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German Pages [692] Year 2015
AUXILIA HISTORICA Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen von
Eckart Henning
3., nochmals erweiterte Auflage
2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Entwurf des Verfassers
3. Auflage 2015 2. Auflage 2004 1. Auflage 2000
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22430-1
Vorwort „Die Geschichtswissenschaft hat durch jahrzehntelange Vernachlässigung der Historischen Hilfswissenschaften Schaden genommen“ – dieser existenzgefährdende Befund steht bereits im Vorwort zur ersten Auflage der „Auxilia historica“ (1999) und muß leider ohne Abstriche auch in der dritten wiederholt werden! Als ich ihn auf dem 73. Deutschen Archivtag in Trier (2002) statistisch belegte und offen aussprach, daß die Hilfswissenschaften an den Universitäten marginalisiert werden bzw. kaum noch grundständig zu studieren sind, verhallte dieser Weckruf, der eher als „Orchideen-Alarm“ begriffen wurde, leider ungehört, weswegen sein Text zur (weiterhin) „aktuellen Lage der Historischen Hilfswissenschaften“ nochmals an die Spitze dieser Aufsatzsammlung gestellt sei. Man täusche sich nicht: daß sie überhaupt erscheinen konnte, ist leider kein Zeichen dafür, daß sich die Lage entspannt hätte, sondern eher umgekehrt, ein Symptom für eine umsich greifende Hilflosigkeit von Historikern in Archiven, in denen schließlich die übergroße Mehrheit ihrer weder gedruckten noch digitalisierten Quellen liegt. Dort angekommen, merken sie, daß ihnen quellenkundliche und hilfswissenschaftliche Grundkenntnisse fehlen, daß sie im Studium keineswegs metiersicher gemacht worden sind und greifen dann in ihrer Not zu Handbüchern wie den „Archivalischen Quellen“, die Friedrich Beck und ich inzwischen in der 5. Auflage (2012) herausgebracht haben, oder zu der hier vorgelegten Aufsatzsammlung, um damit mühsam im Selbststudium nachzuholen, was ihnen als Schlüsselqualifikationen beizubringen, allzu viele Universitäten versäumt haben. Dem Verlag kann das recht sein, aber verantwortliches Handeln im akademischen Unterricht sieht anders aus. Die Reste der Historischen Hilfswissenschaften haben sich praktisch in ein paar Dachkammern zurückgezogen, während in der Belétage der Universität fast nur noch gedruckte Quellen gelesen werden. Es genügt nicht, in Themenseminaren gelegentlich hilfswissenschaftliche Fragestellungen aufzugreifen (und auch das allenfalls in mediaevistischen Veranstaltungen, während sie in neuzeitlichen und zeitgeschichtlichen fast gänzlich fehlen) oder nur eine Portion Grundwissen in diversen Tutorien zu verabreichen. Es muß wirklich „geübt“ und in Abschlußklausuren geprüft werden, wie ich als Hochschullehrer an der Humboldt-Universität aus eigener und noch immer andauernder Erfahrung nur zu gut weiß. Ich habe seit 1993 nahezu kein Semester ausfallen lassen und doch niemals „vor leeren Bänken predigen“ müssen, da die Historischen Hilfswissenschaften, wo man sie anbietet, ihren Hörern Vielfalt und Sicherheit vermitteln und keineswegs als fünftes Rad am Wagen der Geschichtswissenschaften empfunden werden. Solche Übungen finden angesichts schneller Erfolgserlebnisse und der Freude, die sie vermitteln, guten studentischen Zulauf, den es besser zu nutzen gilt. Aber die Zeit, sie den Studenten noch ganz altmodisch durch Übungen in Grup-
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Vorwort
pen (mit Hilfe von Kopien, nur unterstützt durch Powerpoint und Folien) zu vermitteln, ist knapp geworden, da die Lehrer dieser Fächer allmählich aussterben, der Nachwuchs nicht mehr im ausreichenden Maße herangebildet worden ist, um sich weiter an der bekannten, u. a. Gustav Mahler zugeschriebenen Maxime, orientieren zu können: „Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche“. Auch an den hilfswissenschaftlich schwächer werdenden deutschen Archivschulen sind die ehemaligen Historiker-Archivare längst zu bloßen Informationsvermittlern, IT-Spezialisten, Behördenberatern, Öffentlichkeitsarbeitern, Ausstellungsmachern usw. mutiert und haben mit der problematischen Langzeitarchivierung analoger und digitaler Quellen ohnehin „größere“ Sorgen. Veranstaltungen wie die der Berliner „Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften“ des Herold, die im vorigen Jahr immerhin ihre 4o. Tagung im Otto-Warburg-Haus der MaxPlanck-Gesellschaft durchführen konnte, vermögen höchstens dazu beitragen, Fachwissen zu bewahren, während die gleichfalls durchgeführte „Sommerschule“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften der richtige Ansatz dafür war, die Hilfswissenschaften wieder in den Lehrbetrieb zurückzuführen; sie sollte daher zu einer ständigen Einrichtung gemacht werden und als Pilotprojekt andernorts Nachahmer finden, sonst wäre es nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein gewesen (wo ganze Eimer an allen Hochschulorten gebraucht werden). Es geht in diesem Band, der die älteren, unveränderten Aufsätze besser greifbar macht, gleichwohl weiter um Vergewisserung und Erkenntnisfortschritte sowie um künftige Weichenstellungen in den Historischen Hilfswissenschaften, die dem Historiker bei der Erschließung einzelner Quellen und Quellengruppen „helfen“ können. Das ändert nichts daran, daß es sich bei ihnen eigentlich um selbständige Disziplinen handelt, von denen schon Immanuel Kant im „Streit der Fakultäten“ (1798) meinte, dass eigentlich kein Fach nur des anderen Magd sei, weder zum Vortragen der Fackel, noch zum Nachtragen der Schleppe. Gleichwohl bleiben alle Fächer, auch das ist letztlich eine Banalität, mehr oder minder aufeinander angewiesen und tragen gemeinschaftlich zum Orientierungswissen bei, so auch die Historischen Hilfswissenschaften. Als Dienstleister gehören sie freilich nicht zu den „Grundwissenschaften“, worunter man üblicherweise Fächer versteht, die sich mit methodologischen Fragen beschäftigen, mit Metahistorik. Zum Sinn und Ausmaß dieser Hilfestellung vgl. mein „Begriffsplädoyer für die Historischen ,Hilfs‘wissenschaften“ in diesem Buch! Doch wodurch wurde die nochmals erweiterte 3. Auflage nun „erweitert“? Insgesamt um 14 nach 2004 entstandene neue Beiträge, wobei zwei kleinere ältere wegfallen sind: Im I. Teil handelt es sich um ein Thesenpapier zu den „Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften“, das zuerst in der Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ vorgetragen wurde. Da die Unterschiede dieser Fächer evident sind, kam es darauf an,
Vorwort
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einmal in zehn Punkten ihre Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die u. a. im Objektbezug und in ihrer empirischen Arbeitsweise begründet liegen. Der II. Teil wird um weitere Titulaturstudien, insbesondere zum Mißbrauch akademischer Grade, ergänzt, aber erstmals auch durch zwei Beiträge zur Autographenkunde. Der III. Teil erfährt zur „Genealogie“ eine eher grundsätzliche „Standortbestimmung und Perspektiven“, ergänzt durch eine Stellungnahme zu Armin Wolfs großer erbrechtlicher Aufsatzsammlung über die Königswähler des Mittelalters, wobei der bisherige Kurzbeitrag über diesen Mediaevisten entfällt. Der IV. Teil enthält im leicht revidierten und ergänzten Artikel „Wappen“ die bisher knappste Fassung heraldischen Grundwissens, verbunden mit der „Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze“ von 2009. Sie wird flankiert von einem Rückblick auf die Probleme der Heraldikertreffen des „Herold“ von 1970–1990 unter dem Titel „Bacillus heraldicum – Diagnose und Therapie“, der das ganze Fach berührt, wofür auf den Einzelbeitrag über den Heraldiker H. H. Reclam verzichtet werden mußte. Neu aufgenommen sind ferner zwei Studien zur Geschichte der Heraldik, die nur vordergründig das Vereinswesen betreffen: „Heraldische Geschwister, Geheimrat Warnecke als Gründungsvater von ,Herold‘ und ,Kleeblatt‘“ (19. Jahrhundert) und „Der ,doppelte‘ Herold“ mit einem Vergleich der führenden deutschen Heraldiker Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt (20. Jahrhundert). Der V. Teil erfährt keine Neuzugänge, wohl aber der VI.: Im Beitrag „Vom Quellenwert der Bilder“ werden skeptische ikonologisch-methodologische Reflexionen über den Umgang der Historiker mit dem Visuellen angestellt, während sich „Die Phaleristik und ihre Nachbarwissenschaften“ bemüht, über Disziplingrenzen hinauszublicken. Abschließend wird eine Medaille analysiert, die den Wahlspruch „Veni creator spiritus“ Adolf v. Harnacks trägt, der höchsten Auszeichnung der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Am Ende entfällt das bisherige Curriculum vitae des Autors zugunsten einer – dem ergänzten Schriftenverzeichnis vorangestellten – Vorbemerkung über dessen wissenschaftlichen Werdegang. Förderliche Anregungen und nützliche Hinweise verdanke ich vor allem den mir bekannt gewordenen 25 Buchbesprechungen der 1. und 2. Auflage dieser Aufsatzsammlung, insbesondere den Rezensenten: Friedrich Beck (Herold-Jahrbuch N.F. 5, 2000, S. 246–247 u. 9, 2004, S. 221–222); Ludwig Biewer (Historische Zeitschrift 273, 2001, S. 697–699); Ulrich Bornitz (Vierteljahrsschrift Herold N.F. 15/2004, S. 13–14); Helmut Caspar (Berliner Lesezeichen 4/2000, S. 104); Katharina Colberg (Mediaevistik 14, 2001, S. 258–260 u. 19, 2006, S. 245); Toni Diederich (Der Archivar 55, 2002, S. 74 u. 58, 2005, S. 310); Horst Doležal (Adler, Zeitschrift für Heraldik und Genealogie 8/2004, S. 295); Dietrich Herfurth (Orden und Ehrenzeichen 4/2002, S. 49 u. Jahrbuch 2004, S. 134–135); Paul Lauerwald (Münzen und Papiergeld 9/2006 u. Grenzland-Nachrichten H. 229, 2006); Clemens Graf
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Vorwort
v. Looz-Corswarem (Düsseldorfer Jahrbuch 75, 2005, S. 662–663); Günter Mattern (Archivum heraldicum 1/2000, S. 82); Hermann Metzke (Genealogie Jg. 49, 2000, S. 251 u. Jg. 55, 2006, S. 69); K. N. (Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 57, 2001, S. 625–626); Rolf Nagel (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 204, 2001, S. 356–367); Wolfgang Steguweit (Geldgeschichtliche Nachrichten 203, 2001); Volkmar Weiß (Familien und Geschichte 2/2000, S. 474); Armin Wolf (Ius Commune 18, 2001, S. 371–373 u. Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 123, 2006, S. 408–409); Walter Zöllner (Sachsen und Anhalt 24, 2002/03, S. 528–530). Der Autor hofft auch künftig auf förderliche Kritik und Anregungen zur Weiterarbeit! Berlin, im August 2014
E. H.
Inhalt Vorwort..........................................................................................................
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I
Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland................................................................................................ 15 Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften . ................. 26 Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften. 10 Thesen....... 39 Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen! . .................. 43 Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin......................................... 56 Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin.................................... 94
II Wie die „Aktenkunde“ entstand. Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert . ...................................................................................... 121 Titulaturenkunde. Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker .............................................................................................. 144 „Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“ Aktuelle hilfswissenschaftliche Anmerkungen zu akademischen Titeln....................................................... 168 Anerkennung und Aberkennung akademischer Titel. Missbrauchsformen im Spiegel der Presse . ................................................ 190 Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde . ................................ 207 Wertpapiere? Vom materiellen und ideellen Wert der Autographen . ...... 224
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Inhalt
Zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Visitenkarte. Zugleich ein hilfswissenschaftlicher Beitrag über Datierung, Abkürzungen und Gebrauch eines „unentbehrlichen Requisits“............................................. 237
III Genealogie. Standortbestimmung und Perspektiven . ............................... 255 Sozialgenealogie und Historische Demographie, Prosopographie und Biographieforschung. Zur Diskussion der Begriffe............................ 274 Verwandtschaft – Erbrecht – Königswahlen. Geleitwort zu Armin Wolfs ausgewählten Aufsätzen . ...................................................... 286 Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie. Zur Weiterführung der Familiengeschichtlichen Bibliographie 1945–1960............................... 291
IV „Das Unsichtbare sinnfällig machen“. Zur Erinnerung an Percy Ernst Schramms „Herrschaftszeichen“ . .......................................... 301 Wappen . ........................................................................................................ 314 Zur Entwicklung der heraldischen Bibliographie Deutschlands und Österreichs seit dem 17. Jahrhundert ......................................................... 329 Zur Verleihung bürgerlicher Wappen in Preußen. Ein vergebliches Immediatgesuch aus dem Jahre 1899........................................................... 348 Reichstagsheraldik. Alte Sünden und neue Nutzung durch den Deutschen Bundestag..................................................................................... 366 „Bacillus heraldicum“ – Diagnose und Therapie. Rückblick auf die Heraldikertreffen des Herold (1970–1990)................................................. 376 Heraldische Geschwister. Geheimrat Warnecke als Vereinsvater von „Herold“ (1869) und „Kleeblatt“ (1888) . ........................................... 393 Der „doppelte“ Herold. Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt – Zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Heraldik................................ 406
Inhalt
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V Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich . ............................................................................................ 427 Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese der Sphragistik . .... 443 Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im XI. und XII. Jahrhundert . ....................... 455 Die Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes der Grafen von Henneberg vom XII. bis XVI. Jahrhundert................................................ 484
VI Vom Quellenwert der Bilder. Ikonologisch-methodologische Reflexionen.................................................................................................... 515 Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie ......... 538 „Veni creator spiritus“. Die Harnack-Medaille, höchste Auszeichnung der Kaiser-Wilhelm-Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1924–2004 . ......................................................................... 556 Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie .............................................................................................. 578 Numismatisch-heraldische Wechselbeziehungen....................................... 593 Fahnen oder Flaggen? Zur Bedeutung zweier vexillologischer Termini........................................................................................................... 603 Phaleristik als Lehrfach . .............................................................................. 612 Die Phaleristik und ihre Nachbarwissenschaften ...................................... 624 * Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning......................... 640
Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland * Die gegenwärtige Lage der Hilfswissenschaften darzustellen, bedeutet leider, Ihnen die Misere einer ganzen Fächergruppe ins Bewußtsein zu rufen, die längst randständig geworden ist. Um dies auch statistisch zu belegen, habe ich die von der Hochschulrektorenkonferenz veröffentlichten „Studienangebote deutscher Hochschulen“1 für das Wintersemester 2002/03 überprüft. Daraus ergab sich das erwartete, gleichwohl niederschmetternde Ergebnis, daß es inzwischen unter den 115 deutschen Hochschulen nur noch sechs gibt, ich wiederhole: sechs, an denen man die Historischen Hilfswissenschaften noch im Hauptfach studieren bzw. mit einem Magisterabschluß verlassen kann. Das sind Bayreuth, Bonn, Frankfurt/Main, Göttingen, München und Würzburg. Hinzu kommen weitere sieben Hochschulen, an denen man Hilfswissenschaften immerhin im Nebenfach belegen kann: Halle-Wittenberg, Heidelberg, Köln, Leipzig, Marburg/Lahn, Münster und Passau, wobei Leipzig und Marburg m. W. bereits „wackeln“, da in Leipzig die Hilfswissenschaften nur noch vertretungsweise besetzt sind2 und für Marburg leider veraltete Auskünfte zugrunde lagen3, was freilich wenig am Gesamtbild ändert: An diesen sechs Hauptfach- und sieben Nebenfach-Ausbildungsstätten sind eben nur noch 13 Studienangebote erhalten geblieben (davon vier allein in Bayern), mithin können Hilfswissenschaften an wenig mehr als 10 % (11,3 %) aller deutschen Universitäten und Hochschulen noch systematisch studiert werden, worunter selbst so traditionsreiche Zentren wie Berlin, Frei*
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Vortrag zur Herold-Sitzung am 20. September 2003 in Schwerin anläßlich des 55. Deutschen Genealogentages, zugleich redigierte Fassung des Referats vom 73. Deutschen Archivtag in Trier, 2002. Studienangebote deutscher Hochschulen. Hrsg. von der Hochschulrektorenkonferenz. Ausg. vom 11. Juni 2002 zum WS 2002/2003. Bad Honnef 2002, S. 17, 25. Wie zu erfahren war, ist die ehemalige Leipziger C 3-Professur von Dr. Thomas Vogtherr (heute Universität Osnabrück) inzwischen weggefallen. An seine Stelle trat vorläufig das Lehrangebot des Universitätsarchivars, apl. Prof. Dr. Gerald Wiemers. Theo Kölzer (Universität Bonn) sprach in seinem Erfahrungsbericht am 19. September 2002 vor dem 73. Deutschen Archivtag in Trier zum Thema: „Welche Erwartungen hat der Mittelalter-Historiker an die Archive und Archivare“ geradezu von einer „skandalösen Abwicklung“ des hilfswissenschaftlichen Lehrstuhls von Prof. Dr. Peter Rück in Marburg/L., wo man sich inzwischen beeilte, wenigstens zum Wintersemester 2002/03 eine einführende Ringvorlesung für die Historischen Hilfswissenschaften und einige begleitende Lehrveranstaltungen zu organisieren (freundliche Mitteilung des Archivschuldozenten Dr. Karsten Uhde vom 18./20. September 2002).
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Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland
burg/Br. oder Tübingen fehlen4. Damit haben die Historischen Hilfswissenschaften, die ja keine „historischen“ Hilfswissenschaften sind, sondern ein aktuell nützlicher Fächerverband für Historiker, die zur Quelleninterpretation der Mithilfe entsprechender Spezialisten bedürfen, nun nachgewiesenermaßen den Status sogenannter Orchideenfächer erlangt. Artenreich und schön sind m. E. auch die Hilfswissenschaften, aber einige halten sie – wie besagte Pflanzen – nur für altmodisch und nutzlos, obwohl sie unerläßlich erscheinen, um auf spezielle Fragen direkt oder im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen zu antworten. Die Historischen Hilfswissenschaften sind das Technische Hilfswerk des Historikers, und so es ist unverantwortlich, am Rettungsgerät zu sparen, denn seit Jahren sind diese anwendungsorientierten Fächer, obgleich interdisziplinär ausgerichtet, Mittelreduzierungen und Stellenstreichungen ausgesetzt, die obendrein noch als Effizienz- und Konzentrationsanstrengungen ausgegeben werden. Leider besitzen die Hilfswissenschaften keine Lobby, und so müssen sie es denn erleben, daß ihre eigenen Hilfsschüler, nämlich die Historiker, sie als Manövriermasse preisgeben, nur um ihr eigenes Fach und Fell zu retten – ein durchaus kurzsichtiges Verfahren! Wenn nun aber hilfswissenschaftliche Abschlüsse in Deutschland kaum noch erlangt werden können, so gibt es immerhin – so der beschönigende Einwand – an vielen deutschen Universitäten noch Hochschullehrer, zumeist der Mittelalterlichen Geschichte, die die Historischen Hilfswissenschaften „mitbetreuen“, da ihre venia legendi zumindest ein solches epitheton ornans aufweist. Das sieht dann in der Praxis oft so aus, daß entweder gelegentliche Lehrveranstaltungen in den Hilfswissenschaften angeboten werden (selten) oder diese zumindest in anderen bei Bedarf angewendet werden (häufiger). Ein abrundendes, meist nur propädeutisches Angebot wird den – vielfach archivarischen – Honorarkräften wie mir5 anvertraut, um es vielfältiger erscheinen zu lassen. Doch sehen wir näher hin! Um hier ebenfalls statistisch argumentieren zu können, habe ich die letzte, 2001 erschienene, Ausgabe des „Bio-bibliographischen Verzeichnisses deutschsprachiger Wis4
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Ausländern ist es zumeist schwer verständlich zu machen, wenn an einer international angesehenen deutschen Universität die Historischen Hilfswissenschaften kaum mehr anzutreffen sind, wo sie einst mitbegründet bzw. weiterentwickelt wurden und es ihre Vertreter gar zur Weltgeltung brachten. Der Verlust solcher Fächer beraubt diese Universitäten ihres besonderen Profils, läßt sie provinziell und verwechselbar erscheinen. Zu Berlin vgl. Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin. In: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen. Hrsg. von Reimer Hansen u. Wolfgang Ribbe (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 62). Berlin 1992, S. 365–408. Ich lehrte von 1986 bis 1997 an der Freien Universität Berlin Archivkunde, seit 1990 zugleich an der Humboldt-Universität zu Berlin Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften der Neuzeit, seit 1993 als Honorarprofessor.
Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland
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senschaftler der Gegenwart“ ausgewertet, wie sich Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender im Untertitel inzwischen vollmundig nennt. Aus den Fächerzusammenstellungen im letzten Band, die die Historischen Hilfswissenschaften unter Nr. 321 immerhin noch ausweisen, sind dort 182 Namen genannt6. Vergleicht man diese zunächst erstaunliche Zahl nur mit der für das Gebiet der „Hochmittelalterlichen Geschichte“ benannten Gelehrten7, so stehen 292 Mediävisten 182 Hilfswissenschaftlern gegenüber. Eliminiert man dann die Doppelmeldungen, so bleiben von diesen 182 nur 111 übrig, denn immerhin 70 Mediävisten der genannten Gruppe bezeichnen sich zusätzlich noch als Hilfswissenschaftler! Berücksichtigt man dabei den vielbeschworenen demographischen Faktor, da sich unter den registrierten Hilfswissenschaftlern viele Emeriti bzw. Pensionäre befinden, die manchmal noch forschen, aber oft nicht mehr lehren, ferner ausgesprochene Spezialisten (wie z. B. Numismatiker) oder nebenamtlich lehrende Archivare, ja sogar Verstorbene, so relativiert sich der Eindruck einer nennenswerten Zahl vollbeschäftigter Fachleute erheblich. Zieht man dann noch die im „Kürschner“ ebenfalls aufgeführten, in Österreich oder in der deutschsprachigen Schweiz beschäftigten Kollegen ab, so bleiben für die Bundesrepublik Deutschland nur noch höchstens fünfzig Namen (von 111) übrig. Klios Hilfstruppen sind folglich zu einem „letzten Aufgebot“ zusammenschrumpft –, dem der Nachwuchs fehlt. Diese Lagebeschreibung zwingt dazu, die Frage nach den Ursachen zu stellen, die sich nicht von jener nach dem Ausbildungsbedarf für den wissenschaftlichen Nachwuchs trennen läßt. Nach meiner Überzeugung hängen sie eng mit dem für die Historischen Hilfswissenschaften verhängnisvollen Verlust der Archivarsausbildung an den Universitäten zusammen. Ich habe diese These im Anschluß an Karl Brandis Befürchtungen aus den dreißiger Jahren in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts aufgegriffen und ausführlicher begründet, als es hier möglich ist8, auch bin ich Norbert Reimann dankbar, daß er sie sich in seinem Situationsbericht zur archivarischen Ausbildung zu eigen gemacht hat: „Die ,Auslagerung‘ des hilfswissenschaftlichen Ausbildungsbedarfs von den Universitäten an die Archivschulen, für den die Archivanwärter die ,Hauptabnehmer‘ darstellen, führte andererseits an den Universitäten zu einem Rückgang der Nachfrage und damit auch des Angebotes im Bereich der Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten. Dies wiederum wirkt sich nachteilig auf die hilfswissenschaftlichen 6
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Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2001. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. Bd. 3. München 2001, S. 4036 (Nr. 321). Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2001 (wie Anm. 6), S. 4036–4037 (Nr. 317). Eckart Henning: Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften. In: Herold-Jahrbuch, N. F. 1 (1996), S. 16–26.
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Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland
Vorkenntnisse aus, die die Anwärter beim Eintritt in den Vorbereitungsdienst mitbringen“9. Dieser „Teufelskreis“ erklärt vermutlich, warum der Dialog zwischen den Historischen Hilfswissenschaften und der Archivwissenschaft, wie es der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (WA) in seinem „Call for Papers“ für diese Sitzung taktvoll formuliert, „von beiden nur in beschränktem Maße wahrgenommen wird“. In Wahrheit ist er abgerissen und wird erst wieder zu Synergieeffekten führen, wenn wir entweder die preußischen Verhältnisse in Berlin vor Gründung des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (IfA, 1930)10 oder das erst 1996 ausgelaufene DDR-Ausbildungsmodell für den höheren Archivdienst an der Humboldt-Universität zu Berlin wiederherstellen, wo man gleichzeitig nicht nur Geschichts- und Archivwissenschaft studieren (und dadurch ungleich früher abschließen) konnte, sondern eben auch ein breites hilfswissenschaftliches Angebot vorfand11 – wofür leider der „Bedarf“ nach der Wende sowohl vom Bundesarchiv als auch vom WA ohne ausreichende Gründe bestritten wurde.12 Denn der Fortschritt in der Archivarsausbildung liegt heute paradoxerweise im Rückweg an die Universität. Darauf sind besonders die Historiker angewiesen, die zumindest als Mediävisten in den Archiven noch immer einen „hilfswissenschaftlich ausgebildeten, selbst forschenden ,Betreuer‘ erwarten“, der z. B. „Doktoranden aus Interesse an der Sache in jeder Hinsicht beratend und unterstützend zur 9
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Norbert Reimann: Zur Situation der archivarischen Aus- und Fortbildung. Ein Diskussionsbeitrag aus der Sicht der kommunalen Archivpflege. In: Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds. Hrsg. von Friedrich Beck, Wolfgang Hempel, Eckart Henning. Potsdam 1999, S. 637–661, bes. S. 657 m. Anm. 62. Wolfgang Leesch: Das Institut der Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (IfA) in Berlin-Dahlem (1930–45). In: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag. Berlin 1971, S. 219– 254, und Eckart Henning: Der erste Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, Reinhold Koser. In: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte. Hrsg. von Cécile Lowenthal-Hensel u. Friedrich Benninghoven (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 14). Berlin 1979, S. 259–293, hier bes. S. 283 f. Botho Brachmann: Die Ausbildung wissenschaftlicher Archive in Potsdam und in Berlin 1950 bis 1995/96. In: Archiv für Diplomatik 39 (1993), S. 387–492. Beide Schreiben liegen mir vor, das eine von Friedrich P. Kahlenberg als Präsident des Bundesarchivs vom 17. April 1991 an mich, das andere vom Vorsitzenden des Vereins deutscher Archivare Hermann Rumschöttel vom 15. April 1991 an meinen Kollegen Otto Gerhard Oexle in dessen Eigenschaft als Mitglied der Strukturkommission für das Fach Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin gerichtet. Beide setzten sich zwar für einen Lehrstuhl für Archivwissenschaft an dieser Universität ein, nicht aber für die dortige Fortsetzung der Ausbildung von Archivaren für den höheren Dienst, weswegen er wegfiel. Vgl. Herold-Jahrbuch, N. F. 5 (2000), S. 83–94, hier S. 85 mit asterierter Anm. von E. H.
Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland
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Seite steht“, was freilich eine angemessene Berücksichtigung „hilfswissenschaftlicher Lehrinhalte in der Ausbildung (und damit zugleich Stärkung der ,klassischen‘ universitären Ausbildung)“ voraussetzt13. Eine solche Stärkung nähme den Historischen Hilfswissenschaften, die sonst kaum noch als eigenständiger Studiengang wahrgenommen werden, zugleich den Ruf als bloßes Anhängsel an die entsprechenden Referenzdisziplinen der Geschichte. In der Gedenkschrift „Archivistica docet“ (1999), wie ich sie nennen möchte, heißt es programmatisch im Vorwort: „Bereits heute ist erkennbar, daß die weitere Entwicklung des Informationszeitalters auf eine engere Kooperation der Bereiche Archiv, Bibliothek und Dokumentation bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Spezifika hinzielt. Deren drängende Probleme dürften nicht nur auf dem deutschen Sonderweg einer verwaltungsinternen Ausbildung zu lösen sein, sondern sollten künftig auch europaweit bei freier Immatrikulation in Gemeinschaft mit benachbarten Fächern an Universitäten und Hochschulen erneut studierbar werden“14. Dieser Sonderweg ist eine Sackgasse und so rate ich hier, wie schon 1991 anläßlich des Symposions über „Archivische Berufsbilder“ am märkischen Schwielowsee15, als ersten konkreten Schritt zur Rückverlegung der Marburger Archivschule mit ihren dürftigen vier Planstellen in die an Honorarkräften und Praktikumsplätzen reiche Berlin-Brandenburgische Archivlandschaft, wo deren Leitung in Personalunion einem Hochschulprofessor oder einem GStA-Direktor16 mit Hochschulrang übertragen werden sollte, ehe in einem zweiten Schritt an einer der Berliner Universitäten ein Kompetenzzentrum für Quellenkunde und Quellenkritik errichtet werden könnte, wie es Botho Brachmann in einem noch unveröffentlichten Beitrag über die „Neuen Medien“ vorschlägt17. Er ist in der Neuauflage der seit 1997 vergriffenen „Archivalischen Quellen“ enthalten, und diese sind „mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften“ (= Untertitel) versehen, was durchaus program13
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Zitate aus dem Thesenpapier von Theo Kölzer zu seinem Referat in Trier am 19. September 2002 (wie Anm. 3). Vorwort zu Archivistica docet (wie Anm. 7), S. 13–18, hier S. 18. Eckart Henning: Diskussionsbeitrag zu Lehrerfahrungen an der Humboldt-Universität ab 1990. In: Archivische Berufsbilder und Ausbildungsanforderungen. Protokoll eines Kolloquiums vom 14.–16.11.1991 (Potsdamer Studien, 3). Potsdam 1990, S. 86–87. Mit „GStA-Direktor“ ist der Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem gemeint, in dessen Dienstgebäude 1930 die preußische Archivschule als „Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“ gegründet wurde (vgl. Anm. 10). Botho Brachmann: Moderne Quellengattungen. Neue Medien und Massenmedien. In: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Friedrich Beck u. Eckart Henning. 3. Aufl. Köln 2002, S. 149–164, hier S. 164.
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matisch gemeint ist, denn ein quasi kognitionswissenschaftliches Institut böte diesen Fächern eine Heimstatt, und der abgerissene Dialog über alle „Überreste“ (Droysen) von den Tontafeln über die Papyri, den Pergamenten und Papieren bis hin zu den audio-visuellen und opto-elektronischen bzw. digitalen Medien käme wieder in Gang18. Innerhalb der Geschichtswissenschaft bildet die Quellenkunde mit all ihren Fragen an die Überlieferung den Kern des Faches, außerhalb umkreisen ihn die Historischen Hilfswissenschaften wie Satelliten, um unter Einsatz ihrer Instrumente zur Beantwortung beizutragen, denn das Verhältnis von Quellenkunde und Hilfswissenschaften ist das von Frage und Antwort. Sollte jeder Akt des Erkennens einen Selbstbezug und einen Objektbezug aufweisen, so kommt ersterer stärker in problemorientierten Fragen, letzterer mehr in hilfswissenschaftlichen Antworten zum Ausdruck; die Fragen stellen die Historiker als erkennendes Subjekt an ihre Quellen, die hilfswissenschaftlichen Antworten betreffen das erkannte Objekt19 – was allerdings nichts daran ändert, daß Fiktionen und Fakten ein „epistomologisches Paar“ bilden (Gaston Bachelard). Insgesamt habe ich mein Thema mehr organisatorisch aufgefaßt, doch lassen Sie mich abschließend noch einige inhaltliche Bemerkungen dazu machen, welche Gestalt ein aktualisierter Kanon Historischer Hilfswissenschaften annehmen könnte bzw. wo Forschungsergebnisse zu erkennen sind, die nicht nur „hilflose Historiker in Archiven“20 zu vermeiden helfen, sondern auch Archivare beachten sollten, sofern sie sich nicht als bloße Informationsvermittler21 begreifen: Als klassische Hilfswissenschaften, die noch nicht der Sache nach, aber begrifflich 1741 erstmals titelgebend bei Anselm Desing als „Auxilia historica“ auftauchen (ehe Johann Christoph Gatterer 18
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Eckart Henning: Historische „Überreste“. Archivalische Quellen und ihre Benutzung. In: Der Herold, N. F., Bd. 14, Jg. 36 (1993), S. 51–58. Das Verhältnis von Quellenkunde und Historischen Hilfswissenschaften stellt ein eigenes Vortrags-, eventuell Tagungsthema zum Selbstverständnis beider dar – was hier zu weit führt –, doch ist die Geschichtswissenschaft immerhin gehalten, sich mehr mit der materiellen Seite ihrer Quellen auseinander zu setzen, was ihrer gegenwärtigen Theoriemüdigkeit durchaus entgegenkäme. Manfred Rasch: Hilflose Historiker in Archiven. Bemerkungen über Defizite in der derzeitigen Historikerausbildung Westdeutschlands. In: Archiv und Wirtschaft 28 (1995), S. 114–117. Wenn gar keine Historiker-Archivare mehr ausgebildet würden oder wenigstens nach einem Mittelweg zwischen diesem älteren Berufsideal und dem neueren des Informationsvermittlers gesucht werden würde, könnten selbst die wenigen Professoren, die sich zur Zeit noch als Benutzer in die Archive begeben, dort kaum mehr auf archivarische Gesprächspartner hoffen, die ihnen bei der Interpretation älterer, nicht nur digitaler Quellen helfen. Die Hilflosigkeit wächst auf beiden Seiten des „Tresens“ in den Benutzersälen der Archive, die Hilfsbedürftigkeit auch. Vgl. Kölzer (wie Anm. 3).
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diese Bezeichnung 1761 ins Deutsche übertrug22), benannte mein Wiener Lehrer Heinrich v. Fichtenau den folgenden, sicherlich erweiterungsbedürftigen Fächerkanon23: Paläographie, Diplomatik, Aktenkunde, Heraldik, Sphragistik, Genealogie, Numismatik und Chronologie. Epigraphik und Skriptoristik bzw. Codicologie fehlen in diesem Kanon nur dann, wenn man diese Entzifferungswissenschaften nicht, wie noch Fichtenau, weiter zur Paläographie rechnet. Sie zeigen genauso Emanzipationstendenzen (in Form eigener Lehrbücher, Fachzeitschriften, Bibliographien und Tagungen) wie andere noch in der Entwicklung begriffene Disziplinen. Soweit ich sehe, wäre hier die die Aktenkunde ergänzende Titulaturenkunde als eventueller Teil einer künftigen Archontologie (Würdenträgerkunde) zu nennen oder auch die teilweise bis in ihre Fachsprache hinein mit der Heraldik verbundene Vexillologie, die Fahnen- und Flaggenkunde. Die Haus- und Hofmarkenkunde mit ihrem – den Wappen gegenüber weit älterem, ursprünglich sippenkundlichen – Forschungsgegenstand nähert sich heute der Markenund Zeichenforschung an, soweit sich diese mit Eigentums-, Urheber- und Gütezeichen von Handwerker- und Handelswaren befaßt, und – immer noch florierend – der Wasserzeichenforschung. Die Genealogie, in älterer Zeit mehr Individual- als Sozialgenealogie, hat sich zur Historischen Demographie, der Bevölkerungskunde, hin geöffnet und zeigt Interesse an prosopographischen Verfahren, aber auch an historischer DNA-Analyse. Neben den Münzen gewinnen in der Numismatik nicht nur die Geldgeschichte und das Papiergeld, sondern auch die allzu lange nur pseudomonetär begriffenen Medaillen als künstlerische Kleinreliefs immer mehr an Bedeutung. Aus einem anderen numismatischen Nebengebiet, dem Eichwesen, hat sich inzwischen eindrucksvoll die Historische Metrologie entwickelt. Auch die Phaleristik als Lehre von den tragbaren Orden und Ehrenzeichen hat sich längst aus der Numismatik verabschiedet und ist unterwegs zu einer eigenen Hilfs22
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Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen! In: Vom Nutz und Frommen der Historischen Hilfswissenschaften. Beiträge der gemeinsamen Tagung des HEROLD mit seiner Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ anläßlich ihres fünfjährigen Bestehens am 5. Oktober 1999 im Museum Europäischer Kulturen. Hrsg. von Friedrich Beck u. Eckart Henning (Herold-Studien, Bd. 5). Neustadt a. d. Aisch 2000, S. 11–22, hier bes. S. 12. Auch wenn einzelne Disziplinen viel älter erscheinen, sind die Historischen Hilfswissenschaften als solche eine im 18. Jahrhundert in universalhistorischer Absicht entstandene Fächergemeinschaft, nicht etwa nur mediävistischen Zwecken dienend wie heute einige meinen! Es wird Zeit, sich wieder dieses Ursprungs zu erinnern und jede Epochenfixierung abzustreifen, da die Alte Geschichte der Hilfswissenschaften genauso bedarf wie die Mittelalterliche oder die Neuere Geschichte. Heinrich v. Fichtenau: Die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Bedeutung für Mediävistik. In: Die Methoden der Geschichtswissenschaft und der Archäologie (Enzyklopädie der geschichtswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, 10). München 1974, S. 115–143, hier S. 117.
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wissenschaft. Die Chronologie ist keine Kalenderkunde mehr, sondern berücksichtigt moderne Meßverfahren wie die Dendrochronologie, die C14Methode, die Analyse optisch stimulierter Luminiszenz und neuerdings die Alpha-Rückstoß-Methode. So entwickeln sich neue Hilfswissenschaften bedarfsgerecht durch Filiation, und andere, deren Disziplingenese sich nicht mehr aus Fichtenaus Fächerkanon ableiten läßt, ergänzen ihn: Hierfür wäre an die Rechtsarchäologie bzw. an ihre Subdisziplin, die Insigniologie, zu erinnern, die sich zur politischen Symbolforschung ausweitete, an die historische Ikonologie und ihre Beziehungen zur Kunstgeschichte oder an die allgemeine Realienkunde, zu der auch die Waffen- und Kostümkunde (einschließlich der Uniformen) zählt. Diese Aufzählung24 ist alles andere als abschließend, denn der Kanon der Historischen Hilfswissenschaften liegt allenfalls im Kern fest. Einige der Fächer haben eine größere Bedeutung für die Entschlüsselung mittelalterlicher, andere für neuzeitliche Zeugnisse, wobei allmählich Raum, Bild und Zeichen sowie die Sachquellen weit mehr in den Vordergrund rücken als die Schrift, mit der sich die Historischen Hilfswissenschaften traditionell wohl am häufigsten beschäftigt haben. Viele der nicht spekulativ, sondern empirisch betriebenen Hilfswissenschaften, die sowohl durch ihren Gegenstand als auch durch ihre Hilfsfunktion, durch Eigenständigkeit und Werkzeugcharakter definiert erscheinen25, sind nicht nur zeitgemäß, sie sind m. E. nahezu „zeitlos“ – wenn Sie mir diese unhistorische Zuspitzung gestatten. Beim Beschreiben und Vergleichen, Datieren und Lokalisieren bzw. dem Verifizieren und Falsifizieren kommen Kulturtechniken zum Einsatz, deren Kennen und Können im Anwendungsfalle erlösend und inspirierend wirken und auch Wechselbeziehungen zu Nachbarwissenschaften wie der Rechts-, Kirchen- oder Wirtschaftsgeschichte zu fördern helfen. „Kultur“ ist ohnehin der angemessenste Oberbegriff, mit dem sich Gegenstände der sogen. Geisteswissenschaften gut erfassen und umschreiben lassen. Seine Offenheit verlangt allerdings viel synthetische Kraft und von den Historischen Hilfswissenschaften (um einer Selbstüberforderung zu entgehen), daß sie den Blick von den Kontexten weiterhin fest auf die Texte usw. 24
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Für Nachweise zu dieser Übersicht vgl. bei Eckart Henning: Begriffsplädoyer (wie Anm. 8), S. 5–10, Anm. 11–34. Ob die Historischen Hilfswissenschaften besser als „Grundwissenschaften“ (Karl Brandi) zu bezeichnen wären oder nicht, ob ihnen Eigenständigkeit oder Werkzeugcharakter zukommt, ist wohl ein Scheinproblem, zumal prinzipiell jede Wissenschaft einer anderen „Nachbarschaftshilfe“ (H. O. Meisner) zu leisten vermag. Die Hilfswissenschaften bedürfen dieses Nobilitierungsversuchs nicht, auch weckt er womöglich zu hohe Erwartungen. Verbindend für diese variable Fächergruppe bleibt ihr instrumentaler Charakter. Vgl. dazu Karl Brandi: Die Pflege der historischen Hülfswissenschaften in Deutschland. In: Geistige Arbeit 6 (1939), Nr. 1, S. 1–2 und Heinrich Otto Meisner: Forschungsfragen der Archivwissenschaft und der Urkunden- und Aktenlehre. In: Archivmitteilungen 7 (1957), S. 88‑91, hier S. 89, sowie Eckart Henning: Begriffsplädoyer (wie Anm. 8), S. 16 f.
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gerichtet halten, denn die entgegengesetzte Blickrichtung – von den Texten auf die Kontexte – führt allzu leicht ins Uferlose bzw. in die Auflösung, bestenfalls in eine nur noch diffuse historische Kulturwissenschaft26. Insgesamt liegt aber im Forschungsmodenwandel der Geschichtswissenschaft in den neunziger Jahren von der Sozial- und Mentalitätsgeschichte zur Kulturgeschichte eine große Chance für die Historischen Hilfswissenschaften27, wenn nicht gar für ein „Comeback“ dieser Fächer, da die sogen. kulturalistische Wende auch eine „Nachbarschaftsveränderung“28 mit sich gebracht hat: Nicht mehr nur Datenmassen oder Massendaten bilden vorzugsweise die Quellenbasis, sondern einzelne Texte, Bilder und Gegenstände sind es wieder, zu denen der Hilfswissenschaftler problemorientiert und fächerübergreifend, oft als Not- oder Ersthelfer herangezogen wird. Hier erfüllen dann die Historischen Hilfswissenschaften nach einem Wort von Michael Tangl „ihre Aufgabe umso mehr, je stärker sie sich des in ihrem Begriff liegenden Abhängigkeitsverhältnisses bewußt bleiben“29. Folglich stimme ich Reinhard Härtel keineswegs zu, wenn er „das seit langem bestehende Naheverhältnis“ zur Geschichte gerade zu einem Zeitpunkt kündigen möchte, in dem sich ein kulturgeschichtlicher Neubeginn abzeichnen könnte. Zweifellos fühlen sich die Historischen Hilfswissenschaften heute mediävistisch be26
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Aus der Vielzahl einschlägiger Veröffentlichungen seien hier nur wenige genannt, so von Otto Gerhard Oexle: Geschichte als Historische Kulturwissenschaft. In: Kulturgeschichte heute. Hrsg. von Wolfgang Hardtwig u. Hans-Ulrich Wehler. Göttingen 1996, S. 14–40; Rudolf Vierhaus: Dimensionen einer Historischen Kulturwissenschaft. In: Historie und Eigen-Sinn. Festschrift für Jan Peters zum 65. Geburtstag. Weimar 1997, S. 129–138; Lorraine Daston: Die Kultur der Wissenschaftlichen Objektivität. In: Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Kulturwissenschaft: Einheit, Gegensatz, Komplementarität? Hrsg. von Otto Gerhard Oexle. Göttingen 1998, S. 9–39; Thomas Jung: Geschichte der modernen Kulturtheorie. Darmstadt 1999; Michael Maurer: Was ist Kulturgeschichte? In: Archive und Kulturgeschichte. Referate des 70. Deutschen Archivtags vom 21.–24.9.1999. Siegburg 2001, S. 37–61; Hans Schleyer: Historisches Denken in der Krise der Kultur. Fachhistorie, Kulturgeschichte und Anfänge der Kulturwissenschaften in Deutschland. Göttingen 2000; Hans-Ulrich Wehler: Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts. Göttingen 2001, insbes. Kap. 5–7, S. 61 ff. Die Historischen Hilfswissenschaften sind zwar instrumentell der Geschichtswissenschaft und damit den Geisteswissenschaften zuzuordnen, doch ist das Spektrum ihrer Fächer wesentlich breiter, zumal einzelne in wesentlichen Bestandteilen eher zu den Naturwissenschaften tendieren (wie z. B. genetische Komponenten der Genealogie oder astronomische der Chronologie beweisen). Diese interdisziplinären Wechselbeziehungen sind typisch für diesen Verbund der „Kulturtechniken“. Begriff von Hans-Georg Husung. Michael Tangl: Antrittsrede. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Halbbd. 2. Berlin 1918, S. 702 ff., hier bes. S. 704. Annekatrin Schaller: Michael Tangl (1861–1921) und seine Schule. Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften. Berlin 2002 (Pallas Athene, Bd. 7).
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engt30, doch deswegen gleich den „gemeinsamen Namen aufzugeben“, ließe die Hilfswissenschaften doch nicht „erheblich an Bedeutung gewinnen“, wie er meint, sondern würde sie im Gegenteil weiter schwächen. Die Therapie der „Verallgemeinerung“31 würde m. E. zum baldigen Ableben dieser bereits in die Defensive gedrängten Fächergruppe führen, keineswegs aber zu ihrer Auferstehung. Kehren wir daher zum status quo zurück, wonach die Lage der Historischen Hilfswissenschaften der der sogen. Kleinen Fächer entspricht, die über wenige Studenten verfügen und an den Universitäten – wenn überhaupt – nur durch einen Professor vertreten sind. Nach den Vorstellungen des Wissenschaftsrates32, von dem dieser Begriff stammt, müßten vernachlässigte Fächer an wenigen Standorten konzentriert werden, wie oben bereits gefordert, denn eine bloße digitale Vernetzung ersetzt nicht das persönlich korrigierende Seminargespräch hilfswissenschaftlicher Übungen. Diese Kleinen Fächer, ohne die die Großen verarmen würden, sind nur numerisch klein, nicht aber von geringerer Bedeutung – doch was klein geredet ist, wird gern übersehen! Und so haben sich beispielsweise in der Schweiz die Vertreter dieser sogen. Kleinen Fächer schon im Jahr 2001 in Neuchâtel erstmals zusammengesetzt, um dem Berner Bundesamt für Bildung und Wissenschaft eigene Vorschläge zu ihrem „Artenschutz“ zu unterbreiten. Das war kein Ruf nach einer akademischen „Käseglocke“ in Form von Studienplänen, sondern sie dokumentierten vielmehr ihr Ziel, mehr Verständnis für fachliche Relevanz und für öffentliche Akzeptanz zu wecken33. Ähnlicher Anstrengungen bedarf es auch in Deutschland, wo es freilich schon eine Zentrale für Orchideenfreunde gibt – doch eben nur für Pflanzen! Andernfalls müßten die Historischen Hilfswissenschaften in die außeruniversitäre Forschung abwandern, womit sie bereits 1994 begonnen haben, als Friedrich Beck (Potsdam), der Referent und einige andere Kollegen unter dem Dach des mehr als 130 Jahre alten Vereins „Herold“ die Fachgruppe „Historische
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Vgl. Anm. 22. Alle Zitate aus dem von Reinhard Härtel (Graz) großzügig zur Verfügung gestellten, noch ungedruckten Vortragsmanuskript „Sind die Historischen Hilfswissenschaften noch zeitgemäß?“, Vortrag gehalten beim Symposion „Mediävistik im 21. Jahrhundert“, veranstaltet von Hans-Werner Götz u. Jörg Jasmut, Universität Paderborn, 3. Sektion, Oktober 2001. Nischen der Forschung? Zur Situation und Perspektive der Kleinen Fächer in Deutschland. Hrsg. von der Union der Deutschen Akademien und der Sächsischen Akademien der Wissenschaften zu Leipzig. Mainz 2000. Vgl. ferner Max Kaase/ Anina Mischau: Bericht zur außeruniversitären Infrastruktur in den Kulturwissenschaften. Ergebnisse einer Erhebung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bonn 2002. Wolfgang Heuser: Orchideenpflege – ein Beispiel aus der Schweiz. In: Deutsche Universitätszeitung, H. 9 (2002), S. 3.
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Hilfswissenschaften“ ansiedelten und seither rund zwanzig Tagungen unterschiedlichster Thematik abhielten34. Ich habe über die Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland referiert. Mein Fazit: ihre Lage ist ernst, aber (noch) nicht hoffnungslos, doch Sie, meine Damen und Herren, können sie gar nicht ernst genug nehmen!
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Vgl. die Tagungsbände Vom Nutz und Frommen der Historischen Hilfswissenschaften (wie Anm. 22) und den Friedrich Beck zum 75. Geburtstag gewidmeten: Die Historischen Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre. Hrsg. von Eckart Henning u. Regina Rousavy. Neustadt/Aisch 2003 (Herold-Studien, Bd. 6). Begonnen hat die Berliner Fachgruppe am 14. Juli 1994 noch unter der Schirmherrschaft der Braunschweiger Akademie für Genealogie und Heraldik (Präsident: Oliver Dix) als Pendant zu ihrer Leipziger Gruppe, deren Sprecher Prof. Dr. Wolfgang Lorenz (heute Annaberg-Buchholz) war. Bald darauf erfolgte der Wechsel unter das Patronat des Vereins Herold, was in Berlin nahelag, zumal der Gastgeber der Gruppe im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem (Boltzmannstr. 14) und Autor dieses Beitrags zugleich Herold-Vorstandsmitglied ist.
Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften * I Historiker gelten als „professionelle Dilettanten“, und so nimmt es nicht Wunder, daß gerade sie mitunter hilfsbedürftig wirken bzw. als Universalisten der Interpretationshilfe bei speziellen Quellen bedürfen. Wie der Mediziner bei Patientenbesuchen in den Arztkoffer, greift der Historiker in solchen Fällen in seinen Werkzeugkasten, der die besonderen „handwerklich-methodischen Fähigkeiten und Sachkenntnisse“1 enthalten soll, die er (hoffentlich) in seinem hilfswissenschaftlichen Studium erworben hat. Leider glauben Geschichtsstudenten anfangs manchmal, es handele sich bei den Hilfswissenschaften „um etwas neben dem eigentlichen Fach Geschichte Hergehendes, das für Spezialisten möglicherweise wichtig sei, den ohnehin reichlich beschäftigten Studenten aber nicht weiter zu interessieren brauche“2. Ohne Unterstützung dieser Hilfswissenschaften kann der Historiker aber bei der Entschlüsselung vieler Quellen nicht auskommen, und so ist schon das bloße Vorhandensein einer solchen Fächergruppe instrumentalen Charakters für die Geschichtswissenschaft charakteristisch. Überflüssig, ausführlicher in die schon nahezu klassische Kontroverse einzutreten, ob es sich nun tatsächlich um „Hilfswissenschaften“ oder – wie Karl Brandi 1939 vorschlug – um „Grundwissenschaften“ des Historikers handelt3, d.h. die Frage zu klären, ob diesen Fächern ein subsidiärer Charakter anhaftet, oder ob ihnen ein eigenständiger Wert beizumessen ist (was für die meisten längst feststehen dürfte). Brandi wollte verhindern, daß die Quellen von ihren Hilfswissenschaften getrennt werden und letztere dadurch aufwerten, indem er sie zu einem wesentlichen Teil der Geschichtswissenschaft erklärte – was die Hilfswissenschaften im übrigen auch dann bleiben, wenn man sie nicht „befördert“. Sie haben eine solche Ehrenrettung – wenn es denn eine ist – gar nicht nötig. Leider hat sich Brandis Begriff aber bei einigen Fachvertretern bereits festgesetzt; so sprach Heinz Quirin von „Sonderdisziplinen der Geschichtswissenschaft, die traditionsgemäß unter der Bezeichnung ,Historische Hilfswissenschaften‘ zusammengefaßt sind, genauer * 1
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Erstmals erschienen im Herold-Jahrbuch N.F. 1 (1996), S. 16–26. Ahasver v. Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 13. Aufl. Stuttgart u. a. 1992, S. 9. Ernst Opgenoorth: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte. Braunschweig 1969, S. 106. Karl Brandi: Die Pflege der historischen Hülfswissenschaften in Deutschland. In: Geistige Arbeit 6 (1939), Nr. 2, S. 1–2.
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jedoch die historischen Grundwissenschaften umgreifen, ohne deren Kenntnis Geschichtswissenschaft gar nicht möglich ist“4. Der Althistoriker Hermann Bengtson nannte die „früher“ gebräuchliche Bezeichnung „Hilfswissenschaften“ sogar „irreführend“, die endgültig „aus der wissenschaftlichen Terminologie verschwinden“ sollte5. Ich finde das nicht, und zwar nicht allein deswegen, weil es meist unsinnig ist, gegen einmal etablierte Begriffe anzugehen, da sie nur sehr schwer wieder zu eliminieren sind, sondern weil ich den Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“6 für gut gewählt und aussagekräftig halte, zudem spricht eigentlich „nichts ernsthaft dagegen, die Hilfsfunktion in der Aufgabenstellung einer Teildisziplin auch entsprechend zu kennzeichnen“. Dieser Auffassung hat Helmut Lötzke noch hinzugefügt: „Qualität und Effektivität der historischen Hilfswissenschaften hängen nicht von ihrem Namen, sondern von ihrem wissenschaftlichen Entwicklungsstand und dem Grad ihrer bewußten Anwendung in der Quellenforschung ab“7. Daher sollte man derartige Schlüsselfächer, deren eigener wissenschaftlicher Wert darunter schließlich nicht leidet, daß sie der Geschichte – quasi nebenamtliche – Hilfsdienste zu leisten vermögen, auch ohne überheblichen Unterton und legitim weiter als „Historische Hilfswissenschaften“ bezeichnen, was neuere Einführungen in das Studium der Geschichte denn auch bereits wieder tun oder doch die „Grundwissenschaften“ nur noch ergänzend in Klammern vermerken8. Ernst Opgenoorth hat in diesem Streit das erlösende Wort gesprochen: „die Zusammenarbeit über die Fachgrenzen hinweg, welche auf verschiedenen Gebieten die jüngste Entwicklung der Wissenschaft kennzeichnet, läßt sich begrifflich am besten so fassen, daß eine Disziplin für die andere zur Hilfswissenschaft wird. ... Ob wir bei den einzelnen Gebieten ihre Eigenständigkeit oder ihre Werkzeugfunktion in den Vordergrund stellen, ist eine Frage des Ermessens oder auch der Konvention“9. Die Brandi-Kontroverse betrifft eigentlich nur ein Scheinproblem; die Historischen Hilfswissenschaften haben keinen „No-
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Heinz Quirin: Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte. 4. Aufl. Wiesbaden 1985, S. 133. Hermann Bengtson: Einführung in die Alte Geschichte. 3. Aufl. München 1959 u. ö., S. 124. Obwohl der Begriff schon im 18. Jahrhundert entstand, ist er nicht selbst „historisch“ im Sinne eines Relikts zu begreifen, das es zu erforschen gilt (das höchstens auch), weswegen man dieses Adjektiv – nicht wie vielfach noch üblich – klein, sondern als Begriff „Historische Hilfswissenschaften“ zutreffender groß schreiben sollte. Helmut Lötzke: Die historischen Hilfswissenschaften. In: Eckermann/Mohr: Einführung in das Studium der Geschichte. 3. Aufl. Berlin 1979, S. 250. Egon Boshoff/Kurt Düwell/Hans Kloft: Geschichte. Eine Einführung, 4. Aufl. Opladen 1994, S. 142. Opgenoorth (wie Anm. 2), S. 106.
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bilitierungsversuch“ nötig, ja der Begriff „Grundwissenschaft“ führt sogar leicht zu einer „Überschätzung der Leistungsfähigkeit“ dieser Disziplinen10. Da es sich bei den Historischen Hilfswissenschaften selbst „um eine historisch gewachsene Fächergruppe handelt“, meinte Heinrich v. Fichtenau, dürfe man ihr auch nicht geringe Kohärenz oder mangelnde „Randschärfe“ vorwerfen. Er ermittelte die Zugehörigkeit der einzelnen Disziplinen zu dieser Gruppe einfach auf Grund vorherrschender Lehrmeinungen in den gegenwärtig verbreitetsten Einführungen in das Geschichtsstudium11, wobei sich eine „Mehrheit“ für den folgenden, sicherlich erweiterungsfähigen Kanon fand: 1. Paläographie (Schriftkunde sowie Lehre von den Schreib- und Beschreibstoffen), 2. Diplomatik (Urkundenlehre), 3. Aktenkunde, 4. Heraldik (Wappenkunde), 5. Sphragistik (Siegelkunde), 6. Genealogie (Familiengeschichtsforschung), 7. Numismatik (Münz- und Medaillenkunde), 8. Chronologie (Zeitablaufs- und Zeitbemessungslehre). „Epigraphik“ (Inschriftenkunde)12 und Skriptoristik bzw. Codicologie (Buchkunde)13 fehlen in diesem Kanon nur dann, wenn man diese Entzifferungswissenschaften nicht weiter zur Paläographie rechnet, wohin sie eigentlich – trotz feststellbarer Emanzipationsbestrebungen – gehören. Aus der Diplomatik hat sich längst als „moderne Urkundenlehre“ die Aktenkunde (nicht zu verwechseln mit der Archivkunde), eine der jüngsten Hilfswissenschaften unseres Jahrhunderts, entwickelt14, doch aus ihr scheint sich bereits wieder die „Titulaturenkunde“ (Teil einer Archontologie?) als „neue“ Subdisziplin des Historikers zu lösen15. Zu den jüngeren, mit der Heraldik zum Teil noch bis in ihre Fachsprache hinein verwandten Hilfswissenschaften gehört die Vexillologie (Fahnen- und Flaggenkunde), während sich die Haus10
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Peter Rück: Historische Hilfswissenschaften nach 1945. In: Mabillons Spur. 22 Miszellen aus dem Fachgebiet Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter Heinemeyer. Marburg/L. 1992, S. 1–19, hier S. 15. Heinrich v. Fichtenau: Die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Bedeutung für die Mediävistik. In: Die Methoden der Geschichtswissenschaft und der Archäologie (Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, 10), München 1974, S. 115–143, hier S. 117. Rudolf M. Kloos: Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit. 2. Aufl. Darmstadt 1992. – Walter Koch: Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1976–1984). München 1987. – Ernst Meyer: Einführung in die lateinische Epigraphik, 2. Aufl. Darmstadt 1983. Vgl. u.a.Carla Bozzolo/Ezio Ornato: Pour une histoire du livre médiéval. Trois Essais de codicologie quantitative. Bd 1–2, Paris 1980 u. 1983. Heinrich Otto Meisner: Archivalienkunde vom 16. Jhdt. bis 1918. Leipzig 1969 und in Lizenz Göttingen 1969. Eckart Henning: Titulaturenkunde. Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker. In: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869–1994. Hrsg. von Bernhart Jähnig und Knut Schulz (Herold-Studien, Bd. 3), Berlin 1994, S. 293–310.
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und Hofmarkenkunde (mit ihrem den Wappen gegenüber weit älteren Forschungsgegenstand) langsamer entwickelte. Da es sich dabei ursprünglich um Sippenzeichen handelte, bildet sie auch eigentlich keinen Teil der allgemeinen Marken- und Zeichenforschung, sofern sich diese vorzugsweise mit Eigentums-, Urheber- und Gütezeichen von Waren der Handwerker und Kaufleute befaßt und in neuerer Zeit – geradezu florierend – auch mit Wasserzeichenforschung16. Die Genealogie, ursprünglich mehr Individualgenealogie als Sozialgenealogie, hat sich zur Historischen Demographie (Bevölkerungskunde) hin geöffnet und zeigt mehr als früher Interesse an prosopographischer und selbst an biographischer Forschung.17 Neben den Münzen gewinnen in der Numismatik nicht nur die Geldgeschichte und das Papiergeld, sondern auch die Medaillen, die man nicht länger nur „pseudomonetär“ begreifen sollte18, als künstlerische Kleinreliefs an Interesse. Aus dem Eichwesen, eigentlich einem numismatischen Nebengebiet, hat sich inzwischen die Historische Metrologie (Lehre des Maß- und Gewichtswesens vor Einführung des metrischen Systems) entwickelt.19 Schon länger hat sich die „Phaleristik“ (das Ordens- und Auszeichnungswesen) von der Numismatik getrennt und befindet sich „unterwegs“ zu einer eigenen Disziplin. Die Chronologie berücksichtigt heute auch moderne Meßverfahren, wie z. B. die Dendrochronologie, die C14-Methode oder die Röntgenfluoreszenzanalyse20. So entwickeln sich neue Hilfswissenschaften bedarfsgerecht durch Filiation aus alten, deren Disziplingenese bisher noch kaum zum Ab16
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Gerhard Piccard: Die Wasserzeichenforschung als historische Hilfswissenschaft, in: Archivalische Zeitschrift 52 (1956), S. 62 ff. – Die Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Bd. 1–17. Stuttgart 1961–1997. – Wisso Weiss: Handbuch der Wasserzeichenkunde. Leipzig 1962. – Th. Gerardy: Datieren mit Hilfe von Wasserzeichen. Bückeburg 1964 (Schaumburger Studien, 4). Eckart Henning: Sozialgenealogie und Historische Demographie, Prosopographie und Biographieforschung. Zur Diskussion der Begriffe. in: Genealogie 23 (1996), S. 193–202. Robert Göbl: Numismatik. Grundriß und wissenschaftliches System. München 1987, S. 62, vgl. auch Eckart Henning: Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie. In: Vierteljahrsschrift Der Herold N.F. Bd. 13, Jg. 35 (1992), S. 273–279 u. Petra Hauke/Eckart Henning: Bibliographie zur Medaillenkunde. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990. Bad Honnef 1993, Einleitung. Vgl. besonders die Arbeiten von Harald Witthöft: Umrisse einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschaftlichen und sozialgeschichtlichen Forschung, Bd. 1–2. Göttingen 1979 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 60). – Ders.: Literatur zur historischen Metrologie. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 69 (1982), S. 515–541. – Ders.: Münzfuß, Kleingewichte, pondus Caroli und die Grundlegung des nordeuropäischen Maß- und Gewichtswesens in fränkischer Zeit. Ostfildern 1985. – Ders.: Die historische Metrologie in den Wissenschaften. Ostfildern 1987 (Sachüberlieferung und Geschichte, 3). Quirin (wie Anm. 4), Vorbemerkung zur 4. Aufl.
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schluß gelangt ist, auch entstehen weitere, die sich nicht mehr aus Fichtenaus Fächerkanon ableiten lassen, ihn aber vermutlich bald ergänzen werden. Einige von ihnen haben eine größere Bedeutung für die Entschlüsselung mittelalterlicher, andere für neuzeitliche Zeugnisse, wobei allmählich Raum, Zeichen und Bilder sowie Sachquellen mehr in den Vordergrund zu rücken scheinen als die Schrift, mit der sich die Historischen Hilfswissenschaften bisher vorzugsweise beschäftigten (wobei die Paläographie an die Stelle der Diplomatik als „Leitwissenschaft“ getreten ist). Die noch von Jacob Grimm begründete Rechtsarchäologie widmet sich der Erforschung der Rechtsdenkmäler, im weitesten Sinne allen Gebrauchsgegenständen des Rechtslebens21, neuerdings unterstützt durch die Mittelalterarchäologie als Wissenschaft für das Fundmaterial (vor allem des Bodens), eine stark expandierende Teildisziplin der Ur- und Frühgeschichte, die hier weniger der Numismatik (Münzfunde) als der Historischen Landeskunde ins mediävistische „Gehege“ kommen dürfte22. Eine Subdisziplin der Rechtsarchäologie stellt auch die vor allem von Percy Ernst Schramm zur Historischen Hilfswissenschaft entwickelte Insigniologie dar, der sich den Herrschaftszeichen (Krone, Zepter, Thron usw.) und der Staatssymbolik schlechthin zuwandte; er und seine Schule erforschten nicht nur ihre Funktion, sondern machten vor allem die dahinter stehenden Herrschaftsauffassungen und ihren Wandel sichtbar.23 Da es sich hier ebenso um den materiellen wie um den sprachlichen Ausdruck von Herrschaft handelt, ergeben sich auch Beziehungen zur Titulaturenkunde. Die noch sehr am Staat orientierte Insigniologie24 – man denke hier auch an die aus der Heraldik bekannten „An21
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Vgl. bereits die rechtssymbolischen Arbeiten von Eberhard Frhrn. v. Künssberg, ferner Karl v. Amira/Cl. Frhr. v. Schwerin: Rechtsarchäologie. Gegenstände, Formen und Symbole germanischen Rechts, insbs. T. I: Einführung in die Rechtsarchäologie, 1943. Günther P. Fehring: Einführung in die Archäologie des Mittelalters. Darmstadt 1987, vgl. dazu auch Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 193–205. – Werner Rösener: Archäologie und Geschichtswissenschaft. Erwartungen der Mediävistik von der Archäologie des Mittelalters. In: Methoden und Perspektiven der Archäologie des Mittelalters. Hrsg. von Jürg Tauber. Liestal 1991, S. 1–111. – Gernot Kocher: Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie. München 1992. Percy Ernst Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom 3. bis zum 16. Jahrhundert. 3 Bde. Stuttgart 1954–56 und Nachträge aus seinem Nachlaß, ib. 1978 (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, 13/1–3). Elisabeth Fehrenbach: Über die Bedeutung der politischen Symbole im Nationalstaat. In: Historische Zeitschrift 213 (1971), S. 296–357. – Zu Schramm vgl. Norbert Kamp: Percy Ernst Schramm und die Mittelalterforschung. In: Geschichtswissenschaft in Göttingen. Hrsg. von Hartmut Boockmann u. a., (Göttinger Universitäts-Schriften A/2) Göttingen 1987, S. 344–363. u. Nikolaus Gussone: Ein Unsichtbares anwesend machen ... In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.10.1994, S. N 5.
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spruchswappen“ – weitet sich inzwischen zur Erforschung der politischen Symbolik aus25, die die Bedeutung der Symbole neben verbalen bzw. schriftlichen und bildlichen Verständigungsmitteln im menschlichen Zusammenleben deutlich macht. Insigniologie und Symbolforschung ergänzen einander, das eine wird sich wohl auf Dauer aus der Rechtsarchäologie lösen und Teil des anderen werden. Die schon erwähnte, von Rudolf Kötzschke, Hermann Aubin und anderen begründete Historische Landeskunde26 (nicht Landesgeschichte, aber näher verwandt mit der Historischen Geographie) rekonstruiert mit Unterstützung der Orts- und Flurnamenforschung, der Wüstungs- oder der Patrozinienkunde usw., neuerdings auch mit Methoden der Luftbildauswertung und der Pollenanalyse historische Landschaften bzw. Kulturlandschaften; sie möchte sie als Voraussetzung und Ergebnis historischer Vorgänge sichtbar machen, wobei sie besonderes Gewicht auf Landbau und Besiedlung legt.27 Während es in den letzten Jahren um diesen wissenschaftlichen Neuansatz etwas stiller geworden ist, kann dies von der spätestens in den dreißiger Jahren von Sigfrid H. Steinberg, Erich Keyser u. a. neu begründeten Historischen lkonologie (Geschichtliche Bildkunde) kaum gesagt werden28, profitiert sie doch besonders von dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit an non-verbalen Dokumenten mit primär affektiver Wirkung. Sie beschäftigt sich mit der Nutzung von Bildern durch die Geschichtswissenschaft29, vor allem seitens der Sozial- und Mentalitätsgeschichte, und steht in engem interdisziplinärem Kontakt mit der Kunstwissenschaft, die sich schon früher, nämlich seit Aby Warburg und Erwin Panofsky, dem Bedeutungsgehalt von Kunstwerken bzw. „inhaltsbezogenen Formen“ (Motiven, Themen) 25
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Arnold Rabbow: Lexikon politischer Symbole. München 1970 (dtv-Taschenbuch, 3084). Hermann Aubin: Grundlagen und Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie (Aufsatzsammlung). Bonn 1965. – Rudolf Kötzschke: Landesgeschichte und Heimatkunde. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 48 (1927). – Kulturräume und Kulturströmungen im mitteldeutschen Osten. Hrsg. von Theodor Frings, Rudolf Kötzschke u. a. Leipzig 1936. Vgl. Alois Gerlich: Geschichtliche Landeskunde des Mittelalters. Genese und Probleme. Darmstadt 1986. Vgl. Sigfrid H. Steinberg: Die internationale und die deutsche ikonographische Kommission. In: Historische Zeitschrift 144 (1931), S. 287–296. – Erich Keyser: Das Bild als Geschichtsquelle. Hamburg 1935, S. 2–32 (Historische Bildkunde, 2). Vgl. Historische Bildkunde. Probleme, Wege, Beispiele. Hrsg. von Brigitte Tolkemitt u. Rainer Wohlfeil. Berlin 1991, bes. S. 17–35 = erweiterter Beitrag von R. W. aus Historische Zeitschrift 249 (1986), S. 91–100. – Heike Talkenberger: Das Bild als Quelle des Historikers. In: Sintflut (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 26), Tübingen 1990, S. 29–54. – Frank-Dietrich Jacob: Aspekte zu Entwicklung und Aufgaben der Historischen Bildkunde. In: Festschrift für Ernst-Heinz Lemper = Beiheft zum Görlitzer Magazin 3 (1989), S. 14–24.
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zuwandte. Sie wirkte dadurch z.B. anregend auf Toni Diederich und seine neuere Typologie der Siegel30, die das ältere Hohenlohesche System ergänzt. Abschließend zu diesen Bemerkungen über jüngere Ansätze zur Fachgenese sei noch auf die sich allmählich entwickelnde Historische Publizistik (Flugschriften, politische Propagandabroschüren, Zeitungen) als Hilfswissenschaft oder allgemein auf die Realienkunde31 hingewiesen, zu der auch die Waffen- und Kostümkunde32 (einschließlich der Uniformen) oder die Paramentenkunde (liturgische Gewänder) als Teil der europäischen Ethnologie (früher Volkskunde genannt) gehört, ohne daß damit Vollständigkeit erreicht wäre. Allerdings können auch nicht alle vorgeschlagenen hilfswissenschaftlichen Neuzugänge, wie z.B. die Begriffsgeschichte wirklich als „neue Grundwissenschaft“ akzeptiert werden, die ja keineswegs in erster Linie als „Teil der Sozialgeschichte“ anzusehen ist – wie Borowsky/Vogel/Wunder meinen33 –, sondern eben als Teil der Wissenschaftsgeschichte34. Die Quellenkunde als Grundlagenlehre blieb bisher deshalb unerwähnt, da sie als Stoff- und Methodenlehre m. E. einen festen Bestandteil der Geschichtswissenschaft bildet35; sie ist daher weder als „abspaltbare“ Hilfswissenschaft noch als selbständiges Fach zu werten, wie z.B. die die Entwicklung der Naturlandschaften beschreibende Historische Geographie36 (welche aus eben diesem Grunde fehlt). Die Quellenkunde ist kein histori30
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Toni Diederich: Prolegomena zu einer neuen Siegel-Typologie. In: Archiv für Diplomatik 19 (1983), 242 ff. Vgl. hier vor allem die Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs, und Alltag im Spätmittelalter. Hrsg. von Harry Kühnel. 2. Aufl. Graz, Wien u. a. 1985. Vgl. das Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Hrsg. von Harry Kühnel. Stuttgart 1992. – Christine Jakobi: Buchmalerei. Ihre Terminologie in der Kunstgeschichte. Berlin 1991. Peter Borowsky/Barbara Vogel/Heide Wunder: Einführung in die Geschichtswissenschaft I, 5. Aufl. Opladen 1989 u. ö., S. 145. Die Begriffsgeschichte bildet ein Hauptarbeitsgebiet des 1993 gegründeten MaxPlanck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin. Anders v. Brandt (wie Anm. 1), S. 48–64. Teilweise behandeln die Propädeutiker der Geschichtswissenschaft die Quellenkunde als Hilfswissenschaft, z. T. aber auch die Hilfswissenschaften als Teile der Quellenkunde wie Wilhelm Bauer: Einführung in das Studium der Geschichte (2. Aufl. Tübingen 1928. Nachdr. Frankfurt/M. 1961), der nur noch Chronologie und Paläographie als eigene Hilfswissenschaften gelten läßt (radikaler noch E. Keyser). Anders v. Brandt (wie Anm. 1), S. 22–29. – Rudolf Kötzschke: Quellen und Grundbegriffe der historischen Geographie Deutschlands und seiner Nachbarländer. Leipzig 1906 (Meisters Grundriß I,5). – Helmut Jäger: Historische Geographie. Braunschweig 1969. – Klaus Fehn: Stand und Aufgaben der Historischen Geographie. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 111 (1975), S. 31–53. – Ders.: Historische Geographie. In: Landesgeschichte heute. Hrsg.von Carl-Hans Hauptmayer. Göttingen 1987, S. 55–76.
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sches Zweig- oder Teilgebiet (wie die Kirchen-, Rechts-, Wirtschafts- oder Wissenschaftsgeschichte), aber auch keine Nachbarwissenschaft (wie z. B. Theologie, Jurisprudenz oder die Philologien, zu denen mit der Teildisziplin Sprachgeschichte auch weiterhin die Onomastik = Namenkunde rechnet), derer sich die Geschichtswissenschaft zwar mit einigem Nutzen bedienen kann, ohne daß sie deswegen für sie unentbehrlich wären.
II Die Historischen Hilfswissenschaften zählen in ihrer Gesamtheit nicht allein zu den Geisteswissenschaften, sondern sind auch den Naturwissenschaften zuzurechnen, denkt man etwa an genetische Fragestellungen in der Genealogie oder an astronomische Methoden in der Chronologie, so daß ihnen eine Mittlerfunktion zwischen den Wissenschaften zukommt. Gegenstand der Hilfswissenschaften ist die – von der bloßen Verifikation (bzw. Falsifikation) eines Dokumentes bis zu seiner kulturgeschichtlichen Einordnung reichende – formale Gestalt historischer „Überreste“37, nicht nur des Mittelalters. Ihre Methode besteht in der Beschreibung und im Vergleich von Merkmalen aller Art, verteilt auf Zeit und Raum. Ihr Ziel bleibt die Datierung und Lokalisierung historischer Zeugnisse, ferner die Aufstellung von statistisch und systematisch kontrollierbaren Regeln. Hilfswissenschaftliche Arbeitsmethoden sind mithin keineswegs spekulativ, sondern empirisch, ihre Ergebnisse reproduzierbar, und die hier gewonnenen Erfahrungen sollten – wie im Handwerk – übend und nicht nur in Lehrbüchern weitergegeben werden. Peter Rück hat mit einigem Recht darauf hingewiesen, daß die Historischen Hilfswissenschaften keineswegs „die historische Methode“, sondern seit Mabillon statistisch-probabilistische Methoden anwenden, ja daß es gar „keine spezifisch hilfswissenschaftliche Methodologie“ gebe: „Die Hilfswissenschaften unterscheiden sich von der Botanik nicht durch grundsätzlich andere Methoden, sondern durch andere Gegenstände.“38 Ihr deskriptives Verfahren wirkt „positiv“, d. h. stabilisierend, auf die Geschichtswissenschaft ein, und verhilft ihr auf exakter Grundlage zu individualisierendem Verstehen. Zu den Schwächen des Gelehrten gehört nach Novalis nicht nur die „Eifersucht und Verkleinerungssucht der Collegen“, sondern auch die „Verachtung der anderen Wissenschaften“, die es endlich zugunsten einer freieren Sicht über die Grenzen der Einzeldisziplinen hinweg zu überwinden gilt. Als der Zerfall der Einheit der Wissenschaft im 18. Jahrhundert durch Spezialisierung einsetzte und spätestens mit dem Tode Hegels (1831) und Goethes 37
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Eckart Henning: Historische „Überreste“. Archivalische Quellen und ihre Benutzung. In: Vierteljahrsschrift Der Herold N.F. Bd. 14, Jg. 36 (1993), S. 51–58. Rück (wie Anm. 10), S. 14.
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(1832) vollzogen war, begann bereits die interdisziplinäre Diskussion darüber, wie sie wieder herzustellen sei; die Disziplinbildung selbst ist somit eine der Voraussetzungen für interdisziplinäre Gespräche. Die Sehnsucht nach einem Brückenschlag zwischen Snows „beiden Kulturen“39, den Geistes- und den Naturwissenschaften, die Dialogbereitschaft der Wissenschaftler und ihre Suche nach verbindenden Theoriekonzepten (man denke an Heisenbergs gescheiterte „Weltformel“) ist seither ebenso gewachsen wie die Hoffnung, diesen Brückenschlag durch problemorientierte Zusammenarbeit beteiligter Disziplinen wenigstens fallweise zustande zu bringen. Zieht man allerdings verschiedene Disziplinen zur Erforschung eines Phänomens heran (etwa des Alters), ist darauf zu achten, daß aus dem Miteinander kein Nebeneinander der beteiligten Fächer wird. Wachsen sich z. B. Umweltprobleme zu neuen Studiengängen (Ökologie) aus, so kommt es leicht zur Auslagerung und damit zur Delegierung des Themas aus den tradierten Disziplinen und letztlich zu neuer Spezialisierung (Ghettobildung). Transdisziplinarität dient dann nicht einer Gesamtsicht, sondern schafft Subdisziplinen. Jede Spezialisierung macht zwar kompetent, doch auch ärmer an Vielfalt, sie kanalisiert die Wissensaneignung, reduziert die Breite möglicher Lebenserfahrung (manchmal kompensiert durch Vertiefung), sie behindert das fachübergreifende Gespräch, den allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs. Schon das Wort „Fach“ klingt ja fatal nach „Schubfach“, der Begriff des „Studienganges“ nach der Enge der Wände eines Schulkorridors, und auch das Lehnwort der „Disziplin“ läßt eher Zucht und Ordnung als schöpferisches Denken assoziieren. Immer kompliziertere Probleme benötigen aber häufiger als früher in den Geschichtswissenschaften Experten unterschiedlichster Disziplinen, die zu ihrer Lösung zusammenarbeiten müssen. So erhob sich besonders in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts der Ruf nach Interdisziplinarität, der ja immer dann laut wird, wenn einzelne Disziplinen bzw. einzelne Forscher mit ihrem „Latein am Ende“ sind; in diesem Sinne nannte Jürgen Mittelstraß Interdisziplinarität ein „Reparaturphänomen“40. In den siebziger und achtziger Jahren kam es zu einer neo-positivistischen bzw. -historistischen Hinwendung zum Konkreten und Besonderen und damit erfreulicherweise nicht nur zur Wiederkehr der Biographie und der Ereignisgeschichte, sondern leider auch zum Vorrang der empirischen Strukturforschung vor der Ideengeschichte. Ein wirkliches Gespräch der Fachleute im Sinne einer Vernetzung der „Elfenbeintürme“, dessen Ergebnis (gemeinsame Fragestellungen) in den Einzelwissenschaften weiter bearbeitet werden könnte, fand allerdings kaum statt. „Es genügt ja nicht, daß wir elektronisch vernetzt sind“, bemerkte Bundespräsident Roman Herzog unlängst in einer Rede über Begabung und Elite 39
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Charles R Snow: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. Stuttgart 1967. Vgl. Interdisziplinarität. Praxis–Herausforderung–Ideologie. Hrsg. von Jürgen Kocka, Frankfurt/M. 1987.
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(am 2. Juni 1996), in der er ausdrücklich Kants „Streit der Fakultäten“ anmahnte.41 Anstöße zu einem fächerübergreifenden Studium42 kommen erfreulicherweise aus dem Wissenschaftssystem selbst und zwar 1. durch die Verschiebungen und Überlappungen zwischen den Disziplinen (es entstehen sog. „Bindestrichfächer“ wie die Bio-Chemie, die physikalische Chemie usw.), 2. durch das Unbehagen der Gesellschaft am Expertentum und seinen Folgen (man denke an Nietzsches Persiflage des Blutegelforschers43, dem „Gewissenhaften des Geistes“), 3. aus veränderten beruflichen Anforderungen, die auf ein Bedürfnis an breiter Orientierungs- und Problemlösungsfähigkeit (bzw. -kompetenz) hinauslaufen. Die Historischen Hilfswissenschaften genügen allen Anforderungen eines Studium generale – ein Begriff, der sonst leider zu einem hochschulpädagogischen Schlagwort verkommen ist – nämlich des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens sowie der interdisziplinären Forschung schon innerhalb eines einzigen Studienganges, nämlich der Geschichtswissenschaft. Die Hilfswissenschaften sind an Problemen orientiert, die die Quellen bieten, weniger an den traditionellen Disziplingrenzen. Sie sind anwendungsorientiert, sie „helfen“ kontextgebunden, indem sie quellenkritisch „Überreste“ aus ihrer Sicht analysieren, wenn sie der Historiker konsultiert. Mit dem fachspezifischen Einsatz ihres Spezial- und Detailwissens geraten die Hilfswissenschaften gar nicht erst in eine Legitimationskrise fachübergreifender Lehre, da neue Konzepte ja gerade vom einzelnen Fach aus entwickelt oder begleitet werden und erst dann über dieses hinausführen. Somit erfährt der Hilfswissenschaftler beides, Fachbegrenzung und Fächerüberschreitung, als die sprichwörtlichen beiden Seiten einer Medaille.
III Die zunächst juristischen, größtenteils im Barock entstandenen Historischen Hilfswissenschaften scheinen erstmals titelgebend von J. G. Feßmaier in seinem 1802 erschienenen Grundriß so genannt44 worden zu sein, doch hatte sie schon beispielsweise Benjamin Hederich im ersten Teil seiner ver41
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Roman Herzogs Rede über Begabung und Beruf vor dem Cusanus-Werk am 2. Juni 1996 (Teilabdruck in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16. Juli 1996, S. 29, vgl. dazu auch dpa-Dienst für Kulturpolitik 24/96 v. 10.6.1996, S. 13). Vgl. Hochschulwesen 43 (1995), H. 4 (ganzes Heft). Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, IV. T., Kap. Der Blutegel, in F. N.: Werke in drei Bänden. Hrsg. v. Karl Schlechta. Bd. 2. München 1955, S. 487–490. J. G. Feßmaier: Grundriß der historischen Hilfswissenschaften (1802). Nach A. v. Brandt (wie Anm. 1), S. 164 findet sich der bisher früheste Nachweis des Begriffs „Historische Hilfswissenschaften“ bei J. C. Gatterer: Von der Evidenz in der Geschichtskunde (1747).
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breiteten „Anleitung zu den vornehmsten historischen Wissenschaften“ (1711, 7 Aufl. bis 1787) ausführlich behandelt45. Ihre Blütezeit erlebten die Historischen Hilfswissenschaften allerdings im Historismus.46 Ihr Ansehen ist so lange gewachsen, wie kritisches Quellenstudium ein Hauptanliegen der Geschichtswissenschaften blieb. Als sich dies änderte, waren auch die Hilfswissenschaften weniger gefragt. Warum es sich aber änderte, hat wohl unterschiedliche Gründe, die z.T. mit dem Massenbetrieb moderner Universitäten zusammenhängen dürften, die heute eher Berufsschulen gleichen als einem „Platz zum Denken“47; so warnte schon Brandi kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges: „Die weit verbreitete Rücksicht auf das unmittelbar Nützliche kündigt Schlimmeres an.“48 Auch auf den für die Historischen Hilfswissenschaften verhängnisvollen Verlust der Universitätsanbindung der Archivar- und Bibliothekarausbildung des höheren Dienstes wies Brandi schon hin. Mit ihr verlor Klio ihre wichtigsten Hilfstruppen“, und diese wurden – außer in der DDR49 – durch ihre postuniversitäre Ausbildung immer älter, ehe sie berufswirksam, aber leider immer weniger fachspezifisch zu arbeiten begannen50, der verwaltungsinterne deutsche Sonderweg erwies sich als Sackgasse, in der heute allenfalls „Informationsvermittler“ produziert, aber kaum noch Historiker-Archivare oder Historiker-Bibliothekare ausgebildet werden, die hilfswissenschaftliches Wissen anwenden können und weitergeben. An den Universitäten ergab sich aus diesem Mangel an Ausbildungsbedarf infolge der Verlagerung ein Niedergang, ebenso wie aus Brandis gut gemeintem Vorschlag, die organisatorische Trennung der Hilfswissenschaften von der Geschichtswissenschaft dadurch zu beenden, daß man sie als „Grundwissenschaften“ integriert. Die Folge war keine Intensivierung, sondern eine Verkümmerung hilfswissenschaftlichen Wissens und Könnens, das nicht mehr systematisch herangebildet und weiterentwickelt wurde. Der vermeintlichen Gefahr, daß sich Hilfsdisziplinen verselbständigen, mußte nicht begegnet werden, waren doch die meisten von ihnen längst „selbstän45
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Benjamin Hederich: Anleitung zu den fürnehmsten historischen Wissenschaften, 1711, 7. Aufl., 1787. Vgl. auch P. A. Desing: Auxilia historica oder Historischer Begriff, 4 Bde., 1747 ff. Vgl. Rück (wie Anm. 10) und Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin. In: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. u. 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen. Hrsg. von Reimer Hansen und Wolfgang Ribbe (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82), Berlin 1992, S. 365–408. Konrad Adam: Platz zum Denken. Das Hochschulrahmengesetz soll novelliert werden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 204 v. 2.9.1996, S. 33. Brandi (wie Anm. 4). Botho Brachmann: Die Ausbildung wissenschaftlicher Archivare in Potsdam und Berlin 1950 bis 1995/96. In: Archiv für Diplomatik 39 (1993), S. 387–492. Vgl. jetzt Archivische Berufsbilder und Ausbildungsforderungen. Protokoll eines Kolloquiums vom 14.–16.11.1991. Potsdam 1996, bes. S. 86 f.
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dig“, aber man verkannte in dem Bestreben, sie nicht als Mittel zum Selbstzweck werden zu lassen, daß sie – institutionell geschwächt und an weiterer fachlicher Konsolidierung gehindert – auch als „Mittel“ bald nicht mehr recht taugen würden. Wenn der akademische Nachwuchs in den Historischen Hilfswissenschaften nicht mehr in ausreichender Zahl herangebildet wird, müssen diese „Werkzeuge“ des Historikers stumpf werden. Peter Rück spricht von „Marginalisierung“51 der hilfswissenschaftlichen Lehre, die oft nur noch Proseminarniveau aufwies und sich bei Geschichtsstudenten (und Professoren) mit hilfswissenschaftlichem Schmalspurwissen in einer begreiflichen Quellenscheu niederschlug oder gar eine „Schwellenangst“ vor den Archiven mit ihren Originalquellen erzeugte. So wurde bald die Not zur Tugend erklärt: Angesichts gedruckter Quellen erschien Jörg Schmidt das Erlernen hilfwissenschaftlicher Erschließungstechniken gar als „unvernünftig“52 und Peter Borowsky/Barbara Vogel/Heide Wunder trösteten „ihre“ Studenten damit, daß die Texte in den Quelleneditionen „von den Herausgebern meist so aufbereitet“ werden, „daß der Benutzer in der Regel nicht mehr auf die Grundwissenschaften zurückzugreifen braucht“53. Diese Didaktiker sind heute weniger in „Sorge um den richtigen Text“54, vielmehr geht es ihnen um Fragestellungen struktur- und sozialgeschichtlicher Art; nicht der Zugang zum einzelnen Dokument ist ihr Problem, sondern die Verarbeitung von Massendaten durch die EDV. Von der Historischen Demographie abgesehen, spielten die Hilfswissenschaften dabei kaum eine Rolle. Sie wurden auch nicht von der Theoriediskussion in den Geschichtswissenschaften seit den siebziger Jahren erfaßt. Galten die Historischen Hilfswissenschaften als quasi technische Fächer nicht für „theoriebedürftig“, oder sah man sie bereits wie Helmut Beumann als „selbständige Disziplinen“55 an, für die man sich nicht zuständig fühlte? „Technische Fächer“ sind die Hilfswissenschaften allenfalls in Forschung und Lehre, doch im Anwendungsfalle wirken sie – wie dargelegt – fachübergreifend. Daher führt z. B. der Weg von der „Urkundenlehre“ geradewegs immer wieder in die „Urkundenforschung“56, d. h. von der formalen Beschreibung zur in51
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Rück (wie Anm. 10), S. 12. Vgl. dazu auch Manfred Rasch: Hilflose Historiker in Archiven – Bemerkungen über Defizite in der derzeitigen Historikerausbildung Westdeutschlands. In: Archiv u. Wirtschaft 28 (1995), S. 114–117, dazu auch 29 (1996), S. 22–26. Jörg Schmidt: Studium der Geschichte. München 1975, S. 65 (Uni-Taschenbücher, 195). Borowsky/Vogel/Wunder (wie Anm. 33), S. 62. Horst Fuhrmann: Die Sorge um den rechten Text. In: Deutsches Archiv für die Geschichte des Mittelalters 25 (1969), S. 1–16. Helmut Beumann: Zur Lage der Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Jahrbuch der historischen Forschung 1975 (1976), S. 13–25, bes. S. 14. Vgl. das Vorwort Theodor Mayers zu Hans Hirsch: Aufsätze zur mittelalterlichen Urkundenforschung. Darmstadt 1965. S. VIII.
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haltlichen Deutung, weswegen Hans Hirsch auch meinte: „Die Synthese des Diplomatikers heißt Rechtsgeschichte.“57 Damit überschreitet der Hilfswissenschaftler allerdings seine Kompetenz, soweit sie ihm aus seinen eigenen Fächern zuwächst, und er beteiligt sich nun als Historiker an der Fachdiskussion seiner Zeit. Dazu Michael Tangl in seiner Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften: „Die historischen Hilfswissenschaften, die ich in Forschung und Lehre vertrete, erfüllen ihre Aufgabe um so mehr, je stärker sie sich des in ihrem Begriffe liegenden Abhängigkeitsverhältnisses bewußt bleiben. Der Dienst, den sie als Hilfswissenschaften der Geschichte in der Sammlung und Sichtung historischer Erkenntnis leisten, wird gehoben durch die zentrale Stellung, in der er in steter Wechselbeziehung der Philologie und Rechtsgeschichte, der Kirchen- und Kunstgeschichte und in gemeinsamer Arbeit auf den Grenzgebieten ausgeübt wird. Die Bebauung der Grenzgebiete legen sie ihrem Vertreter als ernste Pflicht auf. In diesem Sinne habe ich in meinen Arbeiten die Beziehungen zur klassischen und germanischen Philologie, zum deutschen und Kirchenrecht gewinnen und festzuhalten gesucht, am nächsten wohl den Anschluß an die kirchengeschichtliche Forschung erreicht.“58 Abschließend lassen sich die Historischen Hilfswissenschaften wohl weiterhin mit Ernst Bernheim (1905) als Disziplinen definieren, „die gewissermaßen zum täglichen Handgebrauch der historischen Facharbeit nötig sind“59, doch sollte sich der moderne Hilfswissenschaftler 1. nicht vor einer Ausweitung seiner Fächer von der Schrift ins Bild scheuen (von Wilhelm Erben und P. E. Schramm vorbereitet), ja er sollte – wie Tangl – selbst 2. den „Rubikon“ des Formalen zum Inhaltlichen durchaus überschreiten, vom Merkmal zur Deutung vordringen, vom Registrieren des Klassifizierbaren zum Verstehen – denn nur so vermag er seine eigenen hilfswissenschaftlichen Früchte als Historiker selbst zu ernten. Sie werden allerdings nur dann wieder reifen, wenn wir zu der guten Ausbildungspraxis in den Hilfswissenschaften an unseren Universitäten zurückfinden, die der deutschen Geschichtswissenschaft einst zu internationalem Ansehen verhalf. Selbst wer heute „nur“ Erlebnis- bzw. Rezeptionsgeschichte betreiben will, muß zunächst die zugrundeliegenden Tatsachen erforschen und sollte damit einer „Erneuerung der Quellenkritik“ und ihren Instrumenten das Wort reden.60
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Hans Hirsch: Die hohe Gerichtsbarkeit im Mittelalter. Prag 1922, S. 9. Michael Tangl: Antrittsrede. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 2. Halbbd. Berlin 1918, S. 702 ff., hier bes. S. 704. Ernst Bernheim: Einleitung in die Geschichtswissenschaft. Leipzig 1905, S. 47 (Sammlung Göschen, 270). Vgl. Ulrich Raulff: Argumentationshelfer. Vor dem Historikertag in München. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.9.1996, S. 37.
Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften 10 Thesen*1 Die Historischen Hilfswissenschaften sind für Viele eine Bezeichnung, mit der sie nur wenig anfangen können. Allenfalls können sie Unterschiede zwischen den Fächern benennen, doch dass sie auch Gemeinsamkeiten aufzuweisen haben, dürfte wenig bekannt und deswegen erwähnenswert sein. Verbindendes soll daher in 10 Thesen zur Diskussion gestellt werden: 1. Gemeinsam ist allen schon der Name, der als Gruppenbezeichnung im Fächerspektrum der Wissenschaften ziemlich einzigartig ist. Der Pluralbegriff der „Historischen Hilfswissenschaften“ ist als lateinische Übersetzung der „Auxilia historica“ in der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden, als ihr Einbau in die Geschichtswissenschaft durch die Göttinger Schule erfolgte. Er hat sich bis heute gehalten, trotz aller gutgemeinten, aber m. E. unnötigen Versuche im 20. Jahrhundert, die Historischen Hilfswissenschaften in „Grundwissenschaften“ oder „Basiswissenschaften“ umzubenennen. Bewährt hat sich offenbar die Klammerfunktion des Begriffs, die es näher zu untersuchen gilt. 2. Gemeinsam ist diesen Fächern aber nicht nur der Name, sondern auch, dass sie sich durch ihre Hilfsfunktion gegenüber der Geschichtswissenschaft definieren. Dass sie daneben auch eigenständige Disziplinen sowohl der Geistes- als auch der Naturwissenschaften sind, ist für ihre Ancillarolle zunächst bedeutungslos. 3. Gemeinsam sind folglich nicht nur der Name und die enge Bindung an die Geschichtswissenschaft, sondern auch die Art und Weise wie sie die Historiker mit der notwendigen Schlüsselkompetenz versehen: Die Hilfswissenschaften gehören nämlich nicht zum Kernbereich der Geschichtswissenschaft wie die Quellenkunde, sondern stellen Historikern nur eine Art von „Notfallbesteck“ zur Verfügung, wenn ihnen die Quellen Verständnisschwierigkeiten bereiten, für die man Spezialkenntnisse benötigt. Wie fremdsprachliche Dokumente benötigen sie „Übersetzer“. Die Hilfswissen*
Thesenpapier aus: Hennings HiWi-Test. 175 Fragen & Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften. 2. Aufl. Berlin 2011, S. 122–125, gegenüber der Erstfassung überarbeitet, in: Zehn Jahre Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften, hrsg. von Peter Bahl, Friedrich Beck, Regina Rousavy und Waldemar Schupp. Neustadt/Aisch 2005, S. 139–142 (= Herold-Studien, 8).
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schaften sind somit Mittel zum Zweck einer Quellenanalyse. Sie erklären die Eigenart einer Quelle, die Historiker deren Sinn. 4. Gemeinsam ist den Historischen Hilfswissenschaften auch ihr zeitlich nahezu unbegrenzter Zugriff. Damit ist gemeint, dass sie keineswegs nur mediaevistische Disziplinen darstellen, obwohl sich traditionell die Mittelalterlehrstühle der Universitäten gern mit ihnen schmücken. Sie sind fast „zeitlos“, d. h. sie kennen prinzipiell keine Epochengrenzen wie Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Wer beispielsweise moderne Staatssymbolik betreibt, sollte auch über die in den Kreuzzügen entstandene Heraldik, wer die Bedeutung mittelalterlicher Siegel analysiert, auch über ihre Ursprünge im Altertum Bescheid wissen. 5. Gemeinsam ist den inhaltlich höchst unterschiedlichen Hilfswissenschaften auch ihr Anliegen, nämlich vor allem „die formale Gestalt“ schriftlicher, bildlicher und dinglicher Dokumente zu erfassen, so dass man nahezu von einem gemeinsamen Erkenntnisziel dieser Fächergruppe sprechen könnte. 6. Gemeinsam ist allen Historischen Hilfswissenschaften die Methodenwahl: Sie begreifen sich nicht als spekulative, sondern empirisch arbeitende Disziplinen, die statistisch-probabilistische Methoden anwenden und daher den Naturwissenschaften oft näher als den Geisteswissenschaften stehen, ja sich in positivistischem Verständnis auf „ingenieurmäßige Vorarbeiten beschränkt sehen“ (R. Härtel). Sie unterscheiden sich grundlegend vom üblichen theorieverliebten Seminarbetrieb der Geschichtswissenschaft, indem sie quantifizierend arbeiten, sich mit Lokalisieren und Datieren, dem Veriund Falsifizieren und der Beschreibung aller (auch nonverbal überlieferter) Dokumente beschäftigen. Der methodologische Kern der Hilfswissenschaften ist der Vergleich, um Unterschiede (seltener Gemeinsamkeiten) herauszuarbeiten. Je mehr sich solche Methoden allgemein durchsetzen, desto besser wird das Handwerkszeug des Historikers geachtet und als sein Technisches Hilfswerk auch höher geschätzt werden. 7. Gemeinsam ist den Historischen Hilfswissenschaften ihre große Anpassungsfähigkeit an moderne Fragestellungen; auffällig ist ihre Wandlungsfähigkeit von früher mehr text- zu heute mehr bild- und symbolbezogenen Fächern. Einige neue Disziplinen entstanden aus älteren durch Filiation, weitere, auch gegenständlich orientierte, traten hinzu, so dass sich der traditionelle Kanon von weniger als zehn Fächern allmählich – nach oben offen – bedarfsgerecht erweitert hat; ebenso hat der Umfang neuer hilfswissenschaftlich begleitungsbedürftiger Arbeitsgebiete des Historikers zugenommen. 8. Gemeinsam ist allen Historischen Hilfswissenschaften nicht nur die Wandlungsfähigkeit, sondern auch ihre vielschichtige, fächerüberschrei-
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tende Perspektive und damit ein kulturwissenschaftlicher Ansatz. Dieser Fächerkanon ist bereits per se multidisziplinär angelegt, steckt voller Wechselbeziehungen, denken wir nur an die Bezüge zwischen Urkunden-, Akten-, Autographen- und Titulaturenkunde, zwischen Sphragistik, Heraldik und Vexillologie, zwischen Numismatik, Medaillenkunde und Phaleristik. 9. Gemeinsam ist den Historischen Hilfswissenschaften auch ihr Nutzen. In einer Zeit, in der sich die Geisteswissenschaften immer mehr vor der Gesellschaft rechtfertigen müssen, fällt es ihnen nicht schwer, ihre unmittelbare Brauchbarkeit nachzuweisen. Als Dienstleister der Geschichtswissenschaft verfügen sie über anwendbare (Er-) Kenntnisse und ihre Fachvertreter stellen sozusagen die von Ernst Robert Curtius verspotteten „Professoren für Heizung und Lüftung“ dar. „Die weitverbreitete Rücksicht auf das unmittelbar Nützliche kündigt Schlimmeres an“, meinte zwar schon Karl Brandi, doch gerade diese Rücksicht kann zur Wiederentdeckung dieser Fächer führen, die paradoxerweise nützlicher sind als ihre Referenzwissenschaft, die Geschichte. Offensichtlich ist den Historischen Hilfswissenschaften ihre praktische Natur erhalten geblieben, die sie schon im 18. Jahrhundert auszeichnete, als sie vorzugsweise den Rechtswissenschaften dienten und es noch keine autonome Geschichtswissenschaft gab. 10. Gemeinsam ist den Historischen Hilfswissenschaften, dass sie nicht nur Werkzeug, sondern auch Selbstzweck sind, d.h. sie können sehr wohl auch um ihrer selbst willen studiert werden. Dabei kommen beispielsweise Erkenntnisse wie bei Horst Fuhrmann heraus, der sich mit Urkundenfälschungen beschäftigte und zu einem neuen Wahrheitsbegriff des Mittelalters vordrang, oder wie bei Peter Rück, der über die graphischen Zeichen der Diplome zu einem neuen Symbolverständnis gelangte. Die eigene Wissenschaftsqualität ist die Voraussetzung dafür, um als Hilfswissenschaft eingesetzt zu werden. Ich fasse zusammen: Gemeinsam ist den Historischen Hilfswissenschaften nicht nur der Name (1), sondern ihr innerer Bezug zur Geschichte (2). Sie nehmen ihr gegenüber eine dienende Funktion ein; sie sind in ihren Sondereinsätzen für Historiker stets nur ein Mittel zum Zweck, nämlich zur Erschließung der Quellen (3). Ihre „Werkzeugkammer“ ist zeitlich unbegrenzt geöffnet bzw. nicht nur mediaevistisch einsatzfähig (4). Ihr gemeinsames Erkenntnisziel ist in erste Linie die Erforschung der formalen Gestalt schriftlicher, bildlicher und dinglicher „Überreste“ (5) und ihr gemeinsames Instrumentarium ist das der deskriptiven Statistik, das stets einer exakten Diagnostik dient (6), wobei die Einsatzorte wechseln und sich die Fächerzahl deutlich vermehrt hat (7). Gleichwohl sind diese Fächer miteinander verwandt, besitzen zumindest Berührungspunkte, so dass sich Wechselbeziehungen ergeben und ein hilfswissenschaftliches Geflecht entsteht (8). Da
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dieses Netzwerk unmittelbar nützlich ist (9), und seine Zukunftsaussichten nicht ungünstig, auch wenn es gegenwärtig noch nicht danach aussieht. Über die Hilfsfunktion gegenüber der Geschichtswissenschaft sollte man freilich nicht vergessen, dass es sich bei den Hilfswissenschaften auch um eigenständige Fächer handelt, die größtenteils älter als die Geschichtswissenschaft sind (10). Wie man sieht, weisen sie eine größere Geschlossenheit und mehr Gemeinsamkeiten auf als angenommen, auf denen der „eigentümlich strenge Reiz“ beruhen mag, den Ahasver von Brandt ihnen mit Recht nachsagte. Der Trend zu den Kulturwissenschaften könnte eine hilfswissenschaftliche Renaissance einleiten, von der man heute nur träumen kann, die bisher leider die „neue Objektivität“ noch nicht zu unterstützen vermochte, die Gerhard Ritter auf dem ersten deutschen Historikertag (1949) zum Hauptanliegen der Nachkriegszeit machen wollte. Doch die Hilfswissenschaften bleiben „das exaktwissenschaftliche Bein der Historie“ (P. Rück), das sie als Standbein ebenso benötigt wie ihr Spielbein, um die „Daseinsformen und Lebensäußerungen der Vergangenheit“ (A. v. Brandt) zu interpretieren.
Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen! Zum Verständnis der Begriffe „historisch“ und „Hilfswissenschaften“ möchte ich einleitend nur bemerken, daß ich die Großschreibung des Adjektivs „Historisch“ bevorzuge, weil es sich bei diesen Hilfswissenschaften eben nicht nur um ein historisches Phänomen handelt, sondern um einen immer noch aktuellen Begriff für eine auch heute noch nützliche Fächergemeinschaft, die Historikern bei ihrer Interpretation von „Wörtern und Sachen“ (Jakob Grimm) hilft. Wenn ich allerdings diese Fächergemeinschaft selbst „historisch“ betrachte, ist die Kleinschreibung des Adjektivs angebracht, denn dabei geht es ja um ihre Entwicklung bzw. um die Entstehungsgeschichte dieses „Werkzeugkastens“ für Historiker (nicht etwa um die der Werkzeuge). Ich kann hier nur versuchen, einige Grundzüge aufzuzeigen, zumal eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Historischen Hilfswissenschaften bisher fehlt. Was den Begriff „Hilfswissenschaften“ selbst angeht, so möchte ich mein Plädoyer für ihn im ersten Band der Neuen Folge des Herold-Jahrbuchs1 und meine Auseinandersetzung mit Karl Brandis Vorschlag, die Historischen Hilfswissenschaften in „Grundwissenschaften“ des Historikers umzubenennen,2 hier nicht wiederholen. Vielleicht genügt es stattdessen, hilfsweise Heinrich Otto Meisner zu zitieren, der gemeint hat: „Hilfswissenschaften sind periphere Nachbarwissenschaften, zur Nachbarschaftshilfe herangezogen und verpflichtet, sie gehören nicht zum Kern und Wesen derjenigen Wissenschaft, die sie benötigt“3.
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Eckart Henning: Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften“, in: Herold-Jahrbuch NF. 1 (1996), S. 13–23. Brandis Vorschlag (in: Geistige Welt 6, 1939) erinnert notabene sehr an einen frühen von Friedrich Christian Rühs (Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums, Berlin 1811, S. 21 f.), der dagegen war, Fächer wie Chronologie, Numismatik, Heraldik usw. als „Hilfswissenschaften“ anzusprechen, sie seien „Grund- und Elementarwissenschaften“ der historischen Kritik. Vgl. dazu Johannes Burkardt: Die Historischen Hilfswissenschaften in Marburg (17.–19. Jahrhundert). Marburg/L. 1997, S. 17 u. 66 (= elementa diplomatica, 7) und Rezension von Eckart Henning, in: Herold-Jahrbuch NF. 3 (1998), S. 226–227. Heinrich Otto Meisner: Forschungsfragen der Archivwissenschaft und der Urkunden- und Aktenlehre in: Archivmitteilungen 7 (1957), S. 88–91, hier S. 89.
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I Nach diesen Vorbemerkungen wäre zu fragen, wann der Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“ zuerst verwendet wurde?4 Soweit ich sehe, sind die ersten Versuche, einige geschichtsbezogene Fächer zusammenzufassen, im 18. Jahrhundert in Sachsen von dem Pädagogen Benjamin Hederich unternommen worden, dessen „Anleitung zu den fürnehmsten historischen Wissenschaften“ zwischen 1711 und 1787 immerhin acht Auflagen erzielte.5 Sie behandelte in ihrem ersten Teil u. a. Chronologie, Genealogie, Heraldik, Numismatik und Diplomatik und damit von der Sache her durchaus Disziplinen, die wir heute noch zu den Historischen Hilfswissenschaften zählen, nur gebrauchte er diesen Ausdruck nicht. Auch die großen deutschen Lexica von Adelung oder Zedler kennen diese Bezeichnung noch nicht, die zunächst nämlich nur lateinisch überliefert ist: Sie erscheint erstmals im Titel des vierbändigen, ebenfalls mehrmals aufgelegten Werks „Auxilia historica oder Behülff zu den Historischen und dazu erforderlichen Wissenschaften“ (Abb. 1 u. 2) des Universalgelehrten und späteren Ensdorfer Benediktinerabtes Anselm Desing (1699–1772), 1741 veröffentlicht, als er noch PoetikLehrer in Salzburg war.6 Es behandelte im vierten Band u. a. Münzwesen, Chronologie, Diplomatik, Paläographie, Wappenkunde und Genealogie in Bezug auf Geschichte. Es folgte dann 1747 die Bewertung Friedrich Christoph Schminckes im Vorwort zum ersten Bande seiner „Monimenta Hassiaca“, wo er die „untrüglichen Urkunden“ als Wahrheitsbeweise lobt und meint, „daß die Historie, wofern sie gründlich und nützlich abgehandelt werden soll“ noch unzählige andere „,Hülffs-Mittel‘ vonnöhten habe“.7 Die deutsche Entsprechung der Auxilia historica begegnet uns erst zwanzig Jahre später im Werk dessen, der sie nicht nur gelesen und verarbeitet, sondern auch weitergeführt hat, nämlich bei Johann Christoph Gatterer in Göttingen. Dieser bezieht sich in seinem 1761 erschienenen „Handbuch der Universalgeschichte nach ihrem gesamten Umfange“ schon auf der dritten Seite aus-
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Vgl. Wolfgang Müller: Die Anfänge der Historischen Hilfswissenschaften in Bayern. Katalog der Ausstellung zum 41. Deutschen Historikertag 16.–20. September 1996 der Universitätsbibliothek München. München 1996, S. 6 ff. und Burkardt: Die Historischen Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 15 ff. Zuerst erschienen Wittenberg 1711. Nach der 6. Aufl. (1742) bearb. von Schmidt (1782) und Eschenburg (1787). Zu Hederich vgl. Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 11, Berlin 1869, S. 221–222. Zuerst erschienen Regensburg 1741. Ausführlicher Titel, s. Abb. 2. Entgegen den Angaben Ahasver v. Brandts: Werkzeug des Historikers, eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 13. Aufl. Stuttgart 1992, S. 164, hat das Werk „nur“ 4 Bände, nicht 11. Friedrich Christoph Schmincke, Herausgeber der in Kassel erschienenen Monumenta Hassiaca, Vorwort zu Band 1 (1747), o. Seitenzahlen.
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drücklich auf Anselm Desing und führt aus: „Die jenigen Wissenschaften, welche auf die genaueste Verwandtschaft mit der Historie und den wichtigsten Einfluß in dieselbe haben, werden um deßwillen historische Hülfswissenschaften genannt, dahin die Chronologie, Geographie, Genealogie, Heraldik, Numismatik und Diplomatik zu rechnen sind“.8 Es ist also nicht so, daß der erste bekannte Beleg für den Terminus „Historische Hilfswissenschaften“, wie noch Ahasver v. Brandt meinte, erst an versteckter Stelle in Gatterers „Vorrede von der Evidenz in der Geschichtskunde“ stünde, mit der er sechs Jahre später „Die allgemeine Welthistorie“ (1767) einleitete.9 Selbst im Titel eines anderen Buches findet sich der gesuchte Ausdruck früher, als man bisher meinte, denn schon 1784 publizierte der Jesuit Johann Nepomuk Mederer, damals Geschichtsprofessor in Ingolstadt (an der 1800 nach Landshut verlegten Universität), seinen „Plan der öffentlichen Vorle-
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Erschienen Göttingen 1761, S. 2–25, hier S. 16. Erschienen Halle 1767, Vorrede S. 1–38 (mit dreimaliger, eher beiläufiger Erwähnung der Historischen Hilfswissenschaften). Vgl. v. Brandt: Werkzeug (wie Anm. 6), S. 164.
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Abb. 2
sungen über die historischen Hilfs- und Vorbereitungswissenschaften überhaupt und über die vaterländische Geschichte ins besondere, sammt genealogischer Tabellen“10 (vgl. Abb. 3). Mederer forderte darin schon eigene Lehrstühle für die mit der Geschichte „verbundenen Hilfswissenschaften“, jedenfalls sollten sie „mit einem durch kein anders Fach beschäftigten öffentlichen Lehrer“ besetzt werden. So wurden die Historischen Hilfswissenschaften, die sich bald gegen andere Termini wie „Hilfsdoktrinen“ oder „Nebenwissenschaften“ durchsetzten, schon im 18. Jahrhundert
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Erschienen in Ingolstadt in der akademischen Buchhandlung von Johann Wilhelm Krüll 1784.
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als Monographientitel gebraucht11 und nicht erst, wie wiederum Brandt meinte, durch Johann Georg v. Feßmaier, der als älterer Landshuter Kollege Mederers im Jahre 1802 einen „Grundriß der historischen Hilfswissenschaften, vorzüglich nach Gatterers Schriften zum akademischen Gebrauch bearbeitet“ hatte.
II Auch wenn somit endgültig feststehen dürfte, daß der Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“ nicht aus dem 19., sondern schon aus dem 18. Jahrhundert stammt, muß man sich darüber im Klaren sein, daß er viel jünger ist als die darunter zusammengefaßten Fächer, auch daß es sich hier nicht – wie schon der Plural andeutet – um ein in sich abgeschlossenes Fach mit einheitlicher Methode handelt, sondern um einen variablen Verbund mit gemeinsamer historischer Zielsetzung12. Pointiert gesagt: die Historischen Hilfswissenschaften gab es bereits, als es sie noch nicht gab, denn viele von ihnen, wenn auch nicht alle, sind erheblich älter und haben überdies eine eigene Entwicklung durchgemacht. Die älteste unserer heutigen Hilfswissenschaften könnte die schon im Altertum auf astronomischer Grundlage zur Kalenderrechnung notwendige Chronologie gewesen sein. Auch numismatischer Grundkenntnisse bedurfte es angesichts der Münzvielfalt schon früh, ebenso der zur Durchsetzung dynastischer Ansprüche unentbehrlichen Genealogie. Mit der Entstehung des Wappenwesens im Hochmittelalter erwiesen sich dann heraldische Spezialkenntnisse für besondere Berufsgruppen und Stände als unerläßlich. In der Renaissance entwickelten sich aus der Numismatik durch Filiation allmählich Medaillenkunde und später auch Phaleristik. Im Humanismus traten Diplomatik und Sphragistik hinzu, die für die Erkenntnis verfälschter mittelalterlicher Urkunden und ihrer Beglaubigungsformen Bedeutung erlangten, wobei sich die für die Buchschriften besonders wichtige Paläographie erst sehr allmählich aus der Urkundenlehre zu lösen begann. Leider fehlen für fast alle diese Hilfswissenschaften, auch für bisher noch nicht erwähnte, geeignete Einzeldarstellungen ihrer Disziplinentwicklung (was auch die noch ausstehende Gesamtdarstellung erklärt); so bleibt hier, 11
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Auf den Buch- folgte 1793 noch ein Zeitschriftentitel, als nämlich von F. G. Canzler sein Allgemeines Literaturarchiv für Geschichte, Statistik, Handlung, deren Nebenwissenschaften und Hülfsmittel (1791–97) in „deren Hülfswissenschaften“ umbenannte. Vgl. dazu v. Brandt: Werkzeug (wie Anm. 6), S. 164. Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 15 hat m. E. Unrecht, wenn er von unterschiedlicher Zielsetzung spricht, denn die Geschichte bzw. der Dienst, den ihr die Historischen Hilfswissenschaften erweisen, stellt ja gerade deren gemeinsamen Nenner dar.
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Abb. 3
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vielleicht mit Ausnahme der Diplomatik13, trotz einiger Vorarbeiten, das Meiste noch zu tun. Viele dieser zweckgerichteten Fächer sind durchaus selbständig bzw. auch ohne Bezug zur Geschichte denkbar, die ja selber noch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mit propädeutischen Aufgaben in den Diensten von Theologie und Jurisprudenz stand14, ehe sie sich emanzipierte. So hatten fast alle deutschen Historiker des 18. Jahrhunderts selbst theologische oder juristische Studien absolviert; die Entwicklung vom Geschichtsschreiber zum quellenkritisch tätigen Geschichtsforscher vollzog sich erst in der Aufklärung15. Ihr hilfswissenschaftliches Zentrum war die 1737 neubegründete Universität Göttingen, wo der aus Altdorf berufene Johann David Köhler (1684–1755) bereits Numismatik, Chronologie, Heraldik, Genealogie und Historische Geographie las. Er und vor allem sein oben schon erwähnter Nachfolger, der Universalhistoriker Johann Christoph Gatterer (1727–1799), haben die Historischen Hilfswissenschaften dort als solche erst eigentlich „gebündelt“, sie in einer kaum wieder erlebten Breite in ihren Vorlesungen oder Übungen vertieft und besonders in Lehrbüchern weiterentwickelt. Gatterer hatte in Altdorf noch den um die Diplomatik verdienten Staatsrechtler Johann Heumann gehört; seiner „Genealogischen Geschichte der Herren von Holzschuher“ verdankte er 1759 seinen Ruf nach Göttingen, wo er vierzig Jahre lang einen Lehrstuhl bekleidete. Er erweiterte Köhlers hilfswissenschaftliches Angebot um die Diplomatik und pflegte besonders in seinem 1766 außerhalb der Universität gegründeten „Historischen Institut“, „gewissermaßen dem ersten hilfswissenschaftlichen Seminar“16, Paläographie, Chronologie, Numismatik, Heraldik und Genealogie, ferner sind seine Bestrebungen, die Geographie in eine engere Beziehung zur Geschichte zu bringen, hervorzu13
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Auswahlweise nenne ich für die Diplomatik nur vier Beiträge: Johann Christoph Adelung: Neues Lehrgebäude der Diplomatik, welches in Frankreich von einigen Benedictinern von der Congregation des heiligen Maurus ausgefertigt worden. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von J. Chr. A., 9 Teile. Erfurt 1759–1769. – Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre 2 Bde. 4. Aufl. Berlin 1968/69. Registerband von Hans K. Schulze, Berlin 1960 und ders.: Geschichte der Monumenta Germaniae historica im Auftrage der Generaldirektion. Hannover 1921. – Richard Rosenmund: Die Fortschritte der Diplomatik seit Mabillon vornehmlich in Deutschland-Österreich. München, Leipzig 1897 (= Historische Bibliothek, 4). Notker Hammerstein: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 1970. Rudolf Vierhaus: Die Universität Göttingen und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, in: H. Boockmann/H. Wellenreuther (Hrsgg.): Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe. Göttingen 1987, S. 9–29 (= Göttinger Universitätsschriften. Serie A: Schriften D. 2). Hans Foerster. Abriß der lateinischen Paläograhie, 2. Aufl. Berlin 1963, S. 17.
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heben. Franz Xaver v. Wegele stellte angesichts von Gatterers Werk17 fest: „In Sachen der historischen Hilfswissenschaften hat er sich lang nachwirkende Verdienste erworben“18. Die von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände (DAGV) verliehene Silberne Gatterer-Medaille erinnert bis heute daran.19 Auswirkungen zeigten sich schon bald, besonders in Österreich, als aufgrund einer neuen Studienordnung (1772/73) nach dem Vorbild von Gatterers Lehrtätigkeit an allen Universitäten ein mit der Altertumskunde verbundenes Extraordinariat für Diplomatik und Heraldik eingerichtet wurde, in Wien sogar getrennt für beide Hilfswissenschaften20. In den deutschen Ländern blieb die Behandlung hilfswissenschaftlicher Themen an den Universitäten aber weiter abhängig vom Interesse und der Vorbildung einzelner Lehrstuhlinhaber der Geschichte. Hervorzuheben wäre noch die Göttinger Unterstützung für Marburg21, wo seit 1801 der Gatterer-Schüler Ludwig Wachler (1767–1838) Hilfswissenschaften neben Geschichte und Theologie an der Philippina lehrte, übrigens Verfasser der „einzigen Geschichte der Geschichtswissenschaft, die sich ernsthaft bemüht, die Spuren der Hilfswissenschaften auch bis in die Zeit vor dem 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen, ohne sie als Disziplinen von marginaler Bedeutung mitlaufen zu lassen“22. An der 1810 neugegründeten Berliner Universität übernahm Friedrich Christian Rühs (1788–1820), ein Schüler des Göttingers Arnold Heeren, die recht eigenständige Betreuung der Hilfswissenschaften23. Insgesamt fehlt es 17
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Außer Gatterers Handbuch der Universalgeschichte (1761, vgl. oben S. 2) sind von ihm vor allem zu nennen a) Elementa artis diplomaticae universalis, Göttingen 1765; b) Abriß der Heraldik. Neue und verbesserte Ausgabe, 1773, 2. Aufl. Göttingen 1792; c) Abriß der Geographie, Göttingen 1775: d) Abriß der Chronologie, Göttingen 1777; e) Abriß der Genealogie, Göttingen 1788; f) Praktische Heraldik, Göttingen 1791; g) Abriß der Diplomatik, Göttingen 1795; h) Praktische Diplomatik, Göttingen 1799. Franz Xaver v. Wegele: Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus. München, Leipzig 1885, S. 757. Über die letzten Verleihungen vgl. Bernhard F. Lessar, in: Genealogie 23 (1996), S. 375–377 u. 24 (1998), S. 53. Vgl. Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 26. Zu den damals österreichischen Universitäten gehörte auch die in Freiburg im Breisgau. Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 11, s. auch S. 63–65. Ludwig Wachler: Geschichte der historischen Forschung und Kunst seit der Wiederherstellung der litterärischen Cultur in Europa, 2 Bde. Göttingen 1812–1820. Vgl. Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen. Hrsg. von Reimer Hansen und Wolfgang Ribbe. Berlin 1992, S. 365–408, bes. S. 367 u. ö. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82).
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aber für die übrigen Hochschulorte noch an Einzeluntersuchungen, so daß Verallgemeinerungen voreilig wären24. Die sogenannte Göttinger Schule, vor allem Köhler und Gatterer, aber auch deren Nachfolger (Schlözer, Meiners, Heeren und Sartorius) erkannten den Wert der Historischen Hilfswissenschaften und sorgten für den endgültigen Einbau dieser Arbeitsmethoden in das Gesamtgebäude des sich von der Historie zur Geschichtswissenschaft entwickelnden Faches. Damit trugen sie ganz wesentlich – um mit Jörn Rüsen zu sprechen – zu seiner „disziplinären matrix“ bei. An die Stelle des humanistischen Ideals der Unparteilichkeit des Historikers war die methodisch erlangbare Objektivität als Leitmotiv der Aufklärung getreten. Die Geschichtsschreibung kam nun nicht mehr ohne Quellenbelege aus, denn nach Friedrich Nicolai galt die Devise: „Eine Aufklärung ohne Gründe, eine historische Aufklärung ohne Dokumente, ist gar keine Aufklärung“25. Die so erfolgreich begonnene Entwicklung der Historischen Hilfswissenschaften im 18. Jahrhundert fand – auf den ersten Blick überraschend – in der ersten Hälfte des neunzehnten zunächst keine Fortsetzung. Dieser Rückschlag dürfte erstens mit dem Zusammenbruch des Ancien régime in der Französischen Revolution zusammengehangen haben, worunter das Interesse an Heraldik, Genealogie und Diplomatik erst einmal litt; zweitens mit den erwachenden Spezialisierungstendenzen der Alten Geschichte, die nun Numismatik oder Epigraphik gesondert pflegte, wodurch den Historischen Hilfswissenschaften die universalhistorische Perspektive verloren ging und durch eine mediävistisch verengte ersetzt wurde; und drittens hat sich die preußische Universitätsreform Wilhelm v. Humboldts ausgewirkt, der mit der Ausrichtung auf den Nutzen (und damit auf das Brotstudium) brach bzw. dieses pragmatische Leitbild des 18. Jahrhunderts durch das idealistische von der Zweckfreiheit der Wissenschaften im 19. Jahrhundert ersetzte26. Aus dieser dritten Ursache läßt sich folgern: „Die Beseitigung der aus dem juristischen Jahrhundert der Historie herstammenden Lehrstühle und zuletzt noch der besonderen Lehraufträge für die historischen Hilfswissenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die zuerst in der 24
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Bisher liegen nur Einzeluntersuchungen für Marburg/L. (von Johannes Burkardt, wie Anm. 2) und für Berlin vor (von Eckart Henning, wie Anm. 23), ferner für Göttingen von Hans Goetting: Geschichte des Diplomatischen Apparats der Universität Göttingen, in: Archivalische Zeitschrift 65 (1969), S. 11–46. Zitiert nach Heinz Dieter Kittsteiner, in: FAZ-Rez. vom 24.1.1992, S. 32 von H.W Blanke/C. Fleischer: Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 1, Stuttgart 1990, 2 Teilbände. Vgl. dazu aktuell den FAZ-Leitartikel vom 21.7.1999, S. 1, zu Bundesbildungsminister Rüttgers, der Humboldts Universität einst voreilig für tot erklärte, wobei er wenig bedachte, daß praktische Erfolge meist theoriebedingt sind. Man kann es aber auch mit Max Planck ausdrücken: „Dem Anwenden muß das Erkennen vorausgehen“. So sollten Universitäten nicht zu Fachhochschulen degenerieren.
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neuen preußischen Universität erfolgte, ist wissenschaftsgeschichtlich gesehen ein notwendiger Akt der Selbstreinigung der Historie von allen Fremdkörpern, die ihre Selbständigkeit als Wissenschaft anzutasten vermochten. Nicht als ob die hilfswissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden aufgegeben worden wären; sie wurden vielmehr amalgamiert und zum Rüstzeug jedes Historikers erklärt“27. So lag die Pflege der Historischen Hilfswissenschaften anfangs vor allem in den Händen derer, die sie für ihre Quelleneditionen als praktisches „Rüstzeug“ dringend benötigten, und das waren vor allem die sogenannten Monumentisten, d. h. Mitarbeiter der vom Freiherrn Karl vom und zum Stein 1819 begründeten Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, die in mehreren Reihen die Monumenta Germaniae historica herauszugeben begannen28. Diese Monumentisten (in Berlin u. a. Pertz oder Koepke) erhielten bald ideelle Unterstützung durch die sogenannten Chartisten, deren ausgezeichnete Ausbildung in Diplomatik und Paläographie wie in anderen Hilfswissenschaften an der 1821/29 in Paris neugegründeten École des Chartes für angehende Archivare und Historiker schnell europäische Beachtung fand29. Sie bildete auch das Vorbild der 1827 gegründeten Bayerischen Archivschule und vor allem des 1854 in Wien begründeten Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, an dem der „Chartist“ Theodor v. Sickel die Diplomatik erfolgreich weiterentwickelte30. Dadurch kam es an deutschen Universitäten zu einer Rückbesinnung auf die seit Gatterer empirisch ausgerichteten Historischen Hilfswissenschaften, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch durch den hemmenden Einfluß der romantischen Naturphilosophie auf alle analytisch arbeitenden Erfahrungs-
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Josef Engel: Die deutschen Universitäten und die Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 189 (1959), S. 223–378, hier S. 321. Zu Engels Befund paßt die Mitteilung Burkardts (wie Anm. 2), S. 63, daß „keine einzige der zahlreichen hilfswissenschaftlichen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts über die Jahrhundertwende hinweggerettet werden“ konnte. Vgl. Henning: Historische Hilfswissenschaften in Berlin (wie Anm. 23), S. 380–383, vgl. ferner Harry Bresslau: Geschichte der MGh (wie Anm. 13). Karl Brandi: Zur Geschichte der Historischen Hilfswissenschaften, Teil I: Die École des Chartes in Paris (Teil II nicht erschienen), in: Archiv für Urkundenforschung 17 (1942), S. 319–328. Alphons Lhotsky: Geschichte des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854–1954. Graz, Köln 1954 (= MIÖG Ergänzungsband, 17). Vgl. auch Otto Brunner: Das österreichische Institut für Geschichtsforschung, und seine Stellung in der deutschen Geschichtswissenschaft, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 52 (1938), S. 385–416 und Emil v. Ottenthal: Das k.k. Institut für Österreichische Geschichtsforschung 1854–1904. Wien 1904 (= Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen).
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wissenschaften in ihrer Entwicklung nicht eben begünstigt worden waren31. Allerdings hatten sich gerade unter diesem Einfluß die meisten vaterländischen Vereine zu Gesellschaften mit einem mehr fachspezifischen Zuschnitt gewandelt, wovon in Berlin z. B. die Gründung der „Numismatischen Gesellschaft“ (1843)32 und des „Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“ (1869)33, in Wien die der „Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft Adler“ (1870)34 zeugte. Um die Wissenschaftlichkeit der Historie weiter zu fördern, entstanden an den deutschen Universitäten um die Jahrhundertmitte wieder Lehrstühle für Historische Hilfswissenschaften, und neue Lehraufträge wurden vergeben. So begründete Heinrich v. Sybel schon 1854 seinen Antrag auf eine außerordentliche Professur für Marburg folgendermaßen: „Bekanntlich ist seit langer Zeit in dem Kreise unserer Disciplinen eine fühlbare Lücke dadurch entstanden, daß das Fach der sogenannten historischen Hülfswissenschaften jeder Vertretung entbehrt“35. In Berlin kam es 1862 zur Errichtung eines ersten außerordentlichen Lehrstuhls (für Philipp Jaffé), wie betont wurde, nicht zuletzt „im Interesse der Ausbildung tüchtiger Archivbeamter“, der 1873 sogar in eine ordentliche Professur umgewandelt wurde. Außer Wilhelm Wattenbach wirkten an der Friedrich-Wilhelms-Universität u. a. so namhafte Hilfswissenschaftler wie Harry Bresslau, Michael Tangl und Ernst Perels, so daß ein mit Paris und Wien vergleichbar hohes Niveau in Forschung und Ausbildung erreicht wurde36. Andere deutsche Universitäten folgten dieser Neubewertung der Historischen Hilfswissenschaften, ohne daß ich hier noch auf sie eingehen könnte. Ich kann aber an diesem Vortragsort meine Skizze nicht vollenden, ohne wenigstens die Gründung einer preußi31
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Vgl. Frank R. Pfetsch: Zur Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte in Deutschland 1750–1914. Berlin 1974, S. 358. Vgl. 175 Jahre Numismatische Gesellschaft (in Berlin), in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 70 (1969), S. 597–598 u. Henning: Historische Hilfswissenschaften in Berlin (wie S. 9/Anm. 23), S. 387. Heinz Hugo: Heroldsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte, in: Vierteljahrsschrift Herold NF 5/6 (1963–1968), S. 155–161. Vgl. ferner die über den Verein Herold verzeichnete Literatur bei Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Köln 1984, S. 378 f. sowie den weiteren Beitrag von Eckart Henning (unter Mitarbeit von Petra Hauke und Gabriele Jochums): Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin, in: Festschrift für Werner Schochow, hrsg. von Hartmut Walravens. München 1990, S. 34–122. Christa Mache: Beiträge zur Geschichte der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“. Bd. I: Die Geschichte der Gesellschaft „Adler“; Bd. II: Das „Stammbuch“ der Gesellschaft. Phil. Diss. Wien 1997. Zit. aus den Anhangsdokumenten bei Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 180. Henning: Historische Hilfswissenschaften in Berlin (wie Anm. 23), S. 371 ff.
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schen Archivschule durch den inzwischen zum Direktor der Staatsarchive aufgestiegenen Heinrich v. Sybel und den „allmächtigen“ Friedrich Althoff (Preußisches Kultusministerium) zu erwähnen: Sie erfolgte 1893/94 auf Betreiben Paul Fridolin Kehrs zunächst im Marburger „Kugelhaus“ in enger Zusammenarbeit zwischen dem dortigen Staatsarchiv und der Universität, nachdem dieser Sybel gegenüber geklagt hatte: „In dem Lehrplan der meisten deutschen Universitäten haben die hist(orischen) Hilfswissenschaften meiner Überzeugung nach in der Regel nicht die rechte Stellung: es fehlt fast überall entweder an hinreichendem Unterrichtsmaterial oder an genügender Sicherheit der Lehrer selbst; die alte Tradition, wie sie in Frankreich die École des Chartes bewahrt und vertritt, fehlt uns in Deutschland durchaus ... Wir haben Universitäten, an denen es schlechterdings unmöglich ist, eine Handschrift oder eine Urkunde zu lesen ...; ich lernte neulich eine Universitätsbibliothek kennen, deren Beamte sich sämtlich außer Stande erklärten, eine Collation anzufertigen ...“37. An dieser zentralen Archivschule Preußens, die allerdings – unter Beibehaltung des hilfswissenschaftlichen Seminars in Marburg – schon 1904 durch Reinhold Koser als Generaldirektor aus ihrer hessischen Enge befreit und nach Berlin verlegt wurde, sind die Historischen Hilfswissenschaften in steter Kooperation des Preußischen Geheimen Staatsarchivs mit der Friedrich-Wilhelms-Universität anspruchsvoll und mit gutem Erfolg unterrichtet worden38. Dafür sorgte schon ab 1915 Kosers Nachfolger, der zuvor erwähnte Kehr, von dem seine Biographin sagte: „So eng die Entwicklung der Historischen Hilfswissenschaften in Österreich mit dem Namen Sickels verbunden ist, so dominant steht für sie in Deutschland der Name Kehr“39. Diese Entwicklung gipfelte 1930 – leider – in der Errichtung eines außeruniversitären „Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“ durch Albert Brackmann in den Räumen des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem40. Ich sage „leider“, denn dieses in 37
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Zit. aus den Anhangsdokumenten bei Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 186. Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 121 ff., 138 ff., Anhang S. 190 ff. und Michele Schubert: Paul Kehr und die Gründung des Marburger Seminars für Historische Hilfswissenschaften im Jahre 1894. Der Weg zur preußischen Archivschule Marburg, in: Archivalische Zeitschrift 81 (1998), S. 1–59. Zum Verhältnis dieser 1995 geschriebenen Arbeit zu Burkardt vgl. Schuberts Anm. 30. Vgl. auch Eckart Henning: Der erste Generaldirektor der preußischen Staatsarchive Reinhold Koser, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 1 (1979), S. 259–293, hier S. 283 f. Schubert: Paul Kehr (wie Anm. 38), S. 59. Wolfgang Leesch: Das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (IfA) in Berlin-Dahlem (1930–1945), in: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag. Berlin 1971, S. 219– 254.
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Archivarskreisen schon legendäre „IfA“, wie es abgekürzt worden ist, war eine glanzvolle Ausbildungsstätte, an der überdies durch Heinrich Otto Meisner noch eine der jüngsten Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre begründet wurde, nämlich die aus der Diplomatik entwickelte Aktenkunde41, – doch die enge Bindung an die Berliner Universität war damit gelöst. Norbert Reimann bezieht sich auf meine andernorts schärfer vorgetragenen Bedenken, wenn er sagt: „Die ,Auslagerung‘ des hilfswissenschaftlichen Ausbildungsbedarfs von den Universitäten an die Archivschulen, für den die Archivanwärter die ,Hauptabnehmer‘ darstellen, führte andererseits an den Universitäten zu einem Rückgang der Nachfrage und damit auch des Angebotes im Bereich der Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten. Dies wiederum wirkt sich nachteilig auf die hilfswissenschaftlichen Vorkenntnisse aus, die die Anwärter beim Eintritt in den Vorbereitungsdienst mitbringen“42. Ich bin also der Meinung, daß Forschung und Lehre der Historischen Hilfswissenschaften für alle Interessenten an den Universitäten stattfinden sollten, wo diese sonst immer mehr verkümmern. Ich bin weiter der Meinung, daß der Forschungsmodenwandel in der Geschichte, den wir gegenwärtig erleben, nämlich von der Sozial- zur Kulturgeschichte, sehr geeignet ist, die Historischen Hilfswissenschaften aus ihrem Schattendasein herauszuführen, weil nicht nur Datenmengen, sondern endlich wieder Texte und Bilder in der Geschichtswissenschaft deren Erschließungshilfe bedürfen. Die moderne Kulturgeschichte, wie sie Michael Maurer auf dem 70. Deutschen Archivtag im September 1999 in Weimar darstellte, erforscht u. a. nationale Stereotypen, Signalgeschichte, Bilderstürme, Namenswandel, Kalenderwechsel und die Schrift des Menschen als sprachlichem Symbolwesen, wozu sie nicht zuletzt die Historischen Hilfswissenschaften benötigt43. Dann müßte man gewiß nicht mehr – wie Kehr schon vor hundert Jahren – „über den jämmerlichen Zustand der Hilfswissenschaften in Deutschland“ klagen44. Hoffen wir, daß unsere Klage so erfolgreich sein möge wie damals seine!
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Eckart Henning: Wie die Aktenkunde entstand. Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert, in: Auxilia historica. Ausgewählte Aufsätze. Köln 1999, S. 54–76 (erstmals in: Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdiszipliniären Umfelds, hrsg. von Friedrich Beck, Wolfgang Hempel u. Eckart Henning, Potsdam 1999, S. 439–461). Norbert Reimann: Zur Situation der archivarischen Aus- und Fortbildung. Ein Diskussionsbeitrag aus der Sicht der kommunalen Archivpflege, in: Archivistica docet (wie Anm. 41), S. 627–661, hier S. 657 f. Vortrag beim 70. Deutschen Archivtag in Weimar (im Druck). Vgl. Anhangsdokumente bei Burkardt: Historische Hilfswissenschaften in Marburg (wie Anm. 2), S. 187: Schreiben Kehrs an Th. v. Sickel vom 15.12.1892.
Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin * I Auch wenn sich der Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“ erst im 19. Jahrhundert gegen andere, wie „Hilfsdoktrinen“ oder „Nebenwissenschaften“ durchgesetzt hat, ist er doch der Sache nach bereits im 18. Jahrhundert bekannt;1 vor allem Benjamin Hederichs 1711 erstmals erschienene „Anleitung zu den fürnehmsten historischen Wissenschaften“, die bis 1787 sieben Auflagen erreichte, hat wohl dazu beigetragen, daß sich so etwas wie ein Fächerkanon herausbildete,2 auf den unten näher eingegangen werden soll.3 Für fast alle, heute als „Historische Hilfswissenschaften“ bezeichneten Fächer wie Paläographie, Diplomatik, Heraldik, Sphragistik, Genealogie, Numismatik oder Chronologie gilt, daß sie im 17. und 18. Jahrhundert mehr als juristische Hilfsdisziplinen angesehen wurden, nämlich als artes, die es im aktuellen Recht anzuwenden galt, ähnlich wie die Historie selbst im Reichsund Staatsrecht der Kommentierung diente, aber noch nicht um ihrer selbst willen studiert wurde.4 Es ist daher nicht verwunderlich, daß diese Fächer anfangs noch von Juristen (mit)vertreten wurden, bis sie in die Obhut der
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Erstmals erschienen in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. von Reimar Hansen und Wolfgang Ribbe, Berlin 1992, S. 365–408 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82). Das bedeutet natürlich nicht, daß auch die einzelnen hilfswissenschaftlichen Disziplinen selbst erst ein Produkt des 18. Jahrhunderts sind, denn ihre Geschichte ist durchweg älter. Vgl. Ahasver von Brandt, Werkzeug des Historikers. Eine Ein-führung in die Historischen Hilfswissenschaften, 11. Aufl., Stuttgart 1986, S. 11 f. und S. 163–166. Hederich behandelt Geographie, Chronologie, Genealogie, Heraldik, Universalgeschichte und Mythologie. Vgl. auch seine hilfswissenschaftlichen Beiträge zu Zedlers Großem Universallexikon (64 Bde., 1732–1750). Ludwig Wachler, Geschichte des historiscben Wissens, Bd. 1 u. 2, Göttingen 1812–1820, hier Bd. 2, S. 264, sagte über Hederich: Er war der erste, welcher die Hilfskenntnisse der Geschichte zusammenstellte und dadurch die Bekanntschaft mit den wissenschaftlichen Grundbedingungen zum Gelingen historischer Arbeit erleichterte. Vgl. unten Teil III. Josef Engel, Die deutschen Universitäten und die Geschicbtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 189 (1959), S. 223–378, hier S. 269; vgl. auch S. 315 f. u. Rudolf Vierhaus, Die Universität Göttingen und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, in: Hartmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen (= Göttinger Universitätsschriften, Ser. A, Bd. 2), Göttingen 1987, S. 9–29, hier S. 27 f.
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Universalhistoriker übergingen. In Göttingen zum Beispiel las Johann David Köhler (1684–1755) bereits Chronologie, Genealogie und Numismatik, nach ihm erweiterte dann Johann Christoph Gatterer (1727–1799) das hilfswissenschaftliche Angebot und pflegte besonders in seinem 1766 außerhalb der Universität gegründeten „Historischen Institut“ auch Heraldik, Paläographie, Diplomatik und Geographie.5 Gatterer, der noch in Altdorf den um die Diplomatik verdienten Staatsrechtler Johann Heumann gehört hatte, war durch seine „Genealogische Geschichte der Herren von Holzschuher“ bekannt geworden, die ihm 1759 den Ruf auf einen Göttinger Lehrstuhl eintrug, den er vierzig Jahre innehaben sollte. Seine wichtigste Leistung bestand im Ausbau der auch in Lehrbüchern beschriebenen Diplomatik, andere Arbeiten galten der Chronologie, Heraldik und Genealogie, auch numismatische Abhandlungen sind von ihm zu nennen. Weniger bewußt sind uns heute im allgemeinen Gatterers Bemühungen um die Geographie, deren engen Bezug zur Geschichte er besonders herausarbeitete. F. X. von Wegele stellte angesichts seines Werks fest: In Sachen der historischen Hilfswissenschaften hat er sich lang nachwirkende Verdienste erworben.6 Die sogenannte Göttinger Schule, vor allem Köhler und Gatterer, aber auch ihre Nachfolger (Schlözer, Meiners, Heeren und Sartorius) erkannten den besonderen Wert der Hilfswissenschaften und sorgten daher für ihren endgültigen Einbau in das Gesamtgebäude der Geschichtswissenschaft,7 die sich damals gerade erst zu einer eigenständigen, kritischen, nur noch der Erkenntnis verpflichteten Wissenschaft zu entwickeln begann. Das geschah allerdings weniger im aufgeklärten Göttingen als vielmehr im idealistischen Berlin an seiner im Jahre 1810 neugegründeten Universität.8 Immerhin vollzog sich der dortige hilfswissenschaftliche „Einbau“ nicht 5
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J. Engel, Die deutschen Universitäten ... (wie Anm. 4), 5. 272 f. Vgl. auch Peter Hanns Reill, Die Geschichtswissenschaften um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 1985, S. 163–193 u. ders. Johann Christoph Gatterer, in: Deutsche Historiker, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Bd. 6, Göttingen 1980, S. 7–22, bes. S. 18. R. wird Gatterers hilfswissenschaftlichen Leistungen leider nicht gerecht, was sich aus seinem Resümee ergibt: Auch in der so [nämlich teleologisch] gesehenen Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft hat Gatterer einen festen, wenn auch bescheidenen Platz erhalten – aufgrund seiner Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften. Aber beschränkte sich seine Leistung darauf, lohnte es nicht, ihn wiederzuentdecken (S. 20). Vgl. auch Horst Dreitzel, Die Entwicklung der Historie zur Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981), S. 257–284. Franz Xaver von Wegele, Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (= Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Neuere Zeit, Bd. 20), München–Leipzig 1885, S. 757. A. von Brandt, Werkzeug ... (wie Anm. 1), S. 11. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1–4, Halle/S. 1910–1918.
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ohne Göttinger Unterstützung: Wenn auch Heeren abgesagt hatte, so folgte doch sein Schüler Christian Friedrich Rühs (1781–1820), inzwischen außerordentlicher Professor für Geschichte in seiner Heimatstadt Greifswald, dem Berliner Ruf. Er war in Forschung und Lehre von warmer und starker Leidenschaft und ein, wie Heeren, in der Luft der Aufklärung groß gewordener Göttinger Historiker.9 Er hatte dort eine ganz moderne hilfswissenschaftliche Ausbildung erhalten, die er bereits in Greifswald in Vorträgen über Diplomatik, Heraldik und Literaturgeschichte weitergab.10 Einen schnell publizierten „Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums“ (1811) legte Rühs seinen ersten Vorlesungen an der Berliner Universität im Winter 1810/11 zugrunde, vom Sommer 1812 an wollte er sie ausdrücklich als eine „Einleitung in das historische Studium und die sogenannten historischen Hülfswissenschaften“ verstanden wissen.11 Neben seinen sonstigen Lehrveranstaltungen und einer regen, seine Kräfte überbeanspruchenden Veröffentlichungstätigkeit, setzte Rühs nicht nur seine Einführung fort, sondern führte auch einzelne hilfswissenschaftliche Übungen durch. Leider starb der 1817 auch zum Historiographen des preußischen Staates ernannte Rühs schon 1820 auf einer Erholungs- und Studienreise in Florenz. An der Berliner Universität litt der akademische Unterricht in den Hilfswissenschaften anfangs unter einem empfindlichen Mangel an Anschauungsmaterial. Originalurkunden, wie sie Gatterer nebst anderen „Überresten“ in Göttingen zusammengetragen hatte und die dort den Grundstock des älteren diplomatischen Apparats bildeten, fehlten in Berlin, bis der durch seine „Paläographica critica“ (1817) ausgewiesene Mannheimer Ulrich Friedrich Kopp diesem Mangel abhalf, indem er, der selbst akademischen Unterricht nie erteilte, seine Sammlung von Urkunden und Siegeln, zusammen mit seinen hervorragenden Reproduktionen (Handpausen) der Urkunden und Siegelabbildungen, der Universität für ihren Unterricht unter der Bedingung als Geschenk anbot, daß an ihr ein Diplomatik-Lehrstuhl für ewige Zeiten geschaffen werde, weil dort diese Disziplin entweder gar nicht oder doch nicht mit einem glücklichen Erfolg gelehrt werde.12 Auf den Vorschlag seines Kultusministers Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein nahm König Friedrich Wilhelm III. diese Schenkung des „Apparatus Koppianus“ an und verfügte in seiner Kabinettsordre vom 1. August 1820, das unausgesetzt über die Diplomatik mit beständiger Benützung dieses Apparates auf der Universität von Berlin Lehrvorträge gehalten und bei jeder Eröffnung 9 10
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A. a. O., Bd. 3, S. 259. Pyl, Rühs, Christian Friedrich, in: Allgemeine Deutsche Biographie (künftig zit. ADB), Bd. 29, München 1889, Neudruck Berlin 1970, S. 624–626, hier S. 625. Ich entnehme diese Angaben einer freundlicherweise von Frau Caroline Flick zusammengestellten Serie aller historischen Vorlesungsankündigungen der Berliner Universitäten seit 1810, jetzt im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (Berlin-Dahlem), VIII. Abt., Rep. 25 Universitäten. Michael Tangl in: M. Lenz, Geschichte ... (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 261.
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dieses Lehrkursus dieser Schenkung rühmlichst Erwähnung getan würde.13 Doch das ist leider nicht oder nur in den Anfangsjahren erfolgt, als Rühs’ Nachfolger, der aus Heidelberg berufene Friedrich Wilken (1777–1840)14 im Winter 1819/20 mit „Praktischen historischen Übungen“ begann, die er bis zu seiner Erkrankung (und zeitweiligen Unterbringung in Heilanstalten 1823–1827) an dem in der Königlichen Bibliothek aufgestellten „Koppianus“ durchführte. Sie versah übrigens bis 1831 zugleich die Funktion einer Universitätsbibliothek,15 für die sich der Historiker und Iranist Wilken als „Oberbibliothekar“, etwa durch die Einführung des Pflichtexemplarrechts,16 ebensogroße Verdienste erwarb wie vorher für die Heidelberger Bibliothek, der er aus Rom Teile der „Bibliotheca Palatina“ zurückerwarb. Wilken wirkte bis zu seinem Tode auch als Universitätslehrer, ergänzte den seit 1835 nun von der Universitätsbibliothek verwalteten Koppianus und verwendete sein Material für seine hilfswissenschaftlichen Vorlesungen und Kurse (wie übrigens auch G. H. Pertz). Leider zog seine nicht sehr ansprechende Lehrart namentlich in dem letzten Jahrzehnt seines öffentlichen Wirkens nur kleine Kreise besonders strebsamer Hörer an, die sich durch den Ernst seiner Forschung und seine eindringende Vertiefung in den Gegenstand derselben für den mangelnden Reiz seiner Vortragsweise entschädigt fanden.17 Wilken, seit 1819 Akademiemitglied und seit 1821 Historiograph des preußischen Staates, hatte die Hilfswissenschaften auf hohem Niveau, aber ohne größere Resonanz vertreten. Er hatte Anteil an den 1819 durch den Freiherrn vom Stein gegründeten „Monumenta Germaniae historica“ (MGH)18 genommen, zumal die kritische Edition mittelalterlicher Quellen nicht ohne besondere hilfswissenschaftliche Kenntnisse betrieben werden konnte; auch der Ranke-Schüler und „Monumentist“ Georg Waitz hatte zu seinen Hörern gezählt. Trotzdem scheint das hilfswissenschaftliche Wirken Wilkens den Berliner Emanzipationsprozeß der Allgemeinen Geschichte, ihren systematischen Aufbau (durch Niebuhr, Pertz und Ranke19) kaum beeinflußt zu haben. Vielleicht empfand man seine hilfswissenschaftliche Professur eher als 13 14
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Ebda. A. Stoll, Wilken, Friedrich, in: ADB, Bd. 43, München 1898, Neudruck Berlin 1971, S. 236–241. Vgl. auch weitere Angaben bei Wolfgang Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt/M. 1984, S. 663. Werner Schochow, 325 Jahre Staatsbibliotbek in Berlin. Das Haus und seine Leute, Buch und Ausstellungskatalog, Wiesbaden 1986, S. 10. A. a. O., S. 92 mit einem Bilde Wilkens. A. Stoll, Wilken ... (wie Anm. 14), S. 240. Vgl. Herbert Grundmann, Monumenta Germaniae Historica 1819–1969, München 1969. Mit einem chronologischen Verzeichnis der ständigen Mitarbeiter der MGH seit 1819, S. 23 ff. Vgl. Rudolf Vierhaus, Ranke und die Anfänge der deutschen Geschichtswissenschaft in Deutschland, München 1974, S. 17 ff.
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das Relikt eines überwundenen Entwicklungsstadiums. Bei Friedrich Wilkens Beauftragung als Professor für Geschichte sind die Hilfswissenschaften jedenfalls noch ausdrücklich miteinbezogen worden, danach scheint diese Verpflichtung zu besonderen Lehraufträgen erloschen zu sein: Die Beseitigung der aus dem juristischen Jahrhundert der Historie herstammenden Lehrstühle und zuletzt noch der besonderen Lehraufträge für die historischen Hilfswissenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die zuerst in der neuen preußischen Universität erfolgte, ist wissenschaftsgeschichtlich gesehen ein notwendiger Akt der Selbstreinigung der Historie von allen Fremdkörpern, die ihre Selbständigkeit als Wissenschaft anzutasten vermochten. Nicht als ob die hilfswissenscbaftlichen Erkenntnisse und Methoden aufgegeben worden wären; sie wurden vielmehr amalgamiert und zum Rüstzeug jedes Historikers erklärt.20 Erst in der Jahrhundertmitte erinnerte man sich wieder stärker dieser „unzeitgemäßen“ Fächer und widmete den Hilfswissenschaften wieder stärkere Beachtung, die diesmal vom Gesichtspunkt der Wissenschaftlichkeit der Historie her gefordert war.21 Es wurden zumindest (erneut) außerordentliche Professuren für Historische Hilfswissenschaften geschaffen und Lehraufträge für einzelne Disziplinen vergeben, und es ist vielleicht mehr als ein Zufall, daß im Winter 1856/57 der „Monumentist“ und Ranke-Schüler Rudolf Koepke (1813–1870), außerordentlicher Professor für Geschichte und deutsche Literaturgeschichte, erstmals wieder nach dem Tod von Rühs eine „Encyklopädie der Geschichte und ihrer Hilfswissenschaften“ las.22 In Berlin kam es erst im Jahre 1862 zur Errichtung eines außerordentlichen Lehrstuhls für Historische Hilfswissenschaften, im „Centralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ folgendermaßen begründet: Für die gedeihliche Entwicklung der historischen Studien auf der Universität zu Berlin und im Interesse der Ausbildung tüchtiger Archivbeamten erschien die Anstellung eines außerordentlichen Professors für die historischen Hülfswissenschaften der Paläographie, Diplomatik und Chronologie von großer Wichtigkeit.23 In einem auszugsweise wiedergegebenen Gutachten der Philosophischen Fakultät wird noch einmal auf Kopps Bedingung hingewiesen, daß von seinem Apparat auch in Vorlesungen Gebrauch gemacht werden müsse. Die Fakultät fügte hinzu: Chronologie und Geographie des Mittelalters sind Disziplinen von hoher Wichtigkeit für künftige Historiker und Archivare; sie können nur von einem Gelehrten dociert werden, der ein besonderes Studium daraus gemacht hat.24 20 21 22
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J. Engel, Die deutschen Universitäten ... (wie Anm. 4), S. 321. A. a. O., S. 315. Im Gegensatz übrigens zu Johann Gustav Droysen, der vom Winter 1860/61 an zwar „Historische Methodologie und Encyklopädie“ las, aber – soweit man dies seinem gedruckten Grundriß entnehmen kann – die Hilfswissenschaften dabei ausließ. Centralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, Jg. 1862, S. 324. Ebda.
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Als erster Jude in Preußen wurde der Ranke-Schüler und Arzt Dr. Philipp Jaffé (1819–1870) im Herbst 1862 mit der neuen Professur betraut, dem bis dahin wegen seines religiösen Bekenntnisses das historische Lehramt verschlossen geblieben war. Als Mitarbeiter bei den „Monumenta Germaniae historica“ – ab 1854 als Nachfolger für den an die Universität berufenen Wilhelm Wattenbach – war er nicht nur durch seine Arbeit an den „Scriptores“ glänzend ausgewiesen, sondern bereits durch seine von 1846– 1851 bearbeiteten „Regesta pontificum Romanorum“ (5 Bde. mit insgesamt 11 000 Urkunden). Sein neues hilfswissenschaftliches Amt versah er fünfzehn Semester lang ziemlich gleichförmig oder doch thematisch recht eng: Winter und Sommer wechselte lateinische Paläographie mit römischer und mittelalterlicher Chronologie; in den praktischen Übungen, für die er vortreffliche Schrifttafeln, Urkundendrucke und anderen Apparat anfertigte, wurden außer jenen Disziplinen auch Textkritik, Diplomatik, Quellenkunde u. dgl. vorgenommen. Auch für die reizlosesten, wie die wunderlichsten Seiten dieser Studien wußte Jaffé die höchste Teilnahme seiner Schüler zu erregen durch die Schärfe seiner Auffassung und die Lebendigkeit seines Vortrags.25 Neben seiner Kollegtätigkeit vervollständigte Jaffé, wie erwähnt, den „Koppianus“ und veranlaßte 1864 das Kultusministerium sogar zu Handschriftenankäufen. Tragisch mutet das frühe Ende von Jaffés erfolgreichem Forscherleben an, dem er selbst, als frühe Auseinandersetzungen mit Pertz – deretwegen er schon die MGH verlassen hatte – an Schärfe zunahmen, in den Osterferien des Jahres 1870 ein Ende setzte; am sechsten Bande seiner „Bibliotheca rerum Germanicorum“ arbeitend, mitten in der Arbeit an seinem Alkuin, verließ er Berlin, um sich in einem Anfall von geistigem und moralischem Verfolgungswahn in einem Gasthof in Wittenberg zu erschießen.26 Zunächst unbesetzt gelassen, wurde Jaffés Professur 1873 in einen ordentlichen Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften umgewandelt, auf den man einen der bedeutendsten Quellenkenner seiner Zeit, Wilhelm Wattenbach (1819–1897), berief. Ursprünglich nur am Altertum interessiert, hatte sich Wattenbach unter Giesebrechts Einfluß auch dem Mittelalter zugewandt, und nach dem Fortgang von Waitz nach Kiel ergriff er 1843 die Gelegenheit, an seiner Stelle in die Monumenta Germaniae historica einzutreten; als Aufsehen erregendes Ergebnis seiner Quellenstudien aus jener Zeit sei sein Fälschungsnachweis des Privilegium maius Friedrichs I. für Österreich (1156) erwähnt. Wattenbach hatte sich 1851 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität habilitiert und als Spezialgebiete Quellen25
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Alfred Dove, Jaffé, Philipp, in: ADB, Bd. 13, München 1881, Neudruck Berlin 1969, S. 636–642, hier S. 639. Vgl. nicht nur Doves Angaben (Jaffé), sondern vor allem ausführlicher Harry Breßlau, Geschichte der Monumenta Germaniae historica. Im Auftr. ihrer Zentraldirektion bearb., in: Neues Arcbiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 42 (1921) S. 462–468.
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kunde, Paläographie und Diplomatik gewählt. Er ging zunächst als Provinzialarchivar nach Breslau, wo sein Hauptwerk „Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts“ (1858) entstand. 1862 nach Heidelberg berufen, hielt er dort Vorlesungen auch über Paläographie als gesonderte Disziplin, was seiner Zeit etwas neues war,27 aus denen Anleitungen zur griechischen (1867) und lateinischen Paläographie (1869) sowie sein Buch „Schriftwesen des Mittelalters“ (1871) hervorgingen. Mit seiner Rückkehr nach Berlin, wo er vielleicht sehr gelehrt, aber nicht besonders zündend vorgetragen hat (und immer ist bei ihm das geschriebene Wort wirksamer gewesen als die Rede28), übernahm Wattenbach in der 1875 reorganisierten Zentraldirektion der MGH die Abteilung „Epistolae“. Die Gesamtleitung ist ihm 1888, als es galt, diese Position neu zu besetzen, allerdings nicht angetragen worden. Doch als das 1882 von Julius Weizsäcker beantragte und seit seiner Eröffnung 1885 von ihm geleitete Historische Seminar29 nach dessen Tode 1889 kollegial organisiert wurde, erhielt Wattenbach als einer der Direktoren die Paläographisch-diplomatische Abteilung, die er bis zu seinem Tode leitete.30 Neben Wattenbach begründete Harry Breßlau (1848–1926), der 1869 bei Waitz promovierte und sich unter J. G. Droysen 1872 mit einer hilfswissenschaftlichen Arbeit habilitiert hatte, als Privatdozent und späterer Extraordinarius, als Erster Sickels neue Lehre vertretend und auf eigenen Pfaden weiterbauend, erfolgreich die Berliner diplomatische Schule.31 Die Schwierigkeiten, die sich Jaffé in den Weg gestellt hatten, traten bei Breßlaus Berufung auf die erwähnte außerordentliche Professur für Historische Hilfswissenschaften (1877) nicht mehr auf. Als „Mitbürger zweiter Klasse“ (Th. Mommsen) wollte er sich aber auch nicht fühlen und engagierte sich als einer von Heinrich von Treitschkes heftigsten Gegnern im Berliner Antisemitismusstreit (1878/80).32 Breßlaus hilfswissenschaftliche Lehrtätigkeit blieb keineswegs auf die Diplomatik beschränkt, aus der 1889 sein großes, bis heute im Ganzen nicht überholtes „Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien“ hervorgehen sollte, sondern erstreckte sich in einer vorher an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität in diesen Fächern noch nie erleb27
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C. Rodenberg, Wattenbach, Ernst Christian Wilhelm, in: ADB, Bd. 44, München 1898, Neudruck Berlin 1971, S. 439–443, hier S. 441; vgl. ferner W. Weber, Biographisches Lexikon ... (wie Anm. 14), S. 641. C. Rodenberg, Wattenbach ... (wie Anm. 27), S. 440. Vgl. die von Kultusminister von Goßler genehmigten Statuten des historischen Seminars der Universität vom 29.3.1888, in: Centralblatt der gesamten UnterrichtsVerwaltung in Preußen, Jg. 1888, S. 5 10. M. Tangl in: M. Lenz, Geschichte ... (wie Anm. 8), S. 263. A. a. O., S. 257. Kurt Düwell, Geschichte, in: Tilmann Buddensieg/Kurt Düwell/Klaus-Jürgen Sembach (Hrsg.), Wissenschaften in Berlin, Begleitband: Disziplinen, Berlin 1987, S. 111–116, hier S. 114.
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ten Breite auf nahezu alle hilfswissenschaftlichen Disziplinen. Er bearbeitete auch die Periode der salischen Kaiser für das große Tafelwerk „Die Kaiserurkunden in Abbildungen“ (Lieferung 2 und 4, 1881/82) von H. v. Sybel und Th. v. Sickel. Mit Wattenbach gemeinsam erwarb er zur Erweiterung des Diplomatisch-paläographischen Apparats, der endlich am 6. Mai 1892 von der Universitätsbibliothek dem Historischen Seminar als Depositum übergeben wurde, die Röcklschen Gipsabgüsse aus München und die Galvanoplastiken Hausmanns aus Hanau, ferner erhielt er Lichtdruckpublikationen und zahlreiche Bücherspenden Wattenbachs.33 Seit 1888 gab Breßlau im Auftrage der Zentraldirektion der MGH, in die er nach seiner Straßburger Tätigkeit als ordentlicher Geschichtsprofessor (von 1890 an) im Jahre 1912 als Direktor der Abteilung „Scriptores“ zurückkehrte, die „Diplomata“ und das „Neue Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ heraus.34 Wattenbachs Nachfolger, der in Kärnten geborene Michael Tangl (1861– 1921), kam auf dem „Umweg“ über Marburg (1892–1897) nach Berlin, nachdem er am Wiener Institut für österreichische Geschichtsforschung die ihn kennzeichnende scharfe und klare Prägung erhalten hatte.35 Er kam aus der paläographisch-diplomatischen Schule Theodor v. Sickels und setzte in Berlin Breßlaus Arbeit mit großer Intensität und Vielfalt fort. Nach Wattenbachs Tod erhielt er 1897 dessen Lehrstuhl (zuerst als außerordentliche, von 1900 an als ordentliche Professur), an dem er 24 Jahre, zuletzt auch als Akademiemitglied, wirken sollte. Tangl setzte in Berlin die Ausbildung der Archivaspiranten fort, die schon in Marburg zu seinen Aufgaben gehört hatte, als Nachfolger Paul Kehrs (1895) und Direktor des an der PhilippsUniversität in Verbindung mit der Generaldirektion der preußischen Archivverwaltung gegründeten hilfswissenschaftlichen Seminars. Seine Forschungen, auch als quellenkritischer Mitarbeiter der MGH (seit 1891), galten immer dem frühen Mittelalter (Karolingerurkunden, Fuldaer Privilegien, Bonifatiusbriefe, päpstliche Kanzleiordnungen). Der Hochschullehrer Tangl widmete sich vor allem den Hilfswissenschaften, daneben las er aber auch stets Kirchen- und Verfassungsgeschichte, ferner sogar politische Geschichte aus großdeutscher Sicht. Eine eindrucksvolle Zwischenbilanz der ersten dreizehn Jahre seiner Berliner Tätigkeit zog Tangl selbst, als er anläßlich des Universitätsjubiläums (1910) darüber berichtete: Wissenschaftliche Arbeiten, die aus dieser Abteilung des historischen Seminars in den letzten Jahren her33 34
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M. Tangl in: M. Lenz, Geschichte ... (wie Anm. 8), S. 262. Zu Breßlau vgl. nicht nur Gottfried Opitz, Breßlau, Harry, in: Neue Deutsche Biographie (zit. NDB), Bd. 2, Berlin 1955, Nachdr. 1971, S. 600 f., u. M. Weber, Biographisches Lexikon ... (wie Anm. 14), S. 68, sondern vor allem Breßlaus autobiographische Äußerungen, in: Sigfrid Steinberg (Hrsg.), Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 2, Leipzig 1926, S. 29–55 (mit Bild). Nachruf von E. E. Stengel auf Michael Tangl, in: Historische Zeitschrift 125 (1922), S. 372–374, hier S. 372. Vgl. auch W. Weber, Biographisches Lexikon ... (wie Anm. 14), S. 599 f.
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vorgingen, versuchten die monographische Behandlung einzelner Gebiete der Kaiserdiplomatik, hier besonders eine zusammenfassende Untersuchung der Immunitäten, Fragen der Papstdiplomatik seit Innozenz III., hier vor allem das Registerwesen des 13. und die Organisation der päpstlichen Kanzlei und Verwaltung des 15. Jahrhunderts. Außerdem wurde die Bearbeitung einzelner Gruppen von Fürstenurkunden, deutschen und italienischen, angeregt, und auf dem Gebiet des Urkundenwesens der Mark Brandenburg gesucht, Anschluß an die von Schmoller und Hintze geförderten verwaltungsgeschichtlichen Arbeiten des 16. Jahrhunderts zu gewinnen ...36 Um die Anschaulichkeit zu verbessern, bemühte sich Tangl ständig, die photographische Lehrsammlung zu vergrößern, und bearbeitete zum Beispiel selbst in mehreren Auflagen die bekannten Arndtschen Schrifttafeln.37 Auch Originale konnten für den „Koppianus“ weiterhin erworben werden; sein Fundus reichte schließlich vom Karolingerdiplom Ottos des Deutschen bis ins 16. Jahrhundert. Tangl war mit der natürlichen Frische und Lebendigkeit seines herzlichen Wesens ein begnadeter Lehrer von starker Wirkung,38 wenn er auch nicht gerade auf die Masse der Studierenden wirkte, so begründete er doch eine eigene Schule. Er gehörte nicht zu denen, die jeder kannte; aber den Kopf mit dem scharfen Profil des Alpendeutschen, der hohen Stirn, dem straffen Haar vergißt man nicht, wer ihn sah.39 Er starb viel zu früh in seiner Heimat bei Klagenfurt im Jahre 1921 an der dort gerade ausgebrochenen Ruhr. Tangls Nachfolger, zunächst als außerordentlicher (1923), dann als ordentlicher Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften (1931) wurde sein Schüler Ernst Perels (1882–1945). Tangl und Holder-Egger hatten ihn bereits 1904 promoviert und zugleich als Assistenten in die Monumenta Germaniae historica übernommen, wo er sein Leben lang Briefe aus der Karolingerzeit edierte. „Daneben“ hatte er sich 1911 an der Berliner Friedrich-Wilheims-Universität habilitiert, wo er auch als späterer Lehrstuhlinhaber, größten Wert auf die praktisch-hilfswissenschaftliche Ausbildung der Studenten legte. Seine außerordentlich hoben Anforderungen und der etwas „altfränkische“ Betrieb schreckten leichtere Gemüter und besonders jüngere Semester nicht selten ab. Die kleine Zahl der Ausharrenden aber erhielt eine vorzügliche Ausbildung, und ihnen gegenüber erschloß sich der sonst so spröde und wortkarge Professor mensch-
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M. Tangl in. M. Lenz, Geschichte ... (wie Anm. 8), S. 263. Vgl. u. a. seine Darstellung der Entwicklung der Urkundenschrift im Beih. 1903, ferner Michael Tangl, Das Mittelalter in Quellenkunde und Diplomatik. Ausgewählte Schriften (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 12), Bd. 1 u. 2, Graz 1966. E. E. Stengel, Michael Tangl ... (wie Anm. 35), S. 375. A. a. O., S. 372.
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lich in der liebenswürdigsten Weise.40 Als Perels 1935 erkennen mußte, daß ihm die Nürnberger Gesetze der Nazis jede weitere Wirksamkeit in der Öffentlichkeit beschnitten, gab er seine Professur auf, um sich nun vollends der Editionstätigkeit bei den Monumenten zu widmen: Sein Name durfte allerdings nicht mehr auf dem Titelblatt weiterer Teilbände der „Epistolae Karoli aevi“ erscheinen.41 Perels’ Weiterarbeit wurde von den Machthabern bis 1944 geduldet; dann ist er plötzlich im Oktober in der Bibliothek von Schloß Pommersfelden, wohin die Monumenta-Forschungsstelle verlagert worden war, von der Gestapo verhaftet worden, da sein Sohn Justus am Widerstand gegen Adolf Hitler, an der Verschwörung des 20. Juli 1944 beteiligt gewesen sein sollte. „Sippenhaftbarmachung“ lautete die Begründung. Der Sohn ist erschossen worden, der Vater am 10. Mai 1945, also nach der Befreiung durch die Amerikaner, im Konzentrationslager Flossenbürg an völliger Entkräftung verstorben. Der hilfswissenschaftliche Lehrstuhl von Perels wurde nach dessen Rücktritt erst wieder von 1936–1938 als Extraordinariat vorübergehend mit dem für diese Aufgabe noch kaum ausreichend qualifizierten Stengel-Schüler Wilhelm Engel (1905–1964) besetzt, wodurch er den notwendigen wissenschaftlichen Rückhalt für seine führende Rolle in so erlauchten Gremien wie den MGH42 erhalten sollte. Dieser durch seine fränkisch-hennebergischen Arbeiten sonst gut ausgewiesene Archivar hatte in der Hochschulabteilung des Reichs- und preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung als Sachbearbeiter für Personalfragen an der Besetzung von Lehrstühlen mitgewirkt und leitete nun die in ein „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde“ umgewandelten MGH von 1936–1937 kommissarisch, ehe er dort seinem Lehrer Stengel das Feld überließ43 und in Würzburg Buchners vakantes Ordinariat für mittelalterliche Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Fränkische Landesgeschichte zum 1. November 1937 übernahm. Engels hilfswissenschaftlichen Vorlesungen und Übungen an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität nahm von 1939 an der Tangl-Schüler und bis dahin das Staatsarchiv Münster leitende Eugen Meyer (1893–1972) wahr, zunächst als außerordentlicher Professor, von 1946–1949 40
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Vgl. den Nachruf von F. Weigle auf Perels in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 8 (1950/51), S. 262–263, hier S. 262, vgl. ferner M. Weber, Biographisches Lexikon ... (wie Anm. 14), S. 433. F. Weigle, Perels ... (wie Anm. 40). Vgl. Nachruf von Otto Meyer in: Mainfränkiscbes Jahrbuch 6 (1964), S. 413–426, bes. S. 414 f.; zu Engels mainfränkischen Arbeiten vgl. Nachweise in Eckart Henning/Gabriele Jochums, Bibliographie zur hennebergischen Geschichte (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 80), Köln 1976, S. 148 u. 63–67, sowie Eckart Henning, Die hennebergischen Geschicbtsvereine (1832–1945), in: Gedenkschrift für Reinhold Olesch, hrsg. von Hans Rothe u. a., Köln–Wien 1990, S. 167–184, hier S. 182. Vgl. unten zur MGH weiteres im Teil II/I.
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als Ordinarius.44 Er betreute in den Kriegsjahren unter immer schwierigeren Verhältnissen die Studierenden seiner Fächer, zuletzt in Behelfsräumen des Kronprinzenpalais, nachdem das im Westflügel des Hauptgebäudes der Friedrich-Wilhelms-Universität untergebrachte Historische Seminar am 16. Dezember 1943 zerstört worden war. Eugen Meyer verdanken wir den Grabgesang auf die mittelalterliche Geschichte an der Universität Berlin, in dessen Rahmen er die Historischen Hilfswissenschaften allerdings nur kursorisch behandeln konnte.45 In der von der SED gesteuerten marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der DDR46 war das Interesse an den Hilfswissenschaften lange Zeit nicht eben groß, doch war immerhin im Lehrplan des zweiten Studienjahres noch eine zweistündige Einführung in diese Fächer sowie eine Übung von zwei Wochenstunden vorgesehen, beides im jeweiligen Frühjahrssemester an der nach ihrem geistigen Gründer Humboldt umbenannten Friedrich-Wilhelms-Universität.47 Ein Archivpraktikum war ebenfalls möglich. Neben diesen obligatorischen Veranstaltungen wurden zusätzliche Vorlesungen usw. zur wissenschaftlichen und beruflichen Spezialisierung auch auf dem Gebiet der Historischen Hilfswissenschaften gehalten.48 Der Studienplan für die Fachrichtung Geschichte in der Fassung vom 1. November 1955 bot dann die Möglichkeit der „Schwerpunktbildung“ auch auf dem Gebiet der „Hilfswissenschaften“ oder der „Archivwissenschaften“.49 Die wichtigsten auf diesen Gebieten tätigen Berliner Hochschullehrer der fünfziger und sechziger Jahre in der DDR waren der ordentliche Professor Eugen Meyer (1946–1949, später Universität Saarbrücken), der außerordentliche Professor Willy Flach (1953–1958) und der Professor mit Lehrstuhl Heinrich Otto Meisner (1953–1960), der Direktor des Münzkabinetts Arthur Suhle (1949–1963) und andere.50 Trotz ihrer Bemühungen mußte der Direktor des „Deutschen Zentralarchivs“ in Potsdam und des „Instituts für Archivwissenschaft“ an der Humboldt-Universität, Helmut Lötzke, 1962 bekennen: Über die Stellung der historischen Hilfswissenschaften im Rahmen der marxistischen Ge44
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Eckart Henning/Christel Wegeleben, Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in der Berliner Kloster- und Neuen Friedrichstraße 1874–1924, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29 (1978), S. 25–61, hier S. 53. Eugen Meyer, Die mittelalterliche Geschichte an der Berliner Universität während der letzten hundert Jahre, in: Hans Leussink/Eduard Neumann/Georg Kotowski (Hrsg.), Studium Berolinense, Berlin 1960, S. 625–647, hier S. 644 ff. Albrecht Timm, Das Fach Geschichte in Forschung und Lehre in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands seit 1945 (= Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland 25), 4., erg. Aufl., Bonn–Berlin 1966, S. 102. Studienplan für die Fachrichtung Geschichte vom 22.8.1952, vgl. a. a. O., S. 107. A. a. O., S. 109. A. a. O., S. 135. A. a. O., S. 171.
