimination: Probleme bei CKD und Problemlösungsstrategien
(Fortsetzung)
7 Kap. 19
7 Kap. 4, 15, 16, 28
7 Kap. 32
7 Kap. 23, 34
Weitere Zusammen hänge in Kapitel
12.1 · Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens 191
12
Arzneistoff gruppe
Folsäure- Analogon
Glycopeptid
MTX
Vancomycin
0,03
0,06
Q0
Infekt mit Clostridium difficile (pseudomembranöse Enterocolitis) oder MRSA als Folge eines Krankenhausaufenthaltes bei CKD
Langzeittherapie mit MTX low dose als Immunsuppression zur Kontrolle einer Autoimmunerkrankung (z. B. rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Vaskulitis)
Mögliche Indikation bei CKD
Nephro- und Ototoxizität, Red-Man-Syndrom
Verstärkte Toxizität, z. B. Leberschädigung, Stomatitis, Leukopenie, Nephrotoxizität durch Kristallisation in der Niere und den ableitenden Harnwegen, Harnleiterkoliken, zusätzlich Tumorlysesyndrom
Folgen der Akkumula tion bei CKD
12
Arzneistoff
.. Tab. 12.2 (Fortsetzung)
Dosiserniedrigung. Umstellen auf antibakteriellen Arzneistoff einer anderen Gruppe, (z. B. Metronidazol oder Teicoplanin bei Infektion mit Clostridium difficile; Daptomycin oder Tigecyclin bei Infektion mit MRSA)
Dosiserniedrigung. Langsame i.v.-Gabe und ausreichende Flüssigkeitszufuhr sowie pH-Erhöhung, um Kristallisation zu verhindern. Vermeiden gleichzeitiger Gabe von Penicillinen oder URAT-1-Inhibitoren, die die renale Elimination von MTX hemmen. Umstellen auf ein anderes Zytostatikum oder Immunsuppressivum mit ähnlichem Wirkmechanismus, das weniger stark renal eliminiert wird (z. B. Leflunomid)
Problemlösungsstrategie
7 Kap. 32
7 Kap. 23, 31
Weitere Zusammen hänge in Kapitel
192 Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Typischer Vertreter
Ramipril, Candesartan
HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (z. B. Simvastatin), PPAR-αAgonisten (z. B. Fenofibrat)
Arzneistoff gruppe
ACE- Inhibitoren, AT1R- Antagonisten
Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien
Dyslipidämien, häufig bei CKD
Hypertonie, CHF
Typische Indikation
In Kombination mit CYP3A4- Inhibitoren und/ oder OATB1- Inhibitoren Hemmung der Ubichinonsynthese in der Skelettmuskulatur → Rhabdomyolyse und Myoglobin-Freisetzung
Über ACE-Hemmung und AT1R-Antagonismus verminderte Aldosteronsekretion
Wirkmechanismus bzw. Mechanismus der Nieren schädigung
Akutes Nierenversagen: 1. Obstruktion der Tubuli durch Hämzylinder; 2. Tubulusschädigung durch Eisen; 3. Minderdurchblutung der Niere
Hyperkaliämie, GI-Beschwerden, Schwindel, Parästhesien; BD-Abfall und Reduktion der Nierendurchblutung
Wirkung auf die Nierenfunktion und die Funktion anderer Organe
.. Tab. 12.3 UAW von Arzneistoffgruppen auf die Nierenfunktion: Problemlösungsstrategien
Dosisreduktion, Vermeiden der Gabe von Arzneistoffen, die CYP3A4 oder OATB1 hemmen; Behandlung des akuten Nierenversagens mit forcierter Diurese (NKCC- Inhibitoren und hohe Flüssigkeitszufuhr) sowie Harnalkalisierung, ggf. Dialyse
Regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Plasma elektrolyte, Kombination mit NCC- und/oder NKCC- Inhibitoren
Problemlösungsstrategie
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 22
7 Kap. 15, 16, 17
Weitere Zusam men hänge in Kapitel
12.1 · Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens 193
12
Typischer Vertreter
Ciclosporin, Tacrolimus
Ibuprofen
Calcineurin- Inhibitoren
COX- Inhibitoren
Akute Schmerzen bei Verletzungen, postoperativ und bei rheumatischen Erkrankungen
Immunsuppression nach Organtransplantation und bei Autoimmunerkrankungen
Typische Indikation
Verminderte Synthese von PGE2 und damit verminderte Nierendurchblutung
Verstärkte ROS-Bildung, RAAS- Aktivierung
Wirkmechanismus bzw. Mechanismus der Nieren schädigung
12
Arzneistoff gruppe
.. Tab. 12.3 (Fortsetzung)
Einschränkung der Nierenfunktion mit Natrium- und Wasserretention sowie Hypertonie, insbesondere bei Dauertherapie, Abschwächung der Wirkung von NCC- und NKCC- Inhibitoren, ACE- Inhibitoren, AT1R- Antagonisten und β1AR-Antagonisten
Verschlechterung der Nierenfunktion (auch einer transplantierten Niere), Hypertonie
Wirkung auf die Nierenfunktion und die Funktion anderer Organe
Dosiserniedrigung. Vermeidung der Kombination mit anderen potenziell nephrotoxischen Arzneistoffen; Einsatz bei CKD sollte grundsätzlich vermieden werden; Einsatz anderer analgetisch wirkender Arzneistoffe (z. B. Metamizol, Paracetamol, MOR-Agonisten, SCB, CCB, SSRI), Behandlung der Grunderkrankung, die zu Schmerzen führt
Dosiserniedrigung. TDM, Kombination verschiedener immunmodulatorischer Arzneistoffe, Einsatz nicht- nephrotoxischer immunmodulatorischer Arzneistoffe (z. B. Everolimus)
Problemlösungsstrategie
7 Kap. 10, 15, 16, 17
7 Kap. 11
Weitere Zusam men hänge in Kapitel
194 Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Iohexol, Iodixanol
6-MP, Vinblastin, Paclitaxel, MTX
Spironolacton
Iodhaltige Röntgenkon trastmittel (nicht in der NKLM/ IMPP-Arznei- stoffliste.)
Klassische Zytostatika
MCR- Antagonisten
Kombination mit NCC- und NKCC-Inhibitoren zur Abschwächung einer Hypokaliämie; bei CHF und Hyperaldosteronismus (z. B. Leberzirrhose und Aszites)
Verschiedenste Tumorerkrankungen, können als Folge der Immunsuppression bei CKD auftreten
Darstellung von Gefäßen (Koronarangiografie, Nierenarterienangiografie) Darstellung der ableitenden Harnwege
Verminderte Expression des Natriumkanals im spätdistalen Tubulus und Sammelrohr
Tumorlysesyndrom: Massiver Anfall von Harnsäure als Endprodukt des Purinstoffwechsels
Direkte Schädigung des Tubulusepithels, Vasokonstriktion und verringerte O2-Versorgung
Hyperkaliämie, GI-Beschwerden, Schwindel, Parästhesien; Verstärkung der Hyperkaliämie durch ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten und der Bradykardie durch β1ARAntagonisten
Ausfällung von Harnsäurekristallen in der Niere und den ableitenden Harnwegen → Verschlechterung der Nierenfunktion und Koliken
Verschlechterung der Nierenfunktion bei vorbestehender CKD (contrast-induced nephropathy, CIN), Häufigkeit sehr schwankend, 1–45 %; selten bei Gesunden
Regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Plasma elektrolyte, Vermeidung der Kombination mit ACE- Inhibitoren oder AT1R- Antagonisten
Dosisreduktion, Einsatz von zielgerichteten antineoplastischen Arzneistoffen, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Harn-Alkalisierung, Vermeidung
Bevorzugung von Kontrastmitteln mit niedriger Viskosität und Osmolarität, möglichst kleine Volumina; Vermeidung potenziell nephrotoxischer Arzneistoffe, ausreichende Flüssigkeitszufuhr (Infusion NaCl-haltiger Lösungen), Ausschluss von Risikopatienten (sehr niedrige Kreatinin clearance, Alter > 75 Jahre, Diabetes, sehr niedriger BD, CHF, niedriger Hämatokrit), Nutzung diagnostischer Alternativverfahren
(Fortsetzung)
7 Kap. 15, 16, 17
7 Kap. 11, 23, 31
7 Kap. 15–19
12.1 · Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens 195
12
Typischer Vertreter
Hydrochloro thiazid
NCC- Inhibitoren
Hypertonie, CHF, hepatische und nephrogene Ödeme, Diabetes insipidus
Typische Indikation
Hemmung des Na+/Cl–-Cotrans porters im frühdistalen Tubulus, Low-Ceiling-Diurese (schwache Wirkung)
Wirkmechanismus bzw. Mechanismus der Nieren schädigung
12
Arzneistoff gruppe
.. Tab. 12.3 (Fortsetzung)
Fehlende diuretische Wirkung bei schwerer CKD (GFR < 30 ml/ min), Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypovolämie, Hypercalcämie, Hypomagnesiämie, Hyperurikämie, verminderte Glucose toleranz, Dyslipidämie; Ceiling-Effekt (geringere Maximalwirkung als NKCC-Inhibitoren)
Wirkung auf die Nierenfunktion und die Funktion anderer Organe
Regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Plasma elektrolyte, Vermeidung von GCR-Agonisten, Laxanzien und NKCC-Inhibitoren bei Hypokaliämie, keine URAT-1-Inhibitoren bei Gicht, Dosisadjustierung von Lithium, Vermeidung von COX-Inhibitoren, die die Wirkung von NCC-Inhibitoren abschwächen, Vermeidung von Calcium-Zusätzen und Vitamin D3 bei Hypercalcämie, Magnesium-Zusätze bei Hypomagnesiämie, ausreichende Flüssigkeitszufuhr bei Hypovolämie, Anpassung von Diät und Metformin bei Hyperglykämie, Dyslipidämie therapie mit HMG-CoAReduktase-Inhibitoren oder PPAR-α-Agonisten
Problemlösungsstrategie
7 Kap. 15, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 28
Weitere Zusam men hänge in Kapitel
196 Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Furosemid
Amphotericin B
Benzbromaron
NKCC- Inhibitoren
Polyene
URAT-1- Inhibitoren
Chronische Gicht, kann Ursache von CKD sein
Systemmykose mit Aspergillus fumigatus; auch als Folge der Immunsuppression bei CKD
Hypertonie, CHF, hepatische und nephrogene Ödeme, forcierte Diurese zur Behandlung von Intoxikationen
Hemmung der Reabsorption von Harnsäure im proximalen Tubulus
Einlagerung in die Plasmamembran (Bindung an Cholesterin) und damit unspezifische Störung der Tubulusepithelfunktion; Zusammenbruch von Elektrolyt gradienten
Hemmung des Na+/K+/2Cl–- Cotransporters im aufsteigenden Ast der Henleschen Schleife, High-Ceiling- Diurese (starke Wirkung, auch bei stark erniedrigter GFR, dann ggf. hohe Dosen)
Ausfällung von Harnsäurekristallen in Niere und Harnwegen → Verschlechterung der Nierenfunktion und Koliken
Nierenversagen mit Hypokaliämie
Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hypocalcämie (Verstärkung einer Osteoporose), Hypovolämie, kaum Hyponatriämie wegen postdiuretischer Natriumretention, Hyperurikämie, verminderte Glucosetoleranz, Dyslipidämie, Ototoxizität, Nephrotoxizität in Kombination mit anderen Arzneistoffen
Dosisreduktion, Kombination mit XO-Inhibitoren, keine Kombination mit klassischen Zytostatika, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Harn alkalisierung
Infusion liposomaler Zubereitungen mit geringerer Nephrotoxizität, Infusion NaCl-haltiger Lösungen, Umstellen auf andere antimykotische Arzneistoffe, für die der Erreger empfindlich ist (z. B. Triazole, Echinocandine)
Siehe Strategien bei NCC- Inhibitoren bei den UAW, die prinzipiell gleich sind. Vermeidung der Kombination mit anderen nephrotoxischen Arzneistoffen wie COX- Inhibitoren, Aminoglykoside, iodhaltige Röntgenkontrastmittel und Carboplatin. Calcium-Zusätze und Vitamin D bei Hypocalcämie
7 Kap. 23
7 Kap. 34
7 Kap. 15, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23
12.1 · Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens 197
12
198
Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Atemnot und Hautveränderungen hinzu. Wichtige diagnostische Hinweise für CKD sind Proteinurie und anderweitig nicht erklärbarer Juckreiz. Im Stadium 5 von CKD sind Blutungsneigung, Depression, Polyneuropathie, Infektanfälligkeit und Foetor uraemicus weitere Symptome. CKD hat gravierende Folgen: Zunächst kommt es als Folge der verringerten GFR zu Sympathikus- und RAAS-Aktivierung (vergebliche Kompensationsreaktionen zur GFR-Erhöhung). Sympathikus- und RAAS- Aktivierung sind wichtige pathogenetische Faktoren für Hypertonie und CHF (7 Kap. 15 und 16), die CKD weiter verschlechtern. Durch die reduzierte GFR und tubuläre Sekretion nimmt die Toxizität vieler Arzneistoffe zu.
wird dadurch verschärft, dass Calcium mit Phosphat in Gefäßen und Organen präzipitiert. Die Gefäßverkalkung verstärkt eine Hypertonie, die Verkalkung von Herzklappen verstärkt eine CHF und durch die Organverkalkung kommt es zu generalisierter Störung von Körperfunktionen einschließlich der ZNS-Funktion und Reproduktionsfähigkeit. Durch die Knochenentkalkung entsteht eine renale Osteodystrophie, was die Gefahr von Frakturen erhöht. Eine CKD schränkt auch die Kaliumausscheidung ein. Die Folge ist eine Hyperkaliämie, die wiederum gefährliche bradykarde Herzrhythmusstörungen hervorruft (7 Kap. 17). Eine Störung der Natriumund Wasserausscheidung führt zu Ödemen. Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden, ob diese nephrogener Natur sind oder >> Die verminderte GFR und tubuläre SekreCHF-Folge (7 Kap. 16). Die therapeutische tion stellen sehr wichtige Probleme dar, weil Herangehensweise ist jedoch ähnlich. Als die meisten CKD-Patienten zahlreiche ArzCKD-Folge kommt es zu einer Störung der neistoffe einnehmen und das UAW-Risiko Protonenelimination und Azidose, die die als Folge der verminderten Elimination renale Osteodystrophie verstärkt. und Interaktionen besonders groß ist. Eine weitere CKD-Konsequenz ist die reMehr als 20 % aller stationären Patienten duzierte Biosynthese des hämatopoetischen weisen CKD im Stadium 3 auf und sind des- Wachstumsfaktors EPO in den peritubulären halb einem beträchtlichen Risiko für UAW interstitiellen Zellen des Nierenkortex. Auund Interaktionen ausgesetzt. ßerdem kommt es zu Eisenverlusten. In der CKD führt zu einer gestörten renalen Folge entsteht eine renale Anämie, die zur Calcitriolsynthese, weshalb die GI-Calcium- Einschränkung der Leistungsfähigkeit der resorption verringert ist und es zu Hypocal- Patienten beiträgt. Schließlich wird in späten cämie (häufige Symptome: Muskelkrämpfe CKD-Stadien das Immunsystem geschwächt, und Parästhesien) kommt (7 Kap. 20). Als sodass die Inzidenz von Tumoren und die InFolge wird der CaSR in der Nebenschild- fektanfälligkeit (z. B. Pneumokokkenpneudrüse weniger stark aktiviert und die PTH- monie, Hepatitis B, Grippe) ansteigt. Sekretion stimuliert. Dies führt zu erhöhter PTH-Konzentration im Plasma (sekundärer Hyperparathyreoidismus bei CKD). PTH 12.2 Pharmakotherapeutische verstärkt die Calcium- und PhosphatmobiliPrinzipien und spezifische sation aus den Knochen. In der gesunden Arzneistoffe zur Behandlung Niere bewirkt PTH eine verstärkte Eliminades chronischen tion von Phosphat und Reabsorption von Nierenversagens Calcium. Die CKD-Niere kann jedoch nicht mehr auf PTH reagieren. Deshalb bleibt eine Normalisierung der Plasmacalcium Entscheidend für die CKD-Therapie ist das konzentration aus und es baut sich eine Erkennen der Ursache und Therapie der Hyperphosphatämie auf. Die Hypocalcämie Grunderkrankung.
12
199 12.2 · Pharmakotherapeutische Prinzipien und spezifische …
>> Da CKD eine chronische Erkrankung ist, muss eine lebenslange Therapie durchgeführt werden. Entsprechend wichtig ist es, eine hohe Adhärenz zu erzielen und möglichst gut verträgliche Arzneistoffe einzusetzen.
12
Hypocalcämie in eine ebenso unerwünschte Hypercalcämie umschlagen kann. Bei einer CKD ist die Ausscheidung von Natrium, Kalium und Wasser gestört. Dies führt zu Ödemen und Hyperkaliämie. Bei einer GFR bis >30 ml/min haben NCC- Inhibitoren diuretische Wirkung. Dadurch können Ödeme beseitigt werden, aber es besteht die Gefahr, dass sich eine Hyperkaliämie zu einer Hypokaliämie entwickelt, die zu tachykarden Herzrhythmusstörungen, Obstipation und Lähmungen führen kann. Ein Vorteil der NCC-Inhibitoren ist, dass sie die Calciumausscheidung hemmen und der Hypocalcämie bei CKD entgegenwirken. Allerdings kann diese Wirkung in eine Hypercalcämie umkippen. Bei einer GFR >Alleine gegeben können ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten bei CKD eine aktiven Calcitriols kompensiert werden, Hyperkaliämie verschlechtern; sie dürfen aber eine Hypocalcämie sollte nicht in eine daher nur im Rahmen einer KombinatiHypercalcämie umschlagen (7 Kap. 20). onstherapie mit NCC- und/oder NKCC- Ein konzeptionell innovativer Ansatz zur Inhibitoren eingesetzt werden. Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus besteht darin, den CaSR allosterisch Im Gegensatz zu den NCC-Inhibitoren steizu aktivieren, d. h. diese Arzneistoffe (Pro- gern NKCC-Inhibitoren die Calciumaustotyp Cinacalcet) erhöhen die Empfindlich- scheidung, was zu verstärkter Hypocalcämie keit des Rezeptors für Calcium (7 Kap. 1). bei CKD führen kann. Sowohl NCC- als Allosterische CaSR-Modulatoren können auch NKCC-Inhibitoren können eine Hypoentsprechend ihres Wirkmechanismus eine magnesiämie begünstigen, was sich u. a. in Hypocalcämie verstärken. Zur Behandlung Muskelkrämpfen, Nervosität und Tachykarder Hyperphosphatämie kann die GI- die äußern kann. Ein Magnesiummangel Phosphatresorption durch Phosphatbinder muss korrigiert werden. Wegen möglicher gehemmt werden. Ein Problem bei calcium- Elektrolytstörungen unter einer NCC-Inhibihaltigen Phosphatbindern stellt die GI- tor-Therapie müssen die PlasmakonzentratiResorption von Calcium dar, sodass eine onen von Natrium, Kalium, Calcium und
200
12
Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
Magnesium regelmäßig kontrolliert werden. Ein weiteres Problem unter einer NCC-Inhibitor-Therapie, insbesondere bei hoher Dosierung, ist die Dehydratation, die zu einer Hypovolämie und Exsikkose führen kann und dadurch das Thromboserisiko sowie die Gefahr von einer orthostatischen Dysregulation und Stürzen steigert. Beim Einsatz von NKCC-Inhibitoren ist ferner darauf zu achten, dass die Nephrotoxizität anderer Arzneistoffe, insbesondere Lithium und iodhaltiger Röntgenkontrastmittel, verstärkt werden kann. Auch die Ototoxizität von Arzneistoffen, vor allem Aminoglykosiden kann durch NKCC-Inhibitoren erhöht werden. Ein zusätzliches Problem bei CKD stellt eine Azidose dar. Diese kann, z. B. im Rahmen einer regelmäßig stattfindenden Dialyse, durch die Gabe von alkalisierenden Arzneistoffen wie Citrat und Bicarbonat korrigiert werden. Damit wird auch renaler Osteodystrophie entgegengewirkt. Die Niere ist der wichtigste Syntheseort für den hämatopoetischen Wachstumsfaktor EPO. Die EPO-Biosynthese wird durch Hypoxie (z. B. durch Anämie oder einen mehrwöchigen Aufenthalt in Höhen > 2.000 m) stimuliert. Bei einer CKD ist die EPO-Biosynthese eingeschränkt und die Eisenrückresorption gestört. Eisen ist jedoch für die Funktion der Hämgruppe und die O2-Bindung im Hämoglobin essentiell. Daher entwickelt sich bei der CKD eine renale Anämie. Deren Therapie erfolgt durch Gabe von rekombinantem EPO in Kombination mit Eisensalzen (i.v.), z. B. im Rahmen der Dialyse. Therapieziel ist es, die Hämoglobinkonzentration auf 11,0–12,0 g/dl einzustellen, also etwas unterhalb der eigentlichen Normwerte. Eine weitere Steigerung der Hämoglobinkonzentration führt zu Hypertonie, Schlaganfällen und Thrombose des Dia lyseshunts, weil die Patienten zumeist auch NCC-Inhibitoren einnehmen. Insofern stellt ein subnormaler Hämoglobinwert bei CKD-Patienten einen Kompromiss zwischen verbesserter Leistungsfähigkeit und Thromboseverhinderung dar. Zur Therapie der re-
nalen Anämie stehen verschiedene rekombinant hergestellte EPOR-Agonisten zur Verfügung. Epoetin entspricht in seiner Aminosäuresequenz dem natürlichen EPO. Eine CKD führt langfristig zur Immunsuppression, was die Infektanfälligkeit erhöht. Daher müssen bei CKD-Patienten häufiger antibakterielle Arzneistoffe (7 Kap. 32), antivirale Arzneistoffe (7 Kap. 33) und antimykotische Arzneistoffe (7 Kap. 34) eingesetzt werden, was je nach eingesetztem Arzneistoff das Risiko für UAW oder Arzneistoffinteraktionen erhöht. Außerdem ist das Tumorrisiko bei CKD gesteigert. Viele Patienten mit fortgeschrittener CKD leiden unter einem Pruritus, dessen Pathogenese nur unzulänglich verstanden wird und keiner kausalen Therapie zugänglich ist. Schlüssel zur Behandlung des Pruritus ist eine gute symptomatische Therapie mit den oben dargestellten Arzneistoffen/Arzneistoffgruppen. Zusätzlich kann der CCB Pregaba lin (7 Kap. 25) eingesetzt werden. Ultima ratio bei CKD ist die Nieren transplantation, wenn ein Spenderorgan zur Verfügung steht. Um die Abstoßung einer Spenderniere zu verhindern, müssen lebenslang immunmodulatorische Arzneistoffe eingenommen werden, die ebenfalls gravierende UAW besitzen (7 Kap. 11). Besonders relevant im Zusammenhang mit einer Nierentransplantation sind UAW der Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus. Beide Arzneistoffe wirken nephrotoxisch und BD-steigernd. Deshalb sollten Ciclosporin und Tacrolimus bei Nierentransplantation nur mit Vorsicht und in Kombination mit anderen immunmodulatorischen Arzneistoffen eingesetzt werden.
12.3 Dosisanpassung von
Arzneistoffen bei chronischem Nierenversagen
Viele Arzneistoffe werden zu einem erheblichen Anteil über glomeruläre Filtration (und tubuläre Sekretion) eliminiert. Nimmt
12
201 12.3 · Dosisanpassung von Arzneistoffen bei chronischem Nierenversagen
bei CKD die Kreatininclearance ab, so wird proportional dazu auch die renale Elimination von Arzneistoffen reduziert. Dementsprechend verlängert sich die Plasma-HWZ der Arzneistoffe und es kommt zur Akkumulation mit entsprechenden UAW. Je bedeutender die renale Elimination für einen Arzneistoff ist, desto relevanter wird das Problem der Akkumulation und Toxizität. Zur Berechnung der Dosisanpassung eines Arzneistoffs benötigt man nicht nur die Kreatininclearance, sondern auch die extrarenale Dosisfraktion Q0. Der Wert bezeichnet den Anteil eines Arzneistoffs, der extrarenal eliminiert wird. Bei Q0 = 1 spielt die Niere für die Elimination keine Rolle; ist Q0 >Die früher übliche Bezeichnung „nicht- steroidale Antirheumatika (NSAR)“ förderte den unkritischen Langzeitkonsum der nephrotoxisch wirkenden COX-Inhibitoren. In Kombination mit ACE-Inhibitoren (oder AT1R-Antagonisten) + NCC- Inhibitoren (oder NKCC-Inhibitoren) kann es zum akuten Nierenversagen kommen (triple whammy).
In der Schmerztherapie gibt es jedoch zahlreiche nicht-nephrotoxische Alternativen zu den COX-Inhibitoren, z. B. Paracetamol und Metamizol (7 Kap. 10). NCC- und NKCC-Inhibitoren reduzieren die Lithium- Clearance und erhöhen dessen Toxizität
Kapitel 12 · Pharmakologie der Niere
202
ringern. Schließlich können auch Arzneistoffe, die regelmäßig in der Therapie von CKD eingesetzt werden, die Nierenfunktion ungünstig beeinflussen. Dazu gehören ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten, die Hyperkaliämie ver ursachen können, und NCC- und NKCC-Inhibitoren, die zu Hypokaliämie, Hypovolämie und Exsikkose führen. Eine Strategie zur Verhinderung dieser UAW besteht darin, die Dosis der oben diskutierten Arzneistoffe zu reduzieren, Dosisintervalle zu vergrößern und ein TDM durchzuführen. Grundsätzlich sollte die 12.4 Arzneistoffe mit UAW auf die Kombination mehrerer nephrotoxischer Nierenfunktion Arzneistoffe vermieden werden. Auch ist zu überlegen, inwiefern Arzneistoffgruppen Arzneistoffe können über unterschiedliche mit geringerem nephrotoxischen Potential Mechanismen die Nierenfunktionen nein Betracht kommen. Für Aminoglykoside gativ beeinflussen (. Tab. 12.2 und 12.3). können in vielen Fällen Penicilline und CeCOX- Inhibitoren reduzieren die Nierenphalosporine eine Alternative darstellen durchblutung (7 Kap. 15), Aminoglykoside (7 Kap. 32). und Polyene wirken über die Einlagerung Im Falle von Amphotericin B ist es gein Membranen tubulotoxisch (7 Kap. 32 lungen, durch verbesserte pharmazeutische und 34), Calcineurin-Inhibitoren führen zu Darreichungsformen (Liposomen) die NeROS-Produktion und aktivieren das RAAS phrotoxizität zu verringern (7 Kap. 34). Bei und den Sympathikus (7 Kap. 11). Ever iodhaltigen Kontrastmitteln konnte durch olimus (7 Kap. 11) stellt eine Alternative eine Verringerung von Viskosität und Osohne Nephrotoxizität zu den Calcineurin- molarität die Toxizität reduziert werden. Bei Inhibitoren dar. Arzneistoffen, die direkt (Aciclovir, MTX) Klassische Zytostatika können durch oder indirekt (klassische Zytostatika, verstärkten Abbau von Purinen als Folge URAT-1-Inhibitoren) zu Kristallisierungen der Tumorzellzerstörung zur Kristallisation in Niere oder ableitenden Harnwegen fühvon Harnsäure in den Tubuli führen ren, sind eine ausreichende Flüssigkeitszu(7 Kap. 23). Auch die Monotherapie mit fuhr und Alkalisierung wichtig. Bei einer URAT-1-Inhibitoren kann über eine verTherapie mit ACE-Inhibitoren, AT1R-Antmehrte renale Elimination Harnsäureausfälagonisten und NCC-Inhibitoren sind regellungen verursachen (7 Kap. 23). Auch Arzmäßige Elektrolyt- und EKG- Kontrollen neistoffe wie Aciclovir (7 Kap. 33) und von Bedeutung, insbesondere um HypoMTX (7 Kap. 11 und 31) können kristallioder Hyperkaliämien frühzeitig zu diagnossieren. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren tizieren. und PPAR-α-Agonisten (7 Kap. 22) können die Nierenfunktion beeinträchtigen. >>Unbedingt zu vermeiden ist die KombinaIodhaltige Röntgenkontrastmittel köntion von AT1R-Antagonisten + ACE- nen, insbesondere, wenn sie sehr viskös Inhibitoren bei einer CKD, weil es zu einer und hochosmolar sind, das Tubulusepithel lebensbedrohlichen Hyperkaliämie mit schädigen und die Nierendurchblutung verakutem Nierenversagen kommen kann. (7 Kap. 28). Die Therapie von Patienten mit bipolarer Störung und gleichzeitiger CKD stellt aus diesem Grund und wegen unsicherer Adhärenz eine Herausforderung dar. URAT-1-Inhibitoren hemmen die renale Elimination von MTX und erhöhen dessen Toxizität. Deshalb sollten Patienten mit chronischer Gicht bevorzugt mit XO- Inhibitoren behandelt werden, wenn eine gleichzeitige Therapie mit MTX notwendig ist (7 Kap. 23).
12
203 12.4 · Arzneistoffe mit UAW auf die Nierenfunktion
Ein Sonderfall im Rahmen dieser Betrachtungen ist die Pharmakokinetik von Morphinmetaboliten bei CKD, weil es hier zwar nicht zu einer Nierenschädigung kommt, aber zu lebensbedrohlichen UAW im ZNS. Viele Tumorpatienten im Finalstadium erhalten Morphin (7 Kap. 10) und haben eine eingeschränkte Nierenfunktion. In dieser Situation kann es zur Akkumulation des renal eliminierten und pharmakologisch aktiven Morphinmetaboliten Morphin-6-Glucuronid kommen. Dies kann zu einer Atemdepression, Sedation und zu Stürzen führen, insbesondere bei der häufig vorliegenden Kombination von Morphin mit anderen zentralnervös wirkenden Arzneistoffen. Um ZNS-UAW durch Morphinmetaboliten zu verhindern, kommt eine Dosisreduktion von Morphin oder die Umstellung auf Fentanyl in Frage. Fentanyl besitzt einen sehr hohen Q0-Wert und wird deshalb vorwiegend extrarenal eliminiert.
12
Fallbeispiel
Ein 64-jähriger Mann mit einer CKD im Stadium 4 (GFR 25 ml/min) wird mit ASS (low dose), Simvastatin, NaHCO3, Epoetin, Eisengluconat, Cinacalcet, Ramipril, Furosemid und Pantoprazol behandelt. Wegen eines Sturzes, der zur Verstauchung des linken Handgelenkes geführt hat, erhält der Patient zusätzlich Ibuprofen (3 × 600 mg/Tag). Nach ein paar Tagen wird der Mann zunehmend schwach und verwirrt; die Urinproduktion sistiert.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Was ist die wahrscheinlichste Ursache für die Symptome des Patienten? 2. Wie gehen Sie vor, um das Problem in den Griff zu bekommen? Lösungen 7 Kap. 37
205
Pharmakotherapie Inhaltsverzeichnis Kapitel 13 Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes – 207 Kapitel 14 Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen – 225 Kapitel 15 Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie – 237 Kapitel 16 Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung – 251 Kapitel 17 Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP – 265 Kapitel 18 Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen – 275 Kapitel 19 Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes – 289 Kapitel 20 Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose – 301 Kapitel 21 Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen – 309 Kapitel 22 Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien – 317
III
Kapitel 23
Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht – 327
Kapitel 24
Pharmakologie der Sexualhormone – 335
Kapitel 25 Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern und Modulatoren Ligand-gesteuerter Ionenkanäle – 355 Kapitel 26
Arzneistoffe zur Lokalanästhesie – 369
Kapitel 27 Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose – 375 Kapitel 28 Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung – 385 Kapitel 29 Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie – 401 Kapitel 30 Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen – 415 Kapitel 31 Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen – 425 Kapitel 32 Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen – 443 Kapitel 33 Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen – 469 Kapitel 34 Arzneistoffstoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen – 481
207
Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes Inhaltsverzeichnis 13.1
athophysiologie und Pharmakotherapie der P gastroösophagealen Refluxerkrankung – 209
13.2
athophysiologie und Pharmakotherapie der P gastroduodenalen Ulcuserkrankung – 214
13.3
athophysiologie und Pharmakotherapie P der Diarrhoe – 216
13.4
athophysiologie und Pharmakotherapie der P Obstipation – 218
13.5
athophysiologie und Pharmakotherapie von Colitis P ulcerosa und M. Crohn – 219
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_13
13
208
13
Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
Bei GERD (gastroesophageal reflux disease) gelangt saurer Mageninhalt in den unteren Ösophagus und führt zu Erosionen, die karzinomatös entarten können. Entscheidend bei der GERD-Therapie sind das Ausschalten auslösender Faktoren und die Erhöhung des pH-Wertes durch PPI. Bei PUD (peptic ulcer disease) steht die Eradikation von Helicobacter pylori mit der Tripeltherapie (PPI + Clarithromycin + Amoxicillin bzw. Metronidazol) im Vordergrund. Irreversible und reversible COX-Inhibitoren, P2Y12R- Antagonisten, VKA, Faktor-Xa-Inhibitoren, Thrombin-Inhibitoren und GCR-Agonisten können eine PUD-Entstehung begünstigen. Diarrhoen haben vielfältige Ursachen, da runter eine antibakterielle Arzneithe rapie. Die wichtigste Maßnahme ist Wasser- und Elektrolytersatz. In schweren Fällen wird Loperamid eingesetzt. Eine chronische Obstipation stellt insbesondere bei Frauen ein großes Problem dar. Der Obstipation wird durch Laxanzienabusus und körperliche Inaktivität Vorschub geleistet. Kurzfristig können das antiresorptiv und sekretagog wirkende Bisacodyl oder der wasserbindende Arzneistoff Macrogol eingesetzt werden. MxR-Antagonisten wirken obstipierend. Einer Obstipation unter MOR-Agonisten kann durch wasserbindende Arzneistoffe begegnet werden. Colitis ulcerosa und M. Crohn sind chronische Darmentzündungen mit unvollständig verstandener Pathogenese. Bei der Colitis ulcerosa steht die Lokaltherapie mit 5-ASA und GCR-Agonisten im Vordergrund. Bei schweren Verläufen werden GCR-Agonisten und immunmodulatorische Arzneistoffe systemisch gegeben. Die Therapie des M. Crohn beinhaltet GCR-Agonisten, Sulfasalazin, antibakterielle Arzneistoffe sowie TNF- Inhibitoren.
Merksätze 55 GERD wird durch MxR-Antagonisten, CCB, NO-Donatoren, ER-Agonisten und PDE-Inhibitoren begünstigt. 55 GERD wird durch Ausschaltung begünstigender Faktoren und PPI behandelt.
55 UAW der PPI sind Anämie, Polyneuro pathie, Osteoporose und erhöhtes Infektionsrisiko. 55 Helicobacter pylori ist ein wesentlicher Faktor in der PUD-Pathogenese und wird durch eine Tripeltherapie bestehend aus PPI sowie antibakteriellen Arzneistoffen eradiziert. 55 PPI werden bei Patienten, die mit reversiblen oder irreversiblen COX-Inhibitoren oder P2Y12R-Antagonisten behandelt werden, häufig unkritisch als Komedikation gegeben. 55 Antibakterielle Arzneistoffe, Laxanzienabusus, magnesiumhaltige Antazida, D2R-Antagonisten und AChE-Inhibitoren können Diarrhoe verursachen. 55 Eine Dehydratation wird mit einer WHO- Trinklösung aus Wasser, Glucose, Natriumcitrat, NaCl und KCl behandelt. 55 Durch Laxanzien-Dauergebrauch kommt es zu Wasser-, Natrium- und Kaliumverlusten, die eine Obstipation verstärken. 55 NCC-Inhibitoren, MxR-Antagonisten, Aluminium-haltige Antazida und MOR- Agonisten können Obstipation auslösen. 55 Grundlage der Obstipationstherapie sind ballaststoff- und kaliumreiche Kost, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, viel Bewegung und Laxanzien-Verzicht. 55 Laxanzien können kurzfristig eingesetzt werden; zur Verfügung stehen das anti resorptiv und sekretagog wirkendes Bisacodyl und das wasserretinierende Macrogol. 55 Einer Obstipation unter MOR-Agonisten wird mit wasserbindenden Arzneistoffen entgegengetreten. 55 Die Basistherapie der Colitis ulcerosa erfolgt mit 5-ASA; bei unzureichender Wirkung werden GCR-Agonisten gegeben. 55 Bei schweren Colitis-ulcerosa-Verläufen werden Azathioprin, 6-MP, MTX, Ciclosporin und Tacrolimus verwendet. 55 Bei M. Crohn werden im akuten Schub vor allem GCR-Agonisten eingesetzt; Sulfasalazin, Metronidazol und Cipro floxacin wirken unterstützend.
13
209 13.1 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroösophagealen…
55 Bei schweren M.-Crohn-Schüben werden TNF-Inhibitoren eingesetzt. 55 In der Remissionstherapie des M. Crohn wirken Azathioprin, 6-MP und MTX sowie TNF-Inhibitoren.
13.1 Pathophysiologie und
50 % der Patienten mit Refluxbeschwerden entwickeln eine Ösophagitis, die sich über Erytheme (Grad I), isolierte Erosionen (Grad II) und konfluierende Erosionen (Grad III) zum Ulcus, zur Striktur oder zum Barrett-Ösophaguskarzinom entwickeln kann. >>Wegen der Langzeitrisiken von GERD ist eine professionelle Therapie erforderlich. Therapieziel ist es, Symptome zu verbessern, Läsionen zum Abheilen zu bringen und Komplikationen zu vermeiden.
Pharmakotherapie der gastroösophagealen Refluxerkrankung
Bei GERD kommt es zu Magensaftreflux in die Speiseröhre. . Abb. 13.1 zeigt die Pathophysiologie von GERD und die pharmakologischen Eingriffsmöglichkeiten. . Tab. 13.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von GI-Erkrankungen zusammen. Ca. 10–20 % der Bevölkerung in Deutschland haben wöchentlich Refluxbeschwerden. GERD-Ursachen sind die Minderung des Tonus der Cardia und eine gestörte propulsive Motorik. Hiatushernien, verzögerte Magenentleerung, Adipositas und Schwangerschaft begünstigen GERD. Leitsymptome sind Sodbrennen, epigastrische Schmerzen, Regurgitation sowie Dysphagie. In der Folge können die Atemwege durch sauren Mageninhalt geschädigt werden, und es treten Asthma, Husten, Heiserkeit, Sinusitis und Pneumonie auf (7 Kap. 14). Es kann auch zu Zahnschäden und Schlafstörungen kommen. GERD ist einer der häufigsten Gründe für Arztbesuche. Bevor es dazu kommt, versuchen die Patienten nicht selten, in Eigenregie die Symptome in den Griff zu bekommen und nehmen rezeptfrei erhältliche H2R Antagonisten (7 Kap. 7) ein.
>>Die Selbsttherapie mit Antazida oder H2R-Antagonisten ist nicht zu empfehlen, da diese A rzneistoffgruppen unzulänglich wirken und eine genaue Diagnose sowie Therapie verzögern. Antazida waren einmal bedeutsam, bevor es die PPI gab. Wegen geringer Wirksamkeit wurden Ant azida auch nicht in die NKLM/IMPPArzneistoffliste aufgenommen.
Die Therapiebasis ist die Identifizierung und Vermeidung begünstigender Refluxfaktoren. Zunächst werden Allgemeinmaßnahmen wie Hochstellen des Bettkopfteils, Gewichtsreduktion sowie Vermeidung fetter Speisen, Alkohol, Nikotin, Kaffee und späten Essens durchgeführt. Auch sollten Arzneistoffgruppen vermieden werden, die zu einer Erniedrigung des Cardiatonus führen können. Dazu gehören alle MxR-antagonistisch wirkenden Arzneistoffe (7 Kap. 5) einschließlich der NSMRI (7 Kap. 28) und bestimmter mGPCR- Antagonisten (7 Kap. 29). Auch CCB (7 Kap. 15), NO-Donatoren und PDE5- Inhibitoren (7 Kap. 9), nicht-selektive PDE-Inhibitoren wie Theophyllin (7 Kap. 14) und ER-Agonisten (7 Kap. 24) können tonusmindernd wirken. Zur Stimulation der Ösophaguskontraktilität kann der D2R-Antagonist MCP gegeben werden (7 Kap. 6 und 8). Bisphosphonate können direkt gastroösophageale Ulzerationen auslösen (7 Kap. 20). Die wirksamsten Arzneistoffe zur GERD-Therapie sind die PPI. Sie werden aus magensaftresistenten Kapseln im Dünndarm freigesetzt und resorbiert. Dann gelangen sie über das Blut in die Parietalzellen. Dort werden sie sezerniert und säurekatalytisch in die pharmakologisch aktiven Sul fenamide umgewandelt. In dieser Wirkform hemmen PPI irreversibel die apikale H+/K+-ATPase durch Bildung einer Disulfidbrücke mit einem Cysteinrest des Enzyms und blockieren dadurch die basale und sti
210
Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
Spätes Essen
Fettes Essen
Kaffee, Tabakrauch, Alkohol
Schwangerschaft
NO-Donatoren, PDE5-Inhibitoren, Theophyllin, CCB, ER-Agonisten
Adipositas Hiatushernie
H2R-Antagonisten (Ranitidin) Sodbrennen
MXR-Antagonisten
Propulsive Motorik Cardiatonus
Blutungen, Strikturen
PPI (Pantoprazol)
H+-Reflux GERD
Bisphosphonate
D2R-Antagonisten (MCP, Domperidon)
Erosionen, Ulcera Karzinome
• • • • • • •
Laryngitis Husten Heiserkeit Bronchopneumonie Sinusitis Zahnschäden Schlafstörungen
Dauertherapie:
• Fe2+- , Vit.-B12-, Mg2+-Mangel • Ca 2+-Mangel → Osteoporose/Frakturen • Erhöhte Inzidenz von bestimmten Infektionen • Magenkarzinom-Risiko • Rebound-Hypergastrinämie • Nierenfunktion↓? • Demenz? • Mortalität↑?
.. Abb. 13.1 Pathophysiologie von GERD und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Siehe auch . Abb. 7.1
13
mulierte Protonensekretion. Durch diesen Wirkmechanismus erklärt sich die Diskrepanz zwischen kurzer Plasma-HWZ (1–2 Stunden) und langer Wirkdauer (ca. 48 Stunden, 7 Kap. 2). Die PPI-Wirkung wird beendet, wenn neue H+/K+-ATPase- Moleküle synthetisiert wurden. PPI bewirken eine nachhaltige pH-Erhöhung im Magen. Es gibt zahlreiche PPI (Prototyp Pantoprazol). Zunächst gibt man PPI über 4–8 Wochen in Standarddosis (im Fall von Pantoprazol 40 mg) jeweils 30 Minuten vor dem Frühstück. PPI führen innerhalb von Wochen zur Symptomlinderung und Abheilung von Läsionen. Dies sollte nach 4–8 Wochen endoskopisch überprüft werden. Zur Langzeittherapie von GERD werden PPI in halber Standarddosis gegeben. Ohne Behandlung ist die GERD-Rezidivrate hoch. PPI können ferner in halber Standarddosierung als Bedarfsmedikation eingenommen wer
den. Sie gehören in Deutschland zu den am meisten verschriebenen Arzneistoffen. In niedrigen Dosierungen und kleinen Packungsgrößen sind einige PPI in Deutschland auch rezeptfrei erhältlich. Weil Pantoprazol ein Hemmstoff von CYP2C19 ist, können Arzneistoffinteraktionen auftreten (7 Kap. 2). Es wird diskutiert, ob PPI die Wirksamkeit von Clopidogrel in der KHK-Therapie abschwächen, da es über CYP2C19 aktiviert wird (7 Kap. 2 und 18). Die Langzeittherapie mit PPI ist problematisch. PPI vermindern die Vitamin-B12- und Eisenresorption. Als Folge kann eine Eisenmangelanämie entstehen. Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine perniziöse Anämie und neurologische Störungen verursachen. Die Resorption von gegen HIV wirksamen Arzneistoffen und antimykotisch wirkenden Triazolen (7 Kap. 33 und 34) kann verzögert sein. Unter einer PPI-Therapie können Kopfschmerzen,
MOR-Agonist
Enkephalinase- Inhibitor
Racecadotril
PPI
Arzneistoffgruppe
Loperamid
Diarrhoe
Pantoprazol
GERD und PUD
Arzneistoff
Hemmt den Abbau von endogenen MOR-Agonisten (Enkephalinen). Verringerung der GI-Peristaltik/Motilität
Peripherer MOR-Agonist. Verringerung der GI-Peristaltik/ Motilität
Irreversibler Inhibitor der Protonenpumpe (H+/K+- ATPase). Vollständige Hemmung der Protonensekretion in den Parietalzellen
Wichtige Wirkungen
Diarrhoe, wenn Beseitigung der Ursache und Rehydratation nicht ausreichen; vor allem Einsatz bei Kleinkindern, bei denen Loperamid kontraindiziert ist
Diarrhoe, wenn Beseitigung der Ursache und Rehydratation nicht ausreichen
GERD (Akuttherapie, Langzeittherapie und Bedarfsmedikation), PUD
Wichtige Indikationen
Zur Vermeidung von Obstipation Behandlung nur bis zum ersten geformten Stuhl, keine Wirkungen im ZNS. Bei schwerer Diarrhoe mit hohem Fieber und blutigem Stuhl ebenso kontraindiziert wie bei Immunsuppression (Gefahr der Krankheitsverschlimmerung)
Zur Vermeidung von Obstipation Behandlung nur bis zum ersten geformten Stuhl, keine Wirkungen im ZNS. Bei schwerer Diarrhoe mit hohem Fieber und blutigem Stuhl ebenso kontraindiziert wie bei Immunsuppression (Gefahr der Krankheitsverschlimmerung)
Kopfschmerzen, Schlafstörungen Schwindel, GI-Beschwerden, Leberschäden, Allergie, erhöhtes Infektionsrisiko für bestimmte Erreger, verminderte Resorption von Eisen und Vitamin B12 (dadurch Anämie) und verminderte Resorption von Calcium (dadurch Osteoporose), Rebound-Hypergas trinämie nach längerer Therapie
Wichtige UAW
.. Tab. 13.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von gastroduodenalen Erkrankungen
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 10, 11
7 Kap. 7, 20, 32
Weitere Information in Kapitel
13.1 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroösophagealen … 211
13
Sekretagogisch/ antiresorptives Laxanz
Wasserbindender Arzneistoff
Macrogol
Lösung enthält Glucose, Natriumcitrat, NaCl und KCl
Bisacodyl
Obstipation
WHO-Rehydratationslösung (nicht in NKLM/IMPP-Arneistoffliste; Begründung siehe Serviceteil. Trotzdem ist die WHO-Rehydratationslösung als physiologisches Therapieprinzip examensrelevant.)
Arzneistoffgruppe
Nicht-toxisches Polyethylenglycol, welches Wasser bindet. Durch Vergrößerung des Darminhaltes (Volumenexpansion von Macrogol) Dehnung der Darmwand und Stimulation der Peristaltik; langsamer Wirkungseintritt (1–3 Tage)
Antiresorptive und sekretagoge Wirkung. Durch Hemmung der Resorption von Wasser und NaCl sowie durch eine Stimulation der Sekretion von Wasser und NaCl Vergrößerung und Verflüssigung des Darminhaltes, Wirkungseintritt innerhalb von 1–3 Stunden (Suppositorien) bzw. 6–8 Stunden (p.o.-Gabe)
Glucose und Natrium werden im Dünndarm über Natrium- Glucose-Symporter resorbiert; in der Folge wird Wasser entsprechend dem osmotischen Gradienten in den Körper aufgenommen. Symptomatische Korrektur der Wasser- und Elektrolytverluste
Wichtige Wirkungen
13
Arzneistoff
.. Tab. 13.1 (Fortsetzung)
Kurzfristige Behandlung chronischer Obstipation bis zum Greifen der positiven Wirkung der veränderten Lebensführung; proaktive Behandlung der Obstipation durch MOR-Agonisten
Kurzfristige Behandlung chronischer Obstipation bis zum Greifen der positiven Wirkung der veränderten Lebensführung; Vorbereitung vor diagnostischen Eingriffen und Operationen im Darm
Schwere Diarrhoe jeder Ursache, die mit Exsikkose einhergeht (rechtzeitiger Therapiebeginn bei Cholera und Diarrhoe bei Säuglingen und Kindern lebensrettend!)
Wichtige Indikationen
Wasser- und Elektrolytverluste bei chronischer Einnahme (Missbrauch); dadurch Verschlimmerung der Obstipation; ansonsten sehr gut verträglich, keine Flatulenz
Wasser- und Elektrolytverluste bei chronischer Einnahme (Missbrauch); dadurch Verschlimmerung der Obstipation; Magen- und Darmkrämpfe
Bei indizierter Anwendung in therapeutischen Volumina (Erwachsene bis 3 l pro Tag) keine UAW; Hyperhydration sollte vermieden werden (Gefahr der Ödembildung)
Wichtige UAW
7 Kap. 10
7 Kap. 1
Weitere Information in Kapitel
212 Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
Purin-Analogon
GCR-Agonist
GCR-Agonist
Azathioprin
Budesonid
Prednisolon Synthetischer GCR-Agonist. Pleiotrop: Hemmung der Synthese von Zytokinen, proinflammatorischen Enzymen und Adhäsionsmolekülen. Antiinflammatorische und immunsuppressive Wirkung
Siehe Prednisolon
Abspaltung von 6-MP, das als falsche Base in DNA und RNA eingebaut wird. Immunsuppressive Wirkung durch Hemmung der Lymphozytenproliferation (low-dose-Therapie)
Pleiotrope Wirkungen: Hemmung der PG- und LT-Synthese, Leukozytenchemotaxis und T-Zellaktivierung; Radikalfänger; antiinflammatorische Wirkung; Karzinomprävention
Colitis ulcerosa, M. Crohn
Vor allem Colitis ulcerosa (lokale Gabe)
Schwere Verläufe von Colitis ulcerosa und Remission von M. Crohn
Lokal oder systemisch bei Colitis ulcerosa; 5-ASA wirkt nicht bei M. Crohn! Bei M. Crohn Einsatz des Konjugates aus 5-ASA und Sulfapyridin (Sulfasalazin)
Bei systemischer Applikation oberhalb der Cushing-Schwelle Cushing-Syndrom mit Ödemen, Hypokaliämie, Osteoporose, Striae, Diabetes, Katarakt, Glaukom, ZNS-Veränderungen, Nebenniereninsuffizienz, Infektanfälligkeit
Bei der ersten Leberpassage wird Budesonid inaktiviert (first-pass- Effekt); dadurch sind systemische UAW gering
Leukopenie, Thrombopenie, Anämie, Infektanfälligkeit
Insgesamt gute Verträglichkeit. Selten: GI-Beschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel, Perikarditis
7 Kap. 11, 15, 16, 17, 19, 20, 28, 31, 32
7 Kap. 2, 14
7 Kap. 11, 31, 32
7 Kap. 11
In der Tabelle sind nicht Arzneistoffe zur Pharmakotherapie des Erbrechens integriert. Diese sind in den 7 Kap. 5, 6, 7 und 8 dargestellt. H2R-Antagonisten werden in 7 Kap. 7 dargestellt. Antibakterielle Arzneistoffe zur Eradikation von Helicobacter pylori werden in 7 Kap. 32 behandelt. TNF-Inhibitoren werden in 7 Kap. 11 behandelt
Pleiotroper Immunmodulator
5-ASA (Mesalazin)
Entzündliche Darmerkrankungen
13.1 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroösophagealen … 213
13
214
Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
Schwindel, Schlafstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und Obstipation auftreten. Auch Leberschäden und Allergien werden beobachtet.
13.2 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie der gastroduodenalen Ulcuserkrankung
>>Die i.v.-Gabe von PPI sollte wegen der Gefahr reversibler Gehör-, Seh- und Geschmacksstörungen vermieden werden!
Bei einer PUD liegt ein Mukosadefekt mit einer Tiefe von ≥ 3 mm vor, der über die LaPPI können durch Störung der Calcium mina muscularis mucosae hinausgeht. Die resorption Osteoporose und Schenkelhals- PUD ist eine sehr häufige Erkrankung mit frakturen begünstigen (7 Kap. 20). Ebenso einer Lebenszeitinzidenz von 10 %. Bei PUD wird Hypomagnesiämie beobachtet. Das besteht eine Dysbalance zwischen aggressiRisiko für Infektionen mit Clostridium diffi- ven und protektiven Faktoren. . Abb. 13.2 cile (7 Kap. 32), Campylobacter jejuni sowie zeigt die PUD-Pathophysiologie und pharSalmonellen ist wegen der fehlenden Säure- makologische Eingriffsmöglichkeiten. Das barriere des Magens erhöht. Eine PPI- PUD-Leitsymptom sind durch NahrungsTherapie wird auch mit erhöhter Inzidenz aufnahme gebesserte epigastrische Schmervon Pneumonie, Demenz, CKD und Ma- zen ca. 1–3 Stunden nach den Mahlzeiten. genkarzinom in Verbindung gebracht. Nach Zu den protektiven Faktoren für eine inPPI-Langzeittherapie sollte der Arzneistoff takte Mukosa gehören die Sekretion von langsam ausgeschlichen werden, um eine Mukus und Bicarbonat sowie eine normale Ulcus-fördernde Rebound-Hypergastrinämie Durchblutung. Für diese wichtigen homöomit verstärkter Protonensekretion zu ver- statischen Funktionen ist PGE2 bedeutsam. Der wichtigste pathogenetische Faktor meiden. für die PUD-Entstehung ist die Infektion >>Bei PPI-Langzeittherapie muss eine regelmit Helicobacter pylori. Man findet das mäßige Kontrolle des Blutbildes sowie der Bakterium bei >90 % der Patienten mit Konzentration von Vitamin B12, Eisen, Duodenalulcus und bei >70 % der Patienten Calcium und Magnesium im Blut durchmit Magenulcus. Die Erregerübertragung geführt werden, um entsprechende Manerfolgt fäkal-oral. Über Pathogenitätsfaktogelzustände rechtzeitig zu erkennen. ren und Toxine löst Helicobacter pylori eine Kreatininkontrollen sind notwendig, um chronische Entzündung aus, die zu Ulcus eine Verschlechterung der Nierenfunktion oder karzinomatöser Entartung und Lymzu erfassen. Bei manifestem Vitamin- B12- phomen führen kann. Nach biochemischem, mikroskopischem Mangel muss das Vitamin parenteral substiund/oder immunologischem Nachweis einer tuiert werden. Den Patienten ist eine Eisen-, Helicobacter pylori-Infektion gilt das TheraCalcium- und Magnesium-reiche Kost zu pieprinzip treat once successfully. Für einen empfehlen. Ggf. erfolgt eine angemessene Zeitraum von 7–14 Tagen wird eine Tripeldiätetische Substitution. Da bei vielen Patherapie durchgeführt. Diese besteht aus tienten PPI über Monate, Jahre oder sogar dem PPI Pantoprazol und den antibakteriell lebenslang unkritisch und ohne klare Indiwirkenden Arzneistoffen Clarithromycin kation eingesetzt werden, bekommen (7 Kap. 32) und Amoxicillin (7 Kap. 32) UAW, die bei PPI-Langzeittherapie auftre(PCA, französische Tripeltherapie, French ten können, eine immer größere Bedeutriple). Diese Therapie ist (außer bei Peniciltung. Deshalb sollte eine PPI-Therapie so kurz wie möglich erfolgen und bei Lang- linallergie und Diarrhoe) durch gute Ver zeittherapie sollte ein Auslassversuch ge- träglichkeit, gutes Ansprechen und hohe Eradikationsraten gekennzeichnet. Bei Penimacht werden.
13
13
215 13.2 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der gastroduodenalen …
COX-Inhibitoren (Ibuprofen) GCR-Agonisten (Prednisolon)
PGE2
Gastrinom Italienische Tripel-Therapie
Mukus
Bicarbonat
(PPI, CLA, MET)
Durchblutung Bisphosphonate
Intakte Mukosa
H+Sekretion
PPI
PUD
ASS low dose PPIBegleitTherapie
Blutungen
Chronische Entzündung
Karzinom
H. pylori
Lymphom
VKA Heparin P2Y12RAntagonisten
Französische Tripel-Therapie (PPI, CLA, AMO)
Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren
.. Abb. 13.2 Pathophysiologie von PUD und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. CLA, Clarithromycin; MET, Metronidazol; AMO, Amoxicillin. Siehe auch . Abb. 7.1
cillinallergie wird Metronidazol (7 Kap. 32) statt Amoxicillin eingesetzt (PCM). Diese Therapie wird als italienische Tripeltherapie (Italian triple) bezeichnet. Es besteht auch die Möglichkeit einer 7-tägigen Vierfachtherapie (PCAM). Bei Therapieversagen als Folge von Resistenz können Bismutsalze, Tetrazykline sowie Fluorchinolone eingesetzt werden. Allerdings sind Bismutsalze nicht gut verträglich. Der zweitwichtigste pathogenetische Faktor für eine PUD ist die COXInhibitor-Einnahme (7 Kap. 7 und 10). Da COX- Inhibitoren die PGE2-Synthese über COX-1 im Magen hemmen, fällt die protektive PGE2-Wirkung weg. Der Versuch, in der Schmerztherapie nicht-selektive COX- Inhibitoren durch selektive COX-2- Inhibitoren zu ersetzen, scheiterte daran, dass letztere zwar eine geringere Gastrotoxizität besitzen, dafür aber gravierende kardiovaskuläre UAW verursachen (7 Kap. 10 und 18). Daher werden COX-Inhibitoren
bei Unverträglichkeit oder PUD häufig mit PPI kombiniert. Alternativ werden analgetisch wirkende Arzneistoffe ohne PUD- Risiko wie Paracetamol, Metamizol oder MOR-Agonisten eingesetzt (7 Kap. 10). Prinzipiell können alle gerinnungshemmend wirkenden Arzneistoffe Blutungen bei PUD begünstigen (7 Kap. 18). Besonders groß ist das Risiko bei der Gabe von irreversiblen COX-Inhibitoren (ASS low dose). Deshalb werden Patienten, die ASS low dose einnehmen, häufig mit niedrig dosierten PPI als Begleittherapie behandelt, um das Blutungsrisiko zu minimieren. Hier müssen die UAW einer PPI-Langzeittherapie berücksichtigt werden.
>>Das automatische Verschreiben eines PPI als „Magenschutz“ bei jedem Krankenhauspatienten und jedem Patienten, der wegen einer thromboembolischen Erkrankung mit einem irreversiblen COX-Inhibitor oder P2Y12R-Antagonisten behandelt
216
Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
wird (7 Kap. 18), ist unnötig. Ebenso unreflektiert ist die automatische Verschreibung eines COX-Inhibitors + PPI in der Schmerztherapie. Es ist eine individuelle Entscheidung.
Beim Gastrinom liegt eine exzessive Protonensekretion vor. Falls das Gastrinom nicht chirurgisch entfernt werden kann, erfolgt eine PPI-Therapie. 13.3 Pathophysiologie und
>>Die meisten Diarrhoen (ca. 75 %) sind viraler Genese (Noroviren oder Rotaviren), für die es keine s pezifische Therapie gibt. Daher steht die symptomatische Therapie im Vordergrund.
Diarrhoe liegt vor, wenn ein Patient häufiger als dreimal pro Tag Stuhlgang hat, der Stuhl ungeformt (flüssig, spritzend, übelriechend) ist und ein Gewicht von ca. 200–250 g pro Stuhlgang überschreitet. In der Praxis ist es naturgemäß nicht einfach, die genaue Stuhl-
Außerdem können Bakterien Toxine produzieren, die eine Diarrhoe auslösen. In Entwicklungsländern kommt es immer wieder zu Cholera-Epidemien. Bei der Cholera kommt es über Dauerstimulation des Gs- AC- Weges in Enterozyten (7 Kap. 1) zu massiver Wasser- und Elektrolytsekretion. Clostridium difficile verursacht eine pseudomembranöse Enterokolitis, die insbesondere
Pharmakotherapie der Diarrhoe
TPO-Inhibitoren
WHO-RehydrationsMetronidazol lösung V. cholerae
Hyperthyreose
13
menge zu bestimmen. Daher verlässt man sich in der Regel auf die Beschreibung von Stuhlkonsistenz, Stuhlfrequenz und Stuhlgeruch durch den Patienten. . Abb. 13.3 gibt eine Übersicht über die Pathophysiologie der Diarrhoe und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten.
Racecadotril Loperamid
S. aureus Salmonellen Shigellen
C. difficile
Hypothyreose
CCB 5-HT3R-Antagonisten
Bakterielle Toxine
Fe2+-Präparate PPI, Al-haltige Antazida
Virale Infektionen
Diarrhoe
T4
Colestyramin MXR-Antagonisten
Obstipation
T4 Laxanzienabusus
Quellstoffe
Antibakterielle Arzneistoffe Gallensäuren Colestyramin Mg2+-haltige Antazida
Antiresorptiva/ Sekretagoga K+
RAAS
Ileus
Macrogol
Colchicin (Herbstzeitlose) PPI, D2R-Antagonisten, AChE-Inhibitoren
MOR-Agonisten
chronisch
chronisch
Na+ Wasser
.. Abb. 13.3 Pathophysiologie der Diarrhoe und Obstipation und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
13
217 13.3 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Diarrhoe
stellen. In Deutschland werden meist teure Fertigpräparate verkauft. Ist der Patient zu geschwächt, um trinken zu können, müssen Wasser und Elektrolyte i.v. substituiert werden. Für die Choleratherapie ist Flüssigkeitsund Elektrolytsubstitution entscheidend, nicht die Gabe antibakterieller Arzneistoffe. Bei blutigen Durchfällen mit hohem Fieber liegt der Verdacht auf eine schwere Salmonellose oder Shigellose nahe. In diesen Fällen erfolgt nach Materialgewinnung für die mikrobiologische Diagnostik und Resistenztestung eine i.v.-Therapie mit gegen gramnegative Bakterien wirksamen antibakteriellen Arzneistoffen. Eine pseudomembranöse Enterokolitis wird mit Metronidazol oder Vancomycin behandelt (7 Kap. 32). Bei heftigen Diarrhoen kann eine kurzfristige Begleittherapie mit Loperamid erfolgen. Loperamid ist ein peripher wirksamer MOR-Agonist und vermindert die GI- Motilität. Es penetriert nicht die BHS und führt deshalb nicht zu Sedation und Atemdepression. Wegen der physiologisch noch nicht voll ausgebildeten BHS bei Säuglingen und Kleinkindern darf Loperamid nicht in diesem Lebensalter gegeben werden. Es kann sonst zu schwerer Atemdepression kommen >>Daher muss jede Diarrhoe unabhängig (7 Kap. 2). Bei Kleinkindern kommt als Alvon der Ursache mit Elektrolyt- und Flüsternative der Enkephalinase-Inhibitor Racesigkeitssubstitution behandelt werden. cadotril in Frage. Er verstärkt die hemmende In der Diarrhoetherapie spielt der intesti- Wirkung endogener E nkephaline auf die nale Natrium-Glucose-Symporter die ent- GI-Motilität und hat keine ZNS-UAW. Bei scheidende Rolle. Über ihn werden Natrium älteren Kindern erfolgt die Loperamiddosieund Glucose gemeinsam resorbiert; Wasser rung nach Körpergewicht, um diese UAW zu folgt osmotisch nach. In leichten Fällen rei- vermeiden. Loperamid darf auch nicht gegechen Trinken von Cola-Getränken und ben werden, wenn hohes Fieber, blutiger Verzehr von Salzstangen. In schweren Fäl- Stuhl oder Immunsuppression vorliegen. In len muss eine WHO-Rehydratationslösung diesen Fällen kann es zu verzögerter Erregergegeben werden (bis 3 l pro Tag), die Glu- ausscheidung und Verschlimmerung des cose, Citrat, Natrium, Kalium und Chlorid Krankheitsbildes kommen. in einem optimalen Verhältnis für die WieHäufig werden Diarrhoen von schmerzderherstellung eines balancierten Wasser- haften Darmkrämpfen begleitet. Krämpfe und Elektrolythaushaltes enthält. Die WHO- können symptomatisch mit dem MxR- Trinklösung lässt sich einfach und preiswert Antagonisten Butylscopolamin (7 Kap. 5) auch für große Patientenpopulationen her- behandelt werden.
in Krankenhäusern eine große Rolle spielt und mit Metronidazol behandelt wird (7 Kap. 32). Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Malabsorption, Hyperthyreose (7 Kap. 21) und Gallensäuren (7 Kap. 22) können ebenfalls Diarrhoe auslösen. Außerdem kann eine Reihe von Arzneistoffen Diarrhoe bewirken. Wichtigste Ursache ist die Therapie mit antibakteriellen Arzneistoffen, die zur Störung der bakteriellen GIFlora führt. Eine Diarrhoe entsteht auch durch den Missbrauch von rezeptfrei erworbenen Laxanzien als „Entschlackungsmittel“ mit dem Zweck der Gewichtsreduktion (z. B. bei Models oder Sportlern, die in Gewichtsklassen starten). Außerdem können Magnesium- haltige Antazida, PPI, D2R- Antagonisten, (7 Kap. 8), AChE-Inhibitoren (7 Kap. 5) T4 (7 Kap. 21), Colchicin (7 Kap. 24) und das Zytostatikum Irinotecan (7 Kap. 31) Diarrhoe auslösen. Entscheidend in der Diarrhoetherapie ist die Ursachenerkennung und -ausschaltung. Die Indikation und Dosierung von Diarrhoe- auslösenden Arzneistoffen muss kritisch überprüft werden. Das Haupt problem bei Diarrhoe ist der Wasser- und Elektrolytverlust, der zu Exsikkose und Thrombosen (7 Kap. 18) führt.
218
Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
Weitere Begleitsymptome von Diarrhoen sind Übelkeit und Erbrechen. Hier kommen zur kurzfristigen symptomatischen Therapie D2R- Antagonisten in Frage (7 Kap. 6 und 8). Diese wirken antiemetisch und prokinetisch. Domperidon wirkt nur an der Area postrema und ist nicht ZNS-gängig. Es verlängert die QT-Zeit und erhöht damit das Risiko für TdP-Arrhythmien, insbesondere wenn gleichzeitig CYP3A4-Inhibitoren gegeben werden (7 Kap. 17). MCP penetriert im Unterschied zu Domperidon ins ZNS. Bei rascher Anflutung kann es zu akuten Dyskinesien kommen, insbesondere bei i.v.-Applikation und Gabe von Tropfen mit hoher Arzneistoffkonzentration (7 Kap. 8). Um das Risiko dieser UAW zu reduzieren, wurde die Arzneistoffkonzentration in verschiedenen Formulierungen reduziert. Bei Kindern unter einem Jahr ist MCP kontraindiziert, bei älteren Kindern und Jugendlichen wird MCP nach Körpergewicht dosiert. Wenn eine Diarrhoe von Fieber (und Kopfschmerzen) begleitet wird, bietet sich die Anwendung von Paracetamol oder Metamizol an; letzterer Arzneistoff besitzt zusätzlich eine meist erwünschte relaxierende Wirkung auf glatte Muskelzellen (7 Kap. 10). COX-Inhibitoren sollten bei Diarrhoe wegen der Gastrotoxizität vermieden werden. Treten im Rahmen einer Diarrhoe Meteorismus und Flatulenz auf, können entschäumend wirkende Arzneistoffe wie Dimeticon (7 Kap. 34) gegeben werden. Sie reduzieren die Oberflächenspannung von Gasblasen und führen zu deren Zerfall. Damit wird der Dehnungsreiz auf die Darmwand verkleinert.
13
chende Kaliumzufuhr (z. B. Orangensaft, Pistazien, Soja, Aprikosen, Bananen, Weizenkleie), Flüssigkeitszufuhr (1,5–2 l pro Tag, viel Mineralwasser) sowie ausreichende körperliche Aktivität (z. B. Walking, Jogging, Fahrradfahren, Gymnastik) wichtig. . Abb. 13.2 fasst Ursachen und Therapie der Obstipation zusammen.
>>Eine Obstipation liegt vor, wenn eine erschwerte und zu seltene (weniger als dreimal pro Woche) Defäkation vorliegt.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass ein gesunder Mensch täglich Stuhlgang haben muss. Diese Fakten muss der Arzt in seiner Anamnese erkunden und klarstellen. Ca. 20 % der Bevölkerung leiden zumindest zeitweilig an Obstipation; zu 75 % sind Frauen betroffen. Mit zunehmenden Lebensalter (und damit häufig einhergehender Immobilität) wird Obstipation häufiger. Dehydratation, Diabetes (7 Kap. 19), Hypothyreose (7 Kap. 21), multiple Sklerose, M. Parkinson und Depressionen (7 Kap. 28) können Obstipation auslösen. Auch lange Flugreisen beeinträchtigen die GI-Motilität, ebenso Kolonkarzinom, Strikturen, Rektumprolaps und Hämorrhoiden. Zahlreiche Arzneistoffgruppen können Obstipation verursachen. Am wichtigsten sind MOR-Agonisten (7 Kap. 10). Auch Aluminium-haltige Antazida, 5-HT3R- Antagonisten, PPI, Eisenpräparate, CCB (7 Kap. 15), Colestyramin (7 Kap. 22) sowie alle MxR-antagonistisch wirkenden Arzneistoffe (7 Kap. 5) einschließlich der NSMRI (7 Kap. 28), H1R- Antagonisten der 1. Generation (7 Kap. 7), bestimmte mGPCR- Antagonisten (7 Kap. 29) und das in der Therapie des M. Parkinson eingesetzte Biperiden (7 Kap. 8) wirken obstipierend. Kaliummangel ist eine wichtige Ursache für Obstipation. Er kann durch kaliumarme Ernährung und Dauertherapie mit NCC- Inhibitoren und/oder NKCC-Inhibitoren ohne kaliumsparende Zusatzkomponente wie ACE-Inhibitoren oder MCR-Antagonisten (7 Kap. 15 und 16) hervorgerufen
13.4 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie der Obstipation
Für einen geregelten Stuhlgang sind eine ballaststoffreiche Ernährung (Getreide, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte), eine ausrei-
219 13.5 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn
erden. Indikation und Dosierung dieser w Arzneistoffgruppen muss bei Obstipation überprüft werden. Eine der wichtigsten Obstipationsursachen ist die jahrelange Einnahme von Laxanzien (oft pflanzlicher und daher vermeintlich harmloser Natur) außerhalb der ärztlichen Einflusssphäre. Sie werden häufig mit einem nicht näher definierten und weltanschaulich verbrämten Wellness-, Detox- und Entschlackungsaspekt unter Verharmlosung der negativen Langzeitfolgen beworben. Als Folge von Laxanzieneinnahme treten Wasser- und Elektrolytverluste auf. Eine Hypokaliämie führt zu einer verlangsamten Darmmotilität. Durch Wasser- und Natriumverluste kommt es zu einer kompensatorischen RAAS-Aktivierung mit verstärkter Aldosteronfreisetzung. Dadurch werden Kaliumverluste erhöht. >>Somit kann sich im Laufe der Jahre ein Teufelskreis zwischen Laxanzienabusus, Hypokaliämie und Obstipation aufbauen. Der Schlüssel zum Durchbrechen des Teufelskreises ist das Absetzen des Laxans. Es bestehen Ähnlichkeiten zwischen dem Missbrauch von Laxanzien und NKCC- Inhibitoren in Bezug auf die Hypokaliämie (7 Kap. 16).
Die konsequente Einhaltung der o. g. Ernährungs- und Verhaltensregeln ist wichtig für eine normale Darmmotorik. Sind diese allgemeinen Maßnahmen nicht erfolgreich, kann zusätzlich ein wasserbindender Arzneistoff wie Macrogol angewendet werden. Es wirkt langsam und ist gut verträglich. Macrogol besteht aus Polyethylenglycol mit Molekulargewichten zwischen 3.300–4.000 Dalton und wird weder resorbiert noch von Bakterien metabolisiert. Durch Wasserretention wird der Darminhalt verflüssigt und vergrößert. Dadurch wird die Darmtätigkeit stimuliert und die Defäkation erleichtert. Macrogol ist das osmotische Laxans der Wahl. Es ist wichtig, dem Patienten zu vermitteln, dass die „bequeme“ Einnahme des Laxans nicht „unbequeme“ Allgemeinmaßnahmen ersetzt, sondern lediglich temporär ergänzt.
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Werden klassische Ballaststoffe wie Weizenkleie oder Leinsamen eingenommen, ist auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten, weil es sonst zu hartem Stuhl und einem Ileus kommen kann. Falls diese Maßnahmen nicht ausreichen, werden antiresorptiv und sekretagog wirkende Arzneistoffe (Prototyp Bisacodyl) möglichst kurzfristig eingesetzt. Bisacodyl hemmt die Resorption von Wasser und Elektrolyten und stimuliert zugleich deren Sekretion. Bei p.o.-Gabe wirkt Bisacodyl innerhalb von 6–8 Stunden, bei Gabe als Suppositorium innerhalb von 1–3 Stunden. Häufig wird Obstipation von Flatulenz und Meteorismus begleitet. Auch hier hilft Bewegung sowie das Tragen lockerer, nicht beengender Kleidung. Zusätzlich können Entschäumer wie Dimeticon gegeben werden. Ein Sonderfall ist die durch MOR- Agonisten hervorgerufene Obstipation. MOR-Agonisten müssen bei schweren und schwersten Schmerzen, z. B. bei Tumorerkrankungen im Finalstadium, regelmäßig eingenommen werden (7 Kap. 10). In diesem Fall lässt sich die Obstipation als UAW nicht vermeiden. Man wartet nicht ab, bis eine Obstipation aufgetreten ist, sondern agiert proaktiv. Infrage kommen wasserbindende Arzneistoffe wie Macrogol.
13.5 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn
Colitis ulcerosa und M. Crohn gehören zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (inflammatory bowel diseases, IBD). Sie haben Ähnlichkeiten in Bezug auf Epidemiologie, Pathophysiologie, Pathologie, Klinik, diätetische Behandlung und Komplikationen. Daraus ergeben sich Ähnlichkeiten in den Therapieprinzipien (. Tab. 13.2). Weil überwiegend junge Erwachsene betroffen sind, ergibt sich die Notwendigkeit einer langjährigen Therapie mit möglichst wenig UAW.
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Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
.. Tab. 13.2 Übersicht über die Pathophysiologie, Klinik und Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn Parameter
Colitis ulcerosa
M. Crohn (Ileitis terminalis)
Epidemiologie
Prävalenz ca. 200 pro 100.000 Einwohner in Industrieländern; ca. 3–4 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner; Männer und Frauen ähnlich häufig betroffen; Erkrankungsgipfel zwischen 20. und 40. Lebensjahr
Prävalenz ca. 150 pro 100.000 Einwohner in Industrieländern; ca. 7–8 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner; Männer und Frauen ähnlich häufig betroffen; Erkrankungsgipfel zwischen 15. und 35. Lebensjahr sowie > 60 Jahren
Patho physiologie
Pathologisch gesteigerte Immunreaktion gegen Darmflora bei genetisch prädisponierten Personen
Autoimmunerkrankung des GI-Traktes, bei der ein Defekt in der angeborenen Abwehr gegen Darmbakterien Auslöser ist
Pathologie
Kontinuierliche Entzündung des Kolons mit oberflächlichen Ulzerationen; häufigste Lokalisation im Rektum mit proximaler Ausbreitung in das Kolon
Diskontinuierliche, segmentale und transmurale Entzündung mit Barrieres törung, die den gesamten GI-Trakt betreffen kann; häufigste Lokalisation (45 %) terminales Ileum und proximales Kolon
Klinik
Rezidivierende Diarrhoe, Darmblutungen, Koliken; schwer vorhersehbarer Verlauf. Häufig schleichend, akute Exazerbationen
Bauchschmerzen, Diarrhoe (eventuell blutig), Fieber, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, allgemeine Schwäche, Wachstumsverzögerung
Komplikationen
Inkontinenz, Flatulenz, Zuckerunverträglichkeit, psychische Probleme (Angst, Depression), multiple extraintestinale Manifestationen (z. B. Arthritis, Osteoporose, Uveitis), erhöhtes Karzinomrisiko, toxisches Megakolon
Sehr häufig Fisteln (z. B. enterovaginal, enterovesikal, enterokutan), Abszesse, intestinale Blutungen, toxisches Megakolon, erhöhtes Karzinomrisiko, Osteoporose, Gallensteine, Anämie, extraintestinale Manifestationen (z. B. Arthritis, Uveitis, Erythema nodosum)
Diät
Ausschluss von unverträglichen Nahrungsmitteln; Substitution von Vitaminen und Mineralien
Ausschluss von unverträglichen Nahrungsmitteln; Substitution von Vitaminen und Mineralien
Pharmakotherapie
5-ASA lokal oder systemisch als Dauerbehandlung; GCR-Agonisten lokal oder systemisch bei unzureichender Wirkung (möglichst kurzfristiger Einsatz); bei schweren Verläufen immunmodulatorische Arzneistoffe (Azathioprin oder 6-MP); Reservearzneistoffe sind MTX, Ciclosporin, Tacrolimus und TNF-Inhibitoren
Akuter Schub: GCR-Agonisten systemisch oder lokal, Sulfasalazin, Metronidazol und Ciprofloxacin; bei Fisteln TNF-Inhibitoren Remission: Azathioprin, 6-MP, MTX, TNF-Inhibitoren
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221 13.5 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn
Beiden Erkrankungen liegt eine Störung des Immunsystems zugrunde. Als Folge fehlgesteuerter Immunreaktion entstehen Läsionen im GI-Trakt. Bei der Colitis ulcerosa dominieren oberflächliche Läsionen. Häufigste Lokalisation ist das Rektum, von wo aus die Entzündung aufsteigen kann. Die Prädilektion der Colitis ulcerosa im Rektum ermöglicht in vielen Fällen lokale Therapie mit Einläufen und Schäumen. Breitet sich die Erkrankung weiter nach proximal aus, wird eine systemische Therapie erforderlich. Hauptmanifestationsorte beim M. Crohn sind das terminale Ileum und das proximale Kolon. Aus diesen L okalisationen ergibt sich meist die Notwendigkeit einer systemischen Therapie. Prinzipiell kann M. Crohn den gesamten GI-Trakt befallen. Bei beiden Erkrankungen können Diar rhoen auftreten. Bei Colitis ulcerosa liegen häufig Darmblutungen vor; bei M. Crohn kommen Fieber, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust, Übelkeit und Erbrechen hinzu. Beide Erkrankungen haben einen unberechenbaren Verlauf mit akuten Schüben und chronischen Phasen. Die Krankheiten sind nicht heilbar. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit lebenslanger Behandlung. >>Da die Ursache von Colitis ulcerosa und M. Crohn unbekannt ist, ist die Pharmakotherapie symptomatisch.
Therapieziel ist es, Krankheitssymptome so weit wie möglich zu lindern. Die Pharmakotherapie richtet sich nach der Lokalisation und dem Schweregrad der Entzündung und ist sowohl antiinflammatorisch als auch immunsuppressiv. Eine angepasste Diät, ggf. chirurgische Maßnahmen und psychologische Begleitung wirken unterstützend. Basis der Therapie der Colitis ulcerosa ist die lokale oder systemische Applikation von 5-ASA, bevorzugt als Retardpräparat. 5-ASA ist auch unter dem Namen Mesalazin bekannt. 5-ASA wirkt antiinflammatorisch, immunsuppressiv und verringert das Kolonkarzinomrisiko. 5-ASA hemmt die PG- und LT-Synthese, Leukozytenchemota-
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xis und T-Zellaktivierung und wirkt als Radikalfänger (7 Kap. 11). Bei p.o.-Gabe werden Tabletten mit magensaftresistentem Überzug appliziert, die bei einem pH > 6 aufgelöst werden. Dadurch werden systemische Resorption und UAW reduziert und die lokale Wirkung im Darmlumen maximiert. Deshalb wird 5-ASA von den meisten Patienten auch gut vertragen. Es werden unspezifische UAW wie Kopfschmerzen und Schwindel beobachtet.
>>5-ASA (5-Aminosalicylsäure, Mesalazin) darf nicht mit ASS (Acetylsalicylsäure) verwechselt werden. Trotz des ähnlichen Namens unterscheiden sich die Wirkprofile der beiden Arzneistoffe grundlegend voneinander (7 Kap. 1).
Falls 5-ASA die Symptome bei Colitis ulcerosa nicht kontrolliert, werden lokal oder systemisch GCR-Agonisten gegeben, die antiinflammatorisch und immunsuppressiv wirken. Zur Lokaltherapie eignet sich Budesonid, weil es nach Resorption bei der ersten Leberpassage inaktiviert wird und daher kaum systemische UAW verursacht (7 Kap. 2). Bei schweren Verläufen müssen GCR-Agonisten p.o. in hoher Dosis gegeben werden. Damit lassen sich Symptome zwar in aller Regel gut kontrollieren, aber es besteht die Gefahr eines Cushing-Syndroms und durch Suppression der hypophysären ACTH-Freisetzung das Risiko einer Nebennierenrindeninsuffizienz beim Absetzen (7 Kap. 11). Daher sollten systemische GCR-Agonisten wie Prednisolon nur so kurz wie möglich gegeben und unter langsamer Dosisreduktion abgesetzt werden. Um das Risiko einer Nebennierenrindeninsuffizienz zu minimieren, werden GCR-Agonisten bevorzugt morgens eingenommen, weil zu diesem Zeitpunkt die Empfindlichkeit der Hypophyse für den hemmenden GCR-Agonist-Effekt am geringsten ist. Ist auch die zusätzliche Gabe von GCR- Agonisten nicht ausreichend oder sind die UAW zu schwer, kommt eine Therapie mit Azathioprin infrage. Azathioprin ist ein Pro
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Kapitel 13 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes
drug von 6-MP, das in hoher Dosierung zytostatisch und in niedriger Dosierung immunsuppressiv wirkt (7 Kap. 11 und 31). Aus Azathioprin wird nach Resorption (Bioverfügbarkeit 60–90 %) das pharmakologisch aktive 6-MP freigesetzt. 6-MP wird als falsche Base (Ersatz für Guanin) in die DNA und RNA eingebaut und hemmt die T-Zellproliferation, die die immunologische Reaktion bei Colitis ulcerosa unterhält.
>>In Deutschland wird bei Autoimmun erkrankungen traditionell häufig Azathioprin eingesetzt; in angelsächsischen Ländern hingegen 6-MP. Die Wirksamkeit beider Arzneistoffe ist jedoch gleich; es ist lediglich ein kultureller Unterschied im Arzneistoffgebrauch.
Wesentliche UAW betreffen das hämatopoetische System. Es kommt zu Anämie, Thrombopenie und Leukopenie. Das Infektionsrisiko ist erhöht. Bei Leber- und Nierenschädigungen ist Azathioprin kon traindiziert, ebenso in der Schwangerschaft wegen teratogener Wirkungen. Da 6-MP über die XO metabolisiert wird (7 Kap. 23), kommt es bei gleichzeitiger Therapie mit einem XO-Inhibitor zu Potenzierung der Azathioprinwirkung. Daher muss die Dosis reduziert werden. 6-MP wird auch über Thiopurinmethyltransferase metabolisiert. Bei geringer Aktivität dieses Enzyms ist die Wirkung von Azathioprin ebenfalls verstärkt. Alternativ zum Prodrug Azathioprin kann der aktive Arzneistoff 6-MP zur Immunsuppression bei Colitis ulcerosa eingesetzt werden. Als Reservearzneistoffe werden Ciclosporin, Tacrolimus und TNF- Inhibitoren verwendet. Während bei Colitis ulcerosa mit 5-ASA ein Arzneistoff zur Verfügung steht, der sowohl im akuten Schub als auch in der Remission gut wirkt, ist die Situation beim M. Crohn komplizierter. Im akuten Schub ist häufig ein GCR-Agonist-Einsatz erforderlich, wobei möglichst Budenosid eingesetzt wird, um die systemischen UAW zu minimieren. Im leicht- bis mittelgradigen
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Schub bei M. Crohn kann Sulfasalazin gegeben werden. Es ist ein Konjugat aus Sulfapyridin und 5-ASA. Im Kolon wird Sulfasalazin durch bakterielle Enzyme in seine beiden Bestandteile gespalten. Wahrscheinlich ist Sulfapyridin für die therapeutische Wirkung verantwortlich, die eine Kombination aus antibakterieller und antiinflammatorischer Komponente darstellt. Sulfapyridin ist ein Sulfonamid (7 Kap. 32) und kann Allergien sowie durch Folsäuremangel Anämie und Agranulozytose auslösen. Außerdem werden schwere allergische Reaktionen beobachtet (7 Kap. 3). 5-ASA alleine gegeben wirkt nicht bei M. Crohn. Eine Komplikation des M. Crohn ist die Bildung von Fisteln, die sich entzünden oder Abszesse bilden können. In der Therapie infizierter Fisteln werden antibakterielle Arzneistoffe wie Metronidazol und Ciprofloxacin (7 Kap. 32) verwendet. Bei Koliken werden MxR-Antagonisten eingesetzt. Es kann bei M. Crohn zu gravierenden Elektrolyt- und Wasserverlusten kommen, die kompensiert werden müssen. Ebenso muss durch parenterale Applikation ein etwaiger Vitamin- B12-Mangel korrigiert werden. Daher muss die Vitamin-B12-Konzentration im Plasma bestimmt sowie hämatologische und neurologische Kontrolluntersuchungen durch geführt werden.
>>Es ist extrem wichtig, eine genaue Differentialdiagnose zwischen Colitis ulcerosa und M. Crohn zu stellen, da insbesondere der Einsatz von 5-ASA (Colitis ulcerosa) und Sulfasalazin (M. Crohn) unterschiedlich ist (7 Kap. 1).
TNF unterhält die Entzündung im akuten Schub bei M. Crohn und die Fistelbildung. Daher besteht ein Therapieansatz darin, die Wirkung von TNF aufzuheben. Dies gelingt, indem man dem Patienten TNF-Inhibitoren (Prototypen Adalimumab und Etanercept) appliziert. Ein wichtiges pharmakoökonomisches Problem bei der Therapie mit TNF- Inhibitoren sind die derzeit hohen Therapiekosten. Da TNF- Inhibitoren im-
223 13.5 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie von Colitis ulcerosa und M. Crohn
munsuppressiv wirken, kommt es vermehrt zu Infektionen, z. B. Sepsis, Tuberkulose, Infektionen mit opportunistischen Erregern oder Aktivierung einer Hepatitis B. Außerdem können TNF-Inhibitoren CHF verschlechtern und insbesondere bei langfristiger Anwendung die Entstehung von Tumorerkrankungen (z. B. Lymphome) begünstigen. >>TNF-Inhibitoren sind ein gutes Beispiel für den weit verbreiteten Irrglauben, monoklonale Antikörper und therapeutische Fusionsproteine (Biologicals) seien „sanft“ und hätten keine oder nur minimale UAW (7 Kap. 1 und 11).
Die Remissionstherapie bei M. Crohn ist ähnlich wie bei Colitis ulcerosa. Es kann eine Dauertherapie mit Azathioprin erfolgen. Alternativ wird 6-MP in niedrigerer Dosierung als bei Tumorerkrankungen eingesetzt. Methotrexat und TNF-Inhibitoren stellen Alternativen dar. Fallbeispiel
Eine 61-jährige Frau stellt sich in Ihrer gastroenterologischen Praxis wegen Stuhlgangproblemen vor. Die Patientin gibt an, nur einmal wöchentlich Stuhlgang zu haben. Auf Nachfrage wird die Einnahme von Arzneistoffen verneint. Die Diagnostik einschließlich Ultraschall,
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Gastroduodenoskopie und Kolonoskopie ergibt keinen pathologischen Befund. Eine ausführliche Laboranalyse des Blutes ergibt keine pathologischen Befunde mit Ausnahme einer Hypokaliämie (Plasmakaliumkonzentration 3,1 mmol/l). Auf gezielte Nachfrage erfahren Sie, dass die Patientin seit vielen Jahren täglich aus dem Internet bezogenen „biologisch- dynamischen Detox-Tee“ zur Entschlackung trinkt. Genaueres über den Tee kann Ihnen die Patientin nicht sagen und Sie bitten sie daher, den Tee beim nächsten Besuch mitzubringen. Es stellt sich heraus, dass der Tee aus Blättern von Senna alexandrina hergestellt wird.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Welche Arzneistoffgruppen könnten bei der Patientin die Obstipation verschlechtern, falls sie wegen einer anderen Erkrankung behandelt werden müsste? Lösungen 7 Kap. 37
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Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen Inhaltsverzeichnis 14.1
Pathophysiologie des Asthmas – 226
14.2
Pharmakotherapie des Asthmas – 230
14.3
athophysiologie der chronisch-obstruktiven P Lungenerkrankung – 233
14.4
harmakotherapie der chronisch-obstruktiven P Lungenerkrankung – 234
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_14
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226
Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
Bei Asthma liegt eine Entzündung der Bronchien und eine Hyperreagibilität der glatten Atemwegsmuskulatur vor. Dies führt zur Erhöhung des Atemwegwiderstandes. Therapieziel ist, die pathophysiologischen Veränderungen zu normalisieren. Bei intermittierendem Asthma werden bei Bedarf SABA gegeben. Bei leichtem Asthma werden inhalative GCR-Agonisten als Dauermedikation hinzugefügt. Bei mittelgradigem Asthma werden LABA hinzugefügt, bei schwerem Asthma kommen zusätzlich LTR-Antagonisten zum Einsatz, bei Status asthmaticus Theophyllin. Bei sehr schwerem Asthma können systemische GCR-Agonisten sowie IgE- und IL-5-Inhibitoren verabreicht werden. Bei einer COPD entsteht meist als Folge von Tabakkonsum eine irreversible Atemwegsobstruktion mit Emphysem und Entzündung. Initial erfolgt eine Therapie mit LABA und/oder LAMA. Bei Therapieresistenz werden PDE4-Inhibitoren oder der nicht-selektive PDE-Inhibitor Theophyllin hinzugefügt. Inhalative GCR-Agonisten dürfen bei COPD nur zurückhaltend gegeben werden, da das Pneumonie-Risiko erhöht ist.
Merksätze
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55 SABA eignen sich zur Therapie akuter Asthmaanfälle. 55 LABA werden in Kombination mit inhalativen GCR-Agonisten zur Dauertherapie von Asthma eingesetzt. 55 LAMA werden allein oder in Kombination mit LABA in der COPD-Therapie eingesetzt. 55 Inhalative GCR-Agonisten sind die Basismedikation für die meisten Asthmaformen. 55 Inhalative GCR-Agonisten sind bei Asthma effektiv und haben bei korrekter Anwendung keine systemischen UAW. 55 Inhalative GCR-Agonisten können bei COPD Bronchopneumonien begünstigen. 55 Die wichtigsten UAW inhalativer GCR- Agonisten sind orale Kandidose sowie Larynxfunktionsstörungen.
55 LTR-Antagonisten stellen Zusatzarzneistoffe bei Asthma dar. 55 IgE- und IL-5-Inhibitoren werden bei schwerem Asthma eingesetzt. 55 Der nicht-selektive PDE-Inhibitor Theophyllin hat gravierende UAW und wird nur bei schwerem Asthma und COPD eingesetzt. 55 Roflumilast ist ein PDE4-Inhibitor mit besserer Verträglichkeit als Theophyllin. 55 Roflumilast wird bei schwerer COPD in Kombination mit LABA und LAMA eingesetzt.
14.1 Pathophysiologie des
Asthmas
Etwa 10 % aller Kinder und 5 % aller Erwachsenen in Deutschland sind an Asthma erkrankt, wobei das weibliche Geschlecht häufiger als das männliche betroffen ist. . Abb. 14.1 zeigt die Asthmapathophysiologie sowie die pharmakologischen Eingriffsmöglichkeiten. . Tab. 14.1 präsentiert ausgewählte, in der A sthmatherapie eingesetzte Arzneistoffe. Beim allergischen (ex trinsischen) Asthma liegt eine Typ-I-Allergie vor (7 Kap. 3). Hier kommt es zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems, bei der eine TH2-Reaktion auftritt. Nach Exposition gegenüber Allergenen (z. B. Blütenpollen, Milbenkot, Nahrungsmittelbestandteile) werden vermehrt IgE- Antikörper gebildet, die zur Mastzelldegranulation führen (7 Kap. 7). Im Rahmen der TH2-Antwort wird IL-5 generiert, das eosinophile Granulozyten aktiviert. Aus diesen Zellen wird eine Vielzahl von Entzündungsmediatoren, zytotoxischen Enzymen und ROS freigesetzt, die eine Entzündung der Bronchialschleimhaut mit Reduktion der mukoziliären Clearance, Schleimhautverdickung, Hyperkrinie und Dyskrinie auslösen. Als Entzündungsfolge entsteht eine Hyperreagibilität der Atemwegsmuskulatur, was sich in verstärkter Kontraktilität und Hypertrophie der glatten Muskulatur äußert. Dadurch steigt der
14
227 14.1 · Pathophysiologie des Asthmas
Allergene Omalizumab
Mepolizumab TH2-Antwort
GCRAgonisten
SABA LABA
IL-5
Eosinophilie • • • •
diverse Zytokine Elastase ROS, Peroxidasen LTD4
Mastzellaktivatoren (Gifte, CAD)
IgE
AChE-Inhibitoren
2 AR
• • • •
LTRAntagonisten
lysosomale Enzyme Proteasen Histamin LTD4
• mukoziliäre Clearance ↓ • Schleimhautverdickung (Ödem) • zähes Sekret (Dyskrinie)
2 AR
Mg2+
Status asthmaticus/anaphylaktischer Schock SAMA
Theophyllin
Nichtallergische Ursachen 1 AR-Antagonisten (high dose)
2 AR
• Kontraktion ↑ • Hypertrophie
Asthma-Anfall
GCR-Agonisten
SABA
M3R
MX R-Agonisten
Hyperreagibilität der glatten Atemwegsmuskulatur
Entzündung GCR-Agonisten • lokal • systemisch
ACh
Mastzellaktivierung
O2
SABA (akut) LABA (Prophylaxe)
cAMP ↑ Theophyllin 1 AR 1 AR
Epinephrin
2 AR
.. Abb. 14.1 Pathophysiologie des Asthmas und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Atemwegswiderstand und die Lungen werden überbläht. Beim Asthma sind größere Atemwege betroffen. Im Asthma-Anfall dominiert die Bronchokonstriktion, beim chronisch-progredienten Verlauf die Entzündung der Bronchialschleimhaut mit Dyskrinie und Hyperreagibilität. Beim nicht-allergischen Asthma kommt es z. B. durch eine GERD (7 Kap. 13), Kälte, toxische Gase (z. B. Ozon, Feinstaub, Stickoxide, Schwefeloxide), Inhaltsstoffe des Tabakrauchs, körperliche Anstrengung oder direkte Mastzell-Aktivatoren (z. B. Insektengifte oder CAD wie Morphin) (7 Kap. 7 und 10) zu einer Entzündung und Hyperreagibilität. AChE-Inhibitoren (Myasthenia gravis), COX-Inhibitoren (7 Kap. 10) und β1AR-Antagonisten in hoher Dosierung (7 Kap. 15, 16 und 17) können ebenfalls Asthma begünstigen. Die pathophysiologischen Vorgänge beim Asthma führen zu einer anfallsweisen
Dyspnoe, die sich vor allem bei Exspiration manifestiert, und trockenem Reizhusten. Im Sputum findet man bei einem Teil der Patienten eine Eosinophilie. In schweren Fällen kommen Angst und Unruhe hinzu. Prinzipiell sind die pathophysiologischen Veränderungen beim Asthma reversibel. Zur Diagnostik wird die Spirometrie herangezogen. Dabei werden Vitalkapazität, Einsekundenkapazität (FEV1) und der Maximalwert des Luftflussvolumens beim Ausatmen (peak expiratory flow, PEF) bestimmt. Der PEFWert ist sehr einfach für die Selbstüberwachung der Therapie einsetzbar. Bei Asthma sind FEV1 und PEF erniedrigt. Asthma wird in unterschiedliche Schwe regrade unterteilt. Beim intermittierenden Asthma (Stufe 1) kommt es zu maximal einem Anfall pro Woche und FEV1 und PEF sind bis um 20 % reduziert. Beim leichten Asthma (Stufe 2) haben Patienten weniger als einen Anfall pro Tag bei keiner weiteren
14
Controller. Relaxation der glatten Muskulatur in den Atemwegen (Prävention von Bronchospasmus und Hypertrophie der Atemwegsmuskulatur, Freisetzung von Entzündungsmediatoren↓, mukoziliäre Clearance↑, Dyskrinie↓; langsamer Wirkungseintritt und lange Wirkdauer
β2ARAgonist (LABA)
M3R- Antagonist (SAMA)
IL-5- Inhibitor
Formoterol
Ipratropium
Mepolizumab
Humanisierter monoklonaler Antikörper gegen IL-5. Bindung von IL-5, dadurch Verhinderung der biologischen Wirkungen von IL-5, insbesondere der Aktivierung eosinophiler Granulozyten
Reliever. Kurzandauernde Bronchodilatation.
Controller. Über Veränderung der Genexpression pleiotrope antiinflammatorische Wirkungen in den Bronchien sowie Verbesserung der Lungenfunktion sowie erhöhte β2AR-Expression; wegen hohem first-pass-Metabolismus kaum systemische UAW
GCRAgonist
Budesonid
Wichtige Wirkungen
Arznei stoffgruppe
Arzneistoff
Schweres persistierendes eosinophiles Asthma
Status asthmaticus
Bei Asthma erst Einsatz, wenn inhalative GCR-Agonisten und SABA nicht mehr ausreichen; Basistherapie von COPD, oft in Kombination mit LAMA
Basistherapie bei Asthma; bei COPD erst in Spätstadien, da Gefahr des Auftretens gefährlicher Bronchopneumonien
Wichtige Indikationen
.. Tab. 14.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Harnwegs- und Atemwegsinfektionen
Mundtrockenheit bei lokaler Anwendung, antimuskarinerges Syndrom bei systemischer Anwendung. Kein Wirkungsverlust bei Daueranwendung, da GPCR- Antagonist
Tremor, Kopfschmerz, Unruhe, Schwindel, Tachykardie, Hypokaliämie, Hyperglykämie; vor allem bei hochdosierter und unkritischer Anwendung als Monotherapie; dann auch Gefahr des Wirkungsverlustes mit Asthma-Exazerbationen (Rezeptordesensitisierung)
Dysphonie und Heiserkeit (10–30 %), Larynx-Myopathie, Stimmband-Papillome, oropharyngeale Kandidose (5–15 %), Husten, Rachenirritationen. Bei COPD Bronchopneumonierisiko erhöht. Kein Wirkungsverlust bei Daueranwendung, da Budesonid über nukleäre Rezeptoren wirkt und NICHT über GPCR.
Wichtige UAW
7 Kap. 11
7 Kap. 2, 4, 5
7 Kap. 1, 5
7 Kap. 11, 13
Weitere Zusam menhänge in Kapitel
228 Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
Hemmung der Infiltration neutrophiler Granulozyten, Entzündungsmediatorfreisetzung↓, Bronchodilatation, Hypertrophie der Atemwegsmuskulatur↓
Reliever. partieller β2AR-Agonist. Siehe Formoterol; aber schnellerer Wirkungseintritt und kürzere Wirkdauer
PDE4- Inhibitor
β2ARAgonist (SABA)
Nicht- selektiver PDE- Inhibitor
M3R- Antagonist (LAMA)
Roflumilast
Salbutamol
Theophyllin
Tiotropium
Controller. Bronchodilatation; langsamer Wirkungseintritt und lange Wirkdauer
Über cAMP-Anstieg Freisetzung von Entzündungsmediatoren↓, mukoziliäre Clearance↑, Bronchodilatation, Hypertrophie der Atemwegsmuskulatur↓
Humanisierter monoklonaler Antikörper gegen IgE. Bindung von IgE, dadurch Verhinderung der Aktivierung des Rezeptors für IgE auf Mastzellen und damit verringerte Mediatorfreisetzung
IgE- Inhibitor
Omalizumab
CysLT1R-Antagonist. Langfristige Hemmung der vasodilatatorischen, proinflammatorischen und bronchokonstriktorischen Wirkungen von LTD4
LTR- Antagonist
Montelukast
COPD
Schwere therapierefraktäre Fälle von Asthma und COPD, Status asthmaticus
Akuter Asthma-Anfall
Schwere COPD, häufig in Kombination mit LAMA + LABA + inhalativen GCR- Agonisten
Schweres persistierendes Asthma, schwere Urticaria
Zusatztherapie zu inhalativen GCR-Agonisten bei Asthma; nur Dauertherapie, keine akute Wirkung
Wenig bei lokaler Anwendung außer Mundtrockenheit. Kein Wirkungsverlust bei Daueranwendung, da GPCR- Antagonist
Wegen geringer therapeutischer Breite und Interaktionen über CYP1A2 TDM; Tachykardie, Arrhythmien, Refluxösophagitis, Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen, Erregungszustände, Unruhe, Tremor, Krampfanfälle
Desensitisierung (Wirkungsverlust) bei längerer Anwendung, β1AR-Aktivierung bei höherer Dosierung
GI-Beschwerden (Übelkeit, Diarrhoe, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme), Schlafstörungen, Unruhe, Tremor
Reaktionen an der Injektionsstelle, Fieber, Sinusitis, Nasopharyngitis
GI-Beschwerden, Kopfschmerzen, Allergien, Churg-Strauss-Syndrom (Vaskulitis, Eosinophilie). Kein Wirkungsverlust bei Daueranwendung, da GPCR-Antagonist
7 Kap. 2, 5
7 Kap. 1, 2, 13, 17, 25
7 Kap. 1, 5
7 Kap. 1, 11
7 Kap. 7
7 Kap. 3, 7
14.1 · Pathophysiologie des Asthmas 229
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230
Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
Verschlechterung von FEV1 und PEF. Bei mittelgradigem Asthma (Stufe 3) kommt es täglich zu Anfällen und die FEV1- und PEF- Werte liegen zwischen 60–80 % der Norm. Bei schwerem Asthma (Stufe 4) treten ständig Anfälle auf und FEV1- und PEF-Werte sind unter 60 % der Norm. Beim Status asthmaticus kommt es zu lebensbedrohlicher Einengung der Atemwege, bei der die O2-Versorgung gefährdet ist. Ziel der Asthmatherapie ist es, Anfälle zu vermeiden, die Lungenfunktion zu normalisieren und eine hohe Lebensqualität sowie normale geistige, körperliche und s oziale Entwicklung (bei Kindern) sicherzustellen. Außerdem sollen die Progredienz der Erkrankung sowie der Status asthmaticus vermieden werden. Wenn immer möglich, sollte beim Asthma die Ursache identifiziert werden.
typ dieser Arzneistoffgruppe (7 Kap. 5). Grundsätzlich können SABA bei allen Asthma-Schweregraden als Bedarfsmedikation bei akuter Verschlechterung der FEV1- und/ oder PEF-Werte gegeben werden. Beim Status asthmaticus werden auch Theophyllin, Magnesium sowie Ipratropium (SAMA) als Reliever eingesetzt. Ipratropium hat jedoch bei inhalativer Gabe einen langsameren Wirkungseintritt (nach ca. 30 Minuten) als SABA (nach 2–3 Minuten). Beim Status asthmaticus ist wegen stark verengter Bronchien meist die i.v.-Applikation von Relievern erforderlich. Inhalative GCR-Agonisten, p.o. verabreichte und systemisch wirksame GCR-Agonisten, LABA, LTR-Antagonisten (7 Kap. 7) und retardiertes Theophyllin werden als Controller eingesetzt. Der H1R spielt in der Pathogenese von Urtikaria sowie allergischer Rhinitis und Konjunktivitis eine Rolle, aber nicht >>Die Vermeidung des Auslösers stellt die beim Asthma. Daher sind H1R-Antagonisten Basis der Asthmatherapie dar. nicht bei Asthma wirksam (7 Kap. 7). Beim allergischen Asthma kann mittels eiWenn die Bedarfsmedikation mit SABA ner Hyposensibilisierung versucht werden, (Stufe 1) nicht mehr ausreicht, werden in die Balance zwischen TH1- und TH2- Stufe 2 inhalative GCR-Agonisten als ContReaktionen im Immunsystem wiederherzu- roller hinzugefügt. Als Alternative kommen stellen. Diese Therapie ist jedoch langwierig, LTR-Antagonisten infrage. In der Stufe 3 aufwändig und nicht sicher wirksam. Au- können die Dosis der inhalativen GCR- ßerdem muss der Patient während der Aller- Agonisten erhöht und LABA integriert wergenexposition ständig überwacht werden, den, ggf. auch retardiertes Theophyllin. In um einen etwaigen anaphylaktischen Schock Stufe 4 werden inhalative GCR-Agonisten (7 Kap. 3) sofort behandeln zu können. Da- hochdosiert mit LABA und Theophyllin her kommt diese Therapie nur für ausge- kombiniert. Bei Therapieresistenz kommen wählte Patienten infrage; die Adhärenz ist zusätzlich p.o. verabreichte GCR-Agonisten niedrig. (z. B. Prednisolon, 7 Kap. 11) zum Einsatz. Weitere Therapieoptionen in schwersten Fällen sind IgE-Inhibitoren (Prototyp 14.2 Pharmakotherapie des Omalizumab) und bei starker Eosinophilie Asthmas IL-5-Inhibitoren (Prototyp Mepolizumab). Beim Asthma werden SABA, LABA, Grundsätzlich unterscheidet man zwischen SAMA und GCR-Agonisten in Form von Relievern, die rasche und kurze Symptomre- Pulverinhalatoren verabreicht. Damit die duktion bewirken, und Controllern, die lang- Arzneistoffe das Bronchialsystem erreichen, fristig die Entzündung und Hyperreagibili- muss der Patient darin geschult werden, die tät der Atemwegsmuskulatur kontrollieren. Arzneistoffinhalation mit der Atmung zu Im Asthmaanfall werden vor allem SABA koordinieren (Abgabe des Arzneistoffs wähals Reliever eingesetzt. Salbutamol ist Proto- rend der Inhalation und danach Anhalten
14
231 14.2 · Pharmakotherapie des Asthmas
der Atmung für einige Sekunden). Gelingt diese Koordination dem Patienten nicht, z. B. bei Kindern, stehen als Alternative Inhalationsgeräte zur Verfügung, in denen der Arzneistoff über eine Maske aufgenommen wird. SABA (Prototyp Salbutamol) besitzen im akuten Asthmaanfall und beim Status asthmaticus eine gute Wirkung, die darauf beruht, dass die Mediatorfreisetzung gehemmt, die mukoziliäre Clearance erhöht, die Dyskrinie reduziert und die glatte Muskulatur der Atemwege relaxiert. Die SABA-Wirkung tritt nach wenigen Minuten ein (deshalb werden sie auch als schnell wirkend, rapid-acting, RABA bezeichnet) und hält maximal 4–6 Stunden an. Als Bedarfsmedikation sind SABA besser geeignet als SAMA, da deren Wirkung erst nach 30 Minuten eintritt. Die LABA-Wirkung (Prototyp Formoterol) tritt nach 10–20 Minuten ein und dauert bis zu 12–24 Stunden an. Der Unterschied in der Wirkdauer zwischen SABA und LABA liegt darin, dass LABA einen lipophilen Substituenten besitzen, der für eine längere Verweildauer des Arzneistoffs am β2AR sorgt. Bei LABA kommt zu den oben genannten Mechanismen eine Reduktion von Hypertrophie der Atemwegsmuskulatur hinzu. SABA eignen sich ebenso wenig wie LABA zur alleinigen Therapie von Asthma der Stufen 2–4; die Mortalität ist erhöht. Alle Asthmapatienten müssen über Risiken eines exzessiven Gebrauches von SABA und LABA, vor allem als Monotherapeutikum, gewarnt werden: 1. Die antiinflammatorische Wirkung von SABA und LABA ist im Vergleich zu den inhalativen GCR-Agonisten gering. 2. Bei Dauertherapie kommt es zur β2AR-Desensitisierung (7 Kap. 1) und Wirkungsverlust des Arzneistoffs. 3. Dieser Wirkungsverlust zieht es nach sich, dass die Dosierung von SABA und LABA erhöht wird, nicht selten eigenmächtig durch den Patienten.
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4. Als Folge der Dosiserhöhung kommt es zu verstärkter β1AR-Aktivierung. Diese kann jedoch kardiotoxisch sein und eine Verschlechterung von CHF und Hypertonie sowie Arrhythmien auslösen (7 Kap. 15, 16 und 17). Warnsymptome für eine β1AR-Aktivierung sind Nervosität, Unruhe, Zittern, Herzklopfen und Herzrasen. Außerdem bemerken die Patienten einen bitteren Geschmack, der durch Arzneistoffdeposition im Mund zustande kommt.
Um diese Problematik in den Griff zu bekommen, sollten ab Stufe 2 SABA und LABA gemeinsam mit inhalativen GCR- Agonisten appliziert werden. Fixkombinationen von inhalativen GCR-Agonisten + LABA haben vier praktische Vorteile: 1. Die Kombination von zwei Arzneistoffen in einem Dosieraerosol macht die Anwendung für den Patienten einfacher. 2. Inhalative GCR-Agonisten und LABA passen hinsichtlich der Wirkdauer gut zueinander. 3. Inhalative GCR-Agonisten und LABA ergänzen sich hinsichtlich ihres antiinflammatorischen Wirkprofils. 4. Inhalative GCR-Agonisten erhöhen die β2AR-Expression und wirken der Rezeptordesensitisierung und dem LABA-Wirkungsverlust entgegen. Inhalative GCR-Agonisten stellen für die Asthmatherapie eine besonders wichtige Arzneistoffgruppe dar. Wegen des Wirkmechanismus (Regulation der Genexpression über nukleäre Rezeptoren, 7 Kap. 1 und 11) dauert es einige Tage, ehe inhalative GCR-Agonisten eine Wirkung zeigen. Der Patient muss zur Aufrechterhaltung der Adhärenz darüber aufgeklärt werden. Inhalative GCR-Agonisten eignen sich gut für die Langzeittherapie, weil sie im Gegensatz zu den LABA keine Rezeptordesensitisierung und keinen Wirkungsverlust zeigen. Inhalative GCR-Agonisten hemmen die allergische Entzündung, verhindern die Progression und vermindern den Schwere
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Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
zu einer Kandidose kommen (7 Kap. 34), durch Rachenirritationen zu Reizhusten und durch Larynxirritation zu Heiserkeit und Dysphonie. Diese UAW lassen sich verhindern, wenn der Patient eine korrekte Inhalationstechnik anwendet, die die Deposition des Arzneistoffs in den genannten anatomischen Regionen verhindert. Oraler Kandidose kann >>Traditionell werden die inhalativen durch Mundspülungen nach Inhalation von GCR-Agonisten als inhalative Cortico GCR-Agonisten vorgebeugt werden. steroide (ICS) bezeichnet. Der Begriff ist Die Tatsache, dass inhalative GCR- aus drei Gründen problematisch: Agonisten selbst in hoher Dosierung kaum 1. Der Begriff Corticosteroide bezeichnet die systemische UAW haben, hängt mit den natürlichen in der Zona fasciculata und pharmakokinetischen Eigenschaften zusamZona glomerulosa der Nebennierenrinde men. Vom inhalierten Arzneistoff gelangen produzierten Steroidhormone. Bei den 30 % in die Lunge, 70 % in den GI-Trakt. inhalativen GCR-Agonisten handelt es Dennoch kommt es wegen des ausgeprägsich jedoch um synthetische Arzneistoffe ten first-pass-Effektes der inhalativen GCR- mit veränderten pharmakodynamischen Agonisten zu keinen systemischen Wirkungen und pharmakokinetischen Eigenschaften (7 Kap. 1). Die restliche Arzneistoffmenge im Vergleich zu den Corticosteroiden. wird entweder in der Lunge oder bei der ersten 2. Aus dem Begriff „Corticosteroide“ geht Leberpassage nach Aufnahme in die Blutbahn nicht der Wirkmechanismus (GCR-Ago- inaktiviert. Bei Budesonid beträgt der firstnismus) hervor. Dieser ist jedoch thera- pass-Effekt 90 %, bei Fluticason sogar 99 %. peutisch bedeutsam, da mit GCR- Theophyllin hemmt nicht-selektiv PDEs Agonisten eine Dauertherapie möglich und verhindert dadurch den cAMP-Abbau. ist (im Unterschied zu GPCR-Agonisten Über diesen Mechanismus wirkt Theophyllin kein Wirkungsverlust bei Dauertherapie antiinflammatorisch und bronchodilatierend. durch Desensitisierung). Da PDE ubiquitär im Körper exprimiert wer 3. Der Begriff „Corticosteroide“ ist nicht den, ist es nicht erstaunlich, dass Theophyllin konsistent mit der Bezeichnung von Ago- gravierende UAW an vielen Organen besitzt. nisten an anderen nukleären Rezeptoren (z. Es kann zu Diarrhoe, Refluxösophagitis, ArB. AR-Agonisten, ER-Agonisten) entspre- rhythmien, Unruhe und Krampfanfällen komchend der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste. men, die symptomatisch behandelt werden müssen (7 Kap. 13, 17 und 25). Im Status asGCR-Agonisten hemmen beim Asthma die thmaticus wird Theophyllin i.v. als Reliever verInfiltration von T-Zellen und eosinophilen abreicht, in der Dauertherapie des Asthmas in Granulozyten in die Lunge, die Expression Form eines Retardpräparates als Controller. proinflammtorischer Enzyme, HyperreagibiliDa Theophyllin nur eine geringe therapeutät und Sekretion und steigern die β2AR- tische Breite besitzt, muss TDM durchgeführt Expression (7 Kap. 11). Ferner hemmen werden. Die Plasmakonzentration sollte auf LABA und SABA die Freisetzung von Ent- 10–20 μg/ml eingestellt werden. Die Anwenzündungsmediatoren und proinflammatori- dung von Theophyllin wird dadurch weiter schen Enzymen aus eosinophilen Granulozy- erschwert, dass der Arzneistoff über CYP1A2 ten und Mastzellen und relaxieren die glatten inaktiviert wird (7 Kap. 2). Durch eine Muskelzellen der Bronchien (7 Kap. 1 und 5). CYP1A2-Induktion (z. B. bei Tabakrauchern) Die wichtigsten UAW der inhalativen wird die Wirkung von Theophyllin abgeGCR-Agonisten sind lokal. Im Mund kann es schwächt. Im Gegensatz dazu wird die Wirkung grad des Asthmas. Daher sollten sie frühzeitig (ab Stufe 2) angewendet werden. In Stufe 3 wird die Dosis verdoppelt, in Stufe 4 nochmals. Reicht dies nicht, können GCR-Agonisten p.o. gegeben werden; beim anaphylak tischen Schock werden GCR-Agonisten hochdosiert i.v. appliziert (7 Kap. 3 und 11).
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14
233 14.3 · Pathophysiologie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung
Tabakrauch A, C, D, (B)
Toxische Gase
Hypertonie KHK
Herzinsuffizienz Tachyarrhythmien
ROS
β1 AR-Antagonisten
Immunmodulatorische Arzneistoffe
Irreversible Schädigung der kleinen Atemwege Irreversible Lungenparenchymdestruktion
OrganAbstoßung LungenTransplantation
Entzündung (Bronchiolitis) • TH1- und TH17-Antwort • Neutrophile Granulozyten • Makrophagen
SABA bei Bedarf
high-dose β1AR-Agonisten, AChE-Inhibitoren
GCRAgonisten
LAMA
Mundtrockenheit
COPD
Makrolide
und/oder Bronchitis und Pneumonie
LABA Desensitisierung
O2-Mangel PDE4-Inhibitoren O2-Gabe
Pneumokokken- und Grippeschutz-Impfung
UAW im GI-Trakt und ZNS
.. Abb. 14.2 Pathophysiologie der COPD und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
durch gleichzeitige Applikation von CYP-Inhibitoren wie Makroliden (7 Kap. 32) verstärkt. Wegen der vielfältigen UAW wird Theophyllin erst eingesetzt, wenn man mit inhalativen GCR-Agonisten, LABA und LTR-Antagonisten keine ausreichende Wirkung erzielt. Wenn ein Patient durch SABA-Fehlanwendung über starke β2AR-Desensitisierung einen Bronchospasmus erleidet, lässt sich dieser mit Theophyllin beseitigen, weil es cAMP über einen Angriff distal von β2AR erhöht (7 Kap. 1). Deshalb ist Theophyllin trotz aller Probleme ein wertvoller Reservearzneistoff in der Asthmatherapie.
14.3 Pathophysiologie der
chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung
In Deutschland leiden ca. 3–5 Millionen Menschen an COPD. Sie ist eine Volkserkrankung, deren Prävalenz zunimmt. Der-
zeit liegt COPD auf Rang 4 der Todesursachen. Insbesondere bei Frauen nimmt die COPD zu, was auf einen vermehrten Tabakkonsum zurückzuführen ist. . Abb. 14.2 zeigt die COPD-Pathophysiologie und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. In . Tab. 14.1 sind ausgewählte Arzneistoffe zur COPD-Behandlung zusammengefasst. Hauptursache der COPD ist der chronische Tabakkonsum. Toxische Gase (z. B. Indus triesmog, Stickoxide) können zur Pathogenese beitragen. Als Folge des Rauchens entstehen ROS, die Lungengewebe irreversibel zerstören und chronische Atemwegsob struktion und Entzündung verursachen. Da COPD Folge chronischer Gewebeschädigung ist, manifestiert sich die Erkrankung meist erst ab dem 50. Lebensjahr. Bei einer COPD wird die Bronchokonstriktion hauptsächlich durch den M3R gesteuert (7 Kap. 5), was von hoher therapeutischer Relevanz ist (7 Abschn. 14.4). Bei COPD sind vor allem kleine Atemwege be
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14
Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
troffen. Es kommt zu Bronchiolitis und Destruktion der Alveolenwand. Die Elastizität des Lungengewebes nimmt ab, was zum Emphysem führt. Die Entzündung bei COPD ist TH1- und TH17-dominiert, d. h. es wird vermehrt IFN-γ und IL-17 freigesetzt. Im Sputum findet man vor allem neutrophile Granulozyten und Makrophagen. COPD-Leitsymptome sind die „AHA“- Beschwerden Atemnot, Husten und Auswurf (Sputum). In der Folge kann sich eine Belastungsdyspnoe bis hin zu Immobilität und Rechtsherzinsuffizienz entwickeln. COPD wird durch akute Exazerbationen verschlechtert. Auslöser sind häufig virale oder bakterielle Infektionen, die zu Bronchitis oder Pneumonie führen, oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Ähnlich wie bei Asthma ist bei COPD vor allem die Exspiration beeinträchtigt, aber bei COPD liegen irreversible strukturelle Veränderungen vor. Bei COPD ist vor allem FEV1 reduziert. COPD wird in vier Schweregrade eingeteilt. Bei leichter COPD (Schweregrad 1) ist der FEV1-Wert ≥ 80 %, wobei die AHA- Symptomatik noch sehr mild ist. Bei mittelschwerer COPD (Schweregrad 2) liegt FEV1 zwischen 50 und 80 % und die AHA- Symptomatik wird deutlicher. Bei schwerer COPD (Schweregrad 3) liegt FEV1 zwischen 30 und 50 % bei wiederum verstärkter Symptomatik. Bei sehr schwerer COPD (Schweregrad 4) kommt es zur weiteren FEV1- Reduktion und es treten Symptome respiratorischer Insuffizienz auf. Ziel der COPD-Therapie ist es, Symptome sowie die Exazerbation zu reduzieren und die körperliche Leistungsfähigkeit sowie Lebensqualität zu verbessern, zu erhalten oder zumindest eine Verschlechterung zu verzögern. Die COPD-Progression kann durch die derzeit verfügbaren Arzneistoffe nicht aufgehalten werden. Der Schlüssel zu verzögerter COPD-Progression ist Rauchabstinenz. Eine Grippe- und P neumokokkenschutzimpfung kann die Verschlimmerung einer COPD abmildern.
14.4 Pharmakotherapie der
chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung
Die Pharmakotherapie der COPD richtet sich nach den spirometrischen Befunden sowie der Symptomatik. Bei Schweregrad 1 werden SABA oder SAMA bei Bedarf eingesetzt; bei Schweregrad 2 zusätzlich als Dauertherapie LAMA (Prototyp Tio tropium). Es wird inhaliert (7 Kap. 5). Tiotropium antagonisiert mit hoher Potenz den M3R und muss nur einmal täglich angewendet werden, da die HWZ für den M3R- Antagonisten ca. 35 Stunden beträgt. Die Wirkung von Tiotropium setzt erst nach ca. 30 Minuten ein. Daher eignet es sich nicht als Bedarfsmedikation. Da mit GPCR-Antagonisten keine Rezeptordesensitisierung auftritt (7 Kap. 1), kann mit LAMA eine COPD-Basistherapie durchgeführt werden. M3R-Antagonisten führen zu Bronchodilatation. Die wichtigste UAW von Tiotropium ist als Folge oraler Deposition eines Teils des Arzneistoffs Mundtrockenheit (7 Kap. 5). Sie kann durch Optimierung der Inhalationstechnik und Mundspülungen nach Inhalation reduziert werden. Systemische antimuskarinerge UAW (7 Kap. 5) sind nicht prominent, da Tiotropium wegen seiner positiven Ladung nur schlecht systemisch resorbiert wird (7 Kap. 2). Alternativ oder zusätzlich zu LAMA werden LABA eingesetzt. Allerdings ergibt sich das Problem der Rezeptordesensitisierung (7 Kap. 1 und 5 sowie 7 Abschn. 14.2). Anders als beim Asthma sollte der Einsatz von inhalativen GCR-Agonisten bei COPD sehr zurückhaltend und erst in späteren Stadien erfolgen, weil dadurch das Risiko für Bronchopneumonien und damit für Verschlimmerung erhöht wird. Infektionen auf dem Boden einer COPD werden häufig mit Makroliden behandelt (7 Kap. 32). Inhalative GCR-Agonisten führen bei COPD zu keiner FEV1-Verbesserung. Wegen der Limitationen des GCR-
235 14.4 · Pharmakotherapie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung
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Agonist-Einsatzes bei COPD lassen sich auch neistoffe einnehmen, die die kardiovaskuLABA weniger gut einsetzen, da die läre Situation weiter verschlechtern können GCR-Agonist-vermittelte Stimulation der (Beispiel GCR-Agonisten und Ciclosporin, β2AR-Expression (7 Abschn. 14.2) nicht ge- 7 Kap. 11). Hinzu kommt, dass Nikotin nutzt werden kann. verschiedene CYP-Isoenzyme in der Leber Prinzipiell eignen sich PDE-Inhibitoren induzieren und somit die Inaktivierung bewegen der fehlenden Desensitisierung zur stimmter immunsuppressiver Arzneistoffe COPD-Behandlung, aber insbesondere die beschleunigen kann. Daher kann es bei Raukardialen UAW von Theophyllin (Tachykar- chern zur Abstoßung der transplantierten die, Arrhythmie) sind bei COPD ungüns- Lunge kommen (7 Kap. 2). COPD ist häufig mit einer Hypertonie tig, da die Patienten häufig kardiale Folgeerkrankungen (Rechtsherzinsuffizienz) und und der KHK vergesellschaftet, da TabakBegleiterkrankungen (KHK und Hyper- rauchen auch für diese beiden Erkrankuntonie als Folge von Tabakkonsum) haben. gen einen wichtigen Risikofaktor darstellt Theophyllin hemmt auch die im Herzen ex- (7 Kap. 15 und 16). Hypertonie und KHK können ihrerseits zu CHF und Arrhythmien primierte PDE3. Um die Kardiotoxizität von nicht- führen (7 Kap. 16 und 17). Für diese vier selektiven PDE-Inhibitoren (7 Kap. 16) Krankheitsentitäten stellen β1AR-Anta zu umgehen, wurden PDE4- Inhibitoren gonisten eine wichtige Arzneistoffgruppe entwickelt. PDE4 wird stark in den kleinen dar. Für die Langzeitprognose der COPD Atemwegen und in Entzündungszellen ex- sind die kardiovaskulären Begleiterkranprimiert. Roflumilast ist der Prototyp eines kungen von entscheidender Bedeutung. PDE4-Inhibitors. Durch PDE4-Hemmung Prinzipiell können β1AR-Antagonisten in lässt sich eine entzündungshemmende und hoher Dosierung auch den β2AR antagonibronchodilatierende Wirkung ohne nen- sieren und somit SABA- und LABA- nenswerte kardiale UAW erzielen. Daher Wirkungen aufheben (7 Kap. 1 und 5). ersetzt Roflumilast inzwischen weitgehend In vielen Fachinformationen pharma Theophyllin bei COPD-Patienten, die mit zeutischer Hersteller wird COPD als LAMA + LABA + inhalativen GCR-Ago- Kontraindikation für die Gabe von β1ARnisten nicht ausreichend behandelt sind. Al- Antagonisten aufgeführt. Die Fach infor lerdings wird PDE4 auch im GI-Trakt und mationen dienen jedoch nicht nur dem behanZNS exprimiert, sodass dort UAW auftre- delnden Arzt als Informationsquelle, sondern ten. Außerdem ist eine Therapie mit Roflu- haben auch die Funktion, etwaige Regressanmilast derzeit deutlich teurer als eine Thera- sprüche bei Komplikationen in der Therapie pie mit Theophyllin. abwehren zu können. Es wäre jedoch fahrläsIm COPD-Endstadium wird zusätzlich sig, COPD-Patienten mit kardiovaskulären O2 gegeben, um den O2-Mangel zumindest Erkrankungen β1AR-Antagonisten vorzuentteilweise zu kompensieren. Hilft auch dies halten, weil dadurch die Prognose verschlechnicht mehr, bleibt als ultima ratio die Lungen- tert würde. Vielmehr besitzen sie in niedriger transplantation. Sie kommt aber nur für aus- Dosierung bei COPD-Patienten mit kardiogewählte Patienten in Betracht, da nur wenige vaskulären Erkrankungen protektive WirSpenderorgane zur Verfügung stehen und die kungen. Lediglich bei Hypertonie kann man kardiovaskuläre Situation der COPD-Patien- eventuell auf β1AR-Antagonisten (Klasse B ten häufig schlecht ist. Erschwerend kommt der Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirhinzu, dass viele COPD-Patienten weiter kung, 7 Kap. 15) verzichten, weil es alternarauchen. Nach einer Lungentransplantation tive Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirmuss der Patient immunmodulatorische Arz- kung gibt.
236
Kapitel 14 · Arzneistoffe zur Behandlung von Atemwegserkrankungen
Fallbeispiel
Ein 26-jähriger Mann kommt in Ihre Zahnarztpraxis und klagt über ein wundes Gefühl an der Gingiva, der Zunge und der Mundschleimhaut. Jetzt seien auch noch weißliche Belege und Mundgeruch hinzugekommen. Bei der Inspektion der Mundhöhle sehen Sie eine generalisierte Rötung der Schleimhäute und können die weißlichen Belege bestätigen. Die Belege sind abstreichbar und bei Berührung blutet die Schleimhaut leicht. Auf Nachfrage berichtet der Patient, dass er von seinem Hausarzt wegen Asthma Salbutamol-Spray bekommen habe. Das habe er zuletzt 7- bis 8-mal pro Tag genommen, aber das Asthma nicht in den Griff gekriegt. Deshalb nehme er jetzt seit vier Wochen zusätzlich Bude nosid-Spray. Das Asthma habe sich da-
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durch aber nicht wesentlich gebessert. Außerdem habe er einen bitteren Geschmack im Mund.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt zunächst therapeutisch vor? 2. In weiteren Gesprächen mit dem Patienten stellt sich heraus, dass er Angst vor gefährlichen unerwünschten Wirkungen des Budesonid-Sprays auf den ganzen Körper hat. Er hätte dazu im Internet einiges gelesen. Wie gehen Sie vor? Lösungen 7 Kap. 37
237
Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie Inhaltsverzeichnis 15.1
Pathophysiologische Grundlagen – 238
15.2
latte Gefäßmuskelzellen als Angriffspunkt für G Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung – 239
15.3
harmakologische Modulation des Blutdrucks über P RAAS – 240
15.4
Arzneistoffe der Klasse A – 242
15.5
Arzneistoffe der Klasse B – 245
15.6
Arzneistoffe der Klasse C – 246
15.7
Arzneistoffe der Klasse D – 247
15.8
eservearzneistoffe mit antihypertensiver R Wirkung – 247
15.9
Pharmakotherapie der Hypertonie – 248
15.10 Pharmakotherapie des hypertensiven Notfalls – 249
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_15
15
238
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
Die Hypertonie ist die häufigste Volkserkrankung. Diabetes ist der wichtigste Risikofaktor für Hypertonie. Unbehandelt führt Hypertonie zu gravierenden Folgeerkrankungen wie KHK, CHF, Schlaganfall und CKD. Die Hypertonie ist eine sehr gut und preiswert behandelbare Erkrankung. Der Schlüssel zum Therapieerfolg ist ein früher Behandlungsbeginn, der neben gesundem Lebensstil den Einsatz verschiedener Arzneistoffgruppen beinhaltet. Der BD kann über TPW- und/oder HMV- Senkung reduziert werden. ACE-Inhibitoren sowie AT1R-Antagonisten (Klasse A), β1ARAntagonisten (Klasse B), langwirksame CCB aus der Gruppe der Dihydropyridine (Klasse C) sowie NCC- und NKCC-Inhibitoren (Klasse D) stellen die Basis der Hypertonietherapie dar. Alle Klassen lassen sich kombinieren und fast alle Patienten sind damit gut einstellbar. Durch Kombination der Klassen A + D können Auswirkungen auf den Kaliumhaushalt minimiert werden. Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung aller Klassen sind in der Regel gut verträglich. Es gibt außerdem Reservearzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung sowie Arzneistoffe zur Behandlung des hypertensiven Notfalls.
Merksätze
15
55 Der wichtigste Risikofaktor für die Hypertonie ist der Diabetes. 55 Die Basis der Hypertonietherapie ist ein gesunder Lebensstil. 55 COX-Inhibitoren, ER-Agonisten, GCR- Agonisten, Calcineurin-Inhibitoren, Angiogenese-Inhibitoren und indirekte Dopamimetika können den BD erhöhen. 55 Durch eine frühzeitige Hypertonietherapie lassen sich Langzeitkomplikationen vermeiden. 55 Die Arzneistoffe der Klassen A, B, C und D sind antihypertensiv wirksam, gut verträglich und preiswert. 55 Klasse A umfasst ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten. Sie senken den TPW und beeinflussen vaskuläre Remodelling- Vorgänge günstig.
55 Klasse B umfasst β1AR-Antagonisten. Sie senken das HMV und vermindern den TPW über verminderte Reninfreisetzung. 55 Klasse C umfasst langwirksame CCB aus der Klasse der Dihydropyridine. Sie senken den TPW. 55 Klasse D umfasst NCC- und NKCC-Inhibitoren. Sie senken vornehmlich den TPW. 55 α1AR-Antagonisten, α2AR-Agonisten und MCR-Antagonisten sind Reservearzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung. 55 Zur Behandlung des hypertensiven Notfalls eignen sich NO-Donatoren, α1AR-Ant agonisten, α2AR-Agonisten und NKCCInhibitoren. 55 Auch bei Begleiterkrankungen und in besonderen Lebenssituationen wie Schwangerschaft können für jeden Patienten gut geeignete Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung gefunden werden.
15.1 Pathophysiologische
Grundlagen
Der BD ist das Produkt aus HMV und TPW. Dementsprechend kann der BD durch Senkung des HMV oder TPW gesenkt werden. Eine Hypertonie liegt vor, wenn der BD dauerhaft ≥ 140/90 mmHg ist. Es wird kontrovers darüber diskutiert, ob niedrigere Grenzwerte für die Definition einer Hypertonie gelten sollten. Es muss geklärt werden, ob durch eine Redefinition der Grenzwerte tatsächlich die Mortalität und Morbidität gesenkt oder ob nur im großen Umfang neue Patientenkollektive und damit neue Einnahmequellen für die pharmazeutische Industrie generiert werden. Hypertonie ist die häufigste Volkserkrankung, die sehr gut behandelbar ist. Ziel der Therapie ist es, den BD zu normalisieren und Komplikationen zu verhindern. Die Hypertonie wird in primäre (essentielle) Formen mit unbekannter Ursache und sekundäre Formen mit bekannter Ursache unterteilt. Der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung einer primären Hypertonie, die 90 % aller Krankheitsfälle ausmacht, ist
15
239 15.2 · Glatte Gefäßmuskelzellen als Angriffspunkt für Arzneistoffe mit…
der Diabetes (7 Kap. 19). Hier kommt es zu Mikro- und Makroangiopathie, die die Gefäßelastizität beeinträchtigt. Risikofaktoren für die primäre Hypertonie sind Adipositas, LDL-Cholesterinerhöhung (7 Kap. 22), Bewegungsmangel, Tabakkonsum, NaCl-reiche Ernährung, Schwangerschaft sowie hohes Lebensalter (Männer > 55 Jahre; Frauen > 65 Jahre). Unbehandelt führt Hypertonie zu KHK, CHF, ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall, CKD, Retinopathie, peripherer arterieller Verschlusserkrankung und ED (7 Kap. 9, 12, 16, 18 und 30). Die Basistherapie der Hypertonie ist eine gesunde Lebensführung. Dazu gehören Gewichtsreduktion, Ausdauersport, Nikotinabstinenz, ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse und Früchten sowie wenig NaCl und nur moderater Alkoholkonsum. Arzneistoffe können den BD über eine Senkung von HMV und/oder TPW erniedrigen.
Die selteneren sekundären Hypertonien haben eine definierte Ursache wie Nierenarterienstenose, Glomerulonephritis (7 Kap. 11 und 12) und endokrine Erkrankungen wie Hyperaldosteronismus, Cushing-Syndrom oder Phäochromozytom. Auch verschiedene Arzneistoffe können Hypertonie auslösen bzw. verschlimmern. Beispiele dafür werden unter 7 Abschn. 15.3 diskutiert.
15.2 Glatte Gefäßmuskelzellen als
Angriffspunkt für Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung
Der wichtigste Angriffsort für Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung sind glatte Gefäßmuskelzellen. Dadurch wird der TPW gesenkt. . Abb. 15.1 zeigt wichtige Mecha
Urapidil Amlodipin
Epinephrin, Norepinephrin
Candesartan Angiotensin-II
1 AR
AT 1R
Ca2+
L-TypCalciumkanal
Gq
Depolarisation
Gq
[Ca 2+]i
PLC GTP
cGMP ANP NEP
Kontraktion
sGC
pGC Sacubitril (CHF)
TPW NO
Abbauprodukte
NCC-Inhibitoren (Hydrochlorothiazid) NKCC-Inhibitoren (Furosemid)
Riociguat
Hypertonie
GTN, NNP .. Abb. 15.1 Glatte Gefäßmuskelzellen als Angriffspunkt für Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung. β1AR-Antagonisten werden in 7 Kap. 5 besprochen; NEP-Inhibitoren in 7 Kap. 16 und Arzneistoffe mit Angriff im NO-cGMP-System in 7 Kap. 9
240
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
nismen der Kontraktion und Relaxation glatter Muskelzellen sowie pharmakologische Angriffspunkte. Der α1AR und AT1R vermitteln über den Gq-PLC-Weg eine Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration mit nachfolgender Kontraktion. Für die Hypertoniebehandlung am wichtig sten ist der AT1R. AT1R-Antagonisten blockieren die Wirkungen von Angiotensin-II am AT1R. α1AR-Antagonisten inhibieren die Wirkungen von NE und EPI am α1AR (7 Kap. 5). Eine Kontraktion glatter Muskelzellen kann auch durch die Aktivierung spannungsabhängiger L-Typ-Calciumkanäle bewirkt werden. Eine Aktivierung dieser Kanäle führt zur Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration. Das NO-cGMP-System wirkt gegenüber dem Gq-PLC-Weg funktionell antagonistisch und relaxiert die glatte Gefäßmuskulatur (7 Kap. 9). Pharmakologische Angriffsmöglichkeiten bestehen auf der Ebene der sGC in Form von NO-Donatoren und sGC-Stimulatoren sowie auf der Ebene der PDE5. Es gibt auch eine partikuläre Guanylylzyklase (pGC), die durch atriales natriuretisches Peptid (ANP) aktiviert wird und cGMP erhöht. Die Inaktivierung von ANP erfolgt über NEP. Durch NEP- Hemmung wird die ANP-Wirkung verlängert. NEP- Inhibitoren (Prototyp Sacubitril) werden derzeit vor allem bei CHF (7 Kap. 16) eingesetzt. NCC-Inhibitoren führen bei Dauertherapie zu Vasodilatation und BD-Senkung, NKCC-Inhibitoren unmittelbar bei i.v.Gabe. Diese Wirkung wird bei hypertensiven Notfällen (7 Abschn. 15.10) genutzt. Der Wirkmechanismus der NCC-Inhibitoren und NKCC-Inhibitoren auf glatte Muskelzellen ist nicht genau geklärt. Die früher bei Hypertonie häufig eingesetzten Kaliumkanalöffner (Prototyp Minoxidil) zeichnen sich durch viele UAW aus und sind deshalb nicht mehr in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste berücksichtigt. Gleiches gilt für die kurzwirksamen CCB (Prototyp Nifedipin) (7 Kap. 2).
15
>>Der Begriff „Antihypertensiva“ sollte vermieden werden, weil viele antihypertensiv wirkende Arzneistoffe auch für andere Indikationen (z. B. CHF, KHK, Typ-2-Diabetes) eingesetzt werden.
Der Begriff „Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung“ ist diesbezüglich neutraler. Ebenso problematisch und irreführend sind die Begriffe „Thiaziddiuretika“ und „Schleifendiuretika“. Die Wirkung dieser Arzneistoffgruppen bei der Hypertonie beruht vornehmlich auf einer Wirkung auf die glatten Gefäßmuskelzellen und nicht auf die Diurese. Deshalb sollten die Begriffe NCC-Inhibitoren (an Stelle von Thiaziddiuretika) und NKCC-Inhibitoren (an Stelle von Schleifendiuretika) verwendet werden. 15.3 Pharmakologische
Modulation des Blutdrucks über RAAS
Das RAAS spielt in der BD-Regulation eine zentrale Rolle. . Abb. 15.2 zeigt das RAAS und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. In der Leber wird das biologisch inaktive Angiotensinogen synthetisiert; das aus der Niere freigesetzte Renin spaltet es zu dem ebenfalls biologisch inaktiven Angiotensin-I. Die Reninfreisetzung aus dem juxtaglomerulären Apparat wird durch eine Erniedrigung des renalen Perfusionsdruckes und eine β1AR-Aktivierung (7 Kap. 5) stimuliert. Durch die ACE-Einwirkung wird Angiotensin- I in das biologisch aktive Angiotensin- II umgewandelt. Angiotensin-II führt über den AT1R zur Kontraktion glatter Gefäßmuskelzellen (. Abb. 15.1). Bei einer chronischen Einwirkung aktiviert der AT1R die Proliferation von Gefäßmuskelzellen und Fibroblasten, sodass es zu einem hämodynamisch ungünstigen Remodelling insbesondere in der Niere und im Herzen kommt. Remodelling fördert Arteriosklerose und diabetische Nephropathie (7 Kap. 12).