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schichtswissenschaft besteht in der DDR noch keine klar herausgearbeitete Vorstellung, obgleich die verschiedenen Hilfswissenschaften von Lehre und Forschung berücksichtigt, und, wenn auch im ganzen noch unzureichend, in der Praxis angewandt werden.51 Lötzke betonte die Bedeutung vieler Spezialdisziplinen für die vielfältigen Aufgaben der Quellenanalyse,52 wobei er klassenindifferente Quellen53 von klassenrelevanten unterschied. Er forderte auf hilfswissenschaftlichem Gebiet die notwendige Verbesserung und Intensivierung der Arbeit und daher auch unter anderem in Anlehnung an das Institut für Archivwissenschaft die Bildung einer besonderen Arbeitsgemeinschaft bei der Deutschen Historiker-Gesellschaft, die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift für die Historischen Hilfswissenschaften (unter Einbeziehung der Quellenkunde, die er sonst nicht zu den Hilfswissenschaften rechnete), besondere Ausbildungs- und Lehrpläne für Studierende dieser Fächer sowie eine Klärung der institutionellen Stellung der historischen Hilfswissenschaften an den Universitätsinstituten und an der Akademie. Programmatisch forderte Lötzke mit Recht die Überwindung der bisherigen Isolierung der historischen Hilfswissenschaften von der Geschichtswissenschaft.54 Doch erst am 12. Februar 1986 konstituierte sich in Leipzig die Fachkommission „Quellenkunde/Historische Hilfswissenschaften“ der Historiker-Gesellschaft der DDR, deren Vorsitz Friedrich Beck (Potsdam) übernahm, der an der Humboldt-Universität seit vielen Jahren Hilfswissenschaften unterrichtete. Sie soll den bei ihrer Gründung empfundenen großen Nachholebedarf in den (Unter-)Gruppen: Urkunden/Amtsbücher/ Akten; Schrift/Beschreibstoffe; Beglaubigungs- und Kennzeichnungsmittel; Numismatik/Metrologie; Genealogie; Bilder/Karten; Moderne Datenträger; Archivwissenschaft, befriedigen helfen.55 Die im Westteil Berlins 1948 erfolgte Gründung eines Historischen Seminars (zunächst in drei Räumen des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie), das der aus dem Lehrkörper der Humboldt-Universität ausscheidende Friedrich Meinecke als Ordinarius an der neuen Freien Universität Berlin übernahm und das seit Herbst 1951 auch seinen Namen trägt, dient dem – wie wir es heute sehen – erfolgreichen Versuch, ein von ideolo-
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Helmut Lötzke, Bedeutung und Aufgaben der historischen Hilfswissenschaften im Rahmen der marxistiscben Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Sonderh. 10 (1962), S. 375–385, hier S. 375. Vgl. auch Jindřich Sebánek, Über die Stellung und die Aufgaben der historischen Hilfswissenschaften im Rahmen der Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 (1961), S. 1825–1835. H. Lötzke, Bedeutung ... (wie Anm. 51), S. 380. A. a. O., S. 378. A. a. O., S. 384 f. Dieter Hebig in: Arcbivmitteilungen, 36 (1986), S. 133 (= Gründungsbericht).
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gischen Zwängen freies historisches Studium zu ermöglichen.56 Jedoch gelang es dem Institut nicht sofort auf allen Gebieten, die historische Forschung und Lehre auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen.57 Die Behandlung der Historischen Hilfswissenschaften blieb sowohl in bezug auf das viel zu schmale Lehrangebot als auch – damit zusammenhängend – auf die Stellenausstattung stiefmütterlich, trotz der Selbstbekundung, daß die an unserem Institut so stark gepflegten Gebiete der historischen Hilfswissenschaften und der Landeskunde beinahe von Anfang an vertreten waren.58 Noch 1959 bestand der Lehrkörper lediglich aus 14 Dozenten (bei 334 Hauptfach- und 501 Nebenfachstudenten im Sommersemester), wobei die Hilfswissenschaften vor allem durch den bei Gründung der FU bereits achtundsechzigjährigen Staatsarchivrat und ehemaligen Dozenten am Institut für Archivwissenschaft Johannes Schultze, einem Schüler Michael Tangls, vertreten waren; er lehrte noch bis zum Sommersemester 1970, inzwischen 89 Jahre alt, Historische Hilfswissenschaften (seit 1949 als Lehrbeauftragter, von 1956 an als Honorarprofessor), ohne daß bis heute ein angemessener Ersatz für ihn gefunden worden wäre.59 Wilhelm Berges, seit 1949 Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, widmete sich letzteren selbst nur wenig oder mehr in der Form der auftragsweisen Assistentenbetreuung. Sieht man von mittellateinischen Lehrveranstaltungen ab, unterstützten eigentlich nur wenige andere, insbesondere Heinz Quirin, zunächst als Wissenschaftlicher Rat, Schultzes Lehrangebote, seit 1958 durch Einführungen in die Urkundenlehre. Immerhin sahen die „Richtlinien für die Seminarprüfung“ vor, daß der Prüfling imstande sein müsse, unter anderem Grundkenntnisse in den historischen Hilfswissenschaften (besonders Paläographie, Urkundenlehre und Aktenkunde) anzuwenden.60 Das Lehrangebot in den Hilfswissenschaften verbesserte sich erst vom Wintersemester 1968/69 an allmählich von ein bis zwei auf drei bis vier Veranstaltungen, kann aber auch heute als keineswegs befriedigend angesehen werden.61
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Ilja Mieck (Hrsg.), Das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin 1960–1970, Berlin 1971, S. 5. Ebda. Das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin 1948–1958, Berlin 1959, S. 5. Vgl. Johannes Schultze, Meine Erinnerungen. Im Auftr. des Autors hrsg. von Gerhard Knoll, Berlin 1976, S. 9 f., 76, u. Verzeichnis seiner Vorlesungen und Übungen, S. 108–111; ferner E. Henning/Ch. Wegeleben, Archivare ... (wie Anm. 44), S. 57 (mit Nachweisen der Nachrufe). Das Friedrich-Meinecke-Institut ... (wie Anm. 58), S. 52. So stand es auch im FUStudienführer. I. Mieck (Hrsg.), Das Friedrich-Meinecke-Institut ... (wie Anm. 56), S. 28.
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II Auf die hochschulfreien Institute, die sich in Berlin mit den Historischen Hilfswissenschaften befaßten, muß hier wenigstens ein Seitenblick fallen, da sie die Pflege und weitere Entwicklung dieser Fächer, zumeist in Zusammenarbeit mit der Universität, wesentlich unterstützt haben. Es sind dies 1. die „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“, 2. das „Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“, einschließlich seiner Vorläufereinrichtungen, 3. das Kaiser-Wilhelm-Institut für Deutsche Geschichte“ und 4. sonstige Gesellschaften und Vereine. 1. Auf die 1819 durch den Freiherrn Karl vom und zum Stein in Frankfurt gegründete „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ mit ihrem Ziel, die „Monumenta Germaniae historica“ herauszugeben, näher einzugehen, erübrigt sich, weil der bisherige Überblick wohl hinreichend deutlich gemacht hat, in welchem Maße der akademische Unterricht in den Historischen Hilfswissenschaften an der Berliner Universität von verschiedenen „Monumentisten“ gefördert oder gar abhängig war. Die Hochschullehrer kamen aus dem Kreis derer, die sich Editionsaufgaben verschrieben hatten, oder führten diese Aufgaben parallel zu ihrem Lehrauftrag weiter; viele ihrer Doktoranden und Habilitanden arbeiteten bei den „MGH“. Aber nicht nur eine personelle Wechselbeziehung zwischen Universität und MGH bestand, auch sachlich war es gerade für künftige Editoren unerläßlich, eine gute hilfswissenschaftliche Ausbildung zu erhalten, um dann später gegebenenfalls ihre erlernten und an den Texten erwiesenen Fähigkeiten wieder in Übungen und Vorlesungen den Studierenden weiterzuvermitteln. Kaum ein Lehrer der Hilfswissenschaften blieb folglich ohne Beziehung zur Zentraldirektion der MGH, die 1842 ihren Sitz von Hannover nach Berlin verlegt hatten; vielfach gehörten sie ihr selbst an (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel). Die „alte“ Zentraldirektion unter dem bei Arnold Heeren ausgebildeten G. H. Pertz als wissenschaftlichem Leiter (1823–1874), Johann Friedrich Böhmer als Sekretär (1823–1863) und Karl Ludwig Grotefend als „Korrektor“ (1842–1874) hatte mit Unterstützung ihrer „gelehrten Gehilfen“, Georg Waitz (1836–1842), Rudolf Koepke (1842–1850), Wilhelm Wattenbach (1843–1855), Philipp Jaffé (1854–1863) und zuletzt auch Paul Scheffer-Boichorst (1872/73), den Rang eines „nationalen Unternehmens“ errungen,62 dessen Organ „Das Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde“ (seit 1874 „Neues Archiv ...“ und seit Band 50 [1935] „Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters“) war. Die „neue“ Zentraldirektion (1875–1935) setzte sich nach der Reichsgründung aus Vertretern der Akademien und Universitäten zusammen unter den von ihr gewählten und vom Reich ernannten beziehungsweise finanzierten Vorsitzenden Georg Waitz (1875–1888), Ernst Dümmler (1888–1902), Oswald Holder-Egger (gewählt, 62
H. Grundmann, Monumenta ... (wie Anm. 18), S. 4.
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aber nicht ernannt: 1902–1905), Reinhold Koser (1905–1914), Michael Tangl (stellvertretend 1914–1919) und Paul Fridolin Kehr (1919–1935). Die Leiter der von Waitz neben den „Scriptores“ verwirklichten neuen Abteilungen der MGH („Leges“, „Diplomata“, „Epistolae“, „Antiquitates“) können hier ebensowenig aufgeführt werden wie ihre über das Deutsche Reich verteilten, zahlenmäßig stark angewachsenen Mitglieder der Zentraldirektion und deren Mitarbeiter. Unter ihnen befanden sich nahezu alle hervorragenden deutschen Mediävisten, dank der 1903 in Wien eingerichteten „Diplomata“Abteilung auch viele Österreicher (wie Th. v. Sickel). Harry Breßlau beschrieb zum 100jährigen Bestehen (1919) die außerordentlichen Leistungen der MGH in einer 1921 nur leicht verspätet erschienenen Festschrift, auf die hier verwiesen werden kann.63 Gerettet hat die MGH aber nach dem Ersten Weltkrieg der „Großmeister der Diplomatik“64, der Thüringer Paul Fridolin Kehr (1860–1944), auf den wegen seiner hilfswissenschaftlichen Bedeutung auch für andere außeruniversitäre Forschungsinstitute in Berlin biographisch etwas näher einzugehen ist: Seinen Göttinger Lehrer Ludwig Weiland bezeichnete Kehr nicht als seinen „Lehrer“, wohl aber Theodor von Sickel, den er nach seinem Studium in Rom in der Ottonen-Forschung unterstützen durfte. In einem seiner Nachrufe auf Kehr bemerkte Walter Holtzmann später entsprechend: Denn was er betrieb und nach Deutschland verpflanzen wollte, war nichts anderes als die Sickelsche Diplomatik, die er lediglich auf einen bisher brachliegenden Stoff, die Papsturkunden, übertrug.65 Kehr habilitierte sich 1889 in Marburg für die Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften und ist dort auch 1893 zum außerordentlichen Professor ernannt worden. 1895 folgte er seinem Doktorvater Weiland in Göttingen auf den ordentlichen Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften nach, der ursprünglich auch der Lehrstuhl von Waitz gewesen ist.66 Diese Professur ruhte, als Kehr vom 1. Okto63 64
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H. Breßlau, Geschichte ... (wie Anm. 26). Josef Fleckenstein, Paul Kehr. Lehrer, Forscher und Wissenschaftsorganisator in Göttingen, Rom und Berlin, in: Hartmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe (= Göttinger Universitätsschriften, Ser. 4, Bd. 2), Göttingen 1987, S. 239–260, hier S. 252. Walther Holtzmann, Paul Fridolin Kehr, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 8 (1951), S. 26–58, hier S. 57. Holtzmann fährt an der zitierten Stelle schärfer, aber vielleicht nicht ungerecht fort, wenn er sagt: Neu ist höchstens Kehrs Forderung, daß der Diplomatiker für die richtige Beurteilung einer Urkunde das Material nicht nur auf der Ausstellerseite, also die Kanzleiorganisation und -gewohnheiten, sondern auch auf der Empfängerseite, also das Empfängerarchiv, vollständig beherrschen muß. Vgl. den Nachweis weiterer Nachrufe bei E. Henning/Ch. Wegeleben, Archivare... (wie Anm. 44), S. 48, und die Sammlung von Würdigungen Kehrs im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, IX. Abt., Rep. 1 Kehr. J. Fleckenstein, Paul Kehr ... (wie Anm. 64), S. 245.
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ber 1903 an (bis 1915; erneut von 1924–1936) die Direktion des Preußischen Historischen Instituts in Rom übertragen erhielt, und lief auch erst aus, als er kriegsbedingt zwar nach Deutschland, aber nicht nach Göttingen zurückkehrte, sondern nach Kosers Tod nun in Berlin die Generaldirektion der preußischen Staatsarchive (September 1915–1. Oktober 1929) übernahm. Den Vorsitz in der Zentraldirektion der MGH führte er allerdings erst ab 1919, nachdem Tangl abgelehnt hatte und Breßlau für die Übernahme dieser Aufgabe zu alt geworden war. Kehr leitete die MGH dann immerhin siebzehn Jahre lang mit großem Erfolg auf seine autoritäre und energische Art, bis er sein Amt im 76. Lebensjahr zum 1. April 1936 dem schon erwähnten Wilhelm Engel kommissarisch übergab. Damals wurden die MGH, freilich nicht gegen Kehrs Widerstand,67 in ein „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde“ umgewandelt, dessen Präsidenten ohne vorherige Wahl der zuständige Reichsminister ernannte. Kehrs eigentlichem Nachfolger Edmund E. Stengel (1938–1942) ging es vor allem darum, das Erbe der Monumenta, auf die er sein Amt bewußt konzentrierte, zu erhalten.“ 68 Er begründete aber auch neue Editionsreihen und die „Schriften der Monumenta Germaniae historica“ für die Darstellung von Forschungsergebnissen, ehe er nach Marburg zurückkehrte.69 Der letzte, zunächst noch in Berlin amtierende Präsident wurde von 1942–1945 der aus Oberösterreich stammende Theodor Mayer (1883–1972). Seine Pläne, die für die MGH typische Beschränkung auf Editionen von Quellen aufzuheben, ließen sich in den Kriegsjahren am Reichsinstitut nicht mehr verwirklichen,70 doch rettete er das ehrwürdige Unternehmen vor dem Untergang durch rechtzeitige Auslagerung aus dem bombenbedrohten Berlin nach Schloß Pommersfelden (Leitung: Otto Meyer). Nach dem Krieg erhielt es in der Bayerischen Staatsbibliothek in München – von 1963 an als Körperschaft öffentlichen Rechts – eine neue Heimat, wo es schon ab 1946 als „Deutsches Institut für Erforschung des Mittelalters“ unter der Präsidentschaft von Friedrich Baethgen (1947–1958, vorher Berlin), einst Mitarbeiter Harry Breßlaus in Heidelberg, seine Tätigkeit wieder aufnahm; Baethgen stellte die Zentraldirektion wieder her, die bekanntlich weiterhin eine Arbeitsstelle bei der im Umbruch befindlichen Berliner Akademie am alten Ort unterhält. 2. Kehr hatte in Wien das nach dem französischen Vorbild der „École des Chartes“ gegründete Institut (1854) von Theodor von Sickel kennengelernt und richtete nun 1893/94 zwar mit Zustimmung von Heinrich von Sybel als Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, vor allem aber im Auf67 68
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H. Grundmann, Monumenta ... (wie Anm. 18), S. 9. Vgl. E. E. Stengels letzten Tätigkeitsbericht im Deutschen Archiv für Geschichte des Mittelalters 5 (1941), S. XXXVIII. H. Grundmann, Monumenta ... (wie Anm. 18), S. 10. Vgl. statt dessen das Programm seines von ihm begründeten und erfolgreich geleiteten „Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte“.
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trag seines Gönners, des genialen Leiters des preußischen Unterrichtswesens, Friedrich Althoff, dem Kehr selbst diesen Plan vorgelegt hatte, die preußische Archivschule in Marburg ein, eine Art Institut für österreichische Geschichtsforschung, und wurde dessen erster Vorstand.71 Es bestand aus einem an der Philipps-Universität gegründeten und von Kehr als Extraordinarius geleiteten Seminar für Historische Hilfswissenschaften, das zugleich der Ausbildung der „Archivaspiranten“ diente, während deren praktische Einweisung im örtlichen Staatsarchiv erfolgte (damals noch oberhalb der Altstadt im Landgrafenschloß untergebracht). Als Kehr dem Ruf nach Göttingen folgte, übernahm mit Michael Tangl ein anderer Sickel-Schüler seine Marburger Aufgaben, der der Prüfungskommission auch in Berlin angehören sollte, als sie Reinhold Koser als neuer Generaldirektor 1904 von Marburg nach Berlin holte.72 Die praktische Ausbildung fiel nun dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv (anfangs noch in Berlin-Mitte untergebracht, von 1924 an in Dahlem) zu, während sich die „Archivaspiranten“ ihr theoretisches Prüfungswissen zunächst noch an der Berliner Universität erwerben mußten. Kehr, seit 1915 nun auch Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, wandelte die Archivarausbildung 1917 in einen Graduiertenunterricht um; das Staatsexamen für das höhere Lehramt sowie die Promotion bildeten nun die Voraussetzung zur Zulassung zum höheren Archivdienst, dessen Ausbildung ebenfalls im Geheimen Staatsarchiv stattfand.73 Hohe Anforderungen wurden nicht nur gestellt, sondern auch erfüllt, besonders auf dem Gebiet der Historischen Hilfswissenschaften, wo Hermann Krabbo (1875–1928) aus der Schule Tangls von 1920–1927 hauptamtlich als Dozent für die Ausbildung des wissenschaftlichen Archivdienstes vielseitig wirkte; als bleibendes Verdienst dürfen sicherlich seine „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause“ gelten.74 Als weiterer Lehrer der Archivschule muß unbedingt auch Heinrich Otto Meisner genannt werden, in dessen Unterricht damals die 71
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Leo Santifaller, (Nachruf auf) Paul Kehr, in: Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien 95 (1947), S. 193. Eckart Henning, Der erste Generaldirektor der Preußischen Staatsarcbive Reinhold Koser, in: Neue Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 1 (1979), S. 259–293, hier S. 283. Vgl. Eckart Henning, 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv in Berlin-Dahlem. – 100 Jahre seit seiner Vereinigung mit dem Ministerialarcbiv, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 25 (1974), S. 154–174, hier S. 161 f. Vgl. E. Henning/Ch. Wegeleben, Archivare ... (wie Anm. 44), S. 50; Nachrufe auf H. Krabbo von Gustav Abb, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 41 (1928), S. 383–393 (mit Schriftenverzeichnis), Ernst Müller, Krabbo, in: Archivalische Zeitschrift 38 (1921, S. 309 f., Eugen Meyer; Krabbo, in: Historische Zeitschrift 139 (1929), S. 222. Als Beispiel für Krabbos Vielseitigkeit sei angemerkt, daß er nach fast 75 Jahren zum ersten Male wieder eine breit angelegte „Einführung in das Studium der Geschichte und ihrer Hilfswissenschaften“ an der Friedrich-Wilhelms-Universität ankündigte (SS 1925 und WS 1926/27).
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ganz neue Hilfswissenschaft der „Aktenkunde“ (heute auch als „Formenkunde neuzeitlichen Schriftguts“ bekannt) begründet wurde.75 Diese Entwicklung gipfelte in der noch unter Mitwirkung Kehrs erfolgten Errichtung des „Instituts für Archivwissenschaften und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“ (1930) durch seinen Nachfolger als Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Albert Brackmann, wonach im Geheimen Staatsarchiv nicht nur archivarischer Nachwuchs, sondern auch künftige Hochschullehrer der Geschichte ausgebildet werden sollten.76 Auch wenn die neue Ausbildungsstätte infolge des Wechsels der Generaldirektion von Brackmann zu dem Verwaltungsmann Zipfel, aber auch letztlich wegen des drohenden Krieges dieses hohe Ziel in der Zusammenarbeit von Universitätslehrern und Archivaren nicht ganz erreichen konnte, ist in ihr doch eine hervorragende Pflegestatt für die Historischen Hilfswissenschaften entstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihre Tradition von den Archivschulen in Marburg/L. und Potsdam beziehungsweise Berlin (Ost) weitergeführt. 3. Die Pläne, innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften auch ein historisches Institut zu gründen, sind fast so alt wie die am 1. November 1911 gegründete Gesellschaft selbst. Schon am 28. Februar 1911 war ihrem Präsidenten Harnack ein Antrag von Bailleu, Delbrück, Hintze, Koser, Lenz, Schäfer und Schiemann aus Berlin beziehungsweise von M. Lehmann aus Göttingen unterbreitet worden, ein „Deutsches Institut für Geschichtswissenschaft“ ins Leben zu rufen, der auch vom Hilfswissenschaftler der Friedrich-Wilhelms-Universität, von Michael Tangl unterschrieben worden war.77 Es sollte der institutionell unterstützten Einzelforschung dienen,78 mit Jahres- und Reisegeldern usw. Nach Paul Fridolin Kehrs Gutachten vom 6. September 1913, das er der Kaiser-WilhelmGesellschaft über die Begründung eines Instituts für Deutsche Geschichte erstattete,79 sollten – abermals nach Wiener Vorbild – die Historischen Hilfswissenschaften Gegenstand von Hautes Études sein, doch scheiterten seine noch heute modern anmutenden Pläne für ein Weiterbildungsinstitut junger
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E. Henning/Ch. Wegeleben, Archivare ... (wie Anm. 44), S. 52 f. Vgl. Nachrufe von H. Lötzke, in: Archivmitteilungen 27 (1977), S. 37, und Wolfgang Leesch, in: Der Archivar 30 (1977), Sp. 469–474. E. Henning, 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv... (wie Anm. 73), S. 167 f., und Wolfgang Leesch, Das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (IfA) in Berlin-Dahlem (1930–1945), in: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze, Berlin 1971, S. 219–254. Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 1678, 1684–1686. Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 189 (1959), S. 139–222, hier S. 135. Wie Anm. 77.
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Historiker am Mehltau akademischen Widerstandes gegen jede Lehrabsicht80 zugunsten eines Forschungs- und Publikationsinstituts, welches inhaltlich allerdings, anders als die MGH oder das Preußische Historische Institut in Rom, ebenso das Mittelalter wie die Neuzeit in den Kreis seiner Forschungen einbeziehen und weiterhin auch über Deutschland und Italien hinausgreifen sollte;“81 als Forschungsziele wurden das „Repertorium Germanicum“, die „Germania Sacra“, die Sammlung der Korrespondenzen Karls V. in Spanien und die Herausgabe der Briefe Kaiser Wilhelms I. genannt. Der Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft faßte seinen Gründungsbeschluß für ein historisches Institut am 26. Mai 1914, doch verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorerst die Eröffnung. Im Jahre 1917 bekräftigte die Gesellschaft ihren Beschluß, und Kaiser Wilhelm II. stimmte zu, seinen Namen dem neuen Institut zu verleihen,82 das gemeinsam mit den MGH, ihrer Spezialbibliothek von 50 000 Bänden (einschließlich des L. Traube-Bestandes zur Paläographie) und der Nebenstelle des römischen Instituts eine sehr stattliche Unterkunft in einem Flügel der Staatsbibliothek [Charlottenstraße 41] erhalten83 hatte. Institutsdirektor wurde Paul Fridolin Kehr, der bald allen drei Einrichtungen vorstehen sollte. In einem Punkte stimmen alle, die mit ihm zu tun hatten, überein: daß er als Urkundenforscher von überwältigender Kennerschaft, als Organisator von einzigartiger Treffsicherheit und untrüglichem Weitblick war.84 So führte er auch „sein“ Kaiser-Wilhelm-Institut bis zu seinem Tode im Jahre 1944; erste Erfolge stellten die Edition der Briefe Wilhelms I. dar sowie die Veröffentlichungen aus der Germania Sacra-Arbeit (der erste Band behandelt das Bistum Brandenburg), die auch
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Hermann Heimpel, Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft, (1961), Teil 2, S. 316–338, hier S. 325, vgl. ferner: Max-Planck-Institut für Geschichte (= Berichte und Mitteilungen. Max-PlanckGesellschaft 6/80), München 1980, S. 17. Paul Kehr, Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Deutsche Geschichte und die damit in Verbindung stehenden historischen Institute, in: L. Brauer/A. Mendelssohn Bartholdy/Arnold Oskar Meyer (Hrsg.), Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele, Bd. 2, Hamburg 1930, S. 324–330, hier S. 327. Antrag Harnacks vom 3.12.1917. Vgl. Eckart Henning/Marion Kazemi, Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1988, S. 21, 23, 25. P. Kehr, Das Kaiser-Wilhelm-Institut... (wie Anm. 81), S. 328. Nachdem Kehr die MGH aus Altersgründen abgegeben hatte, wurde sein Kaiser-Wilhelm-Institut unter seiner weiteren ehrenamtlichen und kommissarischen Leitung 1940 bei der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Berliner Schloß untergebracht; die Hauptarbeit am Institut leisteten nebenamtliche Archivare. Vgl. E. Henning/M. Kazemi, Chronik ... (wie Anm. 82), S. 27. J. Fleckenstein, Paul Kehr ... (wie Anm. 64), S. 240, u. E. Henning/M. Kazemi, Chronik ... (wie Anm. 82), S. 59, 113.
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heute noch eine zentrale Aufgabe des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen bildet. 4. Gleich nach Gründung der Berliner Universität hatte Friedrich Rühs die Teilnehmer seiner Übungen eine societas historica85 genannt; dessen Brauch setzten Ranke, Waitz, Droysen und andere fort, doch gehören die von ihnen zumeist neben der Universität gegründeten „Historischen Gesellschaften“, in denen eifrig Quellenkritik betrieben und mithin hilfswissenschaftliche Kenntnis gepflegt und angewendet wurde, nicht hierher, sind doch diese Arbeitsgemeinschaften Teil der Entwicklung historischer Seminare in Deutschland, die schließlich auch in Berlin, wie erwähnt, in die Gründung eines historischen Seminars durch Julius Weizsäcker mündete (1882).86 Sie sind so wenig Thema dieser Studie wie die allgemeingeschichtlich ausgerichtete „Historische Gesellschaft“ (gegr. 1872) und die „Historische Vereinigung zu Berlin“ (gegr. 1880) von Laien und Fachleuten, die sich keineswegs in erster Linie den Historischen Hilfswissenschaften verschrieben haben. Anders verhält es sich mit der bereits 1843 durch den Privatdozenten Freiherrn Bernhard von Koehne gegründeten „Numismatischen Gesellschaft“, die laut Satzung die Münzkunde des Altertums und der Neuzeit pflegt und heute noch besteht. Vorsitzende waren unter anderen so bekannte Numismatiker wie Hermann Dannenberg (Koehnes Mitbegründer), Friedrich Friedensburg oder, um 1908, Erich Bahrfeldt (damalige Mitgliederzahl: 35). Die Gesellschaft gab Mitteilungen (1–3, 1946–1957), drei Festschriften zum 50., 60. und 100. Bestehen (Berlin 1893, 1903, 1943) heraus, ferner erschienen Sitzungsberichte in der Zeitschrift für Numismatik; eine eigene Berliner numismatische Zeitschrift gab es zeitweise nach dem Zweiten Weltkrieg (Erscheinen eingestellt).87 Größere Beachtung verdient der 1869 gegründete und ebenfalls noch heute – mit mehr als tausend Mitgliedern – in Berlin bestehende „Herold“, ein überregional ausgerichteter „Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“, wobei als „verwandt“ unter anderem die Sphragistik, aber auch die Ordens- oder die Fahnen- und Flaggenkunde usw. angesehen werden. Beachtlich sind nicht nur die Spezialbibliothek (30 000 Bände), die Wappenbilderkartei (ca. 150 000 Nachweise) und reiche genealogische Sammlungen, die sowohl der Laienbelehrung wie wissenschaftlichen Zwecken dienen, sondern auch seine rege Publikationstätigkeit. Hinsichtlich der Periodika wird auf die einschlägige Zusammenstellung und
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H. Heimpel, Max-Planck-Institut ... (wie Anm. 80), S. 141. A. a. O., S. 139 ff., 143. Vgl. 175 Jahre Numismatische Gesellschaft (in Berlin), in: Mitteilungsblatt der Landesgescbichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 70 (1969), S. 597–598.
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indexartige Auswertung im „Schlüssel“ verwiesen,88 dazu auf die „Deutsche Wappenrolle“, das in Lieferungen erscheinende „Hofpfalzgrafen-Register“ sowie die „Wappenbilderordnung“, die Editionsreihe „Wappenbücher des Mittelalters“ und zwei Handbücher für Heraldik beziehungsweise Genealogie.89 Hinsichtlich ihrer Bedeutung können sich andere Vereine, wie die Ortsgruppe Berlin des „Roland, Verein zur Förderung der Stammkunde“ (gegr. 1902), die nach dem Zweiten Weltkriege nicht wieder ins Leben gerufen wurde, zumal der Verein seinen Sitz in Dresden hatte, und der noch in Berlin bestehende Verein zur Förderung der Zentralstelle für Personen- und Familienforschung“ mit Stiftungssitz in Frankfurt/Main (früher Leipzig) nicht mit dem „Herold“ messen.
III Anfangs in der Rolle der ancilla, ist die Historie den anderen akademischen Disziplinen ranggleich geworden, ja sie kann diese von Fall zu Fall als ihre Hilfsfächer heranziehen.90 Gemeint sind damit Nachbarwissenschaften wie Theologie, Jurisprudenz oder die Philologien, derer sich die Geschichtswissenschaft gelegentlich mit einigem Nutzen bedient, ohne deswegen für sie unentbehrlich zu sein – ganz im Gegensatz zu den eigentlichen „Historischen Hilfswissenschaften“. Ohne ihre Unterstützung kann sie bei der Entschlüsselung ihrer Quellen nicht auskommen, und so ist schon das Vorhandensein dieser Fächergruppe für die Geschichtswissenschaft charakteristisch. Da es sich bei den Historischen Hilfswissenschaften um eine historisch gewachsene Fächergruppe handelt, wird man ihr nicht geringe Kohärenz und mangelnde „Randschärfe“ vorwerfen dürfen, meinte Heinrich Ritter von Fichtenau und ermittelte die Zugehörigkeit der einzelnen Disziplinen zu ihr einfach aufgrund von Lehrmeinungen in den derzeit verbreitetsten Einführungen in das Studium der Geschichtswissenschaft, wobei sich eine „Mehrheit“ für den folgenden, sicherlich noch erweiterungsfähigen Katalog fand:91 88
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Vgl. Der Schlüssel, Bde. 3–5 u. 7, Göttingen 1956–1965, 1981 und Eckart Henning (unter Mitarbeit von Petra Hauke und Gabriele Jochums), Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin, in: Bibliographie und Berichte. Festschrift für Werner Schochow, hrsg. von Hartmut Walravens, München 1990, S. 34–122. Vgl. die über den Verein „Herold“ verzeichnete Literatur bei Eckart Henning/ Gabriele Jochums, Bibliographie zur Heraldik, Köln 1984, S. 378 f. Heinrich Fichtenau, Die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Bedeutung für die Mediävistik, in: Die Methoden der Geschichtswissenschaft und der Archäologie (= Die Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden 10), München 1974, S. 115–143, hier S. 115. A. a. O., S. 117.
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1. Paläographie (Schriftkunde), 2. Diplomatik (Urkundenlehre), 3. Aktenkunde, 4. Heraldik (Wappenkunde), 5. Sphragistik (Siegelkunde), 6. Genealogie (Familienforschung), 7. Numismatik (Münz- und Medaillenkunde), 8. Chronologie (Zeitberechnung). Die Epigraphik „fehlt“ nicht etwa, jedenfalls dann nicht, wenn man sie zur Paläographie rechnet, wohin sie eigentlich, trotz feststellbarer Emanzipationsbestrebungen, gehört. Die Quellenkunde ist entgegen der Auffassung Ahasver von Brandts nicht aufgenommen worden,92 da sie als Stoff- und Methodenlehre meines Erachtens ein integraler Bestandteil der Geschichtswissenschaft ist, und nicht als „abspaltbare“ Hilfswissenschaft, aber auch nicht als ein selbständiges Fach gewertet werden kann, wie die Historische Geographie93 (die aus eben diesem Grunde fehlt); allenfalls könnte man sie als historische Zweig- beziehungsweise Teilwissenschaft (wie die Kirchen- oder Wirtschaftsgeschichte), aber auch als Grundlagenkunde ansehen. Auch einige jüngere Fächer fehlen „noch“, die sich aber vermutlich bald innerhalb dieses „mehrheitsfähigen“ Kanons etablieren werden, wie die Vexillologie (Fahnen- und Flaggenkunde), die Phaleristik (Ordenskunde), die Historische Metrologie (Maß- und Gewichtswesen); auch die Lehre von den Amts- und Herrschaftszeichen (begründet von P. E. Schramm), die lkonographie (Bildnis- und Porträtkunde), die Waffen- und Kostümkunde als Teil einer umfassenderen Realienkunde des täglichen Lebens könnten genannt werden. Diese Fragen weiter zu verfolgen, ist hier ebenso unnötig wie eine Diskussion über die Eigenständigkeit der Hilfswissenschaften beziehungsweise ihren Wissenschaftswert oder über das von Karl Brandi einst aus Zukunftssorge um die „Pflege der historischen Hülfswissenschaften in Deutschland“ aufgeworfene (Schein-)Problem, daß es sich bei ihnen womöglich gar nicht um Hilfs-, sondern eher um „Grundwissenschaften“ handele.94 Es geht we92 93
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A. von Brandt, Werkzeug ... (wie Anm. 1), S. 48 ff. Alle historischen Kollegankündigungen erscheinen bis einschließlich Wintersemester 1918/19 immerhin stets unter der gemeinsamen Fächerbezeichnung „Geschichte und Geographie“ im Vorlesungsverzeichnis der Friedrich-Wilhelms-Universität, doch werden die von Historikern geleiteten Lehrveranstaltungen zur Historischen Geographie allmählich seltener; zu nennen ist noch Harry Breßlaus Vorlesung über die „Historisch-politische Geographie von Deutschland“ (WS 1878/79), später betätigten sich in dieser Richtung u. a. noch Wilhelm Sieglin, Dietrich Schäfer, Hermann Krabbo und Adolf Hofmeister. Die Gründung des Seminars für historische Geographie an der Universität führte zur weitgehenden Emanzipation dieser Hilfswissenschaft. Zu nennen sind hierfür besonders Konrad Kretschmer (1864–1945) und Walter Vogel (1880–1931), der seit 1929 sogar eine „geopolitisch-staatenkundliche Arbeitsgemeinschaft“ an dem genannten Seminar leitete. Vgl. allgemein Hans-Dietrich Schultz, Die deutschsprachige Geographie von 1800– 1970, Berlin 1980. Karl Brandi, Die Pflege der historischen Hülfswissenschaften in Deutschland, in: Geistige Arbeit 6 (1939), Nr. 2, S. 1–2.
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niger darum, ob diese Fächer selbst von subsidiärer Art sind oder ob ihnen ein eigenständiger Wert beizumessen ist – bei den meisten von ihnen dürfte letzteres längst feststehen –, sondern darum, daß jedes dieser Fächer anderen Disziplinen (nebenamtliche) Hilfsdienste zu leisten vermag. Überblickt man die bisherige Literatur zur Geschichte der Historischen Hilfswissenschaften, so ist diese – im Gegensatz zur Disziplingeschichte einzelner Fächer95 – nur als dürftig zu bezeichnen. So findet sich in Franz Xaver von Wegeles „Deutscher Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus“ (1885) zwar im 3. und 4. Buch je ein Kapitel über „Die historischen Hilfswissenschaften“, doch beschränkt sich der Verfasser darin leider auf die vergleichsweise ausführliche Herausarbeitung des Anteils der Diplomatik an der Gesamtentwicklung, um dann lakonisch zu bemerken: Über die übrigen in den Rahmen der historischen Hilfswissenschaften fallenden Disziplinen dürfen wir uns kurz fassen ... 96 In Eduard Fueters Darstellung (1911) findet sich schließlich im Kapitel „Die Hilfswissenschaften“ nur noch der ominöse Satz: Die Geschichte der Historiographie hat sich mit der Geschichte der historischen Forschung und Kritik an sich nicht zu befassen.97 Entsprechend verhält sich Georg von Below in seiner „Deutschen Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen“ (1924); er widmet den Historischen Hilfswissenschaften nicht einmal mehr ein Kapitel, sie werden auch sonst in seiner Gesamtdarstellung kaum erwähnt.98 Über die Berechtigung eines solchen sich negativ steigernden Vorgehens ließe sich streiten, doch ändert dies zur Zeit nichts an dem Befund, daß eine Geschichte der Historischen Hilfswissenschaften im Sinne einer Zusammenschau ihres Mitwirkens an der Lösung quellenkritischer Probleme auch in der jüngeren Fachliteratur ein Desiderat blieb.99 95
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Vgl. die einzelnen Disziplingeschichten (veraltet) in: Aloys Meister (Hrsg.), Grundriß der Geschichtswissenschaft, Bd. 1 ff., Leipzig 1906 ff. Erschienen München–Leipzig 1885, 3. Buch, 3. Kapitel, S. 542–562, hier S. 558, und 4. Buch, 1. Kapitel, S. 756–772, vgl. auch seine Ausführungen zur Geschichte der Monumenta Germaniae historica, in: Franz X. von Wegele, Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (= Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Neue Zeit, Bd. 20), München–Leipzig 1885, S. 1010– 1081. Eduard Fueter, Geschichte der Neueren Historiographie (= Georg von Below/ Friedrich Meinecke [Hrsg.], Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. 1), München–Berlin 1911, S. 329. Georg von Below, Die deutsche Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen. Geschichtsscbreibung und Geschichtsauffassung (= Handbuch... [wie Anm. 97], Abt. 1,5), 2., wesentl. erw. Aufl., München–Berlin 1924. Daran änderte auch leider der kleine Band von Karl Brandi Geschichte der Geschichtswissenschaft, Bonn 1947 (2. Aufl. 1952), nichts, der im Kapitel „Kritische Geschichtswissenschaft“ aber wenigstens nicht nur die MGH erwähnt, sondern auch Waitz, Ficker und Sickel (S. 93 ff.).
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Unnötig fast zu sagen, daß es auch an einer Geschichte der Hilfswissenschaften in Berlin fehlt, der man zumindest entnehmen könnte, ob und wann sie hier gepflegt worden sind. Doch das läßt sich wenigstens einigermaßen verläßlich anhand der Vorlesungsverzeichnisse der im Jahre 1810 in Berlin gegründeten Universität beziehungsweise ihrer Nachfolgerin sowie der Freien Universität Berlin erkennen.100 Das Unterrichtsangebot, das zwar nicht die Forscherleistung101 des einzelnen festhält, gewährt doch einen guten Einblick in die akademische Lehrtätigkeit,102 und da ältere Ankündigungen häufig angaben, nach welchem (meist selbstverfaßten) und dann oft veröffentlichten „Grundriß“ der Lehrende vortrug, belegen sie mithin die Durchdringung von Forschung und Lehre im Sinne von Humboldts Idealvorstellung. Zumindest überliefern die Vorlesungsverzeichnisse, wer in Berlin hilfswissenschaftlich gewirkt hat. Dabei geht es nicht nur um die ohnehin „großen Namen“, sondern auch um die Ermittlung weniger bekannter Fachvertreter und ihres Beitrags zur Entwicklung und Verbesserung der „Werkzeuge“ des Historikers. 1. Paläographie (Schriftkunde beziehungsweise Schreibwesen): Später als Diplomatik erscheint die Paläographie an der Friedrich-Wilhelms-Universität, und zwar zuerst im Lehrprogramm von Friedrich Wilken als Vorlesung 100
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Der folgenden Zusammenstellung von Lehrveranstaltungen lagen nur die Ankündigungen unter „Geschichte und Geographie“ (später lediglich als „Geschichte“ bezeichnet) zugrunde, von Ausnahmen – wie bei Parallelankündigungen – abgesehen, also nicht die Lehrangebote des Instituts für Altertumskunde, nicht des Seminars für osteuropäische Geschichte und Landeskunde, nicht der Kirchengeschichtlichen Abteilung des Theologischen Seminars, nicht des Staatswissenschaftlich-statistischen Seminars und auch nicht des Seminars für historische Geographie; würde man auch dieses Angebot angemessen würdigen, was den Raum eines Aufsatzes übersteigen müßte, ließe sich das hilfswissenschaftliche Spektrum noch da und dort erweitern. Auch die Verzeichnisse der anderen Berliner Hochschulen blieben unausgewertet (u. a. der Technischen Universität, der Pädagogischen Hochschule usw.). Unter dem jeweiligen Verfassernamen lassen sich die als Monographien erschienenen Forschungsergebnisse leicht im Gesamtverzeichnis des deutschen Schrifttums, 1700–1910, München 1979–1987, Nachtr. 1987 u. 1911–1965, München 1976–1981, nachschlagen. Hinsichtlich der Aufsatzliteratur muß auf die Schriftenverzeichnisse der einzelnen Gelehrten und andere bibliographische Hilfsmittel, wie die Jahresberichte zur deutschen Geschichtswissenschaft oder neuerdings auch auf das Jahrbuch der historischen Forschung bzw. auf die Historische Bibliographie verwiesen werden. Es ist selbstverständlich, daß die hier gewonnenen Ergebnisse nochmals an Hand der im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität (August-Bebel-Platz, O-1080 Berlin) noch vorhandenen Akten überprüft und korrigiert werden müßten, da Lehrveranstaltungen häufig zu spät angekündigt, um noch gedruckt zu werden, oder abgesagt bzw. abgebrochen wurden, ohne im Vorlesungsverzeichnis, das von 1968– 1990/91 gar nicht mehr erschien, gestrichen zu werden usw. Gleichwohl dürften diese Korrekturen das aus den Verzeichnissen gewonnene Gesamtbild kaum nennenswert verändern.
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mit Übungen unter Benutzung des Kopp’schen Apparats (Sommer 1835), die er bis zu seinem Tode im Jahr 1840 mehrfach wiederholte. Dreißig Jahre später las Harry Breßlau im Sommer 1873 wieder „Lateinische Paläographie“, ebenfalls verbunden mit praktischen Übungen.103 Von da an wurden die Abstände geringer; einmal wandte sich Wilhelm Wattenbach nun der „Griechischen Paläographie“ (WS 1878/79) zu, dann Samuel Löwenfeld (1854–1891) mehrmals der „Lateinischen Paläographie, besonders für Historiker“ (seit Winter 1888/89). Doch erst als Michael Tangl vom Sommer 1898 bis 1921 in einem festen Rhythmus mehr als zehnmal „Lateinische [und anfangs auch Deutsche] Paläographie“ vierstündig gelesen hatte, oftmals verbunden mit Übungen, begann sich diese wichtige Hilfswissenschaft bei den Studierenden durchzusetzen, wobei noch sein Sonderkolleg über die „Tironischen Noten“ erwähnenswert ist (mehrmals vom Winter 1900/01 an). Nachdem Tangl das paläographische Interesse geweckt hatte, wuchs der Bedarf an Leseübungen ständig, den unter anderen ein bei Asen104 nicht verzeichneter Dozent „Schöne“ (WS 1901/02 und öfter), aber auch im WS 1908/09 der Kirchenhistoriker Erich Caspar (1879–1935) und schon vom Winter 1906/07 an der junge Privatdozent Hermann Krabbo (1875–1928) deckte, bis letzterer 1913 als a. o. Professor nach Leipzig berufen wurde. Ihn löste Adolf Hofmeister bis zu seinem Weggang nach Greifswald (zuletzt für den Sommer 1921 angekündigt) ab. Spätestens mit der Übernahme des Extraordinariats für Historische Hilfswissenschaften durch Ernst Perels (1923), teilweise aber schon früher (SS 1920), hielt dieser nun auch die Vorlesung über „Lateinische Paläographie“, zunächst im Sommer, ergänzt durch Übungen im Wintersemester, aus denen sich schließlich eine „Arbeitsgemeinschaft für Fortgeschrittenere“ entwickelte (zuletzt 1934/35 erwähnt). Unterstützt wurde Perels in diesen Aufgaben durch den von 1923–1927 noch einmal als Honorarprofessor an die Berliner Universität zurückgekehrten Hermann Krabbo,105 der im Unterschied zu Perels auch die deutsche Paläographie mit einbezog und erste Spezialkollegs auf diesem Gebiet hielt, etwa zur Schrift des 16. Jahrhunderts oder über die vorkarolingischen lateinischen Schriften (WS 1924/25 und SS 1925). Nach Krabbos Tod (Jena 1928) las Perels zwei103
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Harry Breßlau schreibt in seiner Selbstdarstellung (in: S. Steinberg [Hrsg.], Die Geschichtswissenschaft ... [wie Anm. 34], S. 44 f.) dazu abweichend: Über lateinische Paläographie habe ich nur einmal, im Winter 1872/73 gelesen, dann, nachdem Wattenbach zum Sommersemester 1873 nach Berlin berufen war, darauf verzichtet, wogegen Wattenbach, zu dem ich dauernd in den allerbesten Beziehungen stand, mir durch eine Art von stillschweigender Übereinkunft die Vorlesungen über Diplomatik und historische Chronologie überließ. Johannes Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin, T. 1: 1810–1945, Leipzig 1955. Evtl. ist auch der 1869 ausgeschiedene Privatdozent Richard Kurt Theophil Schöne (gest. 1922) gemeint, vgl. S. 177. Bei J. Asen, a. a. O., S. 104, für diese Zeit nicht mehr verzeichnet; vgl. E. Henning/ Ch. Wegeleben, Arcbivare ... (wie Anm. 44), S. 50.
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semestrig Paläographie, mit dem ersten Teil jeweils zum Winter beginnend, den zweiten im Sommer abschließend. Perels trat, wie erwähnt, 1935 von seiner Professur zurück (der für den Winter 1935/36 angekündigte erste Teil entfiel demnach bereits). Da er sich der Paläographie auf hohem Niveau besonders eingehend widmete, entstand (wie bei der Diplomatik) ein Bedürfnis nach einer kurzgefaßten „Einführung in die lateinische Paläographie“, das zuerst Robert Holtzmann (1873–1946) vom Sommer 1927 an bis 1931 befriedigte. Da der frisch habilitierte Leo Santifaller bereits am 6. November 1929 nach Breslau berufen wurde, kann er seine interessanterweise „Paläographie des Mittelalters und der Neuzeit“ genannte Vorlesung in Berlin ebensowenig mehr gehalten haben wie die entsprechenden Übungen. Schließlich übernahm Carl Erdmann (1898–1945) im SS 1934 diese Aufgabe für den zum Professor ernannten Holtzmann (entpflichtet 1939), bis auch ihm die Lehrbefugnis am 16. Oktober 1935 mit Hinweis auf die NS-Rassegesetze entzogen wurde (allerdings „duldete“ man ihn wie Perels wenigstens bei den MGH); seine moderne „Schriftkunde des 15.–18. Jahrhunderts“ konnte er bereits nicht mehr durchführen. An dieser Stelle ist der Blick auch auf die intensive Betreuung paläographischer Nebengebiete zu lenken, wie die Epigraphik und die Handschriftenkunde (jetzt gern Codikologie genannt): Die griechischen Inschriften erklärte zuerst Hans Droysen in eigenen Übungen (WS 1885/86), dann vom WS 1910/11 an Karl-Friedrich Lehmann-Haupt (1861–1938); in den dreißiger Jahren sind besonders Hans Erich Stier und Lothar Wickert zu nennen. Ausgewählte lateinische Inschriften erklärte Hermann Dessau fast vierzig Jahre lang vom Sommer 1887 bis 1926 den Studierenden; dasselbe tat der Althistoriker Otto Hirschfeld an seinem Institut für Altertumskunde vom Winter 1894/95 an bis in die Kriegszeit hinein, ferner Friedrich Wilhelm Freiherr Hiller von Gaertringen (1864–1947) in den zwanziger und Ernst Stein sowie wieder Lothar Wickert in den frühen dreißiger Jahren. Auch Vorlesungen über Bibel- und Keilschriften, etwa des Philologen Eberhard Schrader (1836–1908) Ende der siebziger oder von Maximilian Streck (1873–1945) über „Vorderasien nach den Keilinschriften“ (Sommer 1904), wurden angekündigt. Besonders beliebt war offensichtlich das mehrfach wiederholte Kolleg des Ägyptologen Kurt Sethe (1869–1934), der von etwa 1927 bis 1933 die „Entwicklungsgeschichte der Schrift (vom Bilde zum Buchstaben)“ bereits mit Lichtbildern seinen Hörern nahebrachte. Eine „Handschriftenkunde“ bot wohl erstmals der Germanist H. F. Maßmann (ab Sommer 1852) an, in unserem Jahrhundert dann der Bibliothekar und besondere Kenner der Humanistenhandschriften Emil Jacobs (1868–1940).106 Im Winter 1936/37 wurden paläographische Übungen noch mit N. N. angekündigt, während auf dem epigraphischen Nebengebiet Gün106
Bei J. Asen, Gesamtverzeichnis ... (wie Anm. 104), nicht aufgeführt; vgl. W. Schochow, 325 Jahre Staatsbibliothek ... (wie Anm. 15), S. 154. Von 1929/30 an erteilte J. sogar eine zweiteilige Einführung.
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ther Klaffenbach als Honorarprofessor wenigstens die griechischen Inschriften erklärte. Vom Sommer 1938 an behalf man sich mit dem Lehrbeauftragten Karl Wehmer, der seine Vorlesung über „Die mittelalterlichen Schriftarten des 8.–15. Jahrhunderts“ mit Übungen verband und vom Wintersemester 1938/39 an „Paläographie des späten Mittelalters und Inkunabeldrucke“ vortrug (auch SS 1939); er war es auch, der erstmals „Übungen im Lesen neuzeitlicher Handschriften“ ankündigte (WS 1938/39). Wehmers letzte Vorlesung, bevor er 1941 nach Prag ging, galt im Winter 1939/40 der „Deutschen Schrift, ihrer Entstehung und Geschichte“ sowie den „Anfängen des Buchdrucks“. Die große Vorlesung über „Lateinische Paläographie“ nebst Übungen übernahm im Winter 1939/40 der neue Extraordinarius Eugen Meyer; Karl Christ ergänzte sie als Honorarprofessor durch eigene Angebote. Als sich Meyer vorübergehend mehr der Urkundenlehre zuwandte, las Edmund E. Stengel an seiner Stelle „Geschichte der Schrift“ (bis zur karolingischen Reform), später bis ins 19. Jahrhundert ausgedehnt. Im Sommer 1941 kündigte Meyer eine lange vernachlässigte „Paläographie der mittelalterlichen Inschriften“ nebst Übungen (wiederholt im Winter 1944/45) an, womit er auch ausdrückte, daß er die Epigraphik weiterhin als Teilgebiet der Paläographie begriff. Selbst in den letzten Kriegsjahren führte Meyer noch paläographische Colloquien durch, soweit es die Bombenangriffe auf Berlin zuließen. Als die Universität nach Kriegsende im Winter 1946/47 wiedereröffnet wurde, setzte Meyer die „Paläographisch-diplomatischen Übungen“ fort, aus denen sich im Winter 1947/48 eine „Arbeitsgemeinschaft“ entwickelte; Klaffenbach und Schubring ergänzten dieses Lehrangebot noch bis in die fünfziger Jahre hinein durch epigraphische Veranstaltungen. Meyer nahm seine lateinische Paläographie als „Geschichte der Schrift im Mittelalter“ wieder auf, doch ging er schon 1949 nach Saarbrücken. In den Jahren 1950/51 übernahm Helmut Plechl die Vorlesung, von einem „Paläographischen Oberseminar“ ergänzt (SS 1951). Auch der Numismatiker Arthur Suhle las einmal „Paläographie und Heraldik“, bis sich Willy Flach der „Handschriftenkunde“ (vom WS 1953/54 an), einschließlich der notwendigsten Übungen, einführend annahm; sogar „Spezialseminare zur Paläographie“ sind bis zu seinem frühen Freitod (1957) von ihm abgehalten worden. Sein „paläographischer“ Nachfolger an der Humboldt-Universität wurde im Herbst 1958 Friedrich Beck (geb. 1927), Direktor des heutigen Landeshauptarchivs Potsdam, der inzwischen auf jahrzehntelange Lehr- und Übungserfolge auf diesem Gebiet zurückblicken kann; gelegentlich kündigte er – neben der „Einführung“ oder einem großen Kolleg – „Speziellere Probleme der Paläographie des 16. Jahrhunderts“ (1964/65), „des Hoch- und Spätmittelalters“ (1967/68) oder auch „gotischer Urkundenschriften des 12.–15. Jahrhunderts“ (1967/68) an. Seit etwa 1960 gab Mathwich regelmäßig Einführungen in die „Hilfswissenschaften des Altertums“, zeitweise auch zur griechisch-hellenistischen oder zur römischen Geschichte. Erwähnt sei noch die „Einführung in die literarische Handschriftenkunde“ (1961/62) von
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Karl-Heinz Hahn, bis zu seinem Tode (1990) Präsident der Goethe-Gesellschaft, mit der er in archivalisches Neuland vorstieß. An der Freien Universität Berlin begann der frühere Dozent am Institut für Archivwissenschaft, Johannes Schultze (1881–1976), als Lehrbeauftragter bereits 1949 mit einer „Einführung in das Schriftwesen des Mittelalters“ nebst paläographisch-diplomatischen Übungen, die er von da an kontinuierlich bis ins Wintersemester 1966/67 fortsetzte. Wilhelm Berges führte im SS 1951 „Übungen zur mittelalterlichen Epigraphik“ durch, sein Assistent Peter Classen unter anderem „Paläographisch-kritische Übungen zu mittelalterlichen Brieftexten“ (WS 1953/54) und F. W. Haussig betreute die „Griechische Paläographie“ (vom SS 1959 an); er führte auch in die antike Epigraphik ein (SS 1959 ff.). Das paläographische Angebot wurde weiterhin durch Veranstaltungen zur Handschriftenkunde ergänzt, die Hans Werner Schober abhielt (WS 1962/63 bis 1967/68). Vom Sommersemester 1968 an übernahm Fedja Anzelewsky die Buchmalerei und Hermann Knaus die Handschriftenkunde im engeren Sinne. Auch Helmut Boese betätigte sich handschriftenkundlich insbesondere auf dem Gebiet der lateinischen Paläographie (vom WS 1967/68 an). 2. Diplomatik (Urkundenlehre): Innerhalb von Rühs’ hilfswissenschaftlicher Einführungsvorlesung stand schon seit Winter 1816/17 mit besonderer Ausführlichkeit ... Diplomatik auf dem Programm. Nach seinem Tode führte der junge Privatdozent Gustav A. H. Stenzel das Überblickskolleg weiter, bis Friedrich Wilken (1777–1840) die Diplomatik in seine „historisch-kritischen Übungen“ integrierte (seit Winter 1828/29). Nach seinem Tode übernahm es der wissenschaftliche Leiter der MGH, G. H. Pertz (1795–1876), von 1844 an als „lesendes Akademiemitglied“, „Diplomatik“ vorzutragen, was er dann spätestens 1851 an Wilhelm Wattenbach abgab, der im Sommer 1851 und 1853 „Diplomatik und Handschriftenkunde“ las. Danach erscheint in der Pflege dieser grundlegenden Hilfswissenschaft eine etwa zehnjährige Pause eingetreten zu sein, bis zu Jaffés „Historisch-diplomatischen Übungen“ (vom Sommer 1863 an). Den eigentlichen „Durchbruch“ erlebte die Spezialdiplomatik Th. von Sickels (Wien), ergänzt durch die kanzleigeschichtlichen Übungen Julius von Fickers (Innsbruck) in Berlin zweifellos erst vom Winter 1872/73 an in den Lehrveranstaltungen von Harry Breßlau (bis 1890), der sie, wie sein berühmtes Lehrbuch deutlich macht, auch weiterführte. Breßlau las zunächst „Diplomatik mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kaiserurkunden“ (seit Sommer 1886 erweitert zu „Kaiserund Papsturkunden“) und führte dazu nicht nur in nahezu jedem Semester „Historisch-diplomatische Übungen“ durch, sondern gründete auch noch eine eigene „Historisch-diplomatische Gesellschaft“ (im Sommer 1878). Neben Breßlau hatte sich der Privatdozent Paul Ewald (1851–1887) mit der damals (vor Kehr!) noch wenig erforschten Papstdiplomatik beschäftigt. In den neunziger Jahren, als Breßlau bereits in Straßburg lehrte, nahm Wilhelm Wattenbach (gest. 1897) vom Winter 1893/94 an seine Vorlesung über „Di-
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plomatik der Kaiser und Päpste im Mittelalter“ wieder auf, daneben hielten Albert Naudé (1858–1896), Erich Liesegang (1860–1931) und immer wieder Richard Sternfeld (1858–1926) vorwiegend Einführungsveranstaltungen und diplomatische Leseübungen ab, Naudé übrigens in die Neuzeit ausgreifend, als er im Sommer 1891 „Grundzüge der mittelalterlichen Urkunden- und des modernen Aktenwesens“ ankündigte. Nachdem Michael Tangl nach Berlin berufen worden war und damit der „diplomatische Verlust“ Breßlaus ausgeglichen werden konnte, entfaltete dieser eine rege Lehrtätigkeit, die mit einer vierstündigen, von Übungen begleiteten „Urkundenlehre“ im Winter 1897/98 begann, aber vom Sommer 1900 an aufgeteilt wurde in „Allgemeines, Kaiserurkunden bis 1125, Papsturkunden“ (Teil I) und „Italien, unter Ausschluß der Papsturkunden, die fränkisch-deutschen Privaturkunden, die deutschen Königs- und Fürstenurkunden seit Beginn der Stauferzeit“ (Teil II). Dieses Programm absolvierte Tangl bis zu seinem Tode im ständigen Wechsel, wozu noch besondere „Paläographisch-diplomatische Übungen“ für „Archivaspiranten“ kamen. Offenbar bestand zusätzlich das Bedürfnis nach einer geraffteren Darstellung, das erst Hermann Krabbo (1875–1928) als Privatdozent in seinen „Grundzügen der Urkundenlehre“ vom Sommer 1907 an und dann Ernst Perels (zuerst im Sommer 1915) befriedigten. Nach Tangls Tod teilten sich offenbar Perels und der nach Berlin zurückgekehrte Krabbo dessen großes Diplomatikkolleg, indem sich Perels im ersten Teil den Kaiser- und Königsurkunden (vom WS 1923/24 an) und Krabbo im zweiten den Papsturkunden (SS 1924) zuwandte, während Albert Brackmann die Überblicksvorlesung zur „Geschichte der Urkunde vom Altertum bis in die Neuzeit“ zufiel (mit Übungen). Erst als Krabbo krankheitshalber ausgeschieden war, nahm Perels auch die Papsturkunden (vom WS 1927/28 an) in seine Vorlesung auf, im Winter 1934/35 kündigte er darüber ein eigenes Kolleg an. Neben ihnen ist Walther Holtzmann mit seiner „Einführung in die Urkundenlehre“ (SS 1928) zu nennen, der auch über die von Perels kaum berücksichtigten „Privaturkunden“ las (WS 1930/31). Einführend und übend waren auch (kurzzeitig) Leo Santifaller, Carl Erdmann und der nach Amerika emigrierte Althistoriker Ernst Stein (1891–1945) auf dem Felde der Diplomatik tätig, das nach Anwendung von Hitlers Rassegesetzen auf die Mitglieder des Lehrkörpers seit Mitte der dreißiger Jahre nahezu brachzuliegen drohte. Nur Fritz Rörig (1882–1952) bot kurz nach seiner Ernennung zum Professor im Winter 1935/36 „Mittelalterliche Urkundenfälschungen“ an. Gleich nach Übernahme seines hilfswissenschaftlichen Extraordinariats kündigte Wilhelm Engel „nach Vereinbarung“ sowohl Vorlesungen über Kaiser- und Königsurkunden als auch zu den Papsturkunden des Mittelalters mit Übungen (WS 1936/37) an. Später las er eine „Allgemeine Urkundenlehre“ und die seltener behandelte „Lehre der mittelalterlichen Privaturkunden“ (WS 1937/38). Im Winter 1938/39 übernahm sein Lehrer E. E. Stengel einige von Engels Lehraufgaben und begann mit einer „Allgemeinen
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Urkundenlehre“, begleitet von Übungen, zuerst als einfacher Lehrbeauftragter, später als Honorarprofessor. Diese Tätigkeit setzte Stengel im Sommer 1939 mit einer Überblicksvorlesung, verbunden mit Übungen zur „Geschichte der Urkunde vom Altertum bis in die Neuzeit“ fort, gefolgt von der „Diplomatik der Papsturkunden“. Als er sich mehr der Paläographie zuwandte, folgte im Jahre 1940 von Eugen Meyer die Vorlesung zur „Urkundenlehre“, die er zweiteilig mit Übungen verband, bis sie Stengel wieder 1941 diplomatisch fortsetzte („Urkunden und Kanzlei der Päpste“), desgleichen im Winter 1941/42 („Königsurkunden und -kanzleien“) und ein letztes Mal – ehe er nach Marburg zurückkehrte – im Sommer 1942, als er sich mit einem noch auf die Neuzeit ausgedehnten Überblick zur „Entwicklung der sogenannten Privaturkunde“ seit dem Altertum verabschiedete. Werner Peek widmete sich, wie übrigens auch in früheren Semestern, im Seminar für Alte Geschichte nur den „Urkunden der römischen Republik“, so daß nun Eugen Meyer wieder im Wechsel mit paläographischen Vorlesungen die Urkundenlehre (dreiteilig!) vom Winter 1942/43 bis zum Winter 1943/44 las. Seine letzten diplomatischen Übungen während des Zweiten Weltkrieges galten der „Geschichte der mittelalterlichen Kaiserurkunde“. Nach dem Zusammenbruch setzte Meyer, inzwischen ordentlicher Professor an der wiedereröffneten Universität, bis 1949 seine diplomatischen Übungen und auch sein Kolleg zur „Speziellen Urkundenlehre“ fort. Sein Nachfolger war auch auf diesem Gebiet Helmut Plechl geworden, der eine vierstündige diplomatische Überblicksvorlesung mit Übungen abhielt. Dann vertrat der Chef der thüringischen Archivverwaltung, Willy Flach, die „Urkundenlehre“ in Vorlesungen und Übungen, auch in „Spezialseminaren“, an der Humboldt-Universität (vom Winter 1953/54 an bis zu seinem Tode 1957). Sein Nachfolger war wieder ein Archivar, Berent Schwineköper (aus Magdeburg, heute Freiburg/Br.), der außer der Einführung in die Urkundenlehre auch einmal eine „Urkunden- und Aktenlehre des Mittelalters“ gelesen hat (1959), was Josef Hartmann beibehielt, als er von 1960/61 an diese Vorlesung weiterführte. Auch er bemühte sich darum, nicht nur „Standardvorlesungen“ über Königs- und Papsturkunden anzubieten, sondern auch „privaturkundliche“ Übungen. Erwähnt seien noch die Spezialseminare von E. Müller-Mertens zur „Aussage der Urkunden des 9. Jahrhunderts über die Entstehung und Entwicklung des ostfränkisch-deutschen Reiches“ (zuerst im Herbstsemester 1963/64). Seit dem Wintersemester 1949/50 behandelte Johannes Schultze an der Freien Universität Berlin auch das „Urkundenwesen des Mittelalters“ (mit Übungen bis Sommer 1967). Häufig verknüpfte er, was ihm als Archivar nahelag, auch „Allgemeine Urkundenlehre und Aktenkunde“ (vom Winter 1950/51 an) miteinander und verfolgte dann beide „in ihrer geschichtlichen Entwicklung“ (WS 1953/54), auch widmete er diesem Thema ein „Colloquium für ältere Semester“ (SS 1962). Wilhelm Berges als eigentlich zuständiger Ordinarius beteiligte sich anfangs an der hilfswissenschaftlichen Ausbildung der Studenten durch „Diplomatische Übungen“, die wieder sein
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Assistent Peter Classen (SS 1953–1956) abhielt, und durch Lektürekurse, die Lorenz Weinrich für ihn durchführte (vom WS 1955/56 an). Die „Einführung in die Urkundenlehre“ übernahm aber Heinz Quirin, wobei er seit dem WS 1959/ 60 unterschiedliche Schwerpunkte setzte (bis WS 1964/65, nochmals im WS 1975/76). F.-W. Haussig wandte sich seit dem Sommer 1958 wiederholt der griechischen und lateinischen Papyrusurkunde oder byzantinischen Kaiserurkunden zu. Eines der relativ seltenen Beispiele angewandter hilfswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen bot Herbert Helbigs Kolleg über „Die deutsche Ostsiedlung im Lichte der Urkunden“ (SS 1966), später auch die „Probleme der Stadtentwicklung an Hand von ausgewählten Urkunden“ (SS 1975) oder Wolfgang H. Fritzes „Interpretation von Urkunden zur Verfassung Ostpommerns“ (WS 1967/68). Vom WS 1967/68 an bot dann Dietrich Kurze die „Einführung in die Urkundenlehre“ an, die er seither – mit Unterbrechung seiner Tübinger Zeit – immer wieder abhielt, desgleichen weitere diplomatische Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Thematik. Spezialvorlesungen zur spanischen Urkundenlehre an lateinamerikanischen Beispielen bot Enrique Otte (vom SS 1972 an, mehrfach wiederholt). 3. Aktenkunde: Der erste Historiker, der sich nicht nur mit den mittelalterlichen Urkunden, sondern auch mit dem „modernen Aktenwesen“ (vom Sommer 1891 bis in den Winter 1892/93) befaßte, war Albert Naudé, ehe er 1893 nach Marburg ging; er hatte seine formenkundlichen Erfahrungen unter anderem in der Bearbeitung der „Acta Borussica“ gesammelt. Seine Aufgabe übernahm vom Winter 1897/98 an der damalige Privatdozent Friedrich Meinecke. Er führte „in das Archivwesen und in die Benutzung der Archivalien zur neueren Geschichte“ ein, die er – zuletzt im Sommer 1901 und im Winter 1901/02 – mit praktischen Übungen verbinden wollte (vermutlich wegen seines Wegganges nach Straßburg verkürzt). Mehr als zehn Jahre nach Meineckes Versuch tauchte im Vorlesungsverzeichnis noch einmal eine „Archivkunde mit Übungen und Führung im Archiv“ (Winter 1914/15) auf, die Friedrich Wolters (1876–1930) durchführte, ehe er einem Ruf nach Marburg gefolgt ist. Bezeichnend für Wilhelm Engel, wie erwähnt eigentlich Archivar, war die Ankündigung seiner „Aktenkunde“. Ob auch Eugen Meyers „Geschichte des modernen Aktenwesens“ (1942) in diesem Sinne aufzufassen oder mehr archivgeschichtlich gemeint war, wird sich nicht mehr feststellen lassen. Heinrich Otto Meisner ist als akademischer Lehrer erst an der HumboldtUniversität hervorgetreten, wo der Begründer der Aktenkunde sie nun auch im Rahmen einer oft wiederholten „Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften der Neuzeit“ (vom Herbst 1954/55 an) vortrug und in „Spezialseminaren“ weiterentwickelte, sie aber auch mehrmals als „Grundzüge der neuzeitlichen Urkunden- und Aktenlehre“ (unter anderem im Herbst 1956/57) allein darbot. Daneben las Meisner immer wieder „Archiv-Theorie“, auch „Archivgeschichte“, wobei formenkundliche Fragen bei ihm immer
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eine besondere Rolle spielten. Inzwischen hatte Erich Neuß die Erkenntnisse Meisners, der seine letzte Lehrveranstaltung für das Frühjahr 1960 angekündigt hatte, zu einer „Urkunden- und Aktenlehre der Wirtschaft“ weiterentwickelt, die er erstmals 1958/59 las, während das „klassische“ formenkundliche Programm seines Lehrers von Gerhard Schmid übernommen und zur selben Zeit als „Aktenkunde des Staates“ systematisch ausgebaut wurde. Die rein archivwissenschaftlichen Vorlesungen gingen nach Meisners Ausscheiden allerdings an den Direktor des Zentralen Staatsarchivs (Potsdam), Helmut Lötzke, und auf Gerhard Enders über, dessen „Archivverwaltungslehre“ sich als Lehrbuch durchsetzte, aber leider wegen anderer Publikationsvorhaben in der DDR nicht mehr aufgelegt worden ist. An die Stelle von Neuß trat bald Botho Brachmann mit seiner weitergeführten „Aktenkunde der Wirtschaft“ (vom Herbst 1965/66 an). An der Freien Universität Berlin verknüpfte Johannes Schultze die Urkundenlehre mit dem Aktenwesen, doch dehnte er sein Lehrangebot vom WS 1959/60 an auch auf speziellere Leseübungen aus sowie seit dem SS 1966 auf das Gebiet des „Deutschen Archivwesens (Archive als Geschichtsquelle, neuzeitliches Aktenwesen, Aktenpublikationen)“. „Übungen an diplomatischen Akten des 18. Jahrhunderts“ führte Carl Hinrichs anfangs mit seinem Assistenten Friedrich Zipfel durch (SS 1955), Werner Pöls übte einige Male das „Lesen neuzeitlicher Akten“ (vom WS 1962/63 an) und später setzte Zipfel – als sich Johannes Schultze vom Lehrbetrieb zurückzog – seine Übungen zur „Akten- und Urkundenlehre der Neuzeit“ in allgemeinerer Form fort (SS 1968 bis WS 1977/78 mehrmals). Für kurze Zeit kam mit Eberhard Weis ein auch archivarisch vorgebildeter Historiker nach Berlin (1969), der eigentlich im Sommersemester 1970 in die „Forschungsarbeit in Archiven“ einführen wollte, was wegen seines schnellen Wegganges unterblieb. 4. Sphragistik (Siegelkunde): Im Lehrbetrieb der Friedrich-WilhelmsUniversität blieb die Siegelkunde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein immer unerwähnt. Sie scheint stets gemeinsam mit der Diplomatik behandelt worden zu sein, zumindest wird sie erst unter Harry Breßlaus „Elementen der Mittelalterlichen Chronologie, Numismatik und Sphragistik“ an dritter Stelle einmal gesondert genannt (Sommer 1882); diese Vorlesung wurde wohl wegen ihrer Beliebtheit nahezu in jedem Sommer bis zu Breßlaus Weggang nach Straßburg (1890) wiederholt. Danach las Michael Tangl im Sommer 1899 erstmals ausschließlich „Siegelkunde“, offenbar ohne größere Resonanz. Erst Hermann Krabbo griff sie im Sommersemester 1907 (desgleichen 1909 und im Winter 1911/12) wieder auf, schließlich noch einmal nach seiner Leipziger Zeit und der anschließenden Kriegsgefangenschaft im Rahmen eines Berliner Sammelkollegs über „Siegelkunde, Wappenkunde und Familienkunde“ im Winter 1924/25. Als Wilhelm Engel in Berlin wirkte, kündigte er für das Wintersemester 1937/38 „Diplomatisch-sphragistische Übungen“ an, die damit wohl erstmals so thematisiert wurden. Doch Wechselbeziehungen hatte auch schon Arthur Suhle
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im Blick, als er nach dem Zweiten Weltkrieg an der Humboldt-Universität einen „Abriß der Siegel- und Wappenkunde in Beziehung zur Münzkunde“ gab (WS 1949/50, erneut 1960–1961). Willy Flach unterrichtete „Siegel- und Wappenkunde“ ebenfalls gemeinsam (Frühjahr 1957). Berent Schwineköper las auch Siegelkunde, aber nicht nur heraldisch, sondern auch durch Chronologie erweitert (1958/59). An der Freien Universität Berlin scheint Sphragistik erstmals im SS 1973 in einer heraldischen Einführung zum Gegenstand einer Lehrveranstaltung gemacht worden zu sein. 5. Heraldik (Wappenkunde): Der erste Historiker, der an der Berliner Universität „Heraldik“ ankündigte, wenn auch nur innerhalb einer Überblicksvorlesung Historischer Hilfswissenschaften, war im Sommer 1820 der eben habilitierte Privatdozent Gustav A. H. Stenzel, zugleich Hauslehrer der Mendelssohns, nachmals Geschichtsprofessor in Breslau. Auch sein Mentor Friedrich Wilken widmete sich im Winter 1821/22 in überraschender Kombination der „Heraldik und Diplomatik“ (mehrmals wiederholt) und vom Sommer 1835 an in anderer Verknüpfung der „Paläographie mit einer kurzen heraldischen Einleitung“, was er bis in sein Todesjahr gelegentlich wiederholte. Im Sommer 1844 las dann der Numismatiker Freiherr Bernhard Karl von Koehne (1817/1886) Heraldik und nannte diese Vorlesung im darauffolgenden Sommer sogar vielsagend „Die Heraldik und ihre Wichtigkeit für die Geschichte“, ehe er im Herbst 1845 nach St. Petersburg ging. Es sollte nun mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, ehe die Heraldik wenigstens wieder in einem „Sammelkolleg“ genannt wird, zunächst von Adolf Hofmeister über „Genealogie nebst Grundzügen der Wappen- und Siegelkunde“ (Winter 1920/21) und dann von Hermann Krabbo „Siegelkunde, Wappenkunde und Familienkunde“ (Winter 1924/25). Nochmals zehn Jahre später las auch Carl Erdmann im Winter 1934/35 „Historische Familienund Wappenkunde“, ehe ihm die venia legendi als Betroffenem der NS-Rassengesetze entzogen wurde. Die erste heraldische Lehrveranstaltung nach dem Zweiten Weltkrieg an der Humboldt-Universität hatte interdisziplinären Charakter, es handelte sich um den schon erwähnten „Abriß der Siegel- und Wappenkunde in Beziehung zur Münzkunde“ von Arthur Suhle (WS 1949/50 und öfter). Suhle war es auch, der im Frühjahr 1953 einmal „Paläographie und Heraldik“ – dieselbe überraschende Fächerkombination wie einst bei Friedrich Wilken – anbot. Sie weist auf Suhles Beherrschung nahezu aller hilfswissenschaftlichen Fächer hin, die ihn auch befähigte, in den fünfziger Jahren wiederholt eine „Einführung in die Hilfswissenschaften“ an der Humboldt-Universität zu geben. Wie schon im Abschnitt über Sphragistik erwähnt, hielt auch Willy Flach im Frühjahr 1957 einmal eine kombinierte Vorlesung zur Siegelund Wappenkunde ab. Dasselbe tat Berent Schwineköper 1959. An der Freien Universität Berlin gelang es schon im Wintersemester 1952/53, den früheren heraldischen Mitarbeiter des Reichskunstwarts, Ott-
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fried Neubecker, für einen Lehrauftrag „Heraldik als Hilfswissenschaft für Historiker und Kunsthistoriker“ zu gewinnen, den dieser, bisweilen unter Berücksichtigung einer Landschaft („Studium-Exemplare“-Ziele waren damals unter anderem Mainfranken beziehungsweise Burgund), rund zehn Jahre lang bis ins Sommersemester 1963 hinein wahrnahm. Später sorgte der zuständige Fachreferent beim Geheimen Staatsarchiv, Johann Karl von Schroeder (1923–1998), für eine „Einführung in die Heraldik“ (vom SS 1969 an in unregelmäßigen Abständen wiederholt). 6. Genealogie (Familienforschung): Obwohl sie zu den ältesten der Historischen Hilfswissenschaften zählt, ist eine „Einführung in die wissenschaftliche Genealogie“ erstmals im Sommer 1910 durch Adolf Hofmeister an der Friedrich-Wilhelms-Universität erfolgt. Zehn Jahre später behandelte er die „Genealogie nebst Grundzügen der Wappen- und Siegelkunde“ und setzte im Sommer 1921 auch eine „Besprechung genealogischer Arbeiten“ an. Wie erwähnt, las der wieder nach Berlin zurückgekehrte Hermann Krabbo im Winter 1924/25 zusammenfassend über „Siegelkunde, Wappenkunde und Familienkunde“ und Carl Erdmann „Historische Familien- und Wappenkunde“. Dann übernahm diese ideologisch wichtig gewordene Hilfswissenschaft vom 1. April 1936 an der als „Dozent für Genealogie“ von den Nazis installierte Prinz Wilhelm Karl von Isenburg (1903–1956), der neben einer Vorlesung für Hörer aller Fakultäten über „Talent und Genie in Sippe und Geschichte“ auch „Sippenkundliche Übungen für Historiker“ abhielt, die er im WS 1936/37 fortsetzte. Da er aber bereits 1937 eine Professur in München übernahm, wird er in Berlin nur noch die angekündigte „Einführung in die Sippenforschung“ und seine Vorlesung über „Die Bedeutung der Sippenkunde innerhalb der Geschichte“ durchgeführt haben, während die „Führenden Geschlechter in ihrer Bedeutung für die Geschichte“ schon entfielen. Obwohl diese Hilfswissenschaft durch das „Dritte Reich“ in Verruf beziehungsweise in Ideologieverdacht geraten war, hatte Johannes Schultze, solcher Sympathien gewiß unverdächtig, an der Freien Universität Berlin als erster Hochschullehrer wieder den Mut, sie zum Gegenstand einer historischen Lehrveranstaltung zu machen, indem er „Chronologie und Genealogie“ (im SS 1951) miteinander verband, bevor Johann Karl von Schroeder im WS 1969/70 in dieses Fach allein einzuführen begann (mehrfach wiederholt). 7. Numismatik (Münz- und Medaillenkunde): Friedrich Christoph Rühs wandte sich bereits im Winter 1816/17 im Rahmen seiner hilfswissenschaftlichen Einführungsvorlesung der Numismatik zu, dann erneut im Winter 1819/20, doch die alte Geschichte trug Herr Professor Tölken vor, und erläuterte sie mit antiken Münzen ... Nach Rühs’ Tod las der Kunsthistoriker Ernst Heinrich Toelken (1785–1869) auch eine Einführung in die Numismatik, ging aber später mehr auf die Gemmenkunde über (Winter 1828/29) Erst im Sommer 1844 wurde wieder eine numismatische Vorlesung angeboten
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über „Münzkunde und Geschichte der Münzfüße der Völker des Altertums und Deutschlands, mit besonderer Wichtigkeit, welche die Münzen für Geschichte und Archäologie enthalten“. Dieses Kolleg las der bekannte, nachmals in den Freiherrenstand erhobene Numismatiker Bernhard Karl Koehne (1817–1886), der auch Übungen dazu ankündigte, doch leider schied er zu Michaelis 1845 schon wieder aus, um – wie erwähnt – nach Rußland zu gehen; immerhin „hinterließ“ er Berlin die von ihm 1843 gegründete „Numismatische Gesellschaft“, die sich große Verdienste um die Pflege dieses Spezialgebiets erworben hatte. An der Universität scheint sich erst der Staatswissenschaftler Adolf Wagner (1855–1917) wieder mit dem „Münzwesen und der deutschen Währungsfrage“ befaßt zu haben (Sommer 1881), im Sommer darauf schließlich – und nun kontinuierlich – Harry Breßlau, dessen „Elemente“ von Sommer 1882–1890 auch „Numismatik“ enthielten. Ergänzend las der klassische Philologe Hans Droysen (später im Schuldienst) seine „Einleitung in die griechische und römische Numismatik“ (Sommer 1883), oder Adolf Wagner trug nochmals über das „Münz- und Bankwesen“ vor (1890). Erwähnt sei wieder der Althistoriker Karl-Friedrich Lehmann-Haupt (1861– 1938), der das numismatische Grenzgebiet der „Historischen Metrologie“ betrat, indem er im Sommer 1894 in die „Gewichts-, Münz- und Maßsysteme des Altertums in ihrem Zusammenhang betrachtet“ einführte (desgleichen im Sommer 1896). Von der thematischen Breite des Vorlesungsangebotes von Michael Tangl zeugte auch sein Kolleg über „Geld- und Münzwesen im Mittelalter“, das er im Winter 1899/1900 zweistündig hielt, aber später nie wiederholte. Dieses Gebiet sollte von 1908 an regelmäßig von einem Spezialisten, von Kurt Regling (1876–1935), seit 1921 Honorarprofessor, übernommen werden, der eine Vorlesung über „Antike Münzbilder, mit Übungen zur Einführung in die Münzkunde“ verband (desgleichen im Winter 1908/09 und im Sommer 1910), auch las er „Antikes Münzrecht“ (Sommer 1909), trug über „Münzen und Medaillen“ mit Lichtbildern (!) im Wintersemester 1909/10 vor und interpretierte „Die antike Münze als Geschichtsquelle“ (Sommer 1914). Im Münzkabinett hielt er wiederholt „Übungen“ zu besonderen münzkundlichen Fragen ab (vom Wintersemester 1914/15 an bis mindestens 1928). Reglings numismatische Übungen wurden durch diejenigen Tassilo Hoffmanns (1887–1951) abgelöst, der sich am 1. April 1936 für Numismatik habilitierte und bereits im Sommer 1936 u. a. eine „Einführung in die Münzkunde“ ankündigte, die er im Münzkabinett des Kaiser-FriedrichMuseums (heutiges Bode-Museum) durchführte; ferner las er nun „Ausgewählte Kapitel der Münzgeschichte des Deutschen Mittelalters“. Nicht nur Tassilo Hoffmann mit seiner „Brandenburg-preußischen Münzgeschichte“, der „Symbolik der Mittelaltermünzen“ und „Ausgewählten Kapiteln der deutschen und nordischen Mittelaltermünzen“ (alles im WS 1936/37), sondern auch Josef Liegle betätigte sich intensiv auf dem Felde der griechischen und römischen Numismatik. Hoffmann setzte seine von Übungen im Münzkabinett begleiteten Bemühungen um eine stärkere Berücksichtigung dieser
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Hilfswissenschaft bis 1940 mit ähnlicher, 1938 noch durch die „Brakteaten der Stauferzeit“ ergänzter Thematik fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Arthur Suhle die numismatischen Lehrveranstaltungen, die er im SS 1947 mit einer „Einführung in die europäische Münzkunde“ begann und bald zu einer „Geld- und Münzgeschichte im Zusammenhang mit der Wirtschaftsgeschichte Mitteleuropas während der Stauferzeit“ (SS 1950) ausweitete. Suhles Lehrangebot umfaßte eine seltene Themenvielfalt, die hier nur angedeutet werden kann: Neben einer mit der „Münz- und Geldgeschichte des Mittelalters“ abwechselnden „Münz- und Geldgeschichte der Neuzeit“, hielt er „Spezialseminare über Territorialgeschichte auf numismatischer Grundlage“ ab und befaßte sich auch mit der „Entwicklung der Medaille von der Renaissance bis zum Klassizismus“ oder mit dem „Antiken Münzund Geldwesen“. Sein letztes numismatisches Kolleg fand im WS 1961/62 an der Humboldt-Universität statt. An der Freien Universität Berlin fehlte ein Numismatiker ebenso wie ein mit dem in Ost-Berlin befindlichen Münzkabinett vergleichbares Forschungsinstrument. Nur gelegentlich gab es Lehrveranstaltungen wie diejenige von Bruno Schultz über „Geldgeschichte in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert“ (SS 1961), doch vom WS 1971/72 an immer wieder eine Einführung in die Hilfswissenschaften der Alten Geschichte, also neben Epigraphik vor allem in die antike Numismatik. 8. Chronologie (Zeitberechnungslehre): Die ersten Vorlesungen dieser Disziplin veranstaltete im Winter 1821/22 der eben zum außerordentlichen Professor für Astronomie, Geographie und Chronologie ernannte Christian Ludwig Ideler (1766–1846), „lesendes“ Akademiemitglied seit 1813 und herausragender Experte seines Faches. Er trug variierend, vier- und manchmal auch sechsstündig, über „Die Zeitrechnung der Juden, Christen, Mohamedaner und asiatischen Völker“ oder über „Chronologie der Ägypter, Babylonier, Griechen und Römer“, auch der neueren Völker sowie der Araber und Perser, zuletzt im Sommer 1845 auch über die der Hindus vor. Danach scheint die Chronologie im Lehrangebot der Universität zunächst unberücksichtigt geblieben zu sein. Das änderte sich erst mit der Berufung von Philipp Jaffé (1819–1870) zum hilfswissenschaftlichen Extraordinarius, der dann von 1863 an jeweils im Sommersemester dreimal wöchentlich wieder „Römische und mittelalterliche Chronologie“ lehrte, zuletzt angekündigt für den Sommer 1870. Auch diese Vorlesung, wie die diplomatischen Kollegs, übernahm seit dem Winter 1873/74 Harry Breßlau mit der „Mittelalterlichen Chronologie“, was er im jährlichen Rhythmus bis in den Sommer 1881 durchführte, gelegentlich auch ergänzt durch Veranstaltungen des Privatdozenten Hans Droysen (1851 – um 1918), der die „Griechische und römische Chronologie“ hinzufügte. Vom Sommer 1882 an ging Breßlau dann zu den erwähnten „Elementen der mittelalterlichen Chronologie usw.“ über, vom Sommer 1890 an „Grundzüge“ genannt. Im Sommer 1883 und 1885 las Breßlau schließlich selbst „Römische und mittelalterli-
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che Chronologie“. Daneben scheint sich vom Winter 1885/86 an zugleich der Privatdozent Paul Ewald (1851–1887) mit einer „Allgemeinen Chronologie“ eingeführt zu haben, auch Karl Spannagel (1862–1937) las zweimal die „Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit“ (1893/94 und 1895/96), ehe er nach Münster ging, und brachte damit thematische Neuerungen. Als Tangl schließlich den Berliner Lehrstuhl für die Hilfswissenschaften übernahm, bezog er auch die „Zeitrechnung des Mittelalters und der Neuzeit“ in sein Vorlesungsprogramm mit ein (erstmals im Winter 1898/99). Bis in den Winter 1910/11 wiederholte er diese Vorlesung insgesamt sechsmal, nahm sie vom Sommer 1912 an zunächst als „Chronologie (Mittelalter und Neuzeit)“ wieder auf, um sie unter ihrer früheren Bezeichnung bis ins Wintersemester 1918/19 noch viermal fortzuführen. Ergänzend las Hermann Dessau vom Winter 1897/98 bis Winter 1918/19 mindestens achtmal eine „Chronologie der Völker des Altertums“, gelegentlich eingeschränkt auf die „Zeitrechnung der Griechen und Römer“. Nach Tangls Tod gab der aus Marburg nach Berlin berufene spätere Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Albert Brackmann, zum ersten Male im Winter 1923/24 einen Überblick über „Geschichte der Zeitrechnung vom Altertum bis zur Neuzeit“, doch weitergeführt hat er diese Vorlesung nicht, die nach ihm Ernst Perels als „Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit“ anbot (vom Sommer 1925 an bis Sommer 1934). Auf einem Nebengebiet führte Walter Lehmann den Chronologie-Unterricht weiter, in dem er über die „Zeitrechnung der Maya-Völker“ (Sommer- und Wintersemester 1938 und 1938/39) vortrug. Ein weniger exotisches Kolleg über die „Zeitrechnung des Mittelalters und der Neuzeit“ hielt Eugen Meyer erst 1940, desgleichen zum letzten Male im SS 1944 in Berlin. An der Humboldt-Universität hielt erst wieder im SS 1951 Helmut Plechl ein Kolleg über „Zeitrechnung im Mittelalter“ ab, dann Willy Flach („Chronologie“, Herbst 1956/57) und schließlich Berent Schwineköper 1958/59 in Verbindung mit der Siegel- und Wappenkunde. Wenn Johannes Schultze sich an der Freien Universität Berlin nicht gerade paläographisch-diplomatischen oder aktenkundlichen Fragen widmete, lehrte er (vom Sommersemester 1951 an) auch „Chronologie“, später „Zeitrechnung und Kalender“ genannt, wobei er bis in sein letztes Wintersemester 1969/70 hinein wie Meyer das Mittelalter und die Neuzeit gemeinsam behandelte. Das Altertum berücksichtigte Ruth Stiehl (angekündigt für das WS 1964/65).
Schlußbemerkungen Die Historischen Hilfswissenschaften würden auch in Berlin wieder an Beliebtheit gewinnen, wenn die Quellenferne der heutigen Geschichtswissenschaft an den Universitäten und Hochschulen ab- und nicht nur der viel
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beredete Mut zu interdisziplinären Forschungen, sondern auch die dafür nötigen hilfswissenschaftlichen Kenntnisse zunähmen. Völlig „rein“ betriebene Forschungen wird es zwar immer geben müssen, sie sind notwendig, um die Grundlagen der einzelnen hilfswissenschaftlichen Disziplinen zu verbessern, doch sollten intensiv betriebene Spezialarbeiten auf diesem Gebiet eher die Ausnahme und angewandte, vergleichende Untersuchungen künftig die Regel bilden, zumal der Austausch mit den Nachbardisziplinen höchst ertragreich sein kann. Wissenschaftliche Arbeit in „klösterlicher“ Abgeschiedenheit ist den „kommunikativen“ Hilfswissenschaften trotz des Antiquarischen, das ihnen oft anhaftet (oder eben deshalb?), ganz wesensfremd. Die Hilfswissenschaften gehören insgesamt nicht allein den Geisteswissenschaften an, sondern sind auch den Naturwissenschaften zuzurechnen, denkt man an biologische Fragestellungen in der Genealogie oder an astronomische Methoden in der Chronologie, so daß ihnen eine Mittlerfunktion zukommt. Hilfswissenschaftliche Arbeitsmethoden sind empirisch, ihre Ergebnisse kontrollierbar und die hier gewonnenen Erfahrungen sollten, wie im Handwerk, übend und nicht allein in Lehrbüchern weitergegeben werden. So wirken sie auf die Methodologie der Geschichtswissenschaft „positiv“, das heißt stabilisierend ein und helfen ihr zugleich, sich neue Gebiete grenzüberschreitend zu erobern.107
107
Vgl. Wilhelm Voßkamp, Grenzüberschreitende Interdisziplinarität als Chance für das Studium in den 90er Jahren? (= Studieren in den neunziger Jahren: Was – Wozu – Wie lange?; Hochschulrektorenkonferenz. Dokumente zur Hochschulreform 6), Augsburg 1990, S. 37–49.
Der Herold und seine Bücher Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin* Unter Mitarbeit von Petra Hauke
I Am Hubertustag des Jahres 1869, als der Verein in Berlin gegründet wurde, waren die Umstände dafür offenbar wenig verheißungsvoll, denn leider war das Lokal unglücklich gewählt und das Wetter so schlecht, daß von den Eingeladenen nur der Hauptmann a. D. v. Linstow, Geheimer Registrator Dr. Brecht, Premier-Lieutenant a. D. Max Gritzner und Hofgraveur C. Voigt gekommen waren1. So berichtete Friedrich Warnecke als Einladender am 12.11.1869 dem Numismatiker Dr. Grote in Hannover über die Gründungssitzung des Vereins für Wappen-, Siegel- und Familienkunde in Berlin am 3. November 1869 im Café Jacobi, unweit der Potsdamer Brücke. Vom 1. Januar 1870 erst führte der Verein den Namen Herold2 und entwickelte sich bald weit günstiger, als es selbst seine beherzten Gründungsmitglieder ahnen konnten – die Zahl seiner Mitglieder überstieg bereits 1882 fünfhundert, 1907 waren es über tausend. Damals war Berlin zum Sammelpunkt deutschen kulturellen Lebens geworden. Nicht so sehr der preußische als der weltbürgerliche Geist des Ortes hat dann auch bis heute in der Gemeinschaft gewirkt, die hier entstand und die sich vom ersten Tage an dem ganzen Deutschland, ja der gesamten fachwissenschaftlichen Welt verbunden und verpflichtet fühlte3. Die Geschichte der Vereinsgründung ist hinreichend be*
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Erstmals erschienen in: Bibliographie und Berichte, Festschrift für Werner Schochow, hrsg. von Hartmut Walravens, München 1990, S. 34–122, hier allerdings um den III. Teil von Gabriele Jochums verkürzt. Er enthält auf den Seiten 60–122 eine annähernd vollständige Titelliste der ältesten Bücher der Herold-Bibliothek vom 15.– 18. Jahrhundert, zumeist Rara, aber nachgewiesenermaßen auch einige Unica, die dem Kenner einen besseren Eindruck in den außergewöhnlichen Reichtum dieser Spezialbibliothek gewähren, als es die Darstellung vermag, deren Aufzählung hier aber zu weit führen würde. Gustav A. Seyler: Bericht über die Tätigkeit des Vereins Herold in den ersten 25 Jahren seines Bestehens (1869–1894). Berlin 1894, S. 5; vgl. auch von dems.: Chronik des Vereins Herold 1869–1909. Berlin 1909, S. 3. Seyler: Bericht, S. 9. Heinz Hugo: Der Herold in Berlin. Hundert Jahre deutschen Vereinslebens für Heraldik und Genealogie in: Archiv für Sippenforschung. 35.1969, S. 197–202, hier S. 197.
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kannt, auch der weitere Verlauf ist anläßlich von Herold-Jubiläen mehr oder weniger ausführlich dargestellt worden4, während man die Geschichte seiner im wesentlichen erhalten gebliebenen Bibliothek darüber zumeist vergaß. Ihre Anfänge sind heute kaum noch aufzuhellen, obwohl zwar die Bücher, nicht aber die Vereinsakten überdauert haben, sieht man von einigen Nachkriegs- und wenigen älteren Erwerbungsunterlagen einmal ab. So bleiben neben den gedruckten Katalogen aus der Anfangszeit nur die Meldungen späterer Neuerwerbungen in den Vereinszeitschriften und wenige redaktionelle Hinweise auf die Bibliothek, die hier anhand mehr oder weniger beiläufig gemachter Notizen aus älteren Jahrgängen und neueren Akten zusammengetragen worden sind. Sie bieten keine vollständige Bibliotheksgeschichte, gewähren aber doch einen ersten Einblick in die Schicksale einer der ältesten erhalten gebliebenen Spezialbibliotheken Berlins, die heute zugleich den Anspruch erheben kann, für die von ihr betreuten Fächer die wichtigste Deutschlands zu sein. Der Aufbau einer Bibliothek scheint von Anfang an geplant gewesen zu sein, sonst wäre nicht Maximilian Gritzner bereits am 2. März 1870 zum Vereinsbibliothekar gewählt worden, der am 2. August allerdings schon durch den Wappenmaler Winkler abgelöst wurde. An seine Stelle trat am 7. November 1871 noch der Rentier Dr. F. A. Leesenberg, ehe ab Januar 1872 schließlich der jeweilige Redakteur der Zeitschrift auch zum Bibliothekar bestimmt wurde; damit übernahmen von 1872–1874 Gustav A. Seyler, seit dem 1. Mai 1874 Ludwig Clericus und vom 1. April 1880 bis zu seinem Tode (am 30.3.1918) Adolf Matthias Hildebrandt dieses Nebenamt. Die Bibliothek wuchs anfangs langsam dank Geschenken und Tauschexemplaren, darüber hinaus bemühte man sich erfolgreich um Zuwachs: 1871 wurden im Deutschen Herold die damaligen 83 Mitglieder des Vereins5 aufgefordert, der Vereinsbibliothek unentgeltlich Veröffentlichungen über ihre Familien6 zu überlassen. Am Ende desselben Jahres wurde ein ganz unerwarteter Zuwachs erwähnt, den die Vereinsbibliothek durch den von Herrn Gustav Seyler zu Würzburg in anerkennenswerter Weise vermittelten Austausch der Zeitschrift und durch Geschenke erhalten habe7, ohne allerdings Zahlen zu nennen. Schon am 5.9.1871 wurde der Vorstand dann gebeten, doch in Erwägung zu ziehen, ob es nicht angemessen sein dürfte, für den Verein ein geschlossenes, zugleich zur Aufnahme der Bibliothek und Sammlungen des Vereins geeignetes Zimmer in einem anständigen Privathaus zum Sitzungszimmer des Vereins zu mieten8. Dazu scheint es zunächst noch nicht 4
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Vgl. die weiteren Nachweise bei Eckart Henning, Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Köln u. Wien 1984, S. 378 f. Der Deutsche Herold. 2.1871, S. 83. A. a. O., 2.1871, S. 49. A. a. O., 2.1871, S. 88. A. a. O., 2.1871, S. 70.
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gekommen zu sein, trotz des allseitigen Wunsches, daß die Benutzung der Bücher durch Aufstellung in dem neuerdings gemieteten Vereinslokale erleichtert und so wenigstens an den Sitzungstagen der Gebrauch derselben ermöglicht werde9. Bibliothekar Leesenberg sagte die nötige Anschaffung der Lesemappen zu, sowie die eines Schrankes zur Aufstellung der Vereinsbibliothek, welche in dem neuen Lokal – damals vermutlich Café Zeunig, Leipziger Straße 111 – möglich sei10. Die Bibliothek sollte noch mehrfach die Vereinslokale wechseln und dabei bereits die ersten Bindekosten verursachen; Seylers Tätigkeitsbericht für die ersten 25 Vereinsjahre weist für 1873 zum ersten Male 158,85 M Buchbinderlohn aus – eine Summe, die sich bis 1893 auf mehr als 300,– M erhöhte. Ausgaben für angekaufte Bücher tauchen erstmals 1876 in Höhe von 90,– M auf und steigen dann bis 1890/91 allmählich auf 1700,– M11. Im Vorbericht zu seinem ersten, bei W. Elsner in der Wilhelmstraße 32 im Jahre 1874 gedruckten Catalog der Bibliothek des Vereins „Herold“ zu Berlin (Abb. 4), der auf 28 Seiten immerhin schon 591 Titel verzeichnete, stellte Ludwig Clericus bekümmert fest: Die äußeren Schicksale der Bibliothek waren deren Entwicklung bisher nicht günstig. Es fehlte an einem geeigneten Local, in dem dieselbe vereinigt hätte Aufstellung finden können, es fehlte an einem übersichtlichen Kataloge und an jeder Controlleinrichtung über den Verbleib verliehener Bücher. Außerdem sind durch Verschulden hiesiger, inzwischen ausgetretener, Mitglieder mehrere Mappen mit periodisch erscheinenden Schriften, die früher kursierten, ganz verloren gegangen, so daß diese letztern erhebliche Lücken erfahren haben, die noch nicht ausgefüllt sind. Einzelne Werke sind von den Entleihern bisher nicht zurückzuerhalten gewesen, so daß ihre Titel entweder gar nicht, oder nur mangelhaft in den Katalog haben aufgenommen werden können. Als Clericus dieses niederschrieb, war man offenbar von einer Gasthausaufbewahrung der Bücher bereits abgegangen Sie waren jetzt vollzählig im Redaktionslocal vereinigt, das sich damals in Berlin S, Neue Jacobstraße 17 I befand. Dort wohnte Clericus auch selber, sonst hätte er Benutzern der Bibliothek nicht raten müssen: Zur flüchtigen Einsicht der gewünschten Bücher empfiehlt sich die Vormittagszeit als die sicherste, den Bibliothekar zu Hause anzutreffen. Feste Benutzungszeiten gab es sichtlich noch nicht. Sollten Mitglieder allerdings ein Buch mehr ab flüchtig ansehen oder es gar vollständig lesen wollen, durften sie es sich statutenmäßig auf 14 Tage auch nach Hause nehmen, gegen Ausstellung einer Quittung. Auf diesen Catalog folgte ein schlichteres Verzeichniß der Bücher und Schriften-Sammlung des Vereins Deutscher Herold, das wiederum Clericus als Bibliothekar im Oktober 1877 zum Stiftungsfest am 3. November desselben Jahres vorlegte; es hatte bereits 44 Seiten Umfang und wurde nun bei Julius Sittenfeld (Berlin W, Mauerstraße 63–65) 9 10 11
Wie Anm. 75. Wie Anm. 75. Seyler: Bericht (wie Anm. 69), S. 52, Anl. 3.
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Abb. 4: Catalog der Bibliothek des Vereins „Herold“ in Berlin. Berlin 1874.
gedruckt. Es enthielt überschriftslos eine Art Benutzungsordnung für die offenbar noch immer in seiner Privatwohnung untergebrachten Bücher; diese Hinweise sollen hier wiedergegeben werden: Die Bibliothek kann von jedem Vereinsmitgliede benutzt werden entweder an Ort und Stelle Vormittags, auch nach vorhergegangener Verabredung, Nachmittags, oder durch Entleihen der einzelnen Bücher.
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Der Herold und seine Bücher Manuscripte werden nicht verliehen. Auf Bestellung werden die Bücher auch durch die Post hiesigen und auswärtigen Mitgliedern zugesandt. Die Hin- und Rücksendung erfolgt auf Kosten der Besteller. Dieselben haben ausserdem bei der Bestellung 20 Pf. in Freimarken beizulegen, 10 Pf. für die Emballage, 10 Pf. für das dem Postbeamten zu entrichtende Bestellgeld. Die Entleihungsfrist beträgt vier Wochen. Nach Ablauf derselben ist eine Verlängerung der Frist gestattet, wenn das betreffende Buch nicht anderweitig verlangt, oder sonst dringend gebraucht wird und wenn die Entleiher sich selbst rechtzeitig um die Prolongation bewerben. Die Kosten der dabei entstehenden Korrespondenz tragen die Entleiher. Noch ungebundene Bücher werden nicht verliehen. Nichtmitglieder des Vereins können ausnahmsweise Bücher entleihen, wenn sie dem Bibliothekar von Person bekannt sind, oder Bürgschaft stellen.
Da das Verzeichniß der Bibliothek, von der Clericus noch im Catalog schrieb, daß sie bald nach der Bildung des Vereins aus überaus kleinen Anfängen entstanden sei, 1877 bereits mehr als doppelt soviele Titel wie 1874 aufwies, nämlich insgesamt 1346, lohnt es sich allmählich, ihre zahlenmäßige Verteilung auf einzelne Fachgebiete in der Sachgliederung dieser Zeit zu verfolgen: I. Heraldik, überwiegend theoretische Werke (Nr 1–50), Wappenbücher (Nr 51–147), Specialia über den Doppeladler, die deutschen Farben und die Reichs-Kleinodien (Nr 148–161), Literatur der Ritter-Orden (Nr 162–180); II. Genealogie, allgemeine Adels- und Familiengeschichten (Nr 181–354), Familiengeschichten, Stammtafeln etc. (Nr 355–506), Hochzeits- und Begräbnis-Predigten und Reden auf f(o)lg(en)de (Nr 507–665), Biographien etc. (Nr 666–688); III. Sphragistik, theoretische und praktische Werke (Nr 689–724), Original-Urkunden (Nr 725–727), Numismatik (Nr 728–753); IV. Geschichte, allgemeine Geschichte, Statistik usw. (Nr 754–955), Literatur der geistlichen Stifter, Kirchen etc. (Nr 956–971), Städte-Literatur (Nr 972–1000), Militaria (Nr 1001–1023); V. Periodische Zeitschriften, Vereins-Organe (Nr 1024–1258); VI. Varia (Nr 1259–1346). Erst im Jahre 1884 wurde für die Bibliothek ein eigener Raum gemietet, und zwar in Berlin W, Friedrich-Wilhelm-Straße 4 (Hof, Parterre), wo ab 20. November zur genannten Stunde – das war am Mittwochnachmittag von 14.00–17.00 Uhr und am Samstagvormittag von 9.00–12.00 Uhr – ein Lesezimmer zur Verfügung stand, die Vereinsferien ausgenommen12. Im selben Jahr legte Adolf Matthias Hildebrandt auch einen neuen Katalog der Vereinsbibliothek vor, der in Anbetracht nicht unerheblicher Druckkosten nicht gratis, sondern für den verhältnismäßig niedrigen Preis von 12
Der Deutsche Herold. 15.1884, S. 147.
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50 Pfennigen abgegeben wurde13. Den ungefähren räumlichen Umfang der Vereinsbibliothek konnte man der Umzugsmeldung des Bibliothekars entnehmen, der in diesem Zusammenhang erwähnte, daß der einzige Schrank, der vor ca. 10 Jahren die ganze Büchersammlung des Vereins aufnehmen konnte, noch den Umzug mitgemacht habe, zu dessen Bewältigung diesmal zwei zweispännige Möbelwagen erforderlich waren14. Die Prämienhöhe der (Feuer-)Versicherung für die Bibliothek hatte bereits zwei Jahre zuvor 10 000 Mark erreicht (1882), während die Sammlungen des Vereins (Handschriften, Urkunden, Medaillen, Siegel, Gipsabgüsse, Kupferstiche und Fotografien) mit 15 000 Mark (1886) veranschlagt wurden15. Die Mitglieder waren durch den gedruckten Katalog über den Inhalt ihrer Vereinsbibliothek unterrichtet, Neuerscheinungen wurden ihnen etwa seit Mitte der achtziger Jahre in der Bücherschau des Deutschen Herold in kritischer Auswahl vorgestellt16, ferner in besonderen, von der Fachbuchhandlung J. A. Stargardt (Berlin W, Zimmerstraße 19) für den redaktionellen Teil zusammengestellten Titellisten angeboten; mit der Aufsatzliteratur machten regelmäßige Auszüge aus den Inhaltsverzeichnissen heraldischer, genealogischer etc. Zeitschriften den Leser bekannt. Zugänge für die Bibliothek, vielfach Geschenke, wurden oft in den Sitzungsberichten erwähnt. 1889 wird ein Nachtrag zum bisherigen Verzeichnis der Bücher- und Schriften-Sammlung notwendig, der für 35 Pfennige zu haben war; zusammen mit dem Hauptverzeichnis kostete er 85 Pfennige17; 1897 erhöhte sich der Preis für das Verzeichnis der Bücher und Schriftensammlung auf 1,– Mark18. Da auch die Ausleihen, besonders an auswärtige Mitglieder, zunahmen, schien es nun an der Zeit, auch die Standardmahnung aller Bibliotheken an diejenigen Vereinsmitglieder zu richten, welche seit längerer Zeit Bücher aus der Vereinsbibliothek entliehen haben, nämlich unter Hinweis auf § 5 der Bestimmungen, betr. die Benutzung der Bibliothek, diese bald zurückzugeben – worum ergebenst ersucht19 wurde. Im Jahre 1895 wurde darauf hingewiesen, daß die Entleihfrist 4 Wochen beträgt und Fristverlängerung nur gewährt werden könne, wenn die Entleiher sich selbst rechtzeitig um die Prolongation bewerben20. Offenbar war die Benutzung recht rege, so daß man die dem Verein gehörenden Bücher auch durch ein Bucheignerzeichen sichern wollte. 13
14 15 16 17 18
19 20
Verzeichnis der Bücher- und Schriften-Sammlung des Vereins Herold. Berlin: J. Sittenfeld 1884, 142 S., Nachtr. 1889, 48 S. Vgl. auch Der Deutsche Herold. 15.1881 S. 148. Der Deutsche Herold. 16.1885, S. 3. Seyler: Bericht (wie Anm. 69), S. 43 u. Der Deutsche Herold. 17.1886, S. 33. Vorbemerkung a.a.O., 20.1889, S. 183. Der Deutsche Herold. 20.1889, S. 46, s. auch Anm. 81. Verzeichnis der Bücher- und Schriften-Sammlung des Vereins Herold. Berlin: J. Sittenfeld 1897, Nachtr. 1901; vgl. Der Deutsche Herold. 29.1897, S. 27. Der Deutsche Herold. 19.1888, S. 188. A. a. O., 26.1895, S. 111.
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Abb. 5: Exlibris der Bibliothek des Vereins Herold.
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Den Wettbewerb (1890) um den besten Entwurf eines solchen Vereinsbücherzeichens gewann Emil Doepler d. J. unter dem Stichwort Festhalten am Alten! 21. Sein Ex Libris-Entwurf wurde im Deutschen Herold ganzseitig als Beilage veröffentlicht (Abb. 5), und es wurden alle weiteren Neuzugänge damit gekennzeichnet – vermutlich bis zum ersten Weltkrieg. Ein als Anlage zu einem Sitzungsbericht im Jahre 1897 gelieferter Bericht über die Bibliothek gibt Einblick in ihren Zustand: Die Bibliothek des Vereins hat sich auch im vergangenen Jahre durch zahlreiche Geschenke der Mitglieder, sowie durch Ankauf älterer und neuer Werke erheblich vermehrt, ebenso durch Eingang der Publikationen derjenigen auswärtigen Vereine, mit denen der „Herold“ in Tauschverkehr steht, und deren Zahl sich gegenwärtig auf 120 beläuft. Die rasche Vermehrung der Bände hat die Herausgabe eines neuen Kataloges veranlaßt, der unlängst erschienen ist, obgleich von dem alten Bücherverzeichniß noch über 400 Exemplare auf Lager sind. Aus dem neuen Kataloge ist der Zuwachs unserer Sammlungen am Besten ersichtlich: so z. B. weist der frühere Katalog unter: Abth. E. (Allg. über Genealogie) 206 Nummern, der neue 412 Num mern auf, also genaue Verdoppelung; Abth. F. (Fam.-Gesch.) 285, jetzt 734 Nummern; Abth. M. (Allg. Gesch.) 162, jetzt 339 Nummern. In ähnlichem Verhältniß haben sich die übrigen Abtheilungen vermehrt. Die Gesamtzahl der Bücher (nicht der Bände) betrug am 1. November 3542. Die Aufbewahrung und Benutzung der z. Th. umfangreichen Werke ist in dem bisherigen Lokal mit immer größeren Schwierigkeiten verbunden, und es wird deshalb im nächsten Jahre die Beschaffung eines geräumigen und helleren Bibliotheksraums nothwendig werden22. Diese Ankündigung scheint 1898 in die Tat umgesetzt worden zu sein, jedenfalls befand sich die Bibliothek ab 1. Oktober in Berlin W, Kleiststraße 4, Quergebäude I; die Öffnungszeiten blieben dieselben, ebenso wie ihr nebenamtlich tätiger Vereinsbibliothekar, nämlich noch immer Professor Ad. M. Hildebrandt, der die Bestände auch dort weiterhin betreute. Hier konnte nun auch das Bild des Altvorsitzenden, Regierungsdirektor Freiherr v. und zu Aufseß, gleich den Bildnissen der übrigen Herren Vorsitzenden, soweit dieselben zu beschaffen sind, in der Bibliothek des Vereins aufgehängt werden.23 Für die weitere Zunahme der Bestände spricht ein 1902 angekündigter Nachtrag zum Bücherverzeichnis24; ein vollständig neubearbeitetes erschien im Sommer 1904 für 1,70 Mark, einschließlich sämtlicher Neuerwerbungen 21 22 23 24
A. a. O., 21.1890, S. 73, 83f., 144 f. Der Deutsche Herold. 29.1897, S. 14. A. a. O., 31.1900, S. 2. A. a. O., 33.1902, S. 54.
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seit 189125. Dieses in Berlin wieder bei Julius Sittenfeld gedruckte Verzeichnis der Büchersammlung des Vereins Herold mit ungefähr 4300 Titeln, gegen Voreinsendung des Betrags beim Redakteur Hildebrandt, der im nächsten Jahr sein 25-jähriges Schriftleiter- und Bibliothekarjubiläum begehen konnte26, zu beziehen, sollte das letzte vollständige bleiben, das vom Verein seither publiziert worden ist. Aus ihm seien die vom Vorstand des Vereins beschlossenen Bestimmungen betreffend die Benutzung der Bibliothek des Vereins Herold hier wiedergegeben: § 1 Die Bibliothek kann von jedem Vereinsmitgliede unentgeltlich benutzt werden, entweder an Ort und Stelle, Berlin W, Kleiststraße No. 4, Quergebäude 1 Tr., Mittwochs 2–5 Uhr Nachmittags und Sonnabends 10–1 Uhr (ausgenommen während der Vereinsferien), oder durch Entleihen der einzelnen Bücher. (Gedruckte Empfangsbescheinigungen sind durch den Bibliothekar – z. Zt. Prof. Ad. M. Hildebrandt, Berlin W., Schillstr. 3 – zu beziehen). § 2 Handschriften, Prachtwerke, sowie Werke, welche aus losen Tafeln bestehen oder in der Bibliothek als Handexemplare gebraucht werden, und ungebundene Bücher werden nicht verliehen. Solche sind im Verzeichnis mit einem * bezeichnet. § 3 Auf Bestellung werden die Bücher auch durch die Post hiesigen und auswärtigen Mitgliedern zugesandt. Die Hin- und Rücksendung erfolgt auf Kosten der Besteller. Dieselben haben außerdem bei der Bestellung 30 Pf. (in Freimarken) beizulegen, 10 Pf. für die Verpackung, 20 Pf. für das dem Postbeamten zu entrichtende Bestellgeld. § 4 Für etwaige Verluste und Beschädigungen der Bücher haften die Entleiher. § 5 Die Entleihungsfrist beträgt vier Wochen. Nach Ablauf derselben ist eine Verlängerung der Frist gestattet, wenn das betreffende Buch nicht anderweitig verlangt, oder sonst dringend gebraucht wird und wenn die Entleiher sich selbst rechtzeitig um die Verlängerung bewerben. Die Kosten des dabei entstehenden Briefwechsels tragen die Entleiher. Werden entliehene Bücher nach zweimaliger Aufforderung nicht zurückgegeben, so ist der Bibliothekar befugt, dieselben neu anzuschaffen und den Kostenbetrag von den Entleihern einzuziehen.
Diesen Bestimmungen war zur gefälligen Beachtung noch folgender vielsagender Hinweis beigedruckt: Da die Bibliothek besonders während der Wintermonate stark benutzt wird und fast alle Bücher nur in einem Exemplar vorhanden, daher nicht immer verfügbar sind, empfiehlt es sich, eine größere Anzahl Werke gleichzeitig zu bestellen und die Auswahl dem Bibliothekar zu überlassen. Bei Bestellungen wolle man die Abteilung, Nummer, Format und ein Stichwort des Titels nach dem Katalog vom 25 26
A. a. O., 35.1904, S. 81. A. a. O., 36.1905, S. 60.
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Jahre 1904 angeben. Also z. B.: M. 166. 8 Limmer. Bei der Rücksendung wolle man die Pakete adressieren: An die Bibliothek des Vereins Herold, Berlin W, Kleiststr. 4. Quergebäude (nicht an den Bibliothekar persönlich!). In der Regel werden nicht mehr als sechs bis acht Bände auf einmal ausgeliehen.
Zu dem 1904 veröffentlichten Bibliotheksverzeichnis sollten noch zwei Nachträge erscheinen, und zwar 1909 (mit rd. 900 Titeln) und 1917 (mit rd. 1200 Titeln), beide im Fachverlag von C. A. Starke in Görlitz gedruckt. Auch in der Zeitschrift wurde weiterhin regelmäßig in den Sitzungsberichten über Buchgeschenke und -ankäufe, ferner in der Bücherschau (Kurzreferate), vor allem aber in einer speziellen Rubrik mit wechselnden Bezeichnungen wie Vermehrung der Büchersammlungen des Vereins Herold 27 oder Neue Erwerbungen der Vereins-Bibliothek28 oder Für die Vereins-Bibliothek wurde angekauft berichtet29. Alle diese Erwerbungen zeigen die Kompetenz des Vorstandes bei der Auswahl der Neuerscheinungen. Eine Trennung zwischen Bibliotheksgut im engeren Sinne und den archivalischen Sammlungen des Vereins fand nicht statt; auch das 1884 begründete, heute wegen seiner Recherchierungsmöglichkeiten berühmte Wappenbilderlexikon (in Karteiform) wurde im Jahre 1907 in der Vereinsbibliothek untergebracht30. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatten die Buchbestände des Vereins für die Klärung von Spezialfragen offenbar eine solche Bedeutung erlangt, daß sich auch das Königliche Kunstgewerbemuseum dafür zu interessieren begann; erste Kontakte zwischen ihm und dem Verein hatten schon die großen heraldischen Ausstellungen der Jahre 1879, 1882 und 1894 erbracht31. Daher konnte der Verein seine bisher privat angemieteten Räume mit einem Nebengebäude des Martin-Gropius-Baus32 vertauschen, in das die Bibliothek Ende September 1913 einzog. Die neue Anschrift lautete nun: Berlin SW, Prinz-Albrecht-Straße 7a, Königliches Kunstgewerbemuseum33. In der Vorankündigung des Umzuges war noch warnend auf die zu ersteigenden 3 Treppen verwiesen worden, tatsächlich waren es dann sogar 4 Treppen, eine gewisse Erschwernis der Benutzung, die im übrigen wie bisher auf Mittwoch von 14.00–17.00 und Sonnabend von 10.00–13.00 Uhr beschränkt blieb. In den Ferien schloß die Bibliothek. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges kamen neue Einschränkungen hinzu: sei es aus Personal- oder Sicherheitsgründen; die Vereinszeitschrift wiederholte ständig den Hinweis: 27 28 29 30 31 32
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Etwa Der Deutsche Herold. 38.1907, S. 138. A. a. O., 40.1909, S. 150. A. a. O., 42.1911, S. 2. A. a. O., 38 1907, S. 94. Henning/Jochums (wie Anm. 72), S. 383. Vgl. Geheimrat Peter Jessens Schrift: Die staatliche Kunstbibliothek (vormals Bibliothek des Kunstgewerbemuseums); als Handschr. gedr. Abschiedswort. Berlin 1923, s. Der Deutsche Herold. 56.1925, S. 10. Der Deutsche Herold. 44.1913, S. 171 u. 251.
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Während der Dauer des Krieges können Bücher nicht ausgeliehen werden, doch ist unser Bibliothekar stets zu jeder gewünschten Auskunft bzw. Besorgung von Abschriften bereit34. Arbeitsbesuche in der Bibliothek blieben durchführbar, unterstützt durch Prof. Hildebrandt. Die Vereinssitzungen wurden übrigens nicht im Museum, sondern auch weiterhin in wechselnden Gaststätten abgehalten. Als das Kunstgewerbemuseum im Jahre 1921 den Martin-Gropius-Bau verließ, um in das Berliner Stadtschloß umzuziehen, blieb die Herold-Bibliothek zunächst in ihrem Gebäude, das zu einem Bibliotheks-Trakt für die 1924 selbständig gewordene Staatliche Kunstbibliothek (bis dahin zum Kunstgewerbemuseum gehörig) ausgebaut wurde35. Bei der Bücherei, die seit 1. Dezember 1921 von Dr. jur. Walter Freier geleitet wurde36, ist im Jahre 1923 auch eine Wappenrolle – die heutige Deutsche Wappenrolle – eingerichtet worden, mit deren Führung ebenfalls der Bücherwart betraut worden ist37. Doch der Vereins-Bibliothek, ab 17.9.1924 Mittwoch- und Sonnabendnachmittag von 14.00 bis 17.00 Uhr geöffnet –Leutnant a. D. Winckelsesser wird bereits als Hilfsbibliothekar erwähnt38 –, drohte im Sommer 1925 bereits ein neuer Umzug wegen des dem Vereine seitens der Verwaltung der Staatsmuseen auferlegten Zwanges, mit der Bücherei und den Sammlungen in ein anderes zur Zeit noch nicht völlig feststehendes öffentliches Gebäude überzuwechseln, woraus beträchtliche Unkosten erwachsen würden39. Die Bibliothek wurde zunächst geschlossen; das Amt des Bücherwarts, des Verwalters der Sammlungen und des Führers der Wappenrolle des Vereins übernahm ab 1. Juli 1925 Major a. D. Joachim v. Goertzke40. Das öffentliche Gebäude, das die Vereinsbibliothek aufnehmen sollte, war der erst 1924 eröffnete Neubau des Preußischen Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem, Archivstr. 12–14, in den Augen der Mitglieder, die sich damals im Berliner Kindlbräu am Kurfürstendamm 225–226 zu treffen pflegten, sicherlich j.w.d. gelegen! In Anbetracht des bevorstehenden Umzuges der Bibliothek wurde einstimmig be34 35
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A. a. O., 45.1914, S. 211; 46.1915, S. 11 u. a. Irene Kühnel-Kunze: Bergung, Evakuierung, Rückführung. Die Berliner Museen in den Jahren 1939–1959. Berlin 1984 (Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Sonderbd. 2), S. 142. Der Deutsche Herold. 53.1922, S. 8. A. a. O., 54.1923, S. 20. A. a. O., 55.1924, S. 17. Der erwähnte Leutnant W. ist der langjährige spätere Schriftführer und Redakteur des Vereins Herold nach dem 2. Weltkrieg, Rittmeister a. D. Kurt Winckelsesser (1898–1971), der dem Autor am 9.1.1968 als stellvertretendem Schriftführer die Betreuung der Vereinsbibliothek (Tauschpartner usw.) neben Hedda Wetzstein und schließlich die Schriftleitung der Vierteljahrsschrift Herold (NF. 7, H. 5, 1970, S. 97 ff.) übertrug. Vgl. den Nachruf von Heinz Hugo, in: Vierteljahrsschrift Herold. N. F. 1969–1971, S. 312–315. Der Deutsche Herold. 56.1925, S. 48. A.a.O., S. 64.
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schlossen, eine einmalige außerordentliche Umlage von 10,– RM zu erheben41. Im März 1926 konnten dann die Bücher und Sammlungen des Vereins wieder regelmäßig und zwar jeden Dienstag von 13.00–16.00 Uhr nachmittags und jeden Mittwoch von 11.00 bis 13.00 vormittags den Mitgliedern zugänglich gemacht werden. Die folgenden Informationen und Verhaltensmaßregeln hielt der Vorstand ihnen gegenüber damals für angebracht: Im Geheimen Staatsarchiv hat die Bücherei einen besonderen Nebenanschluß: Steglitz 4262. Für die Mitglieder des Vereins werden zur Benutzung der Bücherei besondere Ausweiskarten (Mitgliedskarten) ausgegeben, die von dem Vereinsschatzmeister, Rechnungsrat Karl Haesert, Berlin-Wilmersdorf, Kaiserallee 173 II., erhältlich sind. Zum Erhalt ist die Einsendung eines Lichtbildes in Besuchskartengröße (unaufgezogen) notwendig. Bei nur gelegentlichem einmaligen Besuche der Bücherei ist die Mitführung einer Ausweiskarte eher entbehrlich, bei häufiger Benutzung empfiehlt sie sich, ist überdies von der Leitung des Geh. Staatsarchivs vorgeschrieben. Auch sonst ist die amtliche ,Hausordnung‘ innerhalb des Gebäudes genau zu beachten. Der Vorstand macht die Mitglieder des Vereins noch besonders darauf aufmerksam, daß der „Herold“ mit seiner Bücherei und seinen Sammlungen Gast des Geh. Staatsarchivs ist, so daß die größte Höflichkeit im Verkehr mit den Beamten usw. des Archivs als selbstverständliche Pflicht erscheint“ 42. Offenbar haben sich die Vereinsmitglieder diesen Appell sehr zu Herzen genommen, denn ihre Bibliothek blieb immerhin neun Jahre in besonderen Räumen dort aufgestellt, bis das Archiv Eigenbedarf anmeldete. Bücher und Sammlungen des Herold mußten daher zum 1. April 1934 erneut verlegt werden, übrigens auch zum Kummer der Archivbeamten, die die heraldische und genealogische Spezialliteratur des Vereins nicht erst schätzen gelernt hatten, als sie alle dazu verdammt waren, „arische Großmütter“ usw. zu suchen. Dieses Mal zog die Vereinsbibliothek zurück in die Innenstadt, nach Berlin C 2, Breite Straße 36, ins ehemalige Marstallgebäude an der Spree43. Am 18. September 1934 standen die Bücher bereits wieder den Vereinsmitgliedern zur Benutzung im vierten Stock (Aufgang 4) an jedem Dienstag und Mittwoch von 13.00 bis 18.00 Uhr zur Verfügung und zwar in Räumen, die nach Zahl und Ausmaß jede frühere Unterbringung übertrafen44. Ihre Nähe zur Staats- und zur Stadtbibliothek sowie zum Stadtarchiv stellte einen von den Benutzern bald besonders geschätzten Vorzug gegenüber dem bisherigen Domizil im Geheimen Staatsarchiv dar. Inzwischen hatten die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, und mit ihnen erstanden auch dem Verein Herold Gefahren, die seine Existenz bedrohten, zumal seinem langjährigen, 1933 verstorbenen Vorsitzenden Kam41 42 43 44
A. a. O., 57.1926, S. 1. Der Deutsche Herold. 57.1926, S. 32. A. a. O., 65.1934, S. 36. A. a. O., S. 60.
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merherrn Dr. Stephan Kékulé v. Stradonitz als Freimaurer gerade keine besonderen „braunen“ Sympathien nachgesagt werden konnten. Es bedurfte schon eines großen Geschicks und eines festen Charakters, sich zwischen der Scylla staatlich gewünschten Vorspanndienstes für seine Kulturpolitik und der Charybdis der glatten Gleichschaltung hindurchzubringen ... 45, als der Verein erneut sein Bibliotheksquartier im Marstall im Jahre 1940 zugunsten eines Reichskolonialministeriums räumen mußte. Die obdachlose Bibliothek wurde nun vom Reichssippenamt in Verwaltung genommen mit der offenkundigen Absicht, sie in dessen Eigentum zu überführen. Da das Reichssippenamt bereits im Hause Oranienburger Straße 28 Diensträume unter Entfernung der ursprünglich untergebrachten Bibliothek der Jüdischen Gemeinde bezogen hatte, wurden der Bibliothek des „Herold“ dort Räume zugewiesen46. Nach dem Vertrag zwischen der NSDAP, vertreten durch ihren Schatzmeister, und dem Vorstand des Herold, der zunächst vom 1.4.1941 bis zum 31.3.1946 gelten sollte, übertrug der Verein in § 1 die Verwaltung und Betreuung der in seinem Eigentum verbleibenden Bücherei der NSDAP, Amt für Sippenforschung47. Sie erhielt dort zwei Verwaltungsräume und zwei Magazine zugewiesen, sowie zwei Bibliothekare: Die NSDAP stellt auf ihre Kosten zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Bücherei einen hauptamtlichen Bücherwart und eine Hilfskraft ein. Zur Wahrung der sich aus dem Eigentum des Herold an der Bücherei für diesen ergebenden Interessen stellt auch der Herold einen Bücherwart48 ein. Ihm liegt ob die Betreuung der Vereinsmitglieder bei dem diesen satzungsmäßig zustehenden Benutzungsrecht, sowie die Anforderung und Beschaffung der zur Erreichung der Vereinsziele notwendigen Bücher und Zeitschriften, sowie deren Unterhaltung im Einband 45
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Heinz Hugo: Heroldsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte. Vortrag gehalten anläßlich der 95. Gründungsfeier des Herold am 3.11.1964; SA S. 6. Aus einem Schreiben des 1. Schriftführers des Herold, Rechtsanwalt und Notar Lignitz vom 5.10.1945. Die folgende Darstellung beruht im wesentlichen auf Vereinsakten der Sachgruppen 41, 46 und 401 sowie auf persönlichen Berichten. Durchschläge der zitierten Korrespondenz befinden sich zumeist auch in den älteren Dienstakten des Geheimen Staatsarchivs, insbesondere in der 1. Hauptabt., Rep. 178 B 1.3, Nrn. 1565, 1704. Zur Erläuterung: Das „Reichsamt für Sippenforschung“ (RSA) war 1940 aus der „Reichsstelle für Sippenforschung“ (Bekanntmachung vom 5.3.1935, RMinBl., S. 99) hervorgegangen, die ihrerseits aus der Dienststelle des „Sachverständigen für Rassenforschung beim Reichsministerium des Innern“ erwuchs (1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11.4.1933, s. RGBI I, S. 195). Das Reichsamt hatte ursprünglich nichts mit der bereits 1931 von der NSDAP gegründeten NS-Auskunft zu tun, die im Amt für Sippenforschung in der Reichsleitung der NSDAP (siehe Herold-Vertrag) aufging. Beide Dienststellen, das RSA und das Amt für Sippenforschung, waren jedoch nur in Personalunion ihres Leiters (Dr. Kurt Mayer) miteinander verbunden. Bücherwart des Herold war Herr Oertzen, im Vereinsvorstand war Landesrat a. D. Curt v. Hugo als stellvertretender Schriftführer für die Bibliothek zuständig.
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nach Maßgabe des Bedürfnisses und der vorhandenen Mittel. An dieser erzwungenen Gemeinschaft, die natürlich für den Verein auch räumliche und finanzielle Vorteile bot, ist bis Kriegsende nichts geändert, der Verein insbesondere auch nicht aufgelöst worden (wobei sein Bibliotheksvermögen an dessen Betreuer gefallen wäre!). Auch als die Bombenangriffe auf Berlin im Zweiten Weltkrieg zunahmen, ist die zu dieser Zeit ca. 30 000–40 000 Bde. umfassende Bibliothek nicht ausgelagert worden, mit Ausnahme ihrer alten Wappenhandschriften und Codices, die 1942 in den Berlepsch-Schacht des stillgelegten Salzbergwerks nach Staßfurt/Elbe gebracht wurden. Am 30. August 1945 ermächtigte die Vermögensverwaltungsstelle des Berliner Magistrats das Geheime Staatsarchiv auf dessen Wunsch, nach der wahrscheinlich im Hause Nr. 30 (der Oranienburger Straße) untergebrachten Bücherei des Herold zu forschen – erinnerte man sich doch noch gut genug des Nutzens, den die Bibliothek in den Vorkriegsjahren für die Archivare gehabt hatte. Bevor der damit beauftragte Archivangestellte Peter v. Gebhardt49, zugleich langjähriges verdientes Mitglied des Vereins, dazu kam, hatte bereits am 5.10.1945 der 1. Schriftführer des Herold, Notar Arthur Lignitz, dem Amt für Volksbildung beim Magistrat von Berlin die Bibliothek des Vereins gemeldet, da dies von den privatrechtlichen Vereinen verlangt worden war; am 11.10.1945 berichtete er von einer Besichtigung der Bibliothek, deren feuchte Unterbringung seiner Meinung nach geeignet sei, die Erhaltung der Bücherei zu gefährden. Die Besichtigung seitens des Archivs erfolgte dann am 9.11.1945, verbunden mit Überlegungen, wie man in den Besitz dieser Bibliothek gelangt. Die Eigentumsverhältnisse ließen sich später noch klären, wenn wirklich der „Herold“ wieder zum Leben erwachen sollte. Der Schriftführer des Herold hatte von diesen Bestrebungen ebenso Kenntnis wie Dr. Ottfried Neubecker, der als Führer der Deutschen Wappenrolle (seit Juli 1944) an der weiteren Bearbeitung des in den Bibliothekskellern befindlichen Schriftwechsels interessiert war. Doch Dr. Mendelssohn lehnte als Beauftragter der Jüdischen Gemeinde, die ihre verbliebenen Gebäude wieder zu kultischen Zwecken zu nutzen beabsichtigte, zunächst eine Ausfolgung der Bibliothek sowohl an das Geh. Staatsarchiv als auch an den Rumpfvorstand des Herold ab. Dieser Rumpfvorstand setzte sich damals aus dem erwähnten Schriftführer Lignitz († 30.6.1947), dem Studienrat Herman Voget und Regierungs-Baurat Reinhard Greuel zusammen; Bibliothekar war zuletzt Studienassessor i. R. Krause (zu dieser Zeit im Krankenhaus Uetersen). Am 30.1.1946 erhielt Dr. Neubecker von der Verwaltung des Bergungsamtes für Bibliotheken bei der Magistratsabteilung für Volksbildung die Erlaubnis, vor Ort die Bibliothek des Vereins Herold zu betreten und zu benutzen. Am 6. März 1946 vermerkt der damalige Archivchef Dr. Wendland: Die Überführung der „Herold“-Bibliothek in das H. A. (Hauptarchiv f. Behördenak49
Peter v. Gebhardt starb am 6.9.1947 in Berlin-Charlottenburg. Freundliche Auskunft von Dr. Heinz Hugo.
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ten) ist im Gange. Sie hatte am 28. Februar 1946 begonnen; über den Freigabevorgang unterrichtet am besten ein Vermerk P. v. Gebhardts vom selben Tage: Nach eingehenden Verhandlungen zwischen dem Berichterstatter, dem Heraldiker Dr. Neubecker sowie Herrn Eisner einerseits und Vertretern der Jüdischen Gemeinde – Dr. Mendelssohn, Herrn Peyser u. a. m – andererseits erklärten sich letztere bereit, die Bibliothek des „Herold“ freizugeben. Die Kolonne der Bergungsstelle hatte bereits mit der Leerung des ersten Kellers begonnen. Die Arbeit wurde sehr erschwert dadurch, daß alle tiefer gelegenen Keller, namentlich die, in denen die Bücher des „Herold“ lagern, bis 20 cm unter Wasser stehen. Es mußten infolgedessen Stege aus Brettern auf Ziegelsteine gelegt werden. Der Versuch, eine elektrisch betriebene Pumpe in Gang zu bringen, wurde noch im Laufe des Vormittags gemacht. Der Abtransport der heute geborgenen Bücher soll morgen, am 1. März, im Laufe des Vormittags erfolgen. Alle mit den Transporten mitkommenden Akten bitte ich unmittelbar nach Keller 2 bringen zu lassen, da ihre sofortige Bearbeitung erforderlich ist. Diese Transporte nach Dahlem wurden – soweit erkennbar – spätestens am 14. März 1946 unterbunden, da eine Erlaubnis der russischen Zentralkommandantur gefehlt habe. Die Magistratsabteilung für Volksbildung, Büchereiwesen (Fauth) zog ihr Einverständnis zurück, und die bereits nach Dahlem gebrachten Herold-Bücher mußten vom amerikanischen in den russischen Sektor (Stadtbibliothek im Marstallgebäude) zurücktransportiert werden. Diese Rücküberführung endete am 28. März (der Nachlaß von Stephan Kékulé v. Stradonitz blieb allerdings in Dahlem zurück: leider fehlten bereits 15 Quarthefte = Tagebücher des Nachlassers), doch damit waren nicht alle Bücher im Marstall vereint, da nicht wenige in den überschwemmten Kellern der Oranienburger Straße 28 zurückgeblieben waren, ebenso der von Oertzen einst handgeschriebene große und unentbehrliche Zettelkatalog. Auch diese Reste sollten noch im Einvernehmen mit Dr. Neubecker in den Marstall überführt werden. Neubecker teilte dem Archiv am 10.4.1946 mit, daß er den Zettelkatalog gefunden und zu den noch nicht abtransportierten Büchern getan habe: Im übrigen steht das Wasser noch über 20 cm hoch. Die untersten Regalreihen sind im allgemeinen noch nicht ausgeräumt, weil die Bücher derartig verquollen sind, daß sie sich nicht bewegen lassen. Da es sich hierbei um die großen Bücher handelt, stehen gerade die kostbarsten Bücher noch immer im Wasser. Die Betreuung der HeroldBibliothek im Marstall sollte die Stadtbibliothek vom 11./12.4.1946 an übernehmen. Am 9. Mai 1946 besichtigten der kommissarische Direktor des Hauptarchivs und Peter v. Gebhardt die offensichtlich völlig unzureichende Unterbringung: Am 9.5.46 begab sich der Unterzeichnete gemeinsam mit Herrn von Gebhardt in die Stadtbibliothek im Marstallgebäude, um sich über die Art der jetzigen Unterbringung der Bücherei und der Sammlungen des Vereins „Herold“ zu unterrichten. Herr Dr. Schnurre führte uns in den früheren Pferdekrankenstall, wo die Bestände des „Herold“ auf dem Steinfußboden aufgestapelt lagen. Herr Dr. Schnurre machte darauf aufmerksam,
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daß der Raum für die eigenen Zwecke der Stadtbibliothek in Kürze gebraucht und daß an der Stelle, wo die Bestände z. Z. lagern, demnächst Regale aufgestellt werden müßten, so daß eine Umlagerung der Bücher etc. des Vereins „Herold“ auf die Dauer unvermeidlich sei: Raum an anderer Stelle in der Stadtbibliothek, welche ohnehin beengt sei, zur Verfügung zu stellen, habe er leider keine Möglichkeit. Dr. Schnurre betonte des weiteren, daß er gerne die jetzt wirr durcheinandergewürfelt lagernden Bestände des „Herold“ ordnungsgemäß in Regalen aufgestellt hätte; wenn sich irgendeine Möglichkeit dazu geboten hätte: die Befürchtung, daß bei dem Transport der Bücher und Sammlungen des „Herold“ in den Marstall Teilverluste eingetreten seien, könne übrigens auch nicht von der Hand gewiesen werden, und auch gegenwärtig hätten die Arbeiter, welche mit der Abdichtung des Gebäudes und der Herrichtung von Regalen beschäftigt seien, völlig freien Zutritt zu den Beständen. Dr. Wendland richtete daher an die Magistratsabteilung für Volksbildung (Büchereiwesen) ein Gesuch um eine angemessene Einlagerung der Herold-Bücher und -Sammlungen, mit dem Ergebnis, daß die Heroldbibliothek nun abermals aus dem Marstall in das Berliner Hauptarchiv umzog; die in der Oranienburger Straße verbliebenen Restbestände folgten teilweise erst zwischen dem 12. und 18. Januar 1947, sie hatten schwer durch Wasserschaden gelitten. Am 29. Mai 1948 erbat Dr. Neubecker als Führer der Deutschen Wappenrolle vom Hauptarchiv die dort befindlichen Akten und Anträge, zumal er den größten Teil bereits in seinem Besitz habe: diese Bitte wiederholte er am 1.12.1949 auf dem Kopfbogen des Vereins. Da das Archiv diesem Ersuchen zunächst nicht entsprach, bzw. die Archivalien, die Eigentum des Hauptarchivs seien, nur leihweise und befristet dem Antragsteller überlassen wollte, begründete der Verein seinen Herausgabeanspruch damit, daß er seit seiner Gründung im Jahre 1869 niemals seine Rechtsfähigkeit auch nur vorübergehend verloren habe, noch jemals im Sinne der vereinsrechtlichen Vorschriften aufgelöst worden sei, und wies darauf hin, daß das durch russische Befehle in Berlin veranlaßte Ruhen der Tätigkeit sämtlicher Vereinigungen nicht etwa deren Auflösung, sondern nur ein Verbot der praktischen Betätigung bedeutet habe, das mit der Neulizensierung des Vereins50 hinfällig geworden ist. Infolgedessen hat der Verein „Herold“ niemals sein Eigentum an den in Frage stehenden Papieren und Büchern verloren. Das Archiv, das die Bibliothek auf Magistratsverfügung hin als Bestandteil des Reichssippenamtes geborgen hatte, verwies dagegen auf den vom Verein „Herold“ mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP im Oktober 1941 geschlossenen Nutzungsvertrag51, wonach die Vereinsbibliothek nicht nur vom Reichssippenamt verwaltet werden, sondern ihm bzw. der NSDAP auch im Falle der Auflösung des Vereins übereignet werden sollte. Der Verein, der seine Sitzungen 50 51
Durch die Amerikaner am 21.2.1949. Am 11.10.1941 vom Reichssippenamt an den Reichsschatzmeister/Rechtsamt der NSDAP gesandt; in den Akten gibt es nur noch Vertragskopien.
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im Jahre 1950 offiziell wieder aufnahm, machte geltend, daß ihm dieser Vertrag vom Leiter des Reichssippenamtes (unter den Voraussetzungen des § 123 BGB) auferlegt worden sei, als er die Kosten für den Unterhalt der Bibliothek nicht mehr aufbringen konnte, jedoch unter Wahrung des Eigentumsrechtes des Vereins. Während der Senator für Justiz nicht der Meinung war, daß der Verein eine von der NSDAP abhängige Organisation gewesen sei, verlangte das Archiv nicht nur, daß der Nachkriegsherold seine Rechtsnachfolge nachweisen, sondern überdies für seine bisherigen Rettungsmühen bei der Bibliotheksbergung eine Entschädigung durch Abtretung von Buchserien anstelle nicht aufzubringender finanzieller Gegenleistungen erbringen solle. Man dachte dabei an die Reihen landesgeschichtlicher Zeitschriften ..., die nicht zum engeren Gebiet der genealogischen Forschung gehören, und erstellte entsprechende Listen. Diese Verminderung des ohnehin auf 17.000 Bände zurückgegangenen Buchbestandes kam jedoch nicht zustande, das nunmehrige Berliner Hauptarchiv bestritt schließlich das Eigentum des Vereins „Herold“ an seiner Bibliothek nicht länger. Am 21.11./3.12.1953 wurde darüber ein Depositalvertrag geschlossen, der eine brauchbare Arbeitsgrundlage für die nächsten Jahre abgab. Er hatte den folgenden Wortlaut: Der Verein Herold ist Eigentümer einer Bibliothek von genealogischen, heraldischen und landesgeschichtlichen Druckschriften und handschriftlichen Sammlungen, die bei Kriegsende rund 40 000 Bände umfaßte. Hiervon befindet sich der größte Teil zur Zeit in den Diensträumen des Berliner Hauptarchivs. Um die Bibliothek im Interesse des Vereins Herold und seiner Mitglieder sowie im Interesse der Allgemeinheit zu erhalten und der öffentlichen Benutzung zugänglich zu machen, wird zwischen dem Lande Berlin, vertreten durch den Senator für Volksbildung – Berliner Hauptarchiv (ehem. Preuß. Geh. Staatsarchiv), BerlinDahlem, Archivstraße 12–14, vertreten durch seinen Leiter, Archivrat Dr. Bellée, und dem Herold, rechtsfähiger Verein für Heraldik, Genealogie und andere verwandte Wissenschaften, in Berlin-Dahlem, Im Dol 2, vertreten durch seinen Vorsitzenden Dr. Heinz Hugo und seinen Schatzmeister Rechtsanwalt und Notar Gerhard Nordhausen folgender Ve r t r a g geschlossen: § 1 Der Verein Herold überträgt die Verwaltung und Betreuung der in seinem Eigentum verbleibenden Bücherei, soweit sie sich bereits jetzt in Verwahrung des Berliner Hauptarchivs befindet, dem Berliner Hauptarchiv nach Maßgabe der folgenden Vereinbarungen. § 2 Der Vorstand des Vereins Herold hat das Recht, sich jederzeit von dem Zustand der Bücherei und der Kataloge durch Besichtigung an Ort und Stelle zu unterrichten. § 3 Die Herold-Bibliothek ist als geschlossener Bestand gesondert von sonstigen, in den Diensträumen des Hauptarchivs aufbewahrten Büchern unterzubringen.
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Eine Vermischung mit anderen Beständen ist nicht statthaft. Der Verein Herold wird die ihm gehörenden Bestände mit einem Eigentumszeichen versehen, soweit es noch nicht geschehen ist. § 4 Das Hauptarchiv wird bis spätestens zum 1. Juni 1956 an Hand des vorhandenen Hauptkatalogs der Herold-Bücherei feststellen, welche Bestände sich in Verwahrung des Archivs befinden. Mit dem Abschluß der Katalogisierungsarbeiten, die von dem Bibliotheksreferenten des Archivs und dem Bücherwart des Vereins Herold laufend überwacht werden, stellt das Archiv dem Verein Herold dessen alten Katalog zur Verfügung. Neuzugänge zur Bibliothek werden sowohl vom Archiv, wie auch vom Bücherwart des Vereins Herold katalogisiert werden. § 5 Zur ordnungmäßigen Wartung der Bücherei stellt die Archivverwaltung kostenlos die erforderlichen Hilfskräfte und Räume zur Verfügung. Zur Wahrung der sich aus dem Eigentum des Vereins Herold an der Bücherei für den Verein ergebenden Interessen bestellt auch der Verein Herold einen Bücherwart. Ihm liegt die Betreuung der Vereinsmitglieder bei dem ihnen nach der Satzung des Vereins zustehenden Benutzungsrecht ob. Ferner hat der Bücherwart des Vereins Herold für die Anschaffung der zur Erreichung der Vereinsziele notwendigen Bücher und Zeitschriften, sowie zu deren Unterhaltung im Einband nach Maßgabe des Bedürfnisses und der vorhandenen Mittel Sorge zu tragen. Die Hilfskräfte des Archivs und der Bücherwart des Vereins haben in allen die Herold-Bibliothek betreffenden Angelegenheiten vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Meinungsverschiedenheiten entscheidet – unbeschadet des § 11 – der Leiter des Hauptarchivs im Benehmen mit dem Vorstand des Vereins Herold. § 6 Das Hauptarchiv hält die Herold-Bibliothek für die Mitglieder des Vereins Herold, die sich durch eine Mitgliedskarte auszuweisen haben, zur kostenlosen Benutzung und Entleihung offen. Die Benutzungszeiten werden nach dem Bedürfnis im Einvernehmen mit dem Verein Herold festgesetzt. Im übrigen ist das Hauptarchiv berechtigt, die Herold-Bibliothek auch anderen Bevölkerungskreisen zur Benutzung an Ort und Stelle zur Verfügung zu stellen. Eine Verleihung der Bücher an Nichtmitglieder darf nur mit Einverständnis des Bücherwarts des Vereins Herold unter Einhaltung der üblichen Sicherungsmaßnahmen erfolgen. Das Hauptarchiv haftet dem Verein Herold für alle aus der Benutzung durch Nichtmitglieder des Vereins an den Büchern entstehenden Schäden mit Ausnahme der üblichen Abnutzung. § 7 Die Bücherbestände des Vereins Herold werden in gleicher Weise wie Bücher und Archivalien des Berliner Hauptarchivs durch die Selbstversicherung des Senats von Berlin gesichert. § 8 Aufwendungen, die das Hauptarchiv zur Instandhaltung der Bücher hat, sind vom Verein Herold nur dann zu erstatten, wenn sie von dem Vorstand des Ver-
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eins vorher schriftlich genehmigt werden. § 670 BGB findet darüber hinaus keine Anwendung. § 9 Der Vertrag wird zunächst auf die Dauer von zehn Jahren, nämlich für die Zeit vom 1. Dezember 1953 bis 30. November 1963 geschlossen und verlängert sich jeweils um weitere fünf Jahre, wenn er nicht spätestens 1/2 Jahr vor Ablauf durch eingeschriebenen Brief gekündigt wird. § 10 Die Kosten einer Überführung der Bibliothek in andere Räume aus Anlaß einer Kündigung durch das Land Berlin werden von dem Lande Berlin getragen, jedoch nur innerhalb des Hoheitsbereichs des Senats von Berlin, wobei der Transport nach Möglichkeit mit Einrichtungen des Landes bewerkstelligt wird. § 11 Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsteilen, die rein bibliothekstechnische Fragen betreffen, soll der Leiter der Bibliothek der Freien Universität Berlin um einen Schiedsspruch gebeten werden. § 12 Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, daß mit dem Abschluß dieses Vertrages alle gegenseitigen Ansprüche, soweit sie in diesem Vertrage nicht ausdrücklich ihre Anerkennung gefunden haben, erledigt sind. Berlin-Dahlem, den 3. Dez. 1953 Für das Berliner Hauptarchiv (ehem. Preuß. Geheim.Staatsarchiv)
Berlin-Dahlem den 21. November 1953 Für den Verein Herold
gez. Dr. Belleé
Dr. Heinz Hugo Gerhard Nordhausen
Vorsitzender
Schatzmeister
Mit diesem Vertragsabschluß beginnt ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen dem Berliner Hauptarchiv, das seit 1955 seinen zu Verwechslungen mit dem Landesarchiv führenden Zusatz Berliner aufgibt52, und dem Verein „Herold“. Die Geschichte dieses letzten Zeitabschnitts eines nicht spannungslosen, aber fruchtbaren Zusammenlebens beider Vertragspartner, die im Beschluß über die Benutzungsordnung vom 14.7.64, vom 25.3.74 und vom 8.1.82 gipfelte, bleibt einer späteren Darstellung vorbehalten. Sie wird über steigende Zuwachsraten von 1954–1970: jährlich 350, ab 1970 etwa durch52
Zur Geschichte des Archivs und seiner hier beteiligten Beamten (u. a. Bellée, v. Gebhard, J. Schultze, Wendland, Zimmermann) vgl. Eckart Henning: 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv – 100 Jahre seit seiner Vereinigung mit dem Ministerialarchiv, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte. 25.1974, S. 154–174, Kurzfassung in Der Archivar. 28.1975, Sp. 143–152, und ders. mit Christel Wegeleben: Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem 1924–1974, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte. 27.1976, S. 155–178.
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schnittlich 500 Bände berichten können, von mehrfachen Spenden des Berliner Zahlenlottos, die den Umfang dieser größten genealogisch-heraldischen Fachbibliothek in Deutschland außergewöhnlich vermehrt und verbessert haben, aber zwangsläufig auch von Raumproblemen, die vom Geheimen Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wie es seit dem 1.1.1963 heißt, vertragsgemäß gelöst werden müssen. Eckart Henning
II Der nachfolgende Teil soll einen Überblick über den derzeitigen Bestand der Bibliothek mit ihren über 17 000 Titeln in ca. 30 000 Bänden vermitteln, der hilfs- und landesgeschichtlich weit über die beiden Kerndisziplinen des Vereins, die Heraldik und Genealogie, hinausreicht. Dabei ist – anders als in dem von Bernhard Fabian herausgegebenen Handbuch der historischen Buchbestände – auch die Literatur des 20. Jahrhunderts bewußt in die Bestandsbeschreibung miteinbezogen worden. Der Bestand wird auch heute noch, sieht man von Ankäufen und Geschenken der Mitglieder einmal ab, durch intensiven Tausch mit anderen historischen Vereinen im In- und Ausland beständig erweitert. Am Sitz des Vereins ergänzen sich die Bibliothek des Vereins und die Dienstbibliothek des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (GStA) in idealer Weise, so daß dem Forschenden ein reicher Fundus zur Verfügung steht. Die Bestände beider Bibliotheken sind auch im Berliner Gesamtkatalog verzeichnet, die Zeitschriftenbestände teilweise in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) nachgewiesen. Alle Heroldbücher sind – abgesehen vom Freihandbestand im Forschungssaal des Archivs und der Handbibliothek im Geschäftszimmer des Vereins – im Nebengebäude des Geheimen Staatsarchivs magaziniert. Rara sind nicht gesondert aufgestellt und auch nicht katalogmäßig erfaßt worden; die auf Seite 1 erwähnte Liste der Bücher aus dem 15.–18. Jahrhundert stellt einen ersten, zeitlich begrenzten Versuch dazu dar. Die Bibliothek besitzt insgesamt 876 Zeitschriftenserien, bei dreien fällt der Erscheinungsbeginn in den Zeitraum 1701–1800. Im Zusammenhang mit der Vereinsgründung und dem stets rege gepflegten Tauschverkehr ist die Anzahl von 256 Zeitschriftenserien zu sehen, deren ältester vorhandener Jahrgang (Jg.) in den Zeitraum 1801–1900 fällt, und die z.T. laufend bis in die heutige Zeit vorhanden sind. Von 617 Zeitschriftentiteln ist der älteste vorhandene Jg. nach 1900 zu datieren, wobei die vor dem Zweiten Weltkrieg erschienene Literatur besonders stark vertreten ist. Durch Auszählen am Standortkatalog sowie durch Hochrechnen in einzelnen homogenen Gruppen – wie z. B. den alphabetisch geordneten Familiengeschichten der Abteilung V – wurde ein Bestand von insgesamt
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16 370 Monographien festgestellt. Bei 607 Titeln ist kein Erscheinungsjahr festzustellen, aus dem 15. Jh. datieren 2 Titel, aus dem 16. Jh. 38 Titel, aus dem 17. Jh. 255 Titel (davon 157 Leichenpredigten), aus dem 18. Jh. 784 Titel, aus dem 19. Jh. 4 231 Titel, aus dem 20. Jh. 10 640 Titel mit einem erheblichen Anteil aus dem ersten Drittel des Jh. Der Bestand ist systematisch aufgestellt, chronologische Aspekte sind dabei außerachtgelassen. Wenn auch naturgemäß der Anteil deutschsprachiger Literatur überwiegt, so sind doch vor allem durch Tausch und Geschenke ausländischer Autoren und Vereine etliche fremdsprachige Titel der Bibliothek zugeflossen. So stehen 15787 deutschen Titeln neben 200 lateinischen 489 französische, 210 englische sowie 688 Titel aus sonstigen Sprachen (bes. italienisch, spanisch, holländisch) gegenüber. Hinsichtlich des angesprochenen Tauschverkehrs ist hier besonders das Verhältnis von 135 deutschen familiengeschichtlichen Zeitschriften zu 71 fremdsprachigen (davon 11 französisch, 17 englisch, 43 sonstige) bemerkenswert. Die Systematik, deren Entstehungszeit unklar ist, umfaßt folgende Gruppen: I Heraldik (1692 Titel), II Sphragistik (221), III Numismatik (246), IV Genealogie (2404), V Familiengeschichte (3052), VI Biographien (1092), VII Leichenpredigten (363 aufgenommene Titel), VIII Ordenswesen (227), IX Kunst- und Kulturgeschichte (342), X Geschichte (2810), XI nicht belegt, XII Ortsgeschichte (2170), XIII Militärwissenschaft (373), XIV Regimentsgeschichten (385), XV Kirchen- und Schulgeschichte (744) sowie die bereits o. g. familiengeschichtlichen (206 Titel) und historischen Zeitschriften (670 Titel). Die Heraldik bildet einen besonderen Schwerpunkt der Bibliothek. Hier sind nur 80 Titel dem 16. bis 18. Jh. zuzuordnen, im übrigen verteilt sich der Bestand zu 1/3 auf das 19. Jh., zu 2/3 auf das 20. Jh. Neben allgemeinen Werken zur Wappenkunde sind zahlreiche Wappensammlungen allgemeiner Art (Siebmacher) sowie Adelswappen, Wappen bürgerlicher Familien, Länder- und Städtewappen des In- und Auslandes, schließlich Literatur zu heraldischen Gesellschaften zu Marken und Zeichen, zu Farben und Hoheitszeichen vorhanden. Die Deutsche Wappenrolle als Fortsetzung des Siebmacherschen Wappenwerkes verzeichnet seit 1920 Wappen bürgerlicher und adeliger Familien, die zur Registrierung dem Herolds-Ausschuß der Deutschen Wappenrolle eingereicht werden, und publiziert diese seit 1935 in dem Sammelwerk Deutsche Wappenrolle (davor in der Vierteljahrsschrift Herold in Fortsetzungen), das jetzt auf über 50 Bände angewachsen ist. Die Sphragistik scheint mit ihren 221 Bänden, die je etwa zur Hälfte dem 19. und 21 Jh. angehören, eher eine Nebenrolle zu spielen. Jedoch ist dieser Bestand in Zusammenhang zu sehen mit der mehrere tausend Objekte umfassenden Siegelsammlung des Vereins. Außerdem behandeln viele Veröffentlichungen zur Diplomatik und Heraldik die Siegelkunde mit, sind jedoch zahlenmäßig in diesem Zusammenhang nicht erfaßbar.
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Desgleichen ist die Numismatik als Historische Hilfswissenschaft mit 246 Titeln (126 davon 20. Jh.) nur am Rande vertreten und wird erst neuerdings wieder mehr gepflegt. Dagegen ist mit 2400 Titeln die Genealogie die drittstärkste Gruppe, doch sind auch hier vor allem Titel des – wenn auch frühen – 20. Jh. vertreten (ca. 1900), aus dem 19. Jh. datieren ca. 450 Titel, aus dem 18. Jh. 162 Titel und nur 36 Titel aus dem 15./16. Jh. Bei den 430 fremdsprachigen genealogischen Titeln überwiegen die französischen mit 144 und die sonstigen Sprachen (vor allem spanisch, italienisch, holländisch) mit 190 Titeln. Inhaltlich nehmen neben Nachschlagewerken sowie Gesamtdarstellungen und Titeln zu den Grundlagen der Genealogie die genealogischen Quellen mit ca. 1500 Titeln den größten Raum ein. Hier sind u. a. zu finden: kirchliche Quellen, Personenverzeichnisse (Bürgerbücher, Adressbücher, Staatshandbücher, Mitgliederverzeichnisse, Matrikeln, biographische Verzeichnisse zu einzelnen Berufen oder Bevölkerungsgruppen), Familienverzeichnisse adeliger und bürgerlicher Familien des In- und Auslandes sowie Nachbarwissenschaften der Genealogie: Schriftwesen, Urkundenlehre, Chronologie, Archivwissenschaft, Namenkunde, Soziologie, Rechtswissenschaft, Humangenetik, schließlich Organisationsformen der Genealogie. Mit 3052 Titeln weist die Gruppe Familiengeschichte den größten Umfang auf. Auch hier ist mit ca. 2600 Titeln das 20. Jh. am stärksten vertreten, es folgt das 19. Jh. mit ca. 400 Titeln. Wie schon oben erwähnt, sind gerade hier offensichtlich größere Verluste durch Verlagerungen im Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen. In dieser Systematikgruppe sind Geschichten einzelner Familien, Stammtafeln verwandter Namensträger, Ahnentafeln sowie Zeitschriften und Mitteilungen einzelner Familienverbände grob alphabetisch aufgestellt. Obwohl vor einigen Jahren handschriftliche Manuskripte hier und aus anderen Gruppen herausgezogen und gesondert aufgestellt wurden, finden sich hier noch immer einzelne ältere Manuskripte sowie maschinenschriftlich oder photomechanisch vervielfältigte Arbeiten, die kaum in irgendeiner anderen Bibliothek vorhanden noch in einer Bibliographie verzeichnet sein dürften. Gerade auf dem Gebiet der Geschichte einzelner Familien ist die Bibliothek des Vereins Herold in Deutschland als führend anzusehen. Ergänzend dazu ist die Gruppe Biographien mit 1092 Titeln zu sehen, von denen wiederum gut 2/3 dem 20. Jh., knapp 1/3 dem 19. Jh. entstammen. Neben wenigen allgemeinen Nachschlagewerken steht hier – in grob alphabetischer Ordnung – vor allem Literatur zu einzelnen Persönlichkeiten. Als besonders wertvoll sind die Leichenpredigten anzusehen. Oft enthalten sie neben den Trostworten für die Hinterbliebenen wichtige biographische Einzelheiten über den Verstorbenen oder auch ganze Familiengeschichten und Ahnentafeln. Ihre inhaltliche Auswertung bringt häufig aufschlußreiche Aspekte für die genealogische Forschung. 363 Leichenpredigten sind bisher katalogisiert, z. T. auch restauriert oder wenigstens provisorisch gebunden.
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Etwa noch einmal so viele Leichenpredigten warten auf ihre Aufnahme. Von den 363 gezählten Leichenpredigten entstammen 10 dem 16. Jh., 157 dem 17. Jh., 184 dem 18. Jh., 17 dem 19. Jh. und 5 dem 20. Jh. Im Alphabetischen Katalog sind sie unter den Namen der Verfasser mit Verweisung von den Verstorbenen erfaßt. Aufstellung und Ordnung im Systematischen Katalog erfolgen nach dem Namen des Verstorbenen. Die Abteilung Ordenswesen spielt mit 227 Titeln eine untergeordnete Rolle und wird, seit der überwiegende Teil verkauft wurde, vorerst weniger intensiv gepflegt. In den Kunst- und Kulturwissenschaften befinden sich 342 Titel, wieder gut 2/3 aus dem 20. Jh., knapp 1/3 aus dem 19. Jh. Bei der Kunstgeschichte ist hier neben der bildenden und der angewandten Kunst vor allem die Baukunst sowohl einzelner Landschaften und Orte als auch einzelner Bauwerke (Burgen, Schlösser) als Ergänzung zur Genealogie zu nennen. Dem Umfang nach die zweitstärkste Abteilung ist die (allgemeine) Geschichte mit 2810 Titeln, von denen 1714 dem 20. Jh. zuzuordnen sind, 747 dem 19. Jh., 181 dem 18. Jh., 56 dem 17. Jh., 22 dem 16. Jh., während 90 Titel kein Erscheinungsjahr angeben. Inhaltlich enthält diese Systematikgruppe nach den Nachschlagewerken, Bibliographien, Gesamtdarstellungen und lokal übergreifenden Darstellungen einzelner Epochen eine topographische Einteilung, die zunächst die deutsche Geschichte allgemein sowie nach Epochen umfaßt, um schließlich auf die einzelnen deutschen Staaten in den Grenzen von 1914 überzugehen. Das Königreich Preußen mit seinen Provinzen ist hier am stärksten vertreten (mit ca. 800 Nachweisen im Systematischen Katalog), jedoch lediglich in Ergänzung zu den diesbezüglich wesentlich unfangreicheren Beständen des GStA zu sehen. Ein ebenfalls wesentlicher Bestandteil ist die Ortsgeschichte mit 2170 alphabetisch geordneten Titeln. Hier sind 1370 dem 20. Jh. zuzuordnen, 716 dem 19. Jh., 32 dem 18. Jh., 2 dem 17. Jh., 50 Titel weisen kein Erscheinungsjahr auf. Die Militärwissenschaft mit 373 Titeln, etwa je zur Hälfte aus dem 19. und 20. Jh., enthält Darstellungen einzelner Epochen und Kriege sowie militärischer Teilgebiete wie Kriegslehre und Militärverwaltung, biographische Verzeichnisse (Rang- und Stammlisten, Kriegsteilnehmerlisten). Von den Regimentsgeschichten mit 385 Titeln stammen 131 aus dem 20. Jh., 244 aus dem 19. Jh. Es sind sämtliche Truppenteile vertreten, am stärksten jedoch die Linieninfanterie, gefolgt von der Garde-Infanterie. Die letzte inhaltlich orientierte Gruppe ist die Kirchen- und Schulgeschichte mit insgesamt 744 Titeln, davon 432 aus dem 20. Jh., 241 aus dem 19. Jh., 28 aus dem 18. Jh., sowie 6 aus dem 17. Jh. und 1 aus dem 16. Jh.; 36 Titel sind nicht zuzuordnen. Insgesamt entfallen gut 2/3 auf die Kirchengeschichte und knapp 1/3 auf die Geschichte des Bildungswesens. Bei der Kirchengeschichte nehmen die einzelnen Klöster, Kirchengemeinden, Kirchen den größten Raum ein, beim Bildungswesen die einzelnen Universitäten, Schulen;
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Festschriften, Matrikeln und Vorlesungsverzeichnisse sind nicht hier, sondern in der Abteilung Genealogie/Personenverzeichnisse zu finden. Bei den Zeitschriften werden in der Bibliothek die familiengeschichtlichen von den historischen unterschieden und getrennt aufgestellt. Es wurde bereits an anderer Stelle auf die Bedeutung des umfangreichen und alten Bestandes hingewiesen, der vorzugsweise durch den regen Tauschverkehr zwischen dem Herold und anderen Vereinen zusammengetragen wurde. Bei den familiengeschichtlichen Zeitschriften mit 206 Titeln, davon 179 im 20. Jh. beginnend, 27 im 19. Jh., stammen allein 71 aus dem fremdsprachigen Ausland. Gegliedert ist der Bestand nach topographischen Gesichtspunkten. Zeitschriften und Mitteilungsblätter einzelner Familien sind jedoch in der Abteilung Familiengeschichte zu finden. Von den 670 historischen Zeitschriften, denen wie den familiengeschichtlichen eine eigene Systematikgruppe gewidmet ist, stammen 438 aus dem – oftmals frühen – 20. Jh., 229 allerdings aus dem 19. Jh. und 3 aus dem 18. Jh. Der Fremdsprachenanteil liegt insgesamt bei 29 Titeln, davon 13 französischen. Da es sich hier zumeist um landesgeschichtliche Zeitschriften handelt, sind Katalog und Bestand wiederum nach topographischen Aspekten in den Grenzen von 1914 geordnet. 155 Handschriften sind als solche gesondert erfaßt und aufgestellt. Sie sind allen Systematikgruppen zuzuordnen, zumeist handelt es sich jedoch um familiengeschichtliche Manuskripte, von denen allein 68 nicht datiert sind, 31 sind dem 19. Jh., 43 dem 20. Jh. zuzuordnen. Der größere Bestand an Wappenhandschriften (darunter das Wappenbuch von den Ersten oder dasjenige des Reichsherolds Caspar Sturm) befindet sich in den archivalischen Sammlungen des Vereins. Dem Benutzer steht der Systematische Katalog im Forschungssaal des Geheimen Staatsarchivs zur Verfügung. Intern werden des weiteren ein Alphabetischer Katalog (nach den Preußischen Instruktionen) sowie ein Standortkatalog geführt. Ein Katalog der Rara (vor 1800 erschienene Werke) befindet sich im Aufbau. Sonstige Sonderkataloge werden nicht geführt. Gedruckt liegt vor: Verzeichnis der Bücher- und Schriften-Sammlung des Vereins Herold. Berlin 1904. Nebst 1. Nachtr. 1909. – 2. Nachtr. 1917 (Vgl. Teil I dieses Beitrags). Das Verzeichnis ist durch die Verluste in der Nachkriegszeit in weiten Teilen überholt. Die dort genannten Signaturen haben heute keine Gültigkeit mehr. Petra Hauke
Wie die „Aktenkunde“ entstand * Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert Unter den etablierten Historischen Hilfswissenschaften gehört die Aktenkunde zu den jüngsten Disziplinen; im Gegensatz zur Archivwissenschaft befaßt sie sich weniger mit den „Erscheinungsformen des Aktenwesens in allen seinen Bereichen“1 als mit dem einzelnen Schriftstück. Warum es erst spät zum Gegenstand hilfswissenschaftlicher Betrachtung gemacht wurde, hat sicherlich nichts mit dem anfänglichen „Fehlen praktisch-juristischen Interesses“ daran2, sondern mit der Disziplinentwicklung der Diplomatik zu tun, aus der die Aktenkunde erwuchs. Daß dieses Interesse ursprünglich keineswegs fehlte, zeigt schon die bibliographische Übersicht über die wichtigsten Arbeiten zum „Kanzlei-Ceremoniell“, die Johann Stephan Pütter in seiner „Anleitung zur Juristischen Praxi“ bietet3, darunter die einschlägigen Schriften der beiden Moser, nämlich von Johann Jacob Moser (von Filseck) die Einleitung zu den „Canzeley-Geschäften“ (1750)4 und von Friedrich Karl Freiherrn v. Moser die „Kleinen Schriften zur Erläuterung des Staats- und Völker-Rechts, wie auch des Hof- und Kanzleyceremoniells“ (1751–65)5, ferner von Christian August Edlem von Beck der „Versuch einer Staatspraxis *
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Erstmals erschienen in: Archivistica docet, Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds, hrsg. von Friedrich Beck, Wolfgang Hempel und Eckart Henning, Potsdam 1998, S. 439–461 (= Potsdamer Studien, 9). Gerhard Schmid: Akten, in: Friedrich Beck/Eckart Henning: Die archivalischen Quellen, eine Einführung in ihre Benutzung. 2. Aufl. Weimar 1994, S. 51–85, hier S. 54. Die Archivwissenschaft befaßt sich nach E. G. Franz: Einführung in die Archivkunde, 3. Aufl. Darmstadt 1989, S. 51 mit den „mehr oder weniger festen Kompositionseinheiten von Akten“. Schmid (wie Anm. 1), S. 54. Johann Stephan Pütter: Anleitung zur Juristischen Praxi wie in Deutschland sowohl gerichtliche wie außergerichtliche Rechtshändel oder andere Canzley-, Reichs- und Staats-Sachen schriftlich oder mündlich verhandelt und in Archiven beygelegt werden. 3. Aufl. Göttingen 1765, § 16: Hülfsmittel, S. 10–18, weitere Literaturnachweise S. 293–295. Vgl. dazu auch Pütters „Zugaben“ zur Anleitung zur Juristischen Praxi als deren 2. Teil, 2. Aufl. Göttingen 1767, insbes. S. 1–10, 51–212 (= 3. Zugabe zum Teutschen-Canzley-Ceremoniel), zuletzt 6. Aufl., Göttingen 1802 mit einem bibliographischen Überblick. Johann Jakob Moser (v. Filseck): Einleitung zu den Canzeley-Geschäften. Zum Gebrauch der Hanauischen Staats- und Cantzley-Academie. Hanau 1750. Friedrich Karl Freiherr v. Moser: Kleine Schriften zur Erläuterung des Staats- und Völkerrechts, wie auch des Hof- und Kanzleyzeremoniells, Bde. 1–12, Frankfurt/M. 1751–1765, insbes. Bd. 5, 1755.
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oder Canzeleyübung, aus der Politik, dem Staats- und Völkerrechte“ (1778)6 sowie diverse Titulaturlehrbücher7. Die Werke der Juristen des 18. Jahrhunderts waren für die Praxis bestimmt, sie gehen daher noch kaum auf Entstehung und Entwicklung des Kanzleischriftgutes ein. Ein Wandel begann sich im 19. Jahrhundert abzuzeichnen, hervorgerufen durch die „neue Diplomatik“, die Harry Bresslau und seit den neunziger Jahren Michael Tangl aus Wien nach Berlin brachten und einem breiten Schülerkreis sowohl an der Universität wie zur Vorbereitung von Editionsvorhaben der Monumenta Germaniae historica vermittelte8. Diese Entwicklung kulminierte in dem programmatischen Geleitwort von Harry Bresslau, Michael Tangl und Karl Brandi zum ersten Band ihres „Archivs für Urkundenforschung“ (1908), in dem es heißt: „Verlegen wir nun den Schwerpunkt unseres Interesses allgemein in die Erforschung der Entstehungsverhältnisse, so mindert sich der Abstand, der bis dahin die eigentlichen ausgefertigten Urkunden trennte von den Entwürfen und Konzepten, von Briefen, Akten und Büchern der gleichen Behörden und Schreibstuben. Damit werden gewisse bisher stark vernachlässigte Gruppen urkundlicher Quellen erst in die methodische Bearbeitung hineingezogen und unserer Wissenschaft zugleich die Mittel gegeben, sich von ihrem ursprünglichen, wesentlich frühmittelalterlichen Forschungsgebiet auszudehnen sowohl auf die antiken Voraussetzungen, wie auf die jüngere Entwicklung und Ausgestaltung des Urkunden- und Aktenwesens“9. Zugleich unterstrichen die drei Herausgeber die Notwendigkeit, ihre Zeitschrift für Untersuchungen zum „Register-, Akten- und Behördenwesen im Übergang zur Neuzeit“10 zu öffnen. Damit hatte sich gegenüber der älteren Diplomatik die Erkenntnis des engen Zusammenhanges von Urkunden und Akten durchgesetzt, den die immer mehr erwachende neuzeitliche Quellenforschung bestätigt fand, als sie sich verstärkt mit der Herausgabe von Akten beschäftigte, z. B. seit Ende des 19. Jahrhunderts mit den „Acta Borussica“11. Man trat nun, wie Wilhelm Bauer 6
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Christian August Edler v. Beck: Versuch einer Staatspraxis oder Canzeleyübung, aus der Politik, dem Staats- und Völkerrechte, 2. Aufl. Wien 1778, erstmals 1754. Vgl. Eckart Henning: Titulaturenkunde. Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869–1994, hrsg. von Bernhart Jähnig u. Knut Schulz. Berlin 1994, S. 293–310 (= Herold-Studien, Bd. 3). Gemeint sind hier die Arbeiten von Theodor v. Sickel (1826–1908) und Julius Ficker (1826–1902), die beide die neuere Diplomatik auf feste Grundlagen stellten. Vgl. dazu Harry Bresslau: Geschichte der Monumenta Germaniae historica. Hannover 1921 (= Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 42). Archiv für Urkundenforschung 1 (1908, erschienen 1907), S. 2. Wie Anm. 9. Heinrich Otto Meisner: Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918. Leipzig o.J. (1969), S. 123 (zit. Meisner III). Vgl. künftig Acta Borussica. Neue Folge, 1. Reihe: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1810/17–1934/38, hrsg.
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(Wien) 1908 die Forderungen von Bresslau, Tangl und Brandi aufgreifend12 in den „Deutschen Geschichtsblättern“ formulierte, „mit dem Rüstzeuge, mit dem man bei der Erforschung des Mittelalters so überraschende Erfolge aufweisen konnte, an die Geschichte der Neuzeit heran“13. Dabei zeigte sich freilich: „Erst eine systematische Behandlung einheitlich entstandener Archivbestände mit Berücksichtigung jener verwaltungsgeschichtlichen Momente, welche für die Entstehung dieser Schriftstücke von Bedeutung sind, kann deren historische Verwertung zu einem wissenschaftlich befriedigenden Ergebnis führen, wobei aber auch die rein formale Betrachtung des einzelnen Stücks als Glied einer in ihren äußeren Merkmalen vielfach gleichartigen Quellengruppe nicht außer acht gelassen werden darf“14. Als Wegbereiter dieser Entwicklung ist der leider früh verstorbene Schüler Harry Bresslaus Albert Naudé zu nennen15, der seine formenkundlichen Erfahrungen eben aus der Bearbeitung der „Acta Borussica“ bezog und schon im Sommer 1891 bis in den Winter 1892/93 an der FriedrichWilhelms-Universität „Grundzüge der mittelalterlichen Urkunden und des modernen Aktenwesens“ las, ehe er 1893 nach Marburg/L. berufen wurde16. Dort wirkte am Staatsarchiv Friedrich Küch, der in seiner Einleitung des
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von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Jürgen Kocka, Wolfgang Neugebauer und Reinhold Zilch. Microfiche-Volltext-Verfilmung mit Regesten- u. Indexbänden (i. Vorber. b. Olms-Weidmann, Hildesheim). Von Dr. Wolfgang Neugebauer dürfen wir in Kürze zwei Studien zur Geschichte dieses bezeichnenderweise ursprünglich „Monumenta Borussica“ genannten Editionsunternehmens erwarten. Wilhelm Bauer: Hilfswissenschaftliche Forschungen und Forschungsaufgaben auf dem Gebiete neuzeitlicher Geschichte, in: Deutsche Geschichtsblätter 9 (1908), S. 161–175, hier: S. 171, Anm. 1. Von Bauer vgl. auch: Register- und Conzeptwesen in der Reichskanzlei Maximilians I. bis 1502, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 26 (1905), S. 247–279. Bauer (wie Anm. 12), S. 162. Noch 1928 bedauert Hans Spangenberg, der im wesentlichen Vermerke auf mittelalterlichen Urkunden seit dem 14. Jahrhundert behandelt, daß die Diplomatik an der Schwelle der Neuzeit haltmache und forderte vor allem eine Aktenkunde des 16. Jahrhunderts, „jener wichtigen Epoche, in der das moderne Aktenwesen einsetzt und im Geschäftsbetrieb der deutschen Verwaltung grundsätzliche Änderungen eintreten“; vgl. seinen Beitrag: Die Kanzleivermerke als Quelle verwaltungsgeschichtlicher Forschung, in: Archiv für Urkundenforschung 10 (1928), S. 469–525, hier S. 524 f. Bauer (wie Anm. 12), S. 170. Naudé (1856–1896) hatte 1882 bei Bresslau über „Die Fälschungen der ältesten Reinhardsbrunner Urkunden“ promoviert. Vgl. Wolfgang Weber: Biographisches Wörterbuch zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Frankfurt/M. 1984, S. 405 f. Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert, Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. von Reimar Hansen und Wolfgang Ribbe. Berlin 1992, S. 365–408, bes.
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„politischen Philipp“ (wie archivarische Insider dieses Inventar der Bestände des Politischen Archivs des Landgrafen Philipps des Großmütigen von Hessen gern nennen), erstmals „Aktenformen“ (1904) behandelte17. Küch kam es vor allem auf eine „möglichst scharfe Feststellung des kanzleimäßigen Zustandes, in dem das betreffende Stück überliefert ist“, an, wobei er sich einer mehr „äußerlichen Nachahmung der Editionen mittelalterlicher Urkunden“ bewußt war. Immerhin gelang ihm erstmals eine genaue Beschreibung der „verschiedenen Arten von Akten von ihrer Entstehung an auf ihrem Wege durch die Kanzlei und bis zu der Aktenstelle, wo sie enden“18, womit – moderner gesprochen – die Entstehungsstufen (vom Konzept bis zur Ausfertigung) eines amtlichen Schriftstücks oder „Schreibens“, wie es auch Küch schon nennt, gemeint sind. Kurt Dülfer, der selbst in den zwanziger Jahren an der PhilippsUniversität noch Vorlesungen dieses Marburger Archivdirektors gehört hatte, ging sogar soweit, lapidar zu erklären: „War Küch der Begründer der Aktenkunde, so ist H. O. Meisner ihr eigentlicher Organisator“19. Vermag man dem auch nicht ganz zu folgen, da Küch letztlich nur „einen ersten energischen Versuch“ unternahm, „die modernen Kanzleigebräuche und Aktenformen durch systematische Untersuchung zu erfassen“20, so gab es doch auch noch andere Vorläufer Meisners, auf die hier einzugehen ist. Zu ihnen zählt vor allem Martin Haß, der von Hintze und Tangl promoviert worden (1905)21 war und sich als Mitarbeiter der „Acta Borussica“ Klarheit „Über das Aktenwesen und den Kanzleistil im alten Preußen“ (1909) zu verschaffen suchte. In seiner gleichnamigen Studie stellte er fest: „Die historische Aktenkunde ist eine weites, schier unübersehbares Feld, das fast noch in seiner ganzen Ausdeh-
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S. 397 u. 400 f. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 82). Friedrich Küch: Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen, Inventar der Bestände. Bd. 1. Leipzig 1904, Einleitung (= Publikationen aus den königlich-preußischen Staatsarchiven, Bd. 78); weitere Bände erschienen erst 1908 und 1954, letzterer von Walter Heinemeyer herausgegeben. Küch (wie Anm. 17), Einleitung S. XIX–XXVI. Vgl. Gustav Wolf: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte. Berlin 1910, S. 649–659. Kurt Dülfer: Urkunden, Akten und Schreiben in Mittelalter und Neuzeit. Studien zum Formproblem, in: Archivalische Zeitschrift 53 (1957), S. 11–53, hier S. 12. Martin Haß: Über das Aktenwesen und den Kanzleistil im alten Preußen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 22 (1909), S. 201– 255, hier S. 232. Annekatrin Schaller; Michael Tangl (1861–1921). Vorarbeiten zu einer Biographie. Diplomarbeit Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaft, Lehrstuhl für Archivwissenschaft. Berlin 1996, S. 105. Haß ist über „Die landständische Verfassung und Verwaltung in der Kurmark während der Regierung des Kurfürsten Johann Georg (1571–1598) promoviert worden (übrigens im selben Jahr wie Johannes Schultze, ebenfalls durch M. Tangl).
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nung wüst liegt und nur erst von ein paar Hauptwegen durchzogen ist“22. Haß wollte mit seiner Arbeit, in der der Begriff der „Aktenkunde“ wohl erstmals nicht archivwissenschaftlich gemeint, sondern hilfswissenschaftlich aufgefaßt wird, „die Forschung auf ein bisher vernachlässigtes Gebiet aufmerksam“ machen; sein Ziel war es daher nicht nur, mancherlei Kanzleibräuche genauer zu untersuchen, sondern in seinem „Drang nach abschließender Bewältigung des formalen Elements“23 bereits Grundzüge ihrer Entwicklung in Brandenburg-Preußen von der zweiten Hälfte des 17. bis ins ausgehende 19. Jahrhundert darzustellen. Haß teilte das Aktenschriftgut in 1) Urkunden, 2) Edikte und Patente, 3) in den auswärtigen und 4) in den inländischen Schriftwechsel ein. Ferner behandelte er u.a. den Geschäftsgang in der Zentrale und die Entstehung eines Aktenschriftstücks, die Einführung der Kontrasignatur, „Rescripte auf Specialbefehl“, Lehnssachen, Besiegelungsformen und typologisch zum Abschluß die wichtigsten Arten amtlicher Schriftstücke. Neben dem leider schon 1910 verstorbenen Haß ist hier noch Melle Klinkenborg zu nennen, der zwar bei Scheffer-Boichorst promovierte, über den aber Johannes Schultze zu berichten wußte, daß er in seinen drei Marburger Semestern auch Paul Kehr und Michael Tangl gehört habe, wobei er hinzufügte: „die beiden letzteren vermochten ihm für seinen geschichtlichen Bildungsgang das meiste zu bieten“24. Klinkenborg setzte sich u. a. mit Max Lehmanns älteren Studien über den „Ursprung des preußischen Kabinetts“ (1889)25 auseinander und führte sie durch Arbeiten zur brandenburgischpreußischen Verwaltungsgeschichte weiter; sie galten insbesondere der Kanzlei, der Kammer, dem Kabinett, der Ratsstube und dem Geheimen Rat, wobei er sich keineswegs nur der Behördengeschichte, sondern der Schriftgutorganisation und als zweiter Direktor des Geheimen Staatsarchivs auch dessen Geschichte zuwandte26. Teils übernahm Klinkenborg die Haß’sche 22
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Haß (wie Anm. 20), S. 201 und das folgende Zitat S. 203. – Über Haß urteilte H. O. Meisner in seiner Aktenkunde (wie Anm. 31, S. III): „Dem so früh verstorbenen Forscher gebührt das Verdienst, als erster – und bislang einziger – die allgemeinen Probleme einer preußischen Aktenkunde sachkundig und anregend erörtert zu haben“. Vgl. Otto Hintze in seinem Nachruf auf Haß, in: Sitzungsberichte des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg vom 11.10.1911, S. 3–6, hier S. 4 f., beigebunden den Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 25 (1913), Teil II. Johannes Schultze: Nachruf auf Melle Klinkenborg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 43 (1930), S. 1–21, hier S. 4. Max Lehmann: Der Ursprung des preußischen Kabinetts, in: Historische Zeitschrift N.F. 27 (1889), S. 266 ff. Vgl. auch weitere von Klinkenborg herangezogene, aktenkundliche Arbeiten von Gustav Lehmann, Otto Hintze, Reinhold Koser usw., verzeichnet bei Haß (wie Anm. 20), S. 233. Von Klinkenborg stammt die einzige ältere Geschichte des Geheimen Staatsarchivs, Abteilung 1: Die Begründung des Markgräflich-brandenburgischen Archivs im 15.
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Einteilung, teils führte er sie für die Kabinettsordres in seinem Beitrag über die „Stellung des königlichen Kabinetts in der preußischen Behördenorganisation“ (1915) weiter, indem er diese Gruppe der Befehlsschreiben als „schriftliche Bescheide, die aus dem Kabinett ergehen“ definierte und auch die vermeintlich „erste“ Kabinettsordre aus dem Jahre 1713 präsentierte27. Sieht man also von der staatsrechtlich geprägten Vor- und Frühgeschichte der Aktenkunde (Moser, Beck, Pütter) und verschiedenen Wegbereitern und Weggenossen (Küch, Haß, Klinkenborg) Heinrich Otto Meisners (1890–1976) ab, so ist er doch nach wie vor als ihr eigentlicher Begründer anzusehen. Zumindest ist er es gewesen, der den 1908 von Harry Bresslau, Michael Tangl und Karl Brandi postulierten neuen Ansatz erst eigentlich fruchtbar gemacht bzw. in seinem aktenkundlichen Lebenswerk eindrucksvoll entwickelt hat. Wesentliche Anregungen dazu dürfte er seinem Lehrer Michael Tangl (1861–1921) zu verdanken haben, bei dem er – wie auch aus Meisners Nachlaß hervorgeht28 – semesterlang an der Friedrich-Wilhelms-Universität gehört hatte. Alle Kenntnisse über die Entstehungsstufen und den Aufbau von Urkunden, die er später auf die Aktenkunde anwandte, vermittelte ihm Tangl, bei dem er wohl zunächst auch promovieren wollte (jedenfalls ist Tangl 1913 als Referent der Dissertation erst nachträglich gestrichen und durch Otto Hintze ersetzt worden)29. Nach dem Wehrdienst im ersten Weltkrieg ist Meisner bereits 1921 zum Staatsarchivrat und 1922 vom Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Paul Fridolin Kehr, zum Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für die Archivaspiranten ernannt worden30; damit war für Meisner nicht nur der (nebenamtlich zu erteilende) Graduiertenunterricht in Archivkunde und in preußischer Verfassungs- und Verwaltungsge-
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Jahrhundert. Leipzig 1911. Weniger gründlich (vgl. GStA Rep. 178B, Nr. 834, Bl. 110) ist die in Berlin 1934 in wenigen Exemplaren hektographiert erschienene Fortsetzung (Abteilung 2) ausgearbeitet gewesen. Ergänzend heranzuziehen ist Georg Wilhelm v. Raumer: Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinetts-Archiv in Berlin bis zum Jahre 1820, hrsg. von Eckart Henning, in: Archivalische Zeitschrift 71 (1975), S. 30–75 und Carl Wilhelm Cosmar: Geschichte des Königlich-Preußischen Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs bis 1806, hrsg. von Meta Kohnke. Köln 1993 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 32). Vgl. Melle Klinkenborg: Die Stellung des Königlichen Kabinetts in der preußischen Behördenorganisation, in: Hohenzollern-Jahrbuch 19 (1915), S. 47 ff. Zu weiteren Arbeiten Klinkenborgs vgl. das Schriftenverzeichnis am Nachruf von Johannes Schultze (wie Anm. 24), S. 18–21. Meisner’s Nachlaß befindet sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Dort liegt unter Nr. 137 auch die einzige überlieferte Vorlesungsmitschrift Meisners, nämlich Tangls Kolleg zur Urkundenlehre. Schaller (wie Anm. 21), S. 111 f. Zweitgutachter war Hans Delbrück. Vgl. auch S. 66. Eckart Henning/Christel Wegeleben: Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in der Berliner Kloster- und Neuen Friedrichstraße 1874–1924, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29 (1978), S. 25–61, hier S. 52.
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schichte verbunden, sondern auch – nach seiner eigenen Bekundung – bereits einer in „moderner Urkundenlehre“31. Auf diese Lehrerfahrungen in den zwanziger Jahren im Preußischen Geheimen Staatsarchiv, anfangs noch in der Klosterstraße in Berlin-Mitte, ab 1924 in Berlin-Dahlem, konnte er sich stützen, als er 1930 in einem Entwurf zur „Behördlichen Quellenkunde als Lehrgegenstand des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“ (IfA) feststellte: „Eine Aktenlehre der neueren Zeit hat im Lehrplan der deutschen Universitäten vorläufig so gut wie gar keine Vertretung gefunden32. Und doch ist sie das notwendige Gegenstück zur reichkultivierten Urkundenlehre des Mittelalters“33. Dem ist für die Universitäten bis heute leider wenig hinzuzufügen! Albert Brackmann allerdings, an den dieser in dessen Nachlaß aufgefundene Entwurf gerichtet war, griff ihn als Generaldirektor der preußischen Staatsarchive34 in „seiner IfA“ sofort auf. Bei Gründung dieses Instituts im selben Jahre35 im Dahlemer Archivgebäude beauftragte er Meisner damit, das „notwendige Gegenstück“ zur Diplomatik zu entwickeln. Bekanntlich ist daraus 1935 dessen „Aktenkunde“ erwachsen36. Bei diesem „Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens“, wie sein Untertitel lautet, ist es jedoch nicht geblieben, da Meisner, wie er im Vorwort seiner nachfolgenden „Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit“ schreibt, beständig „an dem Stoffe“ weitergearbeitet hat. Der Untertitel entfiel künftig, zumal Meisner sein „Blickfeld örtlich, gegenständlich und zeitlich“ ausdehnte, doch hielt er an seiner Gliederung „mit gewissen Umstellungen“ fest und fügte erstmals in einem lexikalischen Sonderabschnitt „Erläuterungen“ bei37. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist vor allem der geänderte Titel des Buches, den Meisner einige Jahre später folgendermaßen interpretierte: „Bereits bei meinem ersten Versuch, die Grenzen einer Aktenkunde abzustecken, habe ich darauf hingewiesen, daß die landläufige Unterscheidung zwischen Urkunden- und Aktenzeitalter etwa mit dem Grenzsaum um die Wende zum 16. Jahrhun31
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Heinrich Otto Meisner: Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens. Berlin 1935, hier Vorwort S. III (zit. als Meisner I). Henning (wie Anm. 16), S. 400–401. GStA PK Nachlaß Brackmann Rep. 92, Nr. 90. Eckart Henning/Christel Wegeleben: Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 27 (1976), S. 155–178, hier S. 163 f. Zum Dahlemer IfA vgl. Eckart Henning: 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv in BerlinDahlem – 100 Jahre seit seiner Vereinigung mit dem Ministerialarchiv, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 25 (1974), S. 154–174, hier bes. S. 167 f. mit weiteren Literaturangaben. Meisner I (wie Anm. 31). Heinrich Otto Meisner: Urkunden- und Aktenkunde der Neuzeit, Leipzig 1950, 2. Aufl. 1952 (zit. als Meisner II).
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dert unbegründet sei, da der Begriff Akten so wenig auf die jüngere Zeit beschränkt werden kann wie der Begriff Urkunden auf die ältere, daß die Bezeichnung mittelalterliche Urkundenlehre und neuzeitliche Aktenkunde höchstens als denominationes a potiori berechtigt wäre. Wenn aber hierüber kein Zweifel mehr besteht, so empfiehlt es sich, für die beiden Begriffe einen Oberbegriff zu schaffen. Der aber kann in nichts anderem bestehen als in ihrer Verschmelzung, man wird also von einer Gesamtdisziplin ,Urkundenund Aktenlehre‘ zu sprechen haben, die sich nur zeitlich in eine ältere und eine jüngere Periode gliedert“38. Dem kann inhaltlich kaum widersprochen werden, da es eben nicht zutrifft, daß es im Mittelalter noch keine Akten gab und in der Neuzeit Urkunden ohne Belang gewesen wären, gleichwohl bleibt die umgekehrte Zuordnung typisch, so daß es nicht unberechtigt erscheint – unbeschadet obiger Erkenntnisse – weiterhin die „landläufige Unterscheidung“ des Mittelalters als Urkunden- und der Neuzeit als Aktenzeitalter zu verwenden39. Der von Meisner früher bevorzugte (Unter-)Begriff der „Aktenkunde“ ist nicht nur praktikabel, er erscheint auch viel angemessener als etwa der einer „neuzeitlichen Diplomatik“40, gerade wenn man sich vor Augen hält, daß Urkunden in der Neuzeit immer mehr durch Schreiben aller Art ersetzt werden41. Sein aktenkundliches Lebenswerk beschloß Meisner mit einer „Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918“, deren Leipziger Auflage sich mit einer Göttinger Lizenzauflage 1969 finanzieren ließ42. Auch in diese „Archivalienkunde“ übernahm Meisner zwar im aktenkundlichen zweiten Teil Ausführungen seiner früheren Lehrbücher, ergänzte sie aber durch neuere Erkenntnisse und setzte andere Akzente (so erhalten bei ihm jetzt erstmals Stilmerkmale Vorrang vor Rangfragen!), vor allem aber stellte er sie nun in den größeren Zusammenhang archivarischer Tätigkeit. So sind Meisners Monographien über 38
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Heinrich Otto Meisner: Forschungsfragen der Archivwissenschaft und der Urkunden- und Aktenlehre, in: Archivmitteilungen 1957/H. 3, S. 88–91, hier bes. S. 89. Eckart Henning: Historische „Überreste“. Archivalische Quellen und ihre Benutzung, in: Vierteljahresschrift Herold N.F. 14 (1993), S. 51–58, hier S. 52. Erfreulicherweise sehe ich nicht, daß sich der Begriff der neuzeitlichen Diplomatik „langsam durchsetze“, wie Rolf Nagel: Französische Dokumente. Formen und Schriften, Neuß 1997 in seiner (unpaginierten) Einleitung feststellt. Der Bedeutungswandel des Urkundenbegriffs erforderte einen eigenen Beitrag, der nicht ohne die Darstellung der Fachentwicklung der Diplomatik geschrieben werden kann. Hier genügt daher der Hinweis auf seine neuzeitliche Aushöhlung bzw. auf Pseudourkunden, die kaum noch „rechtserheblich“ erscheinen. Trotzdem geht es m.E. zu weit, Urkunden heute einfach zu den Akten zu zählen, wie es die Archivschule Marburg in einer hilfswissenschaftlichen Handreichung für den 29. Lehrgang (gez. D. Degreif/V. Eichler) tut. Heinrich Otto Meisner: Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918. Leipzig 1969 und Göttingen in Lizenz desgleichen (zit. als Meisner III).
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die Aktenkunde als Meisner I, Meisner II und Meisner III nebeneinander zu benutzen, auch schon deshalb, weil spätere Auflagen leider nicht alle Angaben oder Belege früherer wiederholen. In diesen Werken hat der Autor ein Lehrgebäude der genetischen, systematischen und analytischen Aktenkunde errichtet, das dieses noch junge Fach als eigene Disziplin der Historischen Hilfswissenschaften etablieren half43. Nach Meisner sollte die erste Frage eines Historikers an ein Archivale seiner Überlieferungsform gelten, d. h. er muß im Geschäftsgang genetisch dessen Entstehungsstufen von der Entwurfsskizze bis zum behändigten Ausfertigung erkennen lernen, bzw. „seinem Werdegang und seinen Lebensschicksalen nach den drei Zonen Kanzlei, Registratur und Archiv“ folgen44. Seine zweite Frage sollte er systematisch nach der Art eines Schriftstücks stellen; insbesondere muß er den Rang des Ausstellers im Verhältnis zum Empfänger feststellen und Schriftsätze Ranghöherer, Rangniedrigerer und Ranggleicher miteinander vergleichen; ferner den Stil beachten, indem er Schriftstücke danach unterscheidet, ob sie im subjektiven (Ich-, Wir-) oder im objektiven bzw. unpersönlichen Stil (es, man) abgefaßt sind. Seine dritte Frage sollte schließlich dem Aufbau einzelner Schriftstücke gelten; analytisch sollte er vorwiegend ihre äußeren und inneren Merkmale herausarbeiten, wobei er sich in erfolgreicher Abwandlung der Begriffe des Urkundenaufbaus bzw. der Formularteile bedienen kann, denn „Aktenkunde ist moderne Urkundenlehre“45. Schwerer tut sich Meisner allerdings – darauf sei hier bereits hingewiesen – mit dem „Zweck, dem das Schriftstück (z. B. eine Instruktion, ein Rezeß, ein Gerichtsbeschluß, ein Kreditiv) in der Verwaltung, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Diplomatie“ dient. Während Meisner I darauf noch gar nicht eingeht, betont Meisner II46 zwar, daß zum Bestimmen eines Schriftstücks auch „die Frage nach dem Zweck“ gestellt werden müsse, doch erscheint das Erfordernis „finaler Bestimmung“ selbst bei Meisner III47 eigentümlich akzidentiell; seine späte Aussage, daß der Zweck gar „bei ein und demselben Schriftstück mit dessen Funktion wechseln“ könne, wird kaum erläutert – ein eigenes Kapitel darüber fehlt. Seine Aktenkunde, die überwiegend Formenkunde bleibt, ist dennoch nicht „zwecklos“, vielmehr hat sie sich als solche – oder eben deshalb? – erfolgreich durchgesetzt. Der Sinn von Meisners Methode ist es ja nicht nur, Archivalien vergangener Epochen in all ihren Aussagen richtig zu verstehen, sondern auch dem Historiker in der ermüdenden Masse moderner Schriftstücke eine qualitative Orientierung zu bieten; wer wichtige von weniger 43
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Henning/Wegeleben: Archivare 1874–1924 (wie Anm. 30), S. 52 f. mit Literaturangaben zu Meisner-Würdigungen, vgl. außerdem Botho Brachmann: Zum 100. Geburtstag von Heinrich Otto Meisner, in: Archivmitteilungen 40 (1990), S. 41–43. Meisner I (wie Anm. 31), S. 3. Meisner I (wie Anm. 31), S. 4. Meisner II (wie Anm. 37), S. 26. Meisner III (wie Anm. 11), S. 125, 127 f.
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wichtigen Schreiben schneller zu unterscheiden lernt, kann quantitativ mehr Akten in ein und derselben Zeit auswerten bzw. seine Lesegeschwindigkeit erhöhen. Meisner ging ursprünglich von preußischen Verhältnissen aus, in denen er ein besonderes Paradigma seiner Aktenkunde sah48. Später umfaßte seine Darstellung das ganze staatliche Schriftgut aus monarchischer Zeit, ergänzt durch die in Nachlässen oder Familienarchiven erkennbaren privaten Registraturen49. Zu einer Ausweitung zu „Sonderaktenkunden“, wie Meisner sie nannte50, durch andere Autoren kam es aber erst nach dem zweiten Weltkrieg. Angeregt von Otto Korfes, entstand zuerst eine Aktenkunde der kapitalistischen und der sozialistischen Wirtschaft durch den Hallenser Stadtarchivund Bibliotheksdirektor Erich Neuß (1954, 1956), der damit aktenkundliches „Neuland“ betrat51. Sie wurde nötig auf Grund der DDR-Gesetzgebung über die Betreuung von Archiven der „volkseigenen“ und genossenschaftlichen Betriebe, für die Neuß in seinen Kursen den Nachwuchs heranbildete. Sein zweibändiges Werk ordnet erstmals die „Überfülle der Erscheinungsformen des Schriftguts“ der Wirtschaft, selbst wenn es – wie auch sein Autor selbstkritisch bemerkte52 – vielleicht nicht ganz Meisners Anforderungen an eine genetische und analytische, wohl aber an eine systematische Betrachtung genügen mag, so ist doch dessen „methodischer Weg auch seiner Darstellung zugute gekommen“53. Neu an Neuß ist, daß er bei seiner Charakterisierung der verschiedenen kaufmännischen Urkunden und Akten auf die bisherigen Epochengrenzen der Urkundenlehre und Aktenkunde verzichtete und auch „keinen Unterschied in der Betrachtung von Urkunden und Akten erkennen“ ließ54. Seine „Aktenkunde der Wirtschaft“ war überdies ausdrücklich „für den Archivar“ geschrieben, allerdings nicht nur für den der DDR, sondern auch für westdeutsche Betriebs- und Wirtschaftsarchivare, damals noch von der „unerschütterlichen Hoffnung auf ein einziges, einheitliches, friedliebendes und demokratisches Deutschland getragen“55. Meisners Werk wurde nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur von ihm selbst in Lehrbüchern weitergeführt, sondern auch im „Westen“ von Wolfgang Leesch in seinem Heft „Vom Wesen und von den Arten des Archiv48 49 50 51
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Meisner I (wie Anm. 31), S. 3. Meisner III (wie Anm. 11), S. 62–82. Meisner III (wie Anm. 11), S. 124. Erich Neuß: Aktenkunde der Wirtschaft, Teil 1: Kapitalistische Wirtschaft, Teil 2: Sozialistische Wirtschaft, Berlin 1954–1956. Vgl. Rezension von Ilse Barleben, in: Der Archivar 8 (1955), Sp. 304–310 u. zu Korfes die Biographie von Sigrid WegnerKorfes: Weimar-Stalingrad-Berlin, das Leben des deutschen Generals Otto Korfes. Bayreuth 1994. Neuß (wie Anm. 51), Teil 2, S. 8. Neuß (wie Anm. 51), Teil 2, S. 16. Dülfer (wie Anm. 19), S. 12 f. Neuß (wie Anm. 51) Teil 1, S. 9.
Wie die „Aktenkunde“ entstand
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gutes“ (1951)56. Während Leesch aber noch in der aktenkundlichen Tradition Meisners und seiner Vorgänger steht, die sich der Aktenkunde von den Urkunden her näherten, kritisierte Kurt Dülfer in seiner Studie über „Urkunden, Akten und Schreiben in Mittelalter und Neuzeit“ (1957) diesen Ansatz aus der Sicht der Akten57. Ohne ihre Bindungen an Urkunden zu bestreiten, betonte er andererseits die enge Bindung „der Urkunden an einen Teil der ,Akten‘“58, insbesondere von Einzelschriftstücken, die er nach dem Vorbild Küchs als „Schreiben“ bezeichnete (im Gegensatz zum Privatbrief). So warnte Dülfer vor dem Irrtum, ein Urkundenkonzept als Aktenschriftstück aufzufassen oder eine Urkunde in Form eines Schreibens nicht als Urkunde gelten zu lassen59: „Das einfache Privileg war ... eine Urkunde in der Form eines Schreibens, eben des Mandats“60. So gelangte er zu dem Ergebnis, daß es nicht nur Urkunden in Form von Schreiben, sondern auch Schreiben in Urkundenform gibt, was zu seiner Forderung an die Aktenkunde führte, künftig Form und Inhalt deutlicher aufeinander zu beziehen: „Mit jedem Schriftstück verfolgt sein Aussteller einen bestimmten Zweck, er überträgt ihm eine Funktion. Damit tritt neben das Formprinzip die Erkenntnis von Zweck und Absicht eines Schriftstücks“61. Im Gegensatz zu seinem großen aktenkundlichen Kontrahenten gelang es Dülfer nur selten, für seine Erkenntnisse einprägsame Formulierungen zu finden und so bleibt hier deutlicher auf den „grundsätzlichen Unterschied zwischen der Meisnerschen Systematik der amtlichen Schreiben und derjenigen hinzuweisen, wie sie an der Archivschule Marburg“62 von ihm gelehrt, durch Hans-Enno Korn (gest. 1985) und andere fortgesetzt wurde. Während Meisner I/II anfangs nach 1. Rang (Über- bzw. Gleich- oder Unterordnung), 2. grammatischem Stil, 3. Zweck, Meisner III nach 1. Stil, 2. Rang und 3. Zweck63 klassifizierte, geht die Dülfersche Einteilung „dagegen vom Zweck (Befehl, Mitteilung, Bericht) aus und unterteilt die damit gebildeten drei Gruppen nach dem grammatischen Stil. Das individuelle Rangverhältnis zwischen den Korrespondenzpartnern tritt nur akzessorisch hinzu und kann lediglich die Form des Schreibens aus 56
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Wolfgang Leesch: Vom Wesen und von den Arten des Archivgutes. 2. überarbeitete Aufl. Münster 1993, S. 25 ff. (= Texte und Untersuchungen zur Archivpflege H. 7). Erstmals erschienen 1951. Dülfer (wie Anm. 19). Zu Dülfer vgl. die Würdigung von dessen 65. Geburtstag von H. Dahm, in: Der Archivar 26 (1973), Sp. 153–156. Dülfer (wie Anm. 19), S. 52. Dülfer (wie Anm. 19), S. 27–29. Dülfer (wie Anm. 19), S. 32. Dülfer (wie Anm. 19), S. 28, vgl. auch S. 50. Hans-Enno Korn: Kabinettsordres. Ein Kapitel Aktenkunde, in: Der Archivar 26 (1973), Sp. 225–232, hier bes. Sp. 225, Anm. 3. Meisner III (wie Anm. 11), S. 126 ff. betrachtete nun den grammatischen Stil als „erstes allgemeines (direktes)“ und das Rangverhältnis der Korrespondenzpartner als „zweites allgemeines (indirektes) Stilmerkmal“.
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Wie die „Aktenkunde“ entstand
Rücksicht auf den angeschriebenen Partner modifizieren“64. Was das bedeutet, zeigt ein von Korn ebenfalls beigegebenes Beispiel der „Kabinettsordres in Form von Handschreiben“, die Friedrich der Große von Preußen an den Erbprinzen Friedrich (II.) von Hessen-Kassel als preußischem General richtete, also ehe dieser 1760 als Landgraf die Regierung übernahm: „Meisner müßte klassifizieren; 1. Stil: Ich, 2. Rang: gleichrangig, da beide Reichsfürsten, 3. Zweck: Befehl; Ergebnis: Handschreiben mit dem Inhalt eines Befehls. Nach Dülfer: 1. Zweck: Befehl, 2. Stil: Ich, 3. Rangverhältnis: Fürst (hier Landesherr) an Fürst; Ergebnis: landesherrliches Befehlsschreiben im IchStil = Kabinettsordre. Da der Empfänger hier ebenfalls ein Fürst ist, auf dessen Rang Rücksicht zu nehmen ist, was durch die Form des Handschreibens geschieht, ergibt sich als endgültige Einordnung ,Kabinettsordre in Form eines Handschreibens‘. Es erscheint einleuchtend, daß die hier behandelten Schreiben ihrem Inhalt entsprechend als Ordres klassifiziert werden müssen; eine Einordnung in die Gruppe der Handschreiben erscheint, da sie rein formal wäre, aber auf den Zweck der Schreiben keine Rücksicht nimmt, ihnen nicht angemessen“65. Außer diesen klassifikatorischen Unterschieden sollten auch terminologische nicht unerwähnt bleiben, die immer wieder aktenkundliche Verständnisschwierigkeiten hervorrufen: Meisner66 und Leesch67 verstanden z. B. unter dem Begriff der „Kanzleischreiben“ auch Weisungen (Mandate, Reskripte und Erlasse) im Wir-Stil, während Dülfer68 diesen Begriff – den Kanzleitraditionen des 18. Jahrhunderts folgend – auf bloße Mitteilungsschreiben im Wir-Stil beschränkt sehen wollte; die von Meisner zusätzlich für alle Schreiben im Wir-Stil eingeführte Bezeichnung „Fürsten-“ oder „Zeremonialschreiben“ verwendet Dülfer nicht. Handschreiben begrenzte Dülfer nach dem Vorgange Meisners zwar auf die fürstliche Sphäre, doch ergänzte er sie durch Handschreiben von Einzelbeamten im Ich-Stil, die er dann „Beamtenmitteilungen“ nannte. Unter den Mitteilungsschreiben im objektiven Stil fügte Dülfer den diplomatischen Noten noch solche von Behörden innerhalb eines Landes hinzu, die er dann (wenig glücklich) als „Kommunikationsschreiben“ bezeichnete. Bei den Befehlsschreiben im Ich-Stil ergänzte Dülfer für außerpreußische Verhältnisse die Kabinettsordre (bei Meisner „Kabinettsorder“ ge64
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Wie Anm. 62. An Dülfers Zweckkategorien (Befehl, Mitteilung, Bericht) erinnern übrigens die später gebildeten von K. Ermert, der in seinen „Ansätzen zu einer Brieftypologie“ Aufforderungs-, Kontakt- und Darstellungsintentionen unterscheidet (vgl. Briefsorten, Untersuchungen zu Theorie und Empirie der Textklassifikation, Tübingen 1979, S. 174–199), worauf Thomas Trumpp aufmerksam gemacht hat (vgl. Archivalische Textsorten, ein Beitrag zur Systematischen Schriftgutkunde, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 3, 1995, S. 10–14, hier S. 12). Korn (wie Anm. 62), Sp. 228, Anm. 18. Vgl. u.a. Meisner I (wie Anm. 31), S. 16, 19. Leesch (wie Anm. 56), S. 11 ff. Dülfer (wie Anm. 19), S. 43, Anm. 133.
Wie die „Wie Aktenkunde“ entstand entstand die „Aktenkunde“
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Wie die „Aktenkunde“ entstand
Abb. 2: Typologie des externen behördlichen Schriftverkehrs (nach Dülfer-Korn), zusammengestellt von den Teilnehmern des 11. Lehrgangs des höheren Archivdienstes der Archivschule Marburg/L. (1970/71). Die Terminologie hat sich seither nur geringfügig geändert bzw. verfeinert, so heißen die Befehlsschreiben heute „Weisungen“, Beamtenmitteilungen „Beamtenschreiben“ usw.
Stil
Zweck
Berichte (mit der Bitte um Weisung)
Befehlsschreiben (Entscheidungen, Weisungen, preuß. Ersuchen)
Ich
Handschreiben
Allerhöchster Erlaß
Beamtenmitteilung
Beamtenbefehl
Erlaß / Verfügung
Mandat
Handbillet / Kabinettsordre
Mitteilungsschreiben
Reskript Wir Berichte
Kanzleischreiben Behördenschreiben
Erlaß / Verfügung
Dekretschreiben
Kommunikationsschreiben
Diplomatische Noten
OBJ. Erlaß / Verfügung
Wie die „Aktenkunde“ entstand
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schrieben) durch das „Handbillet“, ferner führte er den „Beamtenbefehl“ ein, während er Befehlsschreiben im objektiven Stil nicht wie Meisner „Dekrete“ nannte, sondern im Unterschied zu „sonstigen Dekreten wie Urteilen, Konzeptangaben, Gesetzen“, lieber als „Dekretschreiben“ bezeichnet wissen wollte69. Diese begrifflichen Beispiele ließen sich vermehren, doch mögen sie zur Illustration genügen bzw. die beigegeben Schemata verständlicher machen; Meisner und Dülfer vermieden graphische Vergröberungen, da ihnen (allzu)leicht etwas Endgültiges anhaftet. Ob ihre Schüler als terribles simplificateurs mit ihnen den Durchblick wirklich verbessert und nicht nur die Zusammenhänge der Schriftstücke untereinander verwischt haben, muß ihr Betrachter entscheiden (vgl. Abb. 1 u. 2)70.. Mit Meisners und Dülfers Thesen setzte sich auch Ernst Pitz auseinander, der mit seiner Darstellung des „Schrift- und Aktenwesens der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter“ (1959) ein eindrucksvolles Beispiel einer „Sonderaktenkunde“ lieferte71. Seinen „Beitrag zur vergleichenden Städteforschung“ am Beispiel von Köln, Nürnberg und Lübeck wollte Pitz aber auch als einen „zur spätmittelalterlichen Aktenkunde“ verstanden wissen, mit der er die Stadtbuchforschung auf völlig neue Grundlagen stellte. Auch wenn er selbst die Meisnersche Betrachtungsweise auf das städtische Schriftgut anwendete, hielt er sie doch, ähnlich wie Dülfer, für „unzureichend“72, da sie dessen Funktion nicht genügend Rechnung trüge. Pitz sah in Amtsbüchern und Akten „immer zusammengesetzte Schriftgutkörper, und nur ihre Bausteine können mit dem Verfahren Meisners erfaßt und beschrieben werden“73. Er warf ihm vor, er habe „allzu einfach die Prinzipien der Urkundenlehre auf die Aktenkunde übertragen, indem er das Einzelstück in den Mittelpunkt stellte, während für die Aktenbildung der Zusammenhang des Ganzen den Ausschlag gibt“74. Um zum „Kern der Sache“ vorzudringen, wies Pitz der Aktenkunde einen anderen Weg: „Um dahin zu gelangen, muß man ausgehen von den funktionsmäßigen Zusammenhängen, welche die einzelnen Stücke zu Buchreihen und Blattserien verknüpfen. Diese sind aber durch Organisation und Verwaltung bestimmt, und hier muß daher das Fundament gelegt werden, auf dem die Aktenkunde ihr Gebäude errichten 69 70
71
72 73 74
Dülfer (wie Anm. 19), S. 46, Anm. 141. Eine Graphik stammt aus dem Lehrbrief von Gerhard Schmid (wie Anm. 76, S. 176), die andere aus meinen mündlich tradierten Aufzeichnungen aus dem 11. Referendarskurs der Marburger Archivschule, wobei ich für Mitteilungen über den aktuellen Unterrichtsstand Herrn Kollegen Dr. Falko Neininger danke. Ernst Pitz: Schrift- und Aktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter. Köln – Nürnberg – Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde. Köln 1959 (= Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, H. 45). Pitz (wie Anm. 71), S. 23. Pitz (wie Anm. 71), S. 27. Pitz (wie Anm. 71), S. 480.
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kann“75. Geschähe dies wirklich, müßte man freilich um die Tragfähigkeit dieses Fundaments fürchten, denn Pitz unterscheidet die Aktenkunde nicht von der Archivwissenschaft bzw. scheint aus beiden eine Art „Megadisziplin“ machen zu wollen, die wiederum ohne die Hilfe der Verwaltungsgeschichte kaum entwicklungsfähig wäre. Man denke an die spätere „Archivalienkunde“ (= Meisner III), doch auch in ihr gehen Aktenkunde (besonderer Teil) und Archivwissenschaft (allgemeiner Teil) nicht viel mehr als eine „Buchbindersynthese“ ein; beide Fächer bleiben zwar interdisziplinär eng aufeinander bezogen, doch kann aus der Aktenkunde als Historischer Hilfswissenschaft und der Archivwissenschaft als Informationswissenschaft gegenwärtig noch kaum ein Integrationsfach geschmiedet werden. Die Aktenkunde ist eher eine inhaltlich-historische als eine formal-archivwissenschaftliche Disziplin; sie liefert der Archivwissenschaft nur die Grundlagen für die Zuordnung einzelner Schreiben nach dem Provenienzprinzip. Der Historiker bleibt somit fallweise auf das interdisziplinäre Zusammenspiel beider angewiesen, wenn er sich der Interpretation seiner Quellen zuwendet, deren Provenienzzusammenhänge er genau beachtet und damit auch – wie von Pitz gefordert – die Funktion einzelner Schreiben im Kompositionsverbund der Akten. Im Ostteil Deutschlands (SBZ/DDR) rekrutierten sich Meisners Schüler in erster Linie aus Absolventen der in Potsdam und in Berlin (-Ost) durchgeführten Archivarsausbildung. Unter ihnen – gleichsam als „Meisterschüler“ und Autor von Lehrbriefen für die 1955 gegründete „Fachschule für Archivwesen“ – ist Gerhard Schmid (Potsdam, später Weimar) zu nennen76. Von ihm stammt eine sehr anerkennenswerte, noch von Meisner selbst begutachtete und als Manuskript gedruckte „Aktenkunde des Staates“ in zwei Teilen (1959) nebst Beispielsammlungen und Erläuterungen, die dem Fachschulfernstudium der Archivare diente, aber auch an der Humboldt-Universität Verwendung fand. Sie hatte nicht die Aufgabe „auf noch offene oder strittige Probleme“ der Aktenkunde einzugehen77, sondern Grundkenntnisse und methodische Anleitung zu vermitteln, wobei allerdings die analytische Aktenkunde „nicht zusammenfassend als gesonderter Abschnitt behandelt“ worden ist78. Außerdem überraschte Schmid mit der Annahme, daß 75 76
77 78
Wie Anm. 74. Gerhard Schmid: Aktenkunde des Staates, Teil I/II. Potsdam 1959 (Lehrbriefe für das Fachschulfernstudium der Archivare). Meisner III (wie Anm. 11), S. 128 hebt an Schmids Lehrbrief hervor, er dringe „namentlich in seiner Durchleuchtung der Kanzleivermerke tief in das Gefüge der neuen Hilfswissenschaften ein und veranschaulicht den Text durch eine große Zahl trefflich ausgewählter Beispiele, die auf das Sorgfältigste erläutert sind“. Anders als Meisner, der nur Herrscher- und Behördenverordnungen unterschied, führte Schmid neben Weisungen des Landesherrn und selbständigen der Behörden auch Auftragsanweisungen (nomine regis) als Mittelgruppe ein. Schmid (wie Anm. 76), Teil I, S. 4. Schmid (wie Anm. 76), Teil I, S. 8.
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der Prozeß der Ausbildung des Aktenwesens „im wesentlichen im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Abschluß“ gekommen sei79, wo er doch keineswegs mit dem Ancien Régime aufgehört hat, sondern bis heute anhält. An einer derart starren Epochengrenze wird dann auch in der letzten überarbeiteten Fassung dieses Lehrbriefs nicht mehr festgehalten, der in gestraffter Form als „Akten“-Kapitel nochmals in den „Archivalischen Quellen“80 erscheinen konnte; er bietet nun auch Ausblicke auf das städtische Registraturwesen und gewährt zudem Einsicht in die Aktenkunde der Wirtschaft. Ergänzend zu diesem Lehrbrief von Gerhard Schmid ist auch jener zur „Aktenkunde“ (1968) des Kapitalismus von Irmtraut Schmid (Staat) und Hermann Schreyer (Wirtschaft) für den Fernunterricht von Archivassistenten zu nennen, dessen Autoren bedauern, daß „die Erkenntnisse für die Akten der sozialistischen Gesellschaftsordnung dagegen erst erarbeitet ... werden müßten“81. Auch dieser Lehrbrief stellt, wie von ihm verlangt, nur Grundwissen zusammen, wieder ohne die analytische Aktenkunde neben der systematischen und genetischen auch zu streifen oder Meisners Lehrbücher als „Zusatzliteratur“82 überhaupt zu nennen. Stattdessen sollten die angehenden Assistenten jetzt nicht nur mit der aktenkundlichen Methode vertraut gemacht werden, sondern ihnen auch „mit ihrer Hilfe der Klassencharakter der Akten als historische Quellen“ verdeutlicht werden – was hier allerdings mehr proklamiert als durchgeführt wurde. Für die beiden wichtigsten Herkunftsgruppen der Archivalien sind – wie wir gesehen haben – im östlichen Teil Deutschlands in den fünfziger und sechziger Jahren aktenkundliche Spezialdisziplinen des Staates und der Wirtschaft entstanden, die einen guten Überblick bieten, ohne in ihren Darstellungen unangebracht „politisiert“ zu wirken. Sie waren allerdings noch keineswegs aus „einem Guß“, was sich erst ändern sollte, als der um die Aktenkunde sehr verdiente Ulrich Heß aus Weimar es in den siebziger Jahren unternahm – wiederum für Unterrichtszwecke der Potsdamer Fachschule für Archivwesen – einen neuen „Wissensspeicher für das Lehrgebiet Aktenkunde des Staates und der Wirtschaft, Kapitalismus und Sozialismus“ 79
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Schmid unterteilt in die Epoche von 16.–18. und 19. und 20. Jahrhundert. Dazu Meisner III (wie Anm. 11), S. 125: „... sind die Verbindungslinien und Überschneidungen zwischen dem Ancien Régime und der konstitutionellen Zeit so zahlreich und so deutlich, daß es sich nicht empfiehlt, die Darstellung in zwei Abschnitte zu zerlegen“. Dem ist nichts hinzuzufügen, denn es ist erstaunlich, wie sich gerade im 19. Jahrhundert noch ältere Aktenformen trotz grundlegender Veränderungen im Verwaltungsaufbau halten. Schmid (wie Anm. 1), S. 51–85. Irmtraut Schmid: Aktenkunde des Staates (Kapitalismus) und Hermann Schreyer: Aktenkunde der Wirtschaft (Kapitalismus), Lehrbrief, 2 Teile als Ms. gedruckt, Potsdam 1968, S. 3 (= Lehrmaterial für den Fernunterricht für Archivassistenten der Staatlichen Archivverwaltung des Ministeriums des Innern der DDR). Schmid/Schreyer (wie Anm. 81), S. 124.
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Wie die „Aktenkunde“ entstand
nebst Beispielsammlung (1974–1979)83 anzulegen. Wie schon Neuß durfte auch er mit einigem Recht von sich behaupten, „Neuland auf aktenkundlichem Gebiet“ betreten zu haben. Heß behandelte nämlich erstmals die bei Meisner noch nicht entwickelte Aktenkunde des Staates auch nach 1918 und verwies folgerichtig darauf, daß „eine Trennung von Staat und Wirtschaft ... bei aktenkundlichen Bestimmungen in der Epoche des Sozialismus nicht mehr angängig“ sei84. Allerdings begnügte sich Heß für die „Epoche des Kapitalismus“ weniger damit, Meisners Werk abzurunden und zu korrigieren, versuchte es vielmehr auch umzuschreiben. Seine „Kritik der systematischen Einteilungsprinzipien der bürgerlichen Aktenkunde“ ist heute allerdings nicht nur wegen zeitbedingter ideologischer Beanstandungen an Meisners Lehre, sondern auch darüber hinaus für die Disziplinentwicklung des Faches aufschlußreich: „Die als bürgerliche Wissenschaft in Deutschland verhältnismäßig spät in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begründete Aktenkunde (des Staates) schloß sich an die Erkenntnisse der Diplomatik an, die im 19. Jahrhundert beträchtlich erweitert worden waren. Sie basiert im wesentlichen auf den aktenkundlichen Erscheinungsformen des Feudalismus und gewinnt auch von dort ihre methodischen Prinzipien. Die dabei festgelegten Methoden zur Bestimmung der Schriftstückarten rücken ganz einseitig rein formale Gesichtspunkte in den Vordergrund. Sie machen vor allem das Überordnungs- und Unterstellungsverhältnis von Aussteller und Empfänger zum Maßstab der Einteilung. Die gleiche Methode ist später auch auf die Schriftstücke aus der Periode des Kapitalismus ausgedehnt worden. Da sie weiterhin den Informationsgehalt des Schriftstücks, also den eigentlichen Text, unberücksichtigt läßt, und die in ihm zum Ausdruck kommenden Klassenverhältnisse nicht beachtet, muß sie zu Fehlergebnissen kommen. So setzt sie die Großbourgeoisie im Verkehr mit dem vor ihr beherrschten Staat mit den Untertanen des Feudalstaates gleich. Ferner können mit den angewandten Methoden nicht die Schriftgutarten in ihrer Komplexität erfaßt werden, auch ist die systematische Methodik der Aktenkunde des Staates nicht auf die der Aktenkunde der Wirtschaft abgestimmt“85. Diese Kritik ist weniger als Ausfluß der Pauschalkritik am westlichen Formalismus oder gar 83
84 85
Ulrich Heß: Wissensspeicher für das Lehrgebiet Aktenkunde des Staates und der Wirtschaft, Teil Kapitalismus Bde. 1–4, dazu Beispielsammlung Bde. 1–3 sowie Teil Sozialismus, Bde. 1–9. Als Ms. gedruckt Potsdam 1974/75 u. 1979 (= Lehrmaterial für das Direkt- und Fernstudium. Fachschule für Archivwesen). Vgl. ferner den auszugsweisen Nachdruck des Teils Sozialismus in 2 Bdn., Potsdam 1975, und auch von U. Heß: Organisation, Geschäftsgang und Kanzleiwesen der Staatsbehörden des Herzogtums Sachsen-Coburg-Meiningen 1680–1829, Weimar 1957 (Masch.-Schr.). – Als Vorläufer der Beispielsammlungen von Heß erschien bereits eine, mir bisher nicht zugängliche, von Gottfried Börnet und Manfred Spuler für das Lehrgebiet Aktenkunde in Staat und Wirtschaft, T. Sozialismus (1945–1961), Potsdam 1973. Heß (wie Anm. 83), Sozialismus I, S. 13. Heß (wie Anm. 83), Kapitalismus I, S. 14.
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wegen einer dahinterstehenden „Abrechnung“ mit Meisner von Belang, der damals noch lebte, sondern weil hier auch „neuen“ aktenkundlichen Ansätzen Rechnung getragen wird, die sehr an die bereits in den fünfziger Jahren von Kurt Dülfer in Marburg/L. entwickelten erinnern. Dülfers Erkenntnis, daß jedem Schriftstück eine Funktion zukäme, daß es nicht nur nach seiner Form, sondern vor allem nach dem vom Aussteller verfolgten Zweck klassifiziert werden sollte, entsprach auch der Auffassung von Heß, der sich freilich nicht auf ihn bezog (und der auch sonst keine Literatur angibt). Heß geht es endlich wieder um den Inhalt, den „eigentlichen Text“ bzw. den „Informationsgehalt des Schriftstücks“, der bei Meisner I–III bisher tatsächlich zu kurz kam, da er es bis zuletzt vorzog, es nach Rang und Stil und damit in erster Linie formal und weniger final zu bestimmen. Indem er die Quellen erfreulich konkret analysierte, wiederholte Heß zugleich die berechtigte Kritik Dülfers an Meisners formalem System, doch überanstrengte er zugleich seinen eigenen inhaltlichen Ansatz, wenn er nun bestrebt war, die in den Texten „zum Ausdruck kommenden Klassenverhältnisse“ herauszulesen. Damit analysierte er nicht mehr nur wissenschaftlich den – zunächst unbekannten – Zweck eines jeden Schriftstücks, sondern unterstellte ideologisch-schematisch den – bereits erwarteten – bzw. benannte damit seine eigenen und die Interpretationsziele seiner Potsdamer Auftraggeber, deren „Wissensspeicher“ dazu dienen sollte, den „Klassencharakter“ von Schriftstücken (vom Standpunkt des Ausstellers her) nachzuweisen. Entsprechend heißt es auch noch zehn Jahre später im „Lehrprogramm“ der Aktenkunde des Staates und der Wirtschaft zur Ausbildung in der Grundstudienrichtung Geschichtswissenschaften an den Universitäten und Hochschulen der DDR vom 1. September 1986: „Dadurch, daß hinter den aktenkundlichen Erscheinungen handelnde, ihre Ziele verfolgende Klassen erkannt werden, wird die formalistische, von den gesellschaftlichen Zusammenhängen losgelöste bürgerliche Betrachtungsweise überwunden“86. *
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Lehrprogramm, S. 5. Vgl. auch das 7. Kapitel von Andreas Graul zur „Aktenkunde“ des Lehrbriefs Quellenkunde/Historische Hilfswissenschaften, hrsg. von einer Forschungsgruppe der Sektion Geschichte/Universitätsbibliothek des Karl-Marx-Universität, Leitung Bernhard Rüdiger, Leipzig 1987, bes. S. 27. Für das oben zitierte Lehrprogramm Aktenkunde wie für alle anderen Lehrprogramme gilt im übrigen, was Gerhard Schmid: Prolegomena zur Archivgeschichte der DDR. Eine Wortmeldung zur Einheit im deutschen Archivwesen (Der Archivar 43, 1990, Sp. 501–516, hier Sp. 509 f.) allgemein erläutert hat: „Unterschiedliche, ideologisch bestimmte Arbeitsgrundlagen und Regeln spielten natürlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aber andererseits kann und muß festgestellt werden: Unterhalb des politische-ideologischen ,Nebels‘, der sich über alle Arbeitsbereiche ausbreitete, ist weithin sachkundige, professionelle Arbeit geleistet worden“.
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Die Absicht dieser historiographischen Skizze bestand darin, die Entstehung der neuzeitlichen Aktenkunde aus der mittelalterlichen Urkundenlehre oder doch der neueren Diplomatik verständlich zu machen. Galt die Aktenkunde noch bei Harry Bresslau als ein Teil der Urkundenlehre, so gelang es dem jungen Fach, sich im 20. Jahrhundert aus ihr zu emanzipieren. Die Wurzeln der Aktenentwicklung reichen nicht, wie Meisner annahm, nur bis ins 16., sondern bis ins 14. Jahrhundert (wenn nicht gar noch weiter zurück) und ihr Gegenstand beschränkt sich in der Neuzeit nicht , um es mit Dülfer auszudrücken, auf einzelne Schreiben, Verkehrsschriftstücke und auf Memorialschreibwerk, sondern erfaßt, ganz in Sinne von Meisner, auch Urkunden, denn weder der eine noch der andere hatte „jemals die Absicht, die Arbeit der Aktenkunde auf den Bereich des Aktenwesens allein beschränken wollen“87. Allerdings haben Meisner und Dülfer bisher neben den genannten leider eine Gattung noch kaum gewürdigt, und das sind die Registereinträge (nebst ihren Formatierungsprinzipien), die keineswegs nur als eine Art Sekundärprodukt anzusehen sind; außer Schriftstücken und Urkunden müssen auch Recht-setzende Einträge in Amtsbücher (nicht nur die evtl. darüber ausgefertigten Urkunden) noch eine angemessenere akten- und quellenkundliche Beachtung finden88. Rückblickend scheint es an der Zeit zu sein, eine die Gesichtspunkte Meisners und Dülfers wie ihrer Schulen „zusammenführende“ Aktenkunde zu schreiben, also Form- und Inhaltsaspekte gleichermaßen zur Geltung zu bringen, wobei erschwerend hinzukommt, daß es Dülfer nicht mehr vergönnt war, seine Erkenntnisse – wie geplant – lehrbuchartig zusammenzufassen und auch die Marburger Archivschule über unveröffentlichte Skripten und Ankündigungen bisher kaum hinausgelangt ist89 (über entsprechende Aktivitäten der Bayerischen Beamtenhochschule/Fachbereich Archiv, und der Fach87
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Dülfer (wie Anm. 19), S. 13. u. Meisner III (wie Anm. 11), S. 51. Dort hebt er Akten mit Urkundenqualität, Urkunden mit Aktenfunktionen hervor. Auch Pitz (wie Anm. 71), S. 29 spricht von „Akten mit Urkundenfunktion“. Vgl. u. a. Joachim Lehmann: Registraturgeschichtliche und quellenkundliche Aspekte älterer Kanzleiregister, in: Archivmitteilungen 26 (1976), S. 13–18 und seine ungedruckte Dissertation: Die Register der brandenburgischen Kanzlei 1411–1470, Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin 1970. Ich danke Herrn Prof. Dr. Botho Brachmann für seine Hinweise. Vgl. Kurt Dülfer/Hans Enno Korn: Schrifttafeln zur deutschen Paläographie des 16.–20. Jahrhunderts, T. 1 u. 2, hrsg. bzw. neu bearb. von Günter Hollenberg, 7. Aufl. Marburg/L. 1992 (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Nr. 2). In Hollenbergs Vorwort (zu Teil II, S. 6, Anm. 4) wird bereits auf das von Jürgen Kloosterhuis „demnächst erscheinende Lehrbuch zur Aktenkunde“ hingewiesen; sein Erscheinen hat sich durch die neuen Berliner Aufgaben seines Autors hoffentlich nur verzögert. An der Marburger Archivschule behilft man sich einstweilen mit Umdrucken bzw. Skripten, die für die Historischen Hilfswissenschaften der Neuzeit, Abschnitt Aktenkunde, von Dieter Degreif und Volker Eichler bearbeitet worden
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hochschule Potsdam/Bereich Archiv-Bibliothek-Dokumentation, ist nichts bekannt). Freilich dürfte man heute nicht mehr allein vom preußischen Paradigma ausgehen, sondern müßte auch eine Reihe landesgeschichtlicher Kanzleistudien aktenkundlich auswerten, die ein neues Lehrbuch auf eine breitere Grundlage stellen würden, als sie Meisner besaß, denn die Zeit, in der es an Einzeluntersuchungen regionaler Art fehlte, ist erfreulicherweise längst vorüber, selbst wenn noch viele geistliche und weltliche Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation kanzleigeschichtlich aufzuarbeiten wären. So hatte schon Dülfer auf den spürbaren österreichischen Einfluß auf die Aktenführung im Reich (Protokollextrakte!), darunter auf Brandenburg, hingewiesen, ehe nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges dieses Vorbild verblaßte und auch preußische Formen (Kabinettsordres!) stärker nachgeahmt wurden; neben den städtischen waren es vor allem territorialfürstliche Kanzleien (Reskripte und Dekretschreiben), die seit der Ausbildung der Landesherrschaft stilbildend wirkten90. Eine Aktenkunde des Staates, aber auch der Wirtschaft, scheint somit realisierbar, während eine Aktenkunde der nichtstaatlichen Organisationen und von Einzelpersonen, wie sie schon in den sechziger Jahren u. a. Irmtraut Schmid und Hermann Schreyer gefordert hatten, bisher über Ansätze kaum hinausgelangt zu sein scheint91. Auch aktenkundliche Gegenwartsprobleme müßten in einer „neuen“ Aktenkunde angeschnitten werden, die darin liegen, daß 1) Rangunterschiede seit der monarchischen Zeit kaum noch zur Klassifizierung herangezogen werden können, weil sie weniger deutlich erkennbar geworden sind (z. B. gibt es heute in Deutschland keine Diensttitel mehr, nur Amtsbezeichnungen ohne Anredeanspruch; Adelstitel existieren nur noch als Namensbestandteile usw.)92, und daß 2) Stilmerkmale heute zur Bestimmung von Einzelschriftstücken praktisch ausfallen (als Folge nationalsozialistischer Behördenverfügungen kam es zu einem starken Rückgang des Wir- und des objektiven Stils zugunsten des Ich-Stils als Zeichen einer Übernahme von „Verantwortung“). Angesichts solcher und anderer „Merkmalsverluste“ sollte sich die moderne Aktenkunde in der Schwundstufe ihrer disziplinären Entwicklung verstärkt am sogenannten intrinsischen Wert orientieren93, d. h. an der Bedeutung, die ihre Quellen nach Form und Inhalt nur in der ursprünglichen Überlieferung besitzen; die Aussagekraft der Dokumente ist weitgehend an
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sind; mir liegt durch freundliche Vermittlung von Herrn Dr. Falko Neininger der Umdruck für den 29. Lehrgang vor. Vgl. Rez. K. Dülfer von Meisner II, in: Der Archivar 4 (1951), Sp. 41–45. Schmid/Schreyer (wie Anm. 81), S. 11. Henning (wie Anm. 7), S. 305, vgl. ferner Johannes Baron v. Mirbach: Adelsnamen, Adelstitel, Limburg 1997, S. 10. Angelika Menne-Haritz u. Nils Brübach: Der intrinsische Wert von Archiv- und Bibliotheksgut. Kriterienkatalog zur bildlichen und textlichen Konversion bei der Bestandserhaltung, Marburg 1997 (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft, Bd. 26).
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die Stabilisierung ihres Zustandes bzw. an den Originalerhalt gebunden. Das betrifft keineswegs nur die bildlichen Merkmale (Farbstiftvermerke, schwer erkennbare Tinten, verblassende Stempel, Prägedruck oder Wasserzeichen), sondern auch die „textlichen“, also die graphische bzw. typographische Anordnung (Loslösung einzelner Teile vom Textblock, Kopfbögen, Formulare, Beistriche u.a.), die sich jeder digitalen Konversion entziehen. Allenfalls vertragen sie unter Merkmalsverlust – wenn wegen Papierzerfalls oder aus Raumgründen erforderlich – noch eine analoge Konversion, etwa auf Mikrofilm, doch auch dann erscheint sie höchstens bei gleichzeitigem Erhalt einiger Originalbeispiele aller Textsorten vertretbar. Die „Aura des Originals“ (Benjamin) ist keineswegs nur ein museales, sondern auch ein aktenkundliches Phänomen. Seit der „Büroreform“ in den zwanziger Jahren muß sich die Aktenkunde verstärkt mit modernen Ausfertigungsverfahren, seit den sechziger Jahren mit neuen Kopiertechniken (Elektrokopien) und seit Mitte der achtziger Jahre mit dem inzwischen weitverbreiteten Versand von Telekopien, sogenannten Faxen, auseinandersetzen, wo – wie bei Telegrammen – das Original nicht mehr dem Empfänger behändigt wird, sondern beim Absender (mit Sendestempel) verbleibt. Diese Entwicklung setzte sich in den neunziger Jahre mit elektronischen Schreiben, sogenannter E-Mail, fort, desgleichen mit digitalisierten Publikationen. Diese Texte sind nicht mehr „stabil“, sondern wie alle Computerversionen prinzipiell veränderbar. Zwar stabilisiert auch hier die Schrift noch den Inhalt, doch ist dieser flexibel bzw. spurlos manipulierbar geworden. Es scheint keine abgeschlossenen Texte mehr zu geben, die sich entsprechend zeitlich fixieren lassen, falls nicht Bearbeitungsprotokolle geführt, und sie womöglich elektronisch unterschrieben und damit beglaubigt würden. Form und Inhalt sind flüchtig geworden, die Quellen „vorläufig“ – ein Problem nicht nur des Urheberrechts, sondern auch der Aktenkunde. Stets regelten Geschäftsordnungen Zuständigkeiten und bilden auch heute noch die „Software“ (Brachmann) des Geschäftsganges, wenn es darum geht, die papierbasierte Schriftlichkeit seiner Produkte, der Akten, durch elektronische Bürosysteme abzulösen. Geschäftsordnungen liefern somit Steuerungsvorgaben, die sich u. a. in Registraturordnungen niederschlagen, die den Zusammenhang der digitalisierten bzw. in Daten aufgelösten Schriftstücke weiterhin sichern müssen (im EDV-Jargon meist zu „Dokumenten“ stilisiert). Diese Hilfsmittel werden weiterhin benötigt, sonst wäre jedes Verwaltungshandeln behindert, der Überblick ginge verloren und die Kooperation mit über-, gleich- und untergeordneten Dienststellen würde leiden. Ohne diese notwendigen, aber vielleicht nicht einmal hinreichenden Hilfsmittel lockern elektronische Verfahren „die Verbindungen zwischen den Dokumenten“94 94
Angelika Menne-Haritz: Elektronische Schriftlichkeit und Geschäftsordnungen, in: Heinrich Reinermann (Hrsg.), Der Neubau der Verwaltung, Informationstechnische Realitäten und Visionen, Heidelberg 1995, S. 108–139, hier S. 123.
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allzu sehr, Funktionszusammenhänge und Entstehungsprozesse würden gleichsam preisgegeben, womit nicht nur das die Archivwissenschaft konstituierende Provenienzprinzip, sondern auch die Arbeit der Geschichtsschreibung letztlich gefährdet wäre, die auch künftig auf „Durchblicke durch den Bauzaun in die Werkstatt der Verwaltung“ angewiesen bleibt95. Unbeschadet von diesem, von manchen als bedrohlich empfundenen Ausblick auf die weitere Entwicklung wird die Aktenkunde von Historikern auch weiterhin für das bisherige Schrifttum als Hilfswissenschaft benötigt werden und zwar im Sinne der Definition Meisners: „Hilfswissenschaften sind periphere Nachbarwissenschaften, zur Nachbarschaftshilfe herangezogen und verpflichtet, sie gehören nicht zum Kern und Wesen derjenigen Wissenschaft, die sie benötigt96. Als Historische Hilfswissenschaft möchte die Aktenkunde auch künftig die Geschichtswissenschaft in ihrer Quellenarbeit unterstützen bzw. sie dazu anregen, sich dieser wieder verstärkt zuzuwenden – wofür allerdings auch dem akademischen Unterricht in den schon lange vernachlässigten Hilfswissenschaften erneut breiterer Raum zugebilligt werden müßte97.
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Angelika Menne-Haritz: Schriftgut oder Dokumente – Was sind die Spuren automatisierter Verwaltungsarbeit?, in: Archivalische Zeitschrift 79 (1996), S. 1–36, hier S. 1. Meisner (wie Anm. 38), S. 89. Vgl. auch: Eckart Henning Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften, in: Herold-Jahrbuch N.F. 1 (1996), S. 13–23, hier S. 15.
Titulaturenkunde Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker* I Zu den Historischen Hilfswissenschaften, die einen nahezu klassischen Fächerkanon bilden, gehören insbesondere Paläographie, Diplomatik, Chronologie, Sphragistik, Heraldik, Genealogie und Numismatik. Zu den jüngeren, erst in unserem Jahrhundert hinzugekommenen Hilfswissenschaften zählt u. a. die in den zwanziger Jahren am Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin-Dahlem durch Heinrich Otto Meisner (1890–1976) begründete „Aktenkunde als moderne Urkundenlehre“, die aber hinsichtlich der Titulaturen allenfalls Grundkenntnisse vermittelt1. Eine gewisse Vernachlässigung dieses Gebiets dürfte sich daraus erklären, daß Meisner zwar die genetische und die systematische, weniger aber die von ihm gleichfalls postulierte analytische Aktenkunde entwickelt hat, die sich vorzugsweise mit den äußeren Merkmalen einzelner Schreiben beschäftigen wollte und damit auch die historischen Adressen, Anreden und Titel ausführlicher hätte behandeln können. Statt dessen erklärte er die Kunde von Adressen „beinahe (zu) einer Geheimwissenschaft der Kanzleien“. Es sei im Rahmen seiner „Darstellung weder möglich noch nötig, die unendliche Vielzahl der Anreden“ zu behandeln, denn sie hätten „schon den gleichzeitigen Kanzleien viel Kopfzerbrechen gemacht, und auch die Theoretiker sind über die verzwickten Verhältnisse nicht immer einig gewesen“.2 So blieb es dann dabei, daß Titulaturen auch in aktenkundlichen Übungen (wie in diplomatischen oder paläographischen) an den Archivschulen oder in den historischen Seminaren der Universitäten höchstens im Kontext erläutert, sonst aber – aus Mangel an Kenntnissen oder auch aus einer gewissen modernen Geringschätzung des Themas – mehr als ein formenkundliches „Abfallprodukt“ behandelt wurden.
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Erstmals erschienen in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herolds zu Berlin 1869–1994, hrsg. von Bernhart Jähnig und Knut Schulz, Berlin 1994, S. 293–310 (= Herold-Studien, 4). Vgl. Eckart Henning, Die Historischen Hilfswissenschaften, in: Berlin im 19. und 20. Jahrhundert, Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. von Reimer Hansen und Wolfgang Ribbe (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 82), Berlin 1992, S. 365‑408, hier insbes. S. 384, 400 f. Heinrich Otto Meisner, Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg‑Preußens, Berlin 1935, S. 64 f.
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Wenn sich also bisher keine Hilfswissenschaft der Titulaturen, keine „Archontologie“, so recht herausbilden konnte, so gab es doch in älterer Zeit Sachverständige des Zeremoniells, die sich mit diesem heute fast vergessenen Gebiet befaßt haben. Zu nennen sind Staatsrechtler des 17.–19. Jahrhunderts, die sich nicht nur beispielsweise mit dem in der Goldenen Bulle (1356) festgelegten Wahl- und Krönungszeremoniell der deutschen Könige und Kaiser, sondern auch mit dem Präzedenzrecht (Rangordnungsproblem) und dem Recht der Ehrentitel beschäftigten, ferner Völkerrechtler, die sich den Fragen des Gesandtenzeremoniells lange vor der Wiener Schlußakte (1815) zuwandten. Einige von ihnen, die in Deutschland auch die Titulaturenkunde weiterentwickelten, seien hier genannt: der Theologe und Historiker Johann Christoph Bec(k)mann (1641–1717) mit seinen umfassenden, auch die Ehrentitel behandelnden „Notitia dignitatum illustrium civilium, sacrarum, equestrium“3, der Jurist Gerhardus Feltmann (1637–1696), kurfürstlichbrandenburgischer Rat und Verfasser des „Tractatus de titulis honorum“4, ferner Gottfried Stiewe, Rhetoriker und Historiker aus Liegnitz, der in seiner „Europäischen Hoff-Ceremonie“5 neben dem Präzedenzrecht und Gesandtenzeremoniell auch die Ehrentitel zusammenfassend dargestellt hat, ferner der fleißige Leipziger Stadtschreiber Johann Christian Lünig (1662–1740) mit seinem Werk „Des neueröffneten europäischen Staats Titulaturbuch“6 und der viel systematischer arbeitende Julius Bernhard v. Rohr (1688–1742) mit seiner „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der Großen Herren“7. Ihr Inhalt ist von dem Juristen Friedrich Carl v. Moser ebenso wie der anderer Werke in seinem „Hof-Recht“8 nochmals zusammengefaßt worden, das sich damit als eigenes Rechtsgebiet aus dem Staatsrecht herauszulösen begann; obwohl Moser darin das Kanzleizeremoniell relativ ausführlich behandelt, sind für den Bereich der Titulaturen seine Einzelstudien zu verschiedenen Titeln eher noch ergiebiger9. Im 19. Jahrhundert behandelten dann weniger die Juristen die Fragen des Hofzeremoniells als die Hofleute selbst10. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie endete schließlich die Entwicklung des deutschen Hofzeremoniells, und die Republik tat sich bis heute schwer mit 3 4
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Frankfurt/Oder 1670. Bremen 1672, geschrieben in Anlehnung an „Titles of Honor“ von John Seldon, London 1614. Leipzig 1715, 2. Aufl. 1723. 1. u. 2. Teil, Leipzig 1709‑25, vgl. auch von dems., Theatrum ceremoniale historicopoliticum, Leipzig 1719–29, ein Werk, in dem L. alles weltweit greifbare Material kompilierte. Berlin 1729, erneut 1733. Erschienen 1754–55. Kleine Schriften, 12 Bde., Frankfurt/M. 1752–65. Vgl. C. E. v. Malortie, Der Hof-Marschall, 2 Bde., 3. Aufl. Hannover 1866/67 u. Graf Rudolf v. Stillfried-Alcantara, Ceremonialbuch für den Königlich-Preußischen Hof, 12 Teile, Berlin 1871–85.
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ihrem Staatszeremoniell, dessen Entfaltung angesichts eines beschädigten Nationalbewußtseins hinter dem anderer Staaten zurückblieb. Von diesem (älteren) Bereich des Zeremoniells, unter dem „der Inbegriff derjenigen Regeln“ zu verstehen ist, „die bei repräsentativen Anlässen gelten und deren äußere Formen festlegen“11, ist tunlichst nicht nur der (jüngere) des Protokolls zu unterscheiden, der heute „die Gesamtheit der Normen und Regeln“12 meint, die „die äußeren Formen der zwischenstaatlichen Beziehungen – des diplomatischen Verkehrs – bestimmen“, sondern auch der (privatere) der Etikette, die den gesellschaftlichen Verkehr der Menschen untereinander regelt. Da auch auf diesem Gebiet der Gesellschaftsformen die Titel eine nicht unwesentliche Rolle spielten, entstanden Ratgeber, von denen hier ebenfalls Julius Bernhard v. Rohr – mit seiner „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der Privat-Personen“ (1728)13 zu nennen ist. Seine sämtlichen, hier nicht im einzelnen aufzuführenden Fortsetzer im 18. Jahrhundert untersuchte Barbara Zaehle14 bis zu dem bekannten Werk des Freiherrn Adolph Knigge (1752–1796) „Über den Umgang mit Menschen“15. In seiner Nachfolge entstand eine ganze Gattung von Komplimentier-, Anstands- und Benimmbüchern, die nicht nur den „guten Ton“ in allen Lebenslagen vermitteln wollten, sondern dabei auch mehr oder weniger ausführlich die Titulaturen abhandelten. Diese Gattung ist für die Zeit nach 1870 von Horst-Volker Krumrey näher analysiert worden,16 so daß es hier genügen mag, auf erfolgreiche Beispiele, etwa R. Stein, „Titulaturen und Kurialien bei Briefen, Eingaben usw.“17 Freiin Helene v. Düring-Oetken, „Zu Hause, in der Gesellschaft und bei Hofe“18, Übellackers „Briefsteller und Ratgeber für Schreiben an Behörden nebst Titulaturen“19 oder J. v. Eltz, „Das goldene Anstandsbuch“20 hinzuweisen. Sie alle widmen sich ausführlich auch Anreden und Titeln.
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Jürgen Hartmann, Staatszeremoniell, 2. Aufl. Köln 1990, S. 40. David Dreimann, Das diplomatische Protokoll, 3. Aufl. Leipzig 1985, S. 13. – Graf Finck v. Finckenstein, Protokollarischer Ratgeber. Hinweise für persönliche Anschriften und Anreden, Bonn 1990. Berlin 1728, erneut 1730. Knigges Umgang mit Menschen und seine Vorläufer, Hamburg 1933. Vgl. Hella Winter-Uedelhoven, Zur Bedeutung der Etikette, Frankfurt/Main 1991, zugl. Diss. Köln 1990. Bd. 1. 2, Hannover 1788, zuletzt als Band 6 (= Philosophie 1) einer Werkausgabe von 10 Bänden, hrsg. von Wolfgang Fenner, Hannover 1993. Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden, Franfurt/M. 1985. Berlin 1883. Berlin 1896. 23. Aufl., o. O. 1928. Erschienen sind mindestens zehn Auflagen, Essen o. J.
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II Titel verleihen gesellschaftliches Ansehen, doch sind sie nicht nur für die Selbstdarstellung von Personen von Belang (wie manch andere, eher unsichere Statussymbole), sondern sie verweisen auch auf die Kompetenz des Titelträgers, auf Funktionen und Befugnisse; Titel haben Signalwirkung hinsichtlich des gesellschaftlichen Ranges, sie machen soziale Bezüge sichtbar, legen Beziehungen zu anderen Personen fest, indem sie sie ordnen (bis hin zur Sitzordnung). Sie sind Ausdruck eines konkreten Bezugsystems, sie sollen Zutrauen erwecken, indem sie Autorität ausstrahlen, aber auch den Titelträger schützen, dessen Prestige sowohl Erwartungen weckt als auch Erfüllung verheißt. Titel wirken identitätsstiftend, integrierend und politisch stabilisierend. Ihre befriedende Wirkung sollte sozialgeschichtlich eingehender untersucht werden, zumal Rangunterschiede ein Kerngebiet der historischen Gesellschaftsforschung bilden. Die Definition dessen, was nun unter einem „Titel“ zu verstehen sei, wurde schon um 1900 als schwierig empfunden, sonst hätte nicht der Vorstand des Vereins „Herold“ eine Kommission (mit den Mitgliedern Kekule v. Stradonitz, Hauptmann, Hahn, Gräbner und Seyler) eingesetzt, um die Begriffe „Titel, Prädikat, Ehrenwort, Name, Würde, Stand usw.“ genauer zu erklären. Gustav A. Seyler fügte in seiner „Chronik des Vereins Herold 1869–1909“ verärgert hinzu: „Die verschiedensten Dinge werden bis jetzt ganz willkürlich als Prädikat und Titel bezeichnet ... Es ist notwendig, den Begriff jedes einzelnen dieser Worte genau zu bestimmen, so daß jede abweichende Verwendung als Fehler bezeichnet werden kann“.21 Ob dies der Kommission gelungen ist, muß freilich offen bleiben. Immerhin wurde das definitorische Problem – so läßt sich als Fazit festhalten – bereits frühzeitig erkannt, so daß es hier erneut aufgegriffen werden kann. Unter einem „Titel“ (lat. titulus, frz. tître) kann Verschiedenes verstanden werden – sieht man einmal von der gleichnamigen Stadt im serbischen Bezirk Belgrad an der Mündung von Bega und Theiß ab –, nämlich: 1) die Aufschrift eines Buches oder Bezeichnung eines Kunstwerkes, 2) ein Rechtstitel, beispielsweise zur Vollstreckung, oder ein Putativtitel, den man irrtümlich, aber entschuldbar, für rechtsgültig gehalten hat, 3) Kapitelüberschriften in älteren Gesetzbüchern, 4) (Etat-)Titel, die im Budget die einzelnen Gruppen der Einnahmen bzw. Ausgaben bezeichnen, 5) im Kirchenrecht die sogen. Weihetitel zur Absicherung des Lebensunterhalts von Klerikern (Titulaturkirchen bzw. -bischöfe, Tischtitel) und schließlich 6) Prädikate, die jemand seinem Stand und Amt gemäß in der erweiterten Anrede erhält bzw. genauer gesagt: was ihr noch hinzugefügt wird. „Prädikate“ bezeichnen, was von einem Subjekt ausgesagt wird, das „Ausgesagte“, eben auch Titel. Sie stellen ein Akzidenz 21
Gustav A. Seyler, Chronik des Vereins Herold 1869–1909, Berlin 1909, S. 19: zur Sitzung am 20.2.1900, vgl. auch Deutscher Herold 30, 1902, S. 21.
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dar, das hinzutreten, aber auch fehlen kann, mithin kein „Attribut“, das einer Standesperson oder einem Amtsträger notwendig „beizulegen“ wäre, da diese ja nicht erst durch ihren Titel, sondern bereits durch eine Standeserhebung bzw. die Übertragung eines Amtes legitimiert worden sind. Zu unterscheiden wären in der Neuzeit im wesentlichen Adelstitel, Amtstitel bzw. -bezeichnungen, Ehrentitel, akademische Grade und militärische Dienstgrade. Hier ist zunächst festzuhalten, daß sich die Titulaturenkunde nicht mit den geschützten Berufsbezeichnungen22 (wie Rechtsanwalt, Arzt, Handwerksmeister) beschäftigt, die keine Titel sind, oder gar mit den ungeschützten (wie Architekt, Heilpraktiker), aber auch nicht mit Funktionsbezeichnungen, mit denen nur die Stellung einer Person im Rahmen einer Behörde, Firma, Stiftung, eines Verbandes, Vereins oder sonstigen Einrichtung bezeichnet wird (Sachbearbeiter, Büroleiter, Referent, Dezernent, Abteilungsleiter, Vorsitzender, Präsident usw.) oder mit Bezeichnungen wie „Mitglied des Bundestages“, „des Abgeordnetenhauses“ oder gar – „des Herold“; Funktionsbezeichnungen sind keine Amtsbezeichnungen, werden aber leicht mit diesen verwechselt, obwohl sie höchstens zusätzlich verwendet werden könnten.23
III Spitzfindiger erscheint die Unterscheidung der Anreden von den Titeln, wo doch Titelträger mit ihren Titeln angeredet bzw. „tituliert“ wurden, doch gab es in der Vergangenheit – wie in wenigen Fällen auch noch heute – Anreden, die nur ganz bestimmten Titeln zuzuordnen waren (wie die „Durchlaucht“ einem Fürsten), so daß eine solche Unterscheidung sinnvoll und nützlich sein kann. Man spricht in diesen Fällen auch hilfsweise von mehrteiligen Anreden oder zweigliedrigen Titulaturen, kurz von „Anredetiteln“. Zunächst standen im Deutschen nur vier Anredeformen zur Verfügung, nämlich Du, Ihr, Er und Sie. Sieht man von der legendären Kunde aus dem Annolied einmal ab, wonach schon Cäsar die germanischen Völker geihrzt habe, „um sie zu ehren“, so scheinen doch schon im 9. Jahrhundert unter westeuropäischem Einfluß einzelne Stände in Deutschland diese Gewohnheit angenommen und den ursprünglichen Duzfuß aufgegeben zu haben. Bis zum 13. und 14. Jahrhundert bildete sich dann der Brauch heraus, daß Ranghöhere von Rangniederen generell geihrzt wurden, also auch der Vater von seinen Kindern, Ehepaare (von Stand) untereinander, sowie Geistliche und Fremde, während Rangniedere von Ranghöheren geduzt worden sind. 22
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Vgl. F. Karl, Zur gesetzlichen Regelung der Berufsbezeichnungen, in: Die öffentliche Verwaltung 1977, S. 880. So leitete z. B. ein Oberschulrat (= Amtsbezeichnung) als Präsident (= Funktionsbezeichnung) in Berlin das Wissenschaftliche Landesprüfungsamt.
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Dieses Ihrzen bzw. Duzen blieb – zumindest bei indirekter Anrede – bis ins 17. Jahrhundert hinein üblich. Doch schon im 15. und 16. Jahrhundert begann man die Anreden weiter zu „verfeinern“, wonach die Rede dann nicht mehr in der zweiten, sondern in der indirekten dritten Person des Singulars fortgesetzt wurde, d.h. man verwendete nun auch Er (bzw. Sie), während das Duzen gänzlich abkam bzw. man es als bäurisch empfand. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erschien nun gar das Erzen (bzw. Siezen) nicht mehr „comme il faut“, so daß man die Anrede von der dritten Person des Singulars noch in die dritte des Plurals setzte, also gar im Plural siezte. Dieser Brauch, der sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in der vornehmeren Welt durchgesetzt hatte, verschwand bereits Ende des Jahrhunderts unter dem Einfluß der Französischen Revolution. Unter Verwandten und sonstigen Näherstehenden setzte sich seither das Du wieder durch, während sich alle übrigen Leute siezten (ausgenommen die Quäker, die jedermann bis heute duzen). Erst in den siebziger und achtziger Jahren unseres Jahrhunderts ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: die Frankfurter Allgemeine klagte schon 1989 darüber, daß „der Weg vom Sie zum Du in fast allen Gesellschaftsschichten, nicht nur bei Studenten und SPD-Genossen, seine alten reizvollen Kurven, Schleifen und Abzweigungen verloren (habe). Man kommt allgemein so rasch zum ,Du‘ wie zur Sache. Das Ergebnis ist kein Gewinn an Intimität, keine Vermehrung der Brüderlichkeit, eher ein Zuwachs an Verdinglichung und Gleichgültigkeit... Vom ,Ihr‘ über das ,Sie‘ zum ,Du‘ – ein Trampelpfad abwärts“24. Anlaß für diesen Abgesang bot eine Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt): „Vom Sie zum Du – mehr als eine Konvention?“, die vielleicht schon in unseren Tagen umgekehrt gestellt worden wäre. Der „Spiegel“ (Hamburg) konstatierte, daß „die neue Siezerei“ das Duzen, das sich seit zwanzig Jahren wie „eine Seuche“ ausgebreitet habe, wieder ablöse, weil die Nivellierung durch die Medien nun das Gegenteil bewirke, und bemüht den Soziologen Bernhard Schäfer (Karlsruhe) mit folgender Erklärung: In einer Gesellschaft, in der alles und jeder gleichermaßen wichtig wie nichtig ist, setzt man mit dem Sie wieder Grenzen zum Selbstschutz ... Man akzeptiert und bejaht wieder die Ungleichheit, auch die soziale“25. * Im 15. und 16. Jahrhundert begann man in Deutschland damit, die Anreden weiter auszuschmücken, d.h. sie schriftlich wie mündlich nach dem Stand zu staffeln. Durch solche standespezifischen Anreden gelang es, die gesellschaftlichen Verhältnisse besser sichtbar zu machen, selbst wenn sie bereits 24 25
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Juli 1989, S. 25. Vgl. Der Spiegel 1993, H. 7, S. 243: Verbale Krawatten. Sogar junge Leute kehren zum Siezen zurück – eine neue Förmlichkeit bestimmt die Umgangsformen.
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durch Adels- oder Amtstitel, durch akademische oder militärische (Dienst-) Grade hinreichend gekennzeichnet erschienen. Hier von einer „weiteren Gruppe von Titeln“ zu sprechen, die als „Prädikate“ zu bezeichnen wären26, ist m.E. verwirrend, da eben auch „Titel Prädikate sind, die jemand in der Anrede erhält“ (unsere Definition). Bei diesen „Anredetiteln“, von denen eingangs die Rede war, handelt es sich lediglich um erweiterte bzw. besondere Anredeformen, die erhöhten Respekt und Distanz ausdrücken, ohne den Angeredeten namentlich ansprechen zu müssen; sie belassen ihn in seiner ständischen Anonymität. Eine ausgeprägte Kultur gestaffelter Anreden bestand bereits im Altertum, vor allem im Vorderen Orient und in Ägypten, aber auch in der Antike, bis sie schließlich unter Aufnahme persischer, hellenistischer und römischer Einflüsse ihren byzantinischen Höhepunkt unter Kaiser Konstantin dem Großen (274–337 n. Chr.) erlangte, der als „Divinität“ (Göttlichkeit) an der Spitze der Standespyramide stand27. Seine Untertanen redeten ihn zunächst mit „Vestra Aeternitas“ (Eure Ewigkeit) oder „Vestra Perpetuitas“ (Eure Unvergänglichkeit) an, doch folgten bald alle dieselben Sonderformen wie „Majestät“, „Eminenz“ oder „Exzellenz“, die wir in der Neuzeit als Wiederaufnahmen kennen, so daß sich rückblickend feststellen läßt, daß später eigentlich nicht mehr viel Neues auf diesem Gebiet hinzutrat. Allerdings ging zunächst einmal ein Teil dieser Anredeformen in der Völkerwanderungszeit wieder verloren. Sachsen und Franken unterschieden zunächst Edelinge (Adlige), Frilinge (freie Herren), Lassi (Freigelassene ) und Unfreie, wobei nur den beiden ersten Ständen besondere Anreden zukamen, nämlich den Edelingen „Strenui“ (Gestrenge) und den Frilingen „Validi“ (Feste bzw. Veste). Im Adel begann man den Erstgeborenen besonders herauszuheben, aus dem Älteren/ Senior entstand französisch Seigneur und italienisch Signor, woraus sich wieder die Königs- und Lordanreden Sire bzw. Sir entwickelten. Seit der Renaissance wirkte sich im 16. Jahrhundert an den deutschen Fürstenhöfen zunächst das spanische Hofzeremoniell aus, das ja eigentlich ein burgundisches war (als es Karl V. 1548 am spanischen Hof einführte), ehe es um die Mitte des 17. Jahrhunderts das weniger steife, aber ebenso streng gewahrte französische Hofzeremoniell, zuerst übrigens an den protestantischen Höfen, zu verdrängen begann. Im 18. Jahrhundert hatte es sich dann auch an den meisten katholischen Höfen im Heiligen römischen Reich deutscher Nation durchgesetzt (mit einigen Ausnahmen, wie dem Kaiserhof in Wien). Man begann, den Anreden nun dekorative Zusätze hinzuzufügen. So ist Kai26 27
Hartmann (wie Anm. 11), S. 303. Konstantin der Große führte die Diokletianische Organisation des Beamtentums zu Ende, das in vier Klassen zerfiel (illustres, spectabiles, clarissimi, perfectissimi). An der Spitze standen Hof- und Reichsbeamte: der Oberkammerherr, Hofmarschall, Kanzler, Reichsschatzmeister, der Schatzmeister der Fürsten, die Obersten der Leibwache zu Pferde und zu Fuß, jeder wieder mit zahlreichen Unterbeamten ausgestattet.
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ser Karl V. erstmals – wieder – mit „Majestät“ angeredet worden (wie auch die Könige Ludwig XI. von Frankreich und Heinrich VIII. von England). Kurfürsten und Herzöge nahmen das Prädikat „Exzellenz“ an, das ursprünglich ebenfalls dem Kaiser zukam, später erhielten es auch hohe Amtsträger, insbesondere Minister, Räte 1. Klasse und Generäle, schließlich der hohe Klerus28. Bei Hofe und im Staat hatte sich ein System der Anreden herausgebildet, das keineswegs auf den Adel beschränkt blieb, sondern bald auch vom Bürgertum imitiert wurde; es fand nicht nur in der Beamten- und Militärhierarchie verbreitet Anwendung und erfaßte auch die Geistlichkeit beider Konfessionen, sondern fand vor allem bei den Bürgern der Städte, bei Ratsmitgliedern und Stadtoberhäuptern Nachahmung. Sie kauften sich Titel von der kaiserlichen Hofkanzlei bzw. von den vom Kaiser eingesetzten Hofpfalzgrafen gegen Gebühren29. Doch in dem Maße, wie das neue Titel- und Anredeunwesen um sich griff, kam es auch zu seiner Entwertung. Bis in unser Jahrhundert hinein galten mit gewissen Veränderungen folgende Adelsanreden: Majestät (lat. maiestas: Größe, Erhabenheit): 1) „Kaiserliche Majestät“ = Anrede der Kaiser in Berlin, Peking, St. Petersburg, Wien, Teheran und Tokio; seit 1899 wurde sie auch in Addis Abeba vom Negus Negesti, dem König der Könige, beansprucht. 2) „Königliche Majestät“ = Anrede der Könige, mit den Sonderformen „Allerchristlichste Majestät“ = Anrede der Könige von Frankreich (seit 1469), „Allerkatholischste Majestät“ = Anrede der Könige von Spanien (seit 1496) und „Allergläubigste Majestät“ = Anrede der Könige von Portugal (seit 1748). 3) Majestät beanspruchen auch die Sultane von Malaysia und Oman. Hoheit (frz. Altesse, engl. Highness, bereits mhd. hocheit): Anrede 1) der Herzöge, 2) nachgeborener Prinzen und Prinzessinnen königlicher und großherzoglicher Häuser (ohne Baden und Hessen-Darmstadt), 3) einzelner russischer Prinzen, 4) des Fürsten von Monaco, der Emire von Bahrain, Kuweit und Katar, der Scheichs der Vereinigten Arabischen Emirate, der Herrscher von West-Samoa und des Aga Khan. – „Großherzogliche Hoheit“ = Anrede nachgeborener Prinzen und Prinzessinnen der Häuser Baden und Hessen-Darmstadt. – „Königliche Hoheit“ = Anrede regierender Könige und Großherzöge, letztere erhalten auch „allerdurchlauchtigst“. – „Kaiserliche Hoheit“ = Anrede 1) kaiserlicher Prinzen, 2) russischer Großfürsten, 3) einzelner Mitglieder der Familie Bonaparte. –„Kaiserliche und Königliche Hoheit“ = Anrede 1) des Chefs des Hauses Österreich, 2) des Hauses Preußen (heute verkürzt: „Kaiserliche Hoheit“). 28
29
In der Katholischen Kirche ist die Zahl besonderer Anreden auf dem II. Vatikanischen Konzil erheblich reduziert worden, vgl. das Annuario Pontificio. Vgl. Jürgen Arndt, Zur Entwicklung des kaiserlichen Hofpfalzgrafenamtes von 1355–1806, in: Hofpfalzgrafen-Register, bearb. von dems., Bd. 1, Neustadt/Aisch 1964, S. V–XXIV.
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Durchlaucht (mhd. durchluht, Lehnübersetzung von perillustris: sehr berühmt): Anrede 1) seit 1712 der bis 1918 souveränen deutschen Fürsten sowie des regierenden Fürsten von Liechtenstein (ursprünglich nur der Kurfürsten, seit 1375), später gesteigert zu „Hochfürstliche Durchlaucht“ (Reuß, Lippe), ferner 2) der Fürsten aus den für ebenbürtig erklärten Geschlechtern, 3) aller Fürsten, denen sie ausdrücklich verliehen wurde (sonst Anrede „fürstliche Gnaden“), 4) der nachgeborenen Prinzen der herzoglichen Häuser, 5) der Häupter der 1803/06 mediatisierten herzoglichen Familien nach dem Bundesbeschluß vom 13.8.1825, in einzelnen Staaten auch ihrer Nachgeborenen. „Durchlauchtig“ bzw. „Durchlauchtigst“ (Serenissimus) wird dagegen nur in Verbindung mit den Titeln verwendet, auch in Polen und Italien (Venedig, Genua) üblich. In Briefen erscheint oft die abgekürzte, nur Fürsten zukommende Anrede „Ew. Lbd.“ (= Euer Liebden) Erlaucht (mhd. erliuht von lat. illustris: erleuchtet): Ursprünglich nur Anrede der Chefs der vormals reichsständischen Grafenhäuser (fälschlich „Reichsgrafen“ genannt) nach den Bundesbeschlüssen vom 18.8.1820 und vom 13.2.1829. Konventionell erhielten aber auch die ältesten Söhne (Erbgrafen), später alle nachgeborenen Mitglieder dieser Familien diese Anrede zugestanden (teils „geduldet“, teils bestätigt)?30 Hochgeboren: Anrede der Grafen, soweit es sich nicht um reichsständische Häuser handelt (ursprünglich nur für Fürsten). Hoch- und Wohlgeboren: Ursprüngliche Anrede der Grafen und der Freiherrn bzw. Barone und als „Hochwohlgeboren“ auch der Ritter, Edlen und der nichttitulierten Adeligen (in älterer Zeit auch als „Feste“ angesprochen), ferner in Preußen der bürgerlichen Räte bis zur vierten Rangklasse, schließlich aller Offiziere (vom Leutnant bis Generalmajor, in der Marine bis zum Konteradmiral). Konventionell erhielt diese Anrede jedoch jeder, der zur „guten Gesellschaft“ gerechnet werden konnte. Wohlgeboren: Ursprünglich eine fürstliche Anrede, im 19. Jahrhundert vereinzelt auch noch für Adelige in Österreich, sonst aber die geringste Anredeform, die vergeben wurde und für Bürgerliche Anwendung fand. Diese Adelsanreden sind in Deutschland nach 1919 nicht Namensbestandteil geworden (im Gegensatz zu den Adelstiteln), so daß auf ihre Verwendung heute kein Anspruch besteht. Sie finden sich jedoch als Höflichkeitsfloskeln noch immer im mündlichen und schriftlichen Verkehr, gelegentlich sogar in amtlichen Schreiben. Bei Briefanreden wurden sie noch mit „Ew.“ (= Euer) und auf den Umschlägen (Außenadresse) mit „S.H.“ bzw. „I.H.“ (= Seiner bzw. Ihrer Hochwohlgeboren) versehen, was heute seltener vorkommt.
30
Karl Morneweg, Die Nachgeborenen der früher reichsständischen Grafenhäuser im Großherzogtum Hessen und das Prädikat „Erlaucht“, in: Deutscher Herold 45, 1914, S. 144.
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Daneben gab es noch eine Vielzahl spezieller Anreden“31 für Träger von Amtstiteln, akademischen oder geistlichen Würden sowie für Angehörige besonderer Berufsgruppen, die hier nur in Auswahl angeführt werden sollen: Achtbare (auch Ehrsame, -bare) Bescheidene Besondere Ehrsame, Namhafte Eminenz Exzellenz Getreue Großedele, Wohlehrenfeste, Wohlfürnehme Heiligkeit Hochgelahrt Hochwürden, Hochehrwürden, Ehrwürden Löblich 31
Bürgerliche, nichtstudierte Räte Bauern Untertanen, fremde; Frauen Handwerker Kardinäle; seit der Bulle Papst Urbans VIII. vom 10.6.1630 beschränkt auf Kardinäle, die drei geistlichen Kurfürsten und den Großmeister des Malteser Ordens. Ursprünglich fränkischer Königstitel 1) Kanzler, Minister, Unterstaatssekretäre, 2) Wirkliche Geheime Räte, 3) Ritter des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler, 4) Botschafter 5) Feldmarschälle, Generäle, Generalleutnants, Admiräle, Vizeadmiräle, 6) Oberpräsidenten, 7) ehem. Gouverneure deutscher Kolonien, 8) Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe Untertanen, eigene Kaufleute Päpste, innerkirchlich auch: Heiliger Vater Gelehrte (seit 18. Jahrhundert) Geistliche allgemein, wobei „Hochwürdigster Herr“ nur Präfekten, Prälaten, Generalvikaren, Ordensgeneralen, Generaläbten zusteht, ferner denen, die auch „Exzellenz“ erhalten (s. dort 8) Städtische und Regierungsbehörden, auch gesteigert zu „Wohllöblich“ und „Hochwohllöblich“
Die nachfolgende Übersicht ist wie die vorige im wesentlichen das vorläufige Ergebnis langjähriger Aktenstudien an Beständen preußischer und hessischer Provenienzen, ergänzt durch die Angaben älterer Handbücher. Eine kurze Übersicht erschien bereits bei Wolfgang Ribbe, Eckart Henning, Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 10. Aufl. Neustadt/Aisch 1990, S. 422–427; ein nichtautorisierter Raubdruck des Beitrags erschien mit der Verfasserangabe F. P. Lang, Titulaturen, in: Zeitschrift der Wappenrolle für Heraldik und Genealogie (Innsbruck) 3, 1987 , H. 2, S. 2 ff. (ihm lag die 9. Aufl. des Taschenbuchs zugrunde).
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Rektoren und neuerdings auch Präsidenten von Universitäten, früher für regierende Bürgermeister der Hanse- und freien Reichsstädte
Das Anrede-Zeremoniell belastete in den „Schnörkelbriefen“ des 16.–18. Jahrhunderts ganz besonders den amtlichen Schriftverkehr, der dadurch noch schwerfälliger ablief. So suchte man nach einfacheren bzw. effektiveren Formen, als sie die traditionellen Reskripte (Wir-Stil) boten und fand sie 1) im neuen Typus der Kabinettsordres, indem man den schlichten Stil des fürstlichen Handschreibens vom Mitteilungs- in ein Befehlsschreiben (IchStil) umfunktionierte, 2) umging man im Typus der eigentlich aus der Justizsphäre entlehnten Dekrete als „neuen“ Befehlsschreiben im objektiven Stil das Problem umständlicher und zeitraubender Aussteller- und Empfängerangaben durch eine geschickte Vereinfachung der grammatischen Konstruktion: Beide, „Aussteller und Empfänger werden nicht mehr selber redend oder angeredet eingeführt, wie beim Wir- und Ich-Stil, sondern ihre Erwähnung geschieht, wenn überhaupt, in der dritten Person“, wodurch Intitulatio und Inscriptio nahezu entfallen32. Die Anrede „Herr“ (ahd. herro, zu dem Komparativ heˆ riro = älter, erhabener: Lehnsübersetzung von lat. senior) bezeichnet schon im 9. Jahrhundert den Höhergestellten gegenüber dem Geringeren. Im Mittelalter war der „Herr“ nach König, Herzog, Fürst und Graf ursprünglich eine Standesbezeichnung aller Edelfreien; der nachgeborene Sohn eines solchen adeligen Herrn hieß „Juncheˆre“ (= Junker). Später kam es zu einer Entwertung bzw. Ausweitung der Bezeichnung Herr, indem sie auf alle „Vorgesetzten“ übertragen wurde, die über andere Herrschaft ausübten, schließlich sank sie nach dem 17. Jahrhundert zu einer bloßen Höflichkeitsfloskel gegenüber Adeligen, Angehörigen des Rates, Geistlichen usw. ab; im 18. Jahrhundert wurde sie allen Honoratioren und im 19. Jahrhundert allen Bürgerlichen, schließlich Männern jeden Standes zuerkannt. Dementsprechend wird der titulierte Adel neuzeitlich nicht mit „Herr Graf“ oder „Herr Baron“ usw. angeredet (= Kammerdienerjargon), sondern nur mit Graf X oder Baron Z. Dem Herrn steht nicht die „Herrin“ (jüngere Bildung), sondern die „Frau“ gegenüber, die in der französischen Form zur Zeit des Sonnenkönigs bzw. der Ausstrahlung seines Hofes auf Deutschland als „Madame“ (ursprünglich ma’ dame) an Ansehen gewann, war sie doch seit dem 17. Jahrhundert 32
Vgl. zum Komplex der Anreden und Titel Meisner (wie Anm. 2), S. 49, insbes. 65– 68; ders., Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, 2. Aufl. Leipzig 1952, S. 25, 105–110; ders., Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig 1969, S. 221–225. Für die Frühzeit vgl. Intitulatio. Lateinische Königs- (Herrscher-) und Fürstentitel. 7.–13. Jahrhundert, hrsg. von Herwig Wolfram, 3 Bde., Wien 1967, 1973 und 1988.
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die Anrede der Töchter des Königs von Frankreich und des Dauphins. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Madame als Bezeichnung für verheiratete Frauen von Stand nach Deutschland übernommen und ist heute noch allgemein als „meine Dame“ bzw. „gnädige Frau“ (früher mit der Steigerungsform „Gnädigste Frau“) erhalten geblieben; sie kam denen zu, die auf der Adresse „Hochwohlgeboren“ beanspruchen konnten bzw. erwarteten. Die häufig totgesagte, aber hartnäckig sich haltende Anrede „gnädige Frau“ kommt praktischerweise ohne Namensnennung aus. Der Ausdruck „Fräulein“ (mhd. vrouwelin), der soviel wie Jungfrau bedeutet, war ursprünglich Mädchen adeliger Abkunft vorbehalten (Edelfräulein), später wurde er für alle erwachsenen Mädchen aus gutem Hause und schließlich in allen Schichten für die unverheiratete Frau üblich. Als solcher ist er noch im 20. Jahrhundert bis in die achtziger Jahre in Gebrauch geblieben, doch stellte die angesehene Wochenzeitung „Die Zeit“ (Hamburg) 1988 fest: „Eines Tages war das Fräulein tot“, wobei sie hinzufügte, daß nicht nur Diminuitive auf „-lein“ als antiquiert empfunden würden, sondern wohl auch die „Frauenbewegung ein bißchen mitgeholfen habe, das Fräulein zu kippen“33. Sexbewußte Philologen muß es schließlich gestört haben, daß das Fräulein eben „das“ Fräulein hieß, es mithin ein Neutrum, wenn auch kein geschlechtsloses Wesen war. Das Geschlecht eines Wortes (genus) hat allerdings nichts mit dem männlichen oder weiblichen Geschlecht (sexus) gemein, denn das eine ist als grammatisches Merkmal von Substantiven ein sprachliches, das andere ein biologisches Faktum. Worte wie der Hund, die Eule, das Weib usw. zeigen deutlich, daß genus mit sexus nichts zu tun hat. Auch Personen- und Tierbezeichnungen werden gattungs- und nicht geschlechtsbezogen verwendet obwohl beispielsweise Günther Graß bei der „Rättin“ das genus „die“ Ratte offenbar noch nicht weiblich genug fand. Möchte man aber einmal anders verfahren, so steht als maskuline Variante das Suffix „-er“, als feminine „-in“ bereit (Schüler/Schülerin) – allerdings nicht bei allen Substantiven (wie etwa beim Lehrling). Wer also maskulinen Wesen feminine gegenüberstellen möchte (Bürgerinnen und Bürger), vermag dies für diesen Zweck zum Ausdruck zu bringen, doch handelt es sich dabei um Ausnahmen der Wortbildung, nicht um die Regel. Christoph Hönig bezeichnete das „zwanghafte bisexuelle Benennen als Quotendeutsch“34, das sich auch in Titulaturen niederschlagen kann. So gibt es jetzt Professor(innen), Professor/innen oder ProfessorInnen. Diese umständlichen, sexusbestimmten Doppelformen können aus deutscher Gründlichkeit leicht zur Manie werden, wogegen man sich – wie gegen alle 33 34
Die Zeit vom 12. August 1988, Nr. 33, S. 31 gez. Leo. Vgl. Der Tagesspiegel, Sonntagsbeilage vom 22. Oktober 1989, S. I und Marlis Hellinger, Christine Bierbach, Eine Sprache für beide Geschlechter, Richtlinien für einen nichtsexistischen Sprachgebrauch, hrsg. von der Deutschen Unesco-Kommission, Bonn 1993.
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verschlimmbessernden Präzisierungen – sinnvollerweise wenden müßte (auch wenn es wenig Zweck hat) und beispielsweise streng geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen fordern, wie es einige ältere Gesetze noch ganz unmodern tun. Mit diesen Bemerkungen zum „Quotendeutsch“ ist aber die Grenze zwischen Anreden und Titeln schon überschritten worden, doch sollen abschließend noch Anreden vom Typus „Herr Kollege“ oder „Frau Nachbarin“ erwähnt werden, die immerhin (wie die Gnädige Frau) ohne Namensnennung auskommen. Das war schon mit dem in der Französischen Revolution geschaffenen „Bürger“ oder dem im Sozialismus geborenen „Genossen“ anders, denen zwar nicht unbedingt ein Name, wohl aber Funktionsbezeichnungen hinzugefügt wurden, wie „Bürger General“ oder „Genosse Direktor“ (so im DDR-Zeremoniell für Diplomaten festgeschrieben)35; Revolutionäre strebten zwar gelegentlich nach ideologischer Verwirklichung einer klassenlosen Gesellschaft, doch postrevolutionär entstand meist wieder eine „neue Klasse“ (Djilas), so daß es auch im Zustand der Egalité Gleiche, weniger Gleiche und besonders Gleiche gab bzw. sich das allfällige soziale Gefälle vom Ranghöheren zum Rangniederen, vom Vorgesetzten zum Untergebenen alsbald wieder herstellte und sich in den Anredeformen niederschlug36.
IV Die Adelstitel stellen die älteste Kategorie von Titeln dar, auf die hier wenigstens generell eingegangen werden muß, obwohl jeder eigentlich hinsichtlich seiner Entstehung eigene Studien verlangen würde. Die in Deutschland noch blühenden Adelsfamilien gehören entweder dem hohen oder dem niederen Adel an. Zum hohen Adel zählen die bis 1806 im Heiligen römischen Reich deutscher Nation regierenden Häuser, deren Reichsstandschaft noch bis 1582 dynastisch begründet war, danach aber auf Gebietsherrschaft beruhte. Neufürstliche Familien (wie die Fugger, Liechtenstein, Schwarzenberg, Waldstein) erlangten sie erst nach Erwerb eines reichs-unmittelbaren Territoriums, das Voraussetzung für die Aufnahme in die Reichsfürsten- bzw. Grafenbank des Reichstages war. Auch die zwischen 1803 und 1806 mediatisierten Geschlechter zählten nach den Bestimmungen der deutschen Bundesakte (1815) weiterhin zum hohen Adel37. 35
36 37
Im Hochschulbereich der DDR wurde mir noch im September 1990 der „Genosse Kollege Direktor“ von einem Lehrstuhlinhaber vorgestellt, d. h. daß er SED-Mitglied, Professor mit Lehrstuhl und Sektionsdirektor für Geschichtswissenschaften gewesen ist. Hartmann (wie Anm. 11), S. 303. Vgl. Hermann Rehm, Prädikat und Titelrecht der deutschen Standesherren. Eine rechtlich kulturgeschichtliche Untersuchung im Auftrage des Vereins der deutschen Standesherren, München 1905; Klaus Frhr. v. Andrian-Werburg, Thomas Frhr. v.
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aus Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten Nr. 3, ausgegeben Berlin, 15.2.1817, S. 18.
Beim niederen Adel werden Uradel und Briefadel unterschieden; während der Uradel weitgehend aus der vom Landesherrn abhängigen Ministerialität oder dem Patriziat der Städte erwuchs (der Begriff mithin eigentlich irreführend erscheint), ist der durch Diplom erworbene Briefadel (daher die Bezeichnung „Adelsbrief“) erst im 14. Jahrhundert entstanden. Seit Karl IV. (1346/47–1378) übten die deutschen Kaiser und Könige das Recht der Nobilitierung als Reservatrecht aus, d.h. sie praktizierten es bis 1806 entweder selbst oder durch ihre mit dem großen erblichen Palatinat ausgestatteten Hofpfalzgrafen (Fürstenberg, Liechtenstein, Schwarzburg-Sondershausen Fritsch-Seerhausen, Die Reichstitel. Titel- und Namensführung nach kaiserlichen Diplomen, in: Deutsches Adelsblatt 15, 1976, S. 3–5.
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bzw. -Rudolstadt sowie einiger geistlicher Fürsten, wie die Erzbischöfe von Salzburg; die Kurfpfalz usurpierte das „Erzpfalzgrafenamt“). Nur bei Sedisvakanzen im Reich konnten die Kurfürsten von Sachsen und der Pfalz auch in ihrer Eigenschaft als Reichsvikare nobilitieren, d. h. vorübergehend von der kaiserlichen Befugnis Gebrauch machen, in den Reichsadelsstand zu erheben und weitere Standeserhebungen auszusprechen. Dieses Recht stand allen anderen Reichsfürsten, was wenig bekannt ist, bis 1806 sonst generell nicht zu, doch bedurften die Adelsbriefe der Hofpfalzgrafen alle der Bestätigung durch die Landesfürsten (Anerkennung).38 Nobilitierungsbefugnisse übte der Kurfürst von Brandenburg erst aus, seit er außerhalb des Reiches, nämlich in Preußen (1660) die Souveränität erlangte, ferner der Kurfürst von Sachsen als König von Polen (1694–1763), der Kurfürst von Hannover zur Zeit der Personalunion mit Großbritannien (1715–1837) usw. Erst nach 1806, als die Reichsfürsten am Ende des alten Reiches sämtlich die Souveränität erlangten, machten sie bis 1918 mehr oder weniger umfangreich von ihrem neuerworbenen Recht der Standeserhebungen Gebrauch. Durch die Nobilitierungspraxis der deutschen Kaiser bildeten sich im Laufe der Jahrhunderte bis zum Ende des Reichs folgende Adelsstufen heraus: Herzog, Fürst, Graf, Freiherr, Ritter, Edler und untitulierte Adelige. Fürst: Titel der geistlichen (= gewählten) und weltlichen (= erblichen) Reichsfürsten. Letztere unterschied man nach altem und neuem Fürstenstand, je nachdem, ob diese Familien schon vor 1582 (Reichstag von Augsburg) oder erst danach ihren Sitz auf der Reichsfürstenbank eingenommen hatten; die alten Häuser pflegte man wiederum dem älteren (bis 1180) bzw. dem jüngeren Fürstenstand zuzuordnen. Mediatisierte Fürsten sind ehemals reichsunmittelbare Standesherren, die nach 1806 einem anderen Landesfürsten „privilegiert“ untertan wurden. In den Fürstenstand erheben konnte vor 1806 nur der Kaiser, danach bis 1918 aber jeder deutsche Bundesfürst, der selbst zumindest einen höheren Rang aufzuweisen hatte (doch zählten die damit ausgezeichneten Personen bzw. Geschlechter fortan zum niederen Adel). Nachgeborene Söhne bzw. Töchter führten in der Regel den Titel „Prinz“ bzw. „Prinzessin“. Graf: Man trennte, wie bei den Fürsten, wenngleich ohne „Grenzjahr“, altreichsgräfliche und neureichsgräfliche Häuser des hohen Adels, die sich dadurch unterschieden, daß letztere erst vom Kaiser oder den Reichsvikaren in den Grafenstand erhoben worden waren. Sie hatten in der Regel als Reichsstände Sitz und Stimme auf der Grafenbank des Reichstages. „Gefürstete“ Grafen (wie das Haus Henneberg) besaßen zwar reichsfürstliche Rechte, zählten aber zu den Grafen. Nach 1806 „graften“ auch die deutschen Bundesfürsten. Freiherr (lat. liber baro): Gemeinhin die unterste Stufe des titulierten Adels (außer in Bayern, das fünf, und Österreich, das sechs Adelsränge kannte), 38
Arndt (wie Anm. 29), S. X ff.
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aber kein „freier Herr“ mehr im Sinne des Mittelalters. Der Titel ist nicht identisch mit dem eines „Barons“,39 der zwar soviel wie Freiherr bedeutet und konventionell, wenn auch irrtümlich, oft zu seiner Anrede dient, aber eigentlich ausländischer Herkunft ist: Im Englischen bezeichnet er die letzte Klasse der Peers, im Französischen kommt er nur „napoleonisch“ vor (und seither im Rheinland), im Russischen erhielten ihn u.a. baltische Familien, von denen nicht wenige die Adelsanerkennung im Reich beantragten. Ritter: Nur in Bayern und Österreich seit dem 18. Jahrhundert ein zwischen dem Freiherrnstand und dem untitulierten Adel eingeschobener erblicher Adelstitel.40 Er hat nichts mit der im Mittelalter erworbenen persönlichen Würde eines Ritters oder allgemein mit der Reichsritterschaft (reichsfreier Adelsfamilien), aber auch nichts mit den Ritterorden, den „Rittern hoher und höchster Orden“ bzw. denen der untersten Stufe von Verdienstorden zu tun. Im Englischen gibt es ebenfalls einen Ritterstand, doch ist der „Knight“ kein erblicher Titel (er erhält „Sir“ vor dem Vor- und „Kt.“ nach dem Familiennamen),41 während die Abkürzung „K.“ anzeigt, daß der Inhaber Mitglied eines Ordens ist, etwa K.G. = Knight of the Garter (Ritter des Hosenbandordens). Edler: Nur in Österreich üblicher Adelstitel, eingeführt im 18. Jahrhundert, auch üblich als „Edler Herr von, Edle Herrin von, Edle Tochter von“ (Briefadel). von: Ursprünglich waren Angehörige des niederen, untitulierten Adels nicht an der Namensführung zu erkennen, auch läßt sich bis heute aus der bloßen Namensbildung mit einem hochdeutschen „von“ oder einem niederdeutschen „van“ kein sicherer Schluß auf eine Adelszugehörigkeit ziehen.42 So entschied bereits das preußische Oberverwaltungsgericht (1914), daß ein 39
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Frhr. v. M. R., Freiherr oder Baron?, in: Archiv für Stamm- und Wappenkunde 4, 1903/04, S. 97–100 u. 113–115; Karl Heinrich Frhr. Roth v. Schreckenstein, Der Freiherrntitel einst und jetzt. Betrachtungen über die historischen Grundlagen der titularen Abstufungen des deutschen Adels, Berlin 1888: Rudolf Frhr. v. SeydlitzKurzbach, Der Titel Baron in alter Zeit in Ostdeutschland, Leipzig 1916. – Stephan Kekule v. Stradonitz, Einige Bemerkungen für „Freiherrn“, solche, die es nicht sind, solche, die es sein und solche, die es werden möchten, in: Deutscher Herold 44, 1913, S. 185–187. Georg v. Marziani, Der erbliche „Ritter“-Titel in Österreich-Ungarn und SüdDeutschland, in: Deutscher Herold 20, 1889, S. 36–38. Heinz H. M. v. Veipustek-Boskowitz, Lord or Sir, that is the question? Anreden und Titel des englischen Adels. 2. erw. Aufl. Wien–Mauersbach 1974. F. v. Baerle, Das Prädikat „von“ oder „van“ vor adeligen oder bürgerlichen Familiennamen in Deutschland und in den Niederlanden, in: Deutscher Herold 43, 1912, S. 224–227. – G. van Epsen, Holländische Titulaturen und deren Bezeichnung, in: Deutscher Herold 42, 1911, S. 127–128 u. 145. – J. A. M. Mensinga, Die Adelspartikel, in: Vierteljahrsschrift Herold 21, 1893, S. 276–280 u. ders., Die Adelspartikel im südlichen Europa, ebda. 22, 1894, S. 15–20.
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„von“ auch Bestandteil eines bürgerlichen Familiennamens sein könne und nicht notwendig als Adelprädikat anzusehen sei, bezeichnete „von“ doch ursprünglich nur die Herkunft aus einem bestimmten Ort, eventuell auch Eigentum. Für Geschlechter, die sich nicht mehr im Besitz ihrer Stammgüter befinden, ist das Adelsprädikat „von“ eigentlich sinnlos, noch mehr allerdings bei geadelten, bürgerlichen Familien, bei denen dadurch nur Grundeigentum vorgetäuscht wird; bei Namen, wie „von Schmidt“, „von Richter“ usw. führt sich das Adelsprädikat „von“ sprachlich eigentlich selbst ad absurdum. Es wurde übrigens als solches – vielfach bis heute – abgekürzt („v.“) geführt, während es als bürgerlicher Namensbestandteil ausgeschrieben worden ist (so z. B. in offiziellen preußischen Verzeichnissen, wie in der Rangliste der Armee). Der einfache Adel ist zumeist erblich verliehen worden, konnte aber auch nur an die Person des Beliehenen geknüpft sein. In solchen Fällen war er häufig mit der Verleihung eines hohen Ordens verbunden, beispielsweise in Preußen mit dem Hohen Orden vom Schwarzen Adler; in Bayern war damit unter gewissen Bedingungen gar die Vererbung des Adels an den Erstgeborenen, nicht aber an nachgeborene Söhne zulässig gewesen (Militärischer Max-Joseph-Orden und Zivilverdienstorden der bayerischen Krone 1812–1818). Nach deutschem Bundesrecht sind Adelstitel, anders als in Österreich, wo sie schon 1918 gänzlich beseitigt wurden,43 bürgerliche Namensbestandteile geworden, nicht allerdings die dazugehörigen Anreden, da der Artikel 109 (Absatz 3) der Weimarer Reichsverfassung von 1919 weiterhin gültig ist. Den Namen richtig und unverkürzt zu führen, ist ein Persönlichkeitsrecht, das jedermann zusteht, also auch „Adeligen“; allerdings fand nun eine Umstellung statt: aus einem Grafen Heinrich v. Arnim wurde nun ein Heinrich (= Vorname) Graf von Arnim (= Familienname). Gelegentlich ist allerdings schon heute zu beobachten, daß Adelige von sich aus mit einer unvollständigen Wiedergabe ihres Namens – sei es um Standesunterschiede zu verwischen oder nur falschen Vermögenserwartungen entgegen zu wirken – einverstanden zu sein scheinen bzw. doch nichts gegen Einebnungen unternehmen. Das bekannteste Beispiel ist dafür gegenwärtig wohl Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der von seinem „Freiherrn“ offiziell keinen Gebrauch mehr macht. Einige Besonderheiten zum allgemeinen Namenrecht bestehen gleichwohl: 1) Männer mit Adelsnamen dürfen ihn deklinieren (z. B. des Prinzen, des Freiherrn), 2) Frauen dürfen ihn in der weiblichen Form führen (z. B. Prinzessin, Gräfin, Freifrau, Freiin), 3) die Bezeichnung „Ritter“ kann nur von männlichen Namensträgern geführt werden. Vor allem diese zweite Bestimmung war zwischen 1919 und 1926 heftig umstritten. Auseinandersetzungen nahmen mitunter groteske Formen an: so mußte ein von einer Gräfin adoptierter Mann auch den Namen „Gräfin“ 43
Zu Österreich vgl. neuerdings Mario Laich, Altösterreichische Ehrungen – Auszeichnungen des Bundes. Vergleiche und Betrachtungen, Innsbruck 1993.
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führen, eine verstorbene Freifrau wurde als „Freiherr“ ins Totenregister eingetragen, und die Gemahlin eines Freiherrn sollte auf dem Standesamt bei ihrer Eheschließung auch als „Freiherr“ unterschreiben. Das Kammergericht vertrat sogar die Ansicht, daß die üblichen weiblichen Adelsbezeichnungen der Verfassungsbestimmung zuwiderliefen, die die völlige Gleichstellung mit dem bürgerlichen Namen für Mann und Frau, unveränderlich und gleichlautend, zum Ziele habe. Dem gegenüber beschloß das Reichsgericht 1926 in letzter Instanz, daß es sich hier nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine des Sprachgebrauchs handle (ähnlich der in Standesamtsregistern zulässigen Schreibweise polnischer Frauennamen mit „ka“ als Endsilbe, obwohl Mann bzw. Vater „ki“ schrieben), denn auch das Bürgerliche Gesetzbuch lege lediglich fest, daß die Frau bei der Heirat den Namen des Mannes, die Tochter bei der Geburt den des Vaters erhalte, aber nicht in welcher Form. Damit waren also die Gräfin, Freifrau, Freiin usw. „gerettet“ – ein Sieg des gesunden Menschenverstandes!44 Ein spezielles Problem stellen die sogen. Primogeniturtitel dar, also diejenigen Titel, die innerhalb eines Hauses nur seinem Chef bzw. dem Erstgeborenen, in Ausnahmefällen auch einmal einem anderen bevorrechtigten Mitglied (etwa dem jüngsten) zukamen. Sie waren nicht nur bis 1806 im hohen Adel, also bei Standesherren üblich, sondern kamen auch beim niederen Adel vor, soweit er zwischen 1806 und 1918 von den deutschen Fürsten noch – nach englischem Brauch – mit entsprechenden Vorrechten begnadet worden war. Hier hatte schon das Reichsgericht (1926) nach einem Bericht R. v. Damms verfügt: „Soweit ein oder mehrere Mitglieder adliger Familien eine sie vor den anderen Familienangehörigen auszeichnende Adelsbezeichnung führen (z. B. das Haupt einer gräflichen Familie führt die Bezeichnung „Fürst“), ist diese Bezeichnung nicht Teil des Namens. Der derzeitige Inhaber dieser besonderen Adelsbezeichnung führt sie zwar als wohlerworbenes Recht weiter, sie vererbt sich aber nicht mehr“. Das Bundesverwaltungsgericht (1966) bestätigte diese Rechtsauffassung des Reichsgerichts im Großen und Ganzen, in dem es festlegte, daß 1) bevorrechtigende Titel nicht auf die seit 1919 geborenen Nachkommen auszudehnen seien, 2) sogar die Chefs der Häuser nur Namen führen dürften, die die nicht bevorrechtigten Familienmitglieder bereits früher führten (z. B. nicht mehr Fürst Bismarck, sondern Graf v. Bismarck, nicht mehr Herzog v. Sachsen, sondern Markgraf v. Meißen, nicht mehr Fürstin v. Thurn und Taxis, sondern Prinzessin v. Thurn und Taxis usw.).45
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R. v. Damm, Die Adelsbezeichnung von Frauen, in: Deutscher Herold 57, 1926, S. 57–59. Vgl. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 1966, abgdruckt in den Entscheidungen dieses Gerichts Bd. 23, 1966, S. 344. Ein entsprechendes Urteil über die Titelführung der „Fürstin“ Gloria v. Thurn und Taxis erging 1993.
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Nicht mit den Primogeniturtiteln zu verwechseln sind die sogen. akzessorischen Titel, die Nebentitel, die bereits 1918 weggefallen sind.
V Die Geschichte der Amtstitel bzw. Amtsbezeichnungen ist so alt wie die der landesherrlichen Bediensteten bzw. der Staatsdiener, denn von „Beamten“ im heutigen Sinne kann wohl bis ins 18. Jahrhundert hinein kaum gesprochen werden; die historischen Wurzeln reichen zurück in die kirchliche und höfische Ämterhierarchie des Mittelalters, in die fürstlichen Ratskollegien der frühen Neuzeit und zu ihren vertraglich gebundenen, juristischen Beratern. Das sich nicht aus dem Lehnswesen entwickelnde, sondern durch Ausbildung, Leistung und Treue zum Landesherrn legitimierte Beamtentum kam im Absolutismus zur vollen Entfaltung; die Regelung der Amtstitel für die „Civilbediensteten“ erfolgte unter anderem im II. Teil (Titel 10) des Preußischen Allgemeinen Landrechts (1794) und in der Kurfürstlich-Bayerischen Hauptlandespragmatik (1805). Der Begriff des „Beamten“ entstammt erst dem 19. Jahrhundert. An einer Fallstudie der höheren preußischen Archivbeamten46 sollen die komplizierten Rang- und Titelverhältnisse verdeutlicht werden, die von der Forschung sonst noch keineswegs ausreichend für alle Bereiche des öffentlichen Lebens geklärt worden sind; weitere Einzelstudien zu den verschiedenen, auch außerpreußischen Titeln sind unbedingt erwünscht. Den allgemeinen Rahmen für die Veränderungen im Rang- und Titelwesen auch der Archivare gab die „Verordnung wegen der den Civilbeamten beizulegenden Amtstitel und der Rang-Ordnung der verschiedenen Klassen derselben“ ab, die König Friedrich Wilhelm III. von Preußen aufgrund der „Umgestaltungen der Behörden“ und drohender „Rangstreitigkeiten“ unter den Beamten am 7. Februar 1817 erließ.47 Danach wurden die höheren Beamten der Ministerien in drei, die der Provinzialkollegien sogar in fünf Klassen aufgeteilt. Die höchste Rangklasse, die im preußischen Archivwesen erlangt werden konnte, war die zweite der Ministerialräte: sie blieb allein dem Direktor bzw. ab 1899 dem Generaldirektor der Staatsarchive vorbehalten, während sein Stellvertreter der dritten Klasse der Ministerialräte zugeordnet wurde. Die vierte Rangklasse der Provinzialkollegien erhielten die Ge46
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Kurze Zusammenfassung der sehr viel ausführlicheren, mit Aktenzitaten versehenen Darstellung von Eckart Henning, Christel Wegeleben, Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in der Berliner Kloster- und Neuen Friedrichstraße 1874–1924, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29, 1978, S. 25–61, hier bes. S. 32– 41. Geh. Staatsarchiv, I. HA, Rep. 90, Nr. 555, Bl. 1–5, vgl. Gesetz-Sammlung für die kgl. preußischen Staaten 1817, Nr. 410, S. 61.
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heimen Staatsarchivare in Berlin und die Staatsarchivare in den preußischen Provinzen. Die fünfte Rangklasse der Provinzialkollegien stand anfangs nur den „ersten Archivaren“ zu, denen als „Vorstände“ die Geschäftsführung eines Archivs oblag; mit ihr war die Gewährung eines Wohnungsgeldzuschusses verbunden. Diese Hinweise auf die Rangentwicklung wären aber nicht nur unvollständig, sondern sogar irreführend, bezöge man nicht die diffizile Frage des Titels in diese Betrachtung mit ein, der mit der Amtsbezeichnung weder identisch war noch ihr zu entsprechen hatte. Was den Zeitgenossen ganz geläufig war, begegnet heute Verständnisschwierigkeiten: die Anstellung als Direktor bzw. Generaldirektor der Staatsarchive, als Geheimer Staatsarchivar oder als Staatsarchivar bzw. Archivdirektor der Provinzialarchive, ebenso als Königlicher Archivar erster oder zweiter Klasse (bzw. als Archiv-Sekretär) usw. geschah grundsätzlich durch den Präsidenten bzw. Vizepräsidenten des Preußischen Staatsministeriums, während die Verleihung des Titels eines „Archivrats“ oder „Geheimen Archivrats“ durch den König, d. h. mittels „allerhöchst vollzogenem Patent“ erfolgte. Beides mußte sich nicht entsprechen, Amtsbezeichnung und Titel standen nicht in einem genau festgelegten Verhältnis zueinander. So konnten Staatsarchivare als Geheime Archivräte charakterisiert sein, während es Geheime Staatsarchivare gab, denen selbst der Titel eines Archivrats noch fehlte, während gleichzeitig ein im Rang tiefer stehender Archivar erster Klasse in der Provinz ihn schon führen durfte. Ein Blick auf die Jahresübersicht im „Handbuch für den königlich preußischen Staat“ verdeutlicht diese vermeintlichen „Ungereimtheiten“, hinter denen sich jedoch, sieht man näher hin, ein gut durchdachtes System der Belohnung oder auch der „Bestrafung“ von Beamtenleistungen verbirgt, das nur noch durch die Ordensdiplomatie im wilhelminischen Staat übertroffen wurde: 1892 gab es sieben Geheime Staatsarchivare in Berlin, davon vier mit dem Titel „Geheimer Archivrat“ und drei mit dem Titel „Archivrat“, ferner fünfzehn Staatsarchivare in den Provinzen (und zwar acht mit Ernennung und sieben mit der bloßen Amtsbezeichnung), davon wieder fünf mit dem Titel „Geheimer Archivrat“ und sieben mit dem des „Archivrats“, schließlich gab es acht Archivare erster Klasse in den Provinzen, davon zwei mit dem Titel eines „Archivrats“ und fünfzehn weitere Archivare zweiter Klasse. Eine Anwartschaft auf die Verleihung des Archivratstitels bestand für Archivare allerdings seit 1907 bis zur Hälfte ihrer Gesamtzahl, auf die des Titels eines „Geheimen Archivrats“ aber erst nach zweiundzwanzigjähriger Dienstzeit. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie endete auch dieses Rang- und Titelsystem, das sich ähnlich auf verwandte Berufsgruppen auswirkte; entsprechende Ausbildungsvoraussetzungen (Hochschulstudium) wie die Archivare des höheren Dienst hatten auch beispielsweise Bibliothekare, Gymnasiallehrer oder Juristen zu erfüllen. Am 14. Dezember 1918 machte die neue Preußische Regierung bereits bekannt, daß „die Verleihung von Titeln“ nicht mehr stattfände, doch bereits verliehene „weitergeführt“ werden dürften. Für die Beamten wurde eine Neu-
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regelung der Amtsbezeichnungen im Anschluß an die in Aussicht stehende Reform des Beamtenrechts und der Besoldungsverhältnisse angekündigt. Der Verband der wissenschaftlichen Beamten der preußischen Staatsarchive schloß sich 1921 dem Antrag des Bundes höherer Beamter an, wonach „alle oder fast alle akademisch vorgebildeten Beamten endgültig eine Ratsbezeichnung erhalten sollten“. Er begründete das damit, daß „die Staatsarchivare unmöglich davon ausgenommen werden“ dürften, weil sie sonst „bei der allgemeinen Unkenntnis über den Archivarsberuf Gefahr laufen, in der öffentlichen Meinung nicht zur Klasse der höheren Beamten gerechnet, ja wenn die Ratsbezeichnung auch auf bestimmte mittlere Beamte ausgedehnt werden sollte, noch hinter diesen mittleren Beamten eingeordnet zu werden“. Die Forderung nach dem Titel „Staatsarchivrat“ enthielt zugleich die Ablehnung der einfachen Bezeichnung „Archivrat“ und zwar nicht nur deswegen, „weil sie keine Beziehung zum Staate ausdrückt“, sondern weil sie durch „ihre Verleihung an die Potsdamer Reichsarchivare, die zum größten Teil keine fachwissenschaftliche und zum großen Teile überhaupt keine akademische Vorbildung besitzen, entwertet ist“. Dieser Petition scheint man sich nicht verschlossen zu haben, denn im Frühjahr 1924 legte das Preußische Staatsministerium fest, daß aus dem „Direktor der Staatsarchive“ ein „Staatsarchivdirektor“, aus dem „Ersten Staatsarchivar“ ein „Erster Staatsarchivrat“ und aus dem „Staatsarchivar“ der „Staatsarchivrat“ werden würde.48 Auf diese Weise ist nicht nur der „Staatsarchivrat“ zustande gekommen, sondern überhaupt der Ratstitel als Amtsbezeichnung in eine neue Zeit hinübergerettet worden. Er und alle sonstigen Amtstitel sind „Überbleibsel“49 aus einer älteren Zeit, in der sie der Monarch noch selbst verlieh, als sie mit einem Ehrenvorzug verbunden waren. Blickt man zurück, so läßt sich festhalten, daß eine ganze Kette von sechzehn Staatsdienergesetzen von Bayern (1805) bis hin zu Oldenburg (1867) das Reichsbeamtengesetz (1873) vorbereiteten, das zwar die Landesgesetze nicht berührte, wohl aber sie harmonisierte bzw. die wichtigsten Grundsätze formulierte. Dieses auf den Monarchen ausgerichtete System der „Berufstreue“ drohte 1918 zusammenzubrechen, doch hielt auch die Weimarer Verfassung (1919) an den Beamten als republikanischen „Dienern der Gesamtheit, nicht einer Partei“ (Art. 130, Abs. 1) fest. Sie formulierte auch die Rechtsgrundsätze für alle deutschen Beamten (Art. 128–131): Hinsichtlich der Amtstitel kommt es darin zu einer scheinbar einschneidenden Änderung, denn jetzt entfällt das Recht auf einen besonderen Titel neben der Amtsbezeichnung, es sei denn, der Beamte hat ihn schon vor dem Inkrafttreten von Paragraph 109 der Reichsverfassung verliehen bekommen. Dieser besagt nämlich: „Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen“. Wie das Archivarsbeispiel bereits zeigte, hat man es nach 48 49
Henning, Wegeleben (wie Anm. 46), S. 40. Hartmann (wie Anm. 11), S, 301 f.
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1919 sehr geschickt verstanden, die Titel in den Amtsbezeichnungen wieder aufleben bzw. in ihnen weiterleben zu lassen, nur daß man eben jetzt begann, statt von „Titeln“ von „Amtsbezeichnungen“ zu sprechen – das ist bis heute so geblieben. Ein allerdings von den Vorarbeiten aus der Weimarer Zeit noch weitgehend geprägtes „Reichsbeamtengesetz“ kam 1937 zustanden,50 doch erloschen 1945 bereits alle in der NS-Zeit oder früher begründeten Beamtenverhältnisse am Tage der Kapitulation. In der ersten Nachkriegszeit entstand kein einheitliches öffentliches Dienstrecht, bzw. man kehrte jedenfalls erst im Bonner Grundgesetz (anders als in der DDR) zu den „,hergebrachten Grundsätzen“ des Beamtentums zurück (Art. 33, Abs. 4, 5; vgl. Übergangsregelungen nach Art. 131 GG)51 und damit zu gleichsam vordemokratischen Bedingungen demokratischer Wirksamkeit; sie sind dann im Einzelnen im Bundesbeamtengesetz (1950) kodifiziert worden. Danach lassen sich – je nach Dienstherren – folgende Arten von Beamten unterscheiden: Bundes-, Landes- und Gemeindebeamte sowie Beamte dienstherrnfähiger Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts. Außer den Beamten „auf Lebenszeit“ gibt es den „auf Probe“ bzw. „zur Anstellung“, den „auf Widerruf“ (im Vorbereitungsdienst) und „auf Zeit“ (kommunale Beamte). Für die Beamten auf Lebenszeit gelten Grundamtsbezeichnungen (im höheren Dienst beispielsweise Rat, Oberrat, Direktor, Leitender Direktor), die aber mit entsprechenden Zusätzen versehen werden können, die 1) auf den Dienstherrn bzw. den Verwaltungsbereich, 2) auf die Laufbahn, 3) auf die Fachrichtung hinweisen. Bei weiblichen Beamten soll, soweit möglich, die weibliche Form der Amtsbezeichnung gewählt werden, was mitunter zu grotesken Bildungen, wie der „Amtmännin“ (statt Amtsfrau) geführt hat. Alle Beamte, denen noch kein Amt übertragen worden ist, erhalten folglich auch noch keine Amts-, sondern nur „Dienstbezeichnungen“ (z. B. Inspektoranwärter, Referendar, Lehramtsassessor, Attaché usw.). „Amtsbezeichnungen“ sind eine Erscheinung des Beamtenrechts, wo ihre Führung in Paragraph 81 des Bundesbeamtengesetzes geregelt ist.52 Danach dürfen sie nur Personen führen, die urkundlich von den Staatsorganen 50
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Über die Gesetze der NS-Zeit vor 1937 orientiert u.a. Hanns Seel, Deutsches Beamtenrecht, (= Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates, 2. Bd., Gr. 1, Nr. 28) Berlin, Wien 1936. Vgl. ansonsten Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 15), Stuttgart 1966. Thomas Ellwein, Ralf Zoll, Berufsbeamtentum. Anspruch und Wirklichkeit. Zur Entwicklung und Problematik des öffentlichen Dienstes, Düsseldorf 1973, insbes. S. 79 ff. Wer sich einen Überblick über den Umfang der heute üblichen Amtstitel verschaffen möchte, vermag dies am besten in Anlage I zum Bundesbesoldungsgesetz (BGBl. vom 13.11.1980, T. 1, S. 2081), dessen Aufzählung allerdings nicht abschlie-
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in ein Amt eingewiesen worden sind und zwar nur für die Dauer, auf die sie es bekleiden (sowie im Ruhestand mit einem entsprechenden Zusatz). Diese Beamten führen ihre Amtsbezeichnung im Dienst, doch dürfen sie sie auch außerhalb, also in der Öffentlichkeit, benutzen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1974 verlangte, daß Amtsbezeichnungen „anredefähig“ bzw. „ohne Zungenbrechen“ verwendbar sein müßten,53 begründen sie keinen Anspruch mehr darauf, mit ihnen auch angesprochen zu werden (weder vom Dienstherrn noch von Kollegen). Die Einweisung in eine genau „bezeichnete“ Beamtenstelle hat zwar die Führung dieser Amtsbezeichnung zur Folge, aber schon deswegen keines „Titels“, weil dieser nicht mehr – wie in Preußen vor 1918 – von der Person bzw. ihrer besonderen Bewährung in diesem Amte abhängt. Amtsbezeichnungen bezeichnen eben das Amt, nicht (mehr) die Person, die dafür allerdings geeignet sein muß, d. h. Befähigung und fachliche Leistungen dafür zu erbringen hat. Im Interesse der Öffentlichkeit dienen Amtsbezeichnungen der Durchschaubarkeit der Verwaltung54.
* Erstaunlicherweise ist die Titulaturenkunde, die hier nur in ihren Grundzügen vorgeführt werden konnte, bisher nicht als Gegenstand der in den sechziger Jahren entstandenen Sozialgeschichte „entdeckt“ worden, zumal doch Titel zur Alltagskultur gehör(t)en, wenn auch nicht gerade der von ihr bislang bevorzugten Schichten. Anreden und Titel sind jeweils Ausdruck einer bestimmten Gesellschaftsstruktur, so daß schon die Kenntnis der Prädikate usw. jeden Historiker in den Stand setzt, aus ihnen in den Quellen Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Empfänger zu ziehen (bzw. aus der Schlußcourtoisie auf den Absender). Sie erlauben es ihm, sich auf allen Querschnittsebenen einer historischen Standespyramide zurecht zu finden bzw. Titel geradezu als sozialen Indikator zu benutzen. Daher darf sich die Titulaturenkunde künftig auch nicht auf eine Art Bestandsaufnahme bzw. auf die Erklärung altertümlicher Prädikate und ihre Entstehungsgeschichte, die rechtlichen Grundlagen, das Vorschlagswesen oder die Verleihungshäufigkeit beschränken, sondern sollte sich vor allem um Zeugnisse ihrer Bewertung und Wirkung kümmern, also um die Einschätzung von Anreden und Titeln durch die Mit- und Nachwelt, kurz, die Gründe ihres gesellschaftlichen Ansehens analy-
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ßend ist, ferner sind die Besoldungsgesetze der einzelnen Bundesländer heranzuziehen. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 1974; vgl. Neue juristische Wochenschrift, 1974, S. 1940. Vgl. u.a. Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums (= Handbuch des öffentlichen Dienstes, Bd. 1), Köln 1980 u. Kurt G. A. Jeserich, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1983, S. 301 ff.
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sieren. Hier liegt ein Instrumentarium bereit, dessen Kenntnis es besser als bisher zu pflegen und als Historische Hilfswissenschaft verläßlicher zu begründen gilt, damit die Titulaturenkunde nicht „Geheimwissenschaft“ weniger Spezialisten bleibt, zumal unser spätes 20. Jahrhundert bislang nicht mehr soviel Sinn für Titel (und Orden) hat wie frühere. Dieser Rückgang des Ansehens von Titeln scheint allerdings ein neueres deutsches, kein europäisches Phänomen zu sein. Vielleicht zeigt sich darin die Scheu vieler Deutscher vor der eigenen komplizierten Vergangenheit, dem Verfall ihres Nationalbewußtseins oder einem noch fehlenden Grundkonsens, den kein „Verfassungspatriotismus“ bisher ersetzen konnte. Viele Bürger sind an ihrem Staat heute wenig interessiert bzw. ihm gegenüber eher mißtrauisch; sein Angebot an symbolischen Formen, zu denen außer Flaggen, Hymnen, Orden auch die Titel zählen, stößt auf Ablehnung, mindestens Gleichgültigkeit. Erst mit einer Hinwendung der Deutschen zu einem hoffentlich „nachdenklichen Nationalbewußtsein“ (Karl Schiller), für die es zumindest Anzeichen gibt, könnte sich diese Einstellung wieder ändern.55
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Es ist beabsichtigt, diese Studien an anderer Stelle fortzusetzen, insbesondere die Amtstitel um die sonstigen öffentlichen und zivilen Würden (Stadtältester, Ehrenbürger u. a.) zu vervollständigen, ferner sollen die Ehrentitel (wie Wahlkonsuln, Justizrat, Kammersängerin), akademische Grade, militärische Dienstgrade und geistliche Würden eingehender behandelt werden.
„Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“ Aktuelle hilfswissenschaftliche Anmerkungen zu akademischen Titeln* I Zu den noch in der Entwicklung begriffenen Historischen Hilfswissenschaften gehört zweifellos die Titulaturenkunde1 als Derivat der von Heinrich Otto Meisner (1890–1976) in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begründeten Aktenkunde2: Dieser „Meisterschüler“ des einst in Marburg an der Philippina und dann an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden deutsch-österreichischen Diplomatikers Michael Tangl3 (1861–1921), definierte die „Aktenkunde als moderne Urkundenlehre“4, die er genetisch und systematisch zur Anwendungsreife brachte, die aber in ihrem analytischen Teil ergänzungsbedürftig blieb. In ihm sollte es vor allem um die äußeren Merkmale einzelner Schreiben gehen, zu denen auch die Außenund Innenadressen, Anreden und Titel sowie die mit der abschließenden *
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Der vorliegende Beitrag in seiner ursprünglichen Form erschien in der Festschrift für Niklot Klüßendorf zum 60. Geburtstag und wurde zugleich am 12. Januar 2004 auf dem 50. Dahlemer Archivgespräch zur Diskussion gestellt, wonach es für den vorliegenden Zweck überarbeitet bzw. an einigen Stellen ergänzt worden ist. Insbesondere danke ich Herrn Dr. Peter Wex (FU-Berlin) für seine weiterführenden brieflichen Anregungen vom 16. Januar 2004; von ihm vgl. Bachelor und Master, Prüfungsrecht und Prüfungsverfahren, in: Neues Handbuch Hochschullehrer 3, Stuttgart 2002, Teil H 1.2, S. 1–68. Eckart Henning: Titulaturenkunde. Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herolds zu Berlin, hrsg. von B. Jähnig und K. Schulz, Berlin 1994, S. 293–310. – Ders.: Titulaturen, in: W. Ribbe/E. Henning, Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 12. aktualisierte und ergänzte Aufl., Neustadt/Aisch 2001, S. 559–564 u. Ders.: Anreden und Titel, in: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 3. überarbeitete und erweiterte Aufl. Köln 2003, S. 231–244. Eckart Henning: Wie die „Aktenkunde“ entstand. Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert, in: Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds, hrsg. von F. Beck, W. Hempel und E. Henning, Potsdam 1998, S. 439–461 (= Potsdamer Studien, 9). Annekatrin Schaller: Michael Tangl (1861–1921) und seine Schule. Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften, Stuttgart 2002 (= Pallas Athene, hrsg. von R. vom Bruch und E. Henning, 7). Heinrich Otto Meisner: Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin 1935, S. III.
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Grußformel verbundenen Ehrfurchts- und Ergebenheitsbezeichnungen etc. gehören. Da es H. O. Meisner aber vermied, in diese „Geheimwissenschaft der Kanzleien“, wie er sie nannte5, weiter einzudringen, bleibt auf dem staatlichen Felde des Zeremoniells bzw. dem privaten der Etikette noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Sie könnte nur sektoral bewältigt werden, d. h. durch Einzelstudien über Adelstitel (wie Graf), Amtstitel bzw. -bezeichnungen (wie Regierungsrat), Ehrentitel (wie Kammersängerin), militärische Dienstgrade (wie Oberst), kirchliche Würden (wie Monsignore) etc., deutlich unterschieden von Berufsbezeichnungen (wie Rechtsanwalt) oder Funktionsbezeichnungen (wie Dezernent). Dazu soll mit diesen auch auf aktuelle Entwicklungen eingehenden Anmerkungen zu akademischen Titeln (wie Doktor) ein Beitrag geleistet werden. Die Titulaturenkunde befasst sich, abgleitet von lat. titulus, gleichsam mit den „Aufschriften“ bzw. Bezeichnungen, die Personen ihrem Namen zur näheren Kennzeichnung beifügen dürfen. Dem gemäß ist unter „Titulatur“ der einer Person aufgrund ihrer gesellschaftlichen oder beruflichen Stellung zukommende Titel und die mit ihm verbundene Anrede als Benennung zu verstehen, folglich wird „tituliert“, indem man Prädikate verwendet, die jemand seinem Stand oder Amt gemäß erhält, wobei noch zwischen Titeln und besonderen „Anredetiteln“ (wie Magnifizenz für einen Rektor oder Spektabilität für einen Dekan) zu unterscheiden wäre. „Titular“ dagegen verwendet man gewöhnlich nur in Zusammensetzungen und bezeichnet damit denjenigen, der einen Titel erhält ohne das dazugehörige Amt auch wirklich auszuüben (wie bei Titular-Professoren); ähnlich verhält es sich mit Ehrenpromotionen etc. Nach dieser kurzen Vorverständigung über den Titel als Oberbegriff wenden wir uns seiner speziellen Form, dem „akademischen Grad“ zu6, dessen Begriff von lat. gradus = Schritt bzw. Abstufung abgeleitet wird (im Militärwesen dem „Rang“ entsprechend). Wer einen solchen Grad erwirbt, ist „graduiert“ worden, d. h. der Graduierte, neulat. Graduat genannt, hat eine bestimmte Stufe nach Abschluss eines ordnungsgemäßen Studiums an einer staatlich anerkannten Hochschule bzw. nach einer besonderen wissenschaftlichen Leistung erklommen, auf der ihm, nachdem er zumeist noch „pro gradu“ disputiert hat, akademische Würden verliehen werden. Damit erfährt seine Person eine ehrenvolle Kennzeichnung, die etwas über ihre wissenschaftliche Befähigung aussagt, sie wird ausgezeichnet und erlangt damit einen besonderen Status. Ein im Promotionsverfahren verliehener Doktortitel ist Ausdruck nachgewiesener Leistung, die anerkannt wird, nicht aber 5 6
Meisner (wie Anm. 4), S. 64f. Jürgen Hartmann: Staatszeremoniell, 2. Aufl. Köln 1990, S. 297 f.; G. Kaufmann: Geschichte der deutschen Universität. Nachdruck der Ausgabe von 1896, Graz 1958, Bd. I, S. 352–409: Die akademischen Grade, Bd. II, S. 268–323: Die Erwerbung der Grade.
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der Qualifikationsnachweis selbst (das bleibt die Dissertation). Mithin ist ein akademischer Grad kein „verliehener Nachweis“7; denn der Nachweis wird ja vom Kandidaten erbracht, während ihm der erlangte Grad von einer Universität bzw. Hochschule in eigener Verantwortung verliehen wird. Der Vorgang der Graduierung ist „vom Studium und der Prüfung, die das Studium abschließt, zu unterscheiden. Sie ist ein selbständiger Verwaltungsakt, selbständig gegenüber der Prüfung als besonderer Verwaltungsakt“8. So ist zwischen Hochschulprüfung, dem erlangten Anspruch auf Graduierung und dieser selbst zu unterscheiden, die im Falle der Promotion etwa von nochmaliger Überarbeitung der Doktorarbeit, ihrer Drucklegung und abgelieferten Pflichtexemplaren abhängig gemacht werden kann. Grade und Venien (Habilitation) dienen zwar in erster Linie der wissenschaftlichen Qualifikation (status academicus), aber doch zugleich der Berufsvorbereitung (status civilis); man denke z. B. an den Diplom-Chemiker, der nur als Doktor der Chemie eine brauchbare Anstellung finden wird. Die Verleihung akademischer Grade aufgrund der universitären Beurteilungskompetenz gehört zum „Kernbereich der Hochschulautonomie“, während die Staatsexamina und mancherlei Diplomgrade mehr zum „Kooperationsbereich“ mit dem Staat zählen, der sich auch vorbehält, Auslandstitel zu nostrifizieren9. Solche Kompetenzabgrenzungen sind allerdings schwierig und letztlich müßig, gehen doch alle Titelverleihungen ursprünglich auf kaiserliche Reservatsrechte und damit „staatliches“ Titelrecht zurück, das den Hochschulen seit dem 18. Jahrhundert vom Landesherrn übertragen wurde, was die Übergänge fließend macht bzw. auf dem Gebiet des Prüfungs- und Graduiertenwesens ein „Kondominium von Hochschule und Staat“ entstehen ließ10.
II Das zeigt besonders deutlich der umstrittene, aber immer noch sozial hoch angesehene Professorentitel, der allerdings entgegen einer zweifelhaften ety7
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Ulrich Karpen: Akademische Grade, Titel, Würden, in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, hrsg. von C. Flämig, Bd. 1, Berlin 1982, S. 855. Wolfgang Zimmerling: Akademische Grade & Titel, 2. völlig überarbeitete und erweiterte Aufl. Köln 1995, S. 7 f. Vgl. das Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 (Reichsgesetzblatt I, S. 985) und zahlreiche Einzelregelungen in den Hochschulgesetzen der deutschen Bundesländer. Im übrigen haben diese ein Abkommen über die Genehmigung zur Führung akademischer Grade ausländischer Hochschulen am 29. Oktober 1992 zur gegenseitigen Anerkennung von Genehmigung und Widerrufbescheiden geschlossen; s. auch Conrad Ostermeyer/Michael Hartmer: Der Professorentitel – ein „Muster ohne Wert“? Zum Schutz der akademischen Grade und Titel, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 41 (1993), S. 204–207. Karpen (wie Anm. 7), S. 857.
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mologischen – wenn auch gern verbreiteten – Auffassung, nicht den „Bekenner“ meint, denn dann sollte er von confiteri abgeleitet werden (Augustinus nannte sich „confessor“, nicht „professor“); profiteri bezeichnet hingegen den öffentlichen Anmelder einer gegen Bezahlung verrichteten Tätigkeit, eben einen, der von ihr „profitiert“ – was der Realität näher kommen dürfte, aber Bekenntnisse nicht ausschließt, wo Erkenntnisse erwartet werden. Den Professor gibt es de facto im deutschen Sprachraum schon seit mehr als 650 Jahren, seit nämlich die ersten Universitäten in Prag (1348), Wien (1365), Heidelberg (1386) und in Köln (1388) gegründet und zunächst mit Klerikern besetzt worden sind. An die Stelle solcher Inhaber geistlicher Pfründen mit Lehrverpflichtungen traten seit der Reformation landesherrlich bzw. universitär dotierte Lehrstühle für die vom Zölibat befreiten Universitätslehrer (professores publici), die rückblickend ebenso wie die übrigen Hochschullehrer (legentes) sämtlich als Professoren begriffen werden können, so unterschiedlich ihr Rang und ihre Aufgaben in der Lehre (und seit dem 19. Jahrhundert in der Forschung) auch gewesen sein mögen11. Der Professorentitel setzte sich an den Theologischen, dann an den Juristischen und Medizinischen Fakultäten der Universitäten, aber auch schließlich bei den „Artisten“ durch, um sich von den allzu großzügig verliehenen Doktortiteln abzuheben. Eben dieser Professorentitel ist in Deutschland – wo ihn gegenwärtig etwa 40 000 Hochschullehrer führen12 – selbst zu einer Sammelbzw. Gattungsbezeichnung verkommen, die kaum noch geeignet erscheint, das Besondere des akademischen Lehramts angemessen zu kennzeichnen, so dass allmählich Differenzierungen bzw. die Bildung von Professorenkategorien wünschenswert wurden. So unterschied bereits die alte Ordinarien11
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Vgl. Peter Moraw: Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, in: Alexander von Humboldt-Stiftung, Mitteilungen 72 (1998), S. 15–26. – Nach dem Arzt und Pfarrer steht der deutsche Professor (übrigens neben dem Unternehmer) nach neuesten Umfragen immer noch auf Platz 3 der Ansehensskala der Berufe in der Bevölkerung. Auch wenn Außenstehende vielfach den Professor noch als Olympier der Wissenschaft glorifizieren, andere ihn bereits als „Mr. Holiday“ (mit acht Wochenstunden Lehrdeputat und fünf Monaten Urlaub) kritisieren, erscheint er Insidern mehr als gehetzter Manager einer hektischen und überbürokratisierten Massenuniversität, der vor allem Drittmittelanträge schreibt. Hilgendorf S. 495 f. distanziert sich m. E. mit Recht von diesen Extremvorstellungen und sieht im deutschen Professor noch kein Auslaufmodell. Vgl. Eric Hilgendorf: Abschied vom deutschen Professor? Amt und Würden im Wandel der Zeiten, in: Universitas 58 (2003), S. 495–506 und 583–594. George Turner: Inflation der Titel, in: Deutsche Universitätszeitung H. 6 (2003), S. 7. Vor 30 Jahren gab es in Deutschland nur ca. 5000 Professoren, ehe in den siebziger Jahren die „Inflation“ einsetzte. Heute verzeichnet das Hochschullehrer-Verzeichnis 2003 im Band 1: Universitäten Deutschland mehr als 57.000 an Hochschulen lehrende Wissenschaftler (nicht alle sind Professoren!) und im Band 2: Fachhochschulen Deutschland 17.000 Professoren.
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Universität seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zwischen beamteten ordentlichen bzw. außerordentlichen Professoren (dazwischen gab es noch den „persönlichen Ordinarius“) und die quasi „unordentlichen“, weil nichtbeamteten Professoren: das waren die nebenberuflich forschenden und lehrenden Honorarprofessoren13, von denen man sich seitens der Universität einen Prestigegewinn und eine Erweiterung des Lehrangebotes versprach14, und die hauptamtlich beschäftigten außerplanmäßigen Professoren (meist besonders bewährte Privatdozenten). Die eine Gruppe trug den Professorentitel als Amtsbezeichnung (o. Prof., a. o. Prof.), die andere entweder als Tätigkeitsmerkmal (Hon.-Prof.) oder als Berufsbezeichnung (apl. Prof.); somit lassen sich zwar Unterschiede im dienstrechtlichen Status, aber auch Gemeinsamkeiten in funktioneller Hinsicht feststellen, handelt es sich doch in allen Fällen um Hochschullehrer, die eine bestimmte Qualifikation aufweisen müssen und ihrem akademischen Arbeitgeber korporationsrechtlich verbunden sind. Somit kommt der Professorentitel fast einem akademischen Grad gleich, würde er auch noch von der Hochschule selbst verliehen werden (wie z. B. der Hon.-Prof. an den Berliner Universitäten). Da die Hochschulen aber in den meisten Bundesländern nur berufungs-, der Staat aber ernennungsberechtigt ist, entfällt eine solche Zuordnung. Folglich sind nicht alle akademischen Titel auch akademische Grade, aber alle akademischen Grade akademische Titel. In der Öffentlichkeit wurden und werden Professoren meist nicht dienstrechtlich, sondern nur funktional als Hochschullehrer wahrgenommen. Daran hat auch die inflationäre Titelentwicklung der sechziger und siebziger Jahre zunächst wenig geändert, als die Hochschulen noch ausgebaut und die Stellung „der Ordinarien“ stärker kritisiert und durch Parallellehrstühle geschwächt wurde. Verwirrung auch unter Akademikern hat erst die Neugestaltung des sogen. Mittelbaus gestiftet, denn nun gab es – 1968 in Baden-Württemberg zuerst eingeführt – „Wissenschaftliche Räte und Professoren“ (vergleichbar mit den bisherigen Extraordinarien). Privatdozenten wurden im Beamtenverhältnis auf Widerruf zu Professoren gekürt. „Ganze Kohorten“ (George Turner) Akademischer Räte und Oberräte erlangten den Titel eines außerplanmäßigen Professors, was die gewohnten Kategorien durcheinander brachte bzw. die wachsende Vielfalt der Dienstverhältnisse und Funktionen bald undurchschaubar machte. Die Folge war der Ruf nach einem einheitlichen Professorentitel. Als dann selbst das Bundesverfassungsgericht die alte „Ordinarien-Universität“ 13
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W. Waldeyer: Die Rechtsstellung der Honorarprofessuren, in: Dienst an der Hochschule. Festschrift für Dieter Leuze zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 583–613. Im Jahre 1999 lehrten nur 752 Honorarprofessoren an deutschen Universitäten, eine Zahl, die sich angesichts der Sparzwänge der öffentlichen Hand seither erhöht haben, den Prestigeverlust dieses Titels aber beschleunigt haben dürfte (Quelle: Statistisches Bundesamt 1999, Fachserie 11, Reihe 4.4).
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für überholt erklärte15, erhörte ihn 1976 auch der Gesetzgeber, der an ihre Stelle im Hochschulrahmengesetz des Bundes (HRG) nun die noch heute als „Bauruine“ fortbestehende Gruppenuniversität setzte16. Damit wurden nicht nur die Lehrstühle abgeschafft und durch Fachbereiche ersetzt, sondern sollten auch Einheitsprofessuren eingeführt werden. Dass dies durch die Schaffung eines zwar beamtenrechtlich einheitlichen, aber besoldungsrechtlich uneinheitlichen Professorenamtes nach C2 bis C4 zu erreichen wäre, erschien allen Kennern der Verhältnisse sofort fraglich. Immerhin sind einige Landeshochschulgesetze dem HRG gefolgt, wonach nun Honorarprofessoren und außerplanmäßige Professoren wie alle anderen auch künftig nur noch als „Professoren“ bezeichnet werden, also ohne einen kennzeichnenden Zusatz. Andere Ländergesetze fügten dem Professorentitel gleich die Besoldungsgruppe hinzu oder behielten bestimmte Funktionen lediglich den Spitzenpositionen vor, wieder andere verlangten einen den jeweiligen Hochschultyp charakterisierenden Zusatz oder hielten, wie Baden-Württemberg und Bayern, gar an der überkommenen Bezeichnung eines „Ordinarius“ fest. Insgesamt ist der vom Bund angestrebte Einheitsprofessor aufgrund erfolgreicher Verfassungsbeschwerden schon deswegen gescheitert, weil das HRG 1) den heterogenen Gegebenheiten in den Ländern nicht genügend Rechnung trug bzw. nicht genügend Ausgestaltungsspielräume ließ, 2) weil die im Bundesbesoldungsgesetz festgelegten Besoldungsgruppen ungewollt, aber wirksam die einheitliche Bezeichnung des „Professors“ unterliefen17, 3) weil Amtsbezeichnungen18 ohnehin nicht 15
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Bundesverfassungsgericht 35, S. 79 ff. und allgemein R. A. Müller: Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universität zur deutschen Hochschule, München 1990., S. 102 ff. Vgl. Moraw (wie Anm. 11), S. 26 und die Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes vom 26. Januar 1976 (Bundesgesetzblatt I, S. 185), geändert am 6. März und 10. Mai 1980, 15. Juli 1998, 28. März, 14. Juni und 14. November 1985, 31. August und 15. Dezember 1990, 17. Dezember 1993, 20. Mai 1994, 23. Februar und 21. September 1997, 20. August 1998, 19. Januar 1999, 30. November 2000, 29. Oktober 2001, 16. Februar, 27. April und 8. August 2002; dazu Reich 2002: Reich, A.: Hochschulrahmengesetz, Kommentar, 8. neubearb. Aufl. Bad Honnef 2002 (= Hochschulrecht des Bundes, 2). Rudolf Summer: Das Professorenamt im statusrechtlichen Sinne, in: Wissenschaftsrecht im Umbruch. Gedächtnisschrift für H. Krüger, Berlin 2001, S. 323–337. S. 335 stellt fest, dass hier der Versuch vorliege, Ämter im Hochschulbereich durch Bundesrecht „zu plafondieren“, auch betont er, dass das Amt des Professors nicht allein durch dessen Amtsbezeichnung, sondern eben auch durch die statutsbestimmenden Zusätze C2 bis C4 aus dem Bundesbesoldungsgesetz umschrieben werde. Zur Erklärung von „Amtsbezeichnungen“ sei daran erinnert, dass nach Artikel 109, Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung die Titel von der Person auf das von ihr bekleidete Amt und damit als „Amtstitel“ übergingen, heute daher zur Verdeutlichung des Amtes wie der Eignung seines Inhabers „Amtsbezeichnung“ genannt, die allerdings „anredefähig“ (als Rat, Oberrat, Direktor) bleiben muss – womit sich de
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zu den „allgemeinen Grundsätzen des Hochschulwesens“ zählen, sondern dem Beamtenrecht unterliegen, ferner „anredefähig“ bleiben müssen und nicht besoldungsrechtlich lächerlich gemacht werden sollten („Guten Tag, Herr C4-Professor!“). Das Bundesverfassungsgericht stellte dazu 1983 fest: „Die unterschiedslose Zuweisung der Amtsbezeichnung ,Professor‘ für alle Hochschullehrer, unabhängig davon, ob ihr Amt der Besoldungsgruppe C4 oder C3 einer wissenschaftlichen Hochschule zugeordnet ist, oder ob sie an einer Fachhochschule ein Amt bekleiden, verletzt danach Art. 33, Abs. 5 GG. Sie ist ohne kennzeichnenden Zusatz keine angemessene Amtsbezeichnung für C4/C3-Professoren an wissenschaftlichen Hochschulen. Ihr fehlt die erforderliche Aussagekraft, denn sie lässt nicht erkennen, welchen Stellenwert diese Ämter im Ämtergefüge der Hochschullehrer haben“19. Da es dem Gesetzgeber somit misslang, ein einheitliches Amt des Professors zu schaffen, trug dieser nun dem Gerichtsurteil im Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes Rechnung, indem er ab 1. Januar 1987 die Amtsbezeichnung „Universitätsprofessor“ vorschrieb, was auch für die den Universitäten gleichgestellten Hochschulen (mit Promotions- und Habilitationsrecht) galt. Entsprechend wurde in einigen Bundesländern an Fachhochschulen die Amtsbezeichnung „Professor“ um den Funktionszusatz „an einer Fachhochschule“ ergänzt, der dort allerdings als nicht mehr zur Amtsbezeichnung gehörig angesehen wurde; der Fachhochschulprofessor, vom Bundesverfassungsgericht ohnehin als Hochschullehrer „minderen Rechts“ eingestuft, wollte sich nicht auch noch als solcher deklariert sehen bzw. daran erinnert werden, dass er sich vielfach erst in den siebziger Jahren vom Dozenten zum Professor „gemausert“ hatte, als beispielsweise die Ingenieurschulen in Fachhochschulen umgewandelt wurden (anders als die Pädagogischen Hochschulen, die in die Universitäten integriert worden waren). Nun können Amtsbezeichnungen eigentlich nur von Beamten geführt werden, doch durfte es bald auch angestellte „Universitätsprofessoren“ geben20, was sich freilich der breiten Öffentlichkeit ebenso wenig vermitteln ließ wie der „Universitätsprofessor“ selbst, zumal sie die „vom Gesetzgeber verordneten Differenzierungen wegen ihrer fehlenden Plastizität kaum zur Kenntnis“ nahm21. Der Vollständigkeit halber sei aber noch hinzugefügt: Professoren in einem Beamtenverhältnis auf Probe oder Hochschulprofessoren mit befristetem Dienstverhältnis tragen ihren Professorentitel nur als
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jure einiges, aber de facto wenig auf dem Gebiet der amtlichen Titulaturen geändert hat. Zitiert nach Zimmerling (wie Anm. 8), S. 131. Vgl. Summer (wie Anm. 17), S. 323–337. Zimmerling (wie Anm. 8), S. 133; vgl. dazu auch G. Dorff: Neue Amtsbezeichnungen und Änderungen in der Besoldung, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 33 (1985), S. 229–230; 34 (1986), S. 61–66; Gert Hillmann: Das Rechtsinstitut des Honorarprofessors in: Verwaltungsarchiv 1988, S. 369 ff., 373.
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Dienstbezeichnung und zwar im Unterschied zum unbefristet beschäftigten außerplanmäßigen Professor, der ihn tatsächlich als Titularprofessor führt. Zu den zeitlich begrenzten Berufungen gehören auch die rd. 6000 nach drei bzw. sechs Jahren evaluierbaren Juniorprofessoren (Jun.-Prof.), die das bis 2002 inzwischen zwanzig Mal (!) novellierte Hochschulrahmengesetz des Bundes, aber noch nicht überall das Landesrecht, vorsieht: Dieser vom Bund auch finanziell pro Stelle mit 60.000 – 75.000 Euro geförderte und daher von vielen Universitäten bereits begangene Qualifizierungsweg zum Hochschulprofessor als „Beamter auf Zeit“ soll Jungwissenschaftlern die klassische Habilitation (das sogen. zweite Buch) ersparen, die vielen als Auslaufmodell bzw. als vermeintlich „Zeit raubende Pirouette ohne wissenschaftlichen Ertrag“ erscheint22. Bisher bleibt die Zahl der Ausschreibungen allerdings noch hinter den Erwartungen zurück, auch misstrauen die Kandidaten sowohl den finanziellen als auch intellektuellen Autonomieversprechen des Bundes. Als Nachteil gilt insbesondere die frühe Lehrbelastung der neuen Professoren, die deren Forschungsmöglichkeiten wie die späteren Berufungschancen einschränken könnte, was wieder Hausberufungen und für die betreffenden Universitäten mittelbar auch Ansehensverluste zur Folge haben dürfte; auch ist die im § 48 festgelegte Amtsbezeichnung „Professor als Juniorprofessor“ (= Besoldungsgruppe W1) gewöhnungsbedürftig. Also ein „Sparpaket“, das die bestehenden Nachwuchsprobleme eher verschlimmert23? Scheitert der Juniorprofessor wie vor ihm schon der Assistenzprofessor? Beim Eintritt in den Ruhestand behalten alle Kategorien neuberufener (Senior-)Professoren, die seit Verabschiedung des HRG nicht mehr emeritiert, sondern pensioniert bzw. berentet werden, ihre bisherige Amtsbezeichnung ohne einen „a.D.“-Zusatz bei, die ihnen einmal als akademische „Würde“ bzw. als Titel verbleibt (eine merkwürdige, alle Landeshochschulgesetze kennzeichnende Begriffsunsicherheit zeigt sich auch hier wieder). 22
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Vgl. Hilgendorf (wie Anm. 11), S. 598 und P. M. Huber: Die Habilitation – eine Bestandsaufnahme, in: Wissenschaftsrecht 36 (2003), S. 2–23. Grundlegend zum Problem der Habilitation ist das Handbuch für Wissenschaftlichen Nachwuchs, s. Hartmut Schiedermair: Handbuch für den wissenschaftlichen Nachwuchs, 4. Ausg. hrsg. vom Präsidenten des deutschen Hochschulverbandes H. Schiedermair, Bonn 1998. u. a. S. 37 ff. 205 ff. Zu den Einstellungsvoraussetzungen und der dienstrechtlichen Stellung der Juniorprofessuren vgl. Reich (wie Anm. 16), S. 33 f., 410, betr. Paragraphen 47 und 48 des HRG; G.-A. Lipke: Befristung von Arbeitsverhältnissen im Wissenschaftsbetrieb der Hochschulen, Forschungseinrichtungen und in der ärztlichen Weiterbildung, Neuwied 2003, S. 15 ff. Einen Situationsbericht aus Nordrhein-Westfalen enthält die Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 21. März 2003, eine Stellungnahme zum „Sparpaket“ der Berliner Tagesspiegel vom 24. April 2003 und kritische Anmerkungen von Jürgen Kaube in die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 2003, S. 35.