15
241 15.3 · Pharmakologische Modulation des Blutdrucks über RAAS
Methamphetamin, Methylphenidat
Sympathikus
Leber ER-Agonisten, AR-Agonisten Reizhusten, Angioödem
Epinephrin Norepinephrin T4
Angiotensinogen
Metoprolol
Bradykinin
Renin Angiotensin-I 1 AR
Niere
COX-Inhibitoren
PGE 2
H 2O Na + K+
MCR
MCRAntagonisten
CalcineurinInhibitoren, AngiogeneseInhibitoren, EPORAgonisten
GCRAgonisten
Ramipril
ACE Angiotensin-II
BK 2R
inaktive Peptide
Endothelzelle
NO AT 1 R
Candesartan chronisch
Aldosteron
ACE
AT 1 R
glatte Muskelzelle
Va sodilatation
akut
Remodelling
GTN, NNP
Kontraktion
Nebennierenrinde
.. Abb. 15.2 Pharmakologische Modulation des Blutdrucks über das RAAS. Siehe auch . Abb. 16.1
Angiotensin-II stimuliert darüber hinaus über den AT1R in der Nebennierenrinde (Zona glomerulosa) die Freisetzung von Aldosteron. Dieses bewirkt über den MCR eine Wasser- und Natriumretention in der Niere, sodass es zu Erhöhung des Intravasalvolumens mit nachfolgendem HMV- und BD-Anstieg kommt. Die Wirkung von Aldosteron auf die Niere ist jedoch nicht elektrolytneutral, sondern es kommt zu einer verstärkten Kaliumelimination, die zur Hypokaliämie führt. Durch eine RAAS-Blockade mit ACE- Inhibitoren können akute und chronische Wirkungen von Angiotensin-II auf Gefäße und über Aldosteron vermittelte Wirkungen auf die Niere unterbunden werden. Allerdings ist Angiotensin-I nicht das einzige Substrat für ACE. ACE katalysiert auch die Inaktivierung des lokalen Mediators Bradykinin, der über den BK2R an Endothelzellen eine NO-vermittelte Vasodilatation
auslösen kann (7 Kap. 3 und 9). Durch Bradykinin können vor allem lokale Ödeme (Angioödeme) im Gesichts-, Mund- und Larynxbereich ausgelöst werden. Eine weitere Wirkung von Bradykinin ist die Auslösung von Reizhusten. Bradykinin-vermittelte UAW unter ACE-Inhibitoren lassen sich durch den Einsatz von AT1R-Antagonisten vermeiden. ER-Agonisten können die Angiotensinogen-Biosynthese stimulieren und den BD über vermehrte Substratbereitstellung für Renin und ACE erhöhen. Das ist bei Dauereinnahme von ER-Agonist- enthaltenden oralen Kontrazeptiva als mögliche UAW zu berücksichtigen (7 Kap. 24). Auch AR-Agonisten erhöhen den BD (7 Kap. 24). Calcineurin-Inhibitoren können den BD über eine RAAS-Stimulation erhöhen (7 Kap. 11). In der Therapie vieler Autoimmunerkrankungen werden GCR-Agonisten wie
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
242
Prednisolon in hoher Dosierung eingesetzt (7 Kap. 11). GCR-Agonisten können über einen MCR-Agonismus eine vermehrte Natrium- und Wasserretention auslösen. Lakritze enthält den MCR-Agonisten Glycyrrhizin. Der chronische Konsum großer Mengen von Lakritze kann ebenfalls über Hyperaldosteronismus den BD erhöhen – ein Beispiel dafür, wie Essgewohnheiten den BD nachteilig beeinflussen können. Umgekehrt können MCR-Antagonisten wie Eplerenon zu erhöhter Wasser- und Natriumausscheidung führen und damit das Intravasalvolumen, HMV und den BD reduzieren. Diese Wirkung von MCR-Antagonisten wird vor allem in der CHF-Therapie (7 Kap. 16) genutzt und derzeit auch für die Hypertonietherapie erprobt. Die wichtigste UAW in der Dauertherapie mit MCR-Antagonisten ist Hyperkaliämie (7 Kap. 12 und 17). PGE2 ist für eine normale Nierenperfusion von größter Bedeutung. Wird seine Synthese durch COX-Inhibitoren blockiert, verringert sich die Nierenperfusion und die Reninfreisetzung wird stimuliert (7 Kap. 12). Insbesondere bei einer chronischen COX-Inhibitorgabe kann es daher zum BD-Anstieg kommen.
>>Aufgrund des BD-Anstiegs bei chronischer COX-Inhibitor-Gabe muss eine Dauerbehandlung von Schmerzen mit dieser Arzneistoffgruppe vermieden werden (7 Kap. 10).
15
Im Gegensatz zu den COX-Inhibitoren erhöhen p-Aminophenole und Pyrazolone bei Daueranwendung nicht den BD. Daher stellen Paracetamol und Metamizol bei Patienten mit Hypertonie und Schmerzen wertvolle therapeutische Alternativen dar. Hyperthyreose oder eine missbräuchliche Gabe von TR-Agonisten zur Gewichtsreduktion kann über eine vermehrte β1AR-Expression in Niere und Herz den BD erhöhen (7 Kap. 21). Missbräuchlich eingenommene indirekte Sympathomimetika (7 Kap. 5) und das in der ADHS-Therapie eingesetzte Methylphenidat (7 Kap. 8) steigern über eine vermehrte NE- Freisetzung
den BD. EPOR-Agonisten können über eine Hypervolämie den BD erhöhen (7 Kap. 12). Schließlich können die Angiogenese hemmende Targeted Therapeutics zur Tumorbehandlung den BD erhöhen (7 Kap. 31). Daher ist es vor Beginn einer antihypertensiven Therapie erforderlich herauszufinden, ob der Patient Arzneistoffe einnimmt oder Ernährungsgewohnheiten hat, die den BD steigern könnten. Am Beispiel der Hypertonie lässt sich sehr gut aufzeigen, wie Arzneistoffe aus „speziellen“ Indikationsbereichen wie der Jugendpsychiatrie, Onkologie, Gynäkologie oder Rheumatologie UAW in einem allgemeinmedizinischen Bereich auslösen können (. Abb. 15.1).
>>Deshalb trägt die Allgemeinmedizin besondere integrative Verantwortung für die Arzneitherapiesicherheit.
. Tab. 15.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie.
15.4 Arzneistoffe der Klasse A
Zur Klasse A gehören die ACE-Inhibitoren und die AT1R-Antagonisten. Ein prototypischer ACE-Inhibitor ist Ramipril. Es ist preiswert, gut wirksam (TPW-Senkung), und wirkt durch Hemmung von Remodelling- Vorgängen kardio- und nephroprotektiv. Arzneistoffe der Klasse A haben keine UAW am ZNS, induzieren keine sexuelle Dysfunktion und besitzen kaum Potential für orthostatische Hypotonie. Die wichtigste UAW der ACE- Inhibitoren ist eine Hyperkaliämie. Daher sollten regelmäßig Plasmakaliumkontrollen durchgeführt werden. Hyperkaliämie kann zu bradykarden Herzrhythmusstörungen führen, weshalb auch regelmäßige EKG- Kontrollen angezeigt sind (7 Kap. 17).
>>Eine übermäßige Zufuhr von kaliumreichen Nahrungsmitteln wie Bananen, Trockenobst und Nüssen sollte bei einer
Siehe Ramipril
Zentraler Sympathikotonus↓ (HMV↓)
AT1R-Antagonist (Klasse A)
α2AR-Agonist
MCR-Antagonist
NKCC-Inhibitor (Klasse D)
Candesartan
Clonidin
Eplerenon
Furosemid TPW↓
HMV↓, kardiales Remodelling↓
TPW↓
CCB (Klasse C, langwirksamer CCB aus der Klasse der Dihydropyridine)
Amlodipin
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
Therapie des hypertensiven Notfalls und Dauertherapie der Hypertonie bei CKD und CHF, nephrogene Ödeme
Reservearzneistoff für Dauertherapie der Hypertonie, CHF, hepatogene Ödeme
Hypertensiver Notfall, Analgesie (postoperativ, Tumorerkrankungen), Heroinentzug
Dauertherapie der Hypertonie; aber bei Schwangerschaft und doppelseitiger Nierenarterienstenose kontraindiziert; Alternative bei ACE-Inhibitor-Unverträglichkeit (Reizhusten, Angioödem), CHF, Diabetes
Dauertherapie der Hypertonie
Wichtige Indikationen
.. Tab. 15.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung
Hypokaliämie, Dehydratation, Thrombose
Hyperkaliämie (insbesondere bei Kombination mit Klasse A; nur bei CHF)
Sedation (kann aber in Notfallsituationen durchaus erwünscht sein)
Hyperkaliämie, kein Angioödem, kein Reizhusten
Gut verträglich, nur geringe orthostatische Hypotonie und Knöchelödeme, Begünstigung von GERD, Obstipation und Nasenverstopfung, Gingivahyperplasie (zur Vermeidung ist eine gute Zahnhygiene wichtig)
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 12, 16, 17, 19, 20
7 Kap. 12, 16
7 Kap. 5, 10
7 Kap. 12, 16, 17, 19
7 Kap. 2, 13
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
15.4 · Arzneistoffe der Klasse A 243
15
HMV und TPW↓ (über verminderte Reninfreisetzung)
TPW, kardiovaskuläres Remodelling↓, Nephroprotektion TPW↓
NCC-Inhibitor (Klasse D)
β1AR-Antagonist (Klasse B)
ACE-Inhibitor (Klasse A)
α1AR-Antagonist
Hydrochlorothiazid
Metoprolol
Ramipril
Urapidil Therapie des hypertensiven Notfalls
Dauertherapie der Hypertonie; aber bei Schwangerschaft, doppelseitiger Nierenarterienstenose und Angioödem kontraindiziert; CHF, Diabetes
Dauertherapie der Hypertonie, KHK (Dauertherapie), Tachykardie, CHF
Dauertherapie der Hypertonie, nephrogene Ödeme
Wichtige Indikationen
GTN und NNP zur Behandlung des hypertensiven Notfalls werden in 7 Kap. 9 besprochen
TPW↓
Arzneistoffgruppe
Wichtige Wirkungen
15
Arzneistoff
.. Tab. 5.1 (Fortsetzung)
Orthostatische Hypotonie, Reflextachykardie, Sturzgefahr
Reizhusten, Angioödem, Hyperkaliämie
Sexuelle Dysfunktion, Sedation, Asthmaanfälle, verschleierte Hypoglykämie bei mit Insulin behandelten Patienten mit Diabetes, Herzinsuffizienz, Bradykardie
Hypokaliämie, Dehydratation, Thrombose
Wichtige UAW
7 Kap. 5
7 Kap. 3, 12, 16, 17, 19
7 Kap. 1, 5, 9, 14, 16, 17, 19
7 Kap. 12, 16, 17, 19, 20
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
244 Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
245 15.5 · Arzneistoffe der Klasse B
15
vergleichbare Wirksamkeit, ähnliche UAW und Kontraindikationen. Candesartan ist Alternativ empfiehlt sich, insbesondere bei der Prototyp eines AT1R-Antagonisten. unzureichender BD-Senkung mit Klasse- Durch die Verfügbarkeit von Generika ist A- Arzneistoffen, die Kombination mit die Therapie mit AT1R-Antagonisten im NCC- und/oder NKCC-Inhibitoren. Eine Vergleich zu früheren Jahren deutlich preisCKD stellt keine Kontraindikation für eine werter geworden. ACE-Inhibitor-Therapie dar, weil der ne- >>Der entscheidende Unterschied zwischen ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten phroprotektive Effekt das Hyperkaliämieist, dass letztere nicht mit dem Bradykininrisiko aufwiegt (7 Kap. 12 und 19). Weitere abbau interferieren. wichtige UAW von ACE-Inhibitoren sind Folge der Hemmung des Bradykininab- AT R-Antagonisten lösen keinen Reiz1 baus. Der daraus resultierende Reizhusten husten und keine Angioödeme aus. Daher ist jedoch meist nicht dauerhaft. eignen sich AT1R-Antagonisten gut zur Bekommt ein Patient unter der Thera- Behandlung der Hypertonie bei Patienpie mit einem ACE-Inhibitor Angioödeme ten mit ACE-Inhibitor-Unverträglichkeit im Gesichts-, Mund- und Larynxbereich, (7 Kap. 3). Ein Patient wird entweder mit muss der Arzneistoff sofort abgesetzt wer- einem AT R-Antagonisten oder einem 1 den (7 Kap. 3). Patienten, bei denen ein ACE-Inhibitor behandelt, aber NIEMALS heriditäres Angioödem bekannt ist oder mit einer Kombination aus AT R-Antago1 die eine Insektenstichallergie haben, dür- nist + ACE-Inhibitor. Es droht eine lebensfen keine ACE-Inhibitoren einnehmen. Bei bedrohliche Hyperkaliämie! doppelseitiger Nierenarterienstenose sind ACE-Inhibitoren kontraindiziert, weil das RAAS eine minimale Nierenperfusion auf- 15.5 Arzneistoffe der Klasse B rechterhält und diese durch ACE-Inhibitoren unterbrochen wird, sodass es zu akutem β1AR-Antagonisten werden seit vielen JahNierenversagen kommen kann. Daher muss ren mit Erfolg in der Hypertonietherapie vor dem Beginn einer Therapie mit einem eingesetzt. Sie senken das HMV (negativ ACE-Inhibitor eine Ultraschalluntersu- inotrope Wirkung am Herzen) und den chung der Nieren durchgeführt werden. TPW durch Reninfreisetzungshemmung in Das RAAS ist für eine normale Nieren- der Niere (7 Kap. 5). β1AR-Antagonisten entwicklung essentiell. ACE-Inhibitoren sind preiswert und als Generika verfügbar; sind teratogen und können beim Embryo Metoprolol ist Prototyp dieser Arzneistoffund Fetus zu Nierenfehlbildungen führen. gruppe. Therapie mit Klasse-A-Arzneistoffen vermieden werden.
>>Daher sind ACE-Inhibitoren in Schwangerschaft kontraindiziert.
der
Aber leider kommt es wegen der weiten Anwendung dieser Arzneistoffgruppe noch immer zu teratogenen Wirkungen. >>Entgegen initialen Befürchtungen gibt es keine Evidenz dafür, dass ACE-Inhibitoren den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung negativ beeinflussen.
>>Die Benutzung des traditionellen Begriffs „kardioselektive Betablocker“ für diese Arzneistoffgruppe sollte aus drei Gründen unterbleiben:
1. Der Begriff Betablocker stellt nicht ausreichend genau dar, dass es sich bei der Arzneistoffgruppe um GPCR-Antagonisten handelt, die in der Dauertherapie ohne Desensitisierungsgefahr eingesetzt werden können (7 Kap. 1). 2. Der Begriff „kardioselektiv“ unterschlägt die therapeutisch wichtige RENALE
Prinzipiell besitzen AT1R-Antagonisten und ACE-Inhibitoren ein ähnliches Wirkprofil,
246
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
Wirkung dieser Arzneistoffgruppe auf die Reninfreisetzung. Dies eines der sehr seltenen Beispiele dafür, dass eine Arzneistoffgruppe in der Klinik mehr positive Wirkungen besitzt als in der Werbung versprochen wird. 3. In höherer Dosierung besitzen die „kardioselektiven Betablocker“ UAW an etlichen Organen (z. B. Bronchien, Leber, Hautgefäße). Dies wird durch den Begriff „kardioselektiv“ leicht vergessen und blindet den Arzt für die Wahrnehmung von UAW, die über einen β2AR- Antagonismus vermittelt sind.
15.6 Arzneistoffe der Klasse C
CCB sind ebenfalls eine Standardarzneistoffgruppe zur Hypertoniebehandlung. Sie senken den TPW. Heutzutage werden vor allem CCB aus der Klasse der Dihydro pyridine in der Hypertonietherapie eingesetzt. Diese Arzneistoffgruppe hemmt in therapeutischer Dosierung L-Typ-Calciumkanäle in den glatten Gefäßmuskelzellen, nicht jedoch am Herzen. Durch die Gefäßselektivität kommt es unter Therapie mit Dihydropyridinen zu keiner direkten Interferenz mit der Herzfunktion. Im Vordergrund der Dauertherapie der Hypertonie mit CCB stehen langwirksame Um UAW zu vermeiden, sollten β1AR- Dihydropyridine; Amlodipin ist Prototyp Antagonisten einschleichend dosiert wer- dieser Gruppe. Daraus resultiert eine gute den. Prinzipiell besteht das Risiko der Ver- Verträglichkeit. Die Verfügbarkeit von Geneschlechterung eines Asthmas und einer rika ermöglicht die preiswerte Dauertherapie COPD durch Blockade der bronchodilatie- großer Patientenkollektive. Langwirksame renden β2AR-Wirkung (7 Kap. 1 und 14). Dihydropyridine zeigen in einer therapeutiZur Kontrolle sollten Messungen des Atem- schen Dosierung keine direkte Wirkung auf wegswiderstandes durchgeführt werden. Bei das Herz. Dihydropyridine können als Folge Patienten mit Diabetes, die mit Insulin oder der Relaxation glatter Muskelzellen im GI- PCB behandelt werden (7 Kap. 19), besteht Trakt die Symptome von GERD verstärken das Risiko einer unerkannten Hypoglyk- und Obstipation begünstigen (7 Kap. 13). Im Gegensatz zu den Dihyhdropyridiämie durch Antagonismus am hepatischen β2AR, der eine kompensatorische Glucose- nen besitzen die CCB aus der Klasse der freisetzung vermittelt (7 Kap. 5). Deshalb Phenylalkylamine (Prototyp Verapamil) sind regelmäßige Messungen der Blutgluco- auch eine hemmende Wirkung auf kardiale L-Typ- Calciumkanäle. Über diesen Wirksekonzentration indiziert. Weder COPD noch Diabetes stellen Kon- mechanismus kann es zu einer ausgeprägten traindikationen für eine β1AR-Antagonist- Bradykardie bis hin zum AV-Block und zur Therapie dar. β1AR-Antagonisten können Herzinsuffizienz (negativ inotrope Wirkung) bei schneller Dosiserhöhung eine CHF ver- kommen. Daher sollte der Einsatz von Phenylschlechtern. Patienten müssen daher auch alkylaminen in der Allgemeinmedizin vermieregelmäßig auf CHF-Symptome untersucht den werden. Diese Arzneistoffgruppen gehöwerden. Durch regelmäßige EKG-Kontrollen ren in die Hand des Kardiologen (7 Kap. 17). ist zu überprüfen, dass es nicht zu Bradykardie und/oder AV-Block kommt (7 Kap. 17). >>Traditionell wurden Dihydropyridine und Phenylalkylamine als „Calcium-AntagonisDurch Antagonismus am vasodilatorisch ten“ bezeichnet. Dieser Begriff stammt aus wirkenden β2AR der Haut kann es zum Rayeiner Zeit, als man den Wirkmechanismus naud-Syndrom kommen. β1AR-Antagonisten noch nicht genau kannte. Auch Magnesium können ED verstärken (7 Kap. 9), die Libido und Calciumchelatoren sowie Dantrolen reduzieren und Müdigkeit induzieren. (7 Kap. 4 und 27) wirken Calcium-anta
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247 15.8 · Reservearzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung
gonistisch, haben aber mit L-Typ-Calciumkanälen nichts zu tun.
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Harnsäure- und LDL- Konzentrationen (7 Kap. 12, 19, 22 und 23). Sie werden jedoch in der Klinik und Praxis regelmäßig in ihrer Bedeutung überschätzt und führen zur unnötigen Pharmakotherapie eines „Diabetes“, einer „Gicht“ und einer „Hypercholesterinämie“ im Sinne der Laborkosmetik. Dies wiederum erhöht das Risiko für Interaktionen und weitere UAW.
Der Begriff CCB erlaubt eine präzisere Beschreibung der erwünschten und unerwünschten Wirkungen. 15.7 Arzneistoffe der Klasse D
Zur Klasse D gehören die NCC-Inhibitoren. Sie sind wirksam, sicher, preiswert und induzieren keine UAW am ZNS und keine orthostatische Hypotonie. NCC-Inhibitoren erniedrigen den BD vor allem über eine TPW-Senkung (. Abb. 15.1), weit weniger durch den diuretischen Effekt, der zu einer Verminderung des Intravasalvolumes und damit des HMV führt. Hydrochlorothiazid ist der Prototyp eines Klasse-D-Arzneistoffs. Die wichtigste UAW der NCC-Inhibitoren ist die Hypokaliämie (7 Kap. 12). Sie kann zu Tachyarrhythmien führen (7 Kap. 17). Daher muss unter NCC-Inhibitor-Therapie die Plasmakaliumkonzentration regelmäßig überprüft werden. Ebenso sind EKG-Kontrollen angezeigt. Eine Hypokaliämie kann dadurch vermieden werden, dass kaliumreiche Nahrungsmittel konsumiert werden. Alternativ dazu können MCR-Antagonisten gegeben werden, die eine kaliumsparende Wirkung besitzen.
NKCC-Inhibitoren gehören ebenfalls in die Klasse D. Sie werden vor allem bei Vorliegen von CKD (7 Kap. 12), CHF (7 Kap. 16) sowie bei hypertensiven Notfällen (7 Abschn. 15.10) eingesetzt. Vor einiger Zeit wurde berichtet, dass es in bestimmten Populationen von Patienten, die über sehr lange Zeit mit Hydrochloro thiazid behandelt wurden, zu einer erhöhten Inzidenz bestimmter Hauttumoren kommen solle. Bislang wurden diese Berichte nicht bestätigt, und es ist unklar, inwiefern dieses Ergebnis für die Arzneitherapiesituation in Deutschland relevant sind. Hydrochlorothiazid gilt allgemein als sicherer und wirksamer Arzneistoff. Deshalb wurde Hydrochlorothiazid in die NKLM/IMPP-Arneistoffliste aufgenommen.
>>In der Praxis bietet sich die Kombination von NCC- und/oder NKCC- Inhibitoren (Klasse D) mit Arzneistoffen der Klasse A an. Dadurch kommt es zu einer verstärkten BD-Senkung bei Neutralisierung der gegensätzlichen Effekte der beiden Arzneistoffgruppen auf den Kaliumhaushalt.
Eine therapeutische Alternative zu Hydrochlorothiazid ist der NCC-Inhibitor Chlort halidon. (nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste).
Um Exsikkose und Thrombosen zu vermeiden, sollten mit NCC-Inhibitoren behandelte Patienten ausreichend trinken. In der Parxis eignet sich die Beurteilung des Hautturgors sehr gut dafür, den Hydrierungszustand eines Patienten abzuschätzen. >>Weitere UAW der NCC-Inhibitoren sind Erhöhungen der Plasmaglucose-,
>>Wenn Berichte über neue UAW eines Arzneistoffs publiziert werden, sollte man nicht in Panik verfallen, sondern die Literatur sehr sorgfältig und kritisch überprüfen.
15.8 Reservearzneistoffe mit
antihypertensiver Wirkung
Prinzipiell ist es möglich, mit den Arzneistoffgruppen A-D fast alle Patienten mit Hypertonie gut zu behandeln. Nur selten werden Reservearzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung benötigt, die zu den Klassen A, B, C und D hinzugefügt werden. Mit α1AR-Antagonisten wie Urapidil lässt sich
248
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
der TPW senken. Typische UAW sind orthostatische Hypotonie und Reflextachykardie. Der MCR-Antagonist Eplerenon wird bislang vor allem allein oder in Kombination mit Arzneistoffen der Klasse A in der CHF-Therapie eingesetzt. Hier hat er günstige Wirkungen auf kardiales Remodelling. Derzeit wird überprüft, ob Eplerenon auch einen Stellenwert in der Hypertonietherapie besitzt. Die wichtigste UAW von Eplerenon ist Hyperkaliämie, insbesondere in Kombination mit Klasse A. α2AR-Agonisten wie Clonidin senken über die Reduktion des zentralen Sympathikotonus ebenfalls effektiv den BD (7 Kap. 5), aber Sedation und sexuelle Dysfunktion sind bei Daueranwendung ungünstig.
15.9 Pharmakotherapie der
Hypertonie
15
Die Therapie der Hypertonie erfolgt meist lebenslang. Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung sollten wirksam, einfach einzunehmen, preiswert und UAW-arm sein. Auch sollten sie nur ein geringes Potential für Arzneistoffinteraktionen besitzen, da viele Patienten mit Hypertonie multimorbide sind und mit zahlreichen Arzneistoffen behandelt werden. Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung der Klassen A-D erfüllen im Großen und Ganzen obige Kriterien. Wichtig für den Therapieerfolg ist die regelmäßige Einnahme der Arzneistoffe. Die Adhärenz wird durch auffällige Tablettenfarbe, einmal tägliche Gabe, D osierhilfen und regelmäßige BD-Messungen unterstützt. Die BD-Messung ist für den Therapieerfolg von großer Bedeutung, da die Patienten gerade in den Frühstadien der Erkrankung häufig noch keine Beschwerden und Organkomplikationen haben. Daher ist die Aufklärung über die positiven Folgen einer Hypertoniebehandlung sowie über negative Folgen einer unzureichenden Therapie für den Erfolg entscheidend.
>>Eine der wichtigsten Aufgaben des Arztes besteht darin, die Beipackzettel für den Patienten zu entschärfen (7 Kap. 1).
Leider werden in Beipackzetteln praktisch nie die positiven Wirkungen einer Pharmakotherapie betont. Stattdessen werden (aus rein juristischen Gründen) alle nur denkbaren und auch extrem seltenen UAW geschildert. Diese verunsichernde und vom Patienten als negativ wahrgenommene Darstellung eines Arzneimittels in den Beipackzetteln verringert die Adhärenz. Zunächst wird eine Monotherapie mit einem Arzneistoff der Klassen A, B, C oder D begonnen. Alternativ wird heute auch schon gleich zu Beginn mit einer Zweierkombination (z. B. Klassen A + D) begonnen. Die Auswahl der Klassen richtet sich nach etwaigen Begleiterkrankungen des Patienten. Bleibt die Initialtherapie unbefriedigend, kommen Dosiserhöhung bzw. Umstellung auf eine andere Arzneistoffgruppe infrage. Dies ist auch bei nicht tolerablen UAW erforderlich. Wenn eine Monotherapie nicht ausreichend ist, wird mit einer Zweierkombination behandelt. Prinzipiell können die Klassen A-D frei miteinander kombiniert werden. Besonders geeignet ist eine Kombination der Klassen A + D, weil sich dadurch Störungen im Kaliumhaushalt vermeiden lassen. Auch eine Kombination der Klassen A + C ist gut geeignet. Unbedingt vermieden werden muss die Kombination von ACE-Inhibitoren mit AT1R-Antagonisten, da schwere Hyperkaliämien auftreten können (7 Kap. 12, 15 und 17). Mit einer Monotherapie und einer Zweierkombination können 90 % aller Patienten gut eingestellt werden. Die Therapie der unkomplizierten Hypertonie kann in jeder Hausarztpraxis durchgeführt werden. Mit einer Dreier- und Viererkombination der Klassen A-D können weitere 9 % aller Patienten gut eingestellt werden. Lediglich 1 % der Patienten benötigt einen Reservearzneistoff mit antihypertensiver Wirkung.
15
249 15.10 · Pharmakotherapie des hypertensiven Notfalls
Grundsätzlich sollte die Hypertonietherapie einschleichend und unter BD-Kontrolle erfolgen. Das Umstellen einer Therapie sollte wegen des Risikos hypertensiver Notfälle nicht abrupt erfolgen, sondern überlappend. Bei einem Patienten mit Hypertonie und Asthma oder COPD eignen sich zu Beginn der Therapie zunächst die Klassen D oder C, weil keine bronchokonstriktorischen Effekte zu erwarten sind. Hustet der Patient viel, z. B. als Folge von Infekten oder Tabakrauchen, sollten ACE-Inhibitoren vermieden werden und stattdessen AT1R- Antagonisten in Betracht gezogen werden. Die Klasse B kann prinzipiell bei Asthma und COPD eingesetzt werden. Zur Vermeidung von Asthmaanfällen sollte eine Therapie mit der Klasse B jedoch einschleichend und unter Kontrolle des Atemwegswiderstandes erfolgen. Grundsätzlich sollten beim Patienten und Diabetes Arzneistoffe der Klasse A eingesetzt werden, da sie einen nephroprotektiven Effekt besitzen und Remodelling von Gefäßen günstig beeinflussen (7 Kap. 19). Zur Vermeidung von Hyperkaliämien sollte ein Arzneistoff der Klasse D (NCC-Inhibitor bzw. NKCC-Inhibitor bei eingeschränkter Nierenfunktion) (7 Kap. 12) hinzugefügt werden. Arzneistoffe der Klasse B müssen einschleichend und vorsichtig dosiert werden, um unerkannte Hypoglykämien zu verhindern. Bei CHF sollten ebenfalls wegen der günstigen Effekte auf kardiales Remodelling Arzneistoffe der Klasse A gegeben werden, wiederum in Kombination mit solchen der Klasse D. Bei CHF ist die zusätzliche Gabe eines MCR-Antagonisten zu erwägen, da er zusätzlich zu Arzneistoffen der Klasse A kardiales Remodelling positiv beeinflusst (7 Kap. 16). Allerdings erhöht sich dadurch das Risiko klinisch relevanter Hyperkaliämien, sodass die zusätzliche Gabe von NKCC-Inhibitoren erforderlich werden kann. Grundsätzlich sind auch Arzneistoffe der Klasse B bei CHF indiziert, die aber
wegen der Gefahr der Verschlechterung der Herzfunktion nur vorsichtig dosiert werden sollten. Liegt ein höhergradiger AV-Block vor, sind Dihydropyridin-CCB angezeigt. Phenylalkylamin-CCB sind wegen der negativ dromotropen Wirkung und der damit verbundenen Gefahr der Verschlechterung des AV-Blocks kontraindiziert (7 Kap. 17). Ebenso können Arzneistoffe der Klasse D eingesetzt werden, ggf. in Kombination mit solchen der Klasse A. Klasse A allein ist jedoch wegen der Hyperkaliämiegefahr und des erhöhten Bradykardierisikos kontraindiziert, Klasse B wegen ihres negativ dromotropen Effektes. In der Schwangerschaft liegt eine Sondersituation vor, da wegen des teratogenen Potentials Arzneistoffe der Klasse A und C kontraindiziert sind. Die Anwendung des α2AR-Agonisten α-Methyldopa in der Schwangerschaft gilt als sicher. Eine Schwangerschaftshypertonie muss in jedem Falle behandelt werden, da sich sonst eine Gestose oder hypertensiver Notfall entwickeln kann. Metoprolol ist eine Alternative zu α-Methyldopa.
15.10 Pharmakotherapie des
hypertensiven Notfalls
Ein hypertensiver Notfall liegt vor, wenn der diastolische BD > 120 mmHg beträgt. Ursachen für einen hypertensiven Notfall können eine unzureichend behandelte Hypertonie, abruptes Absetzen von Arzneistoffen mit antihypertensiver Wirkung, nicht überlappendes Umstellen einer antihypertensiven Therapie, Glomerulonephritis oder eine nicht ausreichend behandelte Schwangerschaftshypertonie sein. Symptome sind rasende, pulsierende Kopfschmerzen, Sehstörungen, Krampfanfälle, Nasen- und Konjunktivablutungen, Übelkeit und Erbrechen (7 Kap. 13). Ohne Behandlung kann ein hypertensiver Notfall zu intrakraniellen Blutungen, diffuser Hochdruckenzephalo
250
Kapitel 15 · Arzneistoffe zur Behandlung der Hypertonie
pathie, MI, Herzversagen (7 Kap. 16) und Aortendissektion und letztlich zum Tod führen. Um den intrakraniellen Druck zu senken, sollte der Patient sitzen und nicht flach liegen. Die Therapie des hypertensiven Notfalls besteht darin, den BD zunächst rasch zu senken und parallel eine effiziente Dauerbehandlung zu beginnen. Für die Therapie des hypertensiven Notfalls eignet sich GTN (7 Kap. 9). Es kann sublingual als Zerbeißkapsel oder bukkal als Spray (insbesondere bei Bewusstlosigkeit) appliziert werden und senkt den BD rasch durch TPW-Reduktion. UAW ergeben sich aus der Vasodilatation und umfassen eine orthostatische Hypotonie mit reflektorischer Tachykardie, Kopfschmerzen sowie Flush. Für die Dauertherapie eignet sich GTN wegen der Desensitisierung nicht. Als Alternative zu GTN kommt der NKCC-Inhibitor Furosemid in Frage, der ebenfalls rasch den TPW senkt. Eine andere Alternative ist Clonidin, das über α2AR-Agonismus den Sympathikotonus und damit das HMV senkt (7 Kap. 5). Ferner kann der α1ARAntagonist Urapidil (TPW-Senkung) eingesetzt werden. Sollten die vorgenannten Arzneistoffe keine ausreichende Wirkung zeigen, kann der BD mit NNP auf jede gewünschte Höhe gesenkt werden (7 Kap. 9). NNP muss frisch gelöst werden und wegen seiner Lichtempfindlichkeit aus braun gefärbten Infusionsbehältern i.v. infundiert werden. Unter NNP-Gabe muss der BD permanent kontrolliert werden, weil es bei Überdosierung zu einem lebensbedrohlichen BD-Abfall bis hin zum Tod kommen kann. Die NNP-Applikation ist ebenfalls
keine Dauerlösung für einen hypertensiven Notfall, weil aus NNP Zyanid freigesetzt wird, sodass es zu einer Zyanid-Intoxikation mit Störung der Zellatmung kommen kann (7 Kap. 4). Daher ist es wichtig, unmittelbar nach Beginn der Notfalltherapie mit einer wirksamen Dauerbehandlung der Hypertonie zu beginnen und die Ursachen des hypertensiven Notfalls zu analysieren.
15
Fallbeispiel
Ein 65-jähriger Patient mit seit vielen Jahren bekannter Hypertonie und schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes setzt wegen Libidoproblemen ohne ärztliche Konsultation seine BD-Tabletten ab. Plötzlich bekommt der Patient Kopfschmerzen, Nasen- und Konjunktivablutungen. Der Patient wird in die Notaufnahme eingeliefert. Sie messen einen BD von 250/140 mm Hg, diagnostizieren einen hypertensiven Notfall und geben dem Patienten zwei Hübe eines GTN-Bukkalsprays, aber der BD wird nicht gesenkt. Auch die i.v.-Injektion von Furosemid bleibt ohne BD-senkende Wirkung.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Mit welcher Pharmakotherapie können Sie den BD wahrscheinlich doch senken? 2. Wie gehen Sie weiter vor, sobald der BD zunächst stabilisiert ist? Lösungen 7 Kap. 37
251
Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung Inhaltsverzeichnis 16.1
Pathophysiologie der Herzinsuffizienz – 252
16.2
ichtige klinische Studien zur Pharmakotherapie W der Herzinsuffizienz – 254
16.3
Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz – 259
16.4
athophysiologie und Pharmakotherapie P der koronaren Herzerkrankung – 261
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_16
16
252
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
Bei einer CHF (chronischen Herzinsuffizienz) liegt ein Unvermögen des Herzens vor, ein dem metabolischen Bedarf entsprechendes Blutvolumen zu pumpen. Sympathikus- und RAAS-Aktivierung stellen nur kurzfristig sinnvolle Anpassungen dar. Langfristig kommt es zum Remodelling der Gefäße, der Niere und des Herzens und einer CHF-Verschlechterung. Basierend auf der Pathophysiologie und klinischen Studien stellen β1AR-Antagonisten, ACE-Inhibitoren, AT1R-Antagonisten und MCR-Antagonisten die wichtigsten Arzneistoffgruppen zur CHF-Behandlung dar. NCC- und NKCC-Inhibitoren unterstützen die Therapie und reduzieren das Risiko von Hyperkaliämie in Kombination mit ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten. HCN-Kanalblockade und NEP-Hemmung stellen neue Therapieprinzipien bei CHF dar. Bei KHK senken β1AR-Antagonisten, HMG-CoA-ReduktaseInhibitoren, irreversible COX-Inhibitoren und irreversible P2Y12R-Antagonisten die Mortalität. Die Risikofaktoren Hypertonie, Diabetes und Tabakkonsum müssen behandelt werden. Die MI-Therapie erfolgt nach dem MONA- Schema (Morphin, O2, GTN, ASS) sowie Rekanalisation von Koronararterien mittels Stentinsertion oder Plasminogen-Aktivatoren. Eine schwer behandelbare MI-Komplikation sind VT; hier kommt am ehesten der pleiotrope Ionenkanal-Blocker Amiodaron zum Einsatz.
ikotinsucht) müssen konsequent behanN delt werden. 55 Bei der KHK wirken β1AR-Antagonisten, HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren, irreversible COX-Inhibitoren und irreversible P2Y12R-Antagonisten lebensverlängernd. 55 Gefährliche KHK-Komplikationen sind VT, die mit Amiodaron behandelt werden können.
16.1 Pathophysiologie der
Herzinsuffizienz
CHF führt dazu, dass sich das Herz bei normalem Füllungsdruck aufgrund eines Myokardschadens nicht ausreichend kontrahieren kann, um den Organismus mit O2 und Nährstoffen zu versorgen (systolisches Versagen). Es kommt zu einer Reduktion der Ejektionsfraktion des linken Ventrikels. Mehr als 10 % der Bevölkerung, die älter als 70 Jahre ist, leidet unter einer CHF. Die CHF wird entsprechend der New York Heart Association (NYHA) in vier Stadien unterteilt. Bei NYHA-I liegt noch keine klinische Funktionseinschränkung vor; lediglich durch kardiologische Untersuchungen wird ein Funktionsdefizit festgestellt. Bei NYHA-II ist Dyspnoe bei mäßiger Belastung das Leitsymptom, bei NYHA-III Dyspnoe bei bereits leichter Belastung und bei NYHA-IV Ruhedyspnoe. . Abb. 16.1 gibt einen Überblick über die CHF-Pathophysiologie, pharmakologische Angriffspunkte sowie Arzneistoffe, die CHF verschlechtern können. CHF kann Folge einer KHK (7 Abschn. 16.4), Hypertonie (7 Kap. 15), Kardiomyopathie, Myokarditis oder eines Klappenfehlers sein. Auch eine Anämie und Hyperthyreose bzw. Hypothyreose (7 Kap. 21) können zu dieser Erkrankung führen. Internistische Grunderkrankungen, die eine CHF verursachen, müssen behandelt und Klappenfehler chirurgisch korrigiert werden. Die CHF löst einen Teufelskreis von Fehlanpassungen aus. Pharmakotherapeuti
Merksätze
16
55 Bei CHF wirken β1AR-Antagonisten, ACE-Inhibitoren, AT1R-Antagonisten und MCR-Antagonisten lebensverlängernd. 55 COX-Inhibitoren, GCR-Agonisten, Lithium, positiv-inotrope Arzneistoffe sowie der CCB Verapamil können eine CHF verschlechtern. 55 Die Kombination von ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten mit NCC- Inhibitoren vermindert das Hyperkali ämierisiko. 55 Risikofaktoren für die KHK-Entstehung (Hypertonie, Diabetes, Dyslipidämie,
253 16.1 · Pathophysiologie der Herzinsuffizienz
16
KHK, Hypertonie, Kardiomyopathie, Myokarditis, Klappenfehler, Anämie, Hyper-/Hypothyreose
a
PDE3-Inhibitoren,
NSMRI, mGPCR-Antagonisten (Tachyarrhythmien) Verapamil (negative Inotropie)
Remodelling
Fibrosierung
Sympathikus
Systolisches Versagen
indirekte Sympathomimetika, MAO-Inhibitoren, T4, 1AR-Agonisten, PDE3-Inhibitoren
RAAS
BD
T4
Apoptose
Myokardschaden Kontraktilität
1 AR-Agonisten,
Angiotensin-II
Vasokonstriktion
Aldosteron
Na+/H2O-Retention
Organdurchblutung
Ödeme
COX-Inhibitoren, GCR-Agonisten, Lithium
b
Apoptose
Myokardschaden Kontraktilität ( )
I
Phosphene, Bradykardie
Remodelling
Fibrosierung
Sympathikus
Systolisches Versagen
B
RAAS
Bradykardie, Asthma, CHF, unerkannte Hypoglykämie
A BD
D
MCRA
Hyperkaliämie Inaktive Peptide
B Einschleichen
Angiotensin-II
Vasokonstriktion
Aldosteron
Na +/H2O-Retention
Organdurchblutung Ödeme
NI A, MCRA
D
Hypokaliämie
ANP
.. Abb. 16.1 a, b Pathophysiologie der CHF, pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten sowie Arzneistoffe, die CHF verschlechtern können. a Patho physiologie ohne Pharmakotherapie sowie Arzneistoffe, die CHF verschlechtern können. b Pathophysiologische Situation von CHF unter Pharmakotherapie und wich-
tige UAW von Arzneistoffen. Zu beachten ist, dass die derzeitige CHF-Therapie nur symptomatisch wirkt. NI, NEP-Inhibitoren. Siehe auch . Abb. 15.2. NKA-Inhibitoren wurden wegen ihrer UAW und fehlenden Wirksamkeit bewusst nicht mit in die Abbildung aufgenommen
254
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
sche Konzepte zielen darauf ab, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. >>Eine optimale CHF-Pharmakotherapie ist deshalb so wichtig, weil eine Herztransplantation wegen Organmangels nur für wenige Patienten infrage kommt. Daran ändert auch das neue Transplantations gesetz nichts.
>> Traditionell werden die MCR-Antagonisten auch als „Aldosteron-Antagonisten“ bezeichnet. Dieser Begriff ist unpräzise und nicht konsistent mit der Nomenklatur der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil).
Der Begriff stellt nicht klar da, dass es sich um einen Rezeptor-Antagonismus handelt und dass auch die Wirkungen von Cortisol am MCR antagonisiert werden. Dies ist jedoch für die Auswirkungen dieser Arzneistoff-Gruppe auf den Wasser- und Elektrolythaushalt sehr wichtig.
. Tab. 16.1 fasst Eigenschaften ausgewählter in der CHF-Therapie eingesetzter Arzneistoffe zusammen. Als Folge systolischen Versagens kommt es zu einer Myokardhypertrophie, die nur in >>Traditionell wurden die MCR-Antagonisten auch den „Kalium-sparenden Diuregeringem Ausmaß kompensatorisch wirkt, tika“ zugerechnet. Der diuretische Effekt da ab einem gewissen Punkt die Dilatation der MCR- Antagonisten ist jedoch nur die Kontraktilität wieder einschränkt, wominimal und klinisch irrelevant. durch die O2-Versorgung des Myokards erneut nicht ausreichend ist. Auch eine SymDie klassischen Kalium-sparenden Diurepathikusaktivierung und die positiv-inotrope tika (Prototyp Triamteren) wurden wegen Wirkung des β1AR (7 Kap. 5) haben nur unzulänglicher klinischer Wirksamkeit nicht kurzfristige leistungssteigernde Effekte. mehr in die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste Durch das systolische Versagen wird das aufgenommen. RAAS (7 Kap. 15) aktiviert. AngiotenDer hemmende Effekt der MCR-Ansin- II führt zu Vasokonstriktion und vertagonisten auf Remodelling-Vorgänge im schlechtert die Organperfusion. Der durch kardiovaskulären System ist viel wichtiger Angiotensin-II bewirkte BD-Anstieg verals die geringe diuretische Wirkung. Diese stärkt über kardiale Mehrarbeit die CHF. Eigenschaften können mit dem mechanisAußerdem verursacht Angiotensin-II ein tisch korrekten Begriff MCR-Antagonisten hämodynamisch ungünstiges Remodelling viel besser abgebildet werden und erleichin Gefäßen und im Herz. Die negativen Wirtern auch die Zuordung zu potentiell neuen kungen von Angiotensin-II werden durch Indikationen (Hypertonie, 7 Kap. 15). Aldosteron verstärkt, dessen Sekretion durch Angiotensin-II stimuliert wird. Aldosteron verursacht über seinen MCR- 16.2 Wichtige klinische Studien Agonismus Wasser- und Natriumretention zur Pharmakotherapie der mit nachfolgender Vergrößerung des BlutHerzinsuffizienz volumens und damit der Herzbelastung. Später treten Ödeme auf, zunächst in der Peripherie und dann in der Lunge, was die Ziele der CHF-Therapie sind die symptoBlutoxygenierung verschlechtert und zu matische Besserung sowie die Reduktion Dyspnoe führt. Über eine Fibrosierung re- stationärer Aufnahmen und der Mortalität. duziert Aldosteron über einen MCR- . Tab. 16.2 fasst wichtige klinische Studien Agonismus die Herzkontraktilität weiter. zur CHF-Therapie zusammen. Die TheraLangfristige Sympathikusaktivierung führt pie der CHF in Deutschland wurde über zu Kardiomyozytenapoptose und schränkt viele Jahrzehnte durch die Anwendung von NKA-Inhibitoren wie Digoxin dominiert. die Kontraktilität weiter ein.
16
Arzneistoffgruppe
AT1R-Antagonist (Klasse A)
MCR-Antagonist (Klasse MCRA)
NKCC-Inhibitor (Klasse D)
Arzneistoff
Candesartan
Eplerenon
Furosemid
Wie Spironolacton, aber deutlich teurere Therapie. Daher vor allem Reservetherapie bei Spironolacton-UAW CHF-NYHA-II bei Ödemen; NYHA III-IV, häufig in Kombination mit NCCInhibitoren zur Wirkungsverstärkung; Verhinderung von Hyperkaliämien durch die Klassen A, MCRA und insbesondere A + MCRA
Hemmung des Na+/K+/2Cl–Cotransporters in der Henle-Schleife. Starke renale Ausscheidung von Wasser, Natrium, Kalium und Chlorid
CHF-NYHA-I-IV, Zustand nach MI, Hypertonie, Diabetes (Verhinderung diabetischer Nephropathie)
Wichtige Indikationen
Siehe Spironolacton
Hemmung der Wirkungen von Angiotensin-II auf Remodelling von Gefäßen, Niere und Herz. BD-senkende Wirkung
Wichtige Wirkungen
.. Tab. 16.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz
Hypokaliämie, Hypocalcämie, Harnsäureretention, Hörschäden, Exsikkose; Hypokaliämie kein Problem bei Kombination mit den Klassen A, MCRA und A + MCRA
Wie Spironolacton, aber keine Gynäkomastie durch fehlenden AR-Antagonismus (Adhärenzvorteile in der Therapie von Männern)
Hyperkaliämie, besonders bei Nierenversagen und in Kombination mit MCRA; wenn möglich Kombination mit NCC- und/oder NKCCInhibitoren. Kein Risiko für Angioödem und Reizhusten
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 12, 15, 17, 23
7 Kap. 12, 15, 17
7 Kap. 12, 15, 17
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
16.2 · Wichtige klinische Studien zur Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz 255
16
Blockade des Natriumeinstroms im Sinusknoten und damit der spontanen Depolarisation, führt zur Reduktion einer Tachykardie
Negativ chronotrope, dromotrope und inotrope Wirkung; Hemmung der schädlichen Wirkung einer Daueraktivierung des Sympathikus auf das Herz
HCN4-KanalBlocker (Klasse I)
β1AR-Antagonist (Klasse B)
Ivabradin
Metoprolol
CHF-NYHA-II-IV (langsame Dosissteigerung, um akute Herzinsuffizienz zu vermeiden). NHYA-I bei Hypertonie und Zustand nach MI
CHF bei Sinusrhythmus ≥ 70/ min und unzureichender Wirkung der Therapie mit den Klassen A + B + D + MCRA; Dauertherapie der KHK bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von Klasse B
CHF-NYHA-I bei Hypertonie; NHYA-II bei Hypertonie und Ödemen; NHYA-III-IV, häufig in Kombination mit NKCCInhibitoren; Verhinderung von Hyperkaliämie durch die Klassen A, MCRA und A + MCRA
Hemmung des Na+/Cl–Cotransporters im frühdistalen Tubulus. Moderate renale Ausscheidung von Wasser sowie Natrium, Kalium und Chlorid
NCC-Inhibitor (Klasse D)
Hydrochlorothiazid
Wichtige Indikationen
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
16
Arzneistoff
.. Tab. 16.1 (Fortsetzung)
Dekompensation einer CHF bei zu schneller Dosissteigerung, Bradykardie, AV-Block. Kalte Akren, Gefahr von Asthmaanfällen und unerkannter Hypoglykämie bei mit Insulin behandelten Patienten mit Diabetes; vor allem in höherer Dosierung, wenn auch der β2AR antagonisiert wird
Phosphene, schwere Bradykardie
Hypokaliämie, Hypercalcämie, Harnsäureretention, Hörschäden, Exsikkose; Hypokaliämie kein Problem bei Kombination mit den Klassen A, MCRA und A + MCRA
Wichtige UAW
7 Kap. 1, 5, 14, 15, 17, 19
7 Kap. 17
7 Kap. 2, 12, 15, 17
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
256 Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
NEP-Inhibitor (Klasse NI)
MCR-Antagonist (Klasse MCRA)
Sacubitril
Spironolacton
Hemmung der profibrotischen Remodelling-Wirkungen von Aldosteron am Herzen; ergänzen sich mit den Wirkungen von ACEInhibitoren und AT1RAntagonisten
BD-Abfall, reduzierter Sympathikotonus, reduzierte Aldosteronsekretion, Diurese- und Natriuresesteigerung, Hemmung von Remodelling und Fibrose
Siehe Candesartan
CHF-NYHA-III-IV; bei Zustand nach MI auch NYHA-II. Häufig Anwendung in Kombination mit ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten; preiswerter Standardarzneistoff
Anwendung in fixer Kombination mit dem AT1R-Antagonisten Valsartan bei ungenügender Wirkung der Therapie mit den Klassen A + B + D + MCRA
Siehe Candesartan
Hyperkaliämie, insbesondere in Kombination mit Klasse A-Arzneistoffen. Zusätzliche Gabe von NCC- und/oder NKCC-Inhibitoren zur Verhinderung von Hyperkaliämie. Gynäkomastie durch AR-Antagonismus (bei Männern unerwünscht)
Angioödem bei gleichzeitiger Einnahme von ACEInhibitoren, Hypotonie, Hyperkaliämie, Nierenfunktionsstörungen
Wie Candesartan, aber Risiko für Angioödem und Reizhusten. Im Falle dieser UAW Umsetzen auf AT1R-Antagonisten
7 Kap. 12, 15, 17, 24
7 Kap. 3, 12, 15
7 Kap. 3, 13, 15, 17
Die NKA-Inhibitoren (Prototyp Digoxin) sind wegen ihrer geringen therapeutischen Breite und ihrer zahlreichen UAW ganz bewusst nicht in die Tabelle aufgenommen worden. Furosemid ist bewusst als Prototyp der NKCC-Inhibitoren gelistet. Das häufig verschriebene Torasemid ist nicht in der NKLM/IMPP-Arneistoffliste (siehe Serviceteil)
ACE-Inhibitor (Klasse A)
Ramipril
16.2 · Wichtige klinische Studien zur Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz 257
16
258
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
.. Tab. 16.2 Übersicht über wichtige klinische Studien zur CHF-Pharmakotherapie Studie
Arzneistoff
NYHA-Stadium
Mortalität
MERIT-HF
Metoprolol
II–IV
−35 %
RALES
Spironolacton
III–IV
−35 %
Consensus I
Enalapril
IV
−40 %
ELITE II
Captopril versus Losartan (Äquivalenz)
II–III
−30 %
SHIFT
Ivabradin (versus Standardtherapie A + MCRA + B + D)
II–IV
−18 % (v. a. Hospitalisierung)
PARADIGM-HF
Sacubitril + Valsartan (versus Enalapril)
II–IV
−16 %
XHFS
Xamoterol
III–IV
+245 %
PROMISE
Milrinon
III–IV
+28 %
DIG
Digoxin
III–IV
+0 %
Aktuelle Metaanalyse von 16 klinischen Studien bei VHF
Digoxin
VHF bei Patienten mit und ohne CHF in verschiedenen Stadien
+ 27 %
>>Da NKA in jeder Körperzelle exprimiert wird, ergibt sich daraus ein sehr großes Potential von UAW der NKA-Inhibitoren. Diese Arzneistoffgruppe sollte daher nur in sehr gut begründeten Ausnahmefällen eingesetzt werden.
16
Der alte Begriff „Herzglykoside“ ist irreführend, weil er fälschlicherweise eine positive und selektive Wirkung der NKA-Inhibitoren auf das Herz suggeriert. NKA-Inhibitoren wirken durch eine Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration positiv inotrop. Außerdem kommt es zur Parasympathikus-Stimulation mit nachfolgendem negativ dromotopen Effekt. Die Anwendung von NKA-Inhibitoren wird durch ihre extrem geringe therapeutische Breite belastet (7 Kap. 4).
>>Bildhaft ausgedrückt ist das genaue Treffen der therapeutischen Digoxin- Plasmakonzentration für den Arzt genau so schwierig wie für den Laien das Treffen der schwarzen Scheibe beim Biathlon.
Beweisend für Intoxikation mit NKA- Inhibitoren ist das Gelb-Grün-Sehen. Sie können auch Übelkeit und Erbrechen und jede Form von Herzrhythmusstörungen hervorrufen. Veränderungen im Elektrolytstoffwechsel (insbesondere Hypo- und Hyper kaliämie) erhöhen das Arrhythmierisiko. Es gibt zahlreiche Kontraindikationen für die Gabe von NKA-Inhibitoren wie Sick-SinusSyndrom und AV-Überleitungss törungen sowie Kardiomyopathie. Die DIG-Studie zeigte keinen positiven Effekt einer Digoxintherapie auf die Mortalität bei CHFNHYA-III-IV. Eine aktuelle Metaanalyse zeigt, dass Digoxin insgesamt einen ungünstigen Effekt bei VHF mit und ohne CHF hat, obwohl in dieser Situation der negativ dromotrope Effekt pathophysiologisch besonders sinnvoll sein sollte. Langsam schlagen sich die Ergebnisse klinischer Studien auch in der Praxis nieder. Die Verordnungszahlen von NKA-Inhibitoren in Deutschland sinken stetig, sind aber
259 16.3 · Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz
aus Tradition immer noch sehr viel höher als in den angelsächsischen Ländern. Dies zeigt, wie landesspezifische Gewohnheiten die pharmakotherapeutische Praxis langfristig entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse beeinflussen können.
16
lität bei CHF-NYHA-IV reduziert. Analog zur Hypertonietherapie sind ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten bei CHF äquivalent wirksam. Dies wurde in der ELITE-II-Studie herausgearbeitet. Auch MCR-Antagonismus mit Spironolacton zeigte in der RALES-Studie überzeugende >>Das Beispiel der Verschreibung von Effekte auf die Mortalität. Die Paradigm- NKA-Inhibitoren in Deutschland zeigt, HF-Studie zeigte, dass NEP-Hemmung in dass Veränderungen im VerordnungsverhalKombination mit AT1R-Antagonismus die ten von Arzneistoffen über sehr lange ZeitMortalität bei CHF-NYHA-II-IV stärker räume erfolgen. reduzierte als ACE-Inhibitoren. Ivabradin Basierend auf der Annahme, dass positive blockiert selektiv den HCN4-Kanal, der Inotropie ein wichtiger Ansatz in der bei der spontanen Depolarisation des SiCHF-Therapie sei, wurde der PDE3- nusknotens eine entscheidende Rolle spielt. Inhibitor Milrinon bei CHF-NYHA-III-IV In der SHIFT-Studie zeigte Ivabradin bei in der PROMISE-Studie untersucht. PDE3 CHF- Standardtherapie Zusatznutzen. Ivawird stark im Herzen exprimiert. Durch bradin vermindert insbesondere eine hämoPDE3-Hemmung wird cAMP erhöht und dynamisch ungünstige Tachykardie. ein positiv-inotroper Effekt vermittelt (7 Kap. 1 und 5). Entgegen dem suggestiven Namen der Studie zeigte sich jedoch unter 16.3 Pharmakotherapie der Milrinon eine erhöhte Mortalität, weshalb Herzinsuffizienz Milrinon auch mit dem Namen „Killrinon“ belegt worden ist. Aus den klinischen Studien zur PharmakoBei der XHFS-Studie wurde eine positive therapie der CHF ergeben sich rationale AnInotropie weiter proximal auf β1AR-Ebene satzpunkte für die Praxis. Vor dem Beginn mit dem partiellen Agonisten Xamoterol einer Pharmakotherapie sind zunächst allvermittelt (7 Kap. 1 und 5). Es zeigte sich gemeine Maßnahmen zu implementieren. eine dramatische Erhöhung der Mortalität, Eine der Belastungsfähigkeit angemessene weshalb die Studie abgebrochen wurde. Ob- Bewegungstherapie bei NYHA I-III ist erwohl diese Studien zur CHF-Pharmakothe- forderlich, um das kardiovaskuläre System rapie enttäuschend verliefen, führten sie zur zu trainieren und eine Atrophie im Herzen radikalen Umkehr tradierter pharmakother- und der Skelettmuskulatur sowie Osteopoapeutischer Konzepte weg von der positiven rose (7 Kap. 20) zu vermeiden. UnangeInotropie hin zur Korrektur pathophysiolo- messene, leider häufig ärztlich verordnete, gischer Fehlanpassungen (. Abb. 16.1). körperliche Schonung schädigt das Herz Die deletäre Wirkung langfristiger Sym- langfristig. pathikusaktivierung bei einer CHF wurde Der NaCl-Konsum sollte auf < 3 g/Tag eindrucksvoll in der MERIT-HF-Studie reduziert werden. Es reicht in alle Regel, belegt. Durch β1AR-Antagonisierung am Speisen nicht „automatisch“ nachzusalzen Herzen und in der Niere mit der damit ver- und den Salzstreuer vom Esstisch zu verbanbundenen RAAS-Hemmung wurde die nen. Auch sollten Getränke nur maßvoll zuMortalität bei CHF-NYHA-II-IV sehr geführt werden, um Ödeme zu verhindern. deutlich reduziert. Die Consensus-I-Stu- Eine Gewichtsreduktion ist ebenso angedie zeigte überzeugend, dass auch RAAS- zeigt wie das Vermeiden langer Flug- und Hemmung mit ACE-Inhibitoren die Morta- Tropenreisen, die eine Ödembildung be
260
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
günstigen können. Die Thromboseprophylaxe mit Stützstrümpfen sowie ASS (low dose) kann notwendig sein (7 Kap. 18). Sowohl eine Hypothyreose als auch eine Hyperthyreose müssen pharmakologisch behandelt werden, da Veränderungen der Schilddrüsenfunktion die Herzfunktion negativ beeinflussen (7 Kap. 21). Arrhythmien sollten beseitigt werden, wobei vor allem der pleiotropen Ionenkanal-Blocker Amiodaron und β1AR-Antagonisten in Betracht kommen (7 Kap. 17). Bevor eine spezifische CHF-Pharmakotherapie begonnen wird, muss überprüft werden, ob der Patient Arzneistoffe einnimmt, die die CHF verschlechtern. Es ist zu überdenken, ob solche Arzneistoffe abgesetzt, ersetzt oder zumindest in ihrer Dosierung reduziert werden können. COX-Inhibitoren (nicht jedoch p-Aminophenole und Pyrazolone!), Lithium und GCR- Agonisten können bei Dauertherapie zu Wasser- und Natriumretention führen (7 Kap. 10, 11, 12 und 28). Kardiotoxische Wirkungen haben auch das Zytostatikum Doxorubicin sowie VEGFund TNF-Inhibitoren (7 Kap. 11 und 31). CCB aus der Klasse der Phenylalkylamine (Prototyp Verapamil) können über ihre negativ inotrope, dromotrope und chronotrope Wirkung CHF verschlechtern (7 Kap. 17). NSMRI und viele mGPCR-Antagonisten besitzen antagonistische Wirkungen an α1AR und MxR (7 Kap. 28 und 29). Der α1ARAntagonismus bewirkt eine Vasodilatation, die zu einer reflektorischen Tachykardie führt. Eine Tachykardie wird durch MxR-Antagonisten verstärkt, was zu Tachyarrhythmien führen kann. Auch im Internet erhältliche Wirkstoffe, z. B. Extrakte aus getrockneten Schilddrüsen (7 Kap. 21) oder das Diterpen Forskolin, das die AC stimuliert, können eine CHF verschlechtern; ebenso indirekte Sympathomimetika wie Ephedrin und Amphetamin (7 Kap. 1 und 5). Nach Durchführung allgemeiner Maßnahmen und der Korrektur von Medikationen, die CHF verschlechtern können, wird
16
gemäß dem jeweiligen NYHA-Stadium spezifisch therapiert. Bei CHF-NHYA-I werden zunächst Arzneistoffe der Klasse A (7 Kap. 15) eingesetzt; primär ACE-Inhibitoren und bei Unverträglichkeit (Reizhusten, Angioödem) AT1R-Antagonisten. Wichtigste UAW von Klasse- A- Arzneistoffen ist die Hyperkaliämie, die zu Bradykardie führen kann. Bei einer Hypertonie werden zusätzlich Klasse-D-Arzneistoffe (NCC-Inhibitoren, 7 Kap. 15) eingesetzt, die nicht nur den BD senken, sondern auch einer Hyperkaliämie entgegenwirken. Bei Patienten nach MI werden MCR-Antagonisten eingesetzt, die hämodynamisch einer ungünstigen Myokardfibrosierung entgegenwirken. Bei einer Hypertonie und Zustand nach MI werden β1AR-Antagonisten (Klasse-B- Arzneistoffe) gegeben. Bei CHF-NHYA-II werden Klasse-B- Arzneistoffe obligatorisch eingesetzt. Entscheidend sind ein Beginn mit niedriger Dosis (ca. 1/10 der Zieldosis) und eine langsame Dosissteigerung im Abstand von 2–4 Wochen unter Symptombeobachtung. Mit dieser Vorgehensweise kann die Gefahr von einer CHF-Verschlechterung gebannt werden; dementsprechend muss auch das Absetzen von Klasse-B-Arzneistoffen ausschleichend erfolgen. Bei Ödemen werden Klasse-D-Arzneistoffe (NCC- oder NKCC- Inhibitoren) hinzugefügt. Die therapeutische Wirkung der NCC-Inhibitoren liegt vor allem darin, dass sie Dyspnoe, periphere Ödeme und Aszites bessern; eine Senkung der Mortalität ist nicht nachgewiesen. Zu beachten ist die Gefahr von Exsikkose und Hypokaliämie. Das Hypokaliämierisiko wird durch gleichzeitige Gabe von Klasse- A- Arzneistoffen reduziert. Bei CHF-NYHA-III-IV werden zusätzlich zu den Arzneistoffen der Klassen A und B Arzneistoffe der Klasse MCRA integriert. Durch die Kombination von Arzneistoffen der Klassen A + MCRA wird das Risiko schwerer Hyperkaliämien erhöht, die zu lebensbedrohlichen Bradykardien führen
16
261 16.4 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der koronaren Herzerkrankung
können. Deshalb werden bei Kombination der Klassen A + MCRA obligatorisch Klasse-D-Arzneistoffe (NCC-Inhibitoren und/ oder NKCC-Inhibitoren) hinzugefügt. Gerade bei eingeschränkter Nierenfunktion ist die Kombination von NCC-Inhibitoren und NKCC-Inhibitoren sinnvoll. Furosemid ist der prototypische Vertreter der NKCC- Inhibitoren. >>NKCC-Inhibitoren werden häufig als „Schlankmacher“ missbraucht. Es drohen lebensgefährliche Hypokaliämien und TdP (7 Kap. 17).
Ist die Kombination von Arzneistoffen der Gruppen A + B + D + MCRA nicht ausreichend, können weitere Arzneistoffgruppen hinzugefügt werden. Bei Patienten mit Sinusrhythmus und einer HF ≥ 70/min kann der HCN4-Kanal-Blocker Ivabradin inte griert werden. Eine Alternative bei unzureichender Wirkung der Standardkombination ist Sacubitril (7 Kap. 15). Dadurch wird die Aldosteronsekretion reduziert und die Natriurese stimuliert. Außerdem sinkt der BD und Remodelling-Vorgänge werden g ünstig beeinflusst.
>>Bei akuter Herzinsuffizienz geht es darum, die Herzfunktion kurzfristig zu verbessern, ehe langfristig angelegte Maßnahmen greifen.
Insgesamt ist die Pharmakotherapie der akuten Herzinsuffizienz unbefriedigend, weil meist eine schwere Myokardschädigung vorliegt und eine positiv inotrope Therapie die Gefahr einer weiteren Myokardschädigung beinhaltet. Die Leitsymptome der akuten Herzinsuffizienz sind Lungenödem mit Hypoxie und daraus resultierender Ruhedyspnoe. Daher ist die O2-Gabe wichtig. Der MOR-Agonist Morphin lindert bei akuter Herzinsuffizienz über seine atemdepressive Wirkung (7 Kap. 10) die Luftnot. Zur Reduktion des Lungenödems sind NKCC-Inhibitoren indiziert. Sie führen über eine Dilatation venöser Kapazitätsge
fäße zur Vorlastreduktion und indirekt zur Lungenödemabnahme (7 Kap. 15). Mit einer Verzögerung trägt auch eine diuretische Wirkung zur Lungenödemabnahme bei (7 Kap. 12). Eine Vorlastreduktion lässt sich auch durch GTN erreichen (7 Kap. 9). Für Vorlast- und Nachlastreduktion in therapieresistenten Fällen eignet sich NNP (7 Kap. 15). Eine kurzfristige positiv-inotrope Therapie kann mit dem synthetischen Katecholamin Dobutamin erfolgen. Dobutamin (nicht zu verwechseln mit Dopamin) ist ein Agonist am β1AR, β2AR und α1AR. Da sich vasokonstriktorische Effekte über α1AR und vasodilatatorische Effekte über β2AR neutralisieren (7 Kap. 5), dominiert die positiv-inotrope β1AR-Wirkung. Das Risiko einer positiv-inotropen Therapie liegt darin, dass sie proarrhythmogen wirkt (7 Kap. 17). Deshalb muss möglichst rasch eine Dauertherapie eingeleitet werden. Zusätzlich können passagere Herzunterstützungssysteme eingesetzt werden. Ultima ratio ist die Herztransplantation.
16.4 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie der koronaren Herzerkrankung
Bei der KHK kommt es aufgrund von Arteriosklerose zu zunehmender Einengung der Koronararterien, die zu Mangelversorgung des Myokards mit O2 und Nährstoffen bis hin zum MI führt. KHK ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Das jährliche Mortalitätsrisiko von KHK-Patienten liegt bei 1–2 %. In Deutschland erleiden jährlich 0,3 % der Bevölkerung einen MI. . Abb. 16.2 gibt einen Überblick über die KHK-Pathophysiologie und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Risikofaktoren für Arteriosklerose sind Stress, Hypertonie, Diabetes, LDL-Hypercholesterinämie, Tabakrauchen und erhöhtes Lebensalter (7 Kap. 15, 19 und 22). Eine Arterioskle
262
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
A, B, C, D
B
HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren
Risikofaktoren: Stress, Hypertonie, Diabetes, LDL↑, Tabakrauch Arteriosklerose B
MORAgonisten
Myokardischämie
ACS
Thrombolyse (Alteplase) Vernichtungsschmerz, Angst
Myokardinfarkt
nur Kurzzeitanwendung
GTN nur symptomatisch ASS low dose, Clopidogrel, Stents O2, ASS (low dose) A, MCRA
Akute Herzinsuffizienz Dobutamin
Insuline, Biguanide (Metformin)
Remodelling Ventrikuläre Arrhythmien
Amiodaron
Langzeittherapie
Chronische Herzinsuffizienz (Plötzlicher) Herztod
16
A, B, D, MCRA
.. Abb. 16.2 Pathophysiologie der KHK und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Grundsätzlich kann die KHK in ein chronisches Stadium und in ein akutes Stadium (Angina pectoris, ACS, MI) unterteilt werden. Bei KHK kommt stadien- und symptomspe-
zifisch eine Vielzahl von Arzneistoffgruppen zum Einsatz, die in verschiedenen Kapiteln dieses Buches ausführlicher besprochen werden. Verweise zu diesen Kapiteln werden im Haupttext gegeben
rose führt zur Myokardischämie, die zunächst asymptomatisch ist und sich im weiteren Verlauf als Angina pectoris manifestiert. Die Angina pectoris wird in vier Schweregrade unterteilt (I: Beschwerden bei schwerer körperlicher Belastung; II: leichte Einschränkung bei normalen physischen Tätigkeiten; III: deutliche Einschränkung bei normalen physischen Tätigkeiten; IV: Ruhebeschwerden). Eine Angina pectoris kann in ein ACS übergehen, dem eine Thrombosierung der Koronararterien zugrunde liegt. Das ACS ist durch stärkste retrosternale Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm, Angst, Dyspnoe, BD-Abfall oder BD-Anstieg sowie Bradykardie oder Tachykardie
gekennzeichnet. Das ACS kann in einen MI münden. Die MI-Gesamtmortalität liegt bei 30–50 % im ersten Monat, wobei 50 % der Gesamtmortalität in den ersten zwei Stunden auftritt. Ein MI mit ST-Streckenhebungen (STEMI) ist besonders gefährlich. MI kann zu VT und (plötzlichem) Herztod oder als Folge der Myokardnekrose zu akuter Herzinsuffizienz führen. In der chronischen Phase kommt es zu hämodynamisch ungünstigem Remodelling des Herzens mit Fibrosierung, die durch RAAS-Aktivierung gefördert wird. Großflächige Herzfibrosierung führt zu Ventrikeldilatation und CHF. Kurzfristige Therapieziele bei ACS sind die Linderung akuter Beschwerden (Schmerzen, Angst, Dyspnoe) und die Koronararterienrekanalisierung. Durch rasche
16
263 16.4 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der koronaren Herzerkrankung
Reperfusion der Koronararterien mittels perkutaner transluminaler Koronarangioplastie (PTCA) und Ballondilatation mit oder ohne Stentimplantation lässt sich die Mortalität im ersten Monat auf unter 10 % senken. Langfristige Ziele der KHK- Therapie sind die Beseitigung von Ursachen, die zur KHK geführt haben, Reduktion des kardialen O2-Verbrauches sowie Verhinderung von Rethrombosierung, Remodelling, VT und CHF. Als Bedarfsmedikation für Angina pectoris wird GTN eingesetzt. Es reduziert den O2-Verbrauch des Herzens durch Vorlastsenkung und kann vom Patienten selbst angewendet werden (7 Kap. 9). GTN wirkt nicht lebensverlängernd und eignet sich wegen Desensitisierung nicht zur Dauertherapie. Die Akutbehandlung von ACS und MI erfolgt nach dem MONA-Schema. Der MOR-Agonist Morphin (3–5 mg i. v., 7 Kap. 10) wirkt analgetisch, senkt Vor- und Nachlast und reduziert durch seine atemdepressive Wirkung die Luftnot (7 Kap. 10). O2-Gabe (4–8 l/min) verbessert die Gewebeoxygenierung. GTN (0,4–0,8 mg sublingual) reduziert den O2-Verbrauch des Herzens durch Senkung der Vorlast (7 Kap. 9). ASS (160–375 mg i. v.) hemmt die TXA2-Bildung in den Thrombozyten und damit das Thrombuswachstum (7 Kap. 18). Die VT- Prävention mit SCB ist wirkungslos. Periinterventionell wird bei einer PTCA die Blutgerinnung durch zusätzliche Gabe von Heparin weiter gehemmt (7 Kap. 18). Wird ein Stent zum Offenhalten einer Koronararterie eingesetzt, besteht die Gefahr der Stentthrombosierung. Um dieses Risiko zu reduzieren, ist eine Dauertherapie mit ASS (low dose) + P2Y12R-Antagonisten wie Clopidogrel erforderlich (7 Kap. 18). Um das Risiko von Stentintimahyperplasie zu verringern, die die Rethrombosierung fördert, sind bestimmte Stents mit immunmodulatorischen
Arzneistoffen wie Everolimus (7 Kap. 11) oder Zytostatika wie Paclitaxel (7 Kap. 31) beschichtet. Die Wirksamkeit der Beschichtung ist jedoch umstritten. Wenn eine PTCA nicht durchgeführt werden kann oder kontraindiziert ist, kommt als Alternative die Gabe von Gewebeplasminogen-Aktivatoren in Betracht (7 Kap. 18). Entscheidend in der Akutphase des ACS und MI ist ein rascher Therapiebeginn, um das Ausmaß der Myokardschädigung so klein wie möglich zu halten. In der KHK-Dauertherapie ergänzen sich allgemeine und pharmakotherapeutische Maßnahmen. Wichtig ist es, sofort mit dem stark gefäßschädigenden Tabakrauchen aufzuhören. Die pharmakologischen Möglichkeiten zur Unterstützung des Nikotinentzuges mit partiellen nAChR- Agonisten oder nAChR-Antagonisten (7 Kap. 5) sind unbefriedigend und mit UAW behaftet. Am besten ist es, wenn der Patient trotz temporär sehr unangenehmer Entzugserscheinungen rasch einen harten Entzug ohne pharmakologische Unterstützung schafft. Das Erlebnis des Vernichtungsschmerzes bei ACS kann einen raschen Nikotinentzug fördern („Bio-Feedback“). Dadurch werden die Lebenserwartung und Lebensqualität erhöht. Ebenso wichtig ist eine cholesterin- und kalorienreduzierte Diät mit viel Obst und Gemüse sowie mehrfach ungesättigten Fettsäuren (mediterrane Kost inklusive moderatem Genuss von Rotwein) und ein der Belastungsfähigkeit angepasstes Trainingsprogramm zur Stärkung der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit und der Skelettmuskulatur. In der KHK-Dauertherapie wirken β1AR-Antagonisten über die Reduktion des myokardialen O2-Verbrauches (7 Kap. 5) und RAAS-Hemmung (7 Kap. 15) lebensverlängernd, desgleichen HMG-CoA- Reduktase-Inhibitoren durch Senkung des LDL-Cholesterins (7 Kap. 22). Ebenso ist für irreversible COX-Inhibitoren sowie
264
Kapitel 16 · Arzneistoffe zur Behandlung der Herzinsuffizienz und koronaren Herzerkrankung
P2Y12R-Antagonisten, 7 Kap. 18 eine Lebensverlängerung nach MI gezeigt worden. Im geringeren Ausmaß trifft das auch für ACE-Inhibitoren und AT1R-Antagonisten über eine Beeinflussung des kardialen Remodelling zu. Diese MI- Sekundärprophylaxe ist bei Beachtung der Kontraindikationen sicher und kann daher auch in der hausärztlichen Praxis durchgeführt werden.
>>Eine primär-präventive Wirkung von β1ARAntagonisten, HMG-CoA-Reduktase-Inhi bitoren, irreversiblen COX-Inhibitoren und P2Y12R- Antagonisten bei KHK ist nicht nachgewiesen.
Die pharmakotherapeutische Primärprophylaxe der KHK sollte deshalb und wegen der zusätzlichen Kosten und möglicher UAW sowie Interaktionen unterlassen werden, obwohl sie immer wieder von der Pharmaindustrie und auch Fachgesellschaften beworben wird. In der Primärprävention der KHK stehen gesunde und angemessen aktive Lebensführung, konsequentes Nichtrauchen sowie die Behandlung von Risikofaktoren im Vordergrund. Diabetes ist ein wesentlicher Pathogenesefaktor für Arteriosklerose und KHK. Daher muss ein Diabetes (meist Typ 2) konsequent mit Diät und Metformin behandelt Behandlung werden (7 Kap. 19). Die VT- bei MI-Patienten ist schwierig. Ein Wirkungsnachweis ist nur für Amiodaron er
16
bracht worden, dessen Anwendung jedoch mit gravierenden UAW belastet ist (7 Kap. 2 und 17).
Fallbeispiel
Eine 78-jährige Patientin wird in die Notaufnahme eingeliefert. Die Patientin klagt über Luftnot, Herzklopfen, Übelkeit und Gelb-Grün-Sehen. In der letzten Woche habe sie einen GI-Infekt mit Durchfall gehabt, der sie sehr geschwächt habe. Es sei ihr in der letzten Woche zunehmend schwergefallen, allein den Haushalt zu führen. Im Röntgenbild erkennen Sie eine mäßige Vergrößerung des Herzens und eine zentrale Verschattung. Im Labor stellen Sie eine Plasmakaliumkonzentration von 3,0 mmol/l und eine Plasmadigoxinkonzentration von 1,1 ng/ml fest. Im EKG findet sich eine Sinustachykardie (120/min). Die Patientin gibt an, dass sie schon seit vielen Jahren von ihrem Hausarzt mit Herztabletten behandelt wird. Außer diesen nehme sie keine weiteren Arzneistoffe.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche Diagnose stellen Sie? 2. Wie gehen Sie therapeutisch vor? Lösungen 7 Kap. 37
265
Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP Inhaltsverzeichnis 17.1
athophysiologische Grundlagen und P pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 266
17.2
athophysiologie und Pharmakotherapie P des Vorhofflimmerns – 269
17.3
athophysiologie und Pharmakotherapie P ventrikulärer Tachykardien – 271
17.4
Torsade-de-Pointes-Arrhythmien: Ursachen, Vermeidung und Pharmakotherapie – 271
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_17
17
266
Kapitel 17 · Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP
Die normale Erregung des Herzens geht vom Sinusknoten aus und wird über den Vorhof und AV-Knoten an die Ventrikel weitergeleitet. Ursachen für Arrhythmien sind u. a. Veränderungen im Elektrolythaushalt, Arzneistoffe, genetische Erkrankungen, KHK und CHF. Arrhythmien können zum plötzlichen Herztod oder zu thromboembolischen Komplikationen führen. Beim VHF kommt es über Blutstase in den Vorhöfen zu Thrombusbildung mit dem Risiko von Lungenembolie und Schlaganfall. VT sind häufig eine MI-Folge. Da die Pharmakotherapie von Arrhythmien unbefriedigend ist, treten zunehmend Herzschrittmacher, Ablationen von erkranktem Erregungsleitungsgewebe sowie implantierte Defibrillatoren in den Vordergrund. Insgesamt ist der pleiotrope Ionenkanal-Blocker Amiodaron bei VHF und VT der wirksamste Arzneistoff, aber wegen gravierender UAW und ungünstiger Pharmakokinetik muss die Indikation sehr sorgfältig gestellt werden. Die Anwendung von SCB mit antiarrhythmischer Wirkung gehört in die Hände des Kardiologen. Arzneistoffe mit den unterschiedlichsten Mechanismen wie NSMRI, mGPCR- Antagonisten und antibakterielle Arzneistoffe können über eine Blockade repolarisierender Kaliumkanäle TdP auslösen. Risikofaktoren für TdP-Auslösung sind rasche i.v.-Injektion, Elektrolyt- und Essstörungen, Komedikation mit CYP-Inhibitoren sowie Leber- und Nierenerkrankungen.
Merksätze
17
55 Arzneistoffe mit den unterschiedlichsten Mechanismen können TdP verursachen. 55 QT-Zeit-Verlängerungen prädisponieren für TdP. 55 TdP sind häufig Gründe für die Marktrücknahme von Arzneistoffen. 55 Eine lebensverlängernde Wirksamkeit von SCB mit antiarrhythmischer Wirkung ist nicht gesichert. 55 Von allen Arzneistoffen mit antiarrhythmischer Wirkung besitzt der pleiotrope
Ionenkanal-Blocker Amiodaron bei VHF und VT die beste Wirkung. 55 Die Therapie mit Amiodaron wird durch gravierende UAW und ungünstige Pharmakokinetik belastet.
17.1 Pathophysiologische
Grundlagen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Unter physiologischen Bedingungen ist der Sinusknoten der Impulsgeber des Herzens, der die HF (Chronotropie) bestimmt. Sie wird maßgeblich durch den HCN4-Kanal gesteuert, der die spontane diastolische Depolarisation im Sinusknoten moduliert. Die Herzerregung erfolgt vom Sinusknoten über den Vorhof zum AV-Knoten, der die Überleitung des Signals (Dromotropie) an die Ventrikel vermittelt. Die effiziente und koordinierte Kontraktion der Vorhöfe und Ventrikel ist von der normalen Depolarisation und Repolarisation des Erregungsleitungssystems abhängig. Die Erregungsweiterleitung erfolgt über die Aktivierung spannungsabhängiger Natri umkanäle und L-Typ-Calciumkanäle. Für die Repolarisation ist vor allem der Kaliumausstrom von Bedeutung, der zu einem erheblichen Teil über HERG-Kanäle vermittelt wird. Der Sympathikus vermittelt über den β1AR positiv-chronotrope und dromotrope Wirkungen (7 Kap. 5), die sich aus erhöhter Aktivität von HCN4-Kanälen und L-Typ-Calciumkanälen ergeben. Dagegen vermittelt der Parasympathikus über den M2R negativ chronotrope und dromotrope Wirkungen (7 Kap. 5) als Folge gesteigerter Aktivität von Kaliumkanälen. Es gibt zwei wesentliche Mechanismen, die zu Arrhythmien führen. Zum einen können Areale in den Vorhöfen oder in den Ventrikeln eine größere Automatie erlangen und die Taktgeberfunktion des Sinusknotens übernehmen. Zum anderen können kreisende
267 17.1 · Pathophysiologische Grundlagen und pharmakologische …
Erregungen (re-entry) entstehen, sodass der normale Ablauf von Depolarisation und Repolarisation gestört wird. Die hämodynamische Folge von Arrhythmien ist eine unregelmäßige und ineffiziente Herzfunktion, die zu Müdigkeit, Leistungsabfall, Schlafstörungen, Herzrasen, thromboembolischen Komplikationen, VT und Herztod führen kann. >>Die häufigsten Arrhythmieursachen sind unzureichend behandelte Hypertonie, KHK und CHF.
Eine Hypertonie ist gut behandelbar (7 Kap. 15), sodass sich über eine konsequente BD-senkende Therapie auch viele Arrhythmien vermeiden lassen. Die meisten Fälle von KHK ließen sich durch Nichtrauchen (7 Kap. 16) sowie Behandlung von Hypertonie (7 Kap. 15) und Dyslipidämien (7 Kap. 22) ebenfalls vermeiden. Auch eine konsequente CHF-Therapie kann Arrhythmien reduzieren, da ACE-Inhibitoren und AT1R- Antagonisten (Arzneistoffe der Gruppe A) sowie Arzneistoffe der Gruppe MCRA ungünstige Remodelling-Prozesse unterbinden (7 Kap. 16). β1AR-Antagonisten (Arzneistoffe der Gruppe B) wirken gegen Tachyarrhythmien. Kardiomyopathien, Myokarditiden und Herzklappenfehler sind weitere Arrhythmieursachen. Hypercalcämie und Hypokaliämie begünstigen Tachykardien; Hyperkaliämie begünstigt Bradykardien. Hyperthyreose bzw. Überdosierung von T4 (7 Kap. 21), indirekte Sympathomimetika und β2AR-Agonisten in hoher Dosierung (7 Kap. 5), NSMRI (7 Kap. 28) und mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) können verschiedene Tachyarrhythmieformen hervorrufen. Außerdem gibt es hereditäre Erkrankungen, bei denen durch Mutationen in Ionenkanälen das Risiko von Arrhythmien, insbesondere TdP, erhöht ist. TdP können lebensbedrohlich sein und durch viele Arzneistoffgruppen hervorgerufen werden. Die TdP-Vermeidung hat hohe Priorität für die Arzneitherapiesicherheit und ist für jeden Arzt relevant (7 Abschn. 17.4).
17
Aus den an der Regulation der Erregungsleitung beteiligten Komponenten ergeben sich rationale Ansatzpunkte für die Arrhythmietherapie. . Tab. 17.1 fasst wesentliche Eigenschaften ausgewählter Arzneistoffe mit antiarrhythmischer Wirkung zusammen. Bestimmte antiarrhythmisch wirkende Arzneistoffe (Prototyp Flecainid) blockieren spannungsabhängige Natriumkanäle, andere sind β1AR-Antagonisten (Prototyp Metoprolol); weitere Arzneistoffe blockieren verschiedene Ionenkanäle einschließlich repolarisierender Kaliumkanäle (Prototyp Amiodaraon) oder L-Typ-Calciumkanäle (Prototyp Verapamil). Darüber hinaus werden für spezielle Arrhythmien MxR-Antagonisten (Prototyp Atropin) und HCN4-Kanalblocker (Prototyp Ivabradin) eingesetzt. Ein Problem aller Arzneistoffe mit antiarrhythmischer Wirkung stellt die Tatsache dar, dass sie nicht zwischen erkranktem und gesundem Herzgewebe unterscheiden und deshalb auch arrhythmogen wirken können.
>>Traditionell werden „Antiarrhythmika“ nach Vaughan-Williams in vier Klassen unterteilt. Diese Klassifikation ist jedoch unvollständig und daher überholt.
Ebenso sollte der Begriff „Antiarrhythmika“ nicht mehr verwendet werden, da alle Arzneistoffe mit antiarrhythmischer Wirkung auch prinzipiell pro-arrhythmogen wirken können. Die pro-arrhythmogene Wirkung wird leider immer wieder unterschätzt. Der Nachweis einer klinischen Wirksamkeit antiarrhythmischer Arzneistoffe ist schwierig. In der CAST-Studie erhöhten die SCB mit antiarrhythmischer Wirkung (u. a. Flecainid) die Mortalität bei MI-Patienten mit VT. Die CAST-Studie musste abgebrochen werden und führte zu einem starken Rückgang der Anwendung von SCB mit antiarrhythmischer Wirkung. Dies ist ein Beispiel für die Anwendung des Prinzips „nihil nocere“ (7 Kap. 1). Der NKA-Inhibitor Digoxin wird in niedriger Dosierung bei VHF eingesetzt.
17
Blockade sinuatrialer HCN4- Kanäle. Negativ chronotrope Wirkung. Keine negativ dromotrope und keine negativ inotrope Wirkung
Negativ chronotrope und dromotrope Wirkung
MxR-Antagonist
SCB
HCN4-Kanal- Blocker
β1AR-Antagonist
CCB
Atropin
Flecainid
Ivabradin
Metoprolol
Verapamil
VHF, SVES
SVT, VHF, VES
Sinustachykardie bei CHF und KHK
VHF, VES (umstrittene Wirksamkeit)
Sinusbradykardie, AVBlock (intraoperativ und in Notfällen; keine Dauertherapie wegen UAW)
VHF, VT, VES; insgesamt beste Wirkung aller antiarrhythmisch wirkenden Arzneistoffe in verschiedenen klinischen Studien
Wichtige Indikationen
Bradykardien, AV-Block, CHF wegen negativ inotroper Wirkung, BD-Abfall
CHF-Verschlechterung bei zu schneller Dosissteigerung, Bradykardie, AV-Block. Kalte Akren, Gefahr von Asthmaanfällen und Hypoglykämie. Letztere UAW vor allem in höherer Dosierung, wenn auch β2AR-antagonisiert wird.
Phosphene, schwere Bradykardie
Erhöhte Mortalität bei Patienten mit MI (CAST-Studie), erhöhtes Arrhythmierisiko bei Patienten mit CHF und Hypokaliämie
Generalisierter MxR-Antagonismus mit antimuskarinergem Syndrom
Hypo- und Hyperthyreose, Photosensibilität, Corneaablagerungen, Lungenfibrose, Tremor, Polyneuropathie, Hepatopathie, TdP-Arrhythmien
Wichtige UAW
7 Kap. 15
7 Kap. 1, 5, 14, 15, 16, 19
7 Kap. 16
7 Kap. 4, 5
7 Kap. 2, 21
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
ST, Sinustachykardie; SVT, supraventrikuläre Tachykardien; SVES, supraventrikuläre Extrasystolen; VES, ventrikuläre Extrasystolen. Die Klassifikation nach Vaughan-Williams wird in der Tabelle bewusst nicht benutzt, da sie nicht alle gelisteten Arzneistoffe abdeckt und konzeptionell veraltet ist
Blockade von L-Typ-Calcium kanälen. Wirkt negativ chronotrop und dromotrop.
Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle im Herzen (SCB). Negativ chronotrope und dromotrope Wirkung. Prinzipiell auch proarrhythmisch.
Aufhebung der negativ chronotropen und dromotropen Wirkung von ACh
Blockade verschiedener Ionenkanäle, insbesondere repolarisierender Kaliumkanäle. Wirkt antiarrhythmisch, prinzipiell auch proarrhythmisch.
Pleiotroper Ionenkanalblocker
Amiodaron
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 17.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffge mit anti-arrhythmischer (und pro-arrhythmischer (!)) Wirkung
268 Kapitel 17 · Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP
269 17.2 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie des Vorhofflimmerns
Der therapeutische Effekt soll auf einer indirekten Stimulation des Parasympathikus mit nachfolgender negativ-chronotroper und negativ-dromotroper Wirkung beruhen. Allerdings zeigte eine Metastudie eine erhöhte Mortalität unter Digoxintherapie bei VHF. Ferner ist die therapeutische Breite von Digoxin sehr gering (7 Kap. 4 und 16). Hypokaliämie und Hypercalcämie fördern das Auftreten von Tachyarrhythmien unter NKA-Inhibitoren; Hyperkaliämie und Hypocalcämie das Auftreten von Brady arrhythmien.
17
gesetzt (7 Kap. 18). Eine zweite Säule der VHF-Therapie ist die Arrhythmiebehandlung. Bei der Frequenzkontrolle wird VHF nicht unterbunden, sondern nur die HF mit negativ chronotrop und dromotrop wirkenden Arzneistoffen in einen Bereich von 60– 80/min eingestellt. Zum Einsatz kommen β1AR-Antagonisten und L-Typ-CCB mit kardialer Wirkung (. Tab. 17.1). Die Wiederherstellung des Sinusrhythmus (Rhythmuskontrolle) kann über Katheterablation von Erregungsleitungsgewebe des Vorhofes oder pharmakotherapeutisch erfolgen. Ein wichtiger Arzneistoff mit >> Wegen unzureichender therapeutischer Wirnachgewiesener Wirkung auf die Rhythkung, geringer therapeutischer Breite und muskontrolle ist Amiodaron. Es ist lipophil, gravierender UAW sollten NKA-Inhibitoren zeigt aber eine stark schwankende Bioverbei VHF nicht mehr angewendet werden. fügbarkeit (25–80 %). Die PlasmaproteinWegen der unbefriedigenden Wirkung vieler bindung ist sehr hoch und damit das Risiko Arzneistoffe mit antiarrhythmischer Wirvon Arzneistoffinteraktionen durch Verkung sind in den letzten Jahren zunehmend drängung anderer Arzneistoffe ebenfalls. interventionelle Verfahren zur Behandlung Die HWZ ist lang und schwankt zwischen von Arrhythmien in den Vordergrund ge14–100 Tagen. treten. Zum Einsatz kommen neben HerzTherapeutische Plasmakonzentrationen schrittmachern implantierbare Defibrillaliegen in einem Bereich von 0,5–2,5 μg/ml. toren sowie die Ablation dysfunktionalen Die pharmakokinetischen Parameter erErregungsleitungsgewebes. schweren die Einstellung mit Amiodaron. Nach Aufsättigung mit 3 × 200 mg über 10 Tage, dann mit 2 × 200 mg über weitere 10 17.2 Pathophysiologie und Tage erfolgt die Dauertherapie mit einer ErPharmakotherapie des haltungsdosis von 1 × 200 mg pro Tag. Mit Vorhofflimmerns dieser Vorgehensweise sollten sich Interaktionen mit anderen Arzneistoffen und UAW VHF ist eine vorübergehende oder dauer- einigermaßen kontrollieren lassen. hafte Arrhythmie, bei der die VorhofWegen struktureller Ähnlichkeit von kontraktion mit sehr hoher Frequenz Amiodaron mit T4 und des hohen Iod(> 300/min) und die Ventrikelkontraktion gehaltes des Arzneistoffs kommt es bei unregelmäßig, zu schnell oder zu langsam bis zu 40 % der Patienten unter Dauererfolgt. VHF ist die häufigste Arrhyth- therapie zu Hypo- oder Hyperthyreosen mie (ca. 1–2 % der Bevölkerung). Das Ri- (7 Kap. 21). Hypothyreose entsteht durch siko steigt mit zunehmendem Lebensalter; eine Hemmung der Deiodasen, die T4 in Männer sind häufiger betroffen als Frauen. T3 umwandeln. Besonders gefährlich sind VHF-Symptome und -Ursachen sind bereits Amiodaron-induzierte Hyperthyreosen, unter 7 Abschn. 17.1 dargestellt worden. weil dadurch Tachyarrhythmien ausgelöst Die erste Säule der VHF-Therapie stellt werden können. Amiodaron kann über die Thromboembolieprophylaxe dar. Hierzu zwei Mechanismen Hyperthyreose auslöwerden ASS (low dose), VKA, Faktor-Xa- sen. Bei der frühen Form, die das Absetzen Inhibitoren oder Thrombin-Inhibitoren ein- von Amiodaron erfordert, kommt es zu ver
Kapitel 17 · Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP
270
Risikofaktoren: • NCC-/NKCC-Inhibitoren • Komedikation mit CYP-Inhibitoren • Komedikation mit 1ARAntagonisten und Ivabradin • Rasche i.v.-Injektion von HERG-Blockern • Kombination mehrerer HERG-Blocker
Amiodaron, Fluorchinolone, Makrolide, Triazole, Haloperidol, Citalopram, Methadon
Risikofaktoren: • ♀>♂ • > 65 Jahre • Anorexia nervosa, Bulimie • CHF
HERG-Kanäle
• Myokardinfarkt • Bradykardie • Diarrhoe + Erbrechen
• Lebererkrankungen
Kaliumausstrom
• CKD
• Langfristige PPI-Therapie
• Hypothyreose • Hypomagnesiämie
Repolarisation QT-Zeit
• • • •
Mg2+-Infusion K +-Infusion Kardioversion Absetzen auslösender Arzneistoffe
• Hypokaliämie • Long-QT -Syndrom • Slow Metabolizer (CYP-Polymorphismen)
Torsade-de-PointesArrhythmien
Herztod
17
.. Abb. 17.1 Arzneistoff-induzierte Torsades-dePointes-Arrhythmien durch die Hemmung von HERG-Kanälen. Da TdP lebensbedrohlich und nur
schwer behandelbar sind, kommt der Prävention durch Kenntnis auslösender Arzneistoffe sowie der Risikofaktoren eine entscheidende Bedeutung zu
stärkter Synthese von T4 und T3. Bei der späten Form, die kein Absetzen erfordert, werden vermehrt T4 und T3 freigesetzt. Da hier eine entzündliche Komponente vorliegt, kann die Therapie dieser UAW mit GCR-Agonisten erfolgen. Bei bis zu 90 % der Patienten wird Amiodaron in der Cornea abgelagert; in 1–10 % der Fälle kann dies zu leichten Sehstörungen führen. Bei 1–2 % der Patienten entwickelt sich eine Optikusneuropathie mit Gesichtsfeldausfällen. Deshalb sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Augenarzt erforderlich. An der Haut bewirkt Amiodaron eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber UV-Bestrahlung. Gefürchtet ist die potenziell letale Lungenfibrose, die besonders bei Dosierungen über 400 mg/Tag auftritt. Wird die Fibrose im Frühstadium (Pneumonitis) erkannt, ist sie reversibel. Wegen dieser UAW müssen Patienten regelmäßig zu pul-
monologischen Kontrolluntersuchungen. Amiodaron kann Leberenzyme erhöhen. Eine weitere UAW von Amiodaron ist eine Polyneuropathie mit Ataxie und Tremor. Bedingt durch den Wirkmechanismus kann Amiodaron Bradykardien und TdP hervorrufen (. Abb. 17.1).
>>Amiodaron ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die UAW eines Arzneistoffs Fächergrenzen ignorieren und interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern.
Dies wird in Zeiten der Versäulung der Medizin immer mehr vergessen. >>Bei QT-Zeiten > 500 ms muss Amiodaron abgesetzt werden.
Schließlich kann Amiodaron gefährliche Arzneistoffinteraktionen auslösen. Durch Hemmung von CYP3A4 steigt das Risiko einer Myopathie bei gleichzeitiger
17
271 17.4 · Torsade-de-Pointes-Arrhythmien: Ursachen, Vermeidung und…
Behandlung mit HMG-CoA-Reduktase- stoffe, insbesondere NKA-Inhibitoren und Inhibitoren (7 Kap. 22); durch Hemmung Vermeidung von Hypokaliämie. von CYP2C9 das Risiko für Blutungen unter VKA-Therapie (7 Kap. 2 und 18).
17.4 Torsade-de-Pointes-
Arrhythmien: Ursachen, Vermeidung und Pharmakotherapie
>>Es gibt keinen idealen antiarrhythmisch wirkenden Arzneistoff zur Behandlung von VHF, aber Amiodaron ist und bleibt der Goldstandard.
Dronedaron sollte ein „Ersatz“ für Amiodaron werden; mit ähnlicher Wirkung, aber weniger UAW. Da Dronedaron aber Amiodaron hinsichtlich der therapeutischen Wirkung unterlegen ist, wurde es nicht in die NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste aufgenommen. 17.3 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie ventrikulärer Tachykardien
VT gehen von den Herzkammern aus und können lebensbedrohlich sein. Sie manifestieren sich in Herzrasen, Luftnot, Angina pectoris, Lungenödem und kardiogenem Schock. Eine Intoxikation mit NKA-Inhibitoren und/oder eine Hypokaliämie können VT begünstigen (7 Kap. 4 und 12). VT können in Kammerflimmern übergehen und zum Kreislaufstillstand führen. VT können durch ektope Impulsgeber oder kreisende Erregungen ausgelöst werden. Therapie der Wahl von VT ist die elektrische Kardioversion. Als Arzneistoffe kommen SCB wie Flecainid oder der pleiotrope Ionenkanal-Blocker Amiodaron (500 mg langsam i.v. unter EKG-Kontrolle) infrage. Die VT-Dauertherapie ist schwierig. Die Metaanalyse einer Vielzahl klinischer Studien erbrachte, dass Amiodaron der Arzneistoff der Wahl ist, um VT und plötzlichen Herztod nach MI zu verhindern. Als Alternative kommt ein implantierbares Defibrillatorsystem infrage. Entscheidend ist die Behandlung der Grunderkrankungen (Hypertonie, KHK und CHF) sowie konsequente Meidung arrhythmogener Arznei
TdP (Spitzenumkehrtachykardie) sind eine Sonderform der VT und durch ein spindelförmiges Bild der Kammerkomplexe im EKG charakterisiert. TdP sind lebensbedrohlich und können über Kammerflimmern zum Kreislaufstillstand und Tod führen. Im Zentrum der TdP-Pathophysiologie steht der für die Repolarisation der Myokardzellen wichtige HERG-Kanal (. Abb. 17.1). Seine Blockade verzögert die Repolarisation. Dies führt zu Verlängerung der QT-Zeit im EKG. Verzögerte Repolarisation begünstigt pathologische Nachdepolarisationen und übermäßige Ausbreitung der Repolarisation, was TdP auslöst. QT-Zeiten > 500 ms erhöhen das TdP-Risiko. Zahlreiche Arzneistoffgruppen können HERG-Kanäle blockieren (. Tab. 17.2). Dazu gehören SCB, mGPCR-Antagonisten, NE/5-HT-Verstärker, bestimmte MOR- Agonisten, Makrolide, Fluorchinolone und Triazole. Hydrophobe Ringsysteme in Arzneistoffen dieser Gruppen interagieren mit hydrophoben Aminosäuren in der Pore des HERG-Kanals und blockieren dadurch den Kaliumausstrom. Besonders hoch ist die TdP-Gefahr, wenn Risikoarzneistoffe in hoher Dosis rasch i.v. verabreicht werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist die i.v.- Injektion des D2R-mGPCR-Antagonisten Haloperidol, der häufig und fehlindiziert zur „Sedation“ erregter und verwirrter geriatrischer Patienten appliziert wird (7 Kap. 29). Diese gefährliche Praxis hat zu etlichen Todesfällen geführt und ist zu unterlassen.
>>Die chemische Struktur von Arzneistoffen, nicht deren primärer Wirkmechanismus, bestimmt das Risiko für TdP.
272
Kapitel 17 · Arzneistoffe zur Behandlung von Arrhythmien und Arzneistoff-induzierte TdP
.. Tab. 17.2 Übersicht über wichtige Arzneistoffe, die TdP-Arrhythmien auslösen können Arzneistoffgruppe
Typischer Arzneistoff
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
H1R-Antagonisten
Terfenadin (erst viele Jahre nach Bekanntwerden des TdP-Risikos vom Markt genommen, nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste)
7 Kap. 7
5-HT3R-Antagonisten
Ondansetron
7 Kap. 6
mGPCR-Antagonisten
Haloperidol
7 Kap. 29
Fluorchinolone
Sparfloxacin und Grepafloxacin (nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste) wurden vom Markt genommen, aber grundsätzlich haben alle Arzneistoffe aus der Gruppe der Fluorchinolone ein TdP-Risiko
7 Kap. 32
Makrolide
Clarithromycin
7 Kap. 32
MOR-Agonisten
Methadon
7 Kap. 10
Pleiotrope Immunmodulatoren
Chloroquin
7 Kap. 11, 33
Pleiotrope IonenkanalBlocker
Amiodaron
7 Kap. 2, 21
SSRI
Citalopram
7 Kap. 28
Triazole
Fluconazol
7 Kap. 34
Das Risiko für eine TdP-Auslösung der hier aufgeführten Arzneistoffe ist gesichert. Nur ein kleinerer Teil dieser Arzneistoffe wurde deswegen auch vom Markt genommen. Umso wichtiger ist es, bei der Anwendung von Problemarzneistoffen vorab eine genaue Risikoanalyse für die Auslösung von TdP durchzuführen. Arzneistoffe aus ganz unterschiedlichen Gruppen und Indikationsgebieten können TdP auslösen. Es kann jede Arztgruppe „treffen“
Entscheidend ist die TdP-Vermeidung. Dazu müssen Risikofaktoren wie eine Hypomagnesiämie und Hypokaliämie erkannt werden, die TdP begünstigen (. Abb. 17.1). Eine Therapie mit NCC- oder NKCC-Inhibitoren begünstigt eine Hypokaliämie, wenn sie nicht mit ACE- Inhibitoren, AT1R-Antagonisten oder MCR-Antagonisten kombiniert wird (7 Kap. 12, 15 und 16). Essstörungen sowie GI-Erkrankungen, die mit Erbrechen und Diarrhoe einhergehen, können ebenso wie PPI-Dauertherapie eine Hypokaliämie fördern (7 Kap. 13). Eine Bradykardie, die z. B. bei einer Hypothyreose vorliegt (7 Kap. 21),
17
führt zur Verlängerung der QT- Zeit und fördert TdP. β1AR-Antagonisten oder HCN4-Kanal-Blocker können bei Bradykardie TdP auslösen. MI und CHF sind ebenso Risikofaktoren für TdP wie weibliches Geschlecht und hohes Lebensalter. Leberschäden und CKD können über eine verzögerte Elimination von auslösenden Arzneistoffen TdP hervorrufen. Viele TdP- auslösende Arzneistoffe werden über CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert. Daher kann eine Komedikation mit CYP3A4- oder CYP2D6-Inhibitoren das TdP-Risiko erhöhen (7 Kap. 2). Schließ
273 17.4 · Torsade-de-Pointes-Arrhythmien: Ursachen, Vermeidung und…
lich erhöhen genetische Faktoren die TdP- Wahrscheinlichkeit. Zum einen gibt es CYP-Polymorphismen, die mit erniedrigter Aktivität und damit verringerter Arzneistoffelimination einhergehen (Slow Metabolizer). Zum anderen führen Mutationen in verschiedenen Ionenkanälen, u. a. in HERG- Kanälen, zu hereditärem Long-QT-Syndrom. TdP manifestieren sich klinisch wie VT und werden im EKG gesichert. Der TdP- auslösende Arzneistoff muss sofort abgesetzt werden. Durch Infusion von Magnesiumsulfat und Korrektur von Hypokaliämie können TdP eventuell unterbrochen werden. Ultima ratio ist die Kardioversion. >>Jeder Arzt jedweder Fachrichtung trägt große Verantwortung dafür, Arzneistoff-induzierte TdP zu verhindern. Am wichtigsten dafür ist die Vermeidung einer schnellen i.v.-Injektion kritischer Arzneistoffe.
Dazu gehört außerdem die Überprüfung der in . Abb. 17.1 dargestellten TdP- Risikofaktoren.
>>Durch den unkritischen Einsatz des TdP-auslösenden Arzneistoffs Chloroquin bei COVID-19 (7 Kap. 33) hat es etliche vermeidbare Todesfälle gegeben.
Fallbeispiel
Einem 88-jährigen Patienten mit Alzheimer-Demenz wird wegen akuter Verwirrung vom Stationsarzt auf der gerontopsychiatrischen Abteilung 5 mg Haloperidol i.v. injiziert. Plötzlich wird der Patient blass, kaltschweißig und stark somnolent. Der BD ist nicht mehr genau messbar und der Puls ist sehr unregelmäßig und extrem schwach. Der eilig hinzugezogene Kardiologe fertigt ein EKG an und diagnostiziert TdP. Durch eine sofort durchgeführte Kardioversion wird ein Sinusrhythmus hergestellt. Der Patient gewinnt an Gesichtsfarbe und wird wieder ansprechbar. Der BD beträgt 110/60 mmHg, die HF 80/min.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Wie hätte diese lebensbedrohliche TdP vermieden werden können? 2. Welche anderen Patientengruppen außer älteren Patienten haben ein erhöhtes Risiko für TdP? Lösungen 7 Kap. 37
17
275
Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen Inhaltsverzeichnis 18.1
athophysiologie thromboembolischer Erkrankungen P und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 276
18.2
UFH, NMH und Heparinoide – 282
18.3
VKA – 282
18.4
Faktor-Xa-Inhibitoren und Thrombin-Inhibitoren – 284
18.5
Gewebeplasminogen-Aktivatoren – 285
18.6
athophysiologie der Thrombozytenaggregation und P pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 286
18.7
I rreversible COX-Inhibitoren und irreversible P2Y12R-Antagonisten – 287
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_18
18
276
Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
Thromboembolien entstehen, wenn der Blutfluss reduziert, das Endothel verletzt und/ oder die Blutkoagulabilität gesteigert ist oder Blut in Kontakt mit Fremdmaterial kommt. COX-2-Inhibitoren, ER-Agonisten, EPOR-Agonisten und bestimmte Tumortherapeutika können Thromboembolien begünstigen. Ziel ist es, Thromboembolien zu verhindern bzw. Thromben aufzulösen. Arzneistoffe zur Behandlung von Thromboembolien können Blutungen und Anämie hervorrufen. UFH hemmen den Faktor Xa und Thrombin über eine Komplexbildung mit Antithrombin II; NMH und Heparinoide hemmen nur den Faktor Xa. Heparine und Heparinoide werden in vielen Akutsituationen eingesetzt, z. B. zur Thromboseprophylaxe bei Operationen. VKA hemmen die Carboxylierung verschiedener Gerinnungsfaktoren und werden in der Dauertherapie, z. B. zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF, eingesetzt. VKA haben zahlreiche UAW und Arzneistoffinteraktionen, sind aber sehr preiswert. Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren umfassen Indikationsgebiete der Heparine und Heparinoide sowie VKA. Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren haben weniger UAW und Interaktionen als VKA, sind aber viel teurer. Auch ist ihre Überlegenheit gegenüber VKA nicht gesichert. Plasminogen-Aktivatoren werden in der Akuttherapie des MI und nicht-hämorrhagischen Schlaganfalls eingesetzt. ASS in niedriger Dosierung (ca. 100 mg/Tag) hemmt die Thrombozytenaggregation über eine irreversible Hemmung der über COX-1 katalysierten TXA2-Bildung; Clopidogrel über irreversible Bindung an P2Y12R. Beide Arzneistoffe werden in der Sekundärprophylaxe des MI und Schlaganfalls eingesetzt.
18
Merksätze 55 UFH und NMH haben ein ähnliches Indikationsspektrum, aber NMH sind einfacher anzuwenden und haben ein geringeres HIT-Risiko. 55 Fondaparinux ist ein synthetisches Heparinoid ohne HIT-Risiko. 55 Protamin ist ein Antidot für UFH.
55 Bei regelmäßiger INR-Kontrolle und Vermeidung von Nahrungsmittel- und Arzneistoffinteraktionen sind VKA zur Thromboembolieprophylaxe geeignet. 55 Unter VKA-Therapie kann ASS schwere Blutungen verursachen. 55 Bei Vorliegen von Kontraindikationen für VKA oder UAW werden Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitoren eingesetzt. 55 Faktor Xa- und Thrombin-Inhibitoren haben weniger UAW und Interaktionen als VKA, sind aber sehr viel teurer. 55 Bei lebensbedrohlichen Blutungen unter VKA oder Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitoren werden Gerinnungsfaktorkonzentrate eingesetzt. 55 Für eine gute Wirkung der Plasminogen-Aktivatoren bei Schlaganfall und MI ist eine kurze Latenz zwischen Einsetzen der Symptome und Therapiebeginn entscheidend. 55 ASS (low dose) und Clopidogrel sind zur MI-Sekundärprophylaxe geeignet. 55 Bei Kombination von ASS mit Clopidogrel ist das Blutungsrisiko erhöht.
18.1 Pathophysiologie
thromboembolischer Erkrankungen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Unter physiologischen Bedingungen stehen Blutgerinnung sowie Fibrinolyse im Gleichgewicht, sodass das Blut in den Gefäßen fließt und die O2-Versorgung der Organe sichergestellt ist. . Abb. 18.1 zeigt eine Übersicht über die Blutgerinnung und Fibrinolyse sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. In . Tab. 18.1 sind die wichtigsten Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen zusammengefasst. Schlüsselenzym der Fibrinbildung ist der Faktor Xa. Er wird über das intrinsische und extrinsische System aktiviert. Der Faktor Xa wandelt Prothrombin in die aktive
18
277 18.1 · Pathophysiologie thromboembolischer Erkrankungen und …
Extrinsisches System
X
Xa
P2Y12 R- + ASS Antagonisten (low dose )
Blutungen
Intrinsisches System
Protamin
Heparinoide UFH ATIII NMH
UFH
COX-2ADP Inhibitoren
Thrombosen Gefäßverschluss
AT III
Thrombin
Faktor-XaInhibitoren Hepatische ProthrombinSynthese
Thrombus
Fibrinogen
Lösliche Fibrinspaltprodukte
Fibrin Blutungen ThrombinInhibitoren
VKA
Thrombozyten
HIT
Prothrombin
Plasmin
Andexanet
Blutungen
TXA 2
Faktor II, IX+XKonzentrat (sofort)
GewebeplasminogenAktivatoren
Blutungen Plasminogen
Vitamin K (verzögert)
Idarucizumab
Blutungen
.. Abb. 18.1 Regulation der Blutgerinnung und Fibrinolyse sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. X, inaktive Faktor-X-Vorstufe; Xa, aktivierter Faktor-X; HIT, Heparin-induzierte Thrombopenie; ATIII, Antithrombin III
Protease Thrombin um. Die Biosynthese von Prothrombin (und anderer Gerinnungsfaktoren) erfolgt in der Leber und erfordert eine Vitamin-K-abhängige Carboxylierung. Thrombin katalysiert die Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin und bewirkt dadurch den Gefäßverschluss. Auch Thrombozyten spielen beim Gefäßverschluss eine wichtige Rolle (7 Abschn. 18.6). Bei Verstärkung der Blutgerinnung in Relation zur Fibrinolyse kommt es zu thromboembolischen Erkrankungen. Dazu gehören Schlaganfall, MI (7 Kap. 16), PAVK (periphere arterielle Verschlusserkrankung) sowie tiefe Beinvenenthrombosen mit konsekutiver Lungenarterienembolie. Die 10 wichtigsten Risikofaktoren für Thromboembolie sind: 1. Reduzierter Blutfluss z. B. bei Immobilisierung nach Operationen bzw. VHF (7 Kap. 17), 2. CHF (7 Kap. 16),
3. Veneninsuffizienz, 4. Tumorerkrankungen (7 Kap. 31), 5. Endothelschäden, z. B. nach Trauma, postoperativ oder infolge von Tabakkonsum (7 Kap. 9 und 22), 6. Ruptur arteriosklerotischer Plaques (7 Kap. 22), 7. gesteigerte Koagulabilität z. B. unter EPOR-Agonist-Therapie (7 Kap. 12), 8. Hyperthyreose (7 Kap. 21) und 9. Kontakt von Blut mit Fremdmaterialien (z. B. Dialysemembranen, extrakorporale Zirkulation, künstliche Herzklappen, Gefäßprothesen). 10. Auch Arzneistoffe können thromboembolische Erkrankungen begünstigen. Dazu gehören ER-Agonisten (7 Kap. 24), SERM (7 Kap. 20, 24 und 31), COX-2-Inhibitoren (7 Kap. 10), NCC- Inhibitoren (7 Kap. 11, 15 und 16), SGLT-2-Inhibitoren (7 Kap. 19) sowie
18
Arzneistoffgruppe
GewebeplasminogenAktivator
Irreversibler COXInhibitor
P2Y12R-Antagonist
Thrombin-Inhibitor
Arzneistoff
Alteplase
ASS
Clopidogrel
Dabigatran Direkte reversible Hemmung von Thrombin, Hemmung der Blutgerinnung; Antidot Idarucizumab; in Notfällen Konzentrate der Faktoren II, IX, X
Irreversible Hemmung des P2Y12R in den Thrombozyten durch aktiven Metaboliten (über CYP2C19 und Hydrolyse). Hemmung der Thrombozytenaggregation durch Aufhebung der Wirkung von ADP
Irreversible Hemmung der COX-1 in den Thrombozyten. Durch selektive Hemmung der TXA2-Synthese wird die Thrombozytenaggregation gehemmt
Aktivierung von Plasmin, Auflösung von Thromben/ Emboli durch Fibrinolyse
Wichtige Wirkungen
Kurzzeitprophylaxe/ Langzeitprophylaxe und Therapie TVT, LAE, VHF
Sekundärprophylaxe von MI und Schlaganfall, Thromboseprophylaxe nach Stent-Implantation, PAVK
Sekundärprophylaxe von MI und Schlaganfall in niedriger Dosierung (low dose, ca. 100 mg/Tag), Thromboseprophylaxe nach Stent-Implantation
Akuter MI wenn PTCA nicht möglich ist, akuter nicht-hämorrhagischer Schlaganfall
Wichtige Indikationen
Blutungen; insgesamt weniger UAW und Interaktionen als mit Phenprocoumon, aber derzeit deutlich höhere Therapiekosten (ca. Faktor 8–10)
Verlängerte Blutungszeit nach kleinen Verletzungen (z. B. Rasur) und größeren Verletzungen, innere Blutungen, Anämie; Wirkung hält bis zu 7 Tagen an
Verlängerte Blutungszeit nach kleinen Verletzungen (z. B. Rasur) und größeren Verletzungen, innere Blutungen, besonders GI-Trakt, Anämie; Wirkung hält bis zu 7 Tagen an; sehr preiswert, auch Kombination mit Clopidogrel
Intrakranielle Blutungen (2–8 %), extrakranielle Blutungen (0,4–1,5 %); sorgfältige Beachtung der Ein- und Ausschlusskriterien
Wichtige UAW
.. Tab. 18.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
7 Kap. 4
7 Kap. 2
7 Kap. 10
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
278 Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
NMH
Heparinoid
UFH
Enoxaparin
Fondaparinux
Heparin Hochmolekulares Heparin (mittlere Kettenlänge 40–50 Zuckerreste), das über Komplexbildung mit Antithrombin-III sowohl Thrombin (Faktor IIa) als auch Faktor Xa reversibel inaktiviert. Hemmung der Blutgerinnung; Protamin ist Antidot
Synthetisches Heparinoid bestehend aus 5 Zuckerresten, Komplexbildung mit Antithrombin-III und darüber reversible Inaktivierung von Faktor Xa. Hemmung der Blutgerinnung; Protamin ist kein Antidot
Mittlere Kettenlänge 13–22 Zuckerreste, Komplexbildung mit Antithrombin-III und darüber reversible Inaktivierung von Faktor Xa. Hemmung der Blutgerinnung; Protamin ist kein Antidot
Kurzzeitprophylaxe/ Langzeitprophylaxe und Therapie TVT und LAE, ACS, MI, PTCA, EK; Hämodialyse. Applikation nicht optimal (2–3 × täglich)
Wie UFH und NMH
Wie UFH, aber bessere Steuerbarkeit (1–2 × tägliche Gabe) als UFH
Allergie, Hämatome, Blutungsrisiko, Anämie, Hautnekrosen, bei Dauergabe reversibler Haarausfall und Osteoporose, in 2–3 % HIT (kann zu Thromboembolie oder Spontanblutungen führen)
Wie UFH und NMH, aber KEIN HIT-Risiko
Wie UFH, aber deutlich geringeres Risiko (< 0,1 %) für HIT
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 3, 4, 20
7 Kap. 3, 4, 20
18.1 · Pathophysiologie thromboembolischer Erkrankungen und … 279
18
18
VKA
Faktor-Xa-Inhibitor
Phenprocoumon
Rivaroxaban Direkte reversible Hemmung von Faktor Xa, Hemmung der Blutgerinnung; Antidot Andexanet; in Notfällen Konzentrate der Faktoren II, IX, X
Hemmung der Carboxylierung und damit Funktion der Faktoren II, VII, IX und X. Hemmung der Blutgerinnung; Antidot ist Vitamin K (verzögerter Wirkungseintritt) bzw. Konzentrate der Faktoren II, IX, X (sofortige Wirkung)
Wichtige Wirkungen
Ähnlich wie Dabigatran, zusätzlich ACS/MI und PTCA
Langzeitprophylaxe von TVT, LAE, VHF und KI
Wichtige Indikationen
Blutungen; insgesamt weniger UAW und Interaktionen als mit Phenprocoumon, aber derzeit deutlich höhere Therapiekosten (ca. Faktor 10–20)
Blutungen (besonders gefährlich in Kombination mit ASS!), Anämie, Hämatome, Nekrosen der Haut, Osteoporose, Teratogenität, Haarausfall, Allergie, Thrombosen. Phenprocoumon wird über CYP3A4 und CYP2C9 metabolisiert; daher Risiko für Interaktionen mit CYP-Induktoren (Thrombosen) oder CYPInhibitoren (Blutungen); sehr preiswert, Jahrestherapiekosten momentan ca. € 70 pro Patient
Wichtige UAW
7 Kap. 4
7 Kap. 2, 4, 17, 20
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
TVT, tiefe Beinvenenthrombose; LAE, Lungenarterienembolie; ACS, akutes Koronarsyndrom; EK, extrakorporaler Kreislauf; VHF und damit Schlaganfallprophylaxe, KI, Klappenimplantate; PAVK, periphere arterielle Verschlusserkrankung; HIT, Heparin-induzierte Thrombopenie
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 18.1 (Fortsetzung)
280 Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
18
281 18.1 · Pathophysiologie thromboembolischer Erkrankungen und …
antiangionetisch wirkende Arzneistoffe (7 Kap. 31). Thromboembolische Erkrankungen sind sehr häufig und damit auch ein großes Geschäftsfeld für die pharmazeutische Industrie. Da es sich um chronische Erkrankungen handelt, entstehen hohe Kosten für das Gesundheitssystem. Die Faktor-Xa-Inhibitoren haben durch geschicktes Marketing der pharmazeutischen Industrie die VKA inzwischen hinsichtlich der Verordnungszahlen sehr deutlich überholt, obwohl dies medizinisch nicht gerechtfertigt erscheint. Pro Jahr sterben in Deutschland mehr als 50.000 Menschen an MI und mehr als 70.000 an Schlaganfall. In der EU sterben pro Jahr ca. 370.000 Menschen an Lungenarterienembolie. Daher hat die rationale Therapie von Blutgerinnungsstörungen große pharmakoökonomische Bedeutung. Zur Bestimmung des Schlaganfallrisikos bei VHF werden Risk Scores ermittelt, in die CHF (7 Kap. 16), Hypertonie (7 Kap. 15), Lebensalter, Geschlecht, durchgemachte Schlaganfälle oder transitorisch- ischämische Attacken, KHK (7 Kap. 16) und Arteriosklerose (7 Kap. 22) eingehen. Auf der Basis dieser Risk Scores erfolgt dann die Entscheidung für oder gegen eine antikoagulatorische Therapie. Das Risiko für Blutungen unter Therapie muss dabei deutlich geringer sein als das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis ohne Therapie. Es gibt etliche Eingriffsmöglichkeiten, um das Gleichgewicht zwischen Blutgerinnung und Fibrinolyse pharmakologisch zu beeinflussen. Grundsätzlich kann jeder Arzneistoff zur Behandlung thromboembolischer Erkrankungen Blutungen (von verlängerter Blutungszeit bei Rasurverletzungen bis hin zu unter Umständen lebensbedrohlichen Blutungen) sowie Anämie auslösen (. Abb. 18.1). Deshalb ist es wichtig, die Arzneistoffe genau zu dosieren, die Therapie
genau zu überwachen und Kontraindikationen und Interaktionen zu beachten. Unter Therapie mit SSRI und SSNRI (7 Kap. 28) und bestimmten antibakteriellen Arzneistoffen (z. B. Fluorchinolone, Amoxicillin + Clavulansäure, 7 Kap. 32) kann die Blutungsneigung erhöht sein. Ebenso ist sie bei Lebererkrankungen, CKD, Tumorerkrankungen, Sepsis und Hypothyreose verstärkt. Heparine binden an Antithrombin III und bilden mit dem Faktor Xa – im Falle der UFH auch mit Thrombin – einen Komplex, wodurch diese Gerinnungsfaktoren funktionell inaktiviert werden. VKA hemmen in der Leber die Vitamin-K-Epoxidreduktase, wodurch die Carboxylierung der Faktoren II (Thrombin), VII, IX und X gehemmt wird. Andere Arzneistoffe hemmen Faktor-Xa oder Thrombin. Die Auflösung von Fibringerinnseln kann durch Gewebeplasminogen-Aktivatoren bewirkt werden. Schließlich kann man sehr effektiv auf der Ebene der Thrombozyten thromboembolische Prozesse beeinflussen. ASS in niedriger Dosierung hemmt selektiv und irreversibel die Synthese des aggregierend wirkenden TXA2 und P2Y12R-Antagonisten hemmen irreversibel die Funktion des ebenfalls aggregierend wirkenden ADP. Da beide Arzneistoffgruppen irreversibel wirken, dauert die Wirkung so lange an, bis wieder neue Thrombozyten nachgebildet wurden (ca. 7 Tage). In der Therapie thromboembolischer Erkrankungen gilt folgende einfache Grundregel:
>>Reduziert man durch die Arzneitherapie das Risiko für thromoboembolische Komplikationen, so erhöht man parallel dazu auch das Risiko für Blutungen.
Man kann diese beiden Aspekte nicht voneinander trennen. Demzufolge gilt es, für jeden Patienten einen vernünftigen Kompromiss zu finden.
282
Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
18.2 UFH, NMH und Heparinoide
Heparine sind polyanionisch und bestehen aus einem Gemisch sulfatierter Glykosaminoglykane. UFH besitzen eine mittlere Kettenlänge von 40–50 Zuckerresten, NMH eine mittlere Kettenlänge von 13–22 Zuckerresten. Enoxaparin ist der NMH-Prototyp. Es gehört zu den umsatzstärksten Arzneistoffen in Deutschland. Heparine bilden mit Antithrombin III einen Komplex, der an den Faktor Xa bindet und ihn inaktiviert. Im Falle der UFH wird zusätzlich auch Thrombin inaktiviert. UFH und NMH werden wegen ihres hohen Molekulargewichts und ihrer negativen Ladung nach p.o.-Gabe nicht resorbiert (7 Kap. 2), sondern müssen i. v. oder s.c. gegeben werden.
>> Die in der Praxis häufig durchgeführte Anwendung von Heparinsalben und Heparingels bei Hämatomen (z. B. im Rahmen von Distorsionen) ist wirkungslos, da der Arzneistoff wegen seiner hohen Polarität und seines hohen Molekulargewichtes nicht resorbiert wird. Es ist erstaunlich, dass dieses Basiswissen der Pharmakokinetik (7 Kap. 2) noch immer nicht in der Praxis umgesetzt wird.
18
Somit gehören Heparinsalben und Heparin gels zur Arzneistoffgruppe der Pseudoplacebos. UFH müssen häufiger (mindestens 2- bis 3-mal täglich) als NMH (1- bis 2-mal täglich) appliziert werden. Bei UFH erfolgt die Therapiekontrolle mit der partiellen Thromboplastinzeit, bei NMH ist keine Kontrolle notwendig. Heparine werden zur Prophylaxe und Therapie zahlreicher thromboembolischer Erkrankungen, insbesondere tiefer Beinvenenthrombose, Lungenarterienembolie und ACS sowie bei extrakorporalem Kreislauf verwendet. Bei Überdosierung kann es zu Blutungen kommen. Die Wirkung von UFH (nicht jedoch NMH) wird durch Bindung an positiv geladenes Protamin innerhalb von Minuten aufgehoben (7 Kap. 4). UFH besitzt eine kürzere Plasma-HWZ (2 Stunden) als NMH (3–7 Stunden). Heparine werden überwiegend renal eliminiert. Bei
UFH muss bei einer CKD eine Dosisanpassung entsprechend der partiellen Thromboplastinzeit erfolgen; bei einer schweren CKD wird die Dosis bei NMH entsprechend der Faktor-Xa-Aktivität angepasst (7 Kap. 12).
>>Da Heparine wegen ihrer hohen Polarität und ihres hohen Molekulargewichtes nicht die Plazentaschranke überwinden, stellen sie in der Schwangerschaft die Alternative zu den wegen ihrer Teratogenität kontraindizierten VKA dar.
Heparine können allergische Reaktionen, Hämatome, Blutungen, Anämie, Leberschäden, Hautnekrosen, Osteoporose (7 Kap. 20) und Haarausfall hervorrufen. Eine wichtige UAW ist die Heparin- induzierte Thrombopenie (HIT). Bei UFH ist HIT sehr viel häufiger als bei NMH (2–3 % versus < 0,1 %). HIT manifestiert sich nach ca. 5–14 Tagen. Es bilden sich Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin und dem Plättchenfaktor 4. Die Antikörper binden an diesen Komplex und an Thrombozyten, die sie dadurch aktivieren. Die Thrombozytenkonzentration fällt dramatisch und steigt unter einer weitergehenden Therapie nicht wieder an. Die Hauptgefahr von HIT besteht darin, dass viele der davon betroffenen Patienten eine tiefe Beinvenenthrombose, Lungenarterienembolie oder Verbrauchskoagulopathie mit Spontanblutungen erleiden. Multiorganversagen ist möglich; die Letalität liegt bei 30 %. Da die Immundiagnostik zu lange dauert und HIT lebensbedrohlich ist, muss Heparin bei Verdacht auf HIT sofort abgesetzt und gegen ein Heparinoid (Prototyp Fondaparinux) ausgetauscht werden. Fondaparinux hemmt ebenso wie NMH Faktor Xa, besitzt aber kein HIT-Risiko.
18.3 VKA
VKA sind seit Jahrzehnten bewährte Antikoagulanzien. Phenprocoumon ist der VKA-Prototyp. In angelsächsischen Ländern wird vor allem Warfarin (nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste) als VKA eingesetzt. Hauptindikationsgebiet der VKA
18
283 18.3 · VKA
ist die Langzeitprophylaxe von tiefen Venenthrombosen und Lungenarterienembolien sowie die Prophylaxe von Schlaganfall bei VHF und Herzklappenimplantaten. Da die VKA-Wirkung darauf beruht, dass eine kovalente Proteinmodifikation unterbunden wird, dauert es bis zum vollständigen Wirkungseintritt nach Therapiebeginn 5–7 Tage und entsprechend 5–7 Tage bis zum Wirkungsverlust nach Absetzen. In aller Regel wird eine VKA-Therapie unter Heparinschutz begonnen. Es erfolgt eine Aufsättigung über 3–4 Tage, ehe mit einer fixen Tagesdosis weiter behandelt wird, die von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ist. Dies liegt u. a. daran, dass Phenprocoumon über CYP3A4 und CYP2C9 metabolisiert wird und Polymorphismen von CYP2C9 (Slow Metabolizer oder Fast Metabolizer) die VKA-Inaktivierung beeinflussen (7 Kap. 2). Die Überprüfung einer VKA-Therapie erfolgt durch eine INR-Bestimmung. Bei VHF, tiefer Beinvenenthrombose und Lungenarterienembolie ist der INR-Zielbereich 2,0–3,0, bei mechanischen Herzklappen zwischen 2,5–3,5. Bei diesen Indikationen haben VKA einen nachgewiesenen Nutzen. Für den Therapieerfolg entscheidend sind neben der INR-Kontrolle eine gute Adhärenz und die Vermeidung von Interferenzen mit anderen Arzneistoffen sowie Nahrungsmitteln.
>>Inzwischen stehen auch einfach handzuhabende Geräte zur Bestimmung des INR-Wertes durch den Patienten zur Verfügung (Selbstmanagement).
Dadurch lässt sich die Sicherheit und Wirksamkeit einer VKA-Therapie weiter erhöhen. Außerdem wird der Patient darin geschult, selbst Verantwortung für eine sichere und effektive Pharmakotherapie zu übernehmen. Er wird dadurch zum Partner des Arztes und übernimmt aktiv Verantwortung für seine Gesundheit. >>Die VKA sind leider auch ein Beispiel für die subtile und oft unbemerkte Unterwan-
derung medizinischen Sprachgebrauchs durch Industrie-Interessen:
Marcumar® ist eine gängige Arzneimittelspezialität, die den Arzneistoff Phenprocuomon enthält. Im klinischen Sprachgebrauch wird jedoch Marcumar® mit Phenprocuomon gleichgesetzt, obwohl es Generika gibt. Noch problematischer ist der Begriff „einen Patienten marcumarisieren®“. Wissenschaftlich korrekt und frei von Industriekonflikten muss es heißen „einen Patienten mit Phenprocuomon einstellen“. VKA haben eine exzellente Bioverfügbarkeit mit einer Eliminations-HWZ von 5–7 Tagen. Wegen der Metabolisierung über CYP3A4 und CYP2C9 können bei Komedikation mit CYP hemmenden oder induzierenden Arzneistoffen Interaktionen auftreten. Carbamazepin, Phenobarbital und Phenytoin (7 Kap. 25), RMP (7 Kap. 32) und Johanniskrautbestandteile (7 Kap. 28) sind starke CYP-Induktoren und schwächen daher die VKA-Wirkung ab. Eine Komedikation mit diesen Arzneistoffen sollte möglichst vermieden werden bzw. nur unter sehr genauer INR-Kontrolle angewendet werden. Triazole (7 Kap. 34), Makrolide (7 Kap. 32), Amiodaron (7 Kap. 17), Protease-Inhibitoren (7 Kap. 33) sowie Ciclosporin und Tacrolimus (7 Kap. 11) sind CYP3A4-Inhibitoren und verstärken das Blutungsrisiko unter VKA-Therapie. Gleiches gilt für CYP2C9-Inhibitoren wie PPI (7 Kap. 13), PCB (7 Kap. 19), XO-Inhibitoren (7 Kap. 23) sowie PPAR-α-Agonisten (7 Kap. 22). Auch „gesunde“ Nahrungsmittel können die Wirkungen von VKA modulieren. So reduzieren Vitamin-K-reiche Gemüsesorten wie Grünkohl, Spinat, Schnittlauch, Kichererbsen, Fenchel und Rosenkohl VKA-Wirkungen und erhöhen das Thromboserisiko. Umgekehrt können Waldmeister und Gojibeeren durch CYP-Hemmung das Blutungsrisiko unter VKA-Therapie erhöhen.
284
Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
>>VKA sind plazentagängig und wegen ihrer Teratogenität in der Schwangerschaft kontraindiziert.
VKA können selten (ca. 0,1 %) Hautnekrosen hervorrufen, darüber hinaus Blutungen, Anämie, Leberschäden, Haarausfall, Allergien und Osteoporose (7 Kap. 20).
18.4 Faktor-Xa-Inhibitoren und
Thrombin-Inhibitoren
18
Die VKA-Therapie ist nicht immer einfach und sicher durchzuführen, besonders bei einer Polymedikation oder problematischer Adhärenz. Darüber hinaus besitzen VKA gravierende UAW. Schließlich stellt die lange Wirkdauer der VKA in Notfallsituationen (vor allem Verletzungen mit schweren Blutungen) oder vor Operationen häufig ein praktisches Problem dar. Das waren Gründe für die Entwicklung von Arzneistoffen, die diese Nachteile nicht besitzen. Das Resultat sind die reversibel wirkenden Faktor-Xa-Inhibitoren (Prototyp Rivaroxaban) oder Thrombin-Inhibitoren (Prototyp Dabigatran). Grundsätzlich kann es bei Übderdosierung dieser Arzneistoffgruppen wie bei allen anderen die Blutgerinnung beeinflussenden Arzneistoffgruppen zu Blutungen und Anämie kommen. Die Indikationsgebiete der Faktor-Xa- und Thrombin- Inhibitoren ähnelt den Indikationen der VKA. Zusätzlich können Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren zur Kurzzeitprophylaxe und Therapie der tiefen Beinvenenthrombose sowie der Lungenarterienembolie eingesetzt werden. Rivaroxaban wird auch zur ACSBehandlung verwendet. Derzeit wird kon trovers diskutiert, inwiefern Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren bei VHF Vorteile gegenüber VKA in Bezug auf UAW und Wirksamkeit besitzen. Dabei ist ein wichtiger Aspekt, ob die zurzeit sehr hohen Kosten, die durch eine Dauertherapie mit Fakotor-Xaoder Thrombin-Inhibitoren im Vergleich zu
VKA entstehen, in adäquater Relation zum therapeutischen Fortschritt stehen. Wenn ein Patient mit einem VKA gut eingestellt ist, besteht keine Notwendigkeit zur Umstellung auf einen Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitor. Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren haben eine kürzere Plasma-HWZ (ca. 10–14 Stunden) als VKA. Da erstere Arzneistoffe im Gegensatz zu den VKA Zielproteine reversibel hemmen, ist die Therapie besser zu steuern. Die Kehrseite dieses Vorteils ist, dass bei fehlender Adhärenz oder verringerter Resorption (z. B. im Rahmen einer Diarrhoe), die Wirksamkeit der Faktor-Xa- und Trombin-Inhibitoren reduziert sein kann und rascher als bei VKA (geringere Schwankungen in der Wirkung bedingt durch den Wirkmechanismus) thromboembolische Ereignisse auftreten können. Dies hat zu kontroversen Diskussionen darüber geführt, ob die Faktor-Xa- und Thrombin- Inhibitoren unter Real-World-Bedingungen den VKA tatsächlich überlegen sind, wie es gerne von der Industrie behauptet wird. >>Unter Real-World-Bedingungen ist die Adhärenz oft geringer als in klinischen Studien. Das kann zu einer verminderten Wirksamkeit von Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren und „unerwarteten“ thromboembolischen Ereignissen führen.
Wegen des Wirkmechanismus ist die Wirkung von VKA gegenüber Einnahmefehlern, Adhärenzproblemen und Resorptionsstörungen weniger anfällig als die Wirkung von Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren. Dabigatran ist kein CYP-Substrat und wird unverändert renal eliminiert. Bei leichterer CKD muss die Dosis angepasst werden; bei schwerer CKD ist Dabigatran kontraindiziert (7 Kap. 12). Rivaroxaban ist Substrat für CYP3A4. Inaktive Metabolite werden renal eliminiert. Insgesamt haben Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren ein geringeres Interaktionspotential als VKA. Auch typische VKA-UAW wie
18
285 18.5 · G ewebeplasminogen-Aktivatoren
Hautnekrosen, Haarausfall und Osteo porose besitzen die Faktor-Xa- und Thrombin- Inhibitoren nicht. Ein klarer Nachteil der Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren im Vergleich zu den VKA ist, dass es keinen für den Patienten einfach anwendbaren Test gibt, die Therapieeinstellung zu überprüfen. Für den Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban steht mit Andexanet ein Antidot zur Verfügung, welches als „Rezeptorattrappe“ den Arzneistoff bindet. Bei Überdosierung von Dabigatran kann ein monoklonaler Antikörper (Idarucizumab), der den Arzneistoff bindet, als Antidot eingesetzt werden. Schwere akute Blutungen unter einer Therapie mit Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitoren müssen mit Gerinnungsfaktorkonzentraten behandelt werden. >> Die Faktor-Xa-Inhibitoren und Thrombin-Inhibitoren werden auch unter dem Begriff „Neue orale Antikoagulanzien (NOAK)“ zusammengefasst. Dieser Begriff sollte aus zwei Gründen vermieden werden: 1. Die Arzneistoffgruppen sind keineswegs mehr „neu“. Die ersten Arzneistoffe wurden vor über 10 Jahren eingeführt. 2. Der Begriff „neu“ suggeriert „besser“ oder „wirksamer“ im Vergleich zu VKA. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Ebenso problematisch ist der Begriff „direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)“ in Abgrenzung zu den VKA. Auch der Begriff „direkt“ soll Überlegenheit suggerieren. Die VKA werden aber traditionell nicht als „indirekte orale Antikoagulanzien (IOAK)“ bezeichnet. Die Werbebegriffe NOAK und DOAK haben inzwischen dazu geführt, dass diese Arzneistoffgruppen viel häufiger verschrieben werden als die VKA, ohne dass dies wissenschftlich nachvollziehbar ist. >>Phenprocuomon bleibt somit der Goldstandard für die Langzeitprophylaxe thromboembolischer Erkrankungen.
18.5 Gewebeplasminogen-
Aktivatoren
Die unter 7 Abschn. 18.2 bis 18.4 besprochenen Arzneistoffgruppen haben zum Ziel, die Bildung bzw. das Wachstum von Thromben und Emboli zu vermeiden. Gewebeplasminogen-Aktivatoren hingegen lösen Thromben auf, die durch Vernetzung von Fibrin entstanden sind. Die Fibrinolyse wird durch Plasmin katalysiert. Plasmin entsteht aus Plasminogen durch Einwirkung des Gewebeplasminogen-Aktivators, der aus Endothelzellen freigesetzt wird. Alteplase ist ein rekombinant hergestellter Gewebeplasminogen-Aktivator, der bei MI eingesetzt, wenn eine PTCA nicht möglich ist. Weitere Einsatzgebiete sind Lungenarterienembolie sowie nicht-hämorrhagischer Schlaganfall. Entscheidend für den Therapieerfolg ist der rechtzeitige Beginn nach Eintreten des thromboembolischen Ereignisses. Die Applikation von Alteplase erfolgt i. v. oder besser gezielt intraarteriell, um die Wirkung auf das betroffene Gewebe zu fokussieren. Beim nicht-hämorrhagischen Schlaganfall sollte Alteplase spätestens 3 Stunden nach dem Ereignis appliziert werden. Vorher ist eine Reihe von diagnostischen Maßnahmen durchzuführen, da ein erhebliches Blutungsrisiko besteht (intrakranielle Blutungen 1,7–8,0 %; extrakranielle Blutungen 0,4–1,5 %). Insbesondere muss ausgeschlossen werden, dass eine intrakranielle Blutung vorliegt. Außerdem muss der BD unter 185/100 mmHg liegen (7 Kap. 15). Ebenso stellen Heparintherapie in den letzten 48 Stunden, VKA-Therapie mit einem INR-Wert ≥ 1,7 sowie Thrombopenie (≤ 100.000 Thrombozyten/μl) Kontraindikationen dar. Auch eine Hypoglykämie muss korrigiert werden.
286
Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
18.6 Pathophysiologie der
Thrombozytenaggregation und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
. Abb. 18.2 gibt einen Überblick über die Thrombozytenaktivierung sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Thrombozyten spielen in der Blutgerinnung und Thrombusbildung eine Schlüsselrolle. Sie exprimieren drei wichtige GPCR (PAR1, TPR, P2Y12R), die die Aggregation der Thrombozyten und damit Thrombusbildung auslösen. Der funktionelle Gegenspieler für diese Rezeptoren ist der IPR. Thrombin spaltet den N-Terminus von PAR1 ab, der dadurch irreversibel aktiviert wird. Es kommt zur Stimulation des Gq-PLC-Weges mit einer Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration. Calcium ist wichtig für
Prothrombin
Vasodilatation Thrombozytenaggregation
Autokriner Stimulus
COX-2Inhibitoren
TPR
PAR1
Gq
COX-1 AA ADP
Vasodilatation Thrombozytenaggregation
Gq
ASS low dose
PLC
18
P2Y12 R
Clopidogrel-Metabolit (irreversibel)
COX-2
IPR
(irreversibel)
PGI 2
Gs
[Ca 2+]i
AA
2
cAMP Tabakrauch
AC Fibrinogen-Rezeptor
Aggregation
Thrombozyt
Dyslipidämie
Vasokonstriktion Thrombozytenaggregation
CYP2C19
Clopidogrel (Prodrug)
PGI
Endothelzelle
Gi Autokriner Stimulus
Thrombin-Inhibitoren
Thrombin
Blutungsrisiko für ca. 7 Tage
TXA 2
die Aggregation und aktiviert die PLA2, die aus Phosphatidylcholin AA freisetzt (7 Kap. 10). AA ist Substrat für COX-1, die die TXA2-Synthese katalysiert. TXA2 wird aus Thrombozyten freigesetzt und stimuliert autokrin den TPR, worüber die durch Thrombin ausgelöste Signalkaskade verstärkt wird. Außerdem bewirkt TXA2 eine Vasokonstriktion, was die Hämostase unterstützt. Ein Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration bewirkt eine Freisetzung von ADP aus Speichervesikeln, das über P2Y12R autokrin Thrombozyten stimuliert. Der P2Y12R initiiert die verstärkte Expression des Rezeptors für Fibrinogen (Glykoprotein-IIb/IIIa), wodurch die Thrombusbildung weiter unterstützt wird. Im intakten Gefäß aggregieren Thrombozyten nicht. Ein wichtiger Faktor dafür ist das aus Endothelzellen freigesetzte PGI2. Es bindet in Thrombozyten an den IPR, der
Thromboembolien
HMG-CoAReduktaseInhibitoren
.. Abb. 18.2 Regulation der Thrombozytenaktivierung sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
18
287 18.7 · Irreversible COX-Inhibitoren und irreversible P2Y12R-Antagonisten
über den Gs-AC-Weg die Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration funktionell antagonisiert. Somit stehen in den Thrombozyten drei pro-aggregatorische GPCR einem anti-aggregatorischen GPCR gegenüber. Im Rahmen von Dyslipidämien und bei Tabakkonsum kommt es zu Endothelschädigung (7 Kap. 9 und 22) und damit zu einer Reduktion der PGI2-Synthese. PGI2 führt auch zu Vasodilatation. Bei Wegfall von PGI2 werden Thrombozytenaggregation und Vasokonstriktion verstärkt und dadurch Thromboembolien gefördert.