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Nach der Vorläufigen Hochschulordnung der DDR, wenige Tage vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 erlassen, dürfen übrigens auch „abberufene“ Hochschullehrer ihren Professorentitel (nach Art. 53) weiterführen. Ehe noch auf den Professor als Ehrentitel eingegangen werden soll, sei darauf verwiesen, dass in der Bundesbesoldungsordnung A (15 und 16) sowie B (1–3) auch zusammengesetzte, den Professorentitel enthaltene Amtsbezeichnungen wie „Museumsdirektor und Professor“ bzw. „Direktor und Professor“ vorgesehen sind, die ausschließlich Leitern von Forschungseinrichtungen vorbehalten bleiben, was die Besoldungsgruppen B 3 und 10 auch dadurch deutlich machen, dass sie gleich auf bestimmte Forschungsanstalten (wie z. B. „Direktor und Professor der Bundesanstalt für Gewässerkunde“) Bezug nehmen. Eine durchaus bedenkliche Entwicklung ist bezüglich des Professorentitels als „Ehrentitel“ zu beobachten, die ihren Ausgangspunkt bei dem Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 1. Juli 1937 in Verbindung mit der Ersten Verordnung des Führers und Reichskanzlers über die Verleihung von Titeln (Professorentitel) vom 27. August 1937 nimmt. Darin wurde festgelegt, dass kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen der Verleihung des Professorentitels und dem akademischen Lehramt bestehen muss, dass der Titel vielmehr auch Angehörigen der Wirtschaft, der Kunst oder sonstigen universitätsfernen Personen verliehen werden könne. Diese Fehlentwicklung zum „Ehrentitel“ setzt das Bundesgesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 leider fort, auch wenn es diesen Begriff selbst nicht kennt, ihn aber meint, da es in § 2 die Anwendung des Gesetzes auf alle anderen Arten von Titeln ausschließt, die nicht ausschließlich zum Zweck der Ehrung verliehen werden24.
III Zunächst galt der „D o k t o r “ (bzw. doctor sapientiae von lat. Lehrer, Lehrmeister der Weisheit) vom 12. Jahrhundert an als ein Ehrentitel für Gelehrte (so nannte man Thomas von Aquin „Doctor angelicus“ oder Roger Bacon „Doctor mirabilis“). Als akademische Würde entwickelte sich das Doktorat aber bereits in Bologna und setzte den Grad eines Bakkalaureus sowohl wie den eines Lizentiaten voraus. Der im Mittelalter zunächst nur an Theologischen, später auch an Juristischen und Medizinischen Fakultäten verliehene 24
Hans Karl Geeb/Heinz Kirchner: Deutsche Orden und Ehrenzeichen. Kommentar zum Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen und eine Darstellung deutscher Orden und Ehrenzeichen von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart mit Abbildungen. 3. neubearbeitete und ergänzte Auflage Köln 1977. S. 49 ff., bes. 56–60; Hartmann (wie Anm. 5), S. 298.
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Doktor war zunächst gleichbedeutend mit dem Magistergrad der Philosophischen bzw. Artistenfakultät, doch setzte er sich in der Neuzeit – wovon noch unser titelgebendes Goethe-Zitat aus seinem „Faust“ (V. 360) zeugt – als höchste akademische Würde (mit Lehrbefugnis) durch, gleichwertig einem Adelsprädikat, wobei man sehr wohl die rite promoti von den Doctores bullati der Hofpfalzgrafen unterschied, die weder eine Dissertation anfertigen noch eine Prüfung ablegen mussten. Im 19. Jahrhundert sind dann die wissenschaftlichen Anforderungen und damit die Promotionsbedingungen erheblich verschärft worden25. Der noch immer prestigeträchtige Doktorgrad ist heute nicht nur, weil er „anredefähig“ ist, sondern weil die Dissertation stets mit einer – freilich begrenzten – eigenen Forschungsleistung verbunden sein muss, bei Promovierten wie Arbeitgebern der angesehenste akademische Grad, bedeutet er doch oft genug eine Art Eintrittskarte ins Top-Management eines Unternehmens26, in jedem Falle aber sozialen Aufstieg. Noch immer liegt das Promotionsrecht allein bei den Universitäten27, doch besteht in einigen Bundesländern die Möglichkeit, auch besonders qualifizierte Fachhochschulabsolventen zur Promotion zuzulassen (im Saarland gar in Kooperation mit einer Fachhochschule). Der Doktorgrad ist aber – entgegen einer weitverbreiteten Auffassung als „akademischer Vorname“ – kein Namensbestandteil mehr (wie in der Schweiz), auch wenn er, was aktenkundlich bzw. hilfswissenschaftlich interessant ist, seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 1986 in abgekürzter Form wieder eintragungsfähig geworden ist (im Pass und/oder Personalausweis kann er als „Dr.“, nicht aber als „Dr.Ing.“ usw. nachgetragen werden, jedoch keinerlei Diplome oder Magistergrade). Anfang der neunziger Jahre wurde auch der geschlechtsneutrale Doktortitel vom Feminismus erfasst, obwohl die lateinische Endung „-or“ männlich oder weiblich (vgl. beispielsweise „soror“ oder „uxor“) sein kann; man entdeckte dabei das z. B. bei Vergil belegte, relativ seltene Verbalsubstantiv „doctrix“ neu und führte etwa an der Technischen Universität Berlin den weiblichen Titel „Doctrix rerum naturalium“ ein, was die Frauenbeauftragte zu einem „wesentlichen Schritt für die weibliche Identitätsbildung“ erklärte. 25
26 27
Max Baumgart: Grundsätze und Bedingungen der Erteilung der Doktorwürde bei allen Fakultäten der Universitäten des Deutschen Reiches, 4. Aufl. Berlin 1892.; Baumgarten 1997: Baumgarten, M.: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997.; Müller (wie Anm. 15), S. 28. Ingo v. Münch: Promotion, Tübingen 2002. Seit längerem fordern die Fachhochschulen das Promotionsrecht, wenngleich bislang vergeblich. Die ältere Literatur diskutiert Chr. Braun: Promotionsrecht für Fachhochschulen? Diss. Bonn 1994, zur aktuellen Situation vgl. den Bericht von Christine Burtscheidt in der Süddeutschen Zeitung vom 8. April 2003 unter der Überschrift „Streit unter Geschwistern: Die Fachhochschulen fordern das Promotionsrecht“.
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In Hannover meinte eine Tiermedizinerin allerdings, indem sie ihre Bildungsquellen unfreiwillig bloßlegte, „Doctrix“ klinge allzu sehr nach „Asterix“ und „Obelix“ und verlangte stattdessen als „Doctora“ bezeichnet zu werden, was das Verwaltungsgericht ablehnte, weil diese Form dem Lateinischen nicht entspräche, doch könne sie sich doch eingedeutscht „Doktorin“ nennen, was dann freilich zu Anredeproblemen („Frau Doktorin“ statt „Frau Doktor“?) führen dürfte28. Was den ehrenhalber, oft auch pecuniae causa verliehenen Doktorgrad angeht, so ist es 1) in der Literatur umstritten, ob es sich hier überhaupt um einen akademischen Grad oder um eine dotationsfreie Auszeichnung (den wissenschaftlichen Preisen verwandt) handelt, und wenn ersteres zuträfe, ob 2) ein Bezug zu wissenschaftlichen Leistungen vorliegen muss oder ob – wie etwa beim „Ehrensenator“ – hochschulpolitische Verdienste ausreichen. Zur Schreibweise: während traditionell die Universitäten beispielsweise lateinisch Dr. jur. h. c. (= honoris causa) abkürzen, durften dies die Technischen Hochschulen bei Gewährung des Promotionsrechts durch Kaiser Wilhelm II. noch nicht: daher die deutsche Unterschiedsform: Dr.-Ing. E. h. (= Ehren halber), auch nicht „Dr. e.h.“, wie man gelegentlich liest, denn beim Adjektiv „ehrenhalber“ handelt es sich ja nicht um zwei, sondern nur um ein abkürzbares Wort (keine Imitation lateinischer Abbreviaturen!). Falsch ist es auch, wenn ein Titelträger mehrere Ehrenpromotionen aufzuweisen hat, dies – wie in manchen Todesanzeigen – mit „Drs. h. c.“ auszudrücken, da es sich ja dann um mehrere Titelträger („Doctores“) wie in einer Rechtsanwaltssozietät oder in ärztlichen Gemeinschaftspraxen handeln müsste; richtig wäre „Dr. h. c. mult.“ (von lat. multiplex), denn sonst sind die – nur im Ausland realiter – in Deutschland leider nur noch virtuell vorhandenen Doktorhüte , nicht die Personen in der Mehrzahl29. Nach dem HRG und einigen Hochschulgesetzen der Länder kann auch der in Westdeutschland nach 1945 schon lange nicht mehr übliche Dr. habil. (habilitatus bzw. habilitata) für zusätzliche wissenschaftliche Leistungen wieder verliehen werden, doch hat er sich als verpflichtende Voraussetzung für eine Professorenstelle nicht mehr überall durchsetzen können (was auch
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Vgl. Pressestimmen: Tagesspiegel vom 17. Oktober 1992, S. 28; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 1993, S. 10, vom 13. März 1993, S.11 und vom 27. März 1993, S. 43, ferner Deutsche Universitäts Zeitung H. 4 (1993), S. 10. Vgl. etwa die ganzseitigen Todesanzeigen für den Bankier Walter Hesselbach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. November 1993, S. 37 oder besonders widersprüchlich in derselben Zeitung vom 17. August 1993, S. 26 zum Tode des Politologen Prof. Dr. Rudolf Wiedemann, wo beide Formen Drs. h.c. und Dr. h.c. mult. nebeneinander in verschiedenen Anzeigen Verwendung fanden. Vgl. auch die Leserzuschrift von Dr. Richard Mörsch vom 19. Dezember 1991, S. 7 über „Mehrfach Promovierte“ in derselben Zeitung.
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angesichts der Tendenz, die Habilitation gänzlich abzuschaffen30, vermutlich unterbleiben wird). Es sei jedoch hinzugefügt, dass in einzelnen Bundesländern, wie in Thüringen, sogar noch differenziert wird zwischen promovierten (z. B. Dr. phil. habil.) und nicht promovierten Habilitierten (Dr. habil.). In jedem Falle aber ist diese Bezeichnung als Bestätigung für die Lehrbefähigung nach Abschluss des Habilitationsverfahrens anzusehen, nicht aber als (unbefristete) Lehrbefugnis; das deutsche Hochschulrecht widerspricht somit der Identitätstheorie („wer befähigt ist, ist auch befugt“). Erst die Verleihung der Facultas docendi ist in der Regel mit der akademischen Bezeichnung eines „Privatdozenten“ (Priv.-Doz. oder modisch „PD“ abgekürzt) verbunden und stellt nicht nur eine Berechtigung, sondern eine Verpflichtung zur unentgeltlichen Abhaltung von Lehrveranstaltungen dar, die wieder entzogen werden kann, wenn ohne wichtigen Grund davon mehr als zwei Jahre kein Gebrauch gemacht wird; in einem solchen Falle „erlischt“ die Venia legendi. Insgesamt beschreibt die Bezeichnung „Privatdozent“ nur ein Mitgliedsverhältnis zur Hochschule, aber kein Dienstverhältnis oder gar eine Anwartschaft auf eine Stelle31. Auch als Berufsbezeichnung eines Privatgelehrten kommt dieser Titel nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Betracht. Auch wenn die Habilitation als „Gütesiegel für den deutschen Wissenschaftler“ (Huber) bereits in den Statuten der 1810 gegründeten Berliner Universität als weitere Qualifikation verankert war (der sich alle anderen deutschen Universitäten anschlossen), ist der „Dr. habil.“ erst 1934 aus politischen Gründen durch die Reichshabilitationsordnung eingeführt worden, um die weniger regimekonformen Wissenschaftler besser vom Lehramt fernhalten zu können, weswegen er wohl an westdeutschen Universitäten nach 1945 zunächst nicht mehr verliehen worden ist32. Erst in den siebziger Jahren führte man ihn in den Hochschulgesetzen Baden-Württembergs und Bayerns wieder ein. Anders allerdings in der DDR, die den Grad eines „habilitierten Doktors“ bereits von 1956–68 verlieh, nachmals umgewandelt 30
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Andere Signale vernimmt man aus München, wo die CSU im Bayerischen Landtag noch im April 2003 durchgesetzt hat, dass die Habilitation in modifizierter Form trotz der vom Bund eingeführten Juniorprofessur erhalten bleiben soll, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 19. April 2003, wo Christine Burtscheidt über den „Zweiten Bildungsweg für die Hochschul-Karriere“ berichtet. Huber (wie Anm. 22), S. 22 u. M. Brenner: Die rechtliche Stellung der Privatdozenten, in: Handbuch für den wissenschaftlichen Nachwuchs, 4. Ausgabe, hrsg. von Präsidenten des deutschen Hochschulverbandes H. Schiedermair, Bonn 1998, S. 81–86; Ingo v. Münch: Wie wird man Professor? Der Weg dorthin – die Habilitation – ist oft kritisiert worden, in: Die Zeit Nr. 50 v. 10. Dezember 1982, S. 33 f. Alexander Busch: Die Geschichte des Privatdozenten, Stuttgart 1959; W. Thieme: Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl. Köln 1986, S. 562 ff.; Hubert Detmer: Befähigt und befugt. Die unendliche Geschichte des Dr. habil., in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 39 (1991), S. 97–98.
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in einen „Dr. sc.“ als dort nämlich nach sowjetischen Vorbild in der Dritten Hochschulreform ab 1. Januar 1957 nicht nur die Promotion A = Doktor eines Wissenschaftszweiges“(z. B. Dr. med.), sondern auch die Promotion B = „Doktor der Wissenschaften“ eingeführt wurde (z. B. Dr. sc.), was der Habilitation entsprach33. Entsprechend den Umwandlungsempfehlungen der Kultusminister der Bundesrepublik vom 11./12. Juni 1992 bezüglich des in der DDR erworbenen Grades „Doktor der Wissenschaften“ erfolgte die Umwandlung des Dr. sc. auf Antrag in einigen Bundesländern in Dr. habil. sofern auch die Facultas docendi vorlag34, doch konnte er in seiner bisherigen Form ebenfalls weitergeführt werden. Allerdings ist die sonstige Anerkennung und Äquivalenz der in der DDR verliehenen Abschlüsse und akademischen Grade ein „weites Feld“35.
IV Der M a g i s t e r (lat. „Leiter, Anleiter“ zu magis „mehr“), einst Titel von Vorstehern römischer Staatsämter, ging im 12. Jahrhundert in Paris bereits auf Gelehrte über, die zuvor das Bakkalaureat abgelegt hatten und Lizentiat ihres Faches waren, d. h. schon in gewissem Umfange akademischen Unterricht erteilen konnten. Die zunächst höchste – auf die Artistenfakultät beschränkte – Magisterwürde (der septem artes liberales) verlor als Abschluss erst allmählich gegenüber dem Doktorgrad der anderen Fakultäten an Ansehen, sank aber schließlich – wie es das Faustzitat andeutet – zum bloßen Nebentitel eines auch an ihr erlangbaren Doctor philosophiae herab, auch berechtigte sein Erwerb nicht mehr zur Abhaltung von Vorlesungen. Während der Magister Artium (MA/Master of Arts) in Großbritannien und den USA als zweiter akademischer Grad (neben dem BA/Bachelor of Arts) gängig blieb, auch noch in Österreich als akademischer Grad etwa der Pharmazeuten (als „Mag.“ vor dem Namen) sogar anredefähig bzw. lebendig war und 1966 allgemein wieder eingeführt wurde, konnte er in Deutschland erst nach 1950 an der Universität Erlangen und ab 1960 wieder allgemein als Ma33
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Promotionsrecht in der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Rat für akademische Grade, Berlin 1989; vgl. Gesetzblatt der DDR I, Nr. 83 vom 25. September 1956, S. 750 ff. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit der in der DDR abgelegten Prüfungen oder Befähigungsnachweise fußt auf Art. 37, Abs. 1 des Einigungsvertrages, vgl. Mitteilungen und Informationen der Kultusministerkonferenz 3, 1992; Wilhelm Bleek/ Lothar Mertens: Fragwürdige „Wende“ bei den akademischen Titeln, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 41 (1993), S. 201–203. Vgl. die gleichnamige Studie von Rosemarie Lewin: Zur Anerkennung und Äquivalenz der in der DDR verliehenen Abschlüsse und akademischen Grade, in: Das Hochschulwesen H.1. (1991), S. 3–6. und Chr. Tauch: Die Rückkehr des „Magisters“. Master-Grade in Europa, in: Die Hochschule 2003, H. 1, S. 74–87.
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gister Artium erlangt werden36, seit ca. 1990 auch in der weiblichen Form als „Magistra“. Neben dem Staatsexamen für das höhere Lehramt stellt er heute den typischen Universitätsabschluss geisteswissenschaftlicher Fächer (nach frühestens acht Semestern) dar und bildet – anders als im Mittelalter – eine Vorstufe zum Doktor. Dabei hat es noch lange gedauert, bis sich Hochschullehrer und Studenten an diesen in den fünfziger und sechziger Jahren noch belächelten akademischen Magistergrad wieder gewöhnten37, der zunächst am deutschen Arbeitsmarkt – wie heute der Bakkalaureus/Bachelor – ein Schattendasein fristete bzw. als berufliche Luftblase erschien und der selbst jetzt noch einigen – so in der Leserzuschrift einer überregionalen Zeitung – als „eine absurd anachronistische akademische Fehlkonstruktion“38 erscheint. Noch um 1980 haben bundesweit nur 1900 Studenten den Magistergrad erworben, während es zehn Jahre später schon 7400 waren; die Zahl der – anspruchsvolleren – Lehramtsprüfungen sank dagegen im gleichen Zeitraum um 67 %39. Übrigens ist die Abkürzung mit Punkten B.A. bzw. M.A. typisch deutsch, schreiben doch die Angelsachsen ihre Grade ohne sie (BA/MA).
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Als erste fasste die Philosophische Fakultät der Universität Erlangen den Beschluss, die erloschene Magistertradition in Deutschland wieder aufzunehmen, da neben dem Staatsexamen ein Diplomgrad für diejenigen fehlte, die nach einem akademischen Abschluss suchten, ohne sich den ungleich höheren Promotionsanforderungen stellen zu müssen. So beschloss 1960 auch die Kultusministerkonferenz die „Akademische Abschlussprüfung“ einzuführen, mit deren Bestehen, die Verleihung des Magistergrades verbunden war (z. B. bis 1970 nur 532 Magisterprüfungen an den Universitäten in München bzw. 320 FU-Berlin), vgl. G. Grüner: Die Magisterprüfung in der Bundesrepublik Deutschland, Weinheim 1971 und zur Magistertradition vom 13.–19. Jahrhundert Schwinges 1999: Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, hrsg. von R. Chr. Schwinges, Basel 1999 (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 1), bes. S. 143 ff. (R. A. Müller), S. 247 ff. (N. Hammerstein) u. S. 391 ff. (R. vom Bruch). Der Verfasser dieses Beitrags, der nach dem Staatsexamen für das höhere Lehramt (Hauptfach Geschichte, 1967) im Frühjahr 1968 mit seinen von Katharina Mommsen betreuten „Untersuchungen an den Tagebüchern von Franz Grillparzer“ (vgl. Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 3.F., Bd. 3, 1972, S. 83–126) an der Berliner Freien Universität im Hauptfach Germanistik auch den Magistergrad erwarb – damals als „Hausfrauendoktor“ verspottet –, erinnert sich noch gut an Fragen von Bekannten, was denn wohl „M.A.“ hinter seinem Namen bedeute, ob es sich um einen im Ausland erworbenen „Master“ handle oder ob er nun gar „Mitglied des Abgeordnetenhauses“ von Berlin geworden wäre. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. März 1997, S. 11. Vgl. dpa-Dienst für Kulturpolitik 33 vom 16. August 1993, S. 17 über den 6. Bericht des Wissenschaftsrates zur „Fachstudiendauer an Universitäten“.
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Unter dem Eindruck einer Expansion der Hochschulen40 hatte der als „Zukunftsminister“ apostrophierte ehemalige Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Jürgen Rüttgers, bereits in den neunziger Jahren aufgrund des Dahrendorf-Planes die Einführung von Bachelor und Magistergraden nach angloamerikanischem Muster propagiert. Diese KurzzeitStudiengänge waren als Antwort auf die Massenuniversität gedacht. Damit sollte das Gros der Studenten schneller (und auch billiger) zu einem vollwertigen B.A.-Abschluss gelangen, nämlich wie ihre englischen und amerikanischen Kommilitonen bereits mit 23 oder 25 Jahren und nicht erst mit 28 Jahren den höherrangigen Magistergrad erwerben. Mit diesen Plänen löste Rüttgers, der damit zugleich im Geiste der Sorbonner Erklärung vom 25. Mai 1998 (mit dem Ziel eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes) handelte, im deutschen Hochschulwesen einen Modernisierungsschub aus, dessen Folgen noch immer nicht absehbar sind. An dieser Stelle erscheint es angebracht, zuerst einen Blick auf die Entwicklung des Bakkalaureats zu werfen, ehe der aufhaltsame „Siegeszug“ der Wiedereinführung der beiden alteuropäischen Abschlussgrade in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren verfolgt werden soll.
V Der B a k k a l a u r e u s (auch Baccalaureus oder mittellateinisch Baccalarius geschrieben, französisch Bachelier, englisch Bachelor) bezeichnet herkömmlich den niedrigsten akademischen Grad, wobei sein Name wohl nicht von „bacca laurea“, Lorbeere bzw. Lorbeerkranz, sondern vom französischen „bas cavalier“, dem „Unterritter“ oder Edelknappen abgeleitet wird. Aus dem militärischen Bereich fand er in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Eingang in das akademische Milieu, wo er ab 1231 belegt ist, aber schon vorher in Gebrauch gewesen sein könnte. Dort unterschied man „Baccalarien“ (mit runder Kappe) nach simplices, currentes und formati, die auch im Lehrbetrieb eingesetzt werden konnten, jedoch Scholaren blieben. Anders als in England und Frankreich (= Fachabitur) wurde der akademische Grad eines Bakkalaureus in Deutschland, wo er mehr einem Status als einem Titel glich, bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht mehr verliehen41.
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Um 1960 hatten erst 5 % (= 300.000), 1999 aber bereits 30 % (= 1,8 Millionen) aller Abiturienten ein Studium aufgenommen. J. Verger: Baccelarius, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1 (1980), S. 1323. – In Deutschland bieten, was allerdings wenig bekannt ist, neun Gymnasien seit längerem neben dem Abitur auch das französische Baccalauréat an (wie z. B. in Berlin das Französische Gymnasium und das Rückert-Gymnasium), in denen Französisch nicht nur Fremd-, sondern auch Unterrichtssprache ist.
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Noch bevor Bundesminister Rüttgers den modifizierten DahrendorfPlan in die Tat umsetzen konnte, berufsbezogene Kurzzeitstudiengänge von drei bis vier Jahren mit Bachelor-Abschluss erneut in Deutschland einzuführen, gab es hier bereits im gleichsam rechtsfreien Raum Vorreiter wie die Universitäten Augsburg, die schon 1992 in einem auf zunächst drei Jahre befristeten Modellstudiengang den Erwerb des „Baccalaureus oeconomicus“ (Bac. oec.) anbot42, und Bochum, die ab Wintersemester 1994/95 Studiengänge in Philosophie, Pädagogik, Publizistik, Geschichtswissenschaften und in den Philologien einrichtete, sowie Jena, wo ab 1996 der BachelorGrad in den Fächern Mathematik und Wirtschaftsmathematik erworben werden kann. Im August bzw. November 1997 hatte sich schließlich auch die Kultusministerkonferenz der Länder für die Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse in Deutschland ausgesprochen und das Bundeskabinett stimmte einer weiteren Neufassung des Hochschulrahmengesetzes zu, das freilich die eingetretene Entwicklung nur nachzeichnete, indem es Modellversuche vorsah. So heißt es in der vom Bundestag am 18. Juni 1998 verabschiedeten weiteren Gesetzesnovelle zum HRG: „Zur Erprobung können Studiengänge eingerichtet werden, die zu einem Bachelor- oder Bakkalaureusgrad und zu einem Master- oder Magistergrad führen“43. Im gleichen Jahr, nämlich im Dezember 1998, machten dann die Kultusminister den Weg zur bundesweiten Anerkennung der neuen Studiengänge frei, in dem sie einen vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft finanzierten länderübergreifenden Akkreditierungsrat einrichteten, der durch das Sekretariat der Hochschulrektorenkonferenz unterstützt wird. Er soll statt der bisherigen Rahmenprüfungsordnungen nun die Begutachtung der neuen Studiengänge koordinieren und dabei auf bekannte Evaluations- und Akkreditierungseinrichtungen zurückgreifen, wobei fachliche Überprüfung und staatliche Genehmigung zweierlei blieben, denn letztere ist weiterhin Sache des jeweiligen Bundeslandes44. 42
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R. Blum: Auf dem richtigen Weg. Der Baccalaureus an der Universität Augsburg, in: Forschung und Lehre 11 (1996), S. 575–576. Vgl. Paragraph 19 des HRG v. 20.8.1998 und J. Lesley Keedy: In Stufen zum Ziel. Zur Einführung von Bachelor- und Master-Graden an den Universitäten 1999, S. 11 ff. Die weiteren bei Keedy nicht mehr verzeichneten Stufen waren die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 5.3.1999 i.d.F. vom 14.12.2001 über die Strukturvorgaben für die Einführung der Bachelor-/Bakkalaureus und Master/Magister-Studiengänge, desgl. der KMK vom 14.4.2000 über den Zugang zur Promotion und über die laufbahnrechtliche Zuordnung für solche Absolventen, desgl. der KMK vom 15.9.2000 über Rahmenvorgaben für die Einführung von Leistungspunktsystemen und die Modularisierung von Studiengängen, ferner desgl. der KMK vom 12.6.2003 über die 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur. Akkreditierungsrat. Akkreditierung von Akkreditierungsagenturen und Akkreditierung von Studiengängen mit den Abschlüssen Bachelor/Bakkalaureus und Master/ Magister, Mindeststandards und Kriterien. Deutsche und englische Version, Bonn
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Diese deutsche Entwicklung kann, wie erwähnt, nicht isoliert von der europäischen gesehen werden, die in der Erklärung von Bologna vom 19. Juni 1999 gipfelte, wonach ein EU-weit vergleichbares System gestufter, also konsekutiver Studienabschlüsse von Bachelor und Master entwickelt werden soll, um den Einigungsprozess zu stärken und den Studentenaustausch zu fördern. Diskutiert wurde daraufhin (und teilweise bis heute), ob diese international gebräuchlichen, aber für Deutschland neuen Abschlüsse die bisherigen von Magister und Diplom ablösen oder sie nur zusätzlich angeboten werden sollen45, wobei die ängstliche Beibehaltung von Doppelstrukturen, die wahlweise zum Diplom/Magister- oder zu BA/MAAbschlüssen führen, keine Dauerlösung sein kann. Den herkömmlichen grundständigen bzw. einstufigen Studiengängen entsteht durch die zweistufigen eine Konkurrenz, die die Hochschullandschaft nachhaltig verändern kann, ja man sprach bereits von einer „Kannibalisierung der Magister- und Diplomstudiengänge“46. 1998 gab es in Deutschland bereits 100 Bachelor- und Masterstudiengänge, von denen der Deutsche Akademische Austauschdienst allerdings allein 55 aus Mitteln des Forschungsministeriums und des Auswärtigen Amtes förderte47, 1999 waren es 302, die den Bachelor und 102, die den Master-Abschluss anstrebten – von allerdings 8500 Studiengängen insgesamt! Doch ganz allmählich wachsen die Steigerungsraten, z. Zt. monatlich um 100: sie lagen im Jahre 2002 bei rd. 1000 und im April 2003 bei 1600 Abschlüssen, von denen aber nur 250 und im Oktober 2003 400 akkreditiert worden sind48. Insgesamt scheinen nicht die Universitäten, sondern die Fachhochschulen durch die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge eine lang ersehnte Aufwertung zu erfahren, da dort erstmals auf Beschluss der Kultusministerkonferenz (1999) auch die weiterqualifizierenden und forschungsorientierten Magisterabschlüsse (mit Promotionsberechtigung) angeboten werden; zu den Ungereimtheiten des Systems gehört freilich, dass man an den Fachhochschulen nach wie vor keinen Magisterabschluss nach grundständigem Studium erlangen kann, sondern eben nur „konsekutiv“ einen Master. Nahezu jeder dritte der neuen Studiengänge wurde 1999/2000
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2000; Akkreditierungsrat. Referenzrahmen für Bachelor-/Bakkalaureus und Master-/Magister-Studiengänge, Bonn 2001. Vgl. auch Tauch (wie Anm. 35), S. 84–86. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. März 2000, S. 12 und vom 23. September 2000, Beil. S. V/2. Ausdruck eines Fakultätentags. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Mai 1998, S. 4. dpa-Dienst für Kulturpolitik vom 22. Juli 2002, S. 22 und Uwe Schlicht, in: Der Tagesspiegel vom 4. März, S. 28 und vom 22. April 2003; desgl. H. 101 der BLKReihe: Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung, Bonn 2002. Nach einer Mitteilung der Süddeutschen Zeitung vom 15. April 2003 hat sich die Zahl der Akkreditierungen von 160 auf 250 erhöht; der Berliner Tagesspiegel nannte am 9. Oktober 2003 erst 400 Akkreditierungen.
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an einer Fachhochschule angeboten, wobei Ingenieurwissenschaften, Informatik und Wirtschaftswissenschaften überwiegen; „die geistes- und kulturwissenschaftlichen Fachbereiche ziehen erst langsam nach“49. Die neuen an den Hochschulen erworbenen Grade lauten daher meist (in Auswahl): Bakkalaureus bzw. Magister Scientiarum oder Bachelor bzw. Master of Science, desgleichen of Engineering, of Information and Communication Science, oder, z.Zt. in Kooperation mit amerikanischen Hochschulen50 besonders begehrt, of Business Administration (MBA), die allerdings zunächst noch nicht die üblichen Diplome ersetzen, während für Juristen der Bachelor bzw. Master of Laws (LLB bzw. LLM) geplant ist, so dass es zur Zeit „im Bereich der neuen internationalen Abschlüsse einen großen Wildwuchs“ gibt51. Es wird sich sicherlich erst in ein paar Jahren zeigen, ob die heute grassierenden Schlagworte für Bachelorstudien als Schmalspur- oder gar als Discount- bzw. Billigstudien berechtigt sind, deren Grad das Image eines „Abbrecherdiploms“52 anhaftet; galten doch bisher Abgänger mit Vordiplom oder Zwischenprüfung nicht als berufstauglich. Ob sich diese Einschätzung ändert, wird sich erst nach Abschluss der Pilotphase beurteilen lassen, vor deren Scheitern Forschungsministerin Edelgard Bulmahn inzwischen warnte. Heute ist der Grad jedenfalls noch ohne deutschen Marktwert53. Wenn es nicht auch zu einer inhaltlichen Studienreform mit einer Modularisierung der Stoffgebiete kommt, wird man von einem Etikettenschwindel sprechen müssen. Doch die Akzeptanz des Grades fällt nicht allein in die Verantwortung der Universitäten, die den Bachelor nutzen, um marktnäher, oder der Fachhochschulen, um damit wissenschaftlicher zu erscheinen. Darüber entscheiden letztlich seine „Abnehmer“, nämlich der Staat, der tarifrechtlich plant, dem Bachelor den Zugang zum gehobenen Dienst zu eröffnen, und die Wirtschaft, d. h. der Arbeitsmarkt. Am Ende des Bologna-Prozesses, der inzwischen über Prag nach Berlin rollte, soll 49
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Juliane List: Bachelor und Master – Sackgasse oder Königsweg, Köln 2000, S. 8. (= Beiträge zur Gesellschafts- und Bildungspolitik, 240). In Deutschland soll sich die Bonner Foundation of International Business Administration Accreditation (FIBAA) um Transparenz unter den MBA-Anbietern bemühen, deren Programm von der Kultusministerkonferenz anerkannt sein muss, da davon die Genehmigung für die Titelführung in Deutschland abhängt. Vgl. auch für Qualitätsprüfungen: AACSB (USA), AMBA (England), EQUIS (Europa). Stellungnahme des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums lt. dpa-Dienst für Kulturpolitik 33/98, S. 18 und George Turner („Flickenteppich“), in: Tagesspiegel vom 29. November 1999, S. 30. Hermann Horstkote, in: Tagesspiegel vom 2. Juli 2000. Eine etwas günstigere Prognose stellt Mathias Grunert: B. A. auf dem Prüfstand. Zur Akzeptanz geisteswissenschaftlicher Studienprofile auf dem Arbeitsmarkt, Bochum 2001 (= Herausforderungen, historisch-politische Analysen 13). Vgl. auch die Beilage zur Deutschen Universitäts-Zeitung: Von Bologna nach Berlin. Eine Vision gewinnt Kontur, zu H. 13 v. 4. Juli 2003.
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der erworbene Grad nun – ab 2005 europaweit angeboten – „als erster berufsqualifizierender Abschluss den Regelabschluss“ bilden und damit „für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung“ führen – so jedenfalls haben es die vierzig europäischen Bildungsminister auf der gegenwärtig letzten Etappe ihrer Städtereise am 18./19. September 2003 beschlossen. Entsprechend verabschiedete die Kultusministerkonferenz am 10. Oktober 2003 die neuen „ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“. Danach verleihen Bachelor-Abschlüsse für die 180 ECTS (= European Credit Transfer System) – Punkte nachzuweisen sind, dieselbe Berechtigung wie Diplomabschlüsse an Fachhochschulen und Master-Abschlüsse, die 300 ECTS-Punkte voraussetzen, dieselbe wie Diplom- und Magister-Abschlüsse an Universitäten. Letztlich wird aber der Bachelor-Abschluss, der keineswegs als „Zulieferer für den Master gedacht“ (Hans-Uwe Erichsen) ist, nur soviel erbringen, wie der Einzelne daraus macht – und wenn er als akademischer Grad wenigstens ein „Schnupperstudium“ krönt.
VI Als das Hochschulrahmengesetz 1976 verabschiedet wurde, strebte der Bundesgesetzgeber nicht nur den oben schon behandelten „Einheitsprofessor“, sondern auch einen einheitlichen D i p l o m-Grad an, der in Deutschland seit 1899 zunächst an den – neben den Universitäten – entstandenen Technischen Hochschulen verliehen wurde. Er sollte zur Entwicklung eines integrierten Systems von Gesamthochschulen beitragen. Diese Vorgabe im Artikel 18 wurde von einigen Landesgesetzgebern ohne hochschulspezifische Differenzierung umgesetzt, während andere den Fachhochschulstudiengang durch den Zusatz „(FH)“ ergänzten, womit sich anschließend das Bundesverwaltungsgericht beschäftigte. Der damalige Präsident der Hochschul-Rektorenkonferenz, George Turner, erinnert sich: „Beim Diplom haben wir seinerzeit eine Art Massentaufe erlebt. Durch Nachgraduierung erwarb man den Ing.-Grad, der dann die Basis für die Nachdiplomierung war, in einigen Ländern ohne den Zusatz ,FH‘. Bei manchen Fachhochschulen ging das per Postkarte – mit fünf Mark war man dabei“54. Inzwischen hat sich der Gesetzgeber in einem Änderungsgesetz zum HRG aus dem Jahre 1985 zur Kennzeichnungspflicht entschlossen, der sich alle Bundesländer angeschlossen haben; Bayern fügte seinen dort in universitären Studiengängen erworbenen Graden noch den Zusatz „Univ.“ hinzu. Damit hatte sich auch der Grundgedanke eines einheitlichen Diplomgrades, der den in Deutschland an Universitäten und Fachhochschulen am häufigsten verliehenen akademischen Grad darstellt, nicht durchsetzen lassen. 54
Turner (wie Anm. 12), S. 7.
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Zu den verbreitetsten Diplom-Graden gehören traditionell u. a. Dipl.Betriebswirte, -Bibliothekare, -Biologen, -Chemiker, -Ingenieure, -Kaufleute, doch gibt es auch „Exoten“, wie den Dipl.-Arch., der kein Diplom-Archivar ist, obwohl man einen solchen an der Fachhochschule Potsdam erwerben kann, sondern ein Diplom-Archäologe, den nur die Universität Freiberg verleiht; genauso einzigartig in Deutschland ist heute der früher in der DDR häufige Grad eines Dipl.-Historikers (heute nur Universität Bamberg), höchst selten sind auch Dipl.-Kunsttherapeuten (Fachhochschulen Nürtingen und Ottersberg) etc. Da sich „das deutsche Hochschulwesen gegenwärtig in einem Umwandlungsprozess“ befindet (Josef Lange), treten nun Bachelor- und Masterstudiengänge in Konkurrenz zu all diesen (meist) gut eingeführten Diplomgraden55.
VII L i z e n t i a t (mittellateinisch „licentiatus“ = mit Genehmigung verbunden) war früher ein Bakkalaureus, der das Recht erlangt hatte (per licentiam legendi) Vorlesungen zu halten. Zuletzt gab es ihn nur noch an Theologischen Fakultäten, wo das Lizentiaten-Examen die Promotion als Kollegvoraussetzung ersetzte. Heute wird der Lizentiat nur noch von der Universität des Saarlandes und von der Freien Universität Berlin verliehen – jeweils in einem anderen Fach. In Saarbrücken kann wie weiland Goethe in Straßburg, dessen Dissertation die dortige Juristische Fakultät als unzulänglich abgelehnt und ihm den milderen Weg des Lizentiaten juris empfohlen hatte, heute noch der akademische Grad eines „Lizentiaten des Rechts“ erworben werden; mit ihm ist das juristische Studium ebenso abzuschließen wie durch das Erste Juristische Staatsexamen; beide Prüfungen gelten als gleichwertig. In Berlin erhalten dagegen Absolventen des Weiterbildungsstudienganges für Journalisten seit dem 2. Juli 1993 erstmals den akademischen Grad eines „Licenciatus rerum publicarum“ (Lic. rer. publ.) verliehen. Da er in Angleichung an sonstige mit Erfolg abgeschlossene interdisziplinäre Aufbaustudien vergeben wird, ja alle bisherigen Absolventen diesen Grad auf Antrag im Nachhinein erhalten, ist gar mit einer bundesweiten Wiederbelebung des Lizentiaten zu rechnen56. * 55
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B. Steiger/K. Dudek: Diplom-Grade an deutschen Hochschulen, hrsg. von der Hochschulrektorenkonferenz, Bonn 1999, S. 7 und K. Hofer: Akademische Grade, Abschlüsse und Titel an künstlerischen Hochschulen, Jur. Diss. Hamburg, Frankfurt/M. 1996 (=Europäische Hochschulschriften, Reihe II: Rechtswissenschaft, Bd. 1994), bes. S. 72 ff. zur historischen Entwicklung der Diplomprüfungen. Stefan Müller: Licentiatus rerum publicarum, in: Der Tagesspiegel vom 5. Juli 1997, S. 26.
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Die vorgelegte Studie wollte keine vollständige Problemübersicht bieten, sondern eben nur einige mehr oder weniger aktuelle hilfswissenschaftliche Anmerkungen zu den akademischen Titeln machen. Dabei erwiesen sich hochschulrechtliche und definitorische Grenzgänge als unvermeidlich, da auf diesem Gebiet erstaunlich viel Unsicherheit herrscht, wie z. B. in einem bekannten (und sonst durchaus brauchbaren) Führer durch die „Akademischen Grade und Titel“ (1995), in dem sein Autor ausführt: „Akademische Grade sind ein System von Würden“ und weiter hinten bekundet: „Zwischen einer akademischen Würde und einem akademischen Titel besteht rechtlich und materiell kein Unterschied“57. Tatsächlich sind akademische Grade eine besondere Species von Titeln, wie oben ausgeführt, auf dessen hilfswissenschaftlichen Wert hier allerdings abschließend nochmals verwiesen werden soll: Die von H. O. Meisner eher verschmähten Titel sind ein nützliches Instrument der analytischen Aktenkunde, obwohl es infolgedessen auch von seinen Schülern weitgehend ignoriert worden ist58. Wer sich in Anreden und Titeln in den Quellen einigermaßen auskennt, nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in ihrer mitunter weit zurückreichenden historischen Entwicklung, der benötigt, so denke ich, 1) keinen Schnell-Lesekurs zur Bewältigung größerer behördlicher Aktenmengen mehr, da er über ein Auswahlsortiment an Kriterien verfügt, welche Schreiben er schon wegen des Rangs ihrer Verfasser unbedingt anlesen sollte und welche Vor- und Zuarbeiten eines Ausgangs er notfalls überblättern darf, 2) verfügt ein Titelkenner damit über eine sozialgeschichtliche Sonde, die er nur anzulegen braucht, um zu einer schichtenspezifischen, aber auch schichtenübergreifenden Akteninterpretation zu gelangen. Anreden und Titel der Empfänger und Absender führen tief hinein in historisches Statusdenken der alten Gesellschaft, in ihre Umgangsformen auf den Quer- und Längsschnittebenen einer sich verändernden Standespyramide, sie spiegeln Verdienste und Mentalitäten einerseits wider und prägen sie andererseits. Hier liegt ein hilfswissenschaftliches Instrumentarium vor, das hinsichtlich des Titelwandels, der Vergabehäufigkeit und der Anredewirkung noch zu erforschen bleibt. Es ist allerdings nützlicher für die Ober- als für die Unterschichten, denen sich die Sozialgeschichte bisher vorzugsweise zugewandt hat. Einen Anfang, diese Versäumnisse prosopographisch aufzuholen, macht das ambitionierte – 2001 in Bern und Gießen begonnene – Repertorium academicum germanicum, das sich zunächst den Artisten-Magistern von 1250–1550 (insgesamt 35.000 Personen) zuwendet59. 57 58
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Zimmerling (wie Anm. 8), S. 7 und 137. Henning (wie Anm. 2), S. 70 u. a., betr. besonders die Arbeiten von Gerhard Schmid. S. Baeriswyl: Die graduierten Gelehrten des Alten Reiches und die Räte des Kurfürsten. Forschungen zur Geschichte der Räte des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach im Rahmen des internationalen Projekts „Repertorium Aca-
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Meine „Anmerkungen“ konnten nur der Orientierung über einige ältere und z. T. in Deutschland wieder eingeführte akademische Titel dienen. Dabei blieben leider viele, zum Teil heikle Themen wie die Führung ausländischer Titel im Inland sowie internationale Abkommen (wie die EG-Richtlinien über die gegenseitige Anerkennung, 1995/99), Entziehungsgründe oder Verzicht, auch das umstrittene Geschäft der Promotionsberatung oder gar der Titelhandel und die Verfolgung pseudoakademischer Grade ausgespart. Doch damit verlassen wir bereits die vielseitigen, wenn auch heute leider in ihrem Bestand bedrohten Historischen Hilfswissenschaften60 und betreten vollends eine andere Disziplin, die in Deutschland immer noch entwicklungsfähig ist, nämlich die Wissenschaftsgeschichte. Auch sie muss sich mit akademischen Rang- und Titelstrukturen beschäftigen, die ursprünglich intern zur Nachwuchsregelung ausgebildet worden waren61, ferner mit der Kritik an einer Graduierungspraxis, die so alt ist wie diese selbst. Wer heute an Abschlussarbeiten mit dem damit verbundenen akademischen Ritterschlag festhält, kann dies in unserer modernen Welt nur unter Hinweis auf besondere Verdienste um Wissenschaft oder/und Gemeinwohl verteidigen. Graduiertensysteme lassen sich nur durch Leistung rechtfertigen. Auf sie zu achten, muss im weiter wohlverstandenen Interesse aller Hochschulen liegen, die schon aus Kostengründen auf die Titelfaszination ihrer Kunden (Studenten wie Arbeitgebern) nicht verzichten können. Unbezahlte und auch unbezahlbare Forschung wird durch Titel honoriert, deren Basis eine naive Akademikerverehrung in weiten Teilen der Bevölkerung bildet; sie beruht auf dem Vertrauen in die Kompetenz der Titelträger, das nicht durch Verminderung der Anforderungen verringert werden darf. Gefälligkeitsbenotungen zu verhindern, gebietet schon die Selbstachtung – an der es häufig an Massenuniversitäten ebenso fehlt wie am Zeremoniell.
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demicum Germanicum“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6 (2003), S. 169– 182; Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens, Köln 2001 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8), Graduierte S. 230–232. Henning: Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, Köln 2000, S. 3–15; E. Henning: Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Vortrag auf dem 73. Deutschen Archivtag in Trier, in: Archive und Forschung, hrsg. vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, Redaktion: Robert Kretzschmar. Siegburg 2003, S. 59–69 (= Der Archivar, Beiband 8). Moraw (wie Anm. 11), S. 21
Anerkennung und Aberkennung akademischer Titel Missbrauchsformen im Spiegel der Presse* Anerkennung und Aberkennung, Brauch und Missbrauch von Titeln hängen eng zusammen. Und so möchte ich heute ergänzend zu meinen eher systematischen Betrachtungen in der Harnack-Runde im Frühjahr 2005 unter dem Motto „Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“ noch auf Missbrauchsformen eingehen. So soll von der Aberkennung akademischer Titel durch die Nationalsozialisten wie von der DDR die Rede sein, ferner, zumeist an Hand von Presseberichten, vom Titelhandel und Titelschwindel unserer Tage sowie vom Titelentzug bei wissenschaftlichem Fehlverhalten. Zur Erläuterung dienen einige jüngere, mehr oder weniger abschreckende Beispiele der Titelsucht und der Plagiate Prominenter, die vielleicht deutlich machen, dass Auszeichnende und Ausgezeichnete stets gemeinsam zu betrachten sind1. Missbrauch akademischer Titel, gemeinhin „Grade“ genannt, gab es zu allen Zeiten, doch erst den Nationalsozialisten blieb es vorbehalten, das Graduierungsrecht systematisch seitens der Auszeichnenden zu beugen und es als Mittel einer rassistischen Hochschulpolitik einzusetzen: Sie erklärten Juden des Tragens „eines deutschen akademischen Grades für unwürdig“2 Als besonders eindrucksvoll sei hier an die vom Kölner Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte erarbeiteten Ausstellung „Doktorgrad entzogen!“ erinnert, die an der Universität Köln (2005) gezeigt wurde, begleitet von der Dokumentation des gleichnamigen Forschungsprojektes3. ln deren Katalog erklärte der Rektor unmissverständlich: „Die Universität hat sich an den *
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Abgedruckt nach einem Vortrag des Verfassers am 5. Juli 2007 in der HarnackRunde der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft bzw. deren Jahrbuch 2007, S. 141–158. Ihm liegt ein Beitrag zum „Mißbrauch akademischer Titel“ zugrunde für Festschrift von Wolfgang Hempel zum 75. Geburtstag: Die Kunst des Vernetzens, hrsg. von Botho Brachmann et al. Potsdam 2006, S. 301–316. Eckart Henning: „Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“ Aktuelle hilfswissenschaftliche Anmerkungen zu akademischen Titeln, in: Jahrbuch 2005 der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft, hrsg. von Bernd Sösemann, S. 113–134 (mit weiterführender Literatur zur Titulaturenkunde). Jens Kullik: Der Entziehungsgrund Unwürdigkeit bei akademischen Graden und öffentlichen Ehrungen. Jur. Diss., Göttingen 1996. „Doktorgrad entzogen!“. Aberkennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933–1945. Verfasst und hrsg. von Margit Szöllösi-Janze und Andreas Freiträger und Teilnehmerinnen des Hauptseminars: Die Universität Köln im Nationalsozialismus, Wintersemester 2003/2004, Köln 2005.
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Opfern der Willkürmaßnahmen schuldig gemacht und bekennt sich voller Scham zu ihrer Verantwortung“4 Auch wenn 1933 noch einige „arische“ Professoren zu Gunsten ihrer jüdischen Kollegen intervenierten, so boten doch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ sowie das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Hochschulen“ Mittel zur Entlassung politisch und rassisch unerwünschter Hochschulangehöriger. Noch 1933 erfolgte für alle entlassenen Dozenten mit weniger als zehn Dienstjahren der Verlust ihrer Bezüge, das Habilitationsverbot für „Nichtarier“ und ihrer Ehepartner, 1936 der Entzug der Titel und der Lehrbefugnis jüdischer Professoren, 1937 das Promotionsverbot jüdischer Doktoranden, 1938 das Immatrikulations- und Benutzungsverbot von Archiven und Bibliotheken. Jüdische Hochschullehrer wurden entlassen, jüdische Studenten relegiert. Ein Rundschreiben der Westdeutschen Rektorenkonferenz vom Mai 1950 mit dem Ziel der Wiedereinsetzung der vertriebenen Hochschullehrer (mit 350 Namen) blieb schon aus Altersgründen größtenteils ein Lippenbekenntnis zur „solidarischen Ehrenpflicht“, wobei allerdings eine ganze Reihe rühmlicher Ausnahmen zu nennen sind, nämlich die Rückkehr so bedeutender Hochschullehrer wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Fritz Bauer, Ernst Bloch, Hans Mayer, Helmuth Plessner und René König.5 Die „Aberkennung von akademischen Graden“ bildete bereits im März 2000 den Themenschwerpunkt einer Tagung der Hochschularchivare6. An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität stellte ihr akademischer Senat bereits zwei Jahre zuvor, nämlich am 5. November 1998 anläßlich des 60. Jahrestags des Novemberprograms fest, „dass Relegation und Entziehung des Doktorgrades als Akte der politischen Verfolgung willkürlich und menschenverachtend waren und zutiefst den Grundsätzen wissenschaftlicher Objektivität und Wahrheit wiedersprachen, denen sich diese Universität verpflichtet fühlt7„. So wurden- wie schon an der Münchener Universität zwei Jahre zuvor8 – der Entzug der Grade und alle Relegationen als Geste gegenüber den Überlebenden und Hinterbliebenen der betroffenen Akademiker für sittenwidrig und „nichtig“ erklärt. Es war der späte Versuch der Wiedergutmachung einer existenzvernichtenden Kränkung, die Thomas 4
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Aus der „Erklärung“ des Rektors Axel Freimuth, in: „Doktorgrad entzogen!“ (wie Anm. 3), S. 7. Arno Lustiger: Nach der Amputation blieb der Phantomschmerz aus. Wer rehabilitiert sie? Die Nationalsozialisten entzogen Tausenden ihre akademischen Titel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Dezember 2005, S. 40 (= gekürzte Fassung des Festvortrags zur Wiederzuerkennung der 1933–1945 durch die Universität Köln entzogenen Grade am 12. Dezember 2005). Vgl. den Bericht von Wolfgang Müller über die Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 des Vereins deutscher Archivare an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, in: der Archivar 53 (2000), S. 341–343. Wolfgang Müller (wie Anm.6), S. 341 f. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. September 1996, S. 37.
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Anerkennung und Aberkennung akademischer Titel
Mann in seinem Antwortbrief an die Universität Bonn- die ihm das 1929 verliehene Ehrendoktorat am 19. November 1936 aberkannte- in folgende Worte kleidete: „Ich habe es mir nicht träumen lassen, es ist mir nicht an der Wiege gesungen worden, dass ich meine höheren Tage als Emigrant, zu Hause enteignet und verfemt, in tief notwendigem politischen Protest verbringen würde ... Der einfache Gedanke daran, wer die Menschen sind, denen die erbärmlich-äußere Zufallsmacht gegeben ist, mir mein Deutschtum abzusprechen, reicht hin, diesen Akt in seiner ganzen Lächerlichkeit erscheinen zu lassen ... Deutschland soll ich beschimpft haben, indem ich mich gegen sie bekannte! Sie haben die unglaubliche Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln!“9. Nach Auswertung aller erreichbaren „Feststellungslisten“ im Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger durch Sabine Happ (Universität Bonn) ist zwischen 1937 und 1943 insgesamt 1.685 Personen der Doktorgrad entzogen worden, wobei es die meisten Entziehungen in Freiburg/Br., gefolgt von Frankfurt am Main, gegeben hat. Inzwischen ist die nationalsozialistische Titelpolitik an vielen Universitäten mehr oder weniger eingehend untersucht worden, keineswegs nur für Köln und Bonn, sondern auch für Berlin, Freiburg/Br., Gießen, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Marburg/L., München und Wien10. Weitere Forschungen müssen folgen. Die SED bestrafte in ihrem deutschen Nachfolgestaat „Republikflucht“ (auch „Verrat an der DDR“, illegales Verlassen etc.) von immerhin 2700 Professoren und Dozenten, die nach den ersten Passgesetzen 1954/57 bis zum Mauerbau (1961) das Land verließen, ebenfalls mit der Aberkennung der akademischen Grade. Das erklärte auch Präsident Hans Meyer an der Humboldt-Universität zu Berlin für die gesamte Zeit von 1945-1990 für sittenwidrig und nichtig, doch politisch motivierte Ehrungen verdienter Sympathisanten des Regimes wurden keiner Revision unterzogen; immerhin soll die DDR in ihrem Streben nach ausländischer Reputation rund 280 Ehrendoktortitel verliehen haben11. Auch für die seit 1965 erfolgten – größtenteils geheimgehaltenen, qualitativ sehr unterschiedlichen – Promotionen der
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Zit. nach Lustiger (wie Anm. 5), vgl. dazu Paul Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905–1955, München 1996. Literatur dazu, in: „Doktorgrad entzogen!“ (wie Anm. 3), S. 125–126. Milos Več: Aberkennung aberkannt. Die Humboldt-Universität inspiziert ihre Doktor-Titel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Juli 1998, S.42. Die letzten mir zum Thema vorliegenden Titel sind Peter Chroust. Die bürokratische Verfolgung: Doktorgradentziehungen an der Universität Gießen 1933–1945 im Kontext der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik Gießen 2006 und Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren: Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während des Nationalsozialismus. München 2007.
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1990 aufgelösten Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Potsdam-Eiche gilt „Bestandsschutz“.12 Mancher Träger akademischer Titel13 suchte „nur“ die wissenschaftliche Herausforderung, doch häufiger noch erstrebte er damit ein höheres Einkommen, gesellschaftliches Ansehen und verbesserte Berufsaussichten. Die Titel werden an Universitäten, Hochschulen und an Berufsakademien (mit staatlicher Anerkennung, sonst wertlos) verliehen. Voraussetzung für den Master ist heute in der Regel der Bachelor(= Vordiplom), für den Doktor der Magister, das Diplom oder Staatsexamen mit der Mindestnote „gut“ und für den Professor möglichst noch die Habilitation und der Doktor. Daneben besteht an einigen Hochschulen bzw. für einzelne Studiengänge die- immer mehr schwindende- Möglichkeit einer „Direktpromotion“. Da diese deutsche „Ochsentour“ vielen Möchtegern-Akademikern ebenso mühsam wie langwierig erscheint, wird nicht wenigen von Promotionsberatern der Erwerb von Auslandstiteln geraten14. Was die Führungsberechtigung der im Ausland erworbenen Hochschulgrade anbelangt, so muß man zwei Ländergruppen unterscheiden: Zur ersten Gruppe gehören die Länder der Europäischen Union (auch die päpstlichen Hochschulen und das Europäische Hochschulinstitut Florenz), des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und diejenigen, mit denen ein Äquivalenzabkommen zur Vereinfachung staatlicher Anerkennung geschlossen wurde (2005 waren es 17 – meist europäische – Staaten), zur zweiten, ungleich größeren Gruppe zählen alle übrigen Länder. Aus der ersten Gruppe wird von Promotionsberatern z.Zt. wegen des vereinfachten Verfahrens15 der nahezu berufsbegleitende Erwerb osteuropäischer Grade an einer staatlich anerkannten Hochschule in den neuen EU-Ländern empfohlen (Dauer etwa 9–12 Monate in der Slowakei oder in Lettland). Wer dagegen seinen Titel an Instituten der zweiten Ländergruppe erworben hat, muß dessen Führungsberechtigung prinzipiell bei seinem zuständigen Kultus- bzw. Wissenschaftsministerium überprüfen und genehmigen, d.h. nostrifizieren lassen. Das entscheidende Kriterium für diese Genehmigung ist die Akkreditierung einer ausländischen Hochschule durch den deutschen Akkreditierungsrat und dessen Agenturen, entsprechend dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 12
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Karl Wilhelm Fricke: Dr. stasi honoris causa. Die „sekretierten“ DDR-Dissertationen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. September 1994, S. 15. Vgl. auch Wilhelm Bleek/Lothar Mertens (Hrsg.): Bibliographie der geheimen DDR-Dissertationen, 2 Bde.: Bibliographie und Register, München 1994. Vgl. Henning (wie Anm. 1) und Wolfgang Zimmerling: Akademische Grade und Titel. 2., völlig überarbeitete Aufl. Köln 1995. Für das Folgende vgl. York v. Braunfels: Der Doktormacher. Doktortitel aus Deutschland und Europa, 9. überarb. Aufl. Berlin 2006. Bei amerikanischen Abschlüssen muß darauf geachtet werden, dass sie an Instituten erworben wurden, die vom Council of Higher Education Accreditation (CHEA) anerkannt sind.
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24.Mai 2002, dessen Statut am 1. Januar 2003 in Kraft trat. Wer Auslandstitel anstrebt, sollte sich möglichst vorher beim zuständigen Ministerium – entscheidend ist der Hauptwohnsitz – erkundigen, ob er sie später auch führen darf und sich nicht auf Zusicherungen von Titelhändlern verlassen. Dieses staatliche Anerkennungsverfahren soll verhindern, dass gefälschte Doktortitel oder betrügerische Anbieter auch kirchlicher Ehrengrade – etwa aus den USA16 – zum Zuge kommen, da sie deutschen Titeln nicht vergleichbar sind. Die Datenbank Anabin (unter http:www.anabin.de) gibt Auskunft über Hochschulen in 50 Staaten, ob deren akademische Grade in Deutschland anerkannt sind oder nicht; entsprechende Anfragen, ob es sich überhaupt um Hochschulgrade handelt bzw. über den Status fragwürdiger Auslandsinstitutionen beantwortet auch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) bei der Ständigen Konferenz der Kultusminister (Lennéstraße 6, 53113 Bonn). Ferner kann die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (Bad Homburg) eingeschaltet werden. Leider weisen diese nur scheinbar eindeutigen deutschen Regelungen auch noch föderale Löcher auf, die hier nicht verschwiegen werden sollen, da sie revisionsbedürftig sind und Täuschungsmanöver der Kunden begünstigen. Gemeint sind die sogen. Landesrechtlichen „Allgemeingenehmigungen“, die in einigen Bundesländern Einzelfallprüfungen ausgestellter Auslandsurkunden der zuständigen obersten Landesbehörde (= Ministerien) pauschal ersetzen sollen. So kann es vorkommen, dass ein in Osteuropa erworbener Dr.-Grad in einem Bundesland als bloßer „Dr.“ ohne Zusatz (wie in Brandenburg oder Hessen), im anderen aber nur in der ursprünglich verliehenen, gegebenenfalls transliterierten Originalform geführt werden darf (wie in Bayern oder in Mecklenburg-Vorpommern); außerdem muß – ganz wichtig – noch die verleihende Hochschule hinzugefügt werden; eine wörtliche Titelübersetzung in Klammern auf dem Praxisschild oder auf dem Briefkopf usw. ist zusätzlich erlaubt, kann hingegen auch unterbleiben – Regelungen, die schon zu manchen Umzügen von Titelträgern bzw. zur dauerhaften Verlegung ihres Hauptwohnsitzes von dem einen in das andere Bundesland geführt haben sollen. Jeder Graduierte muß in Deutschland erklären, dass er seine Arbeit „selbständig verfasst“ hat, folglich sind reine Auftragsarbeiten für akademische Grade unzulässig, aber sich dafür „zuarbeiten“ zu lassen ist immerhin ebenso erlaubt wie sich der erwähnten Promotionsberater17 zu bedienen, die ihre Dienste zu Hauf im Internet bereitwillig anbieten (darüber unten). 16
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Hans-Martin Barthold: Manche bürokratische Hürde ist vor dem Führen fremder Titel zu überwinden. Schwierige Umwandlung in einen vergleichbaren deutschen Abschluß. Vereinfachtes Verfahren in der Europäischen Union, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Mai 1997, S. 49. Zur weiteren Entwicklung. ausländische Grade, Umwandlung erleichtert, in: Der Tagesspiegel vom 20. Mai 1999, S. 38. Zur Promotionsberatung, vgl. Forschung & Lehre 1994, H. 4, S. 124–128.
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Doch der eigentliche Titelschwindel beginnt erst mit dem professionellen Titelhandel (nicht nur im lnternet)18, bei dem man diejenigen Firmen, die nur mit Zertifikaten handeln, von denjenigen unterscheiden muß, die wenigstens seriöse Schulen vortäuschen (30.000–50.000 Euro). Im ersteren Falle erhält der Kunde eine anerkannten Hochschulen nachempfundene Urkunde, die zumindest täuschend echt aussieht, im zweiten Falle werden von den Anbietern sogar Nachweise verlangt, berufsbegleitende Kurse veranstaltet und Arbeiten z.B. für den begehrten Master of Business Administration (MBA) vom Niveau einer höheren Handelsschule eingereicht, so dass tatsächlich „Leistungen“ vorliegen, die mit einem Diplom belohnt werden können19. Unschön ist daran nur, dass der Kunde – der nicht, wie im ersten Falle in betrügerischer Absicht handelt, sondern – womöglich gutgläubig eine Straftat begeht, denn in Deutschland ist das unerlaubte Führen, n i c h t aber der Ankauf eines solchen Titels strafbar (Strafgesetzbuch § 132a)20. Alle Undekorierten seien daher nachdrücklich vor dubiosen Privat-Universitäten (sogen. Titelmühlen) gewarnt, die sich vorzugsweise in der Schweiz niederlassen, wie z. B. die seit fast zwanzig Jahren unrühmlich bekannte Freie Universität Teufen oder der Ableger der umstrittenen kalifornischen Newport University in St. GallenAbtwil21. Aber auch andere Institute sind ins 18
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Schon 1994 stellte Hans Uwe Erichsen als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz fest: „Hier baut sich ein Markt auf!“, im Interview: das teure Objekt der Begierde, in: Bild der Wissenschaft 1994, H. 7, S. 32–36. Bereits zwei Jahre später berichtete der „Spiegel“ über den „Bisher größten Fall von Titel-Handel“, abgedruckt im Tagesspiegel vom 8. September 1996, S. 32 (gemeint waren die Tarnfirmen des Titelhändlers Hans Herbert Hain). Vgl. Georg v. Morzcseck: Was sie schon immer über Titelhandel wissen wollten, Burgwedel 1994 und Wilhelm Medenbach: Akademiker per Post, 2. Aufl. Karlsruhe 1998, ders.: Leitfaden zum Auslands-Doktor und -Professor, 2. Aufl. Karlsruhe 1998. Seither hat sich für das Gebiet des Titelhandels eine reichhaltige, kaum noch überschaubare Broschürenvielfalt entwickelt. Bärbel Schwertfeger: Böses erwachen beim MBA. Nicht jeder Master of BusinessAdministration-Schule darf hierzulande geführt werden, in: Der Tagesspiegel vom 2. April 1995, S. 45; von ders. Autorin stammt das „MBA-Handbuch – Business Schools im Profil, Düsseldorf 1995. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, unerlaubte Titelführung StGB § 132a, Abs. 1. Der Bundesgerichtshof hat schon 1993 den Handel mit Ämtern und Titeln für sittenwidrig erklärt; in seiner Entscheidung heißt es: „ln den Augen anständiger Menschen, die Ämter und Titel durch Mühen und Verdienste erwerben und nicht erkaufen, ist der Ämter- und Titelhandel in hohem Maße zu missbilligen“ (Akz. XI ZR 200/92), vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. November 1993, S. 14. Vgl. den Bericht von Horst Biallo, Autor des Buchs „Die Doktormacher“, Wien 1994, über „Ein Doktorhut kommt immer gut“. Wie sich Prominente aus Wirtschaft und Wissenschaft mit Titeln schmücken, die falsch oder nichts wert sind, in: Der Stern 1995, H. 41, S. 92–98, m. Abb. einer Blanko-Urkunde der Newport University. Grundlegend zur Information über den Doktor ist das Buch von Ingo v. Münch: Promotion. 3. Aufl. Tübingen 2006.
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Gerede gekommen, wie die Mare University auf den britischen Virgin oder die Mellen University auf den Turks and Caicos lslands in der Karibik, der sich einst Berlins Wenderektor Heinrich Fink zur Verfügung gestellt hat.22 Weiter wäre vor „academus“, dem deutschen Vertrieb der in London ansässigen Degree Consulting lnc. zu warnen, der European Academy „Euracq“, vor der Royal University of Hongkong ebenso wie vor der University of the Americas in Panama City oder vor pseudo-religiösen Organisationen und ihrem Titelhandel in Amerika wie der Cosmopolitan University oder vor Angeboten aus Bulgarien (zunächst noch kein EU-Land). Jeden Tag kommen neue Institute hinzu, ältere schließen, von denen oft nur eine Kontonummer, beispielsweise auf Zypern existiert, so dass man einer vermeintlich irischen „Briefkasten“-Universität lange Zeit nicht einmal mangels eines solchen eine Klageschrift zustellen konnte. Insgesamt ist das Internet ein Tummelplatz für schwarze Schafe, die mit ständig wechselndem Angebot und Netzadressen auf Kunden- bzw. Dummenfang gehen; nur als Beispiel sei eines aus den letzten Tagen des Sommers 2006 hier wiedergegeben: „There are no obligatory tests, classes, books or interviews: Aquire a Bachelor, Masters, MBA and Doctorate (PhD) diploma. Aquire the benefits and sanction, that comes with diploma! No one is ignored! Complete Anonymity definite. Z.(831) 3026663-2417“. Ärgerlich wird es immer dann, wenn man mit einem im Ausland erworbenen, aber in Deutschland nicht anerkannten Titel Vertrauen einwerben möchte, wie es der Berliner CDU-Chef des Wuhletals (d.i. Marzahn-Hellersdorf) und Mitglied des Wissenschaftsausschusses im Abgeordnetenhaus versuchte. Dieser Versicherungskaufmann ohne Abitur namens Mario Czaja hatte gutgläubig seinen Fernstudienabschluß als „Diplom-Ökonom“ an der Freien Universität Teufen/Kanton Appenzell-Außerrhoden nachgeholt, musste aber seine entsprechende Eintragung im Handbuch des Hohen Hauses wieder streichen lassen. Diese Fernuniversität verweist übrigens auf ihrer Homepage lieber auf das größere und bekanntere, im Nachbarkanton gelegene St. Gallen, wo man freilich ebenso wenig wie in Teufen studieren muß, wenn man dort online immatrikuliert und berufsbegleitend studieren bzw. seine Abschlussarbeit einreichen möchte.23 Vielleicht wäre ja diesem Parlamentarier besser mit einem Doktortitel für Nichtakademiker gedient gewesen, den 22
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Friedrich-Wilhelm Graf: Traum-Uni in der Karibik: Der Wenden-Veteran Heinrich Fink, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Januar 1994, S. 30 Vgl. diverse Presseberichte: CDU-Politiker Czaja tritt zurück – und zeigt sich lernwillig. Abgeordneter legt wegen Titel-Affäre seinen Sitz im Wissenschaftsausschuß nieder. Staatsanwalt prüft neue Anzeige, in: Der Tagesspiegel vom 15. Februar 2006, S. 9; CDU-Mann Mario Czaja verteidigt Titel. Hat sich der Abgeordnete Uni-Abschluß erkauft?, in: Der Tagesspiegel vom 11. Februar 2006, S. 10; Martin Otto: Das Diplom eines Wissenschaftspolitikers, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 2009, S. 37.
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man nach Anfertigung einer sogen. Dissertation in der Ukraine erwerben kann (vgl. htt://www.gdigest.com)24. „Was ein Titel vorm Namen in dieser Gesellschaft so alles ausmacht“, stellte der Drogist Götz Werner aus Karlsruhe fest, als ihm die dortige Universität eine Professur verlieh. Er hatte zwar kein Abitur abgelegt und kaum Hörsäle von innen gesehen, doch eine eindrucksvolle Ladenkette in neun europäischen Ländern aufgebaut, wo ihm in 1.600 Geschäften 23.000 Mitarbeiter jährlich Milliardenumsätze bescheren. Damit gehört der Eigentümer aller „dm“-Drogeriemärkte nun zu den einhundert reichsten Deutschen, der jetzt in seiner Heimatstadt „Unternehmertum“25 lehrt und bekanntlich ein Grundeinkommen für jedermann propagiert. Das zeigt, dass keineswegs immer nur akademische Voraussetzungen, aber doch analoge (Vor-)Leistungen für akademische Titel erbracht werden sollen, um eine Verleihung für Verdienste zu begründen, die auf Lebenserfahrung beruhen. Über ihre Rechtfertigung kann nur im Einzelfall entschieden werden. Immerhin handelt es sich im Falle Werners – Presseberichten zufolge – um die Berufung auf einen Lehrstuhl (nicht nur um einen Lehrauftrag) oder gar um die Verleihung des Ehrentitels „Professor“, was seit dem Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 1. Juli 1937 in Verbindung mit der Ersten Verordnung des Führers und Reichskanzlers über die Verleihung von Titeln (Professorentitel) gleichfalls möglich gewesen wäre. Darin wurde festgestellt, dass kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen der Verleihung des Professorentitels und dem akademischen Lehramt bestehen muß, dass der Titel vielmehr auch Angehörigen der Wirtschaft, der Kunst oder sonstigen universitätsfernen Personen verliehen werden könne. Diese – von einigen Kommentatoren durchaus kritisierte – Fehlentwicklung setzt das Bundesgesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 leider fort.26 Ulrich Karpen meinte dazu: „Hier greift der Staat nach Schmuckstücken, die ihm nicht zustehen“27. Etwas anders lag der Fall des früheren Berliner CDU-Vorsitzenden und ehemaligen „Amtsprofessors“ Christoph Stölzl, der 1987 als von Bundeskanzler Kohl bestallter Museumschef des Deutschen Historischen Museums zu Ehren und Titel eines „Generaldirektors und Professors“ gelangte – eine bewährte West-Berliner Regelung, um solche Stellen in der damaligen 24
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Vork v. Braunfels: Dr. h.c. Zum Doktortitel ohne Studium, 6. Aufl. Berlin 2006, S. 82 f. Klinger, Nadja: Droge Arbeit. Der Staat schenkt jedem ein Grundeinkommen und alle sind zufrieden. Wie das gehen soll, sagt der Kapitalist Götz Werner, in: Der Tagesspiegel vom 7. Juni 2006, S. 3. Karl Hans Geeb/Heinz Kirchner: Deutsche Orden und Ehrenzeichen. Kommentar zum Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen., 3., neubearb. Aufl. Köln 1977, S. 49 ff., bes. S. 56–60; Jürgen Hartmann: Staatszeremoniell, 2. Aufl. Köln 1990, S. 298. Ulrich Karpen: Rezension von Wolfgang Zimmerling: Akademische Grade und Titel, in: Mitteilungen des Hochschullehrerverbandes 1991, H. 4, S. 203.
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Halbstadt aufzuwerten. Als Museumsdirektor im Ruhestand (ab 1999, pensioniert 2001) blieb er somit „Professor“, wenn auch – anders als die „lebenslänglichen“ Universitätsprofessoren –, mit dem Zusatz „i. R.“, so dass der Ruhestandsprofessor nach öffentlichen Diskussionen seine Angaben im Abgeordneten-Handbuch entsprechend ergänzen musste – bis er im Jahre 2004 erneut eine Korrektur als frischberufener und nun nicht mehr „beruhigter“ Honorarprofessor an der Hochschule Hans Eisler beantragen konnte.28 Diffiziler liegen die Verhältnisse stets bei den Auslandstiteln, wie auch der Fall der Verwendung des Professorentitels des Heidelberger Anatomen Gunter v. Hagens zeigt, der mit seiner Wanderausstellung in Spielposen präparierter Verstorbener Sensationserfolge („Körperwelten“) feiert. Zwei Strafbefehle des zuständigen Amtsgerichts Heidelberg (2004/2005) liegen bereits gegen ihn vor, da Hagens es ablehnte, den in Baden-Württemberg gesetzlich vorgeschriebenen Zusatz „VRC“ für seinen an der Universität Dalian/Volksrepublik China 1996 und 1999 bei zwei Gastaufenthalten erworbenen Titel eines „Visiting Professors“ zu führen. Auf Dokumenten hatte die Titelprovenienz gefehlt. Entsprechend bestätigte am 23. Juni 2006 das Düsseldorfer Verwaltungsgericht die wegen Titelmissbrauchs ergangenen Bescheide, die allerdings keine Rechtskraft erlangten, da das Oberlandesgericht Karlsruhe bei einer erneuten Verhandlung am 27. Juli 2007 dem „Plastinator“ nicht nachweisen konnte, dass er beim Unterschreiben von Papieren mit dem vorgedruckten Titel auch auf diesen geachtet habe. Folglich läge keine „aktive Inanspruchnahme des Titels“ vor und ein „bloßes Dulden der Anrede durch Dritte“ sei nicht ausreichend.29 Auch vom einstigen, aus Baden-Württemberg stammenden, brandenburgischen Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß hieß es, sein Professorentitel käme aus China – was nicht richtig ist. Vielmehr soll er ihm nach eigener Aussage gegenüber dem „Spiegel“ in Amerika verliehen worden sein, doch fehlte Fürniß zu seinem Glück noch eine Genehmigung des Kultusministerium in Stuttgart, um ihn auch verkürzt als „Professor Fürniß“ führen zu 28
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Vgl. diverse Presseberichte: Der vergessene Professor. Warum CDU-Chef Christoph Stölzel den hohen akademischen Grad zur Zeit nicht führen darf, in: Der Tagesspiegel vom 11. Januar 2000, S. 9; Werner van Bebber: „Prof. Ex-Senator“. W. v. B. gratuliert Christoph Stölzel ganz herzlich zum neuen Titel, in: Der Tagesspiegel vom 22. Juni 2004, S. 11. Stölzel stand schon als Berliner Wissenschaftssenator Titelärger ins Haus, als ihm Landesarchivforscher aus Protest gegen die angeblich verschleppte, dann umzugsbedingte längere Schließung dieses Archivs, den „Doltortitel unehrenhalber“ verliehen, s. Sibylle Salewski, in: der Tagesspiegel vom 12. Dezember 2000, S. 28. Anna v. Münchhausen: Der Professor aus China. Anatom Gunther v. Hagens verteidigt seine Titel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung/zit. FAZ) vom 18. Januar 2005, S. 8; Von Hagens verliert abermals einen Prozeß, in: FAZ vom 24. Juni 2006, S. 9. Von Hagens hat Titel nicht missbraucht, in: FAZ vom 28. Juli 2007, S. 7.
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dürfen. Diese wurde aufgrund der Rechtslage jedoch nicht erteilt bzw. ihm lediglich zugestanden, unverkürzt „Adjuncted Professor/Central Michigan University“ auf Briefbögen, Visitenkarten usw. zu vermerken. Auch nach der jüngsten Novellierung vom 1. Januar 2000 des Landeshochschulgesetzes sind solche Titel nämlich nur mit vollständiger Herkunftsangabe zu führen, um Verwechselungen mit deutschen Titeln auszuschließen; auch eine Umwandlung in einen deutschen Professorentitel findet nicht statt.30 Noch weniger Glück im Unglück hämischer Presseberichte hatte Brandenburg Wissenschafts-Unterstaatssekretär Christoph Helm, ein promovierten Altphilologe mit Aufsichtsaufgaben über rd. 700 märkische Professoren: Er war 1995 als Ministerialdirigent in Sachsen-Anhalt vom ukrainischen Luftfahrtinstitut zum Honorarprofessor ernannt worden, worauf er auch in Magdeburg – vergeblich – die Titelführung beantragte. Als er aber wenige Tage vor seinem Wechsel nach Potsdam stand, wendete sich im Oktober 2000 plötzlich und „unerwartet“ (Helm) das Blättchen: Von einem AbteilungsleiterKollegen unterschrieben, erhielt er endlich die erbetene Berechtigung – die er freilich zurückgeben musste (2001), denn die auf rätselhafte Weise nachträglich erteilte Genehmigung wurde Helm aus rechtlichen Gründen wieder aberkannt. Sie entsprach weder den Anforderungen des Landes noch den Vorgaben der Kultusministerkonferenz.31 Doch nicht nur Professoren-, sondern auch Doktortitel sind beliebter denn je, zumal der Grad eines Doktors ehrenhalber auch ohne Studium und Dissertation erlangt bzw. von Promotionsberatern vermittelt werden kann. Dem versuchte die Hochschulrektorenkonferenz im November 1995 einen Riegel vorzuschieben, indem sie empfahl, den Doctor honoris causa nur noch aufgrund individueller wissenschaftlicher Leistungen zu verleihen, um die – allerdings von alters her – geübte Praxis, verdiente Förderer und Spitzenpolitiker mit einem Ehrendoktor auszustatten, zu beenden. Ob dies eine Chance auf Durchsetzung hat, muß freilich nicht nur unter Hinweis auf die beiden deutschen Rekordinhaber Konrad Adenauer (CDU) und Willy Brandt (SPD) bezweifelt werden, die es auf je 24 Ehrenpromotionen gebracht haben. Umstritten war daher auch der Beschluß der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald (1995), Hannelore Kohl den Dr. med. h.c. wegen ihrer „Förderung der Wissenschaft“ zu verleihen, was nach der Promotionsordnung durchaus zulässig erschien. Unter Vorsitz der Kanzlergattin waren immerhin mehr als 22 Millionen DM vom Kuratorium Zentrales Nervensystem in das medizinisch unterversorgte Mecklenburg30
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Gab sich Minister Fürniß zu Unrecht als Professor aus?, in: Potsdamer Tagesspiegel vom 17. Oktober 1999, S. 16; Fürniß darf nur US-Professor sein, in: Der Tagesspiegel vom 19. Januar 2000, S. 17. Vgl. Falscher Professor, im: Spiegel 2000, H. 50, S. 18; Thomas Metzner: Professor Helm wird überprüft, in: Der Tagesspiegel vom 12. Dezember 2000, S. 16; dpaDienst für Kulturpolitik vom 19. Februar 2001, S. 1 f.
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Vorpommern geflossen, um an der Universität Greifswald die Behandlung von Hirnschäden zu verbessern. Trotzdem benötigte ihr Akademischer Senat drei Sitzungen, ehe er die Ehrenpromotion einstimmig genehmigte, da er Wert darauf legte, nicht die finanzielle Förderung, sondern die „eigene gestaltende Tätigkeit“ von Frau Kohl in der Wissenschaft auszuzeichnen, da sie doch „zahlreiche Forschungsprojekte persönlich angeregt“ habe. Dadurch war die Hürde für die Kandidatin höher ausgefallen als noch für den EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, der im Mai 1994 die juristische Ehrenpromotion derselben Universität nur „aufgrund nachhaltiger Unterstützung von Forschung und Lehre“ erhielt.32 Zu einem ähnlichen „Eiertanz“ um die wissenschaftlichen Verdienste des russischen Präsidenten Wladimir Putin kam es fast zehn Jahre später an der Hamburger Universität. Dort sollte ihm am 10. September 2004 für seine „ökonomische Leistung“, als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg die Marktwirtschaft eingeführt zu haben, die Ehrendoktorwürde des Bereichs Wirtschaftswissenschaften verliehen werden – eingedenk von Hamburgs Partnerschaft mit der Stadt an der Newa, die seinem Duzfreund Schröder bereits im Vorjahr eine Petersburger Ehrenpromotion bescherte (und sogar für Notfälle mit einer kleinen Leibrente ausstattete). Als allerdings 67 Professoren eine im „Hamburger Abendblatt“ veröffentlichte Protestresolution unterzeichneten, die Putin für den „in völkerrechtswidriger Weise geführten Tschetschenien-Krieg“ sowie für die autokratische „Unterdrückung und Schikanierung unabhängiger Medien und ziviler Organisationen“ verantwortlich machte, wurde die Zeremonie von Moskau aus abgesagt – doch habe das (so ein Uni-Sprecher) nichts mit diesen Protesten zu tun.33 Wieder anders liegt der Fall des kalifornischen Gouverneurs Dr. h.c. Arnold Schwarzenegger, dessen Ehrendoktortitel einer Österreichischen Privatuniversität am 30. Juni 2006 von einem Wiener Gericht für wertlos erklärt wurde. Wie das Verwaltungsgericht betonte, dürfen nur an Studenten Titel verliehen werden, „die auch tatsächlich bei ihnen [nämlich an diesen Universitäten] ihr Studium absolvierten“. Doch bleibt es voraussichtlich bei
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Ferdinand Schuster: Ehrendoktor für Hannelore Kohl? Greifswalder Universität plant Verleihung im Sommer, in: Der Tagesspiegel vom 10. Februar 1995, S. 24 und ders.: Doktortitel für die „persönliche Leistung?“. Weiter Streit um Ehrenpromotion für Hannelore Kohl, in: Der Tagesspiegel vom 30. März 1995, S. 47. Frank Pergande: Dr. h.c. Wladimir Putin. Ein bizarrer Streit in Hamburg, in: Der Tagesspiegel vom 23. Juli 2004, S. 4; Claudia v. Salzen: Die Ehre des Dr. Putin. Hamburg streitet um Universitäts-Auszeichnung, in: Der Tagesspiegel vom 1. August 2004, S. 5; Dr. h.c. Putin, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. August 2004, S. 27; Zeremonie geplatzt. Putin wird vorerst kein Ehrendoktor, in: Deutsche Universitäts-Zeitung, Magazin 08/2004, S. 11.
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einem Ehrendoktor für Schwarzenegger, da dieser noch einen zweiten der Universität von Wisconsin aufzuweisen hat.34 Hohn und Spott rief im Spätherbst 2006 die „Tempo“- Sonderausgabe hervor, als dieses – sonst bekanntlich längst eingestellte – Magazin diverse Prominente mit der fingierten Verleihung einer Ehrendoktorwürde auf ihre Empfänglichkeit für rechtsradikales Gedankengut testete. Dafür erfand ihr Redakteur Markus Peichl eine „Deutsche Nationalakademie“ und spickte deren angebliches Programm mit Zitaten aus Hitlers „Mein Kampf“ und dem NSDAP-Parteiprogramm, worauf immerhin 16 von 100 Prominente zustimmend reagierten (von Dieter Bohlen über Meinhard v. Gerkan, Gottfried Fischer, Reinhold Messner bis zu Julian Nida-Rümelin, der seine Zusage allerdings einen Monat später zurückzog35). Die bisherigen Beispiele aus der seriösen Presse zeigen, dass Fragen der Titelführung Prominenter stets und steigend für Aufsehen sorgen, egal ob es sich um einen unkonventionellen Weg ins Professorenamt (Götz Werner), um Amts- (Christoph Stölzl) oder um Auslandsprofessuren (Gunter v. Hagens), manchmal „nur“ um Ehrenpromotionen (Hannelore Kohl, Wladimir Putin, Arnold Schwarzenegger) bzw. um eine vermeintlich mit dem Promotionsrecht ausgestattete Nationalakademie handelt. Leicht führt der Neid bisher „würdeloser“ bzw. leider undekorierter Mitmenschen zu Anzeigen wegen missbräuchlicher Titelführung, die Karrieren gefährden, wenn nicht gar peinlich enden können, insbesondere wenn der Fall von Journalisten aufgegriffen und die Blamage an die „große Glocke“ gehängt wird. Häufig ist auch die Benutzung unerlaubter Hilfen durch angehende Forscher, die erst graduiert werden möchten. Doch wer der Devise folgt: „Nicht studieren, sondern studieren lassen!“ und sich professioneller ConsultingUnternehmen bedient (34 Treffer verzeichnet Google bei der Suche „Doktor kaufen“!), muß sich vorsehen, um nicht mit den Gesetzen in Konflikt zu geraten. Wer sich akademischer Ghostwriter bedient, darf deren Werk nicht als sein eigenes ausgeben – auch dann nicht, wenn er dreist 53 Euro für eine Seite Diplomarbeit bezahlte, da er sich eines illegalen Service bedient hat. Wer aber auf legale Weise die Beine baumeln lassen möchte, kann höchstens „Zuarbeiten“ in Anspruch nehmen bzw. Korrekturleser beschäftigen. Promotionsberater wählen gern Themen mit geringem Promotionsaufwand aus, beschaffen einen Doktorvater und helfen bei Literaturrecherchen. (ca. 15.000 Euro), doch mitschreiben dürfen sie immer noch nicht. Bedenklicher 34 35
Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 2006, S. 10. Ralf Schönball/Marc Felix Serrao: Schmutziger Journalismus? Reporter, Scoops, Lügen: Die „Nationalakademie“ von „Tempo“ und die Folgen, in: Der Tagesspiegel vom 9. Dezember 2006, S. 31; Nils Minkmar: Temposchock. Depp der Nation: Ein Philosoph unterschreibt bei Hitler, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (zit. FAZ) vom 9. Dezember 2006, S. 37 u. Ernst Horst: Ehrt eure großen Männer. Elite für alle: Bei Professor Nida-Rümelin im Hörsaal, in: FAZ vom 13. Dezember 2006, S. 37.
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als diese (kostspielige) Grauzone geistigen Eigentums sind die Kopiertechniken derjenigen Studenten, denen die Schattenschreiber zu teuer sind und lieber selbst gleich fertige (oder Teile von) unveröffentlichten Diplom- oder Magisterarbeiten aus dem Internet „downloaden“, um das kopierte und manchmal wenigstens umgetitelte Werk als ihr eigenes auszugeben (Netzplagiate), wobei sie mit überlasteten Professoren rechnen, die kaum noch Zeit für Beratungsgespräche oder für Googleprüfungen etwaiger Kopien aufbringen. So hat allein der Salzburger Medienforscher Stefan Weber, wie der „Spiegel“ Anfang des Jahres 2007 berichtete, 39 wissenschaftliche Arbeiten ermittelt, deren Autoren einschließlich aller Tippfehler plagiierten. An der Wiener Universität werden daher künftig alle Diplom-, Magister- und Doktorarbeiten – jährlich immerhin 5000 Stück – mit Hilfe der Software „Mydropbox“ elektronisch überprüft (Anschaffungskosten 20.000 Euro), schon allein um mit der Einführung von Suchmaschinen die studentische Hemmschwelle zu erhöhen. Studienpräses Kopp der Fakultät für Informatik ist allerdings skeptisch: „Nicht jedes Plagiat wird man finden, denn wenn jemand eine Arbeit aus dem Englischen übersetzt und auch richtig zitiert, wird das die Software nicht als Plagiat erkennen“36. Auch wer fremde Texte nur ein wenig umformulierte, konnte sicher sein, dass sein Raub von herkömmlichen Suchmaschinen nicht entdeckt werden würden, wogegen nun freilich ein in Weimar entwickeltes Versuchsprogramm (www.picapica.net) helfen soll, dass angeblich trotz einiger ausgetauschter Wörter und auffälligem Stilwechsel gut funktioniert, d.h. auch zulässige Zitate nicht gleich als Plagiate ausweist.37 Daher Vorsicht: auf enttarnten Texten stehen Strafen bis zu 50.000 Euro und die Aberkennung des Diploms (Bochum) oder der Promotion (Darmstadt). Solch unerlaubter Hilfen haben sich nicht nur Hohenzollernprinzen bedient – der Erlanger Fall muß hier nicht noch einmal aufgerollt werden, – sondern auch der in Hamburg gescheiterte Wladimir Putin, als jüngst seine Doktorarbeit über „Strategisches Planen bei der Nutzung der Rohstoffbasis einer Region in Zeiten der Entstehung von Marktmechanismen“ an der St. Petersburger Bergbau-Hochschule (1997) in Schlagzeilen wie „Doktor Mogel“ oder „Putins Dissertation ein Plagiat?“ geriet. Nach Ergebnissen von Clifford Gaddy sollen etwa 16 Seiten im zweiten Teil fast „Wort für Wort“ aus der russischen Übersetzung eines zwanzig Jahre älteren US-Lehrbuchs entlehnt worden sein, ferner sechs Diagramme und Tabellen ohne Herkunftsangabe. Handelt es sich gar um eine Auftragsarbeit?38 36
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Rosa Winkler-Hermaden: Uni Wien startet Plagiats-Suchmaschine, in:; Die Presse vom 20. September 2006, Sonderausg. UniLive zum Wintersemester 2006/2007, S. III, vgl. dazu das Interview von Stefan Weber, in: Der Spiegel 7/2007, S. 146. Pablo Silalahi: Fälschern auf der Spur. Mit einem neuen Programm sollen Dozenten Plagiate entdecken, in: Der Tagesspiegel vom 12. September 2007, S. 30. Diverse Presseberichte über: Putins Dissertation, ein Plagiat? Weite Teile von Amerikanern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28, März 2006m S. 11; Christoph v. Marschall: Doktor Mogel. Plagiator Putin: wie ein US-Forscher entdeckte, dass
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Gefährlicher als die Geltungs- und Titelsucht von Selbstdarstellern sind jedoch für die menschliche Gemeinschaft echte Forschungsmanipulationen aus Gelehrtenehrgeiz, wie im Falle des bereits arrivierten Physikers Jan Hendrik Schön, der im Jahre 2004 seinen Doktortitel der Universität Konstanz zurückgeben musste. Eine Kommission hatte ihm in 16 Fällen Datenfälschung seiner Arbeiten bei den Bell-Laboratories in Murray Hill/ USA nachgewiesen (1998–2001), die bereits als nobelpreiswürdig galten. Insgesamt handelte es sich nach Meinung des Promotionsausschusses um den „größten Fälschungsskandal in der Physik der letzten 50 Jahre“, der einen Titelentzug aufgrund unwürdigen Verhaltens auch dann rechtfertige, wenn er sich nicht auf mehr auf Schöns Dissertation (über Solarzellen, 1998) bezog: „Forschungsfreiheit darf nicht als Spielwiese für Betrug und Manipulation missbraucht werden“, so Wolfgang Dietrich von der BodenseeUniversität. Aufgrund nachgewiesenen Fehlverhaltens verlor Schön ferner seinen – am 8. März 2002 an ihn ergangenen – Ruf als Wissenschaftliches Mitglied und Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart.39 Auch die Humboldt-Universität zu Berlin besitzt eine Ehrenkommission zur Sicherung der Grundsätze von guter wissenschaftlicher Forschung, deren Aufgabe es ist, sich mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens auseinander zusetzen; folglich hatte sie sich auch mit den anwachsenden Plagiatsvorwürfen gegen Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Juristischen Fakultät, und dessen „Juristische Methodenlehre“ (2005) befassen müssen: Gegen ihn hatte nämlich ein Jura-Doktorand namens Benjamin Lahusen unlängst in der „Kritischen Justiz“ Abschreibevorwürfe erhoben („nicht gekennzeichnete Textübernahmen“40). Das führte zu einer „Erklärung“ des Präsidenten dieser Universität, Christoph Markschies, im Internet, wonach Schwintowskis Lehrbuch in der Tat „methodische wie internationale Standards“ verletze, was einer öffentlichen Missbilligung seines „inakzeptablen wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ gleichkommt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte den Vorgang folgendermaßen; „Ein Student, der sich in einer Magisterarbeit solcher Methoden bedient hätte, müsste mit der Aberkennung des Titels rechnen. Aber mit ju-
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Russlands Präsident das zentrale Kapitel seiner Dissertation abschrieb, in: Der Tagesspiegel vom 18. April 2006, S. 3. Vgl. Der Tagesspiegel vom 12. Juni 2004, S.23, desgl. in Frankfurter Allgemeine Zeitung und in der Deutschen Universitäts-Zeitung, Magazin 06/2004. – Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, II. Abt., Rep. 1 A, Nr. 159. Senatsprotokoll vom 23. November 2001, S. 19 mit Mat. zu TOP 7.2.3, desgl. 160. Protokoll vom 8. März 2002, S. 19 und 162. Protokoll vom 22. Oktober 2002, S. 27. Am 8. Februar 2007 berichtete der Tagesspiegel erstmals über den gegenüber den Jura-Professor Hans-Peter Schwintowski aufgekommenen Verdacht geistigen Diebstahls, am 21. Februar 2007, S. 23 heißt es dann: Schummelte auch die Doktorandin?, Weiteres am 21. März 2007, S. 23.
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ristischen Methodenlehren strebt man keinen Titel an, erwirbt höchstens den eines Schrottpublikationshändlers“41. Das sind (vielleicht zu) starke Worte, zumal die erwähnte Kommission nur von einer Verletzung der „Zitiernorm“ sprach42, doch Schwintowski bestritt sogar, dass es überhaupt ein „wissenschaftliches Zitiergebot als rechtsverbindliche Regel“ gebe und vor dem Berliner Landgericht schließlich, dass populärwissenschaftliche Werke denselben Anforderungen an die Zitiertechnik genügen müssten, wie wissenschaftliche43, – womit er vollends, wie ihm sein Kollege Günter Frankenberger (Universität Frankfurt/M.) vorwarf, „den Weg aus der Ethik in die Konvention“ antrat. Sein fachlicher Rat an Schwintowski lautete: „Einfach selber schreiben. Oder es sein lassen, wenn am geistigen Kannibalismus kein Weg vorbeiführt“44. Ein spektakulärer Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens mit tragischem Ausgang ist der des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo Suk, der sich wegen nachgewiesener Fälschungen seiner sensationellen Stammzellenversuche – der angeblich ersten Klonierung eines menschlichen Embryos – im Mai 2006 gerichtlich verantworten sollte. Gegen den einstigen Nationalhelden hatte die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen Betrugs und Veruntreuung von Forschungsgeldern, sondern auch wegen des Verstoßes gegen das Bioethikgesetz (angeblich freiwillige Eizellenspenden) ermittelt, doch der bereits von der Universität beurlaubte Hwang hat sich daraufhin noch vor Prozessbeginn in seiner Gefängniszelle erhängt.45 Beide Fälle beziehen sich auf hochbegabte und arrivierte Wissenschaftler, die ihr Ehrgeiz antrieb bzw. sich von den eigenen Erwartungen verführen ließen, ihre Ergebnisse als erwiesen hinzustellen, ehe ihnen andere zuvorkommen konnten, so dass die zuständigen akademischen Gremien ihre Konsequenzen ziehen mussten. Beim Forschungsbetrug geht es nicht einfach nur um die Wahrheit von Erkenntnissen bzw. schlichter gesagt, um deren Geltungsanspruch, sondern 41
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Zitat von Jürgen Kaube, der den „peinlichen Fall Schwintowski“ am 14. Mai 2007, S. 40 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufgreift Vgl. Hermann Horstkotte: Mit fremden Federn. Plagiatsvorwurf gegen Juraprofessor der HU; Präsident will jetzt rechtliche Konsequenzen prüfen, in: Der Tagesspiegel vom 16./17. Mai 2007, S. 27 und ebenda Meldung vom 11. Juli 2007, S. 23, ferner von dems.: Eine Frage der Ehre. Plagiatsvorwurf an der HU: Hinter den Kulissen ringen Professoren mit dem Präsidenten, ebenda am 13. Juni 2007, S. 27, sowie von dems.: Wie man zitieren darf. Plagiatsstreit an der HU: Gericht contra Präsident, ebenda am 11. Juli 2007, S. 23. Hermann Horstkotte: HU-Professor erklärt seine Zitierpraxis. Plagiatstreit: Jurist will andere Regeln, in: Der Tagesspiegel vom 20. Juli 2007, S. 28. Günter Frankenberg: Die niedrige Kunst des Abschreibens. Studenten sollen korrekt zitieren – wie aber steht es mit Professoren?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Oktober 2007, S. 43. Vgl. Der Tagesspiegel vom 13. Mai 2006, S. 32.
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um durchaus unterschiedliche Formen von Fehlverhalten: 1. um den offenen bzw. absichtlichen Betrug oder um Plagiate (selten), 2. um die Verfälschung von Forschungsergebnissen (häufiger) und 3. um bloße Fahrlässigkeit, man könnte auch treffender von Schlamperei sprechen, die zu vermeidbaren Falschaussagen führt (entdeckte Fälle tendenziell steigend). Doch damit nicht genug, denkt man an die moralischen Grenzen wissenschaftlicher Methoden (z.B. Menschenversuche im Nationalsozialismus) oder von Forschungszielen (z.B. der Gentechnik oder des Embryonenschutzes). Letztlich steht hier die Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit von Forschern auf dem Spiel. Angesichts zunehmenden Leistungs- und Erfolgsdruckes, der großen Abhängigkeit von Bewilligungen von Drittmitteln, von exzessivem Ehrgeiz, aber auch der Arroganz mancher Wissenschaftler, der missbräuchlichen Ausnutzung von Informationen, von Gefälligkeitsgutachten usw., werden Appelle an eine – wie auch immer geartete – Neubelebung der Selbstverantwortung oder an das Standesethos nur wenig helfen. Wenn unverzichtbare Verhaltensnormen verletzt werden, bedarf es präventiver Maßnahmen, um ein Forschungsumfeld zu schaffen, das verantwortungsvolles Verhalten fördert und Fehlverhalten deutlich erschwert. Erste Schritte in dieser Richtung unternahm zunächst die MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, als ihr Senat am 14. November 1997 das „Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ in Gang setzte, dem die Deutsche Forschungsgemeinschaft erst mit „Vorschlägen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ am 17. Juni 1998 und mit einer Verfahrensordnung „zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“ vom 2. September 1999 folgte; entsprechende Empfehlungen zur Selbstkontrolle verabschiedeten auch die Hochschulrektorenkonferenz sowie einzelne Universitäten, darunter die besonders in ihrem Ruf durch den Fall Friedhelm Herrmann und sein Umfeld (mit 47 fälschungsverdächtigen Publikationen) besonders beschädigte Freiburger Universität. Die Problematik ist vorbildlich wiederum von der Max-Planck-Gesellschaft durch ein Ringberg-Forum über das „Ethos der Forschung“ (1999) begleitet und vertieft worden; dort sind sowohl Vorsichtsmaßnahmen als auch Sanktionen bis hin zum Entzug akademischer Grade diskutiert worden, denn schließlich ist der Betrug in der Wissenschaft vor allem „moralisch zu missbilligen, weil er die Kreditierbarkeit von Wissenschaft und damit ihren praktischen Sinn untergräbt“.46 Sich von der Menge der Undekorierten zu unterscheiden, ist in einer Demokratie legitimerweise nur durch Dekorationen möglich, die auf Leistung beruhen. So honorieren akademische Grade den wissenschaftlichen Erfolg, 46
Gethmann, Carl Friedrich: Die Krise des Wissenschaftsethos, in: Ethos der Forschung. Ringberg-Symposion 1999, München 2000, S. 25–41, hier S. 29. Zur Albin Eser-Kommission über Friedhelm Herrmann und/oder Brach, S. 241 f. und das Verzeichnis wichtiger Dokumente der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 287 f.
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der nicht durch Täuschungsmanöver fingiert werden darf. Umgehungsversuche – sofern sie bekannt werden – beschädigen leicht das Ansehen „der“ Forschung und damit aller Forscher in der Öffentlichkeit, die einen Anspruch darauf hat, vor den Folgen des Mehr-Scheinen-als-Sein-Prinzips der Pseudoakademiker bewahrt zu werden. Ihr Imponiergehabe hilft ihnen vielleicht im Einzelfall Insuffizienzgefühle zu kompensieren, doch hat unserem Land nur die preußische Umkehrparole „Mehr-Sein-als-Scheinen“ auf Dauer geholfen, sich in der Welt auch wissenschaftlich zu behaupten. Die Bundesrepublik Deutschland wäre daher gut beraten, wenn sie ihren immer noch guten Ruf als „Land der Ideen“ weiter konsequent gegenüber Titeljägern verteidigen wollte, in dem sie dubiosen Surrogaten die Anerkennung verweigert. Sollte sie ihnen aber noch mehr in Form von „Allgemeingenehmigungen“ nachgeben, müsste man zum Gegengift der Satire greifen und weitere wie die Dülkener Narrenakademie aus dem 14./15. Jahrhundert gründen. Sie fasst heute noch ihre Beschlüsse im großen Weisheitssaal im Obergeschoß der „Titelmühle“ (einer alten Bockwindmühle). Als Goethe von dieser – auf Steckenpferden – „Berittenen Akademie der Künste und Wissenschaften“ zum „Ritter des jungen Lichts erster Größe geschlagen und zum Doktor der Monduniversität promoviert“ wurde (1828), sprach er von „Rheinischen Absurditäten“ und ließ die Urkunde in einer Schublade verschwinden. Dennoch gilt angesichts des internationalen Titelhandels, der selbst Katzen nicht auslässt (s. Abb.), den Dülkener Narrenspott „auf Standesdünkel, geziertes Getue und selbstgefälliges Gehabe gelehrter Herren“ auf breiterer Front neu zu beleben und jenen, die im Sinne von Erasmus Narrenweisheit beweisen, weiterhin jährlich den „doctor humoris causa“ zu verleihen47.
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Mielke, Rita: Erlauchter Doktor der Mondsuniversität. Dülkener „Akademie“ verleiht närrische Titel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. April 1993, S. 9.
Eigenhändig Grundzüge einer Autographenkunde* I Autographen sind stets ein Ärgernis! Jedenfalls erblicken die dem Herkunftsdenken1 verhafteten Archivare in ihnen meist das Ergebnis eines „Betriebsunfalls“, bei dem ein Vorgang auseinandergerissen wurde und ein Selekt übrig blieb. Aus ihrem Blickwinkel handelt es sich oft um Einzelschriftstücke, „die ursprünglich aus Kanzleien oder Registraturen stammen, ihrer Herkunft entfremdet und als Autographen gleichsam denaturiert“ wurden; „die Provenienz ist manchmal nicht mehr feststellbar, zuweilen sogar absichtlich unkenntlich gemacht“ worden2. Folglich werden solche Irrläufer in archivischen Sammlungen bzw. in Handschriftenabteilungen der Bibliotheken und damit gleichsam in Notunterkünften für sogen. Mischbestände untergebracht, denn natürlich handelt es sich „auch weiterhin um Archivgut, da dessen Natur ein character indelebilis ist, der auch nicht dadurch verloren gehen kann, dass ein Schriftstück als Autograph vereinzelt und gehandelt wird“3. Eine andere archivarische Reparaturmaßnahme besteht darin, mit einem Autograph wenigstens einen bereits im Archiv vorhandenen Nachlass – sei es nun des Absenders oder des Empfängers – anzureichern4. Doch ob man nun Autographen den Provenienzbeständen *
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Abdruck ohne Abbildungen, Bibliographie und dem Verzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzungen aus meiner gleichnamigen Monographie: Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde. Berlin 2006, 61 S. Vorabdruck im StargardtKatalog Nr. 683. Berlin 2006, S. I–XII. Zugrunde liegt ein dafür ergänzter und überarbeiteter Beitrag, in: Archiv und Gedächtnis. Festschrift für Botho Brachmann, hrsg. von Friedrich Beck, Eckart Henning, Susanne Paulukat und Olaf B. Rader. Potsdam 2005, S. 277–297 (= Potsdamer Studien, 18; Schriftenreihe des WilhelmFraenger-Instituts, 8). Vgl. jetzt Gerhard Leidel: Über die Prinzipien der Herkunft und des Zusammenhangs von Archivgut, in: Archivalische Zeitschrift 86 (2004), S. 91–130. Johannes Papritz: Archivwissenschaft, Bd. 1, Marburg 1976, S. 102. Papritz (wie Anm. 2). Zu den Nachlasstypen vgl. die Einleitung von Wolfgang A. Mommsen: Die Nachlässe in den deutschen Archiven (mit Ergänzungen aus anderen Beständen), T. I u. II, Boppard/Rh. 1971 u.1983. Mit einer Neubearb. als Online-Version ist im Bundesarchiv begonnen worden. Vgl. Irene Charlotte Streul: Nachlässe Online. Die „Zentrale Datenbank Nachlässe im Bundesarchiv“, in: Archive und ihre Nutzer – Archive als moderne Dienstleister. Beiträge des 8. archivwissenschaftlichen Colloquiums der Archivschule Marburg, hrsg. von Stefanie Unger. Marburg 2004, S. 83– 93 (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, 39). – Für Bibliotheken
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wieder angliedert, wozu auch das private Schriftgut zählt, das ja „kein zufällig entstandenes Sammelsurium“ ist, oder ob man sie zum Sammlungsgut rechnet – „Archivalien“ bleiben sie allemal5. Gleichwohl interessiert sich die Archivistik als historisch orientierte Speicherwissenschaft wenig für dergleichen Grenzfälle, zumal sie sich in erster Linie für „Organisationsformen in Kanzlei und Registratur“6 zuständig weiß bzw. im Zwischen- oder Endarchiv für deren abgelegte Akten, nicht aber für einzelne Schriftstücke, um die sich dann besser die „Aktenkunde“ kümmert – ein Begriff, der sich immer wieder als erklärungsbedürftig erweist: „Aus der ungenügenden Unterscheidung von Fluss und Speicherung von Unterlagen und Informationen, d. h. zwischen Aktenkunde und Archivwissenschaft, resultieren manche Missverständnisse und Denkfehler, die in der Literatur leider zugenommen haben“7. Die Aktenkunde als Historische Hilfswissenschaft vermag Autographen formal wie inhaltlich gerade als Einzelstücke genetisch, systema-
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unübertroffen bleibt Tilo Brandis/lngo Nöther (Bearb.): Handbuch der Handschriftenbestände in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Deutschen Bibliotheksinstitut. Teil l. Berlin 1992 und Marray G. Hall/Gerhard Renner: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren, 2. neubearb. u. erw. Aufl. Wien 1995 (= Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur, 23). Weitere Literatur bei Dirk Ullmann: Nachlässe und Familienarchive, in: Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, hrsg. von Wolfgang Ribbe und Eckart Henning, 12. Aufl. Neustadt/Aisch 2001, S. 374–376 u. Bettina Fischer: Über das Sammeln von Nachlässen in Archiven, in: Archive in Thüringen, Sonderh. 2004, S. 4–7. Die Einen sehen – wie z. B. Ingeborg Stolzenberg – in den Autographen in erster Linie Nachlassschriftgut (es kommt ihnen vor allem auf den Empfänger an), die Anderen aber – wie z. B. Karl-Heinz Hahn – erkennen in ihnen Sammlertücke (ihnen ist der Schreiber besonders wichtig). Vgl. dazu Ingeborg Stolzenberg: Autographen und Nachlässe, aus: Die Erforschung der Buch- und Bibliotheksgeschichte (Paul Raabe zum 60. Geburtstag gewidmet). Hrsg. von Werner Arnold, Wolfgang Dittrich und Bernhard Zeller. Wiesbaden 1987, S. 55–89 und Karl-Heinz Hahn/ Helmut Holtzhauer: Vorschlag und Plan einer Zentralkartei für Nachlasshandschriften. Weimar 1963. Zum Begriff der „Archivalien“ vgl. Heinrich Otto Meisner: Privatarchivalien, in: Archivalische Zeitschrift 55 (1959), S. 117–127. Vgl. den Untertitel von Papritz (wie Anm. 2) der Bände II/1 und II/2: Organisationsformen in Kanzlei und Registratur. Botho Brachmann: Zum Verhältnis von Archivwissenschaft und Aktenkunde im Rahmen des Workflow-Managements, in: Archive und Forschung. Referate des 73. Deutschen Archivtags 2002 in Trier, Siegburg 2003, S. 99–103, hier S. 100 (= Der Archivar, Beibd. 8). Brachmann trug seine Auffassung zuerst am 30. November 2000 auf der 14. Tagung der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften im OttoWarburg-Haus in Berlin-Dahlem vor. Das gab den Anstoß zu dem vorliegenden Autographenbeitrag, erstmals gedruckt in der Festschrift für Botho Brachmann „Archive und Gedächtnis“, Potsdam 2005, S. 277–297 und leicht verändert im Stargardt-Katalog Nr. 683, Berlin 2006, S. I–XII.
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tisch und analytisch zu klassifizieren und zu interpretieren, selbst wenn sie als Produkt des Geschäftsganges aus dem Zusammenhang gerissen worden sind. Die erst im 20. Jahrhundert begründete Hilfswissenschaft der „Aktenkunde“, die nicht nur nach Rang und Stil des Ausstellers, sondern auch nach dem Zweck (= Befehls- oder Mitteilungsschreiben, Berichte oder Suppliken) unterscheidet8, ist ebenso wichtig für die Autographenkunde – wenn auch unter Sammlern immer noch weitgehend unbekannt – wie die Paläographie, um alte Schriften überhaupt lesen zu können, oder die Chronologie, um frühere Datierungen umzurechnen. Ohne Grundkenntnisse in allen drei Fächern, wenn nicht noch in weiteren Hilfswissenschaften des Historikers, wären nicht nur die Betreuer in den verschiedensten staatlichen oder privaten Aufbewahrungsstellen hilflos, sondern auch Händler und Sammler von Autographen. Zum bloßen Geschichtsinteresse, obschon es Voraussetzung für Kenner bleibt, müssen auch eher technische Fähigkeiten kommen, um dieser „sonderbaren Leidenschaft“ (Goethe) überhaupt erfolgreich fröhnen zu können. Die Zugangsvoraussetzungen sind mithin für Autographensammler ziemlich anspruchsvoll – nicht nur in finanzieller Hinsicht. Doch bevor wir uns mit den Motiven beschäftigen, warum überhaupt und auch heute noch Autographen gesammelt (und sogar durch Archivare auf Auktionen erworben) werden, ist es erforderlich, sich der Definition dessen zuzuwenden, was darunter eigentlich zu verstehen ist: Das Neutrum „Autograph“ (von griech. auto = selbst und graphein = schreiben) bedeutet soviel wie „Selbstschrift“, doch hat sich diese deutsche Übersetzung genauso wenig durchsetzen können wie die oft nur im Gegensatz zur Abschrift verwendete „Urschrift“. Allein der regelwidrige, selbst von Goethe benutzte Plural „Autographen“ hat sich behauptet, müsste er doch – analog zu Epitaph / Epitaphe – eigentlich „Autographe“ lauten. Da der Begriff aber auch international gebräuchlich ist (frz. l‘autographe, engl. the autograph, ital. il autografo usw.), ließ er sich auch nicht durch Synonyme wie das analog zum Telegramm gebildete „Autogramm“ (allenfalls für Unterschriften) ersetzen oder durch „Autographie“ verdrängen9: Inhaltlich führt 8
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Heinrich Otto Meisner: Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin 1935; Ders.: Urkundenund Aktenkunde der Neuzeit, Leipzig 1950; Ders.: Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig 1969, Lizenzausgabe Göttingen 1969. Vgl. dazu Eckart Henning: Wie die „Aktenkunde“ entstand. Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert, in: E. H.: Auxilia historica, Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, 2., stark erweiterte Aufl. Köln 2004, S. 105–127, bes. S. 110 ff. Deutsches Wörterbuch, Bd. 24 Sp. 2531f (= dtv-Ausgabe): Ein „Autogramm“ stellt nur dann den Spezialfall eines „Autographs“ dar, wenn es nicht von irgend einer Person, sondern von einer (namhaften) Persönlichkeit stammt, was soviel bedeutet, daß bei solchen Abgrenzungen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Momente in Betracht gezogen werden müssen.
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der Begriff der „Handschriften“ (geschriebener Bücher) weiter, mit dem auch herkömmlich die entsprechenden Abteilungen großer Bibliotheken bezeichnet werden. Doch stellt nicht jede beliebige Handschrift (von lat. manus scriptum = von der Hand Geschriebenes) ein Autograph dar, sondern – wie man einschränkend hinzufügen muss – nur das handschriftliche Produkt bekannter – nicht notwendig verstorbener – Persönlichkeiten. Immerhin reicht die Produktpalette vom bloßen Vollziehungsstrich durch das Herrschermonogramm einer mittelalterlichen Urkunde über Unterschriften bis hin zu ganzen Manuskripten, von Korrekturen und Randbemerkungen oder beschrifteten Visitenkarten bis hin zu handschriftlichen Selbstzeugnissen jeglicher Art. Ausgeschlossen bleiben nur Typoskripte, es sei denn, daß die maschinenschriftlich erstellten Texte wenigstens handschriftliche Paraphen, Korrekturen, Ergänzungen oder Streichungen aufweisen. Seit es beliebig reproduzierbare PC-Ausdrucke gibt, haben Schreibmaschinentexte, selbst (Kohlebögen-)Durchschriften an Interesse gewonnen, doch sollten sie wenigstens abgezeichnet sein, um als Autographen gelten zu können. Damit ist der Begriff des „Autographs“ vielleicht äußerlich hinreichend umschrieben, „von innen“ erklärte ihn besser Stefan Zweig: Er sprach vom „Augenblick“, der „gleichsam versteinert im Papierblatt“ erfasst worden sei und nannte Autographen „Lebensspuren, Blitzlichter bestimmten Augenblicks“, um dann hinzuzufügen: „Man kann in ihnen nebeneinander ephemere und historische Sekunden ablesen und die ganze Skala der irdischen Gefühle: Eile und Zorn, Qual und Entzückung, Hass und Verliebtheit, Müdigkeit und Anspannung, sie wechseln darin wie wandernde Wolken über einem Wasser. So ist jedes einzelne Blatt ein Abdruck, eine Spur entschwundenen Wesens und zugleich tingiert vom Stern der Stunde“10.
II Auch wenn Frankreich als „Wiege des Autographensammelns“11 gilt, so gab es doch schon im Altertum gelehrte Sammler, unter ihnen Cicero und Vergil. Antike Schriftsteller wie der ältere oder jüngere Plinius berichteten gar 10
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Zitate aus Stefan Zweig: Vom Handschriftensammeln (1927) und Die Welt der Autographen (1923), beides wieder abgedruckt in: Stefan Zweigs Welt der Autographen, hrsg. von Martin Bircher, Zürich 1996, S. 31 u. 23 (= Strauhof Zürich, 8). Zu Zweig vgl. auch Oliver Matuschek: Ich kenne den Zauber der Schrift. Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig. Mit kommentiertem Abdruck von Stefan Zweigs Aufsätzen über das Sammeln von Handschriften. Wien 2005. Vgl. ferner Günther Mecklenburg: Vom Autographensammeln – Versuch einer Darstellung seines Wesens und seiner Geschichte im deutschen Sprachgebiet. Marburg/Lahn, 1963, S. 70 ff. Hermann Jung: Ullstein Autographenbuch. Vom Sammeln handschriftlicher Kostbarkeiten. Frankfurt/M. 1971, S. 7.
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von einem florierenden Autographenhandel, dessen Objekte, Wachstafeln oder Papyri, allerdings nicht überliefert sind. Auch Originalhandschriften auf Pergament reichen kaum bis ins 6. Jahrhundert zurück12. Besser sieht es mit datierten, mittelalterlichen Quellen zumeist lateinischer Schriftsteller aus, etwa von Thomas von Aquin oder Nikolaus von Cues. Mit den Scholarenbriefen nahmen auch eigenhändige, persönliche Zeugnisse anderer Autoren zu, begünstigt durch den Wechsel des Schreibmaterials vom Pergament zum Papier im 14. Jahrhundert. Doch erst in der Renaissance gelangte eigentlich das Sammeln von Handschriften, insbesondere der Humanisten wie Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus etc. zu voller Blüte, deren epistolae autographae besonders begehrt waren. Erste Sammlungen legten beispielsweise die Medici oder Papst Nikolaus V. (gest. 1455) an, in denen es nicht mehr nur um die Archivierung von Eigentumsrechten, sondern um familiäre und auch persönliche Zeugnisse ging. In Deutschland werden als erste Privatsammler Thomas Rehdinger (gest. 1576) und Ludwig Camerarius (gest. 1651) genannt, die nicht nur Bücher, sondern auch Autographen der Reformatoren Luther und Calvin besaßen. Im 17. Jahrhundert werden in Frankreich durch Antoine Loménie de Brienne (gest. 1638) bzw. den Brüdern Pierre und Jacques Dupuy (gest. 1651 bzw. 1656) oder von Roger de Gaignie`res (gest. 1715) große Autographensammlungen angelegt, in England durch Sir Robert Bruce Cotton (gest.1631) und andere. Das Sammeln setzte sich im 18. Jahrhundert auch in Deutschland fort, so dass Antiquare damit begannen, regelmäßig auch Autographen anzubieten (Corneille de Beughem, Danzig 1718) und erste Dissertationen sich dieses Themas bemächtigten (so von J. F. Guhling: De Autographis Veterum, Wittenberg 1723), außerdem entstanden Spezialsammlungen, wie die des Naturforschers Christoph Jacob Trew (gest.1769) mit 19.000 Stücken. Der reiche Handschriftenschatz des Dichters J. W. L. Gleim (gest. 1803) und das erste, überhaupt im Druck erschienene Faksimilewerk des Historikers und Händlers G. Th. v. Murr (gest. 1811)13 sollen Goethes Autographilie beeinflusst, wenn nicht gar geweckt haben. Diese Leidenschaft hat ihn mehr als 25 Jahre intensiv erfüllt, „da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist“, wobei er hinzufügte: „... so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise vergegenwärtigt“14. Goethes mit Hilfe von „Suchlisten“ vergrößerte „Lieblingssammlung“ umfasst im Weimarer Katalog heute 1.885 Stücke15. Aus dem 19. Jahrhundert sind nicht nur die Literaturautographen12
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Paul Lehmann: Erforschung des Mittelalters, Bd. 1, Stuttgart 1959, Kapitel: Autographe und Originale namhafter lateinischer Schriftsteller des Mittelalters. Chirographa personarum celebrium e collectione, hrsg. von Chr. Theophil de Murr. Nur eine Lfg. ersch. Weimar 1804, fortgesetzt Nürnberg 1808. An Friedrich Heinrich Jacobi, Karlsbad 10. Mai 1812. Vgl. das vollständige Zitat bei Günther Mecklenburg (wie Anm. 10), S. 39. Hans-Joachim Schreckenbach: Goethes Autographensammlung. Katalog. Hrsg. von den nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Literatur in
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sammlungen Karl von Holteis und Eduard Mörikes zu nennen, sondern auch die von besonderen Kennern wie Carl und Wilhelm Künzel oder des preußischen Generals und Diplomaten Joseph Maria von Radowitz, der nicht nur 12.215 verzeichnete Autographen hinterließ, sondern auch einen ersten noch heute mit Gewinn zu lesenden Aufsatz über „Die Autographen-Sammlungen“ (1842) schrieb16. Außerdem bleibt auf den Lausitzer Pädagogen und Sammler Karl Preusker, der schon 1858 die erste öffentliche AutographenAusstellung veranstaltete, und auf die 9.000 Namen enthaltene, systematisch angelegte Sammlung von Karl August Varnhagen von Ense zu verweisen17. Zur Popularisierung von Autographen trug im übrigen Senefelders Erfindung des Steindrucks (1797) bei, der die Herstellung von Faksimiles (sogen. Chirographa) für eigene Publikationen ermöglichte (wie das Murr‘sche oder Wilhelm Dorows Werk: Facsimile von Handschriften berühmter Männer und Frauen, 1836/38), oder es dem Handel erlaubte, Ankaufsangebote zu illustrieren. Gleichwohl wurde das Autographensammeln auch in der Goethezeit nie zu einem Métier der Massen, sondern blieb bis heute auf einen relativ kleinen Kreis von Gebildeten mit Muße und Vermögen beschränkt. Neben technischen Möglichkeiten bewirkte allerdings die Französische Revolution einen deutlich spürbaren Schub, als nämlich die Nationalversammlung (1793) beschloss, sich von den Archivalien des Ançien Régime zu trennen. Es kam zu ersten öffentlichen Versteigerungen (1803, 1815, 1820, 1822) in Paris, ein erster Lagerkatalog erschien 1822. Der Handel begann zu blühen, lassen sich doch zwischen 1822 und 1850 allein 141 katalogisierte Autographenversteigerungen in Paris nachweisen18, und auch die Zahl der Intellektuellen, die sich mit solchen Stücken schmückten, wuchs angesichts des reichen Angebots von Königsautographen und Geistesgrößen von Racine bis Fénélon. Das Publikumsinteresse belebten diverse Faksimile-Ausgaben wie die bekannte „Isographie“ von Duchesne Chateaugivon19, ergänzt von Etienne Charavay (1843/1877), dessen Familie (insbesondere Gabriel und Eugène Charavay) seit Ende der 30er Jahre im französischen Autographenhandel führend wurde. Andere Händler folgten. Entsprechend nahm auch die Zahl
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Weimar. Weimar 1961. Vgl. dazu Eugen Wolbe: Goethe als Autographensammler, in E. W: Handbuch für Autographensammler. Berlin 1923, S. 200–224 und Günther Mecklenburg (wie Anm. 10), S. 35–42. Joseph Maria v. Radowitz: Die Autographen-Sammlungen, in J. M. v. R.: Gesammelte Schriften, Bd. I, Berlin 1852, S. 407–440. Erstmals erschienen bei Cotta (Stuttgart) in der Deutschen Vierteljahrs Schrift 17 (1842). Vgl. Günther Mecklenburg (wie Anm. 10), S. 44 ff. Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin 1911. Vgl. Günther Mecklenburg (wie Anm. 10), S. 42 ff. Johannes Günter/O. A. Schulz: Handbuch für Autographensammler. Leipzig 1856. Isographie des hommes céle`bres ou collection de Facsimile de lettres autographes et de signatures, dont les originaux se trouvent a` la Bibliothe`que du Roi, aux archives et dans les collections particulie`res. 3 Bde. Paris 1828–1830.
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der französischen Sammler zu, unter denen etwa H. de Chambry oder Felix Drouin mit einer Kollektion von 30.000 Autographen zu nennen sind, aber auch F. S. Feuillet de Conches, der seinen Autographenbesitz teilweise durch Fälschungen finanzierte, schließlich der auf Verbrecherautographen spezialisierte Schriftsteller Henri Berthou. Im 19. Jahrhundert begann sich das „Autographenvirus“ nicht nur in Deutschland, Frankreich und England – die erste Versteigerung war am 30. Mai 1825 bei Sotheby‘s –, sondern auch im übrigen Europa und in Nordamerika auszubreiten. In Österreich führte der Buchhändler Gräffer die erste Autographenauktion durch, die ehrwürdige Gesellschaft der Musikfreunde (gegr.1841) sammelte die Musiker-Autographen im großen Stil und Graf Moritz von Dietrichstein begründete die historisch-literarische Sammlung der Wiener Hof- und Staatsbibliothek. In Berlin führten der Königlichen Bibliothek großzügige Sammler u. a. ihre bedeutenden Bestände von Beethoven-, Bach- und Mozartautographen zu. Als 1907 auch die gewaltige naturwissenschaftliche Sammlung Ludwig Darmstädters mit 23.000 Autographen der Handschriftenabteilung dieser Bibliothek übereignet wurde (inzwischen erweitert auf 200.000 Stück), gedieh sie zu einer der bedeutendsten der Welt, heute vom Preußischen Kulturbesitz verwaltet. Sie sei stellvertretend für alle anderen Handschriftenabteilungen im deutschen Sprachraum genannt, die außerdem in Dortmund, Düsseldorf, Erlangen, Frankfurt/M., Hamburg, Kiel, Leipzig, Marbach, München20, Nürnberg, Stuttgart, Weimar u. a. begründet wurden, auch in Wien, Bern und Zürich. Das Ankaufsverhalten der staatlichen Sammlungen hat den Autographenhandel einschneidend verändert, der bislang mehr von privaten Sammlern geprägt worden war, unter denen sich übrigens auch einige Fürsten befanden. Nun mussten sich die Sammler, deren Zahl sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland erst auf rd. 120 belief21, der staatlichen Konkurrenz erwehren, was ihnen in Zeiten voller öffentlicher Kassen nicht immer leicht, in anderen aber, wie der heutigen, umso leichter fallen dürfte22.
III Die bislang noch kaum skizzierte Sozialgeschichte der Sammler ist nur ein Teilgebiet der Autographenkunde, das der größtenteils aus dem traditions20
21 22
Berühmt ist die Sammlung der Hof- und Staatsbibliothek in München, die Karl von Halm aufbaute, der selbst noch über eine Privatsammlung von 35.000 Autographen verfügte. Vgl. dazu Collectio Halmiana. Verzeichnis der Autographen- und Portrait-Sammlung. Auktionskatalog München 1882/1883. Vgl. Günther Mecklenburg (wie Anm. 10), S. 55 ff. Wie Anm. 18. Wolbe (wie Anm. 15) sehr ausführlich, desgl. Jung (wie Anm. 11).
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reichen Antiquariatsbuchhandel hervorgegangenen Händler ein anderes, doch bleibt zu beachten, dass Sammler oft auch Händler und Händler auch Sammler sein können. Ein modernes Verzeichnis beider stellt ein Desiderat der Autographenkunde dar. Im deutschen Sprachraum führte 1836 zunächst Breitkopf & Härtel eine erste (Musikalien-) Auktion durch, darunter 1.500 Autographen von Palestrina bis Beethoven, womit Leipzig zunächst „tonangebend“ im Autographenhandel23 wurde. Gedruckte Bücherkataloge mit ausgepreisten Autographen verschickte ab 1840 Otto August Schulz, ebenfalls Leipzig, der auch als Mitverfasser eines wichtigen, unten näher zu behandelnden „Handbuchs für Autographensammler“ (1856) hervorgetreten ist. Seine Firma versteigerte nicht nur 1858 die Autographensammlung des Grafen Henckel zu Donnersmarck, sondern gab auch den ersten deutschen Autographenkatalog heraus. Die erste selbständige Autographenauktion scheint aber nicht Schulz, sondern am selben Ort der Antiquar Theodor Oswald Weigel 1843 veranstaltet zu haben, mit dessen Vater bereits Goethe verhandelt hat. Auch in Leipzig (List & Francke), Frankfurt/Main (Anton Baer), Köln (J. M. Heberle), Berlin (W Adolf & Co.) und in anderen Städten entstanden bald weitere Auktionshäuser, die hier nicht alle genannt werden können. Voraussetzung ihres Erfolges waren in aller Stille herangereifte Privatsammlungen, ohne deren substanzbildende Kraft keine beachtlichen Versteigerungsobjekte hätten entstehen; können. Genannt seien die Goetheana von Rudolf Brockhaus, die Zeugnisse aus Geschichte, Literatur und Wissenschaft (20.000 Stück) der Freiin Elise von Koenig-Warthausen, die Lessing-Sammlung des Dichterenkels Karl Robert Lessing, der Literatur-Autographenbesitz von Alexander Meyer Cohn (mit dem ersten gedruckten Katalog „einer nicht zum Verkauf“ bestimmten Sammlung), aber auch des Reichskanzlers Fürst Bülow, von Schriftstellern wie Paul Lindau, Rudolf Presber und Börries Freiherrn von Münchhausen etc. Ohne deren ausdauernden Sammeleifer, Findigkeit und Glück wären diese bedeutenden Sammlungen nicht zustande gekommen, die sammlergeprägt fast gewachsenem Archivgut ähnlich sahen. Unter den bedeutenden deutschen Händlern, die diese und andere Sammlungen anboten, befanden sich der Goethe-Sammler (und Händler) Heinrich Lempertz, der Shakespeare-Experte Albert Cohn, der Musikantiquar Leo Liepmannssohn (nachmals Fa. Otto Haas) und Joseph A. Stargardt. Letzterer ist nicht nur als Begründer (1830) des seit 1885 im Besitz der Familie Mecklenburg befindlichen, führenden europäischen Autographenhauses zu erwähnen, sondern auch wegen der sorgfältig redigierten Auktions- und Lagerkataloge, die als Nachschlagewerke die Autographilie auf verlässliche Grundlagen stellten. Ihre größte Versteigerung betraf wohl die Sammlung von Alexander Meyer Cohn an insgesamt zwölf Tagen (23.–28.10.1905/5.– 10.2.1906). Von List und Francke in Leipzig bleibt nachzutragen, dass dieses 23
Jung (wie Anm. 11), S. 35.
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Haus so berühmte Sammlungen wie die von Rudolf Brockhaus und Karl von Halm, aber auch die von Carl begründete und von Wilhelm Künzel fortgeführte Autographensammlung (noch dazu in sieben Folgen!) versteigerte. Auf die anderen Häuser in Köln (Heberle), Bonn (Cohn, heute Bouvier), Wien (Gilhofer & Ranschburg; Neberhay; Dorotheum) und New York (Benjamin) kann hier aber ebenso wenig eingegangen werden wie auf die in Basel (Haus der Bücher, zuvor R. Geering), Berlin (Karl Ernst Henrici, Meyer & Ernst), Genf (L’Autographe/Saggiori), London (Maggs) oder Paris (Charavay). Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Autographenhandel der Antiquariate ein den Bedarf übersteigendes Ausmaß an, so dass die Preise angesichts des Überangebots schließlich nachgaben, die Katalogqualität nachzulassen begann bzw. erst nach 1900 wieder anstieg. Auch im 20. Jahrhundert war der Autographenhandel nicht rückläufig. Die Firmengeschichte der beteiligten Buch- und Kunstantiquariate ist – von Einzelfällen abgesehen – noch nicht geschrieben worden; viele Unternehmen zerbrachen in den Wirren zweier Weltkriege oder in der Inflation, ihre z. T. jüdischen Eigentümer wurden verfolgt und mussten Nazi-Deutschland verlassen. Andere Firmen erlebten aber eine Flucht „in die Sachwerte“, zu denen auch Autographen zählen, hatten große Verkaufserfolge zu verzeichnen, sowohl in der sogen. Zwischenkriegszeit wie in der Bundesrepublik während des deutschen Wirtschaftswunders der Fünfziger und folgender Jahre24: Nach der Währungsreform hatte die Autographendämmerung der Preise ein Ende, der Markt regenerierte sich wieder, ein nie dagewesener Aufschwung setzte ein und das führende deutsche Autographenhaus J. A. Stargardt nahm 1950 seine erfolgreiche Versteigerungstätigkeit wieder auf. Außerdem boten viele Buch- und Kunsthändler in folgenden Städten auf Auktionen und in Lagerkatalogen die immer knapper werdenden Autographen an: Berlin (Gerd Rosen, Gerda Bassenge, Friedländer & Sohn, Horst A. Rittershofer), Bonn (Konrad Meuschel), Braunschweig (Wolfgang Brandes), Frankfurt/M. (August Hase), Hamburg (Dörling, Ernst Hauswedell), Heidelberg (Helmut Tenner), Köln (Venator), München (Karl & Faber, Zisska & Kistner), Stuttgart (Voerster, Kotte) und Tutzing (Hans Schneider, Eberhard Köstler). Sie schlossen sich größtenteils 1949 (-1967) zur Vereinigung Deutscher Buchantiquare und Graphikhändler, ab 1960 im Verband Deutscher Antiquare, Autographen- und Graphikhändler, ab 1968 (bis heute) im Verband Deutscher Antiquare zusammen, geben ein eigenes Handbuch (mit dem nützlichen Mitgliederverzeichnis) heraus, und begannen gemeinsame Verkaufsmessen zu veranstalten, deren bekannteste ab 1962 die Stuttgarter Antiquariatsmesse geworden ist.
24
Jung (wie Anm. 11), S. 45–55: Der Autographenmarkt des 20. Jahrhunderts im Zeichen namhafter Sammlungen, nebst einer Übersicht.
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IV Bis heute fehlt eine Bibliographie zur Autographenkunde, um wenigstens ansatzweise den Kenntnis- bzw. Forschungsstand ermitteln zu können, ob ihr Schrifttum die Ebene des bloßen „Sammlerbedarfs“ oder erster Anleitungen für „den“ Sammler verlassen hat. Sieht man von einigen Katalogen ab, die zumeist von den Sammlern selbst oder von Antiquaren zu Präsentations- oder zu Verkaufszwecken erstellt wurden, so fehlte in Deutschland bis zum Erscheinen der frühen, ursprünglich anonym erschienenen Studie des Joseph Maria von Radowitz25 eine Einführung in das Metier, während in Frankreich bereits das „Manuel de l’Amateur d’autographes“ von Jules Fontaine sowie sein „Manuel de l’autographilie“ (Paris 1834/1836) erschienen waren. Gleichwohl bleibt das erwähnte, von Johannes Günther und Otto August Schulz, einem Jenenser Sammler und einem Leipziger Händler, bearbeitete „Handbuch für Autographensammler“ (Leipzig 1856, 290 S.) beachtlich, das von sich mit einigem Recht behauptet, der „erste wissenschaftliche Versuch der Autographen-Kunde“ zu sein26. Es trägt zunächst Einiges „zur Geschichte der Autographen“ zusammen, beschreibt die „Natur der Autographen“, geht ausführlich auf „Fälschungen“ ein, behandelt „Facsimiles“, d. h. die Handschriftenbilder, nennt Literatur und gibt 17 Meinungen über den „Nutzen der Autographen“ wieder (u. a. von Lavater, Knigge, W. von Humboldt, Goethe und Carus), es stellt sodann sieben „Systeme der Anordnung“ von Autographen vor (von Radowitz bis Preusker), gibt Hinweise zur „Aufbewahrung und Erhaltung von Autographen“, ferner zur „Katalogisierung“ (mit Abkürzungsverzeichnis), nennt „biographische Hilfsmittel zur Bestimmung der Autographen“, desgl. Literatur zu „Bildnissen und Bildnissammlungen“ (zur Ergänzung von Autographen), geht auf die „Erwerbungsart der Autographen“ ein, druckt ein Verzeichnis der Autographensammler und -händler ab und gibt eine erste Anleitung zur „Beurteilung und Wert der Autographen“ nebst vergleichender Preistabelle. Alles Gesichtspunkte, die auch spätere Werke dieser Art mitberücksichtigen mussten! Sieht man von der dürftigen „Anleitung zum Sammeln von Autographen“ (Wien 1887) des Eugen Ritter v. Mor ab, dauerte es gleichwohl bis 1923, bis das knappe, eher händlerorientierte Handbuch von J. Günther und O. A. Schulz durch ein umfangreicheres, mehr sammlerorientiertes von 630 Seiten ersetzt wurde. Der Verfasser dieses oft weitschweifigen „Handbuchs für AutographenSammler“ war der vor allem auf Seriosität bedachte Berliner Studienrat Eugen Wolbe: „Für die aufdringliche Töchterschülerin, die den Filmdarsteller anschmachtet und in dem Besitz seiner Handschrift das höchste Glück ihres 25
26
v. Radowitz (wie Anm. 16): In seinem Beitrag verwendet der Verf. erstmals wieder den 1733 angeblich von Jannet gebildeten Begriff der „Autographen“. Vgl. das Vorwort von Günther/Schulz (wie Anm. 18).
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Lebens segnet, ist mein Buch nicht bestimmt. Junge und alte Jungfern haben den Autographensammler durch ihr würdeloses Auftreten in den Augen der Öffentlichkeit herabgesetzt und sogar mit dem Odium der Lächerlichkeit belastet“27. Gleichwohl bietet Wolbes leider auf stark holzschliffhaltigem Papier gedrucktes Werk neben denselben Themen wie das von Günther und Schulz auch einige neue an, insbesondere wendet er sich nach dem Vorbild von Stefan Zweig (1921)28 auch psychologischen Fragen und ausführlich den Stammbüchern als Objekt von Autographensammlern zu; sehr nützlich ist seine fortgeschriebene Bibliographie. Diesem Handbuch folgten im deutschen Sprachraum lange keine neueren Anleitungen von Belang bis hin zu Günther Mecklenburgs, an die Ehrfurcht vor den Handschriften appellierendem Buch „Vom Autographensammeln“ (1963); er orientierte sich vor allem an Goethe und Zweig, die nicht nur das Wesen des Autographs am klarsten erkannten, sondern entsprechende Sammlungen in den Rang von Kunstwerken erhoben. Erwähnenswert sind besonders Mecklenburgs „Schattenrisse“ als Beitrag zur Händlergeschichte29. Wieder ein knappes Jahrzehnt später erschien Hermann Jungs gut verwendbares „Ullstein-Autographenbuch“ (1971)30; seine Sammelanleitung schildert, wie die der Vorgänger, die „Entwicklung des Autographenwesens“, aber eingehender noch die „Autographenarten“ und berücksichtigt die Autographen als Kapitalanlage, d. h. Bewertungsmaßstäbe und Preise, ferner besonders das graphologische Interesse; im Literaturverzeichnis nehmen – wie bei Mecklenburg – die Faksimilewerke den größten Raum ein. Verdienste hat sich in der Gegenwart der Bielefelder Autographen-Sammlerverein mit seinen Publikationen erworben, auf dessen Zeitschrift unten noch einzugehen sein wird. Die von Jaine Charavay postulierte „Science des Autographes“ (1870) ist damit freilich noch nicht erreicht, auch wenn der hilfswissenschaftliche Gewinn für die – keineswegs nur im Personenkult befangenen – Sammler und Forscher bereits deutlich zu Buche schlägt. Zutreffend meinte Stefan Zweig (1923): „Erst in der jüngsten Zeit beginnt die Wissenschaft zu bemerken, was für ein unersetzliches Hilfskorps die Sammler für sie sind (ohne die fast alles der vergangenen Literatur verloren und verschollen wäre) und welche Fundgruben der Forschung die zwei- oder dreitausend Autographenkataloge der letzten hundert Jahre darstellen“31. Auffällig ist die neben den Katalogen breit vertretene Gattung der Faksimilewerke, die spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für dieses Fach 27
28 29 30 31
Wolbe (wie Anm. 15), S. 10. In Fortsetzung seines Handbuchs veröffentlichte Wolbe noch: Spaziergänge im Reiche des Autographen, eine Anregung zum Autographensammeln, Berlin 1925. Vgl. Martin Bircher: Zweig und die Psychoanalyse (wie Anm. 10), S. 97f. Mecklenburg (wie Anm. 10). Jung (wie Anm. 11). Stefan Zweig: Über Autographenkataloge, 1923 (wie Anm. 10), S. 19.
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typisch geworden sind und von einem ausgeprägten publizistischen Verwertungsdrang zeugen. Es sind bibliophile Denkmäler, die sich die Sammler z. T. aus reinem Demonstrationsbedürfnis setzten, bevor – meist durch die Erben – die Wiederverwertung einsetzt. Wenn es auch Vorläufer gibt, so stellen besonders eindrucksvoll, fast monumental zu nennende Beispiele wohl in Frankreich das „Inventaire des autographes et des documents historiques composant la collection de M. Benjamin Fillon“ (Paris u. London 1877–1883) und die „Lettres Autographes“ von Alfred Bovet (Paris 1885), beide herausgegeben von Etienne Charavay, dar, in Deutschland der nicht zu Verkaufszwecken veröffentlichte „Katalog einer Autographen-Sammlung zur Geschichte der deutschen Literatur seit Beginn des 18. Jahrhunderts“ (1886) von Alexander Meyer Cohn und in England „The Catalogue of the Collection of Autograph Letters and Historical Documents formed between 1865 and 1882 by Alfred Morrison“ (London 1883–1892). Andere mehrbändige Prachtausgaben, oft Privatdrucke, die bis heute von meist längst vergangenen Riesensammlungen zeugen, ließen sich ebenfalls nennen32. Von anderer Art ist da schon das kaum noch antiquarisch erhältliche, aber als Nachschlagewerk hilfreiche „Album von Handschriften berühmter Persönlichkeiten vom Mittelalter bis zur Neuzeit“ des Schweizer Sammlers Karl Geigy-Hagenbach, als Privatdruck erschienen 1925. Um zu erkennen, wie weit die Autographenkunde auf dem Weg zu einer Wissenschaft gediehen ist, muss nicht nur nach Bibliographien und Lehrbüchern, sondern auch nach eigenen Fachzeitschriften gefragt werden, die sich meist aus und neben dem Katalogwesen entwickelt haben: Die erste deutsche Zeitschrift war das 1859 in Jena erschienene, von dem bereits erwähnten Handbuchautor Johannes Günther betreute „Organ für Autographensammler und Autographenhändler“, an dem so renommierte Autoren wie Ludwig Bechstein und Hoffmann von Fallersleben mitgearbeitet haben. Günther wollte mit dieser Monatsschrift „die Autographenkunde allmählich wissenschaftlich begründen“, doch ging seine Zeitschrift bereits nach zwei Jahren wieder ein. Als ebenfalls kurzlebig erwiesen sich die „Blätter für Autographen- und Porträtsammler“, die Alfred Moschkau 1877/78 in Leipzig herausgab, zuletzt 1879 als Anhang zur „Saxonia“. Ein etwas längeres Leben war dagegen den ebenfalls in Leipzig, Graz und Dresden erscheinenden „Mitteilungen für Autographensammler“ des Eduard Fischer von Röslerstamm beschieden, die immerhin von 1884–1894 bestanden haben33 (zuletzt seit 1890 von Richard Bertling betreut). Kaum 32
33
Vgl. zuletzt den noch lieferbaren Privatdruck von Ruth Stein (Hrsg.): „Liebster Freund!“ Autographensammlung Walter Stein. Berlin, Paris, New York 2004. Auch dieser Band wollte W. St. (1912–1995) und seiner von mir seit ca. 30 Jahren begleiteten Sammlung „ein Denkmal“ (Vorwort) setzen, vgl. auch S. [24]. Dem Österreicher Eduard Fischer v. Röslerstamm, dessen eigene Sammlung 1911 bei List und Francke in Leipzig publiziert wurde, verdanken wir ein für die Ent-
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glücklicher verliefen Zeitschriftengründungen in Italien, England oder den USA. Erfolgreicher waren nur Bestrebungen der Pariser Firma Charavay, eine internationale Zeitschrift ins Leben zu rufen, nachdem sie zunächst (ab 1845) ihre Lagerkataloge mit einem Mitteilungsblatt, dem „Bulletin mensuel“, versehen hatte. Als Halbmonatsschrift erschien außer einer „Revue des autographes“ von 1862–1921 der „L’Amateur d’Autographe“, der nun interessante Mitteilungen (wie über Fälschungen) geschickt mit eigenen Beiträgen verband. Ähnliches scheint der Verlag Dr. Kurt v. Oerthel & Co. (Vitznau, später Berlin-Friedenau) angestrebt zu haben, als von 1919 bis 1926/27 auf Anregung von Karl Ernst Henrici seine „Autographen-Rundschau“ (mit jährlich zwölf Heften!) herausbrachte. Der von 1936–1968 erschienene „Autographensammler“ ist allerdings keine Zeitschrift, sondern eine monatlich mit einleitenden Beiträgen gestaltete Folge von Lagerkatalogen der Fa. Stargardt (unterbrochen zwischen 1945 und 1950), deren Name der erwähnte, 1986 gegründete, in Bielefeld schon seit zwanzig Jahren erscheinende „Autographensammler“ mit dem leicht tautologischen Untertitel „Informationen und Nachrichten“ als Periodicum weiterführt. Das stark editorgeprägte Blatt (von 1986–2005 mit Beiträgen der Autoren Platte: 213, Kammeier: 136 und Krevert: 79) ist Organ eines – als gemeinnützig anerkannten – Vereins, der auch noch Sammlertreffen und Tagungen veranstaltet. Thematische Serien- und einzelne Mitgliederbeiträge nehmen in diesem auf Abwechslung angelegten Periodicum erfreulich zu; ein eigenes Archiv in Aalen unterhält die Bielefelder Arbeitsgemeinschaft unter Vorsitz von Heinz-Ulrich Kammeier34. Die meisten anderen deutschen Sammlerblätter wie die von Michael Hölzen herausgegebenen „Infos für Autographensammler“ (1984–1998) oder das bei Beuttenmüller & Stoiber erschienene Autogramm-Magazin „Stars“ (gegründet Ebersbach 1991) erwiesen sich als nicht so dauerhaft wie das Bielefelder Periodicum; ähnlich sieht es im Ausland aus: so bestand beispielsweise „The Autograph Collector’s Magazin“ in Stockton/Kalifornien nur von 1986–1991 (es war die erste Sammlerzeitung, die auch im Internet publizierte!), „Pen & Quill“ in New York nur bis 1996.
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wicklung der Autographenkunde wichtiges, heute fast vergessenes Adressbuch für Autographen- und Porträt-Sammler (Graz 1887, 2. Aufl. ebenda 1901). Vgl. Peter Krevert: Analyse der Autographensammler-Jahrgänge 1986–2004. Schwerpunkte, Themen und Autoren (8. Folge), in: Der Autographensammler 20 (2005), H. 1, S. 18–19 sowie Peter Krevert/Heinz-Ulrich Kammeier (Hrsg.): Autographen und Autogramme. Eine faszinierende Leidenschaft. Münster 1999. Weitere Bände dieser Buchreihe sind inzwischen erschienen und zur Einführung zu empfehlen.
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V Bevor auf einzelne Gebiete einzugehen ist, seien die ca. fünf wichtigsten Sammelmotive, ohne Anspruch auf eine Relevanzskala benannt: 1) Ein gewisser „Reliquienkult“, den Goethe einmal in einem Brief folgendermaßen zum Ausdruck brachte: „Ich mag die Geister der Entfernteren und Abgeschiedenen gern auf jede Weise hervorrufen und um mich versammeln ...“35. 2) Ein graphologisches bzw. gestaltpsychologisches (Erkenntnis-)Interesse, das oft das erstgenannte Motiv – wie ebenfalls bei Goethe – verstärkt: „Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise gegenwärtig. Solche Dokumente ihres Daseins sind mir, wo nicht ebenso lieb wie ein Porträt, so doch gewiss ein wünschenswertes Supplement und Surrogat desselben“36. 3) Inhaltliches Interesse an Autographen mit möglichst unpubliziertem, mitunter wissenschaftlichem Inhalt, die beispielsweise (selbst) von Archivaren zur Ergänzung vorhandener Bestände erworben werden. 4) Ausstellungsbedürfnisse, etwa von Museologen, die nach einem „Authenticum“ suchen, sei es von Personen oder als Zeugnis bestimmter Ereignisse. 5) Evtl. als Kapitalanlage, besonders als sogen. Fluchtgepäck geeignet. Wendet man sich den Sammelgebieten zu, lassen sich etwa sechs verschiedene auf der nach „oben offenen“ Anspruchsskala unterscheiden: 1) Die anspruchslosesten Autographen sind die meist zur Abrundung einer Sammlung erworbenen „Widmungsporträts“ (gelegentlich erfüllen auch Visitenkarten diesen Zweck)37. Dabei handelt es sich oft nur um ein mit Namenszug versehenes Porträt (Holzschnitte, Kupfer- und Stahlstiche, Fotografien), das allerdings geeignet ist, graphologische Interessen physiognomisch zu unterstützen. Hauptsammelgebiet sind Bühnen- und sogen. Leinwandkünstler, doch werden auch Politiker und Militärs, Dichter und Komponisten, seltener Sportler gesucht. 2) Eine den Widmungsporträts verwandte Species sind die aus dem benachbarten Gebiet der Bibliophilie bekannten Dedikationsexemplare bzw. Buchautographen. Sie enthalten handschriftliche Eintragungen zumeist des Autors, aber auch anderer Personen, insbesondere von Überbringern von Buchgeschenken. Dadurch erhält das Massenprodukt Buch individuelle Züge; enthält es nur den Namenszug des Verfassers, so spricht man nicht von einem Dedikations-, sondern bloß von 35 36 37
Brief Goethes an Sulpiz Boisserée vom 17. Dezember 1811. Goethe-Zitat nach St. Zweig (wie Anm. 10), S. 41f. Eckart Henning: Zur Gattungs-. und Sozialgeschichte der Visitenkarte. Zugleich ein hilfswissenschaftlicher Beitrag über Datierung, Abkürzungen und Gebrauch eines „unentbehrlichen Requisits“, in: E. H., Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, 2., stark erweiterte Aufl. Köln 2004, S. 175–190.
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einem „signierten Exemplar“. Sollten sich Widmungen allerdings mit Erst-, Früh oder Prachtausgaben verbinden, so ist dies ebenso wertsteigernd wie Ausführlichkeit und Originalität der Eintragung. An dieser Stelle ist wohl ein klärendes Wort über die Unterschiede beider Sammelgebiete angebracht, das wir (wieder) Stefan Zweig verdanken: „Der Bibliophile sucht die Form, die vollendete Form eines Kunstwerks, der Autographensammler die Urform, die unvollendete, in der noch die Schöpfung gärt; jener den Schlusspunkt, die vorläufig endgültige, dieser den Anfang, den Urzustand des Werkes. Der Bibliophile will das Werk, das Objekt spüren, der Autographensammler das Subjekt, den Autor: so gehen ihre Neigungen gegeneinander, ohne sich darum zu befeinden, aber ohne sich wechselseitig zu verstehen. Denn dort, im Buche, entsteht Seltenheit durch Kostbarkeit, durch Materie, hier, im Autograph, die Kostbarkeit auf gefühlsmäßigem, auf irrationalem Wege“38. 3) Albumblätter bzw. Stammbuchwidmungen sind zumeist kalligraphisch erfreulich und für den Empfänger sowohl wie für den Schreiber charakteristisch. Da häufig illustriert, werden sie gern zu Ausstellungszwecken erworben und sind zumeist noch „bezahlbar“, nicht nur bei häufig wiederholten Texten oder Noten desselben Autors (keine echten Dubletten!). Das Angebot vom 15.–19. Jahrhundert ist relativ gut – eine Folge der Stammbuchfreudigkeit der Neuzeit, zumal das Bürgertum den studentischen Brauch übernahm, ein „Album Amicorum“ anzulegen. Viele Stammbücher sind allerdings nicht mehr in Leder oder Samt gebunden, mit Goldschnitt, Vignetten und Schlössern versehen, sondern auseinandergenommen und einzeln, d. h. blattweise, verkauft worden, um einen höheren Preis zu erzielen. Dazu tragen nicht nur das literarische Niveau der – auch lateinisch oder französisch – formulierten Widmungen, sondern auch die vielen Illustrationen bei (Porträts, Landschaften, Scherenschnitte, Blumenzierat, Wappen usw.). Ein besonders martialisches Exemplar stellt das im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin verwahrte „Deutsche Kriegsstammbuch“ (1870/71) dar39. Als Sonderform weiblicher Albumlaune ist schließlich der Typ des Fächerstammbuchs des 18. und 19. Jahrhunderts zu nennen. 4) Das sogen. Geschäftsschriftgut, zumeist amtlicher Provenienz, gehört zu den erschwinglichsten Autographen. Unter den Entwürfen dominiert allerdings Sekretärshand, und auch fast alle Ausfertigungen sind vom prominenten Auftraggeber „nur“ unterschrieben worden (eigenhändige Handschreiben sind höchst selten). Nicht als preissteigernd hat sich die Unsitte erwiesen, solche – manchmal auch nur faksimilierten – Unterschriften einfach abzuschneiden und sie in Alben anzubieten. Geschichtsautographen reichen von Rechnungen bis zu Pracht38
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Stefan Zweig: Ein Blättchen Papier ... Eine Analyse des Autographensammelns, 1923 (wie Anm. 10), S. 21. Eckart Henning: Das Deutsche Kriegsstammbuch von 1870/71, in: Archiv für Sippenforschung 42 (1976), S. 497–513.
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ausfertigungen von Urkunden (z. B. Wappenbriefen), von Befehls- über Mitteilungsschreiben zu Berichten, auch Marginal- oder Dorsualvermerke sind erwähnenswert, doch handelt es sich dann höchst selten um sogen. Vollautographen, allenfalls aus dem Innenlauf von Behörden. Vollautographen von einer Hand sind zumeist keine amtlichen Schreiben, sondern 5) private Briefe, bei denen es weniger auf kalligraphische Perfektion ankommt. Briefe von Gelehrten sind allemal häufiger im Angebot als die von Literaten oder Künstlern, doch sollten alle datiert und unterschrieben sein, um Anklang unter Sammlern zu finden. Die anspruchsvollste Gruppe der Vollautographen stellt jedoch 6) die der Manuskripte dar: diese Werkstattpapiere gehören zu den begehrtesten Objekten des Autographenhandels, aber auch der Wissenschaftshistoriker40 (etwa zu Editionszwecken). Der Entstehungsprozess von Dichtungen, Kompositionen und Abhandlungen wird in Expositionen, Entwürfen und Korrekturen deutlich, Fragmente zeigen alternative Lösungen auf, die Arbeitsweise des Autors, die das Computerzeitalter verwischt, wird evident. Besonderen Marktwert besitzen die auch ohne besondere Sprachkenntnisse international verständlichen Musikautographen. Eine Sonderkategorie stellen schließlich die Selbstzeugnisse dar; dazu gehören nicht nur die schon erwähnten, aber immer auf einen Partner ausgerichteten Briefe, sondern auch Manuskripte von Autobiographien und Memoiren, schließlich Tagebücher41. Wer sich heute eine eigene Autographen-Sammlung aufbauen möchte – es muss ja nicht gleich die Goethezeit oder die sozialistische Revolution sein – sollte dies über Auktionen und ihre Kataloge tun. Als großes postmodernes Sammelgebiet unserer von Wissenschaft geprägten Zeit bietet sich besonders dieses, allerdings Spezialkenntnisse verlangende Gebiet an, evtl. mit den Schwerpunkten Naturwissenschaften und Technik. Auch das Sammelgebiet Geschichte, dessen Frühgrenze im 13. Jahrhundert liegt, ist noch erschwinglicher als Musik und Literatur, doch ist der meist von Sammlern geschätzte und gesuchte Bereich des „Eigenhändigen“ dort – wie erwähnt – 40
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Vgl. Eckart Henning: Wissen, Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. Aus der Sicht des zentralen Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, in: Aus Wissenschaftsgeschichte und -theorie. Hubert Laitko zum 70. Geburtstag überreicht von Freunden, Kollegen und Schülern, hrsg. von Hort Kant und Annette Vogt. Berlin 2005, S. 51–73,bes. S. 68f. Eckart Henning: Selbstzeugnisse, in: Friedrich Beck und E. H. (Hrsg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 4. Aufl. Köln 2004, S. 119–127 u. 365 f., ferner S. 111 ff. – In diesem Zusammenhang sei auf das von Frauke v. Troschke 1997 gegründete „Deutsche Tagebucharchiv e.V.“ in 79302 Emmendingen (Postfach 1268) hingewiesen, daß unveröffentlichte Aufzeichnungen von Menschen verwahrt, „die nicht im Rampenlicht gestanden haben“, insbesondere Lebens- und Reiseerinnerungen, Tagebücher und Briefe (vorwiegend 18.–20. Jahrhundert, z. Zt. ca. 600 Stück). Vgl. Achim R. Baumgarten, in: Mitteilungen des Bundesarchivs, H. 2, S. 73.
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eher gering. Noch günstiger lassen sich Autographen von darstellenden Künstlern erwerben, doch Vorsicht! Schon Schiller wusste: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, so dass er meist ebenso schnell vergessen ist wie ein Sportler und sein Rekord.
Wertpapiere? Vom materiellen und ideellen Wert der Autographen* „Autographen sind immer ein Ärgernis“!, heißt es einleitend in meiner kleinen Autographenkunde, die 2006 unter dem Titel „Eigenhändig“ bei J. A. Stargardt erschien1 und später in Ihrer Vereinszeitschrift wohlwollend besprochen wurde2. Doch warum stellen sie, jedenfalls für Archivare und Historiker (zu denen ich mich zähle), „ein Ärgernis“ dar? Dafür gibt es eine einfache Erklärung: weil sie nämlich stets aus ihrem Entstehungszusammenhang herausgerissen wurden. So etwas verstößt gegen das Grundgesetz beider Sparten, gegen das geheiligte Provenienzprinzip von Archivaren und Historikern, die die Kontextualisierung solcher Stücke vermissen. Oder schlicht und einfach ausgedrückt: Autographen erscheinen ihnen wie „Findelkinder“ aus der Babyklappe eines Krankenhauses, zumal solche Einzelstücke auf Auktionen anonym gehandelt und deren Einlieferer im Katalog gemeinhin nicht mitgeteilt werden, später allenfalls den „Adoptiveltern“, falls sie als Käufer danach fragen. Nur der Auktionator kennt den Einlieferer, der auch nicht der „Erzeuger“ bzw. Verursacher gewesen sein muß, der das begehrte Stück aus seinem Zusammenhang herausgelöst hat, denn dieser „Übeltäter“ war womöglich schon der Vorbesitzer bzw. der Vorvorbesitzer usw. Die Fahndung danach verläuft meist wenig effektiv, wenn sie sich nicht als ganz zwecklos erweist, sieht man einmal von der bloßen, immerhin in den Zuschlagsbüchern ganz gut verfolgbaren Auktionsgeschichte eines Stückes ab, wie zuletzt die Vermerke über jüdisches Kulturgut des Münchner Hauses Neumeister zeigen (z. T. mit Einliefervermerk „Gestapo“)3. Ein Käufer fragt oft nicht lange nach dem Ursprung einer Ware, die er schließlich „haben“ will, und von der er später auf Nachfrage behaupten möchte, daß er sie „gutgläubig“ erworben (und dann nach zehn Jahren auch wirklich „ersessen“) hat. Und überhaupt muß diese Ware keineswegs Hehlerware sein, nicht ir*
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Abdruck beruht auf einem Vortrag des Verfassers vom 8. Juni 2013 beim Jahrestreffen der Arbeitsgemeinschaft der Autographensammler e. V. im Berliner MagnusHaus der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, abgedruckt 1) in: Autographensammler 109. Ausgabe, H. 3/2013, S. 55–57 u. H. 4/2013, S. 24–28 mit Beigaben, 2) in: Aus dem Antiquariat, Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler N.F. 11 (2013), Nr. 5, S. 234–242 (ohne Abb.). Eckart Henning: Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde. Berlin 2006, S. 5. Rezension von Ralf Hahn, in: Der Autographensammler H. 1/2007, S. 29. Julia Voss: Wo hört Diskretion auf, wo fängt die Lüge an?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. April 2013 über die Auktionsprotokolle der Firma Neumeister, München.
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gendwo unrechtmäßig entfremdet, sie kann z. B. aus Altpapierverkäufen von Behörden aus dem 19. Jahrhundert oder aus privatem Erbe stammen, also ganz legitimen Ursprungs sein. Das ist sie schließlich in aller Regel! Doch mit der „Ware“ bin ich beim Thema, denn ihr Wert schwankt; der Wertbegriff schillert, wobei sich der ideelle Wert notabene durchaus vom ökonomischen unterscheiden kann. Karl Marx hat Ware bekanntlich als „menschliche Arbeit in geronnenem Zustand, in gegenständlicher Form“4 definiert. Das gilt selbst für Autographen, denn auch sie werden zur Ware, sobald sie in den Handel geraten bzw. auf Märkten zirkulieren. Sie werden zu Wertgegenständen, wobei „Wert nicht gleich Preis ist“5. Stets nimmt die Beschaffenheit eines Stückes, auf die ich noch eingehen will, Einfluß auf den Preis, doch wohnt ihm kein Wert „an sich“ inne, ist ihm kein intrinsischer Wert beizumessen (ein solcher wäre sogar bei Meisterwerken der Bildenden Kunst anzuzweifeln). Selbstredend handelt es sich bei Autographen zumeist um einzelne Stücke, selten einmal um ganze Briefwechsel, mithin um Unica, auch bei Autogrammen nur um begehrte Rara, seltener um Massenware (nur wenn sie maschinell erzeugt wurden). Ihr Preis ist relativ, da jeder Wert „auf tönernen Füßen“ steht6. Trotzdem wehren sich Autographenhändler mit einigem Recht dagegen, in ihrem unverwechselbaren Angebot nur die gängige Ware eines Warenhauses zu erblicken. Nicht das Angebot heizt gegenwärtig den Wachstumsmarkt der Autographen an, sondern die nach Anlagen suchenden Investoren, denen es oft weniger darum geht, Geld zu verdienen als es wenigstens nicht zu verlieren. Sie sehen selbst in Autographen ein Investitionsgut, dessen Wert womöglich steigen und Sicherheiten bieten könnte. Dann ist es womöglich nicht nur die Flucht in die Sachwerte, sondern auch die Flucht ins Fluchtgepäck, wie mir einst der Oranienburger Seifenfabrikant Adam erzählte, als er sich ohne verdächtige Koffer, aber mit einem der höchst seltenen Molie`rebriefe im Jacket per S-Bahn von Ost- nach West-Berlin absetzte, um sich mit dem vermeintlichen Großvaterandenken eine neue Existenz (und Sammlung) aufzubauen. Die Preise für Autographen klettern z. Zt. – im Hinblick auf die europäische Rezession – nach oben, was allerdings „Blasen“ erzeugen könnte, wenn zuviel freie Liquidität auf den Autographenmarkt umgelenkt werden sollte. Ein solches Wachstum aufgrund von überschüssigem Kapital kann leicht kollabieren (wie im April beim Gold), sobald sich wieder andere Investitionschancen bieten. Zu einer solchen Entwicklung trägt billiges Geld bei, das seit etwa 2003 die exzessive Nachfrage befeuert (seit die US-Notenbank den Leitzins auf ein Prozent senkte, den niedrigsten seit 50 Jahren). Auch 4
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Karl Marx: Ware und Geld, in: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Berlin 1984, S. 65. Isabelle Graw: Der Wert der Ware Kunst, in: Texte zur Kunst 22 (2012), S. 31–59, hier S. 35. Graw (wie Anm.5), S. 41.
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wenn „Kunst der neue Goldstandard“ sein mag, wie unlängst die Frankfurter Allgemeine Zeitung7 titelte, werden leider auch Autographen immer mehr beachtet. Die Nachfrage nach „guten“ Stücken steigt seit Langem, nicht aber nach Petitessen. Während Europa in der Krise steckt, erholen sich die amerikanischen Kapitalmärkte erneut. Selbst wenn die Preise nicht überall „an die Decke gehen“, so ist doch ihr Niveau hoch. Spitzenlose werden hier mit Aufschlag weitergereicht, doch mußte man im Autographenhandel bisher noch kaum mit Spekulanten rechnen, denn dafür benötigen Analysten Vorkenntnisse, die ihnen zumeist fehlen, nämlich ein gerütteltes Maß an Bildung. Trotzdem klingt es in meinen Ohren etwas überzogen, wenn der führende europäische Handschriftenhändler, nämlich Heribert Tenschert, meinte: „Spekulanten sind ja keine Selbstdenker. Die lassen sich von der Börse und von den Banken leiten“8. Händler sind als Experten quasi zu Türstehern dieser Entwicklung geworden, genauso wie jene „betuchten“ Sammler, die nicht nur ihr Anlagevermögen sichern wollen, sondern durch ihre viel bewunderten Sammlungen auch noch einen gesellschaftlichen Status erlangen möchten, deren Schätze sogar von Museen zu Ausstellungszwecken ausgeliehen werden. Aber ebenso wie die meteorologische Großwetterlage ist auch die pekuniäre Wertentwicklung kaum vorhersehbar, da selbst Analysten nicht wirklich wissen, wie die wirtschaftliche Entwicklung in einem halben Jahr aussehen wird. Jede globale Massenarbeitslosigkeit führt zu fallenden Profiten, zukünftiger Wertzuwachs kann sich als illusorisch erweisen. Ganz egal, ob der Wert dem Preis immer schon vorangeht (also vorher feststeht) oder umgekehrt, ob der Wert erst eine Folge des ausgehandelten Preises ist9, letztlich stellen die Märkte die Preise her, da objektive Wertmaßstäbe fehlen. Dem Marktgeschehen im Wechselspiel von Wert und Preis haftet stets etwas Prozeßhaftes an, bei dem der Käufer sein Objekt wie der Jäger sein Wild umkreist – beide können aber noch entweichen. Der Autographenhandel ist kein selbständiges „Wertreich“, wie Herbert Marcuse (irrtümlich) von der Kunst behauptet hat10, doch weist er Eigenheiten auf und folgt besonderen Regeln11. 7
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Helmut Rumbler, zit. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. November 2012, S. 12, vgl. auch vom 23. März 2013, S. 19. Hubert Spiegel im Gespräch mit Heribert Tenschert: Haben Sie Angst vor dem EBook, Herr Tenschert?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. August 2012, Seite Z 6. Georg Simmel: Die Philosophie des Geldes, Frankfurt/M. 1989, S. 72. Herbert Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur (1937), in: H. M., Kultur und Gesellschaft Bd.1, Frankfurt/M. 1965, S. 56–101 (= Edition Suhrkamp, 101), vgl. dazu auch Isabelle Graw: Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Köln 2008, bes. S. 68–71. Günter Mecklenburg: Vom Autographensammeln. Versuch einer Darstellung seines Wesens und seiner Geschichte im deutschen Sprachgebiet, Marburg 1963, Kapitel: Vom Geldwert der Autographen, S. 101–107.
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Das Angebot ist knapp und die Preise dementsprechend gut – was Wunder, daß man sich Gedanken macht, wie man es vermehren könnte! Werfen wir daher nochmals einen Vergleichsblick auf die Bildende Kunst und auf erste, schon nicht mehr zaghafte Versuche, das Marktgeschehen anzureichern. Es ist noch gar nicht lange her, daß niederländische Museen damit begonnen haben, Teile ihrer Bestände zu verkaufen, um weiter zu existieren. Das gab es zum ersten Male 1998 auch in Deutschland: Ich spreche vom Bremer Weserburg-Museum, das für einen Gerhard Richter bei Sotheby’s 13,2 Mio Dollar erzielte, um sich eine Klimaanlage leisten zu können12. Krefeld wollte einen Monet veräußern, und Bonn trennte sich von einem Baselitz. Seither ist die Debatte nicht zur Ruhe gekommen, ob Museen, aber auch Archive, eigentlich „unantastbare“ Stücke verkaufen dürfen, obwohl sie sie lieber für nachfolgende Generationen bewahren und den Geschmackswandel dokumentieren sollten. Das berührt das Verkaufstabu! Der Deutsche Museumsbund e. V. hat daher, angesichts übervoller Depots (der Achillesferse seiner Mitglieder), aber auch von Stellenkürzungen und sinkenden Ankaufs- und Ausstellungsetats bedroht, einen „Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut“ herausgebracht (für Jedermann im Netz abrufbar13). In diesem Appell zum „Nachhaltigen Sammeln“ wird erstmals unter bestimmten Bedingungen, erlaubt, Stücke auf den Markt zu bringen, um das Sammlungsprofil zu schärfen und selber zukunftsfähig zu bleiben. Auf diese Weise können zwar nonverbale Dokumente als Zeitzeugen verloren gehen, doch wird verhindert, daß beispielsweise „Sammlungen in Sozialgeschichte ersaufen“; zur Erläuterung verwies Volker Rodekamp als Präsident des Museumsbundes auf rd. 700 Schürzen im stadtgeschichtlichen Museum von Leipzig. Der Abbau des Überflüssigen findet zwar (noch) nicht in Museen, aber angesichts kostenintensiver Magazinbauten im Archivwesen bereits jeden Tag statt, weil Archive nur rd. 5% ihrer Zugänge aufheben sollten (Richtwert), man nennt das „Kassation“. Vielleicht könnten oder sollten sie den Rest viel lieber verkaufen, nicht als Altpapier an Verwertungsfirmen, die es, wie bisher, (unter Aufsicht) schreddern, sondern auf dem Autographenmarkt veräußern? Dafür müßten „nur“ ein paar Archivgesetze novelliert werden, jedenfalls im staatlichen Bereich, nicht aber im privaten, wo dergleichen heute schon möglich wäre. Sie werden wohl an dieser Stelle meines Referates mit einigem Recht einwenden, daß die Märkte dann unter der Überfülle des Angebots zusammenbrechen müßten, woran ich allerdings zweifele! Denn gutes Geld bringen nicht die 95% redundanten Registraturgutes, nicht die „Mauerblümchen“ aus den Depots, sondern nur wirkliche 12
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Walter Grasskamp: Der Traum des Kämmerers, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. März 2012, Seite Z 3. Nachhaltiges Sammeln. Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut, hrsg. vom Deutschen Musueumsbund e.V., Berlin und Leipzig 2011, vgl.dazu Annika Brockschmidt: Leichtmatrosen, in: Der Tagesspiegel vom 28. Januar 2012, S. 21.
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Spitzenstücke und die sollten eigentlich zu den 5% des dauernd aufzuhebenden Archivgutes gehören und nicht veräußert werden. Die Parole des „Entsammelns“ ist verführerisch und gefährlich, da sie leicht zur Endreinigung von Depots führen kann als Vorstufe zur Schließung von Museen und Archiven (warnende Beispiele stellen der Umgang der Nazis mit den Expressionisten als „Entartete Kunst“ dar oder auch die DDR mit ihrem kunstkundigen Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski, dessen „KoKo“ die kapitalistische Trumpfkarte des SED-Regimes darstellte). Um das zu verhindern, muß vor eventuellen Verkäufen das eigene Sammlungskonzept geschärft und bei Archiven die Provenienz geklärt werden, was insbesondere im Grenzbereich der Vor- und Nachlässe problematisch werden kann, auch bei „archivischen Sammlungen“, die H. O. Meisner durchaus zum Archivgut zählte14. Notabene sollten alle Erlöse den Einrichtungen, die sich mehr oder weniger schweren Herzens von ihren Stücken getrennt hätten, auch ihnen wieder zu Gute kommen, selbstverständlich nicht dem Straßenbau bzw. anderen öffentlichen Kassen. Die Bewertung eines Autographs, sein materieller Wert, richtet sich, so haben wir festgestellt, wie in der Warenwelt üblich, nach Angebot und Nachfrage, doch haben sich im Handel bestimmte Maßstäbe herausgebildet, auf die ich noch eingehen will15. Danach ist im Idealfalle (Wertkriterien) 1. die Persönlichkeitsbewertung wichtig, für die es zwar keine internationale Skala der Verfasser gibt, deren Bedeutung der Handel (Faustregel) aber meist nach der Länge ihres Eintrags in der „Enzyklopädia Britannica“, im „Brockhaus“- Lexikon oder neuerdings, schon weniger kompetent, bei „Wikipedia“ bemißt; 2. kommt es nicht nur auf einen namhaften Absender der Briefe, Verfasser von Manuskripten oder Komponisten an, auch ihr Inhalt sollte erstrangig sein (z. B. durch Interpretation eigener oder Stellungnahmen zu fremden Werken); 3. preisbestimmend ist auch die von verschiedensten Faktoren abhängige Seltenheit eines Autographs, der zwischen „häufig“, „selten“ und „von höchster Seltenheit“ schwanken kann und auf Erfahrungswerten des Handels bzw. auf dessen Katalogkontrolle beruht. Solche Angaben beziehen sich lediglich auf die Angebotshäufigkeit von 100, 50 oder 10 solcher Autographen innerhalb eines Jahrhunderts; 14
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Heinrich Otto Meisner: Privatarchivalien und Privatarchive, in: Archivalische Zeitschrift 55 (1959), S. 117–127. Später ersetzte Meisner den Begriff der „Archivalien“ (= Registratur- und Sammlungsgut) durch „Dokumente“, vgl. dazu Eckart Henning (wie Anm.1), S. 46 sowie Gerhard Schmid: Zum Begriff des Sammlungsgutes, in: Archivmitteilungen 14 (1964), S. 140–145 u. Gunnar Teske, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 61 (2004), S. 30, wo er Sammlungen negativ als „Archivgut, das nicht von Seiten des Archivträgers dem Archiv zuwächst“, definiert. Vgl. Hermann Jung: Ullstein Autographenbuch, Frankfurt/M. 1971, S. 178–182.
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4. hinsichtlich Ortsangabe, Datierung und voller Unterschrift sollten keine Wünsche offenbleiben; 5. alle Schriftstücke sollten vollständig und in ihrem ursprünglichen Erhaltungszustand vorliegen: Textverluste, Gebrauchsspuren wie Einrisse, verblaßte Schrift und saures Papier sind wertmindernd; 6. den materiellen Wert eines Autographs erhöht ein wichtiger Adressat; 7. auch der Hinweis auf einen noch unveröffentlichten Text sind für Aufkäufer wissenschaftlicher Einrichtungen von Interesse. Zum Thema „Seltenheit“ noch zwei Anmerkungen: Beachtlich ist der „Schwund“ an wichtigen Stücken durch die Ankäufer öffentlicher Einrichtungen, in deren Magazine sie oft, für den Handel unerreichbar, entschwinden, weshalb mich der inzwischen verstorbene Sammler Walter Stein16, bei einem Auktionsessen mit seiner Überzeugung schockierte, daß es einfach mehr Kriege geben müsse, um durch Raub und Plünderung staatlicher Speicher den Markt wieder „aufzufüllen“. Beachtlich ist aber auch der schleichende Schwund im Angebot ganz anderer Art, der aus der Unfähigkeit erwächst, sich heute noch handschriftlich auszudrücken. Wer schreibt denn im elektronischen Zeitalter noch mit der Hand? Selbst Urlaubskarten sind selten geworden! Der Autographennachschub leidet unter einem allgemeinen Rückgang der Handschrift, an deren Stelle erst die Schreibmaschine und dann der Computer getreten ist, nicht nur bei der sogen. Textverarbeitung. Es wird nur noch „getippt“, zumal in den Grundschulen, wie jetzt im Stadtstaat Hamburg, wo die Schreibschrift bald nicht mehr für alle verbindlich unterrichtet wird. An ihre Stelle tritt dort die langsamere Druckschrift, da nur noch unverbundene Einzelbuchstaben gelehrt werden sollen (sogen. Normalschrift); sie kannte man früher nur aus Beschriftungen von Konstruktionszeichnungen der Ingenieure, die „wie gedruckt“ schrieben. Statt der ganzen Hand kommen jetzt nur noch die Finger zum Einsatz, für den Touchscreen genügen Fingerkuppen, an die Stelle einer zusammenhängenden Handschrift tritt Vereinzelung (hoffentlich nicht auch noch im Denken). Der in Berlin erscheinende Tagesspiegel verlangte daher: „Rettet die Handschrift!“ und die Frankfurter Allgemeine fragte: „Wollen wir nach der deutschen Schreibschrift auch noch die lateinische verlieren?“17 Als Fazit bleibt wohl festzuhalten, daß Autographen seltener und somit teurer werden. Ein solches Fazit wird untermauert durch eine Nachricht vom 2. März 2013, wonach Christie’s zum ersten Male wieder seit 2008 das Aufgeld des Kunden erhöht: es beträgt jetzt 25 % für Werke bis 16
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Liebster Freund! Briefe aus Europa und Amerika[1520–1966], Autographensammlung Walter Stein, hrsg. von Ruth Stein, Privatdr. Berlin 2005. Hans-Joachim Grobe: Von jetzt an nur wie gedruckt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. August 2011, S. 30.
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75.000 Dollar (20 % für Werke zwischen 75.001–1,5 Mio. und 12 % für den Rest), wobei vermutlich Sotheby’s, Phillips und Bonhams bald gleichziehen werden18. Bei diesen Auktionshäusern spielen zwar Autographen eine eher untergeordnete Rolle, doch bleiben solche Kurskorrekturen erfahrungsgemäß nicht ohne Auswirkungen auf verwandte kontinentale Branchen. Die führende deutsche Autographenhandlung J. A. Stargardt in Berlin verlangt19 vom Käufer bereits ein Aufgeld von 24 % auf den Zuschlagspreis, in dem freilich die Umsatzsteuer schon enthalten ist (§ 4). Vieles im Autographenhandel läuft heute noch mündlich und mit Handschlag ab, doch ein New Yorker Gerichtsurteil vom Februar dieses Jahres, das auch auf den europäischen Auktionsmarkt ausstrahlen wird, läßt wohl eine fortschreitende Verschriftlichung befürchten20. Wer übrigens als Kunde im Autographenhandel überhöhte Festpreise im Lagerkatalog befürchtet oder Schätzpreise im (Auktions-) Katalog für unserieuse Anlockpreise hält, dem sei das „Jahrbuch der Auktionspreise“ bzw. als Nachfolger „Auktionspreise online“ mit 1,5 Millionen Ergebnissen empfohlen, da er durch dieses Angebot des Verbandes Deutscher Antiquare e.V. und der führenden Auktionshäuser immerhin Vergleichswerte bekommt und sich selbst ein (Preis-) Urteil zu bilden vermag. Gleichwohl muß man bedenken: „kein Autograph ist dem anderen gleich“21. Das normale Auktionsgut rekrutiert sich aus bestehenden Autographensammlungen, die meist aus „biologischen Gründen“ alle dreißig Jahre wieder in den Handel gelangen, selten aus unbekannter Quelle (sogen. Dachbodenfunde) oder aus Nachlässen, die heute jedoch unergiebig zu werden drohen: der Handel interessiert sich allenfalls noch für sogen. (Kohlebögen-) Durchschläge, wenn sie abgezeichnet wurden, Vermerke tragen oder sogar handschriftliche Ergänzungen aufweisen, aber für ausgedruckte E-Mails, die sich in manchen Nachlässen ab etwa 1995 finden? Sie können für Historiker inhaltlich bedeutsam sein, wenn sie Zusammenhänge überliefern, die elektronisch nicht mehr faßbar sind, weil man die Migration der Daten versäumt hat, Hard- und Software wechselten. Ob sich aber der Autographenhandel ihrer erbarmt (um den auch hier drohenden Schwund zu kompensieren), d. h. von den Handschriften auf digitale Hinterlassenschaften „umsteigt“ oder gar Disketten sammelt? Daran sind Zweifel schon aus ästhetischen Gründen angebracht und erst recht aus graphologischen erlaubt. Lassen Sie mich auf dieses Sammlermotiv noch kurz eingehen, zumals sich graphologisches und gestaltpsychologisches (Erkenntnis-)Interesse an 18
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Christie’s erhöht sein Aufgeld für Käufer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. März 2013, S. 41. Stargardt-Katalog Nr. 699 vom 16./17. April, Berlin 2013, S. 506, § 4. Patrick Bahners: Wie viel Schriftform wird künftig nötig sein?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Februar 2013, S. 36. Mecklenburg (wie Anm. 11), S. 103.
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Autographen durchaus berühren, ja sich bis zum „Reliquienkult“22 steigern läßt, wie wir von Goethe wissen: „Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise vergegenwärtigt. Solche Documente ihres Daseyns sind mir, wo nicht ebenso lieb, als ein Portrait, doch gewiß als ein wünschenswerthes Supplement oder Surrogat desselben“, also Ergänzung und Ersatz23. Graphologisches Interesse setzt die Anerkennung des Postulats voraus, daß die Schrift eine Projektion der Persönlichkeit auf dem Papier sei, wie auch Goethe meinte. Auf dieser Grundlage haben sich verschiedene Methoden entwickelt, die sich teils auf die Ausrichtung der Zeilen im Raum und auf die Buchstabengröße (Crépieux-Jamin), teils auf den Schriftrhythmus und die Zwischenräume beziehen (Klages, Pulver), unterstützt seit den fünfziger Jahres des 20. Jahrhunderts durch die Graphometrie. Wenn schon Graphologen eingestehen, daß sich aus einer Handschrift weder Kompetenz noch Berufsethos eines Kandidaten herauslesen läßt, so sind sie sich doch darin einig, daß man ihr immerhin Dynamik, Anpassungsfähigkeit und geistige Beweglichkeit entnehmen kann. Ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen graphischen Zeichen und der Persönlichkeit steht allerdings aus, weshalb die Graphologie nicht als exakte Hilfswissenschaft der Psychologie gilt; sie arbeitet stattdessen mit dem „ersten Eindruck“, aber auch empirisch mit Häufigkeiten und Analogien (übrigens besonders erfolgreich in Frankreich). Für den Handschriftensammler ist beispielsweise Helmut Ploogs Analysewerk24 eine geeignete Einführung in die Schriftdeutung (auch Prominenter), keineswegs nur zu Zwecken der Betriebs- und Gerichtsgraphologie, zur Erstellung von Partnerschaftsgutachten oder der Schriftanalyse gefährdeter Jugendlicher. In diesem Zusammenhang noch ein paar Worte über „grenzwertige“ Autographen, nämlich über Signaturen und Autogramme. Auch wenn beide gern in „einen Topf“ geworfen werden, sind sie nicht dasselbe. Noch gibt es sie, die Unterschriften direkt unter einem (manchmal auch rechtlich bedeutsamen) Text, obwohl auch sie bald Gefahr laufen, von elektronischen Signaturen verdrängt zu werden. Eigenhändige Unterschriften beglaubigen maschinenschriftliche Texte, aber können sie auch als Ersatzschlüssel zur Persönlichkeit dienen? Wenn es an einer ausreichenden Textlänge fehlt, lassen sich selbst die gängigen graphologischen Deutungsverfahren aus Mangel an Kriterien nicht mehr anwenden. Und doch stellt auch dieser Sonderfall unter den Autographen noch ein mehr oder weniger aussagekräftiges Doku22 23
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Henning (wie Anm.1), S. 31. Goethe im Brief an den Schriftsteller und Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi vom 10. Mai 1812, zit. nach Hans-Joachim Schreckenbach: Goethe als Autographensammler, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften H. 1-2/2007, S. 150–156, hier S. 154. Helmut Ploog: Handschriften deuten, 6. Aufl., Hannover 2006.
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ment der Persönlichkeitsdiagnose dar. Unterschriften vermitteln dem Empfänger, wie sich der Absender darstellt, sie sind weniger eine unbewußte als eine bewußte Projektion der Persönlichkeit. Sie zeigen, wie er gesehen werden möchte bzw. wie wir ihn einschätzen sollen. Oft sind sie absichtsvoll gestaltet, etwas stilisierter als die Normalschrift, kurz nicht ohne Imponiergehabe. So lassen auch solche stark verkürzten Botschaften Rückschlüsse auf den Urheber zu. Selbst Schnörkel und Paraphen dienen der Unterschriftengraphologie25 noch als Indizien, eröffnen ihr Fährten, ähnlich, aber noch aussagekräftiger als Visitenkarten26. Doch auch hier ist Skepsis gegenüber Fälschungen und Nachahmungen durchaus angebracht! Unechte Unterschriften kommen vor bzw. sind ein heikles Thema: Die Sekretäre „de la main“ der französischen Könige des 16. bis 18. Jahrhunderts konnten (und sollten) bekanntlich die Unterschriften ihrer Arbeitgeber täuschend echt nachmachen, weitere bekannte Beispiele sind Eckermann bei Goethe oder Herbert v. Bismarck bei seinem Vater, dem Reichskanzler. Zu beachten sind auch Faksimilestempel für Unterschriften (Vorsicht vor den damit gefertigten Hitler-Unterschriften, etwa unter Diplomen und Patenten!). Von Signaturen sind Autogramme sehr wohl unterscheidbar, denn letztere kommen „solo“ daher. Sie mögen von großer persönlicher Bedeutung für den Sammler sein, sind aber ohne Mitteilungswert, allenfalls geben Trägermaterialien Aufschluß (Eintrittskarten, Porträtfotos, Visitenkarten usw.). Autogramme vermitteln noch eine Ahnung von der Persönlichkeit des Schreibenden, von seiner Aura, und stellen eine innere Verbindung zwischen Fan und Idol her, sind aber nur dann von einer ideeller Aussage begleitet – wenn sie „echt“ bzw. authentisch sind, also persönlich erobert wurden. Alles andere beeinträchtigt den Besitzerstolz („Ich hab es nur, damit ichs habe, sprach der Rabe“)27. Von zweifelhaftem Wert erscheinen maschinell für die Fanpost her25
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Albert Lang/Alfons Lüke: Unterschriften – graphologisch gedeutet, o. O. [Gütersloh?] 1990 u. ö. Eckart Henning: Zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Visitenkarte. Zugleich ein hilfswissenschaftlicher Beitrag über Datierung, Abkürzungen und Gebrauch eines „unentbehrlichen Requisits“, in: E. H., Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, 2. stark erw. Aufl. Köln 2004, S. 175–190. Zu dieser Grundhaltung vgl. das Kindergedicht „Der Rabe“ in Karl Wilhelm Ramlers: Fabellese, Leipzig 1783 u. ö. Überzeugender erscheint mir da schon die Händlerdevise von Marcus Brandes: „Wir können die Geschichte nicht ändern, aber ein Stück davon besitzen!“ Dieser Besitz sollte anschließend zu einer interpretierenden Beschäftigung des angekauften Stückes führen – mit didaktischen Folgen, die Alfred Lichtwark in seinem Essay „Der Sammler“ (Offenbach 1922, 35 S., zugl. Sonderdruck aus A. L.: Eine Auswahl seiner Schriften, Bd. 1, Berlin 1917) beschreibt: „Die Tätigkeit des Sammlers hat vor anderen Bildungsmitteln voraus, daß sie Kräfte entwickelt. Kräfte der Sinne, des Geistes und der Seele. Und dadurch erweitert sie die ursprünglich einseitige Freude am Besitz um eine Unendlichkeit. Die Erschließung
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gestellte Autogramme, also Produkte sogen. Autopengeräte: Diese seit 1907 immer mehr verbesserten Signiermaschinen liefern heute perfekte „legale Fälschungen“ mit Hilfe von moderner Plastikmatizen, die nach einer oder mehrerer Schriftproben eines Sportlers, Künstlers usw. angefertigt wurden. Wenn er solche Apparate nicht für den Eigenbedarf erwirbt, sondern ein Händler sie kauft, wird man ihm Betrugsabsichten unterstellen, seine Autogramme für illegale Produkte halten müssen. Die Maschinen des USMarktführers Autopen Company Inc. (Sterling, Viginia/USA) liefern bis zu 100 000 Unterschriften, ehe die Matrizen ausgewechselt werden müssen, weil sie dann zittrig bzw. unscharf erscheinen28. Insgesamt wird das Autogrammsammeln in der Tat durch Dreierlei entwertet bzw. gerät leider immer wieder in Verruf: 1. durch die Herstellung nicht gekennzeichneter Reproautogramme, insbesondere durch den Vertrieb von Fälschungen seltener Namenszüge (z. B. nach dem Tod von Lady Diana gleich 30 Stück am Markt), wogegen nur Sammlerboykotte helfen; 2. durch den sofortigen Weiterverkauf bei Ebay aller eben auf dem roten Teppich erjagten Stücke (was künftige Signierer abschreckt!) und 3. durch stillos-fordernde elektronische Anfragen bei Prominenten ohne allen (zugegeben teuren) Rückportoaufwand. Durch solche Praktiken wird ein Hobby beschädigt, in Mißkredit gebracht, wenn nicht gar zerstört, was die Vereine verpflichtet, nicht nur Ethikregeln für ihre Mitglieder aufzustellen, sondern auch gegen schwarze Schafe im Handel Anzeige zu erstatten und gegen Schwindelfirmen Musterprozesse zu führen. Appelle und Vereinsausschlüsse allein fruchten hier wenig! Problematisch sind Fälschungen übrigens nicht nur bei Autogrammen, sondern überhaupt im Autographenhandel, der die Echtheit zumeist nicht garantiert (anders J.A. Stargardt)29 und gelegentlich sogar die Rücknahme von Falsifikaten ablehnt („gekauft wie besichtigt“). Fälschungen hat es schon im Altertum und bekanntlich im Mittelalter gegeben; so sind von den ca. 270 überlieferten Urkunden Karls des Großen mehr als 100 gefälscht worden. Andere berüchtigte Fälschungsfälle hat einmal 1986 eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zusammengestellt30. Solche Be-
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der Wissenschaft , die Erweckung schlummender Kräfte bewirken eine solche Bereicherung des ganzen Daseins, so daß der Sammler, der es ernst nimmt, zu den glücklichsten Menschen gehört“. Peter Michielsen/Heinz-Ulrich Kammeier: Aus falscher Feder, in: Autographen und Autogramme, eine faszinierende Leidenschaft, hrsg. von Peter Krevert u. Heinz-Ulrich Kammeier, Münster 1999, S. 174–183, S. 178 ff. Vgl. § 7 der Versteigerungsbedingungen der Autographenhandlung J. A. Stargardt (wie Anm. 19). Fälschungen und Fiktionen. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs anläßlich des Internationalen Kongresses der Monumenta Germaniae historica über „Fälschungen im Mittelalter“, München vom 15. September bis 9. November 1986, Katalog.
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trugsversuche setzten sich in der Neuzeit fort, wobei die von Konrad Kujau inzwischen dem Bundesarchiv übergebenen Hitler-Tagebücher31 nur zu den spektakulärsten Fällen aus jüngerer Zeit gehören32. Seit geschrieben wird, wird auch gefälscht oder bestensfalls zu Demostrationszwecken nachgeahmt: Wie ich aus meiner eigenen Praxis als Einkäufer von Autographen für das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (1972–1983) weiß, gibt es als Buchbeigaben täuschend echt hergestellte Faksimiles, etwa der Königin Luise oder des Fürsten Bismarck, die nicht als solche gekennzeichnet sind. Sie werden im Handel gutgläubigen Privatleuten angedreht und dann von diesen weiterveräußert. In fraglichen Fällen sollten unbedingt schriftliche Echtheitsgarantien von Händlern verlangt werden. Immerhin lassen sich Faksimiles bei einiger Übung auch ohne Radierwasser („Tintentod“) oder chromatographische Mikroanalyse als solche erkennen, weil ihnen stets rückseitig die Führungsspuren der Feder fehlen, ferner im Druck die tastbare Erhöhung der Schriftzüge durch die aufliegende Tinte wegfällt und alle Stücke auch ihres metallischen Glanzes ermangeln. Mittels Densimeter läßt sich übrigens auch die Farbdichte der Tinten prüfen und der Laserdruck von Faksimiles entlarven33. Ich habe bei meinen Ausführungen vor allem den materiellen Wert von Autographen im Auge gehabt, Autogramme nur gestreift, obwohl auch sie dazu gehören (nicht umgekehrt). Ich habe Wertkriterien, aber aus Zeitgründen nicht die verschiedenen Sammlertypen behandelt, auch nicht die Beliebtheitsskala der Sammelgebiete, obwohl ich bedaure, daß die relativ preiswert zu erwerbenden Wissenschaftsautographen (man denke an die viel versandten, meist signierten Sonderdrucke, mit denen man zugleich Teile eines wissenschaftlichen Lebenswerks erfaßt!) erst an sechster Stelle hinter Sport und Unterhaltung, Politik und Geschichte, Literatur und Musik zu rangieren scheinen34. Sie sind vielleicht die modernsten Stücke in unserer von (Natur-)Wissenschaft und Forschung geprägten Zeit, was ich besonders hier im Magnus-Haus, in dem die Physik ihren Sitz hat, hervorheben möchte. Sie ruft mir wieder meine liebste Erwerbung aus Privatbesitz ins Gedächtnis, die mir als ehemaliger Direktor des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (1984–2006) gelang; ich meine damit nicht einmal die vielen Nobelpreisträger-Nachlässe, die das Archiv in meiner Dienst-
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Thomas Gehringer: Alles nur gefälscht, in: Der Tagesspiegel vom 9. April 2013, S. 23, vgl. auch Gina Thomas: Jedes rationale Argument sprach gegen die Echtheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. April 2013, S. 25 und Lisa Schnell: Ein Leben im Keller, ib. vom 24. April 2013, S. 31. Vgl. auch dazu Michielsen/Kammmeier (wie Anm. 28). Peter Krevert: Sammlertypen und ihre Darstellung in den Medien (wie Anm. 28), S. 227–265, hier S. 257–262. Vgl. Ralf Hahn: Wissenschaft (wie Anm. 28), S. 102–111, hier S. 103.
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zeit erwerben konnte35, sondern eine kleine unscheinbare Postkarte Albert Einsteins vom 23. Oktober 1919 aus Leiden / Niederlande an Max Planck. Sie gipfelt, ganz erleichtert, im Stoßseufzer dieses Physikers: „Es ist doch eine Gnade des Schicksals, daß ich dies habe erleben dürfen“! – nämlich den experimentellen Nachweis für seine Relativitätstheorie als Ergebnis einer Sonnenfinsternis-Expedition der Royal Society im Jahre 191936. Die Karte fand Anschluß an die in diesem Archiv aufgebaute Autographensammlung Einsteins als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin, zu dessen frühesten Stücken übrigens noch eine weitere bei Stargardt erworbene Postkarte vom 12. April 1901 aus Mailand / Italien gehört, mit der der später so berühmte Mann 1901 als arbeitsloser Akademiker auf Stellensuche in Europa war – dazwischen liegen 18 unglaubliche Jahre. Warum ich Ihnen das erzähle? Nicht nur wegen des Magnus-Hauses und der Physik oder weil sich Einstein immer gut am Ende eines Referates „macht“, sondern um meine Anfangskritik der Autographen als Einzelstücke ein Stück weit zu relativieren: Der „ideelle Wert der Autographen“, von dem bisher nur im Untertitel die Rede war, liegt doch darin, daß solche Einzelstücke jederzeit, und von Historikern und Archivaren meist wenig bedacht, einer Sammlung zur Goethezeit, zur russischen Oktoberrevolution, aber auch von Sportlern oder Filmschauspielern einverleibt werden können, wo sie unversehens Anschluß an verwandte Stücke finden. Damit entstehen oft neue (thematische) Zusammenhänge, nämlich Sammlerprovenienzen, die die alten zwar nicht ersetzen, aber den Grundstock zu einer neuen repräsentativen Kollektion von dokumentarischem Rang schaffen, ja manchmal gar den Humus für die Wissenschaft bilden. Dann gewinnen selbst schlichte Einzelstücke nicht nur zusätzlichen Sammlerwert, wenn sie nicht längst „Wertpapiere“ waren. Auf die Zusammenstellung kommt es oft weit mehr als auf Spitzenstücke an! Lassen Sie mich daher mit Stefan Zweig schließen, der nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller, sondern einer der größten und einfühlsamsten Autographensammler war, den wir hatten. Er sagt in „Sinn und Schönheit der Autographen“ (1935): „Eine Sammlung von Autographen bietet dem Auge zunächst soviel wie nichts. Denn was ist ihr Anblick anders als ein gehäufter Wust verstaubter, halb zerfallener, beschmutzter Papierblätter, ein raschelndes Durcheinander von Briefen, Akten und Dokumenten? Etwas scheinbar so Wertloses, daß man sich denken könnte, blieben sie zufällig liegen, eine 35
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Vgl. Führer durch das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 2., neubearb. Aufl. von Eckart Henning, Berlin 2005, S. 130–144 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 17). Henning (wie Anm.1), S. 38f. m. Abb. der Karte aus dem Jahr 1919: Danach hat „die genaue Vermessung der [Photo-] Platten exakt den theoretischen Wert für die Lichtablenkung“ im Schwerefeld der Sonne ergeben, der nur bei einer totalen Finsternis zu ermitteln war. Die ältere Karte von 1901 ist abgebildet in: Hennings „HiWi“-Test, 175 Fragen & Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften, Kapitel Autographenkunde, 2. Aufl. Berlin 2011, S. 28.
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Wertpapiere?
eilige Hand würde sie wegwerfen als etwas Lästiges oder Unnotwendiges. Tatsächlich hat diese äußere Unscheinbarkeit der Autographen im Laufe von Jahrzehnten unzählbare Blätter höchsten Wertes sinnloser Vernichtung anheimgeführt ... [Sie] alle sind nur vernichtet worden, weil der Sinn und die Schönheit solch heiliger Blätter nicht offen vor den Blicken lag. Denn immer ist eine geistige Beziehung nötig, um den tiefverborgenen Wert dieser Kostbarkeiten zu erkennen. Nur von der Seele her, nicht mittels der gröberen äußeren Sinne, kann die Schönheit und der geistige Wert der Autographen verstanden werden“.37 Also Wertpapiere? Wertpapiere!
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Stefan Zweig: Sinn und Schönheit der Autographen (1935), wieder abgedruckt in: Stefan Zweigs Welt der Autographen, hrsg. von Martin Bircher, Zürich 1996, S. 41 (= Strauhof Zürich, 8), vgl. auch: Die drei Leben des Stefan Zweig. Katalog des Deutschen Historischen Museums, Berlin 2008 mit Rezension von Andreas Kilb: Besichtigung eines Zeitungstoten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. März 2008, S. 37.
Zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Visitenkarte Zugleich ein hilfswissenschaftlicher Beitrag über Datierung, Abkürzungen und Gebrauch eines „unentbehrlichen Requisits“* Weder für Chinesen noch für Römer haben sich Visitenkarten1 bisher nachweisen lassen, obwohl man den Römern fälschlich den Gebrauch von „schedulae salutatoriae“ zugeschrieben hat. Erst als im ausgehenden Mittelalter die Fähigkeit des Lesens und Schreibens in den Oberschichten zunahm, etwa im Patriziat der Städte, könnte ein Bedürfnis für Visitenkarten entstanden sein: Traf ein Besucher im Haus niemanden an, so lag der Gedanke nahe, ein Zeichen seines vergeblichen Kommens zurückzulassen, zumal auf die mitunter vergeßliche oder nachlässige Dienerschaft nicht immer Verlaß war. Doch haben sich bis heute zwar Beispiele für frühe Glückwunschkarten und Exlibris des 15. Jahrhunderts finden lassen, nicht aber Besuchskarten. Angeblich war es seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts bei den deutschen Studenten in Padua Brauch, Besuchskarten bei einem vergeblichen Abschiedsbesuch zurückzulassen, doch stellen sie sich bei genauerer Betrachtung entweder als Erinnerungszeichen – ein Wappenblatt mit Namen – heraus, über das Giacomo Contarini an Urban de Ghelthof in einem Brief berichtete – „una sua cartolina con sua arma et il proprio nome“ –, oder aber als Wunschbilletts, wie das früheste, im Museo Civico in Venedig verwahrte Stück: „Johann Westenhoff, Student der Rechte in Padua 1560. ,Die Hoffnung hält mich aufrecht‘“. Der Irrglaube, daß es sich hierbei bereits um Visitenkarten gehandelt habe, scheint auf John Grand-Carteret (1896) zurückzugehen, doch ist er spätestens durch Achille Bertarelli und Henry Prior (1911) widerlegt worden. Die „Erfindung“ der Visitenkarten läßt sich vielmehr nach Frankreich verlegen (französisch „visiter“ = besuchen) und zwar in die Zeit des Sonnenkönigs. So soll schon Jean Lepautre (1618–1682) solche Karten gestochen ha
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Überarbeitete, teils berichtigte und ergänzte Fassung meiner Einleitung: La Carte, Visitenkarten von gestern und heute, hrsg. von Eckart Henning und Wolfgang Tasler. Dortmund 1982, S. 7–22, auf deren Literaturangaben hier verwiesen sei, S. 132–134. (= Die bibliophilen Taschenbücher, Bd. 356). Vgl. den Artikel „Visitenkarten“ von Eckart Henning, in: Christa Pieske, Das ABC des Luxuspapiers, Herstellung, Verarbeitung und Gebrauch 1860 bis 1930, Berlin 1983, S. 277–279 (= Schriften des Museums für deutsche Volkskunde, Bd. 9).
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ben, und auch Bernard de la Monnoye behauptet in einem 1716 erschienen Sonett, daß sie bereits unter „Louis le Grand“ gebräuchlich waren („Sous mille noms divers je parais tous les jours“), gibt eine allerdings wenig anschauliche Beschreibung: „mince, long, plat, étroit, d’une étoffe peu forte.“ Über die Verwendung der Visitenkarten sagt dagegen eine 1741 erschienene Satire mehr aus: „... Et son nom bien écrit rend sa visite en forme. / Tel est le bel usage auquel il se conforme. / Sur le dos d’une carte on fait sa signature / Pour rendre sa visite au dos de la serrure.“ Allerdings weiß man nicht genau, wie man sich das Aussehen dieser Besuchskarten vorstellen muß. Vermutlich waren sie noch keineswegs alle gestochen, sondern bestanden, wie sechzig im Geheimen Staatsarchiv in München erhalten gebliebene, am kurfürstlichen Hof Karl Theodors von der Pfalz – von Gesandten, Agenten und anderen Pariser Besuchern – abgegebene französische Exemplare aus dem Jahre 1759 bezeugen, aus Papierstreifen oder zerschnittenen und signierten Tarockkarten. Dieser Gebrauch, den auch Goldoni erwähnt, fand wie alle sonstigen französischen Moden des 18. Jahrhunderts im übrigen Europa schnelle Nachahmung, doch scheint noch einige Zeit verstrichen zu sein, ehe die um 1760 in Paris bereits im Handel erhältlichen „cartes pour visites“ auch Schmuckund Zierformen annahmen. Unter den Visitenkarten müssen die individuellen Karten von den viel verbreiteteren Kartenblanketts (Rahmenkarten) unterschieden werden; während jene eigens für einzelne Auftraggeber entworfen und gestochen wurden, kaufte man diese im Handel und schrieb oder druckte einfach seinen Namen hinein. Keine der beiden Kartengruppen blieb bestimmten Gesellschaftsschichten allein vorbehalten: So gab es Adelige, die sich der Rahmenkarte ebenso bedienten, wie Bürgerliche, die sich persönliche Besuchskarten anfertigen ließen und umgekehrt. Hier entschied man nach dem individuellen Geschmack wie dem Geldbeutel, denn natürlich waren Sonderanfertigungen wesentlich kostspieliger als vorgefertigte Serien, die sich bei eingedrucktem Namen ohnehin kaum von den übrigen (höchstens durch ein hinzugefügtes Familienwappen) unterscheiden ließen, jedenfalls wenn der inserierte Name das freie Feld der Rahmenkarte geschickt und angemessen ausfüllte und sich nicht durch allzu sparsamen Druck bzw. durch eine Überfülle von Angaben verriet. Schon die Ungersche Buchdruckerei in Berlin bot um 1780 in der „Vossischen Zeitung“ solche Visitenkarten mit „neu inventierten Einfassungen“ an, in die man bei größerem Bedarf gleich Namen und Titel mit hineindrucken lassen konnte. Aber nicht nur die Kosten, sondern auch das Bedürfnis nach Abwechslung verhinderte wohl die Vorherrschaft persönlicher Besuchskarten, denn Rahmenkarten oder „Visitenvignetten“, wie sie die Zeit vielfach nannte, waren auch aus Modegründen viel gebräuchlicher als die individuell gestochenen: Die Verwendung der immer gleichen Besuchskarte langweilte sowohl den Besitzer als auch die Empfänger solcher Karten. Man wechselte vielmehr
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die in Papier- und Buchhandlungen, aber auch bei Buchbindern meist als „Spiele“ (d. h. in Päckchen) oder in großen Bögen zum Auseinanderschneiden erhältlichen Rahmenkarten häufig, und bald brachten die Kartenverleger neben Bögen mit gleichen Rahmenkarten, die beschriftet wurden, auch Foliobögen (zu vier, sechs, neun oder 15 Stück) mit ganz verschiedenen Rahmendekorationen auf den Markt. Trotz ihrer Vielfalt kommen jedoch gelegentlich gleiche Kartenblanketts mit unterschiedlichem Namenseintrag vor. Die gestochene Besuchskarte bzw. ihre ornamentale Umrandung unterlag aber auch dem allgemeinen Stilwandel: die frühesten Exemplare des 18. Jahrhunderts zeigen noch Barock- und Rokokoformen, oftmals fanden Putten- oder Blumenornamente Verwendung. Bald bemühten sich die Graphiker, die illustrierten Besuchskarten (wie bei Entwürfen von Exlibris) ihrem Auftraggeber bzw. den Erfordernissen ganzer Berufsgruppen anzupassen: Offiziere erhielten Waffen, Fahnen oder Zelte, Jäger Gewehre und Hunde, Juristen Barett und Robe, Musiker Instrumente, Schauspieler Masken, Ärzte sitzen am Krankenbett usw., und in den achtziger Jahren des Jahrhunderts, offenbar beeinflußt durch die Zunahme der Kartenbögen, begegnet man einer noch gesteigerten Vielfalt der Motive, die nun von Musen, Genien, Grazien, überhaupt Figuren der griechischen und römischen Mythologie (besonders häufig Venus, Amor, Minerva und Mars), von Schäferszenen, Landschaften und Städten (besonders Italiens) bis zu Allegorien, Gegenwärtigem und Alltäglichem reichte. Auch die besuchsbezogenen Szenen fehlten keineswegs: die Kutsche des Besuchers, oder der Läufer, der mit der Visitenkarte in der Hand dem Besucher voraneilt. In den neunziger Jahren fand man daneben auch Gefallen an antiken Randverzierungen im etruskischen oder pompejanischen Stil, wie sich auch sonst klassizistische Motive (etwa antike Ruinen, Säulenstümpfe, Statuen) oder empfindsame bzw. romantische von Rousseau beeinflußte Stilleben (z. B. einsame Waldlandschaften, Trauerweiden, Felsblöcke, Grabdenkmäler, Urnen) zu häufen beginnen – Besuchskarten als frühe Bildpostkarten! Die Zeit von 1780 bis 1815 kann wohl als die Blütezeit der illustrierten Visitenkarte angesehen werden, an deren Ende die Reliefkarten stehen: Diese im Prägedruck hergestellten Besuchskarten bezeichnete man zu ihrer Entstehungszeit auch als „Visitenkarten englisch gepreßt“. Bei ihnen handelte es sich meist um eine Oberflächenprägung (die von unter her gearbeitet!), seltener um eine Pressung (von oben). Solcherart geprägte Karten kamen gleichfalls in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Mode, lösten aber den Kupferstich nicht eigentlich ab, auch wenn sie ihn zeitweise zu verdrängen drohten. Überblickt man die internationale Entwicklung der Besuchskarten, so fällt auf, daß der französische Anteil daran eher gering war. Hier hatten sich Stecher wie Cochin, During, Eisen, Gaucher, St. Aubin, Vivant-Denon, vor allem aber Pierre Philipp Choffard (1730/36–1809) eher den eleganten Adreß-und Geschäftskarten zugewandt als den Besuchskarten, deren künst-
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lerischer Schmuck sich zumeist auf die Umrahmung beschränkte. Ansprechender und vielfältiger verlief dagegen die Entwicklung in Italien, dem klassischen Land der Gebrauchsgraphik, deren Meister auch von den Deutschen viel beschäftigt wurden. Hier entstand zwar auch Durchschnittsware, doch ließen sich die Angehörigen der feineren Gesellschaft vielfach eigene Visitenkarten anfertigen, die feierlich und festlich, oft auch heiter wirkten und sich keineswegs nur auf Rahmendekorationen beschränkten. Begründet wurde die römische Stecherschule von Giovanni Volpato (dem 1803 gestorbenen Schwiegervater der Angelika Kauffmann), deren wichtigster Schüler wohl der für die englische Visitenkarte stilbestimmende Francesco Bartolozzi (gestorben 1813) war. Auch Volpatos Schwiegersohn, Raphael Morghens (gestorben 1833), ist als beliebter Stecher zu nennen, doch mehr noch der in Rom tätige Pietro Fontana (gestorben 1837), dessen Arbeiten etwas ernster wirken als die seiner Zeitgenossen. Erwähnenswert sind auch Besuchskarten, die der Bildhauer Antonio Canova (1757–1822) entwarf, ferner die Arbeiten Francesco Rosapinas aus Bologna und Domenico Cagnonis aus Mailand, der vorwiegend für den lombardischen Adel arbeitete. Für die englische Besuchskarte wurden die Zeichnungen J. B. Ciprianis (gestorben 1785/90) bestimmend, die meist von Bartolozzi gestochen wurden, der auch für den englischen Maler Joshua Reynolds (1723–1792) und einige britische Aristokraten z. T. kostspielige Entwürfe gemacht hat (etwa für Lady Bessborough, von der er 20 Pfund Sterling für seine Besuchskarte bekam). Für Spanien sind die fast düster wirkenden Arbeiten von Manuel Salvador y Carmona (gestorben 1807) zu nennen. Die Geschichte der deutschen Besuchskarten ist bislang – trotz einiger Einzeluntersuchungen – kaum ausreichend erforscht worden. Eine 1907 im Stuttgarter Landesmuseum durchgeführte Ausstellung bewies einen überraschenden Formenreichtum. Zentren der süddeutschen Kupferstichproduktion von Besuchskarten waren seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts besonders Augsburg und Nürnberg, deren Ruf die Stecher Johann Elias Nilson (gestorben 1788), Jacob Andreas Friedrich, Johann Michael Söckler und Freiherr Christoph Haller von Hallerstein (1771–1839) verbreiteten, wie auch der vielseitige, aus München stammende und gelegentlich mit Chodowiecki verglichene Johann Michael Mettenleiter (1765–1853). Etwas später als in Süddeutschland scheint auch in Berlin die Besuchskarte ihren Einzug gehalten bzw. sich Kartenstecher gefunden zu haben, die sich freilich nicht als bildreiche Illustratoren oder gar als Erzähler von Bildgeschichten begriffen, sondern sich preußisch-karg zumeist auf eine sachliche Umrahmung von Besuchskarten, d.h. auf bescheidenen ornamentalen Schmuck beschränkten: Aus den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts ist besonders Daniel Berger (1744–1824) als Kartenstecher zu nennen, zu dessen Auftraggebern Diplomaten, höhere Staatsbeamte, Hofchargen, Bankiers und Kaufleute gehörten. Berger verwendete meist die lateinische Schreibschrift, da diese Blätter an die Stelle handschriftlicher Karten traten bzw.
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diese ersetzen sollten. Seltener als seine Arbeiten sind dagegen Visitenkarten von Johann Wilhelm Meil (1732–1805). Gleichwohl ist er als hervorragender Berliner Stecher ebenso zu nennen wie Bergers Schüler Johann Friedrich Bolt (1769–1836), ein Freund Schadows, von dem es ebenfalls selbstgestochene Visitenkarten gibt. Nur geringe Verbreitung fanden allerdings die von Friedrich Wilhelm Gubitz (1786–1870) nach 1805 für diesen Zweck wieder entdeckten bzw. neu belebten Holzschnitte, denen fast etwas Ungelenkes anhaftet. Neben gestochenen, geprägten oder in Holz geschnittenen Besuchskarten kamen bald auch noch die durch Steindruck (erfunden 1796 von Alois Senefelder) vervielfältigten Karten auf, Lithographien, anfangs noch „Polyautographien“ genannt. Ihr Wegbereiter in Berlin war Wilhelm Reuter, an dessen Musterdruck (1804) selbst König Friedrich Wilhelm III. von Preußen Gefallen fand. Reuter schuf die ersten lithographischen Visitenkarten Berlins, darunter seine eigene, konnte sich aber trotz Schadows Förderung damit nicht durchsetzen: In einem Akademiegutachten wurde sein Verfahren sogar abgelehnt. Erfolgreicher war erst Wilhelm v. Humboldts ehemaliger Privatsekretär Sachse, der 1832 in Berlin eine eigene Steindruckerei eröffnete und den noch ganz unbekannten jungen Adolf Menzel als Steinzeichner (auch von Visitenkarten) gewann. Blickt man von Berlin aus nach Wien, so scheinen dort Besuchskarten erst spät, dann allerdings infolge industrieller Fertigungsmethoden um 1800, weiteste Verbreitung gefunden zu haben (Sammlung Dr. Albert Figdor). Sowohl persönliche Besuchskarten wie Kartenblanketts zeigen Anmut und klassizistischen Geschmack. Als Stecher verdienen Clemens Kohl, Josef Fischer (1769–1822) und Johann Adam Klein genannt zu werden, in Prag auch der Akademiedirektor Josef Bergler. Es ist merkwürdig, daß bald nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß (1815) der Formenreichtum und die Motivvielfalt der Besuchskarten aufhörte. Die künstlerisch illustrierte und manchmal schon überladene Karte wich nun der kalligraphisch gestalteten, auf der, wie die Visitenkarten Goethes und Hardenbergs zeigen, nur noch in „Schnörkelschrift“ Titel und Name vermerkt sind; übrigens scheint Goethe seine 1819 gefaßte Absicht, eigene „Visiten Billette zu radieren“, nicht ausgeführt zu haben. Der nur scheinbar von Schreiberhand verfertigten Karte, neben der es auch schlicht gedruckte, allenfalls mit schmaler farbiger Einfassung oder mit Goldrand versehene gab, folgte in den dreißiger und vierziger Jahren die „scheußliche Glanzpapierkarte“ (Walter v. Zur Westen), die sich durch ein kleines zierliches Format und feine Druckschrift auszeichnete, gelegentlich „umwölkt“ von ein paar stehengebliebenen Schreiberschnörkeln. Auch diese wurden in der Verfallsperiode der persönlichen Visitenkarte, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, schließlich für entbehrlich erachtet. Jetzt lautete die Devise: „Alle Schnörkel und die manchmal recht geschmacklosen ,Verzierungen‘ seien vermieden!“ (Rocco).
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Visitenkarte immer gleichförmiger. Zugelassen war nur mehr ein steifer weißer, allenfalls gelblicher oder bläulicher Karton, der jedoch nicht mehr, wie bis in die siebziger Jahre hinein, gemustert, besonders geglättet, perlmuttartig glasiert oder gar mit Goldschnitt versehen sein durfte; war man in Trauer, benutzte man Karten mit schwarzem Rand. Je schmuckloser die Visitenkarte wurde, die man später zur Vermeidung von Fremdwörtern nach dem Vorbild Kaiser Wilhelms II. nur noch „Besuchskarte“ nannte, desto mehr wuchs aber ihr Format: für Herren wurde die Größe 10,5 x 6,5 cm vorgeschlagen, für Damen galten 5,0 x 8,0 cm als schicklich. Extravaganzen galt es aber auch hier zu vermeiden, da sie leicht als lächerliche Anmaßung mißdeutet werden konnten. Auf keinen Fall schien es geraten, sich am Visitenkartenformat des Kaisers zu orientieren (12,0 x 8,0 cm; in gotischer Schrift „Wilhelm / Deutscher Kaiser und König von Preußen“). Die deutschen Fürsten begnügten sich für gesellschaftliche Zwecke mit erheblich kleineren Karten. Zur gleichen Zeit hatten die Franzosen meist schmale lange Karten, während die Engländer noch die kleinformatigen (3,0 x 5,6 cm bis 3,2 x 6,0 cm) benutzten – und sie meist im Portemonnaie, nicht, wie in Deutschland üblich, in besonderen Visitenkartentäschchen verwahrten. Die Amerikaner zogen quadratische Formate vor. Doch blieb die Kartengröße modeabhängig. Um die Jahrhundertwende waren auch längliche, sogenannte englische Formate – obwohl in Großbritannien nahezu unbekannt – mit abgerundeten Ecken besonders bei jungen Damen sehr beliebt, und ganz vereinzelt sah man auch schon „neu auftauchende Karten in Gestalt eines aufrecht stehenden Vierecks“ (Freiin v. Düren-Oetken), die sich jedoch bis heute, trotz mancherlei Versuchen, nicht durchsetzen konnten. Der Kartendruck konnte sowohl die lateinische Druckschrift, meist eine „Antiqua“, als auch die gotische, die sogenannte Fraktur, zeigen. Am beliebtesten war jedoch lange Zeit der Druck der lateinischen, gern als „englische Schreibschrift“ (Anglaise coulée) bezeichneten Kursive, die ihren uniformen Siegeszug um 1860 begann und bis heute, wenn auch in abgeschwächter Form, fortsetzen konnte. Sehr selten sah man auf Visitenkarten jedoch die deutsche Schreibschrift im Druck. Nur bei Künstlern sollen auch Faksimiles ihres Namenszuges verbreitet gewesen sein – wenn sie es nicht vorzogen, handschriftlich „Autogramme“ zu geben. Bei anderen Leuten galt dies bestenfalls als altmodisch, anderenfalls als ärmlich (auch wenn es auf gutem Karton geschah!) oder sogar als linkisch bzw. kaum gesellschaftsfähig. Es gab indes auch Menschen, keineswegs nur Autographensammler oder Graphologen, oft auch Intellektuelle, die es nach 1900 wieder als „fein“ betrachteten, den Schauspielerbrauch des handgeschriebenen Namenszuges nachzuahmen. Führende Anstandsbücher brachen darüber jedoch den Stab: „Wirklich hervorragende Persönlichkeiten haben keine Zeit und Lust, all die Visitenkarten, die sie brauchen, selbst zu schreiben“ (J. v. Eltz). Der Druck sollte deutliche und tiefschwarze, keineswegs, wie noch wenige Jahr-
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zehnte früher möglich, goldene Buchstaben zeigen. Lithographien hielt man für eleganter als gedruckte Visitenkarten. Allgemein hatte ihr Verbrauch um die Jahrhundertwende zugenommen, „so gar die modernen Köchinnen und Hausmädchen lassen mit Vorliebe ihre volltönenden Namen auf das widerstandslose Papier drucken“ (Freiin v. Düring-Oetken, 1896). Spätestens seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts galt die dekorierte Besuchskarte für altmodisch bzw. als absonderlich, doch sah man sie Malern, wie etwa Th. Hosemann, noch nach. Schließlich verschwand sie ganz, wie die Visitenkarte von Menzel besonders deutlich zeigt. Erst um die Wende zum 20. Jahrhunderts tauchen mit einer Neubelebung der Exlibrismode durch Künstler wie Max Klinger, Emil Orlik, Joseph Sattler usw. auch vereinzelt Visitenkarten wieder mit ornamentalem aber auch mit figürlichem Schmuck auf, die künstlerische Besuchskarte erwachte aus ihrem „Dornröschenschlaf“ (W. v. Zur Westen). Als im Jahre 1907 in der Leipziger Illustrierten Zeitung (Nr. 3328 v. 11. April) anhand einiger Abbildungen aus der englischen Kunstzeitschrift „The Connoisseur“ über Besuchskarten berichtet wurde, gab dies den Anstoß zu einem Preisausschreiben, das von der Königlich sächsischen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe ausging und vom Deutschen Buchgewerbeverein in Leipzig unterstützt wurde. In diesem Wettbewerb (1908), der weniger der typographischen Verbesserung der normalen Schriftkarte galt, als das Ziel verfolgte, die besten Entwürfe künstlerischer Visitenkarten quasi als Luxuskarte der in Frage kommenden Kreise zu ermitteln, wurde die große Zahl von 2043 Arbeiten eingereicht, von denen 462 in die engere Wahl gelangten. Zur Förderung des Preisausschreibens gewährten die Deutsche Kronprinzessin Cecilie und die sächsische Prinzessin Johann Georg (d.i.: seit 1906 Maria Immaculata von Bourbon-Sizilien) die Erlaubnis, daß in den beiden ersten Abteilungen des Wettbewerbs auch Besuchskarten auf ihren Namen ausgeschrieben werden durften, während die dritte für sonstige Personen vorgesehen war. Die beiden ersten Preise um die Karte der beiden Schutzherrinnen wurden dabei vom Preisgericht, dem als Radierer auch Max Klinger und Graf Leopold v. Kalckreuth angehörten, Heinrich Vogeler aus Worpswede zuerkannt, den dritten erhielt der Münchener Hans Volkert, doch wurden weitere sechzehn Preise verteilt und 38 durch lobende Hervorhebung ihrer Entwürfe ausgezeichnet (u. a. Karl Hollek-Weithmann, Rudolf Matthes und Bernhard Lorenz). Die Ergebnisse zeigten, daß es gelang, einen Anstoß zur Wiederbelebung der künstlerischen Besuchskarte zu geben. Architektonische, allegorische und heraldische Zutaten tauchten auf den Visitenkarten auf, es gab Besuchsmotive und Besuchsblumen, vermehrt auch ornamentale Rahmen, die aber nur noch teilweise vom Historismus geprägt waren, eher (wie es der Direktor des Buchgewerbemuseums in Leipzig als Preisrichter ausdrückte) von einem „modernisierten Biedermeier“ zeugten. Doch nicht der biedermeierliche Nachklang war das Entscheidende, sondern der Neuklang
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im Nachklang, das „Modernisierte“ nämlich, der Jugendstil, der die Visitenkarte künstlerisch ebenso mit einbezog wie alle sonstigen Lebensformen der Alltagskultur. Kaum einer vermochte dieses neue Lebensgefühl besser auszudrücken als eben Heinrich Vogeler. Auf Vogelers einfühlsam radierten Besuchskarten umrahmen meist ornamental stilisierte Figuren das für den Namen frei gelassene Mittelfeld. Doch eine solche Mitverwendung figürlicher Elemente blieb selten, obwohl sie auch bei anderen Meistern, etwa dem Heraldiker Otto Hupp, noch vorkam (z. B. für den Kammerherrn Lothar Buderus v. Carlshausen). Andere Beispiele für bildliche Darstellungen auf Visitenkarten bilden Arbeiten Heinrich Hönichs (München) für den Herzog von Urach mit einem reitenden Ritter und der Burg Lichtenstein, die eigene Karte des Graphikers Fritz Mock (Basel), der sich im Freien – seine Frau porträtierend – unter einem Sonnenschirm an der Staffelei stehend, darstellte, von Otto Hans Beier (München), der für Lips ein Paar auf dem Besuchsweg, oder von Bruno Hérous (Leipzig), der für Relie Geyer-Héroux die Arbeit einer Hausfrau am Herd, im Hintergrund ein Kind, auf ihrer Karte zeigte. Im Jugendstil herrschte sonst das reine Ornament auf Visitenkarten vor. Daß der Name, dem Zweck der Karte folgend, klar hervortreten mußte, durfte die Gebrauchsgraphik nicht aus dem Auge verlieren, so daß Luxuskarten mit Darstellungen, deren Bildinhalt sich auf die Besitzerpersönlichkeit bezog, selten blieben; der oft beziehungslose Schmuck überwog. Gute Beispiele für ornamental gestaltete Visitenkarten mit Schriftumrandungen, stilisierten Blumen usw. bieten die Arbeiten von Georg Broel, Hubert Wilm, Adolf Kunst und dem erwähnten Hans Volkert (sämtlich München). Die meisten dieser Gebrauchsgraphiker bedienten sich der Radierung als vielseitigstem Ausdruckmittel, seltener des traditionellen Kupferstichs. Wenn sich gleichwohl die geschmückte Besuchskarte um die Jahrhundertwende trotz aller Förderung und des Interesses im Kreise kultivierter Individualisten nicht mehr durchsetzen konnte, so hatte dies vielfältige Gründe. Wenige von diesen Karten wurden wirklich bei Besuchen abgegeben; sie waren dafür zu „schade“ und wurden statt dessen als Tausch- und Gedenkblatt zum Sammelobjekt (wie die Exlibris); häufiger als ihrem eigentlichen Zweck dienten diese Karten zur Übermittlung von Kurzmitteilungen, quasi als Billetts. Dann war man aber auch allgemein zurückhaltender geworden, so daß der Stoff für individuelle Anspielungen auf die Wesensart des Kartenbesitzers und damit auch der künstlerische Gestaltungsspielraum geringer geworden war; nur Beruf und Titel blieben für bildnerische Anspielungen übrig. Darüber hinaus waren die Kosten für eine Radierung bzw. die Anfertigung eines Kupferstichs sehr hoch. Welche Verwendung gab es für die Visitenkarten? Sie dienten der Kommunikation der Mitglieder einer Gesellschaft, die außer dem brieflichen nur den persönlichen Umgang kannte und ihn bis in das 20. Jahrhundert hinein in einem heute kaum noch vorstellbaren Ausmaß pflegte und geregelt
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hatte. Diese Regelung sah zur Kaiserzeit, also um die Jahrhundertwende, Anstandsbesuche (Visiten) vor, die zwar als lästig und langweilig, jedoch „bei Strafe der Ausweisung“ (M. Calm) aus der Gesellschaft als unerläßlich galten, da sie allein zu der erwünschten Anknüpfung einer Bekanntschaft oder deren Fortsetzung führen konnten. Hinzu kamen die Visiten aus besonderem Anlaß, die man glückwünschend – etwa bei der Geburt eines Kindes, zur Konfirmation, Verlobung, Hochzeit – oder kondolierend – bei Krankheit oder Todesfällen – abstattete. Auch Heranwachsende, die in die Gesellschaft eingeführt wurden, mußten in Begleitung eines Elternteils alle Bekannten der Familie aufsuchen, Brautpaare oder junge Ehegatten statteten Besuche ab, ebenso machten Neuzugezogene Antrittsbesuche bei Vorgesetzten und Berufskollegen. Auch waren für empfangene Einladungen, gleichgültig, ob man ihnen gefolgt war oder nicht, Dankbesuche üblich und zwar möglichst innerhalb von acht Tagen. Als richtige Tageszeit für alle Arten von Anstandsbesuchen galt der späte Vormittag (meist von 11.30 bis 13.00 Uhr), an dem man sie jedoch keinesfalls länger als 10 bis 15 Minuten ausdehnte. Wer bestimmte Empfangstage hielt, vermerkte sie auf der unteren linken Ecke seiner Visitenkarte (etwa an jedem Dienstag, jeden 10. und 20. des Monats, mittwochs 12 bis 2) und durfte dann darauf rechnen, daß Besucher ihre Visiten zu keiner anderen Zeit machten. An Samstagen, am Karfreitag, am Bußtag oder Totensonntag, bei Katholiken auch in der Fastenzeit, unterblieben Visiten gänzlich. Beim ersten Besuch war es üblich, die Visitenkarte gleichsam als „Vertreter unserer Person“ (Rocca) in den Salon zu senden, zumal die mündliche Meldung durch das Personal oft ungenau oder unvollständig ausfiel. Der frühere preußische Kriegsminister General v. Kameke betonte sogar, daß er jeden unwillkürlich nach seiner Visitenkarte taxiere, wobei er sich damit rechtfertigte, daß der erste Eindruck meist der bleibende sei und man erst die Karte des Angemeldeten betrachte, ehe man ihn selbst mehr oder weniger zuvorkommend empfange. Auch bei einem vergeblichen Besuch war es erst recht üblich, seine Karte zu hinterlassen, um einen Gegenbesuch zu ermöglichen, von dem nur Respektspersonen (also Vorgesetzte gegenüber Untergebenen, Vornehme gegenüber Geringeren, Damen gegenüber Herren) absehen durften. Für jede Person, die man zu besuchen die Absicht hatte, wurde eine zusätzliche Karte hinterlassen, für den Hausherrn, seine Ehefrau, die erwachsene Tochter, die im Haushalt lebende Schwägerin usw., wobei auf der jeweiligen Karte zugleich in chiffrierter Form der Besuchszweck angegeben wurde. Der hier gebräuchliche Code gehörte zum gesellschaftlichen Wissen, das sich heute nahezu verloren hat, desgleichen das Chiffriersystem für Gratulationen und Kondolationen, das zum Verständnis von Abkürzungen auf älteren Visitenkarten nötig ist: 1. Bei Antritts- oder gewöhnlichen Besuchen: p.f.v. = pour faire visite (um Besuch zu machen), p.r.v. = pour rendre visite (desgl.); p.p. = pour pré-
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senter (um jemand vorzustellen); p.r. = pour remercier (um zu danken); u.B.z.m. = um Besuch zu machen. 2. Bei Abschiedsbesuchen: p.p.c. = pour prendre congé (um Abschied zu nehmen), z.A. = zum Abschied; u.A.z.n. = um Abschied zu nehmen. 3. Bei Gratulationsbesuchen: p.f. = pour féliciter; w.v.H.G. = wünscht von Herzen Glück; u.G.z.w. = um Glück zu wünschen. 4. Bei Kondolenzbesuchen: p.c. = pour condoler (um Beileid auszusprechen); v.s.h.T. = versichert seine herzliche Teilnahme; u.B.a. = um Beileid auszusprechen. Längere Mitteilungen auf der Kartenrückseite machten ein kleines, verschließbares Couvert erforderlich. Anfänger konnten sich diese Abkürzungen mit dem folgenden anonymen Merkgedicht einprägen: „Visitenkarten sind bequem Und oft im Leben angenehm. Wer danken will, schreibt drauf p.r., Das heißt zu deutsch: Ich danke sehr. Willst ferner sagen du Adieu, So schreibst du einfach p.p.c. Bringst einen Fremden du ins Haus, So drückst du durch p.p. es aus. Thut dir das Leid des andern weh, Schreibst auf die Karte du p.c. Der Glückwunsch, was er auch betreff’, Er lautet einfach nur p.f. Und in der Kart’ ein Eselsohr Bedeutet: Ich sprach selber vor.“
Je nachdem aus welchem Grund der Besuch erfolgte, konnte die entsprechende Ecke der Visitenkarte eben auch umgeknickt werden, und zwar bei einem vergeblichen Besuch am linken Rand nach vorn, bei einem Beileidsbesuch am rechten nach hinten. Dieser Brauch hatte sich jedoch schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nahezu verloren (sieht man vom einfachen „Eselsohr“ bei persönlich abgegebenen Karten ab), statt dessen hielten
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sich die französischen Abkürzungen für die einzelnen Besuchszwecke recht hartnäckig, da sie sich als praktisch erwiesen bzw. sich eingebürgert hatten. Wenn man seine Visitenkarten nicht mehr selbst abgeben konnte, weil man etwa beim Verlassen eines Ortes keine Zeit mehr dazu hatte, alle Besuche persönlich abzustatten oder dies gar aus irgendeinem Grunde vermeiden wollte, konnte man sie auch durch einen Boten hinschicken (natürlich ohne Kniff) bzw. dem Empfänger (aber nur zum Neujahrstag) auch postalisch zusenden lassen. Geschah dies freilich binnen acht Tagen – später war unhöflich – als Reaktion auf eine angenommene Einladung (statt einer Dankesvisite oder einer Gegeneinladung), so wußte der Gastgeber, daß man nicht wieder eingeladen werden wollte. Auch nach der Rückkehr aus der „Sommerfrische“, also zu Saisonbeginn, war es vielfach üblich, Karten an diejenigen zu versenden, mit denen man gern wieder Verbindung aufnehmen wollte. Als Verlobungsanzeige bediente man sich gemeinsamer oder doppelter Visitenkarten, wobei die Karte des Bräutigams größer und die aufliegende der Braut kleiner zu sein hatte: Beide wurden durch ein farbiges Band (blau oder rosa) miteinander verbunden. Nicht weniger ausgeklügelt als der Anwendungsbereich der Visitenkarte waren die Informationen, die der Empfänger ihr über ihren Inhaber entnehmen konnte. Sie mußte natürlich vor allem dessen Namen, nicht unbedingt auch seinen Taufnamen angeben. Dieser konnte bei Personen von Rang und Stand bzw. von „Amt und Würden“ durch die Angabe ihrer Titel und Chargen ersetzt werden, da den Kreisen, in denen sie verkehrten, „mehr an der Kenntnis ihres Ranges als am Vornamen“ lag. Diese Titel von Beamten, Offizieren, Geistlichen usw. wurden in früherer Zeit in einem etwas kleineren Schriftgrad über, in neuerer unter den Namen gesetzt, wobei aber Zusätze wie „Ehrenmitglied des ...“ oder „Ritter hoher Orden“ bzw. „Inhaber des Ordens“ usw. als veraltet empfunden wurden und daher zu unterbleiben hatten. Gab es nur einen gewichtigeren Titel zu verzeichnen, so konnte er auch vor dem Namen auf derselben Linie mit ihm stehen (z. B. von Dernburg/Geheimer Regierungsrat und vortragender Rat / im Kultusministerium, aber: Oberbergrath Fulda). Offiziere und Reserveoffiziere waren dagegen gehalten, außer ihrem Namen und der Nummer ihres Regiments, ihr Kommando – falls erheblich – anzugeben. Verabschiedete Ziviloder Militärpersonen ließen ihrem Namen auch weiterhin den bisherigen Titel bzw. Dienstgrad folgen, jedoch unter Hinzufügung von „a. D.“ (außer Dienst), „i. R.“ (im Ruhestand) oder „z. D.“ (zur Disposition), gerade wenn sie nachher einem Berufserwerb von geringerem Ansehen nachgingen (z. B. Leutnant a. D. und Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt). Adelige wie Bürgerliche konnten auch ihr Familienwappen auf der Visitenkarte (meist oben links im Prägedruck) anbringen, Adelige statt ihres Adelstitels auch eine Rangkrone verwenden, wobei dem einfachen Adel in der Regel (wie dem Ritter) eine fünfzackige Krone, dem Freiherrn eine siebenzackige und dem Grafen eine neunzackige Krone zukam.
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Personen ohne Titel gaben regelmäßig ihren vollen Namen (z. B. Paul Parey) an, während die Berufsangabe (Verlagsbuchhändler) „unter keinen Umständen“ folgen durfte, um der Visitenkarte nicht den Charakter einer Geschäftsempfehlung zu geben; daher enthielt sie anfangs „bei Handwerkern nicht ihr Handwerk, bei Kaufleuten nicht ihre Branche, bei Ärzten nicht ihre Sprechstunde“ (Anders). Damen schrieben „Frau Alice Mayer“; wobei das Wort „Frau“ eigentlich überflüssig war, doch wird es „häufig beigefügt, weil die Damen fürchten, mit Unverheirateten verwechselt zu werden“ (J. v. Eltz). Bei den Ehefrauen entfiel jedoch der Titel ihres Mannes, da die Stellung, die sie bekleideten, ja schon dessen Karte mitteilte. Wenn er aber dennoch verwendet wurde, dann hoffentlich nicht mit weiblicher Endung, also „Frau Staatsrat“ – nicht „Staats-Räthin v. Hagemeister“, während der Geburts- oder Mädchenname – „geb. von Gustedt“, in älterer Zeit auch „née Erlach“ – eigentlich regelmäßig und schon deshalb hinzugefügt wurde, „weil sonst die Welt sich zu leicht einbildet, daß an demselben etwas zu verbergen wäre“ (Freiin v. DüringOetken); „Frau“ und „geb.“ zusammen zu verwenden, zeugte nicht von gutem Ton. Gab es am Ort womöglich mehrere Brüder des Ehemannes oder auch nur zahlreiche Namensträger, oder hatte die Inhaberin der Karte selbst mehrere Schwägerinnen oder Cousinen mit demselben Vornamen wie sie, so druckte man auch, englischer Sitte folgend, „Frau Karl Lehmann“ (besonders in Geschäftskreisen, wo Rang und Titel als Unterscheidungsmerkmal meistens fehlten). Beim Tode des Mannes setzte man in früherer Zeit „verwitwete“ („Frau Anna, verw. Gerhard Kaul“ oder „Anna Kaul, verw. Justizrätin“) hinzu, doch entfiel dieser Zusatz oft schon vor der Jahrhundertwende. Gemeinsame Karten lauteten entweder „Herr & Frau Fritz Mock“ (französischer Sitte folgend „Monsieur et Madame Barbazan“ oder „Richard Strauss und Frau“, was den Vorzug hatte, daß der Besuchende sich nicht selbst als „Herr“ einführen mußte, jedoch den Nachteil, daß die Frau „zu sehr in die zweite Linie gestellt“ (Rocco) erscheint. Jüngere unverheiratete Frauen gaben nur ihren Vor- und Zunamen („Helene Noering“) an, der Zusatz „Fräulein“ war (anders als in Frankreich „Mademoiselle“, in England „Miss“) nicht üblich bzw. blieb höchstens älteren unverheirateten Damen höherer Stände „Fräulein von Stockhausen, Schlüsseldame ...“) vorbehalten; hatten Damen, wie in unserem Beispiel, eine Hof- oder Stiftsstelle inne oder trugen sie Orden (etwa den preußischen Luisen- oder den bayerischen TheresienOrden), so setzten sie dies, im Gegensatz zum männlichen Geschlecht, ihrer Karte hinzu. Da für sehr junge Mädchen Visitenkarten zwar erwünscht, aber nicht unbedingt erforderlich waren, genügte auch der eingedruckte oder handschriftlich hinzugefügte Vermerk „mit Tochter“ bzw. „mit Töchtern“ auf der Besuchskarte ihrer Eltern oder bei der Tante „nebst Nichte“. In größeren Städten fügte man links unten besser auch den Ort, rechts manchmal (später regelmäßig) Straße und Hausnummer hinzu, wo beide Angaben aber noch getrennt erschienen, wurden sie in der Regel rechts un-
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ten (Hedemannstr. 10, Berlin SW) angebracht, um unten links Platz genug für die handschriftliche Angabe des Besuchszwecks zu behalten. Dieser ursprüngliche Besuchszweck der Visitenkarte hat sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bereits weitgehend verloren; von beruflich bedingten Antrittsbesuchen abgesehen (und auch sie sind nicht mehr überall üblich), gilt die Besuchs- oder „Visitkarte“, wie sie in Österreich heißt, nur dort noch als ein „unentbehrliches Requisit“ (W. v. Kamptz-Borken), die nun freilich auch „ganz einfach durch die Post“ versandt werden darf, um gegebenenfalls mangels Personal (beim Besuchten wie beim Besuchenden) anzufragen, ob und wann ein Besuch genehm ist. Zum „Guten Ton für alle Tage“ gehört in Deutschland inzwischen nur noch „die beruflich verwendete Visitenkarte (Geschäftskarte)“, während die private, im gesellschaftlichen Verkehr gebrauchte, „viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüßt hat“ (G. Oheim, 1962). Sie wird auch weiterhin in Vorzimmern abgegeben, daneben bleibt sie in zweifacher Hinsicht nützlich: Sie dient nach wie vor als willkommenes Billett zur Übermittlung von Kurznachrichten bzw. als Ersatz für ein längeres Begleitschreiben zu einer privaten Sendung – was sie in unserer eiligen Zeit vielleicht noch brauchbarer erscheinen läßt als früher. Sie dient nicht nur zur Begleitung von Blumensträußen, sondern auch zum Austausch von Adressen und hat als Anschriftenkarte einen Funktionswandel durchgemacht, der ihr – unter ihrem alten Namen – eigentlich erst das Überleben in neuerer Zeit und auch in jüngerer Gestalt ermöglicht hat. Drucker und Stecher waren von jeher bemüht, ihre Ware in den Schönheitskodex ihrer Zeit einzubinden, Notwendigkeit und schöne Nutzlosigkeit miteinander zu verbinden, so daß immer ein enger Zusammenhang zwischen der Gebrauchsgraphik und dem geltenden Illustrationsstil einer Epoche bestand, wodurch auch eine annähernde zeitliche Einordnung undatierter Karten möglich ist. Doch auch die Kunden dieser Drucker und Stecher waren zumeist bestrebt, die Grenzen des Alltäglichen bei ihrer auch vom persönlichen Lebensaufwand bestimmten Auswahl der Karten höchstens geringfügig zu überschreiten, was mit dem Charakter der Visitenkarte als Kommunikationspapier, das beim Besuchten „ankommen“ soll, zusammenhängt. Folgende (werbe-) psychologischen Gesichtspunkte sollten bei der Gestaltung von Visitenkarten2 stets beachtet werden: – Visitenkarten sind zwar nur ein Teil des Erscheinungsbildes eines Menschen bzw. der visuellen Unternehmenskultur seiner Firma, doch sind sie nahezu das einzige „Gestaltungsmittel“, das auch persönlich einer Kontaktperson übergeben wird und sei es nur für einen „stummen Auftritt“ beim eigentlichen Empfänger. – Visitenkarten dienen zwar heute hauptsächlich dem Adressenaustausch bzw. als Gedächtnisstütze, doch lassen die Wahl des Formats, der Schrift, 2
Vgl. Dieter Urban: Gestaltung von Visitenkarten. München 1993.
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der Anordnung und Farbe weiterhin Rückschlüsse auf den Geschmack und das Fremdbild zu, das der Besucher dem Empfänger übermitteln möchte. – Dieser Schluß ist zulässig, weil die Gestaltung als „Maßkonfektion“ letztlich vom Auftraggeber bestimmt wird, bzw. solche Leute, die ihre Visitenkarten „von der Stange kaufen“, auch danach eingeschätzt werden; Gebrauchsgraphiker, die „Vorstellungskarten“ entwerfen, haben vor allem auf die Übereinstimmung des Auftraggebers mit seiner Karte, also von Status und Gestaltung, von Inhalt und Form, zu achten. – Der Informationsgehalt (und die Lesbarkeit) hat immer Vorrang vor der visuellen Gestaltung, die ihn unterstützen muß – keinesfalls umgekehrt! Die Gestaltung selbst kann sich bei Visitenkarten einer Reihe von Mitteln bedienen: z. B. a) des Formates (auch mit vertikaler und horizontaler Rillenfalzung), evtl. mit Rückseitendruck, b) der Schrift (Antiqua, Fraktur, Schreibschriften; Versalien bzw. Kapitälchen oder nur Kleinbuchstaben), ihrer Auszeichnungsmöglichkeit (kursiv, gesperrt, unterstrichen, fett) und ihrer Formatierungen (zentriert, links- oder rechtsbündig, Schrägrichtungen), c) der Farbe (getönte Papiere oder z. B. rote Schrift auf weißem bzw. grünem Untergrund, auch umgekehrt), d) der Illustrationen (Signets, Fotos), e) anderer Trägermaterialien als Papier (Metall, Kunststoffe, Kork usw.) und f) anderer Verfahren als des Drucks oder Thermodrucks (z. B. Stanzen, Prägen, Stechen). Alle diese Möglichkeiten erleichtern die Gestaltung von Visitenkarten, die heute allerdings langweiliger wirken als Geschäftskarten, wo viel „hemmungsloser“ davon Gebrauch gemacht wird. Ein bißchen mehr Gestaltungsmut (wie zur Goethezeit oder im Jugendstil) könnte modernen persönlichen Karten nicht schaden, wo schlicht als edel gilt und sie vor lauter Understatement schließlich nichtssagend wirken. Doch möchte man eben nicht gern in diesem „Kartenspiel“ alles „auf eine Karte setzen“, zumal ihr Äußeres immer Anhaltspunkte liefert, wie man’s mit sich selber hält, wenn es wieder heißt: „Geben Sie mir doch einfach Ihre Karte!“ oder schon gefragt wird: „Haben Sie nicht Ihre Karte dabei?“, wobei – meist ohne die Antwort abzuwarten – schon die Zusicherung erfolgt: „Ich gebe Ihnen mal mein Kärtchen“. Visitenkarten, die „bedeutungsvollen Blättchen“ (J. v. Wedell), sind besser als viele andere graphische Erzeugnisse geeignet, den gesellschaftlichen Umgang im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte kritisch zu erhellen und zu deuten. Sie stellen nach wie vor einen liebenswürdigen und wandlungsfähigen Vermittlungsversuch von Mensch zu Mensch dar.
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Genealogie Standortbestimmung und Perspektiven* Immer häufiger heißt es in deutschen Medien: „Gesucht – die eigene Herkunft!“ und an die Stelle der großen Vergangenheitsbewältigung tritt die kleine private Geschichtsversessenheit. So folgten allein im Juli 2007 wieder zwei renommierte Fernsehsender der „Spur der Ahnen“. Der Familienforscher schwankt in seinem Bedürfnis, seinen Platz in der Generationenfolge zu bestimmen, zwischen Selbstfindung und Detektivarbeit. Die Laienlust an der Ahnenforschung, auch jüngerer Menschen, nimmt ständig zu, so dass der Andrang in den Archiven steigt und sich die Deutschen Genealogentage ebenfalls eines wachsenden Zulaufs erfreuen; viele Teilnehmer kommen mit Motiven wie: „Ich möchte meine Vorfahren als Menschen kennenlernen, ich möchte sie aus der Vergessenheit holen, ich möchte eine Zeitreise antreten, ich will wissen, wer ich bin“1. Hier läßt sich 60–70 Jahre nach den Ariernachweisen2 und einem Reichssippenamt3 – so die „Geo“-Dignose – wohl eine neue „Massenbewegung“ von Ahnenforschern konstatieren. Davon hätte sich der Referent als er zusammen mit Wolfgang Ribbe 1972 das erste „Handbuch der Genealogie“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung mit dem „Herold“ herausgab4, noch nichts träumen lassen, kamen *
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Abdruck nach meinem zur Eröffnung des 59. Deutschen Genealogentages in Ludwigshafen am 24. September 2007 gehaltenen Referat, das zugleich, wenig verändert, in der Festschrift für Hermann Metzke (= Genealogie 28, 2007, S. 715–730) erschien; ihm liegt ein älterer, teilweise ergänzter, auch bibliographisch aktualisierter Beitrag für ein Kölner Symposion zugrunde, abgedruckt bei Toni Diederich / Joachim Oepen (Hrsg.): Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung. Köln 2005, S. 89–106, zugl. aus deutscher Sicht zur Diskussion gestellt auf dem Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften am 23. August 2006 in St. Andrews / Schottland, abgedruckt in: Genealogica et Heraldica, Myth and Propaganda in Heraldry and Genealogy. Proceedings of the XXVII. International Congress, 2 Bde. Edinburgh 2008, Bd. I, S. 337–352. So formuliert im Geo-Editorial 2007, S. 3 durch Peter Matthias Gaede. Volkmar Weiß: Die Vorgeschichte des arischen Ahnenpasses, in: Genealogie 25 (2001), S. 417–436, 497–507, 615–627. Diana Schulle: Das Reichssippenamt. Eine Institution nationalsozialistischer Rassenpolitik, Berlin 2001 u. Volkmar Weiß: Die Auseinandersetzungen zwischen Reichsnährstand und Reichssippenamt um die Kirchenbuchverkartung. Ein Beitrag zur Geschichte der Genealogie in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Genealogie 49 (2000), S. 1–17. Handbuch der Genealogie. Für den Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften und bearb. und hrsg. von Eckart Henning und Wolfgang Ribbe. Neustadt/Aisch 1972.
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sich doch beide wie Tabubrecher vor, als sie den Versuch unternahmen, ein „gebräuntes“ Fach in den Kreis ernsthafter Historischer Hilfswissenschaften zurückzuführen. Dieses Ziel verfolgen beide Autoren auch heute noch mit ihrem inzwischen in der 13. Auflage erschienenen, mehr praktischen Bedürfnissen dienenden „Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung“5, wobei sie die „boomende Genealogie“6 allerdings wegen ihres unkritischen Umgangs mit der sogen. Computergenealogie mit gemischten Gefühlen betrachten; hier wird oft die Quantität der Qualität vorgezogen, wenn nämlich der Rückgriff auf die Quellen unterbleibt7. Ein Computernachweis ist noch kein Verwandtschaftsbeweis. Ehe ich mich nun mehr den wissenschaftlichen Gegenwartsfragen einer wohl leichter und auch reizvoller gewordenen Genealogie zuwende, zu denen dann aber auch der Aufbau gefilterter Datenbanken8 gehören müßte, möchte ich noch auf die ältere von Otto Forst de Battaglia stammende Definition (1948) der Genealogie von den „auf Abstammung beruhenden Zusammenhängen zwischen Menschen“9 eingehen. Sie wird heute von Vielen als zu eng empfunden, was zum Vorschlag (1998) des früheren DAGV-Vorsitzenden Jörg Füchtner führte, „Abstammung“ einfach durch „Heirat“ zu ersetzen, andernfalls meinte er, eigne sich die Genealogie „allerdings als Hilfswissenschaft einer rassistischen Humangenetik“10. Ohne diese Befürchtung zu teilen, scheint mir sein Vorschlag zumindest geeignet, den Wandel von der Individual- bzw. Personalgenealogie zur Sozialgenealogie zu verdeutlichen, der sich in Deutschland vor etwa dreißig Jahren voll5
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Wolfgang Ribbe / Eckart Henning (Hrsgg.): Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. 13., überarbeitete Aufl., Neustadt/Aisch 2006, vgl. bes. S. 73 ff.: Familie und Gesellschaft. Bettina Joergens: Findet Genealogie im Archiv statt? oder: Kommen Familienforscher ins Archiv? – Ein Literaturbericht, in: Der Archivar 60 (2007), S. 59–61, hier S. 59. Neben der mangelnden Qualitätskontrolle bildet das Hauptproblem der sog. Computergenealogie die fehlende Langzeitverfügbarkeit digitaler Quellen. Vgl. u. a. Jesper Zedlitz : Werden wir aus der Geschichte gelöscht ? Vor- und Nachteile moderner Informations-Speicherung, in: Familienforschung Schweiz, Jahrbuch 2001, S. 163–170. An größeren elektronischen Projekten der Genealogie werden seitens des Dachverbandes DAGV z. Zt. folgende von Herbert Stoyan genannte Desiderata diskutiert: Die Einrichtung je einer Datenbank 1. für die Gesamteinwohnerschaft Deutschlands nach dem 30jährigen Krieg (ab 1648), 2. eine weitere für die sog. „toten Punkte“ der Genealogen, 3. eine der „zentralen Personen“ (aus sämtlichen Ahnenlisten, 4. eine Urkundendatenbank (in Zusammenarbeit mit den Archiven) u. 5. ist der weitere Ausbau der Spitzenahnenkartei (ASTAKA) geplant. Otto Forst de Battaglia: Wissenschaftliche Genealogie. Eine Einführung in ihre wichtigsten Grundprobleme. Bern 1948, S. 10. Jörg Füchtner: Die Genealogie in der DDR, in: Genealogie 47 (1998), S. 193–202, hier: S. 196.
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zog. Füchtners Formel ist vom derzeitigen DAGV-Vorsitzenden Hermann Metzke dann wieder auf den schlichten – wie er einräumt – wohl allzu „vereinfachenden“ Nenner (2002) der „familiengeschichtlichen Forschung“11 gebracht worden. Abzugrenzen bleibt sie in jedem Falle vom Genealogiebegriff eines Michel Foucault, der sich terminologisch an Friedrich Nietzsches „Genealogie der Moral“ orientierte, aber mikrosoziologisch der Verpflechtung von Wissen und Macht nachspürte. Sein unter Kulturwissenschaftlern beliebter, eher metaphorisch verstandener Begriff, hat mit Familie und Verwandtschaft höchstens mittelbar zu tun und ist viel zu diffus, um hier verwendbar zu sein12. Anregender sind da schon die begrifflichen Grenzgänge der Philologin Sigrid Weigel mit ihren Berliner Studien über Generation, Genealogie und Genetik. Generationsforschung hat durchaus Konjunktur, doch hält sie dem soziologischen Generationenansatz mit Recht vor, dass er „vergesslich“ sei, da er aus biologischen Zeugungstheorien erwachsen sei, die zumindest bis ins 18. Jahrhundert noch mit pädagogischen Kulturtheorien verbunden waren; ihre Kritik an der Uneindeutigkeit der Begriffe ist beherzigenswert13. Lassen Sie mich zur weiteren Abgrenzung auch noch einen Blick auf die in den 80er Jahren entstandene „Geschlechterforschung“ werfen, zumal der uninformierte Hörer denken könnte, dass es sich hier um ein genealogisches Arbeitsgebiet handelt. Leider hat die Geschlechterforschung mit „Geschlechtern“ im Sinne von Sippen so wenig zu tun wie mit Geschlechtlichkeit. Sie ist vielmehr aus der feministischen Gesellschaftskritik der 70er Jahre erwachsen, die vor allem die sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Ungleichheiten von Männern und Frauen analysierte, ehe sonnenklar wurde, dass die Frauenforschung allein keinen Sinn macht, sie durch eine Männerforschung ergänzt bzw. in eine Geschlechterforschung umgewandelt werden müsse. Die neuen sogen. Gender studies, abgeleitet von „genus“ (als grammatischem Geschlecht), hielten jedoch an der traditionellen Unterscheidung von sex und gender, also von biologischen und sozial rekonstruiertem Geschlechterverhalten, fest; sie beschäftigen sich leider kaum mit den biologischen Grundlagen der Geschlechterdifferenz. Erst wenn das geschähe, verlöre die – für jede Forschung hinderliche – Grenzziehung zwischen Natur und Kultur wieder an Gewicht und die Aus11
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Hermann Metzke: Genealogie. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, in: Genealogie 51 (2002), S. 193–208, hier: S. 194. Vgl. Rudi Visker: Michel Foucault. Genealogie als Kritik. München 1991 u. Martin Saar: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault. Frankfurt/M. 2006. Ulrike Jureit: Generationenforschung. Göttingen 2006, S. 31 (= UTB, 2856). Vgl. von Sigrid Weigel (Hrsg.): Schnittstellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte. Berlin 2002 u. Rez. von Eckart Henning, in: Herold-Jahrbuch N.F. 9 (2004), S. 217 f., ferner von Sigrid Weigel: Genea – Logik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften. Paderborn 2006.
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einandersetzung mit der Biomedizin (Hirnforschung, Genetik), vielleicht auch mit der Wissenschaftsgeschichte, begänne. Die Analysekategorie „Geschlecht“ dürfte sich als zu eng erweisen und müsste (wieder) durch „Familie“ ersetzt werden. Die Geschlechterforschung krankt daran, dass man sie geradezu „entbiologisiert“ betrieb. Auch trüge die Genealogie der Analyse von Standesunterschieden besser Rechnung, was der Geschlechterforschung schwer fällt, die sich im Zeichen der Gleichberechtigung von Mann und Frau entwickelt hat, so dass sie ganz anderen historischen Verhältnissen oft verständnislos gegenübersteht. Sie wendet sich vor allem gegen Sigmund Freuds Diktum: „Biologie ist Schicksal“, wobei sie die Universalformel der Unterscheidung von männlich/weiblich meist reichlich undifferenziert verwendet. Sie untersucht zwar geschichtliche Veränderungen des Geschlechterverhaltens, die sie jedoch nicht auf anthropologische Gegebenheiten zurück führen möchte, sondern als kulturelles Regelsystem sieht. Hier droht kein neuer biologischer Determinismus, sondern im Gegenteil die (Milieu-) Falle eines „entgrenzten Konstruktivismus“14.
* Das Interesse der Sozialgeschichte an der historischen Familienforschung ist in den 60er Jahren in den USA, England und Frankreich erwacht, in Deutschland aber erst mit Verzögerung in den 70er Jahren15. Der Alltag der Familie im Überschneidungsbereich zur Anthropologie und Ethnologie begann zu interessieren16, weniger noch ihre Abstammungsverhältnisse. Drei Hauptrichtungen lassen sich unterscheiden: Zunächst suchte man 1. einen 14
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Vgl. Andreas Gestrich: Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert. München 1999 (= Enzyklopädie Deutsche Geschichte, 50). Im 2. Teil: Über Grundprobleme und Tendenzen der Forschung behandelt Verf. u.a. Familiensoziologie, Sozialgeschichtliche Forschung, historische Sozialisationsforschung sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte. S. dazu meine Rez. in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003) S. 220 f. An Neuerscheinungen zu diesem Thema ist kein Mangel, vgl. etwa Gabriele Dietze / Sabine Hark: Gender kontrovers. Genealogie und Grenzen einer Kategorie. Königstein / Taunus 2006 und Chris Weedon: Gender, Feminism and Fiction in Germany 1840–1914. New York 2007 (= Gender, Sexuality and Cuture, 5). Als deutscher Vorläufer darf Hermann Mitgau gelten: Zur Entwicklung der genealogischen Soziologie, in: Genealogisches Jahrbuch 5 (1966), S. 5–21 u. von dems. Genealogie und Familie bzw. Genealogie und Gesellschaft, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 4), S. 185 ff. bzw. S. 189 ff. Wichtig bleibt auch Walter Schaub: Sozialgenealogie – Probleme und Methoden, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 110 (1974), S. 1–28 u. Werner Conze: Sozialgeschichte der Familie. Neuere Literatur-Probleme der Forschung, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 65 (1978), S. 357 ff. u. ders. (Hrsg.): Die Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen. Stuttgart 1977. Vgl. das Werk des Ethnologen Hans Fischer: Lehrbuch der genealogischen Methode. Berlin 1996.
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statistisch-demografischen Zugang, wandte sich Personenstandslisten aller Art zu, überhaupt Massenquellen, die sich nur mit quantifizierenden Methoden bearbeiten ließen; nicht die einzelne Familie interessierte, sondern man rekonstruierte Verwandtschaftszusammenhänge in großem Stil und berechnete mittlere Haushaltsgrößen. Hier konnte man an die Diskussion der Soziologen des 19. Jahrhunderts und ihre Klischeevorstellungen von der Entwicklung der Großfamilie in vorindustrieller Zeit zur modernen Kleinfamilie anknüpfen , indem man sie widerlegte, ließ aber kaum korrigierende Einzelquellen zu. Neben die demografisch ausgerichtete Sozialgeschichte trat sehr bald 2. die Mentalitätsgeschichte als weitere Forschungsrichtung, also Verhaltensweisen und Beziehungswandel der Familien (Partnerwahl, Elternverhältnis etc.), wofür psychologisch aussagekräftige Selbstzeugnisse wie Briefe, Tagebücher, Memoiren und Autobiographien benötigt würden, die aber meist nur aus Ober- und Mittelschichten zur Verfügung standen17. Die Folge waren schichtspezifische Verzerrungen, die allenfalls in jüngster Zeit durch Oral history18 und ethnografische Methoden in der Anwendung auf andere Bevölkerungsschichten auszugleichen waren. Eine 3., eher funktionale Forschungsrichtung interessierte sich dafür, inwiefern der Wandel der Arbeitsorganisation seine Spuren in den Familien hinterlassen hat, welche Entwicklungen die Familienwirtschaft verändert haben. Das dabei makro- und mikrostrukturelle Entwicklungsprozesse vergleichend analysiert werden mussten, ist als besonderer Vorzug dieser Vorgehensweise zu verbuchen19. Die deutsche Familienforschung leidet dagegen bis heute an ihrem allzu engen Familienbegriff bzw. darunter, dass sie sich einseitig an (biologischen) Verwandtschaftskriterien orientiert, nämlich an der „Verwandtschaftsfamilie“ mit all ihren Linienbildungen, Heiratsgrenzen und Eheregeln festhält und nicht-verwandte Mitbewohner ausgrenzt. Sie müsste nicht nur die durch Adoption oder Blutsbrüderschaft erzeugte künstliche Verwandtschaft, sondern auch Patenverwandte, angenommene Ziehkinder (meist Waisen) oder die Rolle der Haus- und Hofgemeinschaft (einschließlich des Gesin17
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Vgl. Das von Frauke v. Troschke begründete Deutsche Tagebucharchiv / Emmendingen b. Freiburg Br. u. Eckart Henning: Selbstzeugnisse, in: Friedrich Beck / Eckart Henning (Hrsgg.): Die archivalischen Quellen. Mit e. Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 4. Aufl. Köln 2004, S. 119–127 u. 365 f. Vgl. A.C.T. Geppert: Forschungstechnik oder historische Disziplin. Methodische Probleme der oral history, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), S. 303–323, ferner die Herausgeberschriften von Lutz Niethammer: Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „oral history“. Frankfurt/M. 1985 u. von Herwart Vorländer: Oral History. Mündlich erfragte Geschichte. Göttingen 1990. Michael Mitterauer: Historisch-anthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen. Wien 1990, S. 88–90 (= Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte, 15).
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des) mehr in Betracht ziehen, um der Gruppenrealität besser Rechnung zu tragen. Auch durch Erben- bzw. bloße Gütergemeinschaften entstehen zumindest familiare Mischformen. Im angelsächsischen Bereich interessieren sich Sozialhistoriker weniger für die Familie als Reproduktionszelle, sondern mehr für die Haushaltsgemeinschaft und andere „kulturell erklärbare Sozialisationspraktiken“20. Alle drei Forschungsrichtungen bedienen sich der Genealogie als Hilfswissenschaft mehr am Rande, da ihre Ergebnisse – in Stamm- und Ahnentafeln, in Ortsfamilienbüchern und Familienchroniken gesammelt – schon aufgrund der Quellenlage nicht für die Gesamtbevölkerung repräsentativ sind. Das bedeutet freilich im Umkehrschluss nicht, dass ihr Material für repräsentative Stichproben ungeeignet wäre, wie umfangreiche Studien in Frankreich (Dupaquier), England (Wringley) und Deutschland (Weiß) zukunftsweisend geklärt haben dürften21. Hilfswissenschaftlichen Nutzen für Historiker stifteten insbesondere die nach der Methode der Familienrekonstruktion angelegten Ortsfamilienbücher, „zweifellos die größte Leistung, die die deutsche Genealogie in einer weltweiten Einmaligkeit hervorgebracht hat und dem schon vorhandenen Bestand werden in jedem Jahr rund 200 neue Orte hinzugefügt“22. Da diese Dorfsippen- bzw. Ortsfamilienbücher, anders als beispielsweise in England, auch Standes- bzw. Berufsangaben enthalten, sind sie am geeignetsten zur generationsweisen Stichprobenziehung. Leider konnte die in den neunziger Jahren beantragte Projektfinanzierung von der DFG nicht gewährt werden, obwohl hier „repräsentative Aussagen nicht nur für Mitteleuropa insgesamt, sondern z. B. auch für Sachsen, Württemberg oder die Landhandwerker in Mitteldeutschland“ zu gewinnen wären. Analoge Forschungsvorhaben in den Niederlan20 21
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Joergens (wie Anm. 6), S. 60. Jaques Dupaquier / Denis Kessler: La société française au X1Xe sie`cle tradition, transition und transformation. Paris 1992. – E. A. Wringley / R.S. Davis / J. E. Oeppen / R. S. Schofield: English population history from family reconstitution 15801837. Cambridge 1997 (= Cambridge studies in population, economy and society in past time, 32). – Volkmar Weiß: Bevölkerung und soziale Mobilität. Sachsen 1550– 1880, Berlin 1993, dazu ders., Wie genealogische Sammlungen zu einer Quelle der Sozial- und Bevölkerungsgeschichte werden. In: Genealogie 7–8/1996, S. 208–216 u. Familiengeschichtliche Massenquellen der Mobilitäts- und Sozialstrukturforschung, in: Historical Social Research 21 (1996), S. 151–166. Volkmar Weiß: Zur Stellung der Genealogie in der wissenschaftlichen Forschung, in: Die Historischen Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre, hrsgg. von Eckart Henning und Regina Rousavy Neustadt/Aisch 2003, S. 91–100, hier S. 94. – Der im Staatsarchiv Leipzig befindliche Bestand an Ortsfamilienbüchern, Abt. II: ehemalige Zentralstelle für Genealogie, belief sich 1998 bereits auf 1600 Stück. Vgl. Volkmar Weiß / Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie, 2. erw. Aufl., Neustadt/Aisch, 1998.
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den, Schweden und in Kanada sind glücklicherweise nicht zum Erliegen gekommen. In ähnlicher Weise wie die Ortsfamilienbücher könnten übrigens auch die mehr als tausend deutschen Familienchroniken einmal systematisch ausgewertet werden; Fragestellungen zur Erschließung einer solchen Datenbasis gibt es bereits23. Die Methode der Familienrekonstruktion versagt in der Regel, wo keine stabilen Populationen vorliegen, zumal dann auch die Quellenlage schlechter wird. Wenn es Hermann Metzke gleichwohl gelungen ist, mit seinen empirisch sauberen Forschungen zum Migrationsverhalten in die mobilen Berufsgruppen der Mittel- und Unterschichten vorzudringen und etwa durch großräumige systematische Auswertung von Heiratsregistern bestimmte Parameter zu erfassen, so liegen hier Pionierleistungen zu Schäfern und Hirten, Badern und Chirurgen, Amts- und Gerichtsdienern, auch zu Müllern und Dorfschullehrern vor, die methodologisch weiterführend sind, aber bislang nicht ausreichend gewürdigt wurden24. * Ein besonders erfolgreicher Arbeitsbereich der wissenschaftlichen Genealogie ist die Eliteforschung, sei es, dass Stammlisten des Deutschen Geschlechterbuches statistisch ausgewertet wurden25, sei es, dass die soziale Herkunft, der Auf- und Abstieg von Führungsschichten bzw. ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten aus Ahnenlisten beschrieben werden konnten. Diesen Weg schlug beispielsweise der unvergessene Friedrich Wilhelm Euler (1908– 1995) ein, der, ähnlich den Franzosen, einen „biographischen Grundstock“ bevorzugte, um dann „in konzentrischen Kreisen auf die beiderseitigen Vorfahren überzugehen26. Mit diesem heute eher prosopographisch zu nen23
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Weiß (wie Anm. 21), S. 96. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Maike Reimer: Autobiographisches Erinnern und retrospektive Längsschnittdatenerhebung. Was wissen wir, und was würden wir gerne wissen? In: Bios 16 (2003), S. 27–45, bes. S. 37 ff. Hermann Metzke: Genealogie, Migration und soziale Mobilität. Ausgewählte Berufsgruppen im 17./18. Jahrhundert in Mitteldeutschland, in: Friedrich Beck / Eckart Henning (Hrsgg.): Vom Nutzen und Frommen der Historischen Hilfswissenschaften. Neustadt/Aisch 1999, S. 62–78. Adelheid v. Nell: Die Entwicklung der generativen Strukturen bürgerlicher und bäuerlicher Familien von 1750 bis zur Gegenwart. Bochum 1974. – Vgl. auch als Grundlage weiterer Untersuchungen Klaus Günter Radtke / Katja Münchow / Christian Eichhorn: Deutsche Ahnenlisten und ihre regionale Verteilung. Gesamtausdruck zur Klassifizierung und Regionalisierung der Ahnenlistensammlung der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig, Leipzig 1995 (= Schrifttum der DZFG in Leipzig, 13). Zitiert nach einem Brief von Friedrich Wilhelm Euler an Ruth Hoevel, Bensheim 11.1.19989, in: Genealogie H. 3/4 (1995), S. 469–470, hier: S. 469.
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nenden Verfahren gelangte Euler zur „systematischen Erfassung einer ganzen Schicht“27, wobei seine „genealogische Schwerpunktforschung“ heute in dem von ihm begründeten Bensheimer Institut für Personengeschichte fortgesetzt wird, seit Jahrzehnten ergänzt durch die von ihr und der RankeGesellschaft getragenen „Büdinger-Vorträge“28. Wenn ich bislang – quellenbedingt – über neuzeitlich ausgerichtete Forschungsvorhaben und ihre Methoden berichtet habe, so lassen Sie mich nun noch einen Blick auf genealogische Fragen der Mittelalterforschung werfen, wo sie traditionell ein größeres Gewicht besitzen: Verwandtschaftsbeziehungen spielten bereits in archaischen Gesellschaften eine entscheidende Rolle. Sie stellen eine Art frühe „Systembildung“29 dar, die sich auch im Mittelalter beobachten lässt, obgleich kirchliche und territoriale Mächte den Einfluss der familialen Organisation einschränkten. Verwandtschaftsbeziehungen waren im Mittelalter immer auch Rechtsbeziehungen, die sowohl im deutschen, später besonders im kanonischen Recht geregelt waren, das nach Inzestverboten strebte, d. h. Ehehindernisse für Heiraten unter Verwandten festlegte. Solche Verbote führten zu unterschiedlichen Festlegungen von Verwandtschaftsgrenzen, die aber – soweit ich sehe – je nach den Erfordernissen hin und her verschoben bzw. im Früh- und Hochmittelalter zwischen dem 4. und 7. Grad recht variabel gehandhabt wurden. Außerdem war es möglich, die Verwandtschaft, die keineswegs nur auf Zeugung beruhte, durch Adoption und Patenschaft auszudehnen. Das mahnt zur Vor27
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Friedrich Wilhelm Euler: Genealogische Schwerpunktforschung (undat. Ms. aus dem Nachlass), in: Genealogie H. 3/4 (1995), S. 455, vgl. dazu Nachtrag von Lupold v. Lehsten, S. 471. Das von F. W. Euler gegründete Institut zur Erforschung historischer Führungsschichten in Bensheim steht heute als Institut für Personenforschung unter der (stellv.) Leitung von Lupold v. Lehsten.– Aus den gemeinsam mit dem Bensheimer Institut veranstalteten Büdinger Vorträgen sind mehr als 25 Bände: Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit erwachsen, insbesondere der von Günther Schulz herausgegebene Band: Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 2002. In der Einleitung resümiert der Herausgeber den Ertrag aller bisher publizierten Vorträge. Vgl. Rez. von Frank Göse in: HeroldJahrbuch N.F. 8 (2003), S. 246–247. Wolfgang Speyer: Genealogie, in: Reallexikon für Antike und Christentum 9 (1976), Sp. 1146–1268, bes. Sp. 1148. Vgl. auch Arnold Angenendt: Der eine Adam und die vielen Stammväter. Idee und Wirklichkeit der „Origo gentis“ im Mittelalter, in: Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation. Akten des Gerda Henkel Kolloquiums, 13.–15. Oktober 1991, hrsg. von Peter Wunderli. Sigmaringen 1994, S. 27–52, bes. S. 28 u. Gerd Melville: Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, hrsg. von Peter-Johannes Schuler: Sigmaringen 1987, S. 203–309.
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sicht, den Verwandtschaftsbegriff mit seinen biologischen, juristischen und spirituellen Komponenten allzu undifferenziert zu verwenden. Mediävistisch bedeutsam sind die Arbeiten der Tellenbach-Schule, insbesondere von Karl Schmid (1923–1993)30, seit den fünfziger Jahren. Nach der Rekonstruktion von Abstammungsgemeinschaften einzelner Adelsfamilien aus Quellen (wie den Libri memoriales) des frühen Mittelalters, stellte Schmid seine These vom Wandel eines horizontalen zum vertikalen Verwandtschaftssystem im 11. Jahrhundert auf: die Einnamigkeit hörte auf, an die Stelle durchaus gleichwertiger mütterlicher und väterlicher Verwandten trat nun die dominante Rolle der Agnaten, vor allem im Erbrecht (bis hin zur Primogenitur), und das Familienbewusstsein der lebenden Verwandten wuchs im Wissen um die eigene Abstammung; „gens“ definierte sich nun genealogisch. Breite Anerkennung fanden Schmids Thesen auch in Frankreich, insbesondere durch Georges Duby31, der sich in seinen, allerdings mehr mentalitätshistorischen Ansätzen bestätigt sah. Gleichwohl stellt sich heute die Frage, ob sich die Schmid-Duby’ schen Befunde generalisieren lassen. Dasselbe gilt für kognatisch legitimierte Herrschaftsansprüche, nicht nur des frühen, sondern auch des hohen und späten Mittelalters, was zu einer Art – höchst fruchtbarem – genealogischen Dauerdisput zwischen Eduard Hlawitschka und Armin Wolf geführt hat, u. a. um die ottonischen Töchterstämme und Königswähler, insbesondere um die lange Entstehungsgeschichte des Kurfürstenkollegs von 1356. Waren wirklich nur die Erbberechtigten wahlberechtigt, wie Wolf meint?32 30
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Zur Tellenbach-Schule vgl. Einleitung zur Habil.-Schrift von Karl Schmid: Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter. Aus dem Nachlass hrsg. und eingeleitet von Dieter Mertens und Thomas Zotz: Zur Resonanz auf die Adelsforschung Karl Schmids. (= Vorträge und Forschungen, 44), Sigmaringen 1998, bes. S. XVIIIff. Georges Duby : Hommes et structures du moyen âge. Recueil d’articles, (Le Savoir historique, 1), Paris / La Haye 1973. Ders., Famille et parenté dans l’occident médiéval. Actes du colloque de Paris (6–8 juin 1974), hrsg. von dems. u. Jacques Goff : (Collection de l’École française de Rome 30), Rome 1977. – Geschichte des privaten Lebens, Bd. 2: Vom Feudalzeitalter zur Renaissance, hrsg. von Georges Duby. Frankfurt a. M. 1990 (französisch zuerst 1985). Ders.: Mâle moyen âge. De l’amour et autres essais, Paris 1990. Vgl. Eduard Hlawitschka: Konradiner-Genealogie, unstatthafte Verwandtenehen und spätottonisch-frühsalische Thronbesetzungspraxis. Ein Rückblick auf 25 Jahre Forschungsdisput. Hannover 2003 (= Monumenta Germaniae historica, Studien und Texte, 32). Vgl. von Armin Wolf (Hrsg.): Königliche Töchterstämme, Königswähler und Kurfürsten, Frankfurt a. M. 2002, insbes. Wolfs eigenen Beitrag S. 1–77 und von Eckart Henning: Genealogie und Rechtsgeschichte. Zur Verleihung der Bardeleben-Medaille an Armin Wolf, in: E. H., Auxilia historica, 2. Aufl. Köln 2004, S. 205–211. Zu den Streitfragen von Hlawitschka und Wolf vgl. auch Steffen Pätzold: Königserhebungen zwischen Erbrecht und Wahlrecht? Thronfolge und Rechtsmentalität um das Jahr 1000, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mit-
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* Folgt man der durchaus richtigen Einsicht von Ottokar Lorenz, dass der „geschichtliche Mensch nicht von dem natürlichen getrennt werden“ sollte und fragt nach dem Verhältnis von Genealogie und Humangenetik, so lässt uns sein berühmtes „Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie“ (1898) leider schnell im Stich33; obwohl darin Fortpflanzung und Vererbung ein Drittel des Gesamtumfangs ausmachen, entspricht doch sein „Kenntnisstand der vormendelschen Genetik“34 und ist somit obsolet. Weniger veraltet erscheint mir allerdings seine Beschreibung der Grundrelation beider Fächer: „Die Brücke, auf welcher sich die geschichtliche und Naturforschung begegnen und begegnen müssen, ist die Genealogie“35. Diese Bindegliedfunktion stellt sich inzwischen allerdings anders dar als damals, weil sich der hilfswissenschaftliche Nutzen der einen Disziplin von der anderen ins Gegenteil verkehrt zu haben scheint: die Genetik lernt heute weniger von der Genealogie als umgekehrt die Genealogie von der Genetik. Sie ist mehr der nehmende als der gebende Teil: Wenn man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch vielfach der Meinung war, an Hand von Verwandtschaftstafeln die Vererbung menschlicher Eigenschaften (bis hin zur Intelligenz und Kriminalität) verfolgen zu können, so benötigt man heute vor allem molekulargenetische Kenntnisse zum Verständnis genealogischer Sachverhalte, um nämlich „empirisch erfasste Phänomene auf einzelne Genwirkungen“ zurückführen zu können36. Gleichwohl bleibt die Genealogie für die Genetik, angefangen von der Familienanamnese, wichtig, analysiert sie doch – z. T. mit genealogischen Methoden – die Wanderung bestimmter Gene durch verschiedene Populationen und wagt sogar Rückschlüsse auf prähistorische und historische Genverschiebungen zu ziehen. Sie untersucht Heiratskreise bzw. -isolate einzelner Bevölkerungsgruppen (etwa der Juden), ethnische Unterschiede (etwa der Esten, Finnen oder Isländer), Verwandtenehen (sogen. Inzucht) sowie den wachsenden Selektionsdruck durch
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telalters 58 (2002), S. 477–507.Wolfs dynastische Theorie steht in Konkurrenz zur Erzämtertheorie (Entstehung aus den Hofämtern) und zur Reduktionstheorie (ursprünglich größerer Wählerkreis). Ottokar Lorenz: Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Stammbaum und Ahnentafel in ihrer geschichtlichen, soziologischen und naturwissenschaftlichen Bedeutung. Berlin 1998, S. 26. Metzke (wie Anm. 11), S. 196. Lorenz (wie Anm. 33). Metzke (wie Anm. 11), hier: jedoch Kurzfassung, in: Genealogie – Sonderheft 2002/2003, S. 34–41, hier S. 35f. Vgl. auch Dorothee Früh: Die Genealogie als Hilfswissenschaft der Humangenetik, in: Jahrbuch für Geschichte und Theorie der Biologie 4 (1999), S. 141–162 und Volkmar Weiß: Hat die Genetik für die Genealogen noch eine Bedeutung? in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 5 (2001), S. 177– 182.
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Umwelteinflüsse37. Zu unterscheiden bleibt die Anwendung genealogischer Methoden in der Genetik jedoch von der humangenetischen Interpretation genealogischer Forschungsergebnisse. Hier hat die Entzifferung des genetischen Code dem Genealogen zu völlig neuen Diagnosemöglichkeiten verholfen, die ungleich genauer sind als alle gut begründeten Annahmen älterer Genealogen. Die Analyse kleinster DNS (englisch DNA-)Sequenzen zum Nachweis von Verwandtschaft hat sich als Methode durchgesetzt. Da das männliche Y-Chromosom stets vom Vater auf den Sohn übertragen wird, können durch seine Identifizierung stets auch biologische Vaterlinien bestimmt werden, die im Ergebnis nicht unbedingt mit dem meist patrilinear übertragenen Familiennamen übereinstimmen müssen; illegitime Abstammung infolge von „Seitensprüngen“ unserer Vorfahren sind auf diese Weise noch nach Jahrhunderten nachweisbar. Außerdem ist eine mitochondriale DNS-Analyse durchführbar, aufgrund derer weit zurückreichende Mütterlinien erstellt werden können. So lassen sich – auch angesichts von Quellenverlusten! – strittige Abstammungsfragen wenigstens später biologisch aufklären: Heute genügt ein Blutspritzer auf einer Jacke, Speichel an einer Zigarettenkippe oder an einer Briefmarke, ein Haar auf dem Teppich oder auch Knochen aus Gräbern, um Menschen zu identifizieren. So vermochte man 23 Jahre nach dem Tode den KZ-Arzt Josef Mengele in seinem Grab in Brasilien oder ausgegrabene Menschenknochen am Bahndamm in Jekaterinburg als Gebeine der ermordeten Zarenfamilie38 zu identifizieren, man ermittelte nun, dass Kaspar Hauser nicht der Erbprinz von Baden war (falls die in Ansbach aufbewahrte Hose tatsächlich von ihm getragen wurde39), dass der legendäre Sohn Marie Antoinettes („Ludwig XVII.“) bereits im Alter von zehn Jahren im Pariser Gefängnis an Tuberkulose starb40 oder konnte die Echtheit der Gletschermumie Ötzi bestätigen, da die Eismanngene dem europäiden Erbgut zuzuordnen waren, nicht einer angeblich untergeschobenen Inkamumie41. Nur die richtige Spur zum Neanderthaler hat sich noch nicht finden lassen, wie das jüngste Dementi vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aus Leipzig bestätigt; ob er sich nun mit dem 37
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Hermann Metzke: Genealogie und Humangenetik, in: Wolfgang Ribbe / Eckart Henning (Hrsgg.): Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 13. Aufl., Neustadt/Aisch 2006, S. 98–110. Zum genetischen Fingerabdruck, auch zu J. Mengele vgl. Der Spiegel H. 48/1996, S. 260 u. Holger Zierdt: Nicht ahnen, sondern wissen. Genetik und Genealogie arbeiten Hand in Hand, gemeinsam lösen sie historische Rätsel, in: Ahnenforschung 1 (2004), S. 27–33. Vgl. Der Spiegel H. 10/1996, S. 100f., dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. November 1996, S. 9, desgl. Der Tagesspiegel vom 29. November 1996, S. 27. Vgl. Bernd Brinkmann: Das Rätsel Ludwig XVII. ist gelöst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. April 2000, S. 9. Vgl. dazu den Bericht im Spiegel H. 13/1996, S. 162–175, speziell zur Gen-Archäologie von Svante Päabo, S. 164 f.
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Homo sapiens gepaart hat oder nicht, ließ sich aus dem Kern-Genom des europäischen Frühmenschen bisher nicht erweisen42. Kommerziell kann man sich dagegen heute schon transatlantische Verwandtschaften mit bestimmten Personen durch ein Testverfahren bestätigen lassen, etwa durch die Firma Sorenson Bioscience in Salt Lake City, wenn auch immer noch nicht die Vererbung einzelner Persönlichkeitsmerkmale – was für die Eliteforschung wertvoll wäre43. Schon jetzt arbeiten historische Familienforschung und biologische Abstammungsgeschichte einander zu; somit steht der von beiden profitierende Genealoge keineswegs „erneut vor der Frage“, ob er die eine oder andere zur Aufhellung von Ursprungsfragen betreiben soll, denn das lässt sich höchstens fallweise beantworten. Auch aktuell sollen Gentests für bzw. gegen Einwanderer eingesetzt werden; so plant jedenfalls das französische Ministerium für Immigration z. Zt. die Einführung solcher Tests zum Vaterschaftsnachweis im Rahmen der Familienzusammenführung aus afrikanischen Ländern, in denen die Zivilstandesämter nicht ausreichend funktionieren44. Neben der Rekonstruktion von Familien durch die Genealogie wird heute immer öfter an der Realproduktion von Familien nach Wunschvorstellungen von (Ehe-) Paaren gearbeitet, einschließlich der Geschlechtswahl. Ihre Mittel sind die der gentechnisch gestützten Reproduktionsmedizin, die der Philosoph Peter Sloterdijk treffender „Anthropotechnik“ nannte. Dabei handelt es sich einmal um die asexuelle Reproduktion auf dem Wege einer – 1978 erstmals bei der in London gebürtigen Louise Brown geglückten – In-Vitro-Fertilization (IVF), also der sogen. Herstellung von Kindern im Reagenzglas um sterilen Paaren zu helfen (durch Samen oder Ei eines/r Dritten). Doch das Geschäft mit der künstlichen Befruchtung, Samenbanken, Eispenden und Leihmüttern hat sich in Kalifornien bereits zur Wachstumsbranche entwickelt; der ZDF – Film „Frozen Angels“ (2006) berich-
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Zur Institutsarbeit vgl. u. a. Macus Anhäuser: Gene auf Wanderschaft, in: Max Planck Forschung 2006, H. 4, S. 26–30, zum Dementi: Der Tagesspiegel v. 12. September 2007, S. 31. Fa. Sörenson, Salt Lake City b. Geo. Die ebenfalls von James L. Sörenson aufgebaute Fa. Decode Genetics bereut auch in Reykjavik die medizinisch-genetische Datenbank von 270.000 Isländern; dadurch können Krankheiten über bis zu 50 Generationen zurückverfolgt werden, d. h. bis zur Erstbesiedelung der Insel. Vgl. Rolf Froböse: Amerikaner suchen ihre Wurzeln, in: Die Welt vom 3. April 2000 und im Spiegel H. 28/1998, S. 142–144 den Genetik-Bericht: „Peep-Show im Wikingerreich. Islands einzige Biotechnikfabrik möchte nicht mehr nach Genen suchen. Mit einer kommerziellen Datenbank will sie alle Patientendaten des Landes an Pharmafirmen vermieten. Kritiker fürchten um den Datenschutz und sehen sich einem genetischen Überwachungsstaat nahe“, S. 142. Joseph Hanimann: Nur den Kindern zuliebe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20. September 2007, S. 39.
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tete45 darüber: 500 000 eingefrorene Embryonen (bei –196 Grad) werden in den Vereinigten Staaten von Amerika in etwa 400 Reproduktionskliniken konserviert; genug, um eine ganze Stadt zu bevölkern. Die Reproduktionsmedizin hat durch ihre Erfolge sogar die Familienforschung in Verwandtschaftsverwirrung gestürzt oder wenigstens vor neue Darstellungsprobleme gestellt, wenn sie den genetischen vom sozialen Vater oder die Leihmutter von der „richtigen“ unterscheiden wollte; wer kann hier noch von „eigenen“ oder fremde Kindern sprechen46. Nun läßt sich durch einen Gen-Test auch prüfen, ob im Reagenzglas gezeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib frei von einzelnen Erbkrankheiten sind; solche Tests sind heute bei etwa 3500 Krankheiten möglich. In Deutschland ist allerdings eine Embryonen-Selektion verboten, um die Geschlechtsauswahl zu verhindern, die dadurch gleichfalls möglich wäre, doch bemüht sich die Charité in Berlin (Karl Sperling) bereits um die Zulassung der sogen. Präimplantationsdiagnostik (PID). Das Thema bleibt also ein Dauerbrenner, denn inzwischen ist es erstmals im September 2007 amerikanischen Forschern gelungen, das private Erbgut eines einzelnen Menschen, nämlich des bekannten US-Genetikers J. Craig Venter, quasi sein genetisches Selbstbildnis, komplett zu bestimmen (= 32 Millionen DNS-Abschnitte mit 20 Milliarden biochemischen Buchstaben), wobei alle Erbträger bzw. Chromosomensätze vom Vater wie von der Mutter (also 2 mal 23) erfasst wurden. Das ergaben bis zu sieben Mal größere Unterschiede im individuellen Erbgut von Mensch zu Mensch als 2001 im öffentlich geförderten Genom-Projekt mit dem genetischen Material mehrer Menschen angenommen wurde. Nach einem im selben Monat in Berlin veröffentlichten Bericht zur „Gendiagnostik in Deutschland“ des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik soll die Sequenzierung des menschlichen Genoms – also nicht nur für J. Craig Venter – , sondern für Normalbürger, schon in einigen Jahren für 1000 Euro zu haben sein. Damit lassen sich auch Venters Therapieziele, nämlich krankheitsauslösende Gene zu verbessern oder zu beseitigen („auszuschneiden“), nicht mehr als eugenische Phantastereien abtun47.
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Heike Hupertz: 500 000 eingefrorene Embryos, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4. September 2006, S. 36. Vgl. Der Spiegel H. 10/1996, S. 100f., dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. November 1996, S. 9, desgl. Der Tagesspiegel vom 29. November 1996, S. 27. Zu Craig Venters Veröffentlichung in Plos Biology vom 4. September 2007, S. 28 vgl. dazu Hartmut Wewetzer: Vier Millionen kleine Untershiede. Der Mensch ist individueller als gedacht: Amerikanischer Erbgutforscher Venter entziffert sein Genom, in: der Tagesspiegel vom 4. September 2007, S. 1 u. ders.: Genetisches Selbstporträt, ib. S. 28, ferner Cord Riechelmann: : Was steht wirklich in den Genen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. September 2007, Z 5. Zum Bericht „Gendiagnostik“ vgl. Adelheid Müller-Lissner: Gentests für jedermann, in: Der Tagesspiegel vom 5. September 2007, S. 28.
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Bedrohlicher erscheinen genetische Szenarien, die aber m. E. gleichfalls in ein Perspektivenreferat zur Genealogie gehören, nämlich mit geklonten „Kindern“, bei denen sich „Abkunft und Replikation nicht mehr von einander unterscheiden“48 lassen, so dass die Begriffe Identität und Verwandtschaft künftig unbrauchbar zu werden scheinen. Das in Deutschland verbotene reproduktive Klonen, dessen Motive bis zum Wunsch der Wiederkehr bzw. der eigenen Unsterblichkeit des Spenders reichen, würde ja die Herstellung eines genetisch identischen Organismus bedeuten, bei dem ein Zellkern, der das Genom enthält, in eine Eizelle eingesetzt wird. Das „Kind“ wäre dann ein komplettes genetisches Faksimile des Spenders, d. h. ohne eigene Individualität. Genetisch gesehen entstünden Doppelgänger, nämlich Zwillingsbrüder oder -schwestern, doch gehören sie schon zur Generation der Kinder. Erstmals entstünden Nachkommen, die nicht zwei biologische Elternteile, sondern nur einen haben! In der Stammtafel verdoppelten sich damit die Generationen und genetisch würden die Großeltern des geklonten Abkömmlings zu Eltern bzw. stünden immerhin in der Elterngeneration. Vollends unübersichtlich würden die Verhältnisse, wenn sich eine Mutter klonen ließe, die zuvor eigene Kinder auf natürlichem Wege zur Welt gebracht hätte: ihr jüngerer Klon wäre dann genetisch gesehen auch Mutter seiner älteren Geschwister49. Indem ich mich weiterer Spekulationen enthalte, möchte ich nur noch darauf hinweisen, dass schon das bloße Zusammenleben von Klon und Mensch durcheinandergeraten könnte, wenn Klone als „menschliche Untereinheit oder postthume Varietät aufgefasst“50 und z. B. erbrechtlich diskriminiert würden. Selbst wenn ein sterbendes Kind, ein toter Partner etc. geklont werden könnte, bliebe das neue Wesen doch stets das Wunschprodukt anderer. Noch weniger würden als Organspender geklonte Menschen (zum Zwecke des Transfers von Nieren, des Rückenmarks bei Leukämie usw.) um ihrer selbst willen „hergestellt“ werden, sondern zu Therapiezwecken instrumentalisiert. Obwohl Organspenden in unserer Gesellschaft als Zeichen menschlicher Solidarität geachtet wird, müsste die Speicherfunktion der Klone wohl ethisch verworfen werden. Die National Bioethics Advisory Commission der USA und das International Bioethics Commitee der UNESCO haben sich gegen das Therapieklonen von Humanzellen ausgesprochen, doch entschied sich bekanntlich das britische Unterhaus 1990 bereits mit großer Mehrheit für die Forschung mit menschlichen (Vor-)Embryonen, d. h. bis zum 14. Tag nach der Befruchtung. Auch diese Zukunft hat daher schon begonnen.
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Sigrid Weigel: Schnittstellen (wie Anm.13), S. 73. Lee M. Silver: Wirres Erbe und die Absurdität des genetischen Eigentums, in: Weigel (wie Anm. 41), S. 190. Henri Atlan: DNS-Programm oder Daten? Oder: Genetik ist nicht in den Genen, in: Weigel (wie Anm. 41), S. 150.
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Seit dem 5. September 2007 ist es britischen Forschern sogar erlaubt, was deutsche ins Gefängnis bringen würde, nämlich mit staatlicher Genehmigung Mischwesen aus Mensch und Tier, sogen. Chimären, zur Gewinnung von menschlichen Stammzellen zu erzeugen, die dann in entkernten tierischen auszubrüten wären (so sollen menschliche Zellkerne in Eizellen von Rindern eingepflanzt werden). Mit diesen Mischembryos wird zu Forschungszwecken in der Tat die Grenze zwischen Mensch und Tier überschritten, was zuvor in einer Bevölkerungsumfrage von 61 % der Briten gebilligt worden ist (25 % waren dagegen), ehe die Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HEFA) das Verfahren genehmigt hat. Ziel ist die Behandlung schwerer Krankheiten (wie Diabetes oder Parkinson). So wartet nun auch der Schöpfer des geklonten Schafes „Dolly“ darauf, embryonale Mischwesen zu erzeugen, denen nach sechs Tagen die begehrten Stammzellen entnommen werden können. Der Philosoph Robert Spaemann plädierte angesichts der britischen Entwicklung gegen eine Aufweichung des deutschen Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes vom 1. Juli 2002, um den Schutz des menschlichen Lebens zu sichern, der bei uns Verfassungsrang hat. Er entspricht im übrigen Kants Maxime, wonach wir alles von Menschen Gezeugte von Anfang an als Person zu betrachten haben. Der Naturwissenschaftler Hans Schöler in Münster betonte dagegen, dass ein Embryo kein Fötus sei und eine Zelle kein Mensch, so dass nun auf der Zentralen deutschen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) neuer Klärungsbedarf erwächst, um den sie nicht zu beneiden ist51. Francis Fukuyama und Franco Furger warnen bereits davor, dass die Therapieziele durch bloße Konsumentenwünsche abgelöst werden könnten und fordern zur Überwachung des reproduktiven Klonens, der genetischen Manipulation der Keimzellen, der Herstellung von Chimären zwischen Mensch und Tier und der künstlichen Zeugung von Kindern, die nicht von einem Manne bzw. einer Frau abstammen, die Einrichtung einer unabhängigen staatlichen Regulierungsbehörde52. * Nicht nur die Interpretation demografisch-genealogischen Materials ließ zu wünschen übrig, auch ist die demografische Forschung in Deutschland Robert Spaemann: Mensch oder nicht? Der „verbrauchte“ Embryo, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. August 2007, S. 33 und Hans Schöler: Ein Embryo ist kein Fötus und eine Zelle kein Mensch. Die deutsche Stammzellenforschung braucht neue Regeln: Antwort auf Robert Spaemann, in: ebenda vom 11. September 2007, S. 35. Vgl. ferner den Leitartikel von Hartmut Wewetzer: Die Chimären kommen, in: Der Tagesspiegel vom 7. September 2007, S. 1 u. ebenda von Paul Janositz / Dagny Lüdemann: Britische Chimären, Ausgabe vom 6. September 2007, S. 34. 52 Das Buch von Francis Fukuyama u. Franco Furger : Beyond Bioethics wird aktuell diskutiert in: The Hastings Center Report, H.4, Juli/August 2007. 51
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jahrelang sträflich vernachlässigt worden53. Sie galt ebenfalls als Tabuthema, das durch Hitlers biologistische „Bevölkerungspolitik“ ebenso in Verruf gekommen war wie die Genealogie. So gibt es gegenwärtig neben dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden nur wenige Lehrstühle an den Universitäten, aber seit 1996 immerhin ein Max-Planck-Institut für Demografie in Rostock mit mehr als 30 Wissenschaftlern (und einer noch höheren Zahl von Postdoktoranden), das am 1. Oktober 2004 zusammen mit der dortigen Universität begann, zusätzlich ein „Rostocker Zentrum zur Erforschung der Ursachen und Konsequenzen des demografischen Wandels“ aufzubauen. Sein Direktor, James W. Vaupel, vertrat erst kürzlich in einem Interview mit der markigen Kopfzeile: „Wer 90 Jahre alt wird, kann bis 80 arbeiten“ die Meinung, dass von den (viel zu wenigen) Babys, die 2007 in Deutschland geboren werden, „mehr als die Hälfte das 22. Jahrhundert erleben werde“54. Im historischen Vergleich wies er darauf hin, dass sich um 1840 die Schwedinnen „der weltweit höchsten Lebenserwartung“ erfreuen konnten, sie wurden nur 45 Jahre alt, während heute die „Japanerinnen mit 85 Jahren die Weltrekordhalterinnen“ seien. Nach seinen Ergebnissen gibt es keine natürliche Grenze der Lebenserwartung; sie steigt im Gegenteil bislang alle 10 Jahre um etwa 2,5 Jahre. Dieser Anstieg könnte Deutschland angesichts der geringen Geburtenzahl „retten“, denn seit 1969 (DDR) bzw. 1972 (BRD) sterben hier mehr Menschen als überhaupt geboren werden – wir befinden uns mitten in einer Bevölkerungsimplosion. Erst im August 2007 hat uns das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit der Nachricht aufgeschreckt, dass die Geburtenzahl in Deutschland auf dem niedrigsten Stand seit 1946 gesunken ist. Diese Implosion, ein (zivilisatorisches) Phänomen, führt bereits zu einem spürbaren Fachkräftemangel, dem zunächst nur durch ein verlängertes Erwerbsleben, d. h. einer erhöhten Wochen- oder Lebensarbeitszeit, entgegenzutreten wäre. Da wir den Fachkräftemangel allenfalls auf dem Sektor personalintensiver Dienstleistungen – Slogan: „Inder statt Kinder“ –, nicht aber in akademischen Berufen durch Zuwanderung abdecken können, werden wir unsere älteren Arbeitnehmer noch dringend benötigen (z. Zt. arbeitet nur ein Drittel aller Männer noch zwischen 60 und 64 Jahren). Eine Alternative dafür fehlt, wenn wir nicht unsere jüngere Pillenknickgeneration durch Mehrheitsbeschluss der älteren Babyboomgeneration dazu zwingen wollen, noch höhere Rentenbeiträge zu entrichten, um 53
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Vgl. Josef Ehmer: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 18002000. München 2004 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, 71), auch Bernhard vom Brocke: Bevölkerungswissenschaft – Quo vadis? Möglichkeiten und Probleme einer Geschichte der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, Opladen 1998 und Rainer Mackensen (Hrsg.): Bevölkerungsforschung und Politik in Deutschland im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2006. Vgl. Vaupel, in: Stuttgarter Zeitung vom 12. Juni 2004. Die beste Faktensammlung des Rostocker Instituts erschien soeben als Kompendium „Deutschland im demographischen Wandel“ und kann dort abgefordert werden.
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deren ungenügende Altersvorsorge durch Eigenkapital auszugleichen. Das erscheint nicht nur deswegen unrealistisch, weil es den viel beschworenen „Generationenkrieg“ womöglich doch noch auslösen könnte, sondern weil dadurch das wirtschaftliche Wachstum und das Realeinkommen der Bevölkerung weiter sinken würde55. Die „Bevölkerungspyramide verformt sich zur Urne“ sagt der Tübinger Ökonom Joachim Starbatty56 und Sara Harper, Direktorin des Oxford Institutes of Aging, spricht bezüglich der verlängerten Lebenszeit in einzelnen Familien, in der zunehmend noch 4 bis 5 Generationen miteinander leben, von „Bohnenstangenfamilien“57. Solche Mehrgenerationsfamilien sind heute keine Seltenheit mehr und ihre Zahl wird wachsen, doch bevorzugen sie fast immer eine eigene Haushaltsführung, also „Nähe auf Distanz“. Schon mehr als die Hälfte aller über Sechzigjährigen lebt in Eingenerationshaushalten. Späte Geburten – meist sind Erstgebärende heute 28/29 Jahre alt – fördern den Trend zur „schlanken Familie“, auch von Stief- und Patchworkfamilien. Die Motive bei der Entscheidung für oder gegen Kinder, von denen Wachstum und Wohlstand zumindest in Europa abhängen, sind noch nicht ausreichend erforscht. Obwohl sich die meisten deutschen Frauen zwei Kinder wünschen, bleiben z. B. 40 % der Akademikerinnen kinderlos. Dass eine verbesserte Betreuungsstruktur allein nicht maßgeblich ist, zeigt das Beispiel Ostdeutschlands, wo noch ausreichend Krippen- und Hortplätze etc. zur Verfügung stehen (schlechter sieht es in Frankreich aus, wo andererseits mehr Kinder geboren werden). Außer der Kinderbetreuung sind neben religiöser Einstellung weitere Faktoren wie Arbeitsplatzangebote, familiengerechte Arbeitszeit, staatliche Hilfen wichtig – Ursula v.d. Leyen sei Dank! –, aber nicht alleinentscheidend. Die Gründe für eine Fertilitätskrise liegen tiefer, nämlich nach Paul B. Baltes in der Mehrfachbelastung der 20- bis 40jährigen durch Bildung, Beruf und Familie, auch fügt er hinzu: „Das es diesen Lebensstau im jungen Erwachsenenalter gibt, ist das Resultat fehlender Reform und Weitsicht“. Es kommt also darauf an, den Lebensverlauf zu „entzerren“, um eine bessere Vereinbarkeit ohne biografische Rushhour zu erzielen, aber auf lange Sicht auch darauf, der mangelnden Wertschätzung von Kindern in der Gesellschaft entgegenzuwirken (in Wertkollission mit der Selbstverwirklichung), doch solche Einstellungen 55
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Herwig Birg: Generationenstreß, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. April 2004, S. 39., vgl. auch von dems.: Unser Verschwinden würde gar nicht auffallen. 14 Richtigstellungen von 13 Legenden über die demographische Entwicklung Deutschlands, in: ebenda v. 28. Juni 2006, S. 43. Joachim Starbatty: Die Bevölkerungsurne. Höheres Alter heißt mehr Arbeit in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7. Juni 2004, S. 39. Juliane Roloff: Die Wahrheit in der Bohnenstange. Der Vier-Generationen-Kleinfamilie wird die Zukunft gehören, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14. September 2004, S. 37.
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sind fast ebenso schwer und nur allmählich zu beeinflussen wie demografische Entwicklungen.58 * Am Schluss dieser Tour d’horizon kehre ich zu meiner anfangs geäußerten Kritik an der Arbeitsweise vieler Genealogen in zwei Punkten zurück: 1. Da vielen Ahnenforschern eine wissenschaftliche, in den meisten Fällen aber eine historische Ausbildung fehlt, fallen sie leichter auf Praxisratgeber wie „Ahnenforschung online für Dummies“59 herein, die zwar brauchbare Tipps zum Datensammeln geben, aber „jenseits der Kirchenbücher“60 nicht viel bieten. Es kommt jedoch für anspruchsvolle Genealogen darauf an, Einzelschicksale im historischen Kontext zu erforschen, die Lebenswelt der Ahnen kennenzulernen und dafür z.B. Kriminalakten, militärgeschichtliche Quellen, Urbare oder Nachlässe in den Archiven nicht nur als „Nebenprodukte“61 wahrzunehmen, sondern sie wirklich zu benutzen und dann zu zitieren62. Es geht in der Genealogie nicht allein um Daten, sondern auch um ihr kulturgeschichtliches Umfeld, drastisch ausgedrückt darum, wieder Fleisch auf den Knochen unserer Vorfahren zu bilden! 2. Meine Anfangskritik bezog sich aber auch schon auf die ungeprüften Übernahme und Weitergabe familiengeschichtlicher Angaben aus zweiter, nämlich der (Netz-) Hand zurück. Sie ist jetzt berechtigt, da der Quellenzugriff aus erster Hand für Genealogen wie für Demographen auf primäre Massendaten , also auf Standesamtsregister und Einwohnermeldedateien, nicht länger von einem rigorosen, ja überholten Datenschutz behindert wird; ein solcher Datenschutz war forschungsfeindlich., 58
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Paul B. Baltes: in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.4.2004, S 9. – Eine aktuelle Fallstudie, nämlich ein demografischer Vergleich aller deutschen Landkreise zeigt, dass große Unterschiede bestehen, aber nur wenige wirklich „lebensfähig“ bzw. überlebensfähig sind; der Kreis mit den besten Zukunftsaussichten für junge Familien ist. z. Zt. der von Eichstätt mit stark katholisch geprägter Bevölkerung, was für die höhere Geburtenrate von Belang sein könnte. Vgl. Der Süden hat die Zukunft noch vor sich. Eine Studie des Berlin-Instituts für Demographie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. April 2004, S. 9. Matthew L. Helm / April Leigh Helm: Ahnenforschung online für Dummies. Bearbeitung und Übersetzung aus dem Amerikanischen von Birgit Wendt. 2. Aufl. Weinheim 2004. Volker Trugenberger (Hrsg.): Genealogische Quellen jenseits der Kirchenbücher. 56. Deutscher Genealogentag in Leonberg 2004. Stuttgart 2005. Joergens (wie Anm. 6), S. 61. Vgl. Bettina Joergens / Christian Reinicke (Hrsgg.): Archive, Familienforschung und Geschichtswissenschaft. Annäherungen und Aufgaben. Düsseldorf 2006 (= Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, 7).
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er musste zur Geschichtslosigkeit führen und die Erinnerungskultur, die Deutschland so bitter nötig hat, beschädigen. Das hatte 1998 sogar die Bundesregierung erkannt und eine Neuregelung der Schutzfristen von Akten in Aussicht gestellt, nach deren Ablauf diese Quellen nicht mehr gelöscht, sondern „entwidmet“ und beispielsweise wie in Polen zu Archivgut erklärt werden können, damit sie nach Ablauf einer Schutzfrist von 30 Jahren „vorlagefähig“ sind. Aber es hat immerhin acht bis zehn Jahre gebraucht, bis sich diese Einsicht endlich Bahn brach und der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts mit den Stimmen der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD am 9. November 2006 verabschiedet hat. Damit ist „eine der für Genealogen wichtigsten politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte“ (Richau) gefallen, mit der die Nutzung der Standesamtsbücher liberalisiert und die deutsche Genealogie überhaupt wieder „zukunftsfähig“ gemacht wurde. Da dieses Gesetz erst in einem guten Jahr in Kraft tritt, nämlich am 1. Januar 2009, wird die verbleibende Zeit hoffentlich von den Ländern für die Einrichtung weiterer Personenstandsarchive genutzt, die auf die Aufnahme solcher Massenakten vorzubereiten sind. Ihre Verfilmung durch die Mormonen müsste ebenso geprüft werden, wie die Langzeitverfügbarkeit digitaler Register, die 2013 eingeführt werden sollen63. Ich möchte dieses Standort- und Perspektivenreferat mit der für das Fach „Genealogie“ charakteristischen Bandbreite von Themen nicht nur mit dem Dank für Ihre Aufmerksamkeit, sondern ausnahmsweise mit einem „Hoch“ auf denjenigen beschließen, der entscheidend zu diesem Meilenstein genealogischer Gesetzgebung beigetragen hat oder anders ausgedrückt, der als Interessenvertreter der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände das Schlimmste in den mangelhaften Referentenentwürfen der Bundesministerien verhindert hat, indem er sie ausputzte, – das war unser rastloser Vorsitzender, Dr. Hermann Metzke.! Obwohl er im Dezember 2007 70 Jahre alt wird, möchte ich daher die Hoffnung aussprechen, dass er im Interesse aller, die mir zuhören, noch möglichst lange dieses Amt versieht, – die DAGV und die deutsche Familiengeschichtsforschung, um die er sich verdient gemacht hat, wird es ihm danken.
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Martin Richau: Nutzung der Standesamtsbücher liberalisiert, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 17 (2006), S. 98–102, vgl. auch von dems.: Neueste Entwicklungen im Personenstandsrecht, ebenda, S. 1–4.- Josef Heinzelmann: Zur Reform des Personenstandsgesetzes, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 11 (2007), S. 164–169.
Sozialgenealogie und Historische Demographie, Prosopographie und Biographieforschung Zur Diskussion der Begriffe* Während uns Historische Hilfswissenschaften wie die Diplomatik, die Heraldik oder die Numismatik die Kenntnis von Quellengruppen vermitteln1, die wie Urkunden, Wappen oder Münzen Produkte menschlicher Tätigkeit sind, befaßt sich die Genealogie als einzige mit dem Menschen selbst. Allerdings nur in einem eingeschränkten Sinne: „Genealogie“ kommt bekanntlich aus dem Griechischen „geneá“ (= Geschlecht, Familie, Stamm, Nachkommenschaft) bzw. „genealogeín“ (= die Abstammung angeben, erforschen) und bedeutet Geschlechterkunde. Auch wenn sie „in jedem Fall von einer Bezugsperson“2 (Individualgenealogie) ausgeht, so sieht sie doch den Menschen vor allem als Glied einer Geschlechterkette an, also als Sohn oder Vater, als Tochter oder Mutter, als Verwandten schlechthin; sie forscht entweder rückwärts, indem sie seine Vorfahren (Aszendenz), oder vorwärts, indem sie seine Nachfahren (Deszendenz) ermittelt. Auch wenn diese ältere Definition, wonach „Genealogie die Lehre von den auf Abstammung beruhenden Zusammenhängen zwischen Menschen“ ist3, keineswegs überholt ist, erscheint sie doch erweiterungsbedürftig, da sich die Genealogie längst auch mit dem Einzelnen „in seiner familiären und biologischen, seiner ständischen und sozialen Verstrickung“ befaßt4.
I Am weitesten hat sich die Individualgenealogie daher seit den siebziger Jahren in Deutschland (in Frankreich, England und den U.S.A. bereits in den * 1
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Erstmals erschienen in: Genealogie 45 (1996), S. 129–138. Vgl. Friedrich Beck/Eckart Henning: Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung. Weimar 1994 (= Veröffentlichungen aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, Bd. 29). Margarete Joachim: Arbeitsweise des Familienforschers, in: Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, hrsg. von Wolfgang Ribbe und Eckart Henning, 11. Aufl. Neustadt/Aisch 1995, S. 21–27, hier S. 21. Otto Forst de Battaglia: Wissenschaftliche Genealogie. Eine Einführung in ihre wichtigsten Grundprobleme, Bern 1948, S. 10. Karl E. Demandt: Standortbestimmungen der Genealogie, in: Herold-Jahrbuch 2 (1972), S. 5–16, hier S. 6.
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Sechzigern) der von Walter Schaub so bezeichneten Sozialgenealogie5 geöffnet, während Hermann Mitgau – ein Schüler Alfred Webers – zutreffender noch, wenn auch weniger knapp, von „genealogischer Soziologie“ oder von der „Genealogie als soziologischer Struktur- und Vererbungslehre“ sprach6. Sie ist bereits 1972 u. a. von Friedrich Wilhelm Euler, Hermann Mitgau selbst und Gerd Wunder erstmals zusammenfassend in einem für den Verein „Herold“ in Berlin herausgegebenen Handbuch der Genealogie dargestellt worden7. Allmählich gewöhnte sich die genealogische Forschung daran, die Familie als „engsten Gemeinschaftskreis eines Blutsverbandes: Vater – Mutter – Kinder“8 nicht nur in ihrer biologisch-genetischen, sondern auch in ihrer historisch-sozialen Bedeutung zu erfassen. Auch ein Geschlecht, unter dem nicht nur herkömmlich die agnatische Abstammung bzw. Vater-SohnFolgen, sondern auch die kognatische zu verstehen wäre, da es sich ebenfalls in Mutterstämmen und Töchterketten fortpflanzt9, ist keineswegs nur als Blutsgemeinschaft, sondern auch als eine Rechts- bzw. Erben- und Traditionsgemeinschaft (Zusammengehörigkeitsgefühl, „Kinderstube“) zu begreifen. Ebenso verhält es sich mit den vaterrechtlich strukturierten Geschlechterverbänden und den Sippenverbänden, die alle Verwandten eines Probanden, also auch die mütterlichen, mit einbeziehen. Doch der Einzelne ist nicht nur Glied einer Familie, eines Geschlechts- bzw. Sippenverbandes, sondern auch in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren oder doch in eine soziale Umwelt integriert, die höchstens im Ursprung einmal mit der Großfamilie der Sippe, dem Stamm identisch war. Heute, wo sich Familie und Gesellschaft längst voneinander gelöst haben, auch wenn sie spannungsvoll aufeinander 5
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Walter Schaub: Sozialgenealogie – Probleme und Methoden, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 110 (1974), S. 1–28. Vgl. Hermann Mitgau: Zur Entwicklung der genealogischen Soziologie, in: Genealogisches Jahrbuch 5 (1966), S. 5–21, u. A. Dieck: Verzeichnis der sozialwissenschaftlichen, genealogischen und personengeschichtlichen Veröffentlichungen von Professor (em.) Hermann Mitgau, in: Norddeutsche Familienkunde 4 (1955), S. 174–180, 14 (1965), S. 39–42 u. 19 (1970), S. 303–306. Handbuch der Genealogie. Für den Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin unter Beteiligung zahlreicher Mitarbeiter bearb. u. hrsg. von Eckart Henning und Wolfgang Ribbe, Neustadt/Aisch 1972, bes. S. 185–222. Hermann Mitgau: Genealogie und Familie, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 7), S. 22. Vgl. Otto Frhr. v. Dungern: Mutterstämme. Neue Wege zur Vererbungs- und Familienforschung, Graz 1924, u. Armin Wolf: Prinzipien der Thronfolge in Europa um 1400. Vergleichende Betrachtungen zur Praxis des dynastischen Herrschaftssystems, in: Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1987, S. 233–278 (= Vorträge und Forschungen, Bd. 32) sowie Eckart Henning: Genealogie und Rechtsgeschichte. Zur Verleihung der Bardeleben-Medaille an Prof. Dr. Armin Wolf anläßl. der 125-Jahr-Feier des Herold zu Berlin, in: Genealogisches Jahrbuch 35 (1995), S. 5–9.
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bezogen bleiben, ist es Zeit, die deskriptiv oder statistisch betriebene neuere Familiensoziologie durch „induktive Längsschnitte“10 zu ergänzen und durch eine solcherart betriebene Sozialgenealogie das Verhältnis von Geburt und Klasse im Wandel der Zeiten zu erforschen. Ferner zählen Fragen der Ebenbürtigkeit und des Heiratsgutes, der sozialen Mobilität bzw. Beharrung, der Berufsvererbung, der sozialen Inzucht geschlossener Heiratskreise11 oder der Bodenständigkeit (Altansässigkeit) usw. zu den Forschungsgegenständen der Sozialgenealogie12. Es sei an dieser Stelle nicht ausführlicher auf sie eingegangen, dafür aber weiter unten auf ein „Defizit“ dieser Sozialgenealogie hingewiesen, die die in die Gesellschaft „verstrickte“ Einzelperson höchstens unzureichend erfaßt hat, bzw. aus ihrer Sicht auch gar nicht ganz erfassen konnte. Näher als jedes andere Fach scheint der Sozialgenealogie die Historische Demographie zu stehen, und das nicht nur, weil für beide die Kirchenbücher zentrale Quellen darstellen13. Als Bevölkerungsgeschichte hat es die Historische Demographie eigentlich immer schon gegeben, doch erhielt sie im Frankreich der vierziger und fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts ganz neue Impulse. Am Anfang dieser Entwicklung stand ein Artikel von Jean Meuret in der damals neuen Zeitschrift mit dem programmatischen Titel „Population“, in dem er 1946 auf nur acht Seiten den engen Zusammenhang zwischen hohen Getreidepreisen und gleichzeitig erhöhter Sterblichkeit in den Krisenjahren des Ançien Régime nachwies; so schlug er damals vor, Bevölkerungsbewegungen in Ernte-, nicht mehr in Kalenderjahren zu messen. Seine mikroregionale Untersuchung ist typisch für die Historische Demographie, deren Tätigkeit allerdings an keinen bestimmten Standort gebunden ist, denn „Menschen werden überall geboren, bilden Familien, migrieren, sterben. Und überall führt eine Administration Buch darüber, zählt sie aus verschiedenen Gründen zu verschiedenen Zeitpunkten“14. Die Historische Demographie kennt 10
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Hermann Mitgau: Genealogie und Gesellschaft, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 7), S. 189 f. Hermann Mitgau: Geschlossene Heiratskreise sozialer Inzucht, in: Deutsches Patriziat 1430–1740, hrsg. von H. Rössler, Limburg/L. 1968, S. 1–25 (= Büdinger Vorträge 1965). Aufschlußreich dafür war die von der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“ anläßlich ihres 125-jährigen Bestehens in Wien durchgeführte Podiumsdiskussion im Oktober 1995, die allerdings der Begriffsdiskussion wenig zugeneigt war, bzw. die Sozialgenealogie (wie Michael Mitterauer) als völlig selbstverständlich hinzunehmen schien, wobei man sich offenbar noch an Walter Schaub, aber nicht mehr an Hermann Mitgaus grundlegende Beiträge erinnerte. Vgl. Arthur Erwin Imhof: Sozialgeschichtliche Familienforschung, in: Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, hrsg. von Wolfgang Ribbe und Eckart Henning, 10. Aufl. Neustadt/Aisch 1990, S. 44–81. Arthur Erwin Imhof: Einführung in die Historische Demographie, München 1977, S. 9.
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keine Umrechnungsprobleme wie die vergleichende Lohn-Preis-Forschung, benötigt keine Historische Metrologie für die Quellenauswertung, da Geburt und Tod „über die Jahrhunderte hinweg und in allen Ländern die gleichen simplen Sachverhalte“ bezeichnen15. Ihre wichtigste Quelle sind, wie erwähnt, die Kirchenbücher, denen gegenüber sie zwei Methoden anwendet: a) die nichtnamentliche oder aggregative Methode, die Geburten, Heiraten und Sterbefälle einfach auszählt und interpretiert, b) die Familienrekonstruktionsmethode, die die Angaben zu einzelnen Personen familiär ordnet. Die erste Methode bearbeitet demographische Strukturen in einem großen zeitlichen und geographischen Rahmen (Säuglingssterblichkeit, Heiratsfrequenzen, Fertilitätsraten, saisonspezifische Varianten usw.), die zweite kleinere Einheiten16. Daraus ergibt sich, daß die historische Familienforschung (mit ihren Sondergebieten der Kindheits-, Alters- und Frauenforschung), wie sie von Demographen betrieben wird, etwas durchaus anderes ist als die der Genealogen, worauf hinzuweisen bleibt, um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Historische Demographie wertet zwar ähnliche Quellen aus wie die Genealogie, kann aber mit Ahnen- und Stammtafeln als eher zufälligen Produkten privaten Interesses einzelner Familienforscher wenig anfangen17. Die von Demographen angestrengte Familienforschung führt zu statistisch erhärteten Aussagen, sie fußt auf Durchschnittswerten (von Lebend- und Totgeburten, des Heiratsalters usw.) vieler Familien, während die von Genealogen vorzugsweise durchgeführte Familienforschung der Geschichte einzelner Familien gilt, mit denen sie sich nicht abstrakt unter Vernachlässigung von Besonderheiten, sondern unter Berücksichtigung des sozialen Wandels menschlich-individuell beschäftigt. Eine Annäherung beider Disziplinen könnte sich jedoch vollziehen, wenn Genealogen begännen, Ahnenund Nachfahrenlisten, Ortsfamilienbücher und Familienchroniken als Hauptergebnisformen ihrer Forschung nicht mehr nur kasuistisch auszuwerten, sondern neben der lokalen Totalauswertung auch überregionale, repräsentative Stichproben an ihrem Material durchführen würden, so daß künftig auch genealogische Sammlungen verstärkt zu einer Quelle der Sozial- und Bevölkerungsgeschichte gemacht werden könnten18. So war es die Leitidee einer Untersuchung von Volkmar Weiss über „Bevölkerung und soziale Mobilität“ (1993), „daß makroskopische Abläufe aus der Summe von Millionen Einzelleben bestehen. Analysiert man die Einzelleben, dann läßt sich mehr 15 16 17
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Ib., S. 9. Ib., S. 9. Ruth Hoevel: Fragen zur Lage der Genealogie heute. Vortrag auf dem Genealogentag 1989 in Bonn, in: Genealogie 44 (1995), S. 461–466. Pionierarbeit leisteten hier u. a. Jacques Dupâquier: Pour la démographie historique, Paris 1984; Ders. u. D. Kessler: La societé française au XIXe sie`cle, Paris 1992, und Volkmar Weiss: Bevölkerung und soziale Mobilität. Sachsen 1550–1880, Berlin 1993, dazu Rez. von Lupold v. Lehsten: Genealogie und Historische Bevölkerungskunde, in: Hessische Familienkunde 21 (1993), S. 329–334.
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über Ursachen und Folgen aussagen als durch bloßes Mutmaßen. Die wirtschaftlichste Methode, um das forschungsorganisatorisch zu bewältigen, ist das Erheben von Stichproben. Gezeigt zu haben, daß es – zumindest in Sachsen bis 1530 zurück – möglich sei, eine quantitative Analyse mit den Atomen und Molekülen der Geschichte, nämlich den Einzelpersonen und Familien, durchzuführen“, war sein methodologisches Ziel19. 1963 fand ein erstes Internationales Kolloquium für Historische Demographie in Lie` ge bzw. Lüttich statt, 1965 wurden in Paris die „Annales de Démographie Historique“ begründet, die als Zeitschrift die weitere Entwicklung des Faches widerspiegelten. In den Folgejahren nahm die sozialgeschichtliche Familienforschung einen geradezu stürmischen Aufschwung, man denke an die Veröffentlichungen in der Spezialzeitschrift „Journal of Family History“ (begründet 1975) oder auch an die „Bibliographie zur Familiengeschichte“ von Herrmann/Renftle/Roth20. Inzwischen liegen nicht nur französische oder englische, sondern auch viele historisch-demographische Studien in deutscher Sprache vor21. Der erst im November 1995 gefaßte Entschluß, ein eigenes „Max-Planck-Institut für demographische Forschung“ unter der Leitung des gebürtigen Amerikaners James Walton Vaupel (z. Zt. Odense/Dänemark) zu gründen, steht daher keineswegs am Anfang, sondern eher am Ende einer Entwicklung, die es in Deutschland zu fördern gilt, wo es bisher nur Lehrstühle in Bamberg, Berlin und Bielefeld gibt. Das neue Institut, das eine breite interdisziplinäre Grundlage erhalten soll, wird in drei Abteilungen – methodisch gesehen – einem Konzept der Wechselwirkungen von Makro- und Mikroanalysen folgen. Inhaltlich werden fünf Schwerpunkte gebildet, die die Institutsarbeit prägen sollen: die Erklärung generativer Zusammenhänge, die Mortalitäts- und Morbiditätsforschung, Migrationsphänomene, Zusammenhänge zwischen der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung, aber auch sozialer Sicherungssysteme und schließlich die Erforschung der Bevölkerungsentwicklung im vereinten Deutschland22. Zu den ersten aufsehenerregenden Ergebnissen der Historischen Demographie gehörte der Befund, daß der u. a. von Wilhelm Heinrich Riehl (1855) begründete Mythos vom Vorherrschen der Großfamilien in vorindustrieller Zeit23 sich angesichts historisch-statistischer Analysen nicht aufrechterhal19 20
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Weiss (wie Anm. 18), S. 216. Ulrich Herrmann/Susanne Renftle/Lutz Roth: Bibliographie zur Geschichte der Kindheit, Jugend und Familien, München 1980. Zur Einführung geeignet Michael Mitterauer/Reinhard Sieder (Hrsg.): Historische Familienforschung, Frankfurt/M. 1982, desgleichen William H. Hubbard: Familiengeschichte, Materialien zur deutschen Familie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, München 1983. Vgl. MPG-Presseinformation 7/95 (27) v. 17. November 1995. Wilhelm Heinrich Riehl: Die Familie, Stuttgart 1855 (= Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 3).
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ten ließ24. Das moderne Interesse an diesem Thema scheint mit nachweisbaren familiären Auflösungserscheinungen zusammenzuhängen, zumal die Bedeutung der Heirat bzw. der Ehe als Institution nachläßt und es zumindest fraglich erscheint, ob sich der Prozeß der Abgabe von Familienfunktionen an übergeordnete Sozialgebilde (nicht nur an den Staat) noch umkehren läßt25. Es scheint so, daß wir in Europa nach dem Zurückdrängen der drei Übel Krankheit, Hunger und Krieg eine größere Lebenssicherheit gewonnen haben (höheres Greisenalter), die die alte Gemeinschaftsform „Familie“ nicht mehr zum Überleben braucht. Diese Funktionsentlastung gefährdet sie, zumal unsere hochentwickelte Gesellschaft den Egoismus als weitere Erosionskraft fördert. Die Familie als Notgemeinschaft von einst wandelt sich immer mehr zu einem freiwilligen Verbund von Individuen, die ihre Interessen (Selbstentfaltungswerte) untereinander abzustimmen versuchen; an die Stelle der „Einfügungsdisziplin“ tritt bestenfalls die Selbstdisziplin26. Aus dauerhaften Familien werden häufiger Familien auf Zeit mit „Lebensabschnittsgefährten“; aus kindlicher Sicht entstehen „Mehrelternfamilien“ durch Heirats- und Scheidungsketten, bzw. eine sogenannte PatchworkFamilie. Daneben bilden sich fragile, postfamiliale Vor- und Nebenformen ohne Trauschein bis hin zum „living apart together“27. So könnte die Familienforschung selbst immer mehr zu einem Gegenstand historischer Analyse werden.
II Da die Sozialgenealogie zwar besser den Familien, aber weniger dem einzelnen Menschen in seinem historischen Rollenspiel gerecht zu werden vermochte, entstand hier – systmatisch gesehen – ein disziplinäres Vakuum, das erst die Prosopographie auszufüllen begann. Entwickelt für die Alte Geschichte, stellt sie keine neue und keine auch nur mediävistisch einsetzbare Verfahrensweise dar. Der postantike Begriff „Prosopographie“ scheint erstmals im Titel des von Justin Goebler herausgegebenen Werks „Prosopographiarum libri quatuor, in quibus personarum illustrium descriptiones aliquot seu imagines ... continentur“ (Mainz 1537) und in der „Prosopographia heroum atque illu24
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Arthur E. Imhof (wie Anm. 13), S. 44. Vgl, von dems. Autor: Historische Demographie I und II, CD-Rom-Ausgabe, München 1996 (mit Bibliographie = Teil E). Vgl. Michael Mitterauer/Reinhard Sieder: Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, 3. Aufl. Neuwied 1985. Elisabeth Beck-Gernsheim: Auf dem Weg in die postfamiliale Familie. Von der Notgemeinschaft zur Wahlverwandtschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (= Beilage zum Parlament) 29/30 (1994), S. 3–14. Thomas Gensicke: Wertewandel und Familie. Auf dem Weg zu „egoistischem“ oder „kooperativem“ Individualismus? (wie Anm. 26), S. 36–47.
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strium virorum totius Germaniae“ (Basel 1565) des Heinrich Pantaleon vorzukommen. Er fand aber erst im späten 19. Jahrhundert auch Eingang in die wissenschaftliche Forschung, als die Preußische Akademie der Wissenschaften kürzere biographische Materialsammlungen unter der Bezeichnung „Prosopographia Imperii Romani“ von Elimarus Klebs (Berlin 1897) veröffentlichte und der Mediävist Theodor Mayer in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts in einer Rezension vorschlug, auch eine deutsche Prosopographie zu bearbeiten. Doch wirkliche Anwendung fand die Prosopographie eigentlich erst nach dem 2. Weltkrieg in der Mittelalterforschung (Gerd Tellenbach, Karl Schmid) und allmählich auch in der Neuzeitforschung, in England besonders gefördert durch Sir Lewis Bernstein Namier (daher auch englisch Namierizing bzw. Namierism, französisch Namierisation)28. Die Prosopographie erscheint seit den frühen siebziger Jahren in den Programmen der Deutschen Historikertage, seit 1990 etablierte sie auch der Verband Österreichischer Geschichtsvereine, gefördert von Hanns Jäger-Sunstenau, neben Genealogie und Heraldik in einer eigenen Sektion bzw. Subsektion des Historikertages29. Wie forschungsgeschichtlich bereits angedeutet, verstehen wir unter Prosopographien keine biographischen Sammelwerke mehr schlechthin, sondern teils weniger, teils mehr: Prosopographien stellen nämlich „für bestimmte zeitlich oder sachlich geordnete Personengruppen das Material zusammen und machen es, kritisch gesichtet, der Forschung zugänglich“30. Es geht also um die Erfassung und Beschreibung ganz bestimmter Personen (Plural!) bzw. von Personengruppen. Prosopographie meint also nicht die spezielle Biographieforschung, auf die unten näher einzugehen sein wird, sondern hat ein anderes Erkenntnisziel; Prosopographie und Biographie stehen „ursprünglich in einem wesensmäßigen Gegensatz“31. Zugespitzt kann man sagen, daß auch Gerd Tellenbachs quantitativer Hinweis auf eine schlechte Quellenlage für die Zeit vor 1200, die die Anfertigung von Biographien noch nicht erlaube32, das Problem qualitativ verfehlt, denn der Prosopogra28
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Friederike Hillbrand-Grill: Ein neues Forum der Personengeschichte, Wien 1922, S. 1–3 (= Österreichisches Biographisches Lexikon, Schriftenreihe H. 2) Vgl. auch als Kurzfassung die Zusammenfassung des in Anm. 29 genannten Vortrages. An der prosopographischen Erweiterung der damals durch Hanns Jäger-Sunstenau geleiteten Sektion hatte dieser entscheidenden Anteil. Zum Begriffsinhalt vgl. die Kurzfassung des Vortrags von Friederike Hillbrand-Grill: Einführung in die Prosopographie (Biographik), in: Bericht über den 18. Österreichischen Historikertag in Linz 25.–28.9.1990 = Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Geschichtsvereine 27 (1991), S. 313–317. Hermann Bengtson: Einführung in die Alte Geschichte, 3. Aufl. München, 1959, S. 152. Hillbrand-Grill (wie Anm. 28), S. 3. Gerd Tellenbach: Zur Bedeutung der Personenforschung für die Erkenntnis des früheren Mittelalters, in: Ausgewählte Abhandlungen, Bd. 3, Stuttgart 1988, S. 944, 946.
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phie geht es nicht (nur) um die Materialerfassung auf den dürren Böden des biographischen Vorfelds, sondern um die analytische Auswertung der von ihr erstellten Sammel- oder Kollektiv-„Biographien“, also eben nicht um Geschichte einzelner Personen auf verdünnter Materialbasis, sondern unter ganz genau umschriebenen Gesichtspunkten. Sie läßt sich definieren als „Sammlung und Verzeichnis aller Personen eines nach Zeit und Raum abgesteckten Lebenskreises“33, d. h., es kommt auf deren Beziehung zueinander an, auf ein „gemeinsames Kriterium“, ohne das es keine Verflechtung- oder Netzwerkanalyse unter Einbeziehung der Genealogie geben kann. Aus genealogischer Sicht bildet die Prosopographie heute eine Art Hilfsdisziplin, die vor allem als „Methode hervorgetreten ist, in dem Bemühen, das Individuum in seinen Bezügen, die Einbindung in die Gruppe und deren soziale Strukturen sichtbar zu machen, also über Ermittlung von Herkunft, Besitzbildung, Konfession und persönlichem Umfeld, das Gefüge von Gruppen, etwa von Adelsgesellschaften, Bruderschaften, Gilden, Zünften, Vereinen, Parteien und politischen Gruppierungen zu erfassen“34. Die Prosopographie gilt daher als ein immer „noch nicht ausgeschöpfter Neuansatz der Genealogie“35. Im Grenzgebiet zwischen der Sozialgenealogie und einer stärker kulturgeschichtlich getönten Prosopographie stellt die Erforschung der historischen Führungsschichten und Stände ein wichtiges Arbeitsfeld dar, dem sich vor allem die schon 1963 ins Leben gerufenen Büdinger Gespräche zur Sozialgeschichte und das 1967 gegründete „Friedrich-Wilhelm-Euler Institut“ in Bensheim verschrieben haben. Dieses Vorhaben wird von der Einsicht in den grundlegenden Wandel der ehedem geburtsständischen in eine nunmehr berufsständische Gesellschaftsordnung geleitet, der erst in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts zum Abschluß gekommen ist36. Neben der Untersuchung der Führungsschichten und Stände zählt die Genealogie weiterer Bevölkerungsgruppen (weltanschaulich geprägte, Handwerks- und sogenannte unehrliche Berufe, Handelspatriziat und Beamtentum, Offizierskorps, Pfarrer- oder Gelehrtenstand, Unternehmertum etc.) die ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben, zu den bevorzugten Arbeitsgebieten nicht nur der Sozialgenealogie, sondern vor allem der
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Jürgen Petersohn: Zur Forschungsgeschichte und Methode, Personenforschung im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für historische Forschung 2 (1975), S. 1. Knut Schulz: Rückblick und Ausblick nach 125 Jahren Herold, in: Vierteljahrsschrift Herold N.F. 14 (1994), S. 211–218, hier S. 217 f. Knut Schulz (wie Anm. 34), S. 217. Friedrich Wilhelm Euler: Genealogie der Führungsschichten und Stände, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 7), S 192–206 u. Ders: Genealogische Schwerpunktforschung. Ein Weg zur systematischen Erschließung genealogischer Quellen, in: Genealogie 44 (1995), S. 450–461.
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Prosopographie37. Ergänzend zu genealogischen Längsschnitten lassen sich unter Hinzuziehung prosopographischer Methoden „Gruppenbiographien“ als Querschnitte erstellen, wobei es dann darauf ankäme, deren Beziehungsnetze und Handlungszusammenhänge zu beschreiben, oder wenigstens den „gemeinsamen sozialen Nenner“ zu finden, um damit auch den Zugang zur Mentalitätsgeschichte zu eröffnen38. Ein umfangreiches Thema sozialgeschichtlicher Familienforschung stellen die Wanderungen (Ein- und Auswanderungen) ganzer Bevölkerungsgruppen dar, wo sich dann freilich Familien- und Volksgeschichte (L. v. Ranke) berühren, während die Wanderungen von Handwerkern, Studenten, Künstlern, Gelehrten etc. eher prosopographisch aufgearbeitet werden könnten. Ähnlich verhält es sich mit den Wanderungsbewegungen, die die Glaubensspaltung seit der Reformation bewirkte (Wiedertäufer, Salzburger Emigranten, Hugenotten usw.)39. Als Zwischenbilanz bleibt festzuhalten, woran Hermann Bengtson eine Warnung knüpfte: „Es bedarf keiner Frage, daß die prosopographische Methode der Altertumswissenschaft, die sich andere Wissenschaften zum Vorbild genommen haben, bedeutende und bleibende Ergebnisse gezeitigt hat. Jedoch ist es notwendig, sich der Grenzen dieser Methode bewußt zu sein: wir vermögen zwar so manche Laufbahn und so manches Leben zu verfolgen – was diese Menschen, deren Daten eruierbar sind, gedacht und was sie gewollt haben, das bleibt meistens im Dunkel. Und gerade dies zu wissen wäre doch für den Geist der Zeit wichtig“40. Prosopographie (auch in Form bio37
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Vgl. die Schriftenreihe Deutsche Führungsschichten und Stände der Neuzeit, bisher 18 Bände, Darmstadt; später Limburg, heute Boppard/Rh., 1965ff., hrsg. im Auftrage der Ranke-Gesellschaft von H. Rößler, G. Franz, H. Helbig, H. H. Hofmann, K. Schwabe, K. Möckl et al., vgl. insbes. Bd. 12: Eine Zwischenbilanz, Limburg 1980 (mit Beiträgen u. a. von Theodor Schieder: Zur Theorie der Führungsschichten in der Neuzeit). Als der Geist vom Subjekt zum Objekt gemacht wurde, sprach man von Geistesgeschichte, später von „Zeitgeistforschung“ (Hans-Joachim Schoeps), jetzt eher modisch von „Mentalitätsgeschichte“; vgl. dafür zuletzt Winfried Schulze (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, Göttingen 1994, S. 8 ff. (= Kl. Vandenhoeck-Reihe, Nr. 1596), oder älter Hagen Schulze: Mentalitätsgeschichte, Chancen und Grenzen eines Paradigmas der französischen Geschichtswissenschaft, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 34 (1984), S. 247–266. Als gutabgewogenes Schlußwort zu dieser Debatte vgl. jetzt Otto Gerhard Oexle: Nach dem Streit, Anmerkungen über „Makro“- und „Mikrohistorie“, in: Rechtshistorisches Journal 14 (1995), S. 191–200. Vgl. Gerd Wunder: Wanderungen, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 7), S. 216–222. Neuere Literatur s. Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, hrsg. von W. Ribbe u. E. Henning, 11. Aufl. Neustadt/Aisch 1995, S. 148ff. u. S. 365ff. Bengtson (wie Anm. 30), S. 155 f. Sein in der 8. Auflage benutzter Begriff der „biographischen Materialzusammenstellung“ erscheint eher irreführend (S. 160).
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bibliographischer Arbeitsbehelfe) und Biographie nähern sich in der Neuzeit scheinbar einander an – die (vermeintlich) mindere der höheren Gattung, Hintergrund und Vordergrund – doch sollte ihr unterschiedliches Erkenntnisziel dabei nicht aus den Augen verloren bzw. die Begriffe nicht unzulässig miteinander vermischt werden41. Überspitzt ausgedrückt beschäftigt sich die Prosopographie eben nicht mit dem Menschen als „Einsiedler“, sondern mit dem Menschen in allen seinen sozialen Bezügen. Sie hat es mit Entwicklungsbildern von Gruppen (notfalls auch von Einsiedlern) zu tun, während der Gegenstand der Biographieforschung, das Individuum, zwar thematisch begrenzter, dafür aber noch stärker interdisziplinär angelegt ist. Tatsächlich kann die Biographieforschung, auch als auto- bzw. soziobiographische Methode, biographische Kasuistik, Life-Course-Approach bezeichnet, keinem Fach allein zugeschrieben werden. Ein ganzes Spektrum sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen (z. B. Pädagogik, Geschichtswissenschaft, Soziologie, Kriminalistik) hegt heute die Hoffnung, daß eine den „ganzen“ Lebenslauf einbeziehende Untersuchungsperspektive (also ohne die bisherige einseitige Fixierung auf das Jugendalter) methodische Impulse und Erkenntnisse mit sich bringen möge. Die Biographieforschung befindet sich immer noch „auf dem Vormarsch“: sie bildet seit der Mitte der achtziger Jahre sogar eine eigene Sektion innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, und 1988 wurde mit „Bios“ eine eigene Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History gegründet. Vieles deutet seither darauf hin, daß die Biographie „zu einer zentralen sozialen Ordnungs- und Regeldimension“ geworden ist42. Mittelbar hängt damit nicht nur die Aufwertung des „Alltags“ als wissenschaftlichem Gegenstandsbereich43, sondern auch die des Faktors „Subjektivität“ zusammen (vielleicht als kritische Reaktion auf Vergesellschaftungsprozesse). In der Soziologie unterscheidet oder unterschied man makrosoziologische Arbeitsrichtungen (gesellschaftliche Entwicklung) von mikrosoziologischen (individuelles Handeln), wobei sich die ältere empirische Forschung meist auf die eine oder andere konzentrierte. Erst in den siebziger Jahren entstand die Forderung, diese Aufteilung zu überwinden, bzw. sie nicht 41
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Auch Hillbrand-Grill (wie Anm. 28), die zunächst die Unterschiede betont, neigt dazu, obwohl sich die Prosopographie eher der Dokumentation annähert als sich biographisch aufzulösen. Martin Kohli: Wie es zur „biographischen Methode“ kam und was daraus geworden ist. Ein Kapitel aus der Geschichte der Sozialforschung, in: Zeitschrift für Soziologie 10 (1981), S. 273–293 u. Ders.: Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. Historische Befunde und theoretische Argumente, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 37 (1985), S. 1–29. Vgl. auch Werner Fuchs: Biographische Forschung, eine Einführung in Praxis und Methoden, Opladen 1984. Wolfgang Hardtwig: Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: W. Schulze: Sozialgeschichte (wie Anm. 34), S. 19–32.
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auch noch in der Theoriebildung festzuschreiben, um die Sozialstrukturen mit der Alltagsgeschichte und ihren Akteuren enger zu verbinden. Um aber nun gesellschaftliche Strukturen aus individuellen Abläufen rekonstruieren zu können, benötigt man personenbezogene Längsschnittdaten (wie sie die „Vergleichende Analyse der Sozialstruktur von Massendaten 1986–1988“ erbrachte, ein Projekt der VW-Stiftung). Folgerichtig (und zutreffend) unterscheidet die soziologische Forschung daher auch zwischen der „Biographie“ als subjektiv gedeuteter Lebensgeschichte und dem „Lebenslauf“ als objektiver Ereignisgeschichte, also Innen- und Außensicht. Unter Lebenslauf ist also keine schriftliche Kurzbiographie (wie bei Bewerbungen) zu verstehen, sondern es soll nur der Struktur- und Verlaufscharakter betont werden, weswegen Karl Ulrich Mayer statt von „Lebenslaufs“- angemessener von „Lebensverlaufs“-Forschung spricht. Ihr Ziel formuliert er als „die Abbildung und Erklärung individueller Lebenslagen und Lebensereignisse sowie gesamtgesellschaftlicher Prozesse in einem einheitlichen formalen, kategorialen und empirischen Bezugsrahmen“44. Die Lebensverlaufsforschung untersucht die Familien- und Haushaltsgeschichte, Bildungs- und Ausbildungswege, Erwerbs- und Berufskarrieren, Seßhaftigkeit und auch wieder Wanderungen. Keinesfalls kann die Biographieforschung allein als eine Domäne der Soziologie angesehen werden. Gerade dieses Fach hatte den einzelnen Menschen (von Marx bis Weber) allzulange nur als ein Produkt der Gesellschaft, bzw. seiner Umwelt angesehen, während die ältere Genealogie, soweit sie sich solchen Fragen überhaupt zuwandte, ihn für genetisch determiniert hielt. Auf diese Weise blieb das Individuum, das seine Lebensprozesse selbst gestaltet, mehr oder weniger „anstößig“, es war wissenschaftlich nicht vorgesehen und mußte – wie auch der subjektive Faktor – erst wiederentdeckt werden45. Seither hat sich die Lebenslaufsforschung allerdings stark empirisch-quantitativ entwickelt, wodurch der individuelle bzw. qualitative Faktor wiederum Gefahr läuft, überspielt zu werden; er ist vermutlich, wie auch die Ereignisgeschichte, nur in der Geschichtswissenschaft angemessen aufgehoben, die nicht nur die äußere, sondern auch die innere Lebensgeschichte beschreibt, ja den Forschungsschritt von der Person zur Persönlichkeit nicht scheut. Die Geschichtswissenschaft hat die Biographie in Deutschland gleichwohl erst in den siebziger Jahren wieder aufgegriffen, denn die in der Nachkriegszeit einsetzende Bevorzugung von Struktur- und sozialgeschichtlichen Methoden war ihrem Verständnis nicht eben günstig, da sie den Blick für 44
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Hartmann Leitner, Karl Ulrich Mayer et al.: Biographie oder Lebenslauf? Über die Tauglichkeit zweier Konzepte. Kurs Nr. 3636 der Fernuniversität Hagen 1988, Kurzeinheit 2, Einleitung. Vgl. Eckart Henning: Selbstzeugnisse, in: Handbuch der Genealogie (wie Anm. 7), S. 132–142 u. erneut in überarbeiteter Form in: E Beck/E. Henning: Die archivalischen Quellen (wie Anm. 1), S. 107–114.
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die Berechtigung des biographischen Ansatzes zunächst mehr verdunkelt als geschärft hat. Ein gewisser Auffassungswandel oder doch eine gewachsene methodenpluralistische Toleranz wurde in der Historikerzunft wohl erst um 1977/1978 spürbar, als etwa Hagen Schulze seine Kieler Antrittsvorlesung über die „Biographie in der ,Krise der Geschichtswissenschaft‘“ hielt oder Peter Berglar seinen Essay über die „Wiederkehr der Biographie“ schrieb46. * Gegenwärtig ist die Begriffsdiskussion auch innerhalb der Genealogie noch nicht beendet. Auch wenn sich die Fragestellungen von Sozialgenealogie und Historischer Demographie ebenso berühren wie die der Prosopographie und Biographieforschung, sollte man Unterschiede und Gemeinsamkeiten möglichst klar herausarbeiten. Einer solchen Forderung ist der gegenwärtige Trend in der Geschichtswissenschaft, alles in Kulturgeschichte „aufzulösen“, nicht eben zuträglich, da auch der Kulturbegriff eher diffus erscheint – worin allerdings Zyniker seinen Vorzug erblicken. Sollte freilich eine ernsthafte „Neuaneignung der gesamten historischen Kulturforschung“ seit Karl Lamprecht in Gang kommen, was überfällig wäre, und nicht nur ein oberflächlicher Streit über Mikro- und Makroformen ausgetragen werden, könnte auch die Begriffsdiskussion in der Genealogie davon profitieren bzw. sie selbst als Historische Hilfswissenschaft dazu in anthropologischer Absicht einen eigenen Beitrag leisten47.