18.7 Irreversible COX-Inhibitoren
und irreversible P2Y12RAntagonisten
Für die pharmakologische Beeinflussung der Thrombozyten ist entscheidend, dass sie nicht mehr zur Proteinbiosynthese befähigt sind (. Abb. 18.2). Thrombozyten sind nur noch Zellfragmente. Die wichtigste, hochwirksame und preisgünstigste Eingriffsmöglichkeit in die Thrombozytenfunktion besteht darin, die für die TXA2-Synthese essentielle COX-1 mit ASS in niedriger Dosierung (ca. 100 mg/Tag) irreversibel zu hemmen. ASS acetyliert das katalytische Zentrum der COX-1 an einem Serinrest. Es überwiegt somit der aggregationshemmende und vasodilatierende Effekt von PGI2, der für die Prophylaxe bestimmter thromboembolischer Erkrankungen wertvoll ist. Prinzipiell kann ASS auch die für die PGI2-Synthese essentielle COX-2 in Endothelzellen hemmen, aber bei sehr niedriger Dosierung kommt dies nicht zum Tragen, weil Endothelzellen zur Proteinbiosynthese befähigt sind und die COX-2-Inaktivierung durch Enzymneusynthese kompensieren können. In höherer Dosierung von ASS (> 300 mg/Tag) kommt es nicht mehr zu ausschließlicher Hemmung der TXA2-Synthese, sondern gleichermaßen zur Hemmung der
PGI2-Synthese. Dadurch entfällt der Effekt von ASS auf die Prophylaxe thromboembolischer Erkrankungen. Es gilt also „weniger ist mehr“. ASS hat in der MI- und Schlaganfall-Sekundärprophylaxe, nicht jedoch in der Primärprophylaxe, eine nachgewiesene Wirkung. >>Nach Absetzen von ASS hält die Wirkung noch bis zu 7 Tagen an (7 Kap. 2). Dies kann zu einer verlängerten Blutungszeit bei Notfalloperationen führen.
In aller Regel kann dieses Problem jedoch durch eine sorgfältige Blutstillung gelöst werden. Die wichtigsten UAW der low-doseASS- Therapie sind eine verlängerte Blutungszeit nach Verletzungen sowie okkulte GI-Blutungen, die zu Anämie führen können. Daher sollte man bei Patienten unter low-dose-ASS-Therapie und bei ungeklärter Anämie endoskopisch und mit Stuhlhämoglobin- Teststreifen nach GI- Blutungen suchen. Das GI-Blutungsrisiko kann durch PPI gesenkt werden, aber bei einer Dauertherapie ist diese Arzneistoffgruppe problematisch (7 Kap. 13 und 20). Die Kombination von ASS (low dose) mit den ebenfalls langwirkenden VKA (7 Abschn. 18.3) ist wegen starker Blutungsgefahr sehr problematisch. Andere COX-Inhibitoren außer ASS beeinflussen ebenfalls die Thrombozytenaggregation, aber ihre Wirkungen sind nicht therapeutisch wertvoll oder sogar schädlich (. Abb. 18.2). Besonders deutlich wird dies am Beispiel der COX-2-Inhibitoren. Sie hemmen in therapeutischer Dosierung effektiv die PGI2-Synthese in Endothelzellen, aber nicht die über die COX-1 vermittelte TXA2-Synthese in den Thrombozyten. Daher wird unter Therapie mit COX-2-Inhibitoren das Gleichgewicht zwischen TXA2 und PGI2 in Richtung TXA2 verschoben und somit Thrombozytenaggregation und Vasokonstriktion gefördert. Klinisch äußert sich dies in vermehrten kardiovaskulären Ereignissen, weshalb COX
288
Kapitel 18 · Arzneistoffe zur Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen
2- Inhibitoren bei Patienten mit Zustand nach MI, Schlaganfall und Lungenembolie kontraindiziert sind (7 Kap. 10). Bei den in der Schmerz- und Entzündungstherapie sehr häufig angewendeten nicht-selektiven COX-Inhibitoren (Beispiele Ibuprofen und Diclofenac) wird die PGI2- und TXA2-Synthese gehemmt. Daraus kann eine Hemmung der Thrombozytenaggregation mit erhöhter Blutungsneigung resultieren, aber wegen der ebenfalls gehemmten PGI2-Synthese in Endothelzellen ergibt sich keine protektive Wirkung in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse. Eine weitere Eingriffsmöglichkeit in die Thrombozytenfunktion besteht darin, den pro-aggregatorisch wirkenden P2Y12R zu antagonisieren. Prototyp der P2Y12R- Antagonisten ist Clopidogrel. Es ist ein Prodrug, welches in der Leber über CYP2C19 und anschließende Hydrolyse aktiviert wird (7 Kap. 2). Der aktive Metabolit bindet kovalent an den P2Y12R und inaktiviert ihn irreversibel. Durch die fehlende Proteinbiosynthese der Thrombozyten ergibt sich eine langanhaltende aggregationshemmende Wirkung. Da es in einem erheblichen Anteil der Bevölkerung CYP2C19- Polymorphismen gibt, die mit niedriger Aktivität einhergehen (Slow Metabolizer), muss man damit rechnen, dass bei einem Teil der Patienten keine Wirkung von Clopidogrel eintritt (Non-Responder). Man kann im Vorfeld ein pharmakogenetisches Screening durchführen, um solche Polymorphismen zu identifizieren. Clopidogrel wird nach Stentimplantation bei MI häufig für einige Monate mit ASS kombiniert, um Stentthrombosierungen zu verhindern (7 Kap. 16). Allerdings steigt durch die duale Aggregationshemmung das Blutungsrisiko, weshalb die MI- Langzeitsekundärprophylaxe in der Regel nur mit ASS durchgeführt wird. Auch in der Therapie der peripheren arteriellen Verschlusserkrankung ist Clopidogrel wirksam.
18
Nach Absetzen hält die Wirkung wegen irreversibler P2Y12R-Inaktivierung noch bis zu 4-5 Tage an. Das kann zum Problem werden, wenn Notoperationen durchgeführt werden müssen. Die Kombination von Clopidogrel mit VKA ist wegen des hohen Blutungsrisikos problematisch. Wichtigste UAW von Clopidogrel sind Blutungen und Anämie. Das GI-Blutungsrisiko unter Clopidogrel-Therapie ist geringer als unter low-dose-ASS-Therapie. Fallbeispiel
Eine 73-jährige Patientin wird seit 5 Jahren mit Phenprocoumon wegen VHF behandelt. Die Patientin kommt regelmäßig in Ihre internistische Praxis, um den INR-Wert kontrollieren zu lassen, der bisher stets im therapeutischen Bereich lag. Eines Abends bekommen Sie vom Ehemann der Patientin einen aufgeregten Anruf, dass seine Ehefrau spontan heftiges Nasenbluten bekommen habe. Sie machen sofort einen Hausbesuch und erfahren, dass sie vor einer Woche eine halbe Tablette ASS 500 mg wegen Kopfschmerzen genommen hat, aber ansonsten keine Arzneistoffe. Beiläufig erfahren Sie auch, dass die Patientin nach Lektüre einer Frauenzeitschrift ihre Ernährung umgestellt hat und jetzt zur Förderung der Gesundheit täglich einen halben Liter Goji-Beerensaft trinkt.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Was ist die wahrscheinlichste Ursache für das Nasenbluten und wie gehen Sie therapeutisch und diagnostisch vor? 2. Wie gehen Sie hinsichtlich der Medikation im Weiteren vor? Lösungen 7 Kap. 37
289
Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2Diabetes Inhaltsverzeichnis 19.1
athophysiologische Grundlagen des Diabetes und P pharmakotherapeutische Konzepte – 290
19.2
Insuline – 291
19.3
Biguanide – 296
19.4
Kaliumkanal-Blocker (PCB) – 297
19.5
GLP-1R-Agonisten und DPP4-Inhibitoren – 297
19.6
SGLT-2-Inhibitoren – 298
19.7
Therapie der Hypoglykämie – 298
19.8
Therapie des Coma diabeticum – 299
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_19
19
290
Kapitel 19 · Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes
Diabetes ist charakterisiert durch eine chronische Hyperglykämie mit Folgeschäden an vielen Organen und beruht auf absolutem Insulinmangel (Typ 1) oder Insulinresistenz (Typ 2). Der Typ-1-Diabetes wird durch eine dem Energieverbrauch angemessene Insulinsubstitution behandelt. Dazu gehören kurzwirkende Insuline und Verzögerungsinsuline. In der Therapie des Typ-2-Diabetes stehen die Beseitigung der Insulinresistenz durch Kalorienreduktion und körperlicher Bewegung im Vordergrund. Das Biguanid Metformin ist der am besten untersuchte und wirksamste Arzneistoff zur Behandlung des Typ-2-Diabetes, obwohl sein Mechanismus letztlich ungeklärt ist. Weitere Möglichkeiten zur Pharmakotherapie des Typ-2-Diabetes sind die Stimulation der Insulinsekretion durch PCB, GLP-1R-Agonisten und DPP4-Inhibitoren sowie die Steigerung der renalen Glucose-Elimination durch SGLT-2-Inhibitoren. Wichtig in der Diabetes-Therapie ist die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Hypertonie, KHK, LDL-Hypercholesterinämie, Nephropathie und Polyneuropathie. Eine Hypoglykämie wird mit Glucose behandelt, ein Coma diabeticum mit Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution sowie Insulin.
Merksätze
19
55 Der Typ-1-Diabetes beruht auf einem absoluten Insulinmangel. 55 Der Typ-2-Diabetes beruht auf einer Insulinresistenz. 55 Die Therapie von Begleiterkrankungen bei Diabetes ist wichtig. 55 Durch Austausch von Aminosäuren entstehen Insuline mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften. 55 Das Biguanid Metformin ist der wichtigste Arzneistoff zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. 55 Biguanide haben kein Risiko für Hypoglykämie und Gewichtszunahme. 55 PCB stimulieren die Insulinsekretion Glucose-unabhängig und besitzen daher ein ein hohes Hypoglykämierisiko.
55 DPP4-Inhibitoren und GLP-1R-Agonisten stimulieren die Insulinsekretion indirekt bzw. direkt über GPCR-vermittelte Mechanismen und besitzen ein geringeres Hypoglykämierisiko als PCB. 55 SGLT2-Inhibitoren steigern die renale Glucoseelimination. 55 Die Hypoglykämietherapie erfolgt durch Glucose. 55 Die Therapie des Coma diabeticum erfolgt durch eine Flüssigkeits- sowie Elektrolytsubstitution und Insulin.
19.1 Pathophysiologische
Grundlagen des Diabetes und pharmakotherapeutische Konzepte
Insulin ist ein Peptidhormon aus einer 21 Aminosäuren langen A-Kette und einer 30 Aminosäuren langen B-Kette, die über zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Der Insulinrezeptor gehört in die Klasse der TK-gekoppelten Rezeptoren (7 Kap. 1). Insulin vermittelt seine Wirkungen über Phosphorylierungskaskaden. Unter seinem Einfluss kommt es zu einer vermehrten Glucoseaufnahme und Glykogensynthese sowie einer Hemmung der Lipolyse. Insulin wirkt anabol und erhöht das Körpergewicht. Leitsymptome des Diabetes sind Hyperglykämie und Glucosurie, die auf einer unzureichenden Insulinwirkung beruhen. Ein Diabetes liegt vor, wenn die Blutglucosekonzentration im nüchternen Zustand > 7 mmol/l liegt. Leitsymptome sind Durst, Polydipsie, trockene Haut, süßlicher Acetongeruch, Infektanfälligkeit und Müdigkeit. Die wichtigste Funktion von Insulin, die bei Diabetes wegfällt, ist die zelluläre Glucoseaufnahme. Diabetes wird in zwei pathophysiologisch völlig unterschiedliche Formen, Typ 1 und Typ 2, unterteilt
291 19.2 · Insuline
(. Tab. 19.1). Beim Typ-1-Diabetes liegt ein absoluter Insulinmangel vor, der durch eine lebenslange Insulinsubstitution sehr gut behandelt werden kann. Eine wichtige Voraussetzung für den Typ-2-Diabetes ist die Insulinresistenz der Zellen. Dies führt zu einer Hyperinsulinämie und letztlich zur B-Zell-Erschöpfung. Dementsprechend ist hier die Durchbrechung der Insulinresistenz ein wichtiges Therapieprinzip. . Tab. 19.2 fasst ausgewählte Insuline und Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zusammen. Beim Typ-2-Diabetes liegen häufig Adipositas sowie kardiovaskuläre Begleiterkrankungen (metabolisches Syndrom) vor, die behandelt werden müssen. mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) sowie Protease-Inhibitoren (7 Kap. 33) können einen Typ-2-Diabetes verschlechtern. Eine KHK wird mit β1AR-Antagonisten, low-dose-ASS und ACE-Inhibitoren oder AT1R-Antagonisten behandelt (7 Kap. 16), eine Hypertonie bevorzugt mit Arzneistoffen der Klassen A und C (7 Kap. 15), eine CKD mit ACE-Inhibitoren oder AT1R-Antagonisten, eine LDL-Hypercholesterinämie mit HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (7 Kap. 22) und eine Polyneuropathie mit NE/5-HT-Verstärkern oder CCB wie Pregabalin (7 Kap. 25 und 28). Das ketoazidotische Koma ist eine akut lebensbedrohende Komplikation insbesondere des Typ-1-Diabetes. Spätkomplikationen beider Diabetes- Formen als eine Folge pathologischer Proteinglykosylierung sind die Mikroangiopathie, die zu Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie und diabetischem Fuß führt, und die Makroangiopathie, die zu Hypertonie, KHK, MI, Schlaganfall und peripherer arterieller Verschlusserkrankung führt. Die Konzentration des glykosylierten Hämoglobins (HbA1c) ist ein Biomarker für die Langzeiteinstellung eines Diabetes.
>>Der HbA1C-Wert sollte unter einer Diabetes-Therapie zwischen 6,5–7,5 % liegen.
19
Im Zentrum pharmakologischer Eingriffsmöglichkeiten und der Pathogenese der lebensbedrohlichen UAW Hypoglykämie liegt die B-Zelle (. Abb. 19.1). Steigt die Blutglucosekonzentration an, wird Glucose über einen Glucosetransporter in die B-Zelle aufgenommen. In den Mitochondrien steigert Glucose die ATP-Produktion. Ein Anstieg der ATP-Konzentration führt zur Hemmung von Kaliumkanälen. Die Folge davon ist eine Depolarisation, woraus eine Öffnung von Calciumkanälen und ein Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration resultieren. Calcium vermittelt die Sekretion von Insulin, welches die Blutglucosekonzentration senkt. Wird zu viel Insulin freigesetzt oder appliziert, kann eine Hypoglykämie auftreten. Glucose erhöht die Insulinsekretion auch über einen indirekten Weg. Kohlenhydrate im Dünndarm stimulieren die Freisetzung von GLP-1 aus L-Zellen. Es bindet in B-Zellen an den GLP-1R und vermittelt über den Gs-AC-Weg eine Depolarisation mit nachfolgender Insulinsekretion. Der GLP-1Abbau erfolgt über DPP4.
>> Wegen unzureichender klinischer Wirksamkeit wurden die α-Glucosidase-Inhibitoren (Prototyp Acarbose) nicht in die NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste aufgenommen. Gleiches gilt für die PPAR-γ-Agonisten (Prototyp Pioglitazon).
19.2 Insuline
Insuline werden beim Typ-1-Diabetes und in Spätstadien des Typ-2-Diabetes eingesetzt. Außerdem werden Insuline bei Patienten mit Typ-2-Diabetes im Rahmen von großen operativen Eingriffen, bei Infekten und in der Schwangerschaft verwendet. Bei Schwangeren ist eine exakte Diabetes einstellung notwendig, weil es sonst zur diabetischen Fetopathie kommen kann.
292
Kapitel 19 · Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes
.. Tab. 19.1 Übersicht über die Pathophysiologie und Pharmakotherapie des Diabetes Parameter
Typ-1-Diabetes
Typ-2-Diabetes
Häufigkeit
Ca. 350.000 Patienten in Deutschland
Ca. 7 Millionen Patienten in Deutschland
Manifestationsalter
Kindesalter und Jugend
Meist mittleres bis hohes Erwachsenenalter, aber wegen Fehlernährung zunehmend auch schon im Jugendalter. Es handelt sich um eine Volkserkrankung
Pathophysiologie
Autoimmunerkrankung, die zur Zerstörung der B-Zellen führt; daher absoluter Insulinmangel
Initial Insulinresistenz der Organe mit Hyperinsulinämie, in Spätstadien Erschöpfung der sekretorischen Kapazität der B-Zellen
Assoziation mit anderen Erkrankungen
Keine Assoziation mit metabolischem Syndrom
Metabolisches Syndrom: Diabetes, Hypertonie, Hypertriglyzeridämie, KHK und Adipositas
Akute Komplikationen
Ketoazidotisches Koma, Hypoglykämie (insbesondere bei intensivierter Insulintherapie und körperlich aktiven Patienten)
Hyperosmolares Koma, seltener Hypoglykämie (insbesondere, wenn PCB eingesetzt werden)
Langzeitkomplikationen
Diabetische Mikro- und Makroangiopathie mit Organkomplikationen
Diabetische Mikro- und Makroangiopathie mit Organkomplikationen
Pharmakotherapeutische Prinzipien
Bedarfsorientierte Kalorienzufuhr und darauf abgestimmte (intensivierte) Insulintherapie; Insulinpumpe zur Optimierung der Insulinzufuhr, keine Notwendigkeit zur Kalorienreduktion. Bedeutsam ist auch die Therapie von Spätkomplikationen (7 Kap. 12, 15, 16 und 22). Als Schutz vor Hypoglykämie muss der Patient stets Glucose mit sich führen. Vorsicht mit Alkoholkonsum (Hypoglykämiegefahr). Anpassung der Insulindosis an Stoffwechselsituation (Infektionen, Operationen, Therapie mit GCRAgonisten, Schwangerschaft, Hypound Hyperthyreose, 7 Kap. 11 und 21)
Gewichtsreduktion mit Life-StyleVeränderung (gesunde Ernährung, Vermeidung von Junkfood und Softdrinks besonders wichtig, Ausdauersport wichtig) ist Schlüssel zur Durchbrechung der Insulinresistenz und des metabolischen Syndroms. Arzneistoff der Wahl bei den meisten Patienten ist Metformin (kein Hypoglykämierisiko); GLP-1R-Agonisten und DPP4Inhibitoren können die Therapie unterstützen. In Spätstadien kann bei Erschöpfung der B-Zellen die Zufuhr von Insulin notwendig werden. Die Therapie der Hypertonie (7 Kap. 15), KHK (7 Kap. 16), Dyslipidämie (7 Kap. 22), Nephropathie (7 Kap. 12) sowie Neuropathie (7 Kap. 10) ist ebenso bedeutsam. Vermeidung oder Dosisreduktion von diabetogen wirkenden mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) und ProteaseInhibitoren (7 Kap. 33)
19
Insulin (kurzwirkendes HumaninsulinAnalogon)
Insulin (Verzögerungsinsulin)
Insulin-lispro
NPH-Insulin
SGLT-2-Inhibitor
PCB
Empagliflozin
Glibenclamid
Typ-2-Diabetes
Insulin (langwirkendes HumaninsulinAnalogon)
Arzneistoffgruppe
Insulin-glargin
Typ-1-Diabetes
Arzneistoff
Chemische Gruppe der Sulfonylharnstoffe, Blocker von ATP-sensitiven Kaliumkanälen; Glucoseunabhängige Steigerung der Insulinsekretion aus der B-Zelle
Steigerung der renalen Glucoseausscheidung
Wirkungseintritt 2 h; Wirkdauer 12 h
Wirkungseintritt 5–15 Minuten; Wirkdauer 3 h
Wirkungseintritt 4 h; Wirkdauer 24 h
Wichtige Wirkungen
Typ-2-Diabetes; umstrittene klinische Wirksamkeit in Bezug auf Morbidität und Mortalität
Typ-2-Diabetes; neueres noch nicht vollständig evaluiertes Therapieprinzip; weitere mögliche Indikationen CHF, CKD und chronische Gicht
Typ-1-Diabetes
Typ-1-Diabetes
Typ-1-Diabetes
Wichtige Indikationen
.. Tab. 19.2 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung des Diabetes
Gewichtszunahme, hohes Hypoglykämierisiko wegen fehlender GlucoseAbhängigkeit der Wirkung
Hypoglykämie, Dehydratation, BD-Abfall, Thromboserisiko, Urogenitalinfektionen, erhöhtes Osteoporoserisiko
Hypoglykämie, Lipodystrophie
Hypoglykämie, Lipodystrophie
Hypoglykämie, Lipodystrophie
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 15, 18, 20, 23, 32, 34
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
19.2 · Insuline 293
19
19
GLP-1R-Agonist
Biguanid
DPP4-Inhibitor
Liraglutid
Metformin
Sitagliptin Inkretinverstärker, Hemmung des GLP-1Abbaus und dadurch Steigerung der Glucoseabhängigen Insulinfreisetzung aus der B-Zelle
Pleiotrope und teilweise noch unbekannte Mechanismen einschließlich Aktivierung der AMPKinase. Verbesserung der Gesamtstoffwechselsituation ohne Hypoglykämie und Gewichtszunahme, Hemmung der hepatischen Glukoneogenese. und Lipogenese, Erhöhung der Insulinempfindlichkeit der Zellen
Steigerung der Insulinfreisetzung aus der B-Zelle
Wichtige Wirkungen
Typ-2-Diabetes; neueres noch nicht vollständig evaluiertes Therapieprinzip
Typ-2-Diabetes; am besten untersuchter und validierter Arzneistoff mit klinisch nachgewiesener lebensverlängernder Wirkung, sehr preiswert
Typ-2-Diabetes zur Gewichtsreduktion; Adipositas mit einem Body-Mass-Index > 27
Wichtige Indikationen
GI-Beschwerden, Atemwegsinfektionen, vergleichsweise geringes Hypoglykämierisiko, da die Wirkung abhängig ist von Vorhandensein von GLP-1, das wiederum in Abhängigkeit von der Blutglucosekonzentration freigesetzt wird
Geschmacksstörungen, GI-Beschwerden, Laktatazidose bei Risikopatienten (Leberinsuffizienz, Alkoholismus, CHF, CKD, Pankreatitis, Infekte, Tumorerkrankungen)
Relativ geringes Hypoglykämierisiko, GI-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe)
Wichtige UAW
7 Kap. 13, 14, 32
7 Kap. 1, 2, 12, 16, 31, 32, 33, 34
7 Kap. 13
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Bei Diabetes werden häufig auch Arzneistoffe der Klassen A, B, und C eingesetzt (7 Kap. 15 und 16), außerdem low-dose-ASS (7 Kap. 18) sowie HMG-CoAReduktase-Inhibitoren (7 Kap. 22)
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 19.2 (Fortsetzung)
294 Kapitel 19 · Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes
19
295 19.2 · Insuline
Glucose↑
Nahrungsaufnahme
Glucose (Notfall)
Glucose↑
Hypoglykämie
Epinephrin↑
Glucose↓↓
Unruhe, Zittern (β1AR)
Sitagliptin L-Zelle Glucose↑ GLP-1↑
DPP4
Liraglutid
inaktive Peptide GLUT
GLP-1-R
Gs
Mitochondrien
AC↑
(Hypertonie, CHF)
Insulin Glucose↓
cAMP↑ PKA↑
β1AR-Antagonisten
Insulin↑↑
ATP↑
Dep olar + isat ion K
Ca2+↑
Glibenclamid
Insulin/ Insulin-Analoga B-Zelle
(extern appliziert) (Typ 1)
Depolarisation
K+
Ca2+
.. Abb. 19.1 Regulation der Insulinfreisetzung aus der B-Zelle und pharmakologische Angriffspunkte sowie Pathogenese und Therapie der Hypoglykämie
Da Insulin ein Peptidhormon ist, kann es nicht p.o. angewendet werden. In der Dauertherapie wird Insulin s.c. injiziert, in Notfallsituationen (Coma diabeticum, 7 Abschn. 19.8) werden kurzwirkende Insuline über den Perfusor i.v. infundiert. Die therapeutisch angewendeten Insuline unterscheiden sich hinsichtlich ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften. Man unterscheidet schnellund kurzwirksame Insuline von Verzögerungsinsulinen. Beide Insulin-Typen ergänzen sich in der Therapie. Der prototypische Vertreter der kurzwirksamen Insuline ist Insulin-lispro, bei dem im C-terminalen Teil der B-Kette die Aminosäuren Lysin und Prolin in ihrer Reihenfolge ausgetauscht wurden, wodurch die Resorption vom Injektionsort schneller erfolgt als beim nicht modifizierten Humaninsulin („Normalinsulin“). Dies ermöglicht
flexiblere Essenszeiten und eine höhere Lebensqualität als die Therapie mit „Normalinsulin“. Verzögerungsinsuline werden langsamer vom Injektionsort resorbiert und zeigen dementsprechend eine verlängerte Wirkdauer. Prototypischer Vertreter dieser Klasse ist das NPH-Insulin (NeutralesProtamin-Hagedorn-Insulin), in dem „Normalinsulin“ im Komplex mit basischem Protamin vorliegt. Auch durch Aminosäuresubstitutionen kann man die Resorptionszeit von Insulin vom Injektionsort und damit die Wirkdauer verlängern. In Insulin- glargin ist im C-Terminus der A-Kette eine Aminosäure ausgetauscht und die B-Kette um zwei Argininreste erweitert. Dadurch präzipitiert es bei neutralem pH und wird langsam aus subkutanem Fettgewebe resorbiert.
296
Kapitel 19 · Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes
Beim Basis-Boluskonzept der Insulin therapie wird ein Verzögerungsinsulin zur Sicherstellung der basalen Insulinversorgung injiziert; zusätzlich erfolgt zu den Mahlzeiten die Applikation einer der Kohlen hydratzufuhr entsprechend angepassten Dosis eines kurzwirksamen Insulins. Bei intensivierter Insulintherapie ist die Insulindosis, die auch mit Insulinpumpen appliziert werden kann, von der aktuellen Blutglucosekonzentration abhängig. Der Vorteil dieser intensivierten Therapie besteht darin, dass Spätkomplikationen verzögert auftreten; der Nachteil ist die erhöhte Hypoglykämiefrequenz (7 Abschn. 19.7). Heutzutage werden Insuline meist in Form von U100-Pens angewendet, d. h. dass der Pen 100 internationale Einheiten (100 IE) Insulin pro ml enthält. Ein Klick auf den Pen entspricht einer Dosis von 1 IE. Dies erleichtert die Insulindosierung im Alltag. Dabei ist es wichtig, einen willkürlichen Wechsel des Injektionsortes zu vermeiden, weil dadurch die Resorptionsgeschwindigkeit und damit das Risiko von Hypo- und Hyperglykämien beeinflusst werden kann. Innerhalb einer anatomischen Region sollte der Injektionsort täglich jeweils um ca. 1 cm verschoben werden, um das Lipodystrophierisiko zu verringern. Lipodystrophien sind kosmetisch störend, schmerzhaft und machen die Insulinresorption unreproduzierbar. Aus dem Bauchfett wird Insulin rasch resorbiert. Daher eignet sich diese Region vor allem für die Injektion kurzwirkender Insuline. Aus dem Oberschenkel erfolgt die Resorption von Insulin verzögert. Daher ist diese Region für Verzögerungsinsuline geeignet. Injektionsnadeln für Insulinpens müssen täglich gewechselt werden, da stumpfe Kanülen das Infektionsrisiko und die Gefahr von Gewebefibrosierung erhöhen. Der Vorrat an Insulinampullen für die Insulinpens muss gekühlt gelagert werden, darf aber nicht gefrieren und Temperaturen von 37 °C nicht überschreiten.
19
>>Der Insulinbedarf eines gesunden Menschen liegt bei ca. 45 IE pro Tag, wobei 40 % auf basale Sekretion und 60 % auf postprandiale Sekretion entfallen. Bei Insulinresistenz kann der Tagesbedarf bis auf 200 IE steigen.
Bei Neueinstellung eines Typ-1-Diabetes geht man zunächst von einem Tagesbedarf von ca. 0,5–1,0 IE/kg/Tag aus. Morgens ist der relative Insulinbedarf am höchsten, mittags am niedrigsten, abends mittelhoch. Dies ist bei der Insulindosierung zu berücksichtigen. Der Insulinbedarf wird durch körperliche Aktivität erniedrigt und durch Inaktivität erhöht. Er ist ferner bei Schwangerschaft, Fieber, Infektionen, größere operativen Eingriffen, Hyperthyreose (7 Kap. 21) und Cushing-Syndrom gesteigert. Auch die Zufuhr hoher GCR-Agonist-Dosen, z. B. bei einer Autoimmunerkrankung, erhöht den Insulinbedarf (7 Kap. 10). Bei H ypothyreose ist er erniedrigt (7 Kap. 21).
19.3 Biguanide
Das Biguanid Metformin wurde 1950 in die Therapie eingeführt. Dementsprechend besteht eine sehr lange klinische Erfahrung. Da der Patentschutz für Metformin längst abgelaufen ist, gibt es zahlreiche sehr preiswerte Generika, sodass auch die Pharmakotherapie großer Patientenpopulationen über einen langen Zeitraum kostengünstig möglich ist. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Behandlung eines Typ-2-Diabetes meist lebenslang erfolgen muss. Metformin ist hier Arzneistoff der ersten Wahl. In klinischen Studien wurde eine deutliche Reduktion der Morbitität und Mortalität festgestellt. >>Metformin ist der am besten wirkende und preiswerteste Arzneistoff für den Typ-2-Diabetes. Es ist für diese Indikation der Goldstandard.
Metformin wird über einen organischen Kationentransporter in die Zelle aufgenommen und
19
297 19.5 · GLP-1R-Agonisten und DPP4-Inhibitoren
hemmt die Mitochondrienfunktion. Durch den Anstieg der AMP-Konzentration wird die AMP-Kinase stimuliert und es kommt zur Hemmung der Gluconeogenese und Lipogenese. Es ist p.o. anwendbar und wird renal unverstoffwechselt eliminiert. Im Unterschied zu anderen Arzneistoffen zur Behandlung des Typ- 2- Diabetes, insbesondere zu PCB, verursacht Metformin keine Hypoglykämie. Es bewirkt keine Gewichtszunahme und erhöht dadurch indirekt die Insulinsensitivität.
ren B-Zellen glucoseunabhängig und steigern die Insulinsekretion (. Abb. 19.1). Daher besitzen PCB ein hohes Hypoglykämierisiko. Zwar können die PCB Diabetes- Komplikationen senken, jedoch nicht die Mortalität. Unter Therapie mit PCB kann das Körpergewicht als Folge der Hyperinsulinämie zunehmen. Deshalb nimmt die Bedeutung der PCB in der Therapie des Typ-2-Diabetes deutlich ab. PCB sind p.o. anwendbar.
>>Metformin wird häufig auch als „Insulin-Sensitizer“ klassifiziert. Dieser Begriff ist aus zwei Gründen problematisch:
>>In der Vergangenheit hatten die PCB in der Therapie des Typ-2-Diabetes einen zu hohen Stellenwert, der nicht ihrer klinischen Wirksamkeit und den gravierenden UAW sowie Interaktionen entsprach. Die PCB sind vor allem aus didaktischen Gründen (noch) in der NKLM/IMPP-Arneistoffliste.
1. Metformin besitzt komplexere Wirkmechanismen, die über eine Erhöhung der Insulin-Sensitivität der Zellen weit hinausgehen. 2. Es gibt „Insulin-Sensitizer“ (Klasse der PPAR-γ-Agonisten, Prototyp Pioglitazon), die gravierende UAW besitzen und therapeutisch ohne wesentlichen Wert sind. Deshalb sind die PPAR-γ- Agonisten auch nicht in der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste enthalten.
19.5 GLP-1R-Agonisten und DPP4-
Inhibitoren
Prototypischer Vertreter der GLP-1R- Agonisten ist Liraglutid. Es ist ein GLP-1- Metformin kann Appetitlosigkeit („Bio- Analogon mit langer Wirkdauer, das die Feedback“) induzieren, was aber durchaus Insulinsekretion stimuliert. Durch GLP- zur Gewichtsabnahme und damit Erhö- 1R-Agonisten lässt sich eine Senkung des hung der Insulinsensitivität erwünscht ist. HbA und des Körpergewichts erzielen. 1C Übelkeit, Diarrhoe sowie metallischer Ge- Die Wirkung auf die kardiovaskuläre Morschmack sind weitere UAW, die vor allem zu talität ist aber gering. UAW sind Übelkeit, Beginn der Therapie auftreten. In sehr selte- Erbrechen und Diarrhoe. In gewisser Weise nen Fällen kann Metformin Laktatazidosen könnte man diese UAW als „Bio-Feedback“ hervorrufen. Diese UAW wird vermieden, interpretieren, damit Nahrungsaufnahme wenn die Kontraindikationen CHF, CKD, mit negativen Körperempfindungen assoziLeberinsuffizienz, Alkoholabusus, Pankrea- iert wird. Das gleiche Ziel lässt sich jedoch titis, Karzinomerkrankungen sowie fieber- einfacher, kostengünstiger und UAW-frei hafte Infekte konsequent beachtet werden erreichen, wenn der Patient es schafft, auch und die Therapie einschleichend beginnt. ohne pharmakologische Unterstützung die Kalorienaufnahme zu verringern und den Kalorienverbrauch durch körperliche Be19.4 Kaliumkanal-Blocker (PCB) wegung zu erhöhen. Das Hypoglykämie risiko ist geringer als mit Insulinen und Die PCB (Prototyp Glibenclamid) hemmen PCB, aber dennoch vorhanden. Die TheraATP-abhängige Kaliumkanäle, depolarisie- piekosten mit GLP-1R-Agonisten sind im
298
Kapitel 19 · Arzneistoffe zur Behandlung des Typ-1- und Typ-2-Diabetes
Vergleich zu den Kosten einer Metformin therapie hoch. >>Die Senkung des Körpergewichts von Liraglutid wird inzwischen sehr häufig zur Therapie der Adipositas mit einem Body-Mass-Index > 27 genutzt.
Diese Entwicklung zeigt die mehr als fragwürdige Mutation eines „Antidiabetikums“ zu einem „Schlankheitsmittel“ bzw. einem „Life-Style-Mittel“. DPP4-Inhibitoren (Prototyp Sitagliptin) hemmen den GLP-1-Abbau. Dadurch wird die stimulierende Wirkung von GLP-1 über den GLP-1R auf die Insulinsekretion verstärkt. Da die GLP-1-Freisetzung glucoseabhängig erfolgt, ist das Hypoglykämierisiko unter DPP4- Inhibitoren deutlich geringer als unter PCB und Insulin. GLP-1 stimuliert die Insulinsekretion, hemmt die Glucagonsekretion, erhöht das Sättigungsgefühl und verzögert die Magenentleerung. DPP4-Inhibitoren stellen ein interessantes Therapieprinzip für den Typ-2-Diabetes dar, weil sie einen physiologischen Mechanismus verstärken. Jedoch fehlen bislang Langzeitstudien, die eine Überlegenheit der DPP4-Inhibitoren im Vergleich zu Metformin zeigen. Im Vergleich zu einer Therapie mit Metformin sind die Kosten einer Therapie mit DPP4- Inhibitoren hoch. Das ist wegen der Häufigkeit des Typ-2-Diabetes volkswirtschaftlich relevant. Da DPP4 nicht nur GLP-1, sondern auch andere Peptide inaktiviert, können DPP4- Inhibitoren viele UAW verursachen. Dazu gehören GI-Beschwerden, Pankreatitis, Infektionen der oberen Atemwege, Arthrosen und Hautentzündungen. DPP4-Inhibitoren können p.o. angewendet werden. Sitagliptin wird unverstoffwechselt renal eliminiert.
19
SGLT-2 an der luminalen Seite des Tubulusepithels und verhindert die Glucose-Reabsorption aus dem Primärharn. Daraus resultieren Glucosurie und Gewichtsreduktion. SGLT-2-Inhibitoren senken die kardiovaskuläre Mortalität aber nur gering. Die UAW von SGLT-2-Inhibitoren lassen sich über den Wirkmechanismus erklären. Es kommt zu Polyurie und Dehydratation mit Gefahr von BD-Abfall und Thrombosen (7 Kap. 18). Eine Glucosurie erhöht das Risiko von Harnwegs- und Genitalinfektionen, z. B. mit Candida albicans und Escherichia coli (7 Kap. 32). Außerdem kann Hypoglykämie auftreten und durch verstärkte Calciumausscheidung sind Frakturen möglich (7 Kap. 20). Möglicherweise werden SGLT- 2-Inhibitoren in der Zukunft für die Therapie von CHF (7 Kap. 15), CKD (7 Kap. 12) und chronischer Gicht (7 Kap. 23) wichtiger als für die Therapie des Typ-2-Diabetes.
>>Das Beispiel der SGLT-2-Inhibitoren zeigt sehr gut die Problematik des Begriffes „orales Antidiabetikum“ und die Vorteile einer mechanistischen Arzneistoffgruppenklassifikation auf.
19.7 Therapie der Hypoglykämie
Eine Hypoglykämie liegt bei Blutglucosekonzentration < 2,8 mmol/l vor. Die Leitsymptome der Hypoglykämie sind auf die kompensatorische Sympathikusaktivierung zurückzuführen (Tachykardie, Zittern, Nervosität und Heißhunger, 7 Kap. 5) sowie auf neuroglykopenische Symptome (Verwirrung, delirante Zustände, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit), da das ZNS auf Glucose als Energieträger obligatatorisch angewiesen ist. Wichtige Hypoglykämieursachen sind die Überdosierung von Insulin, PCB oder 19.6 SGLT-2-Inhibitoren GLP-1R-Agonisten, eine unzureichende oder unregelmäßige Nahrungszufuhr, körperliPrototypischer Vertreter der SGLT-2-che Überanstrengung und Alkoholkonsum Inhibitoren ist Empagliflozin. Es hemmt (. Abb. 19.1). Auslösende Faktoren poten
19
299 19.8 · Therapie des Coma diabeticum
zieren sich, wenn sie zusammentreffen. β1ARAntagonisten (7 Kap. 5 und 15) können Warnsymptome der Sympathikusaktivierung abschwächen und damit die Hypoglykämieerkennung erschweren. Das Hypoglykämierisiko ist unter βxAR-Antagonisten, die zur Therapie infantiler Hämangiome eingesetzt werden, besonders groß (7 Kap. 5). Die Verdachtsdiagnose Hypoglykämie erfolgt klinisch, wenn bekannt ist, dass der Patient Diabetes hat, und wird durch die Bestimmung der Blutglucosekonzentration abgesichert.
12 Stunden) i.v.-Infusion großer Volumina (4–6 l) 0,9 % NaCl-Lösung. Die langsame Infusion ist wichtig, um ein Hirnödem zu verhindern. Außerdem erfolgt die Infusion eines kurzwirksamen Insulins (ca. 4 IE/ Stunde), bis die Blutglucosekonzentration einen Wert von 11 mmol/l erreicht hat. Da Insulin auch zu Kaliumaufnahme in Zellen führt, ist eine Infusion von KCl in einer Dosis von 13–20 mmol/Stunde erforderlich, um eine lebensbedrohliche Hypokaliämie zu verhindern. Sie kann Tachyarrhythmien und Krampfanfälle auslösen (7 Kap. 17). Bei schwerer Azidose (pH < 7,1) muss Bicarbonat infundiert werden.
>>Eine Hypoglykämie ist ein Notfall, der sofort mit Glucose behandelt werden muss!
Bemerkt der Patient selber eine Hypo glykämie, so muss er sich p.o. 15–30 g Glucose mit Flüssigkeit zuführen, anschließend langsam resorbierbare Kohlenhydrate in Form von Obst oder Brot. Einem Patienten, der nicht mehr zur Selbsttherapie in der Lage ist, werden 30 g Glucose i.v. infundiert.
19.8 Therapie des Coma
diabeticum
Das Coma diabeticum entsteht beim Typ-1Diabetes durch einen chronischen Insulinmangel und führt zu Dehydratation, Hyperglykämie (Blutglucosekonzentration > 15–40 mmol/l) und Ketoazidose. Leitsymptome sind Acetongeruch, Polydipsie, Polyurie sowie ZNS-Funktionsstörungen (z. B. Somnolenz, Verwirrung, Bewusstlosigkeit). Die Rehydratation hat oberste Priorität und erfolgt durch die langsame (über
Fallbeispiel
Bei einem 64-jährigen Patienten (Body-Mass-Index 34,9) mit Hypertonie (185/110 mmHg) und LDL-Hypercholesterinämie wird ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Der HBA1c-Wert beträgt 8,9 %. Der Patient berichtet, dass er sich träge fühle und daher nicht mehr viel gehe, sondern wenn immer möglich Bewegungshilfen wie Fahrstühle und sein Auto benutzt.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welcher Arzneistoff ist für diesen Patienten am besten geeignet? 2. Welche weiteren Maßnahmen ergreifen Sie bei dem Patienten? Lösungen 7 Kap. 37
301
Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose Inhaltsverzeichnis 20.1
athophysiologie der Osteoporose und P pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 302
20.2
Vitamin D3 und Calcium – 305
20.3
Bisphosphonate – 305
20.4
SERM – 306
20.5
RANKL-Inhibitoren – 307
20.6
PTHR-Agonisten – 307
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_20
20
302
Kapitel 20 · Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose
Osteoporose entsteht durch eine Überaktivität von Osteoklasten in Relation zu den Osteoblasten. Therapieziel ist die Korrektur dieses Ungleichgewichtes. Dies erfolgt durch präventive Maßnahmen wie Exposition gegenüber Sonnenlicht, Reduktion von Nikotin und Alkohol, Zufuhr von Calcium und Vitamin D3 sowie angemessene körperliche Aktivität. Zahlreiche Arzneistoffgruppen, darunter Zytostatika, TR-Agonisten, GCR-Agonisten und PPI fördern Osteoporose. Die Osteoporosetherapie erfolgt mit Bisphosphonaten, die Osteoklasten hemmen. Zur Therapie der postmenopausalen Osteoporose werden SERM und RANKL-Inhibitoren eingesetzt. Letztere Arzneistoffgruppe wird auch bei Osteoporose nach AR-Agonist-Ablation beim Prostatakarzinom verwendet. Die Osteo blastenaktivität wird durch PTHR-Agonisten gesteigert.
20.1 Pathophysiologie der
Osteoporose und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Die Knochen sind dynamische Stützstrukturen, die aus Periost, Pars compacta und Pars spongiosa bestehen. Knochen werden permanent umgebaut und passen sich der Belastung (aber auch fehlender Belastung) an. Osteoblasten wirken anabol; Osteo klasten katabol (resorptiv). Für den physiologischen Knochenumbau muss die Aktivität beider Zelltypen im Gleichgewicht stehen. Angemessene körperliche Aktivität ist für die Knochenfunktion essentiell. Osteoporose ist eine sehr häufige Erkrankung, bei der die Osteoklastenaktivität in Relation zur Osteoblastenaktivität zu hoch ist. . Abb. 20.1 zeigt dieses Ungleichgewicht sowie Erkrankungen, Arzneistoffe und Gifte, die Osteoporose fördern, und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten (. Tab. 20.1). Bei der Osteoporose kommt es zu einer erniedrigten Knochendichte und erhöhter Knochenbrüchigkeit, sodass selbst geringe Traumen pathologische Frakturen hervorrufen können. Frakturen resultieren in Immobilisierung und Folgeerkrankungen wie Thromboembolien (7 Kap. 18) oder Pneumonien (7 Kap. 32), die zum Tod führen können. Außerdem heilen Frakturen im osteoporotischen Knochen schlecht und lassen sich auch chirurgisch nur schwer behandeln. Daher haben die Osteoporoseprophylaxe durch gesunde Lebensführung und Vermeidung von Arzneistoffen, die Osteoporose verstärken können, Priorität. Prophylaxe und Therapie der Osteoporose erfolgen langfristig. Deshalb ist eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der Arzneistoffe essentiell. Auch sollten die Kosten nicht zu hoch sein.
Merksätze 55 GCR-Agonisten, TR-Agonisten, AR-Antagonisten, Aromatase-Inhibitoren, Zyto statika, VKA, Heparin, PPI, Lithium, Alkohol und Nikotin fördern Osteoporose. 55 Bisphosphonate hemmen Osteoklasten. 55 Bisphosphonate müssen nüchtern, in aufrechter Position und mit viel Flüssigkeit eingenommen werden. 55 SERM hemmen Osteoklasten und werden bei postmenopausaler Osteoporose eingesetzt. 55 Denosumab hemmt Osteoklasten durch Blockade der RANK/RANKL-Interaktion. 55 Denosumab wird bei postmenopausaler Osteoporose und AR-Agonist-Ablation beim Prostatakarzinom eingesetzt. 55 Das PTHR-Agonist Teriparatid stimuliert Osteoblasten und kann intermittierend für maximal 24 Monate eingesetzt werden. 55 Calcium und Vitamin D3 sind die Basis der Osteoporosetherapie.
20
20
303 20.1 · Pathophysiologie der Osteoporose und pharmakologische…
Osteoklasten Präkursor Denosumab Raloxife n
Ruhender Osteoklas t AR-Agonisten ER-Agoniste n
RANK
Bisphosphonat e RANKL
Vit. D 3
Teriparatid
(intermittierend )
UV-B-Lich t
Osteoblast
Aktivierte r Osteoklas t
Ca 2+
1,25(OH) 2-Vit.D 3 Fisch
anabol , osteogenetisc h
katabol, resorptiv
Osteoporose
Körperliche Aktivität
Teriparatid (intermittierend)
Menopause, Malnutrition, Hyperthyreose, Anorexia nervosa, Immobilisation, Folsäure-, Vit. B 12 -, Vit.D- , Ca 2+-Mangel, Alter, ᄛ >ᄝ, Multiples Myelom, Osteo lysen, CKD, Colitis ulcerosa, M. Croh n
GCR-Agonisten, T4, Zytostatika, VKA, Heparin, AromataseInhibitoren, AR-Antagonisten, PPI, Lithium, Tabak, Alkohol, Antazida, SGLT-2-Inhibitoren, NKCC-Inhibitoren
.. Abb. 20.1 Pathophysiologie der Osteoporose: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten und Arzneistoffe sowie Erkrankungen, die Osteoporose fördern
>>Der traditionelle Begriff „Antiosteo porotika“ für Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose sollte aus zwei Gründen nicht mehr verwendet werden: 1. Bestimmte Arzneistoffgruppen (Bisphosphonate, RANKL-Inhibitoren) werden auch zur Schmerztherapie bei Tumor osteolysen eingesetzt. 2. Bisphosphonate und RANKL-Inhibi toren hemmen am Kieferknochen physiologische Umbauvorgänge und begünstigen Osteonekrosen. Dies ist eine gefährliche und wegen des Begriffes „ANTI-Osteoporotika“ häufig übersehene UAW.
zentration verursacht (7 Kap. 24). Dabei kommt es vornehmlich zum Abbau der Pars spongiosa. Die Typ-II-Osteoporose wird als senile Osteoporose bezeichnet und ist vor allem durch Vitamin-D-Mangel bedingt. Sie betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Es kommt zum Abbau der Pars compacta und Pars spongiosa. Sekundäre Osteoporosen machen 5 % aller Fälle aus und werden durch Hyperthyreose (7 Kap. 21), M. Cushing (7 Kap. 11), CKD und NKCC-Inhibitoren (7 Kap. 12), Zytostatika (7 Kap. 31), Heparin (7 Kap. 18), GCR-Agonisten (7 Kap. 11), PPI (7 Kap. 13), AR- Antagonisten und AromataseInhibitoren (7 Kap. 24) sowie SGLT-2- Inhibitoren (7 Kap. 19) hervorgerufen. Körperliche Inaktivität, Bettlägerigkeit, Vitamin-D-Mangel, Calciummangel, fehlende Sonnenlichtexposition sowie Alkohol
Die primäre Osteoporose ist die häufigste Krankheitsform, die 95 % aller Fälle ausmacht. Die postmenopausale Typ-I-Osteoporose wird durch Abfall der Estrogenkon-
20
Bisphosphonat
RANKLInhibitor
SERM
PTHRAgonist
Alendronat
Denosumab
Raloxifen
Teriparatid
N-terminales Fragment von PTH, das den PTH-Rezeptor aktiviert. Stimulation der intestinalen Calciumresorption und tubulären Calciumre absorption; bei intermittierender Gabe verstärkte Osteoblastenaktivität
ER-Ligand mit ER-agonistischer Wirkung am Knochen, Herz-KreislaufSystem und ZNS und ER-antagonistischer Wirkung an Uterus und Brustdrüse. Hemmung der Osteoklastenfunktion (antiresorptive Wirkung) durch Hemmung der RANKL-Expression
Monoklonaler Antikörper, der die RANK/RANKL-Interaktion hemmt. Hemmung der Bildung, der Funktion und des Überlebens von Osteoklasten
Pyrophosphatanalogon, das in Osteoklasten aufgenommen und dort in AMP eingebaut wird; das entstehende ATP-Analogon ist biochemisch dysfunktional. Apoptose von Osteoklasten und dadurch antiresorptive Wirkung
Wichtige Wirkungen
Therapie von Osteoporose für maximal 24 Monate
Postmenopausale Osteoporose
Postmenopausale Osteoporose, Osteoporose bei metastasierendem Prostatakarzinom bei Hormonablation
Alle Formen der Osteoporose, Osteolysen bei Tumorerkrankungen, M. Paget
Wichtige Indikationen
Hypercalcämie, Schwindel, Kopf- und Gliederschmerzen, Übelkeit, erhöhte Toxizität von NKAInhibitoren
Hitzewallungen, grippeähnliche Symptome, Thromboembolien (Schlaganfälle)
Hypocalcämie, Katarakt, Divertikulitis, Kieferosteonekrosen (DRONJ) (oft übersehen), atypische Femurnekrosen
Schlechte Resorption, die durch Calcium, Antazida und Milch weiter verringert wird, Schleimhauterosionen im Ösophagus, Übelkeit und Erbrechen. Daher p.o.-Gabe auf nüchternen Magen mit viel Flüssigkeit. Gefährlich und oft übersehen: Kieferosteonekrosen nach zahnärztlichen/kieferchirurgischen Eingriffen (BRONJ)
Wichtige UAW
BRONJ, bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw; DRONJ, denosumab-related osteonecrosis of the jaw
Arzneistoff gruppe
Arzneistoff
.. Tab. 20.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose
7 Kap. 12, 16
7 Kap. 18, 24
7 Kap. 12, 24, 31
7 Kap. 2, 13, 31
Weitere Zusammen hänge in Kapitel
304 Kapitel 20 · Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose
305 20.3 · Bisphosphonate
und Tabakkonsum fördern Osteoporose. Die Prophylaxe und Basistherapie der Osteoporose bestehen im Ausschalten von Risikofaktoren sowie ausreichender Zufuhr von Vitamin D3 und Calcium. Außerdem wird versucht, die Osteoklastenaktivität zu hemmen (antiresorptive Therapie). Bisphosphonate, SERM und RANKL-Inhibitoren besitzen diese Wirkung. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Förderung der Osteoblastenfunktion (osteoanabole Therapie). Hier sind PTHR-Agonisten und Vitamin D3 die wichtigsten Arzneistoffe.
20
mittel eingenommen werden. Bei Überdosierung von Calcium (> 2 g/Tag) und/ oder Vitamin D3 kann es zu Calciumüberladung kommen, die sich in Hypercalcämie, Hypercalcurie und Urolithiasis manifestiert. Eine Hypercalcämie führt zu Unruhe, Konzentrationsstörungen, gesteigerter Ermüdbarkeit und Tachykardie sowie erhöhter Toxizität von NKA- Inhibitoren (7 Kap. 4 und 16).
20.3 Bisphosphonate
Bisphosphonate sind Pyrophosphat-Analoga. Prototypischer Vertreter ist Alendronat. Bisphosphonate binden an Hydroxylapatit im Das wichtigste antiosteoporotisch wirkende Knochen, werden von Osteoklasten aufgekörpereigene Hormon ist 1,25(OH)2- nommen und in AMP eingebaut. Da die PyVitamin D3 (Calcitriol). Es bindet an einen rophosphatgruppe in ATP durch ein Bisphosnukleären Rezeptor (7 Kap. 1), erhöht die phonat ersetzt wird, entstehen ATP-Analoga, intestinale Calciumresorption und hemmt die ihre Stoffwechselfunktion nicht mehr die renale Calciumausscheidung. Dadurch ausüben können. Daher induzieren Bisphossteht mehr Calcium für die Knochenminera- phonate die Apoptose von Osteoklasten und lisation zur Verfügung. Außerdem stimuliert wirken antiresorptiv. Bisphosphonate werden Vitamin D3 die Osteoblastenaktivität. Calci- bei allen Osteoporoseformen eingesetzt (z. B. triol entsteht aus Vitamin D3 (Cholecalcife- auch bei Knochenmetastasen und langfrisrol), das mit der Nahrung (z. B. in Fisch) tiger Therapie mit GCR-Agonisten), ferner aufgenommen wird oder sich aus 7-Dehy- bei Osteogenesis imperfecta und M. Paget. drocholesterol durch UV-B-Bestrahlung in Durch mehrjährige Bisphosphonattherapie der Haut bildet. In der Leber wird Cholecal- lassen sich die besonders problematischen ciferol in 25(OH)-Vitamin D3 umgewandelt Hüftfrakturen bei postmenopausalen Frauen und dieses in der Niere zu Calcitriol. Bei um mehr als 50 % reduzieren. Auf ausreiCKD wird deshalb Calcitriol substituiert chende Vitamin-D3- und Calciumzufuhr für (7 Kap. 12). die Osteogenese ist zu achten. Die Basisprophylaxe und BasistheraEntscheidend für die pharmakologipie der Osteoporose bestehen in täglicher sche Wirkung der Bisphosphonate ist die Zufuhr von 800–1.000 IE Vitamin D3. Da Einhaltung eines exakten Einnahmeprotoein wesentlicher Teil der Calcitriolwir- kolls. Sie werden wegen ihrer Hydrophilie kung über verstärkte intestinale Calcium- sehr schlecht resorbiert (0,3–4 % des Arzresorption erfolgt, ist eine ausreichende neistoffs, 7 Kap. 2). Da sie mit Calcium Calciumzufuhr wichtig. Calcium sollte und anderen Salzen unlösliche Komplexe bevorzugt mit der Nahrung, z. B. Milch- bilden, müssen Bisphosphonate auf nüchprodukte oder calciumhaltiges Mineral- ternen Magen mit ausreichend Wasser (ca. wasser, zugeführt werden. Ansonsten 200 ml; keine Milch und kein Saft) minkann Calcium in einer Menge von ca. destens 30 Minuten vor der ersten Nah1.000 mg/Tag als Nahrungsergänzungs- rungsaufnahme eingenommen werden. 20.2 Vitamin D3 und Calcium
306
Kapitel 20 · Arzneistoffe zur Behandlung der Osteoporose
>>Die Einnahme der Bisphosphonate muss in aufrechter Position (sitzend oder stehend) erfolgen. Danach darf sich der Patient nicht wieder hinlegen, denn durch Bisphosphonatreflux sind Ösophaguserosionen möglich, die in Ulzera und Strikturen übergehen können (7 Kap. 13).
Bisphosphonate verursachen auch Ulzera im Pharynx, Magen und Duodenum. Bei mit Bisphosphonaten behandelten Patienten können insbesondere nach zahnärztlichen und kieferchirurgischen Eingriffen, aber auch spontan, Kieferosteonekrosen (bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw – BRONJ) auftreten. >>Vor dem Beginn einer Therapie mit Bisphosphonaten muss eine gründliche Sanierung des Gebisses erfolgen.
Dies ist insbesondere vor einer zytostatischen Therapie (7 Kap. 31) oder einer Bestrahlung im Kopf-Kiefer-Bereich wichtig. Dadurch lässt sich das Risiko von Kieferosteonekrosen deutlich verringern. An das Risiko von Kieferosteonekrosen durch Bisphosphonate wird von ärztlicher Seite zu selten gedacht. Hier ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Arzt (insbesondere Hausarzt, Onkologe und Orthopäde) und Zahnarzt gefordert.
>>Die Bisphosphonate sind ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die UAW von Arzneistoffen Fächergrenzen überschreiten.
Die Nicht-Beachtung dieser Tatsache durch Bisphosphonate verschreibende Ärzte hat zu etlichen vermeidbaren UAW geführt. Bisphosphonate haben eine HWZ von Monaten bis Jahren, da sie sich in einem tiefen Kompartiment, der Knochenmatrix, befinden (7 Kap. 2). Parallel zur Elimination aus dem Knochen nimmt die antiresorptive Wirkung der Bisphosphonate ab. Da die Ausscheidung der Bisphosphonate über die Niere erfolgt, sind sie bei CKD kontraindiziert. Weitere Kontraindikationen sind GERD und PUD (7 Kap. 13), Unfähigkeit
20
zu sitzen, Hypocalcämie sowie Schwangerschaft und Stillzeit. Wegen der Komplexbildung mit Salzen dürfen Calciumpräparate erst in einem Abstand von zwei Stunden nach Bisphosphonatgabe eingenommen werden. Bisphosphonate verstärken die ulzerogene Wirkung von COX-Inhibitoren im GI-Trakt (7 Kap. 10 und 13).
20.4 SERM
Die Interaktion von RANKL mit seinem Rezeptor RANK ist für die Differenzierung von Osteoblasten-Präkursoren zu aktivierten Osteoklasten von Bedeutung. ER- Agonisten unterdrücken die RANKL- Expression auf Osteoblasten und damit die RANKL/RANK-Interaktion. Bei einer Frau mit ausreichender Estrogenproduktion wird daher die Osteoklastenaktivität supprimiert. In der Menopause fällt diese supprimierende Estrogenwirkung weg und es kommt zu einem Überwiegen der Osteoklastenaktivität und damit zur postmenopausalen Osteoporose (7 Kap. 24). SERM beeinflussen differentiell die ER-Subtypen ERα und ERβ (7 Kap. 24). Die bei postmenopausaler Osteoporose eingesetzten SERM (Prototyp Raloxifen) wirken antagonistisch an dem im Uterus und in der Brustdrüse exprimierten ERα und agonistisch an dem in Knochen, ZNS und Gefäßen exprimierten ERβ. Raloxifen hemmt die RANKL-Expression und wirkt damit antiresorptiv. Durch die antagonistische Wirkung von Raloxifen an ERα wird das Mammakarzinomrisiko reduziert. Allerdings erhöht die agonistische Wirkung am ERβ in den Gefäßen das Thromboembolie- und Schlaganfallrisiko (7 Kap. 18 und 24). Dementsprechend ist Raloxifen bei Patientinnen mit diesen Vorerkrankungen kontraindiziert. Über die agonistische Wirkung von Raloxifen am ERβ im ZNS können Hitzewallungen und grippeähnliche Symptome entstehen.
20
307 20.6 · PTHR-Agonisten
20.5 RANKL-Inhibitoren
Denosumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der an RANKL auf den Osteoblasten bindet und damit die Interaktion des Liganden mit seinem Rezeptor RANK auf den Osteoklasten verhindert. Da die RANK/ RANKL-Interaktion für die D ifferenzierung von Osteoklasten-Präkursoren zu aktivierten Osteoklasten sowie die Funktion der Osteoklasten bedeutsam ist, lässt sich durch Denosumab die Osteoklastenaktivität hemmen und somit ein antiresorptiver Effekt erzielen. Prinzipiell wirken RANKL-Inhibitoren funktionell auf den Knochen ähnlich wie ein SERM mit dem Unterschied, dass kein ER in die pharmakologische Wirkung einbezogen sind. RANKL-Inhibitoren können als Alternative zu SERM bei postmenopausaler Osteoporose eingesetzt werden. Eine AR- Agonist- Ablation (z. B. durch AR- Antagonisten oder Kastration) führt ebenso wie der Wegfall der Estrogenwirkung zu verstärkter Osteoklastenaktivität und erhöhtem Osteoporoserisiko. Daher können RANKL- Inhibitoren bei Männern mit Prostatakarzinom angewendet werden, bei denen eine Therapie mit AR-Antagonisten durchgeführt wurde (7 Kap. 24 und 31). Denosumab wird alle 6 Monate s.c. appliziert. UAW sind Katarakte, Divertikulitis, und atypische Femurfrakturen, allergische Reaktionen sowie selten Hypocalcämie.
die renale Reabsorption von Calcium. Teri paratid ist das N-terminale Fragment aus den Aminosäuren 1–34 von PTH. Bei intermittierender Gabe steigert Teriparatid als PTHR-Agonist die Osteoblastenaktivität und wirkt somit anabol. Teriparatid wird s.c. und maximal 24 Monate angewendet. Es wird vorwiegend bei postmenopausaler Osteoporose und hohem Frakturrisiko eingesetzt. UAW sind Hypercalcämie, Übelkeit sowie Schwindel, Kopf- und Gliederschmerzen. Durch Hypercalcämie wird die Toxizität von NKA-Inhibitoren erhöht (7 Kap. 4 und 16). Teriparatid ist bei manifester Hypercalcämie, CKD sowie Knochenmetastasen und M. Paget kontraindiziert.
Fallbeispiel
>>Auch bei einer Therapie mit Denosumab besteht die Gefahr der Entstehung von Kieferosteonekrosen (denosumab-related osteonecrosis of the jaw – DRONJ).
Eine 72-jährige Frau wird seit drei Jahren wegen postmenopausaler Osteoporose mit Alendronat behandelt. Die Patientin wird vom Hausarzt in Ihre gastroenterologische Praxis überwiesen, weil sie über Sodbrennen klagt. Bei der Ösophagogastroskopie stellen Sie starke Schleimhauterosionen im distalen Ösophagus fest. Die Inspektion des Magens ergibt einen Normalbefund. Des Weiteren nimmt die Patientin Ramipril zur Behandlung ihres Bluthochdrucks und gelegentlich eine halbe Diphenhydramin-Tablette zur Behandlung von Schlafstörungen. Früher sei sie viel mit dem Hund spazieren gegangen; seit dieser vor 6 Monaten gestorben sei, aber nicht mehr. Dafür habe sie wieder angefangen zu rauchen.
Es gelten daher dieselben Vorsichtsmaßnahmen wie bei der Anwendung von Bisphosphonaten.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel)
20.6 PTHR-Agonisten
PTH wird in den Nebenschilddrüsen synthetisiert und bei Hypocalcämie freigesetzt. Es steigert die intestinale Resorption und
1. Wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Welche weitergehenden therapeutischen Möglichkeiten haben Sie? Lösungen 7 Kap. 37
309
Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen Inhaltsverzeichnis 21.1
Physiologische Grundlagen – 310
21.2
athophysiologie und Pharmakotherapie P der Hyperthyreose – 312
21.3
athophysiologie und Pharmakotherapie P der Hypothyreose – 315
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_21
21
310
21
Kapitel 21 · Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen
Der TR-Agonist T3 reguliert jede Körperfunktion. Thyreozyten nehmen Iodid auf und bauen es über die TPO in Tyrosinreste des Thyreoglobulins ein, aus denen durch Kopplung gebundenes T3 und T4 entstehen. Nach proteolytischer Abspaltung werden T3 und T4 ins Blut sezerniert. In der Leber wird das Prohormon T4 in das biologisch aktive Hormon T3 deiodiert. Bei Hyperthyreose kommt es zu verstärkter Synthese von T4 und T3. Eine Hyperthyreoseursache ist die Stimulation des TSH-Rezeptors mit Autoantikörpern. Hyperthyreose wird mit TPO-Inhibitoren behandelt. Zur Strumaprophylaxe (Hemmung der TSH-Sekretion) wird neben Iodid niedrig dosiertes T4 gegeben. Alternativ kann eine Hyperthyreose mit 131Iodid behandelt werden. 131Iodid zerstört selektiv Thyreozyten durch energiereiche β-Strahlung. Kardiovaskuläre Symptome der Hyperthyreose (Tachykardie und Hypertonie) können mit β1AR-Antagonisten, Erregungszustände mit Benzodiazepinen und Diarrhoe mit peripher wirkenden MOR-Agonisten behandelt werden. Bei einer Hypothyreose ist die Synthese von T4 und T3 vermindert. Häufige Ursachen der Hypothyreose sind Hashimoto- Autoimmunthyreoiditis und Iodmangelstruma. Die Hypothyreosetherapie erfolgt mit T4, da es eine gleichmäßigere Wirkung im Körper als T3 entfaltet. Bei Iodidmangel wird Kaliumiodid substituiert.
Merksätze 55 Thiamazol hemmt die TPO und damit die T3- und T4-Synthese. 55 Die gravierendste UAW von Thiamazol ist eine Agranulozytose. 55 T4 ist das Prodrug (Prohormon) des eigentlichen TR-Agonisten (Hormons) T3. 55 131Iodid zerstört durch β-Strahlung Thyreozyten. 55 Die Hyperthyreose wird mit TPOInhibitoren oder 131Iodid behandelt. 55 Bei einer Hyperthyreose muss eine Strumaprophylaxe mit T4 erfolgen. 55 Die Hypothyreosetherapie erfolgt mit T4.
55 T4 und Schilddrüsenextrakte werden zur Gewichtsreduktion missbraucht, was zu Arrhythmien und Hypertonie führen kann. 55 Amiodaron kann eine Hyper- oder Hypothyreose auslösen, iodhaltige Kontrastmittel Hyperthyreose und Lithium Hypothyreose.
21.1 Physiologische Grundlagen
Die Synthese und Sekretion der Schilddrüsenhormone erfolgt unter Einfluss von TSH, das aus der Hypophyse freigesetzt wird. T4 ist das biologisch inaktive Prohormon von T3. Die Umwandlung von T4 in das aktive Hormon T3 erfolgt durch Deiodasen in der Leber. T3 hemmt über negatives Feedback die TSH-Sekretion in der Hypophyse und stellt dadurch sicher, dass die Schilddrüse nicht überstimuliert wird. Langfristige TSH-Stimulation fördert die Thyreozytenproliferation bis hin zur Struma, die nicht nur ein kosmetisches, sondern auch ein funktionelles Problem ist. Auf dem Boden einer Hypooder Hyperthyreose können benigne Adenome oder maligne Tumoren mit Kompression von Halsorganen entstehen. . Abb. 21.1 gibt eine Übersicht über die Regulation der Sekretion von T4 und T3, Funktionen von T3, Hyper- und Hypothyreose und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. T3 entfaltet seine Wirkungen über den nukleären TR, über den die Gentranskription und damit die Proteinbiosynthese reguliert wird (7 Kap. 1). Demzufolge wirken TR-Agonisten langsam und pharmakologische Eingriffe zeigen erst nach einer Latenz von Tagen Wirkungen. Dies ermöglicht zwar gut verträgliche und „sanfte“ Eingriffe in das System, macht aber die akute pharmakologische Beeinflussung der Folgen einer veränderten TR-Agonist-Sekretion zum Problem. TR-Agonisten regulieren jede Körperfunktion. T3 ist für eine ausgeglichene Psy
21
311 21.1 · Physiologische Grundlagen
physiologisch
Hyperthyreose
Hypothyreose
Hypophyse
Hypophyse
Hypophyse
131
Iodid
TSH
T3
TSH
Schilddrüse
Schilddrüse
T4
T4
KaliumIodid
Schilddrüse
T4 low dose zur StrumaProphylaxe
T4 (Prodrug)
T4
T3
T3
T3
T3 (aktiv)
TSH
T3 (aktiv)
TPO-Inhibitoren Physiologische Körperfunktionen • Herz-Kreislauf-System
• Hypertonie↓
• GI-Trakt
• Tremor↓
• Leber
• Schwitzen↓
• ZNS
• Diarrhoe↓
• Reproduktionsorgane
• Wärmeintoleranz↓
• Binde-, Stützgewebe, Muskulatur
• Gewichtsverlust↓
• Körpertemperatur, Grundumsatz
• Erregungszustände↓ b
a
• Bradykardie↓
• Tachykardie↓ Metoprolol
• Hypotonie↓ • Müdigkeit↓ • Kälteintoleranz↓
Loperamid
• Gewichtszunahme↓ • Trockene Haut↓ • Obstipation↓
Diazepam c
.. Abb. 21.1 a–c Regulation der Sekretion von T4 und T3, Funktionen von T3, pathophysiologische Veränderungen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. a Physiologische Situation. b Hyperthyreose. c Hypothyreose
che und mentale Leistungsfähigkeit erforderlich. Im kardiovaskulären System führt T3 zu vermehrter β1AR-Expression. Dadurch kommt es zu Tachykardie und Hypertonie (7 Kap. 15 und 17). T3 stellt eine normale Motilität des GI-Traktes sowie in der Leber einen ausgeglichenen Glucose- und Lipidstoffwechsel sicher, ist für einen normalen Grundumsatz bedeutsam und reguliert die Körpertemperatur. T3 beeinflusst Muskelstoffwechsel und -kontraktilität. Auch für Fortpflanzung und Wachstum sowie für die Funktion von Binde- und Stützgeweben und der Haut ist T3 wichtig. Hyper- und Hypothyreose manifestieren sich deshalb an multiplen Organen (. Abb. 21.1b, c). . Abb. 21.2 gibt einen Überblick über die Synthese und den Metabolismus von T4
und T3, pathophysiologische Veränderungen, pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten und toxikologische Probleme. Iodid wird aktiv über einen Transporter in Thyreozyten aufgenommen und in Kolloidvesikel transportiert. Dort erfolgt über die TPO die Oxidation zu elementarem Iod, das über TPO in Tyrosinreste des Thyreoglobulins eingebaut wird. Zwei diiodierte Tyrosinreste (Diiodthyronin, DIT) werden in den Kolloidvesikeln über die TPO zu T4 kondensiert und ein monoiodierter Tyrosinrest (Monoiodthyronin, MIT) koppelt mit einem Diiod tyroninrest zu T3. Thyreoglobulin wird in Thyreozyten aufgenommen. Dort erfolgt die proteolytische Abspaltung von T3 und T4. Beide werden ins Blut sezerniert. Im Blut werden T3 und T4 an T3/T4-bindendes Glo-
312
Kapitel 21 · Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen
Thiamazol
T
21
T
TG T
MIT
T
M. Hashimoto (TG-AK)
Agranulozytose
Iodid
T3 TG T4
DIT
DIT
M. Hashimoto (TPO -AK)
Kolloid Konstitutiv aktivierende Mutationen
Thyreozyt
T T
TG T
MIT, DIT
„Natürliche“ SchilddrüsenHormone
Proteolyse
T T3
Iodid M. Basedow (TRAK)
TSHR
β-
TSH
Iodid
131Iodid
Iodid
131Iodid
Blut
T4
T4 -Missbrauch T4
Li+
T3 aktiv
Iodid Amiodaron
MIT
DIT TG DIT TPO
TPO Iod
TPO
T4 inaktiv
Leber
Iodid T3 aktiv
Iodhaltige Kontrastmittel .. Abb. 21.2 Synthese und Metabolismus von T4 und T3, pathophysiologische Veränderungen, pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten und toxikologische Probleme. TG, Thyreoglobulin; MIT, Monoiod-
thyronin; DIT, Diiodthyronin; TBG, T3/T4-bindendes Globulin. TPO-AK, Antikörper gegen TPO; TG-AK, Antikörper gegen Thyreoglobulin; TRAK, Antikörper gegen den TSH-Rezeptor
bulin gebunden und transportiert. T3 ist biologisch aktiv und beeinflusst Zielzellen, während das biologisch inaktive T4 in der Leber erst zu T3 umgewandelt werden muss. T3 besitzt eine kürzere Plasma-HWZ (ca. 24 Stunden) als T4 (ca. 7 Tage). . Tab. 21.1 fasst die wichtigsten Eigenschaften von Arzneistoffen für die Therapie von Schilddrüsenerkrankungen zusammen.
Folge einer Iodmangelstruma oder M. Basedow. Bei M. Basedow werden Antikörper gegen den TSH-Rezeptor gebildet, die diesen aktivieren und somit die Funktion und Proliferation der Thyreozyten stimulieren (. Abb. 21.2). Eine weitere Ursache für eine Hyperthyreose können konstitutiv aktivierende Mutationen im TSH-Rezeptor sein. Dies bedeutet, dass der TSH-Rezeptor bereits in Abwesenheit des Agonisten TSH aktiv ist und die Schilddrüse stimuliert. Auch TSH-sezernierende Hypophysenadenome und Arzneistoffe können eine Hyperthyreose verursachen. Zu letzteren gehören Iod-haltige Verbindungen wie Röntgenkontrastmittel (7 Kap. 12) und Amiodaron (. Abb. 21.2 und 7 Kap. 17). Durch das erhöhte Iodidangebot werden vermehrt T4 und T3 synthetisiert.
21.2 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie der Hyperthyreose
Bei einer Hyperthyreose ist die Sekretion von T3 und T4 erhöht (. Abb. 21.1b). Ursachen sind autonome Schilddrüsenadenome als
TPO-Inhibitor
Thiamazol Reduktion der T3- und T4-Synthese
Hyperthyreosen; in Kombination mit T4, um TSH-Sekretion zu hemmen (Strumaprophylaxe)
Dauertherapie von Hypothyreose unterschiedlicher Genese; Kombination mit TPO-Inhibitoren zur Hemmung der TSHSekretion (Strumaprophylaxe) Wichtig ist es, T4 morgens auf nüchternen Magen einzunehmen.
Hyperthyreose, die auf TPO-Inhibitoren nicht anspricht; Schilddrüsenkarzinom
Wichtige Indikationen
Hypothyreose bei Überdosierung (Gewichtszunahme, Kälteintoleranz, Müdigkeit, Bradykardie, Obstipation), Exantheme, Arthralgie, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Leberschäden, Vaskulitis, Agranulozytose (Blutbildkontrollen)
Hyperthyreose bei Überdosierung (Gewichtsverlust, Wärmeintoleranz, psychische Erregung, Diarrhoe, Tremor und Tachykardie)
Hypothyreose, geringe Toxizität außerhalb der Schilddrüse
Wichtige UAW
T3 ist wegen ungünstiger pharmakokinetischer Eigenschaften bewusst nicht in die Tabelle aufgenommen worden
TR-Agonist
T4 Prodrug (Prohormon) , das in das biologisch aktive T3 umgewandelt wird; Umwandlung zu T3 mit einer Plasma- HWZ von ca. 7 Tagen; daher gleichmäßige und angenehme Wirkung von T4 beim Patienten
Selektive Aufnahme in die Schilddrüse und irreversible Zerstörung der Thyreozyten
β-Strahler
131
Iodid
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
.. Tab. 21.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen
7 Kap. 4, 13
7 Kap. 5, 13, 15, 16, 25
7 Kap. 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
21.2 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Hyperthyreose 313
21
Kapitel 21 · Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen
314
21
Wichtige Symptome der Hyperthyreose sind Tachykardie, Hypertonie und Tremor als Folge einer vermehrten β1AR-Expression. Außerdem kommt es zu Erregungszuständen, Diarrhoe, Wärmeintoleranz, Gewichtsverlust, Hyperthermie und Schwitzen, Heißhunger, Hyperglykämie, Fettleber, Haarausfall, Osteoporose, Infertilität und Myopathie.
den, dass der Patient zusammen mit dem endogenen T4 euthyreotisch ist. >>T3 eignet sich nicht zur Strumaprophylaxe, da seine Wirkung wegen der kürzeren Plasma-HWZ schlecht steuerbar ist. Deshalb ist T3 auch nicht in der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste.
Häufig kommt es unter Thiamazol zu leichteren UAW (Exantheme, Arthralgien, Fieber, Übelkeit und Erbrechen). Deutlich seltener sind schwere UAW wie Leberschäden, VasDa T4 keine Organselektivität besitzt, kulitis und Leukopenie bis hin zur lebensbekommt es zwar zum erwünschten Gewichts- drohlichen Agranulozytose (0,3–0,6 % der verlust, jedoch werden auch alle anderen Or- behandelten Patienten). Unter Thiamazol gane beeinflusst. Es können Tachyarrhyth- therapie muss daher das Blutbild regelmäßig mie, Hypertonie und CHF auftreten kontrolliert werden. Im Falle einer Agranulo(7 Kap. 15, 16 und 17). Ebenso kritisch zu zytose muss Thiamazol abgesetzt werden. sehen ist die Einnahme „natürlicher“ TR- Die Granulozytopoese kann durch G-CSF Agonisten aus getrockneten tierischen wieder stimuliert werden (7 Kap. 4). Schilddrüsen, die einen nicht definierten T3und T4-Gehalt besitzen, im Internet ohne >>Der Begriff „Thyreostatika“ zur Bezeichnung der TPO-Inhibitoren ist irreführend Rezept zu kaufen sind und daher ohne ärztund sollte vermieden werden. liche Kontrolle schwere Hyperthyreosen auslösen können (Hyperthyreosis factitia). Die Hyperthyreose wird mit TPO- Zwar hemmen TPO-Inhibitoren die BiosynInhibitoren (Prototyp Thiamazol) behan- these von T4, aber durch die kompensatodelt. Dadurch wird die Iodoxidation, der risch erhöhte TSH-Freistzung wird die Einbau von Iod in Thyreoglobulin (Iodie- Schilddrüse sogar stimuliert. Dies kann zur rungshemmung) und die Kopplung von Struma führen. Diese wichtige UAW wird MIT + DIT zu T3 und von DIT + DIT zu durch die Benutzung des Begriffes „ThyreoT4 gehemmt. Thiamazol (Plasma-HWZ statika“ leichter übersehen. 6–12 Stunden) wird einmal täglich gegeben. Falls sich die Hyperthyreose mit ThiaDa nach Beginn einer Thiamazoltherapie mazol nicht behandeln lässt oder gravienoch viel T3/T4-haltiges Thyreoglobulin rende UAW auftreten, ist eine Radioiodthevorhanden ist und T3 seine Wirkungen über rapie mit dem harten β-Strahler 131Iodid einen nukleären Rezeptor vermittelt möglich. Sie kommt auch bei nicht-operab(7 Kap. 1), besteht eine ein- bis zweiwö- len Schilddrüsenkarzinomen infrage. chige Latenz bis zum Wirkungseintritt. Weil 131Iodid wird wie nicht-radioaktives Iodid in Thiamazol langfristig die T3- und T4-Syn- Thyreozyten und dann in das Kolloid aufthese hemmt, kommt es zu einem Wegfall genommen (. Abb. 21.2), hat eine physikades negativen Feedbacks auf die Hypophyse lische HWZ von 8 Tagen und eine Reichund einer verstärkten TSH-Sekretion weite im Schilddrüsengewebe von 5 mm. (. Abb. 21.1b). Dies führt zu einer Thyreo- Durch Anreicherung von 131Iodid in Thyzytenproliferation. Die daraus folgende reozyten und Kolloid kommt es zu Strumabildung wird verhindert, indem man DNA-Strangbrüchen und irreversibler ZerThiamazol mit T4 in niedriger Dosierung störung des Schilddrüsengewebes. Die Lakombiniert. T4 muss dabei so dosiert wer- tenz zwischen Therapiebeginn und Wir>>Ein Problem stellt der Missbrauch von T4-Präparaten als Schlankheitsmittel bei Patienten mit Euthyreose dar.
21
315 21.3 · Pathophysiologie und Pharmakotherapie der Hypothyreose
struma ist durch Verwendung von iodiertem Speisesalz möglich. Hypothyreosen können außerdem postoperativ, nach Bestrahlung mit 131Iodid, unter Therapie mit Thiamazol oder durch bestimmte Arzneistoffe wie Lithium (. Abb. 21.2 und 7 Kap. 28) und Amiodaron (. Abb. 21.2 und 7 Kap. 17) induziert werden. Bei Hypothyreose fällt die hemmende Wirkung von T3 auf die TSHSekretion weg. Dadurch wird die Thyreozytenproliferation stimuliert und es entwickelt sich eine Struma (. Abb. 21.1c). >>Ein praktisches Problem bei der Hyper Leitsymptome der Hypothyreose sind thyreosetherapie besteht in der Latenz Müdigkeit, verringerte Leistungsfähigkeit, zwischen Behandlungsbeginn und WirGedächtnisstörungen, Obstipation, Gekungseintritt. wichtszunahme, Kälteempfindlichkeit, BraMan muss diese Latenzzeit überbrücken, in- dykardie, Hypotonie, CHF, ein teigiges Liddem man Hyperthyreosesymptome mini- ödem (Myxödem), Haarausfall, Heiserkeit miert. Zur Behandlung von Tachykardie, sowie trockene, kalte und schuppende Haut. Hypertonie und Tremor eignen sich β1AR- Eine Hypothyreose wird mit T4 behanAntagonisten (7 Kap. 5, 15 und 17). Zur delt. Es hat eine Plasma-HWZ von ca. 7 Therapie von Erregungszuständen können Tagen und wird im Körper bedarfsgerecht Benzodiazepine (7 Kap. 25) eingesetzt wer- zu T3 umgewandelt. Man beginnt die mit einer den. Bei Diarrhoe erfolgt Elektrolyt- und Hypothyreosedauertherapie Flüssigkeitssubstitution (7 Kap. 13). Der T4-Dosis von ca. 25 μg/Tag und erhöht diese peripher wirkende MOR-Agonist Lopera- im Wochenabstand um 25–50 μg/Tag, bis mid verlangsamt die Darmperistaltik und eine Dosis von ca. 1,5 μg/kg/Tag erreicht ist bessert damit Diarrhoe (7 Kap. 13). Bei (Frauen 75–125 μg/Tag; Männer 125– Vorliegen von Hyperthermie muss eine kon- 200 μg/Tag). trollierte Körperkühlung erfolgen. kungseintritt beträgt 2–3 Monate. Bei vollständiger Schilddrüsenzerstörung kann eine Hypothyreose entstehen, die durch T4-Substitution behandelt werden muss. Kontraindikationen für eine Therapie mit 131Iodid sind Schwangerschaft, Laktation und eine schwere Hyperthyreose ohne Vorbehandlung. Insgesamt hat 131Iodid wegen der starken Anreicherung in der Schilddrüse und der kurzen Reichweite der β-Strahlung nur geringe Toxizität in anderen Organen.
21.3 Pathophysiologie und
Pharmakotherapie der Hypothyreose
Hypothyreosen sind häufige (Prävalenz 1–1,5 %) und sehr gut behandelbare Erkrankungen. Eine wichtige Ursache ist die Autoimmunthyreoiditis Hashimoto, bei der Autoantikörper gegen TPO (90 % der Patienten) und Thyreoglobulin (50 % der Patienten) gebildet werden. Eine weitere bedeutende Ursache für Hypothyreose ist die unzureichende Aufnahme von Iodid mit Trinkwasser und Nahrung, insbesondere in Endemiegebieten wie Bayern, Österreich und der Schweiz. Die Prophylaxe einer Iodmangel-
>>Durch „Nutzen“ von Bruchrillen in den T4-Tabletten entstehen erhebliche Dosierungsungenauigkeiten. Es gibt für jeden Patienten geeignete fein abgestuft dosierte T4-Tabletten, die nicht gebrochen werden müssen (7 Kap. 1).
Unter der T4-Therapie soll eine Euthyreose erreicht werden. Außerdem muss die TSHSekretion supprimiert werden, damit keine weitere Stimulation der Thyreozytenproliferation auftritt. Bei einem Iodidmangel muss die Substitution mit Kaliumiodid erfolgen, wenn die Zufuhr durch iodiertes Speisesalz und iodhaltige Nahrungsmittel wie Meeresfisch nicht ausreichend ist. Frühe Indikatoren einer erfolgreichen Hypothyreosetherapie sind Gewichtsabnahme bei gleichzeitiger Appetitsteigerung, erhöhte psychomotori-
316
21
Kapitel 21 · Arzneistoffe zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen
sche Aktivität und HF- und BD-Anstieg. Im späteren Verlauf bessern sich die Hautsymptome und die Heiserkeit; die TSH-Konzentration fällt ab. Praktisch bedeutsam ist, dass die T4-Resorption am zuverlässigsten auf nüchternem Magen erfolgt. Deshalb muss T4 mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück mit einem Glas Wasser eingenommen werden. In der Schwangerschaft, bei Mageninfektion mit Helicobacter pylori sowie unter einer PPI- Therapie besteht erhöhter T4-Bedarf (7 Kap. 13). Bei KHK muss T4 niedriger dosiert werden, um das MI-Risiko zu reduzieren (7 Kap. 16). Colestyramin, Antazida und Eisensalze verringern die T4-Resorption. T4 kann die Wirksamkeit von Insulin abschwächen (7 Kap. 19). Stark Plasmaprotein- gebundene Arzneistoffe wie VKA (7 Kap. 18) und Phenytoin (7 Kap. 25) konkurrieren mit T4 und T3 um die Bindung an Transportproteine im Plasma und können dadurch den Anteil des ungebundenen und damit biologisch wirksamen T3 erhöhen und damit eine Hyperthyreose auslösen (7 Kap. 2). Eine T4-Therapie ist sehr preiswert (Tagestherapiekosten von derzeit ca. 15 ¢ pro Patient). Einerseits ermöglicht dies die ökonomische Behandlung über einen langen Zeitraum, häufig lebenslang, andererseits sind jedoch die Gewinnmargen der T4- Hersteller sehr gering. Daher hat in den vergangenen Jahren eine globale Zentralisierung von Produktionsstätten, vor allem in Indien und China, stattgefunden. Kommt es bei zentralisiert produzierten Arzneistoffen zu Problemen bei der Produktion (Menge und Qualität), führt dies wegen fehlender Ausweichmöglichkeiten leicht zu weltweiten Lieferengpässen bei wichtigen Arzneistoffen.
Solche Probleme hat es nicht nur bei T4 gegeben, sondern auch bei antibakteriellen Arzneistoffen wie Amoxicillin und Piperacillin (7 Kap. 32), Zytostatika wie Cyclophosphamid (7 Kap. 31) und ASS (low dose) zur i. v.-MI-Akuttherapie (7 Kap. 16).
>>Die globale Zentralisierung der Produktion wichtiger und preiswerter Arzneistoffe, darunter regelmäßig auch T4, wird zu einem zunehmenden Problem in der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.
Um dem Problem zu begegnen, wird der Aubau einer nationalen Arzneimittelreserve für die wichtigsten Arzneistoffe diskutiert. Fallbeispiel
Eine 25-jährige Patientin stellt sich in Ihrer Hausarztpraxis vor. Die Patientin wirkt apathisch, klagt über Müdigkeit und mangelnde Konzentration, Gewichtszunahme, Verstopfung und Kälteempfindlichkeit. Sie stellen eine Bradykardie (HF 45/min) fest. Sie finden eine deutliche Erhöhung der TSH-Konzentration im Plasma und eine deutliche Erniedrigung der Konzentrationen von T3 und T4 sowie Antikörper gegen TPO. Im Sonogramm sehen Sie eine unregelmäßige Struktur der Schilddrüse.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie therapeutisch vor? 2. Welche UAW kann T4 verursachen? Lösungen 7 Kap. 37
317
Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien Inhaltsverzeichnis 22.1
athogenese der Arteriosklerose P und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 318
22.2
HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren – 320
22.3
Cholesterinresorptions-Inhibitoren – 324
22.4
Anionenaustauscherharze – 324
22.5
PPAR-α-Agonisten – 325
22.6
PCSK9-Inhibitoren – 325
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_22
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318
22
Kapitel 22 · Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien
Eine LDL-Hypercholesterinämie ist ein wesentlicher Faktor in der Pathogenese der Arteriosklerose, die wiederum eine wichtige Ursache von MI, Schlaganfall und peripherer arterieller Verschlusserkrankung ist. Die LDL-Cholesterinsenkung hat daher große Bedeutung in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen. Basis der Therapie und Prävention der Arteriosklerose sind ausgewogene Ernährung, normales Körpergewicht, viel Bewegung und Tabakverzicht. Therapeutisch am wichtigsten und sehr gut validiert ist die Senkung des LDLCholesterins durch HMG-CoA-ReduktaseInhibitoren. Sie hemmen die Cholesterinsynthese in der Leber. Haupt-UAW der HMG-CoAReduktase-Inhibitoren ist eine Myopathie, die durch eine erhöhte Bioverfügbarkeit zustande kommt. Diese wird durch gleichzeitige Gabe von CYP3A4- und/oder OATPB1-Inhibitoren weiter gesteigert. Komplementäre Ansätze zur Behandlung von Dyslipidämien sind Hemmung der Cholesterinresorption, Bindung von Gallensäure im Darm, PPAR-α-Aktivierung und PCSK9-Hemmung.
55 Ezetimib hemmt die Cholesterinresorption im Darm und wird meist mit HMGCoA-Reduktase-Inhibitoren kombiniert. 55 Colestyramin bindet Gallensäuren und unterbricht den enterohepatischen Kreislauf. 55 Fenofibrat ist ein PPAR-α-Agonist und wird bei gemischten Hyperlipidämien und Hypertriglyzeridämien eingesetzt. 55 Evolocumab hemmt PCSK9 und wird nur bei therapierefraktärer LDL-Hypercholesterinämie eingesetzt, da es sehr teuer ist.
22.1 Pathogenese der
Arteriosklerose und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Cholesterin ist ein Lipid mit Sterin-Grundstruktur, das für alle Biomembranfunktionen wichtig ist. Außerdem ist Cholesterin Ausgangsstoff für die Synthese von Gallensäuren und Vitamin D3 (7 Kap. 20), MCR- Agonisten (7 Kap. 15), GCR-Agonisten (7 Kap. 11) und Sexualhormon rezeptorAgonisten, (7 Kap. 24). Der Cholesterintransport im Blut erfolgt über Lipoproteine. Der überwiegende Anteil (ca. 700–900 mg) des täglichen Cholesterinbedarfs beim Menschen wird durch Synthese in der Leber gedeckt; der Rest (ca. 250 mg) wird durch die Nahrung aufgenommen. Die Cholesterinausscheidung erfolgt überwiegend über die Galle, wobei ein erheblicher Anteil (ca. 400 mg) in Gallensäuren umgewandelt wird, die z. B. für die Resorption fettlöslicher Vitamine, von Fettsäuren und Triglyzeriden essentiell sind. Der Cholesterintransport zur Leber wird vor allem über das low-density lipoprotein (LDL) vermittelt. LDL-Cholesterin wird über den LDL-Rezeptor in die Leber aufgenommen. LDL-Hypercholesterinämie (LDL-Cholesterin > 4,0 mmol/l) ist ein sehr wichtiger Risikofaktor für die Entstehung der Arteriosklerose mit wichtigen Folgeerkrankungen wie
Merksätze 55 HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren senken effektiv und preiswert das LDLCholesterin. 55 HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren senken die kardiovaskuläre Mortalität. 55 Der Einsatz von HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren erfolgt unter Berücksichtigung eines Risk Score, in den Geschlecht, Alter, Tabakkonsum und BD eingehen. 55 Der Einsatz von HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren muss in ein Gesamtkonzept integriert sein, das gesunde Lebensführung, Reduktion von Übergewicht und Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren beinhaltet. 55 HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren können eine Myopathie auslösen. 55 Das Myopathierisiko wird durch gleichzeitige Einnahme von CYP3A4- und OATPB1-Inhibitoren erhöht.
22
319 22.1 · Pathogenese der Arteriosklerose und pharmakologische…
MI, Schlaganfall und PAVK (periphere arterielle Verschlusserkrankung). In Deutschland hat ein großer Anteil der Bevölkerung (> 50 %) LDL-Hypercholesterinämie. . Abb. 22.1 zeigt schematisch die Pathogenese der Arteriosklerose sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Die häufigste Form der LDL-Hypercholesterinämie ist der Typ IIa, der polygenetisch bedingt ist und durch Risikofaktoren wie unausgewogene Ernährung, Diabetes, Adipositas, Alkoholabusus sowie Bewegungsmangel gefördert wird. Verschiedene Arzneistoffgruppen können die Entstehung einer LDL- Hypercholesterinämie fördern. Dazu gehören GCR-Agonisten(7 Kap. 11) und ER-Agonisten (7 Kap. 24). LDL-Cholesterin wird im Endothel oxidiert. Oxo-LDL- Cholesterin wird in Makrophagen aufgenommen, die zu Schaumzellen umgewandelt werden und dann eine Entzündungsreaktion generieren, die zu subendothelialen Plaques führt. Eine Plaqueruptur verursacht eine
Thrombose mit den Folgeerkrankungen MI und Schlaganfall (7 Kap. 16 und 18). Weitere Risikofaktoren für die Pathogenese kardiovaskulärer Erkrankungen sind Hypertonie (7 Kap. 15), erhöhtes Lebensalter (Männer > 50 Jahre, Frauen > 60 Jahre), Typ-2-Diabetes (7 Kap. 19), Tabakrauchen (7 Kap. 5) sowie Dyslipidämie. mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29) und Protease-Inhibitoren (7 Kap. 33) können Dyslipidämien verschlechtern. Eine Verringerung des high-density lipoprotein (HDL)-Cholesterins (< 1,0 mmol/l bei Männern und < 1,2 mmol/l bei Frauen) wirkt ebenso ungünstig auf Arteriosklerose wie eine Erhöhung der Triglyzeride > 1,7 mmol/l.
>> Der Begriff „Lipidsenker“ für Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien sollte vermeiden werden, weil damit nicht berücksichtigt wird, dass die Konzentration einiger Lipoproteine (z. B. HDL-Cholesterin) ansteigen kann und sogar soll! HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren
Myopathie
(ther. Dosierung)
PCSK9
Skelettmuskel
HMG-CoA
Mitochondrienfunktion
Mevalonsäure Leber
Ubichinon HMG-CoA
PCSK9Inhibitoren
Gallensäure
Cholesterin LDL-R
Mevalonsäure
Darm
+ CYP3A4-Inhibitoren + OATP1B1-Inhibitoren + PPAR-α-Agonisten zu hohe Dosierung Vasodilatation NO
LDL
NPC1L1
HMG-CoAReduktaseinhibitoren
Dyslipoproteinämie
LDL
• Triglyzeride Gefäß
Endothel
CholesterinresorptionsInhibitoren
• LDL • HDL
Anionen-Austauscher
PPAR-α-Agonisten
VKA
Faktor-Xa- und Thrombin-Inhibitoren
oxo-LDL
Plaque
MI Schlaganfall
Thrombose
Schaumzellbildung Plaque-Ruptur
ASS low dose, Clopidogrel
GewebeplasminogenAktivatoren
.. Abb. 22.1 Pathogenese der Arteriosklerose sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Kapitel 22 · Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien
320
22
Therapieziel ist es, Risikofaktoren positiv zu beeinflussen und somit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens kardiovaskulärer Folge erkrankungen zu reduzieren. Basis der Therapie ist eine gesunde ausgewogene Ernährung sowie viel Bewegung. . Tab. 22.1 gibt eine Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der LDL-Hypercholesterinämie und anderer Dyslipidämien. Verschiedene Arzneistoffe reduzieren LDL-Cholesterin. Am wichtigsten sind die HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (7 Abschn. 22.2), während Inhibitoren der Cholesterinresorption (7 Abschn. 22.3), Anionenaustauscherharze (7 Abschn. 22.4), PPAR-α-Agonisten (7 Abschn. 22.5) und PCSK9-Inhibitoren (7 Abschn. 22.6) eine geringere Bedeutung haben. HMG-CoAReduktase-Inhibitoren und PPAR-αAgonisten erhöhen auch moderat das HDL-Cholesterin. HMG-CoA-ReduktaseInhibitoren, Inhibitoren der Cholesterinresorption und PPAR-α-Agonisten erniedrigen zusätzlich im unterschiedlichen Ausmaß die Triglyzeridkonzentration im Plasma. Die Wirkungen der Arzneistoffe mit anti- dyslipidämischer Wirkung treten mit Verzögerung von mehreren Tagen ein; Maximalwirkungen werden erst nach Wochen erzielt. Das ist jedoch unproblematisch, da es sich um eine präventive Arzneitherapie handelt. Die Therapie der LDL-Hypercholesterinämie erfolgt differenziert unter Berücksichtigung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren. Dazu gehören Lebensalter (bei Männern steigt das Risiko für MI und Schlaganfall deutlich früher als bei Frauen), BD und Rauchen. Bei Patienten mit einem erhöhten LDL-Cholesterin ohne weitere Risikofaktoren beginnt man zunächst mit einer Diät und Implementierung eines aktiven Lebensstils. Dazu gehören Gewichtsreduktion bei Adipositas, regelmäßiger Ausdauersport, Einschränkung des Alkoholkonsums sowie Ernährungsumstellung mit weniger Fett, Verzicht auf Softdrinks sowie ausreichend Ballaststoffe. Beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren wird zusätzlich mit einer dem jeweiligen Lipidprofil ange
passten Pharmakotherapie, in der Regel mit einem HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren, begonnen. Durch die Pharmakotherapie von LDL- Hypercholesterinämien lässt sich die kardiovaskuläre Mortalität senken. Dies ist insbesondere für die HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren gezeigt worden. Generell gilt, dass das LDL-Cholesterin umso stärker gesenkt werden sollte, je größer das kardiovaskuläre Risiko ist. Bei Patienten mit hohem Risiko sollte das LDL-Cholesterin auf < 1,8 mmol/l (oder mindestens um 50 %) gesenkt werden.
22.2 HMG-CoA-Reduktase-
Inhibitoren
Die wichtigste Arzneistoffgruppe zur Behandlung von Lipidstoffwechselstörungen sind die HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren. Ihre Wirksamkeit in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen ist erwiesen, und die sichere und preiswerte Behandlung großer Patientenkollektive ist möglich. . Abb. 22.1 zeigt den Wirkmechanismus, die Wirkungen sowie wichtige UAW und Interaktionen der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren. Schlüsselenzym für die Cholesterinsynthese in der Leber ist die HMG-CoA-Reduktase, die HMG-CoA in Mevalonsäure umwandelt. Aus Mevalonsäure entsteht über mehrere Zwischenstufen Cholesterin. HMGCoA-Reduktase-Inhibitoren hemmen den wichtigsten Schritt der Cholesterinsynthese. Dadurch fällt die hepatische Cholesterinkonzentration ab. Um den entstehenden Cholesterinmangel zu kompensieren, werden verstärkt LDL-Rezeptoren auf der Plasmamembran exprimiert. Über diese Rezeptoren wird vermehrt LDL- Cholesterin in die Leber aufgenommen und der Cholesterinmangel behoben. Gleichzeitig wird LDL-Cholesterin im Plasma erniedrigt und damit die Entstehung einer Arteriosklerose verzögert. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren können das LDL-Cholesterin um bis zu 50 % senken. Sie erniedrigen auch Triglyzeride moderat und erhöhen das HDL-Cho
Arzneistoffgruppe
Anionen-Austauscher
PCSK9-Inhibitor
CholesterinresorptionsInhibitor
Arzneistoff
Colestyramin
Evolocumab
Ezetimib Hemmung der intestinalen Cholesterinresorption über NPC1L1 Gesamtcholesterin: 15 %↓ LDL: 8–20 %↓ HDL: → Triglyzeride: 10 %↓
Monoklonaler Antikörper, der PCSK9 hemmt; die Folge ist eine verstärkte Expression von LDL-Rezeptoren in der Leber. Gesamtcholesterin: ↓ LDL: 50–60 %↓ HDL: → Triglyzeride: →
Basisches Polymer, das im Darm Gallensäuren bindet und damit den enterohepatischen Kreislauf unterbricht. Gesamtcholesterin: ↓ LDL: 12–34 %↓ HDL: → Triglyzeride: →↓
Wichtige Wirkungen
Primäre LDLHypercholesterinämie und homozygote familiäre Hypercholesterinämie (auch in Kombination mit HMG-CoAReduktase-Inhibitoren)
Primäre LDLHypercholesterinämie und gemischte Dyslipidämie, wenn HMG-CoA-ReduktaseInhibitoren kontraindiziert sind bzw. alleine nicht ausreichen
Adjuvante Therapie bei primärer LDLHypercholesterinämie; Pruritus/Ikterus bei partiellem Gallengangsverschluss
Wichtige Indikationen
.. Tab. 22.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von Lipidstoffwechselstörungen
Hepatotoxizität, GIBeschwerden, Schwindel
Allergische Reaktionen (z. B. an der Injektionsstelle), Atembeschwerden, Infektionen der oberen Atemwege
Obstipation, Fettstühle, Hypovitaminosen der lipidlöslichen Vitamine A, D, E und K; wegen kompensatorischer Überexpression der HMGCoA-Reduktase Kombination mit HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 12, 13
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
22.2 · HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren 321
22
Arzneistoffgruppe
PPAR-α-Agonist
HMG-CoA-ReduktaseInhibitor
Fenofibrat
Simvastatin Hemmung der HMGCoA-Reduktase und damit der Cholesterin synthese in der Leber; sekundär verstärkte Aufnahme von LDLCholesterin in die Leber; zusätzlich Stimulation der endothelialen NOSynthese und Hemmung der LDLCholesterinoxidation Gesamtcholesterin: 15–40 %↓ LDL: 20–60 %↓ HDL: 2–14 %↑ Triglyzeride: 10–30 %↓
Agonist an PPAR-α und dadurch eine veränderte Expression von Genen des Lipidstoffwechsels Gesamtcholesterin: 11 %↓ LDL: 8 %↓ HDL: 10 %↑ Triglyzeride: 36 %↓ Die quantitativen Angaben zur Beeinflussung der Lipidwerte durch PPARα-Agonisten schwanken in der Literatur!
Wichtige Wirkungen
Primäre LDLHypercholesterinämie (besonders Typ-IIa), gemischte Dyslipidämie, Sekundärprävention nach MI und Schlaganfall
Gemischte Hyperlipidämien, schwere Hypertriglyzeridämie
Wichtige Indikationen
Myopathie bei StatinMonotherapie: 5 % transienter Creatinkinase-Anstieg; 1 % Creatinkinase-Anstieg 10-fach; 0,01 % fulminante Rhabdomyolyse und Nierenversagen; PPAR-α- Agonisten sowie Inhibitoren von CYP3A4 und OATPB1 erhöhen Myopathierisiko; GI-Beschwerden, Kopfschmerzen, Hepatotoxizität
Hepatotoxizität, GIBeschwerden, Myopathie (und Rhabdomyolyse erhöhtes Risiko bei Kombination mit HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren)
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 12, 15, 16, 18
7 Kap. 12
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
22
Arzneistoff
.. Tab. 22.1 (Fortsetzung)
322 Kapitel 22 · Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien
323 22.2 · HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren
lesterin gering. Somit haben HMG-CoAReduktase- Inhibitoren insgesamt einen günstigen Einfluss auf die meist vorliegende komplexe Dyslipidämie, die neben einer LDL- Erhöhung auch eine HDL-Erniedrigung und Triglyzeriderhöhung umfasst. Außerdem bewirken HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren eine erhöhte Expression der endothelialen NO-Synthase, wodurch eine Vasodilatation gefördert wird (7 Kap. 9). Schließlich wirken sie antioxidativ und reduzieren dadurch Entzündung und Plaquebildung. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren sind die am weitesten angewendete Arzneistoffgruppe zur Behandlung von Dyslipid ämien. Sie senken die Gesamtmortalität um 30 % und die MI-Mortalität um 42 %. Da es sich bei LDL-Hypercholesterinämie um einen Risikofaktor handelt, der Langzeit therapie erfordert, ist eine gute Verträglichkeit der zur Therapie eingesetzten Arzneistoffe sehr wichtig. Simvastatin ist der prototypische HMGCoA-Reduktase-Inhibitor. Es ist ein Lakton- Prodrug, das über OATP1B1 in die Leber aufgenommen und dort zum aktiven Metaboliten umgewandelt wird (Hydrolyse des Laktonringes). Simvastatin hat einen sehr großen first-pass-Effekt, d. h. es wird bereits bei der ersten Leberpassage über CYP3A4 zu > 95 % inaktiviert (7 Kap. 2). Im Falle von Simvastatin ist dieser Effekt erwünscht, weil sich damit die Wirkung des Arzneistoffs im Wesentlichen auf die Leber beschränkt. Wird die Bioverfügbarkeit von Simvastatin durch parallel verabreichte Arzneistoffe erhöht, kann es zu verstärkten systemischen Wirkungen kommen. Ein unerwünschtes Zielorgan der HMG-CoA- ReduktaseInhibitoren ist die Skelettmuskulatur. Sie hemmen dort die Ubichinonsynthese und beeinträchtigen dadurch den Energiestoffwechsel. Dies äußert sich in einer Myopathie, die mit Muskelschmerzen beginnt und im schlimmsten Fall zu Rhabdomyolyse, Myoglobinämie, Nierenversagen und Tod führt (7 Kap. 12).
22
>> Der im Klinikjargon sehr übliche Begriff der „Statin-Myopathie“ sollte vermieden werden, da auch PPAR-α-Agonisten („Fibrate“) Myopathien auslösen können. Die einseitige Betonung der „Statine“ kann dazu führen, dass durch PPAR-α-Agonisten ausgelöste Myopathien übersehen werden.
Laborchemisch lässt sich die Myopathie durch den Anstieg der Creatinkinase und des Myoglobins im Plasma diagnostizieren. PPAR-α-Agonisten, die auch Myopathie auslösen können, verstärken die durch HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren verursachte Myopathie (7 Abschn. 22.5). HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren verstärken durch Konkurrenz um den Abbau über CYP3A4 VKA-Wirkungen und damit die Blutungsneigung (7 Kap. 18).
>>Das Myopathierisiko ist besonders groß bei hohen Dosierungen der HMG-CoA- Reduktase-Inhibitoren und Komedikation mit CYP3A4- sowie OATP1B1-Inhibitoren (7 Kap. 2).
Auch die von einigen Fachgesellschaften propagierte aggressive LDL-Cholesterin- Senkung erhöht proportional das Myopathierisiko und ist deshalb kritisch zu hinterfragen. Unter den Bedingungen einer CYP- und/oder OATP1B1-Inhibition wird Simvastatin weniger in die Leber aufgenommen und stattdessen systemisch bioverfügbar. Klinisch wichtige CYP3A4-Inhibitoren sind Amiodaron und Makrolide sowie der in Grapefruitsaft enthaltene Bitterstoff Naringin. Ciclosporin ist ein klinisch wichtiger OATP1B1-Inhibitor. Die Dosierung der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren orientiert sich an der LDL-Cholesterinsenkung. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren sollten abends gegeben werden, da die Cholesterinsynthese nachts am höchsten ist. Eine weitere dosisabhängige UAW der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren ist die Hepatotoxizität. Dosisunabhängige UAW sind GI-Beschwerden und Kopfschmerzen. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren sind bei
324
22
Kapitel 22 · Arzneistoffe zur Behandlung von Dyslipidämien
Lebererkrankungen sowie bestehenden Myopathien kontraindiziert. In der Schwangerschaft und während der Stillzeit sollten HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren wegen diskutierter teratogener Wirkungen nicht gegeben werden.
22.4 Anionenaustauscherharze
Anionenaustauschersalze sind basische und nicht resorbierbare Polymere, die im Darm Gallensäuren binden. Prototyp dieser Arzneistoffgruppe ist Colestyramin. Durch Unterbrechung des enterohepatischen >>Trotz einiger Probleme bleibt Simvastatin Kreislaufs (7 Kap. 2) kommt es zum Verder Goldstandard für die Therapie der lust von Gallensäuren, der durch verstärkte LDL- Hypercholesterinämie. Der Markt Synthese in der Leber kompensiert wird. ist groß und durch starke IndustrieinteresDa die Gallensäuresynthese von Cholestesen geprägt. rin abhängig ist, kommt es zu verstärkter Cholesterinextraktion aus dem Blut in die Leber und Senkung von LDL-Cholesterin 22.3 Cholesterinresorptionsum ca. 25 %. Wegen des nur moderaten Effektes von Colestyramin auf das LDL-ChoInhibitoren lesterin wird es meist mit HMG-CoAInhibitoren kombiniert, schon Im Darm wird Cholesterin über NPC1L1 Reduktase- resorbiert. Dieser Transporter wird durch um der kompensatorischen Erhöhung der Cholesterinresorptions-Inhibitoren gehemmt. HMG-CoA-Reduktase-Expression zu beEzetimib ist der Prototyp dieser Arzneistoff- gegnen. Colestyramin kann auch bei chogruppe. Als Folge des Cholesterindefizits logener Diarrhoe sowie bei partiellem Galwird verstärkt Cholesterin aus dem Plasma lengangsverschluss angewendet werden, extrahiert. Daraus resultiert eine moderate um dem Körper Gallensäuren zu entziehen Senkung des LDL-Cholesterins (ca. 20 %) (7 Kap. 13). Die tägliche Colestyramindosis beträgt und ein geringer Abfall der Triglyzeride. Die Hemmung der Cholesterinresorption 4–24 g. Colestyramin wird in Flüssigkeit einim Darm bewirkt auch eine kompensato- gerührt vor der Mahlzeit gegeben. Es wird rische Erhöhung der hepatischen Choles- nicht resorbiert und daher in den Faeces terinsynthese; neben der nur moderaten eliminiert. Colestyramin kann Obstipation Wirkung auf LDL-Cholesterin ein weiterer (7 Kap. 13), Hemmung der Resorption fettGrund dafür, diese Arzneistoffgruppe bei löslicher Vitamine (A, D, E und K) und FettLDL-Hypercholesterinämie mit HMG-CoA- stühle bewirken. Entsprechend muss eine ViReduktase-Inhibitoren zu kombinieren. Eze- taminsubstitution erfolgen. Es hemmt auch timib hat keinen Einfluss auf die Resorption die Resorption von T4 (7 Kap. 21) und Dovon Triglyzeriden, Fettsäuren und fettlös- xycyclin (7 Kap. 32). lichen Vitaminen. Insgesamt sind die Eze- >> T4 und Doxycyclin sollten daher mindestens timib-UAW mild. GI-Beschwerden, Kopfeine Stunde vor oder 4 Stunden nach Colesschmerzen sowie Transaminasenanstieg und tyramin eingenommen werden (7 Kap. 2). Myopathie (vor allem in Kombination mit HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren) kom- Colestyramin ist bei Obstipation, Ileus und men vor. Ezetimib kann VKA-Wirkungen vollständigem Gallengangsverschluss kontraverstärken. In Schwangerschaft und Stillzeit indiziert. In der Schwangerschaft sollte Colestyramin nur zurückhaltend eingesetzt werden. ist Ezetimib kontraindiziert.
325 22.6 · PCSK9-Inhibitoren
22.5 PPAR-α-Agonisten
PPAR-α gehört zu den nukleären Rezeptoren (7 Kap. 1) und wird durch PPAR-αAgonisten (Prototyp Fenofibrat) aktiviert. Er bildet mit dem Retinoid-X-Rezeptor (RXR) ein Heterodimer. Dieses bindet an spezifische Erkennungssequenzen in der DNA und verändert die Expression verschiedener den Lipidstoffwechsel regulierender Gene. So werden die Acetyl-CoA-Synthase, die die Fettsäureoxidation reguliert, und einige Proteine des Lipidtransportes sowie die Lipoproteinlipase induziert. Resultat dieser Gen expressionsveränderungen sind eine moderate LDL- Cholesterinsenkung, eine moderate HDL-Cholesterinerhöhung und eine prominente (30–55%ige, je nach Literaturquelle) Erniedrigung der Triglyzeride. Wegen dieses Wirkprofils werden PPAR-α-Agonisten vor allem bei gemischten Hyperlipidämien sowie schweren und diätetisch therapierefraktären Hypertriglyzeridämien eingesetzt. Fenofibrat ist der Prototyp dieser Arzneistoffgruppe. PPAR-α-Agonisten können GI-Beschwerden sowie fototoxische Reaktionen auslösen. Vor allem in Kombination mit HMG-CoAReduktase-Inhibitoren kann es zu Transaminasenanstieg und Myopathien kommen. PPAR-α-Agonisten verstärken die Wirkung von VKA und sind bei Lebererkrankungen und Gallenblasenerkrankungen kontraindiziert.
22.6 PCSK9-Inhibitoren
PCSK9 wird in der Leber synthetisiert und zirkuliert im Blut. Es bindet an den hepatischen LDL-Rezeptor und wird als Komplex mit diesem internalisiert. In der Leber wird der LDL-Rezeptor durch PCSK9 abgebaut. Evolocumab ist ein monoklonaler Antikörper, der zirkulierendes PCSK9 neutralisiert. Dadurch werden der Abbau internalisierter LDL-Rezeptoren verhindert und die LDL- Rezeptorexpression erhöht. Daraus folgt eine Erniedrigung des LDL-Choles-
22
terins um 50–60 %. Evolocumab ist indiziert bei LDL-Hypercholesterinämie, wenn HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren kontraindiziert bzw. allein nicht ausreichend wirksam sind. Auch bei der seltenen familiären homozygoten Hypercholesterinämie wirkt Evolocumab. Gegenstand intensiver Diskussionen sind die hohen Therapiekosten: In Deutschland kostet die einjährige Therapie eines Patienten mit Evolocumab derzeit ca. 10.000–12.000 €, mit Simvastatin (40 mg) dagegen weniger als 100 €. Diese pharmakoökonomischen Aspekte müssen bei der hohen Prävalenz der LDL-Hypercholesterinämie und meist lebenslangen Therapie berücksichtigt werden. Evolocumab wird entweder alle zwei Wochen oder monatlich s.c. injiziert. Es kann zu allergischen Reaktionen an der Injektionsstelle, zu Atembeschwerden und zu Infektionen der oberen Atemwege sowie Rückenschmerzen kommen. Fallbeispiel
Ein 68-jähriger Patient mit Zustand nach Hinterwandinfarkt wird seit drei Jahren wegen LDL-Hypercholesterinämie TypIIa mit 80 mg Simvastatin pro Tag behandelt. Der Patient hat diese Therapie bisher vertragen. Wegen einer akuten Bronchitis wird dem Patienten von seinem Hausarzt für sieben Tage Clarithromycin verschrieben. Nach drei Tagen bekommt der Patient starke Schmerzen in den Oberschenkeln, derentwegen er sich in Ihrer orthopädischen Praxis vorstellt.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Was ist die wahrscheinlichste Ursache für diese Schmerzen und wie gehen Sie diagnostisch vor? 2. Wie gehen Sie hinsichtlich der Medikation bei dem Patienten vor? Lösungen 7 Kap. 37
327
Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht Inhaltsverzeichnis 23.1
Pathophysiologie der Gicht – 328
23.2
Pharmakotherapie der akuten Gicht – 332
23.3
Pharmakotherapie der chronischen Gicht – 333
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_23
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Kapitel 23 · Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht
Bei der Gicht kommt es zur Ausfällung von Harnsäure, dem Endprodukt des Purinstoffwechsels, in Gelenken, Weichteilgeweben und harnableitenden Organen. Bei einer akuten Gicht liegt eine Monoarthritis mit massiven Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Überwärmung vor. Die akute Arthritis kann effektiv mit COX-Inhibitoren, GCR-Agonisten, Mikrotubuli- und IL-1-Inhibitoren behandelt werden. Bei einer chronischen Gicht kommt es zu fortschreitender Polyarthritis mit Ruheschmerz und Bewegungseinschränkung. Die Basis der Gichtdauertherapie ist eine kalorienreduzierte und purinarme Ernährung. In der Pharmakotherapie werden XO-Inhibitoren und URAT1-Inhibitoren, ggf. in Kombination, eingesetzt. Bei konsequenter Diät und Pharmakotherapie hat die Gicht eine gute Prognose.
Merksätze 55 Eine Hyperurikämie ohne Symptome bedarf keiner Pharmakotherapie. 55 PZA, NCC-Inhibitoren und NKCCInhibitoren können eine asymptomatische Hyperurikämie verursachen. 55 Beim Tumorlysesyndrom unter Zytostatikatherapie kann es zu gefährlicher Hyperurikämie kommen. 55 Akute Gicht wird mit COX-Inhibitoren, GCR-Agonisten, Mikrotubuli- oder IL-1-Inhibitoren behandelt. 55 Die Basis der Gichttherapie ist eine kalorienreduzierte und purinarme Diät. 55 In der Therapie der chronischen Gicht werden XO-Inhibitoren (Allopurinol) und URAT1-Inhibitoren (Benzbromaron) eingesetzt. 55 XO-Inhibitoren verstärken die UAW von 6-MP und Azathioprin durch Abbauhemmung.
23.1 Pathophysiologie der Gicht
In Deutschland leiden ca. 1–2 % der Bevölkerung an Gicht und ca. 20 % haben eine asymptomatische Hyperurikämie. Bei den über 65-Jährigen liegt die Gichtprävalenz bei 7 %. Die Gicht ist wie der Typ-2- Diabetes eine Wohlstandserkrankung und Resultat eines ungesunden Lebensstils (7 Kap. 19). Dementsprechend kann die Gicht durch Lebensstilveränderungen vermieden und behandelt werden. Die Pharmakotherapie sollte erst beim Nichtansprechen auf eine Diät zum Einsatz kommen, aber in der Praxis wird wegen der Probleme bei der Umsetzung einer Diät häufig schon früh mit einer Pharmakotherapie begonnen. . Tab. 23.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe zur Gichttherapie zusammen. Die Gicht ist eine Purinstoffwechselstörung, deren Symptome durch Harnsäure (Urat) hervorgerufen werden. Sie ist Endprodukt des Purinbasenabbaus (. Abb. 23.1). Aus dem Abbau von ATP entstehen Inosin und Hypoxanthin, aus dem Abbau von GTP Guanin und Xanthin. XO wandelt Hypoxanthin in Xanthin und Xanthin in Harnsäure um. Diese wird glomerulär filtriert und im proximalen Tubulus über URAT1 an der apikalen Seite und über OAT1 an der basolateralen Seite im Austausch gegen verschiedene Anionen reabsorbiert (. Abb. 23.2). Weiter distal im Tubulus wird Harnsäure aktiv sezerniert. Harnsäure besitzt nur eine limitierte Löslichkeit in Körperflüssigkeiten. Übersteigt ihre Konzentration 400 μmol/l, fällt Harnsäure aus und bildet Kristalle. Bei höheren Temperaturen löst sie sich besser als bei niedrigen. Daher fallen Harnsäurekristalle vor allem an den kühleren Akren (z. B. Ohr, Finger- und Zehgelenke) aus. Da Harnsäure eine schwache Säure ist, ist die Kristallisa
Arzneistoffgruppe
XO-Inhibitor
URAT1-Inhibitor
IL-1-Inhibitor
Mikrotubuli-Inhibitor
Arzneistoff
Allopurinol
Benzbromaron
Canakinumab
Colchicin (low dose) Antiinflammatorisch durch Hemmung der Leukozytenmigration und Phagozytose
Antiinflammatorisch durch Blockade der Wirkungen von IL-1
Urikosurisch durch verstärkte renale Elimination von Harnsäure
Urikostatisch durch Hemmung der Synthese von Xanthin und Hypoxanthin
Wichtige Wirkungen
Akute Gicht; neue Indikation mit guter Wirksamkeit: Perikarditis. Dies ist ein aktuelles Beispiel für erfolgreiches Repurposing.
Akute Gicht, bei Unverträglichkeit oder Kontraindikationen für Ibuprofen, Prednisolon und Colchicin
Chronische Gicht, Zusatztherapie bei unzureichender Wirkung von Allopurinol. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Harnalkalisierung achten
Chronische Gicht, Dosisreduktion bei CKD
Wichtige Indikationen
.. Tab. 23.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der akuten und chronischen Gicht
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe mit Elektrolytverlust (akut). Seltener Haarausfall, Leber-, Nieren- und ZNS-Funktionsstörungen (chronisch); Gefahr schwerer Intoxikation bei zu hoher Dosierung
Harnwegs- und Atemwegsinfekte, lokale Reaktionen an der Einstichstelle
Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, allergische Reaktionen, Gefahr der Uratausfällung in Harnwegen bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Leberfunktionsstörungen, allergische Reaktion (Typ IV)
Wichtige UAW
7 Kap. 1, 13, 31
7 Kap. 11, 32
7 Kap. 12
7 Kap. 3, 11, 12, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
23.1 · Pathophysiologie der Gicht 329
23
330
Kapitel 23 · Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht
Klassische Zytostatika TumorlyseSyndrom
Immunsuppression, Zytostase
ATP
Extreme Myelotoxizität
Adenosin
23
Inosin
GTP
Hypoxanthin (gute Löslichkeit)
Guanosin
Purin Recycling
6-MP Azathioprin
XO Guanin
Allopurinol
Xanthin (gute Löslichkeit) XO
Ibuprofen (auch COX-1), Etoricoxib
XO Abbauprodukte
Harnsäure (schlechte Löslichkeit)
LNS Kristalle in Gelenken
PGE2 Monozyten
Akute Arthritis
IL -1 Colchicin (low dose) GCR-Agonisten
Canakinumab
.. Abb. 23.1 Übersicht über die (Patho-)Physiologie des Purinabbaus, Pathogenese der Gichtarthritis sowie pharmakologische Angriffspunkte und toxikologische Probleme. LNS, Lesch-Nyhan-Syndrom
tionsgefahr bei niedrigem pH größer als bei hohem pH. Harnsäurekristallablagerungen in den Weichteilen werden als Tophi bezeichnet. Außerdem können sich Kristalle in den ableitenden Harnwegen bilden (Urolithiasis) (. Abb. 23.2). Dies kann zur CKD (7 Kap. 12) und zu sehr schmerzhaften Koliken der ableitenden Harnwege führen. Nierenkoliken können mit Butylscopolamin (7 Kap. 5), GTN (7 Kap. 9) und Metamizol (7 Kap. 10) behandelt werden.
>>Die Behandlung von Kolikschmerzen mit Arzneistoffen, die über unterschiedliche Mechanismen glatte Muskelzellen relaxieren, ist ein gutes Beispiel für eine funktionelle Schmerztherapie. Das Beispiel zeigt auch auf, wie fragwürdig der Begriff „Analgetika“ ist (7 Kap. 10).
In 90 % der Fälle ist eine verminderte renale Elimination von Harnsäure ursächlich für Gicht, in 10 % eine Überproduktion, für die eine wichtige Ursache vorliegt, wenn im Rahmen einer zytostatischen Therapie massiv Tumorzellen lysiert werden und Purinbasen anfallen (7 Kap. 31). Eine seltene Ursache für Harnsäureüberproduktion ist das X-chromosomale Lesch-Nyhan- Syndrom mit gestörter Wiederverwertung (Recycling) von Purinbasen. In beiden Situationen müssen XO gehemmt und der Harn alkalisiert werden, um ein Ausfällen von Harnsäure zu verhindern (. Abb. 23.1 und 23.2). Bei einer Plasmaharnsäurekonzentration < 400 μmol/l hat Gicht eine Inzidenz um 0,1 %. Im Bereich von 400–525 μmol/l steigt sie auf 0,5 % und bei Konzentrationen ≥ 525 μmol/l auf 5 %. Die antimykobateriell
331 23.1 · Pathophysiologie der Gicht
apika l
basolateral Proximale s Tubulusepithel
Harn
Blut
Anion Benzbromaron
23
Anio n URAT1 Anio n Harnsäure ↓
OAT1
XO-Inhibitoren
Kalium-NatriumHydrogencitrat Harnsäure ↑
Harnsäure ↓
pH ↑
Urolithiasis ↑
Tophi ↓
Hohe Flüssigkeitszufuhr
Harnleiterkoliken Chronische Arthritis
Metamizol
GT N Butylscopolamin
.. Abb. 23.2 Harnsäuresekretion in der Niere, Urolithiasis, Harnleiterkoliken und pharmakologische Angriffspunkte
wirkenden Arzneistoffe PZA und EMB (7 Kap. 32), NCC-Inhibitoren und NKCC- Inhibitoren (7 Kap. 12) können eine meist asymptomatische Hyperurikämie auslösen.
>> Das Vorliegen einer asymptomatischen Hyperurikämie ist kein Behandlungsgrund.
In der Praxis wird jedoch bei asymptomatischer Hyperurikämie noch viel zu häufig mit einer unnötigen Pharmakotherapie begonnen, die UAW verursachen kann. Gicht wird in vier Stadien unterteilt. Im ersten Stadium kommt es zu asymptomatischen Harnsäureablagerungen in Gelenken, Weichteilgeweben und Niere. Zunächst muss keine Therapie erfolgen. Im zweiten Stadium kommt es zur akuten Gicht, die sich als Monoarthritis manifestiert. Das Gelenk ist stark geschwollen, überwärmt, schmerzhaft und stark bewegungseingeschränkt. Die Harnsäurekristalle lösen eine akute Entzündungsreaktion im Gelenk aus (. Abb. 23.1). Die Beschwerden
entwickeln sich innerhalb von 24 Stunden und klingen meist innerhalb von 14 Tagen ab. Das dritte Stadium wird auch als interkritische Periode zwischen akuten Gichtanfällen bezeichnet. Es kommt zur weiteren Ablagerung von Harnsäure in Gelenken, Weichteilgeweben und Niere, aber der Patient ist beschwerdefrei. Im vierten Stadium, der chronischen Gicht, liegt eine Polyarthritis vor, die durch Schmerzen in Ruhe und B ewegungseinschränkungen gekennzeichnet ist. Hinzu kommen CKD und Harnleiterkoliken, die durch Harnsäurekonkremente verursacht werden. Die Diagnose „Gicht“ erfolgt durch Feststellung klassischer Symptome an Gelenken, Verlaufsanalyse, Nachweis von Tophi und Harnsäurekristallen in Gelenken sowie Bestimmung der Plasmaharnsäurekonzentration, die jedoch auch im Normbereich das Vorliegen von Gicht nicht ausschließt. Die Gicht muss ab dem zweiten Stadium behandelt werden.
332
Kapitel 23 · Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht
23.2 Pharmakotherapie der
akuten Gicht
23
Bei akuter Gicht liegt meist eine sehr schmerzhafte Monoarthritis an einem Fußgelenk vor. Ohne Therapie dauert die akute Gicht zwischen 3 und 14 Tagen. >>Therapieziel ist, bei akuter Gicht die Entzündung so rasch wie möglich zu hemmen und die Bewegungsfähigkeit des betroffenen Gelenkes wiederherzustellen.
Als Allgemeinmaßnahme empfiehlt sich Hochlagerung und Kühlung des erkrankten Gelenkes. >>Je eher mit der Therapie der akuten Gicht begonnen wird, umso größer sind die Erfolgsaussichten.
Die Therapie sollte spätestens 12–24 Stunden nach Auftreten der Symptome beginnen. Gut wirksam ist die Therapie der akuten Gicht mit einem COX-Inhibitor wie Ibuprofen. Wichtig ist eine ausreichend hohe Dosierung. Häufig wird Ibuprofen zu niedrig dosiert. Ibuprofen kann in einer Dosis von bis zu 2,4 g/Tag gegeben werden. Typische UAW der COX-Inhibitoren sind PUD, Ödeme, Einschränkung der Nierenfunktion und Hypertonie. Das PUD-Risiko lässt sich durch PPI kontrollieren (7 Kap. 13) und eine Hypertonie ist durch Arzneistoffe mit antihypertensiver Wirkung gut einstellbar (7 Kap. 15). Bei CKD, z. B. im Rahmen einer Urolithiasis, dürfen COX- Inhibitoren nicht angewendet werden (7 Kap. 12). In aller Regel reicht eine 5- bis 10-tägige Therapie mit nicht-selektiven COX-Inhibitoren aus, um die akute Gicht zu behandeln. Die Wirkung der COX- Inhibitoren kommt durch eine COX-2- Hemmung zustande, wodurch weniger PGE2 synthetisiert wird. PGE2 führt zu einer Hyperämie und steigert die Empfindlichkeit von Schmerzrezeptoren (7 Kap. 10).
möglich gemieden werden (7 Kap. 10, 11 und 18).
Als Alternative zu den COX-Inhibitoren kann der GCR-Agonist Prednisolon in einer Dosierung von 30–35 mg (entspricht einer Cortisoläquivalenzdosis von 150–175 mg) für 5 Tage gegeben werden (7 Kap. 11). Es kann zu PUD und zur Entgleisung eines Diabetes (7 Kap. 19) kommen. Außerdem kann der BD ansteigen (7 Kap. 15). Die Gefahr eines Cushing-Syndroms ist jedoch bei einer Kurzzeittherapie mit GCR-Agonisten nicht gegeben. Kontraindiziert ist Prednisolon bei Infektionen, schlecht eingestelltem Diabetes, schlecht eingestellter Hypertonie und ulzerierenden Wunden. Gicht ist durch die Einwanderung von Monozyten und neutrophilen Granulozyten in das Entzündungsgebiet charakterisiert. Die Zellmigration hängt vom Vorhandensein intakter Mikrotubuli ab. Das in der Herbstzeitlosen vorkommende Colchicin verhindert die Polymerisierung von Mikrotubuli und damit die Migration von Entzündungszellen. Außerdem hemmt Colchicin die Phago zytose. Damit es bei akuter Gicht wirkt, muss die Therapie innerhalb von 24 Stunden beginnen, weil sonst die Infiltration des Gelenks mit Leukozyten bereits zu stark vorangeschritten ist. Wegen gravierender UAW wird Colchicin besonders vorsichtig und niedrig dosiert.
>>Bei zu hoher Dosierung von Colchicin können schwere Intoxikationen mit Todesfolge auftreten!
Um eine Überdosierung zu vermeiden, soll die Dosis von Colchicin vom Arzt auf dem Rezept doppelt (als Ziffer und ausgeschrieben) angegeben werden. Dies sensibilisiert den das Rezept beliefernden Apotheker für die besondere Bedeutung der Dosierung. Colchicin wirkt zytostaisch und hemmend auf schnell proliferierende Zellen (7 Kap. 31). Dies äußert sich vor allem in Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe. Bei längerer und höherdosierter Therapie kommt es auch zu Haar
>>Wegen des erhöhten kardiovaskulären Risikos sollten COX-2- Inhibitoren (Prototyp Etoricoxib) bei akuter Gicht wenn
23
333 23.3 · Pharmakotherapie der chronischen Gicht
ausfall und Funktionsstörungen an Leber, Niere und im ZNS. Bei Leberinsuffizienz und CKD muss die Colchicindosis erniedrigt werden. Im Herbst kommt es häufig zu Colchicinvergiftungen bei Kindern, die die giftige Herbstzeitlose essen (. Abb. 23.1).
>>Die traditionelle Klassifikation von Colchicin als „Gichtmittel“ ist irreführend. Colchicin (low dose) wirkt auch sehr gut bei Perikarditis. Weitere neue Indikationen für Colchicin sind in der Entwicklung.
Harnsäurekristalle aktivieren Leukozyten und führen zur Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, insbesondere IL-1. Daher ist die IL-1-Elimination aus dem Entzündungsgebiet ein Ansatz zur Therapie akuter Gicht. Canakinumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der IL-1 neutralisiert. Er muss parenteral appliziert werden und stellt eine wirksame therapeutische Alternative dar, wenn COX-Inhibitoren, GCR-Agonisten und Colchicin nicht ausreichend wirken oder kontraindiziert sind. 23.3 Pharmakotherapie der
chronischen Gicht
Sobald die akute Gicht überwunden ist, erfolgt eine Diagnostik zur Erfassung des Gichtausmaßes: Neben der Bestimmung der Plasmaharnsäurekonzentration muss nach Tophi und Harnsäureablagerungen in Gelenken sowie in der Niere und den Harnleitern gesucht werden. Die Nierenfunktion muss überprüft werden, da Gicht die Nieren schädigt und dementsprechend die Dosierung von Arzneistoffen anzupassen ist (7 Kap. 12). Die Basis der Gicht-Langzeittherapie ist eine kalorienreduzierte Ernährung. Übergewicht muss abgebaut werden und der Konsum von Fleisch, Innereien, Krustentieren, Alkohol (insbesondere Bier und Spirituosen) sowie fructosehaltigen Softdrinks ist zu vermindern. Bei Patienten mit Urolithiasis muss auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (Tee und Mineralwasser) geachtet werden
(. Abb. 23.2). Bei mehr als zwei Gichtanfällen pro Jahr, Urolithiasis und Tophi muss eine pharmakologische Dauertherapie beginnen. Die Plasmaharnsäurekonzentration sollte auf einen Wert < 400 μmol/l eingestellt werden. Der Standardarzneistoff zur Therapie chronischer Gicht ist Allopurinol, das seit über 50 Jahren auf dem Markt ist. Daher sind zahlreiche Allopurinol-Generika verfügbar, die die preiswerte Dauertherapie ermöglichen.
>>Allopurinol wird traditionell als „Urikostatikum“ bezeichnet. Aus diesem Begriff geht jedoch nicht der Wirkmechanismus hervor. So können gefährliche Interaktionen von Allopurinol mit 6-MP leichter übersehen werden.
Allopurinol ist ein XO-Inhibitor und verhindert somit die Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin und von Xanthin zu Harnsäure (. Abb. 23.1). Xanthin und Hypoxanthin besitzen eine bessere Löslichkeit als Harnsäure. Somit wird die Gefahr der Harnsäurekristallbildung vermindert. Allopurinol verursacht GI-Beschwerden und allergische Reaktionen, insbesondere vom Typ IV (7 Kap. 3). Bei CKD muss die Allopurinoldosis angepasst werden. Die Therapie beginnt einschleichend, kann aber bis auf 800 mg/Tag gesteigert werden. Das Tumorlysesyndrom und das Lesch-Nyhan-Syndrom (7 Abschn. 23.1 und . Abb. 23.1) werden ebenfalls mit Allopurinol behandelt. Allopurinol wird viel zu häufig unkritisch zur „Laborkosmetik“ bei asymptomatischer Hyperurikämie eingesetzt. Es gibt eine gefährliche Arzneistoffinteraktion zwischen XO-Inhibitoren und 6-MP sowie seinem Prodrug Azathioprin (7 Kap. 11 und 31). 6-MP wird über XO inaktiviert. Erhält ein wegen chronischer Gicht mit Allopurinol behandelter Patient zusätzlich wegen einer Tumor- oder Autoimmunerkrankung 6-MP oder Azathioprin, kommt es zu massiven UAW, insbesondere Anämie, Leukozytopenie und Thrombopenie (. Abb. 23.1). Um diese Interaktion zu vermeiden, muss die Dosis von 6-MP und Azathioprin deutlich reduziert werden.
334
Kapitel 23 · Arzneistoffe zur Behandlung der Gicht
Bei unzureichender Wirkung kann Allopurinol mit Benzbromaron kombiniert werden (. Abb. 23.2).
Inhibitoren bei der chronischen Gicht. Dies ist ein aktuelles Beispiel für das Repurposing von Arzneistoffen (7 Kap. 1).
>>Benzbromaron wird traditionell als „Urikosurikum“ bezeichnet. Dieser Begriff spezifiziert aber nicht den Wirkmechanismus.
Fallbeispiel
23
Benzbromaron hemmt verschiedene Transporter. Für die Wirkung bei Gicht ist die URAT1-Hemmung an der apikalen Tubulusepithelzellmembran entscheidend. Damit wird die Wiederaufnahme von Harnsäure gehemmt, was die Hemmung der Harnsäureproduktion durch Allopurinol synergistisch unterstützt. Da durch URAT1- Inhibitoren die Konzentration von Harnsäure im Tubulus erhöht wird, sind eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Harnalkalisierung wichtig, um die Bildung von Harnsäurekristallen in den ableitenden Harnwegen zu verhindern. URAT1-Inhibitoren verursachen vor allem UAW im GI-Trakt und Kopfschmerzen. >> Eine interessante Neuentwicklung ist der mögliche Einsatz der traditionell den „oralen Antidiabetika“ zugerechneten SGLT-2-
Eine 66-jährige adipöse Frau kommt in Ihre orthopädische Sprechstunde und klagt über starke Schmerzen im linken Vorfuß, die am Vortag aufgetreten sind. Bei der körperlichen Untersuchung imponiert ein stark geschwollenes und gerötetes Metatarsophalangealgelenk des großen Zehs, welches bei Berührung stark schmerzt und in seiner Beweglichkeit massiv eingeschränkt ist
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Wie gehen Sie diagnostisch und therapeutisch weiter vor? Lösungen 7 Kap. 37
335
Pharmakologie der Sexualhormone Inhaltsverzeichnis 24.1
hysiologie der SexualhormonrezeptorP Agonisten – 336
24.2
Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 338
24.3
R- und/oder PR-Agonisten-enthaltende E Kontrazeptiva – 346
24.4
Hormonersatztherapie bei der Frau – 350
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_24
24
336
24
Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
Die wichtigsten Sexualhormonrezeptor-Agonisten sind der PR-Agonist Progesteron, der ER-Agonist Estradiol und der AR-Agonist 5α-Dihydrotestosteron. Estradiol wird durch die Aromatase aus Progesteronmetaboliten und Testosteron gebildet. ER- und AR-Agonisten regulieren multiple Organfunktionen, während PR-Agonisten vor allem die weiblichen Geschlechtsorgane beeinflussen. Sexualhormonrezeptor-Agonisten werden bei Mangelzuständen substituiert. Synthetische PR- und ER-Agonisten finden vor allem in der hormonellen Kontrazeption Anwendung. Die Mikropille enthält den niedrig dosierten ER-Agonisten Ethinylestradiol sowie den PR-Agonisten Levonorgestrel; die Minipille und Hormonspirale enthalten Levonorgestrel. Die Pille danach enthält hochdosiertes Levonorgestrel. PR-Agonisten hemmen die Ovulation, erhöhen die Viskosität des Zervixsekretes und verändern die Beschaffenheit des Endometriums. ER-Agonisten hemmen die Ovulation und erhöhen die PR-Expression. Hormonelle Kontrazeptiva unterscheiden sich in ihrer Sicherheit und können zahlreiche UAW haben. Der PR-Antagonist Mifepriston wird als Abortivum eingesetzt. Inhibitoren der 5α-Reduktase hemmen die Synthese von 5α-Dihydrotestosteron und werden in der Therapie der Alopezia androgenica sowie der BPH eingesetzt. Der ER-Antagonist Clomifen wird zur Ovulationsauslösung verwendet. Der AR-Antagonist Cyproteron wird bei Hypersexualität, schwerer Akne und Transsexualität eingesetzt; der AR-Antagonist Flutamid bei inoperablem Prostatakarzinom.
Merksätze 55 Die Mikropille mit niedrig dosiertem Ethinylestradiol und Levonorgestrel hat weniger UAW als die Pille mit hohen ERund PR-Agonist-Dosen. 55 Die Mikropille kann zu Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, Brustschmerzen, Leberfunktionsstörungen und Thromboembolien führen.
55 Die Minipille enthält Levonorgestrel und muss zeitlich sehr genau eingenommen werden, sonst nimmt die Sicherheit ab. 55 Ein häufiges Problem bei der Minipille sind Zwischen- und Schmierblutungen, 55 Aus der Hormonspirale wird kontinuierlich Levonorgestrel freigesetzt. 55 Bei der Hormonspirale sind neben den UAW von Levonorgestrel mechanische Komplikationen zu berücksichtigen. 55 Die Pille danach enthält Levonorgestrel, wird einmalig als Notfallkontrazeptivum gegeben und ist rezeptfrei. 55 ER-Agonisten modulieren viele Körperfunktionen; in der Menopause können durch Estrogenwegfall unterschiedliche Beschwerden auftreten. 55 Die Therapie von Symptomen in der Periund Postmenopause erfolgt individualisiert und symptomorientiert mit ERAgonisten und PR-Agonisten. 55 Die Therapie peri- und postmenopausaler Symptome mit ER-Agonisten und PR-Agonisten wird durch eine gesunde Lebensführung unterstützt. 55 Eine ER-Agonist-Substitution in der Periund Postmenopause kann das Risiko für ein Mammakarzinom und tiefe Bein venenthrombose erhöhen und sollte nur zeitlich befristet durchgeführt werden.
24.1 Physiologie der
SexualhormonrezeptorAgonisten
Die wichtigsten Sexualhormonrezeptor- Agonisten sind der ER-Agonist Estradiol, der PR-Agonist Progesteron und der AR- Agonist 5α-Dihydrotestosteron. Sie vermitteln ihre biologischen Wirkungen über nukleäre Rezeptoren, die die Gentranskription regulieren (7 Kap. 1). Dementsprechend besitzen auch therapeutisch zugeführte Sexualhormonrezeptor-Agonisten einen langsamen Wirkungseintritt. . Abb. 24.1 zeigt eine Übersicht über die Synthese von
24
337 24.1 · Physiologie der Sexualhormonrezeptor-Agonisten
Pregrenolon
Cholesterin 4-Androsten-3,17-dion
17α-Hydroxyprogesteron
Anastrozol Aromatase Aromatase
Estradiol
Progesteron
HET
17α-Hydroxysteroiddehydrogenase
Finasterid
Testosteron
Alopezia androgenica
HET 5α-Reduktase
Estradiol
Levonorgestrel
Testosteron
5α-Dihydrotestosteron
Mifepriston Ethinylestradiol
PR
AR
Raloxifen ERα • Endometriumprolif .↑ • Brustdrüsenprolif .↑
ERβ • Knochendichte ↑ • Thromboembolierisiko ↑ • ZNS (Hypothalamus)
Tamoxifen • Sekretorische Phase Endometrium • Viskosität Zervixsekret ↑ • Viskosität Zervixsekret↓ • Basaltemperatur↑ • Progesteronrezeptoren ↑ • LH-Sekretion↓Æ Ovulation↓ • FSH -Sekretion↓Æ Ovulation↓ • Tubenmotilität↓ • Tubenmotilität↓ Kontrazeption
BPH
Flutamid
Cyproteron Clomifen
Hyper sexualität
Prostata Karzinom
• Anabole Wirkung Doping • Männliche Geschlechtsorgane • Libido, Potenz ↑ • Sekundäre Geschlechtsmerkmale ↑ • ZNS
.. Abb. 24.1 Synthese und physiologische Wirkungen der Sexualhormonrezeptor-Agonisten und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Sexualhormonrezeptor-Agonisten, wichtige physiologische Wirkungen sowie pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Sexualhormonrezeptor-Agonisten entstehen aus Cholesterin. Dieses wird in Pregnenolon umgewandelt, welches der Vorläufer von Progesteron ist. Dieses hat nicht nur selbst Hormonfunktion als PR- Agonist, sondern stellt eine Vorstufe der ER-Agonisten und AR-Agonisten dar. Über 17α-Hydroxyprogesteron wird 4-Androsten-3,17-dion gebildet, das durch die Aromatase in Estradiol konvertiert wird. Aus 4-Androsten-3,17-dion entsteht über die 17β-Hydroxysteroiddehydrogenase Testosteron, das einerseits ein weiterer Vorläufer für Estradiol ist (Umwandlung durch die Aromatase) und anderseits durch die 5α-Reduktase in das potente 5α-Diyhdrotestosteron umgewandelt wird.