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Hagen Schulze: Biographie in der „Krise der Geschichtswissenschaft“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 29 (1978), S. 508–518; Peter Berglar: Wiederkehr und Biographie, Vergangenheitsanschauung und geschichtliche Orientierung, in: Critico`n 49 (1978), S. 231–233. Vgl. dazu die Einleitung von Herzeleide und Eckart Henning: Bibliographie Friedrich der Große 1786–1986. Berlin 1988, S. IX–XIX, ferner Biographie und Geschichtswissenschaft, Aufsätze zu Theorie und Praxis biographischer Arbeit, hrsg. von Grete Klingenstein, Heinrich Lutz und Gerald Stourzh, Wien 1979 (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, 6). Otto Gerhard Oexle: Nach dem Streit (wie Anm. 34), S. 193. Vgl. Hartmut Lehmann (Hrsg.): Wege zu einer neuen Kulturgeschichte, Göttingen 1995 (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 1), u. Stefan Haas: Historische Kulturforschung in Deutschland 1880–1930. Geschichtswissenschaft zwischen Synthese und Pluralität, 1994.
Verwandtschaft – Erbrecht – Königswahlen Geleitwort zu Armin Wolfs ausgewählten Aufsätzen*1 „Es ist bewunderungswert, daß der Autor seine früheren, oft schwer greifbaren Aufsätze in diesen gewichtigen Bänden nicht nur einfach nachdrucken ließ, wie es meist geschieht, sondern die inzwischen erschienene Literatur auch noch eingearbeitet hat, wobei er Ergänzungen und Korrekturen in spitzen Klammern kenntlich macht. Außerdem überrascht er uns durch eine kleine Auswahl größerer Rezensionen und durch mehrere bislang ungedruckte Texte, insbesondere den großen, zusammenfassenden Einleitungsaufsatz mit dem Untertitel „Stellungnahme in einer Kontroverse“, die die Sammlung wünschenswert abrunden. Überall zeigt sich in diesen Arbeiten die von Wolfs Kritikern bemängelte und in Wahrheit höchst schätzenswerte „Detailversessenheit“, der sie sich häufig nicht gewachsen fühlten, aber auch sein Hang, den Dingen eigenständig auf den Grund zu gehen, Sackgassen und Irrwege nicht zu scheuen und gegebenenfalls frühere Positionen selbstkritisch zu revidieren. Stets sind seine gut aus den Quellen begründeten Arbeiten anregend, aber weder spekulativ noch langweilig, was mir auch frühere Studenten Wolfs aus dessen Heidelberger Lehrveranstaltungen (1985-1997) bestätigten. Sein eigenes Doppelstudium der Geschichtswissenschaft und der Jurisprudenz an den Universitäten Tübingen, Frankfurt/M., Hamburg und Poitiers (1955-1961) hat reiche Früchte getragen, ebenso wie die schon bei dem Gymnasiasten erkennbaren genealogischen Neigungen, die sich zuerst Percy Ernst Schramm zu Nutze machte, und der in den Tübinger Postdoctorial Studies (1961-1964) bei ihm von Hansmartin Decker-Hauff geweckte Blick auf die Fürstengenealogie. Deren Verbindung mit Wolfs juristischen Interessen an Erbrecht und Erbengemeinschaften wurden entscheidend für seine späteren Arbeiten, wobei er Probleme meist nicht nur in engen Fachgrenzen verfolgte, sondern sich der Quellen und Methoden aus verschiedenen Bereichen und Disziplinen bediente, nicht zuletzt der heute leider randständig gewordenen Historischen Hilfswissenschaften. Wolfs Lebensleistung zeigt, daß erst die Kombination aus Genealogie und Erbrecht das Mittelalter, das bei seinem Doktorvater Otto Brunner gar bis 1806 reichte, verstehbar macht. *
Das Geleitwort erschien 1) zu Wolfs gleichnamigen Sammelbänden mit sieben neuen und 26 aktualisierten Beiträgen. Frankfurt/M. 2013, S. V–IX (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, 283–1/2), ferner 2) in Form einer Buchanzeige, in: Herold-Jahrbuch N. F. 18 (2013), S. 307–310, der dieser Abdruck folgt.
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Im Rigorosum lautete denn auch Brunners entscheidende Frage an ihn: „Wie sah es 1356 in Europa aus?“, entscheidend nicht so sehr für das Examen (1961), sondern deshalb, weil sie gleich Wolfs ganzen späteren Lebensweg bestimmte. Bis zum heutigen Tage hat ihn die Frage nach den in der Goldenen Bulle festgelegten Königswählern nicht losgelassen. Er schickte später eine sorgfältig ausgearbeitete Antwort per Sonderdruck nach Hamburg (1968), in dem er die gemeinsame Abstammung der vier weltlichen (Kur-) Fürsten in weiblicher Linie von König Rudolf von Habsburg nachwies. Das unterschied diese deutlich von ihren Standesgenossen und erklärte, warum sich die Vertreter der Töchterstämme nicht nur, wie immer wieder betont, für ein Wahlkönigtum, sondern zugleich auch für ein erbliches Kurfürstentum entschieden hatten: „Sie wahrten damit ihr Geblütsrecht – ihre zur Königswahl berechtigende königliche Abstammung“, so daß ein „Erbkurfürsten- und Wahlkönigreich“ entstand, in dem sich dann der Gegensatz von Erb- und Wahlrecht gleichsam aufhob. Durch die Verbindung von Genealogie und Erbrecht gelang Wolf die Lösung eines vermeintlich „unlösbaren verfassungsrechtlichen Problems“ (Martin Lintzel, 1952), einer „immer noch nicht gelösten Streitfrage der Forschung“ (Walter Schlesinger, 1956), ja eines „Fundamentalrätsels der deutschen Verfassungsgeschichte“ (Hugo Stehkämper, 1973). Wolf wandte sich seit 1973 in seiner Pionierarbeit, wie andere vor ihm, zwar dem Geblütsrecht zu, aber eben nicht allein dem Wahlrecht der Gewählten, sondern auch dem der Wähler. 1978 konnte er im Max-Planck-Spiegel die Stammtafel veröffentlichen, die erstmals die gemeinsame königliche Abstammung der Königswähler und der beiden gewählten Könige von 1198 aufzeigte. Wolf erweiterte damit eine zu wenig beachtete und seinerzeit noch unzureichend belegte These von Otto Freiherrn v. Dungern, daß zur Sukzession auf den deutschen Thron „ausschließlich die Blutsverwandten berufen“ (1910) wären. Im Unterschied zu Dungern erforschte Wolf nun erstens systematisch die königlichen Töchterstämmme, zog zweitens Vergleiche mit anderen europäischen Ländern und verglich drittens Gewählte und Wähler, ferner bezog er viertens auch die nicht gewählten Königskandidaten in seine Analysen mit ein. Die Untersuchung der Consanguinitätsverbände von Töchterstämmen führte zum Erfolg. Wolf faßte die Grundgedanken 1985 in einem glanzvollen Heidelberger Habilitationscolloquium über „Prinzipien der Thronfolge in Europa um 1400: Vergleichende Beobachtungen zur Praxis des dynastischen Herrschaftssystems“ zusammen. Fruchtbare Einzeluntersuchungen klärten u. a., warum Rudolf von Habsburg König werden konnte, da er eben nicht nur „der kleine Graf“ war, sondern in weiblicher Linie von den Welfen abstammte, oder führte zur Identifizierung des früher als „mysteriös“ geltenden comes nobilissimus Kuno von Öhningen als Herzog Konrad von Schwaben oder zur Entdeckung eines in keiner Herrscherliste noch genannten, aber erwählten und schon am Tag darauf womöglich ermordeten deutschen Königs, nämlich Konrads von Teck.
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Als Ergebnis von Wolfs langjährigen genealogischen Studien erschien 1998 zur 700. Wiederkehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten seine zusammenfassende Monographie über „Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198–1298“ (2. bearbeitete Aufl. 2000), in der er seine zunächst nur an der Goldenen Bulle entwickelte These von der Erblichkeit des Königswahlrechts herleiten und erhärten konnte, vor allem aber die Ursprungstheorie aus den Erzämtern widerlegte. Hierüber hinaus führende Erkenntnisse enthält der vorliegende Sammelband bereits, nämlich die Sechs-Generationen-Regel des Sachsenspiegels – wonach das Erbrecht nach der sechsten Generation endet – und die aus einem erneuten Vergleich mit dem Hamburger Ordeelbook zu folgernde Neudatierung der „vierten Fassung“ des Sachsenspiegels mit dem für die Entstehung des Kurfürstenkollegs zentralen „zweiten Kurfürstenparagraphen“ (1, enthalten auch in Wolfs Kurfürstenartikel für das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2013). Breit angelegte europäische Vergleichsuntersuchungen, wie sie einem Referenten am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte (seit 1965) wohl anstehen und die Luxemburg (7), Frankreich (8), Schweiz, Belgien, Italien, England, Spanien, Norwegen und Polen gelten, bestätigen seine Ergebnisse überzeugend und wurden zum Teil in die betreffenden Sprachen übersetzt. Seine Nachforschungen ergaben unabhängig davon, ob es sich nun um Wahl- oder Erbreiche handelte, daß überall die Angehörigen der stirps regia sukzedierten, also stets die Nachkommen früherer Könige des jeweiligen Landes, weitgehend sogar in Polen. Für seine zahlreichen „Probebohrungen“ mußte Wolf die Quellengrundlage und seine dafür nötigen hilfswissenschaftlichen Kenntnisse gehörig erweitern: Außer den Verwandtschaftsverhältnissen der Könige und ihrer Wähler, war die Begriffsgeschichte ebenso heranzuziehen wie verschiedene Bilddenkmale und bereits 1968 das damals noch wenig beachtete Zeremoniell, ferner die Heraldik, und immer wieder mußten Kartierungen (7, 8, 21, 27, 39) vorgenommen werden, die diesem Autor freilich besonders liegen. Stets folgte Wolf in seinen Interpretationen, wie von Brunner empfohlen, der Begriffssprache der Quellen, überprüfte die Quellenzitate im Kontext und mißtraute der Sekundärliteratur gründlich. Methodisch ist hervorzuheben, daß er seine eigenen Arbeitshypothesen an Hand der Gegenargumente seiner Kritiker, wie sie vor allem Eduard Hlawitschka oder Franz-Reiner Erkens vorgetragen haben, beständig überprüft hat – was leider nicht so selbstverständlich ist, wie es klingt. Er läßt sich auf sie ein, auch wenn sie sich nicht selten als Scheinargumente herausgestellt haben, und behandelt seine Fachkollegen ritterlich (erst bei Angriffen wird sein Ton schärfer). Zu nennen sind beispielsweise die Königskandidatur Herzog Hermanns II. von Schwaben, angeblich ein Beweis für das „Prinzip der völlig freien Wahl“ und die „Ahnen deutscher Könige und Königinnen, Alternativen zu dem Werk von Eduard Hlawitschka“.
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Bevor er intensiv seine Arbeitshypothese weiterverfolgte, prüfte er sie zunächst an einem scheinbar aussichtslosen Fall, dem 1198/99 bezeugten Königswahlrecht des weitgehend unbekannten Markgrafen von Ronsberg, das in der älteren Forschung nur ganz beiläufig und oberflächlich angesprochen wurde. Kritisch überprüfte er ältere Datierungen wie z. B. der angeblich 1267 entstandenen Statuenreihe der „sieben Kurfürsten“ am alten Aachener Rathaus, in denen er den König mit den sechs „Ersten an der Kur“ des Sachsenspiegels erkannte und der vermeintlich vor 1265 in Norwegen und Island erwähnten „sieben Männer, die den Kaiser wählen sollten“, die aber nach dem Handschriftenbefund in einem später zu datierenden Teil der Hákonar saga Hákonarsonar stehen. Er analysierte die Königswähler-Stellen in den ältesten Handschriften der deutschen Rechtsbücher und datierte die Glossen des Matthaeus Parisiensis zu den deutschen Königswählern. Ebenfalls bei Martin von Troppau, den Annales Stadenses, dem Kurfürstenspruch, den Lütticher Gesta abbreviata und nicht zuletzt der Goldenen Bulle selbst ging er auf von ihm selbst eingesehene Handschriften zurück. Gründlich mußte er sich auch mit den außerhalb der salisch-staufischen Erblinie stehenden Könige Rudolf von Rheinfelden, Hermann von Luxemburg-Salm, Lothar von Süpplingenburg, Richard von Cornwall und Rudolf von Habsburg auseinandersetzen. Doch damit haben wir nur einen Teil der mediaevistischen Tätigkeitsfelder Armin Wolfs durchstreift, nämlich entsprechend seinem Schriftenverzeichnis sind es die Goldene Bulle, die Prinzipien der Thronfolge, Königswähler und Kurfürsten, Ständegeschichte und Genealogie. Nur in Fachkreisen sind Wolfs verdienstvolle Arbeiten über Gesetzgebung und Kodifikationen bisher bekannter geworden, nämlich seine Dissertation über die von ihm edierten Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter (1968/69) oder seine in 2. Auflage erschienene vergleichende Geschichte der „Gesetzgebung in Europa 1100-1500, Zur Entstehung der Territorialstaaten“ (1996). Breiteres Interesse fanden Studien über Geschichtsatlanten (1978) oder über die Anfänge der Kartographie (1997), zur Ikonologie der Ebstorfer Weltkarte (1991), doch geradezu populär machte den Autor in den Medien die geographische Analyse der Reisen des Odysseus auf Grund seiner Rekonstruktion des – auch topographisch überprüften – homerischen Weltbildes (in 1. Auflage zusammen mit seinem Bruder Hans-Helmut Wolf, 1968), die selbst als Vorlage von Filmen diente und die er in mehreren Auflagen, zuletzt 2009, immer weiter bearbeitete. Insgesamt hat Wolf außer in seiner Muttersprache auf Französisch, Spanisch, Englisch, Italienisch, Niederländisch, Schwedisch, Rumänisch und sogar Japanisch publiziert. Zur Lektüre der ungemein vielseitigen Beiträge möchte ich mit folgenden Schlußsätzen des Verfassers anregen: „In einer Welt, in der als Grundsatz galt: ,Rechtsmäßige Herrschaft ist erblich‘, bestimmten in der Regel Grundsätze des Erbrechts den Übergang von Gütern und Macht, von ,Land und Herrschaft‘, von einer Generation auf die nächste. Daher hilft genealogische Kleinarbeit, das scheinbare Chaos der zahllosen Auseinandersetzungen je-
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ner Zeit [des Mittelalters] zu entwirren. Sie kann Prinzipien erkennen lassen, die sowohl Eroberungen, Entführungen, Geiselnahmen, Verrat, Mord und Krieg, aber auch Verzicht, Bündnissen, Heiraten und Friedensschlüssen zugrunde lagen“.
Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie Zur Weiterführung der Familiengeschichtlichen Bibliographie 1945–1960* Der Antrag des Vorsitzenden der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände (DAGV), Dr. Jörg Füchtner, die Bearbeitung der seit längerem ins Stocken geratenen „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ zu fördern bzw. zunächst für den Zeitraum 1945 bis 1960 weiterzuführen, ist auf der Vorstands- und Beiratssitzung dieses Dachverbandes am 20. September 1994 in Erfurt mehrheitlich angenommen und am nächsten Tag auf der Jahreshauptversammlung beschlossen worden1. Damit griff die DAGV Bestrebungen der Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte auf, die bis ins Jahr 1904 zurückreichen, aber erst 1925 dazu führten, ein erstes Heft der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ mit der 1921 erschienenen Literatur herauszubringen. Weitere Hefte folgten rückgreifend bis 1897, um den Anschluß an die ältere Bibliographie Gundlachs2 herzustellen, andere fortschreitend, wobei die ersten beiden Bände Friedrich Wecken, alle fünf weiteren aber bis 1945 im wesentlichen Johannes Hohlfeld zu verdanken waren. Sein „bibliographischer Gesichtskreis“ war manchmal allerdings weiter gespannt als nötig, was, wie Friedrich v. Klocke meinte, „Grenzgefährdungen in sich trug“3. Von Hohlfeld bearbeitet, erschien zuletzt 1951 Band VII der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ mit der Literatur der Jahrgänge 1938–45. Nach seinem Tod (1950) trat eine Pause von fünfzehn Jahren ein, bis Heinz F. Friederichs sich der Jahrgänge 1960–62 der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ annahm, deren XI. Band in drei Teilen von 1961–63 erscheinen konnte. Seither stagnierte diese Bibliographie mit der Folge, daß der Forschungsstand auf genealogischem Gebiet auch für den Spezialisten kaum mehr erkennbar war. Auf Grund des oben genannten DAGV-Beschlusses erklärten sich Frau Gabriele Jochums als Bibliothekarin und der Autor dieses Beitrages – beide schon durch andere Bibliographien ausgewiesen – zur Bearbeitung der Jahre 1945–60 bereit. Sie haben damit am
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Erstmals erschienen in: Genealogie 46 (1997), S. 487–492. Vgl. Top 8 des Protokolls der Vorstands- und Beiratssitzung wie der Jahresmitgliederversammlung, einzusehen bei allen Mitgliedervereinen der DAGV. Gundlach, Otto: Bibliotheca familiarum nobilium. Repertorium gedruckter Familiengeschichten und Familiennachrichten. Bd 1.2., 3. Aufl, Neustrelitz 1897. Klocke, Friedrich v.: Die Familiengeschichtliche Bibliographie. Entwicklungsgeschichtliche, grundsätzliche, nachdenkliche Bemerkungen. In: Beiträge zur westfälischen Familienforschung 11 (1952) H. 1. S. 13–16, hier S. 16.
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1. Oktober 1994 begonnen und ihre Tätigkeit vertragsgemäß am 31. Dezember 1996 abgeschlossen. In Absprache mit dem Vorsitzenden der DAGV orientiert sich der neue Band überall dort, wo es sinnvoll und möglich war, an den bereits erschienenen Bänden der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“. Dabei behielten sich die Bearbeiter jedoch Abweichungen, vor allem im Bereich der Systematik, der Titelauswahl und der Form der Titelaufnahme vor. Randgebiete der Genealogie sollten durchaus berücksichtigt werden, nicht aber – wie früher – Heraldik und Sphragistik, da beide Hilfswissenschaften über eigene Fachbibliographien verfügen4. Die reine Personengeschichte bleibt als großes, aber der Genealogie nur benachbartes Sachgebiet5 ebenfalls unberücksichtigt, um das Vorhaben angesichts der Titelfülle nicht undurchführbar werden zu lassen, d. h. ein Beitrag über Goethes Ahnen wird aufgenommen, nicht aber eine reine Goethe-Biographie. Bei Kerngebieten der Genealogie wie den Kirchenbüchern als Quellen oder einzelnen Familiengeschichten, für die bereits eigene, auch den Berichtszeitraum einschließende Spezialbibliographien von Henning/Wegeleben (1991)6 oder Heinzmann/Lenhartz (1990–94)7 erarbeitet wurden, erschien es nicht angängig, den Benutzer lediglich auf diese zu verweisen. Das Titelmaterial von Henning/Wegeleben wurde daher, soweit es den Zeitraum 1945–60 betraf, in überarbeiteter Form übernommen. Mit der formal unzureichenden, inhaltlich undifferenzierten, im einzelnen auch fehlerhaften Arbeit von Heinzmann/Lenhartz war nicht so zu verfahren. Da aber die Bearbeiter u. a. Wert auf nachprüfbare Titelangaben legen, mußte neu recherchiert und gesammelt werden. Der Erfassungsraum der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ entspricht im wesentlichen dem deutschen Sprachraum, berücksichtigt also auch das österreichische Schrifttum, allerdings das schweizerische nur inso4
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Henning, Eckart/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Schrifttum Deutschlands u. Österreichs bis 1980. Köln, Wien 1984. (Bibliographien zu den Historischen Hilfswissenschaften 1) – Henning/Jochums: Bibliographie zur Sphragistik. Schrifttum Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bis 1990. Mit einem Geleitwort von Toni Diederich. Köln, Wien 1995. (Bibliographien zu den Historischen Hilfswissenschaften 2). Vgl. Henning, Eckart: Sozialgenealogie und Historische Demographie, Prosopographie und Biographieforschung. Zur Diskussion der Begriffe. In: Genealogie 45 (1996) S. 129–138. Henning, Eckart u. Christel Wegeleben: Kirchenbücher. Bibliographie gedruckter Tauf-, Trau- und Totenregister sowie der Bestandsverzeichnisse im deutschen Sprachgebiet. Neustadt a.d. Aisch 1991. (Genealogische Informationen 23) – Vgl. hierzu auch das Bestellbuch d. sog. Mormonenfilme von Christoph Lenhartz: Kirchenbücher des Ostens, Düsseldorf 1994. (Die Fundgrube 55). Heinzmann, Franz u. Christoph Lenhartz. Bibliographie gedruckter Familiengeschichten 1946–1960. Düsseldorf 1990; weitere Bde 1961–70. 1992; 1971–80. 1994. (Bibliographie z. Genealogie 3, 5 u. 6).
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fern, als Deutschland betreffende Titel aufgenommen wurden. Im übrigen sei hier auf die Arbeiten von Mario v. Moos8 verwiesen, die alle weitergehenden Wünsche erfüllen. Die Bearbeiter haben sich zunächst anhand der vorhandenen bibliographischen Zusammenstellungen (in den Jahresberichten für deutsche Geschichte“9, im „Dahlmann-Waitz“10, in den Forschungsberichten Hermann Mitgaus für die „Blätter für deutsche Landesgeschichte“11 usw.) und der Handbücher bzw. Nachschlagewerke in der Bibliothek12 des überregional ausgerichteten Vereins „Herold“ in Berlin-Dahlem (Archivstr. 11) einen Überblick über das vorhandene Titelgut verschafft, ehe sie eine Stoffgliederung entwickelten und ein Arbeitsprogramm aufstellten. Dieses erstreckte sich sowohl auf Kataloge und Bestandsverzeichnisse der Bibliotheken und Archive als auch auf die Auswertung landesgeschichtlicher und kunsthistorischer Bibliographien, schließlich auf die Durchsicht aller einschlägigen genealogischen Zeitschriften und Serien des Berichtszeitraumes (Autopsie). Nach der anschließenden Ordnung und Klassifizierung des Titelmaterials, der nochmaligen Überprüfung und Ergänzung erhielt die Stoffgliederung ihre abschließende Form, wobei sich die Systematik des vom Verein „Herold“ herausgegebenen „Handbuches der Genealogie“13 und des „Taschenbuches für Familiengeschichtsforschung“14 als besonders hilfreich erwies. Die Arbeit am Vorwort und dem Gesamtregister stand am Ende des Vorhabens, das sich als mühsamer herausstellte als anfangs angenommen, zumal sich vorhandene Bibliograpien und Hilfsmittel als recht ungleichmäßig und auch ungenau bearbeitet erwiesen; so konnten sie nur als „Schlüssel“ zu den 8
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Moos, Mario v.: Familiengeschichtliche Bibliographie der Schweiz. Bd 1.2, 2. Aufl. Zürich 1994. (Arbeitshilfen f. Familienforscher in der Schweiz 6) – Moos, Mario v.: Bibliographie für Familienforscher. Verzeichnis geschichtlicher Handbücher, gedruckter Quellen u. Hilfsmittel. Zürich 1984. (Arbeitshilfen f. Familienforscher in der Schweiz 3). Jahresberichte für deutsche Geschichte. Im Auftr. d. Deutschen Akademie d. Wiss. zu Berlin hrsg. N.F. 1 ff. Berlin 1952 ff. Neubecker, Ottfried: Genealogie. In: Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Gesch. 10. Aufl. Bd. 1. Abschnitt 21. Stuttgart 1969. Nr. 1–263. Mitgau, Hermann: Die Entwicklung der deutschen Genealogie in der Nachkriegszeit. In: Blätter für deutsche Landesgesch. 93 ff., 1957 ff. Henning, Eckart unter Mitarb, v. Petra Hauke u. Gabriele Jochums: Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin. In: Bibliographie u. Berichte. Festschr. f. Werner Schochow. München 1990. S. 34–122. Henning, Eckart u. Wolfgang Ribbe: Handbuch der Genealogie. Neustadt a.d. Aisch 1971 S. IX–XV. Ribbe, Wolfgang u. Eckart Henning: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. 8.–11. Aufl. Neustadt a.d. Aisch 1975–95. Vgl. insbes. Gliederung zur 11. Aufl. S. 9–18.
294
Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie
Quellen dienen15, nicht aber als Grundlage für Titelaufnahmen. Gegenüber der von Johannes Hohlfeld und Heinz F. Friederichs gefundenen Gliederung gibt es begründete Abweichungen, wie Vergleiche mit deren Inhaltsverzeichnissen ergeben. Die Berichtszeit reicht bis 1960, so daß es bereits zu kleineren Überschneidungen dieses Bandes mit dem Folgeband von H. F. Friederichs gekommen ist, dessen Titel bei der Fortsetzung dieser Neuen Folge der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ ohnehin kritisch gesichtet und bearbeitet werden müssen, bevor sie übernommen werden können. Neben Monographien und Aufsätzen, die immer aufgenommen wurden, soweit ihre Titel und Inhalte einen genealogischen Bezug erkennen ließen (also keine „versteckten Titel“!), konnten allerdings Kurzmitteilungen, Notizen oder Hinweise, ferner Zeitungsartikel nur in besonderen Ausnahmefällen berücksichtigt werden, d. h. nur dann, wenn es erkennbar sonst nichts zu diesem Thema gab. Auch bloße Einzelnachweise von Ahnen, z. B. in Tafel- und Tabellenwerken, in veröffentlichten Familiengeschichten usw. fehlen hier, da sie unseres Erachtens ebensowenig in eine Bibliographie gehören wie andererseits (ungedruckte) Archivbestände, insbesondere Handschriften, die in Bestandsverzeichnissen der jeweils verwahrenden Institutionen nachgewiesen werden müssen. Hingegen wurden maschinenschriftlich vervielfältigte Manuskripte, sofern sie mit Verfasser, Erscheinungsort und Jahr versehen waren, als Grenzfälle aufgenommen. Inhalt A Bibliographien und Periodika .......................................................................
I Bibliographien, Schriftenverzeichnisse, Bibliothekskataloge ............
II Zeitschriften ..........................................................................................
III Serien und Sammelwerke .....................................................................
B Quellen
I Bestandsverzeichnisse . .........................................................................
II Kirchliche Quellen . .............................................................................. 1. Kirchenbücher ................................................................................. a. Allgemeines, Überregionales .................................................... 15
Der Schlüssel. Gesamtinhaltsverzeichnis mit Ortsquellennachweisen für genealogische, heraldische u. historische Zeitschriftenreihen. Hrsg. v. Heinz Reise u. a. Bd. 1 ff. Göttingen 1950 ff.
Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie
2. 3. 4.
295
b. Landschaften .............................................................................. c. Orte . ........................................................................................... Leichenpredigten ............................................................................. Listen von Geistlichen, Pfarrerverzeichnisse ................................ Glaubensgemeinschaften ................................................................
III
Staatliche Quellen ................................................................................. 1. Personenstandsverzeichnisse .......................................................... 2. Bürgerbücher ................................................................................... 3. Einwohner- und Untertanenlisten ................................................. 4. Verzeichnisse von Land- und Hofbesitzern . ................................ 5. Matrikeln (Akademien, Universitäten, Schulen) . ......................... 6. Amtsträger- und Dienerverzeichnisse ........................................... 7. Rechts-, Finanz- und Wirtschaftsquellen ...................................... 8. Militärquellen .................................................................................. 9. Weitere Personenverzeichnisse . .....................................................
IV
Private Quellen ..................................................................................... 1. Verzeichnisse einzelner Berufsgruppen ......................................... 2. Stammbücher ................................................................................... 3. Sonstige Zeugnisse und literarische Quellen . ............................... 4. Bilder und Inschriften .....................................................................
C Darstellungen .................................................................................................
I Allgemeine und einführende Literatur . ..............................................
II Begriffe und Darstellungsformen ........................................................
III Geschichte der Genealogie ...................................................................
IV
Familiengeschichtsforschung ............................................................... 1. Landschaften, Regionen . ................................................................ 2. Orte .................................................................................................. 3. Einzelne Familien ............................................................................ 4. Vor- bzw. Nachfahren bekannter Persönlichkeiten . ....................
V Sozialgenealogie .................................................................................... 1. Familie und Gesellschaft . ............................................................... a. Familienentwicklung ................................................................. b. Führungsschichten und Stände ................................................. c. Berufe . ........................................................................................ 2. Bevölkerung ..................................................................................... 3. Wanderungen ...................................................................................
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Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie
VI Humangenetik . .....................................................................................
VII Namenkunde .........................................................................................
VIII Weitere Nachbarwissenschaften ..........................................................
IX Organisationsformen der Genealogie .................................................
Nachträge ........................................................................................................... Zu den einzelnen Gruppen A: Bibliographien und Periodika: Hier wurden selbstverständlich nur solche Bibliographien aufgeführt, die auch wirklich im Berichtszeitraum erschienen sind, obwohl für den vorliegenden Band natürlich – wie ausgeführt – alle auch später erschienenen retrospektiven Bibliographien ausgewertet worden sind. Anders als Heinz F. Friederichs zählen die Bearbeiter Bibliographien allerdings nicht zu den „Quellen“. Von den üblichen, allgemein zugänglichen Zeitschriften und Serien abgesehen, sind die Zeitschriften einzelner Familien und Familienverbände nur aufgenommen worden, soweit die Angaben nachprüfbar bzw. die Zeitschriften einzusehen waren. Zur Ergänzung und Vervollständigung für diesen und die folgenden Berichtszeiträume bitten die Bearbeiter weiter um sachdienliche Hinweise16. B: Quellen: Die Aufteilung des Titelmaterials in „Quellen“ und Darstellungen setzt zwar Akzente, doch muß wohl kaum betont werden, daß die einen gelegentlich in die anderen übergehen. So war fallweise nach dem überwiegenden Quellenanteil oder dem der Interpretation zu urteilen, wenn solche Titel nicht gleich bei Überschneidungen an beiden Stellen aufgeführt worden sind. Ähnlich verhält es sich in älterer Zeit mit kirchlichen und staatlichen Quellen, als Kirche und Staat noch nicht getrennt waren, wohl aber schon ihren unterschiedlichen Aufgaben nachgingen (B-I/B-II). An der oben erwähnten Ausgrenzung der Personengeschichte wurde festgehalten, z. B. sind keine einzelnen Leichenpredigten erfaßt worden; eine Ausnahme bilden die Adreßbücher, die nur insoweit aufgenommen wurden, wie sie im Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums bibliographisch nachweisbar waren. C: Darstellungen: Den zentralen Bereich der Bibliographie bilden die Darstellungen zur Familiengeschichtsforschung, ob sie nun überregional, nach Orten oder einzelnen Familien gegliedert sind. In C-IV-2 (und nicht bei B-II 1c) befinden sich auch die sogenannten Ortsfamilienbücher, da es 16
Mitteilungen über Titel, Herausgeber, Erscheinungsweise und Erscheinungsort der Familienzeitschrift bitte an die Bearbeiter!
Ein Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie
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sich hier ja bereits um bearbeitete bzw. aufbereitete Quellen handelt17. Die Sozialgenealogie (C-V) beginnt sich nach dem 2. Weltkrieg erst ansatzweise zu entwickeln, läßt aber bereits demographische Fragestellungen erkennen. Bei den „Berufen“ mischen sich noch solche mit „Berufungen“. Ein- und Auswanderungen ließen sich bibliographisch nicht trennen, auch kommt es hier häufiger zu unvermeidlichen Überschneidungen der Quellen und Darstellungen. Aus naheliegenden politischen Gründen stagnierte der noch bei Hohlfeld „boomende“ Bereich der Humangenetik, damals „Erbbiologie“ genannt, nach dem 2. Weltkrieg. Mit dem vorliegenden Band der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ ist es gelungen, endlich eine schmerzlich empfundene Lücke in der Berichterstattung dieser Historischen Hilfswissenschaft zu schließen18. Als „grundlegendes Instrumentarium aller Wissenschaften“ (Toni Diederich)19 möchte die Bibliographie nicht nur der Belebung der genealogischen Forschung im Speziellen dienen, sondern auch der Prosopographie, der Biographieforschung und der Demographie sowie den Historischen Hilfswissenschaften wie der Heraldik, Sphragistik, Ikonologie und Nachbarwissenschaften wie der Landes- und Kulturgeschichte ihre Ergebnisse in geeigneter Form zur Verfügung stellen und damit die Arbeit der Familienforscher und Sammler, genealogischer Vereine, historischer Seminare und Institute, der Archive, Museen und Bibliotheken unterstützen. Hoffen wir, daß es der DAGV möglich sein wird, auch für die Fortsetzung der Neuen Folge dieser Bibliographie bis in die Gegenwart zu sorgen.
17
18
19
Weiss, Volkmar u. Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. Leipzig 1996. 394 S. (Bestandsverzeichnis d. Deutschen Zentralst. f. Genealogie in Leipzig. T. 4 = Genealogischen Informationen, 28). Henning, Eckart: Begriffsplädoyer für die historischen „Hilfs“wissenschaften. In: Herold Jb. N.F. 1 (1996) 13–23, hier 15. Vgl. auch Beck, Friedrich und Eckart Henning: Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung, 2. Aufl. Weimar 1994. Diederichs, Toni: Geleitwort zu Henning/Jochums: Bibliographie zur Sphragistik. S. VI; s. Anm. 4.
„Das Unsichtbare sinnfällig machen“ Zur Erinnerung an Percy Ernst Schramms „Herrschaftszeichen“* Als 17jähriger Gymnasiast habe ich den 1970 verstorbenen Percy Ernst Schramm in (West-)Berlin noch erlebt, als nämlich mein Geschichtslehrer seine Klasse in Dahlem „zusammentrommelte“, um sie geschlossen in die Schöneberger Sophie-Scholl-Schule zu führen. In der dortigen Aula bot die Heimatzentrale für politische Bildung den Oberklassen ihrer Halbstadt eine Lesung aus dem Kriegstagebuch der deutschen Wehrmacht an. Wie viele frühere absolvierte der große und noch immer ziemlich „schneidige“ Göttinger Historiker, Autor dieses offiziellen Truppentagebuchs der letzten Kriegsjahre im Führungsstab des Oberkommandos, seine Lesung souverän und kommentierte sie kenntnisreich. Ich habe mir noch als Student eine verkürzte Taschenbuchausgabe des großen, in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts edierten Werks1 gekauft und davon in einer späteren Veröffentlichung über den Volkssturmeinsatz eines verstorbenen Kollegen im Kampf um Berlin im Jahre 1945 ausgiebig Gebrauch machen können2. Dass der 1894 geborene P. E. Schramm eigentlich Mittelalterhistoriker3 war, nämlich unser bester Fachmann für Rituale und Bilder, ist mir seiner Zeit ebenso wenig bewusst gewesen, wie die Tatsache, dass dieser Abkömmling eines al* Abdruck des Eröffnungsreferats im Rathaus von Xanten am 3. September 2007 zum 15. Colloquium der Internationalen Akademie für Heraldik über Herrschaftszeichen und Heraldik, 1) in: Herold-Jahrbuch N.F. 12 (2007), S. 51–60, 2) in: Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins, Sonderband, hrsg. von Rolf Nagel. Duisburg / Essen 2010, S. 9–25, m. Bild. 1 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtsführungsstab) 1940–1945, geführt von Helmuth Greiner und Percy Ernst Schramm. Im Auftr. des Arbeitskreises für Wehrforschung hrsg. von Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber, Walter Hubatsch und Hans-Adolf Jacobsen. 4 Bde. Frankfurt/M. 1961-1965. 2 Im Kampf um Berlin. Aufzeichnungen des Abteilungsleiters beim Preußischen Geheimen Staatsarchiv, Dr. Reinhard Lüdicke, über seinen Volkssturmeinsatz vom 29.4.–2.5.1945. Hrsg. von Eckart Henning. In: Archivmitteilungen 43 (1994), S. 119–128 (um eine biographische Einleitung, den Nachlassbericht, Anmerkungen und Nachweise stark erweiterte Fassung aus dem Bär von Berlin 26 (1976), S. 119– 128). 3 David Thimme: Percy Ernst Schramm und das Mittelalterbild. Wandlungen eines Geschichtsbildes. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 75). Vgl dazu Rezension von Eckart Henning in diesem Herold-Jahrbuch N.F. 12 (2007), S. 257–259.
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„Das Unsichtbare sinnfällig machen“
ten Hamburger Patriziergeschlechts zugleich als Pionier hanseatischer Kultur- und Familiengeschichte gelten darf4. Schramm ist bereits im September 1939 zur Wehrmacht eingezogen worden, wo er im Zweiten Weltkrieg – wenn auch ohne die Begeisterung des Ersten – seine soldatische Pflicht erfüllte; er war nahe der polnischen Grenze, dann in Frankreich und schließlich in Budapest eingesetzt.5 Erst im Herbst 1941 versetzte man ihn, der auf Drängen von Karl Brandi bei Kriegsausbruch in die Partei eingetreten war, zur Propaganda-Abteilung im Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin, wo er zunächst bis Januar 1942 nur Pressemitteilungen für in- und ausländische Zeitungen verfasste. Anschließend nahm er als Stabsoffizier an der Eroberung der Krim teil, kehrte aber auf Anforderung seines Göttinger Rektors für das Wintersemester 1942/43 nochmals an die Universität zurück, ehe ihm in Berlin im März 1943 das Kriegstagebuch im Führerhauptquartier anvertraut wurde. Als Major der Reserve hatte er alle „operativen Vorgänge“ nachrichtlich zusammenzufassen, von denen er Kenntnis erhielt. Damit wurde Schramm „zum Notar des Untergangs“ wie er sich gegenüber seinem Schüler Joist Grolle einmal bezeichnete. Sehr bald erkannte der Wehrmachtsdiarist Schramm in dieser Position jedenfalls, dass Deutschland den Krieg verloren hatte, durfte sich aber nichts anmerken lassen, sondern hatte als ein „amtlich bestellter Registrator der deutschen Niederlage zu fungieren bzw. das fortschreitende Verhängnis annalistisch festzuhalten“6. Nichts anderes tat Schramm denn auch, ignorierte allerdings den Befehl, das Kriegstagebuch bei Kriegsende zu vernichten, damit es dem Feind nicht in die Hände falle. Vollends hatte ihm wohl erst die Ermordung seiner Schwägerin Elisabeth v. Thadden-Trieglaff im September 1944 die Augen über die wahre Natur des Nationalsozialis4
5 6
Percy Ernst Schramm: Hamburg, Deutschland und die Welt. Leistung und Grenzen des hanseatischen Bürgertums in der Zeit zwischen Napoleon I. und Bismarck. Ein Kapitel deutscher Geschichte. München 1943. 2., bearb. Aufl. 1952; Ders.: Kaufleute zu Haus und über See. Hamburgische Zeugnisse des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, gesammelt und erläutert. Hamburg 1949 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle für Hamburgische Wirtschaftsgeschichte, 1); Ders.: Deutschland und Übersee. Der deutsche Handel mit anderen Kontinenten, insbesondere Afrika, von Karl V. bis Bismarck. Ein Beitrag zur Rivalität im Wirtschaftsleben. Braunschweig, Berlin 1950; Ders.: Neun Generationen. Dreihundert Jahre deutscher Kulturgeschichte im Lichte der Schicksale einer Hamburger Bürgerfamilie (1648–1948), 2 Bde. Göttingen 1963-1964. Aus dieser Schramm-Genealogie ergibt sich übrigens, dass der anglophile Verf. „Percy“ nach Albrecht Percy O'Swald (1871–1899) mütterlicher Linie so benannt wurde. Thimme (wie Anm. 3), S. 473 ff. Schramm: Kriegstagebuch (wie Anm. 1), Bd. 4, S. VI und Joist Grolle: Der Hamburger Percy Ernst Schramm – ein Historiker auf der Suche nach der Wirklichkeit (Vorträge und Aufsätze, hrsg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, 28). Hamburg 1989, S. 35.
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mus geöffnet bzw. als ihn deswegen der Rektor der Göttinger Universität, der Altphilologe Hans Drexler, als Sympathisant der Hitler-Attentäter vom 20. Juli denunzierte; Drexler vermerkte damals: „Schramm werde niemals zum Nationalsozialismus finden ..., weil er von dem hohen Pferd seiner Herkunft und Geburt herabzusteigen, keine Neigung habe“, und über seine Gemahlin Ehrengard geborene v. Thadden-Trieglaff notierte er, dass sie mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben wolle.7 Wahrscheinlich enthielt auch Schramms Personalakte noch einen Vermerk darüber, dass er sich 1932 – sehr zum Ärger der Nationalsozialisten – aktiv für die Wiederwahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten eingesetzt und nach der sogen. Reichskristallnacht 1938 öffentlich gegen den Pogrom protestiert hatte.8 Gerettet hat Schramm in dieser kritischen Situation wohl nur die persönliche Intervention seines militärischen Vorgesetzten, Generaloberst Alfred Jodl (im Nürnberger Prozess hat sich Schramm später vergeblich durch seine Zeugenaussage zu revanchieren gesucht).9 Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft, erhielt aber nach seiner Entlassung im Oktober 1946 von der britischen Militärregierung in Göttingen bald Lehrverbot (März 1947), das erst nach seiner Entnazifizierung im September 1948 auf Vermittlung Rudolf Smends und Hermann Nohls aufgehoben wurde. Die Gründe dafür sind nicht genau bekannt, doch weist eine amerikanische Stellungnahme wohl in die richtige Richtung: Schramm „ist der Meinung, kein Unrecht getan zu haben, und dass man daher keine besondere Unterwürfigkeit von ihm erwar7
8
9
Beurteilung des Rektors Prof. Drexler vom 1. September 1944, in: Kreisleitungsakte und Berichterstattung der NSDAP-Kreisleitung Göttingen an den Gauleiter vom 20. Oktober 1944, m: Staatsarchiv Hamburg, Bestand Familienarchiv Schramm (künftig zit. FAS) I, 247. Zur NS-Problematik vgl. u. a. David Thimme: Die Erinnerungen des Historikers Percy Ernst Schramm. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 89 (2003), S. 227–262 und Martin Otto: „Wir sind aus derselben Pflege“. Percy Ernst Schramm und Erwin Jacobi im Spiegel eines Briefes aus dem Jahre 1964. In: Archiv für Kulturgeschichte 88 (2006), S. 203–211. Von Schramms „ambivalentem Verhältnis zum Nationalsozialismus“ (S. 205) kann man nur sprechen, wenn man Vaterlandsliebe und Nationalbewusstsein mit Nationalsozialismus verwechselt, denn diese Motive begründeten ja gerade seine wachsende Gegnerschaft zum Regime (wie vielfach auch den Widerstand bei Männern des 20. Juli 1944, ablesbar an ihren Texten). Vgl. Hans Martin Schaller: Percy Ernst Schramm. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 23. Berlin 2007, S. 515–517, hier S. 516. Wie Anm. 7, Kreisleitungsakte: Schreiben Jodls an Schramm vom 18. November 1944 und Aufzeichnungen Schramms ib. über „Hinrichtung meiner Schwägerin Elisabeth v. Thadden wegen versuchten Hochverrats“, September 1944. Schramms Aussage als Entlastungszeuge datiert vom 8. Juni 1945. Jodl wurde am 16. Oktober 1946 hingerichtet, aber am 28. Februar 1953 von einer Münchener Spruchkammer posthum „entlastet“ und entnazifiziert.
304
„Das Unsichtbare sinnfällig machen“
ten darf“10. Er zog sich daher, inzwischen 54jährig wieder im Hochschuldienst, keineswegs auf das vermeintlich unverfänglichere Mittelalter zurück. Vielmehr setzte er sich für ein ehrendes Gedenken der Weltkriegstoten ein und diente in vielen öffentlichen und in Schulvorträgen (wie ich einen hörte) zur Weltkriegsgeschichte der politischen Jugendbildung, indem er „Aufklärungsarbeit“ leistete, um einer neuen – sich möglicherweise um den 20. Juli 1944 rankenden – Dolchstoßlegende vorzubeugen. Seine vielbeachtete, seit 1949 alle zwei Jahre wiederholte Vorlesung über „Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ vor jeweils 900 bis 1000 Hörern galt vor allem der militärischen Ereignisgeschichte, für die er als Kriegstagebuchführer ausgewiesen war. Seine Kriegsgeschichte war die eines Wehr machtsoffiziers, der die von den Deutschen begangenen Greuel, insbesondere in Polen, nicht beschönigte, sich aber keiner irgendwie gearteten Mitverantwortung oder gar einer persönlichen Schuld bewusst war (anders seine Göttinger Kollegen Hermann Heimpel oder Reinhard Wittram). Hier stand seine Selbstsicherheit, die anderen naiv erscheinen mochte, der Selbstkritik im Wege. Schramm beschrieb Hitler als Volksverführer, als „Rattenfänger“, doch verkannte er vielleicht, wie es ein Spiegel-Leser damals ausdrückte, dass letztlich die Ratten das Problem bildeten11. Auch in der Abwehr neonazistischer Tendenzen in der jungen Bundesrepublik tat sich Schramm hervor, so z. B. 1952 als Gutachter im Braunschweiger Prozess gegen den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer, der als Vorsitzender der neugegründeten Sozialistischen Reichspartei, alle Attentäter vom 20. Juli 1944 als Landesverräter und Auslandssöldner verunglimpfte. Schramm wies in seinem Gutachten nach, dass die militärische Situation im Sommer 1944 „gebieterisch die Beseitigung des Hitlerregimes“ verlangt habe.12 * Percy Ernst Schramm schwankte in den dreißiger Jahren zwischen Unbehagen und Unterstützung des NS-Regimes, dessen Diktatur immerhin den Vorzug zu besitzen schien, das Deutsche Reich vor politischer Zerrissenheit zu bewahren. Sein Hauptaugenmerk – wie könnte es bei ihm anders sein – galt indessen den an- und aufregenden (Staats-)„Festen unter dem Fascio an 10
11
12
Übersetzung vom 16. September 1948 einer Beurteilung aus dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa von Schramms Charakter vom 13. Februar 1946: „Kriegsgefangener Percy Ernst Schramm“, in: Staatsarchiv Hamburg, FAS I, 305. Leserbrief von Walter Kindermann, in: Der Spiegel 18 (1964), Nr. 12, S. 10. Vgl. dazu Percy Ernst Schramm: Adolf Hitler, Anatomie eines Diktators. 6 Teile. In: Der Spiegel 18 (1964), Nr. 5, S. 40–61, Nr. 6, S. 37–52, Nr. 7, S. 42–56, Nr. 8, S. 55– 67; Nr. 9, S. 39–49, Nr. 10, S. 48–60. Herbert Kraus: Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen. Die im Braunschweiger Remerprozeß erstatteten moralischen und historischen Gutachten nebst Urteil. Hamburg 1953, S. 125.
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den Stätten der römischen Geschichte und den Aufmärschen unter dem Hakenkreuz in Berlin, in München und Nürnberg“13 somit den Propagandaformen des Regimes. Aber sein wissenschaftliches Bestreben war in den dreißiger Jahren dem Versuch gewidmet, den deutschen, den englischen, den französischen usw. „Geist“ genauer zu umschreiben, der sich nicht einfach aus dem Nachleben der Antike bzw. tradierter antiker Elemente deuten ließ, sondern aus dem, was daraus im Mittelalter und in der Neuzeit entstand. Damit wandte er sich von der Auffassung seines Lehrers Aby Warburg und den in der Kulturgeschichtlichen Bibliothek in Hamburg vertretenen Lehrmeinungen ab. Auch als Schramm 1937 an der Krönung Georgs VI. teilnahm und dabei Warburgs Nachfolger Fritz Saxl in der 1933 nach London emigrierten Bibliothek aufsuchte, stand sein (unausgesprochen gebliebener) Auffassungswandel einer Wiederannäherung im Wege. Schramm suchte u.a. nach den Besonderheiten der deutschen Kultur, ohne allerdings daraus Ratio und Humanitas als Fremdkörper beseitigen zu wollen. Auch der Symbolbegriff des Nationalsozialismus erschien ihm zu eng, nicht nüchtern genug, bzw. ideologisch überfrachtet. So stellte Schramm in der Auseinandersetzung mit Otto Höflers These von der „germanischen Kontinuität“, die Forderung auf, dass „auch die Symbolik der anderen Völker“ geprüft werden müsse14 um deren Eigenart klarer zu erfassen. Er stellte fest: „Vergleichen, um das Ungleiche, das Besondere, das nur an einem Volk Haftende aufzuspüren, bleibt unsere Aufgabe“15. Folglich wurde Schramms Ziel, die „Symbolgeschichte als ein Spiegel nationaler Eigenart“16 zu erforschen, zunächst an seinen Studien über den „König von Frankreich“ (1939) und seinen Insignien deutlich, wobei er auf die Andersartigkeit deutscher und französischer Herrschersymbole hinwies. Das zweibändige Werk zeigte seine Absicht, die Nachbarn weder zu bedrohen noch zu bekriegen, sondern „historisch zu begreifen“, um dann die geschichtlich gewachsenen Unterschiede zur Grundlage wechselseitiger Akzeptanz zu nehmen. Anders als Höfler kam es Schramm auf die Unterschiede zwischen Germanen und 13
14
15 16
Percy Ernst Schramm: Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung. Weimar 1937, S. 230f. (auch auf Englisch erschienen). 2. Aufl. = Nachdr. der 1. Aufl. mit einem neuen Vorwort. Köln/Wien 1970. Otto Höfler: Das germanische Kontinuitätsproblem. In: Historische Zeitschrift 157 (1938), S. 1-26, dazu Percy Ernst Schramm: Die Erforschung der mittelalterlichen Symbole. Wege und Methoden. In: Berent Schwineköper: Der Handschuh im Recht. Ämterwesen, Brauch und Volksglauben (Neue deutsche Forschungen, Abt. mittelalterliche Geschichte, 5). Berlin 1938, S. VI. Schramm: Erforschung (wie Anm. 14), S. IX. Percy Ernst Schramm: Der König von Frankreich. Wahl. Das Wesen der Monarchie vom 9.–16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates. 2 Bde. Weimar 1939. 2., verb. und vermehrte Aufl. Darmstadt 1960. Zweiteilig vorab veröffentlicht in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 25 (1936), S. 222–354 u. 26 (1937), S. 161–284, hier Zitat S. 220f.
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„Das Unsichtbare sinnfällig machen“
Deutschen an; insgesamt lehnte er eine Überbewertung des germanischen Erbes ab, ebenso wie den unklaren Rassebegriff, den er auch nur ein einziges Mal in seinem Werk verwendet haben soll, weil sich die Rassen miteinander vermischt und in Völker aufgeteilt hätten17. Höfler warf er vor, sich zu sehr auf die Ergebnisse der Volkskunde zu stützen, deren Betrachtungsweise – ein wichtiger Einwand – stets „unter dem Eindruck des Beharrens stehen“ müsse, „den ihm sein Material immer wieder aufdrängt“. Demgegenüber verwies Schramm auf die Symbole, die keineswegs solch ein Beharrungsvermögen besäßen. Es bleibe vielmehr zu berücksichtigen, „dass der Wandel im Rechtsleben sie mitzerrt und vielfach dabei ändert“18. Gegenüber Höflers „germanischer Kontinuität“, aber auch gegenüber den „Warburgern“ mit ihrer Verehrung antiken Nachlebens, führte Schramm das Argument des Wandels ins Feld, da beide allzu sehr zu statischer Betrachtung und monokausaler Erklärung neigten – und geriet folglich zwischen alle Fronten. Schramm betonte stets den Eigenwert des Mittelalters, das keine bloße Verlängerung früherer Epochen, nicht nur Erbe oder Vermittler sei, sondern schöpferisch eigene Symbole geschaffen habe. Daraus ergab sich für ihn kein Neuklang im Nachklang, sondern eher ein Nachklang im Neuklang. Er bewunderte die mittelalterliche Fähigkeit „Unsinnliches sinnfällig zu machen oder im Sinnfälligen eine tiefere Bedeutung aufzudecken“, und auch Heraldiker, wie sie hier in Xanten versammelt sind, tun ja nichts anderes, wenn sie sich mit „der Zeichenmode der ritterlichen Gesellschaft“19 beschäftigen: als Historiker entschlüsseln sie, als Wappenkünstler verschlüsseln sie. Von theoretischer Bedeutung für Schramms Denken sind die methodologischen Grundsätze, die er in einer später nachgedruckten, aber kaum veränderten „Einführung“ der hervorragenden Dissertation seines Schülers und meines leider längst verstorbenen (stets anekdotenfreudigen) Archivkollegen Berent Schwineköper über den „Handschuh im Recht. Ämterwesen, Brauch und Volksglauben“ (1938)20 voranstellte. Darin ging er über seine bisherige Beschäftigung mit den Insignien von Kaisern und Königen hinaus, indem er den Gegenstandsbereich weiter fasste. Sein Ziel war nun, die Erforschung der mittelalterlichen Symbole überhaupt voranzutreiben21. Er stellte im Anschluss an die vorbildlichen Arbeiten des Rechtshistorikers Karl v. Amira (z.B. über den Stab in der germanischen Rechtssymbolik, 17 18
19
20 21
Thimme (wie Anm. 3), S. 458f. Schramm: Erforschung (wie Anm. 14), S. IX. In ähnlicher Lage wie die Volkskunde befindet sich die Vor- und Frühgeschichte, deren nonverbale Quellen in der Regel nur Aussagen über „Zustände“, nicht aber über Ereignisse erlauben. Vgl. die asterierte Anmerkung auf S. 51 und Abschnitt 44 von Percy Ernst Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik (wie Anm. 29). Schwineköper (wie Anm. 14). Schramm: Erforschung (wie Anm. 14), nachgedruckt und geringfügig überarbeitet in Ders.: Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters. 4 Bde. Stuttgart 1968–1971, hier Bd. 4.2, S. 665–677.
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190922) sechs verschiedene Forderungen auf, mit denen er im Grunde die Arbeiten Jacob Grimms weiterführte: 1. „Sonderung der Zeugnisse nach ihrer Herkunft“, wobei Schramm der Symbolik der Königshalle, der Volksversammlung, des Marktes und der Gerichtsstube den Vorrang einräumte; 2. Scheidung der Länder und Jahrhunderte, damit nicht der Eindruck entstünde, dass „alles mit allem verwandt“ sei (die Vergleichsforschung müsse dem Besonderen und Ungleichen gelten); 3. die Beachtung einzelner Wandlungsstufen, um „Ererbtes und Neugeschaffenes“ klarer zu unterscheiden (die Schaffenskraft des Mittelalters soll in ihrem Eigenwert erkannt werden, „bevor man aus mittelalterlichen Zeugnissen auf ältere Zeiten zurückschließt“); 4. die Trennung der Symbole von ähnlichen Gebilden, wie aus der Antike übernommene Personifikationen oder aus der Bibelauslegung entwickelte Allegorien; 5. die Notwendigkeit, Symbole nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit „Volksglauben, Brauchtum, Etikette, Konvention und Mode“; 6. Verzicht auf den unscharfen, theologisch wie philosophisch belasteten Symbolbegriff bzw. Ersatz durch den farbloseren der „Sinnzeichen“. Dabei neigte Schramm zu einer rechtsgeschichtlichen Verengung (anders übrigens als Schwineköper, der zur kulturgeschichtlichen Ausweitung tendierte23), galten ihm doch als vornehmste Kategorie der Sinnzeichen die zu den Rechtszeichen zählenden „Herrschaftszeichen“. Als zweite Kategorie stellte er die „Amtszeichen“ daneben, um den allzu dehnbaren Begriff der „Insignien“ zu vermeiden, und wählte als ergänzende Kategorie schließlich die der „Standes- und Rangzeichen“. Dabei war sich Schramm durchaus darüber im Klaren, dass sich diese Bedeutungsbereiche nicht deutlich von einander abgrenzen lassen bzw. Überschneidungen vorkommen (so konnten sich beispielsweise aus Rechtszeichen Abzeichen von Ämtern entwickeln). Gleichwohl bestimmte diese Terminologie auch noch Schramms Forschungen in der Nachkriegszeit; sein mediaevistisches Hauptwerk galt schließlich den „Herrschaftszeichen“ als dem Kernbereich einer Geschichte der Staatssymbolik, wobei er den Symbolbegriff weiterhin mied (was aber nicht ausschloss, dass er selbst gelegentlich Symbol und Zeichen synonym benutzte). Schramms stets mit großer Energie betriebene Mittelalterforschung „entwickelte“ sich nach seiner eigenen Überzeugung nicht, sondern „entfaltete“ sich. Aus eigener Anschauung bestätigte dies sein langjähriger Göttinger Kollege Hermann Heimpel („sich treu geblieben“) und fügte fassungslos hinzu: „Aber welche Entfaltungen!“24 Immerhin löste sich Schramm nach 22
23 24
Karl v. Amira: Der Stab in der germanischen Rechtsentwicklung. München 1909 (Abhandlungen der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-philologische und historische Klasse 25, Abh. 1). Thimme (wie Anm. 3), S. 450. Hermann Heimpel: Königtum, Wandel der Welt, Bürgertum. Nachruf auf Percy Ernst Schramm. In: Historische Zeitschrift 214 (1972), S. 96-108, hier S. 102 bzw.
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1945 von seiner Vorkriegsfragestellung nach dem „Geist“ einzelner Völker und rückte nun das Gemeinsame der europäischen Kultur in den Mittelpunkt, etwa in seiner auch methodologisch wichtigen Arbeit über „Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser“ (1951)25. Dieser viel beachtete Beitrag in der „Historischen Zeitschrift“ bildete den Gipfel von Schramms Beschäftigung mit den „Kaiserbildern“26 und vor allem mit dem Romgedanken, niedergelegt in seinem bekannten Vorkriegswerk „Kaiser, Rom und Renovatio“ (1929 und 1957)27. Er stellte in der Karlsstudie die Frage nach dem Krönungsakt am Weihnachtstage des Jahres 800 und der Bedeutung des Kaisertitels, untersuchte die abendländischen und die byzantinischen Traditionen der Krönung, gelangte aber zu dem Ergebnis, dass es ihm vielleicht noch mehr auf die frühfränkische Form der „Akklamation“ aller Anwesenden ankam als etwa auf Fragen traditioneller Gewandung. Der Karlsstudie lag die Erkenntnis zugrunde, dass das Mittelalter stets bestrebt war, „das Unsichtbare sinnfällig zu machen“28 , und auch an anderer Stelle wiederholte Schramm seine Bewunderung für das mittelalterliche „Vermögen, Unsichtbares in Sichtbares einzukleiden und im Sichtbaren Unsichtbares aufzuspüren“29. Dabei wird oft das aus antiken, byzantinischen, christlichen und germanischen Traditionen „Entlehnte“ missverstanden,
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98. Unter den zahlreichen weiteren Nachrufen auf Schramm seien noch hervorgehoben der von Reinhard Elze in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 27 (1971), S. 655–657, und von Wolfgang Ribbe. In: Der Herold. Vierteljahrsschrift NF 7 (1969/71), S. 214–215, der auch Schramms Berliner Vortrag vom 3. November 1959 anlässlich des 90. Vereinsjubiläums und die Verleihung der Bardeleben-Medaille des HEROLD an ihn erwähnt. Vgl. weiter das für den Verein von Jürgen Arndt herausgegebene Biographische Lexikon der Heraldiker, sowie der Sphragistiker, Vexillologen und Insignologen (J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Band H). Neustadt/Aisch 1992, S. 485. Percy Ernst Schramm: Die Anerkennung Karls des Großen. Ein Kapitel aus der Geschichte der mittelalterlichen „Staatssymbolik“. In: Historische Zeitschrift 172 (1951), S. 449–515, auch erschienen als Sonderdruck München 1952 sowie ergänzt und überarbeitet abgedr. in Ders.: Kaiser, Könige und Päpste (wie Anm. 21), S. 215– 300. Percy Ernst Schramm: Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit (751– 1152). 2 Bde. Leipzig/Berlin 1928. Neuaufl. unter Mitarb. von Peter Berghaus und Nikolaus Gussone, hrsg. von Florentine Mütherich. München 1983. Percy Ernst Schramm: Kaiser, Rom und Renovatio. Studien und Texte zur Geschichte des Römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit. 2 Bde. Leipzig/Berlin 1929. 2. Aufl. des ersten ergänzten Bandes 1957. Schramm: Anerkennung (wie Anm. 25), S. 512. Percy Ernst Schramm mit Beiträgen anderer Verfasser: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom ersten bis zum 16. Jahrhundert. 3 Bde. (Schriften der Monumenta Germaniae historica 13, 1–3). Stuttgart 1954– 1956, hier Bd. 3, S. 1086; Nachträge aus dem Nachlaß. München 1978.
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der Entleiher deutet es um und fügt es seiner Welt und Wirklichkeit ein. In der Auseinandersetzung mit solchen Einflüssen und Anregungen kommt es dann zu einem Bedeutungswandel, so dass im Rezeptionsvorgang Neuschöpfungen entstehen.30 Wie die Kirche mit ihren Heiligen, so wurde der Staat mit seinen Herrschern identifiziert, beide erschienen Schramm – zumindest im Frühmittelalter – noch identisch. Folglich wollte er „die Scheidewand“ des Wortes „Staat“ durchstoßen und dafür die Zeichen mustern, die einen König „von den übrigen Menschen abheben“31. Es ist sein Verdienst, erstmals Throne und Kronen, sonstige Insignien und Ornate, Titel und Ehrentitel, Gebete und Laudes, Hof- und Speisezeremoniell im Zusammenhang zu betrachten, die das Königtum sinnfällig machten. Während sich Inhalte wandeln (man kann auch von ihrem „Sinn“ oder ihrer „Bedeutung“ sprechen), bleiben die Formen erhalten, wobei auch Devotionsformeln oder Kronenmodelle ihr „Eigendasein“ führen.32 Auch wenn sich Schramm weiterhin des „verwaschenen“, aber etablierten Begriffs der „Staatssymbolik“ nur widerstrebend bediente, so bearbeitete er doch bis zu seinem Tode – wie er es lieber nannte – das ganze Feld der Herrschafts- und Erkennungszeichen. So entstand zwischen 1956 und 1958 in fünf Teilen bzw. drei Bänden das umfassendste und aufsehenerregendste Werk der deutschen Mediaevistik der Nachkriegszeit, eben Schramms bahnbrechende „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik“ mit seinem eingängigen, aber doch bei näherem Hinsehen nicht ganz unproblematischen Titel; so wandte schon der Rechtshistoriker Karl Siegfried Bader ein, dass nicht alle Herrschaftszeichen Königszeichen seien, nicht alle Staatssymbolik der Monarchie gelte (wie Schramm es sah) und überhaupt „Herrschaft“ ebenso ein Neben- und Miteinander von Herrschern und Beherrschten beinhalte wie der „Staat“ ein Zusammenspiel von König, Adel und Volk sei33. Doch unbeeindruckt von solchen rechtshistorischen Mäkeleien veröffentlichte Schramm sein immenses, über Jahrzehnte hinweg gesammeltes Material und seine Forschungsergebnisse über die Insignien der Herrscher in Form ausgreifender Längsschnitte und weiteren 48 Einzelstudien. Zu diesem Monumentalwerk über „die Geschichte der Monarchie, die er nicht in herkömmlicher Weise von ihrer Machtentfaltung, sondern von ihrer Selbstdarstellung, von der Krönung bis zu den Herrschaftszeichen her interpretierte“ (Ernst Schubert34), benötigte selbst Schramm als Hauptau30 31 32 33
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Schramm: Herrschaftszeichen (wie Anm. 29), Bd. 3, S. 1071. Schramm: Herrschaftszeichen (wie Anm. 29), Bd. 3, S. 1067. Schramm: Herrschaftszeichen (wie Anm. 29), Bd. 3, S. 1066. Karl Siegfried Bader in seiner großen, alle drei Bände berücksichtigende Rezension von Schramms Herrschaftszeichen (wie Anm. 29). In: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 118. Ernst Schubert: Percy Ernst Schramm. In: Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen. Hrsg. von Karl Arndt et al. Bd. 2. Göttingen 2001, S. 470.
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tor allerdings Mitarbeiter, die er nicht nur in dem Schweden Olle Källström (Stockholm), dem Byzantinisten Josef Deér (Bern), sondern auch im Inland fand, nämlich u. a. in Hansmartin Decker-Hauff (Stuttgart/Tübingen), der die Reichskrone umfassend analysierte und in seinem Schüler Reinhard Elze, dem späteren Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom (dem ich auch heute noch für meine Berliner Staatsexamens-Prüfung dankbar bin). Die englischen und französischen Insignien blieben in den „Herrschaftszeichen“ allerdings unter Hinweis auf Schramms erwähnte, früher erschienene und nun sogar verbessert nachgedruckte Bücher über die „Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung“ (1937) und den „König von Frankreich, das Wesen der Monarchie vom 9. bis 16. Jahrhundert“ (1939)35 ausgespart. Trotz der Fülle des Gebotenen erhoben die Verfasser nicht den Anspruch, das Thema erschöpfend behandelt, sondern höchstens einen Anstoß zu weiterreichender intensiver und anregender Beschäftigung gegeben zu haben. Schramm selbst ging mit gutem Beispiel voran, nicht nur in seiner die Bände der „Herrschaftszeichen“ entlastenden Abhandlung über die des Staufers Friedrich II. (1955)36, sondern vor allem in seiner Monographie über ein einzelnes, besonders wichtiges Herrschaftszeichen, der Geschichte des Reichsapfels (1958)37. Diese Monographie gehört wie die „Herrschaftszeichen“ zu Schramms großen „Längsschnitten“, bot aber keineswegs nur thematisch gebündeltes Material an, sondern leistete, wie im Untertitel angekündigt, auch einen „Beitrag zum Nachleben der Antike“. Schramm griff damit das „Warburger“ Leitthema auf, und wies nach, dass der erste Reichsapfel erst 1014 vom Papst zur Kaiserkrönung Heinrichs II. angefertigt worden ist, obwohl seit der Antike fast alle Kaiserbilder mit einem Globus in der Hand gemalt wurden. Schramm griff auch Scheibe, Kreis und Kugel (= Sphaira) als Zeichen der Weltherrschaft auf, die erst in der christlichen Spätantike durch ein aufgesetztes Kreuz als Zeichen für Christus als Herrscher einer Welt ergänzt worden sind, die der Kaiser nur „vertretungsweise“ regiert. Im Christentum lebte die antike Bildtradition fort, die man aber nach Schramms Ansicht nicht als „Wiedergeburt“ bezeichnen sollte, zumal sie im Mittelalter aktive Umdeutungen erfuhr. Hier liegt die Differenz zwischen Schramm, der die Eigenständigkeit des Mittelalters betonte (und es im übrigen auch nicht als „germanische Epoche“ einstufen ließ), und der Anti35
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Schramm: Englisches Königtum (wie Anm. 13) und Ders.: Der König von Frankreich (wie Anm. 16). Percy Ernst Schramm mit Beiträgen von Josef Deér und Olle Källström: Kaiser Friedrich II. Herrschaftszeichen. Göttingen 1955 (Philologisch-historische Klasse 3. Folge, 36). Percy Ernst Schramm: Sphaira – Globus – Reichsapfel. Wanderung und Wandlung eines Herrschaftszeichens von Caesar bis zu Elisabeth II. Ein Beitrag zum Nachleben der Antike. Stuttgart 1958.
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kentheorie, wie sie durch die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg vertreten wurde38. Der Kunsthistorikerin Florentine Mütherich (München) ist es im Wesentlichen zu verdanken, dass es Schramm trotz seiner sonstigen Arbeitsbelastung (zu der auch die Betreuung von mehr als 60 Doktoranden zu rechnen ist) bewältigte, mit ihr noch eine weitere Monographie über die „Denkmale der deutschen Könige und Kaiser“ (1962) zu veröffentlichen, die vor allem Gegenstände abbildet, die in einem engen Zusammenhang zu den mittelalterlichen Herrschern standen. Dieses vermeintliche Spätwerk war bereits 1928 als Film geplant; er sollte zeigen, was noch an Gewändern, Handschriften, Schmuckstücken usw. bis hin zu Pfalzen und Kirchen als besonderem Anschauungsmaterial übrig geblieben war, freilich eher Alltägliches zugunsten von Prachtstücken ausblenden. Ein parallel dazu mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft geplantes Buch sollte unter Mitarbeit von Harald Keller realisiert werden, einem Kunsthistoriker, der mich noch als Referendar in Marburg an eben denjenigen Baudenkmälern als Zeugnissen deutscher Geschichte unterrichtet hat, die später dann doch aus Kostengründen zugunsten der Kleindenkmäler im Buch eingespart werden mussten. Kriegsbedingt kam auch das nicht mehr zustande, doch F. Mütherich rettete dieses Projekt nicht nur, sondern fügte ihm 1978, zusammen mit Hermann Fillitz, noch einen Fortsetzungsband hinzu39. Erst in seinen letzten fünf Lebensjahren wandte sich Schramm dann nochmals der mittelalterlichen Geschichte zu, als seine teilweise überarbeitete und durch unveröffentlichte Texte ergänzte Aufsatzsammlung unter dem Titel „Kaiser, Könige und Päpste“ entstand, wovon dann der abschließende 2. Teilband des 4. Bandes erst nach seinem Tode herauskam (1971).40 Den krönenden Abschluss von Schramms Arbeiten über die Herrschaftszeichen bildete wenige Jahre vor seinem Tode die Bergung der Cathedra Petri im Petersdom in Rom, die dort seit dem 17. Jahrhundert jedem Zugriff entzogen gewesen war. Bernini hatte den vermeintlichen Holzthron des Heiligen Petrus, der nach Schramms Zuweisung im 3. Band der „Herrschaftszeichen“ im Jahre 870 für den fränkischen König Karl den Kahlen hergestellt und von Karl dem Großen anlässlich seiner Krönung dem Papst geschenkt worden war, wie eine Reliquie in sein Monument eines bronzenen Thrones eingeschlossen. Schramm gehörte der Bergungskommission 38
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Schramm: Erforschung (wie Anm. 14), S. XVIIf. Vgl. zum „Wiedergeburts“-Problem Thimme (wie Anm. 3), S. 601. Percy Ernst Schramm: Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. Bd. 1 mit Florentine Mütherich: Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich II. 768–1250. München 1962. Bd. 2: mit Hermann Fillitz und Florentine Mütherich: Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Rudolf I. bis Maximilian I. 1273–1539. München 1978 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, 2 u. 7). Schramm: Erforschung (wie Anm. 21).
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für den Thron persönlich an und berichtete Reinhard Elze über die am 26. November 1968 mit Genehmigung der Kurie vollzogene Bergung: „Es war natürlich sehr aufregend, wie wir da hinaufgestiegen sind in die stille Peterskirche abends um 6 Uhr, wie dann Berninis 6 m hoher Bronzethron aufgebrochen wurde. Aus ihm wurde dann der seit 1666 kaum beschädigte Holzthron vorsichtig herausgeholt und glücklich abgeseilt“. Schramm sah nun auch seine Theorie glänzend bestätigt. Auf einer weiteren Postkarte an Elze schrieb er: „Das wird wohl niemand mehr beschieden sei, dass er zu Lebzeiten: seine These noch bestätigt findet und auf diese Weise in die frühmittelalterliche Kunst ein 1,65 m hohes Kunstwerk einführt, was zu den Spitzenleistungen dieser ganzen Jahrhunderte gehört. Kurz und gut, ich habe mal wieder Glück gehabt.“41 Die Befunde stellte Schramm noch im Juni 1969 auf einer öffentlichen Sitzung des Ordens Pour le mérite persönlich vor, dessen Kanzler er seit 1963 war. Nur die Veröffentlichung seiner Ergebnisse erlebte er 1971 nicht mehr42. Schramms Spätwerk ist das Ergebnis eines langen Realisierungsweges, der in den zwanziger Jahren mit einer – von ihm autobiographisch stilisierten – Initialzündung begann, nämlich mit der Entdeckung des Widmungsbildes im Reichenauer Evangeliar Ottos III. und seiner zweibändigen Dissertation über diesen Kaiser bei Karl Hampe43. Er setzte sich fort in der – sein wissenschaftliches Ethos stark prägenden – Heidelberger Assistentenzeit im Dienst der Monumenta Germaniae historica (in der Diplomata und der Scriptores-Abteilung) bei Harry Bresslau.44 Bald richtete sich sein Interesse dann auf die Vorgänger und Nachfolger der Ottonen, was zur Veröffentlichung der „deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit“ (1928)45 führte – ein erster Schritt von vielen zu einer von dem Kunsthistoriker Aby Warburg initiierten und von Schramm begründeten Hilfswissenschaft, der historischen Ikonographie. „Kaiser, Rom und Renovatio“ (1930) beweist bereits die europäische Dimension seines Denkens, ebenso wie die anschließenden Ordines-Forschungen im gesamten Abendland, einschließlich der iberischen Halbinsel. Doch die „Herrschaftszeichen“ sollten den Radius 41
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Abdruck der Schreiben an Reinhard Elze bei Thimme (wie Anm. 3), S. 573 und Anm.79. Percy Ernst Schramm: Der Thron der Päpste. In: Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Reden und Gedenkworte 9 (1969), S. 155–172. Percy Ernst Schramm: Studien zur Geschichte Kaiser Ottos III. (996–1002). Phil. Diss. masch. Heidelberg 1922. Thimme (wie Anm. 3), S. 189 ff. Vgl. Bettina Raabe: Harry Bresslau (1848-1926) – Wegbereiter der Historischen Hilfswissenschaften in Berlin und in Straßburg. In: Herold-Jahrbuch NF 1 (1996), S. 49–83, hier zu den letzten Jahren des Heidelberger „Exils“, S. 74 ff. Schramm hat bei Bresslau sein wissenschaftliches Handwerk erlernt, das den Quelleneditionen der Monumenta Germaniae historica zu Gute kam und deren Zentraldirektion Percy Ernst Schramm seit 1956 angehörte. Schramm (wie Anm. 26).
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des lateinischen Europa, das an den Ostbastionen Polen und Ungarn endete, nochmals überschreiten, um auch den byzantinisch-orthodoxen Kulturkreis einzubeziehen. Schon die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Kaiseridee und dem Papsttum hatte dem Doktoranden geholfen, die nationalen Fesseln abzustreifen, ehe er sich dann zeitbedingt dem „Eigenen“ der Nationen zuwandte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er zum Gemeinsamen der europäischen Kultur zurück und betonte, dass die Nation „etwas sehr Europäisches“ sei; die überregionale Ordnung schließlich „zersetzt nicht die Nationen, sondern setzt sie voraus“46. Beide Gesichtspunkte ergänzen einander wie die beiden Seiten einer Medaille; nur so kommt es zur Entfaltung der Einheit in der Vielfalt. Mit „P.E.S.“ (wie er unterschrieb) starb in Göttingen am 12. November 1970 nach kurzer Krankheit einer der produktivsten und anregendsten deutschen Historiker mit einem „stupendem Formengedächtnis“ (Hermann Heimpel47), der sich nicht scheute, (damals noch) unkonventionelle Themen aufzugreifen und sie allgemeinverständlich darzustellen, um der mittelalterlichen Geschichte eine neue Quellengattung zu erschließen. Der Schwerpunkt dieses großen Insignologen, der stets die Kunst-, die Liturgie und die Rechtsgeschichte mit einbezog, lag in der Quellensicherung der Würdezeichen, begleitet von überzeugenden Deutungsversuchen, kurz im „Sammeln“ und „Nüsseknacken“, womit Schramm die Beantwortung „sperriger Einzelfragen“48 meinte – ohne sich in ihnen zu verlieren! Daran könnten wir uns alle im Verlaufe dieses Colloquiums der Internationalen Akademie für Heraldik über „Les signes d‘autorité / Marks of authority“ auch heute noch ein Beispiel nehmen.
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Schramm (wie Anm. 29), Bd. 3, S. 1085. Hermann Heimpel (wie Anm. 24), S. 100. Percy Ernst Schramm: Übergabe des Ordenszeichens an Herrn Erwin Panofsky im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München am 26. Juni 1967. In: Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Reden und Gedenkworte 8 (1967), S. 211– 217.
Wappen *1 Zum Verständnis der Wappenkunde (Heraldik) und ihrer Quellen bedarf es einiger Vorkenntnisse, ohne die sie sich dem Historiker nicht erschließen und auch Wechselbeziehungen zu anderen Fächern kaum sichtbar werden, wie zur allgemeinen Geschichte (Staats- und Kommunalheraldik, Warteschilde, Anwartschaftswappen), zur Rechtsgeschichte (Wappenrecht und -schwindel), zur Kirchengeschichte (Heiligenattribute im Schild, Kreuzformen, kirchliche Amtsheraldik), zur Kunstgeschichte (Einfluss der Stilepochen), zur Volkskunde (Wappensagen, Fabelwesen als Schildfiguren, volksetymologische Deutung „redender Wappen“), zur Soziologie (Wappen als Statussymbol, ständische Besonderheiten) und zur Psychologie (Wappenwahl, Symbolinterpretation). Auf solche Disziplinbezüge vor allem auch zu Historischen Hilfswissenschaften wie der Genealogie (Familienheraldik), der Sphragistik (Wappensiegel), der Münz- und Medaillenkunde (Entwicklung von Dynastenwappen) sowie der Waffen- und Kostümkunde (Kampf- und Turnierheraldik, Schild- und Helmformen,) kann hier nur einleitend hingewiesen, ferner sollen einige heraldische Grundkenntnisse vermittelt werden, ehe auf die archivalischen und sonstigen Quellen der Heraldik näher einzugehen ist.
Entwicklung a) Das Wappenwesen, über das verschiedene Ursprungstheorien bestehen, entstand im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa zur Zeit der Kreuzzüge. Angesichts gleichförmig gerüsteter Reiterheere und des Kampfes bei geschlossenem Visier, schien es erforderlich, die ritterlichen Waffenträger durch persönliche Schildbilder besser zu kennzeichnen. Als bleibendes Zeichen ihrer Familien wurden die Wappen alsbald im Mannesstamme vererbt und dienten dem Adel, seit dem 13. Jahrhundert auch dem – ihn imitierenden – Bürgertum, später selbst Bauern, sowie juristischen Personen (u. a. Städten, Bistümern, Klöstern, Universitäten) zur Kennzeichnung ihres Eigentums. Die ersten frühgotischen Darstellungen von Wappen erkennt man daran, dass sie Dreiecksschilde und im 12. Jahrhundert Topfhelme, im 13./14. Jahrhundert aber Kübelhelme verwenden. Im Gegensatz zur Helmzier fehlen noch Helmdecken. * Beitrag mit Abdruck der „Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze“ vom 24. April 2009 für die 5. Aufl. der Archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning. Köln, Wien 2012, S. 354–365, Berliner Erklärung S. 365, Literatur S. 441–443 (= UTB, 8273).
Wappen
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Wappen des Markgrafen Georg Wilhelm von Brandenburg in der Martikel der Universität Frankfurt/ Oder vom Jahre 1611. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 86, Universität Frankfurt/ Oder, Nr. 58, Bl. 191
b) Als die Kampfheraldik durch den Wandel der Rüstungstechnik bereits im 13. Jahrhundert entbehrlich wurde, entwickelte sie sich vom 14.–17. Jahrhundert in Form der Turnierheraldik ritterlicher Kampfspiele weiter, über die Persevanten oder Herolde in ihrer Amtstracht, dem Tappert, wachten, und Turnierbücher anlegten. Noch in der Renaissance beschäftigten sich bedeutende Künstler wie Lucas Cranach d. Ä., Albrecht Dürer, Hans Holbein d. J. oder Martin Schongauer mit heraldischen Entwürfen. Die hoch- und
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Wappen
spätgotischen Wappen zeichnen sich entweder durch die – in Spanien im 13. Jahrhundert entstandene – U-Form abgerundeter Schilde oder durch die aus dem vorheraldischen Rechteckschild entwickelte Tartsche aus, die eine Mulde für die Lanze aufweist (Speerruhe); während die nahezu geschlossenen Stechhelme für Bürgerliche und die fast offenen Bügel- oder Spangenhelme seither für Adelige üblich wurden (letztere besonders auf Kolbenturnieren verwandt, wo es genügte, dem Gegner die Helmzier abzuschlagen). Zu Helm und Helmzier treten nun die erst zinnenartig eingeschnittenen, dann blattwerkartig gerollten Helmdecken hinzu. In der Renaissance und im Barock macht sich zwar eine größere Prachtliebe bemerkbar, doch ohne Änderung der Formen. c) Am Ende des Turnierwesens setzt um die Mitte des 17. Jahrhunderts im Barock die sogenannte heraldische Verfallszeit ein, in der jedenfalls – wie in der Kampf- und Turnierheraldik – in der Epoche der Kunst- oder Zierheraldik nun keine Rücksicht mehr auf die ursprüngliche Funktion der Wappen genommen werden muss. Der obrigkeitliche Einfluss auf das Wappenwesen verstärkt sich, und die Überwachungsaufgaben der Herolde gehen vermehrt auf die Hofpfalzgrafen oder Heroldsämter (Kanzleiheraldik) über; die Blasonierung wird umständlich. Gleichwohl beginnt in Frankreich mit Claude François Menestrier (1631–1705) und in Deutschland mit den beiden Speners, nämlich Philipp Jacob (1635–1705) und Christian Maximilian (1678–1714) sowie mit Johann Christian Gatterer (1727–1799) in der Aufklärung die keineswegs nur „vorwissenschaftlich“ zu nennende Durchdringung und Begründung der Heraldik als Historische Hilfswissenschaft. Für die Wappendarstellung des Barock wird das Missverhältnis zwischen dem nun (zu kleinen) Ober- und dem (zu großen) Unterwappen charakteristisch. Die Schildform verändert sich bzw. Ovalschilde oder muschelförmige Kartuschen (Rocaille) werden Mode, während an die Stelle von Helm (mit Rankenwerk statt Helmdecken) und Helmzier nun häufig die in Frankreich aufgekommenen Rangkronen treten. d) Sieht man von napoleonischen Versuchen einer Weiterentwicklung der Wappen ab, kommt es im 19. Jahrhundert erst in der Romantik und im Biedermeier zu einer Rückbesinnung auf mittelalterliche Formen, im Historismus schließlich zur quellenkritischen Wiederbelebung durch das heraldische Vereinswesen (Herold/Preußen 1869, Adler/Österreich 1870, Schweizerische heraldische Gesellschaft 1891) und führende Fachgelehrte wie Maximilian Gritzner („Handbuch der heraldischen Terminologie“, 1890) oder Künstler wie Otto Hupp. Versuche der Modernisierung gab es im Jugendstil, aber auch immer wieder Kritik in neuerer Zeit am „veralteten“ Oberwappen (Stahlhelmersatz statt mittelalterlicher Helme?). Die moderne Darstellung orientiert sich am „Stil nüchterner Sachlichkeit“ (Jürgen Arndt), wobei für Schild, Helm und Helmzier die Proportionen 3 : 2 : 3 anzustreben sind bzw. als harmonisch empfunden werden (zum Vergleich: in der Frühgotik galt ein Verhältnis von 2 : 1 : 1, im Barock von 5 : 2 : 3).
Wappen
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Heraldische Grundkenntnisse „Wappen“ und Waffen haben dieselbe sprachliche Wurzel und ebenso eng ist auch ihr sachlicher Zusammenhang, denn Wappen dienten nicht nur als mittelalterliche Waffenabzeichen (armorum insignia), sie nahmen auch deren Formen an. Als bester Kenner aller Schildinhalte galt der Herold, von dem sich die „Heraldik“ als Bezeichnung der Disziplin ableitet. Sie ist eine Historische Hilfswissenschaft, die sich mit den Wappen, ihrer Geschichte, den Regeln der Darstellung, Führung und Anwendung beschäftigt. Ihre Bilder, die Familien (nicht Einzelpersonen) und Institutionen symbolisieren, werden erst dann zu heraldischen, „wenn sie in eine Schildform gestellt, mit bestimmten Farben versehen und in festgelegter Gestaltung als bleibendes Abzeichen überliefert werden“ (Maximilian Gritzner). Anderenfalls handelt es sich um Embleme, Signete usw., nicht aber um Wappen. Ein vollständiges Wappen ist zweiteilig, es besteht immer aus dem Schild mit Bild als Unter- und dem Helm mit Helmdecken und Helmzier als Oberwappen. „Was darüber ist, ist nicht unbedingt vom Übel, aber doch Zusätzliches“ (Ottfried Neubecker): Rang- und Würdezeichen (insbesondere Kronen), heraldische Prachtstücke (Schildhalter, Wappenmäntel, Fahnen, Orden) und Wappensprüche (Wort- und Bilddevisen). Sie gelten als „Zubehör“, auf das Bürgerliche in der Regel keinen Anspruch haben. Institutionen kommen häufig allein mit dem Schild aus. Terminologisch ist nicht nur hervorzuheben, dass es 1) „der“ Schild (Mehrzahl: „die“ Schilde und nicht das Schild, die Schilder) heißt, und dass 2) in der Heraldik links rechts und rechts links bedeutet (= spiegelbildliche Seitenbezeichnung), da jede Wappenbeschreibung vom Schildträger bzw. Wappenherrn ausgeht und nicht vom Betrachter, sondern sich 3) die Wappenwiedergabe überhaupt immer nach der Beschreibung, der sogenannten Blasonierung (manière de blason), eines Wappens richtet, nicht etwa nach Musterbildern, so dass diese stets eindeutig sein muss, um als Zeichenvorgabe zu dienen. Dafür hat die Heraldik, wie andere Disziplinen auch, eine eigene, stark französisch beeinflusste Fachterminologie entwickelt, eine Kunstsprache, die möglichst knapp formuliert und Selbstverständliches (z. B. Schildformen, stahlfarbene Helme, nach rechtsgerichtete Bildfiguren) weglässt, aber Wesentliches meldet, d. h. immer das angibt, was sich nicht von selbst versteht. So ist ein Vollwappen folgendermaßen zu blasonieren, wobei es belanglos ist, ob zunächst mit der Farbbeschreibung oder mit Angaben zur Schildaufteilung begonnen wird: entweder „von Silber, Rot und Schwarz geschrägt und halb gegengeschrägt“ oder „geschrägt und halb gegengeschrägt von Silber, Rot und Schwarz“. Bei Farbangaben des Schildfeldes ist immer zuerst mit der rechten oberen (= vornehmsten) Ecke zu beginnen und die Beschreibung bis zur linken unteren fortzusetzen; unter Farben (Tinkturen) sind Rot, Blau, Grün und Schwarz sowie die „Metalle“ Gold und Silber (nicht Gelb
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und Weiß genannt, wie in der Fahnen- und Flaggenkunde!) zu verstehen, ferner als Sonderfarbe, vor allem in der Auslandsheraldik, Purpur und – ihnen gleichgestellt – das heraldische Pelzwerk (Hermelin, Feh oder Kürsch). Dabei soll Farbe nicht auf Farbe und Metall nicht auf Metall folgen, sondern beide sollen aus Kontrastgründen einander abwechseln, wobei es ein Aufeinander mehr noch als ein Nebeneinander zu vermeiden gilt; gern werden dagegen „verwechselte“ Farben (in umgekehrten, spiegelsymmetrischen Bildern) verwendet. Gebrochene Farben, Schattierungen oder Pastelltöne gelten als unheraldisch bzw. sind gegen einheitliche, ganze Farben auszutauschen; Fleischfarbe ist als einzige natürliche Farbe für Hauttöne zugelassen und unterliegt nicht der Farbregel. Seit dem 17. Jahrhundert besteht als allgemein anerkannter Farbersatz ein heraldisches Schraffursystem, während in älteren Wappenbüchern noch Farbbuchstaben oder Planetenzeichen üblich waren. Falls nicht umgekehrt verfahren wird, folgt auf die Farbangaben die Beschreibung der Schildaufteilung (vgl. Schema), wobei die Gesamtfläche als „Feld“, einzelne Felder aber als „Plätze“ bezeichnet werden; nach dem Hauptschild und seinen Plätzen sollen, soweit vorhanden, Mittelschild und Herzschild blasoniert werden. Entsprechend dem beigegebenen Schema bezeichnet AC den rechten und BD den linken, AB den oberen und CD den unteren Schildrand. Die rechte oder vordere Flanke bilden die Plätze 1, 4, und 7, die linke oder hintere Flanke 3, 6 und 9. Als rechtes bzw. linkes Obereck werden Platz 1 und 3, als rechtes bzw. linkes Untereck Platz 7 und 9 bezeichnet; Schildhaupt (Platz 1–3) und Schildfuß (7–9) liegen sich horizontal gegenüber, Platz 2 wird „das Ort“, Platz 5 „Herzstelle“ genannt. 1.2.3. Schildhaupt 4.5.6. Balkenstelle 7.8.9. Schildfuß 1.4.7. rechte Flankenstelle 3.6.9 linke Flankenstelle 2.5.8. Pfahlstelle
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Nach der Schildaufteilung sind der Inhalt des Schildes bzw. seine Wappenbilder zu blasonieren, wobei die Schildteilungen und Heroldsstücke von den gemeinen Figuren zu unterscheiden sind: Unter Schildteilungen ist traditionell eine „Einteilung mittels einer ungeraden Anzahl von Teilungslinien“ (Léon Jéquier) zu verstehen, während Herolds- oder Ehrenstücke sich aus einer geraden Anzahl von Teilungsstrichen ergeben, was in der Fachliteratur zur sogenannten euklidischen Heraldik nicht immer deutlich genug getrennt oder gar zu „Heroldsbildern“ (bzw. -figuren) zusammengefasst wird. Mit Schildteilungen sind die einfachen senkrechten und waagerechten Unterteilungen, also gespaltene bzw. geteilte, schräglinks geteilte, gevierte, schräggevierte usw. Schilde gemeint, während Pfähle, Balken, Spitzen, Kreuze, Schragen, Göpel-, auch Kugelschnitte usw. zu den Heroldsstücken zählen. Alle Wappenbilder, die nicht zu diesen Gruppen gehören, werden als „gemeine“, d. h. gemeinverständliche Figuren bezeichnet, da sie der belebten oder unbelebten Natur bzw. dem menschlichen Leben entnommen sind; hinzutreten Gebilde der menschlichen Phantasie (Fabelwesen, Ungeheuer). Die heraldischen Zuordnungsbegriffe ermöglichen die Kombination von Wappenbildern aller Art im Schild: sie geben die Stellung zur Schildbegrenzung (wachsend, schwebend, anstoßend usw.), auch untereinander (überhöht, in schragenweiser Anordnung, im Drei- oder Vierpass stehend usw.) an, fer-
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ner das Verhältnis von Haupt- und Nebenfigur (belegt, beseitet, besetzt usw.), ferner Verstümmelungen oder eine abweichende Tingierung bewehrter Tiere, auch Vervielfachungen (bestreut, besät usw.). Erst nachdem das Unterwappen vollständig blasoniert ist, wird auch das Oberwappen beschrieben, insbesondere die Farbe der Helmdecken, gegebenenfalls eines Wulstes (auch Bausch oder Bund genannt), nicht aber der Helm selbst (es sei denn, es lägen ständische Besonderheiten vor). Gehören zu einem Wappen mehrere Helme, so kann entweder mit der Registrierung des mittleren begonnen werden (weiter nach dem Schema 2–1–3) oder aber mit dem rechten. Am wichtigsten ist die Beschreibung der plastischen Helmzier (Zimier), die bei allzu ähnlichen Schilden seit dem 13. Jahrhundert zur Unterscheidung beizutragen vermochte, Bedeutung aber sonst nur bei der Helmprobe der Turniere erlangte. Ihre Unveränderlichkeit setzte sich später als die der Schilde durch, auch blieb die Anwendbarkeit im wesentlichen auf die Familienheraldik beschränkt (nicht nur des Adels); Ausnahmen gibt es jedoch in der Kommunalheraldik einiger Städte. Die zur Wahl stehenden Bilder sind unbeschränkt, doch sind einige wie Büffelhörner, Pfauenstöße, Spitzhüte, Adlerflüge usw. besonders weit verbreitet. Sie dienen nur als Helmschmuck oder wiederholen entweder ganz oder in Teilen die Schildfigur (sogen. Hilfskleinod). Besondere Bedeutung erlangte das Oberwappen in der englischen Heraldik. Außerdem wären heraldische Prachtstücke und Wappensprüche anzugeben. Eine verbindliche Symboldeutung einzelner Wappen ist ebenso unwissenschaftlich wie die dafür angebotenen Nachschlagewerke, da der Symbolgehalt der Farben zeitlich und regional wechselt, viele Wappen allenfalls volksetymologisch zum „Reden“ gebracht werden können, die Herleitung aus Wappensagen erscheint fraglich. Gleichwohl sind einige der im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit angenommenen allegorischen Wappenbilder insoweit ihrer Zeit verhaftet als entsprechende Handbücher, etwa zur barocken Emblematik, über humanistische oder christliche Motive Anhaltspunkte für eine Deutung zu liefern vermögen. Bei der Annahme neuer Wappen (Gestaltungsgrundsätze) sollte auf eine kontrastreiche und schildfüllende Darstellung geachtet werden, um eine gewisse Fernwirkung (erkennbar auf 200 m) zu erzielen, ferner auf die Typisierung (Musterbilder) bzw. Stilisierung der Figuren, u. a. durch Übertreibung charakteristischer Merkmale oder nach dem Pars-pro-toto-Prinzip. Auf jegliche Perspektivwirkung im Schildbild (nicht bei der Helmzier!) ist zu verzichten, desgleichen auf die Wiedergabe ganz bestimmter Gegenstände, Gebäude oder Landschaften (als Ansichtskartenheraldik verpönt), ferner auf Buchstaben oder Ziffern. Bezüglich der Größe gilt der Grundsatz, dass die Mitte des Wappens auch die Mitte des Bildes sein sollte. Bei neuen Entwürfen von Familienwappen, etwa für die seit 1922 vom „Herold“ in BerlinDahlem geführte „Deutsche Wappenrolle“, sollte nach einer symbolartigen Ergänzung zum Familiennamen gesucht werden, nach heraldischen Zitaten
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aus der Ursprungsheimat der Familie oder nach visualisierbaren Berufen der Vorfahren usw. Das Wappenrecht beruht auf Gewohnheitsrecht, nicht wie das Familiennamensrecht auf kodifiziertem Recht, das bisher allerdings analog angewandt wurde, zumal es im Bürgerlichen Gesetzbuch (anders als einst im Allgemeinen Preußischen Landrecht) unberücksichtigt blieb. Nach geltender Rechtsprechung war das wegen des engen Zusammenhangs zwischen Familienwappen und Familiennamen anerkannt, bis durch das Bundesgesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts die im Mannesstamm vererbten Familiennamen durch die – vom Fortbestand der Ehe abhängigen – Ehenamen ersetzt wurden. Früher war eine Weitergabe eines Familienwappens nur den ehelichen Nachkommen im Mannesstamme (agnatisch) möglich, nun muß oder sollte sich die Heraldik den 1976 eingetretenen Veränderungen im Namensrecht als Folge der Gleichberechtigung von Mann und Frau öffnen. Das gewohnheitsrechtlich geprägte Wappenrecht tat sich bisher schwer damit, sein patriachalisches Denken aufzugeben bzw. sich dem neuen Ehenamenrecht anzupassen, wonach heute an die Stelle der männlichen Linie der Grundsatz trat, daß alle Nachfahren einer bestimmten Person (also auch die weiblichen) berechtigt seien, dasselbe Wappen zu führen, solange sie noch ihren Familiennamen tragen. Dadurch hat sich der Kreis der Führungsberechtigten zwar erweitert, aber nicht grundsätzlich verändert, zumal er auf Abkömmlinge beschränkt bleibt; es muß also eine Ahnen- wie auch eine Namensgemeinschaft der Wappenberechtigten bestehen. Daß Frauen keine Wappen stiften können, hat sich im Übrigen als historisch falsch herausgestellt (sie führten schon im Mittelalter ihr Familienwappen weiter). Eine Wappenweitergabe bei Adoptionen bleibt jedoch umstritten und ist nach älterer Lehrmeinung abzulehnen. Heraldik und Genealogie beginnen Familien „neu zu denken“ und somit modernen Gegebenheiten Rechnung zu tragen (vgl. mein Geleitwort zur Gesamtausgabe der Niedersächsischen Wappenrolle 1910–2012, Hannover 2013, S. 9). Chronologie der wichtigsten Wappenbücher im deutschsprachigen Raum (nach Wappenfibel, 19. Aufl. von L. Biewer für den Herold hrsg., Neustadt/A. 1998, S. 28 f.) a) Ottos IV. Aachener Krönung von 1198, bisher älteste bekannte Wappenrolle Europas aus der Zeit vor 1204, in einer Abschrift aus dem 17. Jahrhundert überliefert; erstmals veröffentlicht von Paravicini, Werner: Die älteste Wappenrolle Europas: Ottos IV. Aachener Krönung von 1198, in: Schweizer Archiv für Heraldik CVII (1993), S. 99–146 (vorbildliche Edition!). b) die große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), entstanden zu Ende des 13. und Anfang des 14. Jh., enthaltend Dichtungen von 140 Minnesängern und 135 Bilder mit deren Wappen; c) die Weingartner Liederhandschrift, entstanden zu Anfang des 14. Jh., enthaltend Dichtungen von 31 Minnesängern und 20 Bilder mit deren Wappen;
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d) das Balduineum, eine auf Veranlassung des Erzbischofs Balduin von Trier um 1340–1350 entstandene Bilderhandschrift zur Verherrlichung der Taten seines Bruders, des Kaisers Heinrich VII., auf seinem Zug nach Rom, enthaltend etwa 57 Wappen von Teilnehmern dieses Zuges; e) die Zürcher Wappenrolle, entstanden um 1335–1345, enthaltend auf einer Pergamentrolle 450 Wappen von Geschlechtern des alemannischen Stammesbereichs (Schweiz, Elsaß, Baden, Bodensee); f ) das Wappenbuch des Herolds Geldern (Codex Gelre), ein von dem Herold Heynen, mit dem Amtsnamen „Geldern“, 1369–1396 angelegtes Verzeichnis, das (neben Gedichten und Urkunden) über 1800 Wappen von geistlichen und weltlichen Fürsten aus West-, Ost- und Mitteleuropa sowie von deren Lehnsleuten enthält; g) das Wappenbuch „von den Ersten“ (sog. Codex Seffken), ein um 1380 von einem niederrheinischen Herold oder Wappenmaler zusammengestelltes Skizzenbuch mit 450 Wappen vornehmlich aus dem niederländischen Bereich; h) die Bruderschaftsbücher von St. Christoph auf dem Arlberg, deren drei älteste Handschriften von 1394 bis rund 1420 entstanden, enthaltend die Namen und Wappen der Mitglieder der zur Unterstützung des Hospitals auf dem Arlberg gegründeten Bruderschaft (die bis 1786 bestand), ungefähr 520 künstlerisch vollendete Wappen (in den ersten drei Teilen); i) das Wappenbuch der Pfisterzunft zu Luzern, entstanden 1408, ältestes Verzeichnis von 59 Handwerkerwappen; k) Ulrich Richenthals Chronik des Konzils zu Konstanz, zwischen 1420 und 1430 entstanden, enthaltend rund 600 Wappen der hervorragendsten geistlichen und weltlichen Konzilsteilnehmer, erstmalig in der Quaternioneneinteilung, einer Anordnung in Vierergruppen (vier Grafen, vier Städte usw.); l) das Redinghovensche niederrheinische Wappenbuch, entstanden um 1440, später im Besitz des Jülich-Bergischen Archivars J. G. Redinghoven (1628– 1704), enthaltend 425 Wappen rheinischer, süddeutscher und einiger polnischer Geschlechter; m) das Donaueschinger Wappenbuch, entstanden 1433 mit ursprünglich etwa 1100 Wappen vornehmlich aus dem süddeutschen, böhmisch-polnischen und westeuropäischen Bereich; n) das Wappenbuch des Herolds Hans Ingeram, Persevanten der Turniergesellschaft „Zum Esel“, 1459 entstandene Handschrift mit rund 1100 Wappen von süddeutschen Turniergesellschaften und ihren Mitgliedern; o) das Wappenbuch des Ritters Conrad Grünenberg in Constanz, entstanden bis 1483, enthaltend etwa 2000 Wappen meist von deutschen und ausländischen Fürsten sowie Adelsgeschlechtern, teilweise nach Turniergesellschaften geordnet. Die meisten der vorgenannten Wappenbücher sind in Faksimiledrucken veröffentlicht (Übersicht bei v. Berchem-Hupp-Galbreath). Vom 16. Jh. ab wird die Zahl der Wappenhandschriften, Stammbücher und Exlibris mit Wappen usw. unübersehbar.
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Quellen Neben den schriftlichen Quellen gibt es die konkreten „Überreste“ der Vergangenheit, denen für die Anfänge der Heraldik eine besondere Bedeutung zukommt. Daher sei auch zunächst auf die mit Wappendarstellungen versehenen Münzen der Kaiser und Könige, der geistlichen Fürsten sowie weltlicher Dynasten und der Städte hingewiesen, die größtenteils in Tafelwerken numismatisch erfasst und in Münzkabinetten einsehbar sind. Als Quelle bürgerlicher Wappen kommen seit der Renaissance auch Gedenkmünzen und Porträtmedaillen in Betracht. Ebenso wie die Münzen reichen die häufig mit Wappenbildern versehenen Siegel in die Anfangszeit der Heraldik zurück, die auch für die nichtdynastischen Familien eine wichtige Quelle darstellen und an Hand derer deutlich wird, dass die Wappenführung keineswegs nur ein adeliges Vorrecht war. Für einzelne Landschaften oder Dynastenfamilien gibt es in der sphragistischen bzw. diplomatischen Literatur bereits hervorragende Bestandsübersichten, allerdings mehr für das Mittelalter als für die Neuzeit, deren Lack- und Oblatensiegel noch weitgehend unerschlossen sind. Heraldischen Skulpturenschmuck und entsprechende Malereien trifft man an Profan- wie Sakralbauten an, oft über einem Tor, auf Schlussoder Grenzsteinen, in Kirchen an Fenstern und am Gestühl, ferner auf Totenschilden. Doch zu den aussagekräftigsten gegenständlichen Quellen der Heraldik zählen Epitaphien und Kenotaphien, wenn auch leider keineswegs alle Wappenbilder und Inschriften auf Grabmälern bisher durch die Denkmalspflege inventarisiert worden sind. Ähnliches gilt auch für heraldische Glasmalereien und Schliff- bzw. Kabinettscheiben besonders Süddeutschlands und der Schweiz, wobei immerhin die UNESCO begonnen hat, sie im „Corpus vitrearum medii aevi“ zu registrieren. Weiterer Wappenschmuck befindet sich häufig auf Truhen, Ofenplatten, Wandteppichen usw. oder am Gebrauchsgerät wie Kannen, Pokalen, Mörsern, Waffeleisen, Modeln usw., womit zugleich das Eigentum gekennzeichnet werden sollte. Für das Gebiet der bildenden Kunst sei sonst noch auf Gemälde, Holz- und Kupferstiche hingewiesen, die häufig – wie z. B. Stifterbilder auf Altargemälden – Wappen zeigen, die mit Hilfe der Wappenbilderlexika und -karteien gedeutet werden können. Da es kaum noch Originalschilde oder gar echte Wappenhelme mit Helmzierden gibt, kommt den schrift- bzw. bildlichen Quellen, vor allem des Mittelalters, besondere Bedeutung zu. Zu nennen sind Wappenrollen und Turnierbücher der Herolde (vgl. Kasten!), die Handwerkerrollen und Meisterbücher der Zünfte und die in den Kanzleien oder von Hofpfalzgrafen ausgestellten Wappen- und Adelsbriefe. Hinzu kommen die Lehnbücher, Städtechroniken, illuminierte Geschlechterbücher der frühen Neuzeit, heraldische Stamm- und Ahnentafeln, Erinnerungs- und Stammbücher des Adels und des Bürgertums seit dem Humanismus, in jüngerer Zeit heraldi-
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sche „Ex libris“. Eine ebenso wichtige Quellengattung stellen mittelalterliche, die Wappen beschreibende Dichtungen dar, worüber es von Gustav A. Seyler und Manfred Zips hervorragende Zusammenstellungen gibt. Die ersten heraldischen Rechtsgeschäfte des Hochmittelalters galten noch nicht den Wappenbriefen, denn solche kamen erst unter Kaiser Karl IV. (1346–78) auf. In Ausübung seiner kaiserlichen Reservatsrechte stellte dieser, wie auch alle seine Nachfolger bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation (1806), Bürgerlichen Wappenbriefe aus bzw. bestätigte früher geführte Wappen und schützte ihre Empfänger gegen Missbrauch. Schon bald übten die Kaiser dieses Recht selber nur noch selten aus; sie delegierten es seit dem 15. Jahrhundert an die Hofpfalzgrafen, die dafür anfangs hohe, im 18. Jahrhundert schließlich nur noch geringe Gebühren verlangten, als das Interesse an den Wappenbriefen zurückging. Der Empfängerkreis dehnte sich bald auf alle Stände aus, die Zahl der ausgestellten, kalligraphisch anspruchsvoll gestalteten Diplome (Taf. VII.) ist unüberschaubar groß gewesen. Das Urkundenformular selbst blieb jahrhundertelang annähernd gleich: Auf die Intitulatio mit Angaben über den ausstellenden Hofpfalzgrafen und dessen Befugnisse, folgt eine Arenga mit der Würdigung kaiserlichen Großmuts, Verdienste zu belohnen. Die nachfolgende Inscriptio nennt den Empfänger des Wappenbriefs und gelegentlich in einer Narratio auch den Verleihungsgrund. In der Dispositio ist die Beschreibung und die farbige Abbildung des Wappens enthalten, das für bürgerliche Empfänger stets nur den Stechhelm vorsieht, ferner werden Führungsberechtigung (Brüder und „Leibeserben“) sowie Verwendungsmöglichkeiten erwähnt, schließlich Rechtsverwahrung (Ausschließlichkeitsgrundsatz) eingelegt. Auch eine Sanctio (Geldstrafe) fehlt sowenig wie das Eschatokoll (mit Datierung und Unterschrift). Der Wert dieser Urkunden liegt nicht in der vermeintlichen Verleihung der „Wappenfähigkeit“ an Bürgerliche (irrtümlich noch Felix Hauptmann), die Wappen auch ohne eine solch ausdrückliche Erlaubnis annehmen und führen durften, sondern im Nachweis der Anerkennung durch das Reich und in der Schutzzusage. Eine Nobilitierung des Wappenherrn war mit diesen Wappenbriefen nicht verbunden, auch wenn sie manchmal eine Vorstufe dafür darstellten. Während die Konzepte kaiserlicher Wappenbriefe größtenteils im Österreichischen Staatsarchiv erhalten und ihre Empfänger im Regestenwerk Karl Friedrich v. Franks über die „Standeserhebungen und Gnadenakte des Deutschen Reichs“ (Senftenegg 1967–74) veröffentlich wurden, ist das Hofpfalzgrafenregister des Vereins Herold bisher nicht zum Abschluss gelangt. Handelte es sich jedoch nicht um Wappen-, sondern um Adelsbriefe, so enthielten diese nicht nur eine Wappenbestätigung, sondern meist auch noch eine – ästhetisch nicht immer sehr gelungene – „Wappenverbesserung“. Außer diesen Provenienzbeständen ist auf verschiedene archivische Sammlungen zu verweisen, wobei die größte – nach Familiennamen geordnete – Fundstellenkartei von Wappen die von August Roth mit 380 000 Wappennachweisen im Generallandes-
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archiv Karlsruhe (seit 1967) sein dürfte. Ferner gibt es Wappenbildersammlungen, von denen die nach Figuren geordnete, 1882 begonnene und noch heute weitergeführte „Wappenbilderkartei“ im Vereinsarchiv des Herold in Berlin die wichtigste ist; dort befindet sich auch das fünfteilige „Dielitz’sche Wappenbilderlexikon“ in Buchform. Zu nennen ist ferner die umfassendste europäische „Heroldsbilder-Sammlung“ von Hans Heinrich Reclam, die durch ein gedrucktes Register erschlossen ist (seit 2003 im Heroldsarchiv in Berlin). Bedeutsam ist auch die ebenfalls nach Figuren geordnete „Wappenbildersammlung Eduard Zimmermann“ im Stadtarchiv Augsburg und die „Wappenbildersammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg“ (beide sind durch Wappenrepertorien erschlossen und öffentlich zugänglich). Neben den ungedruckten Wappenbilderwerken gibt es gedruckte, in denen seit dem 17. Jahrhundert immer wieder der Versuch gemacht wurde, alle vorhandenen Wappen inventarartig zu erfassen. Auch wenn dies nicht lückenlos gelang, kommt diesen Übersichtswerken bereits Quellenwert zu. Zu unterscheiden sind die nach Familiennamen (a), von denen nach Bildern (b) zusammengestellten Nachschlagewerke: a) Zu nennen ist in erster Linie das durch einen General-Index (1964) erschlossene Neue Siebmachersche Wappenbuch (1854–1967), das mehr als einhundert Teile umfasst und 110 000 Wappen nachweist; am besten benutzbar über die thematisch zusammengefassten Reprintbände (1970 ff.). Diesem Werk lief der sechsteilige „Alte Siebmacher“ (1605–1806) voraus, zu dem auch noch zwölf Supplementbände gehören; er wurde irrtümlich auch als Fürstsches, Weigelsches oder Europäisches Wappenbuch bezeichnet. Außer dem „Siebmacher“ ist Rietstaps in den Niederlanden entstandener „Armorial Général“ (1884) mit 116 000 europäischen Wappennachweisen (Neudruck 1934) in französischer Blasonierung (ohne Quellenangaben) zu nennen. Für Deutschland muss ergänzend herangezogen werden das „Alphabetische Namensregister bürgerlicher deutscher Wappenvorkommen“ (1937) mit 250 000 Fundstellen von J. J. Kenfenheuer sowie die beiden Bände „Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland“ 1937–1983, die E. Henning 1975 und 1985 als Fortsetzung bearbeitet hat, wobei beider Angaben mit Hilfe der beigefügten Sigelverzeichnisse dechiffriert werden müssen. Erfasst sind darin auch neu angenommene, in sogen. Wappenrollen (= Buchreihen) registrierte Familienwappen, sei es in der „Deutschen Wappenrolle“ des Herold (bisher 72 Bände, 3. Aufl. des Generalregisters Neustadt/A. 2003) oder auch kommerziell arbeitender Vereine und Firmen. b) Unter den gedruckten, nach Bildern geordneten Wappensammlungen ist in erster Linie das kompliziert aufgebaute, siebenbändige „Dictionnaire des figures héraldiques“ (1892) des Grafen Théodore de Renesse zu erwähnen, das die 116 000 alphabetischen Nachweise Rietstaps nach Bildern umgeordnet hat. Anderen Systemen folgten u. a. Papworth in England
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(1874, Nachdr. 1961), Alberti in Württemberg (1889/1916; Nachdr. 1975), v. Spießen in Westfalen (1901/03), Zimmermann in Bayern (1930), Fischnaler in Tirol (1938/51), Kraßler in der Steiermark (1968) oder Schöler in Franken (1975). An regional bzw. sachlich übergreifenden Werken ist noch Ottfried Neubeckers „Großes Wappenbilder-Lexikon“ (1985) zu nennen, das 20 000 bürgerliche Wappen des „Siebmacher“ erfasst (ohne Texte!) und Wilhelm Rentzmanns „Numismatisches Wappen-Lexikon“ (1876/1974 neubearb. von O. Neubecker).
Zusammenfassung und Ausblick Im 20. Jahrhundert hat sowohl die Familien- als auch die Kommunalheraldik einen beispiellosen Aufschwung genommen. Leider wird diese Entwicklung des wachsenden Interesses auf dem Gebiet der Familienheraldik beeinträchtigt durch Irrtümer, die sich hartnäckig halten und auch durch Wappenschwindler (kommerziell arbeitende Wappen-Büros bzw. -Vereine) immer weitere Verbreitung finden. Ihnen soll daher an dieser Stelle nochmals zusammenfassend entgegengetreten werden: So ist es weder richtig, dass jedem Namen ein Wappen entspricht (oder Namensgleichheit gar die Führung des Wappens einer anderen Familie gestattet), noch, dass jede Familie überhaupt eines geführt hat, denn das gilt durchgängig nur für den Adel, nicht aber für das Bürgertum. Zu diesen Irrlehren gehört auch das „Märchen vom abgelegten Adel“ (Jürgen Arndt), mit dem heute noch bürgerlichen Interessenten altadelige Wappen erloschener Familien verkauft werden. Genauso falsch ist die Behauptung, dass alle jemals vorhandenen Wappen planmäßig registriert wurden, so dass nur danach recherchiert werden müsste, – das Gegenteil ist leider richtig; eine oft als Quelle angegebene „Europäische Wappensammlung“ hat ebenso wenig existiert wie das „Deutsche Archiv für Wappenkunde“ oder das gern zitierte „Mailänder Wappenbuch“. Schließlich sind Wappen keine Art Runenschrift (= längst widerlegte Ursprungstheorie von Koerner et al.), in der man nur nachlesen müsste, um ihre Bedeutung zu erkennen, da es keine festgelegte Wappensymbolik gibt. Auch werden Wappen, wie oben ausgeführt, durch Blasonierung, nicht durch bestimmte Bilder überliefert, die überdies dem allgemeinen Stilwandel unterliegen. Bekanntlich führen auch juristische Personen Wappen, wie Staaten und Länder (vgl. Abb. 121) bzw. Provinzen, Kreise, Städte und Gemeinden, aber auch Korporationen und Kirchen; in ihnen spiegelt sich die historische Entwicklung wider. Häufig waren sie durch die Familienwappen ihrer Fürsten beeinflusst, so auch die Wappen der Städte, die teilweise bereits seit dem 12. Jahrhundert Wappensiegel führten. Dorfgemeinden erhielten dieses Recht in der Regel allerdings erst im 20. Jahrhundert durch die Gemein-
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deordnungen, desgleichen Gemeindeverbände, wie Landkreise. Vollwappen sind hier erfreulicherweise nicht die Regel; an die Stelle der Helme treten mitunter aber Mauerkronen der Städte, doch selbst Rangkronen wurden eigens verliehen. Für alle neuen Entwürfe von Kommunalwappen, deren Beliebtheit und Zahl (aufgrund von Gebietsreformen) ständig wächst, ist zumeist die Begutachtung durch die Staatsarchive Vorschrift. Die Wappenführung des Bundes beruht auf einer Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt vom 20. Januar 1950 und die der einzelnen Bundesländer auf entsprechenden Verlautbarungen in den jeweiligen Amtsblättern zwischen 1948 und 1998. Familienwappen werden immer mehr als eine interessante sozialgeschichtlich-genealogische Quelle begriffen, stellen doch Ehe- bzw. Allianzwappen oder Wappenahnentafeln Zusammenhänge her, die sonst verborgen bleiben. Staats- und Kommunalwappen dagegen sind territoriale und rechtsgeschichtliche Quellen; ein Spaziergang beispielsweise über die 52 Felder des großen preußischen Wappens vermittelt eine komprimierte Anschauung des Werdeganges dieses ausgedehntesten deutschen Staates. Heraldik visualisiert Geschichte, wer ihre Kurzschrift erlernt, dem erzählen die Wappen aber auch viele Geschichten, die die Entwicklung besser erklären als langatmige Darstellungen.
„Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze“ vom 24. April 2009 1. Fernwirkung: Ein Wappenbild sollte – wie moderne Verkehrszeichen – aus größerer Entfernung erkennbar sein, so daß es selbst für eine Verwendung im Siegel noch verkleinert werden kann. Insofern kommt die heraldische Darstellung mit möglichst wenig Farben, Schildteilungen und Figuren aus. 2. Stilisierung: Die Heraldik bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen natürlicher und abstrahierender Darstellung, sollte aber stets genügend gegenständlich bleiben. Das gelingt ihr durch Stilisierung herkömmlicher – seltener von modernen – Figuren, durch Vereinfachung und Übertreibung der Charakteristika, etwa der Bewehrung von Tieren (Zähnen, Krallen, Hufen, Hörner, Schnäbel) oder der Staubgefäße, Blätter und Früchte von Pflanzen. Das führt zum 3. „Pars-pro-toto-Prinzip“: danach steht der Teil für das Ganze. Zur leichteren Erkennbarkeit werden typische Teile vereinfacht abgebildet: statt eines Pfluges eine Pflugschar, statt eines Wagens ein Rad, statt einer Eiche eine Eichel usw. 4. Anzustreben ist stets eine feld- bzw. schildfüllende Darstellung. Große Figuren reichen bis zum Rand, natürliche Größenverhältnisse bleiben außer Betracht. Überlappungen durch Mittel- und Herzschilde sind unerwünscht. 5. Kontrastreichtum entsteht durch die Verwendung möglichst weniger, auch „verwechselter“ Farben: Die Einhaltung der heraldischen Farbregel führt zu kontrastreicher Darstellung, weswegen auch Charakteristika, wie die Bewehrung der Tiere, anders tingiert werden sollten. Verwendung finden nur ganze Farben und Metalle, keine Farbnuancen oder Pastelltöne.
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6. Im Schild Landschaften oder Gebäude (Kirchen, Schlösser, Rathäuser etc.) konkret und perspektivisch darzustellen, ist unheraldisch (keine Ansichtskartenheraldik!). Die Wappenkunst fotografiert nicht, sondern verwendet typisierte, flächige Musterbilder, auch im Profil. Sie ist zweidimensional. Dieser Verzicht auf Perspektive gilt nur für den Schildinhalt, während die äußeren Wappenteile „natürlich“, d. h. dreidimensional aufgefaßt werden, insbesondere die plastische Helmzier. 7. Buchstaben oder Zahlen sind nicht bildhaft und auch nicht unterscheidungskräftig genug, weswegen die Verwendung von Monogrammen, Ziffern etc. als unheraldisch und auch als anachronistisch gilt. 8. Größenverhältnisse: sie wechseln in der Stilgeschichte, doch sollte eine Relation von 3 (Schild) : 2 (Helm) : 3 (Helmzier) vorherrschen. 9. Die das Schildbild möglichst wiederholende Helmzier wird nicht „schwebend“ dargestellt, sondern sichtbar an dem am Schildrand aufsitzenden Helm befestigt und folgt diesem in seiner Blickrichtung nach vorn oder seitwärts gewendet. Der (ältere) Stechhelm ist der typisch bürgerliche Wappenhelm, der (jüngere) Bügelhelm kommt im Allgemeinen dem Adel zu; mit der Begründung einer heute überholten Unterscheidung wird der Bügelhelm vielfach prätentiös dazu verwendet, adelige Abkunft vorzuspiegeln. 10. Die Wappendarstellung folgt der Wappenbeschreibung (manie`re de blason) und ist grundsätzlich nicht an den zur Entstehungszeit gültigen Stil gebunden, auch nicht an die in der Spätgotik bzw. in der Frührenaissance vorherrschenden Formen. Unter- und Oberwappen müssen zeitlich und stilistisch zu einander passen; sie sollten eine künstlerische Einheit bilden.
Zur Entwicklung der heraldischen Bibliographie Deutschlands und Österreichs seit dem 17. Jahrhundert * I Blickt man auf bisherige Versuche zurück, die wappenkundliche Literatur Deutschlands (und damit anfangs auch Österreichs1) zu erfassen, so trifft man zunächst auf die noch unzureichenden Bemühungen eines Thomas Gore2, der in seinem 1668 in Oxford erschienenem „Catalogus autorum, qui de re heraldica scripserunt“3 neben den älteren englischen, französischen, italienischen und spanischen Autoren auch die deutschen zu erfassen suchte, und dabei außer der heraldischen Literatur im engeren Sinne auch jene über höfische Feste und Umzüge, Leichenbegängnisse usw. mit einbezog. Eine dünne Titelliste, vielleicht zunächst für den Eigenbedarf als Hofpfalzgraf zusammengestellt, bietet sodann der Altdorfer Professor der Metaphysik und Ge-
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Erstmals erschienen in: Comunicaciones al XV. Congreso internacional de las ciencias genealogica y heraldica 19.–26.2.1982, Madrid 1983, S. 237–250. Hier abgedruckt in der revidierten Fassung der Einleitung zur Bibliographie zur Heraldik, Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980, bearbeitet von E. H. und Gabriele Jochums, Köln 1984, S. XI–XXIII nebst Stoffgliederung S. V–IX (= Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von E.H., 1). Grundsätzlich gilt, was hierzu Hanns Jäger-Sunstenau in seinem Beitrag über „Die wichtigste Literatur zur Heraldik Österreichs“, in: Archivum Heraldicum 84 (1970) 42–46 ausgeführt hat: „Österreich kann innerhalb des deutschsprachigen Gesamtgebietes, obwohl es bis 1806 dem römisch-deutschen Kaiserreich und später bis 1866 dem Deutschen Bund zugehörte, auf eine rund 1000jährige Eigenständigkeit zurückblicken. Trotzdem ist es oft nicht leicht, eine eigene österreichische Bibliographie aus dem gesamtdeutschen Schrifttum herauszuschälen“. Das gelingt eigentlich erst für die letzten hundert Jahre bzw. seit Gründung der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“ in Wien (1870). Thomas Gore aus Addringhton/Wiltshire (England) starb am 31.3.1684. Bekannt von ihm ist neben dem „Catalogus“ die Schrift „A table to blazon a coat of Arms ten several Ways“. Catalogus, in certa capita seu classes, alphabetico ordine concinnatus, plerorumque omnium autorum (tam antiquorum quam recentiorum) qui de re heraldica Latine, Gallice, Italice, Hispanice, Germanice, Anglice scripserunt: interspersis hic illic qui claruerunt in re antiquaria et iure civili, ea saltem parte, quae heraldriae facem accendit. Oxford 1668, erneut 1674.
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Zur Entwicklung der heraldischen Bibliographie
schichte, Daniel Wilhelm Moller4 mit seiner „Promulsis artis heraldicae“5 (1681) und schließlich ebenso Martin Lipenius6 in der „Bibliotheca realis philosophica omnium materiarum“7 (1682), die in Artikeln wie „Heraldica ars“, aber auch „Arma“, „Insignia“, „Symbola“ allerlei „Heraldria“ (sic!) verzeichnet. 1705 erschien in Leipzig als wohl nennenswerteste ältere Titelsammlung die des bibliographisch interessierten Rostocker Professors des Hebräischen und der Theologie, Karl Arnd (1673–17218): in seiner selbst in Bibliotheken kaum noch irgendwo einzusehenden, teilweise auf Lipenius gestützten, aber verbesserten und umfangreicheren „Bibliotheca politicoheraldica selecta“9, hat er auf immerhin rund 80 Seiten heraldische Titel zusammengetragen und, wie damals üblich, lateinisch kommentiert. Leider fand seine Arbeit im römisch-deutschen Kaiserreich des 18. Jahrhunderts zunächst keine unmittelbare Fortsetzung. Doch konnte man sich wenigstens mit Angaben in der Leitfadenliteratur behelfen, etwa mit Martin Schmeizels10 „Einleitung zur Wappen-Lehre“ (1723), die im VIII. Absatz „von den hierher gehörenden Schriften“11 handelt, desgleichen mit Johann Paul Reinhard in seiner „Vollständigen Wappenkunst“12 (1747), schließlich mit Johann Christian Gatterers13 „Handbuch der Universalhistorie nach ihrem 4
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Moller (auch Moeller), geb. 28.5.1642 in Preßburg, starb am 25.2.1712 in Altdorf; er war in zweiter Ehe mit einer Tochter Wagenseils verheiratet. Erschienen Altdorf 1681. Lipenius war Philologe, geb. 11.11.1638 in Görlitz/Mark Brandenburg, erwarb 1652 in Wittenberg den Magistergrad und war seit 1676 Konrektor des Gymnasiums in Lübeck, wo er am 6.11.1692 starb. Bibliotheca realis philosophica omnium materiarum, rerum et titulorum in universo totius philosophiae ambitu occurrentium. 2 Teile, Frankfurt/M. 1682–83, bes. S. 111 f., 641–643, 735 f., 1448–1450. Über ihn vgl. das Allgemeine Gelehrten-Lexikon. Hrsg. von Christian Gottlieb Jöcher. T. I. Leipzig 1750. Sp. 552. Bibliotheca politico-heraldica selecta haec est recensus scriptorum ad politica atque heraldicam pertinentium selectus ex praestantissimis praestantissimorum scriptorum monumentis conquisitus, rarioribus ex hist. literaria observationibus illustratus et accuratioribus eruditorum judiciis constipatus. Cum praefat. de selectiss. bibliothecarum, theologicae, juridicae, medicae et philosophicae collectoribus. Rostock und Leipzig 1705, bes. S. 453–529. Martin Schmeizel, geb. 28.5.1679 in Kronstadt/Siebenbürgen, erwarb 1712 in Jena den Magistergrad und lehrte seit 1731 als Professor der Rechte und der Geschichte in Halle/S., wo er am 30.7.1747 als kgl.-preußischer Hofrat starb. Hinzuweisen bleibt u. a. auf seine Schrift „Vom Gebrauch und Mißbrauch der Wappen“. Erschien erstmals Jena 1723, erneut 1734. Literatur, S. 55–70, dazu in der zweiten Aufl. noch S. 271–273. Erschienen in Nürnberg 1747, Lit. S. 21–26. Über Gatterer vgl. Lothar Graf zu Dohna, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964) 89–91. Bekannt geworden ist vor allem Gatterers „Abriß der Heraldik“, Nürnberg 1764, 1773, neue verb. Aufl. 1792.
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gesamten Umfange“ (176114). Was in diesen Kompendien an bibliographischen Angaben vermittelt wird, ist jedoch im ganzen noch dürftig und sehr oft ungenau. Ein Wandel zeichnet sich erst mit Peter Paul Finauers bayerischem „Magazin für die neueste Literatur“ (1775 ff.15) ab, das die Heraldik berücksichtigt, auch Heinrich Wilhelm Lawatz’s bewährtes altes „Handbuch für Bücherfreunde und Bibliothekare“ (1793) verzeichnet am Schluß rund hundert Wappentitel und das recht zuverlässig16. Sehr viel weniger bietet dagegen z. B. Feßmaiers „Grundriß der historischen Hülfswissenschaften“ (180217), so daß man für eine umfangreichere bibliographische Information, allerdings nur soweit sie den Adel betrifft, doch zu Hellbachs unzuverlässigem „Adels-Lexikon“ greifen mußte18. Den nächsten, besonders erwähnenswerten Versuch, das bisher erschienene wappenkundliche Schrifttum zu erfassen, unternahm mehr als hundert Jahre nach Arnd, damit also keineswegs „erstmalig“19 der Breslauer, nachmals Bonner Bibliothekar Theodor Bernd (1775–1854), der seit 1822 dort zum Universitätsprofessor für Diplomatik, Sphragistik und Heraldik ernannt worden war20. Seine vierteilige „Allgemeine Schriftenkunde der gesamten Wappenwissenschaft mit beurteilenden, und anderen zur Bücher- und Gelehrtengeschichte gehörenden Bemerkungen und Nachweisungen“ (Laden14 15
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Göttingen 1761 u. ö., S. 13–17. Magazin für die neueste Literatur, Kenntnis Bayerischer Schriftsteller, Diplomatik, Genealogie und Heraldik, Topographie, dann überhaupt für die alte und neuere Geschichte in Bayern. Bd. 1, St. 1–6. München 1775–76. II. Teil, I. Band: Statistik, Politik und einige damit verwandte Gegenstände, 1. Abteilung. Halle 1793. S. 851 ff. Landshut 1802. S. 194–200. Ilmenau 1815. Band 1, S. 1–46: 1. Alphabetisches Verzeichnis der generellen historisch-genealogischen Schriften über den hohen und niedern Adel in den auf dem Titel benannten Landen. – II. Alphabetisches Verzeichnis über die historisch-genealogischen und heraldischen Schriften, welche den Adel in den auf dem Titel angegebenen Ländern, ihren einzelnen Provinzen, Distrikten, Städten, Ritter-Cantons und Ritter-Orden betreffen. Wappenfibel, Handbuch der Heraldik. Begründet von Adolf Matthias Hildebrandt. 17. verbesserte u. erw. Auflage. Hrsg. vom „Herold“. Neustadt/Aisch 1981. S. 15. Über Bernd vgl. Eltester, in: Allgemeine Deutsche Biographie 2 (1875) 411–412; Alfred Nicolovius: Der deutsche Heraldiker Theodor Bernd, 2. Aufl. bes. von Linda Bernd. Bonn 1893; Paul Egon Hübinger: Das Historische Seminar der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität. Bonn 1963. S. 2; Richard Mummendey: Die Bibliothekare des Wissenschaftlichen Dienstes der Universitätsbibliothek Bonn 1818–1968. Bonn 1968. S. 22 f.; Otto Wenig: Verzeichnis der Professoren und Dozenten der Rheinischen-Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn 1818–1968. Bonn 1968. S. 20. – Das Datum der Ernennung zum a. o. Bonner Professor wird unterschiedlich angegeben; nach einer freundl. Auskunft des Universitätsarchivs vom 14.7.1982 ist jedoch 1822 richtig.
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preis damals 5 Reichstaler!21) stellt eine sehr ausführliche „Bibliographie raisonné“ dar, die der Verfasser seinem Förderer, dem preußischen Kultusminister Karl Freiherrn vom Stein zum Altenstein widmen durfte. Der noch in der Schule Gatterers stehende Bernd22) verweist in seinem Vorwort vielleicht allzu selbstbewußt darauf, daß die Wappenwissenschaft bisher, „einige frühe schwache Versuche abgerechnet“, eines eigenen „Schriftenwerkes“ entbehrte, und nennt dafür Gründe, die aufschlußreich genug sind, um sie zur Erläuterung der damaligen Situation zu zitieren: „Der Grund des Mangels eines Schriftenwerkes für die Wappenwissenschaft liegt also ausserhalb, darin nämlich, daß gelehrte und sachkundige Männer sich mit ihr nur als mit einer Nebensache beschäftigen konnten, daß es ihnen gänzlich an brauchbaren Vorarbeiten fehlte, und auch an Lust und an Zeit gebrach, ein bisher fast ganz verlassenes und wüst liegendes Feld anzubauen. Jetzt aber, wo der Gegenstand dieser Wissenschaft selbst wieder überall sein altes Ansehen gewinnt oder behauptet, wo dieselbe auf den Hochschulen Preußens neben der Urkundenwissenschaft und der damit verbundenen Siegellehre ein Gegenstand des Unterrichts wiederum geworden ist, geziemt es sich, daß auch sie, nicht länger eines Werkes ermangele, aus welchem man den ganzen Umfang derselben, und das, was über Wappen, Ursprung, Geschichte, Gebrauch, Recht usw. derselben und über Alles, was damit in Verbindung stehet, geschrieben worden ist, kennen lerne“23. Nach Bernd epochalem Werk, das allerdings „nur das vor der modernen Hochblüte der Heraldik entstandene Schrifttum“ erfaßte24, verstrichen wiederum hundert Jahre, ehe es in unserem Jahrhundert in anderer Weise fortgesetzt wurde. Bis dahin sammelten die führenden, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründeten heraldischen und genealogischen Vereinigungen, wie der 1869 in Berlin begründete Verein „Der Herold“ und die 1870 in Wien ins Leben gerufene Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „Adler“, das in ungeahntem Umfange zunehmende Schrifttum in ihren Spezialbibliotheken, die sie teilweise auch durch gedruckte Katalog der Benutzung
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3 Teile. Bonn und Leipzig 1830–35. Nachtragsband 1841. Vgl. Gustav A. Seyler: Geschichte der Heraldik. Nürnberg 1885–89 (1890). Reprogr. Nachdr. Neustadt/Aisch 1970. S. 741, 781 (= J. Siebmacher’s großes Wappenbuch Bd. A). Vorwort S. VI. – Gustav A. Seyler, der das „verdienstvolle“ Werk schätzt, bezeichnet seinen Autor als „fleißigen Mann, der sich vergeblich abmühte, dem ausgemergelten Boden Früchte abzuringen“ (Geschichte der Heraldik, wie Anm. 22, S. 735). Die Vertretung der Heraldik als wissenschaftliches Lehrfach an Universitäten blieb nach Bernds Tod – und man kann hinzufügen: bis heute – selten, was Seyler begrüßte: „Für die Heraldik ist es am besten, wenn sie eine freie Wissenschaft bleibt“ (ib., S. 781). Wappenfibel (wie Anm. 19).
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ihrer auswärtigen Mitglieder erschlossen25: dadurch ließen sich wenigstens die wichtigsten neueren Monographien zur Heraldik einigermaßen vollständig in diesen Titelsammlungen ermitteln. Inzwischen hatte sich aber das Schwergewicht der heraldischen Forschung (wie in anderen Fachrichtungen auch) von den Einzelveröffentlichungen immer mehr zur Zeitschriftenliteratur verlagert, so daß es in einer neuen heraldischen Bibliographie darauf ankommen mußte, neben Handbüchern, Anleitungen und Sammelwerken vor allem die vom Einzelnen kaum noch zu überblickende Aufsatzliteratur zu erfassen und der Wissenschaft in sachlicher Folge zu erschließen. Dieser mühsamen und entsagungsvollen Aufgabe unterzog sich in den dreißiger Jahren in Rahmen der von den Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte (in Leipzig) herausgebenen „Familiengeschichtlichen Bibliographie“, der Münchener Verlags- und Sortimentsbuchhändler Egon Freiherr v. Berchem (1876–194626), der schon mit einer kleinen „Heraldischen Bücherkunde für den Familienforscher“ hervorgetreten war27. Seine neue „Heraldische Bibliographie“ (hauptsächlich der Jahre 1900–1936, jedoch mit auswahlweiser Berücksichtigung auch der älteren deutschsprachigen Literatur) erschien 193728 und erfaßt auf 432 Seiten rund 13 000 Titel, übrigens auch zum Siegelwesen (sowie über Fahnen und Flaggen, Orden, Exlibris, Druckereizeichen usw.), was ihr Titel nicht ohne weiteres vermuten läßt. Nicht daß diese Bibliographie nach ihrer eigenen 25
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Vgl. den Katalog der k.k. heraldischen Gesellschaft „Adler“, nebst einer Übersicht der Sammlungen, Wien 1890. 126 S. oder Verzeichnis der Bücher- und SchriftenSammlung des Vereins Herold, Berlin 1904. 332 S., später erschienen diverse Nachträge. Da ein Nachruf fehlt und Otto Frhr. v. Waldenfels in seinem Beitrag „Egon Freiherr von Berchem und Otto Hupp in dankbarem Gedenken“ (in: Der Familienforscher in Bayern, Franken und Schwaben 1, 1950, S. 1) keinerlei biographische Angaben über B. macht, seien, einer freundlichen Mitteilung des Matrikelführers vom Verein „Der Herold“, Herrn Dr. Heinz Hugo, Berlin, vom 12.7.1982, wenigstens die folgenden mitgeteilt: Egon Frhr. v. B.wurde am 2.4.1876 in Stuttgart geboren und starb am 1.12.1946 in Oberoelkofen bei Grafing. Als gelernter Buchhändler erwarb er zunächst die Rostsche Buchhandlung in Waldheim/Sa. und 1911 den Schulbuchverlag von Max Kellerer in München, eine Verlags- und Sortimentsbuchhandlung, die 1943 den Bomben des 2. Weltkrieges zum Opfer fiel. B. war leitend in verschiedenen Organisationen seines Berufsstandes tätig, seinen hilfswissenschaftlichen Neigungen entsprechend, u. a. auch als Mitglied des geschäftsführenden Hauptausschusses der Leipziger Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte (1922–34), ferner in München als Vorsitzender des St. Michael-Vereins deutscher Edelleute, sowie als 1. Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde (1924–45). B. war Verbandspolitiker, in zweiter Linie aber auch als Autor heraldischer und sonstiger wissenschaftlicher Arbeiten bemerkenswert. Leipzig 1925 (= Praktikum für Familienforscher H. 9). Als 3. Teil des 5. Bandes.
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Einschätzung „die erstrebte Vollständigkeit noch nicht erreichen“ konnte29, ist gegen sie einzuwenden, sondern daß sie einer systematischen Stoffgliederung ermangelt, die „trotz gewisser Schwierigkeiten“, die auch ihre Kritiker einräumen, „unbedingt erforderlich gewesen“ wäre30. Stattdessen hat sich „der Verfasser für das Alphabet entschieden und hierzu das ,System‘ befolgt, das für die anderen Bände der ,Familiengeschichtlichen Bibliographie‘ wohl das einzig mögliche war, aber hier bei einem ganz anders gearteten Thema zu Schwierigkeiten in der Benutzung führt“31. Entstanden ist ein eigenartiges Mischregister, „aufgebaut“ aus Verfassernamen und Schlagworten (wie Altardecken, Anbringen, Automobilismus, Bettdecke, Brustkreuz, Christi, Dummheit, Einladungskarten, Einsiedler, Feldkanone, Frühkretische Siegel, Gasthaus, Geschlechtstabelle usw.), die ohne Einbindung in Sachgruppen nur wenig Nutzen zu stiften vermögen. Das Ergebnis ist ein gedruckter Kreuzkatalog, der zwar prinzipiell das Auffinden eines Titels sowohl unter dem Autor als auch unter dem Sachtitel ermöglicht, doch die Titelsuche zu einem bestimmten Thema umständlich, wenn nicht gar unmöglich gestaltet, so daß der Forschungsstand nur unzureichend ermittelt, noch leichter auch verfehlt werden kann. Neben diesem grundsätzlichen Einwand, können auch andere Mängel nicht ganz verschwiegen werden, „die dem Werk sichtbar anhaften und namentlich in der ungleichmäßigen und oft recht unzulänglichen bibliographischen Behandlung der einzelnen Titel“32 zutage treten. Tatsächlich hat Berchem wenig sorgfältig gearbeitet, so daß seine Fehlerquote hoch ist: ungenaue, manchmal gar nicht mehr bibliographierbare Titelangaben mit fehlenden Verfasser- und/ oder Jahresangaben, fehlenden oder falschen Seitenzahlen sind nicht selten, auch Phantomtitel (z. B. fehlender Aufsätze in angegebenen Serien) kommen vor, so daß man nie wirklich sicher sein kann, ob es einen Titel in der angeführten Form tatsächlich gibt oder nicht. Auch über Berchems Auswahlkriterien erfährt der Benutzer nichts, was erwünscht gewesen wäre, zumal der Autor den bloßen Wappenbildernachweis im Stile Kenfenheuers33 ebensowenig verschmäht, wie Notizen von zwei Zeilen Länge. So dankenswert dies einerseits auch sein mag, so verstellt es doch andererseits den Blick für das wesentlichere Schrifttum. Dadurch hat sich „neben Wertvollem auch viel minder Wertvolles, ja bestimmt Wertloses 29 30
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Vorwort; Seite 239. Eberhard Crusius: Siegel- und wappenkundliches Schrifttum Schleswig-Holsteins. Zu dem Buch von E. Frhrn. v. Berchem ,Heraldische Bibliographie‘, in: Die Sippe der Nordmark F. 2 (1938) 25–26. Ottfried Neubecker in seiner Rezension von Berchems Bibliographie in: Familiengeschichtliche Blätter 36 (1938) Sp. 33. Willy Flach in seiner Besprechung von Berchems Buch, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Alterumskunde 42 (1940) 466–467. Johann Josef Kenfenheuer: Alphabetisches Namenregister bürgerlicher deutscher Wappenvorkommen. Hoffnungsthal – Köln 1937.
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eingestellt“34. Schließlich vermißt man mehr Methode bei der Auswertung von Zeitschriftenreihen, die oft nur unvollständig ausgeschöpft wurden. Leider ist das schon 1937 im Vorwort von Berchem angekündigte „künftige Ergänzungsheft“ der Bibliographie nie erschienen, in dem wenigstens diejenigen „Titel, die aus irgendeinem Grund noch nicht vollständig gebracht werden konnten“ gänzlich „wiederholt werden“ sollten35. Innerhalb der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ hatten vor Berchem schon Günther Preuß-Tantzen Veröffentlichungen zur „Wappenkunde“ aus den Jahren 1897–9936 und Johannes Hohlfeld zur „Siegel- und Wappenkunde“ für das Jahr 1935 mit Nachträgen für 1927–34 bearbeitet37, was letzterer noch für 1936–37 und, zusammen mit Ottfried Neubecker, für 1938–45 fortsetzte38. Dann kam die heraldische Berichterstattung innerhalb dieser Bibliographie ins Stocken, sieht man von den Jahren 1960–62 ab, in denen Heinz F. Friederichs noch einmal einen Versuch unternahm, im Abschnitt „Wappen, Siegel, Marken“ wenigstens einige Monographien zur Familienheraldik zu erfassen. Aber so mißlich das seitherige Stagnieren der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ für die deutsche und österreichische Genealogie auch ist, – der Heraldiker konnte sich angesichts einer anderen Berichterstattung trösten, die, mehr historisch als familiengeschichtlich geprägt, Berchems Werk periodisch fortgeführt hat: mit den von dem 1902 in Budweis geborenen, späteren Detmolder Staatsarchivdirektor Erich Kittel seit 1932 bearbeiteten Übersichten in den Jahresberichten für Deutsche Geschichte“39. Er meldete bis 1942, zuletzt in Band 15/16 für 1939/40, alle Titel über „Wappen, Siegel, Fahnen und Flaggen“40, die ihm bekannt wurden. Nach 1945 setzte er seine ausgezeichnete Berichterstattung nicht mehr in den „Jahresberichten“, die nun in Leipzig erscheinen und heraldisch auch weiterhin beachtlich bleiben, sondern in den zunächst in Wiesbaden von Otto Renkhoff, heute in Göttingen von Hans Patze redigierten „Blättern für deutsche Landesgeschichte“ in regelmäßigen Abständen fort, wo er
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Crusius (wie Anm. 30). Vorwort, Seite 239. Familiengeschichtliche Bibliographie, Bd. V/2, Leipzig 1936, S. 214–215. Desgl., Bd. V/1, Leipzig 1936, S. 62–65. Desgl., Bd. VI, Leipzig 1938, S. 136–142 und Bd. VII, Neustadt/Aisch 1967, S. 772– 840. Vorläufer waren die „Jahresberichte der deutschen Geschichte“, von Victor Loewe und Manfred Stimmig. Breslau 1920–26. Sie wurden fortgesetzt durch die „Jahresberichte für Deutsche Geschichte“ unter Mitarbeit von Victor Loewe, hrsg. von Albert Brackmann und Fritz Hartung, Leipzig 1925 ff. Teil IX für 1932 in Jg. 8 (1934), Nrn. 388–411; für 1933/34 in Jg. 9/10 (1936), Nrn. 453–463; für 1935 in Jg. 11 (1936) Nrn. 375–393; für 1936 in Jg. 12 (1937) Nrn. 334–352; für 1937 in Jg. 13 (1939), Nrn. 404–422; für 1938 in Jg. 14 (1940), Nrn. 416–444; für 1939 in Jgg. 15/16 (1942), Nrn. 734–768.
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nicht nur Titellisten zur Heraldik (und Sphragistik) veröffentlichte, sondern diese Neuerscheinungen, systematisch gruppiert, auch kritisch würdigte41. Neben Kittel als Archivar hat auch Ottfried Neubecker als Heraldiker immer wieder sporadisch in Forschungsberichten versucht, eine „Heraldische Rundschau“ vorzunehmen42, so 1940–43 in der „Vierteljahrsschrift“ des Berliner Vereins „Der Herold“, 1955–56 in dessen „Mitteilungen“ und von 1956–62 wiederum in seiner „Vierteljahrsschrift“, ferner in zwei heraldischen Schrifttumsberichten zur Genealogie (1951 und 1953), die sämtlich wichtige Abschnitte heraldisch-historischer Wissenschaftswürdigung enthalten und für eine Fortsetzung von Gustav A. Seylers „Geschichte der Heraldik“43 einmal unentbehrlich sein werden. Neubeckers Berichte galten keineswegs nur der Familienheraldik, sondern berücksichtigten immer auch Neuerscheinungen zur Staats- und Kommunalheraldik, wie auch Hugo Schünemanns viel benutzte „Bibliographie zur Familien- und Wappenkunde“, die von 1961–68 im „Archiv für Sippenforschung“ erschienen ist; sie fand nach dem Tode dieses verdienten Bibliothekars leider keine Fortsetzung mehr. Als bald nach ihm auch Erich Kittel (1974) starb, dessen letzter Schrifttumsbericht 1971 erschien44, steht es nun auch mit der periodischen-heraldischen Fachbibliographie Deutschlands und Österreichs nicht mehr zum besten. Sie ist seither im wesentlichen auf die Mitbetreuung durch verwandte Fachrichtungen angewiesen. Darauf ist allerdings nicht immer Verlaß, wie die noch weniger günstige Situation der genealogischen Bibliographie gezeigt hat, die schon früher „aufgab“. Setzt man stattdessen seine Hoffnungen auf die enge Verwandtschaft von Heraldik und Kunstgeschichte, so wird man die betrübliche Entdeckung machen müssen, daß Arbeiten zur Wappenkunde zwar im „Schrifttum zur deutschen Kunst“ in den Jahrgängen 1934 bis 1961 mitangezeigt wurden, danach aus unbekannten Gründen aber nicht mehr. Dafür finden sich vereinzelt Titel in der von Matthias Lurker bearbeiteten Spezialbibliographie zur Symbolkunde, deren 1. Jahrgang 1968 erschien. 41
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Wappen und Siegel im Schrifttum der Nachkriegszeit: 1945–1956 in Jg. 93 (1957) S. 350–388 (313 Titel); Wappen und Siegel 1957–1958 nebst Nachtrag für 1945–1956 in Jg. 95 (1959) S. 375–408 (258 Titel); Wappen und Siegel 1959–1961 in Jg. 98 (1962) S. 285–333 (427 Titel); Wappen und Siegel 1962–1963 in Jg. 100 (1964) S. 386–432 (298 Titel); Wappen und Siegel 1964–1966 in Jg. 103 (1967) S. 242–307 (441 Titel); Sammelbesprechung zur Heraldik und Sphragistik in Jg. 106 (1970) S. 210–228; Wappen und Siegel 1967–1970 in Jg. 107 (1971) S. 275–337. Ottfried Neubecker: Heraldische Rundschau, in: Vierteljahrsschrift Herold NF 1 (1940) A1–A56; NF 2 (1941) A1–A51; NF 3 (1943) A1–A68; NF 4 (1959–62) S. 27– 38. Wie Anm. 22. Nach seinem Tode ist eine Fortsetzung dieser wichtigen Sammelberichte zwar geplant gewesen, aber bisher nicht zustandegekommen, so daß zunächst eine Titelübersicht zur Überbrückung zu bearbeiten war von Eckart Henning: Wappen 1971–1981, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118 (1982) S. 383–406.
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Bleibt die Geschichtswissenschaft, die die Heraldik nicht ohne Grund zu ihrer „Hilfswissenschaft“ erkor, und so bleiben auch deren in Leipzig erarbeitete „Jahresberichte zur deutschen Geschichte“, die allerdings kaum aktuell genannt zu werden verdienen, da sie nur mit großer Verzögerung erscheinen. Für alle, die Geschichte lehren oder studieren, hat daher Ottfried Neubecker an „prominenter Stelle“, nämlich in der 10. Auflage der von Dahlmann-Waitz begründeten „Quellenkunde der Deutschen Geschichte“, das bibliographische Grundwissen zur Heraldik zusammengestellt45. Günstiger sieht es bei den teilweise in rascher Folge fortgesetzten landesgeschichtlichen Bibliographien Deutschlands (leider kaum Österreichs) aus, die das heraldische Schrifttum zumeist berücksichtigen, allerdings nicht immer in einem eigenen Abschnitt.46 Daneben gibt es auch Ansätze zu regionalen Sammlungen heraldischer Titel, die jedoch entweder über solche nicht hinausgelangt sind (wie der von Crusius47) oder vorwiegend familienkundliche Literatur berücksichtigen (wie Maschke in seiner fränkischen Bibliographie48), schon weil hier der Anfall wappenkundlicher Arbeiten nicht so groß ist, daß damit ein heraldisches Berichtsorgan auf regionaler Grundlage zu speisen wäre. So bleibt als letzter bibliographischer Versuch nur noch die Vorarbeit zu erwähnen, die der „Schlüssel“ leistet. Hierbei handelt es sich um ein von der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft in Göttingen herausgegebenes, inzwischen auf sieben Bände angewachsenes Gesamtinhaltsverzeichnis für genealogische, historische und heraldische Zeitschriften und Serien49, das somit auch das wappenkundliche Titelmaterial der meisten einschlägigen Periodica Deutschlands und Österreichs enthält, darunter die des Berliner Vereins „Der Herold“, bearbeitet von Erik Amburger und Alexander v. Einsiedel, und der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“ in Wien, bearbeitet von Hanns Jäger-Sunstenau. Auch wenn die Titelaufnahmen im „Schlüssel“ so unterschiedlich wie die bibliothekarische Vorbildung der einzelnen Bearbeiter und daher auch bibliographisch nicht immer zuverlässig sind50, so hoffen wir doch auf seine Fortsetzung, die nun zumindest bedroht erscheint, nachdem kurz hintereinander Hauptbearbeiter und Verleger des „Schlüssel“ gestorben sind. 45 46
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Bd. 1. Stuttgart 1969, Abschnitt 20, Nr. 1–187. Vgl. Reinhard Oberschelp. Die Bibliographien zur deutschen Landesgeschichte und Landeskunde im 19. u. 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1967. 2. Aufl. 1977 u. Erich Keyser: Bibliographie zur Städtegeschichte Deutschlands. Köln, Wien 1969. Crusius (wie Anm. 30). Hermann Maschke: Bibliographie zur Genealogie und Heraldik Frankens. In: Blätter für Fränkische Familienkunde 1957 ff. Der Schlüssel, Bd. 1 ff. Göttingen 1950 ff. Sie geben auch meist nur den Seitenanfang an, so daß man sich keine rechte Vorstellung davon machen kann, ob ein Thema ausführlicher behandelt oder nur eben „angerissen“ wurde.
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Wir stehen heute also, faßt man die bibliographische Situation zusammen, die in Österreich51 eher noch ungünstiger ist als in Deutschland, vor einer Vielzahl von Titelsammlungen bzw. nur vor bloßen Ansätzen dazu, die für den einzelnen Forscher schwer überschaubar sind und die dringend einer Kumulation, d.h. einer neuen heraldischen Fachbibliographie bedürfen. Diese Situation hat beim Verein „Der Herold“ zum Plan einer Verkartung der vielen einschlägigen Veröffentlichungen geführt, die zu einer „großen, systematisch nach Sachgruppen geordneten Heraldischen Bibliographie in Karteiform“ umgestaltet werden sollte – doch leider ist auch diese ein Torso geblieben, da es hier sowohl wieder an der Anzahl wie an der Sachkunde ehrenamtlicher Mitarbeiter fehlte52. Die dafür dankenswerterweise vom Herolds-Ausschuß für die Deutsche Wappenrolle entwickelte Systematik kann jedoch mitnichten als „anpassungs- und ergänzungsfähig“53 angesehen werden, zumal die hier angewandte Dezimalklassifikation allzu beengend wirkt; zumindest muß es „dahingestellt“ bleiben, „ob es zweckmäßig war, den Stoff ... in das Schema von nur neun Hauptgruppen mit ebenfalls je höchstens neun Untergruppen (und entsprechend weiteren Unterteilungen) zu pressen“54. In dieser unklaren bibliographischen Lage unternahmen es die Bearbeiter, der eine angeregt von seiner mehrjährigen Vorstandsarbeit für den Berliner Verein „Der Herold“, die andere gefördert durch ihre bibliothekarischen Erfahrungen in der dienstlichen Betreuung von dessen Spezialbibliothek, das verstreute, hier nur knapp umrissene55 Titelmaterial zu sammeln und nach einer weniger am „grünen Tisch“ (= deduktiv) entworfenen, sondern mehr induktiv aus dem Material selbst entwickelten Systematik neu zu ordnen und durch zusätzliche Register alphabetisch zu erschließen. Dabei berieten die Bearbeiter u.a. auf dem 14. Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Kopenhagen (August 1980) und anläßlich der Jahresversammlung der Internationalen Akademie für Heraldik in Toledo (September 1982) in vielen Einzelgesprächen, u. a. Hans Horstmann (Münster/W.), Hanns Jäger-Sunstenau (Wien), Hans-Enno
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Vgl. hierzu nochmals Hanns Jäger-Sunstenau: Die wichtigste Literatur zur Heraldik Österreichs (wie Anm. 1). Wappenfibel (wie Anm. 19), S. 16. Ib., S. 16–19. Erich Kittel: Zur Sphragistik und Heraldik, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 106 (1970) S. 210. Bereits auf dem XV. Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Madrid stellte Eckart Henning im September 1982, wenig geändert, seine hier dargelegten Gedanken „Zur Entwicklung der heraldischen Bibliographie Deutschlands und Österreichs seit dem 17. Jahrhundert“ zur Diskussion, so daß Beiträge der Teilnehmer hier noch berücksichtigt werden konnten. Vgl. den Abdruck des Vortrags im Kongreßbericht, Madrid 1983, S. 237–250.
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Korn (Marburg) und Ottfried Neubecker (Wiesbaden u. Stuttgart), wofür ihnen auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
II Der Erfassungsraum dieser neuen „Bibliographie zur Heraldik“ entspricht, wie ihr Untertitel angibt, grundsätzlich dem deutschen Sprachraum, berücksichtigt also auch das österreichische Schrifttum zur Heraldik wie das einiger früher deutsch schreibender Randgebiete des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation, allerdings nicht das der Schweiz (wo eine Beschränkung auf das deutsche Titelmaterial allzu willkürlich gewesen wäre). Nicht aufgenommen wurden auch in deutscher Sprache verfaßte Arbeiten über ausländische bzw. fremdsprachliche über deutsche Wappen (mit Ausnahme der älteren Literatur in lateinischer Sprache). Die Erfassungszeit reicht bis 1980 (in Ausnahmefällen bis 1982/83), doch verzeichnet die vorgelegte Fachbibliographie nicht nur die neuere Literatur nach 1937, sondern auch das wichtigste Titelmaterial der von Karl Arnd, Theodor Bernd und Egon Freiherrn v. Berchem erarbeiteten Schrifttumsverzeichnisse. Ziel der vorliegenden war es mithin, eine abgeschlossene (retrospektive), keine periodische Bibliographie der Heraldik zu erstellen, was aber nicht ausschließt, daß das einstweilen nur in fortgesetzten Sammelberichten der „Blätter für deutsche Landesgeschichte“ erfaßte Titelmaterial später einmal in Nachträgen (zu Neuauflagen) oder in Ergänzungsbänden vorgelegt werden kann. Die hier von den Bearbeitern angestrebte Primärbibliographie, d.h. ein auf Autopsie beruhendes Schrifttumsverzeichnis, ließ sich freilich anders als bei einer von ihnen früher vorgelegten landesgeschichtlichen Bibliographie56 wegen des kaum noch übersehbaren Titelgutes nicht verwirklichen; immerhin hatten die Bearbeiter noch ungefähr ein Drittel aller Titel selbst in der Hand. Sie mußten sich, stärker als beabsichtigt, bei der Titelsuche auf die bereits vorhandenen und teilweise oben besprochenen heraldischen und genealogischen Schrifttumsverzeichnisse, auf die gedruckten und ungedruckten Kataloge von Spezialbibliotheken, auf die landesgeschichtlichen Bibliographien und die der heraldischen Nachbarwissenschaften stützen, sowie auf die Auswertung von Zeitschriften und sonstiger Fachliteratur. Dabei ist das Risiko, einen unklaren Titel falsch einzuordnen, unvermeidlich gewachsen. Doch wurde Wert auf die größtmögliche Vollständigkeit der Titelangaben gelegt (etwa auf nicht abgekürzte Vornamen, wo mehr als der Anfangsbuchstabe bekannt war, auf genaue Paginierung, also von der ersten bis zur letzten Seite statt „f.“ oder „ff.“), damit die Arbeiten wenigstens in Bibliotheken aufzufinden und nachzuprüfen sind. Wo es 56
Vgl. Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Hennebergischen Geschichte. Köln, Wien 1976 (= Mitteldeutsche Forschungen Bd. 80).
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für das Verständnis der einzelnen Titel unbedingt notwendig erschien, wurden erläuternde, gelegentlich auch kritische Hinweise hinzugefügt, ohne daß die Bibliographie insgesamt einen analytischen oder räsonierenden Charakter angenommen hätte. Neben Monographien und Aufsätzen, die möglichst vollständig erfaßt wurden, soweit ihre Titel einen heraldischen Bezug erkennen ließen (also keine „versteckten“ Titel!), konnten Kurzmitteilungen, auch Zeitungsartikel und Rezensionen, wenn sie nicht von grundsätzlicher Bedeutung waren, angesichts der Titelfülle nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Auch bloße Einzelnachweise von Familienwappen, z. B. aus den verschiedenen Wappenrollen, aus Buchreihen wie dem „Deutschen Geschlechterbuch“ oder dem „Deutschen Familienarchiv“, aus den veröffentlichten Familiengeschichten usw. fehlen hier, da sie u. E. als bloße Bild- oder Textnachweise57 nicht in eine Bibliographie gehören. Wie die meisten Bibliographien enthält also auch die vorliegende eine bloße Aufzählung von Titeln, die jedoch erstmals in der neueren Heraldik systematisch nach Sachgebieten geordnet wurden, innerhalb der Untergruppen alphabetisch nach Verfassern oder anonymen Sachtiteln (Schlagwörtern), in einigen Fällen auch topographisch. Grundsätzlich hatte bei der Einordnung der Titel der sachliche Bezug Vorrang vor dem regionalen oder familiengeschichtlichen, grundsätzlich muß daher auch bei der Suche nach Titeln über eine bestimmte Region, einen besonderen Ort, eine Familie oder Person usw. das beigegebene umfangreiche Orts- und Familiennamenregister befragt werden, das dazu beitragen soll, fehlende Verweise zu ersetzen und gestörte Zusammenhänge wiederherzustellen. Zur Systematik selbst ist oben schon auf die vom Herolds-Ausschuß für die DWR entwickelte hingewiesen worden, der die Bearbeiter wertvolle Anregungen verdanken, auch wenn sie sich in der vorgelegten Form58 als kaum praktikabel erwies (so gibt es für einzelne Gruppen bisher keine Literatur, andere wieder sind viel zu eng angelegt, wie die 7000er Gruppen, um dort das vorhandene reiche Titelmaterial bei G übersichtlich zu gliedern). Doch auch die hier gewählte Gliederung, deren Brauchbarkeit erst auszu57
58
Wer nur nach Bild- und/oder Textnachweisen einzelner Wappen sucht, sei für Adelswappen bzw. deren Blasonierung etwa auf „den Gotha“ bzw. auf die verschiedenen Adelslexica, in allen sonstigen Fällen auf J.J. Kenfenheuers „Alphabetisches Namenregister bürgerlicher deutscher Wappenvorkommen“ (1937) und E. Hennings „Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland 1937–1973“ (Nachtrag für 1973–1983 in Vorbereitung) verwiesen. Neuere Kommunalwappen sind in Blasonierung oder Abbildung oft leichter als in den einzelnen Amtsblättern in Gerhard Bieckers „Losen Blättern“ (1977 ff.) zu ermitteln. Von derartigen Einzelnachweisen war die Bibliographie generell zu entlasten, was andererseits Ausnahmen bei schwer ermittelbaren Verfügungen nicht ausschloß. Vgl. oben Anm. 53 und Jürgen Arndt: Heraldische Bibliographie, in: Vjschr. Herold NF 5/6 (1963–69) S. 194–201 bzw. 215.
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probieren und in der Praxis zu überprüfen sein wird, ist nur als ein Versuch anzusehen, Ordnung in das Titelgut zu bringen bzw. vorhandene Strukturen darin aufzudecken. Einige Titel mit übergreifender Thematik entzogen sich dabei hartnäckig jeder eindeutigen Klassifikation, wie auch in den Stichworten Überschneidungen auftraten, die nur durch das Sachregister zu klären sind. Zu den einzelnen Gruppen: A Unter die „Bibliographien und Periodika“ wurden bei A–I nur diejenigen Schrifttumsverzeichnise aufgenommen, die mehr als eine Seite „Heraldik“ enthalten bzw. regelmäßig die wappenkundliche Literatur erfassen, bei A–II nur „Zeitschriften“, die sich ausdrücklich, d. h. ihrem Titel (oder Untertitel) nach mit Wappenkunde beschäftigen. Ergänzende Titellisten finden sich unter H–V, wo bei „Einzelnen Heraldikern“ auch häufig deren Schriftenverzeichnisse – etwa im Anschluß an einen Nachruf – abgedruckt wurden. B Die Übergänge zwischen den nach Umfang und Niveau sehr unterschiedlichen „Leitfäden“ und der sonstigen propädeutischen Literatur (B–I) zu den gewichtigeren „Lehr- und Handbüchern“ (B–II) innerhalb der „Allgemeinen und einführenden Literatur“ sind fließend bzw. waren nur schwerpunktartig bestimmbar; auch die zu Beginn unter F genannte Literatur ist hier gegebenenfalls heranzuziehen. C Die unter C genannten Schriften zeugen insgesamt noch von einem Defizit der Forschung bzw. einer relativ geringen Beschäftigung mit der Geschichte der Heraldik, sieht man vom Forschungsschwerpunkt der Ursprungstheorien (C–II) und Seylers bekannter, noch immer ziemlich einzig dastehender „Geschichte der Heraldik“ ab; die Gruppe der „Wappenhandschriften und -bücher“ (G–II) sollte zur Ergänzung beachtet werden. D Bei der im engeren Sinne die „Wappenkunde“ behandelnden Literatur zeigt sich noch immer ein Mangel an vergleichenden Untersuchungen über „Schildteilungen und Heroldsbilder“ (D–III–2); etwas besser sieht es bei den „Gemeinen Figuren“ (D–III–3) aus. Wegen des Sachvorranges bei der Einordnung gegenüber dem topographischen sei darauf hingewiesen, daß sich beispielsweise der Rautenkranz unter „Raute“ und damit bei den Heroldsbildern (nicht bei Sachsen), das „Sachsenroß“ aber bei den „Gemeinen Figuren“ (und nicht beim Wappen des Königreichs Hannover usw.) findet; man beachte die Verweise, ferner unter G–XV die „Wappengruppen“. Auch Untersuchungen zum „Oberwappen“ (C– IV) und dem „Zubehör zum Wappen“ (C–V) blieben selten. E Im sonst relativ gut erforschten Bereich des „Wappenrechts“ (vgl. hier auch die Hauptgruppen B und G) lassen sich Überschneidungen zwischen der „Ständeheraldik“ (E–IV), besonders der bürgerlichen (E–IV–3) mit der „Familienheraldik“ (E–V) kaum vermeiden. Zum „Heraldischen
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Urkundswesen“ (E–VII) sind Bestandsinformationen über entsprechende Sammlungen von Wappenbriefen in G–I zu vergleichen. F Thematische Überschneidungen kommen auch in den ersten vier Hauptgruppen der „Angewandten Heraldik“ wie ebenfalls in den einzelnen Anwendungsbereichen vor (vgl. etwa F–IV–2–c „Wappen auf Gemälden ...“ mit F–IV–3–a „an Bauwerken“, wo es ebenfalls Wandbilder, Temperamalereien usw. gibt). Bei F–VI „Wappen in Sage und Dichtung“ wurden, obwohl nicht unmittelbar dazugehörig, auch Äußerungen einzelner Dichter zur Heraldik miteinbezogen. G Die große Gruppe „Einzelne Wappen – Wappengruppen“ enthält alle Wappensammlungen soweit diese nicht schon früher unter einem sachlichen Gesichtspunkt eingeordnet wurden, wie etwa die „Wappenbriefe“ (E–VII–1) oder „Wappenrollen“ (E–VII–2). Unter den „Wappenhandschriften und -büchern“ (G–II) fanden unveröffentlichte Handschriften und heraldische Manuskripte nur insoweit Aufnahme, als sich die Literatur mit ihnen beschäftigt hat oder Faksimileausgaben erschienen sind; ihr Nachweis würde sonst den durch den Buchdruck gezogenen bibliographischen Rahmen erheblich überschreiten und ist Sache gedruckter Bibliothekskataloge bzw. der Archivrepertorien. „Sammlungen europäischer Staatswappen“ (G–IV) wurden immerhin in Auswahl aufgenommen, da in ihnen auch deutsche und österreichische Wappen enthalten sind; Vollständigkeit wurde hier nicht angestrebt. Klassifikatorische Schwierigkeiten ergaben sich gelegentlich aus Überschneidungen zwischen den Gruppen G–VI–1/2 und G–IX–4–a, da die „Territorialwappen“ häufig mit denen adeliger Dynastien identisch sind. Regierende Häuser bzw. deren Familien sind generell in die Gruppe „adelige Familien“ (G–IX–4–a) aufgenommen worden, aber auch hier konnten nur Verweise, beispielsweise zwischen Preußen und Hohenzollern, Bayern und Wittelsbach, Österreich und Habsburg das Problem lösen. Die Zusammenstellung von „Wappen bekannter Persönlichkeiten“ (G–XIII–1/2) stellt einen Kompromiß zugunsten der Benutzbarkeit dar, da auch diese Persönlichkeiten natürlich ebenso wie andere ihr Familienwappen und kein „persönliches“ führten. H Während zur Hauptgruppe der „Organisationsformen der Heraldik“ wenig zu sagen ist, muß doch darauf aufmerksam gemacht werden, daß Kurzmitteilungen und Notizen über die einzelnen heraldischen Vereine (H–I–2–a/d), soweit sie in deren Zeitschriften etwa als Sitzungsprotokolle usw. publiziert wurden, hier nur in stark gekürzter Form Aufnahme finden konnten, etwa anläßlich der verschiedenen Jubiläen; für die Vereinsperiodika, die gedruckten Bibliothekskataloge dieser Gesellschaften usw. bleibt ohnehin auf A–1/II zu verweisen, desgl. hinsichtlich ihrer führenden Mitglieder oder Vorstandsvertreter unter H–V („Einzelne Heraldiker“). I Von Literaturangaben zu einzelnen heraldischen Nachbarwissenschaften (I–I/V) war die Bibliographie generell zu entlasten. Die Marken-
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und Zeichenforschung, die Siegelkunde, Familiengeschichtsforschung, die Fahnen- und Flaggenkunde, die Münz- und Medaillenkunde, das Ordenswesen usw. wurden daher nur insoweit berücksichtigt, als im Schrifttum die Wechselbeziehungen zur Wappenkunde behandelt werden. Der eigentliche Literaturnachweis für diese Fächer muß eigenen Fachbibliographien vorbehalten bleiben, wie sie in der Reihe „Bibliographien der Historischen Hilfswissenschaften“ geplant sind. Die Erarbeitung und Kenntnis von Bibliographien, wie der vorgelegten, ist kein bloß bibliothekarisches oder buchhändlerisches Erfordernis, vielmehr sind sie für die wissenschaftliche Arbeit unerläßlich. Je häufiger sie benutzt werden, umso freier kann sich die Wissenschaft entwickeln, ohne den Ballast von Doppelarbeit oder überholten Erkenntnissen mitzuschleppen. Daher sollte diese Bibliographie der Belebung der heraldischen Forschung in Deutschland und Österreich dienen. * Stoffgliederung der Heraldik (zugleich Inhaltsverzeichnis der „Bibliographie zur Heraldik, Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980“ bearbeitet von Eckart Henning und Gabriele Jochums, Köln, Wien: Böhlau 1984 = Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften, Band 1). A BIBLIOGRAPHIEN UND PERIODIKA . .............................................. I. Bibliographien und Kataloge .............................................................. II. Zeitschriften und Serien ...................................................................... B ALLGEMEINE UND EINFÜHRENDE LITERATUR ........................ I. Leitfäden . ............................................................................................. II. Lehr- und Handbücher ....................................................................... C GESCHICHTE DER HERALDIK . .......................................................... I. Grundzüge ........................................................................................... II. Anfänge des Wappenwesens ............................................................... III. Weitere Entwicklung im Spätmittelalter und der Neuzeit . ......................................................................................... IV. Moderne Heraldik (nach 1850) . ......................................................... D WAPPENKUNDE ....................................................................................... I. Heraldische Terminologie ................................................................... II. Farben und Pelzwerk . ......................................................................... III. Der Schild ............................................................................................. 1. Schildformen . ................................................................................. 2. Schildteilungen und Heroldsbilder ...............................................
344 IV. V.
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3. Gemeine Figuren ............................................................................ 4. Redende Wappen . .......................................................................... 5. Beizeichen-Brisuren ....................................................................... Das Oberwappen ................................................................................. 1. Helme .............................................................................................. 2. Helmzier und Wulst . ..................................................................... 3. Helmdecken . .................................................................................. 4. Helmkronen . .................................................................................. Zubehör zum Wappen ......................................................................... 1. Rangkronen .................................................................................... 2. Schildhalter und Wappenmäntel ................................................... 3. Wappensprüche und Bilddevisen ..................................................
E WAPPENRECHT ........................................................................................ I. Allgemeines .......................................................................................... II. Staatsheraldik ....................................................................................... III. Kommunalheraldik .............................................................................. IV. Ständeheraldik . .................................................................................... 1. Adel ................................................................................................. 2. Geistlichkeit . .................................................................................. 3. Bürgertum ....................................................................................... V. Familienheraldik .................................................................................. VI. Einrichtungen zur Ordnung des Wappenwesens .............................. 1. Herold ............................................................................................. 2. Hofpfalzgrafen ............................................................................... 3. Heroldsämter . ................................................................................ VII. Heraldisches Urkundswesen . ............................................................. 1. Wappenbriefe .................................................................................. 2. Wappenrollen . ................................................................................ VIII. Wappenänderungen ............................................................................. IX. Wappenmißbrauch und Wappenschwindel ....................................... F ANGEWANDTE HERALDIK .................................................................. I. Wappensymbolik ................................................................................. II. Grundsätze der Wappendarstellung ................................................... III. Praktische Gestaltung und Anbringung von Wappen ...................... IV. Wappen in Kunst und Kunstgewerbe ................................................ 1. Einführungen . ................................................................................ 2. Wappenmalerei und -drucke ......................................................... a) Wappen in Musterbüchern . .................................................... b) Wappen in Stammbüchern ...................................................... c) Wappen auf Gemälden, Zeichnungen, Schnitten und Stichen . ............................................................................. d) Wappentafeln ...........................................................................
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e) Wappen auf Landkarten .......................................................... f) Heraldische Supralibros .......................................................... g) Wappenkalender ...................................................................... h) Drucksachen mit heraldischem Schmuck .............................. i) Heraldische Glasmalerei ......................................................... k) Wappen auf Textilien ............................................................... 3. Plastische Wappendarstellungen ................................................... a) an Bauwerken . ......................................................................... b) auf Grabdenkmälern und Totenschilden ............................... c) auf Gerät und Hausrat ............................................................ d) als Holzschnitzerei .................................................................. e) Wappensteine ........................................................................... 4. Wappen auf Siegeln ........................................................................ 5. Wappen auf Münzen und Medaillen ............................................. 6. Wappen auf Fahnen . ...................................................................... V. Heraldische Ahnenproben .................................................................. VI. Wappen in Sage und Dichtung . .......................................................... VII. Wappen als Kennzeichen . ................................................................... 1. Wappen als militärische Kennzeichen .......................................... 2. Wappen auf Exlibris ....................................................................... 3. Wappen als Warenzeichen ............................................................. 4. Wappen als Papierzeichen (Wasserzeichen) ................................. 5. Wappen auf Briefmarken ............................................................... 6. Wappen als Eigentumsmarken und sonstige Kennzeichen ......... G EINZELNE WAPPEN – WAPPENGRUPPEN ...................................... I. Wappenrepertorien und Bestandshinweise heraldischer Sammlungen . .................................................................. II. Wappenhandschriften und -bücher .................................................... III. Wappenbildersammlungen .................................................................. IV. Sammlungen europäischer Staatswappen . ......................................... V. Wappen Deutschlands und Österreichs ............................................. 1. Bis 1806 ........................................................................................... 2. Österreich (-Ungarn) ..................................................................... 3. Deutschland 1806–1945 ................................................................. 4. Bundesrepublik Deutschland ........................................................ 5. Deutsche Demokratische Republik .............................................. VI. Territorialwappen ................................................................................ 1. Sammlungen . .................................................................................. 2. Einzelne . ......................................................................................... VII. Kommunalwappen . ............................................................................. 1. Bezirkswappen (und Wappen anderer kommunaler Verbände) ................................................................. a) Sammlungen .............................................................................
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b) Einzelne .................................................................................... 2. Kreiswappen ................................................................................... a) Sammlungen ............................................................................. b) Einzelne .................................................................................... 3. Ortswappen a) Sammlungen europäischer, deutscher und österreichischer Städtewappen ............................................... b) Regionalsammlungen einzelner Länder und Landschaften (einschl. Provinzen, Bezirke usw.) . ................ c) Sammlungen von Ortswappen in einzelnen Kreisen . ................................................................... d) Einzelne Ortswappen . ............................................................ VIII. Wappen von Institutionen und Vereinen ........................................... IX. Familienwappen ................................................................................... 1. Überregionale Sammlungen .......................................................... 2. Regionale Sammlungen . ................................................................ 3. Sammlungen nach Orten ............................................................... 4. Einzelne Familien . ......................................................................... a) Adelige Familien ...................................................................... b) Nichtadlige Familien ............................................................... X. Ehewappen ........................................................................................... XI. Wappen einzelner Stände und Berufe . ............................................... 1. Bauern ............................................................................................. 2. Handwerker und Kaufleute . ......................................................... a) Zunft- und Gildewappen ........................................................ b) Sonstige Berufe ........................................................................ 3. Unehrliche Berufe .......................................................................... 4. Militär . ............................................................................................ 5. Studenten ........................................................................................ 6. Akademiker .................................................................................... 7. Künstler . ......................................................................................... XII. Kirchliche Wappen .............................................................................. 1. Wappen geistlicher Territorien, Stifter und Klöster .................... a) Sammlungen ............................................................................. b) Einzelne .................................................................................... 2. Wappen geistlicher Orden ............................................................. 3. Wappen kirchlicher Würdenträger ............................................... a) Sammlungen ............................................................................. b) Einzelne .................................................................................... XIII. Wappen bekannter Persönlichkeiten .................................................. 1. Sammlungen . .................................................................................. 2. Einzelne Personen .......................................................................... XIV. Heraldische Kuriositäten .................................................................... XV. Wappengruppen ...................................................................................
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H ORGANISATIONSFORMEN DER HERALDIK ................................. I. Heraldische Vereinigungen ................................................................. 1. Allgemeines . ................................................................................... 2. Einzelne Vereine ............................................................................. a) Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „Adler“ – Wien ........................................................................ b) „Der Herold“, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften – Berlin ................................ c) Heraldischer Verein „Zum Kleeblatt“ – Hannover .............. d) Sonstige . ................................................................................... II. Heraldische Ausstellungen . ................................................................ III. Tagungen und Kongresse .................................................................... IV. Heraldik als Lehrfach .......................................................................... V. Einzelne Heraldiker . ........................................................................... I DIE HERALDIK UND IHRE NACHBARWISSENSCHAFTEN I. Marken und Zeichen . .......................................................................... II. Siegelkunde . ......................................................................................... III. Familiengeschichtsforschung .............................................................. IV. Namenkunde . ...................................................................................... V. Sonstige Fächer .................................................................................... NACHTRÄGE . .................................................................................................
Zur Verleihung bürgerlicher Wappen in Preußen Ein vergebliches Immediatgesuch aus dem Jahre 1899*
In Sachsen gründete König Friedrich August III. noch am 8.7.1911 die rechtsfähige, der Aufsicht des Dresdener Innenministeriums unterstellte „Königlich Sächsische Stiftung für Familienforschung“; sie war u. a. damit betraut, die von ihm erteilten bürgerlichen Wappenbriefe auszufertigen und zu registrieren1. Im Deutschen Reich wie in Preußen fehlte dagegen eine entsprechende Einrichtung zur Überwachung des bürgerlichen Wappenwesens2. Einen ersten Versuch, diesem Mangel an staatlicher Aufsicht abzuhelfen, unternahm, soweit ich sehe, im Jahre 1899 Felix Hauptmann, als er in einem Immediatgesuch vom 2. Februar an Kaiser Wilhelm II. darum bat, „die alte Sitte, angesehenen Familien bürgerlichen Standes Wappen zu verleihen“, wiederaufzunehmen3. Der vorliegende Beitrag soll an diesen „vergessenen Meilenstein“ auf dem Wege zur „Deutschen Wappenrolle“ erinnern, der auch als gescheiterter Versuch entwicklungsgeschichtlich bemerkenswert ist und nicht nur wegen Hauptmanns Argumentation, sondern auch wegen der staatlichen Reaktion einen lehrreichen Abschnitt in der Geschichte der bürgerlichen Heraldik darstellt. *
1
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Erstmals erschienen in: Genealogisches Jahrbuch 20 (1980), S. 109–122 (= Festschrift für Heinz F. Friederichs). Vgl. Erich Gritzner: Die Sächsische Stiftung für Familienforschung in Dresden, ihre Geschichte und Aufgaben, in: Mitteilungen des Roland 21 (1936), S. 13–15, vgl. auch Mitteilungen 7 (1922), S. 49. Als gleichsam privater Ersatz einer öffentlichen Wappenrolle diente in gewisser Weise seit 1854/57 das „Große und allgemeine Wappenbuch“ von J. Siebmacher 5. Band, T. 1–12 u. Band 5, N.F. Abt. 1, H. 1–6, Nürnberg 1854/57–1936. Über die Grundsätze dieser Registrierung vgl. die Vorbemerkung zum 1. Teil des 5. Bandes vom 25.4.1854. Zur Problematik „des Siebmachers“ als Ersatz einer Wappenrolle bürgerlicher Geschlechter, vgl. Stephan Kékulé v. Stradonitz, in: Der Deutsche Herold 1927, S. 31 f., und Jürgen Arndt: Die Entstehung und Entwicklung der Deutschen Wappenrolle, in: Generalregister zur Deutschen Wappenrolle 1920–1972, 2. erw. u. erg. Aufl. Neustadt/A. 1973, S. 17–39, hier S. 19 (zit. J. Arndt: Entstehung). Der Ermittlung bürgerlicher Wappen dienen neben dem „Generalindex zu den Siebmacherschen Wappenbüchern“ (1964) von Hanns Jäger-Sunstenau heute am umfassendsten das „Alphabetische Namensregister bürgerlicher deutscher Wappenvorkommen“ (1937) von J. J. Kenfenheuer und die „Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland 1937–1973“ von Eckart Henning, Neustadt/A. 1975 (= Genealogische Informationen, Bd. 2). Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, Rep. 2.2.1: Geh. Zivilkabinett, Nr. 922 (= Bd. 4, 1897–1906), Bl. 25b–25n.
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Hauptmann wurde am 8.2.1856 als zweites Kind des späteren Zentrumspolitikers und Landtagsabgeordneten, Verlagbuchhändlers und Begründers der „Deutschen Reichszeitung“, Peter Hauptmann, und seiner Ehefrau, Felicitas Ottoline Rüttgers, in Bonn geboren. Nach dem Besuch des Bonner Gymnasiums, später in Vechta/Oldenburg, studierte er zunächst auch in Bonn (WS 1878/79–SS 1879 u. SS 1880), dann in Leipzig (WS 1879/80) und Straßburg (WS 1880/81 u. SS 1881) Jura und wurde am 23.6.1882 in Göttingen bei Ferdinand Frensdorff mit einer Arbeit über das „Wappenrecht der Bürgerlichen“ promoviert4, deren irreführender Titel freilich nicht erkennen läßt, daß ihr Autor die These verfocht: „Bürgerliche dürfen kein Wappen führen“5. Diese für Hauptmann charakteristische, von ihm später noch oft vertretene, wissenschaftlich aber widerlegte Grundanschauung trug ihm schon zu seinen Lebzeiten zahlreiche Kontroversen ein.
1899 1931 Felix Hauptmann, * Bonn 8.2.1856, † Remagen 24.10.1934, Dr. jur., Professor für Rechtsgeschichte
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Freundliche Auskunft des Universitätsarchivs Göttingen vom 12.4.1979. Vgl. R. Béringuiers kompromißlose Besprechung, in: Der Deutsche Herold 13 (1882) S. 68–69 und die ebenso ungünstige Beurteilung durch Gustav A. Seyler, ib. S. 82–84; dazu Hauptmanns Erwiderung, ib. S. 106–107 und eine Nachschrift der Redaktion.
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Während Hauptmanns anschließender kurzer Tätigkeit als Oberlandesgerichtsreferendar in Bonn edierte und übersetzte er 1883 das bekannte heraldische Traktat „De insigniis et armis“ des Dr. Bartolus a Saxoferrato aus dem 14. Jahrhundert6. 1886 rief er zu einer Ausstellung von Bonner Altertümern auf, beschrieb über vierhundert von ihnen in einem eigenen Katalog und gründete zur weiteren Sammlung den Verein „Bonnensia“ (später „Alt-Bonn“), dessen Vorsitzender er wurde. Zahlreiche weitere Arbeiten zur Bonner Lokalgeschichte folgten, auch gab er 1889–1893 eine von ihm gegründete Monatsschrift, das „Bonner Archiv“, heraus und war von 1900–1914 auch Schriftleiter der „Rheinischen Geschichtsblätter“. Hauptmann war ein „Historiker aus Heimatliebe“7 und behielt in seiner Vaterstadt, in der seine Familie seit Generationen ansässig war8, stets einen festen Wohnsitz, der ihm mehr bedeutete als nur eine Zwischenstation auf seinen zahlreichen Reisen9, die ihn nach seinem Ausscheiden aus dem Justizdienst nicht nur durch ganz Mittelund Nordeuropa („Zum Nordende Europas“), sondern auch nach Italien, in die Türkei, nach Palästina und Ägypten („Eine Fahrt in das Land der Pharaonen“, 1893), sowie nach Tunesien führten. Von 1889–1893 wirkte Hauptmann, der inzwischen als Redakteur in die väterliche Zeitung eingetreten war10, auch als Stadtverordneter der Zentrumspartei in Bonn11, ging dann aber bald nach Gründung der katholischen Universität in Freiburg im Üchtland in die Schweiz, um sich dort, entsprechend seiner Vorliebe für alle im Wappenwesen zum Ausdruck kommenden Rechtsverhältnisse, mit einer Arbeit über das „Wappenrecht“12 zu habilitie6 7 8
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Bonn 1893. Mittelrheinische Landeszeitung Nr. 248 v. 26.10.1934. Vgl. Stammtafel der Familie Hauptmann, in: Felix Hauptmann, Zwei adelige Höfe in Oberdrees. Nach archivalischen Quellen geschildert, Bonn 1896, nach S. 76. Separatdr. aus Rheinische Geschichtsbll. 3, Nrn. 1 u. 2. – Vgl. ferner Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, Bd. 2, Nachdr. Görlitz 1910, S. 180–185, desgl. Bd. 4 und Otto Wenig: Buchdruck und Buchhandel in Bonn, Bonn 1968. Diese Verbundenheit beweist auch der Familiennachlaß Hauptmann, den das Stadtarchiv Bonn (zit. StadtA Bonn) noch zu Lebzeiten von Felix H. übernehmen konnte; dadurch fehlen allerdings „wichtige persönliche Papiere über seinen persönlichen Werdegang“ (frdl. Auskunft von Herrn Prothmann v. 23.2.79). Vgl. auch die Würdigung von H.N.: Ein treuer Sohn seiner Bonner Heimat. Felix Hauptmann, ein Historiker Bonns, in: Alt-Bonn, Heimatbeil. f. Bonn u. Umgebung (= Beil. d. Bonner Rundschau H. 5, 1950, S. 38–39). Vgl. Deutsche Reichs-Zeitung Nr. 33 vom 10.2.1926. Hier vertrat Felix H., wie sein Vater (während des „Kulturkampfes“), die katholische Sache. StadtA Bonn, Familiennachlaß Hauptmann Nr. 433. Diese „historische und dogmatische Darstellung der im Wappenwesen geltenden Rechtssätze“ erschien als „Beitrag zum deutschen Privatrecht“ zuerst als Ms.Druck, Bonn 1893, dann 1896 erneut im väterlichen Verlag.
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ren13, die ihm bei zahlreichen Fachgenossen zwar Anerkennung14, bei anderen aber vollends den Ruf eines „Heraldodoktrinärs“ eintrug15. Nachdem er drei Jahre als Privatdozent (1894–97) in Freiburg gelehrt hatte, wurde er 1897 zum ausserordentlichen und 1906 zum ordentlichen Professor für Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht ernannt, las aber auch Methodik, Einführungen in das Recht und immer wieder Heraldik. In vielerlei Untersuchungen wandte er sich weiterhin heraldischen Fragen zu und veröffentlichte neben einigen Aufsätzen in juristischen Organen, wie dem „Archiv für öffentliches Recht“, verschiedene oft starken Widerspruch hervorrufende Arbeiten16 in familiengeschichtlichen und wappenkundlichen Fachzeitschriften. Diese Interessenrichtung brachte ihn natürlich auch mit den auf diesem Gebiet führenden Fachvereinigungen in Berührung. So wurde er bereits am 4.2.1879 Mitglied des „Herold“ in Berlin, der ihn 1914 – wie 1911 schon die Schweizerische Heraldische Gesellschaft – zum Ehrenmitglied ernannte, und trat am 15.2.1882 auch der Gesellschaft „Adler“ in Wien bei17. Als Krönung von Hauptmanns heraldischen Arbeiten ist seine von doktrinären Überspitzungen wiederum nicht freie „Wappenkunde“ anzusehen, die 1914 als Teil des „Handbuchs der mittelalterlichen und neueren Geschichte“ erschien18. 13
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StadtA Bonn, Familiennachlaß Hauptmann Nr. 139. Der Zentrumspolitiker Hauptmann konnte sich an der 1890 vom Papst approbierten Universität eher als im preußischen Bonn habilitieren, wohin ihm auch eine spätere Berufung versagt blieb (vgl. die irrtümliche Angabe in Band 27, Bl. 17 der Deutschen Wappenrolle, Neustadt 1974, Teil 1). Vgl. Rezensionen u. a. von Otto Gierke im Zentralblatt für Rechtsgeschichte („bleibt ein äußerst verdienstvolles Werk“), aber auch von Stephan Kékulé von Stradonitz, in: Der Deutsche Herold 29 (1898), S. 167–168 („Nun gilt ein Referent, der bloß Lobendes zu sagen weiß, stets als langweilig. Das muß ich also für dieses Mal in Kauf nehmen“), vgl. auch ib. 28 (1897), S. 64. – Hauptmanns Wappenrecht gab übrigens auch der Lippischen Staatsregierung den Anstoß, Hauptmann im Schaumburg-Lippischen Erbfolgestreit 1899 als Gutachter familienrechtlicher Fragen heranzuziehen. Als Anerkennung wurde ihm der Schaumburg-Lippesche Hausorden 1. Klasse zuteil. Ausdruck Otto Hupps, vgl. seine beißende Kritik, in: O.H., Wider die Schwarmgeister, T. I., München 1918, S. 47–70 u. T. III, ebda. 1919, S. 34–45. Vgl. beispielsweise die Städtewappenfehde, die auf Hauptmanns Beitrag im Deutschen Herold 15 (1884), S. 20–24 ausbrach; s. dazu Ludwig Clericus, ib. S. 60–65, Hauptmann S. 84–85, Clericus S. 123–124 u. 16 (1885) Hauptmann S. 83–86, desgl. S. 128, dazu C. Teske ib. S. 101–102 etc. Freundliche Auskunft des Martrikelführers des Vereins „Der Herold“, Herrn Dr. H. Hugo, Berlin, v. 9.2.1979. Herausgeber des Handbuchs waren G. v. Below u. F. Meinecke; die Abt. IV war für Hilfswissenschaften vorgesehen, in der Ewalds bewährte Siegelkunde zusammen mit Hauptmanns Wappenkunde, München u. Berlin 1914, erschienen sind. Vgl. die Rezension von W.F. v. Mülinen, dem H. sein Werk widmete, in: Schweizerisches
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Wenn Hauptmann sich nun 1899 mit seinem Gesuch an Kaiser Wilhelm II. wandte, so geschah dies nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Rechtsgelehrter, obwohl er seine Eingabe natürlich mit dem Zusatz „Universitäts-Professor“ versah, sondern als preußischer Parlamentarier, worauf die Bezeichnung „Mitglied des Abgeordnetenhauses“ und notabene das dafür verwendete Briefpapier der Kammer auf jedem Blatt unmißverständlich hinwies. In der Tat vertrat Hauptmann unbeschadet seiner Schweizer Lehrtätigkeit, die er meist nur im Sommer ausübte, nach dem Tode seines Vaters mehr als zwanzig Jahre (1895–1918) als Zentrumsabgeordneter dessen ehemaligen Wahlkreis „Köln 3“ im Landtag, zu dem außer Rheinbach vor allem Stadt und Land Bonn gehörten19. Weniger bekannt ist heute Hauptmanns internationale Wirksamkeit auf verschiedenen Friedenskonferenzen vor Ausbruch des 1. Weltkrieges; als Vize-Präsident der deutschen Delegation bei der Interparlamentarischen Union unternahm er weite Reisen, die ihn auch in die Vereinigten Staaten führten20. Nach 1918 widmete sich Hauptmann ausschließlich dem akademischen Unterricht in der Schweiz. Im Amtsjahr 1931/32 wählte ihn die Freiburger Universität noch zum Rector magnificus, als der er zu Beginn des neuen Studienjahres über das „Wahlrecht in neuer und alter Zeit“ sprach. Anschließend ließ er sich emeritieren, war aber noch immer, zuletzt im Sommer 1934, im alten Kollegenkreise anzutreffen21, wenn er nicht gerade im geliebten Bonn weilte. Da Hauptmann in seinem Gesuch an den Kaiser keine neuen Gesichtspunkte, sondern nur die wichtigsten seiner beigefügten „Denkschrift über die Wiederaufnahme der Verleihung bürgerlicher Wappen“ wiederholte, genügt es, nur sie hier abzudrucken;
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Archiv f. Heraldik 28 (1914), S. 161–164, die keineswegs absprechende Anzeige Ad. M. Hildebrandts (?) im Deutschen Herold 45 (1914), S. 218–219, ferner die wieder vernichtende Besprechung von Otto Hupp: Wider die Schwarmgeister, T. I. München 1918, S. 34–47. Vgl. die verschiedenen Ausgaben des Handbuchs des Preußischen Abgeordnetenhauses und Hans Joachim Horn: Die politischen Strömungen in der Stadt Bonn, in: Bonn-Land und im Kreise Rheinbach von 1879–1900, Diss. Bonn 1968. Der Bericht über die Konferenz in Kristiania (1899) enthält auch eine Kurzbiographie Hauptmanns sowie sein Porträt, desgl. der über die Londoner Konferenz (1906). Vgl. den Nachruf auf Hauptmann von F.-Th. Dubois, in: Schweizerisches Archiv für Heraldik 49 (1935), S. 94–95 (m. Bild). Nach einer Notiz des Generalanzeigers Nr. 14 249 vom 1.2.1932 nahm an dem anschließenden Rektoratsessen übrigens auch der Schweizer Pionier der Stratosphäre, Prof. Piccard, teil.
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„Denkschrift über die Wiederaufnahme der Verleihung bürgerlicher Wappen: I. Das Bedürfnis nach bürgerlichen Wappenbriefen. Der Brauch, angesehenen Familien bürgerlichen Standes ein Wappen zu verleihen und so ihnen zu gestatten, sich eines der verschiedenen Vorrechte des Adels, nämlich ein Wappen führen zu dürfen, zu bedienen, war in Deutschland seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in Übung. Das Recht, solches Wappen zu verleihen, stand nur dem Kaiser zu, der es später, ohne selbst solche Verleihungen zu unterlassen, einer Anzahl weiterer Personen, Fürsten, Adeligen und selbst Bürgerlichen unter der Bezeichnung des Comitivs oder des Palatinats übertrug22. Durch alle diese Personen wurde im Laufe der Jahrhunderte eine große Menge von bürgerlichen Wappen verliehen, die von den Nachkommen der ersten Acquirenten heute noch geführt werden Am Anfange des laufenden Jahrhunderts kamen die bürgerlichen Wappenbriefe in Abnahme23. Es hatte sich kein Verlangen danach mehr geltend gemacht. Allein wenn das vor siebzig Jahren auch der Fall war, dann kann man nicht behaupten, daß das so geblieben ist. In unserer Zeit ist in weiten bürgerlichen Kreisen wieder der Wunsch lebhaft erwacht, ein Familienwappen führen zu dürfen. Wappengeschmückte Dedicationsartikel sind auch in weiteren als in Studentenkreisen Mode geworden. In den Officierskreisen findet das Wappen häufig Verwendung. Auch das Wiederaufleben der alten Stilformen gibt oft Anlaß, ein Wappen anzubringen. Reiche Bürgerfamilien würden gern bei ihren Einrichtungen ihrem Familienwappen eine Stelle anweisen, – kurz, wer in Folge seiner Stellung in gesellschaftlichem Verkehr mit Angehörigen alter Familien steht, wer durch seine Vermögenslage im Stande ist, einigen Luxus zu entfalten, an den tritt oft der Wunsch heran, ein Familienwappen zu führen. Bürgerfamilien, die vor Alters rechtmäßig ein Wappen erworben haben, können diese Mode mitmachen. Diejenigen aber, die nicht in dieser Lage sind, empfinden diesen Mangel oft schmerzlich, und so suchen sie oft in einer Weise ihm abzuhelfen, die entschieden getadelt werden muß. Da der Staat heute keine bürgerlichen Wappen mehr verleiht, somit nicht mehr die Möglichkeit vorliegt, auf rechtmäßige Weise ein solches zu erlangen, so scheut sich mancher Wappenbedürftige nicht, eins unberechtigter Weise ohne Weiteres anzunehmen. Dieser Weg wird in der letzten Zeit im immer steigenden Maße beschritten, zumal, da von mancher Seite, die hier entgegenwirken müßte, nicht nur nicht zurückgehalten wird, sondern im Gegentheil die Zögernden bewußt auf denselben hindrängt. 22 23
Ausführliches siehe Hauptmann, Das Wappenrecht, S. 173–195. (F.H.). Der letzte österreichische bürgerliche Wappenbrief (abgesehen von denen für geistliche Würdenträger, die heute noch ertheilt werden) wurde 1818 dem Johann Ginner (Adler, Jahrbuch 1876, S. 29), der letzte sächsische dem David Anger (Gritzner, Standeserhebungen S. 769) ertheilt, der letzte bayerische 1817 dem F.A. Leeb. (Herold, 1898, S. 137). (F.H.).
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II. Die Folgen der unberechtigten Wappenannahme. Durch diese unberechtigten Wappenannahmen wird indessen ein Vorrecht der Krone verletzt, denn das Wappen gehört zu den Adelsprädikaten, die von Unberechtigten nur in Folge Verleihung durch den Monarchen angenommen werden dürfen24. Die große Zunahme dieser Rechtsverletzungen hat aber eine noch weiter gehende Bedeutung, wie die in den einzelnen Fällen liegende Nichtachtung eines Reservatrechtes der Krone. Sie kann nämlich wenn diese Rechtsverletzung ungeahndet und in Menge vorgenommen wird, die Krone des Rechtes, bürgerliche Wappen zu verleihen, berauben. Was Adelsprädikate sind, das ist nämlich im Strafgesetzbuch nicht im Einzelnen festgesetzt worden, sondern wird allein durch Gewohnheitsrecht entschieden. Daß das Wappen dazu gehört, das wird heute noch immer in den weitesten Kreisen anerkannt. Wenn aber in immer stärkerem Maße Wappen von Bürgerlichen ungestraft angenommen werden, dann wird unfehlbar eine andere Rechtsanschauung sich entwickeln, das Gewohnheitsrecht wird sich allmählich umwandeln, und das heute noch geltende Recht verschwinden. Das Gewohnheitsrecht wird bekanntlich durch eine sich bildende entgegenstehende Gewohnheit, durch desuetudo, aufgehoben. Dieser Weg ist es, auf dem wir gegenwärtig uns bewegen, und wenn nicht eingegriffen wird, wird in kurzer Zeit das heute noch bestehende Recht der Krone, Bürgerlichen die Wappenfähigkeit ertheilen zu können, dadurch verloren gehen, daß die Rechtsanschauung, das Gewohnheitsrecht, sich dahin umbildet, daß die Wappenfähigkeit nicht mehr zu den Adelsprädikaten gerechnet wird. Während heute die Wappenfähigkeit des Bürgerlichen auf einem besonderen Rechtsgrund, einer in früherer Zeit erfolgten Verleihung eines Wappens beruht, wird in Zukunft dieser Rechtsgrund nicht mehr nothwendig sein, – wird in Zukunft jeder Bürgerliche ein Wappen annehmen dürfen. III. Mittel zum Schutze des Kronrechtes der Wappenleihe. Wenn man fragt, auf welche Weise eingegriffen werden müßte, um das ins Schwanken gerathene Gewohnheitsrecht wieder zu befestigen, dann dürfte die, auf die man zuerst verfallen könnte, nämlich gegen unberechtigte Wappenannahmen gerichtlich einzuschreiten, unpraktisch, ja sogar schädlich erscheinen. Denn die Juristen, in deren Hände dann die Entscheidung über die Frage, ob jeder ein Wappen annehmen dürfe, gelegt wäre, sind nach ihrer Vorbildung gar nicht in der Lage, sie richtig entscheiden zu können. Denn die Lehrbücher, denen sie ihre Kenntnisse entnommen haben, enthalten keine selbständigen Untersuchungen über das Wappenrecht, sondern folgen in den wenigen Zeilen, die sie dieser Materie widmen, kritiklos der Anschauung Eichhorns, der seinerseits einfach auf die Autorität des alten Postglossators Bartolus a Saxoferrato hin die Wappenannahme für erlaubt erklärte25. Es 24 25
Hauptmann: Das Wappenrecht, S. 71 (F.H.). Eichhorn: Einleitung in das deutsche Privatrecht 1824, S. 63. Vgl. Hauptmann, Das Wappenrecht der Bürgerlichen, S. 34 (F.H.) – Zur gegenteiligen Ansicht, daß Dr.
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ist Eichhorn, der sich übrigens selbst niemals eingehend mit dieser Frage beschäftigt hat, entgangen, daß Bartolus gar nicht das Wappenrecht darstellen wollte, wie es zu seiner Zeit wirklich in Deutschland in Uebung war, sondern daß er es so formulierte, wie es nach seiner Meinung hätte sein müssen, um den Grundsätzen des römischen Rechts, des Corpus juris zu entsprechen26. So entsprach auch sein Satz, Jeder dürfe ein Wappen annehmen, nicht dem in Deutschland geltenden Rechte, sondern römischrechtlichen Grundsätzen. Trotzdem wurde er von Eichhorn als deutsches Recht übernommen und ging so in unsere Lehrbücher über. Ob meine, übrigens von den juristischen Fachzeitschriften günstig kritisierten wappenrechtlichen Untersuchungen hier in kurzer Zeit einen Umschwung der Ansichten herbeiführen werden, scheint mir fraglich; aller Erfahrung nach bedarf es immer einer geraumen Zeit, um eine alteingewurzelte falsche Anschauung zu zerstören. Würde somit heute gegen die unberechtigte Annahme eines Wappens Klage erhoben, so würde dieselbe in Folge der mangelnden Kenntnisse der Richter höchstwahrscheinlich nicht mit einer Verurtheilung, sondern mit einer Freisprechung der Angeklagten endigen, so daß die, welche ein Wappen annehmen wollen, sich nunmehr auf ein ihnen günstiges Urtheil würden berufen können. Die Sache wäre hierdurch also schlimmer statt besser gemacht. Abzuwarten, bis in Folge meines Werkes bei den Juristen ein Umschwung in den Anschauungen eingetreten ist, dürfte unräthlich erscheinen, weil die noch herrschenden Anschauungen, das noch geltende Gewohnheitsrecht ins Wanken zu kommen droht. Es scheint vielmehr geboten, unverzüglich in irgend einer Weise einzugreifen. Der sicherste, zuverlässigste und die wenigsten Schwierigkeiten bietende Weg wäre m.E. die Wiederaufnahme der Verleihung bürgerlicher Wappen. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dann die Anschauung, zum Führen eines Wappens sei für einen Bürgerlichen obrigkeitliche Genehmigung nothwendig, sich rasch wieder befestigen würde. IV. Die „Wappenbureaus“. Noch eine weitere wohlthätige Folge würden diese Wappenverleihungen haben. Es würde nämlich dadurch der schwindelhaften Thätigkeit der sog. Wappenbureaus ein Ende gemacht, d. h. derjenigen Personen, die jetzt vielfach durch Inserate sich anheischig machen, Bürgerlichen „ihr altes Familienwappen aufzuschlagen“ und ihnen dann die Producte ihrer Phantasie oder das Wappen einer adligen Familie ähnlichen oder gleichen Namens gegen theures Geld zu verabfolgen27, – Manipulationen, die direct betrügerisch
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Bartolus in seiner Schrift gerade den „tatsächlichen Rechtszustand“ schilderte, vgl. Gustav A. Seyler, in: Der Deutsche Herold 13 (1882), S. 83 (F.H.). Hauptmann: Bartoli Tractatus de insigniis et armis 1884, S. 30 (F.H.). Seyler, Geschichte der Heraldik S. 794 ff – Mir [sc. Hauptmann] selbst wurde von dem Bureau des „Heraldikers“ Schüssler in Leipzig statt des Wappens, welches meine Familie nachweislich seit mehr als 200 Jahren führt, ein ganz fremdes Wappen
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sind und nicht nur die Unkenntniß ausbeuten, sondern auch die betr. adeligen Familien schädigen, deren Wappen geradezu Unberechtigten zum Mißbrauch in die Hand gegeben werden. In den heraldischen Fachzeitungen ist denn auch schon oft über diesen Unfug Klage erhoben worden. V. Ältere Bestrebungen. Es möchte vielleicht der Einwurf gemacht werden, daß mit der Ertheilung der bürgerlichen Wappenbriefe in Preußen eine Neuerung eingeführt würde. Es würde das zunächst an sich kein Grund sein können, eine Einrichtung liegen zu lassen, die aus manchen Gründen wünschenswerth ist. Weiter aber hat Preußen die bürgerlichen Wappen durchaus nicht ganz vernachlässigt, sondern es hat mehrfach sich angeschickt, auch hier seine Souveränität zu bethätigen. Erhebungen in den Adelsstand sind in BrandenburgPreußen bekanntlich seit 1663 vorgenommen worden. Wenn man bürgerliche Wappen nicht verlieh, dann waren es nicht tiefere Gründe, die hierfür maßgebend waren, sondern die Unbehülflichkeit der preußischen Kanzlei, der keine Traditionen zur Seite standen, wie sie zu Wien und bei den Kurfürsten von Pfalzbayern28 vorhanden waren. Faktisch bestand auch in Preußen der Wunsch, bürgerliche Wappen zu verleihen, und wenn man es trotzdem nicht that, dann lag es daran, daß man sich über seine Berechtigung nicht klar war. Schon in den Vorschlägen bezgl. der Errichtung eines Oberheroldsamtes, welche der kgl. Wappenfiscal v. Gehema im Jahre 1703, also kurze Zeit nach der Erhebung Preußens zum Königreich, in Folge allerhöchsten Befehls machte, ist die Controle auch der bürgerlichen Wappen (Punkt 6) ins Auge gefaßt. Bei Errichtung des Heroldsamtes, welches aber 1713 schon wieder aufgehoben wurde, beschränkte man sich indeß auf die adeligen Wappen29. Man hatte für den Anfang damit vollauf zu thun. Im Jahre 1733 wurde die Sache dann wieder aufgegriffen und der Generalfiscal Gerbet berichtete, er halte eine königliche Ordre für nothwendig, daß alle, die unberechtigt Wappen führten, mit 20–50 Reichstalern bestraft würden. Ueber die Sache wurde dann mehrfach verhandelt. Sie scheiterte schließlich an dem stillen Widerstande der Beamten, die selbst Wappen angenommen hatten, und weil die Instruction der Fiscale mangels heraldischer Kenntnisse eine höchst ungenügende war; dann aber auch, weil das Ministerium des Aeußeren darauf aufmerksam machte, es sei in dieser Sache darauf zu sehen, daß die diesbezüglichen königlichen Verordnungen „bei dem Kayserl. Hofe nicht anstößig seien, da der Kayser bekanntermaßen unter seine Reservate rechne, daß er
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als mein Familienwappen zugesandt. Ebenso wurde mir das Wappen einer weiteren bürgerlichen Familie falsch angegeben. (F.H.). Bayern und Pfalz verliehen seit dem 16. Jahrh. bürgerliche Wappen (Hauptmann, Wappenrecht, S. 176) (F.H.). Seyler, Geschichte der Heraldik, S. 629 ff (F.H.).
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allein den Adelsstand conferire, und was dahin gehört, verordnen könne“30. So blieb die Sache liegen, und es kam nicht zur Ausfertigung preußischer Wappenbriefe. Als dann das deutsche Reich 1806 unterging, und keine Rücksichten auf den Hof zu Wien mehr zu nehmen waren, hatte das Bedürfnis nach bürgerlichen Wappen nachgelassen, – ein Bedürfniß, welches erst in unseren Tagen mit neuer Kraft erwacht ist. VI. Ausübung der Verleihung bürgerlicher Wappen. Wenn ich mir schließlich gestatten dürfte, meine Ansichten über die Kreise zu äußern, in denen bürgerliche Wappen zu ertheilen seien, dann scheint mir, daß man Wappen solchen Familien ertheilen könne, die in gesicherter Vermögenslage sich befinden, eine angesehene Stellung einnehmen und ehrenvolle Berufe ausüben, – zumal, wenn sie in dieser Position schon seit mehreren Generationen sich befinden. Es kämen also Familien des Offiziers-, Beamten- und Großkaufmannsstandes und der Großindustrie in Frage. Es soll die Wappenverleihung gewissermaßen die officielle Anerkennung dafür sein, daß eine Familie zu den angesehenen gehört. Das Wappen würde weiter, da man es nicht gut jemandem verleihen kann, der keinen Werth darauf legt, auf Antrag zu verleihen sein. Ueber die Qualification hätten Landrath oder Ortsbehörden zu berichten. Verleihende Behörde könnte das Ministerium des Innern31 oder das Heroldsamt sein. Als Stempel möchte die Hälfte des für die Verleihung des Adels zu entrichtenden Betrages32, also 300 M angemessen erscheinen. Vielleicht könnten auch Bestätigungen alter, rechtmäßig erworbener Wappen zur halben Taxe der Verleihung erfolgen. VII. Schlußwort. Die Wappenverleihungen an Bürgerliche würden nicht nur in der Weise wohlthätig wirken, daß sie einem Bedürfnisse entsprächen und schwindelhafte Ausbeutung Unkundiger verhinderten – nebenbei dem Staate auch eine, wenn auch nicht bedeutende, dafür aber gern gezahlte Einnahme verschaffen, – sondern auch dadurch, daß sie ebensowohl den Patriotismus als auch den Familiensinn zu stärken im Stande sind. Den Patriotismus, weil Gnadenerweise von allerhöchster Stelle die Dankbarkeit und Anhänglichkeit ans Herrscherhaus wecken und kräftigen müssen, den Familiensinn, weil das Wappen ein Zeichen der Familie ist, und jeden, der daran berechtigt ist, daran erinnert, daß seine Handlungen nicht nur auf seine eigene Stellung einwirken, sondern auch auf das Ansehen, welches der Familie von den Voreltern als werthvolle Erbschaft hinterlassen ist, sowie auf den Ruf, den er seinen Nachkommen hinterläßt. Bei vielen Familien ist denn auch der Erwerb
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Ib. S. 669 ff. (F.H.) In Oesterreich wird seit 1825 den geistlichen Dignitären vom k.k. Ministerium des Innern auf Ansuchen ein Wappen ertheilt. (Hauptmann, Das Wappenrecht, S. 169) (F.H.). Stempelsteuergesetz vom 31. Juli 1895. Gesetz-Sammlung 1895, S. 463 (F.H.).
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eines Wappens die erste Stufe gewesen, von der sie zu hohen Ehren emporgestiegen sind. Daß somit die Wiederaufnahme der Sitte, verdienten Familien bürgerlichen Standes Wappen zu verleihen, nach verschiedenen Richtungen hin von wohlthätigem Einfluß sein würde, kann nach dem Gesagten nicht zweifelhaft erscheinen. So dürfte sie als eine bedeutsame Wiedererweckung guter alter Gepflogenheiten, sowie als eine Ausübung alter, von Deutschlands Kaisern von frühen Zeiten her bis zur Auflösung des Reichs ununterbrochen ausgeübter Herrscherrechte sympathisch zu begrüßen sein. Hauptmann“ Ihrem Urheber mochte diese Immediateingabe vom 2. Februar 1899 aussichtsreich erschienen sein. Immerhin bat auch das Königliche Geheime Civil-Cabinet, bei dem sie am 3. Februar einlief, bereits am 10. Februar, die Eingabe „Seiner Durchlaucht dem Herrn Ministerpräsidenten und seiner Exellenz dem Herrn Vize-Präsidenten [des Preußischen Staatsministeriums] als novum vorzulegen“. Fürst Hohenlohe las sie daher schon am 15. Februar, reichte sie aber noch am gleichen Tage zwei Ressortministern, dem Minister des Innern und dem Justizminister mit der Bitte um Stellungnahme weiter. Diese erfolgte nach mehrmaliger Terminverlängerung jedoch erst am 15. September unter der Federführung des Innenressorts in einem gemeinsamen Schreiben beider Minister und zeigt, daß sich auch dieses Ministerium am 13. März erst beim Königlichen Heroldsamt hatte Rat holen müssen, der in einer so kniffligen und speziellen Frage erst am 24.6.1899 zu erhalten war. Da sich dessen Gutachten neben der Minister-Stellungnahme noch bei den Justizakten erhalten hat33, kann es hier ebenfalls abgedruckt werden: „Euerer Excellenz beehren wir uns auf das mit seinen Anlagen anbei zurückfolgende Randschreiben vom 13. März d.J. – I A 680 –, betr. die Neueinführung von Verleihungen bürgerlicher Wappen, Folgendes ergebenst zu erwidern: Wir betrachten die Wappen als das Produkt einer abgeschlossenen Epoche, in welcher Wappen und Wappenwesen ihren vollberechtigten Platz einnehmen, und welche ohne das Studium des Letzteren selbst dem Spezialhistoriker unverständlich bleibt. Die Neuverleihung von Wappen bei Nobilitirungen scheint mehr das Innehalten einer durch Jahrhunderte geübten Praxis, als ein durch die Verhältnisse gebotenes Bedürfniss zu sein. Daß die heutige Zeit mit ihren, nur das einzelne Individium, nicht die geschlossene Familie für sich in Anspruch nehmenden Zielen das Wappen als gemeinsames ideelles Bindemittel eines Geschlechts von Neuem zu betrachten sich gewöhnen würde, glauben wir verneinen zu müssen. Zeigt doch schon der Verlauf der Entwicklung des Wappenwesens, daß 33
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die einst Jahrhunderte hindurch so viel begehrten Wappenbriefe im Laufe der letzten hundert Jahre theils allerdings durch politische Umwälzungen, theils aber durch schwindendes Verständniss für deren Bedeutung ausser Gebrauch gekommen sind. Für unsere speziellen Preussischen Verhältnisse tritt noch hinzu, dass Wappenbriefe seitens der Preussischen Souveraine niemals verliehen wurden, so dass dieselbe historische Pietät im Festhalten überkommener Bräuche, welche beispielsweise die Neuertheilung von Wappen bei Nobilitirungen innehält, gegen die Neu-Einführung von Wappenbriefen in einer Zeit anzuführen wäre, welche der Wappenkunst wohl die ihr gebührende historische Bedeutung wieder zu zollen beginnt, jedoch kaum im Stande sein wird, das Wappenwesen vergangener Jahrhunderte neu zu beleben. Vom „Schutze eines bedrohten Vorrechts der Preussischen Krone“ durch Einführung von Wappenbriefen, oder von „der Gefahr des Verlorengehens dieses Vorrechts in absehbarer Zeit“ im entgegengesetzten Falle, was beides Punkt 1 des Immediatgesuches hervorhebt, kann unseres Erachtens nicht die Rede sein. Der Krone zustehende Rechte nicht zu üben, ist gleichfalls eines ihrer Vorrechte. Von diesem letzteren dürfte die Preussische Krone so lange Gebrauch machen dürfen, als es ihr beliebt. Daß aber die Neu-Einführung bzw. die Wiederbelebung von bürgerlichen Wappenbriefen zulässig ist, wird gleichfalls einem Zweifel nicht unterliegen. Wir von unserem Standpunkte haben dem gestellten Antrage somit nicht entgegenzutreten. Wir hätten sogar die Einführung von Wappenbriefen, falls dieselbe die vom Antragsteller durch sie erhoffte Ordnung im Wappenwesen schaffen würde, als ein Heilmittel der jetzt vorhandenen ungesunden Zustände mit Freuden zu begrüßen. Daß die Einführung von Wappenbriefen einem in Punkt 2 des Immediatgesuches betonten Bedürfnisses weiter Kreise entsprechen würde, geben wir zu, dass sie aber die erhoffte Ordnung zu schaffen vermöge, müssen wir vorerst in Zweifel ziehen. Wir vermögen nämlich nicht einzusehen, warum offizielle Wappenbriefe der im 3. Punkt des Immediatgesuches berührten betrügerischen Thätigkeit der sogenannten Wappenbüreaus ein Ende machen sollten. Leute, die betrügen, und Leute, die sich gern betrügen lassen, wird es allezeit geben. Die Wappenbüreaus aber würden auch nach Einführung von Wappenbriefen bestehen bleiben, nur deren Clientenkreis dürfte sich hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Stellung und Bildung noch weiter nach unten hin verschieben. Von der landesherrlichen Begnadung mit Wappen müsste dieser Kundenkreis aber auch späterhin ausgeschlossen bleiben, wenn die Allerhöchste Begnadigung, wie Antragsteller im Punkt 4 des Immediatgesuches besonders betont, ihren nicht zu unterschätzenden Werth für die Pflege des Familiensinnes verwirklichen soll. Professor Dr. jur. Hauptmann, welcher übrigens ganz allgemein von unberechtigter Annahme eines Wappens in illegitimer Weise spricht und somit neben den, auf betrügerischer (erwerbsmässiger) Grundlage arbeitenden
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Wappenbüreaus, die, die illegitime Wappen-Annahme vom rein idealen Gesichtspunkte aus fördernden heraldischen Vereine im Auge zu haben scheint, verwechselt in seinen Vorschlägen aber Ursache und Wirkung. Die Einführung von Wappen- oder Adelsbriefen hat mit Schaffung der Ordnung in Wappenoder Adelssachen noch nichts gemein. Wie eine systematische sachgemässe Benutzung der durch Adelsbriefe oder andere Urkunden gegebenen Grundlagen verschiedenen Staaten (von deutschen allein Bayern) die Möglichkeit bot, ihre Adelsverhältnisse zu ordnen, so würde die Einführung von bürgerlichen Wappenbriefen die Voraussetzung der Möglichkeit der Ordnung eines bürgerlichen Wappenwesens bilden. Die Ordnung selbst aber kann nur im Wege der Gesetzgebung und mit Hülfe eines entsprechenden Control-Apparats geschaffen werden, wie dieses in den angezogenen Staaten bei Ordnung der Adelsverhältnisse geschehen ist. So wenig Nutzen beispielsweise die Ertheilung von Patenten ohne die entsprechende Patentgesetzgebung und ohne gleichzeitige Schaffung eines Patent-Amtes gehabt hätte, so wenig Nutzen würde die Einführung von Wappenbriefen ohne gleichzeitig zu treffende zweckentsprechende gesetzliche Massregeln haben. Würde doch den bürgerlichen Wappen nach Lage der jetzigen Gesetzgebung jeder Schutz fehlen, selbst derjenige, welcher adeligen Familienwappen vom § 16 Tit. 9 Theil II A L R in Aussicht gestellt ist. Allerdings vermögen wir diesen Schutz in der Praxis nicht allzuhoch zu bewerthen. Hierfür ein Beispiel: Es untersagt § 3 Abtheilung II des Gesetzes über den Markenschutz vom 30. November 1874 die Eintragung von „öffentlichen“ (Landes- und Städte-)Wappen. Die Eintragung des gesetzlich geschützten Privatwappens erwähnt oder verbietet er nicht, weil selbstredend keinem Wappenberechtigten der Gebrauch seines altüberkommen oder landesherrlich ausdrücklich verliehenen Wappens als Warenzeichen verwehrt werden kann. Trotzdem wird in der Praxis jedes von einem Gewerbetreibenden eingereichte (als Warenzeichen noch nicht verwendete) adelige Geschlechtswappen als Warenzeichen ohne Weiteres eingetragen, weil der, das Handelsregister führende Beamte nicht zu entscheiden vermag, ob das angemeldete Wappen zu denen gehört, welchen der oben angezogene Paragraph des A.L.R.Schutz gewährt; oder ob die eingereichten Entwürfe Phantasie-Wappen darstellen. Erst im Wege der Privatklage würde der in seinen Rechten verletzte Wappenherr diese eventl. zu wahren und wiederherzustellen vermögen. Mit dieser Abschweifung wollten wir nur zeigen, wie nicht eine offizielle Wappenschaffung, sondern nur ein gesetzlich erklärter und geübter Wappenschutz Ordnung zu halten vermag. Den Schutz zu üben, sind Einrichtungen erforderlich, welche nicht unerhebliche Kosten verursachen. Daß der Staat in seiner Allgemeinheit keinen Anlaß zur Aufwendung von Geldmitteln für diesen untergeordneten Sonderzweck hat, dürfte nicht streitig sein. Dieselben würden also – in Analogie ähnlicher Fälle – von den interessirenden Kreisen getragen werden müssen.
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Wir zweifeln auch nicht, dass das gern geschehen würde, daß bei geschickter Behandlung der Sache aus einer Wappensteuer sogar grössere Ueberschüsse zu erzielen wären. Das fiskalische Interesse dieser Angelegenheit zu beleuchten, sind wir aber nicht berufen. Wir gestatten uns nur den Hinweis, daß diese Einrichtung – wie dem Herrn Finanzminister übrigens bekannt sein dürfte –, beispielsweise in England besteht und äusserem Vernehmen nach sich auch finanziell bewährt haben soll. Das vorliegende Immediatgesuch zieht bei allem Verständniss des Gegenstandes und anzuerkennendem Ernst der Behandlung der Sache nicht die erforderlichen Consequenzen. Dem Antragsteller müssen in seiner Eigenschaft als Landtags-Abgeordneter die eventl. seinem Antrage gesetzlich erwachsenden Schwierigkeiten bekannt sein. Wir hätten es somit für angezeigter erachtet, anstatt des Immediatgesuches, im Landtage den Auftrag auf Einführung von Wappenverleihungen zu stellen. Die mehr oder minder zahlreiche Unterstützung desselben wäre, wenn auch kein zuverlässiger, doch ein Gradmesser seiner Bedürfnissfrage gewesen. Besser aber wie im Landtage, wäre der an eine Einrichtung des früheren Kaiserreichs anschliessende Wunsch nach bürgerlichen Wappenbriefen im Deutschen Reichstage vorzubringen gewesen. – Wir glauben, daß gegen solchen Antrag nach den obigen Ausführungen seitens der Staatsgewalten Bedenken nicht erhoben werden würden. Königliches Herolds-Amt gez. Graf von Schlieffen. An den Herrn Minister des Innern“. Vergleicht man Hauptmanns konservative, im Festreden-Stil der damaligen Zeit abgefaßte Denkschrift mit dem fast „modern“ argumentierenden Gutachten des Heroldsamtes, so überrascht zunächst die unterschiedliche Bewertung des Wappens: während Hauptmann in ihm eigentlich eine gesellschaftliche Notwendigkeit sieht, hält es das Heroldsamt für das „Produkt einer abgeschlossenen Epoche“. Gerade von einer Behörde, deren Aufgabe die Bewahrung überkommener Formen war, hatte Hauptmann wohl ein anderes Votum erwartet, zumal das von ihm mit Recht angeführte „Wiederaufleben der alten Stilformen“ heraldischen Wiederbelebungsversuchen genauso günstig war wie etwa die „nostalgische Welle“ unserer Tage. Das Heroldsamt begründete seine Auffassung jedoch damit, daß „die heutige Zeit mit ihren, nur das einzelne Individuum, nicht die abgeschlossene Familie für sich in Anspruch nehmenden Zielen“ wohl kaum wieder „das Wappen als gemeinsames ideelles Bindemittel des Geschlechtes“ betrachten würde34. Auf diesem Hintergrund leuchtet dann allerdings das vom Heroldsamt zu34
Diese Stellungnahme bestätigt die Beurteilung Jürgen Arndts (Entstehung a.a.O., S. 17), daß eine „Überwachung in der damaligen Zeit der Hochblüte des Liberalismus vom Staat nicht zu erwarten war“.
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gestandene „Bedürfnis weiter Kreise“ nach Einführung von Wappenbriefen nicht so recht ein. Vom Staatsministerium wurde es daher auch in seiner Sitzung vom 15.9.1899 kurzerhand bestritten bzw. doch in seinem „angeblichen Umfang“ angezweifelt. Unzutreffend ist, was Hauptmann in seiner Denkschrift über das vermeintliche „Vorrecht des Adels, ein Wappen führen zu dürfen“ sagt. Hier kommt er mit seiner eigenen, schon zu seinen Lebzeiten heftig umstrittenen, und heute widerlegten Theorie von der „Unzulässigkeit der Neuannahme bürgerlicher Wappen“35 in Konflikt. Hauptmann hatte in seiner Überschätzung kodifizierten Rechts übersehen, daß es gewohnheitsrechtlich von jeher möglich war, ein Wappen auch ohne Rechtsgrund anzunehmen36, obschon ein verliehenes wegen des damit verbundenen besseren Rechtsschutzes37 immer mehr Ansehen genoß als ein erwähltes. So war es einem wappenbedürftigen und grundsätzlich immer auch „wappenfähigen“ Bürger noch im 19. Jahrhundert „erlaubt“, ein bescheidenes, „nicht mit adelichen Attributen prunkendes Wappen anzunehmen und zu führen“38. Daher hütete sich das Heroldsamt auch, dies angesichts der auch von Hauptmann „noch“ als „herrschend“ bezeichneten Anschauungen zu bestreiten und die Annahme selbstgewählter bürgerlicher Wappen wie er schlicht als „illegitim“ zu bezeichnen; schließlich stellte sie weder ein preußisches noch ein Reichsgesetz unter Strafe. Die Behörde betonte lediglich, daß von preußischen Souveränen bisher keine bürgerlichen Wappenbriefe ausgestellt worden seien39, ohne sich zu Hauptmanns Spekulationen über die Gründe zu äußern. So könne weder von 35
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F. Hauptmann, Wappenrecht, S. 68 ff. Vgl. dazu abschließend Edward Beck: Grundfragen der Wappenlehre und des Wappenrechtes, Speyer 1931, S. 104 ff. (dort auch die ältere Literatur), und J. Arndt: Entstehung, S. 18 mit Anm. 4, wo leider infolge eines sinnentstellenden Druckfehlers, gerade von Hauptmanns „irriger Ansicht“ über die „Zulässigkeit“ (sic!) der Neuannahme bürgerlicher Wappen gehandelt wird. Wappenverbote hatten meist fiskalische Gründe und entstammten erst der beginnenden heraldischen Verfallszeit, sie waren kurzlebig und wenig wirksam; das 13.– 15. Jahrhundert kannte sie nicht. Vgl. dazu auch O. Hupp: Schwarmgeister T. III, S. 41. Vgl. Jürgen Arndt: Die Entwicklung der Wappenbriefe von 1350–1806 unter besonderer Berücksichtigung der Palatinatswappenbriefe, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift Bd. 7 (1969–71), S. 161–193, hier S. 179, ferner Beispiele der Wappenbeurkundung, in: Lebendige Heraldik – lebendige Genealogie. Katalog zum 100jährigen Bestehen des Herold, bearb. v. Jürgen Arndt und Eckart Henning, Berlin 1969, S. 16 ff. Vgl. Gustav A. Seyler, Rez. von Hauptmanns Dissertation, S. 84, u. entsprechend ders., Geschichte der Heraldik, Nürnberg 1885–89 (1890), Nachdr. Neustadt/A. 1970, S. 786 (= Siebmachers großes Wappenbuch, Bd. A). Dazu eingehender Erich Kittel im Abschnitt über „Bürgerliche Wappen“ in seiner Untersuchung „Wappenverleihungen in Brandenburg-Preußen bis zur Gründung des Heroldsamtes 1855“, in: Brandenburgische Siegel und Wappen. Festschr. d. Ver-
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einer „Wiederverleihung“ noch vom drohenden Verlust eines entsprechenden Reservatsrechtes der Krone gesprochen werden, das nicht schon deswegen erlösche, weil es die Krone nicht übe. Somit war die von Hauptmann erbetene Verleihung bürgerlicher Wappen zwar „zulässig“, doch wünschenswert erschien sie dem Amte nicht, da es den Optimismus des Bittstellers in die zu erwartenden Wirkungen nicht teilte. Und in der Tat: sieht man von dem wenig meßbaren patriotischen und familiären Effekt ab, so hätten wohl selbst Königliche Wappenbriefe dem Schwindel der sogen. Wappenbureaus und der „Ausbeutung Unkundiger“ keine „Ende gemacht“, so wenig dies die Urkunden der deutschen bürgerlichen Wappenrollen seit dem Zusammenbruch der Monarchie und im Grunde bis heute vermochten. Entscheidend erschien dem Heroldsamt das Problem des „Wappenschutzes“ und seiner Gesetzes-Hürden mit ihren Folgekosten, was schon deshalb überrascht, weil bereits § 1440a des Allgemeinen Landrechtes generell bestimmte: „Wer zur Ausübung eines Betruges sich eines fremden Familiennamens oder Wappens bediente, der soll mit der ordinairen Strafe des qualificirten Betruges belegt, und dieses zur Genugtuung der beleidigten Familie öffentlich bekannt gemacht werden“. Entsprechend bedrohte § 1440b auch denjenigen mit einer Geldstrafe, der sich „ohne unerlaubte Absicht“ eines „fremden Familiennamens oder Wappens unbefugter Weise bediente“40. Verwunderlich bleiben die Bedenken des Heroldsamtes auch, weil entsprechend die „höchstrichterliche Rechtsprechung schon damals das Familienwappen – gleichviel ob adeliger oder bürgerlicher Familien – durch sinngemäße Anwendung der für das Namensrecht geltenden Grundsätze (§ 12 BGB) als echtes Persönlichkeitsrecht anerkannt hatte41. Besondere gesetzgeberische Maßnahmen, für die sich der Abgeordnete Hauptmann zumindest im preußischen Landtag hätte einsetzen können, waren mithin gar nicht erforderlich. So muß es offen bleiben, ob das Heroldsamt sie aus juristischer Ignoranz vorschlug oder ob nur die Bereitschaft fehlte, sich für einen so „untergeordneten Sonderzweck“, wie die Registrierung „gesetzlich geschützter Privatwappen“ einzelner Bürger, einzusetzen, zumal adelige Wappen bereits durch das öffentliche Recht (Allg. Landrecht II 9, §§ 14 u. 16) und auch strafrechtlich (§ 360 Nr. 8 StGB in seiner älteren Fassung) geschützt waren. Die Kostenfrage konnte jedenfalls nicht den Ausschlag geben, da sie sich, wie das Amt selbst anregte, über eine Art „Wappensteuer“ (wie in England) hätte regeln lassen. Beispiele mußte man dafür freilich nicht erst im Ausland suchen: schon die „Neue Taxe für die Geheime Staats-Kanzlei zu Berlin“ vom 4.6.1801 sah
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eins für Geschichte der Mark Brandenburg z. 100jähr. Bestehen 1837–1937. Berlin 1937, S. 190–235, hier S. 220–224. A.L.R., T. II, Bd. 2, Berlin 1821, S. 688, vgl. dazu auch Bernhard Koerner: Rechtsschutz und Verleihung bürgerlicher Wappen in Preußen, in: Der deutsche Herold 46 (1915), S. 158–159. J. Arndt: Entstehung, S. 18 f.
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vorsorglich „für ein Legitimations-Patent mit allen Wirkungen und Beylegungen des väterlichen Namens und Wappens für jedes Kind eines Bürgerlichen“ Gebühren in Höhe von 150 Reichstalern vor, für die bloße „Erteilung eines Wappenbriefes an einen Bürgerlichen“ noch 110 Reichstaler42. Das Preußische Staatsministerium faßte in seiner Sitzung vom 15.9.1899 (StMin. Nr. 3291) schließlich den folgenden, in die Form einer Empfehlung an Kaiser Wilhelm II. gerichteten Ablehnungsbeschluß: „Euerer Kaiserlichen und Königlichen Majestät verfehlen wir nicht die Immediat-Eingabe des Universitäts-Professors und Mitgliedes des Hauses der Abgeordneten Dr. jur. Hauptmann de dato Berlin, den 2. Februar d.Js., betreffend die Wieder- bezw. Neueinführung von Verleihungen bürgerlicher Wappen, nebst Anlage mit nachstehendem Berichte allerunterthänigst zurückzureichen. Das Heroldsamt hat in der abschriftlich beigeschlossenen gutachtlichen Äußerung ein Bedürfniß „weiter Kreise“ nach Einführung bürgerlicher Wappen (Nr. 2 der Eingabe) zugegeben und nicht in Abrede gestellt, daß die Verleihung von Wappenbriefen von Werth sein würde für die Pflege der Liebe zum Herrscherhause, des Patriotismus und des Familiensinns (Nr. 4. a.a.O.). Dagegen bestreitet es mit Entschiedenheit, daß die in der Eingabe beantwortete Einrichtung nothwendig sei, um ein Vorrecht der Krone zu wahren (Nr. 1 a.a.O.), oder daß sie geeignet erscheine, der illegitimen Annahme von Wappen mit Erfolg entgegenzuwirken (Nr. 3. a.a.O.). Besonders aber weist das Heroldsamt darauf hin, daß das Wappenwesen an sich einer abgeschlossenen Epoche angehöre und in Preußen nur die Neuverleihung von Wappen bei Nobilitirungen sich als das pietätvolle Festhalten an einer durch Jahrhunderte geübten Praxis darstelle. Diesen Ausführungen vermögen wir bis auf den angeblichen Umfang des vorhandenen Bedürfnisses im Wesentlichen nur beizutreten und glauben daher Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät eine ablehnende Haltung gegenüber dem Immediatgesuche empfehlen zu sollen. Eure Kaiserliche und Königliche Majestät bitten wir hiernach allerunterthänigst, durch Vollziehung des anliegenden Ordre-Entwurfs uns zur ablehnenden Bescheidung des Dr. Hauptmann Allerhöchst ermächtigen zu wollen. Das Staatsministerium“. Die weitere Erledigung dieser Frage läßt sich den Akten leider nicht mehr entnehmen, da der noch vorhandene Ordre-Entwurf43 aus dem Geheimen 42 43
B. Koerner, wie Anm. 40, S. 159. Er ist inhaltlich unergiebig und besagt in einem Satze nur soviel, daß das Staatsministerium ermächtigt werden möge, auf seinen Bericht vom 15. September hin, die Immediateingabe des Universitätsprofessors Dr. Hauptmann „ablehnend zu bescheiden“.
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Zivilkabinett des Kaisers und Königs nicht mehr an das Staatsministerium zurückgelangt ist. Offenbar wollte der Kaiser, dem durchaus Symphathien für Hauptmanns Gesuch zuzutrauen waren, den vorgelegten Entwurf nicht vollziehen, sich andererseits in dieser Frage auch nicht in Gegensatz zu seinem Ministerium stellen. Ob die Angelegenheit nun zurückgestellt oder mündlich weiterverfolgt worden ist, Rücksprachen stattgefunden haben und weitere Stellungnahmen eingeholt wurden – wir wissen es nicht. Das Ergebnis blieb jedoch dasselbe, Hauptmanns Immediatgesuch mithin erfolglos: Die Krone Preußen verlieh und registrierte bis zum Untergang der Monarchie keine bürgerlichen Wappen, die staatliche Kontrolle der bürgerlichen Heraldik blieb aus. Daran änderten auch neue Versuche in Fachkreisen nichts, mitten im 1. Weltkrieg Hauptmanns Vorschläge wieder aufzugreifen44. In einem am 21.9.1915 auf der 924. Vereinssitzung des „Herold“ in Berlin beschlossenen „Memorandum“ wurde sogar darauf hingewiesen, daß die Erteilung von Wappenbriefen an Bürgerliche wegen der anfallenden Gebühren als „bedeutende Einnahmequelle zum besten verwundeter Krieger und sonstiger Kriegsnotstände“ genutzt werden könnte45. Felix Hauptmann starb im 79. Lebensjahr als „Ritter hoher Orden“ in Remagen46 wo er bei Freunden einem Schlaganfall erlag47. Der Heraldik war er ein anregender Jurist, zwang er sie doch oft genug, ihre Lehrmeinung im Widerstreit gegen seine Theorien erneut zu überdenken oder historisch fester zu begründen. Auch machte er sich selbst das Verständnis heraldischer Phänomene keineswegs leicht, da er „ein genauer, vielleicht zu genauer Denker“ war48. Zwar sollte man künftig z. B. sein ungemein materialreiches „Wappenrecht“ wegen der darin enthaltenen Irrtümer nicht ungelesen beiseite legen, doch bleibt es eine „Lektüre für Fortgeschrittene“.
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Vgl. H. Knüsli: Wappenbriefe, ein Vorschlag, in: Der deutsche Herold 46 (1915), S. 123–124 u. R. Schiller: Beiträge zu den Vorschlägen betreffend Ausstellung von Wappenbriefen an Bürgerliche, ib., S. 159–160. Vgl. Der deutsche Herold ib., S. 149. Vgl. Todesanzeige in der Kölner Zeitung vom 26.10.1934. Mittelrheinische Landeszeitung Nr. 248 v. 26.10.1934. Nach einer Auskunft von Herrn Dr. Hugo, Berlin, starb H. jedoch „im Zuge“ nach Remagen (Herold-Matrikel). Nachruf von Dr. Ottfried Neubecker, in: Familiengeschichtliche Blätter 33 (1935), Sp. 29.
Reichstagsheraldik Alte Sünden und neue Nutzung durch den Deutschen Bundestag* Der Umbau des Reichtagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestages im Berliner Bezirk Tiergarten kann frühestens ab 1995 erfolgen, da für 1994 „noch keine Mittel in den Haushalt des Bauministeriums eingestellt“ worden seien1. Daher kommen wohl diese Erinnerungen an die einst emotional geführte Debatte2 um den „heraldischen Schmuck des Reichstagshauses“ der Jahre 1895– 99 nicht zu spät, um beim Umbau noch Berücksichtigung zu finden. Als Paul Wallot in den Jahren 1884–94 „den Millionenbau“ (Abb. 1) errichtete und es um die Gestaltung und Gliederung der gewaltigen Fassadenflächen ging, versäumte er leider, heraldischen Rat bei Fachleuten einzuholen: „Wollte er vor dem nicht mehr unbedeutenden Häuflein der Wissenden sich keine Blöße geben, so mußte er sich mit der Heraldik näher bekannt machen, es standen ihm nicht allein eine gute Anzahl von Lehrbüchern zur Verfügung, sondern es hätte nur eines Wunsches bedurft, um zahlreiche Kenner der heraldischen Kunst zu bewegen, sich ihm dienstbar zu machen“3. Aus diesen Sätzen von Heinrich Ahrens (1845–1904) ist nicht nur die gekränkte Eitelkeit des verschmähten Spezialisten4, der sich über „eine
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Nachdruck aus Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 90 (1994), S. 221–227 mit freundlicher Genehmigung des Schriftleiters, Herren Günther Wollschlaeger. Leserzuschriften von Pastor W. Sperling (Berlin) und Stadtarchivar Dr. Benl (Erfurt), für die der Autor dankbar ist, konnten hier noch berücksichtigt werden. Den Hauptteil des Beitrags enthält bereits die 2. Auflage der Auxilia historica, Köln 2004, S. 271–278 unter dem Titel „Heraldische Ungereimtheiten am Berliner Reichstagsgebäude“, während er, wie hier, leicht überarbeitet und durch den Schlußteil erweitert, nochmals unter dem Vortragstitel „Reichstagsheraldik“ (Hannover, 3.9.2011) im Kleeblatt, Zeitschrift für Heraldik und verwandte Wissenschaften 1/2012, S. 78–90 erschien. Nach einer Meldung des Berliner Tagesspiegel Nr. 14621 v. 21.7.1993, S. 8. Vgl. Titelnachweise bei Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik, Köln/Wien 1984, S. 123, 128, 136. 140. – Die wichtigte Literatur zur Baugeschichte des Reichstags, s. Verena Haas/Stephan Waetzoldt: Bibliographie zur Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts, Nendeln 1977 (222 Gebäude-, 152 Wallot-Titel). Heinrich Ahrens: Das deutsche Reichstagshaus in seinem heraldischen Schmucke und seine Inschriften, in: Vierteljahrsschrift Herold 23 (1895), S. 419–461, hier S. 419 (auch als Sonderdr., Hannover 1896). Vgl. von dems.: Der heraldische Schmuck des Reichstagshauses, in: Heraldische Mitteilungen 10 (1899), S. 51–54. Jürgen Arndt; Biographisches Lexikon der Heraldiker, hrsg. vom Herold, Neustadt/A. 1992, S. 2 (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch. Band H).
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Abb. 1: Grundriß des Reichstagsgebäudes
fast wegwerfende Nichtachtung“ durch den Architekten beklagt und sich nun dafür rächt, indem er alle die „argen, so unglaublichen Fehler“ aufzählt, die sich die Steinmetzen am Reichstag zuschulden kommen lassen, sondern auch ein Patriot, der die heraldische Effekthascherei an einem so wichtigen Bau, wie dem Reichstag, tadelt bzw. dem „widerwärtigen Protzen- und Gigerlthume unserer Zeit“ zuschreiben zu können meinte5. Nun ist der heraldische Schmuck des Reichstagsgebäudes im Innern durch den Reichstagsbrand (1933) und außen durch die Beschädigungen des Zweiten Weltkrieges (1944/45) bzw. beim Wiederauf- und -ausbau (1957–73) inzwischen weitestgehend verloren gegangen, so daß dadurch das heraldische Sündenregister Wallots bzw. seiner Bildhauer erheblich kürzer geworden 5
Ahrens (wie Anm. 3), S. 420.
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Abb. 2: Aufriß der Westfront
ist6. Die noch verbliebenen Mängel am „Leichenwagen erster Klasse“, wie Stadtbaurat Ludwig Hoffmann den Reichstagsbau einst bezeichnete7, beschränken sich im wesentlichen auf die dem früheren Königsplatz bzw. Platz der Republik zugewandte Westfront (Abb. 2). Sieht man vom Giebelfeld Fritz Schapers (1841–1919) einmal ab, der „bei seinen klassizistischen Anschauungen den rein germanischen Geist, der dem Wallot’schen Werk aufgeprägt ist, nicht verstanden“ habe, wie sein Apologet Maximilian Rapsilber fand8, so sind doch unterhalb davon – links und rechts des Portikus I – zwei restaurierte heraldische Wandreliefs stehengeblieben (Abb. 3), die jedem Betrachter ins Auge 6
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Vgl. allgemein Michael Steven Cullen: Der Reichstag. Geschichte eines Monuments, Berlin 1983 und Heinz Raack: Das Reichstagsgebäude in Berlin. Berlin 1978. ferner Jürgen Schmädeke: Der Deutsche Reichstag, 2. Aufl. Berlin 1976. Nach Cullen (wie Anm. 6), S. 32. Maximilian Rapsilber: Das Reichstagshaus in Berlin. Eine Darstellung der Baugeschichte und der künstlerischen Ausgestaltung des Hauses, Berlin 1894, S. 73. Vgl. dazu noch allgem. Heraldische Mitteilungen 8 (1895), S. 5 und zum Giebelfeld ib. 10 (1899), S. 74–76.
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fallen, der die fast vierzig Stufen zu der von sechs Säulen getragenen Vorhalle heraufsteigt. Rapsilber nannte diese bis zur Architravhöhe reichenden Wappenreliefs, die der Bildhauer Otto Lessing (1846–1912) 1893/ 94 „nach den Zeichnungen Wallots modelliert habe9, „umso erfreulicher“. Er vergaß allerdings hinzuzufügen, daß Lessing die Ausführung zweimal wiederholen mußte, bis Wallot damit zufrieden war, was sich dieser nur leisten konnte, „weil es direkt von Künstlern und deshalb sehr billig zu machen gewesen sei“10. Die linke Fläche zeigt eine Eiche, die rechte eine Fichte, an denen die kronentragenden Wappenschilde der deutschen Bundesstaaten aufgehängt sind. Es handelt sich – vgl. unser Schema (Abb. 4) – um die Schilde von vier Königreichen (1–4), sechs Großherzogtümern (14–18), drei Herzogtümern (11–13), fünf Fürstentümern (14–18), drei (freien) Reichsstädten (19) und um den des „Reichslands“ (20). Gegen den heraldischen „Regieeinfall“, die Schilde an diese „deutschen“ Reichs- bzw. Volksbäume zu hängen, wäre wenig einzuwenden, wenn es sich nur um Schilde handeln würde, doch ihre Kronen passen schon deswegen nicht ins Bild, weil sie vom Baume fallen würden, auch sind es keine Rangkronen, die in der Heraldik an die Stelle des Oberwappens (Helm, Helmzier und -decken) treten könnten, – sondern reine Phantasieprodukte. Die Schilde selbst stellen eine bunte Mischung verschiedenster Formen dar, so gibt es gotische Schilde aus dem 14., unten abgerundete aus dem 15. und geschweifte aus dem 17./18. Jahrhundert zu sehen, also wirklich „gemischten Historismus“ in Reinkultur. Ärgerlicher ist jedoch, daß an den Wandflächen die Wappen von zwei der damaligen Bundesstaaten ganz und gar fehlen, nämlich die der Herzogtümer Sachsen-Coburg und Gotha und Sachsen-Altenburg. Ferner fehlen die beiden Fürstentümer Schwarzburg-Sondershausen und Reuß jüngerer Linie, bei denen man allerdings geltend machen könnte, daß sich die Wappen von Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolfstadt nahezu11, und Reuß älterer und Reuß jüngerer Linie vollständig gleichen, doch auch die Wappen der beiden Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz entsprechen sich weitestgehend12, wurden aber inkonsequenterweise doppelt wiedergegeben. Die Wappenschilde der drei freien Hansestädte sind in einem geteilten, in der oberen Hälfte gespaltenen Schild vereint dargestellt 9
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Rapsilber (wie Anm. 8), S. 73. Nach Cullen (wie Anm. 6), S. 29 soll die Westfront von Wallot erst 1891 detailliert festgelegt worden sein. Cullen (wie Anm. 6), S. 30. Bei ersterem ist lediglich das Regalienfeld golden, bei letzterem silbern. Der hier unberücksichtigt gebliebene Unterschied zwischen den beiden Wappen Mecklenburgs, zeigt sich im 5. Feld, in dem sich die Herrschaft Stargard darstellt: der aus der oberen linken Ecke des Feldes hervorkommende, mit einem Puffärmel am Oberam und zwei fliegenden Bändern am Unterarm bekleidete menschliche Arm ist Mecklenburg-Schwerin vorbehalten, während derjenige bei MecklenburgStrelitz aus einer Wolke kommt und am Puffärmel eine fliegende Schleife aufweist.
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Abb. 3: Heraldische Reliefs an der Westfront des Reichstagsgebäudes (links das Eichen-, rechts das Fichterelief)
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worden, obwohl natürlich jeder Stadtstaat einen eigenen Schild zu beanspruchen gehabt hätte (Lübeck weist außerdem ein rote Farbschraffur auf, die bei den beiden anderen Städten gar nicht erst vorgesehen war). Lothringen, Ober- und Unterelsaß mußten sich als Reichsland einen gemeinsamen Schild teilen. Ganz durcheinander geht die Wappengröße bzw. -qualität an den beiden Bäumen und dies sicherlich nicht nur aus künstlerischen Gründen: Bekanntlich stehen den meisten Bundesstaaten je nach Anlaß ein großes oder auch ein kleines Landeswappen zu Gebote (wie den meisten Bundesländern auch heute): bei Abb. 4: Schema der heraldischen Reliefs an der Westfront des Reichstagsgebäudes (nach Ahrens, den größeren Staaten fanergänzt von E. Henning) den am Reichstag aber unmotiviert nur die kleinen Wappen Verwendung (so erscheint Preußen mit dem Adler-, Bayern mit dem Weckenschild und Sachsen mit dem Rautenkranz, bei einigen kleineren Staaten aber die großen Wappen (so treten Sachsen-Weimar und beide Mecklenburg sechsfeldrig mit aufgelegtem Mittelschild in Erscheinung). Merkwürdigerweise bildete man ausgerechnet die kleinen Wappen der vier Königreiche aus Gründen politischer Symbolik optisch vergrößert ab (was allenfalls ihren großen bzw. „vermehrten“ Schilden gut bekommen wäre), nicht aber die großen einiger sonstiger Bundesstaaten des Deutschen Reiches, die dafür kleiner gerieten – eine ausgleichende heraldische Gerechtigkeit? Beide Bäume am Reichstag, Eiche und Fichte, fungieren als Stammbäume13, doch sollten dann – dem Prinzip des Wachsens entsprechend – die Schilde der ältesten deutschen Staaten unten und die der jüngeren weiter oben angebracht 13
Vgl. die Auffassung der Deutschen Bauzeitung 28 (1894), S. 579 und Richard Streiter: Zur Baugeschichte des Reichstagshauses. Schluß-T., in: Zentralblatt der Bauver-
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worden sein, was leider nicht durchgängig der Fall ist. Auch die „Bewohner“ der Zweige, Knaben und Männer als Schildhalter, die die Bäume in den verschiedensten Körperhaltungen (nämlich breitbeinig, sitzend oder hervorwachsend) „bevölkern“, sind durchaus überflüssig, da doch aufgehängte Schilde gar keine Schildhalter benötigen (notabene hatte nur Preußen „wilde Männer“, während in anderen deutschen Staaten noch heute Löwen, Bären, Greifen, Adler, Hirsche usw. als Schildhalter vorkommen). Hinzugefügt sei noch, daß die beiden heraldischen Stammbäume in der Literatur auch als „Flußreliefs“14 bezeichnet werden, wohl weil sich am Fuße der Eiche ein gut erhaltener Greis ausruht, der den „Vater Rhein“ versinnbildlicht, während sich am Fichtenfuß eine füllige Schönheit lagert, die die Weichsel verkörpern soll. Von Lessing, der „wohl der am meisten beschäftigte Künstler am Bau des Reichstags“ gewesen ist15, stammt übrigens auch das Denkmal des Dichters Gotthold Ephraim Lessing in Berlin an der ehem. Lennéstraße im Tiergarten, dessen Urgroßneffe er war, ferner schuf er einen Teil der Terrakottareliefs am Martin-Gropius-Bau und den Ziergiebel des ehem. Reichsmilitärgerichtes in der Witzlebenstraße; in Leipzig hat Lessing am Schmuck des Reichsgerichtes mitgewirkt. Doch wie reagierte der Reichstag nun selber auf die Kritik an seinem Gebäude, das selbst der dem architektonischen Historismus seiner Zeit zugetane Kaiser Wilhelm II. als „den Gipfel der Geschmacklosigkeit“ (1893)16 empfand? Das zeigt sich am besten in der Verhandlung vom 1. März 1899 und noch deutlicher in der Etatdebatte vom 20. März 1899, die nicht nur an einem Entwurf von Franz v. Stuck und an den Wahlurnen Adolf v. Hildebrands Anstoß nahm, sondern auch unversehens zu einer Abrechnung mit den heraldischen Fehlern geriet, in deren Folge Geheimrat Wallot dann zum 1. April vom Vorsitz der „Ausschmückungskommission“ zurücktrat. Darin bemerkte der Führer des Zentrums, Ernst Maria Lieber, unter Hinweis auf die erwähnte Schrift von Ahrens: „Aber, meine Herren, wenn man an einem monumentalen Bau deutscher Reichstagsgesetzgebung deutsche Staats- und Stadtwappen anbringt, dann dürfte doch die Forderung voll berechtigt sein, diese Wappen historisch und heraldisch richtig darzustellen. Hier ist kein Platz für Phantasiekronen“17.
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waltung 14 (1894), S. 497–500, hier S. 498. – Warum übrigens Raack (wie Anm. 6), S. 106 die Fichte erstmals als „Kiefer“ bezeichnet, ist nicht ersichtlich. Cullen (wie Anm. 6), S. 30. Culien (wie Anm. 6), S. 180. Äußerung auf einer Italienreise des Kaisers, die er anläßlich der Silberhochzeit König Umbertos unternahm, vgl. Berliner Tageblatt v. 29.4.1893. Die noch prägnantere Formulierung Wilhelms II., der den Reichstag bekanntlich als „Reichsaffenhaus“ bezeichnete, dürfte politische, keine ästhetischen Gründe haben; sie findet sich im Brief an Eulenburg v. 9.12.1894 (vgl. Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz, hrsg. von John C. G. Röhl, Bd. 2: 1892–95, Boppard/Rh. 1978. S. 1424). Vgl. die Stenographischen Berichte über die Verhandlungen das Deutschen Reichstags, 10. Legislaturperiode 1898/1900, Bd. 2, Berlin 1899, S. 1632 und insbesondere
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Der damalige Vorsitzende des Vereins „Herold“, Stephan Kekule v. Stradonitz, äußerte sich in der Berliner Sitzung vom 31. März 1899, „dass er glatt und ohne Gewissensbisse den Stab über die Heraldik des Reichstagsbaus breche. Der Architekt operiert mit Formen, die er nicht kennt und die er kennen zu lernen er mit künstlerischer Überlegenheit verschmäht; er verwendet diese Formen in einer Weise, die sinnlos und damit anstößig ist.“18 Mit diesen Bemerkungen habe ich nur einen kleinen Teil der damaligen Kritik aufgegriffen, die höchst sensibel (und häufig auch kenntnisreich) auf Wallots heraldische Alleingänge reagierte, schließlich wollte man dem durch die Reichsgründung nochmals angefachten deutschen Nationalbewusstsein nicht nur einen dauerhaften, sondern auch einen korrekten Ausdruck verleihen. * Epilog: An diese Auseinandersetzungen fühlte ich mich hundert Jahre später durch eine „Reichstagsdebatte“ 1994/95 erinnert, die ebenfalls dem Gebäude galt, angeheizt nicht allein durch die Medien. Was war geschehen? Der Deutsche Bundestag hatte am 20. Juni 1991 beschlossen, die Hauptstadt der wiedervereinigten Bundesrepublik nach Berlin und seinen eigenen Sitz in den Reichstag zu verlegen. Nun galt es, mit dem verstümmelten baulichen Erbe des Gebäudes endlich geschichtsbewusst umzugehen. Im „Kolloquium Reichstag“ wurde die Wiederherstellung der Kuppelarchitektur Wallots diskutiert, was der Ältestenrat jedoch 1994 ablehnte.19 Stattdessen nahmen die Entwürfe von Sir Norman Foster in einem zweijährigen Verfahren alle parlamentarischen Hürden, die zunächst aus Kostengründen keine Kuppel, sondern für das ganze Gebäude nur ein 50 Meter hohes Glasdach vorsahen, einem gläsernen Kissen ähnlich. Das war das Modell „Schneewittchensarg“, wie es die Berliner nannten, das letztlich zugunsten einer krönenden, vom zweiten Sieger, Santiago Calatrava, vorgeschlagenen Kuppel verworfen bzw. von Foster zur allgemeinen Zufriedenheit in seine Pläne integriert wurde.20 Doch dieses zweijährige, von der Öffentlichkeit skeptisch verfolgte Geplänkel war nichts gegen die Debatte, die 1994/95 um den Plan einer (vorübergehenden) Verhüllung des Reichstags mit 100.000 Quadratmetern Stoff durch das Ehepaar Christo entbrannte. Ich erwähne abschließend beides,
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Heraldische Mitteilungen 10 (1899), S. 29–32 mit ausführlichen Zitaten aus der Etatdebatte (oben, S. 31). Vgl. Heraldische Mitteilungen, S. 51-54, hier S. 52. Vgl. Heraldische Mitteilungen, S. 52. Abbildung und Notiz: Der Reichstagsumbau frühestens 1995, in: Der Tagesspiegel v. 21. Juni 1993, S. 8., vgl. auch: Norman Foster gibt heute seine neuen ReichstagsEntwürfe ab, ib. v. 20.4.1994, S. 2.
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weil sowohl der Kuppeldisput im Vorfeld wie auch die heftigen Auseinandersetzungen um Christos Aktionskunst die Symbolfunktion des Gebäudes betrafen und damit in einen Epilog zu unserem Thema münden: Wie die meisten von Ihnen noch wissen, stimmten die Bundestagsabgeordneten dem anfangs umstrittenen Verhüllungsprojekt mehrheitlich zu, das Fosters Um- und Ausbauten vorausging und so ein Vakuum der meist ausstrahlungsarmen Politik füllte. Trotz einer bald wachsenden Woge der Zustimmung zu diesem Projekt, die schließlich die meisten Berliner und ihre Besucher mitriss, war mir dabei nicht wohl, und ich frage mich heute noch manchmal beklommen, ob nicht Wolfgang Schäuble damals Recht hatte, wenn er als CDUFraktionsvorsitzender am 25. Februar 1994 im Bundestag allen Ernstes vor diesem „Event“ warnte, denn „der Reichstag“, das waren seine Worte, „ist ein herausragendes politisches Symbol der jüngeren deutschen Geschichte, ein Symbol, das wie kaum ein zweites die Höhen und Tiefen dieser Geschichte präsentiert. Die Wechselfälle, die Zäsuren haben an dem Gebäude ihre Spuren unmittelbar hinterlassen. Der Reichstag ist ein steinernes Zeugnis deutschen Schicksals in diesem Jahrhundert ...“. Auch räumte Schäuble ein: „Wir Deutsche tun uns schwer mit Symbolen, die unsere Geschichte zum Ausdruck bringen. Angesichts der Brüche und Verletzungen ist das nur zu verständlich. Aber gerade deshalb sollten wir behutsam sein“21 und nicht verspätet der Forderung seines Verächters, nämlich Kaiser Wilhelms II., nachkommen, der da meinte: „Die olle Quasselbude soll verpackt werden.“22 Für Schäuble war und ist der Reichstag ein nobles Symbol der Einheit, dessen einigende Funktion beschädigt werden könnte, falls seine Verpackung polarisiert. Letzten Endes war das erfreulicherweise nicht der Fall, war doch die Umhüllung ein ungeheurer Publikumserfolg. Man empfand sie tatsächlich nicht als herabsetzend, sondern eher als bedeutungssteigernd (man verpackt schließlich nichts Wertloses!), keinesfalls aber als Verhöhnung eines politischen Symbols. Die faltigen Felswänden oder einem riesigen Katafalk ähnelnde Draperie strahlte, wenn nicht Magie, so doch Ruhe und konzentrierte Stille aus. Der Reichstag bewahrte eine geheime Faszination.23 Er erhielt seine Würde zurück, die dem parlamentarischen Alltag oft verloren geht. Vor Ort konnten wir schließlich erleichtert feststellen, dass der Reichsund Bundestag Christos Experiment ebenso verkraftet hat wie weiland Wallots „Kunst am Bau“, doch warnte uns wohl beides, wie die „Frankfurter 21
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Wolfgang Schäuble: An Symbole rührt man nicht. Zur Verhüllung des Berliner Reichstags, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.2.1994, S. 27. Vgl. Leserbrief von Helga McCourt, Wunstorf, in: Berliner Zeitung v. 10.7.1995. Henning Ritter: Über die Liebe der Massen zur Kunst. Sich niederlassen vor dem Werk: Überlegungen nach Christos Triumph, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.7.1995, Beil. Vgl. dazu das Interview: Wem gehört die Kunst, Herr und Frau Christo?, in: Der Tagesspiegel v. 29.6.1995, S. 30 u. Bericht über die „Enthüllung“ des Reichstag, in: Süddeutsche Zeitung v. 8./9.7.1995 m. Abb.
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Allgemeine“ damals titelte: „An Symbole rührt man nicht“, jedenfalls nicht unüberlegt und leichtfertig. Lassen Sie mich nach diesem Epilog zum heraldischen Schluss kommen und der besteht, meine Damen und Herren, in einer Forderung, von der ich hoffe, dass Sie mich darin unterstützen. Sie richtet sich an den Deutschen Bundestag, dessen westliche Fassade zum Platz der Republik wir behandelt haben, vor der wir auch 1990 die Feier der Deutschen Einheit abgehalten haben. Doch von der östlichen Fassade, vor der in wenigen Metern Abstand bis 1989 die Berliner Mauer verlief, spricht niemand. Diese „Ostfront „ mit dem Blick auf die alte Berliner City ist leer und sie schreit meines Erachtens danach, hier die 16 Wappen der heutigen Länder der Bundesrepublik Deutschland anzubringen bzw. sie in Stein zu meißeln! Sie bildeten dann das Pendant zu den Bundesstaaten des Kaiserreichs und ihren Wappen, die nun wohl nicht mehr zu korrigieren sind. Es bleibt aber zu hoffen, dass der neue heraldische Schmuck, wie ihn die Hoheitszeichen der Länder darstellen, dann unter Aufsicht eines wappenkundlichen Beraters fehlerfrei angebracht wird. Dafür wäre es wünschenswert, wenn sich die Bau- und Konzeptkommission des Bundestages – anders als Wallot – mit Heraldikern verbünden würde, die sie beraten. Ich hoffe, dass der Verein „Kleeblatt“ und der Verein „Herold“ und auch als Dachverband die Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände dieses Ziel teilen und mich dann unterstützen.
„Bacillus heraldicum“ – Diagnose und Therapie Rückblick auf die Heraldikertreffen des Herold (1970–1990)* Diese Bazillen infizierten zunächst die Kreuzfahrer des 12. Jahrhunderts, später die Teilnehmern von Turnieren. Aber auch als die Ritterspiele im 17. Jahrhundert aus der Mode kamen und eine heraldische Verfallszeit heraufzuziehen schien, suchten sie sich neue Wirtspersonen in der Kanzleiheraldik. Von hier aus drang der Erreger auch in die Wissenschaft vor, wo gar Forscher wie Spener und Gatterer zu Bazillenträgern wurden. Selbst die Französische Revolution schadete ihm weniger als gedacht, fristete er doch bald in der napoleonischen Heraldik wieder ein bescheidenes Dasein. Seine große Zeit als Hoheitszeichen und Familiensymbol aber brach im 19. Jahrhundert an, in dem er sich geradezu epidemisch ausbreitete. Nicht ganz so gut wie im Historismus lebte er im zwanzigsten (unerwartet) jugendstilig oder auch „neusachlich“ weiter. Erst die DDR erwies sich als weitgehend wappenresistent bzw. impfte sogar gegen den Bacillus heraldicum als Erreger feudaler und bourgeoiser Krankheiten an, damit wenigstens Arbeiter und Bauern gegen ihn immun blieben. Dagegen erlebte die Kommunal- und Familienheraldik jenseits der deutsch-deutschen Grenze nicht nur in der – nahezu auf Rheinbundformat geschrumpften – Bundesrepublik, sondern auch im übrigen Europa eine neue Blüte, wo sie bewies, dass sie bis heute in der Lage ist, gesellschaftliche Zustände zu spiegeln. Dem Wappenwesen hat letztlich seine „hervorragende, Sprachgrenzen übergreifende Fähigkeit, symbolische Aussagen in eine Kunstform zu kleiden“, das Überleben gesichert1. Davon zeugen die von Jürgen Arndt organisierten Heraldikertreffen2 des 1869 gegründeten Vereins Herold für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, die auf der – mit dem 21. Deutschen Genealogentag in Berlin verbundenen – Hundertjahrfeier des Vereins am 3. Oktober 1969 *
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Das Referat wurde auf der gemeinsam mit dem Herolds-Ausschuß für die Deutsche Wappenrolle durchgeführten 31. Tagung der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften zum Thema „Wappen heute – Zukunft der Heraldik?“ am 24. April 2009 im Otto-Warburg-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem gehalten, auf der auch die „Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze“ beschlossen worden ist, vgl. Herold-Studien 9 (2014), S. 173 f. Arnold Rabbow: Frauenwappen heute, in: Kleeblatt 2009, H. 2. S. 5–10, hier S. 5. Vgl. die Zusammenstellung aller Heraldikertreffen im Dokumentenanhang. Zitiert werden sie mit ihren Tagesordnungspunkten (TOP) und dem Veranstaltungsjahr, dort auch weitere Literaturangaben.
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ihren Anfang nahmen; damals fand eine Sondersitzung des Herolds-Ausschusses für die Deutsche Wappenrolle (DWR) im Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz statt; sie führte erstmals „viele freiberuflich tätige heraldische Künstler und wissenschaftliche Heraldiker im Archivdienst zu einem Meinungs- und Erfahrungsaustausch“ zusammen, die auch am 5. Oktober noch größtenteils an der Eröffnung der Säkularausstellung des Herold „Lebendige Heraldik – lebendige Genealogie“ teilnahmen3. Weitere Heraldikertreffen begleiteten die Genealogentage von Ulm (1970), Münster (1971), Lübeck (1972), Darmstadt (1973), Ludwigshafen (1975), Regensburg (1976), Trier (1977), Kiel (1978), Kassel (1979), Würzburg (1980), Hannover (1981), Passau (1982), Hildesheim (1983), Neuß (1984), Bremen (1985), Soest (1986), Kaiserslautern (1987), Brühl (1988), Bonn (1989) und Erlangen (1990); nur 1974 entfiel das Heraldikertreffen zugunsten des in München u. a. vom Herold für die Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände (DAGV) ausgerichteten 12. Internationalen Kongresses für heraldische und genealogische Wissenschaften. Aus diesen in meiner Erinnerung4 höchst lebendigen „Zusammenkünften“ (wie die Heraldikertreffen offiziell hießen, aber von kaum einem so genannt wurden), kann ich lediglich einige Schwerpunkte herausgreifen, die mir heute noch aktuell erscheinen. Die regionalheraldischen Vorträge, in denen seit 1980 (Würzburg, TOP 1) dem jeweiligen genius loci gehuldigt wurde, außer Acht lassend, streife ich – in einem Schlagwortalphabet – daher die angewandte Heraldik und Ausbildungsfragen, um etwas näher auf den Ausschließlichkeitsgrundsatz einzugehen, lasse bio-bibliographische Fragen weitgehend außen vor, um Raum für die Kritik an der „Deutschen Wappenrolle“ zu bekommen, berühre kurz die EDV-Probleme der Heraldik, um danach mehr zum Thema „Farbe“ und zum leider niemals realisierten Handbuch der heraldischen Stätten zu sagen, lasse die Hausmarken ganz aus, um Zeit für die Darstellung der Helmzierden und der Kommunalwappen zu gewinnen, erwähne einige Rechtsfragen, den Nachbarbereich der Siegel und behandle – stets aktuell – Symbolisierungsmotive, schließlich den Wappenhandel. Die a n g e w a n d t e Heraldik kam auf fast allen Heraldikertreffen zu kurz, mit Ausnahme von Münster (TOP 4/1971), als die dort ansässige Firma Faber eigene Musterstücke, nämlich Metall- und Glasgravuren von Wappen, auch Beispiele heraldischer Porzellanmalerei, präsentierte. Schon vorher in Ulm wurde Wappenwerbung i. S. einer Werbung mittels Wappen diskutiert, damals vom ADAC-Gau Hessen und der pharmazeu3
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Vgl. den gleichnamigen Katalog zur Ausstellung zum 100jährigen Bestehen des Herold, bearb. von Jürgen Arndt und Eckart Henning. Berlin 1969. Selbst teilgenommen habe ich allerdings nur an den Zusammenkünften in Ulm und Darmstadt, während ich für Neuß einen eigenen siegelkundlichen Beitrag zur Verfügung gestellt habe. Über den Verlauf sonstiger Heraldikertreffen ist den HeroldMitgliedern aber jeweils anschließend in Berlin berichtet worden.
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tischen Firma Spitzer ansprechend betrieben (vgl. auch TOP 5/1970). Solche Anwendungsbeispiele sind heute kaum mehr zu finden – sieht man von der ebenfalls im Schwinden begriffenen Önoheraldik, der Verwendung von Wappen auf Weinetiketten, einmal ab (ein Spezialist auf diesem Sammelgebiet ist der ehem. Herold-Vorsitzende, Prof. Dr. Heinrich Freiherr v. Lersner). Immer noch üblich sind dagegen heraldische Exlibris, die einst in Italien entstandenen Bucheignerzeichen, wo die Eigentümer zunächst in handschriftlich vervielfältigte Bücher ihre Wappen einmalen und -binden ließen. Nach Erfindung der beweglichen Lettern durch Gutenberg (1490) begann man mit dem Druck einbindbarer heraldischer Formulare, wobei der Schildinhalt durch das Eignerwappen zu ergänzen war („das puch und das schilt ist ...“). Daran beteiligten sich im 15. und 16. Jahrhundert sogar Künstler wie Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien oder Hans Holbein. Selbst in den folgenden Jahrhunderten ist dieser Brauch nie ganz erloschen, war besonders beliebt im Historismus und auch im Jugendstil und wurde im 20. Jahrhundert durch Zdenko G. Alexys dreibändiges Sammlerlexikon „Es libris armales“5 auf besonders gelungene Weise wiederbelebt. Bereits in Würzburg (TOP 2/1970) setzte sich der Heroldsausschuß für die Fortführung des Brauchs der Exlibris ein. Unter dem Tagesordnungspunkt A u s b i l d u n g der Heraldiker sind in Lübeck (TOP 5/1973) Fragen der Heranbildung des heraldischen Nachwuchses besprochen worden. An den deutschen Universitäten erfolgt leider im Rahmen der Historischen Hilfswissenschaften durchgängig keine heraldische Ausbildung mehr (Ausnahmen stellen u.a. die Lehrveranstaltungen zur Wappenkunde von Ludwig Biewer an der Freien sowie vom Verf. an der Humboldt-Universität zu Berlin dar6). Ähnlich schlecht steht es um die künstlerische Ausbildung der Graphiker an Fachhochschulen (eine Ausnahme bildete einst der Unterricht von Heinrich Hußmann in Köln ). Heute erhalten leider nur noch wissenschaftliche Archivare in Marburg und München eine regelmäßige heraldische Grundausbildung, so dass der Heraldische Verein „Zum Kleeblatt“ (Hannover) wiederholt mehrtägige Informations-veranstaltungen und der Herold nun im Oktober 2009 erstmals eine Ausbildungswoche mit Abschlußzertifikat (gepr. „Heraldi5
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Z.G.Alexy: Ex libris armales 1983–1985. Curriculis vitae adnexis contemporaneorum de arte et scientia armorum bene meritorum. Wien 1984–1986. Eckart Henning: Zur aktuellen Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland, in: E. H., Auxilia historica. 2. Aufl. Köln 2004, S. 3–13 und Ludwig Biewer: Bemerkungen zum Stand der Wappenkunde im deutschsprachigen Raum, in: Archiv für Diplomatik 54 (2008), S. 285–308, hier S. 295 f. Heraldische Lehrveranstaltungen führte L. Biewer zunächst an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität in Bonn jeweils im WS von 1994-2000 und an der Freien Universität Berlin ab 2002 durch, während der Verf. sie zunächst an der Freien-, später an der Humboldt-Universität begann (SS 1992 u. 1993, WS 1993/94, SS 1996 u. 1999, WS 2001/02, SS 2004 u. 2010, WS 2013/14).
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ker des Herolds“) anbietet7, um diesem Missstand, vor allem zur Aus- und Weiterbildung jüngerer Heraldiker, durch Befähigungsnachweise zu steuern. Testfragen zu den Historischen Hilfswissenschaften, darunter zur Heraldik, habe ich bereits Anfang des Jahres publiziert, die sich als Einstieg eignen8. Die Beachtung des A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s g r u n d s a t z e s bei der Neuschöpfung von Wappen sollte selbstverständliche Pflicht eines jeden künstlerisch tätigen Heraldikers sein. Allerdings zeigte schon in Ulm (TOP 1/1970) die Durchsicht diverser Kreiswappenbücher, dass leider immer wieder „Wappen mit Allerweltsfiguren (Pflugschar, Hufeisen, Beil, Doppelhaken, Eichbaum, Rose) aufgenommen und ... nicht beanstandet werden“. Solche Freizeichen ohne jede Unterscheidungskraft müssten daher von den Staatsarchiven, soweit sie im Rahmen der Gemeinde- und Landkreisordnungen noch gutachterlich tätig sind, öfter und deutlicher abgelehnt werden. Die Möglichkeit von Verwechselungen, wie in Ludwigshafen (TOP 1/1975) und in Trier (TOP 2/1977) beklagt, sind nicht nur nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (§§ 124, 125), sondern auch nach dem Warenzeichengesetz (§ 31) unzulässig; so droht immer dann Verwechselungsgefahr, „wenn bei einem nicht über besondere Sachkunde verfügenden und nicht genauer prüfenden Betrachter trotz vorhandener Abweichungen zwischen den beiden Wappen die irrige Vorstellung erweckt wird, dass er es mit dem gleichen Wappen zu tun habe“. Das schon auf der Zusammenkunft in Kassel (TOP 1/1973) bedauerte Fehlen von B i o – B i b l i o g r a p h i e n bzw. eines „Kürschner der Heraldiker“ ist erfreulicherweise kein Desiderat geblieben: die von Gabriele Jochums und mir bearbeitete „Bibliographie zur Heraldik“ erschien 1984 und wurde mit dem Prix Amerlinck der Internationalen Akademie für Heraldik ausgezeichnet9, ferner konnte das bereits in Lübeck (TOP 4/1972) angestrebte, vom Verein Herold herausgegebene und von Jürgen Arndt und weiteren Mitarbeitern bearbeitete „Biographische Lexikon der Heraldiker“ 1992 fertiggestellt werden10. Diverse Schrifttumsberichte in den „Blättern für deutsche Landesgeschichte“ sorgten überdies für eine gewisse 7 8
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Vgl. Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 17 (2009), H. 1. Henning „HiWi“-Test. 175 Fragen und Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften. Mit 10 Thesen über die Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften. 2. Aufl. Berlin 2011, Heraldik S. 61–68. Vgl. auch Eckart Henning: Repetitorium heraldicum. 150 Fragen & Antworten zur Wappenkunde. Berlin 2010. Eckart Henning / Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980. Köln 1984. Biographisches Lexikon der Heraldiker sowie der Sphragistiker, Vexillologen und Insignologen. Hrsg. vom Herold, bearb. von Jürgen Arndt unter Mitwirkung von Horst Hilgenberg und Marga Wehner. Neustadt/Aisch 1992 (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. H).
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Weiterführung der Bibliographie11, die allerdings aktualisiert werden müsste. Selbstkritisch beklagt werden soll aber, dass die vom Heroldsausschuß für die Deutsche Wappenrolle mit Lottomitteln begonnene Edition älterer Wappenhandschriften über die Veröffentlichungen des Wappenbuchs des Reichsherolds Caspar Sturm und des Schlesischen Wappenbuchs der beiden Scharffenberg, entsprechend der in Münster formulierte Richtlinien (TOP 1/1971), bisher nicht hinausgelangt ist12. Die geplante Herausgabe des Wappenbuchs Von den Ersten, des Wappenbuchs Bayhart und des Berliner Wappenbuchs unterblieb nach Arndts Tod (1998) aus unterschiedlichsten Gründen. Die „D e u t s c h e W a p p e n r o l l e“ (DWR) ist, wie die meisten von Ihnen wissen, mit ihren bisher 71 Bänden – trotz bislang noch fehlender Farbabbildungen – das „Flaggschiff“ der deutschen Familienheraldik13, was nicht hinderte, es immer wieder einer – zumeist förderlichen – Kritik zu unterziehen, mit der sich u.a. in Ulm (TOP 8/1970), Lübeck (2/1972) und Münster (TOP 5/1971) der Heroldsausschuß für die DWR auseinandersetzte. Dabei ging es u.a. um die Registrierung von Wappen der in Deutschland wohnenden Familien fremden Volkstums, um die Sinndeutung neu angenommener Familienwappen, die allzu privat erschien, um veröffentlicht zu werden (ganz im Gegensatz zu Kommunalwappen) oder um die Frage, ob die Buchreihe weiterhin ein stilistisch einheitliches Gepräge zeigen solle, was angesichts unterschiedlichster Wappenzeichner bzw. deren künstlerischer Handschrift kaum möglich erscheint. (Trier TOP 5/1977). So regte sich beispielweise Kritik an der Form der Helmdecken, an der Buntheit mancher Wappen und an der Aufnahme allzu vieler kleiner Gegenstände in den Schild, Vorwürfe, die sich eigentlich gegen den Entwurfsverfasser und/ oder den Wappenzeichner richteten, nicht aber gegen die DWR. Ihr Ausschuß kann Entwürfe auch heute nur dann zurückweisen, wenn sie nach § 9, Abs.5 „gröblichst“ gegen die heraldischen Regeln verstoßen. Entschieden betonte Jürgen Arndt: „Der Herold ist keine Zensurbehörde und möchte jeden Verdacht vermeiden, als wolle er etwa durch allzu starke Einengung der Gestaltungsmöglichkeiten die Inanspruchnahme von (bestimmten) Heraldikern unabweislich machen“ (Trier TOP 1/1977). 11
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Eckart Henning: Wappen 1971–1981, Sammelbericht, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118 (1982), S. 383–406 u. ders.: Siegel und Wappen 1982–1986, Sammelbericht, in: ebenda 125 (1989), S. 299–338. Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm. Bearb. von Jürgen Arndt et al. Neustadt/Aisch 1984 (= Wappenbücher des Mittelalters, 1) und Crispin und Johann Scharffenbergs Schlesisches Wappenbuch. Bearb. von Hans v. Mosch. Neustadt/ Aisch 1984 (= Wappenbücher des Mittelalters, 2). Generalregister zur Deutschen Wappenrolle 1920–2001. Hrsg. vom Herold, bearb. für den Heroldsausschuß für die DWR durch Dietrich Haußknecht unter Mitwirkung von Bernd Riechey. 3. Aufl. Neustadt/Aich 2003.
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Schon relativ früh hat sich der Heroldsausschuß für die DWR in Ulm (TOP 3/1970), Lübeck (TOP 1/1972), Darmstadt (TOP 2/1973) und Ludwigshafen (TOP 2/1975) mit der e l e k t r o n i s c h e n Erfassung von Wappen auseinandergesetzt, wobei aus den üblichen Angaben über den Namen der wappenführenden Familie, ihre Ursprungsheimat und Quellenangaben aus der Literatur bzw. den Archivalien kaum Schwierigkeiten erwachsen, wohl aber aus der Blasonierung. Sie verlangt durchschnittlich 16 Einzelangaben zur Codierung einer Wappenbeschreibung, wofür z. T. neue heraldische Zuordnungsbegriffe einzuführen waren, wie die zweibändige von Jürgen Arndt und Werner Seeger bearbeitete „Wappenbilderordnung“14 von 9996 Bildern zeigt, die zugleich eine Neubearbeitung von Maximilian Gritzners „Handbuch der heraldischen Terminologie“ darstellt; als sehr nützlich hat sich der beigefügte Genereralindex der heraldischen Begriffe in mehreren Sprachen erwiesen, auch dienen diese Bände als Fundstellennachweis für die Werke von Renesse und Papworth. Ein Anhang bietet überdies Benutzungshilfen für sonstige nach Wappenbildern geordnete Veröffentlichungen, nämlich von Fischnaler, Zimmermann, Dielitz, v. Alberti, Schöler, Kraßler und Rentzmann. Der Kontrastwirkung halber, aus der sich auch die F a r b r e g e l erklärt, ist von „jeder Nuancierung von Farben“ (wie etwa in der studentischen Heraldik) abzusehen, auch die seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlichen Naturfarben sind bei der Darstellung menschlicher Körper tunlichst zu unterlassen, andernfalls – so meinte Jürgen Arndt – drohe die Heraldik in „Landschaftsmalerei“ abzugleiten. Empfohlen wurde, möglichst nur zwei Farben oder Farbe und Metall beim Nebeneinander bzw. Untereinander zweier Felder zu verwenden und bei Wappen mit Schildteilungen verwechselte Farben bzw. Farbwechselseitigkeit anzuwenden; wobei allenfalls zum Zwecke der Belebung noch eine dritte Farbe für die Nebenteile der Figuren zuzulassen sei (vgl. Passau TOP 2/1981). Werden mehr als drei Farben verwendet, erscheint das Bild zu unruhig wie bei südamerikanischen Wappen oder denen der britischen Kolonien – Lothar Müller-Westphal sprach gar 14
Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo (WBO). Hrsg. vom Herold, bearb. von Jürgen Arndt und Werner Seeger mit Wappenskizzen von Lothar Müller-Westphal. Bd.I: Neustadt/Aisch 1985, 2. Aufl. 1995. Bd.II: ib. 1990 (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. B). – Unberücksicht blieb darin leider Ottfried Neubeckers „Großes-Wappen-Bilder-Lexikon der bürgerlichen Geschlechter Deutschlands, Österreichs und der Schweiz“. Augsburg 1985, 2. Aufl. 1992, in dem er die ca. 20.000 Bürgerwappen aus „dem Siebmacher“ (Band V) der Jahre 1858– 1960 ohne Text nach Bildern geordnet hat. Um Verwechselungen vorzubeugen: Dieses „Große-Wappen-Bilder-Lexikon“ ist nicht identisch mit Neubeckers früher erschienenem „Wappen-Bilder-Lexikon“, München 1974, in dem er Wilhelm Rentzmanns „Numismatisches Wappen-Lexikon des Mittelalters und der Neuzeit“, Berlin 1876, ebenfalls nach Bildern ordnete und durch Staatswappen ergänzte (vgl. Arndts WBO I, S. 444–447).
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von „Augenpulver“ (Passau TOP 2/1982). Auf die ständige Frage nach der Farbsymbolik, die schon bei den Minnesängern des 13. und 14. Jahrhunderts, aber auch im Alten Siebmacher (1656) eine Rolle spielte, hatte schon Johann Paul Reinhard in seiner „Vollständigen Wappen-Kunst“ (Nürnberg 1747) die passende Antwort gegeben: „Viele suchen besondere Bedeutungen in den Farben... Es sind aber leere Grillen, welche von Leuten ausgeheckt worden sind, die Entdeckungen machen wollen, wo doch keine zu machen sind“ (§ 39). Entsprechend finden sich auch in den von den Kaisern bzw. ihren Delegataren, den Hofpfalzgrafen, zwischen 1350 und 1806 ausgestellten Wappenbriefen, niemals Farbdeutungen. Gleichwohl haben die Wappenbüros des 19. und 20. Jahrhunderts nicht aufgehört, Farbdeutungen der banalsten Art (Gold für Reichtum, Blau für Treue usw.) zu verwenden oder gar Charaktereigenschaften durch Farbkombinationen ausdrücken zu wollen, allen voran der Sachse Paul Gründel (1857-1931) in seiner pseudowissenschaftlichen „Wappensymbolik“15, die schon deswegen haltlos sind, weil die Farbbedeutung „je nach Völkern und Zeitepochen unterschiedlich“ ist, „man denke z. B. an die Farbe der Trauer (im Abendland heute Schwarz, in China Weiß)“. Wiederholt ist, wie auf den Heraldikertreffen in Ulm (TOP 7/1970), Ludwigshafen (TOP 3/1975) und in Regensburg (TOP 3 u. 4/1976), die Herausgabe eines deutschen „H a n d b u c h s der heraldischen Stätten“ angeregt worden – nicht ohne einen neidischen Seitenblick auf den vierbändigen heraldischen Führer für die Schweiz. Der Grund dafür ist die mangelhafte Berücksichtigung der meisten Wappen im „Corpus Inscriptionum“ und bei der Inventarisierung der Bau- und Kunstdenkmäler auf Kreisebene, ferner die schleichende Zerstörung dieser Denkmäler durch Umwelteinflüsse. Auch das größte – schon 1913 begründete und von Ruth Hoevel vorgestellte – deutsche Bildarchiv Foto Marburg/Lahn mit vielen Aufnahmen aus den Vorkriegszeiten beider Weltkriege, vor allem der später zerstörten Gebäude, berücksichtigte nur kunstgeschichtlich wertvolle Objekte (d.h. mit Skulpturenschmuck), kaum einmal reine Wappengrabsteine. Daß es bei der Auflösung von Wappenanordnungen auf Grabdenkmälern überdies leicht zu Fehlschlüssen kommen kann, wurde auf dem Treffen in Hannover (TOP 1/1981) von Hans Mahrenholtz eindrucksvoll demonstriert, der selbst 5000 Grabsteine des Uradels und 1000 des Briefadels erfasst hat. Dankbar erwähnt sei noch die Fotosammlung von Grabsteinen des Heroldarchivs, die ihm in der Folge dieser und anderer Vorträge übereignet wurde. An die topographische Erfassung heraldischer Objekte knüpft sich im übrigen die Hoffnung, mehr über den Verbreitungsprozeß der Wappenführung bürgerlicher und auch bäuerlicher Familien in bestimmten Landschaften zu 15
Pauk Gründel: Die Wappensymbolik. Sinnbildliche Bedeutung der Wappenfiguren nach Mythologie, Geschichte und Wahlsprüchen, zugleich ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Leipzig 1907, nachgedr. Innsbruck 1975.
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erfahren, insbesondere über ältere Bürgerwappen in mittel- und ostdeutschen Städten; dafür wären auch weitere Wappeninventare wünschenswert (wie sie bekanntlich Fischnaler für Vorarlberg oder Schöler für Franken erarbeitet hat). Neue kartierbare heraldische Funde (etwa von freigelegten Fresken wie in Ravensburg aus dem 14. Jahrhundert) sind allerdings – anders als beispielsweise Münzfunde in der Numismatik – eher selten (Münster TOP 2/1971). Bezüglich der H e l m z i e r e n sprach sich der Heroldsausschuß für die DWR in Hildesheim (TOP 2/1983) erwartungsgemäß „für die Beibehaltung der 450 Jahre alten gewohnheitsrechtlichen Entwicklung“ aus, „wonach dem Adel der Bügelhelm vorbehalten bleiben, dem Bürgertum der Stechhelm zukommen solle“. Er erklärte diesen Brauch als zufallsbedingt, erwähnte uradelige Familien, die sich bis heute des Stechhelms bedienten (v. Brockdorff, v. Stackelberg, v. Kreß, v. Dalwigk usw.) und auch bürgerliche Familien, die schon vor 1806 unangefochten den Bügel- oder Spangenhelm führten. Gleichwohl riet er zur Beibehaltung des bisherigen Brauchs (auch bei Helmkronen und Halskleinodien), um alles zu vermeiden, „was die Wappenführung durch bürgerliche Familien dem Odium aussetzen würde, als eine Nachäffung adeliger Sitten und Gebräuche betrachtet zu werden“. Die Tingierung individuell gestalteter Helmdecken (Tuchstreifen oder Blattwerk) sollte die Hauptfarben des Schildes wiederholen, wobei Farbe außen, Metall innen zu verwenden ist; andernfalls sollte wenigstens die Helmzier die Hauptfarbe des Schildes aufgreifen. Eine Vielfarbigkeit der Decken sollte nur bei „Kombination einstmals selbständiger Wappen“ genehmigt werden. Der Übergang von Helm und Helmzier sollte bei bürgerlichen Wappen nicht durch eine Helmkrone, sondern herkömmlich durch einen Wulst bewerkstelligt werden. Die Helmzier hat sich – anders als in Frankreich und England – in Deutschland noch gehalten, die dafür Hilfskleinode (Flug, Straußenfedern, Pfauenstoß, Büffelhörner, Turnierhüte etc.) benötigt, um das Schildbild zu wiederholen, ggf. auch Abwandlungen. Noch immer interessant erscheint mir aber der Vorschlag von Heinrich Hußmann, den Schild zwar weiter als Familien-, doch die Helmzier als „Persönlichkeitskennzeichen“ zu verwenden, mindestens aber ihre Führung in unterschiedlicher Form einzelnen Familienzweigen zu gestatten16. Den K o m m u n a l w a p p e n widmeten sich mehrere Heraldikertreffen in Münster (TOP 7, 1971), Kiel (TOP 2/1978), Hannover (TOP 2/1981) und Neuß (TOP 2/1984), wobei die Teilnehmer den Vertretern der öffentlichen Heraldik vorwarfen, dass sie sich 1. als wenig wandelbar erweise, weil manche Amtsträger immer noch glauben, dass ein Wappen „nur und allein in der Form des genehmigten Entwurfs“, quasi in versteinerter Form, ge16
Heinrich Hußmann (1899-1982) war Dozent an der Kölner Werkschule, vgl. seine Deutsche Wappenkunst. Leipzig 1942, S. 17, 60 sowie Über deutsche Wappenkunst. Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen. Wiesbaden 1973.
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führt werden dürfe. Ein 2. Vorwurf richtete sich gegen die Gestaltung neuer Wappen in der Art von Autoaufklebern, die sich des „Wahrzeichens“ ihrer Stadt bedienen; ein abschreckendes Beispiel bilden die Wappen der Landkreise Alsfeld mit dem charakteristischen Rathaus und Neustadt/Weinstraße mit dem Hambacher Schloß oder auch der Wallfahrtsort Altötting mit seinem Gnadenbild. Darin wurde eine „gefährliche Entwicklung“ erblickt, die dahin tendiere „für Berlin das Brandenburger Tor, für München die Frauenkirche, für Köln den Dom, für London die Tower Bridge, für Paris den Eiffelturm usw.“ auszusuchen, also der sogen. Ansichtskartenheraldik Vorschub zu leisten. Schließlich geht es auch in der Kommunalheraldik nicht darum, Spezielles, sondern Allgemeines zu erfassen, nämlich um Typisierung, weswegen selbst Landkartengrundrisse (Landkreis Schleswig, Republik Zypern) abzulehnen seien. Heraldische Bilder sind Sinnbilder, keine Abbilder, sie stellen kein bestimmtes Gebäude, keinen bestimmten Gegenstand, auch keinen besonderen Adler, keine besondere Rose dar, sind nicht Fotographien, sondern Musterbilder im Sinne einer Abstraktion bzw. einer Zusammenschau aller Eigenschaften einer Figur, doch eben auch keine Hieroglyphen von unveränderlicher Bedeutung. Ein 3. Vorwurf richtete sich an diejenigen Kommunen, die ihr heraldisches Symbol zu Repräsentationszwecken missbrauchen, indem sie es u. a. auf Briefbögen und in der Touristenwerbung zu Signeten verfremden, deutlich beeinflusst vom Industriedesign (man denke nur an die Kruppschen Ringe, den Kranich der Lufthansa oder den Mercedesstern). Sie alle fungieren als Schnellerkennungsmerkmale, inzwischen „Logos“ genannt, die aber – anders als die meist älteren – Wappen kein Zusammengehörigkeitsgefühl wecken, zumal sie wie Reklamezeichen der Produktdesigner wirken, unter denen fast eine Logomanie ausbrach – ein vom Bacillum heraldicum deutlich unterscheidbares Krankheitsbild.. Neben solchen Vorwürfen, äußerten die Heraldiker schließlich zwei Wünsche, nämlich a) nach einem zentralen Kommunalwappenregister und b) einer vergleichenden Analyse der heraldischen Verwaltungsvorschriften der Länder mit ihren oft zu engen künstlerischen Vorgaben (z. B. in Nordrhein-Westfalen). Was schließlich die vielen „redenden“ Kommunalwappen angeht, so warb der Heroldsausschuß um Verständnis für die vorwissenschaftlichen, aber „griffigen“ volksetymologischen Namensdeutungen, die seit dem 16. Jahrhundert entstanden sind (so kommt z.B. Bochum mit dem Buch im Schild eigentlich onomastisch gesehen von den „Buchen“), und verwies auf Otto Hupps Kalenderbeitrag „Wie reden die Wappen“17, und Hans-Joachim v. Brockhusen machte in Analogie zu den redenden Wappen auf die barocken Wortspiele der höfischen Unterhaltungsliteratur aufmerksam. Als der Staat das bisher agnatische Familiennamen r e c h t änderte, beschäftigten sich auch die Heraldikertreffen in Darmstadt (TOP 1/1973) 17
Otto Hupp: Wie reden die Wappen, in: Münchener Kalender 1936, Anhang S. 1–15.
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und Kassel (TOP 3/1979) erneut mit der (ja ebenfalls agnatisch geregelten) Führungsberechtigung der Wappen. Während Jürgen Arndt noch trotzig die Meinung vertrat, dass das jeder Änderung entgegenstehende heraldische Gewohnheitsrecht fortbestehe, warnte bereits Hans Jäger-Sunstenau davor, „die Parallelität von Namens- und Wappenrecht“ aufzugeben. Als problematisch erwies sich ferner das heraldische Urheberrecht, insbesondere wenn es sich um die Nachzeichnung eines vorhandenen Wappens durch einen weiteren Künstler handelt, der damit eine Miturheberschaft an der – oft auch signierten – Erstzeichnung erhält (UrhG § 6), da das Urheberrecht eines Künstlers erst nach 70 Jahren erlischt. Das bedeutet, daß der zweite dem ersten Zeichner quasi entgeltpflichtig wird, wenn ihm ein Nutzungsrecht eingeräumt wird.. Nur Vordrucke (Schemata) von Fachverlagen lassen sich problemlos ausfüllen, zumal sie meist auf Lorenz Rheude zurückgehen, dessen Urheberrecht längst erloschen ist Einige Heraldikertreffen von Ulm (TOP 6/1970), Münster (TOP 1/1971), Darmstadt (TOP 3/1973) und Neuß (TOP 1/1984) befassten sich nicht nur mit dem „gegenwärtigen Stand der S i e g e l f o r s c h u n g in Deutschland und Österreich“18, sondern auch mit der Nutzbarmachung von Siegelwappen zur Umgestaltung. Wiederholt wurde das Fehlen sphragistischer Inventare, besonders Hessens oder Westfalens, beklagt, auch die mangelnde Erschließung der Lacksiegelabdrucke mit Wappendarstellungen aus dem Jahrhundert von 1750 – 1850, die einen hohen Quellenwert haben, handelt es sich doch um tatsächlich geführte Wappen. Die Qualität sonstiger Wappensammlungen als „Humus“ für die Forschung wurde allerdings recht unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob es sich um die Kollektion eines Wissenschaftlers wie D. L. Galbreath, eines Künstlers wie P. Boesch oder eines Sammlers wie F. Warnecke handelt, wobei eine möglicht vollständige Bestandsaufnahme eines Sprengels unbedingt jeder „quer Beet“ entstandenen vorzuziehen ist (vgl. Lübeck TOP 3/1972). Schon der Bonner Heraldiker Christian Bernd (1775–1854) empfand, auf S y m b o l i s i e r u n g e n angesprochen, in seiner „Allgemeinen Wappenwissenschaft“ die ewige Frage „Was bedeutet denn dieses Wappen, seine Farben und seine Figuren“? als Plage, da Wappen eben keine einfachen Bilderschriften darstellen. Ähnlich wie bei den Farben geistert, was die Figuren angeht, seit Äsops antiken Fabeln „in der Volkstradition auch eine Zuordnung von Charaktereigenschaften zu bestimmten Tieren“ umher (sei es der listige Fuchs oder der königliche Löwe), was übrigens der – heraldisch noch
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Ungekürzt abgedruckt in Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 549– 562, vgl auch ebenda 119 (1983), S. 287–301 und 125 (1989), S. 299–338. Diese Berichte dienten größtenteils der Vorarbeit zur Bibliographie zur Sphragistik. Schrifttum Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, bearb. von Eckart Henning und Gabriele Jochums. Geleitwort von Toni Diederich. Köln 1995.
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keineswegs genügend beachtete – „Physiologus“ im Mittelalter aufgriff19. Nicht nur Fabeln, sondern auch die aus der Antike und dem Christentum überkommenen Allegorien gewinnen seit der Renaissance eminent an heraldischer Bedeutung, nämlich bei den Humanisten. Folglich begegnen uns in Lehrbüchern wie den „Emblemata“20 ständig Zeichen für Glück (Fortuna auf der Kugel), für Gesundheit (der Äskulapstab), für kaufmännisches Handeln (Merkur), für Gerechtigkeit (die Waage), für Unvergänglichkeit (Phönix aus der Asche), für Nächstenliebe (der Pelikan, der seine Brut mit dem eigenen Blute speist), für Wachsamkeit (der Kranich mit dem Stein in der Klaue), alles Bilder, die in der vermeintlichen heraldischen Verfallszeit des 17. und 18. Jahrhunderts viel Anklang fanden. Da nun aber diese vererbten Sinnbilder mitnichten dafür ausreichen, alle Figuren aus dem riesigen heraldischen Füllhorn zu erklären, verbleiben als weitere Deutungsmöglichkeiten die Namen, die mittels naiver bzw. kalauernder Volksetymologie zum Reden zu bringen wären, man denke an Dürers Tür, an Berlins Bären, auch an Landshuts Landsknechthütchen. Schon solche Hinweise auf unser Deutungswissen zeigen, dass man allein mit Gründels erwähnter „Wappensymbolik“ nicht weiterkommt und auch moderne Symbollexika leicht zu voreiligen Schlüssen verleiten, da ihre Erklärungen an „Traumdeuterei“ (so der Arndtsche Untertitel; vgl. Brühl TOP 2/1988) grenzen. Außer der Symbolisierung von Namen durch Schildteilungen in Form von Anfangsbuchstaben (bei Darmstädter Treffen eher kritisch betrachtet, vgl. TOP 3/1973), gibt es bei der Neuschöpfung von Familienwappen bekanntlich die Möglichkeit der Verwendung von Berufssymbolen (Regensburg TOP 2/1976). Das erscheint nicht nur dann legitim, wenn Berufsbezeichnungen als Familiennamen geführt werden (Jäger, Schmidt, Schuster), sondern auch wenn bestimmte Berufe über Generationen in der Familie ständig wiederkehren; der Griff in den Werkzeugkasten ist dann allerdings obsolet, wenn nur der Beruf des Wappenstifters Anlaß für ein Berufssymbol gibt. Vorsicht ist bei den Sammelnamen (wie Müller), oder bei häufiger vorkommenden Berufen (wie Landwirten oder Kaufleuten) geboten, bei denen sich abgenutzte Symbole (Pflugscharen oder Ähren bzw. Merkurstäbe oder Waagen) nur schwer vermeiden lassen. Stets zu empfehlen und besonders beliebt bei Vertriebenen ist bei Wappenneuschöpfungen einer Familie die Symbolisierung der Ursprungsheimat. Bei Anspielungen auf Länderwappen (etwa bei den Farben oder der Helmzier), wäre ein solches Wappen allerdings kaum ein19
20
Der Physiologus, auch Bestiarium genannt, war im frühen Mittelalter das Hauptwerk der christlichen Zoologie und als Handschrift außerordentlich verbreitet. In allegorischer Anlehnung an tierische Eigenschaften werden die wichtigsten Glaubenssätze veranschaulicht. Symbolkundlich und heraldisch ergiebig. Vgl. Dietrich Schmidtke: Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100–1500). Phil. Diss. FU Berlin 1966. Teil 1 u. 2. Berlin 1968. Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, hrsg. von Arthur Henkel. Stuttgart 1967.
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tragungsfähig wegen Verstoßes gegen § 124 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (vom 24.5.1968 = BGBl. I, S. 481). Darin wird untersagt, „dass Wappen des Bundes oder eines Landes oder den Bundesadler oder den entsprechenden Teil eines Landeswappens“ zu verwenden (vgl. Trier, TOP 2/1977); wegen Missbrauchs des thüringischen Landeswappens zur Selbstdarstellung als „Staatspartei“ ermittelt derzeit die Generalstaatsanwaltschaft gegen die dortige CDU21. Folglich ist als Ausweg der Rückgriff auf kleinere territoriale Einheiten zu empfehlen, etwa auf das Wappen des Heimatortes, des Kreises oder einer Landschaft bzw. einer historischen Grafschaft, eines Fürstentums usw. Hingewiesen sei hier noch auf die in Kassel (TOP 2/1979) geführte Kontroverse über den heraldischen Purismus bzw. über die Frage, wieviel Anachronismen ein Wappen verträgt: ob nämlich in einem Kommunalwappen Bodenfunde (Fibeln, Schwerter) aus der Bronze- oder Steinzeit, ob griechisch-römische Symbole (Äskulapstäbe, Liktorenbündel) oder die den Humanisten aus der Antike vertrauten Allegorien (Justitia, Fortuna) im Schild Verwendung finden dürfen. Wer dies bejaht, müsste beispielsweise auch das Atomsymbol im Landkreiswappen von Karlsruhe billigen bzw. nicht als zeitwidrig ablehnen, nur weil es den alten Rittersleut unbekannt geblieben sei. Im engen Zusammenhang mit dem Vorschlag, die Ursprungsheimat einer Familie zu symbolisieren, standen in Kaiserslautern (TOP 2/1987) t o p o g r a p h i s c h e Fragen. Angeblich sei nämlich „bei deutschen Forschern die Unsitte weit verbreitet, sich um die Identifizierung der Ortsangaben weniger zu kümmern als um die Kalenderdaten“. Sie sind aber a) für die „vermutliche Konfessionszugehörigkeit der Ahnen notwendig („cuius regio, eius religio“), b) zur Heimatermittlung bei Heiraten mit auswärtigen Partnern, wobei auch noch c) mundartlich geprägte, von Orts- und Flurnamen abgeleitete Familiennamen eine Rolle spielen. Daher ist bei „unbewappneten“ Familien die Beschäftigung mit einer aussagekräftigen Stammreihe, die möglichst bis 1800 zurückreicht (Beginn der neuzeitlichen Bevölkerungsfluktuation), für seriöse Heraldiker unerlässlich. Das hat schon der Niederländer Johann Baptist Rietstap gewusst, der in seinem Armorial Général zwar keine genealogischen, aber wenigstens topographische Angaben machte. Der W a p p e n h a n d e l in historischer wie aktueller Dimension war mehrfach, nämlich auf den Heraldikertreffen in Ulm (TOP 4/1970), Regensburg (TOP 1/1976), Kiel (TOP 3/1978), Würzburg (TOP 3/1980) und Soest (TOP 1/1986), Thema der Beratungen, von Jürgen Arndt auch ein Jahr vor seinem Tode noch in Buchform als „Wappenschwindel“ behandelt22. Ausge21
22
Vgl. den Bericht von Matthias Schlegel: Ihre Hoheit, die Thüringer CDU, in: Der Tagesspiegel (Berlin) vom 20. April 2009, S. 5. Jürgen Arndt. Der Wappenschwindel, seine Werkstätten und ihre Inhaber. Ein Blick in die heraldische Subkultur, hrsg. vom Herold, bearb. unter Mitarbeit zahlreicher Staats- und Stadtarchive. Neustadt/Aisch 1997.
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hend von der Fiktion, dass zu jedem Namen ein Wappen existiert, verkauften Scharlatane seit dem 19. Jahrhundert namensgleiche und namensähnliche (Adels-) Wappen an Bürgerliche, die sie oft dem „Siebmacher“ oder – in Nordamerika für Einwandererfamilien – dem „Rietstap“ entnahmen, der bekanntlich nur Familiennamen und die erwähnten topographischen Hinweise bietet, um sie dann mit Phantasiegenealogien zu versehen. Das alles ist längst bekannt, doch weniger – die Ahnen ahnten es nicht – „dass sich noch heute von den in bürgerlichen Familien vorhandenen Wappendarstellungen, etwa Zweidrittel auf diese kommerziellen Wappenhändler zurückführen lassen“ – soweit jedenfalls eine Kieler Einschätzung aus dem Jahre 1978. Auf der Würzburger Zusammenkunft wurden dann 16 kommerzielle Unternehmen vorgestellt, die Wappen verkauften, allerdings ohne sie weiterhin als „Schwindelfirmen“ zu bezeichnen. Beanstandet wurde allerdings, dass „manche dieser Wappenhandelsgesellschaften sich durch Verwendung von Ausdrücken wie ,Forschungsgesellschaft‘, ,Wappenarchiv‘, ,Wappenrolle‘, ,Wappengilde‘ sowie durch die Rechtsform eines ideellen Vereins den Anschein idealistischer Zielsetzung zu geben versuchen“. Als gravierender wurden solche Fälle eingestuft, in denen Unternehmen „bewusst auf eine Verwechselung mit dem seit 1869 bestehenden Verein Herold, seinen Institutionen und seinen Veröffentlichungen ausgehen bzw. zur Täuschung ähnliche Ausdrücke verwenden, wie ,Wappen-HEROLD‘, ,Allgemeine Deutsche Wappenrolle‘.“ Im ersteren Falle sollte man immer – bis zum Beweis des Gegenteils – unterstellen, dass auch kommerzielle Wappenhändler wissenschaftlich korrekt zu arbeiten vermögen, nicht nur der Berliner Herold, dem man im zweiten Falle allerdings Betroffenheit zubilligen muß, selbst wenn die genannten, seine Institutionen imitierenden Termini historisch bedingt, d.h. nur aus der sogen. Neubecker-Krise des Vereins (1964) erklärlich sind23. Im Zusammenhang mit dem Würzburger Treffen gab der Vorstand noch eine Stellungnahme „Der Herold und Pro Heraldica“ vom 18. Dezember 1980 ab24, in der er m.E. zu Unrecht bestreitet, dass es sich darum handle, „zwischen seriösen und unseriösen Wappenhändlern zu unterscheiden, sondern zwischen einem uneigennützig wirkenden wissenschaftlichen Verein, wie dem Herold einerseits und den auf Gewinnerzielung ausgerichteten kaufmännischen Untenehmen“. Selbst die vom gemeinnützig anerkannten Verein Herold empfohlenen Heraldiker arbeiten schließlich gewin23
24
Gemeint ist das Zerwürfnis zwischen dem Berliner Verein Herold und dem später in Wiesbaden ansässigen Heraldiker Dr. Ottfried Neubecker, Präsident des von ihm daraufhin gegründeten Vereins „Wappen-Herold“ und dessen „Allgemeine Deutsche Wappenrolle“.Vgl. dazu Eckart Henning: Der „doppelte“ Herold. Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt – ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Heraldik, in: Herold-Jahrbuch N.F. 15 (2010), S. 7–22, auch hier abgedruckt, S. 406–423. Text der Stellungnahme, abgedr. im Dokumentenanhang zum 10. Heraldikertreffen in Würzburg aus: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 9 (1978–1980), S. 405–406.
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norientiert, so dass man tatsächlich nur zwischen seriösen und unseriösen Unternehmen unterscheiden kann. Entscheidend ist stets die Qualität des Wappen, folglich das Produkt, weniger sein Urheber, weswegen auch § 4 der Vereinssatzung im März 2009 korrigiert wurde. Darin heißt es folglich nicht mehr, dass demjenigen die Mitgliedschaft zu versagen ist, der Mitarbeiter eines „kommerziellen Handelsunternehmens oder Mitglied eines Vereines ist, der einem solchen Unternehmen zuarbeitet“, sondern der die Vereinsinteressen durch „unlautere oder wissenschaftlich unqualifizierte Tätigkeiten auf den Gebieten der vom Verein gepflegten Wissenschaften“ schädigt. Gegen sie wird der Herold auch weiterhin öffentlich Stellung beziehen. Ich bin damit am Ende meiner Schlagwortübersicht. Die gebotene Auswahl zeigt hoffentlich die Themenvielfalt der von dem Juristen Jürgen Arndt oft unter beengten Raumverhältnissen am Rande der Deutschen Genealogentage zwanzig Jahre lang organisierten Heraldikertreffen, die zwischen 20 und 100 Teilnehmer (allerdings häufig dieselben) erreichten, oft auch Ausländer aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Arndts letztes Treffen fand 1990 in Erlangen statt, auf der er über die neuen mitteldeutschen Länderwappen sprach (TOP 1), ehe der Historiker und Archivar Ludwig Biewer als – auch heute noch mitwirkender – Beisitzer des Heroldsausschuß für die DWR in Brühl (1988) bzw. in Gießen (1991) die Kette der Heraldikertreffen in seiner Weise fortsetzte. Ihn hatte Arndt bereits in Brühl (1988) als seinen Nachfolger vorgestellt, wo Biewer quasi seine Antrittsvorlesung über „Staatssymbolik in der Weimarer Republik: die Wappen im alten Stresemann-Ehrenmal zu Mainz“ hielt (TOP 1). Die oben schon erwähnten regionalheraldischen Vorträge rückten nun stärker in den Vordergrund, sind aber dem Dokumenten-Anhang dieses Bandes der „Herold-Studien“, soweit sie noch in die Arndtsche Periode fallen, genannt. um besser greifbar zu sein. Sie alle zeigen, wie auch die Protokolle der jeweilige Generaldebatte, dass die Heraldik weder eine starre oder erstarrte Historische Hilfswissenschaft, noch eine ausgestorbene Kunst ist. Sie besteht im Gegenteil als anregende und lebendige Wappenkunst fort, deren gegenwärtige Gestaltungsgrundsätze der Herold in einer am 24. April 2009 per Akklamation verabschiedeten „Berliner Erklärung“25 noch einmal festhalten wollte, um für heraldische Qualität einzutreten und andere dafür zu sensibilisieren. Mir kam es – in der Druckfassung etwas erweiterten – Eröffnungsreferat dieser Tagung darauf an, nicht nur an die früheren Informationsveranstaltungen des Herold als mutigem Maßstab für künftige zu erinnern, sondern auch um deutlich zu machen, dass sie noch viele aktuelle Anregungen für die Gegenwart enthalten.
25
Wortlaut der Erklärung , abgedr. in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 17 (2009), H. 1 und in Genealogie 29 (2009), H. 2/3.
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Übersicht über die Heraldikertreffen: Sondersitzung des Heroldausschusses für die Deutsche Wappenrolle (DWR) in Berlin am 3. Oktober 1969, erwähnt bei Heinz Hugo: Der 21. Deutsche Genealogentag und die Hundertjahrfeier des Herold, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969), S. 86–90, hier S. 87 u. 89. 1. Ulm: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Ulm am 12. September 1970 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969–1971), S. 208–211. 2. Münster: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Münster / Westfalen am 25. September 1971 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969-1971), S. 353–359. 3. Lübeck: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Lübeck am 17. September 1972 von Jürgen Arndt, in: Mitteilungen des Herold N.F. 1973, H. 3–4, S. 32–34. 4. Darmstadt: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Darmstadt am 22. September 1973 von Jürgen Arndt, in: Mitteilungen des Herold N.F. 1973, H. 3–4, S. 30–31. 5. Ludwigshafen: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Ludwigshafen a. Rhein von Jürgen Arndt. Mit einem Referat von Otto Martin über Wappen auf Grabdenkmälern (= TOP 3), in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 8 (1975–1977), S. 102–105. 6. Regensburg: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Regensburg am 19. Juni 1976 von Jürgen Arndt und Ruth Hoevel. Letztere war mit Ausführungen über Wappengrabsteine auf Aufnahmen des Bildarchivs Foto Marburg (= TOP 4) beteiligt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 8 (1975–1977), S. 153–158.. 7. Trier: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Trier am 2. Oktober 1977 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 8 (1975–1977), S. 274–278. 8. Kiel: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Kiel am 9. September 1978 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 9 (1978–1980), S. 143–150. Mit einem Beitrag von Nils Bartholdy über ein heraldisches Stammbuch der Königin Sophie von Dänemark (1559–1585), abgedr. ebenda S. 85–94.
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9. Kassel: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Kassel am 15. September 1979 von Jürgen Arndt. Mit einem Beitrag von Lothar MüllerWestphal über rückwärtige Anachronismen bei Wappenfiguren (= TOP 2), in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 9 (1978–1980), S. 297–300. 10. Würzburg: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Würzburg am 13. September 1980 von Jürgen Arndt. Mit einem Beitrag von Eugen Schöler über Wappenkunde und Wappenkunst in fränkischen Reichsstädten (= TOP 1), in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 9 (1978–1980), S. 400–404, vgl. dazu die Verlautbarung des Herold-Vorstandes: Der Herold und „Pro Heraldica“, abgedr. ebenda S. 405–406. 11. Hannover: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Hannover am 12. September 1981 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 10 (1981–1983), S. 101–102. Mit einem Referat von Hans Mahrenholtz über die Heraldik als Helfer bei der Ermittlung von Ahnen, abgedr. ebenda S. 109–132. 12. Passau: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Passau am 5. September 1982 von Jürgen Arndt. Mit einem einleitenden Beitrag von Aléc Zelenka über den Wolf im Wappen des Bistums Passau, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 10 (1981–1983), S. 187–190. 13. Hildesheim: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Hildesheim 4. September 1983 von Jürgen Arndt. Mit einem einleitenden Beitrag von Hans Schlotter über Wappen Hildesheimer Patrizier-, Rats- und Bürgergeschlechter, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 11 (1984–1986), S. 55–58. 14. Neuß: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Neuß am 9. September 1984 von Jürgen Arndt. Mit Beiträgen von Eckart Henning zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich, von Rolf Nagel über öffentliche Heraldik – Gefahren und Tendenzen sowie von Lothar Müller-Westphal über Humor in der Heraldik, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 11 (1984–1986), S. 253–266. 15. Bremen: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Bremen am 8. September 1985 von Jürgen Arndt mit einem Beitrag von Andreas Röpcke über Bremens Stadt- und Stadteil-Wappen in historischer Sicht, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 11 (1984–1986), S. 267–276. 16. Soest: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Soest am 21. September 1986 von Jürgen Arndt und einem Referat von Horst Herrndorff über Trends und Tricks der Wappenhändler, in: Der Herold, Viertel-
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jahrsschrift N.F. 12 (1987–1989), S. 25–32. Mit einem Beitrag von Helmut Müller über die Entwicklung des Wappenwesens in Westfalen, abgedr. ebenda S. 33–39. 17. Kaiserslautern: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldikern in Kaiserslautern am 6. September 1987 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 12 (1987–1989), S. 81. Mit zwei Beiträgen von Volker Rödel über Wappen und Siegel der Ministerialität und des niederen Adels im Bereich der Pfalz, abgedr. ebenda S. 89–101, sowie von Jürgen Arndt über die Bedeutung der Topographie für Heraldik und Genealogie, ebenda S. 81–88. 18. Brühl: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Brühl am 25. September 1988 von Jürgen Arndt, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 12 (1987–1989), S. 205. Mit zwei Beiträgen von Ludwig Biewer über Staatssymbolik in der Weimarer Republik: die Wappen im alten StresemannEhrenmal zu Mainz, ebenda S. 206–217, und von Jürgen Arndt über Farben und Schildteilungen als Mittel zur Symbolisierungen von Charaktereigenschaften – wider den Unsinn der heraldischen „Traumdeuterei“, ebenda S. 218–222. 19. Bonn: Bericht über die Zusammenkunft der Heraldiker in Bonn am Rhein am 24. September 1989 von Ludwig Biewer, mit zwei Beiträgen von Toni Diederich über das Siegel als Kleinkunstwerk und Rolf Nagel über die Emblematik der Freiheit in Lateinamerika, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 13 (1990–1992), S. 15*–17*. 20. Erlangen: Zusammenkunft der Heraldiker (am 16. September 1990) von Jürgen Arndt und Eugen Schöler, in: Der Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 13 (1990–1992), S. 61*–64*. Mit einem weiteren Beitrag von Jürgen Arndt über das Wiedererstehen der mitteldeutschen Länder – ihre Wappen und Flaggen, ebenda S. 49–62.
Heraldische Geschwister Geheimrat Warnecke als Vereinsvater von „Herold“ (1869) und „Kleeblatt“ (1888)* Wer Friedrich Warnecke kennt (aber wer kennt ihn noch?), der weiß, daß ihm nur ein kurzes Leben beschieden war. Jedenfalls sind 57 Jahre für heutige Begriffe nicht eben viel und doch reichten sie aus, um ihm schon auf Erden das ewige Leben zu sichern. Vereinsgründer sind nahezu unsterblich, jedenfalls dann, wenn ihr Verein keine „Eintagsfliege“ ist, sondern wenn er durchhält, und in Warneckes Fall war es nicht nur einer, sondern gleich deren mehrere, was einer Art Lebensversicherung seines Nachruhms gleichkommt. An Stiftungstagen und angesichts von Jubiläen wird so des Vereinsgründers gedacht, wie es sich gehört und wie wir es auch heute beim 125jährigen Bestehen des Vereins „Zum Kleeblatt“ halten; Institutionen, wie unsere Vereine, können die Existenz ihrer Gründer gleichsam „verlängern“; sie sind viel schwieriger wieder zu beseitigen (notabene wie Behörden), als die sterblichen Überreste natürlicher Personen. Bei unserem durchaus erfreulich vitalem Vereinsjubelgreis handelt es sich jedoch um einen über viele Jahrzehnte schwer erkämpften Glücksfall, da dieser Verein beide Weltkriege, wenn auch bombengeschädig, überstand, weder gleichgeschaltet noch aufgelöst worden ist, sondern zunächst mit britischer Lizenz nach dem zweiten Krieg und dann in völliger Freiheit bis heute ohne Altersgrenze weiterarbeiten durfte. Folglich lohnt es sich schon einmal, seine Ursprünge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu erkunden, als Warnecke nicht nur dem „Herold“ bereits vor der Reichsgründung (1869), sondern auch dem Verein „Zum Kleeblatt“ im Dreikaiserjahr (1888) sein Leben „einhauchte“. Die Würdigung von zwei weiteren Vereinen, die der fast „gründungswütig“ zu nennende Warnecke ebenfalls ins Leben rief, muß hier allerdings nicht behandelt werden, auch wenn sie der Vollständigkeit halber wenigstens genannt werden sollten, nämlich der Berliner „Verein für Deutsches Kunstgewerbe“ (1878) und der „Exlibris-Verein“ (1891), dem er selber vorsaß. Sie alle zeigen Warneckes großes Organisationsgeschick, moderner ausgedrückt, sein Kommunikationstalent, mit dem er künstlerische und wissenschaftliche Zwecke, aber auch junge Talente gemeinschaftsbildend förderte,
* Festvortrag anläßlich des 125jährigen Bestehens des Vereins „Zum Kleeblatt“ am 16. November 2013 im Central.Hotel Kaiserhof in Hannover, abgedruckt in: Kleeblatt, Zeitschrift für Heraldik und verwandte Wissenschaften 1/2014, S. 7–19 (mit Abb.).
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indem er sie miteinander ins Gespräch brachte, sie zusammenführte bzw. in Vereinen vereinte. Warnecke war Niedersachse, genauer gesagt, ein Kalenberger, geboren am 21. April 1837 in Dehmke / Kreis Hameln, heute nur noch ein Ortsteil des ehem. Flecken Aerzen. Getauft wurde er auf die Namen Ernst Friedrich August, wobei Friedrich sein Rufname war, er aber natürlich „Fritz“ genannt wurde. Als Erstgeborener eines zwar seminaristisch gebildeten, aber schlecht bezahlten Dorfschullehrers hatte er noch fünf weitere Geschwister (auch der zweite Bruder wurde Lehrer wie sein Vater, der dritte Regierungssekretär und der vierte Tischler). Fritz wurde der Schulbesuch in Hannover, später des Lüneburger Gymnasiums Johanneum ermöglicht. Er trat in die Königlich Hannoversche Verwaltung ein, wurde in Hameln Kassenbeamter, später in Fallingbostel, dann Hilfsarbeiter bei der Eisenbahndirektion Hannover und am selben Ort schließlich noch Revisor bei der Königlichen Generaldirektion für den Wasserbau. Nach dem Deutschen Krieg von 1866, den Österreich und an seiner Seite auch das Königreich Hannover verlor, wurde Warnecke in den preußischen Staatsdienst übernommen und am 29. September 1869 überraschend von der Leine an die Spree versetzt, wo er in Berlin im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe zum Geheimen expedierenden Sekretär und Kalkulator gebracht hat und schließlich im Ministerium für öffentliche Arbeiten 1879 zum Rechnungsrat1 befördert wurde. Dort verlieh ihm der Kaiser aufgrund besonderer Leistungen sogar den Titel eines Geheimen Rechnungsrates, kurz „Geheimrat“ genannt, womit sich die alte wilhelminische Karrierempfehlung wieder einmal erfüllte, die man einst dem Nachwuchs auf seinen Lebensweg zu geben pflegte: „Mein Sohn, das höchste Ziel auf Erden ist, Geheimer Rat zu werden!“ Gleichwohl bleibt es ein biographisches Rätsel, wie dieser Geheimrat den Weg in die Sammlerwelt und ausgerechnet zur Heraldik fand, will man nicht nur darauf verweisen, daß es gerade in dieser Disziplin höchst „kalkuliert“ zugeht. Die Schlüsselgestalt war in Hannover der Jurist Dr. Hermann Grote2, Konservator des Königlichen Münzkabinetts, Schriftleiter des „Numismatischen Anzeigers“ und späteres Ehrenmitglied (1889) des „Kleeblatts“, mit dem Warnecke noch ein Jahr vor seinem Weggang nach Berlin die Gründung eines numismatischen Vereins erwog, der auch über eine sphragistisch-heraldische Abteilung verfügen sollte. Obwohl man 1
2
Vgl. Jürgen Arndt: Biographisches Lexikon der Heraldiker sowie der Sphragistiker, Vexillologen und Insignologen, hrsg. vom Herold. Neustadt / Aisch 1992, S. 569 f. (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. H). Arndt (wie Anm.1), S. 160, vgl. auch den Nachruf von Heinrich Ahrens: Dr. jur. Hermann Grote +, in: Heraldische Mitteilungen des Vereins „Zum Kleeblatt“ 6, Nr. 1 v. 1.April 1895, S. 32ff., m. Bild, ferner die kluge Charakteristik Grotes durch Gustav A. Seyler: Geschichte der Heraldik (Wappenwesen, Wappenkunst, Wappenwissenschaft). Nachdr. Neustadt/Aisch 1970, S. 743f. (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. A).
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Grote auch mit Recht zu den (Wieder-)Begründern der wissenschaftlichen Heraldik (neben den beiden Ledeburs3) zählt, traute er einem gar rein-heraldischen Verein, den Warnecke seit den sechziger Jahren anstrebte, keinen Erfolg zu, erst recht nicht im größeren Berlin. Brieflich heißt es später bei Warnecke, daß Grote seine Bestrebungen damals geradezu „unterdrückt“4 habe, weil er glaube, daß sich außer ihm und vielleicht noch einer weiteren Person, „niemand speciell für Heraldik interessiere“5. Doch die erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts wiederweckte Heraldik entwickelte sich gerade im Historismus sprunghaft. Sie kam regelrecht in Mode, wurde insbesondere zur ornamentalen Verzierung neuer Gebäude, des Hausrats und der Briefschaften dringend gebraucht und ihre korrekte Anwendung angesichts des aufsehenerregenden Desasters bei der heraldischen Ausschmückung des Reichstagsgebäudes in Berlin immer gebieterischer gefordert, schließlich hatten dort „Geschmacklosigkeit und Unverständnis“ einer verwilderten Heraldik „wahre Orgien“ gefeiert6. Keiner hat sie übrigens heftiger (und sachkundiger!) kritisiert als der vom Architekten Paul Wallot verschmähte Berliner Bildhauer Heinrich Ahrens, von dem wir bald noch aus Hannover hören werden7. Warnecke gründete 1870 in Berlin zunächst seinen eigenen Hausstand, als er die 26jährige Notarstochter Flora Schwing aus Stralsund heiratete (1 Sohn: Curd), die leider schon fünf Jahre später in Davos die „Motten“ holte, wie schnodderige Berliner damals die Tuberculose nannten. Daraufhin heiratete der Witwer mit 51 Jahren im Dreikaiserjahr 1888 zum zweiten Male und wieder ein Juristenkind, nämlich die erst 23jährige Tochter eines preußischen Kreisgerichtsrates, Ilse v. Landwüst (2 Töchter: Ilse und Hedwig), mit der er trotz des großen Altersunterschieds von fast 30 Jahren, bis zu seinem Tode glücklich verheiratet blieb (weswegen ihr freilich bis zu ihrem Tode am 4. November 1936 bald ein mehr als 40jähriger Witwenstand 3
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6 7
Gemeint sind Vater und Sohn Leopold und Heinrich Freiherr v. Ledebur, s. Arndt (wie Anm.1), S. 300 f. Der Ausdruck fällt in einem ausführlichen Glückwunschschreiben Warneckes an Heinrich Ahrens zur Gründung des Vereins „Zum Kleeblatt“, zitiert in dessen Nachruf: Friedrich Warnecke †, in: Heraldische Mitteilungen des Vereins „Zum Kleeblatt“ 6, Nr. 1 v. 1. Januar 1895, S. 3. Friedrich Leonhardt: 50 Jahre Heraldischer Verein „Zum Kleeblatt“ Hannover 1888–1938, in: Aus der Wappenrolle und Geschichte des Vereins „Zum Kleeblatt“. Hannover, Juni 1941, S. 31–34, hier S. 31. Leonhardt (wie Anm. 5), ib. Heinrich Ahrens: Das deutsche Reichstagshaus in seinem heraldischen Schmucke und seine Inschriften, in: Vierteljahrsschrift Herold 23 (1895), S. 419–461 (auch als Sonderdr. Hannover 1896 ersch.) u. ders.; Der heraldische Schmuck des Reichstagshauses, in: Heraldische Mitteilungen des Vereins „Zum Kleeblatt“ 10 (1899), S. 51– 54; vgl. dazu Eckart Henning: Reichstagsheraldik, in: Kleeblatt, Zeitschrift für Heraldik und verwandte Wissenschaften 1/2012, S. 78–89.
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drohte). Wachsender Wohlstand ermöglichten der Familie Warnecke mehrere Umzüge im sogen. Geheimratsviertel (ab 1869 in Berlin W, Steglitzer Straße 58, ab 1872 Schillstraße 18; ab 1882 Genthiner Straße 6, zuletzt ab 1888 Friedrich-Wilhem-Straße 4, der späteren Klingelhöferstraße8). Warneckes (eigenes) Doppelhaus bot zuletzt reichlich Platz für seine Sammlungen, die mir mehr als erwähnenswert erscheinen, aber auch für Logierbesuche seiner Freunde, unter ihnen aus Hamelner Tagen (1853/54) der Dichter und Maler Wilhelm Busch.; dieser scheute sich übrigens nicht, für seinen Gastgeber auch gelegentlich „eine Serie der in Kirchen und auf Friedhöfen in der Heimat aufgespürten Familienwappen“ aufzuzeichnen9. Anders als von Hermann Grote in Hannover vermutet, fand Warnecke in Berlin sehr schnell heraldische Gesinnungsgenossen, mit denen er im Alter von 32 Jahren am St. Hubertustag des Jahres 1869 im Café Jacobi an der Potsdamer Brücke als Ersatz für den in Hannover geplanten Verein „mit der Tatkraft, die ihn auszeichnete“10 den „Herold“ aus der Taufe hob; erschienen waren allerdings wegen des schlechten Wetters an diesem 3. November nur fünf Freunde (heute sind für einen eingetragenen Verein lt. Bürgerlichem Gesetzbuch immerhin sieben Personen erforderlich), nämlich außer Warnecke als „Hauptgründer“ der künftige Vorsitzende Hauptmann a. D. Freiherr Hugo v. Linstow, ferner Hofgraveur Carl Voigt und der Geheime Registrator Dr. Carl Brecht, vor allem aber der für die Entwicklung der heraldischen Terminologie in Deutschland so wichtige Premierleutnant a. D. Max(imilian) Gritzner (leider nennt ihn das Protokoll mit unbeabsichtigter Bosheit stets „Grintzner“). An geistigen Vätern wären außerdem der nur vorübergehend in Berlin anwesende Landpastor Bernhard Ragotzky und Kanzleirat August Vossberg zu nennen, mit denen Warnecke vorbereitende Gespräche führte. Dem neuen Verein wurde übrigens erst in der Sitzung am 25. November der Name „Herold“ beigelegt, der sehr schnell weitere Mitglieder gewann, auch wuchs sein Ansehen spürbar, als Seine Königliche Hoheit Prinz Georg v. Preußen (1826–1902) vom 8. Mai 1871 an das Protektorat übernahm. Warnecke blieb indessen 25 Jahre lang Spiritus rector „seines“ Fachvereins, fehlte bei nahezu keiner der in dieser Zeit ebenso „belehrenden und wissenschaftlich fördernden“ wie anregend durchgeführten 500 Sitzungen, ja wurde deren unverzichtbarer Mentor. Im (fast) durchweg adeligen Vorstand übernahm er zumeist die ihm beruflich vertraute Funktion des Schatzmeisters (1869/70, 1873/94), nur kurz unterbrochen von Schriftfüh8
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Vgl. die reichen Matrikelbei- und -angaben zu Nr. 2.742 (Warnecke) im Vereinsarchiv des Herold in Berlin-Dahlem, Archivstraße 11 mit unveröffentlichter Nachfahrenliste. Abbildung, vgl. Walter Lampe: Friedrich Warnecke, ein Lebensbild, in: Jahrbuch 1970/71 des Heraldischen Vereins „Zum Kleeblatt“, zugl. Doppelbd. der Heraldischen Mitteilungen, S. 96–101, hier S. 100. Gustav A. Seyler (wie Anm. 2), S. 778.
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reraufgaben als Nachfolger Dr. Brechts (1870/71) bzw. als Sektionsschef für die Sphragistik (1871/73)11. Er erlebte es noch, daß der alte Kaiser von Schloß Babelsberg aus durch Allerhöchsten Erlaß vom 14. August 1882 den inzwischen auf ebenfalls 500 Mitglieder angewachsenen Herold die Rechte einer juristischen Person verlieh12, schließlich war dessen Protektor ein naher Verwandter Wilhelms I., nämlich der erste Gemahl seiner Tante Friedrike, der Schwester seiner Mutter, nämlich der Königin Luise – beide bekannt geworden durch Schadows berühmte Prinzessinnengruppe. Doch erst im Todesjahr 1894 wurde Warnecke anläßlich der 25jährigen Stiftungsfestes am 3. November zum Ehrenmitglied des Verein ernannt, genauer gesagt, kurz bevor ihn ganz und gar unerwartet ein grippaler Infekt (Influenza) am 26. November dahinraffte: „Wie einen betäubenden Schlag empfinden alle, die den verehrten Heimgegangenen noch vor wenigen Tagen in gewohnter Heiterkeit und Frische sahen, seinen Tod“, heißt es im Heroldnachruf13. Längst hatten Warneckes Vereinsideen auch auf Österreich übergegriffen, wo 1870 in Wien die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „Adler“ entstand, der Warnecke 1874 beitrat. Und im Deutschen Reich ist noch der Rote Löwe 1876 in Zwickau zu nennen, der 1880 nach Leipzig umzog. In Hannover versuchte Warnecke sein altes Gründungsvorhaben mit Hilfe des schon erwähnten und späteren ersten Vorsitzenden Heinrich Ahrens zu fördern, doch erst am 4. Dezember 1888 kam es endlich zur Gründung, unterstützt von sechs anderen statdhannoverschen „geschichts- und kunstbegeisterten Handwerkern und Künstlern“14, nämlich dem Graveur Julius Becker, dem Kunstgewerbelehrer Albert Brager, dem Porzellanmaler August Goedecke, dem Glasmaler Hubert Henning (nicht verwandt mit dem Verf.), dem Fahnenfabrikanten und Hoflieferanten Franz Reinecke, dem Wappenmaler Wilhelm Kulemann und dem Maler Christian Zacharias. Es entstand ein Zweckbündnis und Sammelbecken vorwiegend von und für Praktiker, hauptsächlich von Architekten, Bildhauern, Graveuren, Fotografen, Heraldikern, Lithografen, Malern, Restauratoren usw., mithin von Ausübenden, die oft noch gegen Anfeindungen ihrer heraldisch begeisterten, aber unkundigen Bauherren, die korrekte Wappenkunst durchsetzen wollten15. Sie zogen einst als „Demo“ durch die Straßen Hannovers und machten sich unbeliebt durch ihre Kritik an mißratenen „Wapsen“, auf die sie mit Hän11
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Heinz Hugo: Der Herold zu Berlin. Hundert Jahre deutschen Vereinslebens für Heraldik und Genealogie, in: Archiv für Sippenforschung 35 (1969), S. 197–202. Zu Warneckes Funktionen, vgl. Matrikelakte (wie Anm. 8). Bericht über die Sitzung vom 19. September 1882, in: Der Deutsche Herold 13 (1882), S. 102 f. Nachruf, in: Der Deutsche Herold 25 (18894), Nr. 12, S. 1. Dieter H. Müller-Bruns: 120 Jahre Heraldischer Verein „Zum Kleeblatt“. Ein Streifzug durch die Vereinsgeschichte, SA Hannover 2008, S. 17. Leonhardt: 50 Jahre (wie Anm. 5), S. 31 zur Gründung des Vereins „Zum Kleeblatt“.
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den zeigten16. Auf Warnecke als Initiator gehen bekanntlich auch der Name „Zum Kleeblatt“ und das grüne Schildbild des Vereins mit dem statdhannoverschen Gemerke, des sogen. Kleeblatts auf goldenem Grund, zurück, erst kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Februar/März 1914 vermehrt durch einen goldenen Heroldsstab im roten Schildhaupt anläßlich einer viel beachteten Internationalen heraldischen Ausstellung in Hannover, der dortigen zweiten. Als Warnecke 1891 persönlich, inzwischen ebenfalls zum Ehrenmitglied, fast möchte man sagen, zum „Ehrenkleeblatt“, ernannt, vier Jahre vor seinem Tode das Kestner-Museum in Hannover besuchte, da war für alle „die Anwesenheit einer heraldischen Autorität wie die des Geheimrats Warnecke-Berlin ein Ereignis“17. Auch gleichgerichtete Bestrebungen in der Schweiz, nämlich die Gründung der Schweizerischen Heraldischen Gesellschaft (1891) hat er zu seiner Freude noch miterlebt. Bevor ich auf Warneckes heraldisches und auf sein meist gänzlich unerwähnt gebliebenes genealogisches Werk eingehe, will ich noch die genannten kostbaren Sammlungen erwähnen, die sein „Doppelhaus“ in ein vielzimmeriges Raritätenkabinett verwandelten, in dem sich übrigens auch die schon damals auf 25.000 Goldmark geschätzte Bibliothek18, die Sammlungen und die Geschäftsstelle des Herold befanden. Warneckes Schätze19 wiesen musealen Rang auf, insbesondere die mittelalterlichen Rüstungen und Waffen, die nach seinem Tode Graf Wilczek erwarb und nach Österreich auf Schloß Kreuzenstein verbringen ließ. Die alten bemalten Gläser kaufte ein böhmisches Museum und seine große Siegelsammlung seltener Typare aus Bronze und Silber das Germanische Nationalmusum in Nürnberg, das sich auch für seine wertvolle Stammbuch-Sammlung des 16.–19. Jahrhunderts interessierte. Der hohen Kosten wegen wandte es sich schon damals – ganz modern – mit einem Spendenaufruf an das Nürnberger Patriziat und bat darin (und zwar erfolgreich!) um Mithilfe beim Ankauf der 25 besten Exemplare, weitere sollten zwischen 1915 und 1925 auf dem Umweg über die Antiquariate folgen. Einen guten Überblick bietet der von Warneckes Heroldsfreund Adolf Matthias Hildebrandt erarbeitete Auktionskatalog der Firma C. G. Boerner (Leipzig)20, der für ein inventarartiges Denkmal für diesen kundi16 17
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Freundlicher Hinweis von Dr. Arnold Rabbow v. 11. Oktober 2013. Bericht über den Besuch Warneckes im Kestner-Museum , s. Heraldische Mitteilungen des Vereins „Zum Kleeblatts“ 2 (1891), S. 69. Lampe (wie Anm. 9), S. 99. Zum Folgenden vgl. die Matrikelakte des Vereins Herold (wie Anm. 8 ). Vgl. Typoskript von Adolf Matthias Hildebrandt in der Heroldmatrikel (wie Anm. 8), vermutlich Entwurf seiner Einleitung zum Auktionskatalog. Zur Gattung der Stammbücher vgl. neu von Walther Ludwig: Stammbücher 16.–18. Jahrhundert. Kontinuität und Verbreitung des Humanismus. Hildesheim 2012 (= Noctes Neolatinae, 18) und noch immer unübertroffen Friedrich-Carl Freiherr v. Stechow: Lexikon der Stammbuchsprüche. Neustadt/Aisch 1996, m. ausführlicher Bibliographie, S. 266 ff., darunter allein S. 285 elf Warnecke-Titel zu diversen Stammbüchern.
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gen und beharrlichen Sammler sorgte, ehe am 2. Mai 1911 auf Wunsch der Erben die Zerstreuung von Warneckes Schätzen in alle Welt erfolgte. Dieser hatte zwar, wie Hildebrandt bescheinigte, die „verschiedensten Sachen mit seltenem Glück und feinem Verständnis“ zusammengetragen, doch wurde leider versäumt, die Schätze seines Privatmuseums „für die Reichshauptstadt zu erhalten“. Gerade Warneckes rd. 300 Stammbücher wären in der Tat eine unvergleichliche kulturgeschichtliche Quelle für die Wappen- und Familienkunde gewesen, aber auch für Kostümkunde und Etiquette. Ein album amicorum war der unersetzliche Reisebegleiter für Standespersonen in Europa (auf Kavalierstouren oder gelehrten Studienreisen), eine Art Ausweis und Andenken, von denen der beharrlich sammelnde Warnecke allein 30 besonders seltene aus der Reformationszeit bis zum dreißigjährigen Krieg (Wallenstein!) besaß, zusammengekauft nur wenige Jahre bevor der ideelle (und materielle) Wert dieser Quelle endlich auch von anderen erkannt worden ist. Die Eintragungen, oft Wahlsprüche und Devisen, reichten von Martin Luther, Ulrich Zwingli und Melanchthon bis hin zu Kaisern und Königen, Kurfürsten von Brandenburg, Herzögen von Sachsen, Landgrafen von Hessen, Fuggern, Pappenheimern, Dohnas und den „Gänsen“ zu Putlitz, stets mit kunstvoll farbig beigemaltem Wappen, Bildern von Trachten etc. Erst im 18. Jahrhundert werden solche Stammbücher einfacher gestaltet, die Ausstattung (Einbände, Malerei) läßt nach, ihr Inhalt wird trockener. Sie enthalten dann mehr „langatmige Versicherungen ,ewiger‘ Freundschaft“; weitschweifige Tugendgedichte wechseln sich ab mit überschwänglichen Gefühlsergüssen, ehe die Gattung im 19. Jahrhundert schließlich kleinbürgerlich verendete bzw. nur noch ein kümmerliches Dasein in Töchterschulen und Pensionaten fristete, wie schon Hildebrandt befand. Rein äußerlich paßt das Bild dazu, das die Nachkommen von Warneckes Töchterchen Ilse für die Heroldmatrikel malten, wonach sie „sonntags mit frisch gewaschenen Händen und weißem Schürzchen auf einem Stuhl sitzend, Stammbücher als Bilderbücher betrachten“ durfte21. Übriggeblieben im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, und als heutiges Prunkstück des Historismus besonders eindrucksvoll, ist nur Warneckes lang verschollenes „Deutsches Kriegsstammbuch von 1870/71“, das ich dort dienstlich 1973 im Magazin „ausgrub“, als ich Zimelien auf ihre Verwendbarkeit für eine neue Dauerausstellung dieses Archivs zur Geschichte Brandenburg-Preußens überprüfte und später in „Archiv für Sippenforschung“ vorstellen durfte22. Es gehörte schon 1911 nicht mehr zum Auktionsgut, muß also schon früher, vermutlich bald nach Warneckes Tod nach Amerika verkauft worden sein. Sein Wert ist noch vor der endgültigen Fertigstellung von einem süddeutschen Hofantiquar auf 21 22
Vgl. wiederum Matrikelakte Warneckes (wie Anm. 8). Eckart Henning: Das Deutsche Kriegsstammbuch 187071, in: Archiv für Sippenforschung 42 (1976), S. 497–513, m. 11 Abb. u. Register.
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12.000 Mark geschätzt worden. Unmittelbarer Vorbesitzer war jedenfalls der in Dorpat geborene Kunsthändler Reinhart v. Oettingen (1876–1953), wie ein beiliegendes Gutachten aus dem Jahre 1922 bezeugt. Es erregte auf Ausstellungen in Wien 1878, in Berlin beim Herold 1879 und im Kunstgewerbemusum 1882 „größtes Aufsehen“, auch in der Hauptstadtpresse, und fand sogar höchste Anerkennung durch Kaiser Wilhelm I., der die Liste der „Handschriften aller um die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches verdienten Perönlichkeiten“ im Werk anführt, insgesamt rd. 200 Blätter mit Sinnsprüchen und Devisen, ergänzt durch eingemalte Wappen, oft auch schon durch Porträtfotos im Billetformat. Von den Fürsten sei noch der spätere Kaiser Friedrich III. und Bayerns König Ludwig II. erwähnt, aber auch Bismarck, Moltke und Roon, ferner viele Militärs, die heute fast vergessen bzw. nur noch Spezialisten bekannt sind, schließlich selbst Dichter wie Eduard Möricke und Ludwig Uhland – sie alle zeugen auf ihre Weise vom wilhelminischen Selbstbewußtsein, vor dessen Folgen Theodor Fontane in seiner schönen Schwanenhalsschrift beim „Einzug am 16. Juni 1871“ in diesem Buch warnte: „Zum dritten Mal / Ziehen sie ein durch das große Portal; / Die Linden hinauf erdröhnt ihr Schritt, / Preußen-Deutschland fühlt ihn mit. / Hundertausende auf den Zehenspitzen! / Vorüber, wo Einarm und Stelzfuß sitzen; / Jedem Stelzfuß bis in sein Bein von Holz / Fährt der alte Schlachtenstolz. / Halt, vor des großen Königs ernster Gestalt! / Bei dem Fritzen-Denkmal stehen sie wieder, / Sie blicken hinauf, der Alte blickt nieder; / Er neigt sich leise über den Bug: / ,Bon soir, Messieurs, n u n i s t e s g e n u g‘“. Das Kriegsstammbuch ist ein zeittypisches Juwel, aber schon als Faksimile war es so teuer, daß es selbst zur damaligen Zeit, in der es bekannt und beliebt gewesen ist, als Druck kaum bezahlbar erschien und die Herstellung vom Verlag schließlich 1881 nach der fünften Lieferung eingestellt werden mußte. Für die Säkularausstellung des Herold „Lebendige Heraldik, lebendige Genealogie“ (1969) im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin23 kam die Wiederentdeckung des Kriegsstammbuches leider vier Jahre zu spät, doch auch hier war Friedrich Warnecke durch eine Schmuckkasette mit seinem persönlichen Stammbuch aus den Jahren 1872–74 vertreten24, dessen 153 Widmungsblätter alle seine persönlichen Freunde aus „Herold“ und „Kleeblatt“ verzeichnen, ergänzt durch ihre von namhaften Künstlern der Erneuerungszeit beigemalten Wappen. Notabene fehlt auch hier das Heroldmitglied Wilhelm Busch aus dem Jahre 1873 (bis 1881) nicht, vertreten durch zwei, wie wir gesehen haben, eigenhändige Tuschezeichnungen aus der „Jobsiade“ (mit Szenen „wie die Bauern ihren Schulmei23
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Lebendige Heraldik – Lebendige Genealogie. Ausstellung zum hundertjährigen Bestehen des Herold 1869–1969. Katalog bearb. von Jürgen Arndt u. Eckart Henning. Berlin 1969 Ib., Kat.-Nr. 332.