Estradiol wird in ovariellen Follikeln, Progesteron im Gelbkörper und Testosteron in den Leydigzellen des Hodens produziert. Allen Sexualhormonrezeptor-Agonisten ist gemeinsam, dass sie auf hypophysärer Ebene die Freisetzung von FSH und LH hemmen. Eine Ausnahme ist der präovulatorische Estrogenanstieg, der die LH-Freisetzung stimuliert und die Ovulation auslöst. Estradiol beeinflusst viele Organfunktionen und wirkt über die ER-Subtypen ERα und ERβ. Diese Rezeptoren besitzen eine unterschiedliche Gewebeverteilung, die pharmakologisch genutzt wird. Eine wichtige Lokalisation des ERα sind Endometrium und Brustdrüse und des ERβ Knochen und ZNS. Estradiol hemmt die Osteoklasten und wirkt anti-osteoporotisch (7 Kap. 22). Es erhöht die Gerinnungsfähigkeit des Blutes (7 Kap. 18), fördert Wasserretention und
338
24
Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
wirkt antiatherogen. Estradiol ist auch für eine ausgeglichene Stimmungslage wichtig. Es fördert die Proliferation des Endometriums und verflüssigt das Zervixsekret, erhöht Uterus- und Tubenmotilität und unterstützt den Eitransport. Estradiol wirkt generell anabol in den Geschlechtsorganen der Frau, ist für Ausbildung ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale (z. B. Brustdrüsenwachstum) verantwortlich und erhöht die PR-Expression. Progesteron ist für die sekretorische Umwandlung des Endometriums sowie die Aufrechterhaltung der Endometriumfunktion in der Schwangerschaft verantwortlich. Außerdem erhöht es die Viskosität des Zervixsekretes, wodurch die Durchlässigkeit für Spermien verringert wird. Ferner steigert es die Basaltemperatur und hemmt die Tubenmotilität. Der Anstieg der Basaltemperatur durch Progesteron und die Veränderungen der Zervixsekretviskosität während des Zyklus werden bei einer natürlichen Kontrazeptionsmethode genutzt. 5α-Dihydrotestosteron (7 Kap. 1) besitzt anabole Wirkung auf die Skelettmuskulatur und Knochen und führen zum Epiphysenschluss. Es steigert die Hämatopoese und die Aktivität von Talgdrüsen. Dies kann bei einer Verstopfung der Talgdrüsenausführungsgänge zu Akne führen. Das Hormon spielt beim männlichen Sexualverhalten eine Rolle und fördert das Wachstum der Prostata, Samenbläschen und des Hodens. Es ist für die Spermienreifung und Ausbildung sekundärer männlicher Geschlechtsmerkmale (z. B. dichte Körperbehaarung) sowie für eine normale Libido und Potenz verantwortlich.
24.2 Pharmakologische
Eingriffsmöglichkeiten
Grundsätzlich kann die Synthese und Funktion der Sexualhormonrezeptor-Agonisten auf zwei Wegen pharmakologisch beeinflusst werden: Über Enzyminhibitoren, die bestimmte Schritte der Hormonsynthese hem-
men, und über Liganden der Sexualhormonrezeptoren, die entweder aktiviert, moduliert oder antagonisiert werden (. Abb. 24.1). . Tab. 24.1 zeigt ausgewählte Arzneistoffe, die direkt oder indirekt ihre Wirkungen über Sexualhormonrezeptoren vermitteln. Traditionell werden Arzneistoffe, die die Sexualhormonsysteme beeinflussen, nach den entsprechenden Hormonklassen bezeichnet (Estrogene, Gestagene, Androgene) bzw. als Anti-Hormonklassen (Anti-Estrogene, AntiGestagene, Anti-Androgene).
>> Aus diesen traditionellen Begriffen geht jedoch nicht hervor, ob die Arzneistoffe an Rezeptoren angreifen oder Enzyme inhibieren. Entsprechend den Regeln der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste werden alle Arzneistoffe, die an Rezeptoren angreifen, als Agonisten oder Antagonisten bezeichnet (7 Kap. 1 und Serviceteil).
Deshalb sollen die tradierten Begriffe nicht mehr verwendet werden. Aromatase-Inhibitoren (Prototyp Anastrozol) hemmen die Estradiolsynthese. Diese Wirkung kann in der Therapie ER- positiver Mammakarzinome genutzt werden (7 Kap. 31). 5α-Reduktase-Inhibitoren (Prototyp Finasterid) führen zu verminderter Synthese von 5α-Dihydrotestosteron. Dadurch wird die AR-vermittelte Hemmung der Haupthaarproliferation verringert und das Wachstum von Prostatazellen inhibiert. Deshalb kann man 5α-Reduktase- Inhibitoren zur Therapie der Alopezia androgenica und BPH nutzen. Antimykotisch wirkende Triazole können bei längerfristiger Therapie und in hoher Dosierung über CYP-Hemmung die Sexualhormonsynthese mit entsprechenden Mangelerscheinungen beeinträchtigen (7 Kap. 34). Estradiol unterliegt einem hohen firstpass-Effekt in der Leber und muss deshalb in geeigneten Darreichungsformen (z. B. vaginal, kutan oder p.o. in Form von Prodrugs) appliziert werden, um pharmakologische Wirkungen zu entfalten. Estradiol und Estradiol-Prodrugs werden vor allem in der
Arzneistoffgruppe
ER-Antagonist
AR-Antagonist
Arzneistoff
Clomifen
Cyproteron
Synthetischer ARAntagonist und PRAgonist Libido und Potenz ↓, Spermatogenese↓, Körperbehaarung↓, Talgdrüsensekretion↓, Muskulatur↓, Prostatawachstum↓, Brustwachstum↑ (Verweiblichung, hormonelle Kastration)
Aufhebung des negativen Feedbacks von Estrogen auf FSH- und LHFreisetzung in der Hypophyse und damit verstärkte Follikelreifung und Auslösung von Ovulation(en)
Wichtige Wirkungen
Hypersexualität, schwere Formen von Akne, schwerer Hirsutismus, weibliche Alopezie, Unterstützung bei Transsexualität
Auslösung der Ovulation bei anovulatorischen Patientinnen mit Kinderwunsch und ansonsten intaktem hormonellen System
Wichtige Indikationen
.. Tab. 24.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe, die über Sexualhormonrezeptoren wirken
Bei Männern: Libido und Potenz↓, Spermatogenese↓, Gynäkomastie, Müdigkeit Bei Frauen: Zwischenblutungen, Gewichtszunahme, Depression Bei Männern und Frauen: Thromboembolien (besonders in Kombination mit Ethinylestradiol) sowie Hepatotoxizität
Hitzewallungen, Sehstörung, durch Auslösung multipler Ovulation Mehrlingsschwangerschaften, Ovarialzysten. Kontraindiziert bei Hypophysen- und Ovartumoren und Schwangerschaft
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 18, 28, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
24.2 · Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten 339
24
Arzneistoffgruppe
ER-Agonist
Estradiol
Einer der wichtigsten natürlich vorkommenden ER-Agonisten, kürzere Wirkdauer als Ethinylestradiol. Beeinflussung multipler Organfunktionen: ZNS: Stimmung und Merkfähigkeit↑, Brust: Elastizität↑, Metabolismus: Schutz vor Arteriosklerose und MI, Vagina: Epithelproliferation ↑, pH↓, Stabilisierung des Beckenbodens, Haut: Fülliges Haupthaar, Elastizität ↑, Knochenund Muskelaufbau, normale HerzKreislauffunktion
Wichtige Wirkungen
Lokale und systemische Anwendung zur Behandlung peri- und postmenopausaler Beschwerden; Monotherapie oder Kombination mit PR-Agonisten; unterschiedliche Dosierungsschemata und Darreichungsformen; wichtig ist eine individuelle und symptombezogene Therapie; Unterstützung bei Transsexualität
Wichtige Indikationen
Erhöhung des Risikos für Mamma- und Endometriumkarzinom sowie thromboembolische Erkrankungen (Schlaganfall und MI) insbesondere bei langjähriger und hochdosierter systemischer Therapie; keine Risikoerhöhung bei vaginaler Therapie
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 16, 18
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
24
Arzneistoff
.. Tab. 24.1 (Fortsetzung)
340 Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
ER-Agonist
5α-ReduktaseInhibitor
Ethinylestradiol
Finasterid
Verringerte Synthese des sehr potenten ARAgonisten 5α-Dihydrotestosteron, Wegfall des hemmenden Effektes auf Haupthaarwachstum und des stimulierenden Effektes auf Prostatawachstum
ER-Agonist mit geringem first-pass-Effekt. FSH-Sekretion↓ → Ovulationshemmung, Stabilisierung des Endometriums, PRExpression ↑ → PRAgonist-Wirkung↑
Alopezia androgenica und BPH
Meist Kombination mit einem PR-Agonisten zur Kontrazeption und Zyklusregulation, primäre und sekundäre Amenorrhoe
Gynäkomastie, gesteigerte Empfindlichkeit der Brust, bei Dosierungen von 5 mg pro Tag (BPH) in 1–10 % verminderte Libido, ED sowie vermindertes Ejakulatvolumen, Depression; UAW sind nicht immer reversibel (PostFinasterid-Syndrom)
Brustschmerzen, gesteigerte Empfindlichkeit der Brust, Stimmungsschwankungen, Vulvovaginitis (Kandidose), Kontraindikationen: Hormonabhängige Tumoren von Mamma und Endometrium, Leberadenome, Pankreatitis, Dyslipidämie, Thromboembolien, schlecht eingestellte Hypertonie, vaginale Blutungen unklarer Genese, schwere Migräne
7 Kap. 9, 28
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 6, 15, 16, 18, 22, 31, 34
24.2 · Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten 341
24
Arzneistoffgruppe
PR-Agonist
PR-Antagonist
Levonorgestrel
Mifepriston Abortivum während der gesamten Schwangerschaft (bevorzugt bis 9. Schwangerschaftswoche); Kombination mit EPR-Agonisten zur Auslösung von Uteruskontraktionen und Austreibung des Uterusinhaltes 36–48 Stunden nach Mifepristongabe
Häufig Kombination mit einem ER-Agonisten zur Kontrazeption, auch alleinige Anwendung als Minipille, Zyklusregulation, Endometriose, postmenopausale HET in Kombination mit ER-Agonisten; hochdosiert als postkoitale Notfallkontrazeption bis 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr
LH-Sekretion ↓ → Ovulationshemmung, Viskosität des Zervixsekretes ↑→ Spermienpenetration↓, sekretorische Umwandlung des Endometriums, Tubenmotilität ↓
Degeneration des Endometriums innerhalb weniger Stunden, Öffnung der Zervix innerhalb von 36–48 Stunden, konsekutives Absterben des Embryos
Wichtige Indikationen
Wichtige Wirkungen
Starke Blutungen, Hitzewallungen, Kopfschmerzen (Mifepriston); Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und starke Uteruskrämpfe (Misoprostol)
Müdigkeit, Brustspannung, Kopfschmerzen, Gewichtszunahme, Schmierblutungen; bei postkoitaler Notfallkontrazeption Übelkeit und Erbrechen
Wichtige UAW
7 Kap. 10
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
24
Arzneistoff
.. Tab. 24.1 (Fortsetzung)
342 Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
Progesteron
PR-Agonist
Wichtigster natürlich vorkommender PRAgonist; kürzere Wirkdauer als Levonorgestrel, da hoher first-pass-Effekt. Vor allem Synthese in der 2. Zyklusphase und in der Schwangerschaft. Stimulation der Sekretion des Endometriums, Aufrechterhaltung der Schwangerschaft, Hemmung der FSH- und LH-Sekretion und damit der Reifung weiterer Follikel (Ovulationshemmung)
Postmenopausale HET, Endometriumschutz und Regulation von Uterusblutungen
Müdigkeit, Brustspannung, Gewichtszunahme, Schmierblutungen
(Fortsetzung)
24.2 · Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten 343
24
AR-Agonist
Testosteron
Natürlich vorkommender AR-Agonist, Vorstufe des potenteren 5α-Dihydrotestosteron. Beeinflussung multipler Organfunktionen: Wachstum und Funktion von Prostata↑, Samenreifung, Libido und Potenz ↑, sekundäre Geschlechtsmerkmale↑, männliches Sexualverhalten, anabole Wirkung, Knochenreifung, Epiphysenschluss, Hämatopoese, Talgdrüsensekretion↑
Wichtige Wirkungen
Substitution bei Hypogonadismus und Pubertas tarda; hoher first-pass-Effekt; daher Pflaster, Gele, i.m.-Gabe oder Prodrugs; Unterstützung bei Transsexualität
Wichtige Indikationen
Thromboembolien (Schlaganfall, MI), Dyslipidämie, Gynäkomastie (Umwandlung zu ERAgonisten durch Aromatase), Depression, Aggression, Haupthaarausfall, verstärkte Köperbehaarung, Steroidakne, Hodengröße und Spermatogenese ↓, Lebererkrankungen, Stimulation androgenabhängiger Tumoren (Prostatakarzinom)
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 15, 16, 18, 28, 31
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
In der Tabelle sind nicht die SERM Raloxifen und Tamoxifen, der Aromatase-Inhibitor Anastrozol sowie der AR-Antagonist Flutamid aufgeführt. Raloxifen wird in 7 Kap. 20 besprochen, Tamoxifen, Anastrozol sowie Flutamid in 7 Kap. 31
Arzneistoffgruppe
24
Arzneistoff
.. Tab. 24.1 (Fortsetzung)
344 Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
345 24.2 · Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
HET (Hormonersatztherapie) angewendet (7 Abschn. 24.4). Ethinylestradiol unterliegt dagegen keinem first-pass-Metabolismus und kann daher zur oralen hormonellen Kontrazeption bei der Frau eingesetzt werden (7 Abschn. 24.3). Clomifen ist ein ER-Antagonist, der das negative Feedback von Estradiol auf die Hypophyse verhindert und über eine erhöhte FSH-Freisetzung die Reifung von Follikeln und über gesteigerte LH-Sekretion die Ovulation fördert. Diese Wirkung kann bei Patientinnen mit Kinderwunsch genutzt werden, um die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Schwangerschaft zu erhöhen. Allerdings besteht bei dieser Methode das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften. Während Estradiol und Ethinylestradiol nicht zwischen ERα und ERβ diskriminieren, ist dies bei SERM der Fall. Raloxifen aktiviert bevorzugt ERβ in Knochen und antagonisiert ERα im Brustgewebe. Dieses Wirkprofil kann zur Therapie postmenopausaler Osteoporose und Prävention von Mammakarzinomen genutzt werden (7 Kap. 20). Demgegenüber wirkt Tamoxifen agonistisch an ERα im Endometrium und antagonistisch an ERα im Brustgewebe. Dieses Wirkprofil von Tamoxifen wird in der Therapie des hormonsensitiven Mammakarzinoms genutzt (7 Kap. 31). Progesteron hat einem hohen first-pass- Effekt, was bei der Anwendung (z. B. bei der peri- und postmenopausalen HET) berücksichtigt werden muss. Demgegenüber besitzt der synthetische PR-Agonist Levonorgestrel eine sehr gute Bioverfügbarkeit und kann deshalb für die verschiedensten Anwendungen in der hormonellen Kontrazeption (7 Abschn. 24.3) genutzt werden. Mifepriston ist ein PR-Antagonist. Es hemmt die sekretionsstimulierende Wirkung von Progesteron am Endometrium und führt zum Absterben der Schleimhaut. Diese Wirkung wird zur Auslösung von Aborten in Kombination mit EPR-Agonisten (Uteruskontraktion) genutzt.
24
Testosteron ist nach p.o.-Gabe nicht gut bioverfügbar, weshalb es in speziellen Applikationsformen (z. B. Pflaster, p.o.-Prodrugs oder i.m.-Injektionen) gegeben werden muss. Es wird vor allem bei Hypogonadismus appliziert. >>Testosteron wir in großem Umfang als „Libido-Enhancer“ missbraucht. Eine typische Folge dieses Missbrauchs ist jedoch eine Hodenverkleinerung durch negatives Feedback.
Bei medizinisch nicht indizierter Anwendung von AR-Agonisten können schwere UAW auftreten. Das auch im Körper vorkommende Nandrolon (19-Nortestosteron), ist ein AR-Agonist, bei dem die anabole Wirkung in Relation zur virilisierenden Wirkung deutlich verstärkt ist. Es wird vor allem in Kraft- und Sprintsportarten als Dopingmittel verwendet. Missbräuchlich angewendete AR-Agonisten haben gravierende UAW wie Akne, Depression, Hypertonie mit Folgeerkrankungen wie MI und Schlaganfall, schwere Leberschäden bis hin zu Leberzellkarzinomen, Hodenatrophie und Infertilität durch Hemmung der FSHund LH-Sekretion sowie bei Frauen Hirsutismus, Virilisierung der Stimme, Klitorishypertrophie und Hypersexualität.
>>Anabol wirkende AR-Agonisten werden im großen Umfang von Bodybuildern, Kraftsportlern und Freizeitsportlern zum Bodyshaping und Doping missbraucht. Medizinische Indikationen für diese Wirkstoffe gibt es nicht.
Im Gegensatz dazu gibt es für AR-Antagonisten wichtige Anwendungen. Flutamid wird beim AR-positiven Prostatakarzinom zur Hemmung des Tumorwachstums eingesetzt (7 Kap. 31), Cyproteron bei Hypersexualität, schwerer Akne und schwerem Hirsutismus sowie zur Unterstützung der Ausprägung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale bei transsexuellen Patienten.
346
Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
24.3 ER- und/oder PR-Agonisten-
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zu einem starken Absinken der Estradiolund Progesteronkonzentration und zur Abenthaltende Kontrazeptiva stoßung der Uterusschleimhaut in der Die Entwicklung wirksamer, sicherer und Menstruation. Gemeinsam hemmen Estraeinfach anwendbarer ER- und/oder PR- diol und Progesteron in der zweiten ZyklusAgonisten-enthaltender Kontrazeptiva hat phase die FSH- und LH-Sekretion und verin den Industrieländern maßgeblich zur Re- hindern die Reifung eines neuen Follikels duktion der Geburtenrate ab den späten und eine weitere Ovulation, was mit der po1960er Jahren beigetragen. . Tab. 24.2 gibt tenziellen Nidation der Blastozyste interfeeinen Überblick über ausgewählte hormo- rieren würde. Als zusätzlicher Schutzmenelle Kontrazeptionsmethoden einschließ- chanismus vor einer weiteren Befruchtung lich Sicherheit, UAW und Kontraindikatio- wird das Zervixsekret unter dem Einfluss nen. Trotz erheblicher Bemühungen ist es von Progesteron viskös und verhindert sobislang nicht gelungen, sichere und wirk- mit das Eindringen von Spermien in den same pharmakologische Methoden zur Uterus. Bei den klassischen EinphasenpräparaKontrazeption beim Mann zu entwickeln. ten wird über einen Zeitraum von 21 Tagen Die hormonelle Kontrazeption beruht eine fixe Kombination eines synthetischen darauf, die Wirkungen von ER-Agonisten ER- A gonisten und eines synthetischen PR- und PR-Agonisten so zu nutzen, dass eine Agonisten gegeben, die sehr effektiv die Schwangerschaft trotz Geschlechtsverkehr Ovulation hemmt und die Viskosität des nicht eintreten kann. Die mögliche AnsteZervixsekretes erhöht. In den folgenden sieckung mit sexuell übertragbaren Erkranben Tagen wird entweder keine Pille eingekungen wie Gonorrhoe (7 Kap. 32) oder nommen oder aber Placebo. Durch den AbHIV (7 Kap. 33) wird dadurch nicht verfall der Konzentration des synthetischen hindert. Hierzu ist der Gebrauch von KonER-Agonisten und PR-Agonisten entsteht domen erforderlich, wodurch die ER- und/ eine Abbruchblutung. Mit Einphasenpräpaoder PR- Agonisten enthaltenden Kontrazeptiva noch sicherer werden. Die Sicherheit raten wird zwar eine hohe kontrazeptive Sikontrazeptiver Methoden wird mit dem cherheit erzielt, aber die Verträglichkeit diePearl-Index quantifiziert. Er wird berechnet ser Präparate ist wegen fehlender Anpassung als der Quotient Anzahl der Schwanger- an den physiologischen Zyklus nicht gut. schaften/100 Frauenjahre. Ohne Kontrazep- Die ersten Präparate dieser Art enthielten tion liegt der Pearl-Index gebärfähiger sehr hohe Arzneistoffdosen und es traten Frauen zwischen 30–80; d. h. 30–80 von 100 viele UAW auf, vor allem thromboemboliFrauen werden innerhalb eines Jahres sche Ereignisse (7 Kap. 18). Auch kam es schwanger. Ein Pearl-Index von 1 bedeutet, nach Absetzen häufig zunächst zu Zyklusdass nur eine von 100 Frauen innerhalb ei- unregelmäßigkeiten, weil die Hypophysenfunktion stark unterdrückt wurde. Entsprenes Jahres schwanger wird. Die Estradiolkonzentration steigt in der chend lange dauerte es, ehe eine erwünschte ersten Zyklusphase stark an und löst über Schwangerschaft eintreten konnte. Um die Verträglichkeit der Kontrazepden LH-Peak die Ovulation aus. Danach tiva zu verbessern, ohne die Wirkung zu befällt die Estradiolkonzentration steil ab, um einträchtigen, wurden Zweiphasenpräparate in der zweiten Zyklusphase auf einem niedentwickelt, bei denen die ER-Agonist-Dosis rigeren Niveau zu verharren. In der ersten über den Zyklus konstant gehalten wird und Zyklusphase ist die Progesteronkonzentradie PR-Agonist-Dosis in der ersten Zyklustion sehr niedrig und steigt dann nach der phase niedrig und in der zweiten ZyklusOvulation deutlich an. Mit dem Zusammenphase hoch ist. Diese Präparate sind besser brechen der Gelbkörperfunktion kommt es
Mikropille
Niedrig dosierter ER-Agonist (meist Ethinylestradiol, < 50 μg/Pille) + niedrig dosierter PR-Agonist (meist Levonorgestrel). Zweistufenpräparate (etwas phasenadaptiert) oder Dreistufenpräparate (gut phasenadaptiert)
Verhinderung der Ovulation, erschwerte Passage von Spermien durch die Zervix
0,1–0,9 bei korrekter Anwendung; in der Praxis häufig nur 1–12 wegen unzuverlässiger Einnahme
Standardmethode zur Kontrazeption bei gesunden Frauen ohne Risikofaktoren
Parameter
Enthaltene Arzneistoffe
Wirkmechanismus
Pearl-Index
Indikationen Patientinnen, bei denen zur Kontrazeption Estrogen-haltige Präparate nicht angewendet werden können (Hypertonie, Thromboembolie, Tabakkonsum, Estrogenabhängige Tumore)
Ca. 4 (korrekte Anwendung vorausgesetzt)
Erschwerte Passage von Spermien durch die Zervix und Veränderung des Endometriums (Nidationshemmung)
Levonorgestrel. Bei Minipille ist sehr genaue Einnahme (nicht mehr als 3 Stunden Unterschied pro Tag) erforderlich; bei neuer Minipille mehr Flexibilität
Minipille
Alternativmethode zu Minipille und neuer Minipille; Menstruationsbeschwerden, Endometriose, nicht Methode der Wahl bei Frauen mit Kinderwunsch
0,2
T-förmiger Kunststoffkörper, der die Nidation hemmt; regelmäßige Abgabe von Levonorgestrel. Dadurch erschwerte Passage von Spermien durch die Zervix und Veränderungen des Endometriums (Nidationshemmung), teilweise auch Hemmung der Ovulation
Intrauterinpessar mit LevonorgestrelDepot, das den Arzneistoff kontinuierlich über einen Zeitraum bis zu 5 Jahren abgibt
Hormonspirale
.. Tab. 24.2 Vergleich verschiedener hormoneller kontrazeptiver Methoden: Eine Beratungsgrundlage
(Fortsetzung)
Postkoitale Notfallkontrazeption nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr
2; Bei Einnahme innerhalb von 24 Stunden 0,6 % Schwangerschaften; am 2. Tag 1,2 % Schwangerschaften und am 3. Tag 2,7 % Schwangerschaften
Verhinderung der Ovulation, eventuell auch Hemmung des Transportes von Spermien und Eizelle in den Tuben, Nidationshemmung
Einmalig 1,5 mg Levonorgestrel innerhalb von 12 bis maximal 72 Stunden postkoital; nicht zu verwechseln mit Abtreibungspille (Mifepriston)
Pille danach (Notfallkontrazeption)
24.3 · ER- und/oder PR-Agonisten-enthaltende Kontrazeptiva 347
24
Mikropille
Im Vergleich zur klassischen Pille deutlich reduzierte ER-Agonist- und PR-Agonist-Dosen, daher auch weniger UAW. Übelkeit, Erbrechen, Gewichtszunahme, Appetitsteigerung, Ödeme, Migräne, Brustschmerzen, Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, Hypertonie, Thrombosen, Leberfunktionsstörungen; gutartige Leberadenome (reversibel), reversible Erhöhung des Risikos für Mammakarzinom; Risiko für Endometriumkarzinom, Ovarialkarzinom und Kolonkarzinom erniedrigt
Wirkungsbeeinträchtigung durch CYP-Induktoren (z. B. Phenytoin, Carbamazepin, RMP, Johanniskraut), MCP, Diarrhoe (antibakterielle Arzneistoffe), Aktivkohle
Vorangegangene tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie, Schlaganfall, MI, nicht ausreichend kontrollierte kardiovaskuläre Erkrankungen (insbesondere Hypertonie), Diabetes, hormonabhängige Tumoren, Schwangerschaft und Stillzeit, Lebererkrankungen, unklare vaginale Blutungen. Relative Kontraindikation bei Raucherinnen und Alter > 35 Jahre
Ja
UAW
Interaktionen
Kontraindikationen
Rezeptpflicht
Ja
Tiefe Beinvenenthrombosen, Lungenembolie, hormonsensitive Tumoren, Lebererkrankungen, unklare vaginale Blutungen, Schwangerschaft
Wirkungsbeeinträchtigung durch CYP-Induktoren, Diarrhoe (antibakterielle Arzneistoffe), Aktivkohle
Zwischen- und Schmierblutungen, Amenorrhoe, Stimmungsschwankungen, Depression, Übelkeit, Akne, Gewichtszunahme, Hautveränderungen, Haarausfall, Hirsutismus (AR-Agonismus)
Minipille
Ja
Tiefe Beinvenenthrombosen, Lungenembolie, hormonsensitive Tumoren, Lebererkrankungen, unklare vaginale Blutungen, Schwangerschaft; Uterusfehlbildungen, Endometritis, Zervizitis
Da direkte lokale Abgabe des Arzneistoffs in das Endometrium geringeres Risiko für Interaktionen
Expulsion der Spirale (ca. 7 % in den beiden ersten Anwendungsmonaten), Verletzung des Uterus beim Einsetzen der Spirale, Uterusperforation, Migration in Bauchhöhle, Kopfschmerzen, Unterleibschmerzen, Hypermenorrhoe, Oligomenorrhoe, Amenorrhoe, Schmier- und Zwischenblutungen, Vulvovaginitis, dazu typische Gestagenwirkungen wie bei Minipille
Hormonspirale
Nein (nur Apothekenpflicht)
Keine, wenn im Beratungsgespräch die Indikation postkoitale Notfallkontrazeption gestellt wurde
Unzuverlässige Resorption des Arzneistoffs bei GIErkrankungen, die mit Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe einhergehen
Übelkeit, Erbrechen, Störung des normalen Menstruationszyklus, kurzfristig typische PR-AgonistWirkungen (siehe Minipille), keine langfristigen UAW, da nur einmalige Einnahme
Pille danach (Notfallkontrazeption)
24
Parameter
.. Tab. 24.2 (Fortsetzung)
348 Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
349 24.3 · ER- und/oder PR-Agonisten-enthaltende Kontrazeptiva
verträglich als die klassischen Einphasenpräparate, aber immer noch nicht optimal. In den Dreiphasenpräparaten sind die ER-Agonist- und PR-Agonist-Dosen weiter erniedrigt. Die ER-Agonist-Dosis ist im ersten und dritten Zyklusdrittel niedrig und im zweiten Drittel höher, während die PR-Agonist- Dosis vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Drittel stufenweise erhöht wird. Bei korrekter Anwendung ist der Pearl-Index >Es ist wichtig, diejenigen Patientinnen zu identifizieren, die nicht für die Mikropille infrage kommen.
Das sind insbesondere Frauen mit thromboembolischen Erkrankungen in der Anamnese (7 Kap. 18), nicht ausreichend behandelten kardiovaskulären Erkrankungen, insbesondere Hypertonie (7 Kap. 15), Diabetes (7 Kap. 19), Schwangerschaft, Stillzeit, ER-abhängigen Tumoren und Raucherin
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nen. Ein Vorteil der geringen Arzneistoffdosen in der Mikropille ist, dass nach dem Absetzen der natürliche Zyklus meist problemlos einsetzt und damit die Möglichkeit besteht, rasch schwanger zu werden. Für die Wirksamkeit der Zwei- und Dreiphasenpräparate ist es entscheidend, die vom pharmazeutischen Hersteller vorgegebene Reihenfolge der Pillen in der Blisterpackung einzuhalten. Bei Unverträglichkeit der Mikropille kommt ein Wechsel auf die Minipille infrage. Sie enthält nur Levonorgestrel, wodurch es zur Erhöhung der Zervixsekretviskosität kommt. Endometriumveränderungen und Ovulationshemmung können zur kontrazeptiven Wirkung beitragen. Nachteilig sind der höhere Pearl-Index und die Notwendigkeit einer sehr regelmäßigen Pilleneinnahme (Toleranz nur etwa 3 Stunden). Außerdem kann es zu Schmier- und Zwischenblutungen kommen. Ansonsten entfallen UAW, die auf den ER-Agonisten zurückzuführen sind (vor allem thromboembolische Ereignisse). Zu beachten ist, dass Levonorgestrel auch eine AR-agonistische Wirkkomponente besitzt und es daher zu Hirsutismus und Haupthaarausdünnung kommen kann. Patientinnen, bei denen die Adhärenz problematisch ist oder die die Minipille nicht vertragen, können eine Hormonspirale anwenden. Sie ist ein T-förmiges Intrauterinpessar, das ein Levonorgestreldepot enthält, welches über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren den Arzneistoff freisetzt. Die Hormonspirale besitzt mit einem Pearl- Index von 0,2 eine ausgezeichnete kontrazeptive Sicherheit. Diese wird auch dadurch bedingt, dass das Intrauterinpessar mechanisch die Nidation erschwert. Die UAW entsprechen prinzipiell denen der Minipille. Die Menstruation ist mit Hormonspirale meist schwächer als ohne Spirale. Wegen der lokalen Arzneistoffabgabe am Wirkort ist das Potential für Arzneistoffinteraktionen gering. Nachteilig bei der Hormonspirale ist, dass sie innerhalb der ersten beiden Anwendungsmonate bei bis zu 7 % der Anwenderinnen aus dem Uterus ausgetrieben wird.
350
Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
Außerdem kann es zu Uterusverletzungen bis hin zur Perforation kommen, die möglicherweise die Notwendigkeit einer Hysterektomie nach sich zieht.
24
24.4 Hormonersatztherapie bei
der Frau
Die Perimenopause stellt eine physiologische Umstellungsphase dar, in der es etwa ab dem >>Die Hormonspirale ist nur eine Kontra45. Lebensjahr zu einer verminderten Follizeptionsmethode der Wahl für Patientinkelreifung kommt. Dadurch nimmt nicht nur nen, die ihre Familienplanung abgeschlosdie Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sen haben. ab, sondern es kommt auch zu einem graduelDas Einsetzen der Hormonspirale sowie de- len Abfall der Estradiol- und Progesteronren Entfernung muss vom Arzt durchge- konzentration im Plasma. Durch Wegfall der führt werden. inhibitorischen Wirkungen der ER-AgonisEs gibt auch eine nicht-rezeptpflichtige ten und PR- Agonisten auf die Hypophyse postkoitale hormonelle Notfallkontrazep- nimmt gleichzeitig die FSH-Konzentration tion. Das Notfallkontrazeptivum enthält zu, aber dieser Anstieg kann die physiologieine einmalige, sehr hohe Dosis des PR- sche Erschöpfung der Ovarkapazität nicht Agonisten Levonorgestrel, welcher effektiv mehr kompensieren. Ovulation und Tubenmotilität hemmt sowie Die Menopause ist der Zeitpunkt der letzdas Endometrium nachteilig so verändert, ten ovariell gesteuerten Menstruation. In sodass eine Nidation nicht mehr stattfinden Deutschland tritt die Menopause derzeit im kann. Die fehlende Verschreibungspflicht Mittel mit 51 Jahren ein. Vor der Menopause erniedrigt die Hemmschwelle der Patientin- werden der Zyklus häufig unregelmäßiger nen zum Handeln und das Zeitintervall bis und die Menstruation schwächer. Der Einzur Arzneistoffeinnahme deutlich. tritt der Menopause kann erst retrospektiv festgestellt werden, wenn für einen Zeitraum >>Je eher das Notfallkontrazeptivum eingevon 12 Monaten keine weitere Menstruation nommen wird, desto wirksamer ist es. Es eingetreten ist. Als Folge der abfallenden ist wichtig, dass alle Frauen, Ärzte und Konzentration der ER- und PR-Agonisten Apotheker darüber Bescheid wissen. kommt es zu körperlichen und psychischen Aus religiösen und kulturellen Gründen ist Veränderungen. . Tab. 24.3 fasst wichtige die Verfügbarkeit oraler Notfallkontrazep- Symptome der Peri- und Postmenopause sotiva in verschiedenen Ländern sehr unter- wie die Therapiemöglichkeiten mit ihren Vorund Nachteilen sowie Kontraindikationen schiedlich. Bei Einnahme des Notfallkontrazepti- zusammen. Da die Menopause physiologisch ist, ist vums innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr beträgt die Wahr- sie zunächst nicht behandlungspflichtig. scheinlichkeit einer Schwangerschaft ledig>> Etwa ein Drittel der Patientinnen durchlich 0,6 %, steigt nach 72 Stunden jedoch auf läuft die physiologische Phase der Peri- und 2,7 %. Da die Pille danach nur einmal eingePostmenopause ohne Beschwerden und benommen wird, sind außer einer kurzfristigen darf daher außer Beachtung allgemeiner Zyklusstörung sowie Übelkeit und Erbrechen Regeln zur gesunden Lebensführung keiner keine langfristigen UAW zu erwarten. Durch spezifischen Pharmakotherapie. die leichtere Zugänglichkeit der Pille danach ist die Anzahl unerwünschter Schwanger- Die übrigen zwei Drittel haben jedoch Symp schaften und der für die Patientinnen unan- tome, die individuell sehr unterschiedlich genehmeren und risikoreicheren Schwanger- ausgeprägt sein können. Wenn vulvovaginale Beschwerden dominieren, so kommt primär schaftsabbrüche reduziert worden.
24
351 24.4 · Hormonersatztherapie bei der Frau
.. Tab. 24.3 Wichtige Fakten zur Hormonersatztherapie in der Peri- und Postmenopause: Eine Beratungsgrundlage Parameter
Wichtige Fakten
Symptome der Peri- und Postmenopause
Haut und Haare: Faltenbildung und Trockenheit der Haut, Ausfall und Dünnerwerden des Haupthaares; Damenbart, Hirsutismus durch relativen Androgenüberschuss ZNS: Nervosität, Schlafstörungen, Reizbarkeit, verringerte Leistungsund Merkfähigkeit, Depression, Libidoverlust Brust: Nachlassen der Elastizität Herz-Kreislauf-System: Herzklopfen, Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Schwindel Stoffwechsel: Dyslipidämie, Erhöhung des MI- und Schlaganfallrisikos Vagina: Trockenheit, Dyspareunie Beckenboden: Schwächung der Muskulatur und Senkung der Gebärmutter Knochen: Demineralisierung, Osteoporose Skelettmuskulatur: Abnahme der Muskelmasse
Zur Verfügung stehende Präparate
ER-Agonisten: Tabletten, Pflaster, Gele, Nasenspray, Injektionen, Vaginaltabletten, Vaginalinserts, Vaginalcreme, Vaginalovula ER-Agonist/PR-Agonist-Kombinationen: Tabletten, Pflaster PR-Agonisten: Tabletten
Indikationen
Indikation, Art und Dosis des Präparates sowie Therapiedauer müssen individuell je nach den spezifischen Beschwerden unter Berücksichtigung von Begleiterkrankungen, UAW und Kontraindikationen vereinbart werden. Grundsatz: So niedrig dosiert und kurzfristig wie nötig; generelle (häufig weltanschaulich geprägte) Ablehnung von Hormonpräparaten ist nicht zielführend
Vorteile
Positive Beeinflussung von peri- und postmenopausalen Beschwerden nachgewiesen, verringerte Atrophien im Urogenitalbereich, verbesserte sexuelle Aktivität und Libido, verbesserte Stimmungslage (weniger Depressionen), reduziertes Kolonkarzinomrisiko (ER-Agonisten + PR-Agonisten)
Nachteile (UAW)
Erhöhtes Risiko für Mammakarzinom, tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie sowie Cholezystitis
Absolute Kontraindikationen
ER-positives Mammakarzinom, akute thromboembolische Erkrankungen, ungeklärte vaginale Blutungen
Relative Kontraindikationen
Lebererkrankungen, Dyslipidämien, Hypertonie und ER-AgonistenEinnahme, Zustand nach Thrombose, Uterusmyome
Alternativen zur Hormontherapie
Kein gesicherter Wirkungsnachweis für pflanzliche („natürliche“) Präparate aus Yams, Hopfen sowie Traubensilberkerze; bei Osteoporose Bisphosphonate oder Raloxifen (7 Kap. 20); symptombezogener Einsatz von NE/5-HT-Verstärkern und Arzneistoffen mit stimmungsstabilisierender Wirkung (7 Kap. 28)
Allgemeine Ratschläge zur Lebensweise
Vermeiden von Übergewicht, gesunde und ausgewogene Ernährung, nur moderater Alkoholgenuss (Rotwein, keine hochprozentigen alkoholischen Getränke), viel Bewegung, Rauchverzicht, Calcium- und Vitamin-D-reiche Kost zur Vermeidung von Osteoporose
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24
Kapitel 24 · Pharmakologie der Sexualhormone
eine vaginale Therapie mit ER-Agonisten (ohne PR-Agonist) infrage. Hier gibt es eine Vielzahl von gut verträglichen und wirksamen Anwendungsformen, die nur minimale UAW haben und daher großzügig angewendet werden dürfen. Eine systemische Therapie mit ER-Agonisten sowie ER-Agonist/PRAgonist- Kombinationen kommt vor allem für Patientinnen infrage, die über Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Depression, Libidoverlust und Einschränkung der Leistungsfähigkeit klagen. Ein positiver Nebeneffekt einer Estrogensubstitution ist die Osteoporoseprotektion (7 Kap. 20). Jede systemische Hormontherapie sollte durch gesunde Lebensführung unterstützt werden, die ausreichende Calcium- und Vitaminzufuhr, viel Bewegung und Rauchverzicht beinhaltet. Die systemische peri- und postmenopausale HET ist sehr effektiv, hat aber durch die Ergebnisse der Women's Health Initiative Study (WHI-Studie) negative Schlagzeilen gemacht und an Akzeptanz verloren. Das wurde auch durch eine teilweise unsachliche und tendenziöse Diskussion in den Medien befördert. Die WHI-Studie zeigte, dass bei einer 10-jährigen systemischen HET sechs von 1.000 Frauen zusätzlich an Mammakarzinom erkranken. Diese Risikoerhöhung relativiert sich jedoch, wenn man berücksichtigt, dass durch Adipositas, Alkoholkonsum, wenig Bewegung und Rauchen insgesamt zusätzlich 123 Frauen Brustkrebs bekommen. Diese Aspekte wurden in der Diskussion über HET nicht ausreichend balanciert dargestellt. Die Ergebnisse der WHI-Studie zeigen die große Bedeutung einer gesunden Lebensführung zur Mammakarzinomprophylaxe auf. Daher sollte Frauen mit periund postmenopausalen Beschwerden, die die Lebensqualität deutlich erniedrigen, eine systemische HET angeboten werden. Als Folge der Negativbewertung der HET kam es zu einem Aufschwung von pharmakotherapeutischen Ansätzen mit
Einbeziehung verschiedener Pflanzenextrakte. Für diese Ansätze fehlt jedoch ein Wirkungsnachweis. Vor dem Beginn einer HET müssen Kontraindikationen abgeklärt werden. >>Als Grundregel gilt, für jede Patientin, die eine HET wünscht, eine möglichst wirksame, minimal dosierte und möglichst kurze Therapie zu implementieren.
Zunächst sollte eine Therapiedauer von zwei Jahren anvisiert werden. Mit diesem Ansatz überwiegt der Therapienutzen mögliche UAW. Die Therapie sollte nach einem Jahr überprüft werden und individualisiert je nach vorliegenden Symptomen, Begleiterkrankungen, UAW und anderen eingenommenen Arzneistoffen erfolgen. Die HET gehört in die Hände des Gynäkologen. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen einer systemischen und einer vaginalen Therapie, ferner zwischen kontinuierlicher, zyklischer und sequentieller HET. Die kontinuierliche Therapie mit ER-Agonisten kommt nur bei hysterektomierten Patientinnen infrage, weil sonst das Risiko für Endometriumkarzinom anstiege. Bei Patientinnen mit atrophiertem Endometrium kann eine kontinuierliche Therapie mit ER-Agonist + PR-Agonist durchgeführt werden, ohne dass Blutungen auftreten. Bei zyklisch sequentieller Therapie wird ein ER-Agonist zyklisch mit sieben Tagen Pause gegeben und während der letzten 10–14 Tage des Zyklus zusätzlich ein PR-Agonist. Alternativ dazu kann eine kontinuierliche ERAgonist-Gabe erfolgen. Nach dem Absetzen des PR-Agonisten kommt es zu einer Entzugsblutung. In neueren Therapieschemata wird der ER-Agonist kontinuierlich gegeben und der PR-Agonist für jeweils drei Tage mit dreitägiger Pause. Mit diesem Schema bleibt die Blutung bei den meisten Patientinnen aus. Für die Durchführung der Therapieschemata gibt es eine Vielzahl von Präparaten, die individualisierte HET ermöglichen.
353 24.4 · Hormonersatztherapie bei der Frau
Estradiol besitzt einen großen first-pass- Effekt (7 Kap. 2). Dieser kann umgangen werden, wenn andere Darreichungsformen, insbesondere Pflaster oder Gele angewendet werden. Alternativ dazu können Estradiolester oder konjugierte ER-Agonisten p.o. gegeben werden; sie haben eine höhere Bioverfügbarkeit. Es gibt ergänzend dazu verschiedene p.o.-PR-Agonist-Präparate, die sich mit ER-Agonisten flexibel kombinieren lassen. Außerdem steht eine Reihe von Fixkombinationen von ER-Agonisten und PR-Agonisten zur p.o.- oder transdermalen Anwendung zur Verfügung.
habt hätte. Sie leide darunter ebenso wie ihr Partner. Die Patientin ist sehr biologisch-ökologisch orientiert und hat in den letzten Monaten Traubensilberkerzenextrakte zur Linderung der Symptome eingenommen, aber die hätten nicht geholfen. Eine Hormontherapie wolle sie auf gar keinen Fall, weil eine Freundin in ihrem Alter an Brustkrebs erkrankt sei. Bei der gynäkologischen Untersuchung finden Sie bis auf eine geringe vulvovaginale Atrophie und vaginale Trockenheit keine pathologischen Veränderungen.
Fallbeispiel
Eine 53-jährige Frau kommt in Ihre gynäkologische Praxis. Die Patientin gibt an, dass sie ihre letzte Regelblutung vor 14 Monaten gehabt hätte. Die Patientin berichtet, sich allgemein wohl zu fühlen mit einer Ausnahme: Im letzten Jahr sei ihre Scheide trocken geworden und beim Geschlechtsverkehr hätte sie Schmerzen, weshalb sie in den letzten Monaten keinen Sex mehr mit ihrem Ehemann ge-
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Bei welchen Beschwerden müssten Sie mit der Patientin eine p.o.-ERAgonist- bzw. ER-Agonist/PR-Agonist-Therapie erwägen und welche Risiken hätte eine solche Therapie? Lösungen 7 Kap. 37
24
355
Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern und Modulatoren Ligandgesteuerter Ionenkanäle Inhaltsverzeichnis 25.1
athophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen P und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 356
25.2
athophysiologie von Epilepsien und P pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 357
25.3
ichtige Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien W und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen mit einem neuronalen Ungleichgewicht – 359
25.4
Allosterische GABAAR-Modulatoren – 363
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_25
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Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
Viele neuropsychiatrische Erkrankungen einschließlich Polyneuropathien, Trigeminusneuralgie, Schizophrenie, bipolarer Störung, Angststörungen, obsessiv-kompulsiver Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Epilepsie sind durch pathologische Neuronenaktivität gekennzeichnet. Das Ziel der Pharmakotherapie besteht darin, die neuronale Aktivität durch Hemmung exzitatorischer und Aktivierung inhibitorischer Neurone zu normalisieren. Bei Epilepsien liegt eine pathologische neuronale Aktivität vor, die zu generalisierten oder fokalen Anfällen führt. Ziel der Pharmakotherapie bei Epilepsien ist es, Anfallsfreiheit zu erreichen. Dieses Ziel kann mit SCB, CCB sowie allosterischen Modulatoren Ligand-gesteuerter Ionenkanäle erreicht werden. Die Arzneistoffe werden empirisch und häufig auch off-label eingesetzt. Jeder in diesem Kapitel besprochenen SCB, CCB und Modulatoren Ligand-gesteuerter Ionenkanäle besitzt spezifische Indikationen und UAW.
55 Das Therapieziel bei Epilepsien ist die Anfallsfreiheit. 55 Bestimmte Arzneistoffe, insbesondere Valproinsäure, sind teratogen. Dennoch muss eine Epilepsie in der Schwangerschaft behandelt werden. 55 Benzodiazepine, Barbiturate und Z-Substanzen modulieren allosterisch den GABAAR und besitzen unterschiedliche Wirkprofile. 55 Aus den unterschiedlichen Wirkprofilen dieser Arzneistoffgruppen ergeben sich sehr unterschiedliche Indikationen. 55 Benzodiazepine, Barbiturate, Z-Substanzen und Pregabalin besitzen Abhängigkeitspotential.
Merksätze
Die normale Funktion des ZNS hängt von einer Balance der Aktivität inhibitorischer und exzitatorischer Neurone ab. GABA ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter. Der GABAAR ist ein Ligandgesteuerter Chloridkanal, der eine Hyperpolarisation vermittelt. Glutamat ist der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter. Der AMPAR (α-amino-3-hydroxy-5methyl-4-isoxazolepropionic acid receptor) ist ein besonders wichtiger Glutamatrezeptor und stellt einen Ligand-gesteuerten Natriumkanal dar, der eine Depolarisation vermittelt. Eine Veränderung des Gleichgewichts zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Neuronen zu Lasten der inhibitorischen Neurone kann zu einer Vielzahl neuropsychiatrischer Erkrankungen führen, je nachdem, welche spezifische ZNS-Region davon betroffen ist. Klinisch äußert sich dieses neuronale Ungleichgewicht in sehr heterogenen Krankheiten wie Migräne
55 Viele neuropsychiatrische Erkrankungen sind durch ein Ungleichgewicht zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Neuronen gekennzeichnet. 55 Diese Erkrankungen umfassen Polyneuropathien, Trigeminusneuralgie, Schizophrenie, die bipolare Störung, Angst störungen, obsessiv-kompulsive Störungen, Persönlichkeitsstörungen, die posttraumatische Belastungsstörung und Epilepsien. 55 Verschiedene SCB und CCB sowie Modulatoren Ligand-gesteuerter Ionenkanäle werden empirisch für die Pharmakotherapie dieser Erkrankungen eingesetzt. 55 Der CCB Pregabalin sowie der SCB Lamotrigin haben wegen der vergleichsweise hohen therapeutischen Breite besonders viele Anwendungsgebiete. 55 Viele der in diesem Kapitel besprochenen Arzneistoffe verursachen als UAW Sedation, Ataxie, Schwindel und Doppelbilder.
25.1 Pathophysiologie
neuropsychiatrischer Erkrankungen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
357 25.2 · Pathophysiologie von Epilepsien und pharmakologische …
(7 Kap. 6), Trigeminusneuralgie, Cluster-Kopfschmerz, Polyneuropathien, Fibromyalgie, Restless-Legs-Syndrom, bipolarer Störung (7 Kap. 28), Schizophrenie (7 Kap. 29), Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung, Depersonalisierungsstörungen und Epilepsien. Auf den ersten Blick scheinen diese klinisch sehr heterogenen Krankheitsbilder nichts miteinander gemeinsam zu haben. Allerdings hat sich durch empirische Anwendung von Arzneistoffen im Sinne eines Trial and Error gezeigt, dass eine Reihe von in diesem Kapitel besprochenen Arzneistoffen, insbesondere SCB und CCB, diese Erkrankungen günstig beeinflussen können. Dies spricht sehr stark dafür, dass diese Erkrankungen auch eine gemeinsame pathophysiologische Grundlage besitzen.
>>7 Kap. 25, 28 und 29 zeigen, dass Pharmakologie nicht nur die Therapie von Erkrankungen, sondern auch unser Verständnis der Pathophysiologie von Erkrankungen verbessern kann.
Es muss an dieser Stelle betont werden, dass nicht alle der in diesem Kapitel sowie in den 7 Kap. 28 und 29 besprochenen Indikationen für die Arzneistoffe offiziell zugelassen sind. Viele Anwendungen von Arzneistoffen in diesem Bereich erfolgen off-label, also außerhalb der zugelassenen Indikation. In vielen Fällen testen Neurologen und Psy chiater einen Arzneistoff bei möglichen Indikationen für einige Wochen aus und warten empirisch ab, ob er wirkt. Beim Versagen eines Arzneistoffs erfolgt dann der Wechsel auf einen anderen Arzneistoff.
>>Die Behandlung vieler neuropsychiatrischer Erkrankungen erfolgt nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Patient und Arzt müssen geduldig sein, um Erfolge zu sehen.
Der Arzt muss den Patienten sorgfältig darüber aufklären, um eine gute Adhärenz zu gewährleisten.
25
25.2 Pathophysiologie von
Epilepsien und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Unter den in 7 Abschn. 25.1. genannten Erkrankungen wird das Ungleichgewicht zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Neuronen am besten für die Epilepsien verstanden (. Abb. 25.1). Daher werden die Epilepsien als ein Beispiel für alle genannten Erkrankungen ausführlicher besprochen. Therapieziel bei der Epilepsie ist, das Gleichgewicht zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Neuronen wiederherzustellen. Dies erfolgt durch Stärkung GABAerger Neurone, durch Hemmung glutamaterger Neurone oder durch Blockade depolarisierend wirkender Calciumkanäle (CCB) und depolarisierend wirkender Natriumkanäle (SCB) (. Abb. 25.1). Traditionell werden Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien als „Antiepileptika“ oder „Antikonvulsiva“ bezeichnet. Da sich das Indikationsspektrum der „Antiepileptika“ jedoch in den letzten Jahren sehr deutlich erweitert hat, steht der Arzt vor Problem dem Patienten erklären zu müssen, warum er jetzt ein Antiepileptikum für die Krankheit X nehmen solle, obwohl der Patient gar keine Epilepsie hat. Dies kann zu erheblichen Adhärenzproblemen führen.
>>Daher sollten die Begriffe „Antiepileptika“ und „Antikonvulsiva“ nicht mehr verwendet werden, sondern durch die mechanistisch oder chemisch definierte Arzneistoffgruppe ersetzt werden.
Sechs von 1.000 Menschen leiden an einer behandlungsbedürftigen Epilepsie. Davon können immerhin mehr als zwei Drittel anfallsfrei oder zumindest deutlich gebessert werden. Fokale Anfälle beschränken sich auf eine Gehirnhälfte. Generalisierte Anfälle breiten sich auf beide Gehirnhälften aus und können sich als Absencen oder tonisch-klonische Anfälle manifestieren.
358
Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
Lamotrigin
Na +
Epilepsie inhibitorische Neurone
25
exzitatorische Neurone
Topiramat Levetiracetam Valproinsäure Pregabalin
Diazepam Cl –
Ca2+
Na +
Phenobarbital
Ethanol
Ethosuximid
Na +
Ca2+
Spannungsabh. Natriumkanal
GABA A Rezeptor
P/Q -Typ Calcium kanal
Phenytoin Carbamazepin
AMPA Rezeptor T-Typ Calcium kanal
Depolarisation
Hyperpolarisation
Anfälle, Stürze, Hypoxie, Gehirnschäden
Anfallsfreiheit Sedation, Ataxie, Schwindel, Doppelbilder
.. Abb. 25.1 Pathophysiologie der Epilepsie und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Das hier dargestellte Modell des Ungleichgewichtes zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Neuronen bei Epilepsien kann auf die Pathophysiologie und Phar-
makotherapie vieler anderer neuropsychiatrischer Erkrankungen einschließlich Angststörungen, obsessiv- kompulsiver Störungen, der bipolaren Störung (7 Kap. 28), Schizophrenie (7 Kap. 29) und den neuropathischen Schmerz (7 Kap. 10) übertragen werden
Ursachen für Anfälle sind u. a. prä-, peri- und postnatale Gehirnläsionen, Meningitis, Enzephalitis, Tumore, Blutun gen, Hypocalcämie, Hypoxie, Hypoglykämie (7 Kap. 19), hypertensive Notfälle (7 Kap. 15), Alkoholintoxikation oder Alkoholentzug, Vitamin-B6-Mangel bei INH- Therapie (7 Kap. 32), rhythmische optische oder akustische Reize, Schlafentzug oder plötzliches Absetzen von Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung oder Benzodiazepinen. Auch indirekte Sympathomimetika (7 Kap. 5), PDE-Inhibitoren (7 Kap. 14), indirekte Dopamimetika (7 Kap. 8), Arzneistoffe mit MxR-antagonistischer Wirkung inklusive bestimmter NE/5-HT-Verstärker und mGPCR-Antagonisten (7 Kap.
5, 28 und 29), Penicilline und Cephalosporine in hoher Dosierung sowie Fluorchinolone (7 Kap. 32) können Anfälle auslösen. Wenn immer möglich, sollte die Ursache für die Epilepsie beseitigt werden. Die Epilepsietherapie richtet sich nach der Anfallsform. Alle Arzneistoffe mit antiepileptischer Wirkung wirken sedativ und können Ataxie, Schwindel und Doppelbilder hervorrufen. Für jeden Patienten muss eine Balance zwischen therapeutischen Wirkungen (wenn möglich Anfallsfreiheit) und UAW gefunden werden. Da viele Arzneistoffe mit antiepileptischer Wirkung Arzneistoffinteraktionen verursachen, ist ein TDM wichtig. Die Therapie sollte einschleichend erfolgen. Nach drei Jahren Anfallsfreiheit
25
359 25.3 · Wichtige Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien und anderen …
kann ein Ausschleichversuch über zwei Jahre erfolgen. Wegen Arzneistoffinteraktionen muss die Einnahme jedes zusätzlichen Arzneistoffs abgesprochen werden. Arzneistoffe mit antiepileptischer Wirkung haben eine geringe therapeutische Breite und gehören daher in die Hand des Neurologen. Für die optimale Einstellung der Patienten ist das Führen eines Anfallskalenders wichtig. Alkohol, Rauschmittel sowie epileptogene Arzneistoffe und Reize (z. B. Stroboskoplicht in der Diskothek) müssen vermieden werden. Außerdem müssen die Patienten einen geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus einhalten. Das Absetzen von Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung in Pubertät und Schwangerschaft kann die Anfallsfrequenz erhöhen. Eine regelmäßige Überwachung der Leber- und Nierenfunktion sowie des hämatopoetischen Systems ist erforderlich. Die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen ist für den Erfolg der pharmakologischen Behandlung von Epilepsien essentiell. >>Bei allen Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung ist aufgrund der Sedation die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt. Die sedierende Wirkung wird durch Ethanol potenziert.
25.3 Wichtige Arzneistoffe zur
Behandlung von Epilepsien und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen mit einem neuronalen Ungleichgewicht
. Tab. 25.1 fasst wesentliche Eigenschaften ausgewählter Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien und anderer neuropsychia trischer Erkrankungen mit einem neuronalen Ungleichgewicht zusammen. Von allen in . Tab. 25.1 zusammengefassten Arzneistoffen besitzen Lamotrigin und Pregabalin das beste Verhältnis zwischen therapeutischen Wirkungen und UAW, also die größte therapeutische Breite (7 Kap. 1). Deshalb
werden diese beiden Arzneistoffe auch für besonders viele Indikationen eingesetzt mit einer klaren Tendenz zur Erweiterung. Lamotrigin ist ein SCB und hemmt darüber die Glutamatfreisetzung. Dadurch wird die Aktivität exzitatorischer Neurone gehemmt. Lamotrigin wird besonders bei fokalen Anfällen und sehr breit bei den verschiedensten anderen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt. Seine Anwendungsgebiete umfassen die bipolare Störung (7 Kap. 28), Cluster-Kopfschmerz (7 Kap. 10), Migräneprophylaxe (7 Kap. 6), Polyneuropathien (7 Kap. 10), Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Depersonalisierungsstörungen und die posttraumatisches Belastungsstörung. Der Einsatz erfolgt empirisch. Es empfiehlt sich eine einschleichende Dosierung, um für jeden Patienten das beste Verhältnis zwischen therapeutischen Wirkungen und UAW zu erzielen. Pregabalin ist ein CCB und blockiert P/Q-Typ-Calciumkanäle. Der Name für diesen Arzneistoff enthält zwar die Silbe „GABA“, aber der Arzneistoff wirkt nicht am GABAAR.
>> Pregabalin ist ein Beispiel für einen Arzneistoff mit einem in die Irre führenden INN.
Pregabalin besitzt ein ganz anderes Wirkprofil als die am GABAAR ansetzenden Benzodiazepine, Z-Substanzen und Barbiturate (7 Abschn. 25.4). Pregabalin wird als Zusatzarzneistoff bei unzureichend behandelten Epilepsien eingesetzt. Außerdem wird Pregabalin sehr breit für Polyneuropathien, insbesondere bei diabetischer Polyneuropathie (7 Kap. 10 und 19) sowie postherpetischer Polyneuropathie (7 Kap. 33), eingesetzt, ferner bei generalisierten Angststörungen, bipolarer Störung (7 Kap. 28), Fibromyalgie und Restless-Legs-Syndrom. Pregabalin besitzt ein unterschätztes Abhängigkeitspotential. Da der Gebrauch von Pregabalin (auf im off- label-Bereich) stark zunimmt, ist davon auszugehen, dass auch die Abhängigkeitsproblematik deutlich an Bedeutung gewinnen wird.
25
Arzneistoffgruppe
SCB
CCB
SCB
GlutamatfreisetzungsInhibitor
Barbiturat
Arzneistoff
Carbamazepin
Ethosuximid
Lamotrigin
Levetiracetam
Phenobarbital
Allosterische Modulation des GABAAR; andere Bindungsstelle als Diazepam. Antiepileptisch, Verstärkung der Funktion GABAerger Neurone (nur Sedation und antiepileptisch; keine Anxiolyse und keine Muskelrelaxation)
Ähnlich wie Topiramat. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Aktivität glutamaterger Neurone
Hemmung der Glutamatfreisetzung über Blockade von Natriumkanälen. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Aktivität glutamaterger Neurone, stimmungsstabilisierend
Blockade von T-Typ-Calcium kanälen, antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Neuronenaktivität
Blockade von Natriumkanälen. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Neuronenaktivität
Wichtige Wirkungen
Alle Formen der Epilepsie außer Absencen. Wegen geringer therapeutischer Breite und Wirkungsverlust bei Dauertherapie nur noch Status eines Reservearzneistoffs
Verschiedene Formen fokaler und generalisierter Epilepsie
Fokale Anfälle, Zusatztherapie bei refraktärer Epilepsie, Alternative zu Valproinsäure bei Kinderwunsch, Stimmungsstabilisation bei bipolarer Störung, Migräneprophylaxe, Schizophrenie
Absencen
Alle Formen der Epilepsie außer Absencen; bipolare Störung, Schizophrenie, Trigeminusneuralgie
Wichtige Indikationen
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, bei Überdosierung Gefahr der Atemdepression; bei Dauertherapie Wirkungsverlust wegen Enzyminduktion
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Schwindel, allergische Reaktionen, Psychosen, Stimmungsschwankungen, Suizidalität
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Schwindel, Exantheme
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Übelkeit, Leukopenie, Allergien
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Leukopenie, Wirkungsverlust durch CYP-Induktion
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 10
7 Kap. 6, 28, 29
7 Kap. 2, 28, 29
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
.. Tab. 25.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien und anderer neuropsychiatrischer Erkrankungen mit neuronalem Ungleichgewicht
360 Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
CCB
Glutamatfreisetzungs- Inhibitor
SCB
Pregabalin
Topiramat
Valproinsäure
Natriumkanalblockade. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Neuronenaktivität; Förderung der Aktivität GABAerger Neurone, stimmungsstabilisierend
Allosterische Blockade von AMPAR, dazu Blockade von Natriumkanälen und allosterische Modulation von GABAAR. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Aktivität glutamaterger Neurone
Blockade von P/Q-Typ- Calciumkanälen. Antiepileptisch, Hemmung pathologischer Aktivität verschiedener Neuronensysteme (NE, Substanz P, Glutamat)
Natriumkanal-Blockade. Antiepileptisch, vornehmlich Hemmung pathologischer Neuronenaktivität
Generalisierte Anfälle, Stimmungsstabilisation bei bipolarer Störung, Schizophrenie, Migräneprophylaxe
Zusatztherapie bei fokalen und generalisierten Anfällen; Migräneprophylaxe
Neuropathische Schmerzen, generalisierte Angststörungen, Restless-Legs-Syndrom, Fibromyalgie, Zusatztherapie bei Epilepsien, viele neue Indikationen werden empirisch getestet
Alle Formen der Epilepsie außer Absencen; Trigeminusneuralgie
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Haarausfall, Leberschädigung, Thrombopenie, Teratogenität (Spina bifida). Schwangerschaft/Kinderwunsch ist dennoch keine Kontra indikation
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Schwindel, Teratogenität
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Schwindel, Erektionsstörungen, Abhängigkeitspotential, Ersatzdroge bei MOR-Agonist-abhängigen Personen
Sedation, Ataxie, Doppelbilder, Gingivahyperplasie, Hypertrichose, Exantheme, Anämie, Leukopenie, Wirkungsverlust durch CYP-Induktion
7 Kap. 28, 29
7 Kap. 6
7 Kap. 10, 28
7 Kap. 2, 10
Lamotrigin, Levetiracetam, Pregabalin und Topiramat werden als „neuere“ Antiepileptika den „traditionellen“ Antiepilektika Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Valproinsäure gegenübergestellt. Dahinter steht die nur bedingt zutreffende Vorstellung, dass die „neueren“ Antiepileptika eine bessere Wirkung und weniger UAW als die „traditionellen“ Antiepileptika hätten. Am besten ist es, wenn man jeden Arzneistoff für sich mit bestimmten Vor- und Nachteilen betrachtet
SCB
Phenytoin
25.3 · Wichtige Arzneistoffe zur Behandlung von Epilepsien und anderen … 361
25
362
Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
>>Wegen des Abhängigkeitspotentials muss dringend davor gewarnt werden, Patienten ohne klare Indikation Pregabalin zu verschreiben.
25
Phenytoin ist ein seit vielen Jahrzehnten in die Therapie eingeführter Arzneistoff mit antiepileptischer Wirkung. Es gehört in die Klasse der SCB und blockiert spannungsabhängige Natriumkanäle. Indem Phenytoin an den inaktiven Zustand des Natriumkanals bindet, kommt es zu bevorzugter Hemmung pathologisch aktiver Neurone und damit zur antiepileptischen Wirkung. Außer bei Absencen wirkt Phenytoin bei allen Epilepsieformen. Phenytoin wird auch in der Therapie der Trigeminusneuralgie eingesetzt (7 Kap. 10). Durch eine Enzyminduktion (CYP3A4, 7 Kap. 2) kann es zu Wirkungsabschwächung von anderen über dieses Enzym metabolisierten Arzneistoffen kommen. Außerdem muss dann die Phenytoindosis wegen des beschleunigten Abbaus erhöht werden. Phenytoin hat zahlreiche UAW. Bei Frauen besonders belastend ist der Hirsutismus.
>>Eine weitere wichtige UAW von Phenytoin ist die Gingivahyperplasie.
Auch Dihydropyridin-Typ CCB (Amlodipin) (7 Kap. 15) und Ciclosporin (7 Kap. 11) können eine Gingivahyperplasie verursachen. Sie ist nicht nur kosmetisch störend, sondern kann auch zu Parodontopathien und Zahnausfall führen. Eine exzellente Zahnhygiene ist erforderlich. Ggf. müssen Hyperplasien chirurgisch entfernt oder Phenytoin muss ausschleichend-einschleichend gegen einen anderen antiepileptisch wirkenden Arzneistoff ausgetauscht werden. Einen ähnlichen Wirkmechanismus (Natriumkanal-Blockade) und ähnliche Indikationen wie Phenytoin hat Carbamazepin. Es wird für verschiedene Formen von Epilepsie, die bipolare Störung (7 Kap. 28), Schizophrenie (7 Kap. 29) und Trigeminusneuralgie (7 Kap. 1 und 10) eingesetzt. Es schwächt seine eigene Wirkung durch CYP3A4-Induktion ab, was eine Dosiserhö
hung bei Dauertherapie erfordert (7 Kap. 2). Als UAW stehen Sedation, Doppelbilder, Ataxie, Schwindel und Leukopenie im Vordergrund. Valproinsäure ist ebenfalls ein SCB und hemmt pathologische Neuronenentladungen sowie darüber hinaus auch den Abbau von GABA mit der Folge gesteigerter inhibitorischer GABAerger Neuronenaktivität. Valproinsäure wirkt bei generalisierten Anfällen. Außerdem wirkt es bei bipolarer Störung und Schizophrenie stimmungsstabilisierend (7 Kap. 28 und 29). Ferner kann Valproinsäure in der Migräneprophylaxe eingesetzt werden (7 Kap. 6).
>>Von allen Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung besitzt Valproinsäure das größte Risiko für teratogene Wirkungen, wenn es in der Schwangerschaft eingenommen wird.
Valproinsäure kann zahlreiche Fehlbildungen beim Embryo auslösen, wobei Neuralrohrdefekte (Spina bifida) am häufigsten und besonders gravierend sind. >> Trotz des erhöhten teratogenen Risikos darf bei Schwangeren die Therapie mit antiepileptisch wirkenden Arzneistoffen keinesfalls unterbrochen werden, da das Risiko von Krampfanfällen in der Schwangerschaft erhöht ist.
Daher ist die Aufklärung von Patientinnen mit Epilepsie und Kinderwunsch über das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer antiepileptischen Therapie sehr wichtig. Entsprechend engmaschig muss die neurologische und gynäkologische Überwachung während der Schwangerschaft sein. Durch die erhöhte Krampfbereitschaft erhöht sich auch das Risiko von Hypoxie-induzierten Gehirnschädigungen beim Embryo und Fetus. Als Prophylaxe zur Prävention von Neuralrohrdefekten wird die Einnahme von Folsäure empfohlen. Topiramat blockiert die glutamaterge Neurotransmission und führt zu einer Hemmung der Glutamatfreisetzung. Dazu tragen
363 25.4 · Allosterische GABA AR-Modulatoren
sehr unterschiedliche Mechanismen wie Calciumkanal- und Natriumkanal-Blockade, allosterischer AMPAR-Antagonismus und allosterische GABAAR-Aktivierung bei. Topiramat wird zusätzlich zu anderen Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung eingesetzt, wenn deren Wirkung unzureichend ist. Ein weiteres Anwendungsgebiet von Topiramat ist die Migräneprophylaxe (7 Kap. 6). Levetiracetam hat einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Topiramat und wird bei fokalen und generalisierten Epilepsien eingesetzt. Es besitzt ein erhebliches Risiko für neuropsychiatrische UAW einschließlich Psychosen und Suizidalität. Ethosuximid ist ein T-Typ-CCB. Es wird nur bei Absencen verwendet. Diazepam gehört zur Gruppe der Benzodiazepine (7 Abschn. 25.4) und aktiviert allosterisch den GABAAR, wodurch die Chloridleitfähigkeit zunimmt und es zur Hyperpolarisation kommt. Die Hauptbedeutung von Diazepam in der Epilepsietherapie liegt in seiner Anwendung beim Status epilepticus, bei dem rezidivierende tonisch-klonische Anfälle im Abstand von 5–15 Minuten auftreten. Zwischen den Anfällen bleibt der Patient bewusstlos. Durch Störung der Atemfunktion, Sekretverlegung der Atemwege und die daraus resultierende Hypoxie kann es zu gravierenden Schäden an Organen, insbesondere im ZNS, kommen.
>>Eine häufige Ursache eines Status epilepticus ist abruptes Absetzen von Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung. Daher muss eine Therapie mit Arzneistoffen mit antiepileptischer Wirkung immer ausschleichend erfolgen.
Eine Hypoglykämie, die mit i.v.-Glucose gabe effektiv behandelt werden kann (7 Kap. 19), ist als Ursache des Status epilepticus stets auszuschließen. Bei Erwachsenen wird Diazepam in einer Dosierung von 10–20 mg i.v. gegeben. Bei Atemdepression erfolgt zusätzlich O2-Gabe (10 l/min) bzw. Beatmung. Alternativ kann Diazepam
25
(10 mg) rektal angewendet werden, wobei der Wirkungseintritt bei dieser Applikationsform deutlich langsamer als bei i.v.-Zufuhr ist (7 Kap. 2). Für die Dauertherapie von Epilepsien eignet sich Diazepam nicht, weil es innerhalb weniger Monate zum Wirkungsverlust kommt. Phenobarbital ist ebenfalls ein allosterischer GABAAR-Aktivator. Es interagiert mit einer anderen Bindungsstelle als Diazepam (7 Abschn. 25.4). Phenobarbital wirkt bei allen Formen der Epilepsie außer bei Absencen, hat also ein ähnliches Wirkprofil wie Phenytoin und Carbamazepin. Das Hauptproblem der Anwendung von Phenobarbital ist seine geringe therapeutische Breite (7 Abschn. 25.4). Außerdem ist Phenobarbital ein starker Induktor von CYP3A4 und CYP2C19 und beschleunigt seine eigene Inaktivierung. Das erfordert bei Dauertherapie eine Dosiserhöhung (7 Kap. 2). Diese ungünstigen Eigenschaften sowie die durch die CYP-Induktion bedingten Arzneistoffinteraktionen haben dazu geführt, dass Phenobarbital als Arzneistoff zur Behandlung von Epilepsien nur noch Reservestatus für refraktäre Fälle besitzt.
25.4 Allosterische GABAAR-
Modulatoren
Der GABAAR besteht aus fünf Untereinheiten (zwei α, zwei β und eine γ). GABA bindet an die α-Untereinheit. Die GABA-Bindungsstelle wird durch Benzodiazepine und Z-Substanzen, die an die γ-Untereinheit binden, sowie durch Barbiturate, Propofol (7 Kap. 27) sowie Ethanol, die die β-Untereinheit besetzen, positiv allosterisch moduliert. Benzodiazepine (Prototypen Diazepam und Midazolam) verschieben die Konzentrations-Wirkungs-Kurve für GABA nach links, d. h. sie machen den Rezeptor für GABA empfindlicher, ohne die Maximalaktivierung zu verändern (. Abb. 25.2a). Die pharmakologischen Wirkungen von Benzodiazepinen
364
Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
25
b Tod
100 %
Tod
Koma Atemdepression Status epilepticus ZNS-Wirkung
GABA-induzierter Chlorid-Einstrom
a
50 %
0%
GABA + Benzodiazepin
sedativhypnotisch
Status Ceilingepilepticus Effekt antiepileptisch
sedativ-hypnotisch, anxiolytisch, muskelrelaxierend log Konzentration Arzneistoff
log Konzentration GABA
GABA + Z-Substanz
antiepileptisch
GABA + Benzodiazepin oder Z-Substanz + Flumazenil
Phenobarbital
GABA alleine
Diazepam
Diazepam + Alkohol oder Barbiturat oder MOR-Agonist
.. Abb. 25.2 a, b Pharmakologische Wirkprofile von Benzodiazepinen, Z-Substanzen, Flumazenil und Barbituraten. a Allosterische Interaktionen von Benzodiazepinen, Z-Substanzen und Flumazenil mit GABA am GABAAR. b Vergleich der Wirkprofile von
Diazepam und Phenobarbital. Barbiturate besitzen ein sehr viel größeres Intoxikationsrisiko als Benzodiazepine. Flumazenil ist Antidot für Benzodiazepine, aber nicht für Barbiturate. Siehe auch . Abb. 1.4
sind also von der GABA-Anwesenheit abhängig. Benzodiazepine haben anxiolytische, sedativ-hypnotische, muskelrelaxierende und antiepileptische Wirkungen. Bei Dosiserhöhung kommt es zu keiner Atemdepression (Ceiling-Effekt) (. Abb. 25.2b). Daher ist ein Suizid mit Benzodiazepinen allein selbst in hoher Dosierung nur sehr schwer möglich. Die Z-Substanzen haben eine ähnliche Bindungsstelle wie Benzodiazepine, aber nur einen partialagonistischen Effekt (7 Kap. 1). Z-Substanzen in maximal wirksamer Dosis verschieben die Konzentrations-Wirkungs-Kurve für GABA weniger stark nach links als Benzodiazepine (. Abb. 25.2a). Daher sind sowohl die therapeutischen Wirkungen als auch die UAW der Z-Substanzen geringer als die der Benzodiazepine. Prototypischer Vertreter der Z-Substanzen ist Zopiclon. Es besitzt nur kurze Wirkdauer. Deshalb findet Zopiclon vor allem bei leichteren Einschlafstörungen Anwendung. Zopiclon wirkt NICHT anxiolytisch.
Im Unterschied zu Benzodiazepinen und Z-Substanzen haben Barbiturate bereits in Abwesenheit von GABA eine Eigenwirkung (. Abb. 25.2b). Zunächst kommt es dosisabhängig zu einem sedativ-hypnotischen Effekt, dann zu antiepileptischer Wirkung, anschließend zum Bewusstseinsverlust und schließlich zu Koma und Tod. Der Ceiling- Effekt der Benzodiazepine fehlt bei den Barbituraten. Daher können sie sehr viel leichter als Benzodiazepine bei Überdosierung zum Tod führen. Außerdem wirken Barbiturate NICHT anxiolytisch und NICHT muskelrelaxierend. Schließlich beeinträchtigen sie die Schlafphysiologie negativ, indem sie besonders die Rapid-Eye-Movement(REM)Phasen unterdrücken. Aus diesen Gründen werden Barbiturate nur noch bei der Einleitung von Narkosen und in der Therapie anderweitig nicht behandelbarer Epilepsien angewendet. Für die Behandlung einer Barbituratintoxikation gibt es kein Antidot. Bis zur Überwindung der
365 25.4 · Allosterische GABA AR-Modulatoren
Atemdepression muss der Patient beatmet werden. Im Gegensatz dazu kann die Wirkung von agonistischen Benzodiazepinen und Z-Substanzen durch Flumazenil rasch aufgehoben werden Abb. (. Abb. 25.2b, 7 Kap. 4).
>>Chemisch betrachtet ist Flumazenil auch ein Benzodiazepin, und zwar eines mit antagonistischer Wirkung. Flumazenil hebt die Wirkungen der agonistisch wirkenden Benzodiazepine (Diazepam, Lorazepam, Midazolam, Triazolam) sowie der Z-Substanzen (Zopiclon) auf.
Die Behandlung von Intoxikationen mit Benzodiazepinen und Z-Substanzen ist also einfacher als die Therapie von Barbituratintoxikationen. Allerdings ist mit Benzo diazepinen ein Suizid möglich, wenn sie mit MOR-Agonisten (7 Kap. 11) oder an der β-Untereinheit angreifenden allosterischen Modulatoren wie Ethanol, Barbituraten oder Propofol kombiniert werden. Alle Benzodiazepine besitzen qualitativ ähnliche Wirkungen und UAW. Durch unterschiedliche pharmakokinetische Eigenschaften und Anwendungsmodalitäten sowie verschiedene maximale Wirkstärken ergeben sich jedoch Unterschiede in den Indikationen und der UAW- Gewichtung (. Tab. 25.2). Grundsätzlich kann man Benzodiazepine in kurzwirksame (Prototypen Triazolam und Midazolam) mittellangwirksame (Prototyp Lorazepam) und langwirksame Arzneistoffe (Prototyp Diazepam) unterteilen. Kurzwirksame Benzodiazepine werden vor allem als Einschlafmittel verwendet, und mittellangwirksame und langwirksame als Tagessedativa und Anxiolytika, z. B. zur Unterstützung der Initialphase der Therapie von Depressionen (7 Kap. 28). Das kurzwirksame Midazolam findet in der Prämedikation vor Operationen und bei Narkoseeinleitung Anwendung (7 Kap. 27). Das langwirksame Diazepam wird zur Muskelrelaxation bei muskulären Verspannungen (z. B. Lumbalgie) verwendet, ebenso bei zentraler Spastik wie Tetanus. Die antiepi
25
leptische Wirkung von Diazepam wird vor allem beim Status epilepticus genutzt (7 Abschn. 25.3). Am häufigsten werden Benzodiazepine und Z-Substanzen zur Behandlung von Schlafstörungen verwendet. Der Einsatz dieser Arzneistoffe hat unter Beachtung der 6K-Regel zu erfolgen: 1. Es muss eine klare Indikation bestehen, d. h. zunächst müssen alle nicht- pharmakotherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung des Schlafes wie ruhiger und kühler Raum sowie Vermeidung von langen Tagesschlafphasen erfolglos geblieben sein. 2. Die Arzneistoffe müssen in kleinstmöglicher Dosierung und für die 3. Kürzestmögliche Zeit eingesetzt werden. 4. Keinesfalls dürfen sie wegen der Gefahr von Entzugserscheinungen und rebound- Asomnie abrupt abgesetzt werden. 5. Schließlich sind Kontraindikationen zu beachten. 6. Grundsätzlich sollten bei Schlafstörungen bevorzugt kurzwirksame Benzodiazepine und Z-Substanzen eingesetzt werden, um eine Tagessedation zu vermeiden.
Die UAW von Benzodiazepinen und Z-Substanzen lassen sich aus den pharmakologischen Wirkungen ableiten. Es kommt insbesondere bei länger wirksamen Arzneistoffen zu Tagessedation, Verwirrung und Libidoreduktion. Ethanol verstärkt Benzodiazepinwirkungen, da eine zusätzliche Bindungsstelle am GABAAR besetzt wird (. Abb. 25.1a). Dadurch werden die Fahrtüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt. Beim Konsum großer Ethanolmengen in Kombination mit Benzodiazepinen kann es zu Atemdepression, Koma und Tod kommen. Bei älteren Menschen sind Gangunsicherheit und Stürze problematisch. Bei Atemwegsobstruktion und vorbestehender Gehirnschädigung sowie Therapie mit MOR-Agonisten (7 Kap. 10) ist das Atemdepressionsrisiko erhöht.
Arzneistoffgruppe
Benzodiazepin
Benzodiazepin
Benzodiazepin
Diazepam
Flumazenil
Lorazepam
Allosterische Modulation des GABAAR (höhere intrinsische Aktivität als Z-Substanzen). Wirkt sedativ-hypnotisch, anxiolytisch, muskelrelaxierend, antiepileptisch (mittellange Wirkdauer: 5–9 Stunden).
Antagonistisches Benzodiazepin; konkurriert mit agonistisch wirkenden Benzodiazepinen (z. B. Diazepam, Lorazepam, Midazolam und Triazolam) und Z-Substanzen (z. B. Zopiclon) um die allosterische Bindung an den GABAAR Aufhebung der Wirkung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen.
Allosterische Modulation des GABAAR (höhere intrinsische Aktivität als Z-Substanzen). Wirkt sedativ-hypnotisch, anxiolytisch, muskelrelaxierend, antiepileptisch (sehr lange Wirkungsdauer; 48–96 Stunden).
Wichtige Wirkungen
Siehe Diazepam
Lebensbedrohliche Intoxikation mit Benzodiazepinen und Z-Substanzen, insbesondere bei Atemstillstand
Vielseitigste Anwendung von allen Benzodiazepinen. Tagessedation und Anxiolyse bei Angstzuständen im Rahmen psychischer Erkrankungen, Muskelrelaxation bei Verspannungen (Bandscheibenvorfall, Lumboischialgie), Status epilepticus
Wichtige Indikationen
Siehe Diazepam
Wegen kurzer Wirkdauer (2 Stunden) kann es bei Vergiftung mit langwirkenden Benzodiazepinen zu einem Wiederauftreten der Intoxikationssymptome kommen; wiederholte Gabe von Flumazenil erforderlich
Sedation, physische und psychische Abhängigkeit, Gewöhnung mit Wirkungsverlust und Entzugserscheinungen. Paradoxe Erregung bei Kindern und alten Menschen; daher nur sehr vorsichtige Dosierung oder am besten Verzicht bei diesen beiden Altersgruppen (gilt für alle Benzodiazepine)
Wichtige UAW
25
Arzneistoff
.. Tab. 25.2 Übersicht über ausgewählte Benzodiazepine und Z-Substanzen
7 Kap. 4
7 Kap. 4, 10, 28
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
366 Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
Benzodiazepin
Z-Sub stanz
Triazolam
Zopiclon
Allosterische Modulation des GABAAR (geringere intrinsische Aktivität als Benzodiazepine). Wirkt sedativ-hypnotisch (sehr kurze Wirkdauer: 1,5–2,5 Stunden), nicht anxiolytisch.
Allosterische Modulation des GABAAR (höhere intrinsische Aktivität als Z-Substanzen). Wirkt sedativ-hypnotisch (kurze Wirkdauer: 2–5 Stunden).
Allosterische Modulation des GABAAR (höhere intrinsische Aktivität als Z-Substanzen). Wirkt sedativ-hypnotisch (kurze Wirkdauer: 2–3 Stunden), antiepileptisch.
Leichtere Einschlafstörungen, geringere Wirkung als Benzodiazepine wegen Partialagonismus
Einschlafstörungen
Einschlafstörungen, Prämedikation vor chirurgischen Eingriffen (p.o.-Gabe), Narkoseeinleitung (i.v.-Gabe), Sedation bei MI (Nasenspray); Status epilepticus (Nasenspray)
Insgesamt geringe UAW als Benzodiazepine wegen Partial agonismus
Schlaflosigkeit beim Absetzen, Tagesmüdigkeit, Abhängigkeit, paradoxe Schlaflosigkeit bei Kindern und alten Menschen
Schlaflosigkeit beim Absetzen, Tagesmüdigkeit, Abhängigkeit, paradoxe Schlaflosigkeit bei Kindern und alten Menschen, anterograde Amnesie (besonders bei i.v.-Injektion und schneller Anflutung im ZNS), Atemdepression
7 Kap. 1
7 Kap. 1
7 Kap. 1, 27
Durch Unterschiede in Wirkdauer, Applikationsform, Darreichungsform und Wirkprofilen der Arzneistoffe ergeben sich Unterschiede in den Anwendungen, die wiederum Unterschiede in Ausmaß und Art der UAW nach sich ziehen
Benzodiazepin
Midazolam
25.4 · Allosterische GABA AR-Modulatoren 367
25
368
25
Kapitel 25 · Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit Ionenkanal-Blockern …
Bei Kindern und älteren Menschen müssen Benzodiazepine besonders vorsichtig angewendet werden, weil paradoxe Erregungszustände vorkommen können. Bei Neugeborenen kann das Floppy-Infant-Syndrom auftreten, das sich in Atem- und Saugproblemen äußert. Eine anterograde Amnesie, insbesondere nach i.v.-Injektion von Benzodiazepinen oder in Kombination mit Alkohol ist eine weitere gefährliche UAW. Patienten mit anterograder Amnesie können Verkehrsunfälle verursachen, ohne sich daran zu erinnern. Die anterograde Amnesie wird auch für sexuelle Handlungen missbraucht. >>Eine häufig unterschätzte gefährliche UAW von Benzodiazepinen und Z-Sub stanzen ist die anterograde Amnesie.
Patienten müssen unbedingt über diese UAW aufgeklärt werden. >>Eine längere Einnahme von Benzodiazepinen löst psychische und physische Abhängigkeit aus.
Beim Entzug von Benzodiazepinen können Erregungszustände und Krampfanfälle auftreten. Deshalb sollten Benzodiazepine nur für kurze Zeit eingenommen werden MOR-Agonist-abhängige Personen verwenden langwirkende Benzodiazepine oft als Ersatzstoffe. Diese missbräuchliche An-
wendung ist eine häufige Ursache für Apothekeneinbrüche. Kontraindikationen für die Gabe von Benzodiazepinen sind Myasthenia gravis, Ataxie, Schlafapnoe und Atemwegsobstruktionen. Fallbeispiel
Eine 29-jährige Patientin wird wegen generalisierter tonisch-klonischer Anfälle mit Valproinsäure behandelt. Unter dieser Therapie treten keine Anfälle auf und die Patientin verträgt die Therapie sehr gut. Die Patientin hat vor einem Jahr geheiratet und möchte schwanger werden. Aus gynäkologischer Sicht gibt es keinerlei Bedenken. Die Patientin möchte sich in Ihrer neurologischen Praxis hinsichtlich des Kinderwunsches beraten lassen.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Beratung geben Sie der Patientin? 2. Welche therapeutischen Alternativen können Sie der Patientin anbieten? Lösungen 7 Kap. 37
369
Arzneistoffe zur Lokalanästhesie Inhaltsverzeichnis 26.1
irkmechanismus der SCB mit lokalanästhetischer W Wirkung – 370
26.2
ichtige SCB mit lokalanästhetischer Wirkung, W Anwendungsgebiete und UAW – 371
26.3
PI als Vasokonstriktorzusatz zu SCB mit E lokalanästhetischer Wirkung – 374
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_26
26
370
26
Kapitel 26 · Arzneistoffe zur Lokalanästhesie
SCB mit lokalanästhetischer Wirkung sind schwache Basen mit einem kationischen und einem hydrophoben Anteil. Sie diffundieren in der ungeladenen Form über die Plasmamem bran und blockieren in der geladenen Form spannungsabhängige Natriumkanäle und da mit die Schmerzweiterleitung. Bei erniedrigtem pH, der bei Entzündungen und im traumati sierten Gewebe vorliegt, ist die lokalanästheti sche Wirkung der SCB abgeschwächt. SCB mit lokalanästhetischer Wirkung unterscheiden sich in der Wirkdauer. EPI verlängert die Wir kung von SCB mit lokalanästhetischer Wir kung und reduziert die Toxizität von SCB am Herzen und im ZNS. Heutzutage werden we gen des geringen Allergierisikos fast nur noch Amid-Typ-SCB eingesetzt. Anwendungsfor men von SCB mit lokalanästhetischer Wirkung sind die Oberflächen-, Infiltrations-, Leitungs-, Spinal- und Epiduralanästhesie.
Merksätze 55 Die lokalanästhetische Wirkung von SCB ist bei erniedrigtem pH herabgesetzt. 55 Für die Lokalanästhesie sollten nur noch Amid-SCB angewendet. 55 Lidocain ist ein SCB mit kurzer lokal anästhetischer Wirkung. 55 Bupivacain ist ein SCB mit langer lokal anästhetischer Wirkung. 55 Lokalanästhetische SCB können kardiound neurotoxisch wirken. 55 Der Vasokonstriktor EPI verlängert die Wirkdauer von SCB. 55 EPI reduziert die Toxizität von SCB.
26.1 Wirkmechanismus der SCB
mit lokalanästhetischer Wirkung
Die Hauptanwendung von SCB mit lokalan ästhetischer Wirkung ist die Unterbrechung der Schmerzweiterleitung im Rahmen chirur gischer Eingriffe. Diese erfolgt über dünn myelinisierte afferente Neurone und wird durch einen depolarisierenden Natriumein
wärtsstrom getragen. SCB mit lokalanästheti scher Wirkung hemmen die Weiterleitung des Aktionspotentials in allen peripheren und zentralen Neuronen durch die Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle. Die Empfindlichkeit von Neuronen gegen über einer Hemmung durch SCB mit lokal anästhetischer Wirkung unterscheidet sich. Je dünner die Nervenfaser, also je geringer die Myelinisierung, desto eher wird die Impuls weiterleitung unterdrückt. C-Fasern sind ca. 1 μm dick, B-Fasern 3 μm und A-Fasern 5–15 μm. Die Schmerzwahrnehmung erfolgt vor allem über C-Fasern, das Temperatur empfinden über B-Fasern und die Wahrneh mung von Berührung und Druck über A-Fa sern. De m entsprechend fallen sensorische Qualitäten in der Reihenfolge Schmerz → Kälte/Wärme → Berührung → tiefer Druck aus. Zuletzt werden die besonders dick myeli nisierten motorischen Neurone blockiert, was sich in Muskellähmungen manifestiert. Post ganglionäre Fasern des Sympathikus gehören in die Klasse C, weshalb es bei Injektion von SCB mit lokalanästhetischer Wirkung in die Nähe eines sympathischen Ganglions zu BD-Abfall kommen kann (7 Kap. 5 und 15). . Abb. 26.1a zeigt den Wirkmechanis mus von SCB mit lokalanästhetischer Wir kung. Es handelt sich um schwache Basen mit pKa-Werten von ca. 8. Sie besitzen ei nen tertiären oder quaternären Stickstoff und einen lipophilen Anteil. SCB mit lokal anästhetischer Wirkung sind nur als saure Salze löslich. In Injektionsampullen liegen sie in protonisierter (geladener) Form bei einem pH von 4–6 vor. Im gesunden Ge webe beträgt der pH ca. 7,4. Dadurch nimmt der Protonierungsgrad des SCB ab und ein höherer Anteil des Arzneistoffs ist deprotoniert (ungeladen). In ungeladener Form ist der SCB lipophil und kann durch die Plasmamembran diffundieren (Trans portform). Innerhalb der Zelle stellt sich wieder ein Gleichgewicht zwischen gelade ner und ungeladener Form ein. Die gela dene Form (Wirkform) des Arzneistoffs hemmt den N atriumkanal, indem die posi
26
371 26.2 · Wichtige SCB mit lokalanästhetischer Wirkung, Anwendungsgebiete …
a
b
Lidocain, protoniert
pH 4-6
Lidocain, protoniert
pH 4-6 Lidocain, unprotoniert
pH 7,4
Lidocain, unprotoniert
Na+
pH 7,1
Na+
8 Kanäle blockiert
4 Kanäle blockiert Na+ Na+
Na+
gute Lokalanästhesie
Na+ Na+ Na+
schlechte Lokalanästhesie
.. Abb. 26.1 a, b Wirkmechanismus der SCB mit lokalanästhetischer Wirkung am Beispiel von Lido cain. a Gute Wirkung im gesunden Gewebe. b Schlechte Wirkung im traumatisierten oder entzündeten Gewebe
tiv geladene Aminogruppe die Ionenpore blockiert und der lipophile Teil an ebenfalls lipophile Kanalbrandomänen bindet. Die Wirkung des SCB ist abhängig vom Gewebe-pH (. Abb. 26.1b). Bei elektiven chirurgischen Eingriffen ohne Verletzung oder Entzündung läuft der Prozess der Gleichgewichtseinstellung zwischen Trans port- und Wirkform so effizient ab, dass eine gute Anästhesie erreicht werden kann. Muss jedoch ein Eingriff im entzündeten oder verletzten Gewebe stattfinden, ist da mit zu rechnen, dass der Gewebe-pH er niedrigt ist. Dementsprechend ist die Er zeugung der Transportform nach Injektion des SCB erschwert. In der Folge entsteht auch weniger Wirkform des SCB und die Lokalanästhesie ist abgeschwächt. Man kann versuchen, dieses Problem dadurch zu lösen, dass eine größere Menge des SCB in jiziert wird. Dadurch steigt aber die Gefahr systemischer UAW. Deshalb sollte, wenn immer möglich, eine Lokalanästhesie pro ximal des verletzten oder entzündeten Ge webes erfolgen, nicht im Gewebe mit er niedrigtem pH selbst.
26.2 Wichtige SCB mit
lokalanästhetischer Wirkung, Anwendungsgebiete und UAW
SCB mit lokalanästhetischer Wirkung wer den in Ester und Amide unterteilt. Ester werden im Gewebe durch Esterasen abge baut. Ein Abbauprodukt der Ester ist p-Aminobenzoesäure, die stark allergen wirkt und Kreuzallergien mit Sulfonamiden und Konservierungsstoffen hervorrufen kann (7 Kap. 3). Deswegen werden Ester- SCB mit lokalanästhetischer Wirkung nur noch in Ausnahmefällen angewendet. Amid- SCB mit lokalanästhetischer Wirkung wer den in der Leber abgebaut. Ein für die Anwendung geeigneter SCB mit lokalanästhetischer Wirkung muss eine Reihe von Eigenschaften erfüllen. Er muss sterilisierbar, wasserlöslich, gewebefreund lich und nichttoxisch sein. Ferner muss er eine rasche und ausreichend lange Wirkung haben, die zudem reversibel ist. Die Amid- SCB Lidocain und Bupivacain erfüllen diese Anforderungen. Lidocain ist Prototyp eines
372
Kapitel 26 · Arzneistoffe zur Lokalanästhesie
kurzwirkenden, Bupivacain Prototyp eines langwirkenden SCB mit lokalanästhetischer Wirkung. . Tab. 26.1 fasst die wesentlichen pharmakologischen Eigenschaften von Lido cain und Bupivacain zusammen. In der Zahn medizin wird häufig der SCB Articain (nicht in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste) angewen det, weil es eine sehr gute Knochengängigkeit besitzt. Lidocain ist ein universell einsetzbarer SCB mit lokalanästhetischer Wirkung. So wird es im Rahmen der Oberflächenanästhesie z. B. am Auge angewendet, wo es die Schmerz weiterleitung in Nervenfasern der Konjunk tiva und Cornea unterbindet. Lidocain eignet sich auch für eine Infiltrationsanästhesie im Rahmen von Zahnbehandlungen oder kleinen chirurgischen Eingriffen an der Körperober fläche. Hier wird vor allem die Schmerzweiter leitung in Nervenfasern der Subcutis ge hemmt. Bei der Leitungsanästhesie hemmt Lidocain die Schmerzweiterleitung in sensori schen oder gemischten peripheren Nerven. Diese Form der Anästhesie ist in der Zahnme dizin und der Extremitätenchirurgie weit ver breitet. Bei gynäkologischen und urologischen Eingriffen sowie Operationen am Kniegelenk wird häufig die Spinalanästhesie eingesetzt, wobei Lidocain in den Subarachinoidalraum injiziert wird und die Schmerzweiterleitung in den Spinalwurzeln hemmt. Ähnliche Anwen dungen hat die Epiduralanästhesie mit in den Epiduralraum eingebrachtem Lidocain. Infil trations-, Leitungs-, Spinal- und Epiduralan ästhesien mit Lidocain können mit oder ohne EPI-Zusatz durchgeführt werden. Bupivacain wird vor allem in der Spinalund Epiduralanästhesie angewendet. Bei versehentlicher intravasaler Injektion oder zu hoher Dosierung eines SCB können systemische UAW auftreten, die ebenfalls Folge einer Natriumkanalblockade sind.
26
>>Um UAW zu vermeiden, muss der SCB langsam und unter regelmäßiger Aspira tion injiziert werden.
Das UAW-Risiko von SCB mit lokalanäs thetischer Wirkung lässt sich außerdem
durch die Anwendung des Vasokonstriktors EPI reduzieren (7 Abschn. 26.3). Am Herzen wirken die zur Lokalanäs thesie eingesetzten SCB negativ chronotrop, dromotrop und inotrop (7 Kap. 17). Die Beeinträchtigung der Herzfunktion kann bis zum Herzstillstand führen. SCB mit lokalanästhetischer Wirkung können prinzipiell die Aktionspotentialwei terleitung in jedem Neuron unterbrechen. Sie können die BHS penetrieren (7 Kap. 2) und ZNS-Funktionen beeinträchtigen. Im Vor dergrund steht zunächst die Hemmung inhi bitorischer Neurone, weshalb Frühsymptome einer ZNS-Intoxikation mit lokalanästhe tisch wirkenden SCB Übelkeit, Erbrechen, Rededrang, Angst, Unruhe, Erregung und Orientierungsverlust sind. Später kommt es zu Krampfanfällen. In schweren Intoxikati onsfällen werden auch exzitatorische Neu rone im ZNS gehemmt und es resultieren da raus Koma und zentrale Atemlähmung. Die Behandlung systemischer UAW durch SCB mit lokalanästhetischer Wirkung erfolgt symptomatisch, da es kein spezifisches Anti dot gibt. Entscheidend ist, dass bei UAW am Herzen und ZNS die Zufuhr des SCB sofort unterbrochen wird und Vitalfunktionen des Patienten gesichert werden. Stabile Seitenlage rung und Offenhalten der Atemwege stehen im Vordergrund, ggf. O2-Zufuhr. Krampfan fälle werden mit Diazepam (i.v. oder rektal, 7 Kap. 25) behandelt und der Patient vor Ver letzungen geschützt. Die Behandlung von Ar rhythmien ist schwierig. In den meisten Fällen reicht es aus, die Herz-Kreislauf-Funktion zu überwachen und auf spontane Beendigung der Arrhythmie durch hepatische Elimination des SCB zu warten. Bei Herzstillstand muss eine kardiopulmonale Reanimation erfolgen.
>>Aus dem Begriff SCB kann man leicht die lokalanästhetischen, antiarrhythmischen, proarrhythmischen und neurotoxischen Wirkungen der Arzneistoffe ableiten.
Hingegen fokussieren die traditionellen Klas sifikationen von Lidocain als „Lokal anästhetikum“ bzw. „Antiarrhythmikum“
SCB
SCB
Bupivacain
Lidocain
Kurzwirkende Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle von der Innenseite der Plasmamembran. Ausfall peripherer Nervenfunktionen in der Reihenfolge Schmerz → Kälte/Wärme → Berührung → tiefer Druck → Motorik. Wirkungseintritt nach 4–8 Minuten, Wirkdauer 60– 120 Minuten. Wirkdauer kann durch Zusatz von Vasokonstriktoren (EPI) auf bis zu 4 Stunden verlängert werden
Langwirkende Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle von der Innenseite der Plasmamembran. Wirkungseintritt nach 5–10 Minuten, Wirkdauer bis 400 Minuten; ansonsten siehe Lidocain
Wichtige Wirkungen
Standardarzneistoff für die Lokalanästhesie. Alle Formen der Lokalanästhesie (Oberflächen-, Infiltrations-, Leitungs-, Spinal- und Epiduralanästhesie)
Vor allem Spinal- und Epiduralanästhesie
Wichtige Indikationen
Tachykarde und bradykarde Herzrhythmusstörungen, negative Inotropie, HerzKreislaufversagen; ZNSSymptome bis hin zu Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen, Koma und Atemstillstand. Frühsymptome von ZNS-Wirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Euphorie, Angst, Schwindel. Selten allergische Reaktionen, die meist durch Konservierungsmittel verursacht sind.
Siehe Lidocain
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 3, 5, 17, 25
7 Kap. 2, 3, 5, 17, 25
Weitere Zusammen hänge in Kapitel
EPI (Epinephrin, Adrenalin) ist sehr häufig Bestandteil einer Lokalanästhesie. Adrenalin wird in den 7 Kap. 1, 3 und 5 unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt. Wegen seiner fehlenden vasodilatierenden Wirkung (fehlender β2AR-Agonismus) wird NE (Norepinephrin, Noradrenalin) niemals bei der Lokalanästhesie ein gesetzt. Es kann zu schweren Gewebsnekrosen kommen!
Arznei stoff gruppe
Arzneistoff
.. Tab. 26.1 Übersicht über ausgewählte SCB mit lokalanästhetischer Wirkung
26.2 · Wichtige SCB mit lokalanästhetischer Wirkung, Anwendungsgebiete … 373
26
374
Kapitel 26 · Arzneistoffe zur Lokalanästhesie
(7 Kap. 17) nur auf Indikationen, machen jedoch nicht auf die gefährlichen UAW auf merksam.
26.3 EPI als Vasokonstriktorzusatz
zu SCB mit lokalanästhetischer Wirkung
26
Die Wirkung von Lidocain und Bupivacain wird durch eine Abdiffusion vom Wirkort be endet. Zusätzlich wirken diese Arzneistoffe vasodilatierend und verkürzen dadurch ihre lokalanästhetische Wirkung, die entspre chend durch den Zusatz von Vasokonstrikto ren wie EPI verlängert werden kann (7 Kap. 5). EPI kontrahiert Gefäße über den α1AR. Ein EPI-Zusatz verzögert die Abdiffu sion des SCB und senkt damit das Risiko von UAW am Herzen und im ZNS. Außerdem werden durch EPI Blutungen im Operations gebiet verringert, was die Übersicht verbes sert und damit schonenderes Operieren er möglicht. Schließlich wird die Anästhesie länger und tiefer. Somit trägt EPI zu einer Stressreduktion bei Patient und Arzt bei. In der Zahnmedizin wird EPI in einer Konzen tration von 5–10 μg/ml, in der Allgemein chirurgie von 2–10 μg/ml einge setzt. Mit einem EPI-Zusatz kann die für eine Anästhesie erforderliche Lidocaindosis und damit das UAW-Risiko reduziert werden. Basierend auf theoretischen Überlegun gen galt bislang die strikte Regel, dass EPI als Vasokonstriktorzusatz in Endstromge bieten (Nase, Ohr, Finger, Zehen, Penis) kontraindiziert ist, weil es zu Gewebsnekro sen kommen könnte (7 Kap. 5). Akziden telle EPI-Injektionen in die Finger aus EPIPens (7 Kap. 3) zeigten jedoch keinerlei Gewebeschädigung. Deshalb ist eine sehr lebhafte Diskussion darüber entstanden, ob die Kontraindikation für die Gabe von EPI zur Verstärkung einer Lokalanästhesie mit SCB in Endstromgebieten aufrechterhalten werden soll.
EPI-haltige SCB-Lösungen mit lokal anästhetischer Wirkung müssen bei Patien ten, die mit NSMRI oder SSNRI behandelt werden, besonders vorsichtig angewendet werden. Der Grund dafür ist, dass in die systemische Zirkulation gelangtes EPI nicht neuronal wiederaufgenommen wird, wodurch Tachykardien und BD- Anstieg auftreten können (7 Kap. 5 und 28). Unter MAO-Inhibitor-Therapie wird EPI nicht abgebaut und kann ebenfalls UAW auslö sen. NE ist wegen der sehr starken Vaso konstriktion (fehlende Vasodilatation über β2AR, 7 Kap. 5) und der damit einherge henden Nekrosegefahr auch in gut durch blutenden Geweben als Vasokonstriktor zusatz bei Lokalanästhesie kontraindiziert.
>>Der Schlüssel zu einer sicheren und effekti ven Lokalanästhesie mit SCB + EPI auch bei Risikopatienten ist das Vermeiden einer akzidentellen intravasalen Injektion. Fallbeispiel
Ein 28-jähriger ansonsten gesunder Mann hat sich bei der Gartenarbeit eine 5 cm lange und stark blutende Schnitt wunde am Arm zugezogen. In der Not aufnahme wird die Wunde von einer PJ-Studentin chi rurgisch versorgt. Vor dem Vernähen der Wunde hat sie das Operationsgebiet großzügig mit Lido cain (ohne EPI-Zusatz) anästhesiert (In filtrationsanästhesie). Eine halbe Stunde nach dem Eingriff bekommt der Patient einen generalisierten Krampfanfall.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Wie erklären sie den Krampfanfall des Patienten? 2. Welche weiteren Maßnahmen ergrei fen Sie bei dem Patienten? Lösungen 7 Kap. 37
375
Arzneistoffe zur Inhalationsund Injektionsnarkose Inhaltsverzeichnis 27.1
Prinzipien der Inhalationsnarkose – 376
27.2
Wichtige Stickoxide und Haloether – 377
27.3
ichtige Arzneistoffe zur Durchführung einer W Injektionsnarkose – 381
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_27
27
376
27
Kapitel 27 · Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose
Die in diesem Kapitel besprochenen Arzneistoffe werden zur Durchführung von Narkosen, und teilweise auch in der Notfallmedizin und Intensivmedizin eingesetzt. Die Arzneistoffe haben ganz unterschiedliche Wirkprofile und können miteinander kombiniert werden, um eine optimale Narkose zu erzielen. Außerdem werden bei der Narkose MOR-Agonisten zur Analgesie und Sedation sowie nAChR-Antagonisten zur Muskelrelaxation eingesetzt. Haloether und Stickoxide beeinflussen generell Membraneigenschaften. Moderne Haloether und Stickoxide sind gut steuerbare Arzneistoffe für die Inhala tionsnarkose. Stickoxydul zeichnet sich durch niedrige Potenz und gute Analgesie aus. Sevofluran besitzt eine hohe Potenz, gute hypnotische Wirkung und reizt keine Schleimhäute. Desfluran ist ein Standard-Haloether, der sich aber nicht zur Narkoseeinleitung eignet. Dazu wird bei unkomplizierten Fällen häufig Thiopental verwendet. Midazolam wird in der Anästhesie vor allem wegen seiner sedativ-hypnotischen und anxiolytischen Wirkung eingesetzt. Ketamin wird wegen seiner dissoziativ-anästhetischen Wirkung verwendet. Propofol wird breit angewendet, wirkt gut sedativ-hypnotisch, aber nicht analgetisch.
Merksätze 55 Stickoxide und Haloether verändern die Membraneigenschaften. 55 Je höher die Potenz eines Stickoxids oder eines Haloethers, desto niedriger ist die erforderliche minimale alveoläre Konzentration für die Inhalationsnarkose. 55 Je niedriger der Blut/Gas-Verteilungs koeffizient, desto besser ist die Narkosesteuerbarkeit. 55 Die Kombination von Stickoxiden/Haloethern + nAChR-Antagonisten + MORAgonisten macht die Anästhesie sicher. 55 Die maligne Hyperthermie ist eine seltene, aber lebensgefährliche Komplikation von Haloethern. 55 Die Therapie der malignen Hyperthermie erfolgt mit Dantrolen.
55 Moderne Haloether und Stickoxide sind gut steuerbar. 55 Stickoxydul hat eine niedrige Potenz und wirkt vor allem analgetisch. 55 Sevofluran und Desfluran haben eine hohe Potenz und wirken gut hypnotisch. 55 Thiopental wirkt sedativ-hypnotisch, aber nicht anxiolytisch. 55 Midazolam wirkt sedativ-hypnotisch und anxiolytisch. 55 Ketamin bewirkt eine dissoziative Anästhesie. 55 Propofol wirkt sedativ-hypnotisch. 55 Etomidat wirkt sedativ-hypnotisch mit besserer Herz-Kreislauf-Verträglichkeit als Propofol.
27.1 Prinzipien der
Inhalationsnarkose
Stickoxide und Haloether werden in der Anästhesie vor allem zur Durchführung chirurgischer Eingriffe eingesetzt. Dabei werden Gase (Stickoxide) oder flüchtige Substanzen (Haloether) angewendet, die nach Verdampfung entweder über eine Atemmaske oder einen Endotrachealtubus inhaliert werden. Ziele der Inhalationsnarkose sind die Ausschaltung des Bewusstseins, Analgesie und Relaxation der Skelettmuskulatur. Ein idealer Arzneistoff für die Inhalationsnarkose sollte nicht explosiv bzw. brennbar sein, eine große therapeutische Breite besitzen, schnell wirken, gut steuerbar sein, nicht unangenehm riechen, kein Erregungsstadium hervorrufen, gut analgetisch und muskelrelaxierend wirken, keine UAW am Herz-Kreislauf-System, an Leber oder Niere haben, die Atemwege nicht reizen, Reflexe im Mund- und Rachenbereich ausschalten und das Operationspersonal nicht gefährden. Die modernen Arzneistoffe für die Inhalationsnarkose erfüllen viele der oben genannten Eigenschaften. Durch Kombination von Stickoxiden/ Haloethern mit allosterischen Modulatoren Ligand- gesteuerter Ionenkanäle
377 27.2 · Wichtige Stickoxide und Haloether
(7 Abschn. 27.3), nAChR-Antagonisten (7 Kap. 5) und MOR-Agonisten (7 Kap. 10) kann man eine sehr gute Narkose bei akzeptablen UAW erreichen. Ziel ist es, unter Berücksichtigung der spezifischen Indikation und der Begleiterkrankungen eine optimale Narkose für jeden Patienten zu erreichen.
>>Der Begriff „Inhalationsnarkotika“ sollte nicht mehr verwendet werden, da er ein ähnliches pharmakologisches Profil aller unter diesem Begriff zusammengefassten Arzneistoffe unterstellt.
Dies ist jedoch überhaupt nicht der Fall. Es gibt sehr große Unterschiede im Wirkprofil der einzelnen Arzneistoffe und den entsprechenden klinischen Anwendungen. Außerdem bestehen große Unterschiede im Risiko für die maligne Hyperthermie zwischen den einzelnen Arzneistoffgruppen. Die Differenzierung in Haloether und Stickoxide ist hier maßgeblich! Durch den Überbegriff „Inhalationsnarkotika“ geht diese Differenzierung im UAW-Risiko verloren. Im Unterschied zu den meisten anderen Arzneistoffgruppen (7 Kap. 1) gibt es für Stickoxide und Haloether keine spezifische pharmakologische Zielstruktur. Vielmehr verändern sie generell Zellmembranen und hemmen die Aktionspotentialweiterleitung und Neurotransmitterfreisetzung in Neuronen. Je lipophiler ein Stickoxid/Haloether ist, desto potenter ist es und desto niedriger ist die minimale für eine Wirkung erforderliche alveoläre Konzentration (7 Kap. 1). Da das ZNS sehr lipidreich und sehr gut durchblutet ist, kommt es dort während der Narkose zur Anreicherung der Arzneistoffe. Diese können bei wiederholten oder lang andauernden Narkosen im Fettgewebe akkumulieren und ein Depot bilden (7 Kap. 2). Für eine sichere Narkosedurchführung ist die Steuerbarkeit entscheidend.
>>Je niedriger der Blut-Gas-Verteilungs koeffizient eines Stickoxids/Haloethers ist, desto rascher tritt die Narkose ein, desto rascher hört sie auch auf und desto schnel-
27
ler lässt sie sich an die jeweiligen Erfordernisse anpassen.
Alle modernen Stickoxide und Haloether besitzen eine sehr gute Steuerbarkeit. . Tab. 27.1 fasst die Eigenschaften wichtiger Stickoxide und Haloether zusammen. 27.2 Wichtige Stickoxide und
Haloether
Stickoxydul ist das einzige zur Narkose eingesetzte Stickoxid. Es riecht süßlich, ist nicht brennbar und reizt nicht die Schleimhäute, hat keine UAW auf Herz-Kreislauf-System, Leber oder Niere und verursacht keine maligne Hyperthermie. Allerdings oxidiert Stickoxydul Vitamin B12, und bei Anwendung über einen Zeitraum > 6 h werden die Methioninsynthese und damit Methylierungsreaktionen gehemmt. Bei einer einmaligen Anwendung von Stickoxydul ist dieses Problem jedoch nicht relevant. Stickoxydul hat eine sehr niedrige Potenz, sodass eine effiziente Inhalationsnarkose mit diesem Gas allein nicht möglich ist. Ab einer Konzentration von 20 % (Volumen/ Volumen) im Atemgasgemisch wirkt Stickoxydul analgetisch und schwach narkotisch. Es wird meist in Kombination mit O2 1:1 angewendet, um eine Analgesie für kurze chirurgische Eingriffe zu erzielen. Stickoxydul wird ferner zur Analgesieunterstützung zusammen mit Haloethern wie Sevofluran und Desfluran eingesetzt. Durch Kombination lässt sich die Konzentration der einzelnen Arzneistoffe im Atemgasgemisch und damit das UAW-Risiko reduzieren. Da Stickoxydul einen niedrigen Blut/ Gas-Verteilungskoeffizienten (0,47) besitzt, flutet es im Atemgasgemisch rasch an und wieder ab. Daher sind Stickoxydul-Narkosen gut steuerbar und das Risiko einer Atemdepression ist gering. Stickoxydul diffundiert rasch in luftgefüllte Körperhohlräume. Dadurch können Druckerhöhungen im Mittelohr, in den Nasennebenhöhlen und im Darm
Arzneistoffgruppe
Haloether
Stickoxid
Sevofluran
Stickoxydul
Etomidat
Phenylethyl imidazol
Arzneistoffe zur Injektionsnarkose
Haloether
Allosterischer GABAARModulator. Sedativ-hypnotische Wirkung, keine Analgesie
Allgemeine Veränderung der Membraneigenschaften, geringe Potenz, rascher Wirkungseintritt, gute Steuerbarkeit, gute analgetische Wirkung, schwache narkotische Wirkung
Allgemeine Veränderung der Membraneigenschaften, hohe Potenz, rascher Wirkungseintritt, gute Steuerbarkeit, gute hypnotische Wirkung, schwache analgetische und muskelrelaxierende Wirkung
Allgemeine Veränderung der Membraneigenschaften. Geringere Potenz als Sevofluran, sehr rascher Wirkungseintritt, sehr gute Steuerbarkeit, schwache analgetische und muskelrelaxierende Wirkung, wenig Wirkungen auf das Herz-KreislaufSystem
Wichtige Wirkungen
Narkoseeinleitung, insbesondere bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Hypertonie, KHK, CHF)
Kurze, schmerzhafte chirurgische Eingriffe, Bestandteil von Kombinationsnarkosen
Standardarzneistoff für Inhalationsnarkosen für operative Eingriffe, gut geeignet zur Narkoseeinleitung wegen fehlender Schleimhautreizung, viel verwendet in Kinderanästhesie
Standardarzneistoff für Inhalationsnarkosen bei operativen Eingriffen, wegen Schleimhautreizung nicht geeignet zur Narkoseeinleitung
Wichtige Indikationen
27
Desfluran
Arzneistoffe zur Inhalationsnarkose
Arzneistoff
.. Tab. 27.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose
Postoperative Sedation, Übelkeit und Erbrechen; weniger kardiovaskuläre UAW als mit Propofol
Diffusionshypoxie, Vitamin-B12-Mangel bei häufiger Anwendung
Insgesamt gute Verträglichkeit, insbesondere keine Schleimhautreizung, postoperative Übelkeit und Erbrechen, maligne Hyperthermie
Insgesamt gute Verträglichkeit, postoperative Übelkeit und Erbrechen, maligne Hyperthermie
Wichtige UAW
7 Kap. 4
7 Kap. 4
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
378 Kapitel 27 · Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose
Diisopropylphenol
Barbiturat
Propofol
Thiopental
Allosterischer GABAARModulator. Sedativ-hypnotische Wirkung
Allosterischer GABAARModulator, sedativ-hypnotische Wirkung, keine Analgesie
Vor allem sedativ-hypnotische und analgetische Wirkung (dissoziative Anästhesie)
Narkoseeinleitung bei unkomplizierten Patienten, ultima ratio bei erhöhtem Hirndruck und Status epilepticus
Bestandteil vieler Kombinationsnarkosen, Endoskopien, Kombination mit MOR-Agonisten (zusätzliche Analgesie), Sedation in der Intensivmedizin, Kinderanästhesie, Bestandteil der TIVA, Therapie von maligner Hyperthermie
Narkoseeinleitung, Bestandteil vieler Kombinationsnarkosen, Analgesie in der Kinderchirurgie und Notfallmedizin, Analgesie bei intubierten Intensivpatienten, Intubation bei Status asthmaticus (bronchodilatierende Wirkung), chronische Schmerzen (Tumorschmerzen), Depression (experimentell)
Atemdepression, Atemstillstand, anaphylaktischer Schock, Hyperalgesie, Gewebsnekrosen bei paravasaler Injektion, Kumulation bei wiederholten Anwendungen
Einschlafen und Aufwachen angenehm, kein Risiko von maligner Hyperthermie, Risiko von Atemdepression und BD-Abfall, anaphylaktischer Schock, euphorisierende Wirkung, Missbrauchspotential
Schutzreflexe bleiben erhalten, daher geringe Gefahr von Atemstillstand, durch Hemmung der Katecholaminwiederaufnahme BD- und HF-Anstieg, Halluzinationen, IOP-Erhöhung, Missbrauchspotential
7 Kap. 2, 3, 7, 25
7 Kap. 3, 4, 7, 10
7 Kap. 5, 10, 15, 28
MOR-Agonisten werden in 7 Kap. 10 behandelt, Benzodiazepine in 7 Kap. 25. Auch die Barbiturate werden mit anderen Aspekten nochmals in 7 Kap. 25 dargestellt
Allosterischer NMDARModulator
Ketamin
27.2 · Wichtige Stickoxide und Haloether 379
27
380
27
Kapitel 27 · Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose
entstehen. Wenn Stickoxydul in hohen Konzentrationen angewendet wird, kann es beim Beenden der Narkose zur Akkumulation des Gases in den Lungenalveolen und damit zur Diffusionshypoxie kommen. Das lässt sich durch Erhöhung des O2-Anteils im Atemgasgemisch verhindern. Stickoxydul ist ein Treibhausgas, welches die Erdatmosphäre belastet. Die Belastung mit umweltschädlichen Narkosegasen ließe sich durch die Verwendung geschlossener Narkosesysteme verhindern. Allerdings sind diese bislang in nur wenigen Krankenhäusern installiert. Sevofluran und Desfluran sind in der Anästhesie breit angewendete Haloether. Es sind flüssige Arzneistoffe mit hohem Dampfdruck und niedrigem Siedepunkt. Haloether sind farblos, nicht brennbar, reaktionsträge und gegen Lichteinfluss recht stabil. Sie werden in speziellen Containern gelagert, sind mit einem Farbcode gekennzeichnet und werden über Verdampfer dem Atemgasgemisch beigefügt. Haloether besitzen gute hypnotische, aber nur geringe analgetische und muskelrelaxierende Wirkungen. Deshalb werden sie in der Regel mit Stickoxydul, MOR-Agonisten (7 Kap. 10) und nAChR-Antagonisten (7 Kap. 5) kombiniert, um eine optimal balancierte Narkose zu erzielen. In Abhängigkeit von der Konzentration führen Haloether zu Bewusstseinsverlust, Atemdepression und Hemmung von Reflexen. Haloether-UAW sind postoperative Übelkeit und Erbrechen sowie Steigerung des intrakraniellen Drucks.
einer minimalen wirksamen alveolären Konzentration von 1,7 % (Volumen/Volumen) viel potenter als Stickoxydul. Es ist nicht schleimhautreizend und eignet sich deshalb für die Narkoseeinleitung. Wegen seines angenehmen Geruchs wird Sevofluran gern in der Kinderanästhesie angewendet. Zum geringen Anteil wird Sevofluran in der Leber metabolisiert, aber es ist keine Organtoxizität von Metaboliten bekannt. Sevofluran ist ein Treibhausgas mit einer Verweildauer in der Atmosphäre von ca. 1 Jahr. Desfluran ist ein Standard-Haloether. Es hat einen Blut/Gas-Verteilungskoeffizienten von 0,42. Daher sind Inhalationsnarkosen mit Desfluran sehr gut steuerbar. Es ist weniger potent (lipophil) als Sevofluran und besitzt eine minimale wirksame alveoläre Konzentration von 6 %. Im Unterschied zu Sevofluran ist Desfluran schleimhautreizend und eignet sich deswegen nicht für die Narkoseeinleitung. Es kann Laryngo- und Bronchospasmen auslösen. Desfluran wird kaum metabolisiert, weshalb es auch bei Patienten mit Leberschädigung angewendet werden kann, und es beeinflusst das Herz-Kreislauf- System nur minimal. Wegen seiner chemischen Stabilität ist die Verweildauer von Desfluran als Treibgas in der Atmosphäre sehr lang (14 Jahre). >>Eine seltene (Häufigkeit ca. 1:20.000), aber lebensbedrohliche Komplikation der Haloetheranwendung ist die maligne Hyperthermie.
In den meisten Fällen von maligner Hyperthermie liegen Mutationen im Ryanodinrezeptor des sarkoplasmatischen Retikulums >>Bei Patienten mit bekannter Neigung zu vor. Durch Haloether kann eine massive Übelkeit und Erbrechen sowie erhöhtem Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmaHirndruck sollte aufgrund der UAW auf tischen Retikulum verursacht werden, die die Anwendung von Haloethern zugunsten zu Muskelrigidität, Rhabdomyolyse, Hypervon i.v. verabreichten anästhetisch wirthermie, Azidose, Hyperkaliämie, Nierenkenden Arzneistoffen verzichtet werden versagen, Sympathikusaktivierung sowie (TIVA). eventuell bis zu Schock und Tod führt. Beim Sevofluran hat einen niedrigen Blut/Gas- Auftreten der ersten Symptome einer maligVerteilungskoeffizienten (0,65). Deshalb ist nen Hyperthermie muss die Zufuhr des ausdie Steuerbarkeit sehr gut. Sevofluran ist mit lösenden Arzneistoffs sofort unterbrochen
381 27.3 · Wichtige Arzneistoffe zur Durchführung einer Injektionsnarkose
werden. Zur Aufrechterhaltung der Narkose können Stickoxydul, Propofol, Midazolam, MOR- Agonisten und nAChR-Antagonisten eingesetzt werden. Dantrolen hemmt die Freisetzung von Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und muss unmittelbar als Antidot appliziert werden (7 Kap. 4). Außerdem erfolgt eine symptomatische Therapie mit Kühlung sowie Kontrolle von Azidose und Hyperkaliämie sowie der Herz- Kreislauf- Funktion. Dantrolen muss bei jeder Inhalationsnarkose mit potenziellen Auslösern bereitgehalten werden. Vor einer Narkose sind im Aufklärungsgespräch frühere Narkosezwischenfälle beim Patienten und in der Familie zu erfragen. Insgesamt ist die Häufigkeit der malignen Hyperthermie rückläufig, da besonders problematische Haloether wie Halothan und der nAChR-Agonist Suxamethonium (7 Kap. 5) nur noch selten eingesetzt werden und intravenöse Anästhesieverfahren (TIVA) zur Verfügung stehen.
27.3 Wichtige Arzneistoffe zur
Durchführung einer Injektionsnarkose
Ein Problem bei der Inhalationsnarkose ist die Latenzzeit zwischen dem Beginn der Inhalation des narkotischen Atemgasgemisches und dem Wirkungseintritt. Außerdem eignen sich bestimmte Haloether wie Desfluran nicht zur Narkoseeinleitung. Ferner muss vermieden werden, dass beim Einleiten einer Inhalationsnarkose ein potenziell gefährliches Erregungsstadium auftritt. Daher werden Narkosen häufig mit einem bei Injektion narkotisch wirkenden Arzneistoff eingeleitet, ehe das narkotisch wirkende Gas inhaliert wird. . Tab. 27.1 fasst auch die Eigenschaften wichtiger Arzneistoffe zur Injektionsnarkose zusammen. Thiopental gehört zu den Barbituraten (7 Kap. 25). Es moduliert allosterisch den GABAAR. Dadurch kommt es zu Hyperpo
27
larisation und Hemmung neuronaler Aktivität. Thiopental wirkt sedativ-hypnotisch und wird häufig bei ansonsten gesunden Patienten zur Narkoseeinleitung verwendet. Es wirkt nicht anxiolytisch, nicht analgetisch (eher hyperalgetisch) und nicht muskelrelaxierend. Thiopental wird als ultima ratio beim Status epilepticus eingesetzt. Außerdem senkt Thiopental den Hirndruck, was bei Hirnödemen ausgenutzt wird. Es ist sehr lipophil und penetriert deshalb rasch ins ZNS, sodass innerhalb weniger Sekunden nach i.v.-Injektion des Arzneistoffs Bewusstlosigkeit eintritt. Die Wirkung hält ca. 15 Minuten an. >>Thiopental kann eine Atemdepression bis zum Atemstillstand auslösen und wegen seiner CAD- Eigenschaften Mastzellen aktivieren sowie einen anaphylaktischen Schock auslösen (7 Kap. 3 und 7).
Da Thiopental-Injektionslösungen stark basisch sind (pH > 10), kann es bei versehentlicher paravasaler oder intraarterieller Injektion zu schmerzhaften Gewebenekrosen kommen. Thiopental wird nach der Injektion rasch vom Blut ins ZNS und dann vom ZNS in die Skelettmuskulatur und von dort in das Fettgewebe umverteilt. Im Fettgewebe kommt es bei wiederholter Gabe oder Dauertherapie zur Akkumulation (7 Kap. 2). Thiopental wird in der Leber zum aktiven Metaboliten Pentobarbital verstoffwechselt. Dadurch wird die sedativ-hypnotische Wirkung verlängert. Bei Dauertherapie mit Thiopental kommt es zu einer CYP-Induktion, wodurch der Abbau der Barbiturate beschleunigt und damit die Wirkung abgeschwächt wird (7 Kap. 2). Midazolam gehört zu den Benzodiazepinen (7 Kap. 25) und moduliert wie Thiopental allosterisch den GABAAR. Da die Bindungsstellen für Thiopental und Midazolam am Rezeptor unterschiedlich sind (7 Kap. 25), gibt es auch unterschiedliche Wirkprofile. Midazolam wirkt nicht nur sedativ- hypnotisch und antiepileptisch,
382
Kapitel 27 · Arzneistoffe zur Inhalations- und Injektionsnarkose
sondern auch anxiolytisch und muskelrelaxierend. Es hat keine analgetische Wirkung. Midazolam wird häufig in der Prämedikation und zur Narkoseeinleitung verwendet. In der Notfallmedizin, Anästhesie und Intensivmedizin ist insbesondere die anxiolytische Wirkung wertvoll. Es kann auch anterograde Amnesie hervorrufen. Diese kann einerseits erwünscht sein (fehlende Erinnerung an einen Eingriff), aber andererseits auch missbraucht werden, z. B. für sexuelle Handlungen.
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>>Aufgrund der anterograden Amnesie ist es unabdingbar, dass der Arzt Midazolam immer in Anwesenheit einer weiteren Person anwendet, um sich ggf. vor falschen Anschuldigungen schützen zu können.
Midazolam kann mit anderen Arzneistoffen wie MOR-Agonisten kombiniert werden. Die antiepileptische Wirkung von Midazolam wird zur Durchbrechung von Krampfanfällen genutzt. Es kann p.o. und i.v. appliziert werden. Midazolam kann in höherer Dosierung zur Atemdepression führen, die sich mit dem Antidot Flumazenil durchbrechen lässt (7 Kap. 4). Midazolam kann psychische und physische Abhängigkeit auslösen sowie beim Absetzen Entzugssymptome hervorrufen. Ketamin ist ein negativer allosterischer Modulator an NMDAR, an denen Glutamat der endogene Agonist ist. Ketamin bewirkt eine dissoziative Anästhesie, d. h. es wirkt unter Erhaltung von Schutzreflexen vor allem sedativ-hypnotisch und analgetisch. Es kann zur Einleitung von Inhalationsnarkosen und als Ergänzung bei Spinal- und Epiduralanästhesien verwendet werden. In der Notfallmedizin wird Ketamin vor allem wegen seiner analgetischen Wirkung eingesetzt, die sich mit den Wirkungen von Midazolam gut ergänzt. Ebenso hat Ketamin einen wichtigen Stellenwert in der Therapie chronischer Schmerzen (7 Kap. 10). In der Pädiatrie wird es meist ohne Midazolam angewendet. Da Ketamin auch bronchodilatierende Eigenschaften besitzt, kann es in Kombination mit einem Muskelrelaxans
auch zur Intubation bei therapieresistentem Status asthmaticus eingesetzt werden (7 Kap. 14). Ketamin kann p.o., sublingual, nasal, i.m. und i.v. gegeben werden. Nach i.v.-Gabe tritt sehr rasch Analgesie und Bewusstlosigkeit auf, die ca. 10 Minuten anhält. Danach überwiegt die analgetische Wirkung und es entsteht ein kataleptisches Stadium mit retrograder Amnesie. Da Ketamin die NE-Wiederaufnahme in die Synapse hemmt, kann es zu BD- und HF-Anstieg kommen. Die kreislaufstabilisierende Wirkung kann bei kreislaufgesunden Patienten genutzt werden, allerdings besteht bei KHK-Patienten durch erhöhten O2-Verbrauch ein MI-Risiko. Ketamin steigert den IOD (7 Kap. 30) und Hirndruck. Deshalb darf es bei Verletzungen am Auge und im Gehirn nicht als einziger Arzneistoff eingesetzt werden. Häufige UAW nach Ketamingabe sind Übelkeit, Erbrechen, Hypersalivation, Sehstörungen, Schwindel, motorische Unruhe sowie Halluzinationen (Bad Trips). Durch Kombination mit Benzodiazepinen können Albträume zumindest partiell unterdrückt werden. Wegen der halluzinogenen Wirkung besitzt Ketamin Missbrauchspotential.
>>Der Begriff „Injektionsnarkotikum“ sollte nicht mehr verwendet werden, da er ein ähnliches pharmakologisches Profil aller unter diesem Begriff zusammengefassten Arzneistoffe unterstellt.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Es gibt sehr große Unterschiede im Wirkprofil der einzelnen Arzneistoffe und den entsprechenden klinischen Anwendungen. Besonders deutlich trifft dies auf Ketamin zu, dass auch in der Therapie von chronischen Schmerzen (7 Kap. 10) und der Depression (7 Kap. 28) eingesetzt wird. Propofol ist ein allosterischer GABAAR- Modulator und in höheren Konzentrationen ein nAChR-Antagonist. Es wirkt sedativ- hypnotisch, aber nicht analgetisch. Deshalb wird es häufig auch in Kombination
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383 27.3 · Wichtige Arzneistoffe zur Durchführung einer Injektionsnarkose
mit MOR-Agonisten angewendet. Propofol ist schlecht wasserlöslich und wird deshalb in Form einer Emulsion appliziert. Wegen seiner Lipophilie penetriert es rasch in das ZNS. Unter Propofol ist das Einschlafen und Aufwachen angenehmer als mit anderen injizierten Arzneistoffen mit narkotischer Wirkung. Es wird z. B. zur Einleitung oder Aufrechterhaltung von TIVA und zur Begleitmedikation bei Endoskopien eingesetzt. Propofol ist sehr gut steuerbar und eignet sich zur Durchführung von Narkosen bei Patienten mit Risiko für eine maligne Hyperthermie und für deren Therapie im manifesten Zustand. Unter Propofol sind Übelkeit und Erbrechen seltene UAW. Jedoch kann es zu Atemdepression und BD-Abfall kommen. Propofol kann einen anaphylaktischen Schock auslösen (7 Kap. 3 und 7). Die Propofolinjektion kann schmerzhaft sein. Träume, oft auch mit sexuellem Inhalt, werden berichtet. Propofol wirkt euphorisierend und hat deshalb Missbrauchspotential. Es löst vor allem psychische Abhängigkeit aus. Etomidat stellt eine Alternative zu Propofol bei der Narkoseeinleitung dar. Wegen der geringen Wirkung von Etomidat auf das kardiovaskuläre System eignet sich der Arzneistoff vor allem zur Narkoseeinleitung
bei Patienten mit Hypertonie (7 Kap. 15), CHF und KHK (7 Kap. 16). Postoperative Übelkeit und Erbrechen sind die wichtigsten UAW von Etomidat.
Fallbeispiel
Bei einer 49-jährigen Frau wird eine ambulante Meniskektomie am rechten Knie durchgeführt. Wunschgemäß wird die Operation in Spinalanästhesie durchgeführt. Nach der Operation, die technisch reibungslos verläuft, beklagt die Patientin, dass sie für den Zeitraum kurz nach dem Einfahren in den OP-Vorbereitungsraum und kurz nach der Operation keine Erinnerung habe. Die Patientin argwöhnt, dass sie während der Operation sexuell missbraucht worden sei.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Was ist bei der Patientin vorgefallen? 2. Wie können Probleme für den Arzt durch anterograde Amnesien vermieden werden? Lösungen 7 Kap. 37
385
Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung Inhaltsverzeichnis 28.1
athophysiologische Grundlagen der Depression und P pharmakotherapeutische Konzepte – 386
28.2
NSMRI – 391
28.3
SSRI – 393
28.4
SSNRI – 393
28.5
α2AR-Antagonisten – 394
28.6
MAO-Inhibitoren – 394
28.7
Pathophysiologie der bipolaren Störung – 395
28.8
Pharmakotherapie der bipolaren Störung – 396
28.9
harmakotherapie von Angststörungen, P obsessiv-kompulsiven Störungen, Panikstörungen, der postraumatischen Belastungsstörung und von Polyneuropathien – 397
28.10 P harmakotherapie der Depression mit p-mGPCR-Antagonisten – 398
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_28
28
386
28
Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
Die Depression ist eine sehr häufige psy chiatrische Erkrankung, die durch Stress, frühkindliche Traumata, (epi-)genetische Faktoren und Persönlichkeitseigenschaften ausgelöst werden kann. Es besteht ein funk tionelles Defizit der Neurotransmitter NE und 5-HT sowie eine gestörte hippocampale Neurogenese. Die Therapie der Depression umfasst psychotherapeutische und pharma kologische Ansätze. Ziel der Pharmakothe rapie ist es, das Neurotransmitterdefizit mit NSMRI, SSRI, SSNRI, α2AR-Antagonisten und MAO-Inhibitoren zu korrigieren. Zwi schen Therapiebeginn und Wirkungseintritt besteht eine mehrwöchige Latenz, in der die Suizidgefahr groß ist. NE/5-HT-Verstärker haben gruppenspezifische UAW, die bei Über dosierung zu schweren Vergiftungen führen können. Die bipolare Störung ist durch den Wechsel zwischen depressiven und manischen Phasen charakterisiert. Lithium, Valproin säure und Lamotrigin wirken stimmungs stabilisierend. Für eine erfolgreiche Therapie von Depression und bipolarer Störung sind eine frühzeitige Diagnose, früher Therapie beginn, ausreichende Arzneistoffdosierung und Therapiedauer sowie die Aufklärung über die Latenzzeit zwischen Therapiebeginn und Wirkung entscheidend. In den letzten 10 Jahren hat sich eine Vielzahl neuer Indi kationen für NE/5-HT-Verstärker ergeben. p-mGPCR-Antagonisten, die traditionell in der Behandlung der Schizophrenie eingesetzt werden, finden zunehmend in der Therapie refraktärer D epressionen Anwendung.
Merksätze 55 „Stress“, frühkindliche Traumata, geneti sche Faktoren und Persönlichkeitseigen schaften können Depressionen auslösen. 55 Bei der Depression liegt ein funktionelles NE- und 5-HT-Defizit vor. 55 Als Folge des Neurotransmitterdefizits ist die hippocampale Neurogenese gestört. 55 GCR-Agonisten können Depressionen auslösen.
55 NSMRI, SSRI, SSNRI, MAO-Inhibito ren und α2AR-Antagonisten korrigieren Neurotransmitterdefizite. 55 Es besteht eine Latenz zwischen Thera piebeginn und Wirkungseintritt mit Sui zidgefahr. 55 Der verzögerte Wirkungseintritt beruht auf einer verzögerten Neurogenese. 55 NE/5-HT-Verstärker können bei Überdo sierung lebensbedrohliche Vergiftungen auslösen. 55 Die Kombination von MAO-Inhibitoren mit NSMRI, SSRI, SSNRI und α2AR- Antagonisten ist gefährlich. 55 Bei Depression werden in der 1. Stufe SSRI eingesetzt, in der 2. Stufe SSNRI bzw. α2AR- Antagonisten und in der 3. Stufe NSMRI. 55 MAO-Inhibitoren sind Reservearznei stoffe für therapierefraktäre Patienten. 55 Lithium, Valproinsäure und Lamotrigin stabilisieren die Stimmung bei einer bi polaren Störung. 55 p-mGPCR-Antagonisten werden zuneh mend in der Therapie refraktärer Depres sionen eingesetzt. 55 Bei Angststörungen, obsessiv-kompulsi ven Störungen, Panikstörungen, post- traumatischer Belastungsstörung und Polyneuropathien werden ebenfalls NE/5-HT-Verstärker eingesetzt.
28.1 Pathophysiologische
Grundlagen der Depression und pharmakotherapeutische Konzepte
Die Depression ist eine häufige Erkrankung mit einer Lebensprävalenz von ca. 10 % und betrifft Frauen zweimal häufiger als Män ner. Depressionen verursachen ökonomi sche Probleme und haben negativen Einfluss auf Beziehungen in Partnerschaft, Familie, Freundeskreis und Arbeitsumfeld. Die drei Hauptsymptome der Depression sind
387 28.1 · Pathophysiologische Grundlagen der Depression und …
1. depressive Verstimmung, 2. Interessen- und Freudlosigkeit sowie 3. Antriebsminderung mit höherer Ermüd barkeit. Die sieben Zusatzsymptome sind 1. verminderte Konzentration, Aufmerk samkeit und Handlungsfähigkeit, 2. vermindertes Selbstvertrauen, 3. Schuldgefühle, 4. Schlafstörungen, 5. Appetitstörungen, 6. psychomotorische Hemmung oder Agitation sowie 7. Suizidgedanken und -versuche. Bei leichter Depression sind zwei Haupt- so wie ein bis zwei Zusatzsymptome vorhan den, bei mittelschwerer Depression zwei Haupt- sowie drei bis vier Nebensymptome und bei schwerer Depression drei Haupt- so wie fünf oder mehr Zusatzsymptome. Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Depression. >> Der Depression liegt ein Defizit der Neuro transmitter NE und 5-HT zu Grunde. Des halb besteht die pharmakotherapeutische Hauptstrategie darin, diese Neurotransmit ter zu verstärken.
. Tab. 28.1 gibt einen Überblick über aus gewählte NE/5-HT-Verstärker. Sie kommen vor allem bei mittelschweren und schweren Depressionen zum Einsatz. Die Auswahl des NE/5-HT-Verstärkers erfolgt entsprechend der klinischen Symptomatik. Bei Nichtan sprechen nach spätestens 6–8 Wochen sollte ein Wechsel auf einen anderen NE/5-HT-Ver stärker erfolgen. Bei Suizidgefahr müssen die Patienten stationär aufgenommen wer den. In dieser Situation dürfen Patienten niemals Großpackungen von NE/5-HT-Ver stärkern in die Hände gelangen. Traditionell werden Arzneistoffe zur Be handlung von Depression als „Antidepressiva“ bezeichnet. Da sich das Indikations spektrum der „Antidepressiva“ jedoch in den letzten Jahren sehr deutlich erweitert hat, steht der behandelnde Arzt vor dem
28
Problem dem Patienten erklären zu müssen, warum er ein Antidepressivum für die Krankheit X nehmen solle, obwohl der Pa tient gar keine Depression hat. Dies kann zu erheblichen Adhärenzproblemen führen. >> Daher sollte der Begriff „Antidepressiva“ nicht mehr verwendet werden, sondern durch die mechanistisch oder chemisch defi nierte Arzneistoffgruppe ersetzt werden. Außerdem hat der Begriff „NE/5-HT- Verstärker“ eine positive Konnotation, was wiederum die Adhärenz steigert.
Die klinische Wirksamkeit von NE/5- HT- Verstärkern ist Gegenstand kontroverser Dis kussionen. Berechtigte Kritikpunkte sind u. a. der Publication Bias (es werden bevorzugt positive Daten publiziert und negative Daten bleiben unpubliziert), das Firmensponsoring vieler klinischer Studien sowie ein Mangel an unabhängigen Studien. Auch ist der Placebo effekt (7 Kap. 1) in NE/5-HT-Verstärker-Stu dien nicht zu unterschätzen. Eine aktuelle Metaanalyse besagt, dass 20–40 % von mit Placebo behandelten Patienten nach 6–8 Wo chen eine Verbesserung der Depression fest stellen; bei mit NE/5-HT-Verstärkern behan delten Patienten liegt der Anteil bei 40–60 %. Dies zeigt, dass NE/5-HT- Verstärker insge samt eine moderate klinische Wirkung zeigen. Allerdings sind weitergehende, unabhängige und hochqualitative Studien erforderlich, um zu einer abschließenden Beurteilung zur Wirk samkeit von NE/5-HT-Verstärkern zu gelan gen. Ein Problem in der genauen Feststellung der klinischen Wirksamkeit von NE/5-HT- Verstärkern ist auch die Möglichkeit, dass sich hinter der klinischen Diagnose „Depres sion“ verschiedene molekulare Krankheits entitäten verbergen, die einer Pharmakothe rapie unterschiedlich gut zugänglich sind. Wünschenswert wäre demnach eine Moleku lardiagnostik der Depression. Dies würde die Entwicklung von Targeted Therapeutics für die Depression, analog zur Therapie malig ner Tumorerkrankungen mit Targeted Therapeutics (7 Kap. 31), ermöglichen.
28
Stimmungsstabilisie rend
Stimmungsaufhel lend und antriebs steigernd
NSMRI
Alkali-Ion
α2ARAntagonist
MAOInhibitor
Clomipramin
Lithium
Mirtazapin
Moclobemid
Reversibler MAO-A-Inhibitor; stark stimmungsauf hellend und antriebssteigernd
Stimmungsaufhel lend, antriebsstei gernd
Stimmungsaufhel lend, sedierend, anxiolytisch
NSMRI
Amitriptylin
Wichtige Wirkungen
Arzneistoffgruppe
Arzneistoff
Therapierefraktäre Depression (Stufe 4), therapierefraktäre Angst- und Panikstörungen
Mittelschwere bis schwere Depres sion (Stufe 2), Angststörungen, obsessiv-kompulsive Störungen, Panikstörungen, Zusatztherapie bei Schizophrenie
Therapie und Prophylaxe der bipolaren Störung (Wirkung auf Depression und Manie), Verringerung des Suizidrisikos, Augmentation bei therapieresis tenter Depression
Schwere Depressionen (Stufe 3), obsessiv-kompulsive Störungen, Panikstörungen, Depersonalisie rung, neuropathische Schmerzen
Mittelschwere bis schwere Depres sion (Stufe 3), Angststörungen, Migräneprophylaxe, neuro pathische Schmerzen
Wichtige Indikationen
Folge der erhöhten NE- und 5-HT-Konzentra tion im synaptischen Spalt; Serotoninsyndrom in Kombination mit NSMRI, SSRI und SSNRI
Folge der erhöhten NE-Konzentration im synaptischen Spalt
Zahlreiche Organsysteme (Herz-Kreislauf, ZNS, Niere, Schilddrüse) betroffen; geringe therapeu tische Breite. Daher TDM erforderlich. Teratogenität, aber trotzdem Weiterführung der Therapie bei entsprechender Indikation während der Schwangerschaft
Siehe Amitriptylin
Folge der erhöhten NE- und 5-HT-Konzentra tion im synaptischen Spalt, antimuskarinerges Syndrom, orthostatische Hypotonie
Wichtige UAW
7 Kap. 5, 6
7 Kap. 5, 6
7 Kap. 1, 4, 12, 21
7 Kap. 4, 5, 13, 30
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
.. Tab. 28.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der Depression, der bipolaren Störung, Angststörungen, der obsessiv-kompulsiven Störung, Panikstörungen, der posttraumatischen Belastungsstörung und von Polyneuropathien
388 Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
MAO- Inhibitor
SSNRI
Tranylcypromin
Venlafaxin
Stimmungsaufhel lend und antriebs steigernd
Irreversibler MAO-A/B-Inhibi tor; stark stim mungsaufhellend und antriebsstei gernd
Vor allem stim mungsaufhellend, anxiolytisch
Mittelschwere bis schwere Depres sion (Stufe 2), Angststörungen, obsessiv-kompulsive Störungen, Panikstörungen, Zusatztherapie bei Schizophrenie
Therapierefraktäre Depression (Stufe 4), therapierefraktäre Angst- und Panikstörungen
Mittelschwere Depression (Stufe 1), Angststörungen, obses siv-kompulsive Störungen, Panikstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Zusatzthera pie bei Schizophrenie
Folge der erhöhten NE- und 5-HT-Konzentra tion im synaptischen Spalt
Folge der erhöhten NE- und 5-HT-Konzentra tion im synaptischen Spalt; Sertoninsyndrom in Kombination mit NSMRI, SSRI und SSNRI; lebensbedrohliche Hypertonie in Kombination mit Tyramin-haltigen Lebens- und Genussmit teln
Folge der erhöhten 5-HT-Konzentration im synaptischen Spalt; Serotoninsyndrom bei Überdosierung oder in Kombination mit MAO-Inhibitoren
7 Kap. 5
7 Kap. 5, 6
7 Kap. 6
UAW als Folge erhöhter NE-Konzentration im synaptischen Spalt: Tachykardie, BD-Anstieg, Unruhe, Tremor, Appetitlosigkeit. UAW als Folge erhöhter 5-HT-Konzentration im synaptischen Spalt: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Gewichtsabnahme, sexuelle Dysfunktion. Diese UAW sind häufig vor allem zu Beginn der Pharmakotherapie präsent. mGPCR-Antagonisten zur Behandlung der akuten Manie und schweren Depressionen werden in 7 Kap. 29 bespro chen. SCB zur Behandlung der bipolaren Störung werden in 7 Kap. 25 besprochen
SSRI
Sertralin
28.1 · Pathophysiologische Grundlagen der Depression und … 389
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Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
>> Die unzureichende klinische Wirksamkeit von NE/5-HT-Verstärkern bei der Depres sion ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass die Diagnose „Depression“ zu un scharf definiert ist.
Durch eine bei jedem Patienten unterschied liche Kombination (epi-)genetischer Fakto ren, psychosozialer Belastungen (Störungen der frühkindlichen Entwicklung, Life Events, Alltagsstress) sowie Persönlichkeitsfaktoren kommt es letztlich über im Einzelnen noch unbekannte Mechanismen zu einem funkti onellen Defizit der Neurotransmitter NE und 5-HT (. Abb. 28.1). Durch das NE-De fizit vermindern sich Antrieb, Motivation, Interesse und Konzentration (7 Kap. 5), während das 5-HT-Defizit vor allem die Stimmung trübt (7 Kap. 6). Das Defizit bei der Neurotransmitter führt zu Schlaf- und Stressbewältigungsstörungen sowie Angst. Bei einer gestörten Stressbewältigung steigt die Cortisolkonzentration aufgrund einer Aktivierung des neuroendokrinen Systems.
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>> Eine dauerhaft erhöhte Cortisolkonzentra tionen ist schädlich und führt u. a. zu Neu ronenapoptose im Hippocampus.
Psychosoziale Belastungen • Frühkindliche Traumata • Life Events • Stress
Zugleich wird die Neuro- und Synaptoge nese gestört. Deshalb haben viele Patienten, die wegen eines Tumors, einer Autoimmun erkrankung oder Organtransplantation mit GCR-Agonisten in hoher Dosierung behan delt werden müssen, eine depressive Stim mungslage (7 Kap. 11 und 31). Auch mit Peginterferon-α-2a behandelte HCVPatienten können unter Depressionen leiden (7 Kap. 33). Patienten mit endogen erhöh ter Cortisolproduktion (Cushing-Syndrom) und Hypothyreose (7 Kap. 21) sind eben falls oft depressiv. Ein intakter Hippocampus ist für eine ausgeglichene Stimmung und einen norma len Antrieb essentiell. Eine lange unbehan delte oder unzureichend behandelte De pression führt zu Hippocampusschäden, die nur schwer wieder korrigiert werden können.
>> Daher sind eine frühzeitige Diagnosestel lung und ein rascher Behandlungsbeginn die Schlüssel zum Therapieerfolg bei Depres sion, wobei sich psycho- und pharmako therapeutische Maßnahmen ergänzen (. Abb. 28.1).
Persönlichkeit • Angst • Introversion
Genetische und epigenetische Faktoren
Valproinsäure Stimulation der Cortisolsekretion
Apoptose von Neuronen im Hippocampus, gestörte Neuro- und Synaptogenese GCR-Agonisten Cushing-Syndrom
Depression
NE- und 5-HTDefizit
verzögert (Neurogenese)
ert zög se) ver gene uro (Ne
NSMRI, SSNRI, SSRI, α 2AR-Antagonisten, MAO-Inhibitoren sofort Symptome verstärkter NE- und 5-HT-Wirkungen im gesamten Organismus
.. Abb. 28.1 Pathophysiologie der Depression und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
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391 28.2 · NSMRI
In der Depressionsbehandlung werden auch Lichttherapie, Sport, autogenes Training so wie in schweren Fällen Tiefenhirnstimula tion und Elektrokrampftherapie eingesetzt. Die Latenz zwischen Therapiebeginn und Einsetzen der antidepressiven Wirkung stellt ein gravierendes Problem bei der The rapie mit NE/5-HT-Verstärkern und Arznei stoffen mit stimmungsstabilisierender Wir kung dar. >> In der mehrwöchigen Latenzphase zwischen Therapiebeginn und Wirkungseintritt leiden die Patienten häufig unter UAW und es be steht eine erhöhte Suizidgefahr, weil der An trieb oft vor der Stimmung normalisiert wird.
Initial kann die langfristige Behandlung mit NE/5-HT-Verstärkern durch eine kurze Begleittherapie mit Benzodiazepinen unterstützt werden, um das Suizidrisiko zu vermindern. Gerade zu Beginn einer antidepressiven Phar makotherapie müssen Patienten intensiv ärzt lich und psychotherapeutisch begleitet werden. Grundsätzlich sollten NE/5- HT-Verstärker ein- und ausschleichend und über einen länge ren Zeitraum (mindestens 3 Monate) gegeben werden. Bei abrupter Beendigung einer Phar makotherapie kann die Depression wieder auf flackern. Wegen der Problematik der verzögerten Wirkung wird intensiv nach Arzneistoffen gesucht, die eine sofortige antidepressive Wirkung zeigen. Ein Ansatzpunkt ist der al losterische NMDAR-Antagonismus mit Ketamin (7 Kap. 27) in niedriger Dosierung. Traumatisierende Erlebnisse in der Kindheit können zu epigenetischen Veränderungen wie verminderter Histonacetylierung führen. Dadurch wird die Neuro- und Synaptoge nese gehemmt. Man könnte sie entsprechend mit Histondeacetylase-Inhibitoren stimulie ren. Valproinsäure zeigt eine solche Wirkung (7 Abschn. 28.7). Weiterhin wird versucht, die Apoptose von Neuronen zu hemmen, in dem man die Wirkungen von GCR-Agonis ten mit GCR-Antagonisten aufhebt. Die Ursache für die Latenz zwischen dem Beginn der antidepressiven Therapie und
dem Wirkungseintritt ist, dass dafür über die Aktivierung postsynaptischer αxAR, βxAR sowie 5-HTxR erst eine Neuro- und Synapto genese erfolgen muss (. Abb. 28.1 und 28.2); ein Prozess, der mehrere Wochen dauert. Der Patient muss angemessen über die wesentli chen pathophysiologischen Grundlagen der Depression aufgeklärt werden, damit er ver steht, warum eine Wirkung erst verzögert ein tritt. Die Patientenaufklärung ist essentiell für eine gute Adhärenz. Dazu gehört auch, UAW anzusprechen und darzustellen, dass diese im Therapieverlauf häufig nachlassen. NE/5-HT-Verstärker machen, im Gegensatz zu Benzodiazepinen, (7 Kap. 25) nicht ab hängig und bei Dauertherapie ist meist keine Dosiserhöhung erforderlich. Beim Absetzen auftretende Symptome sind häufig Ausdruck einer wiederaufflackernden Depression. Des halb sollte eine Therapie mit NE/5-HT-Ver stärkern ausschleichend erfolgen.
28.2 NSMRI
NSMRI hemmen die neuronale Wiederauf nahme von NE und 5-HT aus dem synapti schen Spalt in das präsynaptische Neuron. Dadurch wird die Konzentration der beiden Neurotransmitter sofort erhöht. Daraus er geben sich auch die unmittelbar auftreten den UAW: NE vermittelt BD- und HF- Anstieg, Appetitlosigkeit, Unruhe und Tremor; 5-HT Übelkeit, Erbrechen, Schlaf störungen, Kopfschmerzen, Gewichtsab nahme und sexuelle Dysfunktion. Diese UAW sind für die Patienten sehr unange nehm, vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die antidepressive Wirkung erst nach einigen Wochen eintritt. . Abb. 28.3 zeigt die pharmakologischen Wirkprofile ausgewählter NE/5-HT- Ver stärker. Dargestellt sind Hemmkurven für verschiedene Zielstrukturen: Je potenter eine Zielstruktur gehemmt wird, mit desto niedri gerer Dosis erzielt man über sie einen klini schen Effekt. Der NSMRI Amitriptylin ist ein sehr potenter H1R-Antagonist (7 Kap. 1). Daher wirkt es bereits in sehr geringer Dosie
392
Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
Tyrosin Tryptophan
5-HT
NE
NSMRI, SSNRI NE Reuptake
Tranylcypromin Moclobemid
5-HTReuptake
5-HT
NE 5-HT
NE
MAO Metaboliten
MAO Metaboliten
α2AR
NE *
Sofort * Symptome verstärkter NE-und 5-HT-Wirkungen im gesamten Organismus
5-HT * α1AR
β2AR
Gq Gs
AC ↑
Tranylcypromin Moclobemid
Gi/Go
Mirtazapin
28
NSMRI (Amitriptylin) SSNRI (Venlafaxin) SSRI (Citalopram)
PKA ↑
Gentranskription
Neurogenese
Synaptogenese
5-HT2R
PLC ↑ Gq
PKC ↑ Verzögert
.. Abb. 28.2 Angriffspunkte von NE/5-HT-Verstärkern an der noradrenergen und serotonergen Synapse. Siehe auch . Abb. 5.4 und 6.1
rung sedierend (7 Kap. 7). Diese Wirkung lässt sich bei agitierten Patienten mit Depres sion nutzen. In höherer Dosierung wird die neuronale Wiederaufnahme von NE und 5-HT gehemmt, worüber die langfristige stimmungsaufhellende Wirkung zustande kommt. Der H1R-Antagonismus von Ami triptylin kompensiert zum größten Teil die an triebssteigernde Wirkung über die Hemmung der NE-Wiederaufnahme.
>> Wegen seiner insgesamt zuverlässigen Wir kung bei der Depression ist Amitriptylin der Goldstandard für diese Indikation; trotz sei ner UAW.
Clomipramin ähnelt in vielen Aspekten Amitriptylin, besitzt aber eine deutliche an-
triebssteigernde Wirkung. Bei obsessiv-kom pulsiven Störungen ist Clomipramin den SSRI überlegen. Bei älteren Patienten soll Clomipramin auch langfristig suizidale Ten denzen reduzieren. Amitriptylin antagonisiert in therapeu tisch relevanten Dosierungen MxR und α1AR, woraus jedoch ausschließlich UAW entstehen. Aus dieser Promiskuität leitet sich die Bezeichnung nicht-selektive Mono aminwiederaufnahme- Inhibitoren ab. Der MxR-Antagonismus führt zu einem anti muskarinergen Syndrom (7 Kap. 5). Über den α1AR-Antagonismus kommt es zu BD-Abfall und orthostatischer Hypotonie und als Folge zu reflektorischer Tachykar die, die durch den MxR-Antagonismus ver
393 28.4 · SSNRI
stärkt wird. Im Laufe einer Dauertherapie werden diese UAW jedoch häufig geringer und der therapeutische Effekt überwiegt. Allerdings können aus einer akuten NSMRI-Überdosierung schwere Vergiftungen resultieren, die häufig tödlich verlaufen (7 Kap. 4). Wegen ihrer Lipophilie, hohen Plasmaeiweißbindung, großen Verteilungsvo lumina und langen Plasma-HWZ können NSMRI (dies gilt auch für die anderen NE/5-HT-Verstärker) nicht durch Dialyse oder forcierte Diurese aus dem Körper entfernt werden. Langfristiger H1R-Antagonismus im ZNS bewirkt eine Appetitsteigerung und Gewichtszunahme (7 Kap. 7 und 29). Alle NSMRI besitzen einen ähnlichen Wirkmechanismus. Sie wirken bei Dauer therapie stimmungsaufhellend. Bei Agita tion empfiehlt sich die Anwendung von Amitriptylin, da es sedierend wirkt. NSMRI haben eine stärkere klinische Wirkung als SSRI, werden aber wegen ihrer UAW in der Regel erst nach SSRI (1. Stufe) und SSNRI oder α2AR-Antagonisten (2. Stufe) in der 3. Stufe eingesetzt. NSMRI sollten nur vom Facharzt für Psychiatrie verschrieben wer den.
28.3 SSRI
Der unerwünschte MxR- und α1ARAntagonismus von NSMRI führte zur Ent wicklung von NE/5-HT-Verstärkern, die diese Wirkungen nicht besitzen. SSRI blockieren die neuronale 5-HT-Wiederaufnahme mit hoher Potenz, aber nicht die NE-Wiederauf nahme und nicht MxR, α1AR und H1R (. Abb. 28.3). Davon leitet sich der Begriff selektive 5-HT-Wiederaufnahme-Inhibito ren ab. Sertralin und Citalopram sind proto typische SSRI. Wegen des fehlenden Ein flusses auf die NE-Wiederaufnahme wirken SSRI vor allem stimmungsaufhellend und nicht antriebssteigernd. Entsprechend dem Wirkmechanismus treten bei SSRI als UAW vor allem Übelkeit, Erbrechen, Schlafstö
28
rungen, Kopfschmerzen, Gewichtsabnahme und sexuelle Dysfunktion auf. Seit vielen Jahren sind SSRI die am häu figsten verschriebenen NE/5-HT-Verstär ker. Sie können eher als andere NE/5-HT- Verstärker auch vom Hausarzt oder Internisten zur Initialtherapie verordnet werden, um die häufig hohe Hürde der Pa tienten zum Beginn einer medikamentösen Therapie zu überwinden. Allerdings sind die SSRI den NSMRI hinsichtlich ihrer maximalen Wirkstärke unterlegen. Auch ihr Intoxikationsrisiko ist nicht zu unter schätzen. Bei akzidenteller oder suizidaler Einnahme großer SSRI-Mengen kann ein lebensbedrohliches Serotoninsyndrom auf treten, das nur symptomatisch behandelt werden kann (7 Kap. 4 und 6). Vorsicht ist bei der Anwendung von SSRI bei Jugend lichen geboten. Die Suizidgefahr in dieser Patientengruppe ist groß und erfordert enge ärztliche und psychotherapeutische Begleitung.
28.4 SSNRI
Basierend auf dem Prinzip der SSRI und SNRI wurden duale selektive 5-HT/NE- Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) ent wickelt. Prototyp dieser Arzneistoffgruppe ist Venlafaxin. Im Unterschied zu den NSMRI haben SSNRI keine antagonisti schen Wirkungen an MxR und α1AR (. Abb. 28.3). Demzufolge sind UAW Fol gen der erhöhten NE- und 5-HT- Kon zentrationen im synaptischen Spalt. Pflanzliche Arzneimittel gelten in weiten Teilen der Bevölkerung als „natürlich“ und si cher. Das ist jedoch nicht unbedingt der Fall. Ein gutes Beispiel sind Johanniskrautextrakte, die zur Behandlung von Depressionen einge setzt werden. Der pharmakologisch aktive Wirkstoff des Johanniskrauts ist Hyperforin, das die NE- und 5-HT-Wiederaufnahme hemmt. Das Problem besteht darin, dass Hyperforin über den Pre gnan-X-Rezeptor eine CYP3A4-Expression induziert. Dadurch
Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
28
NSMRI
b Transporter-/Rezeptoraktivität
Transporter-/Rezeptoraktivität
a 100 %
50 %
0%
log Konzentration Amitriptylin
SSRI 100 %
50 %
0%
H1R-Antagonismus: MxR-Antagonismus: NE-Transporter-Hemmung: α1AR-Antagonismus: 5-HT-Transporter-Hemmung:
log Konzentration Citalopram
c Transporter-/Rezeptoraktivität
394
SSNRI 100 %
50 %
0%
log Konzentration Venlafaxin
Sedation, Gewichtszunahme Antimuskarinerges Syndrom Antriebssteigerung ൺ Tachykardie, Hypertonie Orthostase, Tachykardie Stimmungsaufhellung ൺ Serotoninsyndrom
.. Abb. 28.3 a–c Pharmakologische Wirkprofile ausgewählter NE/5-HT-Verstärker. a, Amitriptylin. b, Citalo pram; c, Venlafaxin. Siehe auch . Tab. 29.1
wird die Elimination von Ciclosporin, VKA und ER- und/oder P R-Agonisten-enthaltender Kontrazeptiva (7 Kap. 11, 18 und 24) be schleunigt und deren Wirkungen werden redu ziert.
28.6 MAO-Inhibitoren
28.5 α2AR-Antagonisten
Die NE-Freisetzung in der Synapse unter liegt einer Feedback-Regulation (7 Kap. 5). Über präsynaptische α2AR hemmt NE seine neuronale Freisetzung (. Abb. 28.2). Die ser Effekt wird über Gi/Go-Proteine mit nachfolgender Hemmung von Calciumka nälen sowie Aktivierung von Kaliumkanä len vermittelt. Durch α2AR-Antagonisten wird dieses Feedback außer Kraft gesetzt und somit indirekt die Freisetzung von NE gefördert, was zur langfristigen Stimulation hippocampaler Neuro- und Synaptogenese führt. Mirtazapin ist Prototyp eines α2AR- Antagonisten. Es wirkt stimmungsaufhellend und antriebssteigernd. UAW ergeben sich durch die verstärkte NE-Freisetzung selbst
(z. B. Unruhe, Tachykardie, BD-Anstieg) und sind häufig nur transient. α2AR-Antagonisten werden in der 2. Stufe der medikamentösen Depressionstherapie eingesetzt.
Es gibt schwere Fälle von Depressionen, bei denen SSRI, SSNRI, α2AR-Antagonisten und NSMRI keine ausreichende klinische Wirkung zeigen. In diesen therapierefraktä ren Fällen können MAO-Inhibitoren gege ben werden. Sie hemmen den Abbau von NE und 5-HT und erhöhen dadurch die Konzentration der beiden Neurotransmitter im synaptischen Spalt. MAO-Inhibitoren wirken stark stimmungsaufhellend und an triebssteigernd. MAO existiert in zwei Isoformen, MAO-A und MAO-B. MAO-A ist vor allem für den Abbau von NE und 5-HT verant wortlich, MAO-B für den Abbau von DA (7 Kap. 8). Bei Depression kommt Tranylcypromin zum Einsatz, das irreversibel MAO-A und MAO-B hemmt. Als Alterna
395 28.7 · Pathophysiologie der bipolaren Störung
tive kann der reversible MAO-A-Inhibitor Moclobemid eingesetzt werden. >> MAO-Inhibitoren dürfen keinesfalls mit an deren NE/5-HT-Verstärkern, insbesondere nicht mit NSMRI, SSRI und SSNRI, kom biniert werden, weil es sonst zu einem lebensbedrohlichen Serotoninsyndrom kom men kann (7 Kap. 6).
>> Eine weitere Besonderheit bei der Therapie mit MAO-Inhibitoren, vor allem mit Tranyl cypromin, sind gefährliche Interaktionen mit indirekten Sympathomimetika (7 Kap. 5).
Isst ein mit einem MAO-Inhibitor behandel ter Patient Tyramin-haltige Nahrungsmittel wie Käse, Nüsse und Schokolode oder trinkt er Rotwein, so wird das durch Tyramin frei gesetzte NE nicht abgebaut und es kann ein lebensbedrohlicher hypertensiver Notfall auf
Genetische Faktoren Psychosoziale Faktoren Drogen (Methamphetamin, Alkohol, CB1R-Agonisten)
treten. Deshalb müssen mit MAO-Inhibitoren behandelte Patienten darüber aufgeklärt wer den, dass sie keinesfalls Tyramin-haltige Nah rungs- und Genussmittel konsumieren dürfen. Die MAO-Inhibitoren-Verschreibung gehört in die Hände des Psychiaters. 28.7 Pathophysiologie der
bipolaren Störung
Bei einer bipolaren Störung kommt es zu ex tremen, weit über das Normalmaß hinausge henden Schwankungen der Stimmung, des Antriebs und der Aktivität, die sich in einem Wechsel von manischen und depressiven Pha sen äußern (. Abb. 28.4). Die bipolare Stö rung ist häufig; ca. 3–4 % der Bevölkerung sind mindestens einmal im Leben davon be troffen. Die Erkrankung verursacht massive
Veränderungen in der Anatomische Veränderungen im Funktion von Neurotransmittern präfrontalen und temporalen Cortex sowie Hippocampus Veränderungen in der Signaltransduktion Hyperthyreose
Bipolare Störung
Bipolar-I-Störung • 7-14 Tage manische Phase • gefolgt von mindestens einer depressiven Phase • dazwischen normale Stimmung und Hypomanie Akute Manie Valproinsäure mGPCR-Antagonisten (z. B. Haloperidol)
28
Bipolar-II-Störung • mindestens 14 Tage depressive Phase • gefolgt von mindestens einer hypomanen Phase • dazwischen normale Stimmung und geringe Depression Lithium (TDM) Lamotrigin
Prophylaxe
Prophylaxe Manie Depression
Normale Stimmung
Suizid .. Abb. 28.4 Pathophysiologie der bipolaren Störung und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
396
28
Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
ökonomische und soziale Schäden und gehört zu den zehn häufigsten Krankheiten, die zu dauerhafter Behinderung führen. Ein großes Problem ist die vor allem in depressiven Phasen auftretende Suizidalität. Manische Phasen sind durch fehlende Selbstkritik, Realitätsverlust, Größenwahn, reduziertes Schlafbedürfnis, Rededrang, Ideenflucht, Zerstreuung und risikoreiches Verhalten gekennzeichnet, wodurch sich die Patienten in große finanzielle, soziale und familiäre Schwierigkeiten bringen. Entspre chend der Manifestation unterscheidet man eine Bipolar-I- und eine Bipolar-II-Störung. Zwischen den manischen und depressiven Phasen liegen Phasen normaler Stimmung. Bei Hypomanie imponiert häufig positiv wahrgenommene Kreativität. Die Diagnose bipolare Störung erfolgt oft mit jahrelanger Verzögerung. Häufig fehlt den Patienten die Krankheitseinsicht. Die Pathogenese der bipolaren Störung ist nicht genau bekannt, sodass nur eine sym ptomatische und empirische Therapie mög lich ist. Genetische, soziale, anatomische und biochemische Faktoren sowie Drogenmiss brauch können eine Rolle spielen. Es kommt zu Veränderungen in der Funktion verschie dener Neurotransmitter und nachgeschalte ter Signaltransduktionskaskaden. Es wird vermutet, dass es zu einer Überaktivität ver schiedener GPCR sowie verminderter neu ronaler Plastizität mit gesteigerter Neuro nenapoptose im präfrontalen Kortex kommt. Eine Hyperthyreose kann eine bipolare Stö rung verschlechtern (7 Kap. 21). Die Wirk samkeit von mGPCR-Antagonisten bei der bipolaren Störung unterstützt die Hypothese einer GPCR-Überaktivität als einen patho genetischen Faktor.
Antagonisten wirken gut gegen Erre gungszustände und Wahnvorstellungen. Die Abgrenzung akuter Manie von Schi zophrenie ist manchmal nicht einfach, die therapeutische Vorgehensweise jedoch ähnlich. Sobald eine akute Manie überwunden ist, muss eine Phasenprophylaxe mit Arznei stoffen mit stimmungsstabilisierender Wir kung beginnen. Eine bipolare Störung mit raschem Phasenwechsel (Rapid Cycling) kann besonders gut durch Arzneistoffe mit stimmungsstabilisierender Wirkung beeinflusst werden. Arzneistoffe, die das Gleichgewicht zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Neuronen normalisie ren (7 Kap. 25), wirken häufig auch bei der bipolaren Störung. Valproinsäure wirkt vor allem prophy laktisch auf das Auftreten manischer Pha sen, während Lamotrigin vorwiegend de pressive Phasen verhindert. Das Alkali-Ion Lithium verhindert das Auftreten manischer und depressiver Phasen. Es reduziert außer dem das Suizidrisiko. Wegen dieser Wirk komponente besitzt Lithium ein Alleinstellungsmerkmal in der Behandlung der bipolaren Störung.
>> Weitere wichtige Maßnahmen zur Senkung des Suizidrisikos bestehen darin, dem Patienten niemals Großpackungen von NE/ 5-HT-Verstärkern, mGPCR-Antagonisten, CCB, SCB und Lithium in die Hände zu ge ben.
Bei schwerer Depression kann Lithium mit NE/5-HT-Verstärkern kombiniert werden (Lithiumaugmentation). Außerdem kann Li thium auch bei Patienten mit Schizophrenie eingesetzt werden (7 Kap. 29). Der Wirkmechanismus von Lithium ist unbekannt. Lithium hat eine geringe thera 28.8 Pharmakotherapie der peutische Breite, weshalb TDM erforderlich ist. Therapeutische Lithium-Plasmakonzen bipolaren Störung trationen liegen in einem Bereich von 0,5– Bei akuter Manie wirken mGPCR- 1,0 mmol/l. Lithium verteilt sich im Körper Antagonisten (7 Kap. 29) sowie der SCB ähnlich wie Natrium. Allerdings hat es eine Valproinsäure (7 Kap. 25). mGPCR- geringere Affinität zu Ionenpumpen als Na
397 28.9 · Pharmakotherapie von Angststörungen, obsessiv-kompulsiven …
trium, weshalb es intrazellulär akkumuliert und langsamer renal eliminiert wird (Plas ma-HWZ 24 Stunden). Wegen der Vertei lung im gesamten Organismus hat Lithium vielfältige UAW wie Tremor, verwaschene Sprache, Verwirrung, Krampfanfälle, Ar rhythmien, BD-Abfall, Polydipsie und Durstgefühl, Polyurie, Gewichtszunahme, Ödeme und Hypothyreose (7 Kap. 21). Lithium kann gut durch Dialyse aus dem Körper entfernt werden (7 Kap. 4). Es ist bei CHF und MI (7 Kap. 16) sowie CKD (7 Kap. 12) kontraindiziert. Die renale Lithiumelimination wird durch ACE- Inhibitoren und AT1R-Anta gonisten (7 Kap. 15 und 16), COX-Inhi bitoren (7 Kap. 10 und 11) und NCC-In hibitoren (7 Kap. 12) verzögert. Bei natriumarmer Ernährung ist die renale Aus scheidung von Lithium vermindert und da mit seine Toxizität erhöht, bei natriumreicher Ernährung ist es genau umgekehrt. Ein gutes soziales Umfeld und ein rechtzeitiger Therapiebeginn erhöhen die Adhärenz und den Erfolg einer Lithiumtherapie.
28
28.9 Pharmakotherapie von
Angststörungen, obsessivkompulsiven Störungen, Panikstörungen, der postraumatischen Belastungsstörung und von Polyneuropathien
>>Trotz seiner UAW und geringen therapeu tischen Breite bleibt Lithium der Goldstandard für die Therapie der bipolaren Störung.
Traditionell wird Lithium als „Stimmungsstabilisator“ klassifiert. Dies beschreibt je doch seine Wirkungen bei psychiatrischen Erkrankungen nur unzureichend und lässt in Vergessenheit geraten, dass Lithium duch seine chemische Eigenschaften (Ähnlichkeit mit Natrium) praktisch jede Körperfunk tion verändert und gravierende UAW be sitzt. Dies wird durch die Arzneistoffgrup penbezeichnung „Alkali-Ionen“ sehr viel besser erfasst. Außerdem gibt es eine Viel zahl anderer Arzneistoffgruppen (z. B. SCB, CCB, 7 Kap. 25), die ebenfalls stimmungs stabilisierend wirken, aber ganz andere UAW besitzen
>> Daher sollte der Begriff „Stimmungsstabili sator“ nicht mehr verwendet werden.
Obwohl die Depression die häufigste psychia trische Erkrankung ist, gibt es viele andere psychiatrische Erkrankungen, für die drin gender Therapiebedarf besteht, aber für lange Zeit keine Pharmakotherapie vorhanden war. Zu diesen Erkrankungen gehören Angststörungen, obsessiv-kompulsive Störungen, Panikstörungen und die posttraumatische Belastungsstörung. Die letztere Erkrankung ist besonders häufig unter Soldaten und Kriegsopfern. Die klinischen Symptome dieser Er krankungen überlappen teilweise, und es gibt zusätzliche Überlappungen mit den Sympto men der Depression (7 Abschn. 28.1). Der hohe Leidensdruck der Patienten mit den im Vorhergehenden genannten Erkran kungen sowie die Überlappung der klini schen Symptome mit denen der Depression haben dazu geführt, dass Psychiater NE/5-HT-Verstärker empirisch und off-label für Angststörungen, obsessiv-kompulsive Störungen, Panikstörungen und die post traumatische Belastungsstörung einsetzten. Tatsächlich zeigten sich therapeutische Er folge, aber es gibt große Unterschiede in der Ansprechbarkeit der einzelnen Patienten auf eine bestimmte Pharmakotherapie. Das größte Hindernis für eine rationale Pharmakotherapie bei Angststörungen, ob sessiv-kompulsiven Störungen, Panikstö rungen und der posttraumatischen Belas tungsstörung ist die Tatsache, dass unser Wissen über die Pathophysiologie dieser Er krankungen sehr gering ist.
>> Allerdings weisen die pharmakotherapeuti schen Erfolge mit den NE/5-HT-Verstärkern bei Angststörungen, obsessiv-kompulsiven Störungen, Panikstörungen und der post-
398
Kapitel 28 · Arzneistoffe zur Behandlung der Depression und bipolaren Störung
pramin sind bei der Depression wirksame Arzneistoffe (. Abb. 28.1, 28.2 und 28.3). Das mit Imipramin strukturell verwandte Trimipramin (nicht in NKLM/IMPP- In Analogie zur Depression können MAOArzneistoffliste) ist bei der Depression ebenso Inhibitoren bei refraktären Fällen von Angstwirksam, aber es hemmt die NE- und und Panikstörungen eingesetzt werden. 5-HT-Wiederaufnahme mit nur sehr niedri Die teilweisen Erfolge der NE/5-HT- ger Potenz. Stattdessen ist Trimipramin ein Verstärker bei Angststörungen, obsessiv- potenter Antagonist an DxR, 5-HTxR und kompulsiven Störungen, Panikstörungen H1R (7 Kap. 5, 6, 7 und 8). Deshalb wurde und der posttraumatischen Belastungsstö Trimipramin auch als „Non-NSMRI“ klassi rung führten dazu, dass auch Neurologen fiziert, aber dabei handelt es sich um eine me diese Arzneistoffgruppen bei verschiedenen chanistisch nicht aussagekräftige negative Erkrankungen empirisch testeten, bei denen Definition. Positiv definiert gehört Trimipra es bislang kaum Behandlungsoptionen gab. min zu den p-mGPCR-Antagonisten, die vor In der Tat stellte sich heraus, dass NE/5-HT- allem in der Therapie der Schizophrenie ein Verstärker auch bei verschiedenen Formen gesetzt werden (7 Kap. 29). der Polyneuropathien, insbesondere der dia betischen Polyneuropathie (7 Kap. 10 >> Die Identifikation eines p-mGPCR-Antago nisten mit antidepressiver Wirkung war eine und 19), wirksam sind. Auch in der Migrä Überraschung. neprophylaxe zeigen NE/5-HT-Verstärker teilweise Erfolge (7 Kap. 6). Dies passt nicht zu den in den bisher darge traumatischen Belastungsstörung darauf hin, dass es Überlappungen mit der Patho physiologie der Depression gibt.
28
>> NE/5-HT-Verstärker zeigen in der Behand lung von Polyneuropathien gute Wirkung.
Somit lassen die pharmakotherapeutischen Erfolge der NE/5-HT-Verstärker bei ganz un terschiedlichen neurologischen und psychiatri schen Erkrankungen den Schluss zu, das Neu rone auf verschiedene Formen der Schädigung und von „Stress“ recht uniform reagieren und dass die klinischen Symptome die unterschied liche Lokalisation der Schädigung im zentra len und peripheren Nervensystem reflektieren. Zusammengefasst ergibt sich, dass die empiri sche Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Erkrankungen mit NE/5-HT- Verstärkern auch einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung ihrer Pathophysiologie leistet. 28.10 Pharmakotherapie der
Depression mit p-mGPCRAntagonisten
Die Behandlung der Depression mit p-mGPCR-Antagonisten nahm ihren Aus gangspunkt von einer überraschenden Beob achtung: Die NSMRI Amitriptylin und Imi-
stellten pathophysiologischen Konzepten der Depression. Durch diese pharmako therapeutischen Beobachtungen wurde aber auch klar, dass es gewisse Überlappungen in der Pathophysiologie der Depression und Schizophrenie gibt. Tatsächlich gibt es auch auf klinischer Ebene Überlappungen zwi schen beiden Erkrankungen. Ausgehend von den Beobachtungen mit Trimipramin wurden in der Folge verschie dene p-mGPCR-Antagonisten wie Olanzapin und Quetiapin (7 Kap. 29) bei refraktä rer Depression und bei Mischformen der Depression und Schizophrenie (schizoaffek tive Psychosen) getestet. Manche Patienten werden auch mit einer Kombination von NE/5-HT-Verstärkern und p-mGPCRAntagonisten behandelt.
>> Die häufig durchgeführte Kombinationsthe rapie mit NE/5-HT-Verstärkern + p-mGPCR- Antagonisten ist sehr fragwürdig, da die ver stärkte NE- und 5-HT-Freisetzung zumindest teilweise durch p-mGPCR-Antagonisten wie der aufgehoben wird. Die Kenntnis der phar makologischen Arzneistoffprofile hilft bei der Vermeidung dubioser Kombinationen.
399 28.10 · Pharmakotherapie der Depression mit p-mGPCR-Antagonisten
Wenn möglich sollte psychopharmakologische Polypharmazie mit unüberschaubaren Cocktails vermieden werden, um den Über blick über UAW zu behalten. Einige Patien ten mit schwerer Depression werden auch mit D2R-mGPCR-Antagonisten behandelt. Insgesamt sind die klinischen Daten zum Einsatz von mGPCR-Antagonisten bei der Depression heterogen, und die Wirksamkeit ist interindividuell sehr unterschiedlich. Die Heterogenität in den Wirkungen der in die sem Kapitel besprochenen Arzneistoffe kann auch so interpretiert werden, dass die derzeitigen Methoden zur Diagnostik neu ropsychiatrischer Erkrankungen noch zu unscharf sind, weshalb klinische Diagnose und passender Arzneistoff in vielen Fällen „ausprobiert“ werden müssen. Fallbeispiel
Sie werden als Notarzt zu einer 38-jähri gen depressiven Patientin gerufen, die einen Suizidversuch unternommen hat.
28
Die Patientin weist folgende Symptome auf: Somnolenz, Tachykardie, BD 100/60 mmHg, weite Pupillen, heiße tro ckene Haut, fehlende Darmgeräusche, palpatorisch große gefüllte Harnblase. In der Umgebung der Patientin finden Sie keine Tabletten oder leere Tabletten verpackungen, die Ihnen Hinweise auf die Ursache der Symptomatik geben könnten.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Was ist die wahrscheinlichste Ursache der Symptomatik, wie sichern Sie Ihre Verdachtsdiagnose und wie gehen Sie akut therapeutisch vor? 2. Wie können in Zukunft Suizidversuche bei der Patientin vermieden werden? Lösungen 7 Kap. 37
401
Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie Inhaltsverzeichnis 29.1
athophysiologische Grundlagen der Schizophrenie P und pharmakotherapeutische Konzepte – 402
29.2
D2R-mGPCR-Antagonisten – 407
29.3
p-mGPCR-Antagonisten – 408
29.4
insatz vom mGPCR-Antagonisten bei anderen E Indikationen – 412
29.5
harmakotherapie der Schizophrenie mit P NE/5-HT-Verstärkern, Lithium sowie SCB und CCB – 413
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_29
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402
29
Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
Die Schizophrenie ist eine psychiatrische Erkrankung mit einer weltweiten Prävalenz von 1 %, die häufig im jungen Erwachsenenalter auftritt. Die Positiv- und vor allem die Negativsymptome erschweren es den Patienten sehr, den Lebensanforderungen gerecht zu werden und den Realitätsbezug zu behalten. Bei einer Schizophrenie sind dopaminerge und serotonerge Systeme überaktiv. D2R-mGPCR- Antagonisten antagonisieren vor allem den D2R; p-mGPCR-Antagonisten antagonisieren zahlreiche GPCR, insbesondere den 5-HT2AR. D2R-mGPCR-Antagonisten beeinflussen in erster Linie Positivsymptome; p-mGPCR-Antagonisten auch Negativsymp tome. Dank der mGPCR-Antagonisten können heutzutage viel mehr Schizophreniepatienten ambulant behandelt werden als früher. D2R-GPCR-Antagonisten verursachen vor allem EPMS; p-mGPCR-Antagonisten vorwiegend ein metabolisches Syndrom. Die Auswahl des mGPCR-Antagonisten erfolgt für jeden Patienten individuell und hat eine optimale Balance zwischen antipsychotischer Wirkung und möglichst geringen UAW bei hoher Adhärenz und Lebensqualität zum Ziel. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche neue Indikationen für mGPCR-Antagonisten entwickelt. NE/5-HT-Verstärker, Lithium, CCB und SCB, die traditionell in der Behandlung der Depression und bipolaren Störung eingesetzt werden, werden zunehmend zur Therapie refraktärer Schizophrenie eingesetzt.
Merksätze 55 Bei einer Schizophrenie sind dopaminerge und serotonerge Systeme überaktiv. 55 mGPCR-Antagonisten haben antipsychotische Wirkungen und werden in D2R- mGPCR-Antagonisten und p-mGPCRAntagonisten eingeteilt. 55 Die antipsychotischen Wirkungen und die EPMS der D2R-mGPCR-Antagonisten werden über den D2R-Antagonismus vermittelt. 55 Die antipsychotischen Wirkungen der p-mGPCR-Antagonisten werden vor-
55
55
55
55
55
wiegend über den Antagonismus am 5-HT2AR vermittelt. p-mGPCR-Antagonisten verursachen weniger häufig EPMS als D2R-mGPCR- Antagonisten, dafür aber häufiger ein metabolisches Syndrom. mGPCR-Antagonisten antagonisieren mit unterschiedlicher Potenz MxR, α1AR und H1R, woraus sich erwünschte und unerwünschte Wirkungen ergeben. Die Auswahl des mGPCR-Antagonisten erfolgt individuell für jeden Patienten unter Berücksichtigung einer optimalen Balance zwischen therapeutischenWirkungen und UAW. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche neue Indikationen für mGPCR- Antagonisten entwickelt. NE/5-HT-Verstärker, SCB und CCB werden zunehmend in der Therapie refraktärer Schizophrenie eingesetzt.
29.1 Pathophysiologische
Grundlagen der Schizophrenie und pharmakotherapeutische Konzepte
Die Schizophrenie ist mit einer weltweiten Prävalenz von 1 % eine sehr häufige Psychose, die Männer und Frauen gleich häufig betrifft. Sie ist deshalb so gravierend, weil 65 % der Neuerkrankungen Menschen vor Vollendung des 30. Lebensjahres betreffen. Die Lebenserwartung ist um 15 Jahre verkürzt. Dazu tragen Unfälle, Suizide sowie Erkrankungen als Folge des sozialen Abstiegs bei. Die Schizophrenie beeinträchtigt alle Bereiche des Denkens und der Psyche so grundlegend, dass dadurch die Fähigkeit verlorengeht, den Lebensanforderungen in Partnerschaft, Familie und Beruf gerecht zu werden sowie den Realitätsbezug zu behalten. Es gibt auch Mischformen aus bipolarer Störung (7 Kap. 28) und Schizophrenie.
29
403 29.1 · Pathophysiologische Grundlagen der Schizophrenie und …
. Abb. 29.1 zeigt die Pathophysiologie der Schizophrenie sowie daraus ableitbare pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Die Ursachen der Erkrankung sind multifaktoriell. Entsprechend dem Diathese- Stress-Modell unterscheiden sich Menschen in ihrer Fähigkeit, Stressfaktoren und toxische Einflüsse zu kompensieren. Bei guter Balance zwischen Stressoren und Vulnerabilität ist der Mensch psychisch gesund, bei Überwiegen der Stressoren in Relation zur Vulnerabilität kann eine Schizophrenie entstehen. Als Folge dieser Dysbalance entsteht ein Ungleichgewicht in der Aktivität verschiedener GPCR, insbesondere Überaktivität von D2R (7 Kap. 8) sowie 5-HT2AR (7 Kap. 6). Der Konsum von CB1R- Agonisten (7 Kap. 10), Alkohol und 5-HT2AR-Agonisten (z. B. LSD, 7 Kap. 6)
sowie die Einnahme indirekter Sympathomimetika (7 Kap. 5) kann die Entstehung einer Schizophrenie begünstigen. Traditionell werden Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie als „Antipsychotika (Neuroleptika)“ bezeichnet. Da sich das Indikationsspektrum der „Antipsychotika“ jedoch in den letzten Jahren sehr deutlich erweitert hat, steht der Arzt vor Pro blem dem Patienten erklären zu müssen, warum er ein Antipsychotikum für die Krankheit X nehmen solle, obwohl der Patient gar keine Schizophrenie hat. Dies kann zu erheblichen Adhärenzproblemen führen.
>>Daher sollte der Begriff „Antipsychotika“ nicht mehr verwendet werden, sondern durch die mechanistisch oder chemisch definierte Arzneistoffgruppe ersetzt werden.
Genetische Faktoren, soziokulturelle Faktoren, hormonelle Faktoren, anatomische Veränderungen, Infektionen, immunologische Faktoren, prä- und perinatale Faktoren, toxische Faktoren Gute Balance zwischen Stressoren und Vulnerabilität Psychische Gesundheit Viele p-mGPCRAntagonisten
Diathese-StressModell Erhöhte Aktivität diverser GPCR: • D2R
Drogenentzug
Schlechte Balance zwischen Stressoren und Vulnerabilität
CB1R-Agonisten, Alkohol, Halluzinogene, Methamphetamin
D2R-Agonisten, Levodopa
Halluzinationen
D2R-mGPCR-Antagonisten Standardtherapie
• 5-HT2AR
EPMS
Clozapin LSD: Halluzinationen Arzneistoff-spezifische UAW: • Herz-Kreislauf • EPMS • Metabolisches Syndrom
D2R-mGPCRAntagonisten
• Biperiden (außer Spätdyskinesie) • Dosisreduktion • p-mGPCRAntagonisten
Suizidalität • Wenig EPMS • Metabolisches Syndrom • Agranulozytose
Schizophrenie
Positivsymptome
Negativsymptome
G-CSF
p-mGPCRAntagonisten
Viele mGPCR-Antagoisten : H1R -Antagonis mus, MxR -Antagonis mus, α1AR-Antagonismus Therapieprobleme: Adhärenz, Nikotinabusus (CYP-Induktion): → TDM, Dosisanpassung, ggf. Depotpräparate
.. Abb. 29.1 Pathophysiologie der Schizophrenie: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Der H1R-Antagonismus vieler mGPCR-Antagonisten kann erwünscht (Dämpfung bei Erregungszuständen) oder unerwünscht
sein (Tagessedation, Schläfrigkeit, Gewichtszunahme). Ebenso kann der MxR-Antagonismus erwünscht (weniger EPMS) oder unerwünscht sein (antimuskarinerges Syndrom)
Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
404
gesdosis des D2R-mGPCR-Antagonisten (. Abb. 29.2a). D2R-mGPCR-Antagonisten verdrängen DA vom D2R und verhindern als Antagonisten die Rezeptoraktivierung (. Abb. 29.2b). Für einen antipsychotischen Effekt müssen ca. 80 % aller D2R mit einem D2R-mGPCR-Antagonisten besetzt sein. Die maximal mögliche antipsychotische Wirkung ist bei allen D2R-mGPCR- Antagonisten vergleichbar. Die Dopaminhypothese wird auch dadurch gestützt, dass Levodopa und D2R-Agonisten Halluzinationen auslösen können (7 Kap. 8). . Tab. 29.1 gibt eine Zusammenfassung über ausgewählte mGPCR-Antagonisten. Der Buchstabe „m“ steht für „multiple“ und bezeichnet die Tatsache, dass diese Arzneistoffe an multiplen GPCR antagonistisch wirken. Der Begriff mGPCR-Antagonisten ist ein Ü berbegriff für die schon eingeführten D2R-mGPCR-Antagonisten, die mit hoher Potenz den D2R antagonisieren, und die p-mGPCR-Antagonisten. Letztere Arzneistoffe antagonisieren zwar auch multiple GPCR, besitzen aber keine Präferenz für den D2R. Der Buchstabe „p“ steht für „pleiotropes Rezeptor-Profil sowie pleiotrope therapeutische Wirkungen und pleiotrope Indikationen sowie pleiotrope UAW“.
Für die Pharmakotherapie der Schizophrenie ist eine Unterscheidung in Positiv-(oder Plus)symptome und Negativ-(oder Minus)symptome wichtig. Zu den häufig eindrucksvollen Positivsymptomen gehören vor allem akustische Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Gedankenentzug, Gedankeneingebung, Gedankenabreißen sowie desorganisierte Sprechweise. Zu den weniger eindrucksvollen, aber prognostisch bedeutsameren und therapeutisch weniger gut zugänglichen Negativsymptomen gehören Affektverflachung, Apathie, Interessenverlust, sozialer Rückzug, Willensverlust und Anhedonie. Bei einer Schizophrenie liegt eine Überaktivität dopaminerger Neurone im mesolimbischen System vor (7 Kap. 8). Diese Überaktivität betrifft insbesondere den D2R. Dementsprechend sind D2R-mGPCR- Antagonisten antipsychotisch wirksam. Die Dopaminhypothese der Schizophrenie wird durch pharmakologische Befunde untermauert: Es besteht eine lineare Korrelation zwischen der antipsychotisch wirksamen Tagesdosis von D2R-mGPCR-Antagonisten und ihrer D2R-Potenz. Je höher die D2R- Potenz, desto niedriger ist die notwendige antipsychotisch wirksame Ta-
a
10–7 niederpotent 10–8 10
–9
hochpotent 10–10
Kompetition mit Dopamin um Bindung an D2R (%)
29
Potenz (Affinität) am D2R (moll/l)
0
ca. 80 % aller D2R müssen für eine antipsychotische Wirkung blockiert sein
50
80
100
1 10 100 1000 Antipsychotische Tagesdosis (mg) D2R-mGPCR-Antagonist
.. Abb. 29.2 a, b DA-Hypothese der Schizophre nie. a Korrelation der antipsychotischen Tagesdosis mit der D2R-Potenz von D2R-mGPCR-Antagonis-
b
∞
–10 –9 –8 –7 log Konzentration (mol/l) D2R-mGPCR-Antagonist
–6
ten. b Inhibitionskurven für verschiedene D2RmGPCR-Antagonisten am D2R. Siehe auch . Abb. 1.4
Arzneistoffgruppe
D2R-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist
Clozapin
Melperon
Olanzapin
p-mGPCR-Antagonisten
Haloperidol
D2R-mGPCR-Antagonisten
Arzneistoff
Zusätzlich zu p-mGPCR-Antagonismus 5-HT3R-Antagonismus (Ligand-gesteuerter Ionenkanal); antipsychotische und antiemetische Wirkung
Stark ausgeprägte Sedation
Antipsychotische Wirkung auf Positiv- und Negativsymptome, in klinischen Studien nachgewiesene Verringerung des Suizidrisikos
Hochpotenter D2R-Antagonist und Antagonist an verschiedenen anderen GPCR (. Tab. 29.2); starke antipsychotische Wirkung, vor allem auf Positiv-Symptome; motorische Dämpfung; aber keine eigentliche Sedation, schmerzmodulierende Wirkung. Wirkung setzt rasch ein.
Wichtige Wirkungen
.. Tab. 29.1 Übersicht über ausgewählte mGPCR-Antagonisten
Schizophrenie, bipolare Erkrankung, obsessiv-kompulsive Erkrankungen, Chemotherapie-induziertes Erbrechen, therapieresistente Depression
Schlafstörungen, Verwirrung, Delirium, besonders bei gerontopsychiatrischen Patienten
Schizophrenie mit ausgeprägten Negativsymptomen; Suizidalität
Akute und chronische Psychosen, insbesondere Schizophrenie und akute Manie; chronische Schmerzen, insbesondere Tumorschmerzen; Zytostatika-induziertes Erbrechen; kontraindiziert zur „Sedation“ bei Erregungszuständen bei Demenz, da keine relevante sedierende Wirkkomponente (H1R-Antagonismus) vorhanden
Wichtige Indikationen
Sedation, metabolisches Syndrom, orthostatische Dysregulation, EPMS, geringes Agranulozytoserisiko, Gewichtszunahme
Sedation, antimuskarinerges Syndrom, EPMS in hohen Dosierungen
Antimuskarinerges Syndrom, Sedation, orthostatische Dysregulation, nur sehr geringes EPMS-Risiko, metabolisches Syndrom, Agranulozytose, Krampfanfälle, Gewichtszunahme
Starke orthostatische Dysregulation, nur schwaches antimuskarinerges Syndrom, hohes Risiko für EPMS, Hyperprolaktinämie mit Galaktorrhoe, QT-Zeit-Verlängerungen und TdP
Wichtige UAW
405
(Fortsetzung)
7 Kap. 6, 7, 8, 19, 22, 28, 31
7 Kap. 5, 8
7 Kap. 4, 5, 7, 13, 19, 22, 25
7 Kap. 4, 5, 8, 10, 13, 17, 27, 30
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
29.1 · Pathophysiologische Grundlagen der Schizophrenie und …
29
p-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist
p-mGPCR- Antagonist; zusätzlich Hemmung der NE-Wiederaufnahme
p-mGPCR- Antagonist
Opipramol
Pipamperon
Promethazin
Quetiapin
Risperidon
Antipsychotische Wirkung; schmerzmodulierende Wirkung
Antipsychotische Wirkung, Sedation durch H1R-Antagonismus
Vorwiegend H1R-Antagonismus, daher starke Sedation; auch 5-HT2AR- und MxR-Antagonismus
Vorwiegend 5-HT2AR- und D4R-Antagonismus, gute Sedation
Vorwiegend Antagonismus an 5-HT2AR, D2R, H1R und MxR; Stimmungsaufhellung, Anxiolyse
Wichtige Wirkungen
Chronische Schizophrenie und schizoaffektive Psychosen, bipolare psychose, obsessiv-kompulsive Störungen, chronische Schmerzen, Autismus
Schizophrenie, bipolare Erkrankung, obsessiv-kompulsive Störungen, Angststörungen, Tourette-Syndrom, Depression
Sedation bei Schlafstörungen und Angststörungen, präoperative Sedation, Hyperemesis gravidarum, Kinetose, Unruhe und Erregungszustände bei psychiatrischen Erkrankungen
Schlafstörungen, Erregungszustände und Aggressivität; sehr wertvoll in Jugend- und Gerontopsychiatrie
Angststörungen, Depression
Wichtige Indikationen
Sedation, orthostatische Dysregulation, EPMS
Sedation, Ödeme, Hypotonie, Obstipation, RestlessLegs-Syndrom, QT-ZeitVerlängerung, SJS, antimuskarinerges Syndrom, EPMS
Sedation, antimuskarinerges Syndrom
Insgesamt gute Verträglichkeit und wenig UAW, in hohen Dosierungen EPMS, TdP
Sedation, antimuskarinerges Syndrom
Wichtige UAW
7 Kap. 5, 10
7 Kap. 3, 5, 17, 28
7 Kap. 5, 7
7 Kap. 6, 8
7 Kap. 28
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
Unbedingt beachten: Auch „atypische Antipsychotika“ (p-mGPCR-Antagonisten) können EPMS verursachen. „Antipsychotika“ (mGPCR-Antagonisten) haben vielfältige Einsatzgebiete, die über die klassische Indikation „Psychose“ (Schizophrenie) weit hinausgehen. Haloperidol ist der einzige D2R-mGPCRAntagonist der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
Arzneistoffgruppe
29
Arzneistoff
.. Tab. 29.1 (Fortsetzung)
406 Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
29
407 29.2 · D2R-mGPCR-Antagonisten
Schizophrenie, während Negativsymptom- Kontrolle eher durch p-mGPCR-Antagonisten gelingt. mGPCR-Antagonisten machen nicht abhängig und induzieren keine GewöhDie Verschreibung von mGPCR-Antagonung. Dies ist ein wichtiger, aber nicht hinnisten gehört wegen der komplexen Wirkunreichend bekannter Punkt, der gegenüber gen und UAW in die Hände des Psychiaters, Patienten und Angehörigen kommuniziert wobei wegen UAW auf das Herz-Kreislauf- werden muss. System und den Stoffwechsel eine enge Zusammenarbeit mit dem Internisten erforder- >>Unter dem unscharfen Oberbegriff lich ist. „Psychopharmaka“ werden in weiten Tei-
>> Die fehlende Selektivität der mGPCR- Antagonisten ist nicht nachteilig, sondern es ergeben sich arzneistoffspezifische Wirkprofile, die unterschiedlich genutzt werden.
>> Traditionell wurden die Antpsychotika in die „typischen (oder klassischen) Antipsychotika“ (mit hohem EPMS-Risiko) und die „atypischen Antipsychotika“ (vermeintlich ohne EPMS-Risiko) unterteilt.
Diese vor allem durch Marketing-Interessen der Pharmaindustrie und weniger durch wissenschaftliche Daten getriebene Zweiteilung hat sich jedoch als unhaltbar herausgestellt und sollte daher fallengelassen werden. Die obsolete Klassifikation der „Antipsychotika“ führt nur dazu, dass der Arzt bei einem mit einem „atypischen Antipsychotikum“ behandelten Patienten schwere EPMS übersieht und sich in falscher Sicherheit wiegt. Alle mGPCR-Antagonisten werden wegen ihrer Lipophilie nach p.o.-Gabe gut resorbiert. Sie haben eine hohe Plasmaeiweißbindung und ein großes Verteilungsvolumen. Bei Intoxikationen sind sie nicht dialysierbar (7 Kap. 4). mGPCR-Antagonisten haben in der Regel eine lange Plasma-HWZ und werden extensiv hepatisch metabolisiert. Die Metaboliten werden renal eliminiert. mGPCR-Antagonisten werden in Teilen der Gesellschaft noch immer als chemische Zwangsjacke diskreditiert. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Nehmen Patienten mit Schizophrenie mGPCR-Antagonisten unter enger psychiatrischer Kontrolle und TDM ein, werden die Psychosesymptome zumindest teilweise kontrolliert. Dies ermöglicht vielen Patienten ein halbwegs normales Leben außerhalb geschlossener psychiatrischer Kliniken. D2R-mGPCR-Antagonisten kontrollieren häufig gut Positivsymptome der
len der Gesellschaft die Abhängigkeit induzierenden Benzodiazepine (7 Kap. 25) mit den nicht Abhängigkeit induzierenden NE/5-HT-Verstärkern (7 Kap. 28) und mGPCR-Antagonisten subsummiert. Es wird fälschlicherweise angenommen, dass die drei Arzneistoffgruppen ähnliche Wirkprofile hätten und alle abhängig machen.
Daher sollte der Begriff „Psychopharmaka“ nicht mehr verwendet werden. Wegen der fehlenden Gewöhnung ist daher bei Dauertherapie meist keine Dosiserhöhung der mGPCR-Antagonisten erforderlich. Die Wirkung der mGPCR- Antagonisten tritt rasch ein. >> Der rasche Wirkungseintritt der mGPCR- Antagonisten stellt einen therapeutischen Vorteil im Vergleich zu den NE/5-HT-Verstärkern dar. Dies ist ein Grund für die Indikationserweiterung der mGPCR-Antagonisten.
Die Dosisanpassung der mGPCR-Antagonisten erfolgt nach dem klinischen Bild; das Absetzen einer Therapie erfolgt ausschleichend. Bei problematischer Adhärenz der Patienten können von einigen mGPCR-Antagonisten i.m.-Depotpräparate angewendet werden (7 Kap. 2).
29.2 D2R-mGPCR-Antagonisten
D2R-mGPCR-Antagonisten sind der Goldstandard für die Schizophreniebehandlung. Sie beeinflussen vor allem die Positivsymptome, weniger die Negativsymptome. Von be-
408
Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
sonderem Vorteil ist, dass ihre Wirkungen und Risiken durch jahrzehntelange Anwendung sehr gut bekannt sind. Außerdem sind für diese Arzneistoffgruppe preiswerte Generika verfügbar. Je nach D2R-Potenz und Tagesdosis unterscheidet man zwischen niederpotenten, mittelpotenten und hochpotenten D2R-mGPCR-Antagonisten (. Abb. 29.2). Haloperidol ist der Prototyp eines hochpotenten D2R-mGPCR-Antagonisten. Gemeinsames Merkmal der D2R-mGPCR- Antagonisten ist, dass sie ihre therapeutischen Wirkungen im Wesentlichen über D2R-Antagonismus vermitteln (. Tab. 29.2), der auch für die EPMS verantwortlich ist. Diese Störungen werden in frühe (Frühdyskinesie und Parkinsonoid) EPMS sowie späte EPMS (Akathisie und Spätdyskinesie) eingeteilt (. Tab. 29.3). EPMS sind sehr häufig. Bis zu 30 % aller Patienten sind betroffen und insbesondere die Spätdyskinesien sind therapeutisch undankbar. Mit dem MxR-Antagonisten Biperiden können alle EPMS außer der Spätdyskinesie gelindert werden (7 Kap. 8). Haloperidol bewirkt wegen sehr niedriger H1R-Potenz keine klinisch relevante Sedation. Seine ebenfalls geringe MxR-Potenz korreliert mit geringem Risiko für ein antimuskarinerges Syndrom, dafür ist aber auch das EPMS-Risiko sehr hoch. Eine weitere Folge des potenten D2R-Antagonismus von Haloperidol ist eine Hyperprolaktinämie, die nicht nur bei der Frau, sondern auch beim Mann zu Galaktorrhoe führen und die Adhärenz erheblich beeinträchtigen kann (7 Kap. 8). Hingegen ist die antiemetische Wirkung des D2R-Antagonismus bei mit Zytostatika behandelten Patienten therapeutisch nutzbar (7 Kap. 6 und 31).
29
dann gravierende UAW wie EPMS oder TdP zur Folge hat. Um einen Wirkungseintritt innerhalb von Minuten zu erzielen, sollte Haloperidol in Tropfenform p.o. eingenommen werden. Zur Dauertherapie sind Tabletten geeignet. Die i.v.-Gabe von Haloperidol kann zu lebensgefährlichen Arrhythmien vom TdPTyp (7 Kap. 17) führen und ist extremen Notfallsituationen (z. B. schwerste akute Manie oder Schizophrenie) vorbehalten. Die Injektion von Haloperidol ist gefährlich und muss daher langsam und unter EKG- Kontrolle erfolgen. Zur Prävention von Herzrhythmusstörungen unter Haloperidol müssen Patienten deshalb regelmäßig kardiologisch kontrolliert werden. Im EKG ist vor allem auf Verlängerungen des QT- Intervalls zu achten. Ein gemeinsames Merkmal der D2R- mGPCR- Antagonisten ist ihr α1AR- Antagonismus (. Tab. 29.2). Aus dieser Wirkung ergeben sich keine nutzbaren Effekte, sondern ausschließlich UAW: Es kommt zu orthostatischer Hypotonie mit reflektorischer Tachykardie. Gerade bei Patienten, die unter EPMS leiden, und generell bei älteren Patienten können unter einer Therapie mit D2R-mGPCR-Antagonisten Stürze und schwere Verletzungen auftreten. Haloperidol sediert nicht, da es keinen klinisch relevanten H1R-Antagonismus besitzt. Es kommt eher zu akuten EPMS, die als „Sedation“ fehlinterpretiert werden.
>>Haloperidol wird noch immer viel zur häufig und unkritisch zur „Sedation“ erregter und verwirrter Menschen in Seniorenheimen eingesetzt.
>>Haloperidol führt zu einer Abkopplung des Patienten von seinen Halluzinationen und Gleichgültigkeit.
Diese Wirkungen dürfen keinesfalls mit einer Sedation verwechselt werden, was in der Praxis leider noch allzu häufig geschieht und
29.3 p -mGPCR-Antagonisten
Die Wirkprofile der einzelnen p-mGPCR- Antagonisten sind komplexer als die der D2R-mGPCR-Antagonisten, und erstere Arzneistoffgruppe wirkt stärker auf die Negativsymptome bei der Schizophrenie.
409 29.3 · p-mGPCR-Antagonisten
29
.. Tab. 29.2 Vergleich der Wirkprofile ausgewählter mGPCR-Antagonisten Arzneistoff
D2R: antipsychotische Wirkung und EPMS
5-HT2AR: antipsychotische Wirkung, Gewichtszunahme
α1AR: Orthostase, Tachykardie
H1R: Sedation, Gewichtszunahme
MxR: antimuskarinerges Syndrom und EPMS-Schutz
Clozapin
Niedrige Potenz
Hohe Potenz
Hohe Potenz
Sehr hohe Potenz
Mittelhohe Potenz
Haloperidol
Hohe Potenz
Sehr niedrige Potenz
Mittelhohe Potenz
Sehr niedrige Potenz
Sehr niedrige Potenz
Pipamperon
Sehr niedrige Potenz
Sehr hohe Potenz
Sehr niedrige Potenz
Sehr niedrige Potenz
Sehr niedrige Potenz
Quetiapin
Niedrige Potenz
Niedrige Potenz
Hohe Potenz
Sehr hohe Potenz
Sehr niedrige Potenz
Siehe auch . Abb. 28.3: Je höher die Potenz, desto stärker ist die Konzentrations-Wirkungs-Kurve nach links verschoben!
.. Tab. 29.3 EPMS durch D2R-mGPCR-Antagonisten (Haloperidol) Parameter
Frühdyskinesie
Parkinsonoid
Akathisie
Spätdyskinesie
Zeitpunkt des Auftretens nach Therapiebeginn
1.–5. Tag
5.–30. Tag
Monate bis Jahre
Monate bis Jahre, auch nach dem Absetzen
Häufigkeit
10–30 %
15–20 %
20 %
20 %
Symptome
Hyperkinesie der mimischen Muskulatur, Torticollis, Blickkrämpfe
Rigor, Akinese, Angst, Reizbarkeit
Sitz- und Stehunruhe
Hyperkinetische Dauersymptome (Choreoathetosen), Kau-, Schmatz- und Saugbewegungen
Therapie
MxR- Antagonist Biperiden
MxR-Antagonist Biperiden, Dosisreduktion, Umstellung auf p-mGPCR- Antagonisten
MxR-Antagonist Biperiden, Dosisreduktion, Umstellung auf p-mGPCR- Antagonisten
Umstellung auf Clozapin, insgesamt sehr schwer zu behandeln; Prävention wichtiger als Therapie
>>Jeder Arzneistoff aus der Gruppe der p-mGPCR-Antagonisten besitzt ein für ihn spezifisches GPCR-Profil und muss daher als Einzelarzneistoff betrachtet werden.
Verallgemeinerungen sind nur bedingt möglich. Dazu ist die Gruppe zu heterogen. Dies ist in . Tab. 29.2 für Clozapin, Pipamperon und Quetiapin exemplarisch dargestellt. Aus diesen Wirkprofilen lassen sich Indikationen
410
29
Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
und UAW teilweise ableiten, wobei die Zuordnung hier nicht so eindeutig ist wie bei den D2R-mGPCR-Antagonisten. Auch die Studienlage zur klinischen Wirksamkeit von p-mGPCR-Antagonisten bei den unterschiedlichsten Indikationen ist sehr unübersichtlich und heterogen. Das hat auch zur Folge, dass der Einsatz der p-mGPCR- Antagonisten in ganz erheblichem Ausmaß Empirie-gesteuert ist und auf individueller Erfahrung des Psychiaters mit dem jeweiligen Arzneistoff beruht. Es gibt immer wieder eher durch geschicktes Firmen- Marketing getriebene als durch gut validierte klinische Studien untermauerte „Verordnungs-Moden“ für den einen oder anderen p-mGPCR-Antagonisten. Dies spiegelt sich in sich rasch ändernden Verordnungszahlen und unterschiedlichen Verschreibungsgewohnheiten in verschiedenen Ländern wider. Die antipsychotischen Wirkungen der p-mGPCR-Antagonisten kommt bei den meisten Arzneistoffen (Beispiel Clozapin und Pipamperon in . Tab. 29.2) über einen 5-HT2AR-Antagonismus zustande. Bei einigen Arzneistoffen spielt auch der D2R- Antagonismus bei der antipsychotischen Wirkung der p-mGPCR-Antagonisten eine Rolle (Beispiel Quetiapin in . Tab. 29.2).
lischen Syndroms aufgeklärt und zu gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung angehalten werden. Das ist jedoch in der Realität wegen der psychischen Grunderkrankung häufig schwierig, zumal viele Patienten mit Schizophrenie rauchen und damit ihre körperliche Leistungsfähigkeit weiter reduzieren. Hypertonie, Diabetes und LDL- Hypercholesterinämie bei Patienten unter p-mGPCR-Antagonisten müssen behandelt werden, wobei das Risiko von Arzneistoffinteraktionen durch die erforderliche Polypharmazie steigt (7 Kap. 2). Unter den p-mGPCR-Antagonisten ist das EPMS-Risiko für Clozapin am niedrigsten. Das liegt an der niedrigen antagonistischen Potenz des Arzneistoffs für den D2R und der vergleichsweise hohen antagonistischen Potenz für MxR (. Tab. 29.2). Für Pipamperon ist das EPMS-Risiko auch gering; hier ist die sehr niedrige antagonistische D2R-Potenz entscheidend. Aber es gibt auch p-mGPCR-Antagonisten, die ein signifikantes EPMS-Risiko besitzen. Dazu gehört Quetiapin, welches eine in Relation zur niedrigen antagonistischen D2R-Potenz noch niedrigere antagonistische MxR-Potenz besitzt. Damit wird das Gleichgewicht im extrapyramidalen System in Richtung EPMS verschoben (7 Kap. 8).
>>Die Bedeutung des 5-HT2AR-Antagonismus für die antipsychotische Wirkung der p-mGPCR- Antagonisten wird dadurch unterstützt, dass 5-HT2AR-Agonisten wie das Halluzinogen LSD und das Pilzgift Psilocybin Schizophrenie-ähnliche Symptome auslösen.
>>Es ist wichtig, ein p-mGPCR-Antagonisten-TDM bei Patienten unter Therapie mit multiplen Arzneistoffen durchzuführen.
Eine vielen p-mGPCR-Antagonisten gemeinsame UAW ist das metabolisches Syndrom, d. h. die Kombination aus Adipositas, Diabetes, LDL- Hypercholesterinämie und Hypertonie (7 Kap. 15, 19 und 22). Es kommt durch erhöhten Appetit zustande und ist auf H1R- und 5-HT2AR-Antagonismus (7 Kap. 6 und 7) zurückzuführen. Mit p-mGPCR- Antagonisten behandelte Patienten müssen über die Gefahr eines metabo
Clozapin ist der wichtigste und wirksamste p-mGPCR-Antagonist. Die niedrige D2R-antagonistische und mittelhohe MxR- antagonistische Potenz halten das EPMS- Risiko sehr niedrig. Der hochpotente 5-HT2AR-Antagonismus von Clozapin ist für seine antipsychotische Wirkung entscheidend. Clozapin verringert die Suizidalität und Mortalität bei Schizophrenie. Dies ist bislang für keinen anderen p-mGPCR-Antagonisten so klar herausgearbeitet worden. Clozapin hat auch eine gute Wirkung auf die Negativsymptomatik der Schizophrenie. Über den potenten H1R-Antagonismus wirkt Clozapin
411 29.3 · p-mGPCR-Antagonisten
29
Olanzapin, Quetiapin und Risperidon sind ebenfalls häufig eingesetzte p-mGPCR- Antagonisten. Olanzapin ist außerdem ein 5-HT3R-Antagonist und wird deshalb auch >>Von allen mGPCR-Antagonisten antagobeim Chemotherapie-induzierten Erbrechen nisiert Clozapin unter klinischen Bedineingesetzt (7 Kap. 6). Insgesamt ist jedoch gungen die größte Anzahl an GPCR. die Anwendung von Olanzapin mit zahlreiClozapin ist der Goldstandard bei Suizi chen UAW einschließlich EPMS und starker dalität und Negativsymptomatik. Gewichtszunahme eingeschränkt und seine Clozapin antagonisiert in therapeutischen klinische Überlegenheit gegenüber den Konzentrationen alle DxR, 5-HT2AR, H1R, D2R-mGPCR-Antagonisten ist nicht nachMxR und αxAR. Offenbar ist die fehlende gewiesen. Selektivität von Clozapin für einen beBei Quetiapin spielen sowohl der D2R- stimmten Rezeptor-Subtyp für seine hohe Antagonismus als auch der 5-HT2AR- und bislang unübertroffene klinische Wirk- Antagonismus für die antipsychotische samkeit bedeutsam. Wirkung eine Rolle. Über den H1R-AntagoEin Vorteil von Clozapin ist, dass es seit nismus wirkt Quetiapin stark sedierend; das Jahrzehnten in die Therapie eingeführt und EPMS-Risiko von Quetiapin ist wegen der daher als preiswertes Generikum verfügbar sehr niedrigen MxR-Potenz signifikant ist. Wegen der langen Erfahrung mit Cloza- (. Tab. 29.2). Außer bei der Schizophrenie pin sind auch die UAW-Risiken gut bekannt. wird Quetiapin bei therapierefraktärer DeDies ist bei neueren p-mGPCR-Antagonis- pression eingesetzt (7 Kap. 28). ten nicht immer der Fall. Bei Risperidon spielt ein dualer AntagoEine arzneistoffspezifische UAW von nismus an D2R und 5-HT2AR eine Rolle für Clozapin ist eine Agranulozytose, die dosis- seine antipsychotische Wirkung. Es hat abhängig bei 1–2 % der Patienten auftritt. keine bessere Wirksamkeit bei Schizo Daher muss unter Clozapintherapie in den phrenie als die D2R-mGPCR-Antagonisten. ersten 18 Wochen ein wöchentliches Blutbild Risperidon wird auch bei Tumorpatienten erstellt werden. Bei einer Granulozytenkon- als schmerzmodulierender Arzneistoff einzentration < 1.500/μl muss Clozapin abge- gesetzt (7 Kap. 10). setzt und gegen einen anderen p-mGPCR- Pipamperon besitzt insgesamt wegen seiAntagonisten ausgetauscht werden. Die ner geringen antagonistischen Potenz an Agranulozytose kann mit G-CSF behandelt D2R, α1AR, H1R und MxR eine recht gute werden (7 Kap. 4 und 31). Sie ist der Haupt- Verträglichkeit und relativ wenig UAW. Es grund dafür, dass Clozapin trotz der sehr gu- ist bei Schlafstörungen, Erregungszustänten antipsychotischen Wirkung von der den und Aggressivität wirksam. Für diese pharmazeutischen Industrie häufig als (zu) Anwendungen ist Pipamperon sehr viel besgefährlich diskreditiert wird und die Ver- ser geeignet als der D2R-mGPCR-Antagoschreibung anderer (weniger wirksamer, aber nist Haloperidol. teurerer) p-mGPCR-Antagonisten empfoh>>Wegen seines insgesamt günstigen Wirklen wird. Die Clozapin-Therapie ist ein klasprofils eignet sich Pipamperon viel besser sischer Fall, in dem eine gute interdisziplinäre als Haloperidol für den Einsatz in der Zusammenarbeit zwischen Psychiater und Jugend- und G erontopsychiatrie. Hausarzt gefragt ist. Opipramol ist strukturell mit den NSMRI >>Durch regelmäßige Blutbildkontrollen (7 Kap. 28) verwandt, hemmt jedoch nur mit lässt sich das Agranulozytoserisiko unter sehr geringer Potenz die NE- und 5-HT-WieClozapin minimieren. deraufnahme. Stattdessen steht der Antagosedierend und appetitsteigernd; über den α1AR-Antagonismus ist orthostatische Dysregulation möglich.
412
Kapitel 29 · Arzneistoffe zur Behandlung der Schizophrenie
nismus an DxR, 5-HT2AR, H1R und MxR im Vordergrund. Opipramol besitzt eine stimmungsaufhellende und anxiolytische Wirkung, weshalb es vor allem bei Angststörungen und Depressionen eingesetzt wird. Promethazin könnte wegen seiner hohen antagonistischen Potenz am H1R auch als H1R-Antagonist der 1. Generation klassifiziert werden (7 Kap. 7). Darüber hinaus besitzt Promethazin antagonistische Potenz am 5-HT2AR und an MxR. Wegen der 5-HT2AR-Potenz wird Promethazin aber dann doch als p-mGPCR-Antagonist klassifiziert. Promethazin besitzt stark sedierende Wirkung. Diese kann bei Angstzuständen sowie bei Unruhe und Erregungszuständen bei psychiatrischen Patienten genutzt werden. Für diese Anwendungen ist Promethazin ähnlich wie Pipamperon sehr viel besser geeignet als Haloperidol. Historisch gesehen ist Promethazin wegen seiner pleiotropen Wirkungen und Indikationen besonders vielen unterschiedlichen Arzneistoffgruppen zugeordnet worden, was zu erheblicher Verwirrung geführt hat.
29
>> Am besten wird Promethazin als p-mGPCR- Antagonist klassifiziert.
Melperon besitz eine hohe antagonistische Potenz am D3R, gefolgt von α2AR- und D2R-Antagonismus. Es zeigt eine ausgeprägte sedative Wirkung, die in der Gerontopsychiatrie bei Schlafstörungen, Verwirrungszuständen und Delirium genutzt wird. Das Risiko für EPMS ist wegen der geringen D2R-antagonistischen Potenz dementsprechend auch nur gering. 29.4 Einsatz vom mGPCR-
Antagonisten bei anderen Indikationen
mGPCR-Antagonisten werden bereits seit vielen Jahren für Indikationen jenseits der Schizophrenie eingesetzt. Die Therapie der akuten Manie mit D2R-mGPCR-Antagonisten ist sehr gut etabliert (7 Kap. 28). Diese Arznei
stoffe werden ebenso mit unterschiedlichem Erfolg in der Behandlung von Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen sowie obsessiv-kompulsiven Störungen eingesetzt. In nicht-psychotischen Patienten führen mGPCR-Antagonisten zu einer emotionalen Entkopplung von der aktuellen Lebenssituation, d. h. die Patienten entwickeln eine gewisse Indifferenz. Beispielsweise werden starke Schmerzen als weniger belastend empfunden. Diese Wirkung der mGPCR- Antagonisten nutzt man in der Schmerztherapie von Tumorpatienten. Die Entkopplung der Patienten von der Schmerzempfindung wird auch in der Neuroleptanalgesie genutzt (7 Kap. 27). Diese Narkoseform wird häufig in der Neurochi rurgie angewendet. Dort ist es oft notwendig, mit dem Patienten zu kommunizieren, um die Verletzung kritischer neuronaler Strukturen zu vermeiden oder um intrazerebrale Elektroden richtig zu platzieren. Außerdem besitzen D2R-mGPCR-Antago nisten eine potente antiemetische Wirkung, die in der Tumortherapie mit klassischen Zytostatika ausgenutzt wird (7 Kap. 6). Der unerwartete Befund, dass der mit den NSMRI strukturell verwandte mGPCR- Antagonist Trimipramin (nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste) antidepressive Wirkungen zeigte (7 Kap. 28), veranlasste Psychiater dazu, mGPCR-Antagonisten auf einer Trial-and-Error- und off-label-Basis für ganz unterschiedliche Indikationen auszuprobieren. Die Gruppe der derzeit verwendeten p-mGPCR-Antagonisten ist pharmakologisch sehr heterogen und umfangreich und umfasst mindestens 20 Arzneistoffe. Dies erklärt auch die Tatsache, dass die Literatur über die Wirksamkeit dieser Arzneistoffe bei den unterschiedlichsten psychiatrischen Indikationen sehr unübersichtlich ist. Es ist derzeit nicht möglich, eine abschließende Beurteilung darüber abzugeben, welchen Stellenwert p-mGPCR-Antagonisten bei nicht- traditionellen psychiatrischen Indikationen spielen.
413 29.5 · Pharmakotherapie der Schizophrenie mit NE/5-HT-Verstärkern, Lithium …
>>p-mGPCR-Antagonisten werden mit unterschiedlichem Erfolg bei der bipolaren Störung, Depression, Angststörungen, Tourette-Syndrom, chronischen Schmerzzuständen, Autismus sowie obsessiv-kompulsiven Störungen eingesetzt.
Klinisch besitzen diese Störungen gewisse Gemeinsamkeiten mit der Schizophrenie. Der zumindest partielle Erfolg der p-mGPCR-Antagonisten bei diesen Erkrankungen spricht auch für pathophysiologische Gemeinsamkeiten. Es ist davon auszugehen, dass die Indikationen der p-m GPCRAntagonisten in den kommenden Jahren stark erweitert werden, sei es mit Zulassung oder als off-label-Anwendung.
GPCR-Antagonismus“ (so ähnlich wie mit Clozapin alleine, aber ohne Agranulozytose) zu erzielen. Dies ist eine fragwürdige Praxis.
Die klinischen Ergebnisse von Studien mit verschiedenen Kombinationen von mGPCR-Antagonisten sind heterogen, aber in einigen Patienten konnten Verbesserungen erreicht werden. Wie bereits in 7 Kap. 28 dargestellt wurde, ist die Kombination von NE/5-HT-Verstärkern mit mGPCR-Antagonisten rational nicht nachvollziehbar, da sich die Wirkungen dieser beiden Arzneistoffgruppen zumindest teilweise wieder aufheben.
Fallbeispiel
29.5 Pharmakotherapie der
Schizophrenie mit NE/5-HTVerstärkern, Lithium sowie SCB und CCB
Wie in 7 Abschn. 29.1 dargestellt wurde, wird die Pathophysiologie der Schizophrenie bislang nur unvollständig verstanden. In 7 Abschn. 29.2 und 29.3 wurde diskutiert, dass die klinische Wirksamkeit der mGPCR- Antagonisten variabel ist und dass in etlichen Fällen UAW die Behandlung limitieren. Diese unbefriedigende Situation war der Ausgangspunkt für die Suche nach neuen pharmakotherapeutischen Konzepten. In refraktären Fällen von Schizophrenie ist der Zusatz von Lithium (7 Kap. 28), SCB oder CCB (7 Kap. 27) zu mGPCR- Antagonisten sinnvoll.
>>Oft werden auch mGPCR-Antagonisten mit unterschiedlichen Wirkprofilen miteinander kombiniert, um einen „Pan-
29
Eine 25-jährige Medizinstudentin wird mit Verfolgungswahn, Stimmenhören und verworrener Sprache in die psychiatrische Notaufnahme eingeliefert. Aus der insgesamt nur schwierig zu erhebenden Anamnese ergeben sich keinerlei Hinweise für die Einnahme von Alkohol, den Konsum von Drogen oder die Einnahme von Arzneimitteln.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Welche Probleme können bei einer Dauertherapie mit Haloperidol auftreten? Lösungen 7 Kap. 37
415
Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen Inhaltsverzeichnis 30.1
Pathophysiologie des Glaukoms – 416
30.2
Pharmakotherapie des Glaukoms – 420
30.3
athophysiologie der altersbedingten P Makuladegeneration – 422
30.4
harmakotherapie der altersbedingten P Makuladegeneration – 423
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_30
30
416
30
Kapitel 30 · Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen
Durch den demographischen Wandel nimmt die Prävalenz degenerativer Augenerkrankungen, die Erblindung und damit Einschränkung der Selbstständigkeit zur Folge haben, stetig zu. Zu den wichtigsten Augenerkrankungen, die zur Erblindung führen, gehören das Glaukom und die AMD. Beim primären Offenwinkelglaukom ist der Kammerwasserabfluss in Relation zur Kammerwasserproduktion erniedrigt. Durch eine IOD-Senkung um 30–50 % kann das Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden. Die effektivste Therapie ist die Erhöhung des uveoskleralen Kammerwasserabflusses mit FPR-Agonisten. Bei unzureichender Wirkung können weitere Arzneistoffgruppen eingesetzt werden, die den Kammerwasserabfluss steigern oder die Kammerwasserproduktion hemmen. Bei einer AMD unterscheidet man die häufigere und schleichend verlaufende trockene Form von der weniger häufigeren aber gefährlicheren feuchten Form, bei der es über Freisetzung des Wachstumsfaktors VEGF zu Choroidea-Neovaskularisierung mit anschließenden Blutungen und Vernarbungen kommt. Durch regelmäßige intravitreale Injektion von VEGF-Inhibitoren lässt sich das Fortschreiten der feuchten AMD aufhalten. Allerdings sind die derzeit hohen Therapiekosten problematisch. Für den Therapieerfolg bei Glaukom und AMD ist die Adhärenz entscheidend.
Merksätze 55 FPR-Agonisten erhöhen den trabekulären und uveoskleralen Kammerwasserabfluss. 55 FPR-Agonisten sind die wirksamsten Arzneistoffe zur IOD-Senkung. 55 FPR-Agonisten können eine Irisverfärbung und Wimpernverlängerung hervorrufen. 55 βxAR-Antagonisten hemmen die Kammerwasserproduktion. 55 CAH-Inhibitoren hemmen die Kammerwasserproduktion und können Geschmacksveränderungen und Allergien hervorrufen.
55 α2AR-Agonisten hemmen die Kammerwasserproduktion und verstärken den uveoskleralen Kammerwasserabfluss. 55 Bei unzureichender IOD-Senkung werden verschiedene Arzneistoffgruppen miteinander kombiniert. 55 MxR-Agonisten werden wegen der UAW nur noch bei Engwinkelglaukom eingesetzt. 55 Beim akuten Glaukomanfall finden wasserbindende Arzneistoffe Anwendung. 55 Die Neoangiogenese bei einer feuchten AMD kann durch VEGF-Inhibitoren aufgehalten werden. 55 Die Therapie mit VEGF-Inhibitoren kann zu einem Glaukom, Katarakt und einer Endophthalmitis führen.
30.1 Pathophysiologie des
Glaukoms
Der demographische Wandel hat zur Folge, dass neurodegenerative Erkrankungen immer häufiger werden (7 Kap. 8). Degenerative Erkrankungen, die das Auge b etreffen, führen zu einer großen Einschränkung der Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten, Unfällen und hohen Pflegekosten. Daher ist die Aufrechterhaltung einer guten Sehfunktion für alte Menschen sehr wichtig. Das Glaukom ist die weltweit häufigste Ursache für Erblindung und betrifft in Deutschland ca. eine Million Patienten. Es ist von einer ähnlich hohen Dunkelziffer auszugehen. Die Glaukomprävalenz nimmt mit zunehmendem Alter zu und liegt bei ca. 3,5 % in der Altersgruppe von 40–80 Jahren. Daher hat die Glaukombehandlung hohe Priorität. Beim Glaukom liegt eine Dysbalance zwischen Kammerwasserproduktion und -resorption vor. . Abb. 30.1 zeigt die Pathophysiologie des Glaukoms sowie sich daraus ableitende pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. . Tab. 30.1 fasst ausgewählte Arzneistoffe zur Glaukombehandlung zusammen.
30
417 30.1 · Pathophysiologie des Glaukoms
CAH
CAH -Inhibitoren
Lokal: Dauertherapie
Metallischer Geschmack
Systemisch: Akutes Glaukom
Elektrolyt-, GI-, Herz-Kreislauf-, neurologische Störungen
Paragruppenallergie: Sulfonamide
Kammerwasserproduktion
Mannitol Akutes Glaukom
α2AR-Agonisten
Glaukom Kammerwasserabfluss
Na +/K +-ATPase
α2AR
α2ARAgonisten Sedation Hypotonie
NSMRI Propofol GCR-Agonisten MxR-Antagonisten mGPCR-Antagonisten nAChR-Agonisten
β2AR
β x AR-Antagonisten Bradykardie Hypotonie AV-Block Asthma bronchiale
trabekulär
Pilocarpin (nur Engwinkelglaukom) Augenschmerzen Myopie
uveoskleral
FPR-Agonisten Irreversible Irisverfärbung Wimpernwachstum u. -verfärbung Periokuläre Hautpigmentierung Periokuläre Fettgewebsatrophie → Enophthalmus
.. Abb. 30.1 Pathophysiologie des Glaukoms und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Na+/K+-ATPase, NKA
Der Hauptrisikofaktor für die Glaukomentstehung ist ein erhöhter IOD, der auch den wichtigsten Angriffspunkt für pharmakologische Interventionen darstellt. Der IOD ist abhängig von einer Balance zwischen Kammerwasserproduktion im Corpus ciliaris und der trabekulären Resorption über den Schlemmschen Kanal sowie der uveoskleralen Absorption. Die Kammerflüssigkeit ist für die Aufrechterhaltung der Linsen- und Corneafunktion wichtig. Für die Kammerwasserfunktion sind zwei Enzyme bedeutsam: die CAH, die die Bicarbonatsekretion reguliert; und die NKA, die für die Natriumsekretion verantwortlich und unter stimulierender β2AR- sowie inhibitorischer α2AR-Kontrolle steht. Das Kammerwasser gelangt zwischen Linse und Hinterseite der Iris in die vordere Augenkammer und wird dort trabekulär und uveoskleral resorbiert.
Beim seltenen Engwinkelglaukom sind der Schlemmsche Kanal verengt und der Kammerabfluss mechanisch behindert. Beim sehr häufigen primären Offenwinkelglaukom liegen keine offensichtlichen pathologischen Veränderungen vor, aber dennoch ist der Kammerwasserabfluss in Relation zur weitgehend normalen Kammerwasserproduktion zu niedrig. Als Folge dieser Dysbalance wird der IOD, der normalerweise zwischen 10– 21 mmHg liegt, erhöht. Er kann mittels Tonometrie bestimmt werden. Eine langfristige IOD- Erhöhung führt zur Druckschädigung der Sehnervenpapille, die schließlich exkaviert wird. Fundoskopisch ist diese Exkavation sowie die daraus entstehende Gefäßabknickung sehr gut erkennbar. Initial haben die Patienten keine Beschwerden; es liegen auch keine Schmerzen vor. Mit der Zeit bilden sich immer größere, zunächst periphere Gesichtsfeldaus-
30
α2AR-Agonist
CAH-Inhibitor
FPR-Agonist
Wasserbindender Arzneistoff
Brinzolamid
Latanoprost
Mannitol
Arzneistoffgruppe
Brimonidin
Glaukom
Arzneistoff
Verringerung des intraokulären Drucks durch die Wasserbindung
Verstärkter trabekulärer und uveoskleraler Kammerwasserabfluss; IOD-Senkung um bis zu 40 %
Hemmung der Kammerwasserproduktion; IOD-Senkung um 20–25 %
Hemmung der Kammerwasserproduktion und verstärkter uveoskleraler Kammerwasserabfluss; IOD-Senkung um ca. 25 %
Wichtige Wirkungen
Akuter Glaukomanfall
Offenwinkelglaukom (topisch); Arzneistoff der 1. Wahl
Offenwinkelglaukom (topisch); beim akuten Glaukomanfall wird Acetazolamid systemisch eingesetzt
Offenwinkelglaukom (topisch)
Wichtige Indikationen
Dehydratation, Exsikkose
Lokal: irreversible Irisverfärbung, Wimpernwachstum und verfärbung, periokuläre Hautpigmentierung und Fettgewebsatrophie
Lokal: metallischer Geschmack, Allergisierung (Paragruppenallergie), bei systemischer Gabe von Azetazolamid multiple Organstörungen
Sedation, Hypotonie
Wichtige UAW
7 Kap. 3
7 Kap. 5
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
.. Tab. 30.1 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung des Glaukoms und der feuchten Makuladegeneration (feuchte AMD)
418 Kapitel 30 · Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen
βxAR-Antagonist
Für das Glaukom ist der β2ARAntagonismus relevant. Hemmung der Kammerwasserproduktion; Senkung des IOD um 20–25 %
VEGF-Inhibitor
Ranibizumab
Antikörperfragment, das VEGF bindet. Verhinderung der Neovaskularisation der Choroidea bei feuchter Makuladegeneration
Extrazelluläre VEGFR-Domäne, die VEGF bindet. Verhinderung der Neovaskularisation der Choroidea bei feuchter Makuladegeneration Feuchte Makuladegeneration (intravitreale Injektion)
Feuchte Makuladegeneration (intravitreale Injektion)
Offenwinkelglaukom (topisch)
Glaukom, Katarakt, Endophthalmitis
Glaukom, Katarakt, Endophthalmitis
Bradykardie, Hypotonie, AV-Block, Asthma
7 Kap. 31, 32
7 Kap. 31, 32
7 Kap. 1, 5, 15, 16, 17
Bei allen genannten Arzneistoffen kommt es bei schlechter Adhärenz zu einem Voranschreiten der Erkrankung. Unbedingt beachten, dass Bevacizumab (7 Kap. 31) off-label bei der feuchten Makuladegeneration genauso wirksam ist wie Allibercept und Ranibizumab
VEGF-Inhibitor
Aflibercept
Feuchte Makuladegeneration (feuchte AMD)
Timolol
30.1 · Pathophysiologie des Glaukoms 419
30
420
Kapitel 30 · Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen
fälle, die letztlich auch das zentrale Sehen erfassen und zu Blindheit führen. Sie können mittels Perimetrie erfasst werden. Entscheidend für die Diagnose Glaukom sind die Fundoskopie und Perimetrie. In vielen Fällen liegt ein Glaukom vor, obwohl der IOD noch im Normbereich liegt. Für die Therapie spielt der IOD dennoch eine entscheidende Rolle, weil durch eine effektive IOD-Senkung ein Fortschreiten der Erkrankung selbst beim Vorliegen normaler Ausgangswerte verzögert werden kann. Eine wichtige Ursache für die Glaukomentstehung oder Glaukomverschlimmerung ist die lokale oder systemische Therapie mit GCR-Agonisten (7 Kap. 11), die den Kammerwasserabfluss hemmen. MxR-Antagonisten führen zu Pupillenerweiterung (Mydriasis) (7 Kap. 5). Zur Fundoskopie oder bei chirurgischen Eingriffen am Auge wird die Pupille häufig mit MxR-Antagonisten erweitert (Prototyp Atropin). Dies erfolgt durch lokale Applikation des Arzneistoffs in das Auge. Durch Mydriasis wird der Schlemmsche Kanal verengt und es kann zu einer raschen IOD-Erhöhung kommen.
30
>>Aufgrund der raschen IOD-Erhöhung dürfen MxR-Antagonisten bei Glaukom- Patienten nur vorsichtig und unter enger IOD-Kontrolle angewendet werden.
Darüber hinaus besitzen viele in unterschiedlichen Indikationsgebieten eingesetzte Arzneistoffe eine MxR-antagonistische Wirk komponente. Dazu gehören das in der Therapie des M. Parkinson eingesetzte Biperiden (7 Kap. 8), NSMRI (7 Kap. 28) sowie verschiedene mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 2 und 29). Auch systemisch zur Therapie des AV-Blocks eingesetztes Atropin kann den IOD erhöhen (7 Kap. 5 und 17). Bei Patienten, die mit diesen Arzneistoffgruppen behandelt werden, muss daher regelmäßig der IOD bestimmt werden. In Extremfällen kann der IOD bis zu 80 mmHg ansteigen. Patienten klagen dann
über stärkste Augen- und Kopfschmerzen, massive Sehstörungen sowie Übelkeit und Erbrechen. >>Ein extremer und rascher IOD- Anstieg wird als akuter Glaukomanfall bezeichnet. Hier ist eine sofortige und rasch einsetzende IOD-Senkung erforderlich, um eine Erblindung des Auges zu verhindern.
30.2 Pharmakotherapie des
Glaukoms
Das Fortschreiten eines Glaukoms kann verhindert werden, wenn der IOD um 30–50 % gesenkt wird. Wichtigster pharmakologischer Ansatzpunkt zur Therapie des Offenwinkelglaukoms ist die Steigerung des Kammerwasserabflusses. FPR-Agonisten bewirken eine Erhöhung des Abflusses über das trabekuläre Netzwerk und uveosklerale System. Über diesen Mechanismus lässt sich eine bis zu 40 %ige Senkung des IOD erzielen. Durch die verbesserte Abflussdynamik kann das Auge sehr viel besser IOD-Spitzen puffern, z. B. als Folge von BD-Schwankungen (7 Kap. 15). Zugleich bleibt die für die Augenfunktion bedeutsame Kammerwasserproduktion unbeeinflusst. Da FPR-Agonisten in der Regel gut verträglich sind und nur einmal täglich (abends) angewendet werden müssen, stellt diese Arzneistoffgruppe (Prototyp Latanoprost) den Goldstandard dar. Die Versagerquote der FPR-Agonisten ist gering (>Die wimpernverlängernde Wirkung von FPR-Agonisten wird in „Wimpernseren“ häufig von Frauen als Kosmetik angewendet. Dies sollten sich die Anwenderinnen gut überlegen, denn die möglicherweise auftretende periokuläre Diskoloration sowie ein Enophthalmus sind kosmetisch störend.
Falls mit FPR-Agonisten keine ausreichende IOD-Senkung erreicht werden kann, kommen zusätzlich andere Arzneistoffgruppen zum Einsatz, z. B. βxAR-Antagonisten (Prototyp Timolol). Diese können entweder separat oder in fixen Kombinationen mit FPR-Agonisten angewendet werden, wobei das Ziel ist, die Therapie für den Patienten so unkompliziert wie möglich zu gestalten. βxAR-Antagonisten entfalten ihre Wirkung beim Glaukom über den β2AR, wodurch die NKA und damit die Kammerwasserproduktion gehemmt wird. Bei systemischer Resorption von βxARAntagonisten kann es zu Bradykardie, Hypotonie, AV-Block und Asthma kommen (7 Kap. 14, 15, 16 und 17). Zur Vermeidung dieser UAW sollten βxAR-Antagonisten so niedrig wie möglich dosiert werden. Außerdem sollte nach lokaler Gabe der untere Tränenkanal für ein paar Sekunden komprimiert werden, um den Abfluss des Arzneistoffs zu verhindern. Mit βxAR-Antagonisten kann der IOD um ca. 20–25 % gesenkt werden. Eine Alternative zu den βxAR- Antagonisten sind die CAH-Inhibitoren. Sie hemmen ebenfalls die Kammerwasserproduktion. Prototyp dieser Arzneistoffgruppe ist Brinzolamid, das den IOD um 20–25 % senkt. Bei lokaler Applikation ist die wichtigste UAW metallischer Geschmack. Auch Sekt und Champagner schmecken schal. Dieser kommt dadurch zustande, dass der Arzneistoff über den un
30
teren Tränenkanal zunächst in die Nase und dann über den Rachen in den Mund kommt. Dort bewirkt eine CAH-Inhibition die Geschmacksveränderung. Außerdem muss beachtet werden, dass CAH-Inhibitoren eine Paragruppenallergie auslösen können. Hier gibt es Kreuzallergien mit Sulfonamiden (7 Kap. 3 und 32). α2AR-Agonisten (Prototyp Brimonidin), deren wesentliche UAW bei systemischer Resorption Sedation und Hypotonie sind (7 Kap. 15), senken den IOD um bis zu 25 % über einen dualen Mechanismus. Sie hemmen die NKA (funktioneller Antagonismus zum β2AR) und eröhen den uveoskleralen Kammerwasserabfluss. Es gibt Kombinationspräparate von βxAR-Antagonisten + CAH- Inhibitoren oder α2AR-Agonisten, die bei nicht ausreichender IOD-Senkung durch FPR-Agonisten eingesetzt werden.
>>Theoretisch könnte man ein Glaukom auch mit direkten NKA-Inhibitoren behandeln, jedoch ist deren Toxizität zu groß. Deshalb fokussiert man sich auf die besser verträgliche NKA-Modulation über GPCR.
Pilocarpin ist ein MxR-Agonist und klassischer Arzneistoff zur Behandlung des Glaukoms (7 Kap. 5), verursacht jedoch häufig Augenschmerzen und Myopie, sodass es nur noch beim Engwinkelglaukom eingesetzt wird. Der akute Glaukomanfall ist ein ophthalmologischer Notfall, der sofort behandelt werden muss. Mit i.v. applizierten wasserbindenden Arzneistoffen (Prototyp Mannitol) wird der IOD rasch gesenkt. Das geschieht durch Wasserextraktion aus dem Bulbus. Außerdem können systemisch CAH-Inhibitoren (Prototyp Acetazolamid) appliziert werden, deren Anwendung jedoch durch zahlreiche UAW belastet ist (. Abb. 30.1). Ferner werden beim akuten Glaukomanfall die oben besprochenen lokal wirksamen Arzneistoffgruppen eingesetzt. Bei Nichtansprechen auf Pharmakotherapie müssen chirurgische Maßnahmen ergriffen werden.
Kapitel 30 · Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen
422
Hypertonie
UV -Strahlung Tabakrauch Alter Gesunde Ernährung
A, B, C, D
Feuchte AMD
AMD
(mit Antioxidanzien und mehrfach ungesättigten Fettsäuren)
Trockene AMD
Aflibercept
(zugelassen, sehr teuer)
VEGF
Ranibizumab (zugelassen, sehr teuer)
Bevacizumab
Neovaskularisierung der Choroidea
(off-label, sehr preiswert)
Abhebung der Choroidea von der Retina, Blutungen in Choroidea
30
Fortschreiten der Erkrankung bei schlechter Adhärenz Glaukom Katarakt Endophthalmitis
Narben
.. Abb. 30.2 Pathophysiologie der AMD: Pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Bevacizumab wird auch in 7 Kap. 31 dargestellt
>>Der akute Glaukomanfall ist wichtigste Indikation von Mannitol. Für eine langfristige systemische Anwendung sind seine UAW zu erheblich.
Daher ist die Klassifikation von Mannitol als „osmotisches Diuretikum“ obsolet. Seine Klassifikation als wasserbindender Arzneistoff ist neutraler, da es als „Diuretikum“ kaum noch eingesetzt wird. 30.3 Pathophysiologie der
altersbedingten Makuladegeneration
AMD ist die Hauptursache für eine Erblindung bei über Fünfzigjährigen in Industrieländern. Ca. 4,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an AMD, Tendenz steigend. Dementsprechend gehören Arznei-
stoffe zu Behandlung der feuchten AMD inzwischen zu den umsatzstärksten Arzneistoffen in Deutschland. . Abb. 30.2 zeigt die AMD-Pathophysiologie sowie die da raus resultierenden pharmakologischen Eingriffsmöglichkeiten. . Tab. 30.1 fasst Eigenschaften ausgewählter Arzneistoffe zur AMD-Behandlung zusammen. Wichtigster vermeidbarer Risikofaktor für eine AMD ist Tabakrauchen. Neben dem Alter spielen exzessive UV-Exposition sowie unzureichend behandelte Hypertonie (7 Kap. 15) eine Rolle in der AMD-Pathogenese.
>> Eine gute Hypertoniebehandlung (7 Kap. 15) ist auch eine AMD-Prophylaxe.
Eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Fisch beugt AMD ebenfalls vor. Es gib zwei AMD-Formen: Die trockene (atrophe) Form der AMD stellt mit ca. 80 % der Erkrankungsfälle die
30
423 30.4 · Pharmakotherapie der altersbedingten Makuladegeneration
häufigere Form dar, trägt aber nur zu 5–10 % der Erblindungen bei. Der Verlauf ist meist langsam und schleichend. Es kommt zu Lipofuszinablagerungen in der Choroidea. Derzeit gibt es keine spezifische Pharmakotherapie der trockenen AMD. Die feuchte (exsudative) Form der AMD macht nur ca. 20 % der Erkrankungsfälle aus, ist aber für 90–95 % aller Erblindungen verantwortlich. Bei dieser Form wird VEGF freigesetzt, was zu choroidaler Neovaskularisierung führt. Die neugebildeten Gefäße sind jedoch fragil, sodass es zu Blutungen und in der Folge zur Retinaabhebung von der Choroidea kommt. Im Finalstadium bilden sich Narben und die Erkrankung kann in trockene AMD übergehen. Ein Frühsymptom der feuchten AMD ist ein verzerrtes Sehen, das der Patient sehr leicht selber feststellen kann, indem er auf Gitterstrukturen schaut. Diese sehen bei AMD verzogen und nicht mehr rechtwinklig aus. Die Blutungen verursachen raschen Sehkraftverlust. Das zentrale Sehen ist besonders betroffen; die Lesefähigkeit nimmt ab, ebenso das Kontrastempfinden. Zugleich wird der Patient blendungsempfindlicher und passt sich schlechter an wechselnde Lichtverhältnisse an. Neben dem Amsler-Gitter-Test spielen Fundoskopie und Perimetrie wichtige Rollen in der AMD-Diagnostik. 30.4 Pharmakotherapie der
altersbedingten Makuladegeneration
Bevor man wusste, dass die durch VEGF ausgelöste Neovaskularisierung eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der feuchten AMD spielt, beschränkte sich die Therapie auf Gefäßverödung. In Folge der Entwicklung von VEGF-Inhibitoren kann man heute die feuchte AMD pathophysiologisch begründet behandeln. Zur Hemmung der VEGF-gesteuerten Neovaskularisierung
stehen drei Arzneistoffe zur Verfügung (. Abb. 30.2, . Tab. 30.1). Ranibizumab ist ein Antikörperfragment ohne Fc-Anteil, das VEGF bindet und damit dessen Interaktion mit dem VEGFR verhindert. Dadurch wird eine Neovaskularisierung gehemmt. Ranibizumab wird unter Lokalanästhesie mit SCB (7 Kap. 26) mit einer extrem feinen Nadel intravitreal injiziert. Das wird von den meisten Patienten gut vertragen, allerdings muss die Injektion unter einwandfreien hygienischen Bedingungen erfolgen, um die sehr gefährliche und sehkraftgefährdende Endophthalmitis zu vermeiden. Weitere UAW von Ranibizumab (und anderen VEGF-Inhibitoren) sind Glaukom- und Kataraktbildung. Die Entwicklung von Ranibizumab erfolgte unter der Vorstellung, dass ein Antikörperfragment leichter im Glaskörper diffundieren und VEGF neutralisieren kann als ein vollständiger Antiköper. Ein solcher ist Bevacizumab, das in der Therapie zahlreicher Karzinome eine bedeutende Rolle spielt (7 Kap. 31). Ranibizumab und Bevacizumab haben eine vergleichbare Wirkung bei der feuchten AMD. Jedoch ist nur Ranibizumab für die Therapie der AMD offiziell zugelassen. Es wird kontrovers darüber diskutiert, ob das gerechtfertigt ist, denn die Therapiekosten mit Ranibizumab sind um ein Vielfaches höher als mit Bevacizumab. Wegen des extrem großen Preisunterschiedes und der vergleichbaren Wirksamkeit wird Bevacizumab jedoch off-label bei AMD-Patenten angewendet. Das Risiko der off-label-Anwendung besteht darin, dass der behandelnde Arzt für etwaige UAW haftet. Dieses Beispiel zeigt, wie problematisch und nicht nachvollziehbar die Preisgestaltung pharmazeutischer Unternehmen für Arzneistoffe sein kann. Eine hinsichtlich Wirksamkeit dem Ranibizumab und Bevacizumab vergleichbare Alternative ist Aflibercept, das die Ligand-bindende Domäne des VEGFR repräsentiert und ebenfalls VEGF neutralisiert. Allerdings ist Aflibercept auch sehr teuer.
424
Kapitel 30 · Arzneistoffe zur Behandlung von Augenerkrankungen
In Anbetracht der momentan hohen Therapiekosten bei einer Therapie mit Ranibizumab und Aflibercept sollte Bevacizumab unbedingt zur Therapie der feuchten AMD zugelassen werden, um allen Patienten eine effektive Behandlung zu ermöglichen, ohne langfristig die finanzielle Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu gefährden. >>Bevacizumab ist das wichtigste Beispiel für einen extensiv off-label eingesetzten preiswerten Arzneistoff, der für den Patienten genau so sicher und wirksam ist wie die offiziell für AMD zugelassenen, aber sehr viel teureren VEGF-Inhibitoren Ranibizumab und Aflibercept.
30
Bei regelmäßiger Therapie (intravitreale Injektionen im Abstand von 1–3 Monaten) können VEGF-Inhibitoren das AMD- Fortschreiten verhindern und vor allem im Frühstadium auch die Sehfunktion verbessern. Allerdings ist dafür eine hohe Adhärenz erforderlich. In der Praxis ist das ein Problem. Demzufolge sind die Therapieerfolge mit VEGF-Inhibitoren unter Alltagsbedingungen nicht so groß wie unter den Bedingungen einer klinischen Studie. Um das Adhärenz-Problem zu umgehen, wird derzeit an gentherapeutischen Therapien gearbeitet. Ziel ist es, genetisch modifizierte Adenoviren in die Choroidea einzubringen, die dort kontinuierlich VEGF-Inhibitoren produzieren. Allerdings steckt dieser Therapieansatz derzeit noch in den Kinderschuhen.
Fallbeispiel
Ein 56-jähriger Mann kommt in Ihre Augenarztpraxis und klagt darüber, dass er zunehmend am Rand des Sehfeldes schwarze Schatten sieht. Diese Schatten seien im Laufe des letzten Jahres größer geworden. Schmerzen habe er nicht und ansonsten sei er völlig gesund. Bei der Inspektion der Augen sehen Sie keine Auffälligkeiten. Bei der Tonometrie stellen Sie für das linke Auge einen IOD von 20 mmHg fest, für das rechte Auge von 12 mmHg. Bei der Fundoskopie des linken Auges sehen Sie eine Exkavation der Papille sowie eine Abknickung von Gefäßen. Der Kammerwinkel des linken Auges ist unauffällig. In der Perimetrie des linken Auges werden sichelförmige periphere Gesichtsfeldausfälle festgestellt. Das rechte Auge ist unauffällig.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie zunächst therapeutisch vor? 2. Welche weitergehenden therapeutischen Möglichkeiten haben Sie, falls die Therapie nicht anspricht? Lösungen 7 Kap. 37
425
Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen Inhaltsverzeichnis 31.1
Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 427
31.2
Prinzipien der Tumortherapie – 436
31.3
Klassische Zytostatika – 437
31.4
Zielgerichtete Tumorbeeinflussung: Targeted Therapeutics – 440
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_31
31
426
31
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Bei malignen Tumorerkrankungen kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen der Proliferation von Zellen und der Apoptose/Zelldifferenzierung zugunsten der Proliferation. Am Checkpoint zwischen der G1-Phase und der S-Phase des Zellzyklus konvergieren viele Signalwege, die bei Tumoren die Proliferation stimulieren. Pharmakologische Ansätze zur Tumortherapie beruhen auf Zellzyklushemmung durch klassische Zytostatika sowie der Apoptoseförderung, Stimulation von Immunvorgängen, Angiogenesehemmung und Hemmung proliferationsfördernder Signalwege durch Targeted Therapeutics. Klassische Zyto statika haben gemeinsame UAW (z. B. Übelkeit und Erbrechen, Fatigue-Syndrom, Knochenmarksuppression, Hemmung des Wachstums von Epithelzellen, Teratogenität, Karzinogenität) und arzneistoffspezifische UAW. Auch Targeted Therapeutics haben gravierende UAW, die arzneistoffspezifisch sind. Zur Vermeidung von einer Resistenzentwicklung sowie für verbesserte Wirksamkeit und verringerte Toxizität werden Zytostatika und Targeted Therapeutics häufig kombiniert. Eine große Bedeutung in der Tumortherapie hat die palliative Behandlung von Schmerzen, Erbrechen sowie Störungen der Hämatopoese. Ein wesentliches gesundheitspolitisches Problem in der Tumortherapie sind die derzeit rasant ansteigenden Kosten für Targeted Therapeutics.
Merksätze 55 Cyclophosphamid ist ein zellzyklus blockierendes DNA-Alkylans, das starkes Erbrechen induziert. 55 Carboplatin vernetzt die DNA, induziert Erbrechen und ist myelotoxisch. 55 Doxorubicin interkaliert in die DNA und ist kardiotoxisch. 55 MTX inhibiert die Folsäuresynthese und ist myelo- und hepatotoxisch.
55 5-FU ist ein Pyrimidin-Analogon; 6-MP ein Purin-Analogon. Beim Einbau dieser Analoga in die DNA kommt es zu Störungen in der Basenpaarung mit nachfolgendem DNA-Kettenabbruch. 55 XO-Inhibitoren potenzieren die Myelo toxizität von 6-MP. 55 Vinblastin hemmt Mikrotubuli und ist neurotoxisch. 55 Paclitaxel stabilisiert Mikrotubuli, ist neurotoxisch und kann allergische Reaktionen auslösen. 55 Etoposid hemmt TOPO-II und kann Leukämien auslösen. 55 Tamoxifen ist ein SERM und wird bei ER-positivem Mammakarzinom eingesetzt. 55 Anastrozol hemmt die Estrogensynthese und wird bei ER-positivem Mammakarzinom eingesetzt. 55 Flutamid ist ein AR-Antagonist und wird beim Prostatakarzinom eingesetzt. 55 Olaparib wirkt über eine PARP-1-Inhibition apoptotisch. 55 Carfilzomib wirkt über eine Proteasom- Inhibition apoptotisch. 55 Panobinostat wirkt über eine HDAC- Inhibition apoptotisch. 55 IL-2, Rituximab und Pembrolizumab wirken über eine Immunmodulation apoptotisch. 55 Lenalidomid wirkt über eine Ubiquitinierungs-Stimulation immunmodulatorisch und antiangiogenetisch. 55 Bevacizumab wirkt über eine VEGF- Inhibition antiangiogenetisch. 55 Trastuzumab wirkt über eine EGFR- Inhibition auf das HER2-positive Mammakarzinom und ist kardiotoxisch. 55 Imatinib inhibiert die TK BCR-ABL bei chronisch-myeloischer Leukämie. 55 Palbociclib wirkt über eine CDK-Inhibition antiproliferativ. 55 Vemurafenib inhibiert selektiv eine mutierte Form der PK Raf in Melanomen.
31
427 31.1 · Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische …
31.1 Pathophysiologie maligner
Tumoren und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Maligne Tumoren (Neoplasien) werden unterteilt in epitheliale (Karzinome), mesenchymale (Sarkome) und hämatopoetische Tumoren (Leukämien, Lymphome). >>Maligne Tumoren sind in Deutschland nach den Herz-Kreislauf- Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache (jeweils ca. 200.000 Todesfälle bei Frauen und bei Männern/Jahr).
Bei Frauen ist die Reihenfolge der drei häufigsten tödlichen Neoplasien Mammakarzinom > Lungenkarzinom > Dickdarmkarzinom; bei Männern Lungenkarzinom > Dickdarmkarzinom > Prostatakarzinom. . Abb. 31.1 gibt einen Überblick über die Regulation der Tumorzellproliferation sowie pharmakologische Angriffspunkte. In malignen Tumoren ist das Gleichgewicht zwischen Zellproliferation und Apoptose zugunsten der Proliferation verschoben und das Immunsystem ist nicht ausreichend effektiv, um die Tumorzellen zu bekämpfen. Die Tumorzellproliferation ist von einer ausreichenden O2- und Nährstoffversorgung abhängig, die über eine Neoangiogenese gesichert wird. Die Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Proliferation und Apoptose erfolgt durch Mutationen in der DNA und einer veränderten Expression von protektiven Tumorsuppressorgenen und pathogenen Onkogenen. DNA-Mutationen können hereditärer Natur oder erworben sein. Tabakrauchen und exzessiver Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Viren, ionisierende Strahlung (z. B. Röntgen- und UV-Strahlung) sowie eine Vielzahl von Chemikalien (z. B. Asbest, Benzol, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), aber auch etliche in der Tumortherapie eingesetzte
Arzneistoffe (. Tab. 31.1 und 31.2) können Neoplasien auslösen. Der klassische Ansatz der Tumortherapie nutzt die Tatsache, dass die meisten Tumoren eine hohe Proliferationsrate besitzen. Klassische Zytostatika hemmen das Tumorzellwachstum durch einen Angriff im Zellzyklus. Verschiedene Arzneistoffgruppen (Alkylanzien, DNA-Interkalatoren und Platin-Derivate) wirken in allen Zellzyklusphasen. Folsäure-Analoga, Purin-Analoga, Pyrimidin-Analoga und TOPO-Inhibitoren greifen selektiv in der S-Phase ein, Mikrotubuli- Inhibitoren in der M-Phase. Diese Arzneistoffgruppen differenzieren nicht zwischen Tumorzellen und physiologisch rasch wachsenden Zellen (z. B. Haut, Schleimhäute, Hämatopoese), woraus sich zahlreichende UAW ergeben (7 Abschn. 31.3). . Tab. 31.1 fasst ausgewählte klassische Zytostatika zusammen. Eine Zytostatikatherapie erfolgt häufig in Zyklen (wenige Tage Therapie, mehrere Tage Pause), um die Regenerationszeit für gesunde Körperzellen zu erhöhen. Wegen der fehlenden Spezifität klassischer Zytostatika für Tumorzellen und UAW werden vermehrt zielgerichtete Arzneistoffe (Targeted Therapeutics) entwickelt, die spezifische Veränderungen in den Tumorzellen adressieren, die Angiogenese hemmen oder das Immunsystem stärken (7 Abschn. 31.4). Viele der biochemischen Veränderungen in Tumorzellen betreffen Signaltransduktionswege, die am Checkpoint zwischen der G1Phase und der S-Phase zusammentreffen. Dort entscheidet sich, ob eine Zelle in die S-Phase und damit Zellteilung oder in Differenzierung mit nachfolgender Apoptose übergeht (. Abb. 31.1). Zwar haben Targeted Therapeutics nicht die UAW der klassischen Zytostatika, jedoch hat jeder dieser Arzneistoffe ebenfalls gravierende spezifische UAW. . Tab. 31.2 fasst eine Auswahl von Targeted Therapeutics zusammen. Sie stellen derzeit eines der aktivsten Gebiete der Arzneistoffentwicklung und -zulassung (7 Kap. 1) dar.
428
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Klassische Zystotatika
Targeted Therapeutics
Mikrotubuli-Inhibitoren
CDK EGFR
M
G1
HDAC PARP1
Alkylanzien DNA-Interkalatoren Platin-Derivate
S
Proteasom
RAF-V600E
TOPO TOPO-IInhibitoren TOPO-IIInhibitoren
PARP -Inhibitoren (Olaparib)
PD1 Checkpoint
G2
EGFR-Inhibitoren (Trastuzumab)
PurinAnaloga PyrimidinAnaloga FolsäureAnaloga
Tyrosinkinase Ubiquitinierung VEGF
CDK-Inhibitoren (Palbociclib) HDAC-Inhibitoren (Panobinostat) PD1-Inhibitoren (Pembrolizumab)
Proteasom-Inhibitoren (Carfilzomib) RAF-V600E-Inhibitoren (Vemurafenib) Tyrosinkinase-Inhibitoren (Imatinib) Ubiquitinierungs-Stimulatoren (Lenalidomid) VEGF-Inhibitoren (Bevacizumab)
Differenzierung und Apoptose
31
.. Abb. 31.1 Regulation der Proliferation von Tumorzellen und Angriffspunkte von klassischen Zyto statika und Targeted Therapeutics. Grauer Hinter-
grund, Angriffspunkte klassischer Zytostatika; weißer Hintergrund, Angriffspunkte von Targeted Therapeutics am Checkpoint des Zellzyklus
Die Resistenzbildung ist ein großes Problem in der Tumortherapie. Durch eine verstärkte MRP-Expression in Tumorzellen können niedermolekulare antineoplastische Arzneistoffe aus Tumorzellen heraustransportiert und damit wirkungslos werden. Tumorzellen mit einer erhöhten MRP-Expression haben Selektionsvorteile und vermehren sich daher rasch. Leider ist es derzeit nicht möglich, MRP potent und selektiv zu hemmen und damit die Wirksamkeit antineoplastischer Arzneistoffe zu verstärken. Auch eine verminderte zelluläre Aufnahme oder verstärkte metabolische Inaktivierung können zur Resistenzentwicklung beitragen, ebenso eine geringere Expression
von Rezeptoren, auf die Arzneistoffe einwirken. Ein weiterer wichtiger Resistenzmechanismus besteht darin, dass Zielproteine mutieren und damit den Arzneistoff nicht mehr binden. Dadurch erhalten Tumorzellen mit Mutationen Selektionsvorteile. Es gibt inzwischen PK- Inhibitoren, die gezielt mutierte PK hemmen. Letztlich wird aber unter dem Selektionsdruck des Arzneistoffs immer ein Katz-und-MausSpiel zwischen Mutationen und wirksamen Arzneistoffen stattfinden. Um eine Resistenzentwicklung zu verzögern, werden in der modernen Tumortherapie häufig verschiedene Therapieprinzipien kombiniert. Klassische Zytostatika werden häufig auch als „Chemotherapeutika“ bezeichnet.
Arzneistoffgruppe
Platin-Derivat
Alkylans
DNA- Interkalator
Arzneistoff
Carboplatin
Cyclophosphamid
Doxorubicin
Interkalation in DNA und RNA, Hemmung der TOPO-II. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Alkylierung von Guanin mit nachfolgender DNAVernetzung. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität, therapeutisch nutzbare Immunsuppression bei Autoimmunerkrankungen (low dose)
Vernetzung von DNASträngen (bevorzugt N7 von Guanin und Adenin). Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Wichtige Wirkungen
.. Tab. 31.1 Übersicht über ausgewählte klassische Zytostatika
Mammakarzinom, Kaposi-Sarkom, Lymphome, akute lymphatische Leukämie
Sehr preiswertes Zytostatikum für viele Indikationen (Lymphom, multiples Myelom, Leukämien, Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, kleinzelliges Lungenkarzinom, Neuroblastom); low dose bei Autoimmunerkrankungen
Seminom, Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, Blasenkarzinom, Tumoren des Kopfes und Halses, Ösophaguskarzinom
Wichtige Indikationen
Kardiotoxizität. Soforttyp: reversible Arrhythmien; Spättyp: dosisabhängige irreversible Kardiomyopathie
Sehr starkes Erbrechen, urotoxische Wirkung des Metaboliten Acrolein (Antidot: MESNA)
Erbrechen, Myelotoxizität (im Gegensatz zu dem früher eingesetzten Cisplatin keine Nephrotoxizität)
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 16, 17
7 Kap. 4, 11, 12
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
31.1 · Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische … 429
31
Arzneistoffgruppe
TOPO-II- Inhibitor
Pyrimidin- Analogon
TOPO-I- Inhibitor
Purin-Analogon
Etoposid
5-FU
Irinotecan
6-MP
Einbau als falsche Base in DNA und RNA mit Störung der Basenpaarung und Kettenabbruch. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität, therapeutisch nutzbare Immunsuppression bei Autoimmunerkrankungen (low dose)
Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Hemmung der Thymidilatsynthase; Einbau als falsche Base in DNA und RNA mit Störung der Basenpaarung und Kettenabbruch. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Hemmung der TOPO-II und damit der Entspiralisierung der DNA, Hemmung der Religation von DNA. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Wichtige Wirkungen
Relativ preiswertes Zytostatikum für einige Indikationen (akute lymphatische Leukämie, chronische myeloische Leukämie); low dose auch Autoimmunerkrankungen (Colitis ulcerosa, M. Crohn)
Vor allem Kolonkarzinon
Sehr preiswertes Zytostatikum für viele Indikationen (Kolonkarzinom, Ösophaguskarzinom, Magenkarzinom, Pankreaskarzinom, Mammakarzinom, Cervixkarzinom, Basaliom)
Relativ preiswertes Zytostatikum für verschiedene Tumore (Kaposi-Sarkom, Ewing-Sarkom, Lungenkarzinom, Glioblastoma multiforme, Seminom, Lymphom, Leukämie)
Wichtige Indikationen
31
Arzneistoff
.. Tab. 31.1 (Fortsetzung)
Myelotoxizität und Hepatotoxizität; 6-MP-Abbau erfolgt über XO; Dosisreduktion bei Komedikation mit Allopurinol
Muskarinerges Syndrom, Diarrhoe
Erbrechen, Diarrhoe, Myelotoxizität, akutes cerebelläres Syndrom, FußHand-Syndrom (palmoplantare Erythrodysästhesie, > 10 %!)
Allergische Reaktionen, mixed-lineage-leukemia nach 1–3 Jahren
Wichtige UAW
7 Kap. 11, 12, 23
7 Kap. 4, 5
7 Kap. 6, 13
7 Kap. 3
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
430 Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Mikrotubuli- Inhibitor
Mikrotubuli- Inhibitor
Paclitaxel
Vinblastin
Hemmung der Polymerisation von Mikrotubuli; Hemmung der Bildung des Spindelapparates und Arretierung des Zellzyklus in der Metaphase der Mitose. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität
Stabilisierung von Mikrotubuli; damit Hemmung der Bildung eines funktionsfähigen Spindelapparates und Arretierung des Zellzyklus in der Metaphase der Mitose. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität, antiproliferative Wirkung auf Intima zur Verhinderung der Restenosierung von Koronarstents (Beschichtung)
Hemmung der DHFR und nachfolgend Hemmung der Synthese von Thymidin, Purinbasen, Methionin und Serin. Zellzyklusblockade, Apoptose, Genotoxizität, therapeutisch nutzbare Immunsuppression bei Autoimmunerkrankungen (low dose)
Mittelpreiswertes Zytostatikum für verschiedene Tumoren (Hodgkin-Lymphom, Seminom, Melanom, Lungenkarzinom, Blasenkarzinom, Gehirntumore)
Mittelpreiswertes Zytostatikum für verschiedene Tumoren (Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, Lungenkarzinom, Blasenkarzinom, Ösophaguskarzinom)
Sehr preiswertes Zytostatikum für viele Indikationen (Mammakarzinom, Tumoren des Kopfes und Halses, Leukämien, Lymphome, Osteosarkome, Blasenkarzinom), low dose bei Autoimmunerkrankungen
Neurotoxizität (Polyneuropathie), Myelotoxizität
Überempfindlichkeitsreaktionen bei Infusion mit Cremophor EL (Prämedikation mit H1R- und H2R-Antagonisten und GCR-Angonisten), Polyneuropathie
Myelotoxizität, Hepatotoxizität, Mucositis (Folinsäuregabe nach MTX zur UAW-Verminderung, insbesondere Myelotoxizität); Gefahr der Überdosierung bei CKD
7 Kap. 23
7 Kap. 3, 16
7 Kap. 1, 4, 11
431
In der Tabelle sind nur einige der besonders prominenten UAW der verschiedenen Zytostatika genannt. Allen klassischen Zytostatika ist ein Spektrum von UAW gemeinsam, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können (7 Abschn. 31.2). Für die klassischen Zytostatika gibt es eine Reihe alternativer, traditioneller Bezeichnungen (siehe Serviceteil, NKLM/IMPP-Arzneistoffliste)
Folsäure- Analogon
MTX
31.1 · Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische …
31
Arzneistoffgruppe
Aromatase- Inhibitor
VEGF-Inhibitor
Proteasom- Inhibitor
AR-Antagonist
Anastrozol
Bevacizumab
Carfilzomib
Flutamid
Hemmung der Proliferation von Prostatakarzinomzellen; auch AR-antagonistische Wirkungen bei der Frau, die bei bestimmten gynäkologischen Indikationen genutzt wird
Hemmung des Proteasoms und damit des Abbaus überschüssiger und fehlgefalteter Proteine; Apoptose
Monoklonaler Antikörper, der VEGF bindet und damit funktionell inaktiviert. Verhinderung der Angiogenese im Tumor und damit der O2- und Nährstoffversorgung („Austrocknung“ des Tumors)
Verringerte Umwandlung von Testosteron in Estrogen in Nebenniere und Fettgewebe; Hemmung der Proliferation von Mammakarzinomzellen
Wichtige Wirkungen
Adjuvante Therapie bei Prostatakarzinom, palliative Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinom; bei Frauen Hirsutismus und polyzystisches Ovar
Multiples Myelom
Metastasierendes Kolonund Mammakarzinom, fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom, fortgeschrittene gynäkologische Karzinome, off-label-Einsatz bei feuchter AMD
Fortgeschrittenes postmenopausales Mammakarzinom
Wichtige Indikationen
31
Arzneistoff
.. Tab. 31.2 Übersicht über ausgewählte Targeted Therapeutics
Hepatotoxizität,Muskelatrophie, Osteoporose, Anämie, Gynäkomastie, Hitzewallungen, Gewichtszunahme, ED, Libidoverlust (chemische Kastration)
Atemwegsinfektionen, GI-Beschwerden, Herpes-zosterReaktivierung, Polyneuropathie
Hypertonie, Proteinurie, Müdigkeit, GIFunktionsstörungen (bis hin zu Ileus und Perforation), Wundheilungsstörungen, Thromboembolien
Osteoporose, Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Exantheme, Arthralgien, Schlaflosigkeit
Wichtige UAW
7 Kap. 24
7 Kap. 32, 33
7 Kap. 15, 18, 30
7 Kap. 24
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
432 Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Tyrosinkinase- Inhibitor
Ubiquitinierungs- Stimulator
PARP-Inhibitor
CDK-Inhibitor
HDAC-Inhibitor
Imatinib
Lenalidomid
Olaparib
Palbociclib
Panobinostat
HDAC-Hemmung und damit verstärkte Expression von Tumorsuppressorgenen; Apoptose
Selektive Hemmung von CDK4 und CDK6; Hemmung der Proliferation von Tumorzellen, Hemmung der Metastasierung
Hemmung von PARP1 und damit der DNA-Reparatur. Zellzyklusblockade, Apoptose
Bindung an Ubiquitin-E3Ligase mit nachfolgendem Abbau spezifischer Transkriptionsfaktoren. Immunmodulatorisch, antiangiogenetisch, Apoptose
Hemmung verschiedener TK (konstitutiv aktiviertes BCR-ABL, c-Kit, PDGF-R); Hemmung der Proliferation von Tumorzellen, Apoptose
Multiples Myelom (Reservetherapie nach erfolglosen Versuchen mit anderen Arzneistoffen)
Therapie des fortgeschrittenen und metastasierten ER-positiven und HER2-negativen Mammakarzinom; Kombination mit Aromatase-Inhibitoren oder SERM
Tumoren, bei denen Mutationen in den Tumorsuppressorgenen BRCA1 und 2 vorliegen (Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom, Peritonealkarzinom)
Multiples Myelom, myelodysplastisches Syndrom, Mantelzelllymphom
Chronisch myeloische Leukämie, GIStromatumoren, chronische Eosinophilenleukämie, Mastozytose
GI-Beschwerden, Infektionsanfälligkeit, Neutround Thrombopenie
Myelotoxizität. Da Zulassung erst kürzlich erfolgte, ist UAW-Profil noch nicht vollständig bekannt
Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Anämie, Müdigkeit
Thromboembolien, SJS, Teratogenität (Verschreibung auf speziellen T-Rezepten), Müdigkeit, Risiko für akute myeloische Leukämie (2 % nach 2 Jahren; 4 % nach 3 Jahren)
Übelkeit, Erbrechen, Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, Ödeme, Hypertonie, allergische Reaktionen, Neutropenie, Thrombopenie, Interaktionen mit CYP3A4-Induktoren und Inhibitoren
(Fortsetzung)
7 Kap. 18
7 Kap. 2, 3
31.1 · Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische … 433
31
Arzneistoffgruppe
PD1-Inhibitor
CD20-Inhibitor
SERM
Pembrolizumab
Rituximab
Tamoxifen
Aktiver Metabolit ist Endoxifen (entsteht über CYP2D6). SERM mit antagonistischer ER-Wirkung an Brustdrüse und agonistischer ER-Wirkung an Knochen, Endometrium und kardiovaskulärem System. Hemmung der Proliferation von Mammakarzinomzellen, die ER exprimieren
Monoklonaler Antikörper gegen das B-ZellLymphozytenantigen CD20; komplementabhängige Zytotoxizität, antikörperabhängige Phagozytose und Zytotoxizität, Immunsuppression, B-Zelldepletion
Monoklonaler Antikörper gegen das T-Zell-Antigen PD-1 (programmed cell death receptor-1); Hemmung der Apoptose tumorspezifischer T-Zellen; Verstärkung tumorspezifischer Immunreaktionen
Wichtige Wirkungen
Adjuvante Therapie bei Mammakarzinom, metastasierendes Mammakarzinom
Chronische Lymphozytenleukämie, B-Zell-Lymphome, Non-Hodgkin-Lymphome, Immunsuppression bei Autoimmunerkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis)
Inoperables oder metastasierendes Melanom sowie andere fortgeschrittene Tumoren, die den PD1-Liganden überexprimieren
Wichtige Indikationen
31
Arzneistoff
.. Tab. 31.2 (Fortsetzung)
Hitzewallungen, GIBeschwerden, Flüssigkeitsretention, Endometriumhyperplasie (erhöhtes Risiko für Endometriumkarzinom)
Allergische Reaktionen, BD-Abfall, TEN, Infektanfälligkeit, Aktivierung von Hepatitis B, PML
Schwere Infusionsreaktionen, Autoimmunreaktionen an vielen Organen (z. B. Haut, Niere, Blutgefäße, Leber, endokrine Organe)
Wichtige UAW
7 Kap. 24
7 Kap. 3, 33
7 Kap. 3, 11
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
434 Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Raf-V600E- Inhibitor
Vemurafenib
Selektive Hemmung der PK B-Raf mit V600E-Mutation; Hemmung der Proliferation von Tumorzellen, Hemmung der Metastasierung, Apoptose
Monoklonaler Antikörper gegen HER2 (ErbB2, EGFR2). Hemmung der proliferationsfördernden Wirkung von Signalwegen, die über HER2 aktiviert werden. Fortgeschrittenes und metastasierendes Melanom (60 % der Melanome haben V600E-Mutation)
HER2-positives metastasierendes Mammakarzinom; Kombination mit Paclitaxel, das die HER2-Insertion in Membranen hemmt und Tamoxifen bei ER-positiven Tumoren Müdigkeit, Arthralgie, Hauttoxizität (Photosensibilisierung, Exantheme, Hyperkeratosen, Plattenepithelkarzinom
Kardiotoxizität, allergische Reaktionen, Fieber, Infektanfälligkeit, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit
7 Kap. 3
7 Kap. 3, 16
Bitte beachten, dass in dieser Tabelle nur ausgewählte repräsentative Arzneistoffe für unterschiedliche Wirkprinzipien dargestellt sind. Bei den Targeted Therapeutics gibt es eine Entwicklungsdynamik, die selbst für die Experten (Onkologen) nur noch schwer überschaubar ist. Targeted Therapeutics sind Spezialarzneistoffe und einer der größten Kostentreiber im Gesundheitswesen
EGFR-Inhibitor
Trastuzumab
31.1 · Pathophysiologie maligner Tumoren und pharmakologische … 435
31
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
436
>>Tumorpatienten bezeichnen eine Therapie mit klassischen Zytostatika oft als „Chemotherapie“ oder kurz „Chemo“. Der Begriff Chemotherapie sollte jedoch in der Fachsprache vermieden werden, da auch die antibakterielle, antivirale, antimykotische und antiparasitäre Arzneitherapie (7 Kap. 32, 33 und 34) eine Chemotherapie ist. Jede Arzneistofftherapie ist eine Chemotherapie, da sie mit chemischen Sub stanzen durchgeführt wird! Das gilt auch für die Arzneitherapie mit Biologicals (7 Kap. 1, 11, 13)!
Es können also gravierende Missverständnisse durch Nutzung eines unklar definierten Begriffes auftreten. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Tumorpatienten zusätzlich zu den klassischen Zytostatika Targeted Therapeutics erhalten. Die Patienten subsummieren diese Arzneistoffe häufig unter „Chemotherapie“, obwohl die UAW ganz andere sind (7 Abschn. 31.4). Deshalb ist der Begriff „Tumortherapie“ als Überbegriff neutraler und zugleich unmissverständlicher als „Chemotherapie“.
31
31.2 Prinzipien der Tumortherapie >>Je eher ein maligner Tumor therapiert wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten.
Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie ist eine eindeutige zytologische und molekulare Klassifikation (Expression spezifischer Rezeptoren und/oder Mutationen in Onkogenen oder PK) des Tumors sowie die Feststellung des Stadiums (TNM-Nomenklatur). Eine optimale Behandlungsstrategie lässt sich nur aus der Kenntnis dieser Merkmale entwickeln. Für die meisten malignen Tumoren gibt es spezifische Therapieschemata, die sich jedoch durch die verbesserte molekulare Diagnostik, die Zulassung vieler neuer Arzneistoffe und immer komplexere klinische Studien so schnell wie in keinem anderen
Gebiet der Pharmakotherapie ändern. Deshalb wird im Rahmen dieses einführenden Buches nicht auf spezielle Therapieschemata bei einzelnen Tumoren eingegangen. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Besprechung ausgewählter Arzneistoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Wenn immer möglich, sollte eine chirurgische Entfernung des Tumors sowie aller befallenen Lymphknoten und aller Metastasen erfolgen. Auch eine gezielte Tumorbestrahlung oder Radioisotopenbehandlung (z. B. 131Iodid beim Schilddrüsenkarzinom, 7 Kap. 21) kann wirksam sein. Ziel ist es, die Tumorerkrankung zu heilen (kurativer Ansatz). Dazu muss eine aggressive Therapie mit vielen UAW durchgeführt werden. Hohe 5-Jahresüberlebensraten haben rechtzeitig erkannte maligne Melanome sowie Karzinome der Brustdrüse, Schilddrüse und Prostata sowie des Hodens. Hingegen sind die 5-Jahresüberlebensraten bei Karzinomen der Speiseröhre, der Lunge und des Pankreas sowie bei Gehirntumoren schlecht. Bei fortgeschrittenen Neoplasien oder Tumoren mit schlechter Prognose wird eine palliative Therapie durchgeführt, um Remissionen zu induzieren, eine Progression zu verhindern bzw. zu verlangsamen, die Überlebenszeit zu verlängern und tumorbedingte Symptome (insbesondere Schmerzen) zu lindern. In klinischen Studien wird der Therapieerfolg durch die Zeit der progressionsfreien Überlebenszeit oder besser durch die Gesamtüberlebenszeit charakterisiert. Bei vielen malignen Tumoren haben sich in den letzten Jahren die Überlebensraten deutlich verbessert. Die meisten klassischen Zytostatika sind relativ preiswert. Die damit verbundene geringe finanzielle Lukrativität für pharmazeutische Unternehmen hat analog zur Situation mit bestimmten antibakteriellen Arzneistoffen (7 Kap. 32) zur Verlagerung der Zytostatikaproduktion ins Ausland und zu Versorgungsengpässen mit diesen Arzneistoffen geführt. Im Gegensatz dazu sind die meisten (noch unter Patentschutz stehenden) Targeted Therapeutics für
31
437 31.3 · Klassische Zytostatika
die pharmazeutischen Hersteller finanziell sehr attraktiv. In den Industrieländern können für solche Arzneistoffe sehr hohe Preise auf dem Markt durchgesetzt werden. Die momentane Kostenexplosion im Bereich der Tumortherapie, die durch Targeted Therapeutics getrieben wird, hat zu intensiven und kontroversen Diskussionen darüber geführt, inwieweit der Nutzen die Kosten rechtfertigt. Der Vergleich der Wirksamkeit verschiedener Therapieschemata bei Tumoren wird durch die Auflösung der klassischen Phase-1–3-Studien in fließend ineinander übergehende Studienprotokolle mit multiplen Untergruppen zunehmend intransparent. Dies erschwert in der Folge die Beurteilung der Frage, inwiefern die meist sehr hohen Kosten für neue Tumortherapien gerechtfertigt sind. Neben der Tumortherapie mit klassischen Zytostatika und Targeted Therapeutics kommt der palliativen Therapie von tumorbedingten Symptomen und arzneistoffbedingten UAW eine große Bedeutung zu. Ziel ist es, Schmerzen zu beseitigen und die Lebensqualität zu erhöhen. Eine gute palliative Therapie ermöglicht es vielen Patienten, lange relativ selbstständig und im häuslichen Umfeld zu bleiben. Die meisten Tumorpatienten haben Schmerzen, insbesondere im fortgeschrittenen und finalen Stadium. In der Stufe 1 des WHO-Plans zur Schmerztherapie werden zunächst unter Berücksichtigung von UAW und Kontraindikationen COX-Inhibitoren, Paracetamol und Metamizol eingesetzt (7 Kap. 10). In der Stufe 2 werden MOR-Agonisten mit geringer maximaler Wirkstärke wie Tramadol hinzugefügt, in der Stufe 3 MOR-Agonisten mit größerer maximaler Wirkstärke (Buprenorphin < Morphin ~ Fentanyl, 7 Kap. 10). MOR-Agonisten sollten regelmäßig p.o. gegeben werden. In fortgeschrittenen Schmerzstadien kommen auch Pumpensysteme zur Anwendung, die die Arzneistoffe kontinuierlich s.c. oder i.v. applizieren. Bei Schmerzspitzen kann sich der Patient innerhalb gewisser Grenzen selbst einen Arzneistoffbolus applizieren.
Außerdem kommen in allen Stufen der Tumorschmerztherapie verschiedene andere Arzneistoffgruppen zum Einsatz. Dazu gehören RANKL-Inhibitoren und Bisphosphonate bei Knochenmetastasen (7 Kap. 20), mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 29), NSMRI (7 Kap. 28), SCB, CCB und Benzodiazepine (7 Kap. 25) sowie Ketamin (7 Kap. 27) bei sehr starken und neuropathischen Schmerzen. Bei Zytostatika-induziertem Erbrechen kommen 5-HT3R-Antagonisten (frühes Erbrechen) und NK1R-Antagonisten (spätes Erbrechen) (7 Kap. 6) zum Einsatz. D2R- Antagonisten und mGPCR-Antagonisten (7 Kap. 8 und 29) wirken ebenfalls antiemetisch. GCR-Agonisten (7 Kap. 11) sind antiemetisch und antiinflammatorisch. Klassische Zytostatika können die Hämatopoese supprimieren, was sich in der Regel 10–14 Tage nach Therapiebeginn äußert. Bei einer schweren Neutropenie, die mit einer erhöhten Infektanfälligkeit einhergeht, kann G-CSF appliziert werden; bei einer Anämie werden Erythrozytenkonzentrate infundiert. Bei Thrombopenie (< 10.000/µl) werden Thrombozytenkonzentrate gegeben. Infekte mit Bakterien (7 Kap. 32), Viren (7 Kap. 33) und Pilzen (7 Kap. 34) werden erregerorientiert behandelt. Bei paravenöser Injektion können viele Zytostatika Weichteilnekrosen hervorrufen. Deshalb werden Zytostatika meist über einen zentralen Venenkatheter appliziert.
31.3 Klassische Zytostatika
Klassische Zytostatika haben ein gemeinsames UAW-Spektrum. Sie induzieren das Fatigue-Syndrom (Müdigkeit, Abgeschlagenheit, geringe Leistungsfähigkeit), Übelkeit und Erbrechen. >>Eine der Leistungsfähigkeit angepasste Bewegungstherapie ist beim Fatigue-Syndrom gut wirksam.
438
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Übelkeit und Erbrechen können mit antiemetisch wirkenden Arzneistoffen gut kontrolliert werden (7 Abschn. 31.2). Die Entwicklung moderner antiemetisch wirkender Arzneistoffe und die Einführung der Bewegungstherapie haben Verträglichkeit und Akzeptanz der Behandlung mit Zytostatika deutlich verbessert (7 Kap. 6); häufig kann sie ambulant durchgeführt werden. Zyto statika hemmen die Epithelzellproliferation. Daraus resultieren Mukositis, Stomatitis, Ösophagitis, Enteritis und Haarausfall. Zytostatika hemmen auch die Proliferation hämatopoetischer Stammzellen (Knochenmarksuppression). Daraus können Granulozytopenie und Lymphopenie, Anämie sowie Thrombopenie resultieren. Diese UAW können jeweils spezifisch behandelt werden (7 Abschn. 31.2). Immer mehr Tumorpatienten werden „geheilt“, d. h. sie überleben ohne Rückfall die 5-Jahresgrenze nach Diagnosestellung. Da aber klassische Zytostatika kanzerogen wirken, erleiden immer mehr Patienten viele Jahre nach der „Heilung“ Sekundärneoplasien, z. B. Lymphome. Prinzipiell wirken Zytostatika auch teratogen. Daher muss während einer zytostatischen Therapie eine sichere Kontrazeption sichergestellt werden. Bei einem Kinderwunsch von Patienten mit Neoplasien können vor Beginn der Zytostatikabehandlung Keimzellen gewonnen und kryokonserviert werden. Nach Abschluss der Therapie kann eine in-vitro-Fertilisation vorgenommen werden. Unter Zyto statikatherapie kommt es zu Azoospermie und Amenorrhoe. Zytostatika wirken immunsuppressiv. Diese Wirkung wird bei einigen Arzneistoffen (MTX, Cyclophosphamid, 6-MP) therapeutisch bei Autoimmunerkrankungen genutzt (7 Kap. 11). Hier werden die Zytostatika in sehr viel niedrigeren Dosierungen als bei Neoplasien eingesetzt. Aus der immunsuppressiven Wirkung bei Hochdosisanwendung im Falle von Tumoren kann eine Infektanfälligkeit resultieren, die durch die Hemmung der Hämatopoese verstärkt wird.
31
Bei massivem Zerfall von Tumorzellen unter Zytostatikatherapie können verstärkt Purinbasen anfallen, die über XO zu Harnsäure metabolisiert werden. Dadurch sind Gichtarthritis und Harnsäureausfällungen in der Niere bis hin zum Nierenversagen möglich (7 Kap. 12 und 23). Das Tumorlysesyndrom kann mit XO-Inhibitoren behandelt werden. Werden tumorkranken Kindern Zytostatika gegeben, kommt es in vielen Fällen zu einer Wachstumshemmung. Alle klassischen Zytostatika besitzen die oben dargestellten UAW, aber es gibt quantitative Unterschiede zwischen einzelnen Arzneistoffen. Darüber hinaus haben klassische Zytostatika arzneistoffspezifische UAW (. Tab. 31.1). Cyclophosphamid ist der Prototyp der Alkylanzien. Cyclophosphamid wird in der Leber über CYP2B6 in den aktiven Metaboliten Aldophosphamid umgewandelt (7 Kap. 2), der nicht-enzymatisch in das alkylierende Aziridiniumion und Acro lein gespalten wird. Das Aziridiniumion alkyliert den Stickstoff in 7-Position von Guaninringen und führt dadurch zu Interund Intrastrang- Quervernetzungen der DNA. Dadurch werden DNA-Polymerasen gehemmt und es kommt zu DNA- Strangbrüchen. Cyclophosphamid induziert bei 5–10 % der Patienten eine hämorrhagische Zystitis, die auf Acrolein zurückzuführen ist. Das Antidot 2-Mercaptoethansulfonat (MESNA) bindet Acrolein im Blut (7 Kap. 4). Der Komplex aus MESNA und Acrolein wird glomerulär filtriert und kann nicht mehr in Urothelzellen eindringen. Die Urotoxizität von Cyclophosphamid kann weiter reduziert werden, wenn der Patient viel trinkt (Verdünnung von Acrolein und verstärkte Diurese, 7 Kap. 12). Temozolomid ist ein lipophiles Alkylans, das gut ins ZNS penetriert und deshalb bei Hirntumoren wie dem Astrozytom und dem Glioblastom angewendet werden kann.
439 31.3 · Klassische Zytostatika
31
Platinverbindungen (Prototyp Carbopla- >>Die MTX-Toxizität lässt sich verringern, wenn 24 Stunden nach dem Zytostatikum tin) vernetzen DNA-Stränge bevorzugt über Folinsäure (5-Formyltetrahydrofolsäure) den Stickstoff in 7-Position von Guanin- und gegeben wird. Adeninringen und führen zu ähnlichen Konsequenzen wie Alkylanzien. Die w ichtigsten Die Folinsäuregabe wird auch als LeucoUAW der Platinverbindungen sind Übelkeit vorin- oder Citrovorum-Faktor-Rescue beund Erbrechen. Daher ist bei ihrer Anwenzeichnet. Im Gegensatz zur Antidot- dung eine gute antiemetische Begleittherapie Wirkung bei MTX verstärkt Folinsäure besonders wichtig. Carboplatin ist deutlich die zytostatische Wirkung von 5-FU, was weniger nephrotoxisch als das früher eingebei bestimmten Chemotherapieschemata setzte Cisplatin. (z. B. FOLFOX) genutzt wird. MTX wird Doxorubicin interkaliert in die DNA und renal ausgeschieden. Auf ausreichende RNA und hemmt dadurch die DNA- und Flüssigkeitszufuhr sowie alkalischen RNA-Polymerase. Außerdem hemmt es Urin-pH ist zu achten, weil es sonst zu TOPO-II und bilden ROS, die DNA-Schäden Ausfällungen und Nierenversagen komverursachen. Doxorubicin ist stark kardiotomen kann (7 Kap. 12). Penicilline und xisch. Zu Behandlungsbeginn kann es zu reBenzbromaron hemmen die MTX-Ausversiblen Arrhythmien kommen, später zu scheidung. Dementsprechend sind die Doirreversibler Kardiomyopathie. Diese tritt sis anzupassen bzw. die Arzneistoffe zeitauf, wenn eine kumulative Gesamtdosis von versetzt zu applizieren. 2 > 550 mg/m Körperoberfläche überschritten Das Purin-Analogon 6-MP wird über die wird. Deshalb ist es erforderlich, die PatienHypoxanthin-P hosphoribosyltransferase ten vor und während einer Therapie mit Do(HPRT) zu 6-MP-Monophosphat phosphorxorubicin kardiologisch zu überwachen. Bei yliert, das dann weiter zu 6-MP-Triphosphat Vorliegen von Arrhythmien oder CHF sollte phosphoryliert wird. Dieses wird als falsches dementsprechend auf den Einsatz von DoxoNukleotid in RNA und DNA eingebaut und rubicin verzichtet werden. führt durch Störung der Basenpaarung zum Bleomycin hat einen ähnlichen WirkmeKettenabbruch. Der 6-MP-Abbau erfolgt chanismus wie Doxorubicin und ist weniger über die XO und Thiopurinmethyltransfekardiotoxisch, induziert dafür aber schwere rase (TPMT). Bei Patienten, die wegen des Lungenfibrosen. Außerdem ist es dermatotoTumorlysesyndrom mit XO-Inhibitoren xisch; es treten allergische Reaktionen, Hybehandelt werden, wird die 6-MP-Toxiziperpigmentierungen, Ödeme und Ulzeratiotät deutlich verstärkt (7 Kap. 23). Es gibt nen auf. pharmakotherapeutisch relevante TPMT- Das Folsäure-Analogon MTX, das PyriPolymorphismen: midin-Analogon 5-FU und das Purin- Analogon 6-MP greifen in der S-Phase des >>10 % der Bevölkerung haben eine deutlich Zellzyklus ein. erniedrigte TPMT-Aktivität und bei 0,3 % MTX besitzt eine 1.000-fach höhere Affifehlt das Enzym. Bei diesen Patienten ist nität zur DHFR als Dihydrofolsäure und das Myelotoxizitätsrisiko von 6-MP stark hemmt das Enzym kompetitiv. Dadurch vererhöht. armen die Zellen an Tetrahydrofolsäure, die für die Synthese von Pyrimidin- und Purin- Deshalb sollten vor einer 6-MP-Therapie basen sowie der Aminosäuren Methionin die TPMT-Aktivität bestimmt und die Dound Serin wichtig ist. MTX ist stark myelo- sis angepasst werden (7 Kap. 2). Das Pyrimidin-Analogon 5-FU wird toxisch und hepatotoxisch und kann eine Mukositis sowie Gedächtnisstörungen ver- ebenso wie 6-MP als falsche Base in die DNA eingebaut, wodurch es zu Störungen ursachen (chemo brain).
440
31
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
in der Basenpaarung kommt. Klinisch relevante Enzympolymorphismen spielen auch in der Therapie mit 5-FU eine Rolle. Es wird durch die Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) inaktiviert. Bei ca. 8 % der Bevölkerung liegt eine Erniedrigung der DPD- Aktivität vor, was entsprechend die 5-FU-Toxizität deutlich erhöht. Auch bei diesen Patienten muss die Dosierung des Zytostatikums reduziert werden. Vinblastin ist ein Vincaalkaloid, das zur Depolymerisierung von Mikrotubuli führt. Dadurch wird die Ausbildung des Spindelapparates unterbunden und die Mitose in der Metaphase gehemmt. Da Mikrotubuli auch für den axonalen Transport bedeutsam sind, kommt es unter Vinblastintherapie häufig zu Polyneuropathie, die Sensorik und Motorik, das autonome Nervensystem und die Hirnnerven betreffen kann. Deshalb sollte Vinblastin bei Patienten mit bestehenden Polyneuropathien nicht angewendet werden und es müssen neurologische Kon trolluntersuchungen während der Vinblastintherapie durchgeführt werden. Paclitaxel führt über Mikrotubulistabilisierung zu Mitosehemmung in der Metaphase. Es kann allergische Reaktionen hervorrufen, die meist über den Lösungsvermittler Macrogolglycerolricinoleat (Cremophor EL) vermittelt werden (7 Kap. 3). Das Allergieproblem kann durch Infusion von Nanopartikel-gebundenem Paclitaxel umgangen werden. Paclitaxel wird über CYP3A4 metabolisiert. Bei gleichzeitiger Therapie mit CYP3A4-Inhibitoren werden typische Zytostatika-UAW verstärkt (7 Kap. 2). Paclitaxel ist wie Vinblastin neurotoxisch. Etoposid ist der Prototyp der TOPO-II- Inhibitoren, die die DNA-Entspiralisierung und damit den Zellzyklus in der S-Phase hemmen. Etoposid wird über MRP aus Tumorzellen exportiert. Durch erhöhte MRP-Expression kann sich Tumorzellresistenz entwickeln. Umgekehrt können MRP-Inhibitoren wie Verapamil oder Dronedaron die Etoposidtoxizität erhöhen (7 Kap. 2). Etoposid kann Typ-I-Allergien
auslösen (7 Kap. 3). Daher muss Etoposid langsam infundiert und der BD sowie die Atemfunktion müssen kontrolliert werden. Etoposid kann auch Translokationen auf Chromosom 11 verursachen. Dadurch können schwer behandelbare mixed-lineage- Leukämien entstehen. Irinotecan ist der Prototyp der TOPO-I- Inhibitoren. Es ist ein Prodrug, das in der Leber über Esterasen zum aktiven Metaboliten umgewandelt wird. Irinotecan wird vor allem bei Kolonkarzinomen eingesetzt. Es kann Diarrhoen auslösen (7 Kap. 13). Für die frühe Diarrhoe ist eine AChE-Hemmung verantwortlich, für die späte Variante eine direkte toxische Wirkung auf die Darmmukosa. Die AChE-Hemmung kann auch zum muskarinergen Syndrom führen (7 Kap. 5). Antidot für das muskarinerge Syndrom ist Atropin (7 Kap. 4).
31.4 Zielgerichtete
Tumorbeeinflussung: Targeted Therapeutics
Während klassische Zytostatika im Zell zyklus angreifen und viele gemeinsame UAW haben, ist die Situation bei den Targeted Therapeutics komplexer (. Tab. 31.2). Jeder Arzneistoff hat ein für ihn typisches UAW-Spektrum. Targeted Therapeutics werden häufig mit klassischen Zytostatika kombiniert. Da sie spezifische Mechanismen in bestimmten Neoplasien adressieren, ist ihr Indikationsspektrum häufig kleiner als das der klassischen Zytostatika. Dies erfordert eine gezielte molekulare Diagnostik, um sicherzugehen, dass die Arzneistoffzielstrukturen exprimiert sind. Einige Targeted Therapeutics beeinflussen für viele Tumoren relevante Mechanismen. Dazu gehören Arzneistoffe, die die Neoangiogenese hemmen. Die Neoangiogenese ist erforderlich, um den Tumor mit O2 und Nährstoffen zu versorgen. Einer der wichtigsten angiogenetischen Wachstumsfaktoren ist VEGF. Er bindet an den VEGFR,
441 31.4 · Zielgerichtete Tumorbeeinflussung: Targeted Therapeutics
der über seine TK-Domäne die Angiogenese stimuliert. Diese kann durch Antikörper, die VEGF neutralisieren (Bevacizumab), gehemmt werden. Antiangiogenetisch wirkende Arzneistoffe verursachen kardiovaskuläre UAW wie Thromboembolien (7 Kap. 18) und BD-Anstieg (7 Kap. 15). Überexprimierte Sexualhormonrezeptoren spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Tumorzellproliferation. Eine ER-Aktivierung kann die Proliferation von Mammakarzinomzellen stimulieren. Der SERM Tamoxifen wirkt an ER- exprimierenden Mammakarzinomzellen antag onistisch, während er an ER in Knochen, im Endometrium und im kardiovaskulären System agonistisch wirkt. Ein anderer Ansatz besteht darin, die Estrogensynthese durch Aromatase-Inhibitoren (Anastrozol) zu hemmen (7 Kap. 24). Viele Prostatakarzinome exprimieren den AR stark. Die Proliferation dieser Tumorzellen lässt sich dementsprechend durch AR- Antagonisten (Flutamid) hemmen (7 Kap. 24). Da Flutamid die Wirkung von AR-Agonisten an allen Organen blockiert, kommt es zu vielfältigen UAW. In der Tumorzellproliferation spielen Wachstumsfaktoren mit nachgeschalteten TK (oder allgemeiner PK) eine zentrale Rolle. Deshalb greift eine Vielzahl von Targeted Therapeutics an TK-gekoppelten Rezeptoren an. Trastuzumab ist ein Antikörper, der an den Rezeptor HER2 bindet und dessen Funktion damit blockiert. Er ist dazu geeignet, die Proliferation von HER2 stark exprimierenden Mammakarzinomzellen zu hemmen. Bestimmte Arzneistoffe hemmen potent die Aktivität von konstitutiv aktivierten PK, die für die Proliferation bestimmter Tumorzellen verantwortlich sind. Beispiele dafür sind Imatinib, welches das Fusionsprotein BCR-ABL bei der chronischen myeloischen Leukämie hemmt, und Vemurafenib, das die Aktivität einer beim malignen Melanom spezifischen Raf-Punktmutante inhibiert. Da aber fast alle PK-Inhibitoren letztlich nicht spezifisch sind für das Zielprotein,
31
sondern verschiedene PK mehr oder weniger potent hemmen, besitzen diese Arzneistoffe auch ein sehr breites UAW-Spektrum, das von Allgemeinbeschwerden wie Müdigkeit bis hin zu Induktion von Plattenepithelkarzinomen (Vemurafenib) reicht. Die Proteinkinasen CDK4 und CDK6 spielen ebenfalls eine zentrale Rolle am G1S-Phase-Checkpoint. Sie können durch Palbociclib gehemmt werden. Für die Reparatur von DNA-Schäden sind Tumorzellen abhängig von PARP1. PARP1-Inhibitoren (Olaparib) wirken zumindest bei einigen Neoplasieformen proliferationshemmend. Ein weiterer Ansatzpunkt in der zielgerichteten Therapie von Tumoren besteht darin, die Acetylierung von Histonen, die mit der DNA Komplexe bilden und dadurch die Genexpression regulieren, zu modulieren. So lässt sich die Expression von Tumorsuppressorgenen durch HDAC-Inhibition mit Panobinostat verstärken und damit die Proliferation hemmen, was letztlich in Apoptose mündet. Auch diese Arzneistoffe besitzen eine Vielzahl unterschiedlicher UAW. B-Zellen exprimieren sehr stark CD20. Eine Aktivierung von CD20 vermittelt Proliferationssignale. Rituximab bindet an CD20 und blockiert die darüber vermittelten Signalwege, sodass stark CD20 exprimierende Tumorzellen wie B-Zell-Lymphome und Non-Hodgkin-Lymphome in Apoptose gehen. Da aber CD20 nicht nur in Tumorzellen, sondern auch in normalen Immunzellen eine wichtige Rolle spielt, hat Rituximab viele UAW. Das Proteasom ist für die Inaktivierung fehlgefalteter und überschüssiger Proteine verantwortlich. Eine Inhibition dieser essentiellen Zellfunktion durch Carfilzomib bewirkt eine „Vermüllung“ der Tumorzellen und Apoptose. Dieser Mechanismus wird in der Therapie des multiplen Myeloms genutzt. Auch diese Strategie besitzt wegen ihrer generellen Bedeutung für die Zellbiologie viele UAW. Tumorzellen zu eliminieren ist eine wesentliche Aufgabe des Immunsystems.
442
Kapitel 31 · Arzneistoffe zur Behandlung von malignen Tumorerkrankungen
Gerade in späteren Tumorstadien ist es dazu jedoch nicht mehr ausreichend in der Lage. In Anbetracht der gravierenden UAW klassischer Zytostatika, die in vielen Fällen immunsuppressiv wirken und somit der Tumorzellelimination entgegenwirken, zielen neue Therapieansätze darauf hin, die Immunabwehr zu verbessern und damit indirekt die Tumorzellapoptose zu verstärken. Pembrolizumab hemmt die Apoptose tumorspezifischer T-Zellen und führt dadurch zu verstärkter Apoptose der Tumorzellen. Diese Strategie wird in der Therapie des inoperablen malignen Melanoms genutzt. Da aber auch hier ein Eingriff in generell bedeutsame Immunmechanismen erfolgt, treten bei dieser Therapie ebenfalls gravierende UAW auf, insbesondere schwere Autoimmunreaktionen (7 Kap. 11). Diese UAW müssen sorgfältig gegen den erwarteten Therapieerfolg und die derzeit hohen Therapiekosten abgewogen werden. Lenalidomid wirkt über eine Stimulation der Ubiquitinierung antiangiogenetisch und immunmodulierend, wodurch die Tumorzellapoptose beschleunigt wird. Dieser Ansatz hat eine deutliche Verbesserung der Prognose beim multiplen Myelom erbracht. Al
31
lerdings weist Lenalidomid auch gravierende UAW auf. Es wirkt teratogen (Verschreibung nur über spezielle T-Rezepte mit Sicherstellung einer Kontrazeption) und kanzerogen, d. h. es erhöht das Risiko für die Entstehung akuter myeloischer Leukämie. Außerdem kann Lenalidomid als Folge seiner antiangiogenetischen Wirkung Thromboembolien auslösen (7 Kap. 18).
Fallbeispiel
Ein 63-jähriger Patient mit einem metastasierten Kolonkarzinom erhält eine Kombinationschemotherapie von 5-Fluoruracil + Carboplatin + Folinsäure (FOLFOX). Plötzlich entwickelt der Patient Fieber. Im Blutbild stellen Sie eine Neutropenie (400 neutrophile Granulozyten/μl) fest.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Wie gehen Sie diagnostisch vor? 2. Wie gehen Sie therapeutisch vor? Lösungen 7 Kap. 37
443
Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen Inhaltsverzeichnis 32.1
rinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie P und Begriffsbestimmungen – 444
32.2
ichtige bakterielle Infektionen und deren W Pharmakotherapie – 457
32.3
ntibakterielle Arzneistoffe, die die A Zellwandbiosynthese hemmen – 460
32.4
ntibakterielle Arzneistoffe, die die DNA-Replikation A hemmen – 463
32.5
ntibakterielle Arzneistoffe, die die A Proteinbiosynthese hemmen – 464
32.6
ntibakterielle Arzneistoffe, die die A Tetrahydrofolsäuresynthese hemmen – 466
32.7
Antimykobakterielle Arzneistoffe – 467
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_32
32
444
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Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Bakterien können ernste Infektionserkrankungen auslösen. Da sich Bakterien von menschlichen Zellen stark unterscheiden, lassen sich bakterielle Infektionen prinzipiell sehr gut mit antibakteriellen Arzneistoffen behandeln. Hauptproblem sind Arzneistoffresistenzen u. a. als Folge eines unkritischen Einsatzes dieser Arzneistoffe. Dies hat zur Entwicklung multiresistenter Stämme (z. B. MRSA) geführt, die schwerwiegende Krankenhausinfektionen verursachen können. Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme sowie Glycopeptide hemmen die Zellwandsynthese und wirken bakterizid. Fluorchinolone hemmen die bakterielle Gyrase und wirken bakterizid; ebenso Nitroimidazole über die Bildung von DNA-Addukten. Aminoglykoside wirken über eine Proteinbiosynthesehemmung bakterizid, Makrolide, Lincosamide und Tetrazykline wirken über diesen Mechanismus bakteriostatisch. Die antimykobakteriellen Arzneistoffe INH, RMP und PZA sind bakterizid, EMB ist bakteriostatisch. Der DHFR-Inhibitor TMP ist bakteriostatisch. Zur erfolgreichen Behandlung bakterieller Infektionen ist eine ausreichend lange und hoch dosierte Gabe von antibakteriellen Arzneistoffen erforderlich. Sie können Störungen der GI-Bakterienflora und Allergien hervorrufen sowie Arzneistoff-spezifische UAW auslösen.
Merksätze 55 Antibakterielle Arzneistoffe dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn tatsächlich eine bakterielle Infektion vorliegt. 55 Der unkritische Einsatz von antibakteriellen Arzneistoffen fördert die Selektion multiresistenter Krankheitserreger. 55 Wenn immer möglich, sollte der Einsatz antibakterieller Arzneistoffe durch ein Antibakteriogramm begründet sein. 55 Vor dem Beginn einer antibakteriellen Pharmakotherapie muss der Patient nach bekannten Allergien gefragt werden. 55 Der Einsatz von Sulfonamiden sollte wegen des hohen Allergierisikos vermieden werden. 55 Unkomplizierte Harnwegsinfekte der Frau können mit Fosfomycin behandelt werden.
55 Zur Behandlung ambulant erworbener Pneumonie werden Amoxicillin, Makrolide und Doxycyclin eingesetzt. 55 Die Borreliosetherapie erfolgt mit Doxycyclin, Amoxicillin oder Cefuroximaxetil. 55 Pseudomonas aeruginosa ist ein häufiger Sepsiserreger und wird mit Piperacillin + Tazobactam, Ceftazidim oder Meropenem behandelt. 55 Die pseudomembranöse Enterokolitis wird durch Clostridium difficile hervorgerufen und mit Metronidazol oder Vancomycin behandelt. 55 Die Tuberkulosetherapie erfolgt über zwei Monate mit INH + RMP + EMB + PZA und für vier Monate mit INH + RMP. 55 Penicilline unterscheiden sich voneinander in Säurefestigkeit, Penicillinasefestigkeit und Wirkspektrum. 55 Cephalosporine werden nach dem Wirkspektrum in fünf Generationen unterteilt. 55 Penicilline und Cephalosporine haben ein hohes Risiko für allergische Reaktionen. 55 Vancomycin wird bei MRSA und pseudomembranöser Enterokolitis eingesetzt. 55 Fluorchinolone können gravierende UAW im ZNS sowie Tendopathien hervorrufen. 55 Metronidazol wirkt gegen Anaerobier und ist neurotoxisch. 55 Makrolide können durch CYP-Hemmung Arzneistoffinteraktionen hervorrufen. 55 Aminoglykoside werden bei schweren Infektionen eingesetzt und sind oto- und nephrotoxisch.
32.1 Prinzipien der
antibakteriellen Arzneitherapie und Begriffsbestimmungen
Antibakterielle Arzneistoffe werden zur Behandlung bakteriell verursachter Erkrankungen (Infektionen oder Infektionserkran-
445 32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und …
kungen) eingesetzt, jedoch zu häufig und unkritisch gegeben. Das führt zur Verschleierung von Krankheitsbildern, UAW (z. B. Diarrhoe oder Allergien) und Resistenzentwicklung gegen viele Bakterienstämme. Die Resistenzentwicklung stellt ein gravierendes Problem dar, da in den letzten Jahrzehnten kaum neue antibakterielle Arzneistoffe entwickelt wurden. Antibakterielle Arzneistoffe sind nicht dazu geeignet, virale Infektionen oder Mykosen zu behandeln oder Fieber zu senken; das sind leider immer noch häufige Fehlanwendungen in Klinik und Praxis. >> Traditionell werden die antibakteriellen Arzneistoffe (meist unreflektiert) als „Anti biotika“ bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch inkorrekt, da er impliziert, dass diese Arzneistoffe gegen jedwede Form von Leben gerichtet sind. Die Unschärfe des Begriffes „Antibiotika“ ist eine der Ursachen dafür, dass diese Arzneistoffe viel zu großzügig bei viral bedingten Atemwegsinfektionen eingesetzt werden, bei denen sie völlig wirkungslos sind.
Nur weil der Begriff „Antibiotika“ von (fast) jedem (unreflektiert) benutzt wird, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Begriff auch korrekt ist. Der Begriff „anti bakterielle Arzneistoffe“ erlaubt zudem eine präzisere Abgrenzung gegenüber Erkrankungen, die durch andere Erreger wie Viren und Pilze hervorgerufen werden (7 Kap. 33 und 34). Es ist wünschenswert und bei schweren Infektionen (z. B. nosokomialen Infektionen, Sepsis, Infektionen immunsupprimierter Patienten) erforderlich, vor Beginn einer antibakteriellen Arzneitherapie Material zu gewinnen, um pathogene Bakterien auf Kulturplatten anzuzüchten und die Empfindlichkeit gegenüber antibakteriellen Arzneistoffen festzustellen (Antibakteriogramm). Allgemein wird häufig der Begriff „Antibiogramm“ verwendet. Dieser Begriff sollte jedoch nicht mehr verwendet werden, da es nicht um die Empfindlichkeit aller Lebensformen für ei
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nen bestimmten Arzneistoff geht, sondern nur um Bakterien. Ebenso problematisch wie der Begriff „Antibiogramm“ ist der Begriff „Antibiose“ für eine antibakteri elle Arzneitherapie. Die Benutzung der vorgeschlagenen wissenschaftlich korrekten Begriffe ist auch deshalb sinnvoll, weil damit eine Konsistenz mit den etablierten Termini „bakteriosta tisch“ und „bakterizid“ erzielt wird. Es heißt im Zusammenhang mit der antibakteriellen Arzneitherapie ja auch nicht „biostatisch“ (alles Wachstum im Leben wird angehalten) oder gar „biozid“ (alles Leben wird abgetötet)! Letzteres wäre noch viel schlimmer als der Genozid (Holocaust). Der Begriff „Antiinfektiva“ ist ebenso nicht eindeutig definiert. Im Zusammenhang mit der antibakteriellen Therapie wird häufig auch der Begriff „Chemothe rapeutika“ verwendet. Dieser Begriff sollte ebenfalls vermieden werden, da die Chemotherapie auch die klassische zytostatische Therapie von malignen Tumorerkrankungen und die antivirale, antimykotische und antiparasitäre Arzneitherapie beinhaltet (7 Kap. 31, 33 und 34).
>> In Zukunft sollten nur Begriffe verwendet werden, die eindeutige Zuordung zu den jeweiligen Krankheitserrergern erlauben: Antibakterielle Arzneitherapie, antivirale Arzneitherapie, antimykotische Arzneithe rapie, antiparasitäre Arzneitherapie. Diese Nomenklatur entspricht auch der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil).
In den meisten Fällen wird nicht auf das Ergebnis der mikrobiologischen Analyse gewartet, da sie zeitaufwändig ist und sich in der Zwischenzeit der Zustand des Patienten verschlechtern könnte. Die Therapie wird empirisch mit einem typischerweise bei der jeweiligen Erkrankung wirksamen antibakteriellen Arzneistoff begonnen. Bei der Auswahl sind neben wahrscheinlicher Wirksamkeit, UAW, Kontraindikationen sowie Arzneistoffinteraktionen zu beachten. Bei leichteren Infektionen können antibakterielle Arzneistoffe
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Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
p.o. angewendet werden. Bei schweren Infektionen und/oder ungünstigen pharmakokinetischen Eigenschaften des Arzneistoffs (z. B. Penicillin G, Gentamicin) müssen sie parenteral (meist i.v.) verabreicht werden. >> Vor Beginn einer antibakteriellen Arzneitherapie muss eine sorgfältige Diagnostik durchgeführt werden, die der Art und dem Schweregrad der Erkrankung angemessen ist.
. Tab. 32.1 gibt eine Zusammenstellung ausgewählter bakterieller Infektionserkrankungen sowie zu deren Therapie geeigneter antibakterieller Arzneistoffe. . Tab. 32.2 fasst Eigenschaften wichtiger antibakterieller Arzneistoffe zusammen. Grundsätzlich unterscheidet man bakteriostatisch und bakterizid wirkende antibakterielle Arzneistoffe (. Abb. 32.1). Zu letzteren gehören die Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme, Glycopeptide, Aminoglykoside und Fluorchinolone. Bei Penicillinen, Cephalosporinen und Carbapenemen ist die Abtötungskinetik zeitabhängig, bei Aminoglykosiden und Fluorchinolonen konzentrationsabhängig. Unter Umständen gibt es eine Population von Bakterien, die durch bakterizide Arzneistoffe nicht abgetötet wird (Persister). Nach Therapieende kann es daher auch bei bakteriziden Arzneistoffen zum Wiederaufflackern einer Infektion kommen. Bei bakteriostatischen Arzneistoffen kommt es lediglich zu einer Proliferationshemmung, weshalb eine Beteiligung der körpereigenen Abwehr zur Ausheilung der Infektion erforderlich ist.
32
>> Daher werden bei immunsupprimierten Patienten vor allem bakterizide Arzneistoffe eingesetzt (7 Kap. 11).
Aus der in vitro bestimmten minimalen Hemmkonzentration (MHK) des Antibakteriogramms werden Informationen zur Dosierung antibakterieller Arzneistoffe abgeleitet. Bakterielle Infektionen lassen sich prinzipiell einfacher behandeln als Mykosen
(7 Kap. 34), weil sich Bakterien viel stärker von menschlichen Zellen unterscheiden als Pilze. . Abb. 32.2 zeigt die wichtigsten Angriffspunkte antibakterieller Arzneistoffe. Bakterien besitzen eine Zellwand. Daher stellt die Hemmung der Zellwandbiosynthese durch Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme einen sehr wirkungsvollen und selektiven Angriffspunkt zur Therapie von bakteriellen Infektionen dar. Auch Glycopeptide hemmen die Zellwandsynthese. Zur Replikation der Bakterien-DNA sind DNA-superspiralisierende Enzyme (Gyrasen oder Topoisomerasen) erforderlich, die sich strukturell sehr deutlich von den Topoisomerasen menschlicher Zellen unterscheiden. Daher sind Gyrase-Inhibitoren aus der Klasse der Fluorchinolone ebenfalls sehr wirksame antibakterielle Arzneistoffe. Nitroimidazole hemmen ebenfalls die DNA-Replikation. Da sich bakterielle Ribosomen strukturell von menschlichen Ribosomen unterscheiden, ist die bakterielle Proteinbiosynthese sehr gut als pharmakologischer Angriffspunkt geeignet. Tetrazykline, Makrolide, Lincosamide und Aminoglykoside wirken hier hemmend. Wegen der strukturellen Unterschiede von bakterieller und menschlicher DHFR stellt die Hemmung des bakteriellen Enzyms einen weiteren Angriffspunkt für antibakterielle Arzneistoffe dar. Antimykobakterielle Arzneistoffe haben unterschiedliche Angriffspunkte (. Abb. 32.2). Antibakterielle Arzneistoffe können mit den organspezifischen Mikrobiomen des Menschen interferieren. Wichtige Beispiele sind Störungen der GI-Bakterienflora, wodurch Diarrhoen oder pseudomembranöse Enterokolitis (. Tab. 32.1) entstehen können, oder Störungen der Vaginalflora mit möglichen Candida-albicans-Superinfektionen. Antibakterielle Arzneistoffe können allergische Reaktionen hervorrufen. Von Resistenz wird gesprochen, wenn eine Unempfindlichkeit eines pathogenen Bakteriums gegenüber einem antibakteriel
Akuter unkomplizier ter Harnwegs infekt der Frau
Inzidenz bei jüngeren Frauen ca. 5 %
Meist Bakterien der endogenen Darmflora
Parameter
Epidemio logie
Übertra gung und Erreger
Meist Bakterien der endogenen Flora der oberen Atemwege
In Deutschland >200.000 CAP-Patienten/ Jahr stationär behandelt; Letalität hospitalisierter Patienten 13 %
Ambulant erworbene Pneumonie (communityacquired pneumonia, CAP)
Biss von infizierten Zecken, meist März – Oktober; oft wird Zeckenbiss nicht bemerkt. Borrelia burgdorferi
Ca. 50.000–100.000 Erkrankungen pro Jahr in Deutschland
Borreliose
Meist Bakterien aus einem endogenen Sepsisherd
Ca. 150.000 Erkrankungen in Deutschland pro Jahr; Letalität 36 %
Sepsis
.. Tab. 32.1 Übersicht über einige wichtige bakterielle Infektionserkrankungen beim Menschen
In Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen durch Personal oder Patienten oder endogene Flora. Clostridium perfringens
Ca. 450.000 Erkrankungsfälle pro Jahr in den USA; Letalität ca. 7 %
Pseudomembra nöse Enterokoli tis
Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Landwirtschaft, Kläranlage. Staphylococcus aureus
Ca. 50.000 Infektionen pro Jahr in Deutschland; Anzahl der Todesfälle schwankt zwischen 1.500–40.000
Infektion mit MRSA
(Fortsetzung)
Meist Tröpfcheninfektion (Auswurf infizierter Personen). Mycobacterium tuberculosis
Ca. 5.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland; ca. 100 Todesfälle. Weltweit ca. 9 Millionen Neuinfektionen pro Jahr und 1,3 Millionen Todesfälle
Tuberkulose
32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und … 447
32
Akuter unkomplizier ter Harnwegs infekt der Frau
Sexuelle Aktivität, Schwangerschaft, Diabetes, antibakterielle Arzneitherapie, Spermizide, Pessare
Algurie, Pruritus, Harndrang, Pollakisurie, Makro/ Mikrohäma turie
Parameter
Risikofak toren
Typische klinische Manifes tationen
.. Tab. 32.1 (Fortsetzung)
Fieber, Husten, Auswurf, radiologische Infiltrate in der Lunge
1. Stadium: Hautinfektion (Erythema migrans, Wanderröte), unspezifische Allgemeinsymptome
Aktivitäten in der Natur ohne ausreichenden Schutz (kurze Hosen, keine Schuhe, knappe Oberteile, dunkle und raue Kleidung), Kontakt zu Haus- und Wildtieren
Borreliose
32
Hypertonie, KHK, CHF, vorangegangene Influenza, erhöhtes Lebensalter (>60 Jahre), COPD, Heimsauertherapie
Ambulant erworbene Pneumonie (communityacquired pneumonia, CAP)
Fieber über 39 °C oder erniedrigte Körpertemperatur (< 36 °C), Tachykardie, Tachypnoe, Leukozytose oder Leukopenie; stabförmige Granulozyten
Immunsuppression, Zytostatikatherapie, hohes Lebensalter, unzureichende chirurgische Sanierung von Sepsisherden, Unterschätzung der Gefährlichkeit einer Sepsis
Sepsis
Durchfall, Bauchkrämpfe, Fieber, Leukozytose, langstreckige Wandverdickung des Kolons (Sonographie, Computertomographie)
Schädigung der endogenen Darmflora durch antibakterielle Arzneitherapie (besonders Fluorchinolone und Cephalosporine); langfristige und unkritische PPI-Therapie
Pseudomembra nöse Enterokoli tis
Hautentzündungen (Furunkel, Karbunkel), Pyomyositis, Pneumonie, Endokarditis
Mangelhafte Händedesinfektion, fehlende Schutzkleidung, unkritischer Einsatz von antibakteriellen Arzneistoffen im Krankenhaus, der Praxis und in der Tierzucht
Infektion mit MRSA
Primärtuberkulose der Lunge mit Lymphknotenschwellung. Müdigkeit, Schwäche, Gewichtsabnahme, Husten, Auswurf, leichtes Fieber, Nachtschweiß
Immunsuppression (besonders häufig HIV-Infektion), Obdachlosigkeit, Drogenkonsum, Alkoholkonsum, Gefängnisinsassen, Armut, Mängel im Gesundheitswesen (z. B. Osteuropa)
Tuberkulose
448 Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Chronifizierung, Pyelonephritis, Sepsis, bei unzureichender oder falscher Behandlung Selektion multiresistenter Erreger
Kurzzeittherapie mit TMP (Kombination mit Sulfamethoxazol zu viele UAW und daher zu unterlassen), Fosfomycin (Epoxid), Nitrofurantoin (Nitrofuran- Derivat), Ciprofloxacin
Komplika tionen
Anti bakterielle Arznei therapie
Therapie entsprechend Schweregrad. Leichte CAP: Amoxicillin, neueres Makrolid (Clarithromycin, Azithromycin) oder Doxycyclin. Mittelschwere CAP: Ceftriaxon, Cefuroximaxetil oder Amoxicillin + Clavulansäure, neuere Fluorchinolone (Moxifloxacin, Levofloxacin). Therapiedauer meist 5–7 Tage
Sepsis, HerzKreislauf-Versagen, Lungenversagen, Multiorganversagen
2–3 Wochen Therapie mit Doxycyclin (nicht bei Schwangeren, stillenden Müttern und Kindern < 8 Jahre wegen Knochen- und Zahnschäden!), Amoxicillin oder Cefuroximaxetil. In schweren Fällen Cefotaxim i.v.
Bei Nichterkennen des 1. Stadiums Übergang in 2. Stadium: Neuroborreliose (z. B. Fazialisparese, Meningitis, Enzephalitis). 3. Stadium: chronisches Stadium mit Befall vieler Organe einschließlich Gelenken Vor Beginn der Therapie Blutkulturen abnehmen zur Erregeranzüchtung und Antibakteriogrammerhebung (Ergebnis in 24–48 Stunden), sofortiger empirischer Therapiebeginn mit antibakteriellen Arzneistoffen (i.v.), die sich nach dem vermuteten Erreger richten. Beispiel Pseudomonas aeruginosa: Piperacillin + Tazobactam oder Ceftazidim oder Meropenem. Anpassung der Therapie nach Vorliegen des Antibakteriogramms, Therapiedauer 7–10 Tage
Herz/Kreislaufversagen, Multiorganversagen
Absetzen des auslösenden antibakteriellen Arzneistoffs, Therapie mit Metronidazol für 10 Tage; Vancomycin bei schweren Verläufen
Dehydratation, toxisches Megakolon, Kolonperforation, septischer Schock
Einsatz von antibakteriellen Arzneistoffen wie Vancomycin, Daptomycin und Tigecyclin
Sepsis, toxisches Schocksyndrom
Bei gesicherter Diagnose zunächst 2-monatige Therapie mit INH + RMP + EMB + PZA, für weitere 4 Monate Therapie mit INH + RMP.
Sekundäre Tuberkulose mit Zerstörung der Lunge; Organtuberkulose (z. B. Gehirn, Leber, Knochen), Sepsis
32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und … 449
32
32
Arzneistoff gruppe
Aminopenicillin
Cephalosporin der 1. Generation
Cephalosporin der 3. Generation
Cephalosporin der 3. Generation
Cephalosporin der 2. Generation
Arzneistoff
Amoxicillin
Cefazolin
Ceftazidim
Ceftriaxon
Cefuroxima xetil
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Erweitertes Wirkspektrum wegen β-Laktamasestabilität (Haemophilus influenzae)
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Breites Erregerspektrum (z. B. Gonokokken, Meningokokken und Enterococcus cloacae)
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Pseudomonas aeruginosa
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae, Escherichia coli
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Erweitertes Wirkungsspektrum im Vergleich zu Penicillin G; beinhaltet auch Enterokokken, Haemophilus influenzae, Proteus mirabilis
Wichtige Wirkungen, empfindliche Erreger
Infektionen mit empfindlichen Erregern; lipophiles Prodrug, das zur p.o.-Applikation geeignet ist
Infektionen mit empfindlichen Erregern; parenterale Applikation
Insbesondere Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa; säurelabil, daher parenterale Applikation
Infektionen mit empfindlichen Erregern; parenterale Applikation
Infektionen mit empfindlichen Erregern, säurestabil (p.o.-Applizierbarkeit) und penicillinaselabil, daher häufig Kombination mit Penicillinase-Inhibitor Clavulansäure (keine eigene antimikrobielle Aktivität)
Wichtige Indikationen
Siehe Cefazolin
Siehe Cefazolin
Siehe Cefazolin
Allergien (1–2 %), 5–8 % Kreuzallergie mit Penicillinen, GI-Beschwerden (Diarrhoe), Nephrotoxizität bei Kombination mit Aminoglykosiden
Siehe Penicillin V
Wichtige UAW
.. Tab. 32.2 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von bakteriellen Infektionserkrankungen
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 3, 12, 13
Weitere Zusam menhänge in Kapi tel
450 Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Fluorchinolon
Makrolid
Lincosamid
Tetrazyklin
Ciprofloxacin
Clarithro mycin
Clindamycin
Doxycyclin
Bakteriostatisch, Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese. Insbesondere Chlamydien und Mykoplasmen, Borrelia burgdorferi
Bakteriostatisch, Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese. Staphylokokken, Streptokokken, anaerobe gramnegative Bakterien (z. B. Bacteroides, Fusobacterium)
Bakteriostatisch, Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese. Streptokokken, Haemophilus influenzae, Legionellen, Mykoplasmen, Chlamydien
Bakterizid, Hemmung der DNA-Gyrase (TOPO-II). Breites Erregerspektrum inklusive Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Haemophilus influenzae und Pseudomonas aeruginosa
Infektionen mit empfindlichen Erregern, p.o.-Applikation, gute Gewebegängigkeit
Infektionen mit empfindlichen Erregern; zur p.o.-Applikation geeignet und gute Gewebegängigkeit
Infektionen mit empfindlichen Erregern; p.o.- und parenterale Applikation, gute Gewebegängigkeit (außer Liquor)
Infektionen mit empfindlichen Erregern, p.o.-Applikation und gute Gewebegängigkeit
Chelatbildung mit Calcium, Magnesium und Eisen, Einlagerung in Knochen und Zähne des Embryo/Fetus bei Einnahme in der Schwangerschaft (Kontraindikation!), GI-Beschwerden, Fotodermatosen
GI-Probleme (Diarrhoe, Erbrechen, Übelkeit), erhöhtes Risiko für pseudomembranöse Enterokolitis; Verstärkung der Wirkung von nAChR-Agonisten und Antagonisten
Arzneistoffinteraktionen durch Hemmung von CYP3A4 und CYP1A2, GI-Beschwerden, Leberschädigung
Resorptionshemmung von Calcium, Magnesium und Eisen; GI-Beschwerden (15 %), ZNS-Störungen (5 %) (Verwirrung, Halluzinationen, Psychosen, epileptische Krampfanfälle), Allergie, fototoxische Reaktionen, Tendopathien
(Fortsetzung)
7 Kap. 2
7 Kap. 5
7 Kap. 2, 13, 17
7 Kap. 2, 3, 13
32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und… 451
32
Arzneistoff gruppe
Dibutanol- Derivat
Isoxazolyl- Penicillin
Epoxid
EMB
Flucloxa cillin
Fosfomycin
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese, Wirksamkeit bei β-Laktamase-bildenden Bakterien. Breites Wirkspektrum im grampositiven und gramnegativen Bereich inklusive Escherichia coli, Citrobacter und Proteus-Arten
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Staphylococcus aureus
Bakteriostatisch, Hemmung der Zellwandsynthese. Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium leprae
Wichtige Wirkungen, empfindliche Erreger
32
Arzneistoff
.. Tab. 32.2 (Fortsetzung)
Einmal-Hochdosistherapie unkomplizierter Harnwegsinfekte, dazu gut geeignet wegen Anreicherung im Urin und guter Wirksamkeit bei niedrigem pH, wegen rascher Resistenzentwicklung nicht für Langzeittherapie geeignet
Infektionen mit empfindlichen Staphylococcus aureus-Stämmen, NICHT jedoch MRSA-Stämmen, säurestabil und penicillinasefest; p.o.-Applizierbarkeit
Tuberkulose, Lepra
Wichtige Indikationen
Insgesamt gute Verträglichkeit und wenig UAW
Siehe Penicillin V
Schädigung des N. opticus (Reduktion der Sehschärfe, Farbsehstörungen, Gesichtsfeldausfälle, Opticusatrophie), Hyperurikämie, Leberschädigung
Wichtige UAW
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 23
Weitere Zusam menhänge in Kapi tel
452 Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Aminoglykosid
NikotinsäureDerivat
Carbapenem
Gentamicin
INH
Meropenem
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Stabilität gegenüber der renalen Dihydropeptidase. Breites Wirkspektrum im grampositiven und gramnegativen Bereich (inklusive Pseudomonas aeruginosa und Anaerobiern)
Bakterizid auf proliferierende Erreger, Hemmung der Zellwandsynthese und DNA-Synthese. Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium leprae
Bakterizid, Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese. Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae; synergistische Wirkung mit Penicillinen bei Streptokokken, Enterokokken, Listeria monocytogenes und Pseudomonas aeruginosa
Schwere Mischinfektionen, Sepsis, parenterale Applikation
Tuberkulose, Lepra; p.o.Applikation und gute Gewebegängigkeit
Lebensbedrohliche Infektionen mit empfindlichen Erregern (vor allem Sepsis); parenterale Applikation; keine gute Gewebegängigkeit, keine Liquorgängigkeit
Siehe Penicillin G
Neurotoxizität (Kopfschmerzen, psychische Probleme) und Polyneuropathie (Parästhesien an Händen und Füßen) durch funktionellen Antagonismus mit Vitamin B6; daher prophylaktische Vitamin B6-Gabe; Hepatotoxizität; GI-Beschwerden (5 %) und dermatologische Probleme (2 %)
Irreversible Ototoxizität (Hörverlust, Gleichgewichtsstörungen) durch Akkumulation in der Perilymphe, reversible Nephrotoxizität, die durch NKCC-Inhibitoren, Ciclosporin, Vancomycin und Amphotericin B verstärkt wird, selten neuromuskuläre Blockade
(Fortsetzung)
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 4
7 Kap. 12
32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und… 453
32
Arzneistoff gruppe
Nitroimidazol
Benzylpenicillin
Oralpenicillin
Metronidazol
Penicillin G
Penicillin V
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Streptokokken, Meningokokken, Gonokokken, Anaerobier
Bakterizid, Hemmung der Zellwandsynthese. Streptokokken, Meningokokken, Gonokokken, Anaerobier
Antiinflammatorisch, bakterizid, Bildung kovalenter DNA-Addukte. Prodrug, das unter anaeroben Bedingungen aktiviert wird; daher starke Wirkung auf Anaerobier. Außerdem Wirkung auf bestimmte pathogene Protozoen wie Trichomonas vaginalis, Entamoeba histolytica und Giardia lamblia
Wichtige Wirkungen, empfindliche Erreger
32
Arzneistoff
.. Tab. 32.2 (Fortsetzung)
Siehe Penicillin G, säurestabil und daher p.o. applizierbar; weniger schwere Infektionen
Streptokokkeninfektionen, Meningitis, Gonorrhoe, Weichteilinfektionen mit Anaerobiern; säurelabil und daher nur parenteral applizierbar, vor allem schwere Infektionen, da hohe Plasmakonzentrationen erreicht werden können
Anaerobierinfektionen; p.o.-Applikation und gute Gewebegängigkeit; Infektionen mit pathogenen Protozoen; Rosacea und periorale Dermatitis in der Dermatologie. Klassisches Beispiel für Repurposing
Wichtige Indikationen
Siehe Penicillin G; Risiko für GI-Beschwerden höher als bei Penicillin G
Allergien (1–10 % Urtikaria, 1 : 100.000 anaphylaktischer Schock), Diarrhoe, pseudomembranöse Enterokolitis, Neurotoxizität bei hohen Dosierungen und CKD
Metallischer Geschmack, Stomatitis, Alkoholunverträglichkeit, Neurotoxizität insbesondere bei langer Therapiedauer und langer Dauer (Kopfschmerzen, Ataxie, Parästhesie). Maximale Therapiedauer daher 10–14 Tage (z. B. im Rahmen der italienischen Tripeltherapie bei Infektion mit Helicobacter pylori)
Wichtige UAW
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 3, 12, 13
7 Kap. 1, 13
Weitere Zusam menhänge in Kapi tel
454 Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Acylamino penicillin + β-LaktamaseInhibitor
NikotinamidDerivat
Ansamycin
Piperacillin + Tazobactam
PZA
RMP
Bakterizid auf proliferierende Erreger, Hemmung der bakteriellen RNA-Polymerase und damit der Proteinbiosynthese. Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium leprae, zusätzlich Staphylokokken, Enterokokken, Legionellen
Bakterizid, intrabakterielle Akkumulation von Pyrazincarbonsäure (Interferenz mit NAD-Synthese), Wirkung ist pH-abhängig. Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium leprae
Breites Erregerspektrum inklusive Pseudomonas aeruginosa
Tuberkulose, Lepra sowie andere Infektionen mit empfindlichen Erregern; p.o.-Applikation und gute Gewebegängigkeit
Tuberkulose, Lepra
Sepsis und Krankenhausinfektionen, parenterale Applikation; β-Laktamase-labil (daher Kombination mit Tazobactam)
Flu-Syndrom bei intermittierender Einnahme; Hepatotoxizität insbesondere bei hohen Dosierungen und Kombination mit INH (Kontrolle der Leberwerte), GI-Beschwerden, dermatologische Probleme, Orangefärbung von Köperflüssigkeiten; durch CYP-Induktion verminderte Wirkung von VKA und ER- und/oder PR-Agonisten enthaltenden Kontrazeptiva
Hyperurikämie, Leberschädigung, GI-Beschwerden, Hautreaktionen
Siehe Penicillin G
(Fortsetzung)
7 Kap. 2, 18, 19, 24
7 Kap. 23
7 Kap. 3, 12, 13
32.1 · Prinzipien der antibakteriellen Arzneitherapie und… 455
32
DHFR- Inhibitor
Glycopeptid
TMP
Vancomycin
Bakterizid auf proliferierende Erreger, Hemmung der Zellwandsynthese, keine Kreuzresistenz mit β-Laktamasebildnern. Staphylococcus aureus, Koagulase-negative Staphylokokken, Streptokokken und Enterokokken
Bakteriostatisch, Hemmung der Dihydrofolsäuresynthese und damit indirekt Hemmung der Synthese von Thymidin, Purinbasen, Methionin und Serin. Breites Wirkspektrum gegen grampositive und gramnegative Erreger
Wichtige Wirkungen, empfindliche Erreger
Reservearzneistoff für Infektionen mit empfindlichen Erregern, auch MRSA; parenterale Applikation; p.o.-Applikation nur bei pseudomembranöser Enterokolitis
Vor allem unkomplizierter Harnwegsinfekt bei der Frau. Durch Kombination mit Sulfamethoxazol deutliche Erweiterung des Wirkspektrums (auch auf Toxoplasma gondii und Pneumocystis jirovecii)
Wichtige Indikationen
Ototoxizität (Akkumulation bei Niereninsuffizienz), Nephrotoxizität, Red-Man-Syndrom bei zu schneller Infusion
Allergie, GI-Beschwerden; durch Kombination mit Sulfamethoxazol wesentlich stärkere UAW; Allergie (bis zu 10 %), SJS, Fotosensibilisierung, Granulozyto- und Thrombopenie
Wichtige UAW
7 Kap. 3, 12
7 Kap. 3, 34
Weitere Zusam menhänge in Kapi tel
Bitte beachten, dass diese Tabelle bewusst nicht alle in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil) aufgeführten antibakteriellen Arzneistoffe listet (z. B. Cephalosporine der 4. und 5. Generation, Nitrofurantoin). In der Tabelle werden außerdem bewusst traditionelle Begriffe wie „Breitbandantibiotikum“, „Reserveantibiotikum“ oder „Tuberkulostatikum“ vermieden, da sie nicht klar definiert sind. Die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste (siehe Serviceteil) illustriert das Problem unklarer Begriffe im Bereich der antibakteriellen Arzneitherapie. Durch präzise Begriffe wird auch die Therapie verbessert!
Arzneistoff gruppe
32
Arzneistoff
.. Tab. 32.2 (Fortsetzung)
456 Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
457 32.2 · Wichtige bakterielle Infektionen und deren Pharmakotherapie
32
Zahl der lebenden Bakterien
Wachstum ohne antibakteriellen Arzneistoff Gabe des antibakteriellen Arzneistoffs
mit bakteriostatischem Arzneistoff
mit bakterizidem Arzneistoff Persister Zeit Latenz
.. Abb. 32.1 Bakterizide und bakteriostatische Wirkung von antibakteriellen Arzneistoffen
len Arzneistoff vorliegt, d. h. die MHK liegt über der im Plasma erreichbaren Konzentration. Es gibt natürliche und erworbene Resistenzen gegenüber antibakteriellen Arzneistoffen. Erworbene Resistenzen können durch einfache oder multiple Mutationen in bakteriellen Genen oder durch Plasmide extrachromosomal weitergegeben werden. Entweder werden bakterielle Zielstrukturen für antibakterielle Arzneistoffe so verändert, dass sie nicht mehr effektiv den antibakteriellen Arzneistoff binden, oder antibakterielle Arzneistoffe werden inaktiviert bzw. aus Bakterien transportiert. Resistenzentwicklung wird durch eine Reihe von Faktoren begünstigt. Dazu gehören mangelnde Krankenhaushygiene (insbesondere unzureichende Händedesinfektion), unkritischer und zu häufiger Einsatz von
antibakteriellen Arzneistoffen, falsche Indikation, zu niedrige Dosierung, zu kurze Therapiedauer, schlechte Adhärenz und der routinemäßige „prophylaktische“ Einsatz antibakterieller Arzneistoffe in der Massentierhaltung. Sehr gefährlich sind Krankenhausinfektionen durch MRSA, für die nur sehr limitierte Therapieoptionen vorhanden sind (. Tab. 32.1).
32.2 Wichtige bakterielle
Infektionen und deren Pharmakotherapie
Antibakterielle Arzneistoffe dürfen nur eingesetzt werden, wenn Bakterien auch tatsächlich Infektionen mit klinischen Krankheitssymptomen hervorrufen.
458
Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Nikotinsäure-Derivate (INH)
Tuberkulose, Lepra
Dibutanol-Derivate (EMB)
Tetrazykline
Aminoglykoside
Ansamycine (RMP)
Nikotinamid-Derivate (PZA) pH
DNA THF
DHFR-Inhibitor (TMP)
RNA Polymerase
RNA
Proteine
30S 50S
Ribosom
DHFR DHF Gyrase
Zellmembran
Fluorchinolone
Nitroimidazole Nitrofuran-Derivate
32
Makrolide
Ansamycine
Zellwand
Lincosamide
Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme, Glykopeptide, Epoxide
.. Abb. 32.2 Pharmakologische Angriffspunkte von antibakteriellen Arzneistoffen. DHF, Dihydrofolsäure; DHFR, Dihydrofolsäure-Reduktase; THF, Tetrahydrofolsäure. Grauer Hintergrund, Angriffspunkte
von antimykobakteriellen Arzneistoffen (zur Behandlung der Tuberkulose und der Lepra); weißer Hintergrund, allgemeine Angriffspunkte von antibakteriellen Arzneistoffen
>> Der prophylaktische Einsatz von antibakteriellen Arzneistoffen ist nur in besonderen klinischen Situationen gerechtfertigt, z. B. zur Endokarditisprophylaxe bei Patienten mit künstlichen Herzklappen, die sich einem kieferchirurgischen Eingriff unterziehen müssen.
geeignetes Material (am häufigsten Urin, Sputum, Blut oder Abstrichmaterial) entnommen werden, um Erreger und Empfindlichkeit gegenüber antibakteriellen Arzneistoffen zu bestimmen. Bakterielle Infektionserkrankungen sind hinsichtlich Erreger, Häufigkeit, Schweregrad, Komplikationen und der Therapiedauer sehr unterschiedlich (. Tab. 32.1). . Tab. 32.2 fasst die Eigenschaften wichtiger antibakterieller Arzneistoffe zusammen. Der unkomplizierte Harnwegsinfekt der Frau gehört zu den häufigsten Infektionserkrankungen. Die Symptomatik ist meist eindeutig und die Diagnostik einfach (che-
Vor jeder antibakteriellen Therapie sind die Anamnese, körperliche Untersuchung, Labordiagnostik und Bilddiagnostik notwendig. Wenn möglich sollte auch ein mikroskopischer, immunologischer und molekularbiologischer Nachweis des Erregers erfolgen und vor dem Beginn der Therapie
32
459 32.2 · Wichtige bakterielle Infektionen und deren Pharmakotherapie
mische und mikroskopische Untersuchung des Harnes). Der unkomplizierte Harnwegsinfekt wird meist durch Escherichia coli hervorgerufen und kann durch Einmaltherapie mit Fosfomycin (7 Abschn. 32.3) empirisch behandelt werden. Bei wiederholten Infekten oder schweren Verläufen (Pyelonephritis) muss vor Therapiebeginn Urin für Erregernachweis und Antibakteriogramm entnommen werden. Auch das Nitrofuran-Derivat Nitrofurantoin eignet sich für die Therapie unkomplizierter Harnwegsinfekte. Die ambulant erworbene Pneumonie (community-acquired pneumonia, CAP) führt häufig zur Hospitalisierung und verläuft in mehr als 10 % der hospitalisierten Fälle tödlich. Daher sind rasche Diagnostik und Therapie besonders wichtig. Der Erregernachweis erfolgt im Sputum. Für die initiale empirische Therapie eignen sich Amoxicillin 7 Abschn. 32.3), Clarithromycin und Do xycyclin (7 Abschn. 32.5). Bei schwereren Verläufen kommen bestimmte Cephalosporine (7 Abschn. 32.3) und Fluorchinolone (7 Abschn. 32.4) zum Einsatz. CAP muss ausreichend lange (5–7 Tage) behandelt werden. Die Borreliose wird durch die Spirochäte Borrelia burgdorferi verursacht und ist die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung in Deutschland. Meist erfolgt die Diagnose durch die typische Anamnese und das pathognomonische Erythema migrans. Je später Borreliose diagnostiziert wird, z. B. erst wenn bereits eine Neuroborreliose vorliegt, desto langwieriger und weniger erfolgreich ist die Chemotherapie. Ist ein Erythema migrans vorhanden, erfolgt eine zwei- bis dreiwöchige Therapie mit Doxycyclin (7 Abschn. 32.5) oder einem Penicillin (Amoxicillin) oder Cephalosporin (Cefuroximaxetil) (7 Abschn. 32.3). Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei der es zu Funktionseinschränkung multipler Organe durch überschießende Immunreaktion auf eine bakterielle Infektion kommt. Besonders gefährdet sind hospitalisierte Patienten mit einer Immunsuppression. Entscheidend ist es, die Sep
sis so rasch wie möglich zu diagnostizieren und eine antibakterielle i.v.-Arzneitherapie einzuleiten. Vor Therapiebeginn werden Blutkulturen zum Erregernachweis und zur Erstellung eines Antibakteriogramms entnommen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen wird jedoch nicht abgewartet, sondern sofort mit einer empirischen antibakteriellen Arzneistofftherapie begonnen, die sich nach dem wahrscheinlichsten Erreger richtet. Eine häufige Sepsisursache ist eine Infektion mit Pseudomonas aeruginosa; hier kommen bis zum Vorliegen des Antibakteriogramms Piperacillin + Tazobactam, Ceftazidim oder Meropenem zum Einsatz (7 Abschn. 32.3). Die Gabe antibakterieller Arzneistoffe führt häufig zur Schädigung der GI- Bakterienflora. In milden Fällen äußert sich diese in Diarrhoen, in schweren Fällen kommt es zum Überwuchern mit dem Anaerobier Clostridium difficile, der verschiedene Toxine sezerniert und eine lebensbedrohliche pseudomembranöse Enterokolitis hervorrufen kann (7 Kap. 13). Clostridium difficile kann innerhalb eines Krankenhauses über sanitäre Einrichtungen und das Personal verbreitet werden. Um die Ausbreitung pseudomembranöser Ente rokolitis zu verhindern, ist strikte Hygiene erforderlich, und antibakterielle Arzneistoffe sind äußerst zurückhaltend einzusetzen. Eine pseudomembranöse Enterokolitis kann zu schweren Elektrolytverlusten sowie Multiorganversagen führen. Dann muss der auslösende antibakterielle Arzneistoff abgesetzt und der Flüssigkeits- und Elektrolytverlust substituiert werden (7 Kap. 13). Ferner wird das gegen Anaerobier wirksame Metronidazol (7 Abschn. 32.4) für 10 Tage gegeben. Vancomycin und Teicoplanin stellen Alternativen zu Metronidazol dar. Staphylococcus aureus kann schwere Haut- sowie Organinfektionen bis zur Sepsis auslösen. Zwar gibt es Penicilline, die gegen das Bakterium wirken (z. B. Flu cloxacillin), aber durch unkritischen Einsatz von antibakteriellen Arzneistoffen und nicht-konsequente Einhaltung von
460
Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Hygienemaßnahmen haben sich zahlreiche Staphylococcus-aureus-Stämme entwickelt, die gegen Penicilline, Cephalosporine, Tetrazykline, Aminoglykoside und Makrolide resistent sind (MRSA). Diese Erreger können schwerste Krankenhausinfektionen hervorrufen. Gegen MRSA-Erreger kommen Reservearzneistoffe wie Vancomycin und Teicoplanin zum Einsatz (7 Abschn. 32.3); ferner das Lipopeptid Daptomycin, das sich in die Membran von Bakterien einlagert, sowie das Glycylcyclin Tigecyclin, das die Proteinbiosynthese hemmt. Die bisher vorgestellten Beispiele von bakteriellen Infektionserkrankungen erfordern eine vergleichsweise kurze Therapiedauer (ein Tag bis drei Wochen). Im Gegensatz dazu muss die Tuberkulose für einen sehr langen Zeitraum behandelt werden. Das stellt hohe Anforderungen an die Verträglichkeit von Arzneistoffen und die Adhärenz, um die Erkrankung zu heilen und eine Entstehung resistenter Stämme zu vermeiden. Tuberkulose wird durch Mycobacterium tuberculosis hervorgerufen, welches sich im Vergleich zu anderen Bakterien nur sehr langsam (Generationszeit 15–20 Stunden versus 15–20 Minuten) und z. T. intrazellulär in Makrophagen vermehrt. Im Gewebe, in dem sich Mykobakterien vermehren, entstehen häufig Nekrosen. Dadurch wird die Erreichbarkeit der Mykobakterien für Arzneistoffe erschwert. Deswegen erfolgt die Tuberkulosetherapie für zwei Monate mit einer Viererkombination von Arzneistoffen (INH + RMP + PZA + EMB) und für weitere vier Monate mit einer Zweierkombi nation aus INH + RMP (7 Abschn. 32.7). Durch Kombination von Arzneistoffen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen wird eine Resistenzentwicklung verzögert. Ein weiteres Problem in der Tuberkulosetherapie stellen UAW dar. Die wichtigsten antimykobakteriellen Arzneistoffe (INH, RMP und PZA) können Leberschäden hervorrufen, INH zusätzlich Schäden am zentralen und peripheren Nervensystem und EMB Sehstörungen.
32
32.3 Antibakterielle Arzneistoffe,
die die Zellwandbiosynthese hemmen
Zu den die Zellwandsynthese hemmenden antibakteriellen Arzneistoffen gehören die Penicilline (Prototyp Penicillin G), Cephalosporine (Prototyp Cefazolin), Carbapeneme (Prototyp Meropenem), Glykopeptide (Prototyp Vancomycin) sowie die Epoxide (Prototyp Fosfomycin). Antibakterielle Arzneistoffe, die die Zellwandsynthese hemmen, wirken bakterizid. Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme hemmen die D-Alanin-Transpeptidase, wodurch die Mucopeptidquervernetzung in der Zellwand gestört wird. In der Folge strömt Wasser in die Bakterien ein und sie platzen. Vancomycin bildet mit endständigen Mureinpeptidgruppen Komplexe, wodurch ebenfalls die Mucopeptidquervernetzung verhindert wird. Fosfomycin hemmt die UDP-N-Acetylglucosamin-Enolpyruvyl-Transferase und damit die bakterielle Peptidoglycanbiosynthese. Penicillin G wirkt gegen Streptokokken, Meningokokken und bestimmte Anaerobier und wird wegen seiner Säurelabilität nach p.o.-Gabe nicht resorbiert. Es muss daher mehrmals am Tag als i.v.-Kurzinfusion zugeführt werden (Plasma-HWZ 30–60 Minuten). Dabei kann es zu schmerzhaften Venenreizungen an der Infusionsstelle kommen. Penicilline werden über glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion eliminiert. Sie penetrieren nicht die BHS außer bei Meningitis, weshalb Penicillin G bei Meningokokken-Meningitis eingesetzt werden kann (7 Kap. 2). Wegen der Notwendigkeit der häufigen i.v.-Anwendung von Penicillin G gibt es i.m.-Depot-Penicilline (z. B. Benzathin-Penicillin, 20 Tage Wirkdauer). Außerdem wurde das säurestabile Penicillin V entwickelt, das für leichtere Infektionen mit empfindlichen Erregern oder zum Abschluss einer parenteralen Therapie p.o. angewendet werden kann. Das zu den Isoxazolyl-Penicillinen gehörende Fluclo
461 32.3 · Antibakterielle Arzneistoffe, die die Zellwandbiosynthese hemmen
xacillin ist säurestabil und Penicillinase-fest und wirkt gut gegen Penicillinase-bildende Staphylococcus-aureus- Stämme, nicht jedoch gegen MRSA-Stämme. >> Der Begriff „Staphylokokken-Penicilline“ für die Isaxozolyl-Penicilline ist irreführend, da eine zunehmend große Anzahl von Staphylococcus aureus-Stämmen durch unkritischen Gebrauch von Isoxazolyl-Penicillinen gegen eben diese Arzneistoffgruppe resistent geworden ist.
Das Aminopenicillin Amoxicillin hat im Vergleich zu Penicillin G ein erweitertes Wirkspektrum bis in den gramnegativen Bereich und ist säurestabil. Amoxicillin ist jedoch nicht resistent gegenüber dem Abbau durch β-Laktamasen. Dieser Nachteil kann dadurch kompensiert werden, dass Amoxicillin mit dem β-Laktamase-Inhibitor Clavulansäure kombiniert wird. >> Amoxicillin + Clavulansäure ist eine der bedeutendsten antibakteriellen Arzneistoffkombinationen, weil sie bei vielen wichtigen durch Bakterien verursachten Erkrankungen wie Harnwegsinfekten, Atemwegsinfektionen oder Borreliose eingesetzt werden kann.
Amoxicillin hat eine Bioverfügbarkeit von 90 % und wird mit einer Plasma-HWZ von zwei Stunden überwiegend renal eliminiert. Die Tagesdosierung beträgt dreimal 0,5–1 g. Die Resistenzentwicklung erfolgt langsam. Amoxicillin ist ein sehr preiswerter antibakterieller Arzneistoff (Tagestherapiekosten derzeit ca. 6–7 Euro). Entsprechend gering sind die Profitmargen für die pharmazeutischen Hersteller. Dies hat dazu geführt, dass die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland mit Amoxicillin vollständig vom Import abhängig ist und zeitweise Versorgungsengpässe entstanden sind. >> Amoxicllin wird wie andere antibakterielle Arzneistoffe (z. B. Doxycyclin, Ciprofloxacin) als „Breitbandantibiotikum“ oder „Breitspektrumantibiotikum“ bezeichnet. Dieser Werbeslogan der pharmazeutischen
32
Industrie sollte aus folgenden fünf Gründen fallengelassen werden:
1. Es ist überhaupt nicht genau definiert, welche Erreger unter „Breitband“ fallen. 2. Es ist nicht genau definiert, welche Arzneistoffe unter „Breitband“ fallen. 3. Der Begriff „Breitband“ führt zu einem falschen Sicherheitsgefühl und verringert die Aufmerksamkeit und diagnostische Sorgfalt des Arztes. Letztlich wird die Fähigkeit zum kritischen Denken narkotisiert. 4. Der sorglose Einsatz von „Breitbandantibiotika“ führt zu einer Verschlechterung der Resistenzsituation der Erreger und führt dazu, dass letztlich aus einem „Breitbandantibotikum“ ein „Schmalbandantibiotikum“ oder „Schmalspurantibiotikum“ wird. 5. Das Wirkspektrum von antibakteriellen Arzneistoffen (also die Resistenzsi tuation) ändert sich über die Zeit und regional, selbst von Krankenhaus zu Krankenhaus. Es gibt somit keine konstanten Parameter zur Definition des Begriffes „Breitbandantibiotikum“. >> Daraus folgt, dass für jeden antibakteriellen Arzneistoff das aktuell und lokal relevante Wirkspektrum bekannt sein muss, damit eine rationale Arzneitherapie erfolgen kann.
Das Acylaminopenicillin Piperacillin hat im Vergleich zu Amoxicillin ein erweitertes Wirkspektrum, das auch Problemerreger wie Pseudomonas aeruginosa umfasst. Der Arzneistoff muss wegen der Säurelabilität parenteral zugeführt werden. Piperacillin ist deshalb für die Anwendung im stationären Bereich (häufig in Kombination mit dem β-Laktamase-Inhibitor Tazobactam) reserviert, um schwere Krankenhausinfektionen oder Sepsis zu behandeln. Auch bei Piperacillin ist es zu Versorgungsengpässen gekommen. >> Die wichtigste UAW der Penicilline ist die Arzneistoffallergie, insbesondere die Typ-IAllergie.
462
Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Ein anaphylaktischer Schock, der effektiv mit EPI behandelt werden kann (7 Kap. 3), tritt mit einer Häufigkeit von 1 : 100.000 auf. Insgesamt handelt es sich also (glücklicherweise) um ein sehr seltenes Ereignis. Deshalb ist es wichtig, Patienten vor dem Beginn einer Therapie nach bekannter Penicillinallergie zu befragen. Im Zweifelsfall ist die Anwendung von Penicillinen, Cephalosporinen und Carbapenemen zu unterlassen. Dann sind alternative Arzneistoffgruppen ohne Kreuzallergierisiko wie Makrolide, Aminoglykoside, Fluorchinolone oder Tetrazykline anzuwenden.
>>Besonders groß ist das Allergisierungsrisiko bei lokaler Applikation von Penicillinen auf Schleimhäute. Dies ist inzwischen allgemein bekannt und kommt nur noch sehr selten vor.
32
Außerdem kann es durch Störung der GI-Bakterienflora zu Diarrhoen kommen. Besonders bei hohen Penicillindosierungen kann eine pseudomembranöse Enterokolitis auftreten. In sehr hohen (aber nur selten angewendeten) Dosierungen (> 30 Millionen IE/Tag) können neurotoxische Symptome auftreten, vor allem, wenn eine CKD vorliegt und damit die Elimination verzögert ist (7 Kap. 12). Cephalosporine sind hinsichtlich des Wirkmechanismus, der langsamen Resistenzentwicklung, der renalen Elimination und der UAW ähnlich wie Penicilline zu beurteilen. Zwar werden Cephalosporine nicht durch Penicillinasen inaktiviert, aber in etlichen Fällen durch β-Laktamasen gramnegativer Erreger. Da 5–8 % der Patienten eine Kreuzallergie von Cephalosporinen mit Penicillinen zeigen, ist Vorsicht beim Austausch der beiden Arzneistoffgruppen bei bekannter Allergie gegen eine der beiden Gruppen angezeigt (7 Kap. 3). Cefazolin stellt ein Cephalosporin der 1. Generation dar. Es wird parenteral appliziert und wirkt gegen einige Erreger wie Staphylococcus aureus (aber nicht MRSA), Streptococcus pneumoniae und Escherichia coli.
Cefaclor ist ein Cephalosporin der 2. Generation, das p.o. bei Infektionen mit em pfindlichen Stämmen von Staphylokokken, Streptokokken sowie bestimmten gramnegativen Erregern angewendet werden kann. Cefuroximaxetil ist ebenfalls ein Cephalosporin der 2. Generation und besitzt wegen seiner β-Laktamasestabilität ein in den gramnegativen Bereich erweitertes Wirkspektrum. Es ist ein Prodrug, das oral angewendet wird (7 Kap. 2). Aus dem Prodrug wird nach der Resorption in der Leber der eigentliche antibakteriell wirksame Arzneistoff Cefuroxim freigesetzt. Ceftriaxon ist ein parenteral angewendetes Cephalosporin der 3. Generation mit in den gramnegativen Bereich erweitertem Wirkspektrum. Ceftazidim gehört auch zur 3. Generation der Cephalosporine und zeichnet sich durch eine gute Wirksamkeit gegen Pseudomonas-aeruginosa-Stämme aus. Cefotaxim ist ein Cephalosporin der 3. Generation mit guter Wirksamkeit gegen gramnegative Erreger wie Gonokokken, Meningokokken und Enterobacteriaceae, aber schlechter Wirksamkeit gegen Pseudomonas aeruginosa. Cefepim ist ein Cephalosporin der 4. Generation mit guter Wirksamkeit gegen Pseudomonas aeruginosa als Erreger von Pneumonien, Peritonitis und Harnwegsinfektionen. Ceftobiprol ist ein Cephalosporin der 5. Generation. Es besitzt ein breites Wirkspektrum gegen grampositive und gramnegative Erreger. Besonders hervorzuheben ist seine gute Wirksamkeit bei MRSA-Infektionen, weshalb es bei allen anderen Indikationen auch nur zurückhaltend eingesetzt werden sollte, um ein Arsenal wirksamer Arzneistoffe gegen MRSA zu erhalten.
>> Cephalosporine werden in fünf Generationen unterteilt. Die traditionelle Klassifikation der Cephalosporine war verwirrend und widersprüchlich (NKLM/IMPP- Arzneistoffliste, siehe Serviceteil). Für den ambulanten Bereich sind vor allem Cephalosporine der 2. Generation (Cefaclor und Cefuroxim axetil) bedeutsam; die übrigen
463 32.4 · Antibakterielle Arzneistoffe, die die DNA-Replikation hemmen
32
xacin kann p.o. angewendet werden und hat eine sehr gute Gewebegängigkeit. Es wird unverändert renal und intestinal eliminiert, seine Das Glykopeptid Vancomycin ist ein wertvolPlasma-HWZ beträgt 3–6 Stunden. Ciproflo ler antibakterieller Arzneistoff, der nur in spexacin hat ein breites Wirkungsspektrum, das ziellen Situationen angewendet werden darf, auch etliche pathogene gramnegative Erreger damit sich die Resistenzsituation nicht weiter umfasst. Wichtige Einsatzgebiete der Fluorverschlechtert. Wichtige Einsatzgebiete sind chinolone sind Atemwegs- und HarnwegsinMRSA-Infektionen (parenterale Gabe) und fekte, aber am besten wegen der erheblichen die pseudomembranöse Enterokolitis (p.o.UAW nur bei vorheriger Bestätigung der Gabe). Vancomycin wird unverändert renal Erregerempfindlichkeit durch ein Antibakteeliminiert. Es ist oto- und nephrotoxisch riogramm. Levofloxacin ist ein Fluorchinolon (7 Kap. 12). Außerdem kann es ein Red-Man- mit erweitertem Wirkspektrum gegen gramSyndrom auslösen. Zur UAW-Vermeidung ist positive und atypische Erreger; Moxifloxacin es wichtig, Vancomycin langsam i.v. zu infunhat zusätzliche Wirksamkeit gegen Anaerodieren. Es zeigt keine Kreuzallergie zu Penicilbier. linen und Cephalosporinen. Als Alternative Fluorchinolone haben zahlreiche UAW. zu Vancomycin kann das semisynthetische In bis zu 15 % der Patienten treten GI- Glycopeptid Teicoplanin eingesetzt werden. Beschwerden auf, bei ca. 5 % der Patienten >> Der Begriff „Reserveantibiotikum“ ist ZNS-Störungen (Verwirrung, Halluzinaebenso wenig genau definiert wie der Begriff tionen, epileptische Krampfanfälle, Psycho„Breitbandantibiotikum“ und sollte daher sen). Ebenso werden Allergien, hepatotoxivermieden werden. sche Reaktionen, QT-Zeit- Verlängerungen (7 Kap. 17) und fototoxische Reaktionen Der unkritische Gebrauch von „Reserve beobachtet. Deshalb müssen mit Fluorchiantibiotika“ hat dazu geführt, dass in mannolonen behandelte Patienten starke UV- chen Fällen von MRSA-Infektionen kein Lichtexposition meiden. antibakterieller Arzneistoff mehr zur Verfügung steht. >> Eine besondere und für Fluorchinolone sehr Fosfomycin eignet sich wegen rascher Respezifische UAW ist die Tendopathie. Dessistenzentwicklung nicht für eine Daueranwenhalb sollten Fluorchinolone nicht länger als dung. Es wird vor allem in der Erstlinienthe10–14 Tage gegeben werden. rapie unkomplizierter Harnwegsinfekte bei der Es kann zu Schmerzen in Sehnen (insbesonFrau angewendet und hat ein Wirkspektrum, dere der Achillessehne) bis hin zur Sehnenwelches sehr gut gängige gramnegative Erreger ruptur kommen. Das Risiko von Sehnensolcher Infektionen erfasst. Zudem reichert rupturen ist erhöht bei Älteren und bei sich Fosfomycin im Urin an und wirkt gut bei Patienten, die lokal oder systemisch niedrigem pH. Es ist sehr gut verträglich und GCR-Agonisten erhalten. Durch Fluorchiwird einmal in hoher Dosierung gegeben. nolone induzierte Tendopathien beruhen auf einer Hemmung der Proliferation und Migration von Tenozyten sowie auf der Ak32.4 Antibakterielle Arzneistoffe, tivierung von Kollagen-abbauenden Madie die DNA-Replikation trix-Metalloproteasen. Die gravierenden hemmen UAW der Fluorchinolone als Folge unkritischer Verschreibung werden auch immer Fluorchinolone (Prototyp Ciprofloxacin) wieder in den Medien diskutiert. hemmen die bakterielle Gyrase (TOPO-II). Das Nitroimidazol Metronidazol hemmt Fluorchinolone wirken bakterizid. Ciproflo- ebenfalls die DNA-Replikation. Metroni ephalosporine werden nur bei speziellen C Indikationen im Klinikbereich eingesetzt.
464
Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
dazol ist ein Prodrug, das unter anaeroben Bedingungen innerhalb der Bakterien aktiviert wird und durch Bildung kovalenter Addukte mit Basen DNA-Strangbrüche induziert und damit bakterizid wirkt. Metronidazol hat eine sehr gute Bioverfügbarkeit (80 %) und Gewebegängigkeit, die auch den Liquorraum, das Peritoneum und Abszesse umfasst. Es wird hepatisch metabolisiert und mit einer HWZ von 7 Stunden biliär eliminiert. Metronidazol wirkt vor allem auf Anaerobier und bestimmte Protozoen (z. B. Trichomonas vaginalis und Entamoeba histolytica). Es wird vor allem bei durch anaerobe Bakterien verursachten Infektionen eingesetzt. Dazu gehören pseudomembranöse Enterokolitis, Fisteln bei M. Crohn (7 Kap. 13) sowie Abszesse und Parodontitis. Außerdem wird Metronidazol bei Trichomonadeninfektionen angewendet. Metronidazol verursacht GI-Beschwerden, insbesondere Geschmacksstörungen, Glossitis und Stomatitis. Der Urin kann rötlich-braun verfärbt werden. Metronidazol bewirkt Alkoholunverträglichkeit und kann vor allem bei langfristiger und hochdosierter Therapie neurotoxisch wirken (Ataxie, Kopfschmerzen, periphere Neuropathie).
32
>> Wegen der Neurotoxizität sollte eine Therapie mit Metronidazol nicht länger als 10–14 Tage durchgeführt werden.
Aufgrund seines Angriffspunkts an der DNA wirkt Metronidazol mutagen, aber es wurde bislang in epidemiologischen Studien kein erhöhtes Tumorrisiko beim Menschen festgestellt. Dennoch ist Metronidazol in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. >> Die traditionelle Klassifikation von Metronidazol als „Anaerobiermittel“ ist nicht umfassend genug. Der Arzneistoff besitzt viele Wirkungen.
Wirkung bei bestimmten dermatologischen Erkrankungen (Rosacea und periorale Dermatitis). Metronidazol ist ein gutes Beispiel für Repurposing (7 Kap. 1). Das Nitrofuran-Derivat Nitrofurantoin verursacht über einen ähnlichen Mechanismus wie Metronidazol DNA-Schäden in Bakterien. Nitrofurantoin wirkt sehr gut bei unkomplizierten Harnwegsinfekten, die durch Escherichia coli, Klebsiellen, Enterokokken und Staphylokokken hervorgerufen werden. Nitrofurantoin wird nach oraler Gabe systemisch resorbiert und im Urin konzentriert. Dadurch können sehr hohe Arzneistoffkonzentrationen erreicht werden, die dann die im Urin befindlichen Bakterien schädigen. Die wichtigsten UAW von Nitrofurantoin sind Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Müdigkeit.
32.5 Antibakterielle Arzneistoffe,
die die Proteinbiosynthese hemmen
Die wichtigsten antibakteriellen Arzneistoffe aus dieser Gruppe sind die Makrolide. Sie binden an die 50S-Untereinheit bakterieller Ribosomen und hemmen die Proteinbiosynthese. Allerdings erfolgt die Resistenzbildung rasch. Makrolide wirken bakteriostatisch und haben eine gute Gewebegängigkeit (außer Liquor). Sie sind gut gegen intra- und extrazelluläre Erreger wirksam. Sie wirken gegen ein breites Spektrum von Bakterien einschließlich Streptokokken, Haemophilus influenzae und Erreger ohne Zellwand, die sich intrazellulär vermehren. Dazu gehören Mycoplasmen, Chlamydien und Legionellen. Makrolide werden häufig bei bakteriellen Infektionen der Atemwege (z. B. Tonsillitis, Nasennebenhöhlenentzündung, Mittelohrentzündung, Bronchitis, Pneumonie, 7 Kap. 14) sowie auch bei Erysipel und lokal bei Akne eingesetzt. Für Harnwegsinfektionen sind Makrolide nicht geeignet. Sie eignen sich als Alternative zu Penicillinen und Cephalosporinen, wenn
Der Arzneistoff zeigt gute Wirkung bei bestimmten Protozoen-Infektionen (am wichtigsten ist die Infektion mit Trichomonas vaginalis) und gute antiinflammatorische
465 32.5 · Antibakterielle Arzneistoffe, die die Proteinbiosynthese hemmen
Resistenzen oder Allergien vorliegen. Makrolide können in der Schwangerschaft angewendet werden. Prototyp der Makrolide ist Clarithromy cin. Es ist p.o. applizierbar (HWZ 6 Stunden) und wird hepatisch metabolisiert und biliär eliminiert. Es hemmt CYP3A4 und CYP1A2. Dadurch wird die Elimination anderer Arzneistoffe, die über diesen Weg metabolisiert werden, verzögert, und es kommt zu deren Akkumulation (7 Kap. 2). Zu den interaktionsrelevanten Arzneistoffen gehören Ciclosporin (7 Kap. 11), Car bamazepin und Valproinsäure (7 Kap. 25) sowie HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (7 Kap. 22). Daher ist es wichtig, vor der Verschreibung von Clarithromycin eine genaue Arzneimittelanamnese zu erheben, um gefährliche Arzneistoffinteraktionen zu vermeiden. Es ist besonders bedeutsam, solche Arzneimittel zu erfragen, die von Ärzten anderer Fachrichtungen verschrieben wurden (z. B. Arzneistoffe mit antiepileptischer Wirkung durch den Neurologen). Clarithromycin kann QT-Zeit-Verlängerungen induzieren und TdP Vorschub leisten (7 Kap. 17). Das Makrolid Azithromycin hat eine HWZ von 2–4 Tagen und zeigt keine CYP-Interaktionen. Die Lincosamide (Prototyp Clinda mycin) wirken ebenfalls über die Bindung an die 50S-Untereinheit der Ribosomen bakteriostatisch. Clindamycin wird nach oraler Gabe sehr gut resorbiert und besitzt eine gute Penetration in Gewebe. Clindamycin wird als Alternative zu Makroliden oder bei Penicillinallergie eingesetzt. Hervorzuheben ist die Wirkung gegen etliche Staphylokokkenstämme und gramnegative Anaerobier. Clindamycin kann dementsprechend bei Zahninfektionen, Weichteilinfektionen, Hautinfektionen und Osteomyelitis eingesetzt werden. Problematisch ist das im Vergleich zu anderen antibakteriellen Arzneistoffen deutlich erhöhte Risiko für die Entstehung einer pseudomembranösen Enterokolitis. Deshalb ist Clindamycin ein antibakterieller Arzneistoff der zweiten Wahl.
32
Der Einsatz von Clindamycin sollte durch ein entsprechendes Antibakteriogramm begründet sein. Tetrazykline hemmen die Proteinbiosynthese und wirken über eine Bindung an die 30S-Untereinheit der Ribosomen bakteriostatisch. Sie haben ein breites Wirkungsspektrum und wirken gut gegen intra- und extrazelluläre Erreger. Die Gewebegängigkeit ist gut. Prototyp ist Doxycyclin mit einer Bioverfügbarkeit von 80–95 %. Es hat eine HWZ von 20 Stunden und muss daher täglich nur einmal eingenommen werden. Dies vereinfacht die Therapie und erhöht die Adhärenz (7 Kap. 2). Wichtige Anwendungsgebiete von Doxycyclin sind leichtere Infektionen der Atemwege und des Urogenitaltraktes, Akne und Borreliose. Tetra zykline stellen eine Alternative zu Penicillinen und Cephalosporinen dar, wenn Unverträglichkeiten oder Resistenzen vorliegen. Da Tetrazykline mit divalenten Kationen (Calcium, Eisen und Magnesium) Komplexe bilden, dürfen wegen gegenseitiger Resorptionshemmung (7 Kap. 2) Salze mit diesen Ionen nicht gemeinsam mit Tetrazyklinen eingenommen werden. Patienten benutzen häufig nicht verschreibungspflichtige Präparate mit Calcium (Osteoporoseprophylaxe, 7 Kap. 20) oder Magnesium (relaxierende Wirkung auf Muskelzellen und Beruhigung). Daher hat eine entsprechende Aufklärung über diese möglichen Interaktionen von Arzneistoffen und Nahrungsergänzungsmitteln zu erfolgen. Insgesamt sind Tetrazykline gut verträglich (am häufigsten sind GI- Unverträglichkeiten), aber einige Besonderheiten müssen beachtet werden. Augenmerk ist auf die Fotosensibilisierung zu lenken.
>>Vor Beginn einer Doxycyclintherapie sind die Patienten darüber aufzuklären, dass keine starke Exposition gegenüber Sonnenlicht stattfinden darf und dass Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, wenn ein Aufenthalt in der Sonne nicht zu vermeiden ist.
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32
Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
Tetrazykline sind in der Schwangerschaft, der Stillzeit und bei Kindern bis 8 Jahren kontraindiziert, da eine Einlagerung in Knochen und Zähne von Embryo, Fetus, Säugling, Kleinkind, Kindergartenkind und jungem Schulkind stattfinden kann. Sie führt zu Verfärbungen und mangelnder Festigkeit dieser Hartgewebe mit Knochenwachstumsstörungen. Für diese Patientengruppen sind Penicilline, Cephalosporine und Makrolide gute und sichere Alternativen. Aminoglykoside hemmen die Proteinbiosynthese über Bildung von Nonsense- Proteinen und wirken konzentrationsabhängig bakterizid. Dieser First Exposure-Effekt ermöglicht in der Regel eine einmalige tägliche Gabe. Zur Behandlung systemischer Infektionen werden Aminoglykoside ausschließlich parenteral verabreicht, was ihre Anwendung auf schwere, nur in der Klinik behandelbare Infektionen, beschränkt. Aminoglykoside + Penicilline, Cephalosporine oder Carbapeneme zeigen eine synergistische bakterizide Wirkung. Das wird bei schweren und komplizierten Infektionen wie Sepsis oder Osteomyelitis ausgenutzt. Aminoglykoside sind hydrophil und werden nicht an Plasmaproteine gebunden, haben keine gute Gewebe- und ZNS-Gängigkeit und keine intrazelluläre Wirkung. Sie werden nicht metabolisiert und durch glomeruläre Filtration mit einer Plasma-HWZ von 2 Stunden eliminiert. Gentamicin ist das prototypische Aminoglykosid. Es hat, insbesondere in der Kombination mit Penicillinen, ein breites Wirkspektrum. Tobramycin ist stärker gegen Pseudomonas aeruginosa wirksam. Aminoglykoside akkumulieren in der Perilymphe des Innenohres und wirken daher ototoxisch. Es kommt zu irreversiblen Gleichgewichts- und Hörstörungen. Außerdem weisen Aminoglykoside reversible Nephrotoxizität auf. Bei CKD ist die Ausscheidung verzögert. Die Nephrotoxizität der Aminoglykoside wird durch andere nephrotoxische Arzneistoffe wie NKCC- Inhibitoren, Cic
losporin, Vancomycin und Amphotericin B verstärkt (7 Kap. 12).
>> Um nephro- und ototoxische Effekte der Aminoglykoside zu vermeiden, ist bei CKD eine Dosisreduktion erforderlich, die durch TDM überprüft werden sollte.
32.6 Antibakterielle Arzneistoffe,
die die Tetrahydrofolsäuresynthese hemmen
Tetrahydrofolsäure ist ein Coenzym bei der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinbasen, die in die DNA und RNA eingebaut werden. Tetrahydrolfolsäure entsteht durch Reduktion aus Dihydrofolsäure. TMP ist ein Folsäure-Analogon und hemmt die bakterielle DHFR (7 Kap. 1). Über diesen Mechanismus wird die bakterielle DNA-Biosynthese gehemmt. TMP wirkt bakteriostatisch, besitzt ein breites Wirkspektrum gegen grampositive und gramnegative Erreger und wird vor allem zur Behandlung von unkomplizierten Harnwegsinfektionen und Infektionen der oberen Atemwege eingesetzt. In aller Regel ist TMP gut verträglich. Am häufigsten sind GI-Beschwerden. Auch Allergien werden beobachtet. Selten kommt es zu TEN (7 Kap. 3). Sulfonamide (Prototyp Sulfamethoxazol) hemmen die Synthese der Dihydrofolsäure. Durch Kombination von Sulfamethoxazol + TMP lässt sich zwar eine synergistische bakterizide Wirkung erzielen, jedoch sollte diese Wirkung bei bakteriellen Erkrankungen nur bei fehlenden Alternativen und positivem Antibakteriogramm genutzt werden, weil Sulfonamide ein sehr hohes Risiko für allergische Reaktionen tragen (10 % der Patienten) (7 Kap. 3).
>> Sulfamethoxazol + TMP wird gerade bei Harnwegsinfektionen zu unkritisch eingesetzt. Außer problematischer Wirksamkeit gegen viele Erreger besteht ein hohes Risiko für allergische Reaktionen.
467 32.7 · Antimykobakterielle Arzneistoffe
32.7 Antimykobakterielle
Arzneistoffe
INH wird in Mykobakterien aufgenommen und intrazellulär zur Isonicotinsäure umgewandelt. Anschließend wird ein NAD-Addukt gebildet, das die Biosynthese mykobakterieller DNA sowie die Mycolsäuresynthese und damit den Zellwandaufbau hemmt. INH wirkt bakterizid auf proliferierende Mykobakterien. In 10 % der Stämme liegt Resistenz vor, die auf eine verminderte INH-Penetration in die Mykobakterien zurückzuführen ist. Die INH-Bioverfügbarkeit liegt bei 90 %. INH besitzt gute Gewebegängigkeit und erreicht den Liquorraum und verkäsende Tuberkulome. INH wird über die Arylamin-N-Acetyltransferase 2 (NAT2) in der Leber inaktiviert. Es gibt unter den Patienten zwei Populationen von Acetylierern. Bei den Schnellacetylierern beträgt die INHPlasma-HWZ lediglich eine Stunde, bei den Langsamacetylierern 3–5 Stunden. UAW sind Kopfschmerzen, psychische Störungen und Polyneuropathie, die auf einen funktionellen Antagonismus von INH mit Vitamin B6 zurückzuführen sind. Zur Prophylaxe wird Vitamin B6 gegeben. Das ist insbesondere wichtig bei Patienten, die ein erhöhtes Risiko für neurologische UAW haben, d. h. Alkoholiker und Patienten Diabetes und mit gravierenden neurologischen Erkrankungen. In der Leber führt INH zu einem Transaminasenanstieg sowie in 1 % der Fälle zu Hepatitis. Bei 2 % der Patienten treten Akne und Exantheme auf, bei 5 % GI-Beschwerden. Unter einer INH- Therapie sind deshalb neurologische, hepatologische und dermatologische Kontrolluntersuchungen sehr wichtig. RMP hemmt bakterielle RNA-Polymerasen und damit die Proteinbiosynthese. Es wirkt bakterizid auf proliferierende und intrazelluläre Erreger und damit nicht nur auf Mykobakterien, sondern auch auf Streptokokken, Staphylokokken, Enterokokken
32
und Legionellen. RMP ist also weit mehr als ein antimykobakterieller Arzneistoff. >> RMP wird wegen seiner traditionellen Assoziation mit der Tuberkulose als ein wertvoller antibakterieller Arzneistoff mit einem breiten Wirkspektrum unterschätzt.
RMP zeichnet sich durch geringe Resistenzbildung aus. RMP penetriert in alle Gewebe einschließlich Liquor und wird nach hepatischer Metabolisierung vorwiegend biliär eliminiert. Die Plasma-HWZ beträgt 3–5 Stunden. Da RMP CYP und damit seine eigene Inaktivierung induziert, sinkt die Plasma-HWZ bei Dauertherapie auf 1,5 Stunden (7 Kap. 2). CYP-Induktion durch RMP betrifft auch andere Arzneistoffe, die über CYP inaktiviert werden. So wird die Wirkung von VKA, ER-Agonisten, GCR-Agonisten sowie bestimmten gegen HIV gerichteten Arzneistoffen verringert. Die Dosis dieser Arzneistoffe ist entsprechend zu erhöhen. RMP kann Exantheme und GI-Beschwerden auslösen. Bei geringer RMP-Adhärenz tritt das Flu-Syndrom auf. In hoher Dosierung und insbesondere bei routinemäßig durchgeführter Kombination mit INH führt RMP zu Leberschäden mit Transaminasen- und Bilirubinanstieg. Entsprechend sind die Leberwerte während der Therapie zu kontrollieren. Außerdem kann eine harmlose Orangeverfärbung von Körperflüssigkeiten auftreten. PZA wird zu Pyrazincarbonsäure umgewandelt und akkumuliert in Mykobakterien. Es interferiert ebenso wie INH mit dem NAD-Stoffwechsel. PZA wirkt ausschließlich bakterizid auf Mykobakterien einschließlich Persister in Makrophagen, ist gut gewebegängig, auch im Liquor vorhanden und wird nach hepatischer Metabolisierung renal eliminiert. Die Plasma-HWZ beträgt 10 Stunden. Bei fast allen Patienten bewirkt PZA eine Hyperurikämie, die aber meist asymptomatisch bleibt und deshalb keinen Grund für die Gabe von XO- Inhibitoren und/oder URAT-1-Inhibitoren
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Kapitel 32 · Arzneistoffe zur Behandlung bakterieller Infektionen
darstellt (7 Kap. 23). PZA wirkt ebenso wie INH und RMP hepatotoxisch. Außerdem kommt es zu GI-Beschwerden und fototoxischen Hautreaktionen. EMB hemmt die Biosynthese von Polysacchariden der mykobakteriellen Zellwand und wirkt auf proliferierende Erreger bakteriostatisch. Es besitzt eine gute Gewebegängigkeit und reichert sich in Erythrozyten an. Die Bioverfügbarkeit beträgt 80 %. EMB wird überwiegend unverändert renal eliminiert. Es kommt nur selten zur Resistenzentwicklung, und es bestehen keine Kreuzresistenzen mit anderen antimykobakteriellen Arzneistoffen. Deshalb ist EMB ein wertvoller Bestandteil der antimykobakteriellen Kombinationstherapie. Die gravierendste EMB-UAW ist eine Schädigung des N. opticus, die das Farbsehen, die Sehschärfe und das Gesichtsfeld beeinträchtigen kann. Daher ist es erforderlich, mit EMB behandelte Patienten engmaschig augenärztlich zu kontrollieren. Außerdem kann es zu (meist asymptomatischer) Hyperurikämie (7 Kap. 23) und Leberschädigung kommen.
32
>> Der Begriff „Antituberkulotika“ sollte vermeiden werden, da RMP, INH, PZA und INH auch bei der duch Myobacterium leprae verursachten Lepra wirksam sind. Ebenso problematisch ist der Begriff „Tu berkulostatika“, da INH, RMP und PZA tuberkulozid sind.
Die Lepra ist in vielen Entwicklungsländern nach wie vor von großer Bedeutung. RMP, INH, PZA und EMB sind demzufolge anti mykobakterielle Arzneistoffe. Fallbeispiel
Ein 34-jähriger Mann kommt in Ihre dermatologische Praxis und zeigt Ihnen am linken Unterschenkel eine blasse runde Rötung mit einem Durchmesser von ca. 5 cm und einer zentralen Aufhellung. Anamnestisch gibt der Patient an, vor ca. drei Wochen in Kärnten zum Wandern gewesen zu sein. Der Patient hat keine weiteren Symptome.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Wie gehen Sie diagnostisch und therapeutisch vor? 2. Welche Komplikationen können auftreten, wenn Sie keine Therapie einleiten, und wie gehen Sie therapeutisch vor, falls der Patient nicht so früh, sondern erst mit systemischen Beschwerden zu Ihnen gekommen wäre? Lösungen 7 Kap. 37
469
Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen Inhaltsverzeichnis 33.1
berblick über Virusinfektionen und Ü pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten – 470
33.2
rzneistoffe zur Behandlung von HerpesA Infektionen – 476
33.3
Arzneistoffe zur Behandlung der HIV-Infektion – 477
33.4
Arzneistoffe zur Behandlung der Hepatitis C – 478
33.5
Arzneistoffe zur Behandlung von COVID-19 – 479
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_33
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470
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Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
Viren besitzen ein DNA- oder ein RNA-kodiertes Genom und sind für ihre Vermehrung auf den Wirtszellstoffwechsel angewiesen. Angriffspunkte antiviraler Arzneistoffe sind die Hemmung von DNA- und RNA-Replikation, Integration von Virus-DNA in das Wirtsgenom, die proteolytische Prozessierung von Virusproteinen sowie die Stärkung der körpereigenen Virusabwehr. Wichtige humanpathogene Viren sind HSV, VZV, HIV und HCV. Aciclovir hemmt die virale DNA-Polymerase und wird zur Therapie von HSV- und VZV-Infektionen eingesetzt. Die Therapie der HIV-Infektion erfolgt mit Arzneistoffkombinationen. Am wichtigsten sind NRTI, NNRTI, INI und PI. Die Kombinationstherapie ist sehr gut wirksam, aber die metabolischen Wirkungen der PI sind gravierend. Die HCV-Therapie erfolgt ebenfalls mit Arzneistoffkombinationen. Die Wirksamkeit der HCV-Therapie hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, aber die derzeit hohen Therapiekosten haben zu Diskussionen über die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems geführt. Die wichtigsten Arzneistoffgruppen zur HCV-Therapie sind die Inhibitoren der viralen RNA-Polymerase NS5B, des viralen Phosphoproteins NS5A, von viralen Proteasen sowie IFN, die die Immunabwehr stärken. Für die Therapie schwerer Verläufe von COVID-19 ist kürzlich der RNA-Polymerase-Imhibitor Remdesivir zugelassen worden.
Merksätze 55 Grundsätzlich ist bei allen Virusinfektionen ein früher Therapiebeginn wichtig, um Generalisierungen und/oder Komplikationen zu vermeiden. 55 HSV verursacht Herpes labialis und Herpes genitalis, die lokal mit Aciclovir behandelt werden. 55 VZV verursacht segmentalen Zoster als Reaktivierung der Infektion, der meist p.o. mit Aciclovir behandelt werden kann. 55 HIV verursacht ein Immundefizienzsyndrom, das durch Kombination von Arz-
neistoffen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen inzwischen gut behandelt werden kann. 55 HCV verursacht eine chronische Hepatitis, die durch Kombination von Arzneistoffen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen geheilt werden kann. 55 Der RNA-Polymerase-Inhibitor Remdesivir ist der erste zugelassene Arzneistoff zur Behandlung von COVID-19.
33.1 Überblick über
Virusinfektionen und pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten
Viren sind infektiöse Partikel ohne Zytoplasma, Ribosomen und Mitochondrien, die sich nur innerhalb einer Wirtszelle vermehren können und dadurch eine Zelllyse, Pyknose und intrazelluläre Einschlüsse hervorrufen. Viren besitzen ein DNA- oder ein RNA-kodiertes Genom, das in der Wirtszelle repliziert wird. Sie heften sich dort über Rezeptoren an der Zelloberfläche an, werden durch Endozytose aufgenommen und von ihrer Hülle befreit (Uncoating). Danach wird die DNA oder RNA repliziert und virale Proteine werden unter Zuhilfenahme zellulärer Ribosomen synthetisiert und durch virale Proteasen prozessiert. Im Fall von HIV wird virale DNA dauerhaft in das Wirtsgenom integriert. Anschließend werden neue Viren in die Blutbahn abgegeben, entweder durch Lyse oder Sekretion. Viren können eine Vielzahl von Erkrankungen beim Menschen hervorrufen, das gesamte Spektrum von banal bis tödlich umfassend. Gegen einige Viruserkrankungen sind Impfungen verfügbar, andere sind einer Pharmakotherapie zugänglich. . Tab. 33.1 gibt einen Überblick über einige wichtige Virusinfektionen beim Menschen und wirksame Arzneistoffe, . Tab. 33.2 fasst die Eigenschaften ausgewählter antivirale Arz
HSV
Ca. 90 % der Bevölkerung HSV-1-positiv; 3–23 % HSV-2-positiv
Herpesviren, HSV-1 und HSV-2, doppelsträngige DNA-Viren mit Kapsid, häufig symptomlose Erstinfektion, Erreger persistiert lebenslang
Speichel, Schmierinfektion, Schleimhautkontakt
Reaktivierung durch emotionalen Stress, Immunsuppression, HIV-Infektion, sexuelle Aktivität bei HSV-2
Parameter
Epidemiologie
Erregercharakteristika
Übertragung
Risikofaktoren
Reaktivierung durch emotionalen Stress, Immunsuppression, HIV-Infektion, Tumorerkrankungen, Diabetes und UVLicht, erhöhtes Lebensalter
Tröpfcheninfektion, Schmierinfektion oder Kontaktinfektion über Zoster-Sekrete
Herpesvirus (HHV-3), doppelsträngiges DNA-Virus mit Kapsid. Erstinfektion häufig im Kindesalter (Windpocken), Erreger persistiert lebenslang in Wurzeln sensorischer Nerven
Ca. 400.000 Zostererkrankungen pro Jahr in Deutschland; davon ¾ bei Patienten > 50 Jahre
VZV
.. Tab. 33.1 Übersicht über einige wichtige Virusinfektionen beim Menschen
Drogenkonsum, Analverkehr (insbesondere empfangender Partner), Nadelstichverletzungen
Bluttransfusion (historisch bedeutsam), Nadelstichverletzungen, Drogeninjektion mit gebrauchten Nadeln, ungeschützter Geschlechtsverkehr
Retroviren mit Einzelstrang-RNA (HIV-1 und HIV-2) sowie Einzelstrang-DNA und doppelsträngiger DNA als Zwischenstufe im Wirt; Erreger wird dauerhaft in das Wirtsgenom integriert und neue Viruspartikel werden freigesetzt
Derzeit ca. 85.000 Erkrankte in Deutschland; jährlich ca. 3.000 Neuinfektionen
HIV
(Fortsetzung)
Drogenkonsum, Hämophilie, häufige Bluttransfusionen, Nadelstichverletzungen, Tätowierungen und Piercings mit kontaminierten Instrumenten, Analverkehr
Parenteral durch Übertragung von kontaminiertem Blut, Nadelstichverletzungen, Lebertransplantation, Drogeninjektion mit gebrauchten Nadeln, z. T. unbekannte Mechanismen der Übertragung
Onkovirus (karzinogenes Virus) mit Einzelstrang-RNA; Zahlreiche Genotypen, in Europa vor allem Genotypen 1–3, hohe Chronifizierungsrate und hohes Risiko für Leberzirrhose und Leberzellkarzinom
Prävalenz in Deutschland 0,5 %; in einigen Ländern (Mongolei) bis 48 %
HCV
33.1 · Überblick über Virusinfektionen und pharmakologische … 471
33
HSV
Herpes labialis und Herpes genitalis (schmerzhafte Bläschenbildung)
Ekzema herpeticum, Parese des N. facialis, bei Immunsuppression Enzephalitis und Retinitis, Herpes neonatorum
Aciclovir lokal oder systemisch (p.o.)
Typische Manifestationen
Komplikationen
Wirksame antivirale Arzneistoffe Aciclovir p.o. oder i.v.
Zoster oticus, Zoster ophthalmicus, Zoster genitalis und Zoster disseminatus, Zosterenzephalitis; Zosterneuralgie
Herpes zoster (zunächst Allgemeinsymptome und Brennen sowie Schmerzen entlang der Dermatome, dann Bildung von Bläschen, die langsam abtrocknen)
VZV
33
Parameter
.. Tab. 33.1 (Fortsetzung)
Tenofovir und Emtricitabin (NRTI), Efavirenz und Nevirapin (NNRTI), Raltegravir und Elvitegravir (INI), Atazanavir (PI), Kombinationstherapie mit drei Arzneistoffen aus mindestens zwei Arzneistoffgruppen
Kaposi-Sarkom, malignes Lymphom, HIV-Enzephalopathie, Wasting- Syndrom
Durch Befall und Zerstörung der CD4-positiven T-Helferzellen zunächst unspezifische grippale Symptome, später opportunistische Infektionen (HCMV, Mykosen, Pneumocystis-jirovecii-Infektion), ZNS-Symptome, Kachexie
HIV
Sofosbuvir (NS5B-Inhibitor), Ledipasivir (NS5A-Inhibitor), Simeprevir (PI), Ribavirin, Peginterferon α-2a, Kombinationstherapie, die sich nach dem Genotyp richtet
In 25 % der Fälle Übergang in Leberzirrhose, seltener Leberzellkarzinom, sekundäre Autoimmunerkrankungen
Initial unspezifische grippeähnliche Symptome mit Druck im rechten Oberbauch, ggf. dunkler Urin und lehmfarbener Stuhl; in 70 % Übergang in chronische Verlaufsform
HCV
472 Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
PI (Protease-Inhibitor)
NNRTI (nicht-nukleosidischer Reverse-Transkriptase- Inhibitor)
INI (Integrase-Inhibitor)
NRTI (nukleosidischer/ nukleotidischer ReverseTranskriptase-Inhibitor)
Efavirenz
Raltegravir
Tenofovir
DNA-Polymerase-Inhibitor
Arzneistoffgruppe
Atazanavir
HIV
Aciclovir
HSV, VZV
Arzneistoff
Hemmung der Transkription der viralen RNA in doppelsträngige DNA
Hemmung der Integration der viralen DNA in das Wirtsgenom
Hemmung der Transkription der viralen RNA in doppelsträngige DNA
Hemmung der Reifung des neuen Viruspartikels durch Hemmung der Prozessierung von Polyprotein zu Strukturproteinen, reverser Transkriptase und Integrase
Antimetabolit; Hemmung der viralen DNA-Replikation durch Kettenabbruch
Wichtige Wirkungen
HIV
HIV
HIV
HIV
HSV, VZV
Wichtige Indikationen
.. Tab. 33.2 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung von Virusinfektionen
Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Laktatazidose, Hepatomegalie, Nierenfunktionsstörungen
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Kopfschmerzen, Fieber
ZNS-Wirkungen (bis zu 40 %): Schwindel, Müdigkeit, Albträume, Depression, Exantheme, Teratogenität
Übelkeit, Erbrechen, Lipodystrophie (Hyperlipidämie, periphere Lipodystrophie und abdominelle Fettanreicherung, Insulinresistenz, Diabetes), Leberveränderungen, neurologische Störungen
Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Stechen und Brennen bei lokaler Anwendung, Nierenfunktionsstörungen bei i.v.-Gabe (Kristallisation des Arzneistoffs)
Wichtige UAW
(Fortsetzung)
7 Kap. 12
7 Kap. 19, 22
7 Kap. 12
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
33.1 · Überblick über Virusinfektionen und pharmakologische … 473
33
NS5A-Inhibitor
Interferon
RNA-Polymerase-Inhibitor
Protease-Inhibitor
NS5B-Inhibitor
Ledipasvir
Peginterferon α-2a
Ribavirin
Simeprevir
Sofosbuvir
HCV
Arzneistoffgruppe
Bindung an NS5B und damit Verhinderung der Bildung der aktiven viralen RNA-Biosynthese
Hemmung der proteolytischen Spaltung von Vorstufen viraler Proteine, die für die Replikation von Viruspartikeln essentiell sind
Antimetabolit, Hemmung der viralen RNA-Polymerase, Hemmung der GTP-Biosynthese, Wirkungen auf das Immunsystem
Langwirksames IFN-Derivat; Pegylierung stabilisiert IFN durch Schutz vor proteolytischem Abbau. Stimulation von T-Zellen und damit der körpereigenen Abwehr gehen HCV
Verhinderung der Bindung von NS5A an RNA und damit Hemmung der Ausbildung der aktiven RNA-Polymerase
Wichtige Wirkungen
33
Arzneistoff
.. Tab. 33.2 (Fortsetzung)
HCV, alle Genotypen
HCV, Genotypen 1 und 4
HCV (alle Genotypen) und andere Viren, z. B. Influenzaviren und Herpesviren
HCV (alle Genotypen)
HCV, Genotypen 1, 3, 4 und 6
Wichtige Indikationen
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Anämie
Insgesamt gute Verträglichkeit, Müdigkeit, Kopfschmerz, Juckreiz, UV-Lichtempfindlichkeit
Sehr häufig reversible hämolytische Anämie, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Depression, Myelotoxizität, Teratogenität
Grippe-ähnliche Symptome (Fieber, Gliederschmerzen, Müdigkeit), seltener Autoimmunreaktionen, Haarausfall und Gewichtsverlust, Depression
Insgesamt gute Verträglichkeit. Müdigkeit, Kopfschmerzen
Wichtige UAW
7 Kap. 3
7 Kap. 2
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
474 Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
475 33.1 · Überblick über Virusinfektionen und pharmakologische …
neistoffer zusammen, und die . Abb. 33.1 und 33.2 geben einen Überblick über die pharmakologischen Angriffspunkte zur Therapie der Infektion mit HIV bzw. HCV. Antivirale Arzneistoffe sind virustatisch, nicht viruzid.
>>Zur erfolgreichen Therapie einer Virus erkrankung ist deshalb auch die aktive Mitarbeit des Immunsystems erforderlich. Aus diesem Grund sind immunsupprimierte Patienten für Virusinfektionen besonders anfällig (7 Kap. 11).
.. Abb. 33.1 Pharmakologische Angriffspunkte zur Behandlung der HIV-Infektion HIV Reverse Transkriptase
CCR5-KorezeptorAntagonisten
CCR5
(Entry-Inhibitoren)
Integrase
Protease
.. Abb. 33.2 Pharma kologische Angriffspunkte zur Behandlung der HCVInfektion
Protease
HCV
NS5A
NS5B
Cyclophilin RNAPolymerase
TZelle
33
476
33
Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
Ziel der virustatischen Therapie ist es, die Virenvermehrung so schnell wie möglich und mit wenig UAW zu stoppen. Dabei sollte eine antivirale Therapie so gezielt, so früh und konsequent wie möglich und solange wie nötig durchgeführt werden, um Resistenzbildungen zu verhindern, die meist auf Mutationen der durch die Arzneistoffe beeinflussten viralen Zielproteine beruhen. Eine große Rolle spielt die Resistenzbildung vor allem bei der HIV-Therapie, die lebenslang durchgeführt werden muss. Aus dem Virenlebenszyklus ergeben sich zahlreiche pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten. Im Falle von DNA-Viren können DNA-Polymerasen, im Falle von RNA-Viren reverse Transkriptasen oder RNA-Polymerasen gehemmt werden. Die Hemmung reverser Transkriptase durch NRTI bzw. NNRTI ist für die Therapie der HIV-Infektion von großer Bedeutung. Für die HCV-Therapie sind Inhibitoren der RNA-Polymerase sehr wichtig. Auch die proteolytische Prozessierung von Virusproteinen stellt einen pharmakologischen Angriffspunkt dar. PI hemmen bei HIV-Infektionen die Reifung von Viruspartikeln, und bei HCV-Infektionen die Prozessierung von Virusproteinen, die für die Bildung aktiver RNA-Polymerase notwendig sind. INI spielen in der HIV-Therapie eine Rolle, da bei dieser Infektion Virus- DNA dauerhaft in das Wirtsgenom integriert wird. Virusspezifische Proteine können ebenfalls geeignete pharmakologische Zielstrukturen darstellen; ein Beispiel dafür ist das Nichtstruktur-Phosphoprotein NS5A des HCV. Influenza-Viren besitzen an ihrer Oberfläche eine Neuraminidase, deren Aktivität für die Freisetzung neuer Viren aus bereits infizierten Körperzellen bedeutsam ist. Durch eine Hemmung der Influenza-Neuraminidase lässt sich also theoretisch die Verbreitung von Influenzaviren im Körper verringern und damit der Krankheitsverlauf abkürzen. Oseltamivir ist ein prototypischer Neuraminidase-Inhibitor. Es wird in der Postexpositionsprophylaxe bei Kontakt mit an Influenza
erkrankten Patienten eingesetzt. Allerdings liegt kein überzeugender klinischer Wirkungsnachweis für Oseltamivir vor. Deshalb ist seine praktische Bedeutung gering. Im Vordergrund der Therapie der Influenza-Grippe („echte Grippe“) sowie der Behandlung von Atemwegsinfektionen durch Rhinoviren steht der kurzfristige symptomatische Einsatz von α1AR-Agonisten zur Abschwellung der Nasenschleimhaut (7 Kap. 5) sowie von antipyretisch wirkenden Arzneistoffen wie Ibuprofen und Paracetamol sowie bei hohem Fieder und starken Gliederschmerzen auch Metamizol (7 Kap. 10). Antibakterielle Arzneistoffe (7 Kap. 32) werden viel zu häufig und unnötig bei Atemwegsinfektionen verschrieben. Dies fördert nur die Entwicklung von bakteriellen Resistenzen gegen antibakterielle Arzneistoffe.
>>Die Behandlung von Fieber mit ASS bei Säuglingen, Kleinkinern und Schulkindern muss vermieden werden, da eine gefährliche Enzephalopathie (Reye-Syndrom) auftreten kann.
33.2 Arzneistoffe zur Behandlung
von Herpes-Infektionen
HSV und VZV sind wichtige humanpathogene DNA-Viren (. Tab. 33.1). Der entscheidende Ansatz zur Therapie von Herpesviruserkrankungen besteht in einer DNA-Polymerasehemmung (Prototyp Aciclovir). Aciclovir ist ein Desoxyguanosinanalogon, dem der zyklische Ribosezucker und damit auch die 3’-Hydroxylgruppe fehlt. Diese ist für die DNA-Kettenverlängerung erforderlich. Aciclovir wird in mit Herpesviren infizierten Zellen durch die virale Thymidinkinase in Aciclovir- Monophosphat umgewandelt, nicht jedoch durch die Thymidinkinase der Wirtszelle, wodurch eine selektive Aktivierung in den infizierten Zellen erfolgt. Zelluläre Kinasen phosphorylieren weiter bis zum Aciclovir- Triphosphat, das durch die virale DNA-Polymerase sehr effizient anstelle von GTP in die Virus-DNA eingebaut wird. Wegen der
477 33.3 · Arzneistoffe zur Behandlung der HIV-Infektion
fehlenden 3’-Hydroxylgruppe kommt es zum Kettenabbruch. Die menschliche DNA- Polymerase bindet Aciclovir- Triphosphat sehr viel weniger potent als das virale Enzym. Deswegen wirkt Aciclovir selektiv auf Herpesviren. Das Wirkprinzip von Aciclovir ist erfolgreich auf die NRTI (HIV-Infektion, 7 Abschn. 33.3) übertragen worden. Bislang sind keine mutagenen, teratogenen oder karzinogenen Wirkungen von Aciclovir beim Menschen beobachtet worden, weshalb es ein sicherer Arzneistoff ist. Im Vordergrund stehen unspezifische UAW wie Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Brennen und Stechen bei lokaler Anwendung. Trotz breiter und langjähriger Anwendung von Aciclovir stellt Resistenzentwicklung kein nennenswertes klinisches Problem dar. Aciclovir kann bei vielen durch Herpesviren verursachten Erkrankungen eingesetzt werden. Lokal wird es vor allem zur Therapie von Herpes labialis, Herpes genitalis und der Herpes-Keratitis angewendet. Salben bis zu 2 g und 5 % Arzneistoffgehalt zur Behandlung von Herpes labialis sind rezeptfrei. Schwere Herpes-simplex-Infektionen und VZV-Reaktivierungen, z. B. Herpes zoster, müssen p.o. oder i.v. mit Aciclovir behandelt werden. Seine Bioverfügbarkeit ist gering (>Bei einer raschen i.v.-Gabe großer Mengen kann es durch Kristallisation von Aciclovir zu Nierenkoliken und Nierenfunktionsstörungen kommen.
Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr bei einer Therapie mit Aciclovir ist daher notwendig (7 Kap. 12). Da der Patentschutz für Aciclovir abgelaufen ist, steht eine Vielzahl preiswerter Generika zur Verfügung. Ganciclovir wirkt über einen ähnlichen Mechanismus wie Aciclovir und wird vor al
33
lem bei Infektionen mit dem humanen Cytomegalievirus (HCMV) eingesetzt. Im Unterschied zu Aciclovir ist Ganciclovir jedoch karzinogen und teratogen. Außerdem verursacht es schwere hämatologische UAW wie Granulozytopenie, Thrombozytopenie und Anämie. Daher muss der Einsatz von Ganciclovir auf schwere lebensbedohliche HCMV-Infektionen beschränkt werden. 33.3 Arzneistoffe zur Behandlung
der HIV-Infektion
Da HIV zu den Retroviren gehören, wird die HIV-Pharmakotherapie auch als antiretrovirale Therapie bezeichnet. Antiretrovirale Arzneistoffe greifen an unterschiedlichen Stellen der HIV-Replikation an. HIV binden ihr Oberflächenprotein gp120 an CD4 von T-Zellen. Dadurch kommt es zu Konformationsveränderungen im Transmembranprotein gp41 und zur Fusion mit der Wirtszelle. Danach wird aus dem Virus die reverse Transkriptase freigesetzt, die Virus-mRNA in doppelsträngige DNA transkribiert. Da sich die reverse Transkriptase biochemisch sehr stark von menschlicher DNA- und RNA-Polymerase unterscheidet, gibt es eine Vielzahl von selektiven NRTI (Prototypen Emtricitabin und Tenofovir) und NNRTI (Prototypen Efavirenz und Nevirapin). Der NRTI-Wirkmechanismus ist analog zu dem des Aciclovir (7 Abschn. 33.2). NRTI werden zu Nukleosidtriphosphaten phosphoryliert und hemmen die reverse Transkriptase durch DNA-Kettenabbruch. Die menschliche DNA- Polymerase wird hingegen nur mit geringer Potenz gehemmt. NNRTI hemmen die reverse Transkriptase ohne vorherige Phosphorylierung. Die Resistenzentwicklung bei NNRTI ist rascher als bei NRTI. Die Virus-DNA wird über die virale Integrase in das menschliche Genom integriert. Dieses Enzym kann ebenfalls selektiv gehemmt werden (INI; Prototypen Elvitegravir und Raltegravir). Provirus- DNA wird in RNA umgeschrieben und vi
478
Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
rale Polyproteine werden synthetisiert. In Generell wird HAART von den meisten einem Reifungsprozess werden mRNA und Patienten über Jahre hinweg so gut vertragen, virale Proteine zu einem neuen Virus zusam- dass es nicht zum Abbruch kommt. Milde mengefügt, wobei eine virale Protease eine UAW wie Appetitlosigkeit, Völlegefühl, DiSchlüsselrolle spielt. Auch dieses Enzym arrhoe, Übelkeit und Erbrechen sind häufig. lässt sich hemmen (PI; Prototypen Atazana- Für die HIV-Therapie ist die Verfügbarkeit vir und Simeprevir), aber bei den PI ist die verschiedener Arzneistoffe innerhalb einer Selektivität für Viren nicht so groß wie bei Gruppe wichtig. Dies ermöglicht es, individen NRTI, NNRTI und INI. PI haben gra- duell abgestimmte Arzneistoffkombinationen vierendere UAW. Sie können metabolische zusammenstellen zu können, bei denen WirkVeränderungen hervorrufen, darunter Hy- samkeit und UAW bei dem jeweiligen Patienperlipidämie, Lipodystrophie, abdominelle ten berücksichtigt werden. Eine gute VerträgFettanreicherung, Insulinresistenz und Dia- lichkeit der Therapie ist essentiell, um eine betes (7 Kap. 19 und 22). hohe Adhärenz zu gewährleisten und damit Das Ziel der lebenslangen Therapie der auch Resistenzentwicklungen entgegenzuwirHIV-Infektion besteht darin, die HIV- ken. Die HAART gehört wegen ihrer KompleKonzentration auf < 50 Viren/ml Blut zu xität in die Hände des Spezialisten (HIV-Amreduzieren und die Konzentration der CD4- bulanzen). positiven Zellen so zu erhöhen, dass die Funktion des Immunsystems annähernd normalisiert wird. Eine Heilung der HIV- Infektion ist nicht möglich, da bereits ins 33.4 Arzneistoffe zur Behandlung der Hepatitis C Wirtsgenom integrierte Virus-DNA nicht entfernt werden kann. Unbehandelt führt die HIV-Infektion HCV ist ein einzelsträngiges mRNA-Virus, zu einem erworbenen Immundefizienzsyn- dessen mRNA nach Eintritt in die Wirtzelle drom (acquired immunodeficiency syndrome, in ein Polyprotein translatiert wird. BestandAIDS), das durch opportunistische Infek- teile dieses Polyproteins sind eine virale Protionen und seltene Tumoren charakterisiert tease, die RNA-Polymerase NS5B sowie das und langfristig mit sehr hoher Mortalität Phosphoprotein NS5A. Die virale Protease behaftet ist. Durch die moderne Kombina- spielt bei Spaltung des Polyproteins in seine tionstherapie verschiedener antiretroviraler Einzelkomponenten eine entscheidende Arzneistoffe (HAART), haben Morbidität Rolle und stellt daher eine sehr gut geeignete und Mortalität der HIV-Infektion drama- Zielstruktur dar. HCV-Protease-Inhibitoren tisch abgenommen. Die Kombinations- sind sehr gut wirksam und im Allgemeinen therapie muss konsequent und lebenslang gut verträglich. NS5A und NS5B bilden gedurchgeführt werden. Ziel ist es, eine ohne meinsam mit Cyclophilin einen Komplex, Polymerisierung essendie Kombination rasch auftretende Resis- der für die RNA- tenzentwicklung zu unterbinden. Je früher tiell ist. Ribavirin ist der klassische Inhibimit HAART begonnen wird, desto größer tor der HCV-RNA-Polymerase, der analog Aciclovir und NRTI wirkt. Zusätzlich sind die Erfolgschancen. Bei HAART wer- zu den drei Arzneistoffe aus mindestens zwei hat es hemmende Wirkung auf die GTP- unterschiedlichen Arzneistoffgruppen mit- Biosynthese und moduliert das Immunsyseinander kombiniert. Die derzeitigen Kos- tem. Die neue Generation von Arzneistoffen ten liegen in Deutschland derzeit bei ca. mit Wirkung gegen HCV umfasst die NS5B20.000 € pro Jahr/Patient. In vielen Entwick- und NS5A-Inhibitoren. Ein weiterer Ansatz zur Therapie der lungsländern ist HAART aus KostengrünHCV-Infektion besteht darin, die Elimination den noch immer nicht überall verfügbar.
33
479 33.5 · Arzneistoffe zur Behandlung von COVID-19
33
von HCV durch Stimulation von T-Zellen mit steht derzeit in einer 12-wöchigen Gabe von IFN-α-2a zu fördern. In der Therapie wird Peginterferon α-2a + Ribavirin + Sofosbuvir. IFN eingesetzt, das mit Polyethylenglykol Für die Genotypen 2 und 3 können für 12 konjugiert wurde (Peginterferon α-2a). Diese Wochen Ribavirin und Sofosbuvir kombiModifikation wird als Pegylierung bezeich- niert werden. Für die Genotypen 1 und 4 ist net und führt dazu, dass IFN länger wirkt auch die Kombination von Sofosbuvir mit (7 Kap. 2). Dadurch lassen sich die Inter- Ledipasvir möglich, für die Genotypen 5 und valle der IFN-Applikation verlängern und 6 die Kombination aus Ledipasvir + SofosTherapiekosten senken. buvir + Ribavirin. Inzwischen können viele Bis vor einigen Jahren war die HCV- HCV-Patienten geheilt werden. Je nach ArzInfektion nicht heilbar, sondern führte in neistoffkombination kostet die HCV-Theravielen Fällen zur Chronifizierung, auf de- pie pro Patient derzeit bis zu 60.000 €. ren Boden eine Leberzirrhose und eventuDie derzeit sehr hohen Behandlungskosell ein Leberzellkarzinom entstand. Die ten mit den neuen HCV-Arzneistoffen haeinzige kurative Therapie war die Leber- ben zu einer breiten und sehr kontrovers getransplantation, die aber mit derzeit hohen führten Diskussion über die Gestaltung von Kosten assoziiert ist und wegen der sehr Preisen für gut wirksame, sichere und innobegrenzten Verfügbarkeit von Spenderor- vative Arzneistoffe mit Patentschutz geführt. ganen nur wenigen Patienten ermöglicht In dieser Diskussion stehen die pharmazeutischen Hersteller in der Kritik, auf Kosten werden konnte. Bis vor wenigen Jahren bestand die Stan- von Patienten und Gesellschaft unverhältnisdardtherapie der HCV-Infektion in einer mäßige Gewinne abzuschöpfen. Es wird fer24–48(–72)-wöchigen Behandlung mit Pegin- ner kritisiert, dass die Aufsichtsbehörden zu terferon α-2a plus Ribavirin. Je nach Genotyp schwach sind, die Preise für die neuen HCVkonnten damit 50–80 % der Patienten geheilt Arzneistoffe moderater zu gestalten. In dieser werden (die Genotypen 2 und 3 sind empfind- komplexen Debatte muss in Betracht gezogen licher als der Genotyp 1). Problematisch bei werden, dass sich nun erstmals die HCV-Indieser Therapie ist die schlechte Verträglich- fektion tatsächlich heilen lässt und damit keit. Peginterferon α-2a löst häufig grippale viele Folgekosten durch Leberzirrhosen, LeSymptome, Autoimmunphänomene, Müdig- berzellkarzinome und Lebertransplantatiokeit, Haarausfall, Schilddrüsenfunktionsstö- nen mit entsprechender Nachsorge entfallen. rungen sowie Depressionen und Angstzu- Auch Lebensqualität und Arbeitsmöglichstände aus (7 Kap. 28). Das Hauptproblem keiten von HCV-Patienten werden deutlich bei der Ribavirintherapie ist die Hämolyse, die verbessert. Die Therapie der HCV-Infektion häufig eine Dosisreduktion erzwingt und da- wird wegen der Komplexität (häufige Veränmit die Heilungschancen verringert. Ebenso derung der Therapieschemata in kurzen Zeitwie Peginterferon α-2a kann Ribavirin neuro- räumen) und der hohen Kosten von Speziapsychiatrische Störungen hervorrufen (Ano- listen (Hepatologen) durchgeführt. rexie, Schlaflosigkeit, Depression). Außerdem wirkt es myelotoxisch und teratogen. Durch die Einführung neuer HCV- Arzneistoffe aus der Gruppe der NS5A-, Pro- 33.5 Arzneistoffe zur Behandlung tease- und insbesondere der NS5B-Inhibitovon COVID-19 ren wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit der HCV-Therapie deutlich verbessert. Sie COVID-19 wird durch das RNA-Virus SARSrichtet sich nach dem Genotyp und nach dem CoV-2 hervorgerufen. Die Übertragung von Grad der Leberschädigung. Die Standard- SARS-CoV-2 erfolgt vornehmlich über Tröpftherapie für die Genotypen 1, 4, 5 und 6 be- chen und Aerosole. Die klinischen Verläufe
480
33
Kapitel 33 · Arzneistoffe zur Behandlung viraler Infektionen
von COVID-19 sind sehr unterschiedlich und reichen von völlig unbemerkten Infektionen bis hin zu tödlichen Erkrankungen mit Multiorganversagen. Besonders gravierend ist die Beeinträchtigung der Lungenfunktion, die u. U. wochenlange Beatmung erforderlich macht. COVID-19 wurde erstmalig Ende 2019 in Wuhan (China) beobachtet und hat sich seitdem zu einer Pandemie entwickelt. Da es sich bei SARS-CoV-2 wie bei HCV (7 Abschn. 33.4) und dem Ebolavirus um ein RNA-Virus handelt, liegt es nahe, RNA-Polymerase-Inhibitoren als virustatische Arzneistoffe einzusetzen. Wegen der großen Anzahl schwerer COVID-19-Verläufe besteht ein extrem hoher Handlungsdruck für rasche Arzneitherapieoptionen. Die traditionelle Arzneimittelentwicklung erstreckt sich jedoch normalerweise über viele Jahre (7 Kap. 1). Deshalb fokussieren sich die Anstrengungen derzeit auf das Repurposing von Arzneistoffen, das bereits für viele Indikationen erfolgreich angewendet wurde (7 Kap. 1). Diese Strategie erwies sich auch bei COVID-19 als erfolgreich und führte innerhalb von nur 6 Monaten zur Zulassung des RNA-Polymerase-Inhibitors Remdesivir für schwere Verläufe von COVID-19. Ursprünglich wurde Remdesivir als „Ebolamedikament“ entwickelt. Remdesivir ist insgesamt recht gut verträglich und verkürzt den Verlauf von COVID-19 bei beatmeten Patienten. Weitere RNA-Polymerase-Inhibitoren sowie Arzneistoffe, die die Funktion essentieller Proteine von SARS-CoV-2 hemmen (analog zu HIV und HCV, 7 Abschn. 33.3 und 33.4), sind in Entwicklung. Einige wissenschaftliche Studien sowie einige führende Politiker propagierten den Einsatz des „Malariamedikamentes“ Chloroquin (7 Kap. 34) bzw. des strukturell sehr ähnlichen Hydroxychloroquin bei COVID-19. Der Wirkmechanismus von (Hydroxy)chloroquin ist unbekannt (7 Kap. 11). Hydroxy(chloroquin) spielt derzeit vor allem
in der Therapie des Lupus erythematodes eine Rolle (7 Kap. 11). Eine genaue Analyse der Studien zu (Hydroxy)chloroquin und COVID-19 ergab, dass die Daten nicht valide sind. Deshalb wurde die erst im März 2020 erteilte Zulassung von (Hydroxy)chloroquin für COVID-19 in den USA nach wenigen Wochen wieder zurückgezogen. Vor der unkritischen Einnahme von (Hydroxy) chloroquin ist dringend zu waren. Der Arzneistoff besitzt schwere UAW (7 Kap. 11), und es hat durch die Einnahme von (Hydroxy)chloroquin im Zusammenhang mit COVID-19 bereits etliche Todesfälle gegeben. Wahrscheinlich spielten TdP (7 Kap. 17) dabei eine wichtige Rolle.
Fallbeispiel
Eine 37-jährige Frau kommt in Ihre dermatologische Praxis. Vor drei Tagen bemerkte sie auf der rechten Thoraxseite brennende Schmerzen, die vom Rücken nach vorne ausstrahlten. Jetzt sind 15 Gruppen von jeweils drei-vier Bläschen entlang der schmerzenden Körperstellen aufgetreten. Auf Nachfrage berichtet die Patientin, dass sie als Kind Windpocken gehabt hätte und zeigt Ihnen eine Narbe an der Stirn. Eigentlich sei sie immer gesund gewesen, aber in den letzten Wochen hätte sich privat und beruflich alles geballt (Stress mit dem Chef, dem Ehemann und den beiden Kindern). Die Kinder seien gegen Windpocken geimpft worden.
Übungsfragen zum Fallbeispiel 1. Wie gehen Sie therapeutisch vor? 2. Wie würden Sie vorgehen, wenn sich die Symptome generalisieren? Lösungen 7 Kap. 37
481
Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen Inhaltsverzeichnis 34.1
berblick über die wichtigsten Mykosen und deren Ü Pharmakotherapie – 482
34.2
Triazole und Allylamine – 488
34.3
Polyene – 488
34.4
Echinocandine – 489
34.5
Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria – 489
34.6
rzneistoffe zur Behandlung von A Erkrankungen, die durch Würmer, Milben und Läuse verursacht werden – 494
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_34
34
482
34
Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
Mykosen werden durch Dermatophyten, Hefen, Schimmelpilze und Schlauchpilze hervorgerufen. Einer Mykose liegt eine Schwächung des Immunsystems zugrunde, die ein Überwuchern mit Pilzen ermöglicht. Die biochemische Ähnlichkeit von Pilzen mit menschlichen Zellen erschwert die selek tive Abtötung von Pilzzellen. Triazole und Allylamine hemmen die Ergosterolsynthese und stören die Funktion der Pilzmembran. Triazole wirken fungistatisch bei lokaler und systemischer Kandidose sowie Kryptokok kose. Sie hemmen CYP3A4 und verursachen dadurch Arzneistoffinteraktionen. Allyl amine wirken ebenfalls fungistatisch und wer den vor allem bei Dermatophyteninfektio nen eingesetzt. Amphotericin B bildet mit Ergosterol einen Komplex, erhöht die Mem branpermeabilität und ist daher sehr to xisch. Es wirkt bei vielen systemischen My kosen fungizid. Caspofungin hemmt die Biosynthese von Zellwandbestandteilen und ist weniger toxisch als Amphotericin B. Es wirkt fungistatisch oder fungizid bei syste mischen Mykosen einschließlich Pneumocystis jirovecii. Arthemeter und Lumefantrin werden in der Therapie der Malaria tropica eingesetzt; Atovaquon und Proguanil finden in der Malariatherapie und -prophylaxe An wendung. Ivermectin hyperpolarisiert Neu rone und wirkt bei vielen Fadenwurm-, Laus- und Milbenerkrankungen. Dimeticon reduziert die Oberflächenspannung und wirkt gegen Kopfläuse. Mebendazol hemmt Mikrotubuli und wirkt bei bestimmten Wurmerkrankungen. Permethrin depolari siert Neurone und wirkt bei Scabies.
Merksätze 55 Eine Schwächung des Immunsystems durch Zytostatika, immunmodulatori sche Arzneistoffe, GCR-Agonisten, Tu morerkrankungen und HIV begünstigt eine Mykosenentstehung. 55 Oberflächliche Mykosen durch Dermato phyten werden mit Triazolen und Allyl aminen behandelt.
55 Candida albicans kann oberflächliche so wie invasive Mykosen verursachen. 55 Oberflächliche Kandidosen werden mit Triazolen behandelt. 55 Invasive Kandidosen werden mit Triazo len, Amphotericin B und Caspofungin therapiert. 55 Invasive Kryptokokkosen werden mit Tri azolen und Amphotericin B behandelt. 55 Pneumocystis-jirovecii-Infektionen wer den mit Caspofungin sowie TMP + Sulfa methoxazol therapiert. 55 Invasive Aspergillusmykosen werden mit Triazolen, Amphotericin B und Caspo fungin behandelt. 55 Die Malaria tropica wird mit Artemether + Lumefantrin behandelt. 55 Die Malariaprophylaxe erfolgt mit Ato vaquon + Proguanil. 55 Proguanil + Atovaquon können auch zur Therapie der Malaria tropica und Mala ria tertiana eingesetzt werden. 55 Ivermectin ist ein bei vielen Fadenwurm-, Laus- und Milbenerkrankungen wirken der Arzneistoff. 55 Mebendazol findet bei Wurmerkrankun gen Anwendung. 55 Permethrin wird bei Scabies eingesetzt.
34.1 Überblick über die
wichtigsten Mykosen und deren Pharmakotherapie
Mykosen werden durch Pilze verursacht, die menschliches Gewebe befallen. Pilze besit zen einen Zellkern und bilden Zellverbände. Sie sind menschlichen Zellen biochemisch ähnlicher als Bakterien, weshalb Pilzzellen schwieriger als Bakterien selektiv abzutöten sind (7 Kap. 32). Aus diesem Grund gibt es auch nur wenige antimykotische Arznei stoffgruppen. Der wichtigste Angriffspunkt für antimykotische Arzneistoffe ist die Pilzzellwand. . Abb. 34.1 zeigt den Aufbau der Zytoplasmamembran und der Zellwand
34
483 34.1 · Überblick über die wichtigsten Mykosen und deren Pharmakotherapie
von Pilzen sowie Angriffspunkte von Arz neistoffen an diesen Strukturen. . Tab. 34.1 gibt eine Übersicht über wichtige Mykosen und . Tab. 34.2 eine Übersicht über ausge wählte antimykotische Arzneistoffe.
>>Pilzinfektionen treten vor allem auf, wenn das Immunsystem geschwächt ist.
Das ist vor allem bei älteren und multimor biden Patienten, Frühgeborenen, Patienten mit Zustand nach Organ- oder Knochen marktransplantation, mit Autoimmuner krankungen, Diabetes, HIV oder bakteriel ler Sepsis sowie bei Therapie mit Zytostatika, GCR-Agonisten, immunmodulatorischen
Arzneistoffen und antibakteriellen Arznei stoffen mit nachfolgender Störung des bak teriellen Mikrobioms der Fall (7 Kap. 11, 19 und 34). Auch große operative Eingriffe so wie parenterale Ernährung können Pilzin fektionen begünstigen. Dermatophyten verursachen oberflächli che Infektionen der Haut, der Haare und der Nägel. Diese Infektionen sind nicht lebens bedrohlich, aber die häufigste Mykosenform. Bis zu 25 % der Weltbevölkerung sind von Dermatophyten befallen. Sowohl mangelnde als auch übertriebene Hygiene sowie Hyper hidrosis begünstigen Dermatophyteninfek tionen, eben so die Benutzung öffentlicher
Mannoproteine β-(1,3)Glucan
Zellwand
β-(1,3)-Glucansynthase
Chitin
Zytoplasmamembran
Triazole (Fluconazol)
Ergosterol Allylamine (Terbinafin)
DL LDM
LDM L
Polyene (Amphotericin B)
SE
L CYP, HERG, Sexual- A hormone
Membrandefekte, viele UAW (Niere!)
a
b
c
SEOX A
DL
.. Abb. 34.1 a–d Aufbau der Zytoplasmamembran und Zellwand von Pilzen sowie Angriffspunkte von antimykotischen Arzneistoffen. a Physiologische Situ ation und Angriffspunkt der Allylamine; b Angriffs punkt der Triazole; c Angriffspunkt der Polyene; d An
Echinocandine (Caspofungin)
d
griffspunkt der Echinocandine. A, Acetyl-Coenzym A; L, Lanosterol; DL, 14-α-Demethyl-Lanosterol; LDM, Lanosterol-14-α-Demethylase; SE Squalenepoxid; SEOX, Squalenepoxidase
34
Dermatophyten
Insgesamt 25 % der Weltbevölkerung betroffen (alle Krank heitsentitäten)
Keine
Trichophyton-Arten, Microsporum-Arten, Epidermophyton floccosum
Oberflächliche Infektio nen von Haut, Haaren und Nägeln
Tinea pedis, Onychomy kose, Tinea capitis
Parameter
Epidemiologie
Letalität
Häufigste Pilzarten
Typische Manifestation
Beispiele für Erkrankungen Vulvovaginalmykose, Stomatitis (Soor), invasive Candida-Infektion mit Beteiligung von Lunge, Herz, Magen, Darm, Leber, Milz, ZNS; Kryptokok kose von Lunge und Meningen
Oberflächliche Kandidose an Haut und Schleimhäuten sowie systemische Kandidosen, Kryptokokkose
Candida albicans, Cryptococcus neoformans
45–75 % bei invasiver Kandidose; 20–70 % bei Kryptokokkose
50–75 % aller Frauen im gebärfähigen Alter haben mindestens einmal eine Vulvovaginalmykose; weltweit >400.000 lebensbedrohliche Infektionen/Jahr durch invasive Kandidosen und > 1.000.000 Infektionen/Jahr durch Kryptokokkose
Hefen
.. Tab. 34.1 Übersicht über die wichtigsten Mykosen
Aspergillom, allergische bronchopul monale Aspergillose, verschiedene Schwergrade invasiver Aspergillosen
Haut, Ohren, Atemwege, Lunge; selten Herz, Nieren und ZNS
Aspergillus fumigatus
30–95 %, je nach Lokalisation
Weltweit > 200.000 lebensbedrohliche Infektionen/Jahr durch Aspergillose
Schimmelpilze
Interstitielle Pneumonie
Systemische Infektion der Lunge
Pneumocystis jirovecii (Trophozoi ten, die Zysten bilden und Sporen enthalten)
20–80 %
Weltweit >400.000 lebensbedrohliche Infektionen/Jahr, häufig bei HIV- Patienten
Schlauchpilze
484 Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
Mangelnde oder übertriebene Hygiene, Hyperhidrosis, Immun systemschwäche, Benutzen öffentlicher Duschen, Saunen oder Schwimmbäder, hohes Lebensalter
Terbinafin (lokal oder systemisch)
Begünstigende Faktoren
Wirksame antimykotische Arzneistoffe Fluconazol bei oberflächlicher Kandi dose; Voriconazol, Fluconazol, Ampho tericin B und Caspofungin systemisch bei invasiven Candidamykosen; Amphoteri cin B, Fluconazol und Voriconazol systemisch bei Kryptokokkose
ER-Agonisten, mangelnde oder übertriebene Hygiene (Vaginalmykose), Therapie mit antibakteriellen Arzneistof fen, GCR-Agonisten, Zytostatika, immunmodulatorischen Arzneistoffen, Tumorerkrankungen, HIV-Infektion, Zustand nach Organtransplantation, Autoimmunerkrankungen Amphotericin B, Voriconazol und Caspofungin systemisch
Therapie mit antibakteriellen Arzneistoffen, GCR-Agonisten, Zytostatika, immunmodulatorischen Arzneistoffen, ER-Agonisten, mangelnde oder übertriebene Hygiene, Tumorerkrankungen, HIV-Infektion, Zustand nach Organtransplantation, Autoimmuner krankungen Caspofungin und TMP + Sulfametho xazol systemisch bei Pneumonie
Immunsuppression bei HIV-Infektion wichtigster Risikofaktor
34.1 · Überblick über die wichtigsten Mykosen und deren Pharmakotherapie 485
34
34
Arzneistoffgruppe
Polyen
Echino candin
Triazol
Allylamin
Arzneistoff
Amphotericin B
Caspofungin
Fluconazol
Terbinafin
Fungistatisch. Hemmung der Squalenepoxidase und dadurch Hemmung der Ergosterolbio synthese in Pilzzellen
Fungistatisch. Hemmung der Lanosterol-14-α-Demethylase, in der Folge Einlagerung unphysiologischer Sterole in Zellmembran der Pilzzellen mit nachfolgender Störung der Membranfunktion
Fungizid (fungistatisch bei Aspergillus-Infektionen). Störung der Zellwandbildung (Hemmung der β-(1,3)-D- Glucansynthase)
Fungizid. Komplexbildung mit Ergosterol in der Zellmembran und Porenbildung. Erhöhung der Permeabilität für Ionen und kleine Moleküle, daher kaum Resistenzen.
Wichtige Wirkungen
.. Tab. 34.2 Übersicht über ausgewählte antimykotische Arzneistoffe
Lokaltherapie und orale Therapie von Infektionen mit Dermatophyten
Lokale und systemische Kandidosen, Kryptokokkose, nicht wirksam bei Aspergillose
Systemische Therapie invasiver Mykosen durch Candida albicans, Pneumocystis jirovecii und Aspergillus fumigatus
Sehr breites Wirkspektrum außer Dermatophyten und Pneumocystis jirovecii, schwere systemische Mykosen
Wichtige Indikationen
Gut verträglich bei lokaler Therapie abgesehen von allergischen Reaktionen; bei systemischer Therapie GI-Probleme (Diarrhoe, Obstipation, Übelkeit), Kopfschmerzen, Blutbildungsstörungen
Hemmung von CYP3A4 und dadurch Erhöhung der Konzentration von CYP3A4-Substraten, Übelkeit, Erbrechen, Leberfunktionsstörungen, Arrhythmien, Allergie, in hoher Dosierung Hemmung der Sexualhormonsynthese mit Gynäkomastie, Oligospermie und Menstruationsstörungen
Relativ gute Verträglichkeit: Fieber, Entzündungen an Infusionsstelle, Exan theme, Übelkeit, Erbrechen, Anämie, Kopfschmerzen, Transaminasenanstieg, Hypokaliämie
Gravierend wegen des unspezifischen Wirkmechanismus: Bei Überdosierung Atem- und Herzstillstand, Blutbildungsstö rungen, Übelkeit, Erbrechen, Exantheme, Hypokaliämie, Hypotonie, Leber- und Nierenschädigungen
Wichtige UAW
7 Kap. 2, 17, 24
7 Kap. 12
7 Kap. 12, 14
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
486 Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
34
487 34.1 · Überblick über die wichtigsten Mykosen und deren Pharmakotherapie
Duschen, Saunen und Schwimmbäder sowie hohes Lebensalter. Die Behandlung erfolgt lokal mit Allylaminen. Entscheidend für den langfristigen Therapieerfolg ist die Beseiti gung der Faktoren, die Dermatophytenin fektionen begünstigen. Hefen stellen die zweithäufigste Ursache von Mykosen dar. Die wichtigsten Erreger sind Candida albicans und Cryptococcus neoformans. Candida albicans kann ober flächliche Mykosen der Schleimhäute und Systemmykosen (invasive Mykosen) auslö sen. Häufige oberflächliche Candidainfek tionen sind die Kandidose des Mundes, der Zunge und des Gaumens (Soor) sowie der Vaginalschleimhaut und der Vulva (Vulvo vaginitis). Soor kann durch alle o. g. Fakto ren begünstigt werden. Eine Besonderheit stellt die fehler hafte Anwendung inhalativer GCR-Ago nisten zur Behandlung des Asthmas dar (7 Kap. 14). Es kann zur Deposition er heblicher Arzneistoffmengen in der Mund höhle kommen, die Kandidose begüns tigen. Neben dem Erlernen der richtigen Inhalationstechnik verringert das Ausspü len der Mundhöhle mit Wasser nach Inha lation das Soorrisiko. Eine Vulovovaginitis bei Frauen im ge bärfähigen Alter ist sehr häufig. Ursachen sind u. a. eine antibakterielle Arzneistoff therapie, die die Bakterienstandortflora (Döderlein-Bakterien) beeinträchtigt, die Einnahme von oralen Kontrazeptiva mit hohen ER-Agonist- Dosen (7 Kap. 24), eine Schwangerschaft sowie fehlende oder übertriebene Intimhygiene. Soor und Vul vovaginalmykosen können mit Triazolen be handelt werden. Systemische Kandidosen sind vor allem bei Patienten mit geschwächtem Immun system sehr häufig und mit hoher Letalität behaftet. Die Therapie erfolgt mit Triazolen, Amphotericin B oder Caspofungin. Cryptococcus neoformans gehört ebenfalls zu den Hefen und befällt vor allem Lunge und Me ningen; therapiert wird mit Triazolen und Amphotericin B.
Schimmelpilze sind eine weniger häufige Ursache für Mykosen. Meist ist Aspergillus fumigatus der Erreger. Aspergillen können viele Organe befallen. Invasive Aspergillo sen werden mit Triazolen, Amphotericin B und Caspofungin therapiert. Eine Besonderheit stellt Pneumocystis jirovecii dar, der zu den Schlauchpilzen ge hört. Eine Infektion verursacht eine inter stitielle Pneumonie und ist die häufigste Erstmanifestation und opportunistische In fektion bei HIV-Patienten (7 Kap. 33). Da Pneumocystis jirovecii Cholesterin an Stelle von Ergosterol in der Zytoplasmamembran enthält, sind Triazole und Amphotericin B bei diesem Erreger wirkungslos. Caspofungin zeigt jedoch Wirkung, ebenso das primär gegen Bakterien wirksame TMP + Sulfamethoxazol (7 Kap. 33).
>>Die erfolgreiche Pharmakotherapie der interstitiellen Pneumonie mit „antibakte riellen Arzneistoffen“ ist ein Beispiel für die Indikationserweiterung (Repurposing) von Arzneistoffen.
Die Diagnose invasiver Mykosen gestaltet sich schwierig, da das klinische Bild häufig uncharakteristisch ist. Dies stellt ein Pro blem wegen der hohen Letalität invasiver Mykosen dar. In aller Regel kann nicht ab gewartet werden, bis eine genaue Erreger diagnose mit Antimykogramm vorliegt. Für den Erfolg einer antimykotischen The rapie ist ihr früher Beginn wichtig. Deshalb wird man beim Vorliegen von Verdachtsmo menten auf systemische Mykose bei Risiko patienten mit einer empirischen Therapie anfangen. Bei rechtzeitigem Beginn einer antimykotischen Behandlung können ca. 60–70 % der Pilzinfektionen geheilt werden; das ist jedoch eine deutlich geringere Hei lungsrate als bei bakteriellen Infektionen. Grund dafür ist das bei Patienten mit inva siven Mykosen fast immer geschwächte Im munsystem (7 Kap. 11 und 31).
>>Der Begriff „Antimykotika“ sollte durch den Begriff „Arzneistoffe mit antimyko
488
Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
tischer Wirkung“ (oder antimykotische Arzneistoffe) ersetzt werden, da Arznei stoffe mit einer solchen Wirkung auch gravierende Wirkungen auf menschliche Zellen zeigen können.
Polyene schädigen die Plasmamembran menschlicher Zellen direkt und Triazole hemmen CYP und verursachen damit Arz neimittelinteraktionen und interferieren mit der Biosynthese von Steroidhormonen.
34.2 Triazole und Allylamine
Triazole (Prototyp Fluconazol) hemmen die Lanosterol-14-α-Demethylase, die die Um wandlung von Lanosterol zu 14-α-DemethylLanosterol katalysiert. Dadurch wird die Bildung des für die Pilzmembranintegrität wichtigen Ergosterols gehemmt und damit die Membranfunktion gestört. Triazole wir ken fungistatisch. Der Wirkungseintritt ist langsam, was auf dem Wirkmechanismus beruht. Die menschliche 14-α-Demethylase wird weniger potent gehemmt als das Pilz enzym (7 Kap. 1). Die Lokaltherapie mit Triazolen ist meist gut verträglich. Triazole hemmen CYP3A4 (7 Kap. 2). Das ist bei systemischer The rapie bedeutsam. Bei einer Komedikation mit Arzneistoffen, die über CYP3A4 meta bolisiert werden, z. B. Ciclosporin und Tacrolimus, kann deren Organtoxizität erhöht werden, weshalb die Dosis entsprechend re duziert werden muss. Auch eine Komedika tion mit TdP auslösenden Arzneistoffen, die ebenfalls über CYP3A4 metabolisiert wer den, kann Probleme bereiten (7 Kap. 17). Bei systemischer Therapie sind Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe häufig (5–10 % der Patienten). Triazole sind potentiell he patotoxisch und können in hoher Dosie rung oder bei längerfristiger Therapie durch CYP-Inhibition die Sexualhormonsynthese hemmen, was sich in Gynäkomastie, Oligo spermie und Menstruationsstörungen ma nifestiert (7 Kap. 24). Wegen teratogener
34
Wirkung sind systemische Triazole in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindi ziert. Fluconazol kann lokal, p.o. und paren teral appliziert werden. Es hemmt CYP2C9 und CYP2C19. Indikationen von Fluco nazol sind oberflächliche und systemische Kandidosen und wegen guter Liquor gängigkeit Kryptokokken-Meningitis. Bei Aspergillus- Infektionen wirkt Fluconazol nicht. Es hat eine Bioverfügbarkeit von 90 %, eine nur sehr geringe Plasmaprotein bindung und eine Plasma-HWZ von 24–30 Stunden. Es wird überwiegend renal elimi niert. Bei einer CKD muss die Dosis redu ziert werden (7 Kap. 12). Voriconazol kann p.o. und parenteral appliziert werden. Es wird bei schweren systemischen Mykosen eingesetzt und über CYP3A4 metabolisiert. Terbinafin ist der Prototyp der Allyl amine. Es wird lokal und systemisch zur Behandlung von Infektionen mit Derma tophyten eigesetzt. Terbinafin hemmt einen proximalen Schritt der Ergosterolbiosyn these in den Pilzzellen (. Abb. 34.1). Da durch kommt es zu einer Ergosterolverar mung in den Pilzzellen und einer erhöhten Permeabilität. Der Wirkmechanismus der Allylamine und Triazole ist letztlich, was die Störung der Pilzzellmembran anbelangt, ähnlich. Allylamine wirken fungistatisch. Bei lokaler Gabe ist Terbinafin meist gut verträglich; bei systemischer Therapie kön nen u. a. Übelkeit und Erbrechen auftreten.
34.3 Polyene
Amphotericin B ist das prototypische Polyen. Es ist amphiphil, besitzt also hydro phile und hydrophobe Domänen und bildet mit Ergosterol in der Zytoplasmamembran einen Komplex. Dadurch kommt es zur Bil dung von Poren, die für niedermolekulare Substanzen permeabel sind. Daher wirkt Amphotericin B fungizid (Abtötung von Pilzzellen). Es hat ein breites Wirkspektrum außer gegen Dermatophyten und Pneumo-
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489 34.5 · Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria
cystis jirovecii. Amphotericin B wird bei schweren systemischen Mykosen eingesetzt, insbesondere zur Notfalltherapie lebensbe drohlicher Infektionen. Das Resistenzrisiko ist aufgrund des Angriffspunkts gering. Im Gegensatz zu den Triazolen und/oder Allylaminen kann Amphotericin B nicht p.o. angewendet werden, sondern wird i.v. bzw. zur Behandlung oberflächlicher Infektionen lokal gegeben. Die Plasmaproteinbindung ist sehr hoch (95 %), sodass Interaktionen mit anderen stark proteingebundenen Arz neistoffen auftreten können (7 Kap. 2). Die Plasma-HWZ liegt bei 18–24 Stunden. Am photericin B bindet auch an Cholesterin in der Plasmamembran menschlicher Zellen und führt darüber zu gravierenden UAW bis hin zu Atem- und Kreislaufstillstand bei Überdosierung.
>>Aufgrund der gravierenden UAW ist eine einschleichende Dosierung von Ampho tericin B erforderlich.
Häufig treten Übelkeit und Erbrechen, An ämie sowie Leber- und Nierenschäden mit Hypokaliämie sowie Hörstörungen auf. Die Nephrotoxizität von Amphotericin B wird durch andere potenziell nephrotoxische Arzneistoffe wie Aminoglykoside, Ciclospo rin und Zytostatika verstärkt (7 Kap. 12). NCC- und NKCC-Inhibitoren sowie GCR- Agonisten verstärken eine Hypokaliämie. Ebenso können Exantheme auftreten. Es gibt inzwischen liposomale Zubereitungen von Amphotericin B, die weniger toxisch sind. Die Nephrotoxizität lässt sich durch Infusion von 1–1,5 l 0,9 %ige NaCl-Lösung pro Tag reduzieren. Während der Infusion kann es zu Fieber, Schüttelfrost und einem Red-Man-Syndrom kommen.
Aspergillus fumigatus fungistatisch. Proto typ ist Caspofungin. Es wird bei systemi schen Candida- und Aspergillusinfektionen eingesetzt. Wichtig ist die Wirksamkeit bei Pneumocystis-jirovecii-Infektionen. Caspo fungin wird wegen mangelnder Resorption nach p.o.-Gabe i.v. appliziert. Wegen hoher Plasmaproteinbindung kann es zu Interakti onen mit anderen stark proteingebundenen Arzneistoffen kommen (7 Kap. 2). Caspo fungin besitzt mildere UAW als Amphote ricin B. Es werden Fieber, entzündliche Re aktionen an der Infusionsstelle, Exantheme, Übelkeit, Erbrechen, Anämie, Kopfschmer zen, Transaminasenanstieg und Hypokali ämie beobachtet.
>>Die UAW der Echinocandine sind ein Bei spiel dafür, dass auch Arzneistoffe mit vermeintlich „selektivem“ Wirkmechanis mus in Erregern auch (oft unbekannte) Zielstrukturen im menschlichen Körper beeinflussen (7 Kap. 1).
34.5 Arzneistoffe zur Behandlung
der Malaria
Jährlich erkranken weltweit über 200 Mil lionen Menschen an Malaria; bei über 400.000 Patienten verläuft die Erkrankung tödlich. Besonders hoch ist das Malaria risiko in den tropischen Regionen Afrikas sowie Südostasiens. In tropischen Regionen Südamerikas ist das Malariarisiko geringer. Die Malaria wird durch Plasmodien hervor gerufen, die wie Pilzzellen (7 Abschn. 34.1) zu den Eukaryonten gehören. Plasmodien sind Parasiten, die über Stiche von Anophe lesmücken auf den Menschen und zurück auf Anophelesmücken übertragen werden. . Abb. 34.2 zeigt den Infektionszyklus der 34.4 Echinocandine Malaria-Erreger und pharmakologische Angriffspunkte. Die Echinocandine sind semisynthetische Die gefährlichste Erkrankungsform ist Lipopeptide und hemmen die β-(1,3)-D- die Malaria tropica, die durch Plasmodium Glucansynthase und damit den Zellwand falciparum hervorgerufen wird. Nach einer aufbau. Echinocandine wirken fungizid, bei Inkubationszeit von 7–30 Tagen kommt es
490
Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
Gewebeschizonten
Leberzelle Stich
Atovaquon + Proguanil Prophylaxe + Therapie
Erythrozyten
Sporozoiten
Schizonten
Fieber
Lyse Trophozoiten
Moskito
Stich
Moskitonetze, Repellents, lange Hemden und Hosen
34
COX-Inhibitoren Metamizol Paracetamol ♀ ♂ ♂
Blutschizonten
Gametozyten
Artemether + Lumefantrin Therapie
.. Abb. 34.2 Infektionszyklus der Malaria-Erreger und pharmakologische Angriffspunkte. Der Lebens zyklus der Plasmodien umfasst Anophelesmücken und den Menschen als Wirt. Man unterscheidet eine spezifische Malariatherapie gegen Blutschizonten (und Gewebeschizonten) von einer symptomatischen Mala
riatherapie, die sich vor allem gegen das Fieber rich tet. Außerdem können gegen Gewebeschizonten wirk same Arzneistoffe in der Malariaprophylaxe eingesetzt werden. Ferner gibt es prophylaktische Maßnahmen, die verhindern sollen, dass es zu Stichen mit infizier ten Mücken kommt
sehr plötzlich zu Fieberschüben mit unre gelmäßiger Dauer und unregelmäßiger Wie derkehr, was die Diagnostik erschwert. Die Diagnose wird durch den mikroskopischen Nachweis von Blutschizonten gesichert. Un behandelt verläuft die Malaria tropica häu fig tödlich; es kommt zum Kreislaufkollaps, Lungenödem und Nierenversagen. Deshalb muss eine Malaria tropica unbedingt behan delt werden. Die Malaria tertiana wird durch Plasmodium vivax oder Plasmodium ovale her vorgerufen und ist durch 3–4 Stunden an dauernde Fieberschübe, die alle 48 Stunden auftreten, charakterisiert. Die Inkubations zeit nach Infektion beträgt 9–20 Tage. Der Verlauf der Malaria tertiana ist gutartiger als derjenige der Malaria tropica. Die Er
krankung kann nach ca. 12 Fieberschüben (3 Wochen) ausheilen; Rückfälle sind aber häufig. Die Malaria quartana wird durch Plasmodium malariae hervorgerufen und ist durch 4–5 Stunden andauende Fieber schübe, die alle 72 Stunden auftreten, cha rakterisiert. Die Inkubationszeit nach In fektion beträgt 15–40 Tage. Auch hier ist der Verlauf gutartiger als bei der Malaria tropica. Die Erkrankung kann nach ca. 20 Fieberschüben (8 Wochen) ausheilen; auch hier sind Rückfälle häufig. >>Bei jedem Reisenden, der aus Malaria gebieten nach Deutschland zurückgekehrt ist, muss bei unklarem Fieber an eine Ma laria (tropica) gedacht werden.
491 34.5 · Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria
Eine diagnostizierte Malaria muss mit wirk samen Arzneistoffen behandelt werden. Wegen der langen Inkubationszeit muss der Arzt proaktiv nach Fernreisen fragen. Analog zur Situation mit Pilzen (7 Abschn. 34.1) ähneln sich Plasmodien und menschliche Zellen biochemisch stär ker als Bakterien und menschliche Zellen (7 Kap. 32). Dies limitiert die pharmakolo gischen Eingriffsmöglichkeiten. Zudem ist es durch jahrzehntelangen unkritischen Einsatz von gegen Plasmodien ursprünglich wirksa men Arzneistoffen wie Chinin und Chloroquin zu gravierenden Resistenzentwicklungen gekommen. Außerdem sind diese traditionell eingesetzten Arzneistoffe durch erhebliche UAW belastet (7 Kap. 11 und 17) und spie len deshalb heutzutage in der Malariatherapie und -prophylaxe nur noch eine sehr unterge ordnete Rolle. (Hydroxy)chloroquin, das sehr ähnlich wie Chloroquin wirkt, wird derzeit zur Therapie des Lupus erythematodes eingesetzt. Vor dem Einsatz von (Hydroxy)chloroquin bei COVID-19 ist zu warnen (7 Kap. 33).
>> Der Schlüssel zum Erfolg einer Malariathe rapie und -prophylaxe ist der kritische Ein satz von wirksamen Arzneistoffen. Vor je der Auslandsreise in potentiell betroffene Gebiete muss sich jeder Reisende über die aktuelle Malariasituation, die sich sehr schnell ändern kann, informieren: 7 https:// www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/ Merkblaetter/Ratgeber_Malaria.html
Durch den Stich einer infizierten Mücke werden Sporozoiten in die Blutbahn in jiziert. In der Leber entwickeln sich die Sporozoiten zu Gewebeschizonten. Diese gelangen dann wieder in die Blutbahn. Ein kleiner Anteil der Schizonten entwi ckelt sich in Trophozoiten, die sich weiter in weibliche und männliche Gametozyten differenzieren. Die Gametozyten gelan gen über einen Mückenstich wieder in die Anophelesmücke, in der die Entwicklung von Sporozoiten erfolgt. Damit ist der Lebenszyklus geschlossen. Deshalb spielt
34
der Schutz vor Insektenstichen eine ent scheidende Rolle in der Malariaprophylaxe (. Abb. 34.2). Der überwiegende Anteil der Schizonten vermehrt sich jedoch in den Erythrozyten (Blutschizonten). Bei Lyse der Erythrozyten kommt es zu den häufig sehr schweren Fie berschüben, die symptomatisch mit COX-In hibitoren, Pyrazolonen und p-Aminopheno len (7 Kap. 10 und . Abb. 34.2) behandelt werden. . Tab. 34.3 fasst die Eigenschaften wichtiger Arzneistoffe zur Therapie und Prophylaxe der Malaria zusammen. Grund sätzliche Angriffspunke in den Plasmodien sind die Hemmung der DHFR (Proguanil) (7 Abschn. 34.1 und 7 Kap. 31 und 32), die Hemmung der plasmodialen Mitochon drienfunktion (Atovaquon), die Hemmung des Abbaus des toxischen Haemins zum nicht-toxischen Hämozoin in mit Schizonten infizierten Erythrozyten (Lumefantrin) und die Bildung toxischer Radikale in den mit Schizonten befallenen Erythrozyten (Artemether). Artemether findet in Kombination mit Lumefantrin vor allem in der Therapie der Malaria tropica Anwendung. Atovaquon wird in Kombination mit Proguanil zur Ma lariaprophylaxe in Hochrisikogebieten einge setzt und zur Therapie einer manifesten Ma laria verwendet. Proguanil und Atovaquon wirken aber nur auf Gewebeschizonten, nicht jedoch auf Blutschizonten.
>>Verglichen mit den traditionell bei Mala ria eingesetzten Arzneistoffen Chinin und Chloroquin ist die Verträglichkeit der mo dernen Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria gut.
Zur Vermeidung einer Resistenzentwicklung ist es entscheidend, stets eine Kombinations therapie mit den in . Abb. 34.2 dargestell ten Kombinationen durchzuführen. Bei Artemether ist besonders zu beachten, dass der Arzneistoff eine CYP-Induktion und damit eine Wirkungsabschwächung anderer über CYP metabolisierter Arzneistoffe ver
34
Arzneistoffgruppe
Radikalbildner
Ubichinon- Analogon
Inhibitor des Haemin-Abbaus
DHFR-Inhibitoren
Artemether
Atovaquon
Lumefantrin
Proguanil
Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria
Arzneistoff
Hemmung der Dihydrofolsäu resynthese und damit indirekt Hemmung der Synthese von Thymidin, Purinbasen, Methionin und Serin
Hemmung des Abbaus des toxischen Haemins zum nicht-toxischen Hämozoin; dadurch Abtötung von Blutschizonten
Störung der Mitochondrien funktion und damit Abtötung von Gewebeschizonten
Abtötung der Blutschizonten durch Bildung toxischer Radikale
Wichtige Wirkungen
Therapie und Prophylaxe der Malaria tropica und Malaria tertiana (in Kombination mit Atovaquon)
Therapie der Malaria tropica (in Kombination mit Artemether)
Therapie und Prophylaxe der malaria tropica und Malaria tertiana (in Kombination mit Proguanil)
Therapie der Malaria tropica (in Kombination mit Lumefantrin)
Wichtige Indikationen
Insgesamt gute Verträglich keit, GI-Bescherden (Übelkeit, Erbrechen), allergische Reaktionen
GI-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen), Schwindel, Kopfschmerzen, Schlafstö rungen
GI-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe), Kopfschmerzen, Schlaflosig keit, Fieber
Arzneistoffinteraktionen (Abschwächung von Wirkun gen) durch Induktion von CYP3A4 und CYP2C19, TdP
Wichtige UAW
.. Tab. 34.3 Übersicht über ausgewählte Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria sowie von Wurm-, Laus- und Milbenerkrankungen
7 Kap. 31, 32
7 Kap. 22
7 Kap. 2, 17
Weitere Zusammenhänge in Kapitel
492 Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
Reduktor der Oberflächenspan nung
GABAAR- Aktivator
Mikrotubuli- Inhibitoren
Natriumkanal aktivatoren
Dimeticon
Ivermectin
Mebendazol
Permethrin Depolarisation von Neuronen in Wirbellosen (aber NICHT in Wirbeltieren); dadurch Krampfanfälle und Tod der Erreger
Degeneration des Darmes und Störung der Glucoseresorption
Hyperpolarisation bei verschiedenen Wirbellosen, aber NICHT bei Wirbeltieren
Auflösung von Gasblasen, Erstickungstod bei Läusen, außerdem Auflösung des Chitinpanzers und Herzstillstand
Arzneistoffe zur Behandlung von Wurm-, Laus- und Milbenerkrankungen
Scabies, tiermedizinische Indikationen, Holzschutz, Schutz vor Kleidermot ten, Schutz vor Malaria (imprägnierte Moskito netze)
Fadenwurm- und Bandwurmerkrankungen, Echinokokkose
Verschiedene Erkrankun gen durch Fadenwürmer, Läuse und Milben, mögliche Wirkung bei COVID-19
Kopfläuse, Flatulenz
Hautbrennen bei lokaler Applikation
GI-Bescherden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe), Störungen der Hämatopoese, Teratogenität (keine Anwendung in der Schwan gerschaft)
Insgesamt gute Verträglich keit
Keine UAW bei korrekter Anwendung
7 Kap. 25, 27
7 Kap. 23, 31
7 Kap. 1, 25, 33
7 Kap. 13
34.5 · Arzneistoffe zur Behandlung der Malaria 493
34
494
Kapitel 34 · Arzneistoffe zur Behandlung von Mykosen und Parasitosen
ursachen kann (7 Kap. 2). Außerdem kann Artemether TdP auslösen (7 Kap. 17).
34.6 Arzneistoffe zur Behandlung
von Erkrankungen, die durch Würmer, Milben und Läuse verursacht werden
Würmer, Milben und Läuse stellen multi zelluläre eukaryonte Organismen dar, die zu den Wirbellosen gehören und biochemisch mit menschlichen Zellen noch größere Ähn lichkeiten aufweisen als dies schon bei Pilz zellen (7 Abschn. 34.1) und Plasmodien (7 Abschn. 34.5) der Fall ist. Dementspre chend ist es nochmals schwieriger, Arznei stoffe zu entwickeln, die bei Erkrankungen wirksam sind, die durch Würmer, Milben und Läuse verursacht werden. Es ist da her nicht verwunderlich, dass die Anzahl der verfügbaren wirksamen und zugleich UAW-armen Arzneistoffe insgesamt recht limitiert ist. . Tab. 34.3 fasst die Eigen schaften ausgewählter Arzneistoffe in dieser Kategorie zusammen. Ivermectin besitzt ein besonders brei tes Erregerspektrum. Der Arzneistoff ak tiviert den GABAAR in vielen wirbellosen Spezies, wodurch es zu einer neuronalen Hyperpolarisation mit nachfolgender Para lyse und Tod kommt. Da sich der GABAAR des Menschen (7 Kap. 25) strukturell sehr deutlich vom GABAAR von Wirbellosen unterscheidet, besitzt Ivermectin keine Neurotoxizität beim Menschen. Umgekehrt besitzen klassische Liganden des humanen GABAAR (Benzodiazepine, Z-Substanzen, Barbiturate) keine Wirkung auf Wirbel lose. Ivermectin wird mit Erfolg bei der durch den Fadenwurm Wucheria bancrofti verursachten Elephantiasis tropica und der durch den Fadenwurm Onchocerca volvulus verursachten Flussblindheit eingesetzt. Au ßerdem wirkt Ivermectin bei der durch die
34
Milbe Sarcoptes scabei verursachten Scabies (Krätze) und bei Befall der Kopfhaut durch die Kopflaus Pediculus humanus capitis. Bei letzterer Indikation kommt vor allem die lokale Applikation in Frage. Insgesamt ist Ivermectin gut verträglich. >>Ivermectin ist ein sehr preiswerter und wirksamer Arzneistoff. Ivermectin leistet einen sehr großen Beitrag zur Ausrottung der Elephantiasis tropica und Flussblind heit.
Mebendazol hemmt in Faden- und Band würmen die Ausbildung von Mikrotubuli. Dadurch kommt es zur Degeneration des Darmes der Würmer und zu einer Störung der Glukoseresorption. In der Folge ge hen die Würmer an Nährstoffmangel zu Grunde. Der Arzneistoff wird bei Befall des Menschen mit Faden- und Bandwürmern und bei der Echinokokkose eingesetzt. Da der Arzneistoff teratogen ist, darf er nicht in der Schwangerschaft eingesetzt werden. Weitere UAW sind GI-Störungen und Blut bildungsstörungen. Dimeticon verringert die Oberflächenspannung. Dadurch kommt es zur Auflösung von Gasblasen und zum Erstickungstod bei Läusen. Außerdem wird der Chitinpanzer von Läusen aufgelöst, was in der Folge zum Herzstillstand führt. Diese duale tödliche Wirkung von Dimeticon wird in der Lokal behandlung des Kopflausbefalls genutzt. Die Verringerung der Oberflächenspannung mit nachfolgender Auflösung von Gasblasen kann auch bei der symptomatischen Thera pie von Flatulenz im Rahmen gastrointesti naler Funktionsstörungen genutzt werden (7 Kap. 13). Natriumkanäle in menschlichen Neuro nen stellen eine wichtige Zielstruktur für Arzneistoffe dar. Es werden ausschließlich SCB eingesetzt. SCB besitzen antiarrhyth mische (und proarrhythmische) Wirkungen (7 Kap. 17), lokalanästhetische Wirkungen (7 Kap. 26), antiepileptische Wirkungen
495 34.6 · Arzneistoffe zur Behandlung von Erkrankungen, die durch Würmer …
(7 Kap. 25) sowie therapeutische Wirkungen bei einer Vielzahl neuropsychiatrischer Er krankungen (7 Kap. 25, 28 und 29) und in der Migräneprophylaxe (7 Kap. 6). Da sich die Natriumkanäle menschlicher Zellen struk turell von den Natriumkanälen in Insekten unterschieden, ist es möglich, Natriumkanäle in Insekten mit Arzneistoffen zu modulieren, ohne humane Natriumkanäle zu beeinflussen. Im Unterschied zu menschlichen Natrium kanälen sind die klinisch relevanten Arznei stoffe, die an Natriumkanälen von Insekten angreifen, keine Blocker (SCB), sondern Aktivatoren. Dadurch kommt es in den In sekten zu einer generellen neuronalen De polarisation, Krampfanfällen und anschlie ßendem Tod. Permethrin ist der Prototyp eines Natriumkanalaktivators in Insekten. Diese Wirkung von Permethrin wird in der Therapie der Scabies genutzt. Der Arznei stoff findet außerdem in der Tiermedizin, im Holzschutz, als Schutz vor Kleider motten und als Schutz vor Malaria als Be schichtung auf Malarianetzen Anwendung (. Abb. 34.2). Bei sachgerechter Anwen dung besitzt Permethrin nur geringe UAW, was auch seine sehr breite Anwendung be gründet. Im Vordergrund steht bei lokaler Anwendung Hautbrennen.
Fallbeispiel
Eine 35-jährige Frau stellt sich in Ihrer Frauenarztpraxis vor und klagt über Juckreiz im Genitalbereich, Brennen beim Wasserlassen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Diese Probleme hätte sie noch nie gehabt. Sie berichtet, dass sie bis vor zwei Tagen mit einem antibakteriellen Arzneistoff (Clarithro mycin) wegen einer Bronchitis behandelt worden sei. Bei der körperlichen Unter suchung stellen Sie einen bröckeligen und geruchlosen Ausfluss aus der Scheide fest. Es finden sich außerdem weiße Beläge auf der Vaginalschleim haut und Vulva, die zudem gerötet sind. Die Patientin hat Angst vor etwaigen Nebenwirkungen einer Therapie, weil sie schwanger werden will, weshalb sie vor zwei Monaten die Antibabypille abge setzt hat. Der Ehemann der Patientin hat keinerlei Beschwerden, wie Sie auf Nachfrage erfahren.
>>Die selektive Beeinflussung von ligand gesteuerten und spannungsabhängigen Ionenkanälen stellt ein wichtiges Prinzip in der Behandlung von Wurm-, Milbenund Lauserkrankungen dar.
Übungsfragen (zum Fallbeispiel) 1. Wie gehen Sie diagnostisch und the rapeutisch vor? 2. Welche Arzneistoffgruppen können die Gefahr von Vaginalmykosen er höhen? Lösungen 7 Kap. 37
34
497
Prüfungsteil Inhaltsverzeichnis Kapitel 35
MC-Fragen und Antworten – 499
Kapitel 36
Klinische Fälle – 517
Kapitel 37
Antworten zu den Fallbeispielen – 529
IV
499
MC-Fragen und Antworten Inhaltsverzeichnis 35.1
MC-Fragen – 500
35.2
MC-Antworten – 505
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_35
35
500
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
Das Ziel dieses Kapitel besteht darin, dem Studenten die Möglichkeit zu geben, das in den 7 Kap. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33 und 34 dargestellte Wissen exemplarisch zu überprüfen. Zu jedem Kapitel wird eine MC-Frage (ausschließlich im examensrelevanten Einfachfragenformat) gestellt. Zu jeder Aussage (zutreffend und nichtzutreffend) wird eine kurze Erläuterung gegeben. Die Fragen prüfen wichtige pathophysiologische und pharmakotherapeutische Konzepte. Außerdem basieren viele Fragen auf den Tabellen der einzelnen Kapitel und der NKLM/IMPP- Arzneistoffliste (siehe Serviceteil). Dies bedeutet, dass es in den MC-Fragen in verschiedenen Variationen um Zuordnungen von Arzneistoffgruppen zu prototypischen Arzneistoffen, den Wirkmechanismen, wichtigen Wirkungen, Indikationen und UAW geht.
35.1 MC-Fragen
35
1. Welche Aussage zur Pharmakodynamik trifft zu? A. Gifte besitzen keine therapeutisch nutzbaren Wirkungen. B. Je kleiner der therapeutische Index ist, desto größer ist die Sicherheit eines Arzneistoffs. C. Die intrinsische Aktivität eines Agonisten ist ein Maß für den therapeutischen Index. D. Partielle Agonisten besitzen eine größere intrinsische Aktivität als Antagonisten. E. Die Potenz ist ein Maß für die maximale Wirkstärke eines Agonisten. 2. Welche Aussage zur Pharmakokinetik trifft nicht zu? A. Transporter können einen Beitrag zur Resistenz von Tumorezellen gegen klassische Zytostatika leisten.
B. Der first-pass-Effekt beschreibt die Wirkung eines Arzneistoffs auf das Gehirn nach i.v.-Injektion. C. Ein Prodrug ist die inaktive Vorstufe eines Arzneistoffs. D. Der enterohepatische Kreislauf stellt einen zyklischen Prozess der Abgabe metabolisierter Arzneistoffe in die Galle mit anschließender intestinaler Resorption dar. E. Bei einer Kinetik 0. Ordnung wird pro Zeiteinheit eine konstante Menge Arzneistoff zugeführt/eliminiert. 3. Welche Aussage zu Arzneimittelallergien trifft nicht zu? A. EPI wirkt bei Typ-I- Reaktionen anti-ödematös und bronchospasmo lytisch. B. Typ-IV-Reaktionen lassen sich sehr gut durch EPI behandeln. C. Bei Typ-IV-Reaktionen kommt es zu Fehlsteuerung von HLA-Antigenen. D. Typ-I-Reaktionen können innerhalb weniger Minuten zum Tode führen. E. Wegen des hohen Allergierisikos sollte der Einsatz von Sulfonamiden vermieden werden. 4. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Antidot trifft zu? A. Atropin – Scopolamin B. Diazepam – Naloxon C. Morphin – Propranolol D. Paracetamol – Acetylcystein E. NNP – Vitamin K 5. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoffgruppe und Indikation trifft zu? A. β1AR-Agonisten – CHF B. β1AR-Antagonisten – Angina-pectoris-Anfall C. β2AR-Agonisten – akute Hypoglykämie D. β2AR-Antagonisten – Asthma-Anfall E. βxAR-Antagonisten – Weitwinkelglaukom
501 35.1 · MC-Fragen
6. Welche Aussage zum serotonergen System trifft nicht zu? A. SSRI-Überdosierung kann ein Serotoninsyndrom auslösen. B. 5-HT3R-Antagonisten wirken besonders gut bei Kinetose. C. 5-HT2AR-Antagonismus trägt zur antipsychotischen Wirkung von p-mGPCR-Antagonisten bei. D. 5-HT1B/DR-Agonisten eignen sich gut zur Therapie eines akuten Migräneanfalls. E. MDMA kann ein Serotoninsyndrom auslösen. 7. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Wirkung trifft nicht zu? A. Pantoprazol – Hemmung der Mastzelldegranulation B. Clemastin – Juckreizlinderung bei Urtikaria C. Ranitidin – Hemmung der Protonensekretion in Parietalzellen D. Cetirizin – Juckreizlinderung bei Konjunktivitis E. Diphenhydramin – Müdigkeit 8. Welche Aussage zur ADHS-Therapie mit Methylphenidat trifft nicht zu? A. Methylphenidat kann Schlafstörungen verursachen. B. Methylphenidat kann den Appetit hemmen. C. Methylphenidat kann ADHS zur Ausheilung bringen. D. Methylphenidat wirkt als indirektes Dopamimetikum im frontostriatalen System. E. Methylphenidat wirkt bei gesunden Menschen leistungssteigernd. 9. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Indikation trifft zu? A. GTN – Dauertherapie der koronaren Herzerkrankung B. NNP – Dauertherapie der Hypertonie
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C. Sildenafil – Akuttherapie des Angina-pectoris-Anfalls D. Riociguat – Dauertherapie der PAH E. Sildenafil – Akuttherapie der sexuellen Dysfunktion der Frau 10. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Kontraindikation für dessen Anwendung trifft zu? A. Ibuprofen – kurz bevorstehende Geburt B. Paracetamol – aktives Gastroduodenalulcus C. Metamizol – Gallengangskolik D. Morphin – Dysfunktion der Hämatopoese E. Buprenorphin – durch Tramadol nicht beeinflussbare Schmerzen 11. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Wirkmechanismus trifft zu? A. Adalimumab – Blockade des IL-1R B. Mycophenolat-Mofetil – Hemmung der Pyrimidinsynthese C. Everolimus – Hemmung von Calcineurin D. Ustekinumab – Neutralisierung von TNF E. Fingolimod – Internalisierung des S1P1R 12. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Wirkung bei CKD trifft nicht zu? A. Cinacalcet – Hemmung der PTH- Freisetzung B. Ramipril – BD-Senkung C. Gentamicin – erhöhte Ototoxizität D. Epoetin – Verbesserung der renalen Anämie E. Ciclosporin – BD-Abfall 13. Welche Aussage zu den PPI trifft nicht zu? A. PPI hemmen die Protonensekretion in den Parietalzellen. B. PPI hemmen die Protonensekretion stärker als H2R-Antagonisten.
502
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
C. PPI binden kovalent an die H+/K+- E. Arzneistoffe mit antihypertensiver WirATPase. kung sind wegen der Gefahr koronarer D. PPI können Polyneuropathien lindern. Minderdurchblutung kontraindiziert. E. PPI sind den Antazida in der Therapie von GERD überlegen. 17. Welche Zuordnung zwischen antiarrhythmisch wirkendem Arzneistoff und 14. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff Wirkmechanismus trifft zu? und Indikation trifft zu? A. Metoprolol – Antagonismus am β2AR A. Montelukast – Asthma-Anfall B. Atropin – Hemmung der AChE B. Theophyllin – Basistherapie bei C. Digoxin – Hemmung des Parasym leichtem Asthma pathikus C. Prednisolon – Basistherapie der COPD D. Ivabradin – Blockade spannungsab D. Tiotropium – Basistherapie der COPD hängiger Calciumkanäle E. EPI – Status asthmaticus E. Amiodaron – Blockade repolarisierender Kaliumkanäle 15. Welche Zuordnung zwischen antihypertensiv wirkender Arzneistoffgruppe und 18. Welche Aussage zu den die Indikation trifft zu? Blutgerinnung beeinflussenden A. AT1R-Antagonisten – Therapie der Arzneistoffen trifft zu? Wahl bei Schwangerschaftshyperto A. Für Blutungen, die durch Rivaroxanie ban-Überdosierung verursacht wer B. NCC-Inhibitoren – Reservetherapie den, gibt es kein Antidot. der Hypertonie B. Protamin kann die Folgen einer ASS- C. α2AR-Agonisten – Monotherapie der Überdosierung antagonisieren. schweren Hypertonie C. Alteplase kann intrakranielle D. ACE-Inhibitoren – Therapie der Wahl Blutungen auslösen. bei Patienten mit Hypertonie und In D. Enoxaparin besitzt ein hohes Risiko sektenstichallergie für Thrombopenie. E. CCB von Dihydropyridintyp – Thera E. Das Blutungsrisiko unter Phen pie der Wahl bei Patienten mit Hyperprocoumon wird durch CYP3A4- und tonie und Asthma CYP2C9-Induktoren verstärkt.
35
16. Welche Aussage zur Pharmakotherapie der KHK trifft zu? A. GTN eignet sich zur Dauertherapie der KHK. B. Clopidogrel und ASS sind wegen der erhöhten Blutungsgefahr bei KHK kontraindiziert. C. β1AR-Antagonisten sind wegen CHF- Gefahr bei KHK kontraindiziert. D. Morphin eignet sich zur Beseitigung des Vernichtungsschmerzes bei akutem MI.
19. Welche Aussage zu folgenden Arzneistoffen zur Behandlung des Diabetes trifft nicht zu? A. Insulin-lispro – Steigerung der zellulären Glucoseaufnahme B. Metformin – Agonist am PPAR-α C. Empagliflozin – Hemmung von SGLT-2 D. Sitapliptin – Hemmung von DPP4 E. Glibenclamid – Verstärkte Insulin sekretion
503 35.1 · MC-Fragen
20. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoffgruppe und Wirkung auf die Knochen trifft nicht zu? A. SERM – antiresorptive Wirkung B. AR-Antagonisten – Osteoporose prophylaxe beim Mann C. RANKL-Inhibitoren – Osteolyse prophylaxe bei metastasierendem Prostatakarzinom D. Bisphosphonate – Therapie und Prophylaxe von Osteolysen bei multiplem Myelom E. PTHR-Agonisten – osteoanabole Wirkung bei Osteoporose 21. Welche Aussage zur Pharmakotherapie der Hyperthyreose trifft nicht zu? A. Benzodiazepine können zur Sedation eingesetzt werden. B. TPO-Inhibitoren können eine Agranulozytose auslösen. C. Die Gabe von T4 ist kontraindiziert. können zur D. β1AR-Antagonisten Behandlung von Tachykardie eingesetzt werden. E. Amiodaron kann Arrhythmien bei Hyperthyreose verschlimmern. 22. Welche Aussage zu HMG-CoA- Reduktase-Inhibitoren trifft zu? A. Sie erhöhen sehr stark das HDL- Cholesterin. B. Sie sollten jedem Mann > 60 Jahren verschrieben werden. C. Sie besitzen eine ausgezeichnete Bioverfügbarkeit. D. Sie besitzen pleiotrope pharmako logische Wirkungen. E. Sie sollten wegen Interaktionsgefahr nicht mit ACE-Inhibitoren kombiniert werden. 23. Welche Aussage zu den Wirkmechanismen von Arzneistoffen zur Behandlung der Gicht trifft zu? A. Allopurinol – Hemmung der Hypoxanthinsynthese
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B. Colchicin – Hemmung der Aktin zytoskelettbildung C. Canakinumab – IL-1-Inhibition D. Benzbromaron – Forcierte Diurese E. Ibuprofen – Hemmung der LTB4- Synthese 24. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und UAW trifft zu? A. Ethinylestradiol – erhöhtes Thromboembolierisiko B. Mifepriston – Unterstützung der sekretorischen Phase der Uterusschleimhaut C. Finasterid – Hypersexualität D. Levonorgestrel – Auslösung von Ovulationen E. Clomifen – Erhöhtes Brustkrebsrisiko 25. Welche Zuordnung zwischen Arzneistoff und Indikation trifft zu? A. Zopiclon – Durchschlafstörungen B. Triazolam – Status epilepticus C. Diazepam – Muskelrelaxation bei Bandscheibenvorfall D. Midazolam – Dauertherapie generalisierter Krampfanfälle E. Flumazenil – Einschlafstörungen 26. Welche Aussage zu den Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung trifft zu? A. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung sind schwache Säuren. B. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung haben bei niedrigem pH eine stärkere Wirkung. C. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung binden von der extrazellulären Seite der Plasmamembran an Natriumkanäle. D. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung aktivieren Natriumkanäle. E. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung werden in der Leber abgebaut.
504
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
27. Welche Aussage zu den zur Durchführung von Narkosen eingesetzten Arzneistoffen trifft nicht zu? A. Stickoxydul eignet sich gut zur alleinigen Anwendung bei der inhalativen Allgemeinnarkose. B. Sevofluran ist nicht schleimhaut reizend. C. Desfluran hat einen sehr raschen Wirkungseintritt. D. Ketamin bewirkt eine dissoziative Anästhesie. E. Propofol besitzt eine schlechte Wasserlöslichkeit. 28. Welche Aussage zu den SSRI trifft zu? A. SSRI zeigen vor allem im späteren Verlauf der Therapie UAW. B. Bei schwerer Depression ist die Kombination von SSRI + MAO-Inhibitor die ultima ratio. C. SSRI besitzen eine bessere Wirkung bei Depression als NSMRI. D. SSRI können die Ausbildung von Synapsen im Hippocampus fördern. E. Parallel zur therapeutischen Wirkung hemmen SSRI die 5-HT-Wieder aufnahme verzögert.
35
B. CAH-Inhibitoren – Hemmung der Tränensekretion C. FPR-Agonisten – Stimulation des uveoskleralen und trabekulären Kammerwasserabflusses D. βxAR-Antagonisten – Stimulation des trabekulären Kammerwasserabflusses E. α2AR-Agonisten – rasche IOD- Senkung beim akuten Glaukomanfall 31. Welche Aussage zum Wirkmechanismus von Targeted Therapeutics trifft nicht zu? A. Lenalidomid stimuliert die Ubiqui tinierung. B. Palbociclib ist ein CDK-Inhibitor. C. Vemurafenib hemmt selektiv BCRABL. D. Olaparib hemmt PARP1. E. Carfilzomib hemmt das Proteasom. 32. Welche antibakterielle Arzneistoffgruppe wirkt über eine Hemmung der DNA-Replikation? A. Cephalosporine B. Fluorchinolone C. Penicilline D. Tetrazykline E. Glykopeptide
29. Welche Aussage zu mGPCR- Antagonisten trifft nicht zu? A. Promethazin ist ein D2R-mGPCR- 33. Welche Aussage zur Pharmakotherapie der HIV-Infektion trifft zu? Antagonist. A. Integrase-Inhibitoren (INI) blockieren B. Haloperidol kann eine Akathisie herdie Integration von Virus-RNA in die vorrufen. DNA der Wirtzelle. C. Olanzapin kann ein metabolisches B. Protease-Inhibitoren (PI) verhindern Syndrom hervorrufen. die Reifung neuer HIV-Partikel. D. Clozapin kann eine Agranulozytose C. NS5A-Inhibitoren hemmen das auslösen. Andocken von HIV an die Wirtzelle. E. Risperidon ist ein p-mGPCR- D. Nicht-nukleosidische Reverse-TranAntagonist. skriptase-Inhibitoren (NNRTI) hemmen die DNA-Polymerase. 30. Welche Zuordnung zwischen E. Nukleosidische Reverse- Transkrip Arzneistoffgruppe und Wirkung auf das tase-Inhibitoren (NRTI) hemmen Auge trifft zu? die RNA-Polymerase eukaryoter A. MxR-Agonisten – Mydriasis Zellen.
35
505 35.2 · MC-Antworten
34. Welche Zuordnung zwischen antimykotisch wirkendem Arzneistoff und Wirkmechanismus trifft nicht zu? A. Caspofungin – Hemmung der Peptidoglycanbiosynthese B. Amphotericin B – Porenbildung in der Zellmembran C. Terbinafin – Hemmung der Squalen Epoxidase D. Fluconazol – Hemmung der Ergo sterolsynthese E. TMP + Sulfamethoxazol – Hemmung der Folsäuresynthese 35.2 MC-Antworten
Die Antworten finden sich in . Tab. 35.1. Erläuterungen folgen unten. 1. Antwort D trifft zu. 55 Zu A: Gifte können therapeutisch nutzbare Wirkungen besitzen, wenn sie entsprechend angewendet werden. Das Gift der Tollkirsche Atropin kann zur Therapie intraoperativer Bradykardien eingesetzt werden; Botulinum-Neurotoxin wird in der Behandlung von Muskelspasmen angewendet. 55 Zu B: Der therapeutische Index wird durch den Quotienten TD50/ ED50 definiert. Je größer der Quotient ist, desto größer ist der Abstand zwischen toxischer und erwünschter (therapeutischer) Wirkung. 55 Zu C: Die intrinsische Aktivität ist ein Maß für die Maximalwirkung eines Agonisten. Man unterscheidet volle Agonisten mit einer intrinsischen Aktivität von 100 %, Antagonisten mit einer intrinsischen Aktivität von 0 % sowie partielle Agonisten mit einer intrinsischen Aktivität 0 %.
.. Tab. 35.1 Antworten zu den Fragen Frage
Antwort
1
D
2
B
3
B
4
D
5
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6
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(Fortsetzung)
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
506
.. Tab. 35.1 (Fortsetzung) Frage
Antwort
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C
32
B
33
B
34
A
55 Zu D: Partielle Agonisten besitzen eine intrinsische Aktivität, die 0 % beträgt. Antagonisten haben eine intrinsische Aktivität von 0 %. 55 Zu E: Die ED50 bzw. EC50 eines Agonisten bezeichnet die Potenz. Je niedriger die ED50 bzw. EC50 sind, desto höher ist die Potenz des Agonisten. Analoges gilt für die IC50/ID50 von Antagonisten.
35
2. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: MRP können Zytostatika aus Tumorzellen exportieren. Selektion von Tumorzellen mit hoher MRP-Aktivität kann den Tumor gegenüber einem Zytostatikum resistent machen. 55 Zu B: Der first-pass-Effekt ist definiert als die Inaktivierung eines Arzneistoffs bei der ersten Leberpassage. 55 Zu C: Prodrugs haben zum Ziel, die Resorption eines Arzneistoffs aus dem GI-Trakt oder die BHS-Pene tration zu verbessern. Prodrugs sind meist lipophiler als die eigentliche Wirkform. Häufig sind Prodrugs Ester, die im Körper durch Esterasen gespalten werden und den Arzneistoff freisetzen. 55 Zu D: Der enterohepatische Kreislauf führt zu einer Verlängerung der therapeutischen Wirkungen und UAW eines Arzneistoffs. Insgesamt verschlechtert sich durch den enterohe-
patischen Kreislauf die Steuerbarkeit der Therapie. Der enterohepatische Kreislauf kann durch Aktivkohle oder Colestyramin durchbrochen werden. 55 Zu E: Beispiel für eine Resorption 0. Ordnung ist die i.v.-Dauerinfusion eines Arzneistoffs. Beispiel für eine Elimination 0. Ordnung ist der Ethanolabbau durch die Alkoholdehydrogenase in der Leber. 3. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: EPI induziert über den α1AR eine lebensrettende Vasokonstriktion und über den β2AR eine Bronchodilatation. 55 Zu B: Es ist sehr wichtig, Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen zu unterscheiden, weil Typ-IV-Reaktionen durch EPI nicht beeinflusst werden. 55 Zu C: Bei Typ-IV-Reaktionen kommt es durch Arzneistoffe zu allosterischen Konformationsveränderungen in den HLA-Antigenen, die vom Immunsystem als „fremd“ erkannt werden und Immunreaktionen auslösen. 55 Zu D: Typ-I-Reaktionen können durch die Verlegung der Atemwege und anaphylaktischen Schock innerhalb von wenigen Minuten zum Tod führen, weshalb rasches Handeln (EPI-Gabe) erforderlich ist. 55 Zu E: Sulfonamide gehören zu den Arzneistoffen mit dem höchsten Risiko allergischer Reaktionen aller Typen. Deshalb sollte der Einsatz von Sulfonamiden nur unter strengster Indikationsstellung (bakterieller Infekt mit positivem Antibakteriogramm und keiner anderen therapeutischen Alternative oder bei Pneumocystis- jirovecii-Infektion) erfolgen. 4. Antwort D trifft zu. 55 Zu A: Scopolamin antagonisiert wie Atropin MxR und verstärkt deshalb Atropinwirkungen.
507 35.2 · MC-Antworten
55 Zu B: Naloxon ist ein MOR-Anta- 6. gonist und hebt die Wirkungen von Morphin auf. Antidot für Diazepam ist Flumazenil. 55 Zu C: Propranolol ist ein βxAR- Antagonist und hebt die Wirkungen von EPI und NE auf. Antidot für Morphin ist Naloxon. 55 Zu D: Bei Paracetamolvergiftung kommt es zur Depletion der Gluta thionvorräte in der Leber, wodurch Paracetamol in einen toxischen Metaboliten umgewandelt wird. Acetylcystein ist Substitut für Glutathion und verhindert die Entstehung des toxischen Metaboliten. 55 Zu E: Vitamin K ist Antidot für den VKA Phenprocoumon. Bei einer Dauertherapie mit NNP kann Cyanid entstehen. In Anwesenheit des Antidots Natriumthiosulfat entsteht Rhodanid (nicht in NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste). 5. Antwort E trifft zu. 55 Zu A: Bei CHF sind β1AR-Antago nisten indiziert. β1AR-Agonisten erhöhen die CHF-Mortalität. 55 Zu B: β1AR-Antagonisten wirken prophylaktisch bei KHK, indem sie das Verhältnis von O2-Verbrauch zu O2- Angebot verbessern. Beim Angina- 7. pectoris-Anfall ist GTN indiziert. 55 Zu C: Prinzipiell erhöhen β2AR- Agonisten die Blutglucosekonzen tration, aber die Therapie der akuten Hypoglykämie erfolgt mit Glucose (p.o. oder i.v.). 55 Zu D: Beim Asthma-Anfall sind β2AR-Agonisten indiziert. β2ARAntagonismus wird bei infantilem Hämangiom und Glaukom genutzt. 55 Zu E: Beim Weitwinkelglaukom werden βxAR-Antagonisten eingesetzt. Entscheidend ist der β2AR-Antago nismus. Darüber wird die Kammerwasserproduktion gehemmt.
35
Antwort B trifft zu. 55 Zu A: Zur Vermeidung eines Serotoninsyndroms bei suizidgefährdeten Patienten sollten nur kleine Packungen oder Teile von Großpackungen abgegeben werden. Außerdem sind regelmäßige ärztliche Konsultationen wichtig. 55 Zu B: 5-HT3R-Antagonisten wirken sehr gut bei dem akuten Zytostatika- induzierten Erbrechen. Bei Kinetosen wirken der MxR-Antagonist Scopolamin und H1R-Antagonisten der 1. Generation. 55 Zu C: Dies ist eine wesentliche Wirkkomponente der p-mGPCR- Antagonisten. Das Konzept wird dadurch unterstützt, dass 5-HT2AR- Agonisten psychotische Symptome auslösen können. 55 Zu D: 5-HT1B/DR-Agonisten wirken nur im akuten Migräneanfall. Für die Prophylaxe eignen sie sich wegen Desensitisierung nicht. 55 Zu E: MDMA ist eine Partydroge, die über eine Freisetzung von 5-HT Glücksgefühle auslösen kann. Bei einer Überdosierung von MDMA kann es leicht zu einem Serotoninsyndrom kommen. Antwort A trifft zu. 55 Zu A: Pantoprazol hemmt die H+/K+-ATPase in den Parietalzellen irreversibel und hemmt dadurch die Protonensekretion sehr effektiv. 55 Zu B: Clemastin hemmt über H1R- Antagonismus den Juckreiz bei Urtikaria. 55 Zu C: Ranitidin ist ein H2R-Antagonist und hemmt die Wirkungen von HA auf die Protonensekretion. 55 Zu D: Cetirizin hemmt über den H1R-Antagonismus den Juckreiz bei Konjunktivitis.
508
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
55 Zu E: Diphenhydramin ist ein H1R- Antagonist der 1. Generation und penetriert damit die BHS. Durch den H1R-Antagonismus im ZNS entsteht als UAW Müdigkeit.
35
8. Antwort C trifft zu. 55 Zu A: Dies ist eine typische UAW, die auf eine Sympathikus aktivierung zurückzuführen ist. 55 Zu B: Auch dies ist eine typische UAW von Methylphenidat, die auf eine Sympathikusaktivierung zurückzuführen ist. Diese Wirkung wird zur Gewichtsreduktion bei jungen Frauen (z. B. Models oder Tänzerinnen) missbraucht. 55 Zu C: Methylphenidat wirkt bei ADHS symptomatisch. Die erhöhte Aktivität von DA-Transportern ist lediglich eine bekannte biochemische Veränderung bei ADHS. Die ADHS-Ursache ist unbekannt. Bei Absetzen von Methylphenidat können die Symptome wieder auftreten. 55 Zu D: Dieser Wirkmechanismus ist zutreffend. Bei korrekter Einnahme des Arzneistoffs kommt es nicht zu einer generellen Aktivierung dopaminerger Systeme mit UAW wie Halluzinationen oder Erbrechen. 55 Zu E: Dies ist zutreffend und stellt ein großes Problem dar. Da Methylphenidat inzwischen sehr viel verschrieben wird, ist auch die missbräuchliche Zugänglichkeit des Arzneistoffs größer geworden. Ein besonderes Problem ist der Missbrauch von Methylphenidat zur Steigerung der Leistungsfähigkeit in Prüfungen. 9. Antwort D trifft zu. 55 Zu A: GTN eignet sich nur zur Akuttherapie der KHK. 55 Zu B: NNP eignet sich nur zur Akuttherapie des refraktären hypertensiven Notfalls.
55 Zu C: PDE5-Inhibitoren haben keinen ausreichenden vorlastsenkenden Effekt bei Angina pectoris. 55 Zu D: Im Gegensatz zur Wirkung von GTN zeigt die Wirkung von Riociguat an sGC keine Desensitisierung. Daher eignet sich Riociguat gut für die PAH-Dauertherapie. 55 Zu E: Es gibt keine zugelassene und wirksame Akuttherapie der sexuellen Dysfunktion der Frau. 10. Antwort A trifft zu. 55 Zu A: Kurz vor der Geburt ist Ibuprofen kontraindiziert, weil es die Synthese von PGF2α hemmt. PGF2α ist jedoch für die Auslösung der Wehentätigkeit essentiell. Daher kann es unter Ibuprofen-Behandlung zu verzögerter Geburt und damit einer Schädigung des Kindes, insbesondere durch O2-Mangel, kommen. 55 Zu B: Gerade bei PUD-Patienten ist die Anwendung von Paracetamol sehr günstig. Hingegen sind COX-Inhibitoren wie Ibuprofen und Diclofenac kontraindiziert. 55 Zu C: Metamizol besitzt eine relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur von Hohlorganen, die bei Koliken (z. B. Gallengangskolik, Nierenkolik) als analgetisches Prinzip genutzt werden kann. 55 Zu D: Morphin hat keine negativen Wirkungen auf die Hämatopoese und kann daher auch bei Störungen der Erythropoese, Granulozytopoese und Thrombozytopoese eingesetzt worden. Diese Situation tritt häufig ein bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. 55 Zu E: Tramadol besitzt eine geringere analgetische Maximalwirkung als Buprenorphin. Daher kann Buprenorphin bei Schmerzen eingesetzt werden, die durch Tramadol nicht mehr ausreichend kontrolliert werden. Buprenorphin untersteht
509 35.2 · MC-Antworten
im Gegensatz zu Tramadol dem Betäubungsmittelgesetz, sodass eine Verschreibung auf speziellen Betäubungsmittelrezepten erfolgen muss. 11. Antwort E trifft zu. 55 Zu A: Adalimumab neutralisiert TNF; Anakinra blockiert den IL-1R. 55 Zu B: Mycophenolat-Mofetil hemmt die Inosinmonophosphatdehydrogenase und damit Synthese des Purinnukleotids GMP. 55Zu C: Everolimus hemmt mTOR; Ciclosporin und Tacrolimus hemmen Calcineurin. 55Zu D: Ustekinumab neutralisiert IL-12 und IL-23; TNF wird durch Adalimumab und Etanercept neu tralisiert. 55 Zu E: Der S1P1R ist für die Emi gration von T-Zellen aus den Lymphknoten wichtig. Durch S1P1R-Internalisierung wird die Emigration verhindert. 12. Antwort E trifft zu. 55Zu A: Cinacalcet macht den CaSR allosterisch empfindlicher für Calcium und hemmt dadurch die Parathormonfreisetzung. Damit wird der Verkalkung von Organen und Gefäßen sowie Knochendemineralisation vorgebeugt. 55Zu B: Über eine ACE-Inhibition senkt Ramipril den BD. 55Zu C: Gentamicin wird überwiegend renal eliminiert. Wegen der verringerten Elimination akkumuliert Gentamicin im Körper und wirkt stärker ototoxisch. Dies muss durch Dosisreduktion vermieden werden. 55Zu D: Bei CKD ist die EPO-Biosynthese gestört. EPO muss substituiert werden, um einer renalen Anämie entgegenzuwirken. 55 Zu E: Ciclosporin wirkt über eine Aktivierung des RAAS und Sympa-
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thikus sowie ROS-Bildung nephrotoxisch und führt zu BD-Anstieg. 13. Antwort D trifft zu. 55Zu A: Durch die irreversible Hemmung der Protonensekretion besitzen die PPI eine sehr lange Wirkdauer. 55Zu B: PPI hemmen die Endstrecke der Protonensekretion irreversibel, während H2R-Antagonisten nur reversibel einen von verschiedenen Signalwegen blockieren, die zur Protonensekretion führen. 55Zu C: Die kovalente Bindung der PPI an die H+/K+-ATPase ist für die irreversible Hemmung der Protonensekretion verantwortlich. 55Zu D: PPI können bei Daueranwendung die Resorption von Vitamin B12 hemmen und dadurch Polyneuropathien verursachen. 55 Zu E: Antazida wirken nur kurzfristig und symptomatisch. Sie können die Entstehung schwerwiegender Läsionen maskieren und dazu führen, dass die Patienten zu spät zum Arzt gehen. Läsionen bei GERD können in ein Karzinom übergehen. 14. Antwort D trifft zu. 55Zu A: Montelukast ist nur zur Prophylaxe von Asthmanfällen geeignet. 55Zu B: Theophyllin hat gravierende UAW und wird daher nur bei schwereren Asthmaformen eingesetzt. 55Zu C: Zur Basistherapie der COPD gehören Bronchodilatatoren aus der Gruppe der LAMA und LABA. Systemisch angewendete GCR-Agonisten wie Prednisolon sind zu vermeiden, da durch die Immunsuppression das Risiko für gefährliche Bronchopneumonien stark ansteigt. 55Zu D: Über einen M3R-Antagonismus reduziert Tiotropium den
510
Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
Atemwegswiderstand. Da der Arzneistoff ein GPCR-Antagonist ist, gibt es bei Dauertherapie auch keine Desensitisierung. 55 Zu E: Beim Status asthmaticus werden SABA, SAMA, Magnesium, GCR-Agonisten, Theophyllin und O2 gegeben. EPI wird wegen seiner pleiotropen Wirkung auf β1AR, β2AR und α1AR nur beim anaphylaktischen Schock gegeben. Beim Status asthmaticus ist die Wirkung von EPI auf den β1AR und α1AR unerwünscht.
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15. Antwort E trifft zu. 55Zu A: AT1R-Antagonisten sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, da sie beim Embryo/Fetus Nierenfehlbildungen auslösen können. 55Zu B: NCC-Inhibitoren werden als gut verträgliche und preiswerte Arzneistoffe bereits in der Initialtherapie der Hypertonie eingesetzt werden. Hypokaliämie und Dehydratation sind wichtige UAW. 55Zu C: α2AR-Agonisten haben lediglich Reservestatus in der Hyper tonietherapie. 55Zu D: ACE-Inhibitoren sind bei Patienten mit Insektenstichallergie kontraindiziert. Durch Hemmung des Bradykininabbaus kann es zu lebensbedrohlichen Angioödemen im Gesichts-, Mund- und Larynxbereich kommen. 55 Zu E: CCB vom Dihydropyridintyp sind bei Patienten mit Hypertonie und Asthma geeignet, da die Klasse C eine Relaxation glatter Muskelzellen bewirkt. 16. Antwort D trifft zu. 55Zu A: GTN eignet sich nur zur Therapie des Angina-pectoris-Anfalls und
ACS im Rahmen des MONA-Schemas. Durch Vorlastsenkung wird der O2-Verbrauch vermindert. Wegen des Wirkungsverlustes (Desensitisierung) eignet sich GTN nicht zur KHK-Dauertherapie. 55Zu B: Zwar erhöhen Clopidogrel und ASS die Blutungsgefahr, aber der Nutzen durch das verminderte Risiko von Koronararterien-Thrombosierung überwiegt. Die lebensverlängernde Wirkung von Clopidogrel und ASS bei KHK ist nachgewiesen. 55Zu C: Durch die negativ inotrope Wirkung der β1AR-Antagonisten werden der O2-Verbrauch und damit das MI-Risiko verringert. β1AR- Antagonisten wirken bei KHK lebensverlängernd. 55Zu D: Die frühzeitige Gabe von Morphin bei MI stellt eine wesentliche therapeutische Maßnahme im Rahmen des MONA-Schemas dar. Durch Analgesie und Sedation werden die Stressreaktion des Patienten und damit die weitere Freisetzung der potenziell kardiotoxischen Katecholamine NE und EPI verringert. Außerdem kann Morphin zur Verminderung der Vor- und Nachlast am Herzen führen. 55 Zu E: Hypertonie ist wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung einer Arteriosklerose und damit der KHK. Daher muss eine Hypertonie mit Arzneistoffen der Klassen A, B, C und D sowie ggf. mit antihypertensiv wirkenden Reservearzneistoffen behandelt werden. 17. Antwort E trifft zu. 55 Zu A: Metoprolol antagonisiert den β1AR und wirkt darüber negativ chronotrop und dromotrop. Daher ist Metoprolol zur Behandlung
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verschiedener tachykarder Arrhythmien geeignet. 55 Zu B: Atropin antagonisiert MxR und damit die negativ chronotrope und dromotrope Wirkung des Parasympathikus. Daher ist Atropin zur Notfalltherapie von Sinusbradykardie und AV-Block geeignet. 55 Zu C: Unter Digoxintherapie kommt es zur Parasympathikusstimulation. Diesen Effekt könnte man theoretisch bei VHF ausnutzen. Allerdings ist die Studienlage für Digoxinanwendung bei VHF ungünstig. 55 Zu D: Ivabradin blockiert sinuatriale HCN4-Kanäle und damit die Spontandepolarisation. Daher eignet sich Ivabradin zur Behandlung von Sinustachykardien, vor allem bei CHF und KHK. 55 Zu E: Aufgrund dieses Wirkmechanismus eignet sich Amiodaron zur Behandlung von VHF, VT und ventrikulären Extrasystolen. 18. Antwort C trifft zu. 55 Zu A: Als Antidot für Rivaroxaban steht Andexanet zur Verfügung. Als Alternative zur Therapie einer akuten Intoxikation kommen Konzentrate der Faktoren II, IX und X in Frage. 55 Zu B: Protamin kann die Wirkungen von UFH aufheben, aber nicht die Folgen einer ASS-Überdosierung. Negativ geladenes Heparin bildet mit positiv geladenem Protamin einen Komplex. 55 Zu C: Vor Alteplasegabe, z. B. zur Therapie des akuten Schlaganfalls, muss ausgeschlossen werden, dass keine intrakranielle Blutung vorliegt, da diese verstärkt werden kann. Auch beim Ausschluss einer intrakraniellen Blutung kann es unter Alteplasetherapie in bis zu 8 % der Patienten zu Blutungen kommen.
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55 Zu D: Das Risiko zur Auslösung einer Thrombopenie ist unter der Therapie mit dem zu den NMH gehörenden Enoxaparin sehr viel geringer als mit den klassischen UFH. Die höhere Sicherheit ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Enoxaparin inzwischen sehr breit angewendet wird. 55 Zu E: Induktoren von CYP3A4 und CYP2C9 (z. B. Carbamazepin, RMP, Phenytoin, Phenobarbital, Johanniskraut) beschleunigen den Phenprocoumonabbau und verringern dadurch die blutgerinnungshemmende Wirkung. Es kann gehäuft zu thromboembolischen Komplikationen kommen. 19. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: Insulin-lispro senkt die Blutglucosekonzentration über eine erhöhte zelluläre Glucoseaufnahme. 55 Zu B: Metformin ist kein PPARα- Agonist, sondern ein Inhibitor der AMP-Kinase. Letztlich ist der Wirkmechanismus von Metformin aber unbekannt. 55 Zu C: Über die Hemmung dieses Glucosetransporters erhöht Empa gliflozin die Glucose-Elimination über die Niere. 55 Zu D: Über eine DPP4-Hemmung wird GLP-1 vermindert abgebaut und so die Glucose-abhängige Insulinsekretion aus der B-Zelle stimuliert. 55 Zu E: Über die Hemmung von Kaliumkanälen kommt es zur Depolarisation der B-Zellen. Dadurch steigt die intrazelluläre Calcium- Konzentration an, und die Insulinsekretion wird verstärkt. 20. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: SERM hemmen Osteoklasten und können bei postmenopausaler Osteoporose eingesetzt werden.
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Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
55 Zu B: AR-Agonisten wirken osteoanabol. AR-Antagonisten, die beim Prostatakarzinom eingesetzt werden, verhindern diese Wirkung und fördern dadurch die Entstehung einer Osteoporose. 55 Zu C: RANKL-Inhibitoren wirken antiresorptiv und verzögern die En stehung von Osteolysen bei metastasierendem Prostatakarzinom. 55 Zu D: Bisphosphonate reduzieren die Osteoklastenaktivität und wirken einer Osteolyse bei multiplem Myelom entgegen. 55 Zu E: Die osteoanabole Wirkung von PTHR-Agonisten kann bis zu einer Therapiedauer von 24 Monaten genutzt werden. Es besteht Hypercalcämierisiko.
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21. Antwort C trifft zu. 55 Zu A: Bei Hyperthyreose liegen häufig Erregungszustände vor. Diese können mit langwirkenden Benzodiazepinen (z. B. Diazepam) behandelt werden, ehe sich die psychische Situation beim Einsetzten der Wirkung der TPO- Inhibitoren wieder normalisiert. 55 Zu B: Die Agranulozytose ist eine UAW der TPO-Inhibitoren. Deshalb müssen unter Therapie mit TPO-Inhibitoren regelmäßig Blutbildkontrollen durchgeführt werden. 55 Zu C: TPO-Inhibitoren werden mit T4 in niedriger Dosierung kombiniert, um das Plasma-TSH zu erniedrigen und damit die Proliferation von Schilddrüsenfollikelzellen (Strumaprophylaxe) zu hemmen. 55 Zu D: Unter T4-Einfluss wird vermehrt β1AR exprimiert und es kommt dadurch zu Tachykardie und Hypertonie. Diese Folgen der T4-Wirkung lassen sich durch β1AR-Antagonisten vermindern.
55 Zu E: Amiodaron ist bei Hyperthyreose kontraindiziert, da es als iod haltiger Arzneistoff die Symptome einer Hyperthyreose verschlimmern kann. 22. Antwort D trifft zu. 55 Zu A: HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren erhöhen HDL- Cholesterin nur gering; Hauptwirkung ist die Senkung des LDL-Cholesterins (20–60 %). 55 Zu B: Die Verschreibung von HMG- CoA-Reduktaseinhibitoren erfolgt nach einem score, in den Geschlecht, Alter, LDL-Cholesterin, Tabak konsum und BD eingehen. Hohes Alter und männliches Geschlecht allein rechtfertigen nicht eine Verschreibung. 55 Zu C: Die in der Therapie eingesetzten HMG-CoA-Reduktaseinhibitoren besitzen eine geringe Bioverfügbarkeit. HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren mit hoher Bioverfügbarkeit besitzen ein hohes Myopathie-Risiko. 55 Zu D: HMG-CoA-Reduktaseinhibitoren hemmen die hepatische Cholesterinsynthese und fördern dadurch kompensatorisch die hepatische LDL-Cholesterinaufnahme. Außerdem stimulieren sie die NO-Bildung in Endothelzellen und hemmen die Oxidation von LDL-Cholesterin. 55 Zu E: BD-Senkung stellt eine wesentliche Komponente in der Arteriosklerosetherapie dar. Daher ist die Kombination von HMGCoA-Reduktase-Inhibitoren mit ACE-Inhibitoren sinnvoll. 23. Antwort C trifft zu. 55 Zu A: Allopurinol hemmt XO und damit die Bildung der schlecht wasserlöslichen Harnsäure. Das gut wasserlösliche Hypoxanthin akku-
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muliert und wird vermehrt im Urin ausgeschieden. 55 Zu B: Colchicin interagiert nicht mit der Ausbildung des Aktinzyto skeletts, sondern verhindert die Ausbildung von Mikrotubuli, die für die Migration von Leukozyten in das Entzündungsgebiet wichtig sind. 55 Zu C: Canakinumab bindet das proinflammatorisch wirkende IL-1. Dies stellt einen neuen Ansatzpunkt in der Therapie der akuten Gicht dar. 55 Zu D: Benzbromaron hemmt verschiedene Transporter, u. a. URAT1, stimuliert aber nicht global die Diurese. 55 Zu E: Ibuprofen ist ein gut geeigneter COX-Inhibitor zur Behandlung der akuten Gicht und verringert über COX- 2- Hemmung im Entzündungsgebiet die PGE2-Synthese. PGE2 wirkt vasodilatierend und verstärkt die Schmerzempfindung und trägt wesentlich zur Symptomatik der akuten Gicht bei. Die LTB4-Synthese erfolgt durch LOX, die durch Ibuprofen nicht gehemmt wird.
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55 Zu C: Finasterid hemmt die 5α-Reduktase und damit die Synthese des biologisch aktiven 5α-Dihydrotestosteron. Dementsprechend kommt es zu einer Abnahme der Libido (Hyposexualität). 55 Zu D: Levonorgestrel ist ein PR-Agonist und hemmt die LH- Sekretion. Dadurch wird die Ovulation unterdrückt. 55 Zu E: Clomifen ist ein ER-Antagonist und wird zur Ovulationsauslösung eingesetzt. Clomifen würde das Brustkrebsrisiko eher reduzieren, wenn es als Dauertherapie gegeben würde. Dies ist jedoch nicht indiziert, da dann auch das Osteoporoserisiko stiege.
25. Antwort C trifft zu. 55 Zu A: Zopiclon eignet sich wegen seiner kurzen Wirkdauer nur für die Therapie von Einschlafstörungen. 55 Zu B: Triazolam besitzt eine nur kurze Wirkdauer, weshalb es nur zur Therapie von Einschlafstörungen eingesetzt wird. Für die Therapie des Status epilepticus eignet sich Diazepam, das eine sehr lange Wirkdauer besitzt und in geeigneten Darreichungsfor 24. Antwort A trifft zu. men (i.v.-Injektionslösungen, Suppo55 Zu A: Ethinylestradiol erhöht das sitorien für die rektale Gabe) zur VerThromboembolierisiko. Um diefügung steht. ses Risiko zu minimieren, sollte 55 Zu C: Beim Bandscheibenvordie Ethinylestradioldosis in oralen fall kommt es in der Folge zu einer Kontrazeptiva so gering wie mögschmerzhaften reflektorischen Verlich gehalten werden (< 50 μg pro spannung der Rückenmuskulatur, Pille, „Mikropille“). Patientinnen die eine Fehlstellung bewirkt und damit erhöhtem Thromboemboliemit Schmerzen in einem Teufelskreis risiko (z. B. Raucherinnen, beverstärkt. Dieser Teufelskreis muss kannte tiefe Beinvenenthrombodurch stark wirkende (Kombination sen, KHK) sollten deshalb keine von Metamizol + COX- Inhibitor + Ethinylestradiol-haltigen oralen MOR-Agonist) und Benzodiazepinen Kontrazeptiva einnehmen. durchbrochen werden. Für die Mus55 Zu B: Mifepriston ist ein PR- kelrelaxation eignet sich Diazepam Antagonist und hemmt die sekretowegen seiner langen Wirkdauer berische Phase der Uterusschleimhaut. sonders gut. Es kommt zu einer Abstoßung der 55 Zu D: Midazolam hat eine nur kurze Uterusschleimhaut. Diese Wirkung Wirkdauer (2–3 h) und eignet sich wird zur Abortauslösung genutzt.
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Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
deshalb nicht für die Dauertherapie generalisierter Krampfanfälle. Außerdem eignen sich Benzodiazepine nicht für die Dauertherapie von Epilepsien, da es zur Toleranz kommt. 55 Zu E: Flumazenil antagonisiert die Wirkungen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen und wird deshalb bei Intoxikationen mit Benzodiazepinen und Z-Substanzen eingesetzt.
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26. Antwort E trifft zu. 55 Zu A: Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung sind schwache Basen mit pKa-Werten ~8. Dies bedeutet, dass SCB mit lokalanästhetischer Wirkung bei physiologischem pH (7,4) zum größeren Anteil protoniert (positiv geladen) und zum geringeren Anteil deprotoniert (ungeladen) vorliegen. Das gleichzeitige Vorhandensein geladener und ungeladener Formen des SCB ist für die pharmakologische Wirkung entscheidend. 55 Zu B: Bei erniedrigtem pH liegt der SCB zum größeren Anteil in protonierter Form vor. Dementsprechend geringer ist der Anteil der ungeladenen membrangängigen Form und desto geringer ist die absolute Menge des intrazellulär vorhandenen SCB. Das Resultat ist eine verringerte Wirkung. 55 Zu C: Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung wirken von der intrazellulären Seite der Plasmamembran. 55 Zu D: Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung hemmen spannungsabhängige Natriumkanäle. 55 Zu E: Ester-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung werden im Gewebe rasch durch Esterasen abgebaut. Amid-SCB mit lokalanästhetischer Wirkung werden in der Leber metabolisiert.
27. Antwort A trifft zu. 55 Zu A: Stickoxydul besitzt eine geringe anästhetische Potenz, sodass mit Stickoxydul alleine keine ausreichende Konzentration zur Durchführung einer inhalativen Allgemeinnarkose erzielt werden kann. Allenfalls kann Stickoxydul in Kombination mit O2 zur Erzielung einer guten Analgesie eingesetzt werden. 55 Zu B: Sevofluran zeichnet sich dadurch aus, dass es im Gegensatz zu anderen Haloethern nicht schleimhautreizend wirkt. Deshalb ist Sevofluran auch sehr gut zur Narkoseeinleitung geeignet. 55 Zu C: Desfluran besitzt einen niedrigen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten und daher einen raschen Wirkungseintritt. 55 Zu D: Die dissoziative Anästhesie ist eine Besonderheit von Ketamin. Es induziert Schlaf und Schmerzfreiheit unter Erhalt der Reflexe. 55 Zu E: Wegen seiner schlechten Wasserlöslichkeit muss Propofol als Emulsion i.v. appliziert werden. 28. Antwort D trifft zu. 55 Zu A: SSRI zeigen vor allem zu Beginn der Therapie UAW wie Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen und Kopfschmerzen, die im Laufe der Zeit abnehmen. 55 Zu B: Die Kombination von SSRI + MAO-Inhibitoren ist streng kontraindiziert und kann ein lebensbedrohliches Serotoninsyndrom auslösen. 55 Zu C: NSMRI besitzen eine bessere Wirkung als SSRI. 55 Zu D: Dies ist eine wesentliche therapeutische Wirkung der SSRI. Die Synapsenbildung erfolgt erst einige Wochen nach Therapiebeginn. Dies erklärt den verzögerten Wirkungs-
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lösen 5-HT2AR-Agonisten wie LSD eintritt der NE/5-HT-Verstärker. Die Phase zwischen Therapiebeginn Halluzinationen aus. Die pleiotround Wirkungseintritt ist gefährlich, pen UAW (daher die Abkürzung weil durch die Antriebssteigerung „p“) von Risperidon sind Folge des bei noch fehlender Stimmungsaufp-mGPCR-Antagonismus. hellung suizidale Tendenzen aktiviert werden. 30. Antwort C trifft zu. 55 Zu E: SSRI hemmen die 5-HT- 55 Zu A: MxR-Agonisten erweitern Wiederaufnahme in den Synapsen den Schlemm-Kanal und verbessern sofort. Dies erklärt, warum UAW dadurch den trabekulären Kammerunmittelbar nach Therapiebeginn wasserabfluss. MxR-Agonisten werden nur beim Engwinkelglaukom auftreten. eingesetzt. Außerdem verursachen sie eine Miosis. 29. Antwort A trifft zu. 55 Zu B: CAH-Inhibitoren hemmen 55 Zu A: Promethazin gehört zu den die Sekretion von Kammerflüssigp-mGPCR-Antagonisten. Es hat keit im Ziliarkörper und senken daeine ausgeprägte H1R-antagonistische Wirkung, weshalb klinisch eine durch den IOD. starke Sedation dominiert. 55 Zu C: Die Stimulation des uveo 55 Zu B: Die Akathisie gehört zu den skleralen und trabekulären KamSpätdyskinesien. Die Therapie ermerwasserabflusses durch FPR- Agonisten stellt die derzeit wirksamste folgt durch Dosisreduktion oder Möglichkeit zur IOD-Senkung dar. Wechsel zu einem p-mGPCR-Anta55 Zu D: βxAR-Antagonisten hemmen gonisten. Man kann auch versuchen, eine Akathisie mit dem MxR-Antaebenso wie CAH-Inhibitoren die Segonisten Biperiden zu mildern. kretion von Kammerflüssigkeit im 55 Zu C: Olanzapin gehört zu den Ziliarkörper und senken dadurch p-mGPCR-Antagonisten. Es besitzt den IOD. ein geringeres EPMS-Risiko als die 55 Zu E: Zur akuten IOD-Senkung D2R-mGPCR-Antagonisten, aber beim akuten Glaukomanfall werden dafür ist das Risiko für metabolische wasserbindende Arzneistoffe eingeStörungen erhöht. Hypertonie, LDL- setzt; sie verringern das intrabulbäre Hypercholesterinämie und Diabetes Volumen. Zur Dauertherapie sind müssen entsprechend pharmakolowasserbindende Arzneistoffe wegen ihrer UAW (vor allem systemische gisch behandelt werden, ggf. durch Dehydratation) nicht geeignet. Dosisreduktion oder Wechsel zu einem anderen mGPCR-Antagonisten. 55 Zu D: Clozapin gehört zu den 31. Antwort C trifft zu. p-mGPCR- Antagonisten. Es kann 55 Zu A: Über diese Mechanismen hat eine dosisabhängige Agranulozytose Lenalidomid die Überlebenszeit von auslösen. Daher müssen unter der Patienten mit multiplem Myelom Therapie mit Clozapin regelmäßige (Plasmozytom) deutlich verbessert. Blutbildkontrollen durchgeführt Die Verschreibung von Lenalidomid werden. darf wegen des Teratogenitätsrisikos 55 Zu E: Die antipsychotische Wirnur auf einem T-Rezept erfolgen. kung von Risperidon ist im Wesent55 Zu B: CDK regulieren den Zell lichen auf seinen 5-HT2AR-Antagozyklus. Palbociclib hemmt CDK4 und CDK6 und wird in der Theranismus zurückzuführen. Umgekehrt
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Kapitel 35 · MC-Fragen und Antworten
pie des ER-positiven/HER2-negativen lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms eingesetzt. 55 Zu C: Vemurafenib hemmt selektiv Raf mit einer Punktmutation (V600E). Die TK ist konstitutiv aktiv und stimuliert dadurch die Proliferation bestimmter Melanome. 55 Zu D: PARP1 ist für die Reparatur von DNA-Schäden bedeutsam. Durch PARP1-Hemmung können DNA-Schäden in Tumorzellen nicht mehr repariert werden und die Tumorzellen werden apoptotisch. 55 Zu E: Über diesen Mechanismus induziert Carfilzomib die Apoptose von Tumorzellen.
telt den Einbau der HIV-DNA in die Wirts-DNA. 55 Zu B: Das virale Protein wird durch die virale Protease zu funktionsfähigen Einzelproteinen gespalten. Dieser Prozess ist für die Reifung neuer HIV-Partikel wichtig. 55 Zu C: Inhibitoren des viralen Phosphoproteins NS5A hemmen Vermehrung von HCV, nicht jedoch HIV. 55 Zu D: NNRTI hemmen nur die virale reverse Transkriptase, nicht jedoch die humane DNA-Polymerase. 55 Zu E: NRTI hemmen nur die viral reverse Transkripase, nicht jedoch die humane RNA-Polymerase.
32. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: Cephalosporine hemmen die Zellwandsynthese. 55 Zu B: Fluorchinolone hemmen die Gyrase, die für DNA-Spiralisierung wichtig ist. Damit verliert die DNA ihre kompakte Struktur, was die Replikation erschwert. Außerdem platzen die Bakterien durch die Zellexpansion. 55 Zu C: Penicilline hemmen die Zellwandsynthese. 55 Zu D: Tetrazykline hemmen die Proteinbiosynthese durch Bindung an die 30S-Untereinheit der Ribosomen. 55 Zu E: Glykopeptide hemmen die Zellwandsynthese.
34. Antwort A trifft zu. 55 Zu A: Penicilline hemmen die bakterielle Peptidoglycan (Murein)-Biosynthese. Caspofungin gehört zu den Echinocandinen und hemmt die Synthese von β-1,3-Glucan, einem wichtigen Zellwandbestandteil von Pilzen. 55 Zu B: Amphotericin bildet einen Komplex mit Ergosterol, wodurch die Permeabilität der Pilzmembran für Ionen und niedermolekulare Substanzen zunimmt. 55 Zu C: Über diesen Mechanismus wird die Ergosterolsynthese an einem frühen Punkt gehemmt. 55 Zu D: Fluconazol gehört in die Gruppe der Triazole und hemmt die Lanosterol-14-α-Demethylase und damit die Ergosterol-Biosynthese. 55 Zu E: Dieser Mechanimus wird bei in der Behandlung von Infektionen mit Pneumocystis jirovecii ausgenutzt.
33. Antwort B trifft zu. 55 Zu A: Zunächst muss HIV-RNA durch die reverse Transkriptase in doppelsträngige DNA umgeschrieben werden. Die Integrase vermit-
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Klinische Fälle Inhaltsverzeichnis 36.1
Plötzliche Muskelschmerzen in der Reha-Klinik – 518
36.2
eneralisierter Juckreiz und fehlende klinische G Wirkung eines antibakteriellen Arzneistoffs bei unkomplizierter Zystitis – 519
36.3
Schmerzen trotz Einnahme von Paracetamol – 520
36.4
leinkind mit gastrointestinalem Infekt und Schiefhals K in der Notaufnahme – 521
36.5
Kritische Überprüfung eines Medikationsplanes – 522
36.6
Eine Ballerina mit Hypertonie und Nervosität – 523
36.7
Schwangerschaftsdiabetes durch Wehentropf? – 524
36.8
Eine sinnvolle Dauertherapie mit Pantoprazol? – 525
36.9
ervenzusammenbruch nach nächtlichen N Computersitzungen – 526
36.10 A usreichende Schmerztherapie bei metastasierendem Mammakarzinom? – 527
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_36
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Kapitel 36 · Klinische Fälle
Ein wichtiges Ziel des 1. kompetenzorientierten Gegenstandskatalogs Medizin (Dezember 2020) besteht darin, dass der Medizinstudent sein Fachwissen praktisch anwenden kann. Dazu gehört auch die Kommunikation mit Patienten, Kollegen und Angehörigen anderer Berufsgruppen (z. B. Apotheker). Der Student sollte nach dem Studium des vorliegenden Lehrbuches ein Grundverständnis für die Pharmakotherapie häufiger Erkrankungen aus allen Bereichen der Medizin besitzen. Der Student sollte dieses Wissen auf den verschiedenen Ebenen kommunizieren können und eine kritische Grundeinstellung für die Anwendung von Arzneistoffen sowie deren Risiken besitzen. Die hier dargestellten Fälle sind nicht auf ein bestimmtes Kapitel fokussiert, sondern erfordern Wissen aus verschiedenen Kapiteln. Zukünftige Prüfungsfragen des IMPP werden zunehmend interdisziplinär und fallorientiert sein. Die Fragen dieses Kapitels sind als Freitextfragen formuliert, lassen sich aber leicht in MC-Fragen umwandeln. Entscheidend ist das Verständnis für die Fälle!
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zusätzlich Amiodaron. Das VHF verschwindet unter dieser Therapie, und die Leistungsfähigkeit verbessert sich. Nach fünf Tagen bekommt der Patient generalisierte Muskelkater-ähnliche Schmerzen. Der Patient vermutet, dass die Schmerzen etwas mit dem kardiovaskulären Training zu tun haben. Außerdem fällt dem Patienten ein sehr dunkler Urin auf. ??1. Wie erklären Sie die aktuellen Symptome des Patienten? 2. Wie gehen Sie therapeutisch vor?
vv1. Der VKA Phenprocoumon wird ebenso wie der HMG-CoA-Reduk tase-Inhibitor Simvastatin über CYP3A4 metabolisiert. Wegen der durch das VHF deutlich reduzierten körperlichen Leistungsfähigkeit hat der Patient den pleiotropen Ionenkanal-Blocker Amiodaron bekommen. Amiodaron hemmt jedoch auch CYP3A4. Dadurch werden sowohl Phenprocoumon als auch Simvastatin weniger effizient inaktiviert und die Wirkungen der beiden Arzneistoffe können zunehmen. Offenbar hat der Patient bislang 36.1 Plötzliche Muskelschmerzen keine Pro bleme mit einer erhöhin der Reha-Klinik ten Blutungsneigung als Folge der CYP3A4-Hemmung bekommen, wohl Ein 65-jähriger Patient (Kettenraucher seit aber Probleme auf Grund der vermin35 Jahren; seit 15 Jahren LDL-Hyper derten Simvastatin-Metabolisierung. cholesterinämie; seit 10 Jahren Typ- 2- Simvastatin hat bei dem Patienten die Diabetes) wurde nach einem HinterwandinUbichinon-Synthese in der Skelettfarkt mit drei Stents in den Koronararterien muskulatur gehemmt und dadurch versorgt. Der Patient wird mit Clopidogrel, die Muskelkater-ähnlichen Schmerzen Metoprolol, Ramipril, Simvastatin, Metforhervorgerufen. Durch die Schädigung min und Sitagliptin behandelt. Anschlieder Muskelzellen ist es zur Freisetzung ßend wurde der Patient in eine Reha-Klinik von Myoglobin gekommen, welches verlegt, um seine körperliche Leistungsfärenal eliminiert wird. Myoglobin kann higkeit zu verbessern. Nach zwei Wochen in jedoch in den Tubuli kristallisieren der Reha-Klinik tritt plötzlich ein VHF auf. und ein akutes Nierenversagen auslöDer Patient wird deshalb jetzt zusätzlich mit sen. Die Muskelschmerzen haben, anPhenprocoumon behandelt. Das VHF ders als der Patient es vermutet, nichts bleibt weiter bestehen, und der Patient ist so mit dem kardiovaskulären Training zu geschwächt, dass die Reha keine Forttun, da sie generalisiert sind und nicht schritte macht. Deshalb erhält der Patient nur die tatsächlich trainierten Muskel-
519 36.2 · Generalisierter Juckreiz und fehlende klinische Wirkung eines …
gruppen betreffen. Als Arzt müssen Sie aufpassen, durch vermeintliche Kausalzusammenhänge von Patientenseite nicht in die Irre geleitet zu werden! 2. Sie setzen sofort Simvastatin ab. Dies ist kein akut lebenswichtiger Arzneistoff; es ist lediglich ein Arzneistoff zur Sekundärprävention weiterer MI. Außerdem legen Sie eine Infusion mit physiologischer NaCl-Lösung an, um die Nierenperfusion und damit die glomeruläre Filtration zu steigern. Ferner soll der Patient viel trinken. Dadurch sollte die Myoglobinkonzentration im Urin verringert werden und die Symptome des Patienten sollten sich rasch bessern, da Simvastatin eine kurze Wirkdauer besitzt. Ferner bestimmen Sie den INR-Wert, um die Einstellung mit Phenprocoumon zu überprüfen (Blutungsgefahr!). Ggf. reduzieren Sie die Dosis von Phenprocoumon. Im weiteren Verlauf versuchen Sie, die Dosis von Amiodaron, Phenprocoumon und Simvastatin so einzustellen, dass Sie einerseits die gewünschten Wirkungen bekommen (kein VHF, keine thromboembolischen Ereignisse bei gut eingestelltem INR-Wert, gut eingestelltes LDL-Cholesterin) und andereseits keine UAW bekommen (keine Blutungen unter Phenprocoumon und keine Muskelschmerzen bzw. Myoglobinurie durch Simva statin). Alternativ kann der Patient auch auf einen Faktor-Xa-Inhibitor wie Rivaroxaban umgestellt werden, falls die Einstellung mit Phenprocoumon Probleme bereitet. Allerdings muss die Adhärenz unter Rivaroxaban gut sein, damit es nicht zu thromboembolischen Ereignissen auf Grund reduzierter Arzneistoffwirkung kommt.
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36.2 Generalisierter Juckreiz und
fehlende klinische Wirkung eines antibakteriellen Arzneistoffs bei unkomplizierter Zystitis
Eine 22-jährige ansonsten gesunde Studentin stellt sich in Ihrer urologischen Praxis mit den Symptomen Dysurie, Pollakisurie und Algurie vor. Es bestehen weder Fieber noch Klopfschmerz im Nierenlager. Die Anamnese ist ansonsten unauffällig. Bei der Harnuntersuchung finden Sie zahlreiche Leukozyten und Stäbchenbakterien. Sie stellen die Verdachtsdiagnose „unkomplizierte Zystitis durch gramnegative Bakterien (möglicherweise Escherichia coli)“. Sie geben die Anfertigung eines Antibiakteriogramms in Auftrag, erklären der Patientin, möglichst viel zu trinken und verschreiben ihr ein Kombinationspräparat mit TMP + Sulfamethoxazol, so wie Sie es im Studium gelernt haben. Die antibakterielle Arzneistoffkombination solle die Patientin drei Tage lang nehmen. Am übernächsten Tag kommt die Patientin wieder in Ihre Praxis. Die Blasenbeschwerden seien noch immer da und außerdem sei ein generalisierter Juckreiz aufgetreten. Bei der Inspektion der Haut erkennen Sie großflächige Urtikaria, die teilweise schon aufgekratzt sind. ??1. Wie erklären Sie die Wirkungslosigkeit der antibakteriellen Arzneistoffkombination und den Juckreiz? 2. Wie gehen Sie vor, um die Blasen beschwerden und den Juckreiz zu lindern? vv1. In aller Regel verbessert ein gegen den auslösenden Erreger wirksamer antibakterieller Arzneistoff die Symp tomatik einer Zystitis innerhalb von 24 Stunden. Da dies hier nicht der Fall ist, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Erreger handelt, der gegen TMP + Sulfamethoxazol resistent ist. Das Antibakteriogramm
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Kapitel 36 · Klinische Fälle
wird diese Frage retrospektiv beantworten. Da die Patientin aber weiter Beschwerden hat, können Sie nicht bis zur Fertigstellung des Antibakteriogramms abwarten. Der Juckreiz und die Urtikaria sind typische Symptome einer Typ-I-Allergie. Diese Allergie wurde höchstwahrscheinlich durch Sulfamethoxazol ausgelöst. Wegen des hohen Potentials für allergische Reaktionen sollen Sulfon amide bei unkomplizierten Harnwegsinfekten nicht mehr eingesetzt werden. Dies ist jedoch noch immer nicht allgemein bekannt. 2. Sie setzen TMP + Sulfamethoxazol sofort ab und ersetzen es durch Fosfomycin. Fosfomycin als Einmaltherapie ist bei vielen unkomplizierten Harnwegsinfekten der Frau gut wirksam. Unter Fosfomycin sollte sich die Blasensymptomatik rasch bessern. Durch das Absetzen von TMP + Sulfamethoxazol sollten der Juckreiz und die Urtikaria schwächer werden. Zur Linderung des Juckreizes können Sie der Patientin zusätzlich einen H1R-Antagonisten der 2. Generation wie Cetirizin verschreiben. Wenn der Schlaf durch den Juckreiz beeinträchtigt ist, kommt auch ein ZNS-gängiger H1R-Antagonist der 1. Generation wie Clemastin in Frage.
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Sie sollten die UAW auch an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft melden, damit genaue Statistiken über die Häufigkeit von allergischen Reaktionen unter TMP + Sulfamethoxazol erstellt werden können. Außerdem klären Sie die Patientin über die wahrscheinliche Ursache der Urtikaria auf und stellen der Patientin nach Sicherung der Allergie durch Re-Exposition im Hauttest einen Allergiepass aus. Die Patientin ist ferner darüber zu informieren, dass sie in Zukunft keinesfalls mehr Sulfonamide bzw. mit Sulfonamiden kreuzreagierende Arzneistoffe (z. B. Sulfasalazin,
CAH-Inhibitoren) einnehmen darf. Ferner weisen Sie die Patientin an, dass sie bei Verschlechterung der Allergie (insbesondere bei Luftnot und Herz-Kreislauf-Störungen) sofort die Notaufnahme aufsuchen soll, da die Möglichkeit besteht, dass die Urtikaria in einen anaphylaktischen Schock übergeht. Ggf. bekommt die Patientin auch einen EPI-Autoinjektor. 36.3 Schmerzen trotz Einnahme
von Paracetamol
Eine 23-jährige ansonsten gesunde Skirennläuferin erleidet bei einem Trainingsunfall ein Knietrauma mit Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Damit die Patientin möglichst rasch wieder Skifahren kann, wird die Kreuzbandruptur chirurgisch versorgt. Nach der Operation bekommt die Patientin morgens und abends jeweils 500 mg Paracetamol. Trotz dieser Therapie klagt die Patientin über Schmerzen und eine Schwellung im rechten Knie sowie eine Beugeeinschränkung. ??1. Warum hat die Patientin trotz Para cetamoltherapie Beschwerden? 2. Wie gehen Sie vor, um die Beschwerden der Patientin effektiver als bisher zu lindern? 3. Stellt Tramadol eine sinnvolle Alter native dar? vv1. Es liegt ein häufig auftretender doppelter Arzneitherapiefehler vor: Die Patientin bekommt 1) nicht den richtigen analgetisch wirkenden Arzneistoff und 2) wird der ausgewählte Arzneistoff (wahrscheinlich aus Angst vor UAW) in viel zu niedriger Dosierung gegeben. Paracetamol wirkt nur analgetisch (und hier nicht relevant antipyretisch), aber nicht antiinflammatorisch. Nach einem Knietrauma mit anschließender Operation liegt jedoch eine starke Entzündungsreaktion vor, die sich in Schwellung und damit ein-
521 36.4 · Kleinkind mit gastrointestinalem Infekt und Schiefhals in der Notaufnahme
hergehender eingeschränkter Beweglichkeit des erkrankten Gelenkes manifestiert. Um eine gute analgetische Wirkung von Paracetamol zu erzielen, müsste der Arzneistoff deutlich höher dosiert werden, d. h. 3–4-mal täglich 1 g. Allerdings würde auch in dieser Dosierung kein abschwellender Effekt erzielt werden können. 2. Da die Patientin ansonsten gesund ist, gibt es keine Einschränkungen hinsichtlich der Auswahl. Für diese Situation ist eine Therapie mit 3–4mal täglich 0,6 g Ibuprofen gut geeignet. Ibuprofen ist gut steuerbar und gehört in die Gruppe der COX-Inhibitoren. Im Unterschied zu Paracetamol wirkt Ibuprofen auch gut antiinflammatorisch. Daher sollte unter Ibuprofen auch die Knieschwellung rasch zurückgehen. Durch die dadurch verbesserte Beweglichkeit des Gelenkes wird auch die begleitende Physiotherapie erleichtert und insgesamt die Heilung. Die Therapie mit Ibuprofen sollte aber nicht länger als zwei Wochen lang durchgeführt werden, weil es ansonsten durch Einschränkung der Nierendurchblutung zu Wasser- und Natriumretention kommen kann. Dies kann über ein erhöhtes HMV zu BD-Erhöhung führen. Außerdem besteht die Gefahr der Auslösung von PUD. Dem kann ggf. durch Gabe eines PPI entgegengewirkt werden. Sie sollten die Patientin darüber aufklären, dass in der speziellen klinischen Situation eine relativ kurzfristige und hochdosierte Therapie mit Ibuprofen sinnvoll und risikoarm ist. 3. In Deutschland gehört Tramadol zu den am häufigsten verschriebenen Arzneistoffen. Tramadol ist ein schwacher MOR-Partialagonist, der nicht der BtMVV unterliegt. Offenbar hat die Klassifikation von Tramadol als MOR-Agonist stark sug-
36
gestiven Charakter mit der Erwartung einer starken analgetischen Wirkung. Im Vergleich zu dem vollen MOR-Agonisten Morphin, der der BtMVV unterliegt, ist jedoch die maximale analgetische Wirkung von Tramadol nur schwach. Dies ist genau der Grund dafür, weshalb Tramadol nicht unter die Bestimmungen der BtMVV fällt. Mit Tramadol kann man eine etwas stärkere analgetische Wirkung als mit Paracetamol erreichen, aber auch Tramadol fehlt die für die Indikation bedeutsame antiinflammatorische Wirkkomponente. Daher stellt Tramadol keine therapeutische Alternative zu Ibuprofen dar. Dies wäre nur der Fall, wenn Kontraindikationen für die Anwendung von Ibuprofen bestünden.
36.4 Kleinkind mit
gastrointestinalem Infekt und Schiefhals in der Notaufnahme
Der zweijährige Tobias besucht ganztägig einen Kindergarten. Beide Elternteile sind voll berufstätig. Im Kindergarten grassiert ein Virus, das sich vor allem durch Übelkeit und Erbrechen manifestiert. Jetzt ist auch Tobias von dem Virus betroffen. Da die Mutter in einer wichtigen Besprechung ist, holt der Vater das Kind ab. Tobias erbricht während der ganzen Heimfahrt und auch zu Hause. Das Kind wirkt schlapp und müde. Der Vater ist unsicher, was er tun soll. Die Kinderarztpraxis ist bereits geschlossen. In der Hausapotheke findet der Vater MCP- Tropfen. Er erinnert sich, dass seine Ehefrau diese Tropfen immer dann nimmt, wenn sie bei einem Migräneanfall unter Übelkeit und Erbrechen leidet. Der Vater schließt aus dieser Erinnerung, dass MCP sicher auch dem Kind helfen würde. Der Vater schafft es,
522
Kapitel 36 · Klinische Fälle
dem Kind einen mit 15 Tropfen MCP getränkten Zuckerwürfel zu verabreichen. Tatsächlich hört das Erbrechen nach einer halben Stunde auf und dem Kind scheint es besser zu gehen. Plötzlich fängt Tobias an zu weinen und der Vater erschreckt sich, weil der Kopf des Kindes auf einmal ganz stark an die rechte Schulter gezogen ist und schmerzt. Tobias kann die Kopfhaltung nicht verändern. Sofort fährt der Vater mit dem Sohn zur Notaufnahme ins Kinderkrankenhaus und berichtet Ihnen den Ablauf der Ereignisse. Sie sehen sich das Kind an und diagnostizieren einen schmerzhaften Torticollis spasticus. ??1. Besteht ein Zusammenhang zwischen der MCP-Einnahme und dem Torticollis? 2. Wie können Sie den Torticollis behandeln? 3. Wie behandeln Sie den gastrointestinalen Infekt?
36
vv1. MCP ist ein D2R-Antagonist, der bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht die BHS pene triert, sondern über einen Angriff am D2R in der Chemorezeptortriggerzone antiemetisch wirkt. Beim Kleinkind penetriert MCP jedoch die BHS und kann über die Blockade von D2R im extrapyramidalen System akute Dyskinesien bewirken. Dazu gehört der Torticollis. 2. Prinzipiell ist der Torticollis selbstlimitierend, d. h. nach der Elimination von MCP aus dem ZNS geht auch der Torticollis zurück. Falls der Torticollis sehr stark und schmerzhaft sein sollte, kann dem Kleinkind der MxR-Antagonist Biperiden i.v. injiziert werden. Dadurch kommt der Torticollis rasch zum Sistieren. Allerdings muss bedacht werden, dass Biperiden ein antimuskarinerges Syndrom (z. B. Mydriasis, Mundtrockenheit, Sodbrennen, Harnverhalt, Obstipation, heiße und trockene Haut) auslösen kann. Somit
würde man ein durch einen Arzneistoff bedingtes Problem durch ein anderes Problem ersetzen. In der Praxis geschieht dies leider viel zu häufig. Entscheidend ist die Aufklärung des Vaters über den Zusammenhang zwischen der MCP-Einnahme und der Dyskinesie, die relative Harmlosigkeit der UAW und die Vermeidung weiterer MCP-Anwendungen. 3. Im Vordergrund der Therapie gastrointestinaler Infekte beim Kleinkind steht die orale Rehydratation mit WHO-Rehydratationslösung. Fieber kann mit Paracetamol behandelt werden, Erbrechen mit dem 5-HT3R- Antagonisten Ondansetron. H1R- Antagonisten der 1. Generation wirken ebenfalls antiemetisch und wirken schlaffördernd.
36.5 Kritische Überprüfung eines
Medikationsplanes
Sie haben kürzlich von einem Kollegen eine Landarztpraxis übernommen und lernen langsam die Patienten kennen. Erstmalig kommt zu Ihnen der 70-jährige Andreas Schmidt. In den Unterlagen sind die Dia gnosen Hypertonie, stabile KHK und Zustand nach Hüftendoprothesen-OP links aufgeführt. Die aktuelle Medikation ist wie folgt: GTN-akut-Spray ein Hub bukkal morgens, Ramipril 5 mg morgens, ASS 100 mg morgens, Metoprolol-forte-Retardtablette 190 mg morgens, Amitriptylin 50 mg abends. Bei der körperlichen Untersuchung stellen Sie einen Blutdruck von 125/75 mmHg fest. Der Patient hat aktuell keine Angina- pectoris-Beschwerden, klagt aber über morgendlichen Schwindel. Außerdem würde er morgens häufiger ein rotes Gesicht bekommen und vor dem Aufstehen sei sein Mund immer so trocken. Ferner habe er Verstopfung und obwohl es Sommer ist, seien seine Finger häufiger kalt.
523 36.6 · Eine Ballerina mit Hypertonie und Nervosität
??1. Haben die Beschwerden des Patienten etwas mit der aktuellen Medikation zu tun? 2. Gibt es für alle Arzneistoffe eine Indikation? 3. Wie können Sie die Medikation des Patienten optimieren? vv1. Der morgendliche Schwindel und die Gesichtsröte beruhen wahrscheinlich darauf, dass der NO-Donator GTN eine Dilatation der venösen Kapazitätsgefäße und der Hautgefäße auslöst. Die kalten Finger sind wahrscheinlich Folge der hohen Metoprolol-Dosis. In hohen Dosierungen antagonisiert Metoprolol nicht nur den β1AR, sondern auch den β2AR. Der β2AR ist jedoch für die Dilatation der Hautgefäße wichtig. Wird diese Funktion blockiert, kontrahieren die Hautgefäße, was der Patient als Kälte empfindet. Die Mundtrockenheit und Verstopfung sind wahrscheinlich auf den MxR-Antagonismus von Amitriptylin zurückzuführen und typische Symptome eines antimuskarinergen Syndroms. 2. Ein Hauptanwendungsgebiet von GTN ist der akute Angina-pectorisAnfall. Für die Anwendung von NO-Donatoren in der Dauertherapie der KHK gibt es keinen Wirkungsnachweis. Da der Patient keine Angina- pectoris-Beschwerden hat, gibt es auch keine Indikation für GTN. Für Ramipril, Metoprolol und ASS sind Indikationen gegeben (Hypertonie und KHK). Amitriptylin ist ein NSMRI und wird zur Therapie von Depressionen (hohe Dosierungen) und Schlafstörungen (niedrige Dosierungen) angewendet. Da der Patient weder Schlafstörungen noch Depressionen angibt, besteht keine Indikation für Amitriptylin. 3. Es ist eine häufige Situation, dass Arzneistoffe ohne kritische Überprü-
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fung der Notwendigkeit über viele Jahre gegeben werden. Dieser Fall zeigt sehr gut, dass ohne Indikation verabreichte Arzneistoffe durchaus unangenehme UAW verursachen können. Daher ist gerade ein Arztwechsel oder eine stationäre Aufnahme eine gute Gelegenheit, die Medikation kritisch zu überprüfen. Durch Absetzen von GTN und Ami triptylin werden die entsprechenden UAW verschwinden. Metoprolol ist hoch dosiert. Die Dosis wird unter Messung des Blutdrucks (ist im Normbereich) langsam (über Wochen) reduziert. Dadurch sollte die Problematik der kalten Finger verschwinden. Ggf. wird bei Blutdruckerhöhung die Ramiprildosis auf 10 mg/Tag erhöht. Der Fall ist gutes Beispiel dafür, wie es einem Patienten durch Vereinfachung der Arzneitherapie und Deprescribing wahrscheinlich besser gehen wird.
36.6 Eine Ballerina mit Hypertonie
und Nervosität
Eine 20-jährige professionelle Ballerina stellt sich in Ihrer Hausarztpraxis vor, weil sie in letzter Zeit sehr unruhig und nervös sei und Herzklopfen habe. Die Patientin hat einen Blutdruck von 160/90 mmHg und einen Ruhepuls von 100/min. Die Haut der Patientin ist warm und schweißig. Die Patientin hat einen Body-Mass-Index von 17 kg/m2. Die Patientin verneint die Einnahme von Arzneistoffen. Früher hätte sie Abführmittel eingenommen, um das Körpergewicht zu halten. Aber sie habe damit vor einiger Zeit aufgehört, weil sie gehört habe, dass dies nicht gesund sei. Jetzt nehme sie nur noch „natürliches“ Rinderschilddrüsenpulver, das sie rezeptfrei aus dem Internet beziehe. Auf den Stuhlgang hätten die „natürlichen“ Hormone die gleiche Wirkung wie die Abführmittel.
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Kapitel 36 · Klinische Fälle
??1. Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie? 2. Wie gehen Sie diagnostisch vor? 3. Wie gehen Sie therapeutisch vor?
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vv1. Es besteht der dringende Verdacht einer Hyperthyreosis factitia, d. h. einer Hyperthyreose durch unkontrollierte und nicht indizierte Einnahme „natürlicher“ und damit vermeintlich gesunder TR-Agonisten. „Natürliche“ TR-Agonist-Präparate besitzen keinen genau definierten T3- und T4-Gehalt und sind deshalb in ihrer Wirkung sehr gefährlich und unbe rechenbar. Sie haben in der rationalen Pharmakotherapie keinen Platz, können aber problemlos und ohne Rezept aus vielen Quellen über das Internet bezogen werden. Viele der entsprechenden Websites zu „natürlichen“ TR-Agonisten sind verharmlosend und nicht wissenschaftlich validiert. Für den Arzt stellen durch Internet-„Informationen“ unvollständig und inkorrekt „vorgebildete“ Patienten ein zunehmend großes Problem dar. 2. Um die Diagnose zu sichern, bestimmen Sie die Plasmakonzentrationen von TSH, T3 und T4. TSH sollte erniedrigt sein, T3 und T4 erhöht. Im Ultraschall sollte sich die Schilddrüse eher klein darstellen und auch die szintigrafische Technetiumaufnahme in die Schilddrüse sollte als Folge der fehlenden TSH-Stimulation erniedrigt sein. 3. Sie klären die Patientin über den Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und der Einnahme „natürlicher“ TR-Agonisten auf. Sie stellen ferner dar, dass eine Hyperthyreose langfristig für den Körper gravierende negative Wirkungen hat und die Funktion aller Organsysteme beeinträchtigt. Sie fordern die Patientin auf, den Konsum der TR-Agonisten umgehend einzustellen und beobach-
ten über einen Zeitraum von 6 Monaten, ob sich der Körper wieder in Richtung Euthyreose einpendelt. Dazu klären Sie die Patientin über die Symptome einer Hyper- und einer Hypothyreose auf. Die Schilddrüsenfunktion muss regelmäßig laborchemisch und szintigrafisch überprüft werden. Eine etwaige Hypothyreose ist dann mit einem Arzneimittel zu behandeln, das einen exakt definierten T4-Gehalt besitzt.
Grund zur Einnahme der „natürlichen“ TR-Agonisten war der Wunsch, ein für die Ausübung des Berufes erwartetes, niedriges Körpergewicht zu halten. Sie klären die Patientin darüber auf, dass ihr Body-Mass- Index schon im Bereich des leichten Untergewichtes liegt und dass eine weitere Reduktion des Körpergewichtes langfristig schädliche Auswirkungen (z. B. erhöhtes Risiko für Osteoporose) haben kann. Sie vereinbaren als weiteren Schritt in Richtung eines gesunden Essverhaltens und normalen Körpergewichtes für die Patientin einen Beratungstermin bei einer auf Sportlerernährung spezialisierten Diätassistentin.
36.7 Schwangerschaftsdiabetes
durch Wehentropf?
Eine 36-jährige normalgewichtige Frau in der 26. Schwangerschaftswoche wird wegen vorzeitiger Wehen in die Frauenklinik eingeliefert. Ansonsten ist die Frau gesund. Es bestehen keine Auffälligkeiten hinsichtlich Herz-Kreislauf-Funktion und Stoffwechselsituation. Die Patientin bekommt deshalb eine i.v.-Fenoteroldauerinfusion in einer Dosis von 3 μg/min. Unter dieser Therapie kommt es zum Sistieren der vorzeitigen Wehen. Die Patientin ist einerseits beruhigt, klagt aber andererseits über Herzklopfen. Sie stellen eine Herzfrequenz von 98/min fest. Bei der laborchemischen Kontrolle stel-
525 36.8 · Eine sinnvolle Dauertherapie mit Pantoprazol?
len Sie eine Hyperglykämie (10 mmol/l) fest. Sie injizieren der Patientin deshalb sofort i.v. 4 IE Normalinsulin. ??1. Hat die Patientin einen bisher unerkannten Schwangerschaftsdiabetes? 2. Wie erklären Sie die Tachykardie der Patientin? 3. Ist die Gabe von Insulin hier sinnvoll? 4. Können Sie die wehenhemmende Therapie der Patientin optimieren? vv 1. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bei einer ansonsten gesunden und gut kontrollierten Patientin plötzlich in der Situation vorzeitiger Wehen ein Schwangerschaftsdiabetes manifest wird. Die wahrscheinlichste Erklärung für die Hyperglykämie ist darin zu sehen, dass Fenoterol in einer sehr hohen Dosis appliziert wird. Der therapeutische Bereich liegt bei 0,5–3,0 μg/min. Die Patientin bekommt also eine Fenoteroldosis am oberen Ende des therapeutischen Bereiches. Man muss bei dieser Dosierung damit rechnen, dass nicht nur der β2AR in der Uterusmuskulatur stimuliert wird, sondern auch der β2AR in der Leber. Über diesen Rezeptor kommt es zur Glykogenolyse und Hyperglykämie. Diese UAW hat jedoch nichts mit einem Schwangerschaftsdiabetes zu tun. 2. Die Tachykardie ist Folge der Aktivierung des kardialen β1AR durch die sehr hohe Fenoteroldosierung. 3. Die Gabe von Insulin ist nicht sinnvoll, da es sich bei der Hyperglykämie lediglich um eine kurzfristige durch den Arzneistoff Fenoterol ausgelöste UAW handelt. Eine kurzfristige Hyperglykämie darf nicht mit einer langfristigen diabetischen Stoffwechsellage verwechselt werden und hat keine negativen Wirkungen auf Mutter und Fetus. Bei i.v.-Injektion von Normalinsulin besteht die Gefahr, dass die Hyperglykämie in eine
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Hypoglykämie umschlägt. Eine Hypoglykämie ist jedoch sehr gefährlich, weil dadurch Krampfanfälle bei der Mutter ausgelöst werden können, die durch Störung der Atemfunktion zur Hypoxie beim Fetus führen können. 4. Zwar ist die Wehenhemmung durch Fenoterol erfolgreich, aber es sind mindestens zwei UAW aufgetreten. Daher ist eine Dosisreduktion angezeigt. Letztlich wird man einen Kompromiss zwischen Ausmaß der Wehenhemmung und UAW finden müssen. In niedrigeren Konzentrationen stimuliert Fenoterol aber nur den β2AR und nicht den β1AR, sodass sich zumindest die kardialen UAW vermeiden lassen sollten. Ein vernünftiger Ansatz wäre es, der Patientin Fenoterol in einem niedrigen bis mittleren Dosisbereich (ca. 1 μg/min) zu applizieren und abzuwarten, wie die Wirkung ist. Der Vorteil der Tokolyse mit Fenoterol ist, dass der Arzneistoff rasch (innerhalb von Minuten) wirkt und daher die Dosierung flexibel an die klinische Wirkung angepasst werden kann.
36.8 Eine sinnvolle Dauertherapie
mit Pantoprazol?
Ein 48-jähriger Profi-Oboist bekommt beim Musizieren durch die intraabdominale Druckerhöhung zunehmend Refluxbeschwerden in der Speiseröhre. Der Oboist isst häufig noch spät abends nach Konzertauftritten. Der Patient kommt wegen der Refluxbeschwerden in Ihre gastroenterologische Praxis. In der Ösophagoskopie sehen Sie außer einer milden distalen Ösophagitis keine weiteren Veränderungen. Sie verschreiben dem Patienten Pantoprazol- Tabletten (40 mg), die er morgens einnimmt. Unter dieser Therapie gehen die Beschwerden innerhalb von drei Wochen zurück und
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Kapitel 36 · Klinische Fälle
der Patient kann seine Berufstätigkeit unter Beibehaltung seiner Lebensgewohnheiten weiter ausüben. Der Patient nimmt Pantoprazol wegen seiner guten Wirkung und Verträglichkeit inzwischen über einen Zeitraum von 10 Jahren ein. Langsam entwickeln sich bei dem Patienten eine Taubheit und ein Kribbeln an den Fingerspitzen sowie eine zunehmende Ungeschicklichkeit, die Klappen des Instrumentes richtig zu bedienen. Schließlich bekommt der Oboist Ärger mit den Orchesterkollegen und dem Dirigenten und man unterstellt ihm, dass er alkoholabhängig sei. Dies ist aber nicht der Fall. Sie überweisen den Patienten deshalb in eine neurologische Praxis. Der Neurologe stellt die Diagnose einer peripheren Polyneuropathie. ??1. Was ist die wahrscheinlichste Ursache für die Polyneuropathie? 2. Wie gehen Sie diagnostisch vor? 3. Wie gehen Sie therapeutisch vor?
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vv1. Durch den jahrelangen PPI-Konsum wurde der Magen-pH langfristig erhöht. Die Folge davon ist eine gestörte Resorption von Vitamin B12. Ein Vitamin-B12-Mangel kann zu Polyneuropathie und megaloblastärer Anämie führen. 2. Die Diagnose wird durch eine Bestimmung der Plasmakonzentration von Vitamin B12 gesichert. Der Referenzbereich liegt zwischen 120– 180 pmol/l. Im Falle des Patienten lag die Konzentration bei 60 pmol/l. Die Verdachtsdiagnose Polyneuropathie aufgrund von Vitamin- B12-Mangel konnte also gesichert werden. 3. Priorität hat zunächst die orale oder parenterale Supplementierung von Vitamin B12, um den Vitaminmangel zu korrigieren und die neurologischen Symptome zu revertieren. Es muss ferner überprüft werden, ob eine Indikation zur Weiterführung der PPI-Therapie noch gegeben ist. Ein PPI-Auslassversuch ist angezeigt.
Falls wieder GERD-Beschweren auftreten ist zu überlegen, ob eine alternierende und niedrig dosierte Pantoprazoltherapie (20 mg jeden zweiten Tag) ausreichend ist statt der täglichen Hochdosistherapie. Auch ist zu bedenken, inwiefern der Patient diejenigen Lebensgewohnheiten ändern kann, die die GERD-Beschwerden begünstigen. Ein Faktor ist bereits aus der Anamnese bekannt (spätes Essen vor dem Schlafengehen). Ein Absetzen des PPI oder zumindest eine Dosis reduktion ist nicht nur wegen des Vitamin-B12- Mangels angezeigt, sondern auch wegen der Tatsache, dass eine langfristige PPI-Therapie andere gravierende UAW wie Anfälligkeit für bestimmte gastrointestinale Infekte und Osteoporose nach sich ziehen kann.
36.9 Nervenzusammenbruch nach
nächtlichen Computersitzungen
Der 14-jährige Niko gehört zu besten Performern bei dem Computerspiel Monster Kill, das weltweit vernetzt gespielt wird. Die Sitzungen finden zwischen 22 Uhr abends bis 4 Uhr morgens statt. Nach der deutschen Meisterschaft hat Niko auch die Europameisterschaft gewonnen. Jetzt möchte er unbedingt Weltmeister werden. Nikos kleiner Bruder Kevin (12 Jahre) wird wegen ADHS seit drei Monaten mit Methylphenidat (20 mg morgens) behandelt. Niko bemerkt, dass sich Kevin nach Einnahme von Methylphenidat besser konzentrieren kann. Niko möchte diese Wirkung für das Weltmeisterschaftsziel nutzen. Unbemerkt von seinen Eltern nimmt Niko daher eine Methylphenidatkapsel vor der nächsten Computersitzung und stellt fest, dass er noch erfolgreicher im Monster Kill ist. Dem Ziel des Weltmeisterschaftstitels kommt Niko immer näher. Die Einnahme von Methylphenidat
527 36.10 · Ausreichende Schmerztherapie bei metastasierendem Mammakarzinom?
in jeder Nacht wird für Niko zur Routine. Vor dem Achtelfinale entwendet Niko eine ganze Blisterpackung Methylphenidat, schluckt zwei Kapseln und gewinnt. Vor der Viertelfinalrunde wirken zwei Kapseln nicht mehr gut genug, aber mit drei Kapseln gelingt der Sieg. Vor dem Halbfinale nimmt Niko dann sicherheitshalber vier Kapseln, nur der Sieg gelingt sehr knapp. Am Ende des Spiels wird Niko sehr unruhig und kann gerade noch die Verlängerung vermeiden. Vor dem Finale ist Niko ebenfalls sehr unruhig, appetitlos und fahrig. Für das Finale hat sich Niko deshalb sieben Kapseln Methylphenidat aufgehoben. Als er die Kapseln einnimmt, bleibt jedoch die erhoffte Wirkung aus. Niko ist so unkonzentriert, dass er das Finale krachend verliert. Am nächsten Morgen finden Nikos Eltern ihren Sohn weinend und zitternd im Bett, am Boden zerstört von der Niederlage. ??1. Wie erklären Sie das unrühmliche Ende von Nikos Monster-Kill-Karriere? 2. Wie hätte der Nervenzusammenbruch vermieden werden können? 3. Welche Voraussetzungen müssen zur therapeutischen Anwendung von Methylphenidat gegeben sein? vv1. Es handelt sich um ein klassisches Beispiel für Tachyphylaxie nach der Einnahme eines indirekten Dopamimetikums. Durch die regelmäßige Einnahme von Methylphenidat werden die vesikulären Dopaminspeicher zunehmend entleert. Bis zu einem gewissen Punkt kann dies durch Dosis erhöhung kompensiert werden, aber irgendwann sind die Speicher entleert und die gewünschte Wirkung schlägt abrupt um in Entzugserscheinungen mit Konzentrationsstörungen, Nervosität und Depression. 2. Methylphenidat unterliegt der BtMVV. Die Eltern von Niko hätten den Arzneistoff unter Verschluss lagern und regelmäßig die Kapseln zählen müssen.
36
Möglicherweise hat der Arzt, der den Arzneistoff für Kevin verschrieben hat, nicht ausreichend auf die Gefahren des Methylphenidatmissbrauchs durch Dritte aufmerksam gemacht. Auch der Apotheker muss diesbezüglich aufklären. 3. Prinzipiell wirkt Methylphenidat, wie der geschilderte Fall zeigt, nicht nur bei ADHS-Patienten, sondern auch bei gesunden Menschen. Um einen Missbrauch auszuschließen, ist es daher zwingend erforderlich, eine exakte Diagnose durch einen speziell dafür ausgebildeten Kinder- und Jugendpsychiater zu stellen. Eine laxe Verschreibung von Methylphenidat durch nicht ausreichend ausgebildete Ärzte erklärt die stark ansteigenden Verordnungszahlen und die zunehmende Anzahl von Missbrauchsfällen.
36.10
Ausreichende Schmerztherapie bei metastasierendem Mammakarzinom?
Eine 65-jährige Frau mit einem in Leber, Lunge, Haut und Knochen metastasierenden Mammakarzinom wünscht keine weitere Therapie mit klassischen Zytostatika oder Targeted Therapeutics und möchte ihre letzten Lebensmonate in einem Hospiz verbringen. Die Patientin leidet unter starken Knochenschmerzen, sowohl in Ruhe als auch bei Bewegung. Von ihrem Hausarzt erhält die Patientin folgende Schmerzmedikation: morgens 400 mg Ibuprofen sowie morgens, mittags und abends 20 Tropfen Tramadol-Lösung (100 mg/ml). Sie sollen die Patientin palliativmedizinisch begleiten. ??1. Ist die Schmerztherapie ausreichend? 2. Welche Möglichkeiten zur Schmerz therapie haben Sie?
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Kapitel 36 · Klinische Fälle
3. Wie schätzen Sie das Risiko einer MOR-Agonist-Abhängigkeit bei der Patientin ein? 4. Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste UAW, die Sie beachten müssen? vv1. Die aktuelle Schmerztherapie ist völlig unzureichend. Ziel einer jeden Tumorschmerztherapie sollte es sein, Schmerzfreiheit zu erzielen. Ibuprofen wird sehr niedrig dosiert (nur 400 mg) und viel zu selten gegeben. Ibuprofen kann bis maximal 4 × 600 mg dosiert werden. Tramadol ist nur ein schwacher partieller MOR-Agonist mit unzureichender analgetischer Wirkung. 2. Da die Patientin an einer infausten Tumorerkrankung im Finalstadium leidet, müssen alle Möglichkeiten der Schmerztherapie ausgenutzt werden. Wenn die Patientin Ibuprofen verträgt, kann es bis zu einer Höchstdosis von 4 × 600 mg/Tag gegeben werden. Zusätzlich kann Metamizol bis 4 × 1 g/Tag verschrieben werden. Die Patientin sollte auf alle Fälle auch regelmäßig einen stark wirkenden MOR-Agonisten erhalten. Infrage kommt u. a. Hydromorphon. Die Dosis von Hydromorphon kann bei Bedarf deutlich gesteigert werden, um eine MOR-Desensitisierung kompensieren zu können. Wichtig ist die regelmäßige Gabe langwirkender MOR-Agonisten. Für Schmerzspitzen können Fentanyl-
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Lutschbonbons gegeben werden. Falls diese Therapie nicht ausreichend ist, gibt es zahlreiche weitere therapeutische Möglichkeiten, die der Patientin angeboten werden können. Bei Knochenmetastasen können ein Bisphosphonat oder ein RANKL-Inhibitor eingesetzt werden. α2AR-Agonisten wirken sedierend und analgetisch. Bei Angstzuständen können anxiolytisch wirkende Benzodiazepine eingesetzt werden, bei depressiver Verstimmung wirken NSMRI. Durch mGPCR- Antagonisten lässt sich eine Distanzierung vom Schmerzerleben erzielen. 3. Die Gefahr der MOR-Agonist- Abhängigkeit bei Tumorschmerzen wird stark überschätzt. Es kommt eher zur Dysphorie als Euphorie. Bei Wirkungsverlust durch MOR-Desensitisierung kann die Dosis bei Bedarf deutlich erhöht werden. 4. Die wichtigste UAW ist die starke Obstipation, die unter einer MOR-Agonist-Therapie rasch einsetzt und die die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt. Es ist deshalb sehr wichtig, diese UAW proaktiv anzugehen. Eine Möglichkeit besteht darin, wasserbindende Arzneistoffe wie Macrogol zu geben. Ausreichende Flüssigkeitszufuhr, ballaststoffreiche Kost und eine dem Krankheitsbild angemessene Bewegung helfen dabei, die Obstipation zu mildern.
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Antworten zu den Fallbeispielen
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2_37
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
Fallbeispiele sind gut dazu geeignet zu überprüfen, ob der Student nach der Lektüre eines Kapitels dazu in der Lage ist, sein neu erworbenes Wissen in konkreten klinischen Situationen anzuwenden. Die Fallbeispiele in den 7 Kap. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33 und 34 beziehen sich schwerpunktmäßig auf das jeweilige Kapitel und sollen verdeutlichen, dass Pharmakologie ein praktisches Fach mit hoher Interdisziplinarität ist. Ein wesentliches Ziel der Fragen ist es zu überprüfen, ob der Student pharmakologische Inhalte auf verschiedenen Ebenen gut kommunizieren kann. Eine breite Wissensbasis im Fach Pharmakologie ist eine wichtige Grundlage für eine sichere, effektive und preiswerte Pharmakotherapie. Zukünftige Prüfungsfragen des IMPP werden pharmakologisches Wissen verstärkt in Form von konkreten Fällen prüfen. Derzeit haben ca. 20–25 % aller IMPP-Examensfragen im M2 einen pharmakologischen/toxikologischen Bezug.
zz Fallbeispiel zu Kapitel 1
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1. Am wahrscheinlichsten wurde der Patient mit Buprenorphin behandelt. 2. Am wahrscheinlichsten ist es zu Verschlimmerung der Grunderkrankung gekommen, sodass die Maximalwirkung (intrinsische Aktivität) von Buprenorphin nicht mehr ausreichend ist. Eher unwahrscheinlich ist, dass es bereits unter Therapie mit Buprenorphin zu MOR-Desensitisierung gekommen ist. 3. Zunächst wird der Patient auf einen vollen MOR-Agonisten wie Morphin umgestellt. Morphin besitzt höhere intrinsische Aktivität als Buprenorphin. Gleichzeitig sollte der Patient einen COX-Inhibitor wie Ibuprofen und/oder das Pyrazolon Metamizol erhalten. 4. Es kann zu weiterer Verschlimmerung der Grunderkrankung und/oder Rezeptor desensitisierung gekommen sein. Eine Desensitisierung lässt sich zumindest partiell durch eine Dosiserhöhung des
Morphins kompensieren. Die BtMVV ermöglicht solche Dosiserhöhungen, die aber in der Praxis aus unbegründeter Angst vor „Abhängigkeit“ des Patienten noch immer viel zu selten realisiert werden. Zusätzlich ist der Einsatz von schmerzmodulierenden Arzneistoffen aus der Gruppe der NE/5-HT-Verstärker und mGPCR-Antagonisten zu erwägen. zz Fallbeispiel zu Kapitel 2
1. RMP ist ein effektiver CYP-Induktor, u. a. von CYP2C9. Glibenclamid wird über CYP2C9 inaktiviert. Daher dürfte beschleunigte Glibenclamid-Inaktivierung Ursache für die fehlende Wirkung sein. 2. Therapie der Wahl bei Typ-2-Diabetes ist das Biguanid Metformin. Dieser Arzneistoff wird unverändert renal eliminiert. Daher ergeben sich keine Interaktionen mit RMP auf pharmakokinetischer Ebene. 3. Nach Beendigung der antimykobakteriellen Therapie wird die CYP-Induktion durch RMP wieder aufgehoben, und die reduzierte Wirksamkeit von Arzneistoffen, die über CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D16 und CYP3A4 metabolisiert werden, normalisiert sich wieder. zz Fallbeispiel zu Kapitel 3
1. Am wahrscheinlichsten ist Ramipril die Ursache. Ramipril gehört zu den ACE-Inhibitoren und hemmt auch den Brady kininabbau. Bei Insektenstichen kommt es zu Bradykininfreisetzung. Bradykinin kann ein schweres Angioödem auslösen. Die Patientin sollte daher auf einen AT1R- Antagonisten (z. B. Candesartan) umgestellt werden. Diese Arzneistoffgruppe hemmt nicht den Bradykininabbau. 2. Der Notarzt injiziert der Patientin langsam i.v. EPI. Es beseitigt über eine α1ARvermittelte Vasokonstriktion rasch das lebensbedrohliche Angioödem. Die EPIDosierung erfolgt nach der klinischen Wirkung. Ist bei einem Patienten eine Neigung zu Angioödemen gleich welcher Ursache bekannt, so sollte ihm ein EPI-
531 Antworten zu den Fallbeispielen
zz
1.
2.
zz
1.
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den ist. Im Gegensatz zu Physostigmin Autoinjektor verschrieben werden. EPI durchdringt Pyridostigmin nicht die wird in die Oberschenkelmuskulatur injiBHS. Deshalb hat Pyridostigmin keine ziert. Zwar wirkt eine EPI-Autoinjektion Wirkungen auf das ZNS. nicht so rasch und effektiv wie i.v.-EPI- Injektion, aber so kann die Zeit zwischen dem Einsetzen der Symptome und dem zz Fallbeispiel zu Kapitel 6 Eintreffen des Notarztes überbrückt wer- 1. An erster Stelle kommen 5-HT1B/DR- den. Erst nach der EPI-Injektion können Agonisten wie Sumatriptan infrage. Alterweitere therapeutische Maßnahmen wie nativ kann auch ein COX-Inhibitor wie die Gabe von H1R-Antagonisten und Ibuprofen, ggf. in Kombination mit dem hochdosierten GCR-Agonisten erwogen D2R-Antagonisten MCP (wichtig: Gabe werden. von MCP vor dem COX-Inhibitor zur Resorptionsverbesserung), gegeben werFallbeispiel zu Kapitel 4 den. Entscheidend ist ein früher TherapieAtropin antagonisiert MxR, wesbeginn, sobald sich die Migräneattacke halb es zum antimuskarinergen Synankündigt (Aura). Die Ansprechbarkeit drom kommt. Dies führt zu Hemmung der Patienten auf Arzneistoffe ist unterder Schweiß- und Speichelsekretion, schiedlich und muss empirisch ausproAkkommodation, GI-Motilität und Blabiert werden. senmuskulatur. Daraus resultieren heiße, 2. Für eine Migräneprophylaxe mit βxARtrockene Haut, Mundtrockenheit, BlenAntagonisten, NSMRI, CCB oder SCB dungsempfindlichkeit mit Störung der sind die Migräneattacken zu selten. Nahsicht, Obstipation und Harnverhalt. Außerdem kann es zu deliranten Symp- zz Fallbeispiel zu Kapitel 7 tomen kommen. 1. Sie verschreiben der Patientin einen Um Atropin von MxR zu verdrängen, muss H1R-Antagonisten der 2. Generation die Konzentration des Agonisten ACh (Prototyp Cetirizin). Um möglichst an den Rezeptoren erhöht werden. Dies keine ZNS-UAW (Sedation und damit gelingt durch Gabe des AChE-Inhibitors ineffektives Lernen) zu bekommen, empPhysostigmin (nicht in NKLM/IMPPfiehlt sich zunächst die lokale Gabe (NaArzneistoffliste). Dieser Arzneistoff pene senspray bei Rhinitis und Augentropfen triert auch sehr gut BHS, sodass sich bei Konjunktivitis), sobald die Sympdamit auch die ZNS-Symptomatik gut betome eintreten. Der Wirkungseintritt einflussen lässt. der lokalen Therapie ist rasch. Reicht eine lokale Therapie nicht aus, können Fallbeispiel zu Kapitel 5 H1R-Antagonisten der 2. Generation Sie injizieren i.v. den nur sehr kurz wirksaauch systemisch gegeben werden. Dies men AChE-Inhibitor Edrophonium (nicht bietet sich an, wenn auch eine Urtikaria in der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste). vorliegt. Allerdings sollte die systemische Bereits während der Injektion können Sie Therapie mit H1R-Antagonisten der 2. eine deutliche Verstärkung der MuskelGeneration einschleichend erfolgen, da kraft feststellen. Als UAW beobachten Sie auch diese Arzneistoffgruppe nicht ganz muskarinerge Symptome wie Schweißsefrei von ZNS-UAW ist. kretion und verstärkte Darmtätigkeit. 2. Die Studentin darf keinesfalls H1RAntagonisten der 1. Generation (Proto Pyridostigmin ist ein quaternäres Amin, typen Diphenhydramin, Clemastin) einwelches bei physiologischem pH geladen nehmen, da sie sedierend wirken und ist. Physostigmin ist ein tertiäres Amin, mit dem Lernen interferieren würden. das bei physiologischem pH ungela-
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
Da etliche H1R-Antagonisten der 1. Generation nicht verschreibungspflichtig sind, könnte die Studentin annehmen, dass diese Arzneistoffe UAW-frei sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Gefahr der Sedation unter H1R-Antagonisten der 1. Generation ist besonders groß, wenn gleichzeitig alkoholische Getränke, auch solche mit geringem Ethanolgehalt und solche mit süßem Geschmack (sehr beliebt bei jungen Frauen), konsumiert werden. zz Fallbeispiel zu Kapitel 8
zz Fallbeispiel zu Kapitel 10
1. Offenbar hat der Patient ein COX- Inhibitor-Asthma erlitten. Dieses Asthma kann in bis zu 15 % der Patienten mit allergischer Rhinitis auftreten, wenn COX-Inhibitoren wie Ibuprofen verschrieben werden. Das Asthma beruht darauf, dass in den Atemwegen durch die Hemmung von COX-2 AA verstärkt in LTD4 umgewandelt wird, das Asthma-Anfälle auslösen kann. Sie überprüfen die Diagnose, indem Sie mit dem Peak-Flow-Meter den Atemwegswiderstand bestimmen. Sie setzten Ibuprofen sofort ab und lassen den Patienten nach Anweisung und unter Aufsicht aus dem Salbutamol-Dosieraerosol (100–200 μg; ein- bis maximal zwei Sprühstöße) inhalieren. Mit dem β2AR-Agonisten sollte die akute Symptomatik innerhalb von 3–10 Minuten beseitigt werden. 2. Wichtig ist die Aufklärung des Patienten hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen Ibuprofen-Einnahme und AsthmaAnfall für weitere Situationen, in denen eine Schmerztherapie erforderlich ist. In Zukunft müssen COX-Inhibitoren gemieden werden. Wenn diese Arzneistoffe zz Fallbeispiel zu Kapitel 9 eingesetzt werden sollen, müsste vorher eine Desensibilisierung gegen das 1. Zur langfristigen KHK-Behandlung Rhinitis-auslösende Allergen erfolgen. eignen sich β1AR-Antagonisten, ACE- Bei Bedarf müssen andere analgetisch Inhibitoren (alternativ AT1R-Antagoniswirkende Arzneistoffe wie Metamizol ten) sowie irreversible COX-Inhibitoren oder Paracetamol zum Einsatz komoder P2Y12R-Antagonisten. Ggf. muss ein men, wobei diesen Arzneistoffen die anti Stent bei Koronarstenosen implantiert werinflammatorische Komponente fehlt, die den. Zur Behandlung des Typ-2-Diabetes prinzipiell bei Sportverletzungen günstig eignet sich insbesondere Metformin. 1. Grundsätzlich können alle Arzneistoffe, die das dopaminerge System stimulieren, diese Problematik verursachen. An erster Stelle stehen Levodopa + Benserazid, gefolgt von D2R-Agonisten wie Prami pexol, MAO-B-Inhibitoren wie Rasagilin und dem COMT-Inhibitor Entacapon. 2. Die Patientin und ihr Ehemann müssen über den Zusammenhang zwischen pathologischem Kaufverhalten und Arzneistoffeinnahme aufgeklärt werden. Im nächsten Schritt muss überlegt werden, ob eine Dosisreduktion der dopaminerg wirkenden Arzneistoffe möglich ist und ob MxR-Antagonisten wie Biperiden hinzugefügt werden können. Auch eine Abkopplung vom Internet ist zu erwägen, wobei dies technisch schwierig ist und eine Verlagerung in traditionelles Einkaufsverhalten zu befürchten ist. Letztlich wird es auf einen individuell zu verhandelnden Kompromiss zwischen Neurologen, Patientin und Ehemann bezüglich therapeutischem Erfolg und UAW-Vermeidung hinauslaufen.
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2. Sie informieren den Patienten über Wirkbeginn nach Einnahme sowie Wirkdauer und machen ihn auf die Symptome einer Überdosierung (Blausehen) aufmerksam. Ferner erklären Sie, dass er bei Angina-pectorisBeschwerden beim Geschlechtsverkehr keinesfalls GTN nehmen darf. Er könnte auch eine eher passive Rolle übernehmen und der Frau die aktive Rolle überlassen.
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ist. Alternativ können auch schwach wirksame MOR-Agonisten wie Tramadol zum Einsatz kommen. Eine Abschwellung des Knöchels kann auch durch Hochlagerung und regelmäßiges Kühlen erreicht werden. Der Patient sollte als Bedarfsmedikation ein Salbutamol-Dosieraerosol erhalten. zz Fallbeispiel zu Kapitel 11
1. Die Klinik, das Röntgenbild und die Labordiagnostik sprechen dafür, dass die Patientin an rheumatoider Arthritis leidet. Der Krankheitsprozess läuft schon seit einiger Zeit und hat sich verschlimmert. Die symptomatische Eskalationstherapie mit einem COX-Inhibitor trug dazu bei, die Diagnosestellung zu verzögern. Offenbar hat die Patientin aufgrund der Dauertherapie mit Diclofenac ernsthafte UAW bekommen (CKD mit Wasser- und Natriumretention mit konsekutiven BD-Anstieg und PUD). Sie teilen der Patientin die Diagnose „rheumatoide Arthritis“ mit und klären Sie über den wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Diclofenac-Einnahme sowie CKD, BD-Anstieg und PUD auf. Sie setzten Diclofenac ab mit dem Ziel, die CKD zu bessern, den BD zu senken (und damit auf eine antihypertensive Therapie verzichten zu können) und PUD zu heilen. Gleichzeitig verschreiben Sie der Patientin zur Ulcusheilung für 4–6 Wochen einen PPI in Standarddosierung (z. B. 40 mg Pantoprazol). Um die rheumatoide Arthritis zu bessern, beginnen Sie mit einer Therapie aus niedrigdosiertem MTX (ca. 10–20 mg/Woche) und einem systemisch verabreichten hochdosierten GCR-Agonisten (z. B. Prednisolon; initial 30–70 mg/Tag; dann rasche Reduktion auf 3,75–7,5 mg/Tag). Alternativ dazu können Sie eine Therapie mit einem TNF-Inhibitor (z. B. Adalimumab) oder einem IL-1-Inhibitor (Anakinra) beginnen. Allerdings ist eine Therapie mit MTX und GCR-Agonisten
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viel kostengünstiger. Nach 8–12 Wochen beurteilen Sie den Therapieerfolg und adjustieren die Therapie entsprechend der Wirkung und etwaigen UAW. 2. MTX kann Appetitlosigkeit, Schwindel, Erbrechen, Diarrhoe und Stomatitis verursachen. Außerdem kann es zu einem Leberenzymanstieg kommen. Deshalb müssen die Leberenzyme kontrolliert werden. Ferner kann MTX Leukopenie und Thrombopenie verursachen, was die Durchführung von Blutbildkontrollen erforderlich macht. Als Ausdruck der Immunsuppression können Infektionen häufiger auftreten oder reaktiviert werden. Ebenso können Lymphome entstehen. GCR-Agonisten können ein CushingSyndrom verursachen. Deshalb sollte die GCR-Agonist-Dosis so rasch wie möglich reduziert werden. Außerdem kann durch morgendliche GCR-Agonist-Gabe das Risiko für Nebennierenrindeninsuffizienz deutlich verringert werden. zz Fallbeispiel zu Kapitel 12
1. CKD-Patienten erhalten meist viele Arzneistoffe. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Arzneistoffinteraktionen erheblich. Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen der zusätzlichen Ibuprofen-Einnahme und der kardialen Problematik. Ibuprofen hemmt die renale PGE2-Produktion und damit die renale Durchblutung. Es ist ein akutes Nierenversagen aufgetreten. 2. Sie setzen Ibuprofen sofort ab und versuchen, die Schmerzen am Handgelenk durch Ruhigstellung und Kühlung mit Eis zu lindern. Sie können außerdem Metamizol verschreiben, das eine sehr gute analgetische Wirkung (aber keine antiinflammatorische Wirkung) besetzt. Nach dem Absetzten von Ibuprofen sollte die Nierenfunktion wieder einsetzten. Sie bestimmen die KreatininClearance, um die Nierenfunktion zu erfassen. Ggf. müssen Sie überbrückend eine Dialyse durchführen.
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
zz Fallbeispiel zu Kapitel 13
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1. Die Patientin erfüllt die Kriterien einer Ob stipation (weniger als dreimal pro Woche Stuhlgang). Eine organische Erkrankung konnten Sie mit Ihrer Diagnostik ausschließen. Hypokaliämie ist ein deutlicher Hinweis für einen jahrelangen Laxanzienabusus. Hypokaliämie wiederum kann die Obstipation verschlechtern. Die Verdachtsdiagnose Obstipation als Folge von Laxanzienabusus können Sie durch den von der Patientin zugegebenen jahrelangen Konsum von rezeptfrei erworbenen Senna-Produkten erhärten. Senna-Zubereitungen enthalten Anthrachinone, die über eine antiresorptive Wirkung laxierend wirken. Sie klären die Patientin über den Zusammenhang zwischen der Obstipation und der Einnahme der Senna-Produkte auf. Ebenso erläutern sie der Patientin die gesundheitlichen Risiken einer Hypokaliämie (neurologische Probleme sowie tachykarde Herzrhythmusstörungen). Sie fordern die Patientin ferner dazu auf, den Konsum des Detox-Tees einzustellen. Die Patientin soll stattdessen pro Tag 2 Liter Mineralwasser trinken. Schließlich soll sie anstelle des von ihr bevorzugten Weißbrotes Vollkornbrot essen, da dieses viele Ballaststoffe enthält. Außerdem soll die Patientin ausreichend kaliumreiche Nahrungsmittel zu sich nehmen. Dazu gehören z. B. Aprikosen, Sojabohnen und Tomaten. Schließlich soll sich die Patientin, die sich selber als „gehfaul“ bezeichnet, verstärkt bewegen. Dazu reichen ausgiebige Spaziergänge (z. B. mit Hund) und Gymnastik. Auch hier kann die Patientin aus ihr Freude machenden Sportarten/ Bewegungen wählen. Nach einigen Wochen sollte sich mit dieser Vorgehensweise die Symptomatik verbessern. 2. NCC- und NKCC-Inhibito ren verschlechtern eine Obstipation durch Kaliumverluste. MOR-Agonisten führen zu spastischer Obstipation. Eisenpräparate und aluminiunhaltige Antazida wir-
ken ebenfalls verstopfend. Zahlreiche Arzneistoffgruppen (z. B. NMSRI, viele mGPCR-Antagonisten) wirken über MxR-Antagonismus verstopfend. zz Fallbeispiel zu Kapitel 14
1. Offenbar liegt eine orale Kandidose bei inkorrekter Anwendung inhalativer GCR-Agonisten vor. In Zusammenarbeit mit dem Hausarzt schließen Sie zunächst aus, dass eine Immunsuppression (z. B. im Rahmen einer Leukämie) für die Symptome verantwortlich ist. Die Diagnose Kandidose sollte durch den mikroskopischen Nachweis der Erreger sichergestellt werden. Die Kandidose behandeln Sie mit einem lokal wirksamen Triazol wie Fluconazol. Die Wirkungslosigkeit von Salbutamol (viel zu häufige Anwendung bei dem Patienten) und Budesonid (Kandidose) liegt offenbar daran, dass die Arzneistoffe nicht an den Wirkort gelangen, sondern in der Mundhöhle verbleiben (bitterer Geschmack von Salbutamol). Der Patient bekommt dementsprechend vom Hausarzt, Apotheker oder Pulmonologen eine Schulung über die korrekte Anwendung von Dosieraerosolen. Dabei erfolgt auch eine Aufklärung über den Zusammenhang zwischen den aktuellen Problemen und inkorrekter Arzneistoffanwendung. Dann wird die Therapie neu aufgebaut. Als Basistherapie wird Budesonid-Spray angewendet und der Patient darüber aufgeklärt, dass es einige Tage dauert, bis eine Wirkung eintritt. Außerdem sollte der Patient dazu angehalten werden, den Mund nach der Anwendung des Budesonid-Sprays sorgfältig mit Wasser zu spülen. Das Salbutamol-Spray sollte nur zurückhaltend und bei deutlicher Luftnot angewendet werden. Zur korrekten Indikationsstellung für die Anwendung des Salbutamol-Sprays erhält der Patient ein Peak-Flow-Meter und wird über die Therapierelevanz des PEF-Wertes für die korrekte Selbstanwendung informiert.
535 Antworten zu den Fallbeispielen
2. Sie versuchen herauszubekommen, auf welcher Internetseite der Patient sich informiert hat und machen ihm klar, dass medizinische Informationen im Internet stets sehr kritisch zu betrachten sind, weil sie häufig nicht von Experten erstellt wurden. Sie erklären dem Patienten, dass die therapeutische Wirkung des BudesonidSprays in klinischen Studien nachgewiesen wurde und dass das Hauptproblem in der Therapie, wie der Patient bereits erfahren hat, lokale UAW sind. Dazu gehören neben Kandidose auch Dsyphonie, Heiserkeit, Husten und Rachenirritationen. Mit systemischen UAW von Budesonid ist nicht zu rechnen, weil es im Körper rasch abgebaut wird (first-pass-Effekt in der Leber). Deshalb wird selbst bei der Inhalation versehentlich verschlucktes Budesonid nicht systemisch wirksam. zz Fallbeispiel zu Kapitel 15
1. Sie legen eine i.v.-Dauerinfusion mit NNP an. Damit können Sie wahrscheinlich den BD normalisieren. Allerdings ist die NNP-Gabe nur unter intensivmedizinischen Bedingungen möglich, da es auch zu lebensbedrohlicher Hypotonie kommen kann. Außerdem ist die NNP-Infusion schwierig (Lichtempfindlichkeit des Arzneistoffs), und bei längerer Behandlung kann eine Zyanid intoxikation auftreten. 2. Sie erheben eine Arzneimittelanamnese und versuchen unter Einbeziehung des Hausarztes herauszufinden, welcher Arzneistoff die Libidostörungen verursacht haben könnte; β1AR-Antagonisten wären eine mögliche Gruppe. Sie beginnen dann mit einer Kombinationstherapie von Arzneistoffen, die die Klassen A, C und D umfasst. Klasse A hat auch günstige Effekte auf die Gefäßveränderungen beim Diabetes und Klasse D sollte eine etwaige Hyperkaliämie durch Klasse A kompensieren. Die Klasse C senkt zusätzlich den BD. Die Klassen A, C und D haben keinen Einfluss auf Libido. Wichtig sind auch
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eine diätetische Einstellung des Diabetes sowie die Therapie mit Metformin. zz Fallbeispiel zu Kapitel 16
1. Die Patientin leidet offensichtlich unter CHF (NHYA-Stadium III-IV). Zudem hat die Patientin eine Digoxin intoxikation, da die therapeutische Plasmakonzentration von 0,8 ng/ml deutlich überschritten ist. Das gestörte Farbsehen ist für eine Digoxinkonzentration nahezu beweisend. Auch Übelkeit ist ein typisches Symptom einer Digox in intoxikation. Allerdings ist es weit weniger spezifisch als das gestörte Farbsehen. Offenbar hat der GI-Infekt bei der Patientin zu deutlichen Kaliumverlusten und Hypokaliämie (Plasmakalium konzentration < 3,6 mmol/l) geführt. Bei Vorliegen einer Hypokaliämie kann Digoxin eine Tachykardie hervorrufen. 2. Ziel der Therapie ist es, die Patientin in NHYA-Stadium I oder zumindest II zu bringen. Sie setzen das Digoxin ab. Da die Patientin nicht massiv intoxikiert ist, kann man zunächst die natürliche Elimination von Digoxin abwarten und ggf. die Plasmakaliumkonzentration durch entsprechende i.v.-Elektrolytsubstitution normalisieren. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht zu große Flüssigkeitsvolumina appliziert werden, die CHF verschlechtern könnten. Grundsätzlich ist die Patientin bisher nicht entsprechend moderner CHF-Richtlinien behandelt worden. Sie beginnen deshalb zunächst eine Therapie mit einem ACE-Inhibitor (z. B. Enalapril) oder AT1R-Antagonisten (z. B. Candesartan) und fügen einen NCCInhibitor (z. B. Hydrochlorothiazid), ggf. auch einen NKCC-Inhibitor (z. B. Furosemid) hinzu. Durch diese Kombination sollte sich eine gute initiale Wirkung auf die CHF zeigen, und es sollte durch die relative Kaliumneutralität der Kombination auch kein großes Tachykardierisiko bestehen. Sie führen EKG- und Plasmakaliumkontrollen durch.
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
Ausgehend von dieser Therapie beobachten Sie den klinischen Verlauf und fügen bei unzureichender Wirkung einen MCRAntagonisten (z. B. Eplerenon) hinzu, wobei hier das Risiko von Hyperkaliämien und bradykarden Herzrhythmusstörungen erhöht wird. zz Fallbeispiel zu Kapitel 17
1. Haloperidol gehört zu denjenigen Arzneistoffen, die mit hoher Potenz den HERG-Kanal blockieren und damit TdP auslösen können. Das Risiko ist besonders groß, wenn Haloperidol rasch am Herzen anflutet, also bei einer schnellen i.v.-Injektion. Daher sollte Haloperidol nur in Ausnahmefällen i.v. appliziert werden und dann auch nur sehr langsam und unter EKG-Kontrolle. Bei älteren Patienten besteht ein erhöhtes Risiko für Elektrolytstörungen, die das TdP-Risiko vergrößern. Wegen kardialer UAW und zweifelhafter Wirkung bei Verwirrung sollte Haloperidol bei älteren Patienten sehr zurückhaltend eingesetzt werden. 2. Eine QT-Zeit > 500 ms, weibliches Geschlecht, MI, CHF, Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hypocalcämie, Ess störungen, Bradykardie, CKD, Einnahme von Arzneistoffen, die die QT-Zeit verlängern, Komedikation von CYP-Inhibitoren, Polypharmazie und i.v.-Injektion von Arzneistoffen stellen TdP-Risikofaktoren dar. zz Fallbeispiel zu Kapitel 18
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1. Da eine Notfallsituation vorliegt, stillen Sie zunächst das Nasenbluten. Sie setzen die Patientin hin, beugen den Kopf nach vorne und komprimieren für einige Minuten die Nasenflügel. Zusätzlich können Sie kalte Wickel in den Nacken und eine Nasentamponade legen. Vermeiden Sie unbedingt, dass die Patientin den Kopf nach hinten legt, was einen häufigen Behandlungsfehler darstellt. Mit zurückgelegtem Kopf ist die Aspira-
tionsgefahr erhöht. Das Nasenbluten hat wahrscheinlich zweierlei Ursachen. Zum einen hat die Patientin einen irreversiblen COX-Inhibitor (ASS) eingenommen. Zum anderen hemmen Inhaltsstoffe von Goji-Beeren den VKA-Metabolismus und verstärken so deren Wirkung. Da Sie den Schweregrad der Situation nicht sicher einschätzen können, weisen Sie die Patientin sofort ins Krankenhaus ein, um sie durch den HNO-Arzt weiter behandeln zu lassen. Außerdem muss im Krankenhaus sofort der INR-Wert bestimmt werden. Ist dieser Wert zu hoch, muss umgehend ein Konzentrat der Faktoren II, IX und X i.v. gegeben werden, um weitere (potenziell lebensbedrohliche) Blutungen zu vermeiden. 2. Nach dem Überstehen der akuten Situation können Sie prinzipiell die Therapie mit Phenprocoumon unter INR-Kontrolle fortsetzen. Voraussetzung dafür ist, dass Sie die Patientin da rüber aufklären, welche „gesunden“ Nahrungsmittel die Wirkung von VKA entweder abschwächen (z. B. Grünkohl, Spinat, Kichererbsen) oder verstärken (außer dem Superfood Goji-Beeren auch Waldmeister). Außerdem muss die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass die Einnahme von ASS, gerade in niedriger Dosierung, gefährlich ist. Bei Schmerzen kommen Paracetamol, Metamizol oder ein schwach wirksamer MOR-Agonist wie Tramadol infrage, da sie nicht mit der Thrombozytenaggregation interferieren. Schließlich muss die Patientin darüber informiert werden, welche anderen Arzneistoffe mit der Phenprocoumonwirkung interferieren. Sollten Sie den Eindruck gewinnen, dass die Patientin nicht versteht, wie es zum Nasenbluten gekommen ist und worauf sie bezüglich ihrer Arzneimittel und Ernährung zu achten hat, kommt eine Umstellung auf Faktor-Xa- oder Thrombin-Inhibitor infrage, da bei diesen Arzneistoffen das Interaktionsrisiko
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geringer ist. Allerdings kann es hierbei bei unregelmäßhiger Arzneistoffeinnahme zu Unregelmäßigkeiten in der Wirkung und damit Thrombosen kommen. zz Fallbeispiel zu Kapitel 19
1. Der Patient ist adipös, leidet unter Hypertonie, LDL-Hypercholesterinämie und an einer offenbar schon länger bestehenden diabetischen Stoffwechsellage, die durch den hohen HbA1c-Wert angezeigt wird. Es liegen alle Symptome eines metabolischen Syndroms vor. Sie können nach dem klinischen Bild davon ausgehen, dass eine Insulinresistenz vorliegt. In dieser Situation ist Metformin der am besten geeignete Arzneistoff. Er kann eine Insulinresistenz durchbrechen, ohne das Gewicht weiter zu erhöhen oder Hypoglykämien zu induzieren. Auch die Studienlage (nachgewiesene lebensverlängernde Wirkung) spricht für Metformin. 2. Wichtig ist Aufklärung über die Natur des Typ-2-Diabetes. Dem Patienten muss klargemacht werden, dass eine langfristige kalorienreduzierte Diät, die zu nachhaltiger Gewichtsreduktion führt, der Schlüssel zur Durchbrechung der Insulinresistenz und damit der Vermeidung der Langzeitfolgen des Diabetes ist. Ein Diätberatungsprogramm ist angezeigt. Ferner muss der Patient ein moderates Sportprogramm (z. B. Schwimmen, Nordic Walking) aufnehmen. Dies beeinflusst die Insulinresistenz ebenfalls positiv. Schließlich ist es wichtig, die Hypertonie gut einzustellen. Diabetes ist wegen Mikro- und Makroangiopathie ein wesentlicher Risikofaktor für Hypertonie mit ihren Langzeitfolgen. Bei dem Patienten kommen vor allem ACE-Inhibitoren oder AT1R-Antagonisten infrage, ggf. kombiniert mit Arzneistoffgruppen B, C und D. Auch eine LDL-Hypercholesterinämie
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muss behandelt werden. Hierfür kommen HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren in Betracht. zz Fallbeispiel zu Kapitel 20
1. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um Erosionen, die Folge inkorrekter Alendronateinnahme sind. Alendronat muss nüchtern, in aufrechter Position und mit viel Wasser eingenommen werden, um eine ausreichende Resorption zu gewährleiten und Schleimhautschäden zu vermeiden. Sie klären die Patientin und ggf. den Hausarzt im kollegialen Gespräch über die richtige Einnahme von Alendronat auf und vereinbaren einen Kontrolltermin in vier Wochen zur Überprüfung des Befundes. Ramipril ist bezüglich der Symptomatik unproblematisch. Diphenhydramin könnte in hoher Dosierung über MxR-Antagonismus GI-Motilitätsstörungen hervorrufen, aber in der angegebenen niedrigen Dosierung sollte es unbedenklich sein. 2. Offenbar bekommt die Patientin keine Basistherapie mit Vitamin D und Calcium. Diese sollte der Hausarzt ansetzen. Ferner sollte die Patientin dazu angehalten werden, wieder ein ihrer Leistungsfähigkeit angemessenes Trainingsprogramm zur Muskulaturstärkung und Osteoporose prävention zu beginnen. Sie könnten versuchen, die Patientin zur Anschaffung eines neuen Hundes zu bewegen oder ihr die Teilnahme an einer Seniorensportgruppe nahezulegen. Dies würde zugleich soziale Kontakte fördern. Unbedingt müssen Sie den Verzicht auf Tabakkonsum nahelegen. zz Fallbeispiel zu Kapitel 21
1. Die Patientin leidet unter einer manifesten Hypothyreose, die durch eine Hashimoto-Autoimmunthyreoiditis hervorgerufen
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
wird. Sie behandeln die Patientin mit T4, das einschleichend dosiert wird. Zunächst wird eine Dosis von 25 μg/Tag gegeben. Diese Dosis wird dann wöchentlich um 25 μg gesteigert, bis eine Erhaltungsdosis von ca. 1,5 μg/kg erreicht ist. Wichtig ist es, dass die Einnahme von T4 morgens auf nüchternen Magen mit Wasser erfolgt und der Patient mindestens 30 Minuten vergehen lässt, ehe er frühstückt. Während der Therapie achten Sie vor allem auf Symptombesserung. Sie kon trollieren regelmäßig (alle 6 Wochen) die Plasma-TSH-Konzentration. Sie sollte absinken und dann im unteren Normbereich liegen. Bei Hashimoto-Thyreoiditis wird keine immunsuppressive Therapie durchgeführt. 2. Therapieziel ist eine Euthyreose. Bei T4Überdosierung können Symptome einer Hyperthyreose auftreten. Leitsymptome der Hyperthyreose sind Gewichtsverlust, Wärmeintoleranz, psychische Erregung, Diarrhoe, Tremor und Tachykardie. In diesem Fall muss die T4-Dosierung wieder reduziert werden.
2. Es handelt sich um eine klassische Arzneistoffinteraktion. In jedem Falle setzen Sie Clarithromycin sofort ab und ersetzten es durch einen antibakteriellen Arzneistoff (am besten nach Antibakteriogramm), der keine Interaktionen mit CYP3A4 verursacht. Hier bietet sich vor allem Amoxicillin als Alternative an, aber Sie müssen vorher ausschließen, dass der Patient eine Penicillinallergie hat. Wenn der Patient noch keine laborchemischen Anzeichen einer Myopathie hat, müssen Sie Simvastatin nicht absetzen, da die Bioverfügbarkeit nach dem Absetzen von rasch zurückgehen sollte. Liegen bereits laborchemische Anzeichen einer Myopathie vor, sollte Simvastatin bis zum Abklingen der Symptome abgesetzt werden. Man könnte versuchen, ggf. mit einer geringeren Simvastatindosis (z. B. 40 oder 60 mg/ Tag) auszukommen. Außerdem muss der Patient darüber aufgeklärt werden, welche Arzneistoffe und Nahrungsmittel (z. B. Naringin im Grapefruitsaft) eine Myopathie auslösen können.
zz Fallbeispiel zu Kapitel 22
zz Fallbeispiel zu Kapitel 23
1. Der Patient bekommt eine relativ hohe Simvastatindosis. Simvastatin hat eine nur geringe Bioverfügbarkeit und beeinträchtigt normalerweise nicht die Ubichinonsynthese in der Muskulatur. Clarithromycin ist ein Inhibitor von CYP3A4. Dadurch wird die Simvastatinaufnahme in die Leber und die Metabolisierung gehemmt. Deshalb steigt die Bioverfügbarkeit von Simvastatin, und es kann aufgrund der Hemmung der Ubichinonsynthese in der Skelettmuskulatur zu einer Myopathie kommen. Um die Diagnose abzusichern, bestimmen Sie die Creatinkinase- und Myoglobinkonzentration im Plasma und die Nierenfunktion (Kreatininkonzentration bzw. Kreatininclearance), um Nierenversagen zu erfassen.
1. Die Patientin hat die klassischen Symptome eines akuten Gichtanfalls. Sie beginnen sofort mit einer Therapie, da diese umso erfolgreicher ist, je eher sie begonnen wird. Am pragmatischsten ist der Beginn einer Therapie mit dem COX-Inhibitor Ibuprofen, die sehr wirksam und gut steuerbar ist. Die maximale Tagesdosis von Ibuprofen beträgt 2,4 g. Die Tagesdosis kann unterteilt in 0,4-, 0,6- oder 0,8-g-Tabletten gegeben werden. Ggf. muss der Patientin zusätzlich ein PPI wie Pantoprazol zur PUD-Prävention verschrieben werden. Die Therapie sollte für 5–10 Tage bis zum Abklingen der Symptome durchgeführt werden. Außerdem sollte das Gelenk hochgelagert und gekühlt werden. Alternativ zu Ibuprofen kann eine 5-tägige Therapie mit Prednisolon (30–35 mg/Tag) durch-
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geführt werden. Ein Cushing-Syndrom ist bei einer Kurzzeittherapie mit Prednisolon nicht zu erwarten. Die Gabe von Colchicin (low dose) ist eine weitere Option. 2. Sie suchen nach Gichttophi (z. B. an den Ohren) und bestimmen die Plasmaharn säurekonzentration. Außerdem suchen Sie mittels bildgebender Verfahren nach Uratablagerungen bzw. gicht typischen Erosionen. Mit ansteigender Plasmaharnsäurekonzentration steigt die Wahrscheinlichkeit eines Gichtanfalls. Nach Abklingen der akuten Symptomatik erklären Sie der Patientin auf einem angemessenen Niveau die Pathophysiologie der Gicht und stellen in Zusammenarbeit mit einer Diätassistentin die Ernährung um. Purinreiche Nahrungsmittel wie Fleisch und Innereien sollen reduziert werden, vegetarische Proteinquellen sollen integriert werden. Alkohol- und Softdrinkkonsum muss ebenfalls reduziert werden. Außerdem beginnen Sie eine Therapie mit dem XO-Inhibitor Allopurinol. Bei unzureichender Wirkung wird der URAT1-Inhibitor Benzbromaron hinzugefügt. zz Fallbeispiel zu Kapitel 24
1. Die Patientin befindet sich in der Postmenopause, da die letzte Regelblutung länger als ein Jahr zurückliegt. Als Folge der Menopause und der damit verbundenen Reduktion der Estrogenproduktion entwickelt sich nun eine altersentsprechende (physiologische) vulvovaginale Atrophie. Sie klären die Patientin darüber auf, dass es möglich ist, mit einer lokalen Estrogentherapie die Veränderungen rückgängig zu machen und damit die Qualität des Sexuallebens zu verbessern. Sie erklären der Patientin außerdem, dass bei Nichtbehandlung der Atrophie weitere Beschwerden wie unwillkürlicher Harnabgang, Juckreiz, Brennen sowie Infektionen des unteren Urogenitaltraktes auftreten können, die die Lebensqua-
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lität deutlich reduzieren können. Ferner teilen Sie der Patientin mit, dass es keine Evidenz für die Wirksamkeit von Traubensilberkerzenextrakte bei vulvovaginaler Atrophie gibt. Schließlich legen Sie dar, dass bei lokaler Estrogenbehandlung keine systemischen Effekte (z. B. erhöhtes Brustkrebsrisiko) zu erwarten sind. 2. Eine orale Hormonsubstitution käme infrage, wenn die Patientin unter starker Nervosität, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, verringerter Leistungsfähigkeit, Gedächt nisstörungen, Herzrasen, Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und Schwindel leidet. Letztlich ist der individuelle Leidensdruck ausschlaggebend, ob sich die Patientin für oder gegen eine systemische HET entscheidet. Es kann zu einer vergleichsweise geringen Erhöhung des Brustkrebsrisikos kommen. Allerdings wurde dieses Risiko in den Medien emotional überbewertet und hat zu Verunsicherung bei Frauen in der Peri- und Postmenopause geführt. Sie schlagen der Patientin vor, eine niedrig dosierte HET für ca. ein Jahr durchzuführen, um dann einen Auslassversuch zu machen. Bei nur kurzfristiger und niedrig dosierter Therapie sind HET-Risiken gering, vor allem, wenn die Patientin einen aktiven und gesunden Lebensstil pflegt (viel Bewegung, gesunde Mischkost (insbesondere ausreichende Calciumzufuhr), Meiden von Tabak sowie sehr fetten und süßen Speisen). zz Fallbeispiel zu Kapitel 25
1. Grundsätzlich müssen generalisierte Anfälle während der Schwangerschaft behandelt werden. Es bestehen ein erhöhtes Anfallsrisiko und eine entsprechend große Gefahr für die Mutter (Unfall-, Verletzungs- und Hypoxierisiko) und das ungeborene Kind (vor allem Hypoxierisiko im ZNS). Da die Patientin gut eingestellt ist, sollte sie prinzipiell mit Valproinsäure weiterbehandelt werden. Sie müssen die Patientin darüber aufklä-
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ren, dass unter Valproinsäure ein erhöhtes Risiko für embryonale Fehlbildungen (ca. 7 %) besteht. Am häufigsten sind Neuralrohrdefekte. Da die teratogenen Wirkungen von Valproinsäure dosisabhängig sind, sollte die Patientin auf die kleinstmögliche Tagesdosis von Valproinsäure in retardierter Form eingestellt werden. Zusätzlich sollte zur Prävention von Neuralrohrdefekten Folsäure substituiert werden. Ferner ist eine sehr enge gynäkologische Betreuung während der Schwangerschaft erforderlich, um möglichst frühzeitig etwaige Fehlbildungen erkennen zu können. Hier spielen Ultraschalluntersuchungen eine Schlüsselrolle. 2. Valproinsäure ist wegen seiner sehr guten antiepileptischen Wirkung (ca. 75 % aller Patientinnen sind während der Schwangerschaft anfallsfrei) Arzneistoff der ersten Wahl. Zwar haben Carbamazepin und Lamotrigin ein erniedrigtes Fehlbildungsrisiko (ca. 2–3 %), aber dafür ist auch die Anfallsfreiheit geringer (ca. 70 % unter Carbamazepin und ca. 60 % unter Lamotrigin). Dies ist gegeneinander abzuwägen, da erhöhte Anfallsfrequenz über eine Hypoxie ebenfalls schädlich wirken kann. zz Fallbeispiel zu Kapitel 26
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1. Die wahrscheinlichste Ursache für den Krampfanfall ist, dass Lidocain wegen fehlender Vasokonstriktion akzidentell in hoher Konzentration in die systemische Zirkulation gelangt ist und im ZNS inhibitorische Neurone gehemmt hat, sodass als Resultat Erregung mit Krampfanfall entstand. Diese Komplikation wäre vermeidbar gewesen, wenn dem SCB EPI zugesetzt worden wäre. EPI hätte auch die Übersicht im Operationsgebiet verbessert. 2. Ein Antidot für SCB mit lokalanästhetischer Wirkung gibt es nicht. Oberstes Gebot ist es, die Atemwege freizuhalten und den Patienten durch geeignete
Lagerung vor Verletzungen zu schützen. Die Beatmung mit einer O2-Sonde in der Nase ist ebenfalls sinnvoll. Zur Unterdrückung des Krampfanfalls kann Diazepam rektal oder i.v. appliziert werden. Der Krampfanfall sollte selbstlimitierend sein, da Lidocain rasch abdiffundiert und in der Leber inaktiviert wird. Sicherheitshalber könnte der Patient nach dem Krampfanfall neurologisch untersucht werden, um auszuschließen, dass keine Grunderkrankung vorliegt, die Krampfanfälle begünstigt. zz Fallbeispiel zu Kapitel 27
1. Offenbar hat die Patientin eine anterograde Amnesie erlitten. Am wahrscheinlichsten ist die anterograde Amnesie auf die Gabe von Midazolam zurückzuführen, welches sehr häufig Bestandteil von Narkosen ist. 2. Entscheidend ist die Aufklärung darüber, dass im Rahmen der Gabe von Midazolam eine anterograde Amnesie auftreten kann. Um Anschuldigungen zu begegnen, dass in der Zeit der anterograden Amnesie sexueller Missbrauch stattgefunden hätte, ist es sehr wichtig, stets eine weitere Person (Krankenschwester, Operationsassistenz) im Raum dabeizuhaben. Schließlich gehört die Dokumentation des Aufklärungsgespräches sowie des Operationsablaufes zur proaktiven Verhinderung von Anschuldigungen. zz Fallbeispiel zu Kapitel 28
1. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten zu Beginn einer Therapie mit NE/5-HT-Verstärkern, bei Verschlechterung der Depression und/oder unzureichender Dosierung des Arzneistoffs Suizidversuche, z. B. mit den verschriebenen Arzneistoffen, begehen. Die Patientin zeigt Symptome, die auf Antagonismus an H1R (Sedation), α1AR (Hypotonie mit reflektorischer Tachykardie) sowie MxR (Tachykardie,
541 Antworten zu den Fallbeispielen
weite Pupillen, heiße trockene Haut, fehlende Darmgeräusche, palpatorisch große gefüllte Harnblase) zurückzuführen sind. Am ehesten entspricht die Symptomatik einer Intoxikation mit dem NSMRI Amitriptylin. Therapeutisch kann eine primäre Giftelimination (Magenspülung in Intubationsnarkose und Gabe von Aktivkohle oder sekundäre Giftelimination (nur Gabe von Aktivkohle, Plasmapherese)) versucht werden. Tablettenreste bzw. Blut- und Urinproben werden dann auf den Nachweis von Amitriptylin untersucht. Eine erhöhte Plasmakonzentration von Amitriptylin sichert die Diagnose. Auf Bilanzierung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes ist zu achten. 2. Wichtig ist eine engmaschige ärztliche Überwachung, um suizidale Tendenzen rechtzeitig zu er kennen. Grundsätzlich müssen alle Suizidgedanken ernst genommen werden. Bei großer Suizidgefahr muss Einweisung in eine psychiatrische Klinik erfolgen. Ferner ist zu überlegen, ob die Dosis des Arzneistoffs ausreichend ist oder erhöht werden muss. Bei ambulanter Betreuung der Patientin sind die Angehörigen mit einzubeziehen. Entscheidend ist, dass die Patientin keinen unkontrollierten Zugang zu NE/5-HT-Verstärkern hat. Tabletten sollten unter Aufsicht eingenommen werden, und es sollten der Patientin keinesfalls „ökonomisch vorteilhafte“ Großpackungen von NE/5-HT-Verstärkern in die Hand gegeben werden. zz Fallbeispiel zu Kapitel 29
1. Wahrscheinlich liegt eine akute Schizophrenie vor. Insgesamt dominieren Plussymptome, aber wegen der Schwierigkeiten bei der Anamneseerhebung kann nicht beurteilt werden, inwiefern auch Negativsymptome vorliegen. In Anbe-
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tracht der Schwere des Krankheitsbildes und der nicht auszuschließenden Suizidgefahr nehmen Sie Patientin stationär auf. Sie beginnen eine Therapie mit einem D2R-mGPCR-Antagonisten wie Haloperidol (zunächst Tropfen, dann Tabletten). Dieser Arzneistoff sollte rasch (innerhalb von Minuten) die Positiv symptome bessern. Sie sollten i.v.-Gabe von Haloperidol vermeiden, weil lebensbedrohliche TdP auftreten können. 2. Man sollte versuchen, Haloperidol so niedrig wie möglich zu dosieren, um einen guten und mit dem Patienten ausgehandelten Kompromiss zwischen antipsychotischer Wirkung und UAW zu erzielen. Eine hohe Therapieakzeptanz des Patienten für Haloperidol ist wichtig, um eine gute Adhärenz zu gewährleisten. Anderenfalls droht ein Wiederaufflackern der Psychose. Als UAW können EPMS auftreten. In diesem Falle muss eine Dosisreduktion oder Umstellung auf einen p-mGPCR- Antagonisten erwogen werden. Außerdem kann eine orthostatische Dysregulation auftreten. zz Fallbeispiel zu Kapitel 30
1. Es liegt ein Offenwinkelglaukom des linken Auges vor. Das Offenwinkelglaukom ist die häufigste Glaukomform. Entscheidend für die Diagnose sind der fundoskopische und perimetrische Befund. Der IOD ist zwar noch im „Normbereich“, aber auch bei einem im Normbereich liegenden IOD kann ein Glaukom vorliegen. Ein Fortschreiten des Glaukoms kann verhindert werden, wenn der IOD um ca. 30–50 % gesenkt wird. Im konkreten Fall sollten IOD-Werte von 10– 14 mmHg angestrebt werden. Zunächst beginnen Sie eine Therapie mit einem FPR-Agonisten wie Latanoprost und kontrollieren den IOD regelmäßig. Latanoprost wird einmal täglich (abends) lokal in das Auge appliziert und wirkt bei den meisten Patienten gut. Latanoprost besitzt keine systemischen UAW. Es ist
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
wichtig, den Patienten darüber aufzuklären, dass nur eine konsequente Therapie einen weiteren Verlust der Sehfähigkeit vermeiden kann. Ebenso bedeutsam ist es zur Erhaltung der Adfärenz die möglichen lokalen UAW von Latanoprost am Auge zu besprechen. 2. Falls sich der IOD nicht ausreichend senken lässt, kann man eine Kombinations therapie aus FPR-Agonist + βxARAntagonist (Timolol) durchführen. Es gibt fixe Arzneistoffkombinationen, die die Anwendung erleichtern und somit die für den Therapieerfolg entscheidende Adhärenz. Durch zusätzliche Gabe eines βxAR-Antagonisten lässt sich der IOD um weitere 20 % senken. Sollte diese Therapie noch immer nicht ausreichen, können zusätzlich CAH-Inhibitoren wie Brinzolamid sowie α2AR-Agonisten wie Brimonidin integriert werden. zz Fallbeispiel zu Kapitel 31
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1. Die Kombination von Fieber und Neutropenie ist Hinweis darauf, dass der Patient einen bakteriellen Infekt hat. Sie versuchen die Infektursache auszumachen. Sie entnehmen Blut zum Anlegen von Blutkulturen, um den Erreger zu identifizieren und fertigen ein Anti bakteriogramm an. 2. Um die Neutropenie zu beheben, sollte G-CSF gegeben werden. G-CSF fördert die Reifung neutrophiler Granulozyten im Knochenmark, die Freisetzung neutrophiler Granulozyten und verbessert die Funktion zirkulierenden neutrophiler Granulozyten. Dadurch sollte sich die Neutropenie beseitigen lassen und die Infektabwehr verbessern. Wenn der Zustand des Patienten schlecht ist, sollte schon vor dem Vorliegen eines Antibakteriogramms eine antibakterielle Therapie begonnen werden, die auf den vermuteten Erreger abzielt. Ist die akute Situation überwunden, so muss die Zytostatikatherapie noch einmal durchdacht werden. Infrage kommt
eine Modifikation der Zytostatikagabe, weitere Gabe von G-CSF oder aber das Umsteigen auf zielgerichtete Arzneistoffe, die kein Risiko für Neutropenien beinhalten. Kandidaten sind VEGF-Inhibitoren. zz Fallbeispiel zu Kapitel 32
1. Die Anamnese ist typisch für das Vorliegen einer Borreliose. In Kärnten sind mit Borrelia burgdorferi infizierte Zecken häufig. Zecken übertragen das Bakterium durch Biss auf den Menschen. Häufig (wie in diesem Fall) hat der Patient den Zeckenbiss gar nicht bemerkt. Dann geben lediglich Angaben zu Aktivitäten in der Natur Hinweise auf einen Zeckenbiss. Der Patient hat eindeutig ein Erythema migrans, das für Borreliose pathognomonisch ist. Basierend auf diesem Befund muss sofort mit einer antibakteriellen Therapie begonnen werden. Zusätzlich können Sie Labordiagnostik durchführen, die aber nicht immer eindeutig ist. Arzneistoff der Wahl ist Doxycyclin, das über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen oral verabreicht wird. Die wichtigsten Kontra indikationen (Schwangerschaft, Stillzeit, Alter < 8 Jahre) treffen auf den Patienten nicht zu. Sie befragen den Patienten, ob eine Tetrazyklinallergie bekannt ist. Als Folge der Tetrazyklintherapie kann es zu einer Störung der GI-Flora mit Diarrhoe kommen. Außerdem müssen Sie den Patienten darüber aufklären, dass er während der Therapie direkte Sonneneinstrahlung zu meiden hat (zusätzlich Sonnenhut, lange Hemden, lange Hosenbeine), da es zu fototoxischen Reaktionen kommen kann. Als Alternative zu Doxycyclin können Amoxicillin oder Cefuroximaxetil verschrieben werden, wenn eine Tetrazyklinallergie vorliegt oder eine Sonnenexposition (z. B. wegen Berufstätigkeit) nicht vermieden werden kann. 2. Wird eine Borreliose nicht im Frühstadium erkannt und behandelt, kann es zu
543 Antworten zu den Fallbeispielen
Neuroborreliose kommen, später auch zu Gelenkbefall und Karditis. In diesen Fällen ist stationäre Aufnahme und eine 3–4-wöchige Therapie mit einem i.v. verabreichten Cephalosporin der 3. Generation (z. B. Ceftriaxon) erforderlich. zz Fallbeispiel zu Kapitel 33
1. Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Herpes zoster im Bereich der Interkostalnerven. Die Beschwerden, der klinische Befund und die Anamnese (Aktivierung des Zosters durch Stress) sind so typisch, dass eine weitergehende Diagnostik nicht erforderlich ist. Sie beginnen sofort eine Therapie mit Aciclovir (5 × 800 mg/Tag über 7 Tage). Sie klären die Patientin darüber auf, dass eine konsequente Therapie entscheidend dafür ist, die Infektion rasch zum Abheilen zu bringen, die akuten Beschwerden zu lindern und die Entstehung einer postherpetischen Neuralgie zu verhindern. Zur Linderung der Schmerzen verschreiben Sie der Patientin außerdem Ibuprofen (z. B. 4 × 400–600 mg/Tag). Die Patientin soll Kontakt mit Schwangeren meiden und während der akuten Zostererkrankung nicht schwanger werden. Bei ansonsten gesunden Patienten ist Aciclovir in aller Regel gut verträglich. Sie klären die Patientin über mögliche UAW von Aciclovir und Ibuprofen auf. Am ehesten sind GI-Symptome zu erwarten. Die Patientin soll während der akuten Erkrankung Stress vermeiden und sofort zu Ihnen kommen, falls die Symptome an der erkrankten Stelle schlimmer werden oder falls neue Symptome auftreten. Eine Zoster generalisierung ist unbedingt zu vermeiden. Diese Komplikation ist aber eher unwahrscheinlich, da die Aciclovirdosierung ausreichend ist und offensichtlich keine Immunsuppression vorliegt. Die Patientin soll ausreichend
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trinken, um einer Aciclovirkristallisation in der Niere entgegenzuwirken. 2. Ein Zoster generalisatus ist lebensbedrohlich und kann nicht ambulant behandelt werden. Die Patientin wird sofort in eine neurologische oder internistische Klinik überwiesen (je nachdem, welche Symptome vorliegen) und hochdosiert i.v. mit Aciclovir behandelt. Eine Überwachung der Nierenfunktion ist angezeigt, da Aciclovir renal eliminiert wird und in den ableitenden Harnwegen kristallisieren kann. Bei starken Schmerzen muss eine Schmerztherapie entsprechend dem WHO-Schema begonnen werden, die auch MOR-Agonisten und schmerzmodulierende Arzneistoffe integriert. Ferner muss geklärt werden, ob ein bisher nicht erkannter Immundefekt zu der Verschlimmerung geführt hat. zz Fallbeispiel zu Kapitel 34
1. Basierend auf der Anamnese und dem körperlichen Befund handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Vulvovaginalmykose durch Candida albicans als Folge einer Störung der Scheidenflora nach antibakterieller Therapie. Zur Dia gnosesicherung führen sie einen Vaginalabstrich durch und untersuchen den Abstrich mikroskopisch, um den Erreger darzustellen. Außerdem bestimmen Sie mit einem Indikatorstreifen den pHWert des Vaginalsekretes, der 4,2 beträgt (Normbereich pH 4,0–4,4). Zusätzliche Gabe von Döderlein-Bakterien ist nicht erforderlich. Da die Mykose erstmalig aufgetreten ist, ist weitergehende Dia gnostik zunächst nicht erforderlich. Sie verordnen der Patientin eine Eintagestherapie mit einem Triazol als Vaginalzäpfchen und Creme. Damit sollten die Symptome beseitigt werden. Sie können die Patientin dahingehend beruhigen, dass Lokaltherapie mit einem Triazol auch in der Schwangerschaft ungefährlich ist. Außerdem nutzen Sie die Gele-
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Kapitel 37 · Antworten zu den Fallbeispielen
genheit des Praxisbesuches, die Patientin auf intimhygienische Maßnahmen (z. B. Verzicht auf Intimsprays, Vermeidung des direkten Kontaktes der Vagina
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mit Waschlotionen, Tragen atmungsaktiver Unterwäsche; Vermeidung feuchter Kammern) hinzuweisen, die erneuten Candidamykosen entgegenwirken.
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Serviceteil NKLM/IMPP-Arzneistoffliste – 546 Fragen und Antworten rund um die NKLM/IMPPArzneistoffliste – 568 Stichwortverzeichnis – 573
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 R. Seifert, Basiswissen Pharmakologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60504-2
546 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Adrenerges System
α1-Adrenozeptor/ βx-AdrenozeptorAntagonisten (α1AR/βxAR-Antagonisten) α1-Adrenozeptor-Agonisten (α1AR-Agonisten) α1-AdrenozeptorAntagonisten (α1AR-Antagonisten)
Gemischte (duale) Alpha- und Betablocker, Antihypertensiva (Blutdrucksenker), Antiadrenergika, Sympatholytika Alphamimetika, Alphasympatho mimetika, Schnupfenmittel Alphablocker, Antiadrenergika, Sympatholytika, Prostatamittel Alphablocker, Antiadrenergika, Sympatholytika, Antihypertensiva Sympatholytika, Sympathomimetika, Antihypertensiva Sympatholytika, Sympathomimetika, Glaukommittel, Antisympathotonika Sympatholytika, Sympathomimetika, Antihypertensiva, Antisympathotonika Sympatholytika, Sympathomimetika, Antidepressiva
Carvedilol
Sympathomimetika, Katecholamine, Adrenergika
Adrenalin (Epinephrin, EPI) Dobutamin
α2-Adrenozeptor-Agonisten (α2AR-Agonisten)
α2-AdrenozeptorAntagonisten (α2AR-Antagonisten) αx-Adrenozeptor/ βx-Adrenozeptor-Agonisten (αxAR/βxAR-Agonisten)
Sympathomimetika, Katecholamine, Adrenergika Sympathomimetika, Katecholamine, Adrenergika β1-AdrenozeptorAntagonisten (β1AR-Antagonisten)
β2-Adrenozeptor-Agonisten (β2AR-Agonisten)
βx-AdrenozeptorAntagonisten (βxAR-Antagonisten)
Kardioselektive Betablocker, Antihypertensiva, Betasympatholytika Kardioselektive Betablocker, Antihypertensiva, Betasympatholytika, Klasse-II-Antiarrhythmika nach Vaughan-Williams Betasympathomimetika, Betamimetika, Bronchospasmolytika Betasympathomimetika, Betamimetika, Bronchospasmolytika Betasympathomimetika, Betamimetika, Bronchospasmolytika Nicht-selektive Betablocker, Beta sympatholytika, Antiadrenergika Nicht-selektive Betablocker, nicht- kardioselektive Betablocker, Betablocker, Glaukommittel, Betasympatholytika, Antiadrenergika
Xylometazolin Tamsulosin Urapidil α-Methyldopa (Methyldopa) Brimonidin Clonidin Mirtazapin
Noradrenalin (Norepinephrin, NE) Bisoprolol Metoprolol
Fenoterol Formoterol Salbutamol (Albuterol; USA, GB) Propranolol Timolol
547 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Anti bakterielle Wirkung
Acylaminopenicilline + β-Laktamase-Inhibitoren
Breitspektrum- oder Breitbandantibiotika, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Piperacillin + Tazobactam
Aminoglykoside
Aminoglykosidantibiotika, Chemo therapeutika
Gentamicin
Aminoglykosidantibiotika, Chemo therapeutika
Tobramycin
Aminopenicilline
Breitbandantibiotika, Breitband penicilline, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Amoxicillin
Aminopenicilline + β-Laktamase-Inhibitoren
Breitbandantibiotika, Breitband penicilline, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Amoxicillin + Clavulansäure
Ansamycine
Antituberkulotika, Tuberkulostatika, Tuberkulosemittel, Antibiotika, Chemotherapeutika
Rifampicin (RMP)
Benzylpenicilline
Basis-Penicilline, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Penicillin G
Carbapeneme
β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Meropenem
Cephalosporine, 1. Generation
Basis-Cephalosporine, klassische Cephalosporine, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Cefazolin
Cephalosporine, 2. Generation
Basis-Cephalosporine, β-LaktamAntibiotika, Übergangs-Cephalo sporine, Chemotherapeutika
Cefaclor
Intermediär-Cephalosporine, Übergangs-Cephalosporine, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Cefuroximaxetil
Breitspektrum-Cephalosporine, Cefotaxim-Gruppe, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Cefotaxim
Breitspektrum-Cephalosporine, Cefotaxim-Gruppe, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Ceftazidim
Breitspektrum-Cephalosporine, Cefotaxim-Gruppe, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Ceftriaxon
Cephalosporine, 4. Generation
Breitbandantibiotika, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Cefepim
Cephalosporine, 5. Generation
Breitbandantibiotika, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Ceftobiprol
Cephalosporine, 3. Generation
548 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Anti bakterielle Wirkung (Fortsetzung)
Dibutanol-Derivate
Antituberkulotika, Tuberkulostatika, Tuberkulosemittel, Chemotherapeutika
Ethambutol (EMB)
Dihydrofolsäure-Reduktase(DHFR)-Inhibitoren
Chemotherapeutika, Bactrim®
Trimethoprim (TMP)
Dihydrofolsäure-Reduktase(DHFR)-Inhibitoren + Sulfonamide
Chemotherapeutika, Cotrimoxazol, „Cotrim“, Bactrim forte®
Trimethoprim (TMP) + Sulfamethoxazol
Epoxide
Chemotherapeutika, Epoxid- Antibiotika, Antibiotika
Fosfomycin
Fluorchinolone
Breitbandantibiotika, Gyrasehemmer, Chemotherapeutika
Ciprofloxacin
Breitbandantibiotika, Gyrasehemmer, Chemotherapeutika
Levofloxacin
Breitbandantibiotika, Gyrasehemmer, Chemotherapeutika
Moxifloxacin
Glycylcycline
Reserveantibiotika, Chemotherapeutika
Tigecyclin
Glycopeptide
Reserveantibiotika, Chemotherapeutika
Teicoplanin
Reserveantibiotika, Chemotherapeutika
Vancomycin
Isoxazolyl-Penicilline
Staphylokokken-Penicilline, Penicillinase-stabile Penicilline, β-Laktam-Antibiotika, Chemotherapeutika
Flucloxacillin
Lincosamide
Breitbandantibiotika, Chemotherapeutika
Clindamycin
Lipopeptide
Reserve-Antibiotika, Chemotherapeutika
Daptomycin
Makrolide
Makrolidantibiotika, Breitband antibiotika, Chemotherapeutika
Azithromycin
Makrolidantibiotika, Breitband antibiotika, Chemotherapeutika
Clarithromycin
Nikotinamid-Derivate
Antituberkulotika, Tuberkulostatika, Tuberkulosemittel, Chemotherapeutika
Pyrazinamid (PZA)
Nikotinsäure-Derivate
Antituberkulotika, Tuberkulostatika, Tuberkulosemittel, Chemotherapeutika
Isoniazid (INH)
Nitrofuran-Derivate
Harnwegsdesinfektionsmittel, Chemotherapeutika
Nitrofurantoin
Nitroimidazole
Anaerobiermittel, Chemotherapeutika
Metronidazol
Oralpenicilline
Säure-stabile Penicilline, β-LaktamAntibiotika, Chemotherapeutika
Penicillin V
Tetrazykline
Breitbandantibiotika, Chemotherapeutika
Doxycyclin
549 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Anti mykotische Wirkung
Allylamine
Antimykotika, Pilzmittel, Chemotherapeutika
Terbinafin
Echinocandine
Antimykotika, Pilzmittel, Chemotherapeutika
Caspofungin
Polyene
Antimykotika, Pilzmittel, Chemotherapeutika
Amphotericin B
Triazole
Antimykotika, Pilzmittel, Chemotherapeutia
Fluconazol
Antimykotika, Pilzmittel, Chemotherapeutika
Voriconazol
Dihydrofolsäure-Reduktase(DHFR)-Inhibitoren)
Malariamittel, Antiprotozoika, Chemoprophylaktika, Chemotherapeutika
Proguanil
GABAA-RezeptorAktivatoren (GABAAR- Aktivatoren)
Wurmmittel, Antihelminthika, Ektoparasitika, Chemotherapeutika
Ivermectin
Inhibitoren des HaeminAbbaus
Malariamittel, Antiprotozoika, Chemotherapeutika
Lumefantrin
Mikrotubuli-Inhibitoren
Wurmmittel, Antihelminthika, Chemotherapeutika
Mebendazol
Natriumkanal-Aktivatoren
Parasitenmittel, Antiparasitka, externe Antiparasitika, Repellents, Holzschutzmittel
Permethrin
Radikalbildner
Malariamittel, Antiprotozoika, Chemotherapeutika
Artemether
Reduktoren der Oberflächenspannung
Entschäumer, Karminativa, Lausmittel, Pedikulozide, Gleitbeschichtung für Kondome
Dimeticon
Ubichinon-Analoga
Malariamittel, Chemotherapeutika, Antiprotozoika, Malorone®
Atovaquon
Anti parasitäre Wirkung
550 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Antivirale Wirkung
DNA-Polymerase- Inhibitoren
Virostatika, Virustatika, Antiherpetika, Herpesvirusmittel, Chemotherapeutika
Aciclovir
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika
Ganciclovir
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika
Elvitegravir
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika
Raltegravir
Neuraminidase-Inhibitoren
Virostatika, Virustatika, Grippeschutzmittel
Oseltamivir
Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase- Inhibitoren (NNRTI)
Virostatika oder Virustatika, HIV-Mittel, AIDS-Mittel, antiretrovirale Mittel
Efavirenz
Virostatika, Virustatika, HIV-Mittel, AIDS-Mittel, Chemotherapeutika, antiretrovirale Mittel
Nevirapin
Nukleosidische/nukleotidische Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)
Virostatika, Virustatika, HIV-Mittel, AIDS-Mittel, Chemotherapeutika, antiretrovirale Mittel
Emtricitabin
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, HIV-Mittel, AIDS-Mittel, antiretrovirale Mittel
Tenofovir
NS5A-Inhibitoren
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, Hepatitis C-Mittel
Ledipasvir
NS5B-Inhibitoren
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, Hepatitis C-Mittel
Sofosbuvir
Protease-Inhibitoren (PI)
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, HIV-Mittel, AIDS-Mittel
Atazanavir
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, Hepatitis C-Mittel
Simeprevir
RNA-Polymerase- Inhibitoren
Ebolamedikament
Remdesivir
RNA-Polymerase- Inhibitoren
Virostatika, Virustatika, Chemotherapeutika, Hepatitis C-Mittel
Ribavirin
Integrase-Inhibitoren (INI)
551 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Blut gerinnung
Faktor-Xa-Inhibitoren
Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) oder direkte Antikoagulazien (DOAK)
Rivaroxaban
Gewebeplasminogen- Aktivatoren
Fibrinolytika
Alteplase
Heparin-Neutralisatoren
Antidote
Protamin
Heparinoide
Blutverdünner
Fondaparinux
Calciumund Knochen- stoffwechsel
Neutralisatoren von Faktor-Xa-Inhibitoren
Andexanet
Neutralisatoren von Thrombin-Inhibitoren
Idarucizumab
Niedermolekulare Heparine (NMH)
Blutverdünner
Enoxaparin
P2Y12-ADP-Rezeptor- Antagonisten (P2Y12R-Antagonisten)
Thrombozytenaggregationshemmer
Clopidogrel
Thrombin-Inhibitoren
Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) oder direkte Antikoagulazien (DOAK)
Dabigatran
Unfraktionierte Heparine (UFH)
Blutverdünner
Heparin
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Kumarine, Marcumar®
Phenprocoumon
Allosterische Modulatoren des Calcium-sensitiven Rezeptors (Allosterische CaSR-Modulatoren)
Calcimimetika
Cinacalcet
Bisphosphonate
Antiosteoporotika, Osteoporosemittel
Alendronat
Calciumfreisetzungs- Inhibitoren
Antidote, Gegengifte, Muskelrelaxanzien
Dantrolen
RANKL-Inhibitoren
Antiosteoporotika, Osteoporosemittel
Denosumab
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 552
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Cholinerges System
Acetylcholinfreisetzungs- Inhibitoren (ACh-Freisetzungs- Inhibitoren)
Muskelrelaxanzien, „Botox“
Botulinum- Neurotoxin
Acetylcholinesterase-Inhibitoren (AChE-Inhibitoren)
Indirekte Parasympathomimetika
Pyridostigmin
Muskarinische M3Acetylcholinrezeptor- Antagonisten (M3R-Antagonisten)
Inhalative Parasympatholytika, inhalative Asthmamittel (Antiasthmatika), Antimuskarinergika
Ipratropium
Inhalative Parasympatholytika, inhalative Asthmamittel (Antiasthmatika), Antimuskarinergika
Tiotropium
Muskarinische MxAcetylcholinrezeptor- Agonisten (MxR-Agonisten)
Direkte Parasympathomimetika, Glaukommittel, Cholinergika, Muskarinergika
Pilocarpin
Muskarinische MxAcetylcholinrezeptor- Antagonisten (MxR-Antagonisten)
Parasympatholytika, Atropinartige Substanzen, Tollkirschengift, Antimuskarinergika
Atropin
Parasympatholytika, (Anti)-Parkinsonmittel, Antimuskarinergika
Biperiden
Spasmolytika, Buscopan®, Antimuskarinergika
Butylscopolamin
Parasympatholytika, Antivertiginosa, Antiemetika, Antimuskarinergika
Scopolamin
Nikotinische Acetylcholinrezeptor-Antagonisten (nAChR-Antagonisten)
Hyperpolarisierende (nicht-depolarisierende) Muskelrelaxanzien
Rocuronium
Nikotinische Acetylcholinrezeptor-Agonisten (nAChR-Agonisten)
Depolarisierende Muskelrelaxanzien, „Suxa“
Suxamethonium
553 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Dopamin erges System
Catecholamin-O-Methyltransferase-Inhibitoren (COMT-Inhibitoren)
(Anti-)Parkinsonmittel
Entacapon
Dopamin-D2-Rezeptor- Antagonisten (D2R-Antagonisten)
Antiemetika, Prokinetika
Domperidon
Antiemetika, Prokinetika
Metoclopramid
Dopamin-Dx-Rezeptor- Agonisten (DxR-Agonisten)
Katecholamine
Dopamin
(Anti-)Parkinsonmittel
Pramipexol
Dopamin-Prodrugs + DopadecarboxylaseInhibitoren
(Anti-)Parkinsonmittel
Levodopa + Benserazid
Indirekte Dopamimetika (Stimulatoren der vesikulären DA-Freisetzung; Methylphenidat zusätzlich Inhibitor der DA-Wiederaufnahme)
(Anti-)Parkinsonmittel
Amantadin
Psychopharmaka, ADHS-Mittel, Stimulanzien, Hirndoping-Mittel, Aufputschmittel, indirekte Sympathomimetika, Ritalin®, Psychostimulanzien
Methylphenidat
(Anti-)Parkinsonmittel
Rasagilin
Monoaminoxidase-B- Inhibitoren (MAO-B-Inhibitoren)
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 554
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Eicosanoidsystem
Cyclooxygenase-2Inhibitoren (COX-2Inhibitoren)
Coxibe, häufig auch unter NSAID oder NSAR subsummiert, Nicht-Opioid- Analgetika, Nicht-Opioide, Arcoxia®
Etoricoxib
Nicht-selektive Cyclooxygenase-Inhibitoren (COX-Inhibitoren)
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), Nicht-Opioid-Analgetika, NichtOpioide, saure Nicht-Opioid- Analgetika, Antiphlogistika
Diclofenac
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), Nicht-Opioid-Analgetika, NichtOpioide, saure Nicht-Opioid- Analgetika, „Ibu“, Antiphlogistika
Ibuprofen
Prostaglandin-FRezeptor-Agonisten (FPR-Agonisten)
Prostaglandin-Analoga (PGA), Prostaglandine, Glaukommittel
Latanoprost
Irreversible Cyclooxygenase- Inhibitoren (Irreversible COX- Inhibitoren)
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID); Thrombozytenaggregationshemmer; Painkiller, Schmerzmittel, Kopfschmerztabletten. Nicht-OpioidAnalgetika, Nicht-Opioide, Aspirin®, saure Nicht-Opioid-Analgetika
Acetylsalicylsäure (ASS)
Leukotrien-RezeptorAntagonisten (LTR-Antagonisten)
Leukotrienblocker, Asthmamittel, Lukaste, Antiasthmatika
Montelukast
Cannabinoid-CB1- Rezeptor-Agonisten (CB1R-Agonisten)
Cannabinoide, Antiemetika, Cannabis
Dronabinol (THC, Tetrahydro cannabinol)
Endocannabinoidsystem
555 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
GABAerges System
Barbiturate
Antiepileptika, Antikonvulsiva, Hypnotika, Sedativa
Phenobarbital
Injektionsnarkotika, Narkotika
Thiopental
„Benzos“, Psychopharmaka, Anxiolytika, Hypnotika, Antikonvulsiva, Tranquilizer, Valium®
Diazepam
Benzodiazepin-Antagonisten, Antidote
Flumazenil (Antagonist; Antidot für andere Benzodiazepine)
„Benzos“, Psychopharmaka, Anxiolytika, Hypnotika, Sedativa, Antikonvulsiva, Tranquilizer, Tavor®
Lorazepam
„Benzos“, Psychopharmaka, Anxiolytika, Sedativa, Narkosemittel, Narkotika, Hypnotika
Midazolam
„Benzos“, Einschlafmittel, Hypnotika, Sedativa
Triazolam
Diisopropylphenole
Injektionsnarkotika, Narkotika
Propofol
Phenylethylimidazole
Injektionsnarkotika, Narkotika
Etomidat
Z-Substanzen
Einschlafmittel, Hypnotika, Sedativa, Tranquilizer
Zopiclon
Glucosestoffwechsel
Monosaccharide
„Zucker“, Traubenzucker
Glucose
SGLT-2-Inhibitoren
Gliflozine, orale Antidiabetika
Empagliflozin
Glutamat erges System
Allosterische N-MethylD-Aspartat-RezeptorModulatoren (Allosterische NMDAR-Modulatoren)
Injektionsnarkotika, Narkotika, Analgetika, Anästhetika, Dissoziativa
Ketamin
Glutamatfreisetzungs- Inhibitoren
Antiepileptika, Antikonvulsiva, neuere Antiepileptika
Levetiracetam
Antiepileptika, Antikonvulsiva, neuere Antiepileptika
Topiramat
Benzodiazepine
556 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Histamin erges System
Histamin-H1-Rezeptor- Antagonisten (H1R-Antagonisten), 1. Generation
Antihistaminika, H1-Antihistaminika, Antiallergika, Antiemetika, Histaminrezeptorblocker, Antivertiginosa
Clemastin
Antihistaminika, H1-Antihistaminika, Antiallergika, Antiemetika, Histaminrezeptorblocker, Antivertiginosa
Diphenhydramin
Histamin-H1-Rezeptor- Antagonisten (H1R-Antagonisten), 2. Generation
Antihistaminika, neue Antihistaminika, Antiallergika, Histaminrezeptorblocker, wenig sedierende H1-Antihistaminika
Cetirizin
Histamin-H2-Rezeptor- Antagonisten (H2R-Antagonisten)
H2-Blocker, H2-Antagonisten, 2-Antihistaminika, Säureblocker, H Ulkusmittel
Ranitidin
557 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Immun system
Calcineurin-Inhibitoren
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Immunsuppressiva, selektive Immunsuppressiva
Ciclosporin
Immunsuppressiva, selektive Immunsuppressiva
Tacrolimus
CD20-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Rituximab
CD25-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Basiliximab
CD3-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Muromonab
CD52-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Alemtuzumab
CD80/86-CD28- Interaktions-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Abatacept
Dihydroorotat- Basistherapeutika, disease-modifying Dehydrogenase-Inhibitoren antirheumatic drugs (DMARD), synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Leflunomid
Glucocorticoid rezeptor-Agonisten (GCR-Agonisten)
Budesonid
Steroide, Cortison, Corticosteroide; ICS, inhalierbare Corticosteroide
Steroide, „Cortison oder C orticosteroide“ Dexamethason „Dexa“ Steroide, Cortison, Corticosteroide; ICS, inhalierbare Corticosteroide
Fluticason
Steroide, Corticosteroide, Cortison
Prednisolon
IgE-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), Mastzellblocker
Omalizumab
IL-1-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Canakinumab
IL-12/23-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Ustekinumab
IL-1R-Antagonisten
Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Anakinra
IL-5-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Mepolizumab
IL-6-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Tocilizumab
Inosinmonophosphat- Immunsppressiva, zytotoxische Dehydrogenase-Inhibitoren Immunsuppressiva
Mycophenolat-Mofetil
Integrin-α4-Inhibitoren
Biologicals (Biologika)
Natalizumab
Interferone
Biologicals (Biologika)
Interferon-β
Biologicals (Biologika)
Peginterferon α-2a
Immunsuppressiva, selektive Immunsuppressiva
Everolimus
mTOR-Inhibitoren
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 558
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Immun system (Fortsetzung)
Pleiotrope Immun modulatoren
Basistherapeutika, disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD)
5-Aminosalicylsäure (5-ASA, Mesalazin)
Basistherapeutika, disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD)
Dimethylfumarat
Basistherapeutika, disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD)
Glatirameracetat
Basistherapeutika, disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD), synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika, Malariamedikament
Hydroxy chloroquin
Basistherapeutika, disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD), synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika, Malariamedikament
Sulfasalazin
Retinsäurerezeptor- Agonisten (RAR-Agonisten)
Retinoide, Vitamin A-Abkömmlinge, nicht-aromatische Retinoide, Aknemittel
Isotretinoin
Sphingosin-1-Phosphat- Rezeptor-Agonisten (S1P1R-Agonisten)
Immunsuppressiva
Fingolimod
Tumornekrosefaktor- Inhibitoren (TNF-Inhibitoren)
TNF-Blocker, Anti-TNF-Medikamente, Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Adalimumab
TNF-Blocker, Anti-TNF-Medikamente, Biologicals (Biologika), biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Etanercept
559 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Ionenkanäle
Calciumkanal-Blocker (CCB)
Calcium-Antagonisten, Antihypertensiva, Vasodilatatoren
Amlodipin
Antiepileptika, Antikonvulsiva
Ethosuximid
Antiepileptika, Antikonvulsiva, neuere Antiepileptika
Pregabalin
Calcium-Antagonisten, Antiarrhythmika, Klasse-IV- Antiarrhythmika nach Vaughan- Williams
Verapamil
HCN4-Kanal-Blocker
Neue Antiarrhythmika
Ivabradin
Kaliumkanal-Blocker (PCB, P steht für potassium)
Orale Antidiabetika, Sulfonylharnstoffe
Glibenclamid
Natriumkanal-Blocker (SCB, S steht für sodium)
Lokalanästhetika, Amid-Typ- Lokalanästhetika
Bupivacain
Antiepileptika, Antikonvulsiva, traditionelle Antiepileptika
Carbamazepin
Klasse-Ic-Antiarrhythmika nach Vaughan-Williams
Flecainid
Antiepileptika, Antikonvulsivav, neuere Antiepileptika
Lamotrigin
Lokalanästhetika oder Klasse-Ib-Antiarrhythmika nach Vaughan-Williams, Amid-Typ-Lokalanästhetika
Lidocain
Antiepileptika, Antikonvulsiva, Antiarrhythmika, traditionelle Antiepileptika
Phenytoin
Antiepileptika, Antikonvulsiva oder Stimmungsstabilisatoren (Mood Stabilizer), traditionelle Antiepileptika
Valproinsäure
Klasse-III-Antiarrhythmika nach Vaughan-Williams
Amiodaron
Pleiotrope Ionenkanal- Blocker
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 560
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Klassische Zytostase
Alkylanzien
Zytostatika, Chemotherapeutika, Basistherapeutika (in niedriger Dosierung), Onkologika
Cyclo phosphamid
Zytostatika, Chemotherapeutika, Onkologika
Temozolomid
Zytostatika, Chemotherapeutika, Onkologika, Anthrazykline
Bleomycin
Zytostatika, Chemotherapeutika, Onkologika, Anthrazykline
Doxorubicin
Folsäure-Analoga
Zytostatika, Chemotherapeutika, Basistherapeutika (in niedriger Dosierung), Antimetabolite, DHFR-Hemmer (nur in hoher Dosierung), Onkologika, Antimetabolite, synthetische krankheitsmodifzierende Antirheumatika
Methotrexat (MTX)
Mikrotubuli-Inhibitoren
Herbstzeitlosengift, Spindelgifte, Onkologika, Vincaalkaloide
Colchicin
Zytostatika, Chemotherapeutika, Spindelgifte, Taxol®, Taxane, Onkologika
Paclitaxel
Zytostatika, Chemotherapeutika, Spindelgifte, Onkologika
Vinblastin
Platin-Derivate
Zytostatika, Chemotherapeutika, Platinverbindungen, Onkologika
Carboplatin
Purin-Analoga
Zytostatika, Chemotherapeutika, Basistherapeutika (in niedriger Dosierung), Antimetabolite, Onkologika, Antimetabolite
6-Mercapto purin (6-MP)
Zytostatika, Chemotherapeutika, Basistherapeutika (in niedriger Dosierung), Antimetabolite, Onkologika, zytotoxische Immunsuppressiva
Azathioprin
Pyrimidin-Analoga
Zytostatika, Chemotherapeutika, Antimetabolite, Onkologika, Antimetabolite
5-Fluorouracil (5-FU)
Topoisomerase-I- Inhibitoren (TOPO-I-Inhibitoren)
Zytostatika, Chemotherapeutika, Onkologika
Irinotecan
Topoisomerase-II- Inhibitoren (TOPO-II-Inhibitoren)
Zytostatika, Chemotherapeutika, Onkologika
Etoposid
DNA-Interkalatoren
561 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Lipidstoffwechsel
Cholesterinresorptions- Inhibitoren
Lipidsenker
Ezetimib
HMG-CoA-Reduktase- Inhibitoren
Statine, Lipidsenker, Cholesterinsenker
Simvastatin
PCSK9-Inhibitoren
Lipidsenker, Cholesterinsenker
Evolocumab
PPAR-α-Agonisten
Fibrate, Lipidsenker
Fenofibrat
Haloether
Inhalationsnarkotika, Narkotika, Halothanabkömmlinge, Anästhetika
Desfluran
Inhalationsnarkotika, Narkotika, Halothanabkömmlinge, Anästhetika
Sevofluran
Stickoxide
Inhalationsnarkotika, Narkotika, Anästhetika, Lachgas
Stickoxydul (N2O)
Antagonisten an multiplen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit Präferenz für den Dopamin-D2-Rezeptor (D2R-mGPCR- Antagonisten)
Typische (klassische) Antipsychotika/ Neuroleptika, Typika, Psycho pharmaka, Butyrophenone, Haldol®
Haloperidol
Antagonisten an multiplen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit pleiotropen Wirkungen (p-mGPCR-Antagonisten)
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Atypika, Psychopharmaka
Clozapin
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Psychopharmaka, Butyrophenone
Melperon
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Psychopharmaka
Olanzapin
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Psychopharmaka, trizyklische Antidepressiva, TZAD, Non-NSMRI
Opipramol
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Psychopharmaka, Atypika
Pipamperon
Typische Antipsychotika/ Neuroleptika, Antihistaminika, schwache (milde) Neuroleptika/ Antipsychotika, Psychopharmaka, Phenothiazine
Promethazin
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Atypika, Psychopharmaka
Quetiapin
Atypische Antipsychotika/ Neuroleptika, Atypika, Psychopharmaka
Risperidon
Membran- Stabilisation
mGPCR- Antagoni sierung (Antagonisierung an multiplen G-Protein- gekoppelten Rezeptoren)
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 562
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
NE/5-HT- Verstärkung (Norepinephrin/ 5-Hydroxytryptamin- Verstärkung)
Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAOI)
MAO-Hemmer, MAO-Blocker, Antidepressiva, Psychopharmaka
Moclobemid
MAO-Hemmer, MAO-Blocker, Antidepressiva, Psychopharmaka
Tranylcypromin
Trizyklische Antidepressiva (TZAD), Antidepressiva, Koanalgetika, Psychopharmaka, Trizyklika
Amitriptylin
Trizyklische Antidepressiva (TZAD), Psychopharmaka, Antidepressiva, Trizyklika
Clomipramin
Selektive SerotoninNorepinephrin- WiederaufnahmeInhibitoren (SSNRI)
Antidepressiva, Psychopharmaka
Venlafaxin
Selektive SerotoninWiederaufnahme- Inhibitoren (SSRI)
Antidepressiva, Psychopharmaka
Citalopram
Antidepressiva, Psychopharmaka
Sertralin
NO-Donatoren
Nitroglyzerin, „Nitro“, Antianginosa, Vasodilatatoren, NO-Pharmaka, Nitrolingual®, Nitrate
Glyzeroltrinitrat (GTN)
Vasodilatatoren, Notfall-Antihypertensiva, NO-Pharmaka
Natriumnitro prussid (NNP)
Neue Arzneistoffgruppe, bei der wegen multipler möglicher Indikationen bewusst auf eine traditionelle indikationsbezogene Gruppenbezeichnung verzichtet wurde
Riociguat
NO/ cGMP- System
Nicht-selektive MonoaminWiederaufnahme- Inhibitoren (NSMRI)
Stimulatoren der löslichen Guanylylzyklase (sGC-Stimulatoren)
563 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Peptiderge Systeme
Dipeptidylpeptidase-4- Inhibitoren (DPP4-Inhibitoren)
Gliptine, orale Antidiabetika, Antidiabetika, Inkretin-Mimetika
Sitagliptin
Enkephalinase-Inhibitoren
Durchfallmittel, Stopfmittel, Antidiarrhoika, Obstipanzien
Racecadotril
GLP-1R-Agonisten
Antidiabetika, Inkretin-Mimetika
Liraglutid
Insuline
Antidiabetika
Insulin-glargin
Antidiabetika
Insulin-lispro
Antidiabetika
NPH-Insulin
(Hochpotente) Opioidanalgetika oder Opioide, Temgesic®
Buprenorphin
Opioidanalgetika oder Opioide
Dihydrocodein
(Starke) Opioidanalgetika oder Opioide, hochpotente Opioide
Fentanyl
(Starke) Opioidanalgetika oder Opioide
Hydromorphon
Durchfallmittel, Obstipanzien, Stopfmittel, Antidiarrhoika, Imodium®
Loperamid
(Starke) Opioidanalgetika oder Opioide, Heroinsubstitution
Methadon (Levomethadon)
(starke) Opioidanalgetika oder Opioide
Morphin
Opioidanalgetika oder Opioide, Narkosemittel
Remifentanil
μ-Opioidrezeptor-Agonisten und -Antagonisten (MOR-Agonisten und -Antagonisten)
Schwache Opioidanalgetika oder schwache Opioide, Valoron N®
Tilidin + Naloxon
μ-OpioidrezeptorAntagonisten (MOR-Antagonisten)
Heroin-Gegengifte, Antidote, Opioidantagonisten
Naloxon
μ-OpioidrezeptorAgonisten (MOR-Agonisten)
Neprilysin-Inhibitoren
Physikalische Wirk prinzipien
Sacubitril
Neurokinin-NK1Rezeptor-Antagonisten (NK1R-Antagonisten)
Antiemetika
Aprepitant
Parathormonrezeptor- Agonisten (PTHR-Agonisten)
Antiosteoporotika, Osteroporsemittel
Teriparatid
Adsorbenzien
Antidote, Gegengifte, Adsorbenzien
Aktivkohle
Anionen-Austauscher
Lipidsenker, Gallensäure-Komplexbildner
Colestyramin
β-Strahler
radioaktives Iod
131Iodid
564 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Purinstoffwechsel
Urat-Austauscher-1- Inhibitoren (URAT1-Inhibitoren)
Urikosurika, Harnsäureblocker, Gichtmittel
Benzbromaron
Xanthinoxidase- Inhibitoren (XO-Inhibitoren)
Urikostatika, Harnsäureblocker, Gichtmittel
Allopurinol
Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitoren (ACE-Inhibitoren)
Prilate, RAAS-Hemmer, RAAS-Blocker, RAS-Blocker, RAS-Hemmer, Antihypertensiva
Ramipril
Angiotensin-AT1Rezeptor-Antagonisten (AT1R-Antagonisten)
Sartane, Angiotensinblocker, Angiotensinhemmer, Antihypertensiva, AT1-Antagonisten
Candesartan
Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten (MCR-Antagonisten)
Kaliumsparende Diuretika, Aldosteronantagonisten, RAAS-Blocker
Eplerenon
Kaliumsparende Diuretika, Aldosteronantagonisten, RAAS-Blocker
Spironolacton
ThyreoperoxidaseInhibitoren (TPO-Inhibitoren)
Thyreostatika, Schilddrüsenblocker
Thiamazol
Thyroxinrezeptor- Agonisten (TR-Agonisten)
Schilddrüsenhormone
Levothyroxin (Thyroxin, T4)
5-Hydroxtryptamin-1B/DRezeptor-Agonisten (5-HT1B/DR-Agonisten)
Triptane, Migränemittel
Sumatriptan
5-Hydroxtryptamin-3- Rezeptor-Antagonisten (5-HT3R-Antagonisten)
Setrone, Antiemetika
Ondansetron
RAAS (ReninAngiotensinAldosteron- System)
Schilddrüse
Serotonerges System
565 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Sexual hormone
5α-Reduktase-Inhibitoren
Antiandrogene, Haarwuchsmittel, Prostatamittel
Finasterid
Androgenrezeptor- Agonisten (AR-Agonisten)
Androgene, männliche Geschlechts hormone, Anabolika
Testosteron
Androgenrezeptor- Antagonisten (AR-Antagonisten)
Antiandrogene, chemische Kastrationsmittel für den Mann, Geschlechts umwandlungsmittel
Cyproteron
Antiandrogene, Prostatakrebsmittel
Flutamid
Aromatase-Inhibitoren
Antiestrogene, Brustkrebsmittel
Anastrozol
Estrogenrezeptor- Agonisten (ER-Agonisten)
Estrogene, weibliche Geschlechts hormone, Hormonersatztherapie
Estradiol
Estrogene, weibliche Geschlechts hormone
Ethinylestradiol
Estrogenrezeptor- Antagonisten (ER-Antagonisten)
Antiestrogene, Ovulationsauslöser, Schwangerschaftspillen
Clomifen
Progesteronrezeptor- Agonisten (PR-Agonisten)
Gestagene, Pille danach, Minipille
Levonorgestrel
Progesteronrezeptor- Antagonisten (PR-Antagonisten)
Antigestagene, Schwangerschaftsabbruchmittel, Abortiva
Mifepriston
Selektive EstrogenrezeptorModulatoren (SERM)
Osteoporosemittel, Antiosteoporotika
Raloxifen
Brustkrebsmittel
Tamoxifen
Biguanide
Orale Antidiabetika, Insulinsensitizer
Metformin
Cyclohexanol-Derivate
Niederpotente Opioidanalgetika, schwache Opioidanalgetika, schwache Opioide, Schmerzmittel, Tramal®
Tramadol
p-Aminophenole
Nicht-Opioid-Analgetika, Nicht-Opioide, häufig fälschlich den NSAR zugeordnet, Schmerzmittel, Antipyretika, Nicht-saure Nicht-Opioid-Analgetika, ben-u-ron®
Paracetamol (Acetaminophen, GB, USA)
Paracetamol-Antidot
Mukolytika, Schleimlöser. Acetylcystein ist hier gelistet, weil es als Antidot dem Paracetamol (mit unbekannten Mechanismus) zuzuordnen ist. Der Wirkungsmechanismus von Acetylcystein ist jedoch bekannt (siehe 7 Kap. 4 und 10).
Acetylcystein
Pyrazolone
Nicht-Opioid-Analgetika, Nicht-Opioide, häufig fälschlich den NSAR zugeordnet, Schmerzmittel, Nicht-saure Nicht-Opioid-Analgetika, Antipyretika, Novalgin®
Metamizol (Novaminsulfon, GB, USA, aber auch Deutschland!)
Unbekannt
NKLM/IMPP-Arzneistoffliste 566
System
Arzneistoff-Gruppe
Wachstumsfaktoren
ErythropoetinrezeptorAgonisten (EPOR-Agonisten)
Wasser- und Elektrolythaushalt
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon) „Epo“, Hormone
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen) Epoetin
G-CSFR-Agonisten
Leukozyten-Booster, Zytokine
Filgrastim
VEGF-Inhibitoren
Biologicals, (Biologika)
Aflibercept
Biologicals, (Biologika)
Ranibizumab
Alkali-Ionen
Stimmungsstabilisatoren, Mood stabilizer, Phasenprophylaktika
Lithium
CarboanhydraseInhibitoren (CAHInhibitoren)
Glaukommittel, Diuretika
Acetazolamid
Glaukommittel
Brinzolamid
Inhibitoren des Na+/Cl--Cotransporters (NCC-Inhibitoren)
Thiaziddiuretika, Antihypertensiva, Diuretika, schwach harntreibende Mittel, Thiazide
Hydrochlorothiazid
Inhibitoren des Na+/K+/2Cl-- Cotransporters (NKCC-Inhibitoren)
Schleifendiuretika, Antihypertensiva, Diuretika, stark harntreibende Mittel, Lasix®
Furosemid
Na+/K+-ATPase- Inhibitoren (NKA-Inhibitoren)
Digitalis- oder Herzglykoside, Kardiaka
Digoxin
Protonenpumpen- Inhibitoren (PPI)
Protonenpumpenblocker, Säureblocker
Pantoprazol
Sekretagogisch/ antiresorptive Laxanzien
Abführmittel, Drastika, Laxativa, Laxantien, Laxantia
Bisacodyl
Wasserbindende Arzneistoffe
Stuhlaufweichende Mittel, Abführ mittel, Laxativa, Laxantien, Laxantia
Macrogol
Osmotische Diuretika, Diuretika, Osmodiuretika
Mannitol
567 NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
System
Arzneistoff-Gruppe
Frühere Arzneistoff-Gruppen-Bezeichnung (einschließlich verschiedenen Begriffen aus dem Klinik- und Praxisjargon)
Arzneistoff (Synonyma und Abkürzungen)
Ziel gerichtete Tumor beeinflussung
CDK-Inhibitoren
Onkologika
Palbociclib
EGFR-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), Onkologika
Trastuzumab
HDAC-Inhibitoren
Onkologika
Panobinostat
PARP-Inhibitoren
Onkologika
Olaparib
PD1-Inhibitoren
Biologicals (Biologika), Onkologika
Pembrolizumab
Proteasom-Inhibitoren
Onkologika
Carfilzomib
Raf-V600E-Inhibitoren
Onkologika
Vemurafenib
Tyrosinkinase-Inhibitoren
Leukämiemittel, Onkologika
Imatinib
Ubiquitinierungs- Stimulatoren
Contergan®-Abkömmlinge,
Lenalidomid
VEGF-Inhibitoren
Darmkrebsmittel, Onkologika, Biologicals (Biologika)
Bevacizumab
Nicht-selektive Phospho- diesterase-Inhibitoren (Nicht-selektive PDEInhibitoren
Antiasthmatika, Asthmamittel, Methylxanthine
Theophyllin
Phosphodiesterase-4- Inhibitoren (PDE4-Inhibitoren)
Antiasthmatika, Asthmamittel, Bronchospasmolytika
Roflumilast
Phosphodiesterase-5- Inhibitoren (PDE5-Inhibitoren)
Erektionshilfen, Potenzmittel, Viagra®
Sildenafil
Zyklische Nukleotide
Onkologika
568
Fragen und Antworten rund um die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste
ragen und Antworten rund um die F NKLM/IMPP-Arzneistoffliste ??Was hat diese Arzneistoffliste mit der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste gemeinsam? vvBeide Listen enthalten in identischer Reihenfolge die identischen Systeme, Arzneistoffgruppen und Arzneistoffe. Es wurden in diese Liste KEINE weiteren Systeme, Arzneistoffgruppen und Arzneistoffe integriert (Ausnahme Remdesivir für COVID-19). Jeder in der NKLM/ IMPP-Arzneistoffliste genannte Arzneistoff und jede Arzneistoffgruppe wird in diesem Buch abgehandelt, so dass sich das Buch sehr gut zur fokussierten Examensvorbereitung eignet. ??Was unterscheidet diese Arzneistoffliste von der NKLM/IMPP-Arzneistoffliste? vv Die vorliegende Tabelle wurde in Spalte 3 (frühere Arzneistoffgruppenbezeichnung) im Vergleich zur NKLM/IMPP-Liste deutlich ergänzt. Die Spalte „Arzneistoff“ ist in dieser Liste ganz nach rechts gewandert und wurde an einigen Stellen um Abkürzungen und Synonyma ergänzt. ??Wie wurde die Arzneistoffliste entwickelt? vvDie vorliegende Arzneistoffliste umfasst ca. 300 Arzneistoffe, die im Konsens aller am NKLM- und GK-Prozess beteiligten Personen entwickelt wurde. Im Vorfeld wurden die im Pharmakologie- Unterricht an verschiedenen deutschen Universitäten eingesetzten Arzneistofflisten miteinander abgeglichen. Es stellte sich sehr rasch heraus, dass unabhängig voneinander die meisten Listen ca. 300 Arzneistoffe umfassen und dass der Deckungsgrad hoch war (ca. 80 %). Dies stellte einen sehr guten Ausgangspunkt
für die Konsentierung dar. An dem mehrstufigen und sehr transparenten Konsentierungsprozess waren Wissenschaftler aller medizinischen Fachgesellschaften beteiligt, ebenso die Medizinstudenten. Jeder Interessierte hatte die Gelegenheit, Vorschläge zu machen und die Liste auf der NKLM-Plattform zu kommentieren. ??Wie ist die Arzneistoffliste aufgebaut? vvDie Liste gliedert die ca. 300 Arzneistoffe in übergeordnete Systeme sowie Arzneistoffgruppen, die entweder nach ihrem molekularen Wirkmechanismus oder der chemischen Struktur bezeichnet sind. Der Aufbau der Liste ist parsimonisch und soll jedwede Redundanz vermeiden. vvIn den meisten Fällen wurden die Arzneistoffgruppen entsprechend dem Wirkmechanismus klassifiziert. In einigen Fällen (Arzneistoffe mit antibakterieller Wirkung, Arzneistoffe mit antimykotischer Wirkung, Arzneistoffe mit Angriff im GABAergen System und Arzneistoffe mit unbekanntem Wirkmechanismus) wurde eine Klassifikation entsprechend der chemischen Struktur vorgenommen bzw. beibehalten. Es ist den Erstellern der Arzneistoffliste bewusst, dass hier ein gewisser Bruch in der inneren Logik der Liste vorliegt, aber eine Einteilung ALLER Arzneistoffgruppen nur nach Wirkmechanismus bzw. Chemie (!) wäre nicht praktikabel gewesen. Insofern hat im antibakteriellen System, antimykotischen System und GABAergen System „die Tradition“ der Chemie die Überhand behalten, obwohl eine mechanistische Definition prinzipi-
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ell möglich gewesen wäre. Die Verwerfungen wären aber zu groß gewesen. Bei der sich in der Medizin sehr deutlich abzeichnenden Indikationserweiterung vieler Arzneistoffgruppen könnte es eines Tages erforderlich werden, noch mehr Arzneistoffgruppen nach der Chemie einzuteilen. vvDie Liste ist so strukturiert, dass zunächst die Systeme alphabetisch sortiert sind. Nachgeordnet sind dann in jedem System die entsprechenden Arzneistoffgruppen ebenfalls alphabetisch sortiert. Jeder Arzneistoffgruppe sind dann exemplarische Arzneistoffe (meistens nur 1-2) zugeordnet. Dieser systematische Aufbau der Arzneistoffliste ermöglicht später relativ einfach Aktualisierungen, Ergänzungen und Streichungen). vvDie Systeme sind sicher teilweise etwas gewöhnungsbedürftig. Einige klassische Organsysteme (z. B. Herz-Kreislauf, Lunge, Gastrointestinaltrakt, ZNS) wurden aufgelöst und nach molekularen Wirkmechanismen neu sortiert. Einige klassische Systeme (z. B. adrenerges System, cholinerges System, Immunsystem, Blutgerinnung, Schilddrüse) sind hingegen erhalten geblieben. Prinzipiell ist jede Arzneistoffgruppe und jeder Arzneistoff in der Liste nur einmal aufgelistet, obwohl theoretisch in einigen Fällen Zuordnungen eines Arzneistoffs in mehrere Systeme möglich gewesen wären (z. B. MTX, Tramadol, Mirtazapin, Lithium, Promethazin Acetylcystein, Sildenafil, Colestyramin). In der 1. Auflage dieses Lehrbuches werden etliche Arzneistoffe noch mehrfach genannt. Bei der Entwicklung der vorliegenden Arzneistoffliste war es Konsens, Duplikationen strikt zu vermeiden. Im Lehrbuchtext werden die Arzneistoffe dann aber in den einzelnen Kapiteln im Zusammenhang mit den klassischen Organsystemen abgehandelt.
??Wie finde ich mich in der Liste zurecht, wenn ich Pharmakologie in der „traditionellen“ Art und Weise gelernt und seit vielen Jahren praktiziert oder gelehrt habe? vvIn der Spalte „Frühere Arzneistoffgruppen-Bezeichnung“ sind ausgewählte traditionelle Arzneistoffgruppenbezeichnungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da es bisher keine verbindliche Regelung gab) genannt, um die Verständigung mit Ärzten und Apothekern, die die neue Nomenklatur nicht im Studium gelernt haben, sowie Patienten sicherzustellen. Es wird deutlich, dass viele traditionelle Bezeichnungen in sich widersprüchlich, unlogisch, irreführend, suggestiv, veraltet oder teilweise sogar falsch sind. Die Erklärungen haben auch die Funktion, dem Leser die Fachliteratur zugänglich zu machen, in der die neuen Begriffe naturgemäß bisher noch nicht verwendet wurden. Die neuen Begriffe sind nicht grundsätzlich komplizierter als die traditionellen Begriffe, sondern nur etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist nur eine Frage der Übung. vvIm Buch wird, wenn immer möglich die Formulierung „Arzneistoff für die Indikation X“ statt der traditionellen Bezeichnung verwendet. Durch diesen neutraleren (aber etwas umständlicheren) Begriff wird die Möglichkeit gegeben, dass der Arzneistoff für die Indikation X auch für die Indikationen Y und Z eingesetzt wird. vvJeder Arzneistoffgruppe sind repräsentative Arzneistoffe als Prototypen zugeordnet. Die Arzneistoffliste verzichtet bewusst und konsequent auf die Benutzung traditioneller indikationsbezogener Arzneistoffgruppen-Bezeichnungen, um eine möglichst neutrale Zuordnung zu Indikationen zu ermöglichen. Im Buch werden an geeigneter Stelle tradierte
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pharmakologische Begriffe kritisch diskutiert. Aus der kritischen Analyse der Begriffe kann man viel für die praktische Arzneitherapie lernen. Für einige neuere Arzneistoffgruppen in der Tabelle gibt es keine traditionellen Begriffe. Dies liegt daran, dass für diese Arzneistoffgruppen bereits eine mechanistische Nomenklatur implementiert wurde. Deshalb enthält die Tabelle an einigen Stellen Leerstellen. ??Wozu dient die Liste bzw. wozu dient sie nicht? vvDie NKLM/IMPP-Arzneistoffliste dient ausschließlich der Lehre im Medizinstudium sowie der Erstellung von Prüfungsfragen durch das IMPP basierend auf dem aktuell gültigen GK2-Medizin. Der Fokus der Liste liegt auf den Arzneistoffgruppen, nicht so sehr auf den einzelnen Arzneistoffen. vvDie modifizierte und ergänzte Liste dieses Lehrbuches dient auch dazu, interessierten Ärzten und Apothekern die Möglichkeit zu geben, sich mit der neuen Arzneistoffgruppen-Nomenklatur vertraut zu machen, wenn sie langsam durch die junge Ärztegeneration in Klinik und Praxis Einzug hält. vvDie vorliegende Liste hat nicht den Anspruch einer „Positivliste“ im Sinne von Arzneimittelverschreibungen oder Leitlinien. Die Liste enthält explizit auch Arzneistoffe/Arzneistoffgruppen, die durch unerwünschte Wirkungen (z. B. Digoxin; Flecainid, Phenobarbital), ihr Missbrauchspotential (z. B. Methlyphenidat, Dronabinol, Fentanyl), unkritische Verschreibungen (z. B: PPI, NO-Donatoren), fragwürdige Wirkung (z. B. Oseltamivir, Dronabinol) oder sehr hohe Kosten (z. B. Rivaroxaban, Aflibercept, Ranibizumab)
problematisch sind. An Problemarzneistoffen kann der Student sehr gut kritisches Denken erlernen. vv Der Fokus der Liste liegt auf der Allgemeinmedizin. Die Allgemeinmedi zin spielt in der Koordination der Pharmakotherapie der häufig multimorbiden Patienten eine entscheidende integrative Rolle. Spezialisten übersehen häufig nicht UAW von Arzneistoffen außerhalb ihres „Zuständigkeitsgebietes“. „FacharztArzneistoffe“ wurden nur exemplarisch aufgenommen. Insbesondere bei den Arzneistoffen zur Behandlung von Erkrankungen des Immunsystems und maligner Tumorerkrankungen gibt es große Lücken, die bewusst in Kauf genommen wurden. ??Welche Kriterien spielten bei der Erstellung der Liste eine Rolle? vvBei der Auswahl der Arzneistoffe wurden verschiedene Kriterien mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung für jeden Arzneistoff zu Grunde gelegt. Die Abbildung wichtiger Wirkprinzipien, die Häufigkeit der Verschreibung in Deutschland (basierend auf dem Arzneiverordungsreport 2019), die vorliegende Evidenz für Wirksamkeit, therapeutische Leitlinien, besondere Gefährlichkeit sowie die WHO-Liste essentieller Arzneistoffe wurden bei der Erstellung der Liste berücksichtigt. Grundlage der vorliegenden Arzneistoffliste waren die entsprechenden Listen verschiedener deutscher Universitäten. Es wurde im Konsens vereinbart, nicht mehr als ca. 300 Arzneistoffe auszuwählen. ??Was ist nicht in der Liste enthalten? vv Die Arzneistoffliste enthält aus Fokussierungsgründen keine gentherapeutischen Prinzipien, keine pflanzlichen Arznei-
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stoffe, keine homöopathischen Arzneistoffe, keine Impfstoffe, keine Suchtstoffe, keine Vitamine, keine Spurenelemente und bis auf wenige Ausnahmen (Epinephrin, Norepinephrin, Dopamin, Glucose) keine körpereigenen Stoffe und Elektrolyte. An einzelnen Stellen dieses Buches werden diese Aspekte kurz angerissen. vvAus Fokussierungsgründen musste auf die Integration von Arzneistoffen zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orphan Drugs) leider weitestgehend verzichtet werden. Dies darf nicht so interpretiert werden, dass Orphan Drugs als irrelevant betrachtet werden. Diese Arzneistoffe gehören in den Bereich der Facharztweiterbildung. ?? Wie ist die Weiterenwicklungsperspektive der Liste? vvFür die Praxis, Klinik und die Erstellung von Leitlinien lässt sich die Arzneistoffliste leicht ergänzen und erweitern, wenn man die Ordnungsprinzipien Wirkmechanismus bzw. chemische Struktur sowie die Vermeidung der Benutzung von Indikationsbezeichnungen als Ordnungsprinzip konsequent umsetzt.
gen. Um eine Vergrößerung der Arzneistoffliste zu vermeiden, sollte jeder Vorschlag für eine Aufnahme in die Arzneistoffliste von einem Streichvorschlag begleitet sein. Der Gesamtumfang der Liste soll auch über die Jahre nicht wachsen. Dies war Konsens. ??Gibt es Interessenkonflikte? vvBei der Erstellung der Arzneistoffliste hat es keinerlei Interessenkonflikte mit der Pharmaindustrie gegeben. Diese Liste und das Buch sollen eine kritische und kostenbewusste rationale Pharmakotherapie fördern. vvIn etlichen Fällen sind bedauerlicherweise Arzneimittelspezialitäten-Namen (Handelsnamen) zum Synonym für ganze Arzneistoffgruppen geworden. Diese im Klinikjargon leider übliche Praxis ist für die Lehre strikt abzulehnen, da sie unbemerkt Abhängigkeiten von der Pharmaindustrie fördert, der Wissenschaftlichkeit entgegenläuft und kritisches und unabhängiges Denken inhibiert. ??Wie wurde COVID-19 berücksichtigt?
vvDie vorliegende Arzneistoffliste wird im Konsensverfahren im Abstand von ein bis zwei Jahren für das IMPP überarbeitet werden. Jeder Student und jeder Kollege ist explizit dazu aufgerufen, sich an dem Akualisierungsprozess zu beteili-
vvKürzlich wurde Remdesivir zur Behandlung schwerer Verläufe von COVID-19 zugelassen. Remdesivir wurde in die NKLM/IMPP-Arzneistoffliste aufgenommen.
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Stichwortverzeichnis A Abatacept 167, 168, 178, 185 Acarbose 291 Acetaminophen 8 Acetazolamid 33, 35, 37, 418, 421, 564 Acetylcholinrezeptor 91, 98 Acetylcystein 147, 158 Aciclovir 191, 201, 202, 470, 472, 473, 543 acquired immunodeficiency syndrome (AIDS) 478 Adalimumab 168, 170, 222 Addison-Syndrom 180 Adhärenz 7 Adhärenzproblem 286 ADHS-Therapie 134, 244 ADME-Parameter 49 Adrenalin 91 Aflibercept 423, 424 Agonist 4, 8, 9, 10, 14-19, 21-23 –– Konzentrations-Wirkungs-Kurven 20 –– partieller 159 Agranulozytoserisiko 411 Akathisie 408, 409 Akinese 131 Aktivität, intrinsische 21, 159 Aktivkohle 84, 183, 507 Akute generalisierte exanthemische Pustulose (AGEP) 70 Albuterol 8 Aldosteron 241, 254 Aldosteron-Antagonist 254 Alemtuzumab 167, 168, 178, 179, 185, 186 Alendronat 304, 305, 537, 551 Alkali-Ion 26, 44, 397 Aktivierung von Natriumkanälen in parasitären Krankeitserregern 16 Alkylans, lipophiles 438 Alleinstellungsmerkmal 396 Allergiepass 71 Allgemeinmedizin 242 Allopurinol 333, 334, 430 Alopezia androgenica 336-338 Alteplase 278, 285 5-Aminosalicylsäure 26, 29, 31, 221 Amiodaron 51, 58, 59, 61, 260, 262, 264, 266, 268-272, 312 –– Plasma-HWZ 59 Amitriptylin 26, 82, 392, 393, 398, 522, 523, 541 Amlodipin 59, 243, 246 Amnesie, anterograde 368 Amoxicillin 458-461, 538, 542
Amphetamin 104, 105, 260 Amphotericin B 516 –– B 466, 482, 485-489 Anaerobiermittel 464 Anakinra 169, 186, 533 Analgetika-Asthma 74 Analgetikum –– Opioid 149 Anastrozol 338, 432, 441 Andexanet 81, 280, 285, 511 Androgen 338 Angina pectoris 144, 261 Angiotensin-II 240, 241 Angststörung 397 Antagonist 13-19, 21-24 –– Konzentrations-Wirkungs-Kurven 22 Antazida 209 Antiabetika, orale 44, 285 Anti-Androgen 338 Antiarrhythmika 19, 28, 267 Antibakteriogramm 445 Antibiose 445 Antibiotikum 445 –– Persister 446 –– Pharmakotherapie 458 –– Resistenz 458 –– Wirkung 464 Antidepressiva 387 Antidiabetikum 200 –– orales 298 Antidot 336, 382, 438 Antiemetika 115 Antiepileptika 28, 357 Anti-Estrogen 338 Anti-Gestagen 338 Antihistamikum 338 Anti-Hormon Antihypertensivum 240 –– – Arzneistoffe 240 –– Klasse A 242 –– Klasse B 245 –– Klasse C 246 –– Klasse D 246 Antiinfektiva 445 Antikörper –– generischer monokolaner 185 –– monoklonale 184, 223 –– therapeutischer 50 Antikonvulsiva 357 Antimykotika 487 Antiosteoporotika 303
A
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Stichwortverzeichnis
Antipsychotika 43, 403 –– atypische 407 –– typische (klassische) 407 Antirheumatika 154 Anti-Target 13, 46 Antituberkulotika 467 Apothekeneinbruch 368 Appetitsteigerung 393 Aprepitant 114 α2AR-Agonist 528 β2AR-Agonist 37 α1AR-Antagonist 238 Artemether 491 Arteriosklerose –– Pathogenese 318 –– Pharmakotherapie 318 Articain 372 Arzneimittel 4, 5 –– funktionell antihistamisches 121 –– homoöpathsiches 7 –– pflanzliches 8, 393 –– Zulassung 13 Arzneimittelallergie 68, 71 Arzneimittelberatung und -bewertung 5 Arzneimittelexanthem 71 Arzneimittelreserve, nationale 316 Arzneimittelspezialitäten-Name 8, 32 Arzneimitteltherapiesicherheit 242 Arzneimitteltherapie, subhomöopathische 9 Arzneimitteltherapie- und Patientensicherheit 32 Arzneimittelvergiftung 84 –– 7W 78 –– Antidot 84 –– Behandlung 84 –– Giftelimination 84 –– Leitsymptome 84 Arzneispezialität 8 Arzneistoff 4-8 –– antibakterieller 27, 217, 446, 458 –– antimykobakterieller 466 –– bakterizider 445 –– mit antihypertensiver Wirkung 235 –– zielgerichteter 427 Arzneistoff, bewährter 13 Arzneistoffgruppe 38 Arzneistoffliste 38 Arzneitherapie –– antibakterielle 445 –– antimykotische 445 –– antiparasitäre 445 –– antivirale 445 Arzneitmittelallergie –– Typ I 69 –– Typ II 69 –– Typ III 69
–– Typ IV 69 5-ASA 29, 31, 221, 222 Aspergillus fumigatus 484, 487, 489 Aspirin®-Asthma 47, 81, 84, 215, 252, 262, 263, 276, 277, 287, 476, 502 Asthma 226 –– Pathophysiologie 226 –– Pharmakotherapie 230 –– Schweregrade 227 Atazanavir 472, 473, 475, 478 Atemdepression 161 Atovaquon 482, 491 Atropin 51, 81, 86, 91, 96, 98, 267, 268, 420, 482, 491 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) 133 Autoimmunerkrankung 166 Autoimmunopathie 166 Azathioprin 169, 176, 179, 183, 211, 220 Azithromycin 449, 464
B bakteriostatisch 445 bakterizid 445 Basiliximab 169, 185 Basistherapeutika 176 Begleittherapie 391 Beipackzettel 6, 7, 248 Belohnungssystem 131 Benigne Prostathyperplasie (BPH) 336 Benzbromaron 329, 439, 539 Benzodiazepin 363, 364, 365, 366 Betablocker 96 –– kardioselektiver 245 Betasympatholytika 96 Bevacizumab 423, 428, 432, 440 Bio-Feed-back 263, 297 Biological 185, 297 Biosimilar 185 biostatisch 445 biozid 445 Biperiden 32, 35, 86, 92, 95, 132, 218, 408, 420, 522, 532 Bisacodyl 211, 219 Bisphosphonat 40, 43, 153, 303, 528 Blocker 19 Blut-Gas-Verteilungskoeffizient 377 Body-Mass-Index 297 Body-Shaping 345 Borrelia burgdorferi 451, 458, 542 Borreliose 447, 448, 458 Botulinum-Neurotoxin 92, 102, 505 Bradykinin 74, 241 Branding 36 Breitbandantibiotika 461
575 Stichwortverzeichnis
Breitspektrumantibiotika 461 Brimonidin 418, 421, 542 Brinzolamid 421, 542 Bruchrille 12 Budesonid 54, 221, 228, 232, 534 Bupivacain 371-374 Buprenorphin 150, 159, 163, 437, 530 But-Hirn-Schranke (BHS) 132 Butylscopolamin 57, 92, 99, 100, 217, 330
C CAH-Inhibitor Acetazolamid 35 CAH-Inhibitoren 68 Calcitriol 190, 305, 465 Calcium 305 Calciumantagonist 246 cAMP 97 Campylobacter jejuni 214 Canakinumab 329, 333 Candesartan 243, 245, 255, 530, 535 Candida albicans 298, 446, 484, 543 Captopril 258 Carbamazepin 283, 358, 360, 362, 464, 511, 540 Carfilzomib 432, 444, 516 Carvedilol 42, 98 Caspofungin 486, 487, 516 CAST-Studie 267 CCB 357, 359 –– kurzwirksames 240 Cefaclor 462 Cefazolin 450, 462 Cefepim 462 Cefotaxim 459, 462 Ceftazidim 462 Ceftobiprol 462 Ceftriaxon 450, 462 Cefuroxim 450, 459 Cefuroximaxetil 462, 542 Cetirizin 37, 119, 120 Chemical 28 chemo brain 439 Chemotherapeutika 428, 445 Chemotherapie 436 CHF 252 –– - Pathophysiologie 252 –– Pharmakotherapie 253, 254 –– Stadien 252 Chinin 491 Chloroquin 491 Chlorthalidon 247 Cholesterin 318, 321 Chloroquin 480 Chronotropie 266 Ciclosporin 65, 169, 178, 184, 199, 200, 220, 222, 256, 350, 464, 466, 488, 509
Cinacalcet 190 Ciprofloxacin 65, 220, 222, 451, 463 Cisplatin 439 Citalopram 26, 393, 394 CKD 188 –– Kreatininclearance 189 –– Pharmakotherapie 188 –– Prävention 188 Clarithromycin 65, 451, 458, 464, 495, 538 Clavulansäure 460 Clemastin 120, 507, 520, 531 Clindamycin 451, 464 Clomifen 339, 513 Clomipramin 388, 392 Clonidin 93, 103, 243, 248 Clopidogrel 65, 263, 288, 510 Clostridium difficile 103, 214, 216, 459 Clozapin 405, 409, 410, 515 Colchicin 216, 217, 332 cold turkey 161 Colestyramin 218, 316, 324, 506 Colitis ulcerosa 208 Coma diabeticum 299 –– Therapie 299 COPD 231 –– AHA-Symptome 242 –– Pathophysiologie 231 –– Pharmakotherapie 232 –– Schweregrade 232 Corticosteroid 230 Cortisol 180 COVID-19 479 Coxibe 27 COX-Inhibitor 146 –– irreversibler 43 COX-Inhibitor-Asthma 73 Cremophor-EL 124 Crohn, Morbus 219 Cromoglicinsäure 124 Cryptococcus neoformans 484, 487 Cushing-Schwellendosis 180 Cushing-Syndrom-Phobie 181 Cyclophilin 478 Cyclophosphamid 178, 179, 183, 316, 438 CYP –– -Expression 52 –– -Induktor 62, 63 –– -Inhibitoren 63 –– -Isoenzym 61 Cyproteron 339, 345
D Dabigatran 82, 278, 284 Dantrolen 72, 381 Daptomycin 459 Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) 285
A–D
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Stichwortverzeichnis
Denosumab 304, 307, 551 Depression –– Hauptsymptome 387 –– leichte 387 –– mittelschwere 387 –– Pathophysiologie 386 –– Pharmakotherapie 386 –– schwere 387 –– Zusatzsymptome 387 Dermatophyt 484 Desensitisierung 17 Desfluran 26, 377, 378, 380, 381 Dexamethason 181 DHFR 20 DHFR-Inhibitor 20 Diabetes 290 –– Pathophysiologie 290, 291 –– Pharmakotherapie 290, 291 Diarrhoe 189 Diathese-Stress-Modell 440 Diazepam 363, 365, 366, 512, 513 Diclofenac 363, 365, 513 Digoxin 254 Dihydrocodein 161 Dihydrotestosteron 338 Dihyhdropyridin 246 Dimethylfumarat 170, 176 Dimeticon 218, 219, 492 Diphenhydramin 119, 120, 531 Diskussion, unsachliche und tendenziöse 352 Diuretika, Kalium-sparende 254 Dokument, juristisches 7 Domperidon 115, 218 Donepezil 102 Doping 337, 345 Doppelverschreibung 36 Dosierung 8 –– hohe 9 Dosierungsplan, schriftlicher 11 Dosierungsungenauigkeit 12 Dosis facit venenum 5 Dosisfraktion, extrarenale (Q0) 201 Dosis-Wirkungs-Kurven 20 Doxorubicin 260, 429, 439 Doxycyclin 44, 324, 451, 458, 465, 542 Dreiphasenpräparat 348 D2R-mGPCR-Antagonist 127, 407 Dromotropie 266 Dronabinol 114 Dronedaron 270 Drug Related Eosinophilia with Systemic Symptoms (DRESS) 69 Duiretika –– osmotische 564
E Ebolamedikament 480 ECL-Zellen 108 Ecstasy 112 ED50 24 Edipermophyton floccosum 484 Edrophonium 531 Efavirenz 473, 477 Einnahmefehler 284 Einphasenpräparat 348 Einzelarzneistoff 409 Eisenmangelanämie 210 Ekzema herpeticum 472 Elvitegravir 478 EMB 444 Empagliflozin 44, 293 Emtricitabin 477 Enalapril 258, 535 Engwinkelglaukom 416, 417 Enoxaparin 279, 282, 511 Entacapon 128, 132, 532 Entamoeba histolytica 463 Enterococcus cloacae 450 Enterokolitis, pseudomembranöse 459 Entkopplung, emotionale 412 Entwicklung und Herstellung von Arzneistoffen 5 Enzymen 19 Enzyme und Transporter 19 Enzym- und Transporter-Inhibitor, irreversibler 19 Ephedrin 260 EPI 68, 73, 78, 91, 147, 227, 546, 560 Epilepsie –– Pathophysiologie 356, 357 –– Pharmakotherapie 356, 357 EPI-Pen 374 Eplerenon 242, 243, 356, 357 EPMS 95 EPMS-Risiko 405 EPO 188 Epoetin 190 ER-Agonist 336 Erbrechen –– Pathophysiologie 108 –– Therapie 109 Erektionshilfe 143 Ergosterol 488 Ernährung –– natriumarme 397 –– natriumreiche 397 Ernährungsgewohnheit 242 Erregungszustand, paradoxer 368 Erythromycin 44 Escherichia coli 298, 450, 451, 452, 453, 458, 462 Estradiol 54, 337, 338
577 Stichwortverzeichnis
Estrogen 338 Etanercept 170, 176, 220 Ethanol 365 Ethinylestradiol 338, 341, 513 Ethosuximid 360, 363 Etomidat 378, 383 Etoposid 430, 440 Etoricoxib 154, 156, 332 Everolimus 170, 332 Evolocumab 321, 325 Ezetimib 321, 324
F Fachärzte 38 Fach, interdisziplinäres 6, 411 Fachinformation 6 Fächergrenze 6 Fake-M. Parkinson 131 Famotidin 123 Fatigue-Syndrom 437 Fehlbezeichnung (Misnomere) 38 Fenofibrat 322, 325 Fenoterol 99, 524 Fentanyl 150, 159, 161, 162, 203, 437 Fentanyl-Abhängigkeit 161 Fertigarzneimittel 7 Finasterid 338, 341, 513 Fingolimod 171, 176, 178 Firmensponsoring 387 first exposure-Effekt 465 first-pass-Effekt 48, 50, 53 Fischvergiftung 120 Flecainid 267, 268 Flucloxacillin 452, 459 Fluconazol 44, 486, 488, 516 Flumazenil 364, 365, 382 flu-Syndrom 467 Flutamid 345, 432, 441 Fluticason 230 Folsäure 540 Fondaparinux 279 Formoterol 228, 231 Forskolin 260 Fosfomycin 452, 458, 460, 462 FPR-Agonist 35 Frühdyskinesie 408 5-FU 426, 430 Furosemid 26, 243, 249, 535 Fusionsprotein –– generisches therapeutisches 185 –– therapeutisches 223 Fusionsprotein BCR-ABL 441
D–H
G Galaktorrhoe 408 Galle 52 Ganciclovir 477 GCR-Agonist, inhalativer 221 Gelb-Grün-Sehen 143, 258 Generationszeit 459 Generikum 8 Genozid 445 Gentamicin 28, 191, 201, 453 GERD (gastroösophageale Refluxerkrankung) 209 Gesamtdosis, kumulative 439 Gestagen 338 Gewichtszunahme 339 Gicht 328 –– akute 328 –– chronische 328 –– Pathophysiologie 328 –– Pharmakotherapie 329 –– Stadien 328 Gichtmittel 329, 330 Gifte 4 Giftelimination –– primäre 84 –– sekundäre 84 Gingivahyperplasie 184, 362 Glatirameracetat 26, 171, 176, 178 Glaukom –– Pathophysiologie 416 –– Pharmakotherapie 418 Glaukomanfall 420 Glibenclamid 293, 297, 530 Glitazon 27 α-Glucosidase-Inhibitor 291 Glycyrrhizin 242 Gojibeeren 65 Goldstandard 159, 181, 270, 285, 296, 324, 392, 397, 407, 411, 420 GPCR 14 GPCR-Überaktivität 396 Grepafloxacin 272 GTN 139, 140, 141, 142, 143, 330
H HA –– -Freisetzung 124 –– Grundlagen, physiologische 101 –– Mastzellen 123 –– Typ-I-Allergien 124 HAART 478 Haemophilus influenzae 450, 451, 464
578
Stichwortverzeichnis
HA-Intoxikation 120 Halluzinogen 410 Haloether 81, 376 Haloperidol 9, 26, 271, 405, 408, 409, 536, 541 Halothan 381 Handschrift 31 Harnwegsinfekt, der Frau 447, 458 Hashimoto-Thyreoiditis 310, 312 HbA1C-Wert 291, 537 HCV-Infektion 479 Hefe 484 Heilversuch, individueller 38 Helicobacter pylori 208, 213, 214, 316, 454 Heparin 276, 277, 279, 282 Heparingel 282 Heparinoid 276, 282 Heparinsalbe 282 Hepatitis C 478 HERG-Kanal 46 Heroin 56, 161 Heroin-Abhängigkeit 137, 161 Herpes –– genitalis 470, 472, 477 –– labialis 470, 472, 477 –– zoster 477, 543 Herpes-Keratitis 477 Herzglykosid 258 High 134 Hilfsstoffe 7 Histaminrezeptor 118 Histidin 120 HIV-Infektion 477 HMG-CoA-Reduktase-Inhibitor 320 Hormonspirale 346 H1R-Antagonist der 1. Generation 362 H1-Rezeptorantagonist 123 5-HT3R-Antagonist 36 Humanes Cytomegalievirus (HCMV) 477 Hydrochlorothiazid 26, 244, 247, 256, 535 Hydromorphon 162, 528 Hydroxychloroquin 26, 171, 176 Hydroxytryptamin 108, 560 –– Grundlagen, physiologische 108 –– Karzinoidsyndrom 108 Hypercalcämie 267, 269, 305 Hypercalcurie 305 Hypercholesterinämie 319, 325 Hyperforin 393 Hyperkaliämie 260, 267, 380, 382 Hyperprolaktinämie 408 Hyperthermie, maligne 377, 380 Hyperthyreose 310 –– Pathophysiologie 312 –– Pharmakotherapie 312 Hyperthyreosis factitia 314
Hypertonie 238 –– Formen 238 –– Pathophysiologie 238 –– Therapie, praktische 248 Hypoglykämie 290, 292-294, 297, 298 Hypoglykämierisiko, hohes 297 Hypogonadismus 345 Hypokaliämie 271 Hypomagnesiämie 270, 271 Hypomanie 396 Hyposensibilisierung 228 Hypothyreose 310 –– Pathophysiologie 315 –– Pharmakotherapie 315
I Ibuprofen 11, 37, 58, 113, 154, 156, 332, 476, 508, 513, 521, 527, 532, 533, 538, 543 Idarucizumab 277, 278, 556 IFN-β 166 Inhalative Corticosteroide (ICS) 232 Imatinib 433 Imipramin 398 Immunophilin-Ligand 184 Index, therapeutischer 25 Indikation, pleiotrope 404 Industrie-Interesse 13, 283 inflammatory bowel diseases (IBD) 219 Influenza-Grippe 476 Influenzaviren 476 Inhalationsnarkose 376 Inhalationsnarkotika 376 Inhibitoren des Mastzelldegranulation 124 Initialtherapie 393 Injektion, intravasale 377 Injektionsnarkotika 378 INN 8 Insulin 290, 291, 513 –– -glargin 293, 295 –– -lispro 293, 295, 511 Insulin-Sensitizer 297 Interferon 172 Intoxikation 8 Iodid 310, 312, 314 Iodixanol 197 Iodmangelstruma 315 Iohexal 197 Ionenkanal 13, 19 Ipratropium 226, 228 Irinotecan 101, 217, 430 Irrglauben „viel hilft viel“ 121 Ivabradin 256, 259, 261, 267, 268, 511 Ivermectin 44, 494
579 Stichwortverzeichnis
J Johanniskraut 62, 65, 283, 511 Johanniskrautextrakt 65
K Kaliumiodid 315 Kaliumkanalöffner 240 Karzinoidsyndrom 108 Ketamin 154, 378, 382, 391, 514 KHK 261 –– Pathophysiologie 261 Kieferosteonekrose 306, 307 Kinetik –– 0. Ordnung 49 –– 1. Ordnung 49 Klebsiella pneumoniae 451, 453 Klimawandel 96 Klinikjargon 27 Konnotation, positive 387 Kontaktekzem, allergisches 71 Kontrazeptivum, hormonelles 336 Konzentrations-Wirkungs-Kurven 20 Kopflaus 494 Krankheitseinsicht 396 Kreatininclearance 189 Kreuzallergie 371 Kriegsopfer 397
L LABA 124 Laborkosmetik 333 Laktatazidose 297 Lamotrigin 359, 360, 396, 540 Latanoprost 35, 418, 420, 541 Laxanzienabusus 219 Lebensführung, gesunde 318, 336 Leber 50 Ledipasivir 472 Leflunomid 29, 31, 172, 178, 179, 183, 201 Leistungsfähigkeit, finanzielle 423 Leitlinie 12 Leitungsanästhesie 372 Lenalidomid 31, 433, 442, 515 Lepra 43, 467 Lesch-Nyhan-Syndrom 333 Levetiracetam 360, 363 Levodopa 43, 56, 128, 131, 132, 532 Levofloxacin 463 Levonorgestrel 336, 342, 345, 349 Lidocain 371-374, 540 Lieferengpass 316 Life-Style-Mittel 43, 294
H–M
Ligand 14 Lipidsenker 319 Liraglutid 43, 294 Listeria monocytogenes 453 Lithium 26, 43, 44, 191, 200, 260, 315, 388, 396, 413 Lithiumaugmentation 396 Lokalanästhetikum 28 –– Gewebe-pH 371 –– Wirkmechanismus 370 Loperamid 55, 212, 217, 315 Lorazepam 365 Losartan 258 low-density-lipoprotein (LDL) 318 LSD 109, 403, 410 Lumefantrin 490, 491
M Macrogol 161, 212, 219, 528 Magenschutz 215 Magnesium 230, 510 Makuladegeneration –– altersbedingte 422 –– feuchte 419 –– Pharmakotherapie 422 Malariamedikamentes 480 Mammakarzinom 352 Manie, akute 395 Mannitol 418 MAOI 112 Marcumarisieren 283 Marketing-Interesse 407 Massenwirkungsgesetz 15 Mastoparan 124 MCP 114, 127, 129, 161, 209, 218, 521, 531 Mebendazol 30, 493, 494 Medikament 8 Melatonin 108 Melperon 405 Mepolizumab 226, 228 Meropenem 453, 459, 460 Mesalazin 29, 31, 221 Metamizol 26, 29, 31, 114, 151, 157, 158, 330, 490, 508, 513, 528, 532, 533, 536 Metformin 26, 43, 45, 191, 201, 292, 294, 296, 297, 530, 535 Methadon 161 Methamphetamin 104 Methotrexat 223, 558 Methyldopa 249 Methylendioxymethamphetamin 112 Methylphenidat 35, 37, 129, 133, 242, 508, 526 me-too-Arzneistoff 27 Metoprolol 29, 31, 93, 244, 245, 256, 267, 268, 510 Metronidazol 30, 31, 45, 215, 218, 220, 454, 459, 463
580
Stichwortverzeichnis
Mevalonsäure 320 mGPCR-Antagonist 386, 395, 396, 398, 402 Midazolam 363, 365, 367, 381, 382, 540 Mifepriston 342, 345, 513 Migräneprophylaxe 114 Mikrobiom 446 Mikropille 346 Milrinon 259 Minimale Hemmkonzentration (MHK) 446 Minipille 346 Minoxidil 240 Mirtazapin 93, 97, 103, 388, 394 Misoprostol 342 Moclobemid 388, 395 MONA-Schema 263 Monoaminoxidase-Inhibitor (MAOI) 560 Montelukast 31, 229, 395 MOR-Agonist-Abhängigkeit 161 MOR-Agonisten 161 –– Obstipation 208 Morbus –– Alzheimer 102 –– Basedow 312 –– Parkinson 130 Morphin 123, 124, 151, 159, 160, 252, 437, 507, 508, 510, 521, 530 Moxifloxacin 463 6-MP 222, 223, 330, 333 MRSA 447, 448, 458, 459 MTX 10, 11, 20, 176, 178, 179, 182, 192, 201, 202, 220, 421, 533 Multiple Sklerose 177 Muromonab 173, 179 Muskarin 95 Mycobacterium –– leprae 452, 455 –– tuberculosis 452, 453, 455, 459 Mycophenolat 167, 183 –– Mofetil 173 Myopathie 270, 319
N Nahrungsergänzungsmittel 8 Naloxon 79, 85, 86, 161, 162, 163, 507 Nandrolon 345 Naringin 65, 323, 538 Natalizumab 173, 176, 178, 185 Natriumthiosulfat 507 NCC-Inhibitor 26, 195, 240 Nebenwirkung 6 Negativ-(oder Minus)symptom 404 NE/5-HT-Verstärker 387, 394, 413 Nervensystem, autonomes 90 Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) 285 Neuralrohrdefekt 362 Neuraminidase 476
Neuroleptika 403 Nevirapin 477 New York Heart Association (NYHA) 252 Nicht-Opioid-Analgetika 149 –– nicht-saure 157 –– saures 155 Niere 50 Nierentransplantation 200 Nifedipin 240 Nihil nocere 6, 267 Nikotin 95 Nitrofurantoin 449, 458, 464 NKA-Inhibitor 41, 258 NKCC-Inhibitor 26, 240 NKCC-Inhibitor Furosemid 249 Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) 154, 201 Nikotinischer ACh-Rezeptor (nAChR) 95 NNP 140, 250 NO 136 –– Donator 139 –– Grundlagen, physiologische 137 Noceboeffekt 7 NO-cGMP-System 138, 240 Non-NSMRI 398 Noradrenalin 91 Norepinephrin 91, 97 Normalinsulin 295 Notfallkontrazeption 346 Notfallkontrazeptivum 345 Novaminsulfon 159 NPH-Insulin 293, 295 NSMRI 26, 391
O O2 227, 233, 262 Oberflächenspannung 494 Obstipation 208, 218 Ösophagitis 209 Offenwinkelglaukom 416, 417, 420 off-label 423 off-label-use 38 Olanzapin 398, 405, 515 Olaparib 441 Omalizumab 124, 229, 230 Ondansetron 36, 37, 109, 110, 522 open-label placebo 7 Opioidanalgetika 160 Opioidrezeptor 561 Opipramol 406 Oseltamivir 476 Osteoblast 302 Osteoklast 302 Osteonekrose 303 Osteoporose 303, 511 –– Pathophysiologie 303 –– Pharmakotherapie 303
581 Stichwortverzeichnis
P Paclitaxel 263, 431, 441 Palbociclib 433, 441 p-Aminophenol 10, 79, 149, 157 Pan-GPCR-Antagonismus 413 Panik 247 Panobinostat 433 Pantoprazol 37, 45, 122, 210, 212, 507, 525, 533, 538 Paracetamol 10, 11, 26, 37, 114, 152, 157, 158, 507, 508, 520, 522, 532, 536 –– Hepatotoxizität 147, 158 –– Intoxikationsrisiko 83, 84 Parasympathikus 90 Parasympatholytika 95 Parasympathomimetikum, indirektes 102 Parkinson 130 Parkinsonoid 408, 409 Partner des Arztes 283 Patient –– multimorbider 13 –– transsexueller 345 Patientenkollektiv, selektioniertes (geeignetes) 12 PDE5-Inhibitor 141 Pearl-Index 346 Peginterferon 474, 479 –– α-2a 390 Pembrolizumab 434 Penicillin 71 –– G 454, 460 –– V 460, 454 Penicillin-Phobie 71 Pentobarbital 381 Perikarditis 333 Perimenopause 350 Permethrin 19, 493, 495 Pflanzenextrakt 352 Pharmaindustrie-Interesse 13 Pharmakodynamik 5 Pharmakokinetik 5 Pharmakologie 5, 6 –– als Schnittstelle 6 –– experimentelle 5 –– klinische 5 Pharmakologie und Toxikologie 6 pharmakologische Zielstruktur 12 Pharmakotherapie 12 Pharmazie 5 Phenobarbital 283, 360, 363, 511 Phenprocoumon 64, 280, 282, 507, 536 Phenylalkylamin 249 Phenytoin 283, 361, 362, 511 Phosphenen 143 Physostigmin 506, 531 Pilocarpin 93, 96, 99 Pilzgift 410 Pioglitazon 291, 297
M–R
Pipamperon 406, 409, 410, 411 Piperacillin 316, 455, 459, 461 Placebo 7 Placebogruppe 12 Plasma-HWZ 49, 58 Plasmin 285 p-mGPCR-Antagonist 26, 398, 404, 405, 408 Pneumocystis jirovecii 456, 472, 482, 484, 485, 486, 487, 488, 506 Pneumonie, ambulant erworbene 458, 447, 448 Polypharmazie –– psychopharmakologische mit unüberschaubaren Cocktail 399, 410 Positiv-(oder Plus)symptom 404 Potenz 8, 21, 22, 143, 163 Potenzmittel 143 PPAR-α-Agonist 291 PPAR-γ-Agonist 291 Posttraumatische Belastungsstörung 397 Prednisolon 174, 180, 213, 221, 242, 332, 509, 533, 538 Pregabalin 26, 359, 361 Prodrug 49 Progesteron 338, 343, 345 Proguanil 20, 491 Prolaktin 130 Promethazin 121, 515 Propofol 124, 365, 379, 515 Prostatakarzinom 336 Protamin 279, 282, 295, 511 Protonensekretion im Magen 122 Pseudomembranöse Enterokolitis 444, 447, 459 Pseudomonas aeruginosa 444, 451, 455, 459, 461, 462 Pseudoplacebo 282 Psilocybin 410 Psoriasis 177 Psychopharmaka 407 PTHR-Agonist 307, 512 publication bias 387 P2Y12R-Antagonist 281 Pyrazolon 29, 149, 157 Pyridostigmin 93, 101, 531 PZA 455, 467
Q Quetiapin 398, 406, 409, 411 Quotient TD50/ED50 23
R Racecadotril 57, 213 Raloxifen 31, 304, 306, 345 Raltegravir 473, 478 Ramipril 242, 244, 257, 522, 530
582
Stichwortverzeichnis
Ranibizumab 419 Ranitidin 119, 123, 507 RANKL-Inhibitor 43 RANKL/RANK-Interaktion 306 Rasagilin 129, 132, 532 Real-world-Bedingung 13, 284 Redirecting 43 red-man-Syndrom 462, 489 Remdesivir 480 Remifentanil 152, 159, 163 remodelling 240, 242, 247, 249, 252, 254, 261, 262 Repositioning 43 Reprofiling 43 Repurposing 43, 144 Reserveantibiotika 462 Resistenzsituation 461 Resorptionsstörung 284 Retardpräparaten 49 Reye-Syndrom 476 Rezeptor 14 –– Acetylcholin- 91 –– Adreno- 91 –– als Akronym 15 Rezeptor-Agonist 15 Rezeptor-Antagonist 15 Rezeptorfragment, lösliches 28 Rezeptor-Profil, pleiotropes 404 „R“ für Rezeptor 16 Rheumatoide Arthritis 177, 178 Rhinoviren 476 Rhodanid 507 Ribavirin 45, 472, 474, 484 Rigor 131 Ringsystem, hydrophobes 271 Riociguat 140, 143, 508 Risperidon 109, 406, 411, 515 Rituximab 174, 185, 434, 441 Rivaroxaban 280, 284, 285, 511 RMP 444, 455, 467, 511 Rocuronium 91, 93, 124 Roflumilast 31, 227, 233
S SABA 124 Sacubitril 240, 257, 261 Salbutamol 10, 23, 37, 94, 97, 229, 230, 532, 534 SARS-CoV-2 479 Scabies 495 SCB 26, 28, 178, 503, 540 Schaden –– ökonomischer 396 –– sozialer 396 Scharlatanerie 8 Schilddrüsenhormon 310, 562 Schimmelpilz 484
Schizophrenie –– Negativsymptome 403 –– Pathophysiologie 403 –– Pharmakotherapie 402, 403 –– Positivsymptome 403 Schlankheitsmittel 298, 314 Schlauchpilz 484 Schleifendiuretika 240 Schmalbandantibiotika 461 Schmalspurantibiotika 461 Schmerz –– akuter 149 –– chronischer 149 –– Kurzzeittherapie 155 –– Langzeittherapie 155 –– neuropathischer 149 –– Pathophysiologie 146 –– Pharmakotherapie 148 –– WHO-Stufenplan 149 Schmerzentstehung 147 Schmerzleitung 147 Schreibweisen 31 Scopolamin 53, 54, 56, 57, 92, 94, 95, 506, 507 Sedation 408 Sekundärneoplasie 438 Sekundärprophylaxe 263 Selbstentgiftung 86 Selbstmanagement 283 Selbsttherapie 209 Seniorenheim 408 Sentan 27 Sepsis 448, 459 SERM 30, 31, 306 Serotoninsyndrom 111 Sertralin 36, 389, 393 Setron 27 Sevofluran 26, 377, 379, 380, 514 Sexualhormone 336 sGC-Stimulator 143 SGLT-2-Inhibitor 298 Sicherheitsgefühl, falsches 461 Sildenafil 37, 43, 140, 143 Simeprevir 478 Simvastatin 54, 64, 65, 322, 323, 538 Sitagliptin 294, 298 slow metabolizer 52, 66, 270 Sofosbuvir 474, 479 Soldat 397 Spätdyskinesie 408 Sparfloxacin 272 Spasmolytika 100 Spezialisierung (Versäulung) 6 Spinalanästhesie 372, 383 Spirometrie 227 Spironolacton 199, 257 Spitzenumkehrtachykardie 271 Spontanerektion 142
583 Stichwortverzeichnis
SSRI 393 Standardtherapie 12 Staphylococcus aureus 450, 452, 456, 459, 460, 462 Staphylokokken-Penicillin 460 Statin-Myopathie 323 Status –– asthmaticus 230 –– epilepticus 363 steady-state-Plasmakonzentration 61 Steroid, nicht-steroidales 155 Stickoxid 376 Stickoxydul 26, 377 Stimmungsstabilisator 397 Störfaktor 13 Störung –– bipolare 396 –– obsessiv-kompulsive 397 Streptococcus pneumoniae, 450, 462 Studie, klinische 5 Substitution 27 Suizidrisiko 83, 396 Sulfamethoxazol 30, 466, 487, 519, 520 Sulfapyridin 222 Sulfasalazin 26, 29, 30, 31, 178, 222, 520 Sulfonamide 68 Sumatriptan 26, 29, 30, 31, 178, 22, 520 Surrogatparameter 12 Suxamethonium 94, 95, 124 Sympathikus 90 Sympatholytika 103 Sympathomimetikum 103 –– indirektes 105 Synapse –– cholinerge 100 –– noradrenerge 100 Syndrom –– anticholinerges 96 –– antimuskarinerges 96 –– cholinerges 95 –– metabolisches 403, 410 –– muskarinerges 95 System –– dopaminerges 552 –– serotonerges 562
T T3 310, 311 T4 312, 313, 314, 315, 316, 324, 512 Tachykardie, ventrikuläre 268 Tachyphylaxie 102, 104 Tacrolimus 174, 184, 199, 200, 220, 222, 283, 488, 509 Tamoxifen 31, 345, 434, 441 Tamsulosin 97 Tamsulosin/Urapidil 98 targeted therapeutics 108, 382, 427, 428
R–T
Tazobactam 455, 459 TD50 24 TdP, Arzneistoff-induzierte 266 Teicoplanin 459, 462 Temozolomid 438 Tendopathie 463 Tenofovir 473, 477 Terbinafin 486, 488 Terfenadin 272 Teriflunomid 178, 183 Teriparatid 304, 307 Testosteron 35, 344, 345 Tetrazyklin 43 Teufelskreis 219 THC 553 Theophyllin 35, 64, 65, 209, 229, 230, 232, 235 Therapeutische Breite 4, 23-25 Therapie mit klassischen Zytostatika 412 Thiamazol 29, 31, 313, 314 Thiaziddiuretika 240 Thiopental 124, 329, 381 Thrombozytenaktivierung 286 Thyreostatika 314 Tigecyclin 459 Tilidin 162 Timolol 419, 421, 542 Tinea –– capitis 484 –– pedis 484 Tiotropium 96, 229, 234, 509 TMP 487, 519, 520 Tobramycin 466 Topiramat 361, 362 Torsade-de-pointes-Arrhythmien 270, 271 Toxikologie 5 Toxoplasma gondii 456 TPMT-Polymorphismus 439 Tramadol 26, 152, 159, 162, 437, 508, 521, 527, 536 Transplantatabstoßung 166 –– Pathophysiologie 166 Transportern 19 Tranylcypromin 103. 105. 11, 389 Trastuzumab 435 Tremor 131 T-Rezept 31 trial and error 357 Triamteren 254 Triazol 488 Triazolam 35, 365, 513 Trichomonas vaginalis 463 Trimethoprim 20 Trimipramin 412 Tripeltherapie –– Helicobacter pylori 214, 215 triple whammy 201 Triptan 27 T4-Tablette 12
584
Stichwortverzeichnis
Tuberkulose 457, 459 Tuberkulostatika 467 Tumorlysesyndrom 328 Tumorosteolyse 303 Tumorschmerz 149 Tumortherapie 51, 427, 436 Typ-I-Allergie 118
–– D 537 –– D3 305 –– K 280, 507 Vitamin-B12-Mangel 210 Vitamin-K-Antagonist 551 VKA 281, 282 Voriconazol 488
U
W
UAW (Unerwünschte Arzneimittelwirkung) 6 Überdosierung 8 Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) –– Erektion 43 –– pleiotrope 404 Unterdosierung 8 Unterschied zwischen Pharmakologie und Pharmazie 5 Urapidil 94, 97, 244 Urikostatikum 334 Urolithiasis 332, 333 Ustekinumab 35, 175, 509
Warfarin 282 Warnhinweise in der Fachinformation 11 Werbeslogan 461 WHO-Stufenplan zur Schmerztherapie 149, 437 WHO-Rehydratationslösung 213, 217 Wirkmechanismen, molekulare von Arzneistoffen 8 Wirksamkeit –– große kleiner Wirkstoffmengen 8 –– identische 185 Wirkstoff 5 –– Entwicklung 12 Wirkung –– antriebssteigernde 392 –– erwünschte 6 –– pleiotrope therapeutische 404 –– primär-präventive 264 –– therapeutische 6 –– unerwünschte 6 Wirkungslosigkeit 182 Women Health Initiative Study (WHI-Studie) 352 Wortanfang 27 Wortendung 27
V Valproinsäure 362, 391, 396, 464, 540 Valsartan 257 Vancomycin 192, 201, 217, 456, 459, 460, 462, 466 Vareniclin 32 Vaughan-Williams 267 Vemurafenib 435, 441 Venlafaxin 26, 389, 393 Verantwortung für seine Gesundheit 283 Verapamil 246, 260, 267, 268 Vergiftung 8 Verkauf von Arzneimitteln sowie der Arzneimittelberatung in der Apotheke 5 Vermüllung 441 Verordnungs-Mode 410 Verordnungsverhalten 259 Verordnungszahl 281, 410 Versäulung 6, 270 Verschreibungewohnheiten 410 Verschreibungspflicht 24 Verteilungsvolumen 51 Verwechslung 28 VHF 267, 269 Viererkombination 460 Vinblastin 431, 440 Virusinfektion 470 Vitamin –– B12 210, 214, 526
X Xabane 27 Xamoterol 259 Xylometazolin 55, 94, 98
Z Zentralisierung, globale 316 Zopiclon 35, 36 Z-Substanz 356, 359, 364 Zusammenarbeit, interdisziplinäre 306, 411 Zuständigkeitsgebiet 6 Zwangsjacke, chemische 407 Zweierkombination 460 Zweiphasenpräparat 348 Zyanidintoxikation 83, 140, 141 Zystitis, hämorrhagische 438 Zytostatika, klassische 438