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ster absetzten“)25. Zum 125jährigen Bestehen des Vereins „Zum Kleeblatt“ hat sich der Herold-Vorsitzende Dr. Martin Richau gefreut, Ihnen, verehrte Freunde, dieses persönliche Stammbuch aus dem früheren Besitz von Warneckes Schwiegertochter Emely Warnecke geb. v. Roehl (als Geschenk zum 85. Stiftungsfest 1954) in einigen Lichtbildern präsentieren zu können. Stammbuch-symbolisch wiederholte der verhinderte Gründer unseres Schwestervereins somit seinen Besuch in Hannover, wo ihn nur das Schicksal seiner Versetzung nach Berlin daran hinderte, früher zum Ziel einer hiesigen Vereinsgründung zu gelangen als in der Reichs- und heutigen Bundeshauptstadt. Der Initiator des Vereins „Zum Kleeblatt“ bleibt Warnecke jedoch allemal. Meine Damen und Herren, ich habe Geheimrat Warneckes Leben skizziert, ihnen den Vereinsvater und Sammler in der gebotenen Kürze vorgestellt, nicht aber den Autor. Und der ist wohl am bekanntesten durch sein in acht Auflagen, aber erstmals zum 10jährigen Stiftungsfest des Herold am 3. November 1879 erschienenes „Heraldisches Handbuch für Freunde der Wappenkunst, sowie für Künstler und Gewerbetreibende“ geworden (Görlitz bei C.A. Starke, zuletzt 1893, Nachdr. Limburg 1971). Das Handbuch wendet sich, wie der Autor freimütig bekennt, an alle, denen „es an Zeit, Lust und Mitteln zum Erlernen einer Wissenschaft mangelt, deren Ergebnisse sie kaum anders als gelegentlich – so zu sagen nur leihweise – benutzen“. Es dient mithin dem Nachhilfeunterricht von Anwendern und damit den heraldischen „Trittbrettfahrern“ unter Künstlern, die den „Wappenzierrath in ausgedehntester Weise“ verwenden, aber dabei keine Fehler machen wollen. Wir könnten auch ruhig sagen „sollen“, wurde doch dieses Handbuch u. a. von der Kommission für die Herausgabe von Vorbildern für den Zeichen-Unterricht befürwortet und – heute unvorstellbar – vom preußischen Kultusministerium (lt. Verfügung vom 20. September 1879) durch „eine namhafte Beihilfe“ sogar noch gesponsert. So wichtig war den Behörden korrekte Heraldik! Warnecke war mit diesem vermeintlichen Nischenprodukt, wie wir es wohl heute nennen würden, höchst erfolgreich, dem im selben Verlag bereits „Heraldische Kunstblätter“ u. a. nach Entwürfen von Martin Schongauer, Albrecht Dürer, Virgil Solis (1876–1878) vorausgegangen waren und dem flankierend stilbildende „Musterblätter für Künstler und Kunstgewerbetreibende“, insbesondere für Glasmaler (1883, 2. Auflage 1887 m. Nachträgen zur Erstauflage) nach Original-Entwürfen von Hans Holbein u. a. folgten. Doch ehe Warnecke überhaupt soweit war, ein Lehrbuch zu verfassen, ist er tief in die Geschichte der Heraldik und ihrer Denkmäler eingestiegen, wobei ihm sein „lieber“ jüngerer Vereinskollege Gustav A. Seyler half, bis heute der beste Historiker der Heraldik, und (wie Warnecke zuvor) im 25
Zur Mitgliedschaft von Wilhelm Busch im Herold, vgl. Arndt: Biographisches Lexikon (wie Anm.1), S. 569.
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preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe beschäftigt, dort allerdings als Königlicher Bibliothekar. Warneckes Schriften in der HeroldBibliothek beglaubigen diese Beziehung, denn sie enthalten noch heute Widmungen Warneckes an Seyler, der sie nach seinem eigenen Tode der Vereinsbibliothek vermachte. Ich erwähne als Ergebnis von Warneckes Studien zur Heraldik, die er stets um ihrer selbst pflegte und „nicht nur als Anhängsel anderer Forschungsbereiche“ (Müller-Bruns), wie es noch immer guter Kleeblatt-Brauch ist, vor allem das von ihm neugeordnete und vollständig herausgegebene Stamm- und Wappenbuch Jost Ammans (Görlitz 1877 und das Heraldische Stammbuch mit 50 Schablonen nach Ammans Holzschnitten, 1888), seine Beschäftigung mit der „massenhaften“ Wappenproduktion durch „Lucas Cranach den Älteren“ (ib. 1879) und den damals noch erhaltenen 22 „Mittelalterlichen heraldischen Kampfschilden“ [nicht zu verwechseln mit den dort ebenfalls hängenden 28 sogen. Todtenschilden] in der St. Elisabeth-Kirche in Marburg an der Lahn“ (Berlin 1884). Von besonderer Kennerschaft aber zeugt Warneckes sinnigerweise der (übrigens sehr begabten Bildhauerin und) deutschen Kronprinzessin Victoria gewidmete Untersuchung des „Künstlerwappens“. Es führt seit dem 14. Jahrhundert im Schilde bekanntlich drei weitere silberne Schilde (norddeutsch in Rot bzw. süddeutsch oft in Blau) und ist, wie Warnecke herausfand, niemals obrigkeitlich verliehen worden, wie ältere Lehrmeinungen bis dato behaupteten (Berlin 1887). Schließlich ist noch ein sehr wappenhaltiges, viel benutztes Nachschlagewerk „Die deutschen Bücherzeichen (Ex-Libris) von ihrem Ursprunge bis zur Gegenwart“ (Berlin 1890) zu erwähnen, das seinen Ursprung in einem Herold-Vortrag des Bearbeiters hatte und 1.760 Bucheignerzeichen beschreibt, ferner Formschneider, Kupferstecher und Zeichner nennt. Den thematisch passenden Schluß machen zwei von Warnecke herausgebene ältere kulturgeschichtliche Stamm- und Wappenbücher von Theodor de Bry, nämlich dessen „Emblemata saecularia“ und dessen „Emblemata nobilitatis“ (beide Berlin 1894), jeweils von ihm mit einer Einleitung über die Entwicklung der Stamm- und Wappenbücher des 17. bzw. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts versehen26. Wie Sie sehen, hat Warnecke nahezu pausenlos produziert, doch scheint ihn die Arbeit nicht atemlos gemacht zu haben, ganz im Gegenteil muß sie ihn soweit beflügelt haben, daß er dabei, man hält es kaum für möglich, auch noch eigene genealogische Interessen pflegte, noch ungestört von den uns heute ablenkenden Medien. Das zeigte sich schon bei der Edition des „Augsburger Hochzeitsbuchs“ mit allen Heiraten von 1484–1591 (1886), schließ26
Leider gibt es kein vollständiges Schriftenverzeichnis Warneckes, so daß man auf „Titelfunde“ angewiesen ist, etwa in Kürschners Literatur-Kalender von 1889, in Arndts Biographischem Lexikon (wie Anm.1), S. 569, oder in der von Eckart Henning / Gabriele Jochums bearbeitete Bibliographie zur Heraldik. Köln 1984, vgl. S. 503 mit vielen Registernachweisen, die hier nicht sämtlich wiederzugeben sind.
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lich bei seinem nachgelassenes Manuskript im Herold-Archiv über „Uneheliche und nicht standesgemäße Verbindungen innerhalb fürstlicher Häuser des Adels“ (o. J.)27, schließlich sein erwähntes Buches über Lucas Cranach den Älteren, das den Untertitel „Beiträge zur Geschichte der Familie von Cranach“ (1879) trägt und zehn Generationen beschreibt sowie Wappenund Adelsbriefe wiedergibt. Seine eigene bis ins 15. Jahrhundert im Fürstentum Kalenberg nachweisbare Familie zu erforschen, vergaß Warnecke darüber nicht. Davon zeugt der Eintrag der Stammfolge „Warnecke“ im ersten Bande des vom Herold aufmerksam begleiteten und wohlwollend angezeigten „Genealogischen Handbuchs bürgerlicher Familien“28. Auch wenn sein Verleger Franz Mahler zunächst nur ein „Patricier-Buch“ herausbringen wollte, also eine eher absatzträchtige adelig-bürgerliche Melange, die er auch nur „gebildeten Familien“ öffnen mochte, so wagte er schließlich den rein-bürgerlichen „Durchbruch“: Sein 1889 im (damals noch selbständigen) Charlottenburg bei Berlin erschienenes Handbuch ist nämlich nichts weniger als das! Es zeigt „das soziale Geltungsbewußtsein eines arrivierten Standes“29, ist keine adelslastige Genealogie mehr, sondern präsentierte selbstbewußt das Bürgertum und seine Familien. Warneckes Vereinsfreund Gustav A. Seyler betreute das neue Werk von Anfang an redaktionell, dessen Zugehörigkeit zum „bekannten Verein Herold“ in den Augen des Verlegers die „Gediegenheit“ des noch heute erscheinenden „Deutschen Geschlechterbuchs“ (wie es bald hieß) garantierte. Das Gegenstück zu dem den Adel erfassenden „Gotha“ war geboren und Warnecke mit seiner Familie war dabei! In diesem ersten Band finden sich auch die Blasonierung von Warneckes eigenem Wappen, nämlich einem roter Schild, der eine silberne Mauer mit drei spitzbedachten silbernen Zinnentürmen zeigt, auf dem Helm mit rotsilbernen Decken ein offener roter Flug, wobei jeder Flügel wiederum mit einem silbernen Zinnenturm belegt ist, dazwischen ein nochmaliger30. Will man ein Fazit ziehen, so stimme ich mit Walther Lampe, der Warnecke bisher am ausführlichsten gewürdigt hat31, gern überein, daß ein hervorstechender Wesenszug seine Hilfsbereitschaft anderen Menschen gegenüber war, seine Nachwuchspflege in den Vereinen wird betont und noch 27 28
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Herold-Bibliothek, Signatur Hs 52. Stammfolge Warnecke, in: Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, Bd. 1, Charlottenburg 1889, S. 332–336. Hugo (wie Anm. ), S. 200 f. Schon bald gab es nicht nur Seyler als Schriftleiter, sondern die Handbuchreihe stand insgesamt „unter Leitung eines ganzen Redactions-Comitees des Vereins Herold“, wie es u. a. in der Besprechung des 3. Bandes in den Heraldischen Mitteilen des Vereins „Zum Kleeblatts“ 5, Nr. 8 v. 1. August 1894, S. 60 f., heißt. Zur dort gebotenen Blasonierung des Wappens, vgl. Abbildung im Neuen Siebmacher, Band V,3, S. 17, Taf. 19 und unsere Abbildung im Text nach einer Vorlage aus der Matrikelakte (wie Anm. 8). Lampe (wie Anm. 9).
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im Heroldnachruf wird bewundert, wie er „manches junge Talent ans Licht gezogen“ habe. So verriet Warnecke aus Berlin seinem inzwischen in Hannover ansässigen Freunde Heinrich Ahrens, als er ihm „zur glücklichen Geburt des heraldischen Kindes“ gratulierte, nämlich zu dessen „Kleeblatt“ – Gründung, sein Rezept: „Streben Sie vor allen Dingen dahin, daß die jungen Leute Wappen zeichnen und ihren Geschmack an guten Mustern bilden“32. Soweit können wir Lampes verdienstvoller Darstellung unbedingt folgen, doch fällt es mir schwer, dessen widersprüchliches Charakterbild Warneckes zu übernehmen, neigt er doch, wie manche Biographen, dazu, von sich auf Andere zu schließen, der eigene Wesenzüge im Gewürdigten wiederzuentdecken meint: Ein durch und durch „bescheidener“ Mensch, wie Lampe ihn sah, hätte wohl kaum soviel in seinem kurzen Leben erreicht, wie es Warnecke aufzuweisen hatte. Daß er gar „so gut wie nichts für sich beanspruchte“, wie Lampe steigernd meinte, paßt wenig zu einem so aktiven und erfolgreichen Sammler, der mir eher wie ein Lebemann vorkommt. Lampes Annahme, daß der – übrigens auch mit Orden dekorierte – Warnecke nur „in der Stille“ wirken wollte, verwundert angesichts eines Vereinsgründers von hohen Graden, der keineswegs die Stille suchte, sondern als energischer Anstoßgeber wirkte und nicht als Stubengelehrter beschrieben wird. Ohne ihn gekannt zu haben, kann man wohl kaum, wie Lampe, von seiner „Lautlosigkeit des Gemütes“ sprechen, die „so etwas unendlich Charakteristisches für diesen ernsten Niedersachsen“ gehabt habe, schrieb doch dieser vermeintlich ernste Niedersache seinem Freund ins Stammbuch: „Wer nicht liebt Wein, Weib, Gesang / Wappen, Siegel, Ahnenrollen, / Der verdient, daß lebenslang /Ihm die Heroldianer grollen!“ (an Major Alfred v. Kretschmar, Dresden 3.11.188433). Ganz so bierernst scheint Warnecke folglich nicht gewesen zu sein, sondern eher ein geschäftstüchtiger Sammler und gelehrter Kunstfreund mit einer ausgesprochener Spürnase und einem Erwerbstrieb, der seine Liebhaberei bis hinein in die Wissenschaft vorantrieb, in der er es tatsächlich weit gebracht hat, ohne ihn deswegen gleich zum „Vater der neuzeitlichen Heraldik“ (Lampe) zu stilisieren oder ihn als „Kunsthistoriker“ zu bezeichnen (was Jürgen Arndt fälschlich behauptet hat34 und ihm nun bis zu Wikipedia nachgeredet wird). Ich erinnere in diesem Zusammenhang abschließend daran, daß Warnecke bei der Kleeblatt-Gründung ausdrücklich zu einem „Verein für praktische Heraldik“ gratulierte und dabei hervorhob: „Mein Bestreben ist ja auch von jeher die künstlerische Seite der Heraldik gewesen“35. Das ist ein autobiographisches Bekenntnis, das wir 32
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Heinrich Ahrens:Friedrich Warnecke †, in: Heroldische Mitteilungen des Vereins „Zum Kleeblatt“ 6, Nr. 1 v. 1. Januar 1895, S. 2–4, hier S. 3. Stammbuchblatt in der Matrikelakte Warnecke des Herold (wie Anm. 8). Arndt: Biographisches Lexikon (wie Anm.1), S. 569. Heinrich Ahrens: Nachruf auf Warnecke (wie Anm. 4), vgl. auch: Der Deutsche Herold 25 (1894), Nr. 12 v. Dezember 1894, S. 1.
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ernst nehmen sollten und das auch seine Kunstschätze beglaubigen, die davon ein beredtes Zeugnis ablegen. Warnecke fuhr fort: „Die Heraldik besitzt eine große Lebensfähigkeit, das beweist ihr hohes Alter nicht allein, sondern die geradezu unerschöpfliche Art und Weise der Anwendung von Wappen“. Sie hatte er erlebt und ihr nachgespürt, auch saß er keineswegs wie Fafnir der Drache auf seinen Schätzen – „ich lieg’ und besitz, laß mich schlafen“ –, sondern war selbst ein wunderbarer Moderator seiner Sammlungen, die er liebte und durchdachte und anderen Menschen genußreich nahebrachte – kurz gesagt, meine Damen und Herren, ein Vorbild für uns alle!
Der „doppelte“ Herold Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt – Zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Heraldik*
I. Es war einmal „ein“ Herold, der am Hubertustag 1869 in Berlin gegründet wurde. Bevor ich jedoch auf seine wundersame Verdoppelung eingehe, lassen Sie mich zum besseren Verständnis der Vorgeschichte noch kurz bei den Männern verweilen, die an besagtem 3. November bei schlechtem Wetter beherzt zur Vereinsgründung in ein Café nahe der Potsdamer Brücke eilten. Unter ihnen befanden sich Maximilian Gritzner (1843–1902), der Begründer der modernen heraldischen Terminologie im deutschen Sprachraum, und als Einladender Friedrich Warnecke (1837–1894), der später in Hannover noch den heraldischen Verein „Zum Kleeblatt“ gründen sollte. Beide standen als würdige Paten an der Wiege des „HEROLD, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“, wie wir ihn heute kennen, der seine Rechtsform 1882 durch Allerhöchsten Erlaß Kaiser Wilhelms I. erlangte1. Im Bismarckreich war Berlin „zum Brennpunkt deutschen kulturellen Lebens“ geworden. „Nicht so sehr der preußische als der weltbürgerliche Geist des Ortes hat dann auch bis heute in der Gemeinschaft gewirkt, die hier entstand und die sich vom ersten Tage an dem ganzen Deutschland, ja der gesamten fachwissenschaftlichen Welt verbunden und verpflichtet fühlte.“2 *
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Vortrag vom 13. September 2010 auf dem 29. Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Stuttgart, verlesen von Herzeleide Henning. Nach dem Vorabdruck (mit Anmerkungen) wiedergegeben 1) in: HeroldJahrbuch N.F. 15 (2010), S. 7–22, 2) ohne Nachweise, in: Genealogica et Heraldica. Stuttgart 2012, S. 314–325 (fehlt im Inhaltsverzeichnis!) und 3) in: Genealogie und Migration in wechselnder Heimat [Vorträge zum 63. Deutschen Genealogentag], hrsg. von Genealogischen Kreis Siemens. Erlangen 2013, S. 57-66. Irrtümlich auf den Kopfbögen des Vereins als „Kabinettsordre“ bezeichnet, vgl. richtig im Bericht über die Sitzung vom 19. September 1882, in: Der Deutsche Herold 13 (1882), S. 102: der Allerhöchste Erlaß trägt das Datum vom 14. August 1882, mitgeteilt durch das Kgl. Polizei-Präsidium vom 9. September 1882. Grundlage für die Gewährung der Rechte einer juristischen Person war das Statut vom 16. Mai 1882. Heinz Hugo: Der Herold zu Berlin. Hundert Jahre deutschen Vereinslebens für Heraldik und Genealogie. In: Archiv für Sippenforschung 35 (1969), S. 197–202, hier S. 197, vgl. bereits ders.: Heroldgeschichte und Wissenschaftsgeschichte. Vortrag, gehalten anlässlich der 95. Gründungsfeier des Herold am 3. November 1964.
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Und diese Gemeinschaft entwickelte sich schneller, als die Gründer es wohl in ihren kühnsten Träumen erwartet hatten: die Zahl der Mitglieder überstieg bereits 1882 die Fünfhundert, 1907 waren es mehr als eintausend aus allen deutschen Bundesstaaten, also keineswegs nur Berliner. Die heute berühmte hilfswissenschaftliche Spezialbibliothek entstand aus kleinsten Anfängen, wuchs und wuchs und erzwang auf diese Weise einen häufigen Ortswechsel innerhalb der Stadt; die seit 1884 weitergeführte einzigartige Wappenbilderkartei und das Vereinspublikationswesen3 gediehen ebenso, wobei auch die Zahl auswärtiger Tauschpartner schnell anstieg. Während man sich in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Vereinsgründung noch überwiegend der Heraldik und der Genealogie des Adels als führendem sozialen Stand widmete, änderte sich dies noch vor der Jahrhundertwende deutlich, als im Umkreis des HEROLD das „Genealogische Handbuch bürgerlicher Familien“ (1889), das spätere „Deutsche Geschlechterbuch“, entstand; es markiert das gestiegene „soziale Geltungsbewußtsein eines arrivierten Standes“, nämlich der bürgerlichen Mittelschicht, selbst wenn sie sich noch „an den Ahnenstolz des Adels anlehnte“4. Doch schon bald begannen sich im 20. Jahrhundert Heraldik und Genealogie aus ihrer Standesperspektive zu lösen, und die Gemeinschaft führte ein eher wissenschaftliches Erkenntnisstreben zusammen, auch wenn bald die Forschungs- und Sammlungsseite und nicht die künstlerische (in der Heraldik) überwog. So gefährdete der Zusammenbruch der Monarchie in Deutschland 1918 nicht die Existenz des HEROLD, den die Arbeitsgemeinschaft der deutschen sippenkundlichen Vereine (der Vorgänger des heutigen Dachverbandes Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände) 1925 mit der Führung
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In: Der Herold NF, Bd. 5/6 (1965/68), S. 155–161 (z. T. mit ähnlichen Formulierungen). Neben der Monatsschrift „Der Deutsche Herold“ von 1870–1934 (1–65), erschien von 1873–1931 für größere Arbeiten „Der Herold, Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“ von 1873–1931 (1–57), doch fielen beide Zeitschriften der Wirtschaftskrise Anfang der der dreißiger Jahre zum Opfer, sieht man davon ab, dass der „Deutsche Herold“ (65–70) noch einige Jahre „ein Schattendasein als Mitteilungs-Anhängsel“ (Hugo) der „Familiengeschichtlichen Blätter/Deutscher Herold“ fristete, „Nachrichten des Herold“ genannt. Erst 1940 trat eine Viermonatsschrift „Der Herold für Geschlechter-, Wappen- und Siegelkunde“ nebst weiteren „Nachrichten des Herold“ die Nachfolge an, doch musste auch ihr Erscheinen bereits nach drei Bänden wegen der Kriegsverhältnisse eingestellt werden. Erst ab 1949/50 konnten dann im Rotaprint-Verfahren wieder „Mitteilungen des Herold“ (10 Jgge. in 4 Bden.) erscheinen, 1959 abgelöst in gedruckter Form durch „Der Herold, Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“ (abgekürzt zit als „Der Herold“), gezählt als Band 4 ff. der Neuen Folge. Vgl. u. a. Heinz Hugo: Zur Geschichte des Herold. Vortrag, gehalten zum 85. Stiftungsfest am 4.11.1954. In: Mitteilungen des Herold 1954, S. 168–176 Heinz Hugo: Der Deutsche Herold. Eine Rückschau, als Einleitung in: Der Schlüssel, Bd. 5, Sonderdr. Göttingen 1958, 6. ungez. Seiten [hier S. 2].
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des heute auf mehr als 70 Bände angewachsenen „Deutschen Wappenrolle“ betraute5, war er doch der einzige unter ihnen, der bereits seinen Namen nach der Heraldik gewählt hatte. Paradoxerweise bedrohten erst die „braunen“ Machthaber den Bestand des Vereins, als im Mai 1933 sein langjähriger Vorsitzender Dr. jur. et phil. Stephan Kekule v. Stradonitz (1863–1933) starb, allen Genealogen noch heute gut bekannt durch sein Ahnenbezifferungssystem. Der Tod ersparte diesem bekennenden Freimaurer die bald einsetzende Verfolgung seiner Gesinnungsgenossen, denn die Nazis verfolgten ja nicht nur Juden und Kommunisten, sondern auch Homosexuelle, Zeugen Jehovas und eben Freimaurer. Er war seiner Absetzung zuvorgekommen, aber führerlos geworden, drohte dem Verein damals, wie anderen Geschichtsvereinen auch, nun erst recht die Gleichschaltung, da Kekules Nachfolger, Regierungspräsident Dr. jur. h. c. Albert v. Gröning und Generalleutnant a. D. Rudolf Gießler (1867– 1944) den Vorsitz schnell nacheinander aus gesundheitlichen Gründen niederlegten. In dieser Lage und angesichts der amtlich verordneten, lawinenartig anschwellenden Volksgenealogie (Arier-Nachweise), musste sich der HEROLD „andauernder Versuche erwehren[...], ihn in die Organisation der NSDAP einzugliedern“ und glaubte sich nach aufgedrängter Führersatzung „seine Selbständigkeit nur erhalten zu können, wenn Kurt Mayer als einflussreiches Mitglied der Partei den Vorsitz bekam“6. Er hatte ihn zwar nur ein halbes Jahr inne (vom 16. Oktober 1934 bis 31. März 1935), aber damit seinen Zweck erfüllt, denn wohl nur dieser promovierte Historiker und Altnazi (1923), der sich als Heraldiker fühlte7, konnte als Hauptabteilungsleiter für Familienkunde im Rasse- und Siedlungshauptamt des Reichsführers SS den ersehnten Schutz bieten. Mayer verdrängte am 18. März 1935 auch noch Achim Gercke als Sachverständigen für Rasseforschung im Reichsministerium des Innern, dessen Dienststelle er am gleichen Tage
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Die „Deutsche Wappenrolle“ wurde bereits 1922 gegründet, geführt von Dr. Walter Freier, doch die Zuweisung zentraler Aufgaben erfolgte erst 1925, wonach sie fortan als Matrikel für ganz Deutschland zu führen war, vgl. Jürgen Arndt: Die Entstehung und Entwicklung der deutschen Wappenrolle. In: Der Herold NF, Bd. 4 (1959/62), S. 115–145 und die Einleitung zum Generalregister, 1. u. 2. Aufl. Vgl. Anm. 44. Schreiben Gustav Wehners an Friedrich v. Klocke vom 6. Mai 1951, zit. nach Diana Schulle: Kurt Mayer (1903–1945). Vorsitzender des Herold vom 16. Oktober 1934 bis zum 31. März 1935. In: Zehn Jahre Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften. Hrsg. von Peter Bahl, Friedrich Beck, Regina Rousavy und Waldemar Schupp (Herold-Studien, Bd. 8). Neustadt/Aisch 2005, S. 75–85, hier S. 76. Biographisches Lexikon der Heraldiker, sowie der Sphragistiker, Vexillologen und lnsignologen. Hrsg. vom HEROLD. Bearb. von Jürgen Arndt unter Mitwirkung von Horst Hilgenberg und Marga Wehner Q. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. H). Neustadt/Aisch 1992, S. 346.
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in eine „Reichsstelle für Sippenforschung“8 (d. i. das spätere „Reichssippenamt“) umbenannte. Die Bibliothek des HEROLD, mit ihren damals 25.000 Büchern nebst umfangreichen genealogischen, heraldischen und sphragistischen Sammlungen, die SS-Obersturmführer Mayer als Vereinsvorsitzender gegen Begehrlichkeiten des Reichsvereins für Sippenforschung und Wappenkunde verteidigt hatte, „war ihm wie eine reife Frucht in den Schoß“ gefallen9. Von ihrem Wert überzeugt, bot er ihr – 1939 zum Ehrenmitglied des HEROLD ernannt – im November 1940 Asyl in den beschlagnahmten Räumen der Berliner Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Straße 28/29 an, genauer gesagt im Tresor der Neuen Synagoge, als sie im ehem. Marstallgebäude (Breite Straße 36), einem „Reichskolonialministerium“ weichen musste. Mayers Nachfolger, dem parteilosen Fregattenkapitän zur See a. D. Gustav Wehner (seit 1935), blieb gar nichts anderes übrig, als die obdachlose Bibliothek dort nach zähen, aber erfolgreichen Vertragsverhandlungen der Verwaltung des Amtes für Sippenforschung der NSDAP zu überlassen, wohlgemerkt nur seiner „Verwaltung“ . Das Eigentum daran verblieb dem HEROLD10, was sich nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu als vereinsrettend herausstellen sollte. So bedurfte es im sogen. Dritten Reich, wie es Dr. Heinz Hugo als Chronist und „Seele“ des Vereins ausdrückte, „schon eines großen Geschicks und eines festen Charakters, sich zwischen Scylla staatlich gewünschten Vorspanndienstes für seine Kulturpolitik und der Charybdis der glatten Gleichschaltung hindurchzubringen“11. Der zu zahlende Preis war freilich hoch, konnte es doch die im „Dritten Reich“ auch amtlich empfohlene „Deutsche Wappenrolle bürgerlicher Geschlechter“ nicht vermeiden, die von Häftlingen entworfenen „Wappen der Himmlergarde“ auf Veranlassung des Sippenamtes Berlin zu registrieren, darunter des 1940 als Zweiten Lagerführer des KZ Buchenwald eingesetzten SS-Sturmbannführers Max Schoben aus Herzogenaurach, im Generalregister schamhaft als „Berufssoldat“ bezeichnet12. In diesem Konzentrationslager, das der ehemalige Lagerinsasse Eugen Kogon in seinem viel beachteten Buch über den „SS-Staat“ genauestens beschrieb, scheute sich die Schutzstaffel nämlich nicht, Kommandos zur „Ahnenforschung“ zu bilden, da „die neuen Herren, deren Herkunft meist ziemlich dunkler Natur war, ... fast alle den Ehrgeiz 8
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Vgl. Diana Schulle: Das Reichssippenamt. Eine Institution nationalsozialistischer Rassenpohnk. Berlin 2001. Zugl. Phil. Diss, Greifswald 1999. Schulle (wie Anm. 6), S. 83. Eckart Henning: Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer. hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin. Unter Mitarb. von Petra Hauk. In: E. H.: Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen. 2. Aufl. Köln 2004, S. 79–102, hier S. 91. Hugo: Heroldgeschichte und Wissenschaftsgeschichte (wie Anm. 2), S. 160. Deutsche Wappenrolle (zit. künftig als DWR), Nr. 3794 vom 22. November 1941, unveröffentlicht, vgl. Generalregister zur Deutschen Wappenrolle 1920–2001. Hrsg. vom HEROLD. 3., erw. u. ergänzte Aufl. Neustadt/Aisch 2003, S. 430.
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[hatten], zu langen Vorfahrenreihen und schimmernden Wappenschildern [sic!] zu gelangen“. Kogon fügte hämisch hinzu: „Das Ahnenforscherkommando stand oft vor beinahe unlösbaren Aufgaben, da sich die Ahnenspuren dieser germanischen Elite häufig infolge zahlreicher unehelicher Vorfahren in den weiten Gefilden des slawischen Ostens verloren“.13 Führer der Wappenrolle war bis zu seiner militärischen Verabschiedung der dem Oberkommando der Wehrmacht angehörende Oberstleutnant Joachim v. Goertzke (1877-1951), für den Dr. phil. Ottfried Neubecker (1908-1992) damals bereits die Zeichnungen besorgte und die Drucklegung betreute, wobei beide sich stets gegen den Runenwahn wehrten und bei Neuentwürfen bemüht waren, „parteigebundene Begleiterscheinungen wie Hakenkreuze ganz und die Kombination von Schwertern, Pflügen und Ähren (Blut und Boden!) möglichst auszuschalten“14. Obwohl Dr. Neubecker mit der „Halbjüdin“ Dr. phil. Annemarie Jeanette Gieser (1908-2001, 2 Söhne, eine Tochter) seit 1931 verheiratet war, was seine Übernahme in den Staatsdienst verhindert hatte, wurde ihm im Juli 1944 die Führung der Deutschen Wappenrolle übertragen15, nachdem er dem HEROLD bereits seit dem 19. Februar 1929 angehörte16. Zum Vorstand des HEROLD gehörten in der Kriegszeit außer dem 1941 zum Wehrdienst eingezogenen Gustav Wehner als Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, Oberregierungsrat Dr. Dr. Wilhelm v. Gossler, u. a. der Schriftführer, Rechtsanwalt Arthur Lignitz, der nach der Beseitigung aller jüdischen Notare der Notar der Jüdischen Gemeinde Berlins bzw. der Reichsvereinigung der Juden wurde, als Kassenwart Studienrat i. R. Hermann Voget und als einziges Parteimitglied, der Bücherwart Landesrat a. D. Curt v. Hugo. Der aus dem Stadtarchiv Magdeburg wegen seiner ablehnenden Haltung zur NSDAP ausgeschiedene und nun beim Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem beschäftigte Peter v. Gebhardt (1888–1947) betreute die Vierteljahrsschrift „Der Herold“, in der Dr. Neu13
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Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 2. Aufl. Berlin 1947, Kap. Das Drohnendasein der SS, S. 262 ff., hier S. 264. Vgl. dazu Arndt (wie Anm. 5), S. 133: Nach seiner Darstellung verwies das Reichssippenamt „bei den zahlreichen an sie gelangenden Anfragen wegen Registrierung von Familienwappen – mangels einer entsprechenden staatlichen Stelle – die Gesuchssteller an die DWR, der die Anfragen auf amtlichen Vordruck kurzerhand ,urschriftlich zuständigkeitshalber zur weiteren Bearbeitung‘ übersandt wurden. So konnte die Auffassung entstehen, dass die DWR zum mindesten eine offiziöse Einrichtung sei. Daß der DWR in diesem Zusammenhang auch Antragsteller zugeführt wurden, auf die sie heute verzichten würde, war eine damals nicht zu umgehende Folgeerscheinung dieser offiziösen Stellung.“ Ungedruckter Bericht des Schriftführers Arthur Lignitz vom 5. Oktober 1945, S. 3, in: GStA PK, I. HA, Rep. 178 B 1.3, Nr. 1704. Neubecker betreute die Bände 9–13 der DWR. Vgl. Arndt: Biographisches Lexikon (wie Anm. 7), S. 382 f.
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becker seine viel gelesene „Heraldische Rundschau“ bearbeitete. Das waren die „damals führenden Männer“, die „klug wie Schlangen“, jedenfalls nach Meinung des Vereinschronisten Hugo, „unser Schifflein am autoritären Felsen vorbeigesteuert [haben], ohne die Seele zu verkaufen“17. Näheres lässt sich einem sechsseitigen Schriftsatz von A. Lignitz vom 5. Oktober 1945 entnehmen, der damit die erfolgreichen, 1949 mit der Ehrenmitgliedschaft belohnten Bemühungen Dr. Neubeckers beim Magistrat von Berlin um die Frei- bzw. Rückgabe der HEROLD-Bibliothek unterstützte18, in dem er den unpolitischen Charakter des Vereins hervorhob, dabei den früheren Vereinsvorsitz Mayers allerdings glatt „vergaß“19. Da ich andernorts auf die Nachkriegsodyssee der inzwischen – trotz der 7000 in der Staatsbibliothek in Ost-Berlin verbliebenen – wieder auf 17.000 Bände in West-Berlin mit 50 Tauschpartnern (Juli 1951) angewachsenen Bibliothek eingegangen bin20, genügt es hier, auf die Eingaben des aus der Gefangenschaft entlassenen und bald zum Landgerichtsrat beförderten Juristen Jürgen Arndt (1915–1998) zu verweisen, in denen er dem Magistrat erfolgreich klarmachte, dass der Verein weder eine Nazi-Einrichtung gewesen, noch aufgelöst worden sei, sondern im Gegenteil am 21. Februar 1949 eine Neulizensierung durch die Amerikanische Militärregierung erfahren habe, seine Bibliothek mitnichten ins Reichssippenamt überging und sein Vermögen auch nicht gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 2 zu beschlagnahmen wäre. So wie die Vereinsbibliothek den Nazis um Haaresbreite entging, entglitt sie auch dem Magistrat von Berlin, der sie eigentlich dem Berliner Hauptarchiv (dem in dieser Zeit noch so genannten Geheimen Staatsarchiv) übereignen wollte, um es für seine „Rettungsversuche“ zu entschädigen. Doch kam es anders: Der HEROLD zog zwar (wieder) in das Dienstgebäude des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem ein (wo er bis heute ansässig ist), aber mit eigener Bibliothek, über die 1953 ein Depositalvertrag geschlossen wurde, der schließlich beide Seiten zufrieden stellte21. Doch wie sah es mit der Führungsriege des HEROLD nach dem Zweiten Weltkrieg aus? Sein formell bis zum 3. März 1949 amtierender Vorsitzender Wehner hatte seine Berliner Wohnung verloren und war nach Bremen verzogen, sein Vertreter v. Gossler hatte sich im April 1945 das Leben 17 18
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Hugo: Heroldgeschichte und Wissenschaftsgeschichte (wie Anm. 2), S. 158. H. Voget begründete die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft „in Ansehung vielfältig unermüdlicher Dienste“, die Neubecker dem Verein geleistet habe. Vgl. Mitteilungen des Herold, Rundschreiben Nr. 2 vom 25. November 1950, hektograph. Lignitz (wie Anm. 14). Henning: Der Herold und seine Bücher (wie Anm. 10) , S. 95. Schreiben von J. Arndt vom 22. Mai und Stellungsnahmen des Magistrats vom 7. Juni und 4. Dezember 1950, in: GStA (wie Anm. 14). Trotz des Bibliotheksvertrages fanden HEROLD-Sitzungen nicht vor 1955 im Archiv statt und die Geschäftstelle zog dort erst 1960 ein, wo der Verf. sie 1967 noch im Westflügel (1. Stock) kennenlernte.
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genommen, Lignitz, v. Gebhardt und v. Hugo starben 1947 an Entbehrung bzw. Entkräftung in demselben Jahr, als in der Viermächtestadt wenigstens eine erste Nachkriegszusammenkunft der HEROLD-Mitglieder zu Stande kam. Folglich musste die alte fast vollständig durch eine neue Führungsriege ersetzt werden, auch wenn Studienrat i. R. Voget (1887–1954) als Wehners Nachfolger (bis 1952) noch mit der Konsolidierung beginnen konnte, ehe ihn während der fünfziger Jahre Dr. phil. Heinz Hugo (1952–1954 u. 1958– 1960) und Dr. rer. pol. Herbert Spruth (1954–1958) als Vorsitzende ablösten. Zu den Jüngeren aber zählten um 1950 die beiden Heraldiker, um die es mir im zweiten Teil dieses Vortrags geht, nämlich der schon erwähnte Dr. Neubecker (42), Jahrgang 1908, und der sieben Jahre jüngere Jürgen Arndt (35), Jahrgang 1915, beide voller Energie und Schaffensdrang, aber – wie ich aus eigener Anschauung weiß – grundverschieden in ihrem Wesen.
II. Otto Friedrich, genannt Ottfried, Neubecker wurde am 22. März 1908 in Preußen, genauer gesagt in Charlottenburg bei Berlin, als Sohn des Juristen Dr. Friedrich Karl Neubecker geboren, der 1918 als ordentlicher Professor für Zivilrecht an die badische Universität Heidelberg berufen und vom Großherzog noch zum Geheimen Hofrat ernannt wurde; seine Mutter war die aus Schaffhausen gebürtige Schweizerin Renée v. Meyenburg. Ottfried legte 1925 in Heidelberg sein Abitur ab, studierte anfangs, wie von Ihm erwartet, ebenfalls Jurisprudenz, schwenkte dann allerdings – nach etwa vier Semestern – zur Geschichte und Kunstgeschichte um, die er anfangs in Genf belegte, wo er sich bereits in der Völkerbunds-Bibliothek alle Gesetzestexte zur Auslandsheraldik zusammensuchte, ehe er in Heidelberg und Berlin weiterstudierte. Dort wurde er 1931 von dem heraldisch ahnungslosen Historiker Robert Holtzmann mit einer heraldisch höchst ahnungsvollen, ja wegweisenden Dissertation über „Das deutsche Wappen 1806–1871“ an der Friedrich-Wilhelms-Universität zum Doktor der Philosophie promoviert22. Seit 1927 war Neubecker bereits der für Neuentwürfe und Berichtigungen von Ortswappen zuständige Assistent des glücklosen Reichskunstwarts Edwin Redslob, der ihn im Frühjahr 1933 bei Auflösung seiner Dienststelle leider entlassen musste, weil Neubecker, wie mitgeteilt, mit einer „Halbjüdin“ verheiratet war, von der er damals nicht bereit war, sich scheiden zu lassen. Folglich fand er aus rassischen Gründen weder im Reichsinnenministerium (wie die meisten seiner Kollegen) noch an anderer Stelle im Staatsdienst irgendeine Verwendung. Selbst mit der Waffe durfte Neubecker nur von April1940 bis Mai 1941 im Infanterie-Regiment 68 mit 22
Vgl. den ersten veröffentlichten Teil in: Archiv für Sippenforschung 8 (1931), S. 289–322 (= H. 9).
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Einsätzen in Frankreich und als Besatzer im Warthegau und in Südostpreußen Kriegsdienst leisten, bis er als (wehrunwürdiger?) Oberschütze wieder entlassen wurde. Als anonymer Bearbeiter und Fortsetzer des „Flaggenbuchs der Kriegsmarine“ (4. Aufl. 1939) deckte ihn freilich ihr Oberkommando, ja er durfte sogar für Dönitz die Großadmiralsflagge sowie die Flaggen für die Admiräle des Generalstabs entwerfen. Auch andere Reichs-, Partei- und Wehrmachtsstellen beschäftigten Neubecker als Gutachter und Protokollberater (so gestaltete er schon 1933 die Standarte des Reichspräsidenten und sorgte 1936 für die Beflaggung der Berliner Olympiade, wofür er mit einer Erinnerungsmedaille ausgezeichnet wurde). Daneben arbeitete Neubecker, ebenfalls anonym, für Sammelbilderalben der Zigarettenindustrie. (Garbáty, Massary, Reemtsma und Waldorf Astoria), für Rüger-Schokolade und schrieb Artikel u. a. für den Lexikonverlag F. A. Brockhaus, auch entwarf er mindestens 35 Kreis- und Ortswappen, darunter für Binz, Hameln, Oranienburg, Rathenow, Stralsund und Templin. So musste er sich, von den „braunen“ Machthabern immerhin geduldet, als Privatgelehrter und freischaffender Heraldiker, Vexillologe, Phaleristiker und Insignologe durchschlagen, doch wirklich zu Geld kam er auch später „nie“23. Bei Kriegsende war er einem Technischen Zug des Volkssturms II (Feuerwehr) zugeteilt gewesen, wurde aber nicht mehr eingesetzt und geriet auch nicht in Gefangenschaft24. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog Neubecker mit seiner Familie 1947 von Kleinmachnow in den Amerikanischen Sektor Berlins um, wo er in seinen Wohnungen jeweils bis 1960/61 zugleich mit Billigung des Vorstands die Geschäftsstelle des Vereins HEROLD und die Kanzlei der Deutschen Wappenrolle unterbrachte25 – eine Symbiose, die den Keim des späteren Zerwürfnisses mit diesem Traditionsverein bereits in sich trug. 1952-1960 übernahm Neubecker Lehraufträge für Heraldik an der Freien Universität Berlin. 1950 ließ er sich in Teltow scheiden und heiratete 1956 23
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Vgl. meine Kurzbiographie Neubeckers in: Eckart Henning/Dietrich Herfurth: Orden und Ehrenzeichen. Handbuch der Phaleristik. Köln: 2010, S. 188-190 u. Lupold v. Lehsten: Ottfried Neubecker. In: Hessische Biografie . Vgl. Personenfragebogen des Kreises Teltow, ausgefüllt ca. 1945/46. Dort auch Angaben Neubeckers über seinen Wehrdienst. Für die Einsichtnahme danke ich Frau Waltraud Wolfert, die mir die Handakten ihres verstorbenen Mannes A. F. Wolfert freundlicherweise zugänglich machte. Vgl. Eckart Henning: In memoriam Alfred Friedel Wolfert. In: Der Herold NF 42 (1999), S. 181–183 m. Bild und einer Bibliographie von Peter Bahl, S. 183–185. Die Geschäftsstelle des Vereins nebst Kanzlei der Deutschen Wappenrolle befand sich ab 1947 in Berlin-Zehlendorf-West, Beerenstraße 30, ab 1951 in Berlin-Dahlem, Im Dol 2, Haus I, ab 1955 in Berlin-Halensee, Westfälische Straße 38. Für das Vereinsarchiv wurden 1955–1962 in der Genthiner Straße 30a zwei Räume angemietet. Ab 1960 wurden Geschäftsstelle und Vereinsarchiv (wenn auch ca. 50 Akten fehlten) im Geheimen Staatsarchiv aufgenommen (vgl. Anm. 21).
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in zweiter Ehe Irmgard v. Lippe gesch. Lüder gen. Lühr (eine Tochter), bis er 1963 nach „Westdeutschland“ ging, wie ältere Berliner heute noch sagen. Seinen ständigen Wohnsitz nahm er nun in Wiesbaden26 mit Lehraufträgen27 im Wintersemester 1963/64 auch an der Universität Mainz, ehe er 1978 in Stuttgart am Sitz der Firma Pro Heraldica einen zweiten Wohnsitz wählte. Bei ihr verdingte er sich (bis zum 31. Dezember 1988), um seine Existenz zu fristen, aber auch um seine Bücher und seine Sammlungen unterzubringen, womit dieser Firma der Beweis gelang, dass sich – entgegen allen Unkenrufen aus Berlin – Kommerz und Qualität keineswegs ausschließen müssen. Ottfried Neubecker verfügte über eine gute Allgemeinbildung, war außerordentlich sprachbegabt, was ihm auch auf Internationalen Kongressen und in seiner weltweit geführten Korrespondenz zu Gute kam. Er war geistreich und begeisternd, ein fesselnder Erzähler, ein geschätzter und gefürchteter Kritiker (auch Zwischenrufer!), der selbst in historischen Texten leicht fasslich blieb und moderne Bezüge nicht scheute, mit Vorurteilen aufräumte, stets hilfsbereit und – was man angesichts dieser bestechenden Vorzüge kaum glauben möchte – in seiner Quellentreue von einer „manischen Gründlichkeit“28 gewesen ist. Er sah in Wappen, Fahnen, Orden usw. etwas Unbezweifelbares – im Gegensatz zu allen anderen, allzu subjektiv bewerteten Gegenständen der Rechts- und Geschichtswissenschaften; er liebte sie, weil sie „etwas Unsichtbares sichtbar machen, etwas Abstraktes, den Staat, einen Gesellschaftsverband konkretisieren“ können.29 Neubecker war international bekannt und als fachliche Autorität anerkannt. Nolens volens verzettelte sich Neubecker bei seinen vielen Auftragsarbeiten, mit denen er in rastloser Tätigkeit als Berufsheraldiker und Autor den Lebensunterhalt für sich und seine Familie(n) verdiente, doch entstanden gleichsam zusätzlich neun Monographien, die seinen Ruhm ebenso begründeten wie rund 450 Beiträge in den Medien und zahlreiche von ihm entworfene akademische und militärische Insignien, Orts- und Familienwappen, ferner viele Sammelwerke, Übersetzungen und Rezensionen. Erwähnt seien wenigstens pars pro toto drei Werke, nämlich „Fahnen und Flaggen“ (1939), das ihn als Begründer der (damals noch nicht so genannten) Vexillologie zeigt, seine „Ordensritterliche Heraldik“ (1940), die ihn als führenden Phaleristiker ausweist (obwohl auch diesen Begriff noch kaum einer kannte) und „Heraldik – ihr Ursprung, Sinn und Wert“ (1977), das in der 26 27
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Dieselstraße 24, später Carl v. Ossietzky-Straße 9. Den Berliner Lehrauftrag verdankte Neubecker seinem Mentor Redslob, den Mainzer verlor er durch Intervention seines Gegners Arndt. Arnold Rabbow: Erinnerungen an Ottfried Neubecker (1908–1992). Der große deutsche Heraldiker wurde vor 100 Jahren geboren. In: Kleeblatt 2009, H. 1, S. 10– 13, hier S. 12. K. S.: Beschäftigung mit „nichts“. Ottfried Neubecker, ein Olympier der Heraldik. Anfragen aus aller Welt. Vor allem Erforschung historischer Wappen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 74 vom 27. März 1968, S. 7.
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Wappenkunde sowohl von weitem wissenschaftlichen Durchblick wie von schöpferischer Kraft zeugt – eine ungewöhnliche und verführerische Kombination. Tragischerweise war ihm, sieht man von den wenigen Lehraufträgen ab, keine Universitätskarriere vergönnt, auch sind seine wichtigsten Beiträge nie zu Sammelbänden zusammengefasst und seine Bibliographie ist nach 1973 für die letzten neunzehn Lebensjahre nicht mehr fortgesetzt worden.30 Dennoch bezeichnete ihn Arnold Rabbow mit vollem Recht, vergleichbar wohl nur mit Gustav Adelbert Seyler, als „einen der bedeutendsten Heraldiker des 20. Jahrhunderts“31. Er war, wie gesagt, international bekannt und als fachliche Kapazität anerkennt, aber hatte es nicht nötig, wie bei Wikipedia nachzusehen, als „Papst der Wappen“ vermarktet und „nach seinem Tode eine Legende“ genannt zu werden. Unseriöse Übertreibungen verspottete er gnadenlos. Jürgen Arndt wurde am 20. Februar 1915 im Großherzogtum Oldenburg geboren. Sein Vater Fritz Arndt, ein aus Pommern stammender Bauingenieur, war damals gerade am Neubau des Hauptbahnhofs für die Residenz beschäftigt; seine Mutter, Else Bochow, war brandenburgischer Abstammung. Sohn Jürgen bestand 1933 in Oldenburg auch sein Abitur. Obwohl angeregt durch das von Otto Hupp geschaffene Ortswappen-Sammelwerk der Kaffeerösterei HAG, im Rahmen eines Geschichtsstudiums der „Verbindung historischer Fakten mit künstlerischer Bildsymbolik“32 nachzugehen, entschied er sich doch – und zwar um den ungeliebten Lehrberuf zu vermeiden –, in Greifswald, München und Berlin 1933–1937 die Rechte zu studieren, wobei ihm sein „stark ausgeprägtes Gefühl für ordnendes Denken“ entgegen kam. Außer den Rechtsprofessoren Martin Wolff und Carl Schmitt verdankte Arndt besonders seinem Repetitor Kurt Georg Kiesinger, dem späteren dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, wichtige, auch weltanschauliche Anregungen, ferner dem die NSDAP ablehnenden Verein Deutscher Studenten (VDSt). Arndt war zu konservativ eingestellt, um sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, mit dem ihn allenfalls ein traditioneller Oberschichten-Antisemitismus verband. Nach dem 1. juristischen Staatsexamen im April 1937 genügte Arndt als Kammergerichtsreferendar zunächst seiner zweijährigen Wehrpflicht, womit er sich dem „starken Druck zum Eintritt in die NSDAP“ entzog, der „damals auf junge Akademiker ausgeübt wurde“. Infolge des Zweiten Weltkrieges, in 30
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Vgl. Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980. Köln 1984, vgl. Register S. 473 f. u. Schriftenverzeichnis von Ottfried Neubecker von Herbert K. Mohr/Eckart Henning, 46 S., abgedr. in: Allgemeine Deutsche Wappenrolle, Bd. 1, 1945–1973. Arnold Rabbow: Ottfried Neubecker. In memoriam 1992–2002. In: Kleeblatt 2002, H. 3, S. 27–28, hier S. 27. Seylers Nachlass befand sich übrigens in Besitz Neubeckers, heute vermutlich der Firma Pro heraldica. Vgl. Curriculum vitae von Jürgen Arndt (1975), auch für die folgenden Zitate, entnommen der Matrikelakte im Vereinsarchiv des HEROLD, Berlin-Dahlem.
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dem er sowohl an der West-(Frankreich), als auch an der Ostfront (Polen, Sowjetunion, Finnland) stand, kam eine bereits mit Viktor Bruns verabredete völkerrechtliche Dissertation nicht mehr zum Abschluss. Nachdem Arndt bereits 1942 durch die Eintragung eines Familienwappens33 mit dem HEROLD in Verbindung getreten war, schloss er im Mai 1944 während eines Fronturlaubes die Ehe mit Lieselotte Rüthing, aus der zwei Kinder hervorgehen sollten (eine Tochter, ein Sohn). Im Raum von Schneidemühl geriet Arndt im Februar 1945 in sowjetische Gefangenschaft, aus der er jedoch bald wieder entlassen wurde, um schon 1946 bei der Berliner Justiz als Referendar seinen Zivildienst fortzusetzen und 1948 die 2. Juristische Staatsprüfung abzulegen (das vereinfachte Assessorexamen für Frontsoldaten genüge nicht). Zum Landgerichtsrat (1949) ernannt, arbeitete Arndt zunächst bis 1952 in der Magistratsverwaltung für Justiz, wurde kurze Zeit zum Bundesjustizministerium abgeordnet (1952) und anschließend zum Kammergerichtsrat (1953) befördert, endlich zum Präsidenten des 6. Zivilsenats an demselben Gericht (1968–1980). Jürgen Arndt war Jurist mit Leib und Seele, allerdings mit ausgeprägtem rechtshistorischen und heraldischen Interessen. Ordnung prägte seine Lebensleistung und so erscheint einem der Titel seines Hauptwerkes, eine zweibändige „Wappenbilderordnung“, geradezu symbolisch. Obwohl der Tradition verpflichtet und somit eher innovationsfeindlich geartet, wirkte dieser durchsetzungsfreudige Konservative gleichwohl innovativ, wenn er beispielsweise danach trachtete, tausende von Wappenentwürfen, die durch seine Hände gingen, wieder „in Ordnung“ zu bringen; da war die Kanzlei der Deutschen Wappenrolle sein Reparaturbetrieb, von Journalisten gar zum „Patentamt der Heraldik“ stilisiert34. Hildebrandts gut eingeführte „Wappenfibel“ mutierte, von Arndt anonym in vier Auflagen bearbeitet, zu einem eher trockenen, aber ganz unentbehrlichen „Handbuch“ juristischen Zuschnitts, systematisierend und schematisierend, wenig amüsant, aber gelehrt, rational und sachlich – der Aufklärung verpflichtet35. Um dieses Ziel zu erreichen, verfuhr Arndt nicht immer pingelig, und so erschien er manchem als „grantiger Buhmann“, wie er sich in einem Anflug von Selbstironie einmal beschrieb, als ihn der HEROLD 1985 mit der BardelebenMedaille auszeichnete. Oft könne er nicht umhin, so meinte er in seiner Dankesrede, „jemandem auf die Füße zu treten, seien es nun Pfuscher und Ignoranten unter den Wappenherstellern oder Schwindler oder Profitgeier, denen man die Flügel stützen möchte, oder Nörgler, Besserwisser, Adelsnarren, Steinzeitgenealogen [...] oder Runenanhänger“36. Hier zeigen sich 33 34
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DWR Nr. 4125 vom 20. September 1942, veröffentlicht in Band 9, Bl. 31. Peter Bernd: Mit Siegel des Herold sind Schmitts verewigt. Heraldik: Familienwappen kommen immer mehr in Mode. In: Berliner Zeitung, Febr. 1995, S. 84. Wappenfibel – Handbuch der Heraldik, 15.–18. Aufl. Neustadt/Aisch 1967–1991. Dankesrede in: Der Herold NF, Bd. 11 (1984/86), S. 75*.
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Arndts intolerante Züge, seine „Ecken und Kanten; er kann verwunden und ist leicht verwundbar[...]. So machte er es seinen Freunden manchmal „schwer, seinen Gegnern stets leicht“, zumal er nur „fortiter in re“, aber selten „suaviter in modo“ verfuhr37. Als erfahrener Streiter und als „unbequemer Mahner“38 war Arndt den Vorwurf der Arroganz gewöhnt, gerade weil er „immer gradlinig seinen Weg“ ging und kaum einmal andere Meinungen gelten ließ39. Dies hervorzuheben, vermittelt kein falsches, aber doch ein eher unvollständiges Bild dieses energischen Juristen voller Spottund Angriffslust, erinnerte man nicht auch an seinen Witz und sein Unterhaltungstalent, schließlich an seine Vorliebe für die Gedichte Eugen Roths, an die bis ins höhere Alter gern gehörte Salonmusik eines Barnabas von Geczy, nach der er einst im Hotel Adlon getanzt hatte, oder an seine Zuneigung zu den temperamentvollen Grauhörnchen im eigenen Wohnzimmer. Doch „im Laufe der Zeit“, so meinte sein Bundesbruder Ludwig Biewer in einem Nachruf, „wurde Jürgen Arndt immer kritischer und skeptischer, an unserer Zeit und ihren Ereignissen konnte er eigentlich nichts Gutes mehr finden“40. Konsequent bekämpfte er in Wort und Schrift gegen einen auf die Kleinfamilie eingeengten Familienbegriff, gegen ein liberalisiertes Namensrecht, das den Familien- durch den Ehenamen ersetzte, und wandte sich gegen einen überbetonten Individualismus, den er zur Wurzel allen Übels erklärte41.
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Ludwig Biewer: Jürgen Arndt 75 Jahre. In: Der Herold NF, Bd. 13 (1990/92), S. 8*– 10*, hier S. 10*. Erik Amburger: Jürgen Arndt wurde 65. In: Genealogie 29 (1980), S. 153 f. Ludwig Biewer: Jürgen Arndt 70 Jahre, Inhaber der Bardeleben-Medaille. In: Der Herold NF, Bd. 11 (1984/86), S. 52*–54*, hier S. 52*. Ludwig Biewer: In memoriam Jürgen Arndt. In: Der Herold NF 41 (1998), S. 140– 143, hier S. 143 (Kurzfassung, in: Schweizer Archiv für Heraldik), mit einer ausgezeichneten Bibliographie Arndts, bearbeitet von Peter Bahl, S. 143–151. Vgl. die – wissenschaftlich wie politisch sehr persönlich – wie ein Vermächtnis anmutende Rede von Jürgen Arndt: Das erste Jahrzehnt des zweiten Herold-Jahrhunderts. Ansprache, gehalten am 3. November 1979 auf der Festveranstaltung des Herold zum 110. Jubiläum. In: Der Herold NF, Bd. 9 (1978/80), S. 143–150. Arndts Todesanzeige vom 4. August 1998 enthält als Lebensmotto folgenden Vers von Eugen Roth: „Nur wenn wir, statt für uns zu raffen, / Gemeinsam echte Werte schaffen, / Verwandeln wir die flücht‘ge Zeit, / in eine irdische Ewigkeit“. Als unwürdig empfand der Autor die Trauerfeier am 19. August 1998 für Arndt in der Kirchhofskapelle der Evangelischen Kirchengemeinde von BerlinNikolassee, in der mit keinem Wort, auch nicht des Geistlichen, davon die Rede war, dass mit dem Verstorbenen ein bedeutender deutscher Heraldiker zu Grabe getragen wurde. Auch ein Vertreter des Vereins HEROLD kam nicht zu Worte. Die Familie, so schien es, wollte sich an dem Verstorbenen für ihre vermeintliche Zurücksetzung „an der Heraldik rächen“. Er wohnte in Nikolassee, Borussenstraße 18, bis zu seinem Tode in dem von seinem Vater gebauten Elternhaus.
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Arndts wissenschaftliche Arbeiten, sieht man von einem umfangreichen Kommentar zum „Rechtspflegergesetz“ (1957)42 ab, entstanden gleichsam „neben“ seinem Beruf als Richter bzw. anschließend im 18 Jahre währenden Unruhestand, wobei hier Aufsätze, Tagungsberichte und Rezensionen ebenso übergangen werden müssen wie sein Einsatz für die Moltke-Stiftung (ab 1960), der dem Andenken der Generalfeldmarschälle ebenso wie dem Widerstandskämpfer Helmuth James Graf v. Moltke und dem Kreisauer Kreis gewidmet war43. Sogar die Deutsche Wappenrolle kann hier unerwähnt bleiben, obwohl Arndt von 1962–1996 immerhin 48 Bände (von 14–62) und zwei Auflagen ihres Generalregisters herausbrachte44, da Lorenz Beck diesem gewaltigen Registerwerk einen eigenen Vortrag widmet. Von Arndts eminent erfolgreichen Auflagen des einst als Wappenfibel geborenen „Handbuchs der Heraldik“ habe ich bereits gesprochen, das er als kollektive Leistung eines Teams hinstellte45. Wichtiger als dieses Standardwerk war ihm jedoch seine zweihändige, gemeinsam mit Werner Seeger bearbeitete systematische „Wappenbilderordnung“, eine Neubearbeitung von Gritzners Terminologie, nebst einem mehrsprachigen Lexikon heraldischer Begriffe46, mit der der HEROLD ins EDV-Zeitalter eintrat. Ergänzt wird diese Leistung durch Arndts umfangreiches „Biographisches Lexikon der Heraldiker sowie der Sphragistiker, Vexillologen und Insignologen“ (1992)47 und durch sein letztes Pamphlet über den „Wappenschwindel48, seine Werkstätten und ihre Inhaber“ (1997) – beides von wissenschaftsgeschichtlicher Relevanz für die Heraldik. Außerdem muss Arndts Spezialgebiet genannt werden, auf dem er, von wenigen Rechtshistorikern unterstützt, Pionierarbeit leistete, nämlich die 1953 begonnene Hofpfalzgrafen-Forschung, die 1355 bei Kaiser Karl IV. einsetzt und deren Bedeutung weit über die von den Comites
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Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und des Verfahrensrecht (Rechtspflegergesetz) vom 8. Februar 1957 (Kommentar). Erläutert von Jürgen Arndt. Mit einem Geleitwort von E. Kern. Berlin und Frankfurt/M. 1957, XX, 519 S. Dieser Kommentar bildete notabene die Voraussetzung dafür, Arndt zum Senatspräsidenten beim Kammergericht zu ernennen (nach der Titelreform zum „Vorsitzenden Richter“ vereinfacht). Moltke-Almanach. 2 Bde., 1984 u. 1990. Generalregister zur DWR. Hrsg. vom HEROLDs-Ausschuß. 1. Aufl. Neustadt/ Aisch 1973, 2. Aufl. 1988; 3. Aufl. 2003. Vgl. Arlm. 35. Wappenbilderordnung. Symbolum armorialium ordo. Bearb. von Jürgen Arndt u. Werner Seeger. Von Band I erschien die 1. Aufl. Neustadt/Aisch 1986, die 2. Aufl. 1996; Band 2 erschien 1990 (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch, Bd. B). Vgl. im Heraldiker-Lexikon (wie Anm. 7) über Arndt, S. 9 u. über Neubecker, S. 389 f. Der unter Mitarbeit zahlreicher Staats- und Stadtarchive bearbeitete Band trägt den Untertitel: „Ein Blick in die heraldische Subkultur“.
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palatini ausgestellten Wappenbriefe hinausreicht49, ferner die Edition des „Wappenbuchs des Reichsherolds Caspar Sturm“ (1984)50 und vier Auflagen eines bibliophilen Taschenbuchs, nämlich der „Wappen und Flaggen des Deutschen Reiches und seiner Bundesstaaten 1871–1918“ auf der Grundlage der Ströhlschen Farbtafeln51.
III. Eine dauerhafte Verbindung zum Verein HEROLD nahm Arndt bereits 1947 auf, als er am 1. Februar an Ottfried Neubecker schrieb, „dass er gegenwärtig an [...] Fragen der Symbolik, insbesondere in der Heraldik, arbeite“ und ihn um eine „ Unterredung“ bat52. Arndt wurde daraufhin, nämlich schon am 5. März, HEROLD-Mitglied und betätigte sich von 1949 bis 1962, und zwar unter Neubeckers Vorsitz, als juristischer Beisitzer im HEROLDs-Ausschuss für die Deutsche Wappenrolle, deren neue Satzung (vom 5. Mai 1949) er entwarf. Daraus entstand erst eine enge und spannungsreiche Kooperation, die nach zehn Jahren schließlich eskalierte und in eine unüberbrückbare Gegnerschaft, in Konkurrenzgefühle und schließlich in unversöhnlichen Hass umschlug, der nicht nur zur Vereinsspaltung führte, sondern dem Ausland gegenüber noch jahrzehntelang das unwürdige Schauspiel der „querelle d’allemand“ bot. Auslöser der lange nachwirkenden sogen. Neubecker-Krise des HEROLD war der Rücktritt von Dr. Heinz Hugo nach zwei Jahren vom Vereinvorsitz des HEROLD, den Neubecker zum Anlass für eine Satzungsreform nahm. Mit vielen Vollmachten ausgerüstet, ließ er sich am 3. Februar 1960 als Schriftführer und Chef der Deutschen Wappenrolle ins neugebildete „Präsidium“ wählen, neben Dr. Kurt-Gerhard Klietmann als (bald kaltgestellter) Präsident. Das hörte sich in Hugos Worten allerdings so an, dass „ein gewissenloser Funktionär sich des Vereins vorübergehend im Handstreich für seine privaten Zwecke bemächtigte und mit juristischen Mitteln ausgeschaltet werden musste“53. Damit war Arndts große Stunde gekommen 49 50
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Erschienen sind 3 Bände, Neustadt/A. 1964, 1971 und 1988. Mit der Bearbeitung des Wappenbuchs durch Jürgen Arndt mit Beiträgen von Heinz Angermeier, Albert Barthelmeß, Heinz Duchhardt, Gerhard Hirschmann und Irmgard Höß sollte eine neue Reihe des HEROLD „Wappenbücher des Mittelalters“ begründet werden. Erschienen ist jedoch bislang nur ein weiterer Band. Erschienen in der Reihe Die bibliophilen Taschenbücher, Bd. 81, 3. Aufl. Dortmund 1984. Vgl. Archiv des HEROLD, Berlin-Dahlem, Matrikelakte Arndt (Nr. 55). So kommentierte Dr. Heinz Hugo Dr. Neubeckers Wirken in seinem Antrag vom 18. Dezember 1979 an den Schriftführer des Vereins, Herrn Dr. Kurt Wegener, um Jürgen Arndt die Ehrenmitgliedschaft des HEROLD zu verleihen (vgl. Matrikelakte).
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(und aus der Stunde wurden Tage und Jahre), in der er alle juristischen Register zog, um nicht nur mit Hilfe von „Freunden des alten HEROLD“54 gegen Neubecker und den von ihm personell „unterwanderten“ amtlichen Notvorstand zwei Jahre lang zu Felde zu ziehen, sondern ihn nach Rückkehr zu satzungsmäßigen Verhältnissen am 14. Dezember 1962 unter dem neuen Vorsitz von Dr. phil. Rudolf Stöwesand wegen Vereinsschädigung auszuschließen. Mehrere Prozesse gegen Neubecker vor dem Amts-, dem Land- und dem Kammergericht folgten, bis sie vor dem Europarat 1977 endlich beigelegt wurden.55 Natürlich ging es darin ums Geld, um Unterschlagung, aber auch um vorenthaltene Akten und Bücher, um üble Nachrede, doch will ich Sie mit diesem für beide Seiten unrühmlich geführten Paragraphenkrieg hier weder langweilen noch amüsieren, sondern auf die Folgen und endlich, wie angekündigt, auf die wundersame Verwandlung des einen HEROLD in einen zweiten eingehen, die sich in Mainz ereignete, nachdem Ottfried Neubecker Berlin den Rücken gekehrt hatte. Der HEROLD „verdoppelte“ sich dort gleichsam, indem Neubecker 1963 den „Wappen-Herold“ aus der Taufe hob, an dessen Spitze bis 1978 (zunächst) sein Parteigänger, der Dipl.-Brauingenieur Alexander v. Kempski Rakoszyn, nein, nicht als Vorsitzender, sondern eben als „Präsident“ trat, Neubecker als „Direktor“ seiner neu gegründeten „Allgemeinen Deutschen Wappenrolle“ (im „Unterschied“ zur Deutschen Wappenrolle) zugleich die Schriftführung übernahm und als Einführung für Laien auch noch eine „Kleine Wappenfibel“ (im „Unterschied“ zur Wappenfibel des Traditionsvereins, Konstanz 1969) verfasste. Die Irreführung war nicht zufällig, sondern beabsichtigt, Missverständnisse vorprogrammiert, obwohl sie, auch heraldisch gesehen, unbedingt vermieden werden sollten. Trotz großer Anstrengungen, vor allem von Alfred F. Wolfert in Berlin, der den Berliner Arbeitskreises
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Vgl. dazu die Akte der „Freunde“ im HEROLD-Archiv, mit deren Hilfe vor allem Vollmachten für Arndts Seite beschafft werden sollten, während der am 20./28. März 1961 vom Amtsgericht eingesetzte Notvorstand von Parteigängern Neubeckers unter Rechtsanwalt Bohmbach beeinflusst war. So drohte die Hauptversammlung vom 14. Dezember 1962, die im Geheimen Staatsarchiv unter „polizeilicher Beschattung“ (auf Antrag von Direktor Dr. G. Zimmermann, vgl. seinen Bericht an das auswärtige Vorstandsmitglied Bürgermeister a. D. Hans Horstmann in Münster/Westf. vom 17. Dezember 1962) stattfand, mit einem Eklat zu enden – der jedoch ausblieb. Dr. R. Stöwesand wurde mit einer Zweidrittel-Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt und Dr. O. Neubecker am 3. Januar 1963 aus dem HEROLD ausgeschlossen (vgl. Vorstandsprotokoll vom 11. April 1963, ferner vom 21. November 1962, 26. Februar 1963 und vom 21. Januar 1964 betr. Strafanzeigen). Die Handakten Zimmermanns sind dem Autor 1974 übereignet worden. Vgl. die Requeˆte No. 6281173 des Europarates: Otto Friedrich Neubecker contre République Fédérale d’Allemagne, Rapport de la Commission, adopté le 9 mars 1977, Straßburger Exemplar. Aus den Handakten von A. F. Wolfert
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des Wappen-Herold leitete, „florierte“ diese Vereinsdublette nicht56, obwohl Neubecker für seinen Verein eine exzellente Zeitschrift ,Tappert‘ (Heroldsrock) mit etlichen Nummern herausbrachte57. Versuche junger Vereinsmitglieder, einen Brückenschlag herbeizuführen, scheiterten an der damaligen Bunker-Mentalität des von Arndt beherrschten HEROLD-Vorstandes“58. Neubecker war national isoliert, wozu auch die von Arndt organisierten Heraldiker-Zusammenkünfte59 im Rahmen der Deutschen Genealogentage von 1970 bis 1990 beitrugen, Arndts Berliner HEROLD wurde dagegen international „geschnitten“, denn in den Augen des Auslands blieb Neubecker „der“ führende deutsche Heraldiker, auch im Vorstand der Internationalen Akademie für Heraldik. Da nützte es Arndt wenig, als Mitveranstalter des 12. Internationalen Kongresses für genealogische und heraldische Wissenschaften in München aufzutreten60, eines Kongresses, der nun nach 36 Jahren wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt ist. Will man vergleichen, so gibt es wohl nur wenige Wesenszüge, die Neubecker und Arndt gemeinsam haben, doch dazu gehört 1. die Liebe zur Heraldik und zwar als Ausdruck visualisierter Geschichte, 2. eine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit als Voraussetzung für ein bedeutendes wissenschaftliches Werk, 3. die Juristerei als prägendes Milieu, bei Neubecker: Elternhaus und abgebrochenes Studium (das er sogar vor dem Berliner Landgericht noch für ausreichend hielt, sich selbst zu verteidigen, und übrigens gar einen seiner Söhne motivierte, nämlich Dipl.-Ing. Klaus Neubecker, Patentanwalt zu werden) und bei Arndt: Studium und Beruf, 4. die große Hilfsbereitschaft beider, die sich in der Beantwortung unendlicher Anfragen widerspiegelte, 5. der damit verbundene aufklärerische Impuls, von beiden emotional vorgetragen, von Neubecker eher sanguinisch und modern, von Arndt eher gewollt-rational und konservativ, der eine weltmännisch, 56
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Die Gründung des „Wappen-Herold, Deutsche Heraldische Gesellschaft“ wurde im Staatsanzeiger von Rheinland-Pfalz vom 17. November 1963 veröffentlicht. In seinen besten Zeiten (1968) brachte es Neubeckers Verein, soweit bekannt, auf rd. 220 Mitglieder (1985), heute sind es keine 50 mehr. Erschienen von 1964–1979. Leider blieb das Gesamtregister von A. F. Wolfert bisher unveröffentlicht. Arnold Rabbow: Neubecker (wie Anm. 31), S. 28. Arndt war 1958–1960 und 1969– 1996 stellvertretender Vorsitzender des HEROLD, außerdem Vorsitzender des HEROLDs-Ausschusses für die Deutsche Wappenrolle von 1962-1998, Ehrenmitglied wurde er kurz vor seinem Tode im Jahre 1997 (frühere Versuche, ihn dazu zu ernennen, lehnte er stets ab). Vgl. meinen noch unveröffentlichten Vortrag „Bacillus heraldicum“ – Diagnose und Therapie, Rückblick auf die Heraldikertreffen des HEROLD 1970–1990“ in der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften am 24. April 2009 in Berlin, wiederholt auf der HEROLD-Sitzung des 61. Deutschen Genealogentag in Bielefeld im September desselben Jahres. Abdruck in Herold-Studien 9 (2014), S. 13–26 erfolgt. Vgl. Der Herold NF, Bd. 8 (1977), S. 181 ff.
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der andere preußisch, schließlich 6. die Freude an eigenen Auszeichnungen (Neubecker erhielt das Komturkreuz mit Stern des 1944 gestifteten spanischen Ordens San Raimundo de Peñafort und das Bundesverdienstkreuz am Bande 1983, Arndt die Bardeleben-Medaille 1985 sowie das Große Bundesverdienstkreuz 1990). Der spiritus rector unserer Tagung, Dr. Rolf Sutter, sah auf dem Interkongress in Brügge (2004) in seinem bemerkenswerten Versuch einer Standortbestimmung61 das Wappenwesen vom Werteverfall bedroht. Ursächlich erschien ihm u. a. die digitale Kommunikation, durch die unprofessionelle Informationen breiter gestreut würden als früher, was zu einer allgemeinen Verunsicherung führe. Ursächlich erschien ihm auch die fehlende heraldische Kompetenz deutscher Verwaltungsstellen, die allenfalls (wenn auch rückläufig) noch bei Archiven feststellbar sei62, ferner der Provinzialismus der rund einhundert familienkundlichen Vereine mit ihren wenigen heraldischen Beratern, die sich teils als kooperationsunfähig, teils aber auch als kooperationsunwillig erwiesen hätten. Dieser pessimistischen Diagnose möchte ich optimistischer entgegen halten, dass sich 1. in Berlin längst ein überregionales Kompetenzzentrum beim HEROLD gebildet hat, dass 2. durchaus Ansätze zu der von Sutter geforderten Regulierung und Vereinheitlichung bestehen, wie die „Berliner Erklärung über Gestaltungsgrundsätze“ vom 24. April2009 zeigt (übrigens sofort von mehreren Zeitschriften verbreitet und von mir ebenfalls im „Repetitorium heraldicum“
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Auf dem 26. Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Brügge (2004) sprach Rolf Sutter über „ Genealogie und Heraldik am Beginn des dritten Millenniums“. Diese Inkompetenz führt zu „logoisierten“ Landeswappen, zu Bildmarken als vermeintlichen Sympathieträgern, selbst zu heraldisch identischen Wappen, wie vom badischen Generallandesarchiv 1930 für die Orte Hasel bzw. Haslach 1960 genehmigt. Ich bedanke mich bei R. Sutter für die Überlassung seines Manuskripts: Heraldik im deutschsprachigen Raum – eine Momentaufnahme (18 S., hier S. 2–4), das aus Zeitgründen auf der Tagung der Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ (wie Anm. 59) im April 2009 im Otto-Warburg-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem nicht mehr vorgetragen werden konnte (Abdruck in den „Herold-Studien“ geplant). Damit ergänzte er seine frühere Momentaufnahme „Logo ad portas“, die er auf dem 25. Internationalen Kongress für genealogische und heraldische Wissenschaften (Dublin 2002) „zum aktuellen Verhältnis zwischen ,Identitätsbildzeichen/Logo‘ und Wappen in der deutschen Staatsheraldik“ vortrug. Der von Sutter kritisierte Mangel an Heraldik-Kenntnissen von Archivaren des mittleren Archivdienstes in Bayern relativiert sich allerdings, wenn man bedenkt, dass Wappenkunde zum Unterrichtsstoff des gehobenen wie des höheren Archivdienstes zählt (S. 18, Anm. 4), nicht nur in Bayern, wenn auch nur in Form einer Grundausbildung. Der mittlere (wie der untere) Dienst kommt m. E. gut und gerne ohne solche Spezialkenntnisse aus.
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nachgedruckt63), dass 3. ernst zu nehmende Bemühungen um ein einheitliches Berufsbild des „Heraldikers“ zu erkennen sind, wenn Sie an die im Oktober 2009 vom HEROLDs-Ausschuss für die Deutsche Wappenrolle veranstaltete und vom Verein „Zum Kleeblatt“ in Hannover unterstützte Seminarwoche zur Vermittlung heraldischen Grundwissens denken, die mit einer Abschlussprüfung und dem Diplom „geprüfter Heraldiker/HEROLD“ abschloss (für die Wiederholung im Oktober 2011 gibt es bereits Voranmeldungen) und dass 4. auch studentisches Interesse an der Heraldik zu verzeichnen ist, wie ich wieder in meiner eigenen Lehrveranstaltung an der HumboldtUniversität zu Berlin über „Wappen und Siegel für Historiker und Kunsthistoriker“ im letzten Sommersemester erfahren habe, deren 18 Teilnehmer (übrigens die Hälfte weiblich), bis auf einen, auch die Abschlußklausur bestanden haben, drei von ihnen sogar mit „sehr gut“. Meine abschließende Diagnose gilt weniger dem Werteverfall als dem Wertewandel, die Prognose weniger der Divergenz als der Konvergenz – das halb leere Glas ist m. E. halb voll. Es ist somit überfällig, die heraldische Spaltung Deutschlands zu überwinden und damit eine fachliche Wende herbeizuführen.
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Die „Berliner Erklärung“ ist anlässlich der 31. Tagung der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften am 24. April 2009 im Otto-Warburg-Haus in Berlin-Dahlem durchgeführten Sondersitzung (wie Anm. 59) des HEROLDs-Ausschusses für die Deutsche Wappenrolle zum Thema „Wappen heute – Zukunft der Heraldik“ verabschiedet worden, abgedruckt in: Der Herold NF 52 (2009), S. 459–460, ferner in Genealogie 58 (2009), S. 262–263, in: Adler, Zeitschrift für Genealogie und Heraldik 39 (2009), S. 142–144 (kommentiert von Michael Göbl) und in: Orden und Ehrenzeichen 11 = H. 64 (2009), S. 352–353 (kommentiert von Dietrich Herfurth). Nachdruck auch bei Eckart Henning: Repetitorium heraldicum. 150 Fragen & Antworten zu Wappenkunde. Berlin 2010, S. 108–109. Außer den Gestaltungsgrundsätzen für Wappen war die Frage der Führungsberechtigung von Wappen zu klären, die nicht auf die männlichen Nachkommen beschränkt, sondern auf alle Namensträger einer Familie ausgedehnt werden soll (Wappenrecht folgt Namensrecht), vgl. dazu den angeglichenen Passus in der Satzung der Deutschen Wappenrolle vom 9. März 2009. De facto entscheiden sich allerdings die meisten neuen Wappenherren weiterhin für eine auf den Mannesstamm beschränkte Führungsberechtigung.
Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich * Um den gegenwärtigen Forschungsstand zu ermitteln, bedarf es bibliographischer Erhebungen, die sich in diesem Falle oft als mühsam und lückenhaft erweisen, da ein vergleichbares Werk wie die „Bibliographie de la Sigillographie Française“1 von René Gandilhon und Michel Pastoureau für Deutschland und Österreich bisher fehlt. Auch werden sicher noch einige Jahre verstreichen, ehe ich mit bibliothekarischer Unterstützung von Gabriele Jochums (Duisburg) unserer soeben erschienenen „Bibliographie zur Heraldik“2, die wenigstens Literatur über die sogenannten „Wappensiegel“3, wie überhaupt aus dem weiten Berührungsbereich der Wappen und Siegel verzeichnet4, auch einen eigenen Schrifttumsnachweis zur Sphragistik im Rahmen der von mir im Kölner Böhlau Verlag herausgegebenen „Bibliographie zu den Historischen Hilfswissenschaften“ an die Seite stellen kann. Ich habe daher auch nicht die Absicht, heute parallel zu meinem Vortrag in Madrid anläßlich des XV. Internationalen Kongresses für genealogische und heraldische Wissenschaften, wo ich die „Entwicklung der heraldischen Bibliographie Deutschlands und Österreichs seit dem 17. Jahrhundert“ darstellte5, bereits näher auf ältere Vorarbeiten zu einer sphragistischen Bibliographie einzugehen, sondern möchte mich hier darauf beschränken, statt dessen einleitend auf die neueren von Erich Kittel seit 1932 bearbeiteten Literaturübersichten für die Jahresberichte für Deutsche Geschichte6 hinzu*
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Erstmals erschienen als ein mit Anmerkungen und Nachweisen versehener Vortrag vom 20.8.1984 in: Genealogie & Heraldica. Report of the 16th International Congress of Genealogical and Heraldic Science in Helsinki, ed. by Tom Bergroth, Helsinki 1986, S. 335–347, ergänzt nachgedruckt in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 549–562. René Gandilhon/Michel Pastoureau, Bibliographie de la Sigillographie Française, Paris 1982, 224 S. (verzeichnet 2542 Titel). Bibliographie zur Heraldik. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980, bearb. von Eckart Henning und Gabriele Jochums. Köln, Wien 1984, 546 S. (Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften 1). Ib. Wappen auf Siegeln, S. 152 ff. Vgl. ib. Die Wechselbeziehungen zwischen der Heraldik und Sphragistik S. 398, ferner alle Einzelnachweise im Sachregister zu „Siegelkunde“, S. 517. In: Comunicaciones al XV. Congreso internacional de las ciencias genealogica y heraldica 19.–26.9.1982. Volumen oficial Madrid 1983, S. 237–250 desgl. in Band II, S. 211–224 der dreibändigen Gesamtausgabe sämtl. Vorträge. Vorläufer waren die Jahresberichte der deutschen Geschichte“, von Victor Loewe und Manfred Stimming, Breslau 1920–26. Sie wurden fortgesetzt durch die Jahresberichte für Deutsche Geschichte“ unter Mitarbeit von Victor Loewe hg. von Albert Brackmann und Fritz Hartung, 1925 ff.
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weisen. Dort meldete er bis 1942, zuletzt in Band 15/16 für 1939/40 alle Titel über „Wappen, Siegel, Fahnen und Flaggen“, die ihm bekannt wurden7. Die „Jahresberichte“ erschienen nach 1945 weiter in Leipzig und bleiben auch sphragistisch beachtlich, doch Kittel setzte seine Berichterstattung in den zunächst in Wiesbaden von Otto Renkhoff, heute in Göttingen von Hans Patze redigierten „Blättern für deutsche Landesgeschichte“ in regelmäßigen Abständen fort, wo er nicht nur Titellisten zur Sphragistik veröffentlichte, sondern auch Neuerscheinungen kritisch würdigte8. Seit Kittels letztem Bericht 1971 steht es auch mit der periodischen sphragistischen Fachbibliographie Deutschlands und Österreichs nicht mehr zum Besten9. Eine Fortsetzung dieser wichtigen Berichte war zwar geplant, blieb aber trotz aller Bemühungen des Herausgebers der „Blätter“ aus, bis sich der Vortragende auf seinen Wunsch 1982 aufgrund der Vorarbeiten für die erwähnte heraldische Bibliographie bereit fand, zunächst außer einer Titelliste heraldischer Neuerscheinungen („Wappen 1971 bis 1981“) zur Überbrückung, parallel dazu auch eine der „Siegel 1971 bis 1981“ zusammenzustellen; erstere ist bereits erschienen10, letztere befindet sich jetzt im Druck11. Damit wäre wenigstens der Anschluß an unsere Gegenwart hergestellt bzw. die Fortsetzung durch weitere Sammelberichte in Sicht, die ich in ähnlicher Weise wie Kittel zu gestalten hoffe. Für eine Standortbestimmung der heutigen Siegelforschung und ihrer Postulate ist es unerläßlich, nach dieser mehr formal-bibliographischen Vorbemerkung, auch inhaltlich auf die letzte umfassende Darstellung unseres Gegenstandes, d. h. auf Erich Kittels „Siegel“-Buch zurückzugreifen, das 1970 in Braunschweig erschien12. Dieses verdienstvolle Werk ist als wissenschaftliches Vermächtnis des 1974 verstorbenen Detmolder Staatsarchiv7
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Teil IX für 1932 in Jg. 8, 1934, Nrn. 388–411; für 1933/34 in Jg. 9/10, 1936, Nrn. 453–462; für 1935 in Jg. 11, 1936, Nrn. 375–393; für 1936 in Jg. 12, 1937, Nrn. 334– 352; für 1937 in Jg. 13, 1939, Nrn. 404–422; für 1938 in Jg. 14, 1940, Nrn. 416–44; für 1939 in Jgg. 15/16, 1942, Nrn. 734–768. Wappen und Siegel im Schrifttum der Nachkriegszeit: 1945–1956 in Jg. 93, 1957, S. 350–388 (313 Titel); Wappen und Siegel 1957–1958 nebst Nachtrag für 1945–1956 in Jg. 95, 1959, S. 375–408 (258 Titel); Wappen und Siegel 1959-1961 in Jg. 98, 1962, S. 285–333 (427 Titel); Wappen und Siegel 1962–1963 in Jg. 100, 1964, S. 386–432 (298 Titel); Wappen und Siegel 1961–1966 in Jg. 103, 1961 S. 241–307 (441 Titel); Sammelbesprechung zur Heraldik und Sphragistik in Jg. 106, 1970, S. 210–228; Wappen und Siegel 1967–1970 in Jg. 107 1971, S. 275–337. Auch die große Bibliographie, die Erich Kittel seiner unten im Text beschriebenen Monographie über die Siegel (1970) auf 45 Seiten beigab, stellt nur eine kumulierende Auswahl aus seinen Schrifttumsberichten dar und bietet kein neues Material. Wappen 1971–1981. Sammelbericht von E. Henning, in: BllDtLdG 118, 1982, S. 384–406. Ib. Bd. 119, 1983, S. 287–301 erschienen im Herbst 1984 Wie Anm. 3.
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direktors anzusehen13, der übrigens im Erscheinungsjahr des Buches zum letzten Mal in Wien den Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften besuchte, wo die Tagung mit der Hundertjahrfeier des „Adler“ verknüpft war14. Damals war es mir noch möglich, verschiedene Problempunkte seiner Darstellung, auf die den Verfasser später auch Kritiker aufmerksam machten, mit ihm zu erörtern. Entscheidend bleiben aber die unser bisheriges sphragistisches Wissen weiterführenden Teile, wo er weniger die Erkenntnisse anderer zusammenfaßt, als eigene Forschungen fortführt, etwa über die Sekretsiegel (als ursprüngliche Briefverschlußsiegel), die Landfriedenssiegel, oder dort, wo er auf die Unterschiede eingeht, die zwischen den Siegeln des höheren und des niederen Adels bestehen. Auch Kittels kühne, gut ein Viertel seines Buches ausmachende, exkursartige Einführung in das Siegelwesen der antiken Welt, die eine Brücke zwischen den orientalischen und abendländischen Siegeln herstellen möchte, ist neu – sie fehlt in allen bekannten älteren Leitfäden gänzlich15. Kein Zweifel, daß diese Vorzüge Kittels Buch, auch wenn es leider ganz ohne Anmerkungen und Sachregister auskommen mußte, „zu einer ungewöhnlichen Erscheinung in der sphragistischen Literatur Deutschlands“16 machen, wie Karl E. Demandt meinte, denn „nur einem Sachkenner ersten Ranges war es möglich, die Fülle des Materials klar und übersichtlich in einem gestrafften, gut lesbaren Text darzustellen“17, wie Joseph König dem Verfasser bescheinigte. Auch Kittels ehemaliger, wegen seiner unbestechlichen Kritiken gefürchteter Kollege am Dahlemer Institut für Archivwissenschaft, Johannes Schultze, nannte es unumwunden „ein grundlegendes, schönes Standardwerk“18. Bascapé (Mailand), Kloos (München) und Zöllner (Wien) urteilten trotz aller Ergänzungen und Berichtigungen im einzelnen ähnlich positiv, doch gab es nach Erscheinen der Monographie auch andere Stimmen: Toni Diederich, Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, erhob Kittels Buch zwar „zur bedeutendsten deutschen Veröffentlichung auf diesem Gebiet seit Ilgens Sphragistik19 und Ewalds
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Vgl. Günther Engelbert, Bibliographie Erich Kittel, in: Lippische Mitteilungen 41, 1972, S. 331–342. Dazu Eckart Henning, Der V. Internationale Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften und die Hundertjahrfeier des Adler in Wien, in: Der Herold. Vierteljahrsschrift NF. Bd. VII, H. 8, 1970, S. 211–213. Vgl. auch: Erich Kittel, Antike Siegel, in: Genealogica et Heraldica. Kongreßbericht des 10. Intern. Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften vom 14.–19.9.1970, hg. von F. Gall und H. Jäger-Sunstenau, Bd. 2, Wien 1972, S. 597– 602. Rez. in: Das Historisch-politische Buch 19, 1971, S. 323–324. Rez. im NdSächsJbLdG 44, 1972, S. 330–339. Rez. in: Vierteljahrsschrift Herold NF. 7, 1971, S. 254–256. Th. Ilgen, Sphragistik. 1912 (Meisters Grundriß der Geschichtswissenschaft, 1, 4).
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Siegelkunde“20, fügte allerdings einschränkend hinzu: „ersetzt sind diese durch das Werk Kittels jedoch nicht“21. Das bekräftigte auch Günter Rauch, wenn er in der „Historischen Zeitschrift“ schrieb: „Ewalds Siegelkunde, vor einigen Jahren unverändert nachgedruckt, wird in keiner Weise ersetzt, obwohl sie bei ihrem ehrwürdigen Alter den wissenschaftlichen Ruhestand redlich verdient hätte“22. Selbst wenn Rauch damit polemisch und auch sonst nicht immer kompetent genug über sein Ziel hinausschoß, was ihm noch eine posthum erschienene „Entgegnung“23 des Autors eintrug, so bleibt doch das folgende, vorsichtiger formulierte Fazit Diederichs beherzigenswert: „Die kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Kapiteln der Kittelschen Siegelkunde läßt sichtbar werden, daß heute ... auch der beste Fachmann fast überfordert ist, allein ein umfassendes und allseits befriedigendes Handbuch der Siegelkunde zu schreiben“24. Diese Mahnung sollte nicht ungehört verhallen, bzw. den Anstoß zu einem lexikalisch-knappen Gemeinschaftswerk geben, dessen die moderne Siegelkunde bedarf, wobei als Vorbild auch Handbücher verwandter Disziplinen dienen könnten, wie sie etwa der 1869 gegründete und auch um die Pflege der Sphragistik verdiente Berliner Verein „Herold“, 1972 für die Genealogie25 und zuletzt 1981 für die Heraldik vorgelegt hat26. Zieht man an dieser Stelle eine Zwischenbilanz, so läßt sich feststellen, daß sowohl eine abgeschlossene wie eine periodische Fachbibliographie fehlen und trotz wertvollster Vorarbeiten ein modernes, den gegenwärtigen Anforderungen genügendes Handbuch zur Sphragistik Desiderat blieb. Es sollte auch die folgenden, die Diskussion der letzten zehn Jahre beherrschenden Themen aufgreifen und breiter zur Darstellung bringen: Konservierung, Restaurierung und Reproduktion der Siegel (= I); Inventarisierung (= II); Neuere Forschungen zum Quellenwert der Siegelkunde (= III) als einer „domaine pluridisciplinaire par excellence“ (M. Pastoureau).
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W. Ewald, Siegelkunde. Nachdr. d. Ausgabe von 1914, München 1969; dass. München 1975, XI, 244 S. (Handbuch der mittelalterl. und neueren Geschichte, Abt. 4). Rez. in: AnnHistVNdRhein 173, 1971, S. 251–256, hier: Schlußsatz. Rez. in: HZ 216, 1973, S. 629–631, hier S. 631. Desgl. in: HZ 218, 1974, S. 258 f. Wie Anm. 21. Handbuch für Genealogie. Für den Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin unter Beteiligung zahlreicher Mitarbeiter bearb. u. hg. von E. Henning und W. Ribbe, Neustadt/Aisch 1972, 304 S. m. zahlr., z. T. mehrfarbigen Abb. Wappenfibel, Handbuch der Heraldik. Begr. durch A. M. Hildebrandt, 17. verb, u. erw. Aufl., hrsg. vom Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, bearb. vom Herolds-Ausschuß für die Deutsche Wappenrolle, Neustadt/Aisch 1981, 248 S., zahlr. Abb.
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I Das Thema der Konservierung, Restaurierung und Reproduktion der Siegel ist nicht eben neu, doch hat der Ruf nach ihrer Erhaltung in den letzten Jahren erfreulicherweise an Dringlichkeit gewonnen. Das war auch notwendig, da leider diese höchst zerbrechliche Quellengattung aus Wachs und Lack27 „keine Lobby“ hat und ständigen28 Risiken ausgesetzt ist: – Die Tütenlagerung mehrerer Siegelurkunden übereinander in Archivkästen bringt eine Gefährdung durch Druck und Abrieb, vor allem bei zarten Gebilden oder Mehrfachstücken mit sich. Empfehlenswerter ist daher die hängende Aufbewahrung geglätteter Urkunden in säurefreien Folien mit Schutzronden für die Siegel (Stadtarchiv Köln)29 oder in individuell angefertigten Kästen für jede einzelne Siegelurkunde (Staatsarchiv Detmold). Aber auch eine Lagerung in stehenden Urkundenkästen (Staatsarchiv Marburg), die billiger als die beiden vorgenannten ist, erscheint empfehlenswert, wobei die einzelnen Siegel zu ihrem Schutz in Seidenpapier eingewickelt werden sollten. – Weitere Schäden erwachsen den Siegeln häufiger durch den Transport der Aktenwagen in den Archiven, von dem die unscheinbaren Urkundentüten leicht herunterrutschen können, zumal wenn sie mit anderen Archivalien zusammen ausgehoben und befördert werden; gefährlich ist auch jede weitere Zwischenlagerung im Regal, wo es leicht zu Druckbeschädigungen durch schwerere Akten und Amtsbücher kommt, mehr noch durch den Transport außer Haus, der wenigstens durch Boten und nicht mehr durch Firmendienste oder gar per Post erfolgen sollte. – Der größte „Feind“ der Siegel ist aber in der Regel der im Umgang mit nahezu unverwüstlichen Pergamenturkunden nur allzu erfahrene Archivbesucher, der oft mit den empfindlichen Siegeln in ihren engen genormten Taschen oder Tüten zu sorglos bzw. routiniert verfährt (= unkontrollierbare Abnutzung), zumal sein Interesse in der Regel eben dem Inhalt der Diplome, nicht aber ihrer Beglaubigungsform gilt. 27
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Gefährdet sind allerdings auch die von Korrosion bedrohten Bleibullen; über Maßnahmen gegen diesen „Bleikrebs“ vgl. Der Archivar 28 (1975), Sp. 91 und vorher H. Kühn, Neue Reinigungsmethoden für korrodierte Bleigegenstände, in: Museumskunde 29, 1960, S. 156–161. Zur Konservierung von Goldbullen vgl. Der Archivar 36, 1983, Sp. 76. T. Diederich, Die Erhaltung von Siegeln. Eine vordringliche Aufgabe des Denkmalschutzes für die Archive, in: Der Archivar 34, 1981, Sp. 379–388, hier Sp. 385. Vgl. H. Stehkämper, Die Urkundenverwahrung im historischen Archiv der Stadt Köln, in: Der Archivar 28, 1975, Sp. 157–164 und M. P. van Buijt Buijtenen, Moderne Urkunden- und Kartenaufbewahrung im Reichsarchiv zu Utrecht, in: Der Archivar 26, 1973, Sp. 651–664.
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Diederich wies zur Demonstration ähnlicher Forderungen nach größerer Sorgfalt in der Siegelbenutzung darauf hin, daß er bei seinen Forschungen an rheinischen Städtesiegeln oft nicht mehr auf jene unbeschädigten Originalabdrücke zurückgreifen konnte, die Ewald in seinen bekannten Tafelbänden noch zur Verfügung standen30. Daraus ergibt sich die Forderung nach Konservierung der Siegel, die aber angesichts der unübersehbaren Schäden an Tausenden von Abdrücken nur im Einzelfall vorankommen kann. Aus der Ohnmacht der archivischen Restaurierungswerkstätten, die in diesen Arbeiten zwar erfahren, durch sie und andere aber auch völlig überlastet sind, ergibt sich als empfehlenswerte Maßnahme neben einer siegelgerechten Lagerung nur die Sperrung besonders gefährdeter Siegelurkunden, falls man nicht überhaupt dazu übergehen muß, nur noch Benutzerfilme auszugeben, wo es um den Inhalt der Urkunden geht, nicht um ein diplomatisches oder sphragistisches Anliegen. Daneben ist der Aufbau eines Negativarchivs von Siegelaufnahmen dringend zu fordern, zumal Abgüsse vielleicht nicht allen wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht zu werden vermögen. Rainer Kahsnitz begründet das wie folgt: „Siegel sind in der Regel so klein und die winzigen Details der Gesichter und Gewandfalten ihrer Figuren für die Erkenntnis ihres künstlerischen Ranges bereits so entscheidend, daß die beim zweiten Reproduktionsvorgang, dem Abdruck vom Wachsabdruck, eintretende Vergröberung ihre künstlerische Form bereits zu sehr verunklärt“31. Andere, wie Eberhard Gönner, bewerten Silikonnegative, von denen dann alterungsfähige Abgüsse hergestellt werden können, weniger negativ32. Auf jeden Fall eignet sich ein Siegelkabinett von Abgüssen wie etwa in Brüssel (1974 waren es 35.000 Gipsabdrücke, geplant sind 120.000 Stück), wo es auch dem Service éducatif zur Verfügung steht, nicht nur hervorragend für pädagogische Zwecke, sondern auch zur Popularisierung der Siegel, die einen großen Käufer- und Sammlerkreis finden. Leider gehören sie noch immer nicht, wie z. B. im Nationalarchiv in Paris, zum Standardangebot der Verkaufsvitrinen eines jeden deutschen Staatsarchivs.
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W. Ewald, Rheinische Siegel IV. Siegel der Stifte, Klöster und geistlichen Dignitäre. 1. Halbband Tf. 1–56 u. Nachtr. Taf. 117 bis 128. Siegel der Koporationen. Textband, bearb. u. erw. von Edith Meyer-Wurmbach, Bonn 1972, XIII, 193 S. – Dass., Halbband 2, Taf. 57–116 u. Nachtr. Taf. 117–128. Textband, Köln 1975 (PubllGesRheinGKde 27). Nachdruck Taf. 1–116, 1976. R. Kahsnitz: Siegel und Goldbullen (wie Anm. 71), Bd. I, S. 19. E. Gönner im Sammelbericht zur Fachtagung über „Siegelforschung ... (wie Anm. 35), S. 24 in der Diskussion zum 3. Referat von R. Kahsnitz über „Siegelforschung und Kunstgeschichte“, ib. S. 18–24. – Zu Restaurierungsfragen vgl. den Siegelteil des Tagungsbeitrags über: Gesicherte und umstrittene Methoden der Archivalienrestaurierung, in: Der Archivar 29, 1976, Sp. 283–298, hier Sp. 293–298 und die Restaurierungsgrundsätze des Internationalen Komitees für Siegelkunde in: Archivum 9, 1959, S. 191.
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II Die Notwendigkeit sphragistischer Inventare ist in den letzten Jahren angesichts wachsender Schäden am Archivgut der Siegel besonders nachdrücklich und kürzlich durch Dieter Hebig vom Staatsarchiv Potsdam unterstrichen worden. Das Ziel einer solchen Erfassung bleibt zunächst „der vollständige Nachweis aller in einem Archiv verwahrten Siegel, unabhängig von der Art ihres Vorkommens und ihrer Aufbewahrung“33, womit in der DDR der Pflicht zur Registrierung nach dem Kulturgutschutzgesetz (1980) genüge getan werden soll34. Sinn eines Siegelinventars aus der Sicht der Archive ist erstens die Sicherung dieses besonderen Archivguts, da sich die Siegel leicht von ihren Urkunden abtrennen lassen oder bereits lose sind, so daß die Gefahr der Entfremdung durch Sammler oder der Verlust aus Unachtsamkeit droht. Zweitens dient das Inventar insofern der Substanzerhaltung der Siegel, als es erstmals eine gezielte Restaurierung besonders hochwertiger, seltener oder gefährdeter Stücke ermöglicht; als Instrument kontinuierlicher Überprüfung bietet es auch die Gelegenheit der Rekonstruktion von Siegelfragmenten, besonders wenn mehrere Teile des gleichen Typs vorhanden sind. Drittens läßt sich sowohl die sphragistische Auskunftstätigkeit als auch die Öffentlichkeitsarbeit (Ausstellungen, Dokumentationen) der Archive durch eine Kartei rationalisieren, da die bisherige zeitaufwendige und bestandsgefährdende Suche nach den am besten erhaltenen Abdrucken eines Typars oder besonderen Siegelmotiven unterbleibt. Inventare erleichtern aber nicht nur die archivische Arbeit, sondern stellen vor allem die sphragistische Forschung auf eine völlig neue Grundlage, verbessern die Quellenkenntnis, machen das vorhandene Material verfügbar und bekannt, das vorher mehr zufällig, je nach den mehr oder weniger vorhandenen Bearbeiterinformationen, herangezogen, aber keineswegs systematisch genug ausgewertet werden konnte. Wenn nun aber, trotz vorhandener Einsicht in die Notwendigkeit von Inventaren diese bisher nicht in ausreichender Anzahl erstellt wurden, so liegt dies nur mittelbar am Massenproblem. Vielmehr litt die Erschließung großer Siegelmengen bzw. umfangreicher „siegelträchtiger“ Urkundenbestände nur allzuoft unter dem Perfektionsstreben der Bearbeiter bzw. ihrer Auftraggeber. Auch hier gilt der Grundsatz: „das Bessere ist der Feind des Guten!“, womit ich meine, daß ein durchführbares Minimalnachweisprogramm dem Ideal einer genaueren Beschreibung ganzer Siegelbestände vorzuziehen 33
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D. Hebig, Zur Inventarisierung der Siegel im Staatsarchiv Potsdam, in: Archivmitt. 2, 1984, S. 48–51, hier S. 48. Gesetz zum Schutz des Kulturgutes der DDR vom 3. Juli 1980, GBI. I Nr. 20, S. 191; 1. DB dazu. GBI. I Nr. 20, S. 213. – Auch in: Archivmitteilungen 30, 1980, S. 179.
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bleibt. Hier setzen vor allem „Neue Überlegungen zur Anlage einer Siegelkartei“ ein35, die Manfred Huiskes auf dem ersten interdisziplinären Fachgespräch über „Siegelforschung, Siegelerfassung und Siegelkonservierung“ vortrug, das vor zwei Jahren (22.11.1982) in Köln stattfand und fortgesetzt werden sollte. Er schlägt eine hier nicht im einzelnen vorzustellende, aber doch wenigstens erwähnenswerte „kompakte Kartei“ nach festem Formular – keine Einzelverzettelung – vor: „demnach werden alle Exemplare eines Siegels auf einer Karte sukzessive eingetragen. Der Siegelführer und alle wesentlichen Angaben werden nur einmal auf dem Kopf der Karte vermerkt. Durch eine solche direkte unmittelbare Kumulierung wird der Umfang der Siegelkartei vermindert, wodurch sich die Handhabung erleichtert“36. Gleichgerichtete Bestrebungen sind im Staatsarchiv Potsdam festzustellen, die jedoch erst in diesem Jahr publiziert werden konnten; auch dort wurde eine „Siegelkarte“, daneben übrigens auch eine „Typarkarte“, entwickelt, die der von Huiskes „vorgestellten sehr nahe kommt“37. Das von Hebig beschriebene Prinzip der Karte beruht darauf, „daß der jeweils zutreffende Begriff unterstrichen wird. Alle wichtigen Möglichkeiten sind berücksichtigt, so daß nur in seltenen Ausnahmefällen handschriftliche Zusätze erforderlich sind“38. Erwähnenswert ist noch, das dieses in der DDR entwickelte Verzeichnungsverfahren dort auch im Rahmen eines Berufspraktikums ausgiebig erprobt wurde, wobei – um wenigstens eine Zahl zu nennen – drei Studenten in 15 Arbeitstagen insgesamt 4000 Siegel, also durchschnittlich 90 am Tag, aufnahmen. Mit beiden Verfahren werden neue Verzeichnis- bzw. Kartierungswege eingeschlagen, die hoffentlich die dringend nötigen Inventarisierungsprogramme der deutschen Archive voranbringen. Bisher sind auch gedruckte „Führer“ durch einzelne Siegelsammlungen selten geblieben; ich führe aus der Zahl rühmlicher Ausnahmen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre nur folgende an, nämlich: Josef Amstlers Bericht über die Siegelsammlung des Museums der Stadt Enns39 oder Heinz Barduas über die Siegel- und Wappensammlung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart40, Klaus Conrads Überblick über die mittelalterlichen Siegel des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg41 oder Udo 35
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5. Referat dieses Fachgesprächs, abgedruckt in dem von Toni Diederich herausgegebenen Bericht über „Siegelforschung, Siegelerfassung u. Siegelkonservierung“, in: Geschichte in Köln, studentische Zeitschrift am Historischen Seminar H. 13, Mai 1983, S. 30–33, Formularbeispiele, S. 30–39. Ib. S. 31. Hebig (wie Anm. 33), S. 49. Ib. J. Amstler, Die Siegelsammlung des Museums der Stadt Enns, in: Mitteilungen des Museumsvereins „Lauriacum“ in Enns 74, 1966, Nr. 4. H. Bardua, Siegel- und Wappensammlungen im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, in: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde 14, 1973–75, S. 45–55. K. Conrad, Die mittelalterlichen Siegel des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg. Überblick über ein geplantes Siegelwerk, in: Preußenland 15, 1977, S. 1–5.
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Drägers/Barthold Czoks über die brandenburg-preußischen Siegel im Zentralen Staatsarchiv (Dienststelle Merseburg)42, Max Piendls Studien über die Siegeltypare im Fürstlichen Zentralarchiv von Thurn und Taxis43, Christa Schmeissers Informationen über die Siegelsammlung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs44 und jenseits der „Vortragsgrenzen“ Ernst Zieglers Angaben über die Siegel- und Stempelsammlung im Staatsarchiv Basel-Stadt45 bzw. über die entsprechende Sammlung der Korporation Zug46.
III Da die Siegel, seit der Antike als Erkennungszeichen, als Verschluß- und Beglaubigungsmittel im Gebrauch, mittelalterlichen Urkunden erst Rechtskraft verliehen (sieht man vom Notariatsinstrument ab), wird ihnen nicht nur traditionell in der Diplomatik eine berechtigt-formale, sondern im letzten Jahrzehnt auch vermehrt eine inhaltliche Bedeutung als Rechts- und Geschichtsquelle zuerkannt. Im Anschluß an Forschungen von P. E. Schramm47 und Günther Bandmann48 begann man sich mehr mit der Repräsentationssymbolik der Siegel zu beschäftigen, mit ihrer Bedeutung, die sie für die Selbstdarstellung des Siegelführers besaß. Diese Betrachtungsweise, die der Vortragende schon 1969/ 70 in seinen „Genealogischen und sphragistischen Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im 11. und 12. Jahrhundert“49 42
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U. Dräger/B. Czok, Siegel der brandenburgisch-preußischen Landesherrn vom 15. bis 19. Jahrhundert im Zentralen Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, in: Archivmitt. 34, 1984, S.42–47. M. Piendl, Die Siegeltypare im Fürstlichen Zentralarchiv, in: Thurn und Taxis-Studien 1978, S. 140–226; dass. gekürzt in: AZ 73, 1977, S. 82–98. Christa Schmeisser, Die Siegelsammlung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, in: Mitteilungen der Archivpflege Bayerns 21, 1975, S. 31–36. E. Ziegler, Die Siegelsammlung im Staatsarchiv Basel-Stadt. Dargestellt auf Grund der Akten zur Siegel- und Stempelsammlung und der Jahresberichte des Staatsarchivs, T. 1.2, Basel 1970, Beil. S. 29–73; 1971, Beil. S. 25–85. E. Ziegler/A. Itten, Die Siegelsammlung der Korporation Zug, in: Zuger Neujahrsbll. 1976, S. 32–52. P. E. Schramm, Die zeitgenössischen Bildnisse Karls des Großen. Mit einem Anhang über die Metallbullen der Karolinger, Nachdr. der Ausg. 1928, 1973, 74 S. (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters, 29). Vgl. auch Ders.: Herrschaftszeichen und Staatsymbolik, 3 Bde., 1954–1956 (Schriften der MGH, 13). – Ders. und Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, 1962 (Veröffentl. d. Zentralinstitutes für Kunstg.). G. Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, 1951. Erschienen in: Festschrift zum hundertj. Bestehen des Herold, hg. v. K. Winckelseser, 1969, S. 33–57, vgl. dazu Rez. von Gerd Zimmermann, in: MainfränkJb 22, 1970, S. 501–503.
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anwandte und in seiner Arbeit über den Siegel- und Wappenwandel dieses edelfreien Geschlechts bis ins 16. Jahrhundert50 fortsetzte, hat im letzten Forschungsjahrzehnt besonders wiederum T. Diederich resultatreich weitergeführt; seine Arbeiten, etwa zum Bedeutungsgehalt mittelalterlicher Städtesiegel51, haben vorbildlich gewirkt, seine Methode, aus Siegeln historische Rückschlüsse zu ziehen, erfreulicherweise Nachahmer gefunden. Ich will mich in diesem Zusammenhang darauf beschränken, nur noch auf seine „Umrisse einer neuen Siegel-Typologie“ (1982) hinzuweisen52, die nach „Siegelführergruppen“ klassifiziert und zwar mit dem Ziel einer „Einbindung eines jeden Siegels in einen historisch-sozialen Kontext“53. Diederich ist mit den bisherigen, allzu formalen Typologisierungsversuchen seit HohenloheWaldenburg nicht zufrieden, da sie die innere Beziehung „zwischen dem Siegelführer und seinem Siegelbild“, vor allem aber als „Hauptkriterium“ die Bildaussage zu wenig berücksichtigen. Somit bliebe also mehr Symbolforschung zu treiben, um in der Siegelkunde zu einem „funktionalen Typenbegriff“ zu gelangen, von denen er bisher 28 ermittelt hat54. Aber auch die sonstigen „klassischen“ Anwendungsgebiete der Sphragistik gerieten keineswegs in Vergessenheit: ich nenne hier nur als jüngere Nachbardisziplin die Heraldik, die sich vorzugsweise mit den frühesten Wappen als Siegelbildern beschäftigt, desgleichen die ältere Genealogie, die sich im hohen Mittelalter ebenfalls auf heraldische Quellen stützen muß. Weniger geläufig sind die Hagiographie und die Kostümkunde, aber auch die Waffenkunde und Baugeschichte, die sich der Sphragistik als Hilfswissenschaft bedienen. Um nicht durch die Aufzählung weiterer Beispiele zu ermüden, beschränke ich mich auf die Technikgeschichte, wo wiederum Schiffsdarstellungen auf Siegeln ein besonders gern gewählter Untersuchungsgegenstand der Forschung waren. Grundlegend sind hier die größtenteils aus Siegeln (und Münzen) gewonnenen Erkenntnisse von Hans Horstmann über die „Rechtszeichen der europäischen Schiffe im Mittelalter“ gewesen, ein Begriff übrigens, den der Verfasser auf Vorschlag von P. E. Schramm wählte. Seine zur „Vor- und Frühgeschichte des europäischen Flaggenwesens“ zusammengefaßten Forschungen55 wurden in der DDR durch die hervorragende Darstellung des 50
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Die Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes der Grafen von Henneberg vom 12.–16. Jhdt., in: JbAdler 3. F., Bd. 7, 1967/70, zugleich Wiss. Jubiläumsband 1870– 1970, S. 45–65, Abb. 227–229. T. Diederich, Zum Quellenwert und Bedeutungsgehalt mittelalterl. Städtesiegel, in: Aus Geschichte u. ihren Hilfswissenschaften. Festschrift für Walter Heinemeyer, 1979, S. 269–285 (ArchDipl 23). Toni Diederichs Ausführungen waren Gegenstand des 2. Referats der Tagung über „Siegelforschung“ (wie Anm. 35), S. 13–17. Ib. S. 13. Ib. S. 14 f. H. Horstmann, Vor- und Frühgeschichte des europäischen Flaggenwesens. Die Rechtszeichen der europäischen Schiffe im Mittelalter, 1971.
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Stralsunder Archivars Herbert Ewe über „Schiffe auf Siegeln“ vertieft, der sie, wie vor ihm schon Heinsius (1956), als Quelle für die Geschichte des mittelalterlichen Schiffsbaus entdeckt hat (neben guten Fotos stehen leider arg fehlerhafte und irrtümliche Zeichnungen von Gerda Nützmann)56. Als dritter Experte der maritimen Sphragistik muß aber auch noch Heino Wiechell mit seinen verschiedenen Studien über die lübeckischen Schiffssiegel aus den 70er Jahren genannt werden57, deren Bedeutung auch Jochen Goetze noch zu Beginn der 80er Jahre nachspürte58. Ehe ich nun das Thema wechsele, das Siegel als historisches Zeugnis verlasse, um es als Quelle der mittelalterlichen Kunstgeschichte zu bewerten, möchte ich aber pars pro toto noch eine Arbeit nennen, die m. E. die historische Siegelkunde seit Kittels großer Darstellung in besonderem Maße weitergebracht hat, wobei ich zugleich um Nachsicht bitte, wenn ich auf die vielen förderlichen Arbeiten nach dem bewährten Schema „das Siegel und Wappen der Stadt X“ oder „das älteste Siegel von Y“ nicht näher eingehen kann; ich bitte solche Titel meiner erwähnten, bereits im Druck befindlichen Titelliste der Siegel 1971–1981 zu entnehmen59. Ich meine vielmehr Friedrich Battenbergs Untersuchungen aus dem Jahre 1979 über das „Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235–1451“60 noch erwähnen zu sollen, da sein Buch „nicht zuletzt wegen seiner umfassenden interdisziplinären Fragestellung, die keine Wünsche offenläßt, als eine der wichtigsten systematischen Untersuchungen zur Siegelkunde gelten“ kann, die „in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raume erschienen sind“61. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich ferner auf so wichtige Arbeiten wie die von Günther Dembski über die römischen und die Werner Seibts über die byzantinischen Bleisiegel in Österreich, auf Albrecht Eckhardts über die süd-hessischen Städtesiegel, auf Franz-Heinz v. Hyes Studien über die Siegel Maximilians I., auf Hermann Jakobs Anfänge europäischer Städtesiegel, auf Dieter Matthes Bemerkungen zum Löwensiegel Herzog Heinrichs, auf Hans56
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H. Ewe, Schiffe auf Siegeln, 1972, vgl. dazu die sachkundigen Rezensionen von F. Beck, in: Archivmitt. 23, 1973, S. 239 f. und H. Horstmann, in: Herold-Jahrbuch 3, 1974, S. 121 f. H. Wiechell, Das Schiff auf Siegeln des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit. Eine Sammlung von bildlichen Quellen zur Schiffstypenkunde, 1971. – Ders., Schiffsdarstellungen auf Stadtsiegeln des Mittelalters, in: Der Wagen (Lübeck) 1972, S. 85–99. – Ders., Das Schiff auf den Lübecker Siegeln des 13. Jahrhunderts – eine frühe Kogge?, in: ZVLübeckGA 58, 1978, S. 111–116. J. Goetze, Die Bedeutung der lübeckischen Schiffssiegel. Dem Andenken Ahasver von Brandts gewidmet, in: ZVLübeckGA 61, 1981, S. 229–237. Vgl. Anm. 11. F. Battenberg, Das Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235–1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunden, Köln–Wien 1979 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 6). Rez. von Toni Diederich, in: RheinVjbll 45, 1981, S. 426–428, hier Schlußsatz.
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Eberhard Mayers Buch zum Siegelwesen der Kreuzfahrerstaaten oder auf Wolfgang Mayers variantenreiche Siegelstudien zu den Wiener Ratsbürgern nicht näher eingehen kann, da dies den Rahmen eines solchen Referates sprengen würde. Ich schließe diese notwendig subjektive (und daher undankbare) Aufzählung mit der Erwähnung von Sonja Leiss’ Dissertation über die geistlichen Siegel der Gotik, da sie mir den Übergang zum nächsten Abschnitt finden hilft62. Daß die Siegel als Kleinkunstwerke auch Quellen der Kunstgeschichte sind, ist zwar längst bekannt gewesen, doch mußte Hans Goetting in seiner schon zitierten Rezension von Kittels Siegelmonographie noch dazu auffordern, „daß endlich auch die Kunsthistoriker sich des riesigen Materials der Siegel annehmen möchten, unter denen sich viele künstlerisch höchstrangige Erzeugnisse befinden und die in motiv- und stilgeschichtlicher Hinsicht wichtigste (weil datierte!) Quellen der Kunstgeschichte sind“63). Davon unabhängig arbeitete auch Meinrad Pizzinini auf dem 11. österreichischen Historikertag in Innsbruck 1971 „den kunsthistorischen Aspekt in der Sphragistik“ entsprechend heraus64, und Erich Kittel schrieb noch in einer seiner letzten Arbeiten über „Siegel und Kunstgeschichte“65. Gleichwohl mußte Hans Goetting resignierend feststellen, daß der „schon so oft geäußerte Wunsch“ nach einem größeren kunsthistorischen Verständnis für sphragistische Quellen „noch keine befriedigende Erfüllung gefunden hat“66. Heute, mehr als zehn Jahre nach dieser Kritik des bekannten Göttinger Ordinarius der Historischen Hilfswissenschaften, hat sich die Situation bereits gewandelt und zwar deutlich beeinflußt durch die Herausstellung der Siegel in den großen deutsch-österreichischen Ausstellungen des abgelaufenen Dezenniums. Das begann etwa 1966 in Corvey mit „Kunst und Kultur im Weserraum 800–1600“ und setzte sich 1970 in Köln in der Ausstellung „Herbst des Mittelalters“ fort, wo die „Spätgotik am Niederrhein“ gezeigt wurde. Ihr korrespondierte in Karlsruhe die „Spätgotik am Oberrhein“67, es folgten 1971 „1000 Jahre Kunst in Krems“68, 1972 in Köln und Brüssel ein Überblick über „Rhein und Maas, Kunst und Kultur von 800–1400“ und 1975 nochmals Köln, wo man „Monumenta Annonis“ ausstellte. Doch diese und einige ungenannte weitere Ausstellungen bedienten sich zwar vermehrt der 62 63 64
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Wie Anm. 11. Rez. Goetting, in: BllDtLdG 107, 1971, S. 424. M. Pizzinini: Der kunsthistorische Aspekt in der Sphragistik, in: Bericht über den 11. österreichischen Historikertag vom 4.–8.10.1971 in Innsbruck, Wien 1972, S. 335–362 (Veröff. des Verbandes Österr. Geschichtsvereine 19). E. Kittel, Siegel und Kunstgeschichte, in: Adler 10, 1974, S. 69 bis 74. Rez. Goetting(wie Anm. 63). R. Kahsnitz, Spätgotische Siegel am Nieder- und Oberrhein. Zu den Ausstellungen in Köln und Karlsruhe im Sommer 1970, in: AZ 67, 1971, S. 133–151. F. Gall, Siegel, in: 1000 Jahre Kunst in Krems. Ausstellung vom 28.5.–24.10.1971 in Krems/Donau. Katalog hg. von H. Kühnel, Krems 1971, S. 481–494.
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Siegel als sinnfälliger Zeichen politischer, gesellschaftlicher oder kirchlicher Verhältnisse, indessen kam ihre ikonographische Bedeutung dabei manchmal zu kurz. Erst in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurden die Siegel in den großen Ausstellungen immer intensiver auch als bildhafte Zeugnisse hohen künstlerischen Ranges erkannt. Zu nennen wären hier besonders die Verdienste des jüngst verstorbenen Direktors des Wiener Universitätsarchivs, Franz Gall, der auch 1976 im Stift Lilienfeld, wie vorher in Krems, die Darstellung der Siegel im Rahmen der Ausstellung „1000 Jahre Babenberger in Österreich“69 übernahm, ferner des Oberkonservators am Germanischen Nationalmuseum, in Nürnberg, Rainer Kahsnitz, der nach dem Vorbild Josef Deérs70 die 136 Siegel und Goldbullen in der großen 1977 gezeigten Stuttgarter Ausstellung „Die Staufer und ihre Zeit“ interpretierte und ihnen im Katalog auf rund hundert Seiten einen berechtigt-breiten Raum einräumte71. Daß unter ihnen „bedeutende Leistungen nicht nur des Kunsthandwerks, sondern der darstellenden Künste überhaupt zu finden sind“, begründete er damit, daß die Typare in der Regel von Goldschmieden geschnitten wurden, die zumindest in dieser Zeit „stilbestimmende künstlerische Leistungen“ hervorbrachten72. Nur am Abdruck, durch den diese Kunst vervielfältigt wurde, waren sie erkennbar und stellen heute oft die letzten Zeugen einstiger Blüte (etwa der Hersfelder Klosterkunst) dar. Diese Popularisierung der Siegel wie ihre künstlerische Bewertung setzte Toni Diederich im Rahmen der Ausstellung „Die Parler und der schöne Stil 1350–1400“ 1978 besonders wirkungsvoll fort, wo er nur hochwertige Stücke zeigte und interpretierte73. Schließlich seien als Beispiele für große, die Siegel angemessen würdigende Ausstellungen noch jene über Karl IV. in der Nürnberger Burg genannt (ebenfalls 1978) wo hier nur auf die Beschreibung der Siegel durch Wilhelm Volkert in dem aus diesem Anlaß erschienenen Werk von Ferdinand Seibt über den „Staatsmann und Mäzen“ verwiesen sei74 und die über die „Zeit der frühen Habsburger“ in Wiener Neustadt, wo nochmals Franz Gall sich 69
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F. Gall, Die Siegel der Babenbergerzeit, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Katalog der niederösterreichischen Jubiläumsausstellung im Stift Lilienfeld vom 15.5.–31.10.1976, Wien 1976, S. 436–444 (Kataloge des Niederösterreichischen Landesmuseums, NF. 66). Die Siegel Kaiser Friedrichs I. Barbarossa und Heinrich VI. in der Kunst und Politik ihrer Zeit, in: Festschrift Hahnloser, S. 47 ff. R. Kahsnitz, Siegel und Goldbullen, in: Die Zeit der Staufer, Geschichte – Kunst – Kultur, 4 Bde., 1977, Bd. 1, S. 17–19 (Katalog), S. 20–107 (Beschreibung der Ausstellungsstücke), Bd. 2, S. 11–92 (Abbildungen), Bd. 3, S. 1–30 u. 83–104 (Abbildungen). Ib. Bd. I, S. 17. T. Diederich, Siegelkunst, in: Die Parler und der Schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, Handbuch zur Ausstellung des SchnütgenMuseums in der Kunsthalle Köln, 1978, Bd. 3, S. 151–163. Kaiser Karl IV., Staatsmann und Mäzen, hg. von F. Seibt, 1978, S. 308–312.
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der Siegel in bewährter Weise annahm75. Diese Ausstellungen – und weitere hier nicht genannte – brachten die Siegel aus dem Dunkel der Magazine wieder stärker ins Bewußtsein bzw. zur Anschauung der Öffentlichkeit, so daß man es in unseren Tagen auch wieder wagen konnte, reine Siegel-Ausstellungen ohne historischen Verbund zu zeigen, wie es in der von Eberhard Gönner konzipierten und von Heinz Bardua durchgeführten „Kulturgeschichte auf Siegeln, Heilige – Ritter – Damen“ geschah, als beide 1983 in Stuttgart den ganzen ikonographischen Reichtum dieser Gattung zur Geltung brachten76. Dasselbe geschah nun auch 1984, als jenseits der topographischen Grenzen des Vortragsthemas, wenn auch noch im deutschen Sprachraum, das Schweizerische Landesmuseum in Zürich die Ausstellung „Siegeln und versiegeln“ eröffnete, wo Margot Seidenberg die gesamte Entwicklung der Siegelprägungen von den Anfängen im Zweistromland bis zu den Papier-Oblaten-Siegeln präsentierte77.
IV Nach dieser Übersicht über verschiedene Gebiete der aktuellen Siegelforschung möchte ich noch einen Blick auf die Tätigkeit des Komitees für Siegelkunde im Internationalen Archivrat werfen, über die Eberhard Gönner seit 1975 kenntnisreich in der Fachpresse berichtet78. Dort stehen vor allem vier Projekte im Mittelpunkt der Diskussion: – Die in Brüssel 1977 beschlossene Herausgabe eines „Mitteilungsblattes“ des Siegelausschusses mußte zurückgestellt werden, da das Comité de publications im Internationalen Archivrat 1978 für die Einzelberichte der Ausschüsse ein Gemeinschaftsorgan, „The International Journal of Archives“, begründen wollte. Der Siegelausschuß beharrte jedoch auf seiner Tagung in Bukarest (1978) auf seinem Plan eines eigenen Bulletins, da er nicht knappe Sitzungsberichte, sondern sphragistische Aufsätze publizieren wollte. Es sollte in loser Folge und ohne finanzielle Unterstützung des Archivrates erscheinen und erhielt auch dessen Genehmigung; 75
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F. Gall, Die Siegel der frühen Habsburger, in: Die Zeit der frühen Habsburger, Dome und Klöster 1279–1379. Niederösterreichische Landesausstellung in Wiener Neustadt vom 12.5.–28.10.1979, S. 168–170 (= Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, NF. 85). Ausstellungskatalog Stuttgart: Hauptstaatsarchiv 1983. Vgl. Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 153 vom 5.7.1984, S. 29. Vgl. E. Gönner, in: Der Archivar 28, 1975, Sp. 90 f.; 30, 1977, Sp. 48 f.; 31, 1978, Sp. 91 f., Sp. 511 f.; 33, 1980, Sp. 72 f.; 34, 1981, Sp. 37; 35, 1982, Sp. 51 f.; 36, 1983, Sp. 76 f.; vor Gönner berichteten u.a. Klemens Stadler über diese Tagungen, ib. 18, 1965, Sp. 77 ff.; 22, 1969, Sp. 37 ff.; 24, 1971, Sp. 65 ff. und Wilhelm Kohl 26, 1973, Sp. 45 ff.
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die Schriftleitung wurde auf der Pariser Sitzung des Siegelausschusses 1979 Andrée Scufflaire (Brüssel) übertragen. Doch seither ist das Projekt offenbar nicht weiterverfolgt worden, obwohl ein Publikationsorgan für die auf den Tagungen des Ausschusses gehaltenen Referate erforderlich bzw. zur Belebung der Fachdiskussion auf der internationalen wie auf der nationalen Ebene erwünscht wäre. – Ähnlich resultatlos verlief leider auch die vom Komitee angeregte beschleunigte Inventarisierung der mittelalterlichen Siegel, besprochen, u. a. in Moskau 1972, die aber angesichts des Massenproblems neuzeitlicher Akten beständig ins Hintertreffen geriet; auch die ersatzweise breitere Berücksichtigung der Siegel bei den Urkundeneditionen scheiterte nicht zuletzt an der zu groß gewordenen Belastung der Herausgeber durch andere dienstliche Aufgaben, so daß auch weitere Urkundenbücher kaum noch erscheinen. Statt dessen beschloß der Siegelausschuß auf seiner Sitzung in London (1974), eine Internationale Bibliographie der Siegelinventare (einschließlich ungedruckter Karteien) zu bearbeiten; die dafür benötigten Unterlagen sollten durch eine Fragebogenaktion unter den Ausschußmitgliedern beschafft werden. Da die Rundfrage aber leider nicht von allen Ländern beantwortet wurde, entschloß sich der Ausschuß in Bukarest 1978, wenigstens das eingegangene Material in den vorliegenden Manuskriptsprachen zu drucken. Daneben wurden einzelne nationale Siegelinventare, wie etwa der „Catalogue of Seals in the Public Record Office“ (1977) in London von Roger Ellis79 oder eine entsprechende französische Publikation von Brigitte Bedos „Les sceaux des villes de France au moyen âge“ (1980)80 eingehend erörtert, ferner Kartierungsfragen (z. B. das Brüsseler Modell und seine Münsteraner Variation). – Ein drittes Vorhaben des Siegelausschusses stellt sein „Guide international des services des sceaux“ dar, die Herausgabe eines Handbuches der Siegelkunde, von dem es noch auf der Sitzung in Washington (1976) hieß, daß es Fortschritte mache. Dann war die Rede von einer Veröffentlichung des Handbuchs in Teilen. In Brüssel (1977) beschloß man, daß es sich stärker an Archivare als an Hilfswissenschaftler wenden solle, mithin den praktischen Problemen der Verzeichnung, der Konservierung, Restaurierung und Reproduktion besonderes Gewicht beimessen möge, stellte diesen Beschluß 1978 in Bukarest aber wieder infrage, wo ein Gliederungsvorschlag von Maria Dogaru diskutiert und erneut die Frage erörtert wurde, „ob ein Handbuch der allgemeinen Siegelkunde 79
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Vgl. Der Archivar 31, 1978, Sp. 92, Anm. 1. Catalogue of Seals in the Public Record Office. Personal seals. Vol, I. Compiled by Roger H. Ellis with plates from photographs by J. D. Millen, London 1977 ff. Brigitte Bedos, Corpus des Sceaux français du moyen âge. T. 1: Les sceaux des villes, Paris 1980, 546 S.
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oder ein für die Praxis bestimmtes Nachschlagwerk geschaffen werden soll“81. Sichtbare Fortschritte des Handbuchs sind seither nicht zu erkennen, immerhin ist es auf die Tagesordnung für die Bonner Sitzung am 16.–18.9.1984 gesetzt worden. – Etwas günstiger scheint es um das vierte Projekt, nämlich um das internationale Siegelvokabular zu stehen, das der Ausschuß nach einem in Bukarest (1978) gemeinsam mit der Commission internationale de diplomatique (Vorsitz: Prof. Robert-Henri Bautier, Paris) gefaßten Beschluß bearbeiten will; es soll künftig Teil eines internationalen Wörterbuchs für Diplomatik bilden. Ein Entwurf Bautiers wurde 1980 bereits in London diskutiert, wo sich aber sehr bald zeigte, daß einige hochspezialisierte französische Begriffe in den Terminologien anderer Länder nicht vorkamen (auch umgekehrt). 1981 wurde Francois-J. Himly (Straßburg) in Budapest die Federführung für die Erstellung eines Siegelvokalbulars in englischer, französischer und deutscher Sprache übertragen, zu dessen Vorbereitung er 1982 in Toledo eine „Terminologie de Sigillographie“ vorlegte, die zusammen mit Bautiers Entwurf für ein Internationales Siegelvokabular aus dem Jahre 1979 intensiv diskutiert wurde. Beide hatten auch an dem in Stuttgart 1983 fertiggestellten Entwurf entscheidenden Anteil, der von den Mitgliedern des Siegelausschusses nochmals überprüft und evtl. in diesem Jahr in Bonn verabschiedet werden soll. Diese vier dankenswerten Initiativen des Siegelausschusses, nämlich sein Versuch, eine eigene Zeitschrift herauszugeben, eine Bibliographie der Siegelinventare, ein sphragistisches Handbuch und ein internationales Siegelvokabular zu erarbeiten, dokumentiert leider auch sein nahezu vergebliches Bemühen um eine wirkungsvolle Förderung internationaler sphragistischer Projekte innerhalb der letzten 10–15 Jahre seiner Tätigkeit; ähnlich steht es um seinen hier nicht näher zu behandelnden Plan, eine siegelkundliche Wanderausstellung (1979) zu konzipieren, oder um die schon vorher gefaßte Idee, nach Festlegung eines Code, Siegel in Computern zu erfassen (1978). So wenig effektiv also die internationale Tätigkeit des Ausschusses auf den genannten Gebieten bisher geblieben ist, um so bedeutsamer scheint er mir als sphragistisches Beratungsgremium (nicht nur des Internationalen Archivrats) zu sein; ohne ihn wäre der vergleichende Meinungs- und Erfahrungsaustausch nationaler Probleme sehr viel schwieriger, auch für die deutsche und österreichische Spragistik, Probleme, die immer wieder um die klassischen Fragen des Symbol- und Quellenwerts der Siegel, um ihre Konservierung, um Methoden moderner Restaurierung und die Reproduktion der Siegel kreisen.
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Gönner, in: Der Archivar 31, 1978, Sp. 511.
Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese der Sphragistik* I Siegel gab es bereits im Altertum und werden noch heute verwendet. Das Wort kommt von lateinisch „sigillum“, einer Verkleinerungsform von „signum“, was soviel wie „Zeichen“ bedeutet. Siegel waren also Erkennungszeichen, sie dienten zunächst als „Ausweis“, aber auch als Verschlußmittel und Gütebeweis, d. h. sie beglaubigten keineswegs nur Urkunden. Von einer „ars sphragistica“ als solcher – abgeleitet von „sphragis“, dem griechischen Wort für „signum“ – scheint als erster Johann Heumann im 18. Jahrhundert gesprochen zu haben1, wenn sie auch spätestens seit dem Mittelalter in den Kanzleien geübt wurde, als der Züricher Konrad von Mure den Gebrauch und die Rechtsbedeutung von Siegelstempeln und Siegeln als Beglaubigungsmittel von Urkunden erläuterte2. Von einer wissenschaftlichen Behandlung sowohl urkundlicher als auch siegelkundlicher Fragen kann aber nicht vor dem 17. Jahrhundert gesprochen werden, als Jean Mabillons „De re diplomatica“ (1681) die Urkundenlehre erst eigentlich begründete3, und Theodor Hoepingk nebst anderen das Problem der Führungsberechtigung von Siegeln zu lösen suchte4. Als sphragistisch wegweisend erwies sich das umfassende Werk des Theologen Johann Michael Heinecceius (1709), der es in seiner Vorrede noch als Supplement zu Mabillons Werk ausgab5. Aus der diplomatischen „Umarmung“ wollte u. a. * Erstmals unter diesem Titel erschienen in: Adler, Zeitschrift für Genealogie und Heraldik N.F. 30 (1992), S. 185–190. Hier abgedruckt in der revidierten Fassung der Einleitung zur Bibliographie zur Sphragistik, Schrifttum Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bis 1990, bearbeitet von E.H. und Gabriele Jochums, Köln 1995, S. IX–XIX nebst Stoffgliederung S. VII–VIII (= Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von E.H., 2). 1 Johann Heumann: Commentarii de re diplomatica imperatorum ... Norimbergae 1745 u. 1753. Hier Tom. 2, Vorwort S. XX. 2 Vgl. Franz J. Bendel: Konrad von Mure. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtswissenschaft 30 (1909) S. 51–101, hier bes. S. 87 ff. 3 Jean Mabillon: De re diplomatica libri VI. Paris 1681; desgl. mit Supplement 1704 u. öfter. 4 Theodor Hoepingk: De sigillorum prisco et novo jure tractatus. Norimbergae 1642. Weitere Untersuchungen verzeichnet Friedrich August Huch: Versuch einer Literatur der Diplomatik. Erlangen 1792. S. 292–363. 5 Johann Michael Heineccius: De veteribus Germanorum aliarumque nationum sigillis, eorumque usu et praestantia, syntagma historicum ... Accedunt sigillorum icones tabulis aeneis comprehensae. Francofurti et Lipsiae 1709. Fol. Editio altera ib. 1719.
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Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese
schließlich Heinrich August Erhard die Sphragistik lösen, indem er darauf verwies, daß Siegel keineswegs nur für das Urkundenwesen Bedeutung hätten, sondern auch unabhängig davon zu Verschluß- oder anderen Zwecken gebraucht werden können; seine sphragistische Stoffgliederung erwies sich als ausbaufähig6. Leider blieb sein Ansatz zunächst wenig beachtet, bis ihn Fürst Friedrich-Karl v. Hohenlohe-Waldenburg ab 1857 in mehreren Beiträgen weiterverfolgte7; dessen sphragistisches System war allerdings eher bildorientiert, d. h. der Inhalt der Siegel interessierte ihn weit mehr als der Stoff, ihre Form oder die Befestigung8. Hier ergänzte ihn Hermann Grotefend durch seine Schrift „Über Sphragistik“, die er allerdings noch als „Beiträge zum Aufbau der Urkundenwissenschaft“ (1875) verstanden wissen wollte9. Von ihr angeregt, schenkten nun selbst die Diplomatiker den Siegeln eine größere Beachtung, was sich u.a. in den Berliner Vorlesungen von Harry Bresslau zeigte. In seinen „Elementen der mittelalterlichen Chronologie, Numismatik und Sphragistik“, die er bereits seit Sommersemester 1882 jährlich bis zur Übernahme eines Lehrstuhls für Historische Hilfswissenschaften an der Straßburger Universität (1890) als Vorlesung an der Friedrich-Wilhelms-Universität wiederholte, ist diese Disziplin dort erstmals eigens im Lehrbetrieb in Erscheinung getreten10; auch Bresslaus berühmtes „Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien“ (1889 ff.) berücksichtigt die Siegel bereits ausführlich11. Nach Bresslau las der Diplomatiker Michael Tangl seit dem Sommer 1899 ausschließlich „Siegelkunde“, was andere, meist Archivare von Hause aus, wie Hermann Krabbo oder Wilhelm Engel, teilweise kombiniert mit Wappen- und Familienkunde, in Berlin fortsetzten12. Diese Hinweise machen deutlich, daß die Sphragistik als 6
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Heinrich August Erhard: Kritische Übersicht der Diplomatik in ihren bisherigen Bearbeitungen und Entwurf eines Systems der Geschichtsquellenkunde. In: Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte 2 (1836) S. 217–317, 371–445, hier S. 417 ff. zur Sphragistik, die er in sieben Hauptabteilungen gliederte (S. 420). Vgl. Friedrich-Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg: Verzeichnis meiner im Druck erschienenen Schriften über Siegel- und Wappenkunde 1857–1880. Kupferzell 1881. Friedrich-Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg: Sphragistische Aphorismen. 300 mittelalterliche Siegel, systematisch klassifiziert und erläutert. Heilbronn 1882. Unveränd. Nachdr. Walluf 1973. IV, 123 S., 26 Taf. Hermann Grotefend: Über Sphragistik. Beiträge zum Aufbau der Urkundenwissenschaft. Breslau 1875. 54 S. Vgl. Eckart Henning: Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin. In: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. u. 20. Jhdt., Berlin 1992, S. 365–408 (= Veröffentlichungen der Histor. Kommission zu Berlin, 82). Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Zuerst Leipzig 1889. Heute in der 3. Aufl. 2 Bde u. Registerband 1958–60. Zu den Siegeln vgl. bes. Bd 1, S. 923–980 u. Bd 2, Abt. 1, S. 548–624. Henning (wie Anm. 10).
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eigene Disziplin erst im 19. Jahrhundert aus der Diplomatik erwachsen ist, bis sie sich schließlich in eigenen Leitfäden, wie Gustav A. Seylers „Abriß der Sphragistik“ (1884)13 und seiner Materialsammlung zur „Geschichte der Siegel“ (1894)14, ferner in Friedrich Walters „Grundzügen der Siegelkunde“ (1897)15 artikulierte und in den Handbüchern von Theodor Ilgen (1912)16 und Wilhelm Ewald (1914) emanzipierte17. Gleichwohl fehlte es anfangs noch ebenso an regionalen Siegelcorpora wie an einer Fachbibliographie. Die ältere sphragistische Literatur ist noch mit der diplomatischen gemeinsam, etwa von F. A. Huch in seinem „Versuch einer Literatur zur Diplomatik“ (1792), erfaßt worden18. Doch schon Hermann Oesterleys „Wegweiser durch die Literatur der Urkundensammlungen (1885/ 86)19 war für die Siegelkunde leider nur von sekundärem Wert. So blieb die weitere bibliographische Unterstützung der Sphragistik seitens der Diplomatik eher aus, zumal sie selbst auf diesem Gebiet bis heute spürbare Defizite aufweist. Daher muß man, wie schon Fürst Hohenlohe und G. A. Seyler nahelegten, den Blick noch auf eine andere Nachbarwissenschaft lenken, von der – fast möchte man sagen: unerwartete – Hilfe bei der Erfassung des sphragistischen Titelmaterials kam, nämlich auf die Heraldik: Zunächst haben beide Fächer ja nur wenig miteinander zu tun, da sich die Siegel, die es seit dem Altertum gibt, und die Wappen, die erst im Hochmittelalter entstanden sind, 13
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Gustav A. Seyler: Abriß der Sphragistik, ein Versuch. In: Jahrbuch der k.k. heraldischen Gesellschaft Adler 14 (1884) S. 25–52, auch separat erschienen. Vgl. auch Friedrich-Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg: Einige Worte über Bedeutung und practischen Werth der Sphragistik und Heraldik als historischer Hilfwissenschaften und über ihr Verhältnis zueinander. In: Der Deutsche Herold 12 (1881) S. 3–4 u. Stephan Kékulé von Stradonitz: Über die Bedeutung der Heraldik, Sphragistik und Genealogie und ihre Beziehung zu anderen Wissenschaften und Künsten. In: Der Deutsche Herold 25 (1894) S. 136–145. Gustav A. Seyler: Geschichte der Siegel. Leipzig 1894. 383 S. (Illustrierte Bibliothek der Kunst- und Kulturgeschichte). Abgedruckt in Friedrich Walter: Die Siegelsammlung des Mannheimer Altertumsvereins. Im Auftrage des Vereinsvorsitzenden katalogisiert und beschrieben. Mannheim 1897. S. 4–21. Theodor Ilgen: Sphragistik. In: Grundriß der Geschichtswissenschaft. Hrsg. von Aloys Meister. Bd. 1, Abt. 4. 2. Aufl. Leipzig 1912. S. 1–58. Wilhelm Ewald: Siegelkunde. In: Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. Hrsg. von Georg v. Below und Friedrich Meinecke. Abt. 4. München 1914. Nachdr. München 1975. XI, 244 S. Wie Anm. 4, vgl. auch den Vorbericht von Philipp Wilhelm Gercken: Anmerkungen über die Siegel. T. 2. Stendal 1786. S. XXV–XXX, und Johann Christian Gatterer: Abriß der Diplomatik. Göttingen 1798. S. 153 f. Hermann Oesterley: Wegweiser durch die Literatur der Urkundensammlungen. Th. 1.2. Berlin 1885/86.
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nach Funktion und Aussehen völlig von einander unterscheiden20. Auch disziplingeschichtlich ist eine enge Verbindung mit der Heraldik schon deshalb überraschend, weil sich die Sphragistik eben erst von der Diplomatik gelöst hatte, um nun verstärkt eine Symbiose mit einer anderen, ihr eigentlich wesensfremden Nachbarwissenschaft einzugehen. Das erklärt sich jedoch daraus, daß die Wappen seit dem Spätmittelalter zu den wohl am häufigsten verwandten Siegelbildern (Wappensiegel) geworden sind, aber auch genuine Siegelbilder – wenn auch seltener – Aufnahme in die Schilde von Städten bzw. juristischen Personen (Siegelwappen) fanden21. Da das heraldische Interesse an den Siegeln deswegen zunahm, ist es verständlich, daß schon Karl Arnd in seine „Bibliotheca politico-heraldica selecta“ (1705) und Christian Samuel Theodor Bernd in seine „Allgemeine Schriftenkunde der gesamten Wappenwissenschaft ...“ (1830 ff.) sphragistische Titel aufnahmen. Auch überregionale Vereinigungen wie der „Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften“ in Berlin (gegr. 1869) und die „Heraldisch-Genealogische Gesellschaft Adler“ in Wien (gegr. 1870) verschrieben sich, wie zahlreiche Regionalvereine, der Pflege des Siegelwesens und berücksichtigten es auch angemessen beim Aufbau von Spezialbibliotheken22. Ihre gedruckten Bibliothekskataloge, wie etwa der letzte des „Herold“ (1904 ff.)23, sind daher auch bibliographisch wertvoll. Entsprechend berücksichtigte auch die von der Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte herausgegebene „Familiengeschichtliche Bibliographie“ die Wappen- und Siegelkunde in verschiedenen, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Bänden; Bearbeiter waren Johannes Hohlfeld und Heinz F. Friedrichs24, vor allem aber Egon Freiherr v. Berchem, der in seiner integrierten „Heraldischen Bibliographie“ (= Band 5, Teil 1) auch rückgreifend das Siegelwesen breit berücksichtigte25, wenn auch z. T. fehlerhaft und eigenwillig. 20
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Unübertroffen deutlich haben Karl E. Demandt und Otto Renkhoff die Unterschiede von Siegeln und Wappen herausgearbeitet, und zwar in ihrer Einleitung zum Hessischen Ortswappenbuch. 2 Bde. Glücksburg 1956. Vgl. Registernachweis bei Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Köln, Wien 1984. S. 517. Vgl. Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin. Von Eckart Henning, unter Mitarbeit von Petra Hauke und Gabriele Jochums. In: Bibliographie und Berichte. Festschrift für Werner Schochow. Hrsg. von Hartmut Walravens. München 1990. S. 34–122; hier u. a. S. 56, 61 ff. Henning/Hauke/Jochums (wie Anm. 22) S. 42, frühere Aufl. d. Kat., S. 36 ff. Johannes Hohlfeld in: Familiengeschichtliche Bibliographie. Bd 3, T. 3 u. 4; Bd 4, T. 1–3; Bd 5, T. 1; Bd 7, T. 1. Leipzig 1930–36 u. Schellenberg b. Berchtesgaden 1951 (Berichtszeit 1929–1945); ders. u. Heinz F. Friedrichs ebenda Bd 11, T. 1–3. Neustadt/Aisch 1961–63 (Berichtszeit 1960–62). Egon Frhr v. Berchem: Heraldische Bibliographie. Leipzig 1937. 432 S. (Famillengeschichtl. Bibliographie Bd. 5, T. 3) Nachdr. Walluf 1969. Vgl. zur Bewertung Henning/Jochums (wie Anm. 20) S. XIV ff.
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Wer sich einigermaßen aktuell und zusammenfassend über die Siegelliteratur informieren wollte, griff daher lieber zu den bibliographischen Angaben in der 10. Auflage der „Quellenkunde zur deutschen Geschichte“ von Dahlmann-Waitz26 oder zu dem umfangreichen Literaturanhang von Erich Kittels großer Darstellung der „Siegel“ (1970), wo er auf mehr als vierzig Seiten eine retrospektive Bibliographie zusammenstellte27. Sie bezog, wie auch sein Text, erstmals das Schrifttum über die Siegel des Altertums mit ein, für die inzwischen u.a. die Literaturangaben in Peter Zazoffs Handbuch über „Die antiken Gemmen“ (1983) – mit den minoischen und mykenischen Siegeln beginnend – ergänzend heranzuziehen wären28. Doch damit sind u. E. die nötigsten retrospektiven Bibliographien zur Siegelkunde bereits erwähnt. Es bleibt noch auf die periodische Berichterstattung (mit Titelmeldungen, Rezensionen und Forschungsberichten) hinzuweisen, die sich auf die verschiedensten genealogisch-heraldischen Periodika verteilt, die alle auch gelegentlich siegelkundliche Beiträge und Titelmeldungen sphragistischer Neuerscheinungen bringen (erschlossen durch den „Schlüssel“29, ferner auf allgemein-historische und landesgeschichtliche Zeitschriften, zusammengefaßt in den „Jahresberichten der Geschichtswissenschaft“ (1880–1916) bzw. den „Jahresberichten der (seit 1927: für) deutsche(n) Geschichte“ (1920–42; N.F. seit 1952). Von 1932–42 berichtete hier Erich Kittel über „Wappen, Siegel, Fahnen und Flaggen“ bzw. meldete Neuerscheinungen aus diesen Gebieten30. Seit 1945 setzte er seine Berichterstattung freilich nicht mehr in den „Jahresberichten“ fort, die gleichwohl sphragistisch beachtenswert blieben, sondern in regelmäßigen Abständen in den „Blättern für deutsche Landesgeschichte“, wo er nicht nur Titellisten zur Sphragistik (und Heraldik) veröffentlichte, sondern auch Neuerscheinungen kritisch würdigte. Sein letzter Schrifttumsbericht über „Wappen und Siegel“ erschien 197131. Nach Kittels 26
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Klemens Stadler: Sphragistik. In: Dahlmann-Waitz. Quellenkunde zur deutschen Geschichte. Bd. 1, Abschnitt 19; Bd. 5, Abschnitt 171; Bd. 6, Abschnitt 207, 246, 285, 321. 10. Aufl. Stuttgart 1965–89. Erich Kittel: Siegel. Braunschweig 1970. S. 466‑509. (Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde 11). Peter Zazoff: Die antiken Gemmen. München 1983. (Handbuch der Archäologie). Der Schlüssel. Gesamtinhaltsverzeichnis mit Ortsquellennachweisen für genealogische, heraldische und historische Zeitschriftenreihen, bisher 9 Bde. Göttingen 1950– 86 (wechselnde Bearbeiter). Erich Kittels letzter Bericht erschien in Band 13 (1937), anschließend konnte er dort nur noch Jahresbibliographien ohne Begleitberichte veröffentlichen, und zwar in Band 14 für 1938 (1940) und in Band 15/16 für 1939/40 (1942). Erich Kittel: Wappen und Siegel im Schrifttum der Nachkriegszeit (1945–1956) in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 93 (1957) S. 350–388; ders.: Wappen und Siegel 1957/58 nebst Nachtrag für die Nachkriegszeit 1945–1956 in: ib. 95 (1959) S. 375–408; Wappen und Siegel 1959–1961 in: ib. 98 (1962) S. 285–334; Wappen und Siegel 1962–1963 in: ib. 100 (1964) S. 386–432; Wappen und Siegel 1964–1966 in: ib.
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Tode (1974) blieb eine Fortsetzung dieser wichtigen Sammelberichte zunächst aus, bis 1983 eine Titelübersicht „Siegel 1971–1981“ (von Eckart Henning) erschien32, fortgesetzt durch einen Vortragsabdruck „Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich“ (Helsinki 198433) und einen anschließenden Sammelbericht über „Siegel und Wappen 1982–1986“ (von dems., erschienen 198934). Für das Altertum bleiben die 1982 von Denyse Homés-Fredericq begonnenen Berichte über „Glyptica“ nachzutragen, die auch Arbeiten in deutscher Sprache berücksichtigen35. Seitens der Kunstgeschichte, die „eine engere Verbindung zur Siegelkunde pflegen sollte, ja diesen künstlerisch oft sehr hochstehenden Typus der Kleinplastik kaum zur Kenntnis genommen hat“, sind zwar seit Fichtenaus Vorwurf (1974)36 deutliche Anzeichen eines gewachsenen Interesses und damit der Besserung zu verzeichnen, doch erfolgte nur eine geringe bibliographische Berücksichtigung, wie früher etwa im „Schrifttum deutscher Kunst“ (1934–61)37 oder in der „Bibliographie der Kunst in Bayern“ (1961–73)38.
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103 (1967) 242–307; Zur Sphragistik und Heraldik in: ib. 106 (1970) S. 210–228; Wappen und Siegel 1967–1970 in: ib. 107 (1971) S. 275–337. Eckart Henning: Siegel 1971–1981. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1983) S. 287–301. Eckart Henning: Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich. In: Genealogica & Heraldica. Report of the 16th International Congress of Genealogical and Heraldic Sciences in Helsinki. Publ. by Tom C. Bergroth. Helsinki 1986. S. 335–347. Vorabdruck in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984) S. 549–562; Kurzfassung auch in: Vierteljahrsschrift Herold N.F. 11 (1986) S. 253–259. Eckart Henning: Siegel und Wappen 1982–1986. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989) S. 299–338. Denyse Homès-Fredericq: Glyptica I–V. In: Akkadica 29 (1982) 30–51; 32 (1983) 61–64; 33 (1983) 69–94; 43 (1985) 21–50; 48 (1986) 10–34. Fortgeführt von M. Meckers-Ayat/M. Trakay: Glyptica VI. ib. 60 (1988) 13–36. Heinrich Ritter v. Fichtenau: Die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Bedeutung für die Mediävistik. In: Methoden der Geschichtswissenschaft und der Archäologie. München u. Wien 1974. S. 174, vgl. auch Henning (wie 33), S. 341. Der erste, der die Bedeutung der Siegel als Quelle für die Kunstgeschichte m.W. betont hat, ist E. Melly gewesen (vgl. seine Beiträge zur Siegelkunde des Mittelalters. T. 1. Wien 1846), später wertete sie auch Wilhelm Pinder erfolgreich aus (vgl. Würzburger Plastik 1911; Deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zur Renaissance 1929). Schrifttum zur deutschen Kunst. Hrsg. vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft. Jg. 1–21. Berlin 1934–61. Abschnitt „Ikonographie und Sachkunde“ mit Titeln über Zeichen, Wappen und Siegel. Bibliographie der Kunst in Bayern. Bearb. von Hans Wichmann. Bd 1–4. Wiesbaden 1961–73.
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Vergleicht man die größtenteils unübersichtliche, teilweise desolate bibliographische Situation Deutschlands auf sphragistischem Gebiet mit dem europäischen Ausland, insbesondere mit René Gandilhon und Michel Pastoureaus „Bibliographie de la Sigillographie Française“ (1982)39, erkennt man unschwer den entstandenen Nachholbedarf. Eine Disziplin wie die deutsche Siegelkunde benötigt zuerst einmal eine retrospektive Bibliographie, da ihr – trotz Kittels großer Monographie – sowohl ein modernes, mit Anmerkungen und Quellennachweisen versehenes Handbuch als auch eine eigene Fachzeitschrift mit Besprechungen und periodischer Bibliographie fehlt und sie auf Mitbetreuung durch die erwähnten Nachbarfächer weiter angewiesen bleibt, sie auch keine besonderen deutschen Fachtagungen (mit einer erfreulichen Ausnahme in Köln 1982)40 organisiert und auf ständige internationale Unterstützung hoffen muß (durch Interkongresse für Genealogie und Heraldik41, durch das Komitee für Siegelkunde im Internationalen Archivrat42). Die Bearbeiter haben sich daher im Anschluß an ihre bereits erschienene „Bibliographie zur Heraldik“ (1984) entschlossen43, das Nachbargebiet der Sphragistik zu bearbeiten, um auch hier den Forschungsstand wieder erkennbar zu machen. Geholfen haben ihnen dabei mit ihrem Rat insbesondere Rainer Michael Böhmer, Toni Diederich, Rainer Kahsnitz, Antje Krug, Günter Mattern und Beate Salje. Praktische Unterstützung wurden den Bearbeitern zuteil durch zahlreiche Bibliotheken wie der des Vereins „Herold“, des Deutschen Archäologischen Instituts und anderer44. 39
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René Gandilhon/Michel Pastoureau: Bibliographie de la Sigillographie Française. Paris 1982. (Verzeichnet 2542 Titel). Vgl. Toni Diederich: Siegelforschung, Siegelerfassung und Siegelkonservierung. Bericht über ein von der Archivberatungsstelle Rheinland und dem Historischen Archiv des Bistums Köln veranstaltetes Fachgespräch. In: Geschichte in Köln. Student. Zs. am historischen Seminar 13 (1983) S. 5–39; auch als Sonderdr. ersch. Köln 1983. 39 S. Hanns Jäger-Sunstenau: Index generalis, Congressus internationales pro scientiis genealogicis heraldisque I–XV. Limburg/L. 1984. Toni Diederich: Tagung des Siegelausschusses des Internationalen Archivrats in Keszthely (Ungarn). In: Der Archivar 44 (1991) Sp. 145–149 berichtet über zwei internationale bibliographische Projekte, die immerhin geeignet erscheinen, diese Bibliographie zur Sphragistik wenigstens in den Grundzügen auch für Deutschland fortzuschreiben: 1) Iván Bertényi wird die Siegelliteratur von grundsätzlicher Bedeutung (Einleitung und Endredaktion) herausgeben, deren Manuskripte ebenso gesammelt seien wie 2) die einer „Bibliographie annuelle de la Sigillographie“, die nach Möglichkeit für die Jahre 1987–1991 bereits 1992/93 (Herausgeber Caspar van Heel) erscheinen soll. Bearbeiter für Deutschland, Liechtenstein, die Niederlande, Österreich und die Schweiz ist Toni Diederich. Henning/Jochums (wie Anm. 20). In gekürzter Form bereits zur Diskussion gestellt von Eckart Henning: Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese der Sphragistik, in: Adler 16=30 (1992) S. 185–190.
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II Der Erfassungsraum dieser „Bibliographie zur Sphragistik“ entspricht, wie im Untertitel angegeben, dem deutschen Sprachraum (mit Ausnahme natürlich der älteren Literatur in lateinischer Sprache), berücksichtigt also auch das österreichische und schweizerische45 Schrifttum zur Sphragistik wie das einiger früher deutsch schreibender Randgebiete des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Die Berichtszeit reicht bis 1990. Das angestrebte Ziel einer Primärbibliographie, d.h. ein auf Autopsie beruhendes Schrifttumsverzeichnis ließ sich freilich, anders als bei einer von ihnen früher vorgelegten landesgeschichtlichen Bibliographie46, wegen des kaum noch überschaubaren Titelgutes nicht erreichen, immerhin hatten aber die Bearbeiter noch mehr als die Hälfte aller Titel selbst in der Hand. Sie mußten sich bei dem Rest der Titel auf die bereits vorhandenen Schrifttumsverzeichnisse, auf die gedruckten und ungedruckten Kataloge von Spezialbibliotheken, auf die landesgeschichtlichen Bibliographien und die der sphragistischen Nachbarwissenschaften stützen sowie auf die Auswertung von Zeitschriften und sonstiger Fachliteratur. Dabei ist das Risiko, einen unklaren Titel falsch einzuordnen, nicht ganz auszuschließen. Doch wurde Wert auf die größtmögliche Vollständigkeit der Titelangaben gelegt. Neben Monographien und Aufsätzen, die aufgenommen wurden, soweit ihre Titel einen sphragistischen Bezug erkennen ließen (also keine „versteckten“ Titel!), konnten Kurzmitteilungen, Zeitungsartikel und Rezensionen nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Auch bloße Einzelnachweise von Siegeln, z. B. in Tafelwerken, in veröffentlichten Familiengeschichten oder Städteführern, fehlen hier, da sie u. E. als bloße Bild- und Textnachweise nicht in eine Bibliographie gehören. Wie die meisten Bibliographien enthält auch die vorliegende „nur“ eine bloße Aufzählung von Titeln, die jedoch erstmals in der Sphragistik systematisch nach Sachgebieten geordnet wurden, innerhalb der Untergruppen nach Erscheinungsjahren, in einigen Fällen auch topographisch oder nach Stichwörtern. Grundsätzlich hatte bei der Einordnung der Titel der sachliche Bezug Vorrang vor dem regionalen oder familiengeschichtlichen, daher muß auch bei der Suche nach Titeln über eine bestimmte Region, einen besonderen Ort, eine Familie oder Person usw. das beigegebene umfangreiche Gesamtregister befragt werden, das dazu beitragen soll, weitere Verweise und Doppelaufnahmen zu ersetzen.
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Mit Ausnahme folglich der Siegelliteratur der französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur hennebergischen Geschichte. Köln 1976. (Mitteldeutsche Forschungen Bd. 80).
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Zur Systematik selbst kann auf die Stoffgliederung in den bekannten Handbüchern und auf die neuerdings von Toni Diederich entwickelte Siegeltypologie (1983) verwiesen werden47, der die Bearbeiter wertvolle Anregungen verdanken, ferner auf die Gliederung in der von ihnen selbst vorgelegten „Bibliographie zur Heraldik“ (1984), die sich in Abwandlung als praktikabel erwies. Doch auch die hier gewählte Gliederung, deren Brauchbarkeit erst auszuprobieren und in der Praxis zu überprüfen sein wird, ist nur als Versuch anzusehen, Ordnung in das Titelgut zu bringen bzw. Strukturen darin aufzudecken. Zu den einzelnen Gruppen: A Unter die Bibliographien und Periodika wurden bei A–I nur diejenigen Schrifttumsverzeichnisse aufgenommen, die eine größere Anzahl von Siegeltiteln verzeichnen, bei A–II nur diejenigen Zeitschriften, die sich ihrer Titel (oder Untertitel) nach mit Sphragistik beschäftigen. B Die Übergänge zwischen der an Umfang und Niveau sehr unterschiedlichen allgemeinen Literatur der Lehr- und Handbücher und des einführenden Schrifttums sind fließend, weswegen auch darauf verzichtet wurde, sie schwerpunktartig zu bestimmen, d. h. in zwei Gruppen aufzugliedern. C Die hier genannten Schriften zeugen oft weniger vom Forschungsstand der Sphragistik – was letztlich auch für die Gesamtbibliographie gilt – als von den Defiziten der Siegelkunde, beispielsweise hinsichtlich der in der Neuzeit vorherrschenden Lacksiegel, der Siegelbilder, wo noch keineswegs alle Einzelanalysen erfahren haben, oder in der Typologie, die erst Diederich in neuerer Zeit einer kritischen Musterung unterzog. Bei einigen Bildern, wie den Majestäts- und Thronsiegeln oder den Städtesiegeln, sind auch die Bezüge zu späteren Gruppen von F, wie Kaiser und Könige (F–II–1–a) oder Stadt- und Landgemeinden (F–II–2–a) zu beachten. D Während Siegelfälschungen die diplomatische Forschung schon früh beschäftigten, ist das eigentliche Siegelrecht noch wenig erforscht. So fehlt es beispielsweise an einer Sammlung von Edikten, Verordnungen, Gesetzen usw. zum Siegelrecht des Deutschen Reiches wie der Territorien, analog etwa zum „Teutschen Reichs Münz-Archiv“ (1760 ff.) von Joh. Chr. Hirsch im numismatischen Bereich. E In dieser Gruppe ist nur die Literatur über bestehende Sammlungen von Siegeln und Typaren aufgenommen worden, verzichtet wurde auf nur im Druck erfaßte, sog. thematische Inventare. F Da der sachliche Bezug, wie eingangs gesagt, bei der Einordnung der Titel Vorrang hatte, sei bei den einzelnen Siegeln nochmals darauf hin47
Toni Diederich: Prolegomena zu einer neuen Siegeltypologie. In: Archiv für Diplomatik 29 (1983) S. 242–284.
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gewiesen, daß auch unter den Gruppen C bis G Einzelsiegel zu finden sind, die jedoch aus thematischen Gründen hier nicht (nochmals) angeführt werden konnten; z.B. sind Siegel der Kaiserinnen und Königinnen generell unter C–V „Frauensiegel“ erfaßt, Siegeltypen wie Thronsiegel, die Herrschaftssymbolik einzelner Kaiser auch unter C–V, ferner einige Siegel der Päpste als Metallsiegel unter C–III–1. Aufgenommen wurden in die Gruppe F–V nur in deutscher Sprache geschriebene Titel über ausländische Siegel, die aber keineswegs repräsentativ für den Forschungsstand der Auslandssphragistik sein dürften. G Die Gruppe „angewandte Sphragistik“ erscheint ziemlich heterogen, Übergänge zwischen dem sphragistischen Kunstgewerbe und der Siegelstecherkunst erweisen sich einmal mehr als fließend. H Die Bedeutung der Siegel als Kleinkunstwerke in Ausstellungen ist in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsen, während sie in früherer Zeit mehr als historische Zeugnisse geschätzt worden sind; diese Tendenz, die sich auch bei den Medaillen zeigt48, läßt sich hier deutlich ablesen. I Die Zahl der Sphragistiker, die es bibliographisch hervorzuheben galt, ist (noch) relativ klein, da es weder in der wissenschaftlich betriebenen noch in der angewandten Sphragistik viele Fachleute gibt, die sich ausschließlich oder doch vorwiegend mit Siegeln befaßt haben. So gab es entweder Juristen oder Historiker, die Urkunden und dann auch den Siegeln bzw. Heraldiker, die sich Wappen auf Siegeln zuwandten, was auch für die Stecher gilt, die nicht allein Siegel sondern auch Medaillen, Münzen, Kupferstiche usw. verfertigten. K Hier zeigt sich deutlich, daß der oft propagierte interdisziplinäre Ansatz auch in der Sphragistik bisher nur selten fruchtbar gemacht worden ist. Disziplinorientierte Arbeiten überwogen, während fachübergreifende in Zukunft hoffentlich an Zahl zunehmen werden. Die Bibliographie möchte der Belebung der sphragistischen Forschung dienen. Sie stellt auch den Nachbarwissenschaften wie der Landes- und Kunstgeschichte, der Diplomatik und Heraldik ihre Ergebnisse damit in geeigneter Form zur Verfügung. Die Bearbeiter hoffen, mit ihr Archive und Museen, aber auch die Arbeit der Bibliotheken, historischen und kunsthistorischen Vereine unterstützen zu können.
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Vgl. Petra Hauke/Eckart Henning: Bibliographie zur Medaillenkunde. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990. Geleitwort von Wolfgang Steguweit. Bad Honnef 1993, bes. S. XIII ff., ferner den Vorabdruck des Vorworts von Eckart Henning: Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie, in: Vierteljahrsschrift Herold N.F., Bd. 13 (1992), S. 273–279
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Stoffgliederung der Sphragistik A BIBLIOGRAPHIEN UND PERIODIKA . .............................................. I. Bibliographien und Forschungsberichte ............................................. II. Zeitschriften und Serien ....................................................................... B ALLGEMEINE UND EINFÜHRENDE LITERATUR ........................ C SIEGELKUNDE .......................................................................................... I. Siegelstempel ......................................................................................... II. Siegelarten (rechtlich-funktionale Verwendung) ................................ III. Siegelstoffe . ........................................................................................... 1. Metallsiegel ...................................................................................... 2. Wachssiegel ...................................................................................... 3. Lack- und sonstige Siegel . .............................................................. IV. Befestigung und Schutz von Siegeln .................................................... V. Siegelbilder ............................................................................................ VI. Siegeltypologien .................................................................................... VII. Siegelinschriften .................................................................................... D SIEGELRECHT UND SIEGELFÄLSCHUNGEN . .............................. E SIEGELSAMMLUNGEN ........................................................................... I. Erfassung und Erschließung ................................................................ II. Aufbewahrung, Konservierung und Restaurierung ........................... III. Siegelreproduktionen . .......................................................................... IV. Siegelsammlungen, Bestandshinweise, Repertorien ........................... F EINZELNE SIEGEL (Personen – Institutionen – Zusammenfassungen) ..................................... I. Altertum ................................................................................................ II. Weltliche Siegelführer ........................................................................... 1. Personen . ......................................................................................... a) Kaiser und Könige .................................................................... b) Adel . .......................................................................................... c) Bürger ........................................................................................ d) Bauern . ...................................................................................... e) Juden .......................................................................................... 2. Institutionen .................................................................................... a) Länder und Landschaften ........................................................ b) Stadt- und Landgemeinden ...................................................... c) Gilden und Zünfte .................................................................... d) Gerichte ..................................................................................... e) Ämter . .......................................................................................
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f) Universitäten ............................................................................. III. Geistliche Siegelführer . ........................................................................ 1. Personen . ......................................................................................... a) Päpste . ....................................................................................... b) Erzbischöfe und Bischöfe ........................................................ c) Äbte ........................................................................................... d) Pröpste, Pfarrer u. a. ................................................................. 2. Institutionen .................................................................................... a) Orden . ....................................................................................... b) Domkapitel, Stifter, Klöster ..................................................... c) Kirchen ...................................................................................... d) Hospitäler . ................................................................................ IV. Zusammenfassungen weltlicher und geistlicher Siegelführer (Personen und Institutionen) . ........................................ V. Ausländische Siegel . ............................................................................. G ANGEWANDTE SPHRAGISTIK . ........................................................... H AUSSTELLUNGEN . .................................................................................. I SPHRAGISTIKER ....................................................................................... (Forscher und Siegelstecher) ......................................................................... K NACHBARWISSENSCHAFTEN .............................................................
Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im XI. und XII. Jahrhundert * Die Entwicklung der hennebergischen Landesherrschaft zwischen dem nördlichen Thüringer Wald und dem südlichen Maingebiet setzte im XI. Jahrhundert ein und ist erst in der Mitte des XVI., einige Jahrzehnte vor dem Aussterben des Geschlechts (1583) zum Abschluß gekommen: Erst Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen (1495–1559) gelang es, die uneingeschränkte Landesherrschaft zu festigen und schließlich unangefochten zu behaupten, die bereits von Berthold VII. (1284–1340), dem ersten gefürsteten Grafen von Henneberg, erlangt und vor ihm besonders von Godebold II. (1110– 1144), Poppo VII. (1211–1245) und Hermann I. (1245–1290) angestrebt und erfolgreich vorbereitet worden war. Um die Anfänge ihrer Herrschaftsbildung besser zu verstehen, wozu Genealogie und Sphragistik beitragen können, erscheint es wünschenswert, auch in diesem Zusammenhang zunächst vom geographischen Raum auszugehen, um dadurch den „Rahmen für einen mit historischen Methoden erarbeiteten Inhalt“1 zu gewinnen: Das Kerngebiet der Henneberger stellt keine einheitliche Landschaft dar, sondern besteht aus drei kleineren „naturräumlichen Einheiten“, den WerraGäue-Platten, dem Grabfeld und dem südlichen Vorland des Thüringer Waldes2. Alle drei Areale liegen jedoch gemeinsam in einem großen, nach Süden geöffneten Winkel, der vom Rennsteig des Thüringer Waldes im Norden und Nordosten (Linie Eisenach-Sonneberg) und im Westen von der Rhön gebildet wird. Es kann daher von einer „naturgegebenen Ausbreitungsrichtung“ Hennebergs zum Main, d. h. nach Franken und nicht nach Thüringen gesprochen werden3. * Erstmals erschienen in: Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Herold zu Berlin, hrsg. von Kurt Winckelesser, Berlin 1969, S. 33–57. 1 Heinz Quirin, Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte. Braunschweig 19643, S. 215. 2 Zu verweisen ist auf das „Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands“. Veröffentlg. d. Inst. f. Landeskde. i. d. Bundesanst. f. Landeskde. u. Raumforschg. u. d. Dt. Inst. f. Länderkde. Unter Mitwirkg. d. Zentralausschusses f. dte. Länderkde., bearb. u. hg. v. E. Meyen, J. Schmithüsen, J.-F. Gellert, E. Neef, H. Müller-Miny, J.-H. Schultze. 2 Bde. Bad Godesberg. Bd. I 1953–1962, Bd. II 1959– 1962, bes. Erich Otremba, Mainfränkische Platten Bd. I, S. 212, Eugen Wirth, Grabfeld, S. 222 u. Klaus Hattenbach, Das südl. Vorland des Thüringer Waldes, Bd. II, S. 612 f. Vgl. Kartensigel 1381, 1382, u. 390 der Faltkarte d. Hdb.s. 3 Vgl. sinngem. Wilhelm Engel, 400 Jahre Hennebergische Geschichtsschreibung, Magdeburg 1933, S. 1 f. (Sonderdr. aus: Sachs. u. Anh. 9).
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Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung
Die Kartenskizze wurde auszugsw. neu gezeichnet nach d. „Morpholog. Übersichtskte. d. Obersächs.-Thüring. Raumes“ v. W. Ebert, in: Ebert-FringGleissner-Kötzschke-Streitberg, Kulturräume und Kulturströmungen i. mitteldt. Osten, 1936. Sie stellt e. aus d. physikal. Übersichtskte. herausgearb. morpholog. Skizze dar; da sie nur zur Orientierung dienen soll, wurde auf feinere Wiedergabe d. morpholog. Verhältnisse verzichtet.
Neben diesen geographischen Voraussetzungen der hennebergischen Herrschaftsbildung, die hier nur gestreift werden konnten, müssen die genealogi-
Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung
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schen Zusammenhänge neu untersucht werden. Mittelalterliche Rechtsverhältnisse können wegen der engen Wechselbeziehungen von Personenverband, Recht und Verfassung nicht ohne eine möglichst gute Kenntnis der Abstammungsverhältnisse erfaßt werden. Sie sind vor allem im XI. Jahrhundert, wo noch keine breitere Quellengrundlage gegeben ist, hinsichtlich des sozialen Ranges und der rechtlichen Stellung der Henneberger aufschlußreich, aber auch umstritten. „Das unerbittliche Festhalten am Quellenbeleg, der Mut zur Lücke“4 ist hier besonders wichtig. Auf eine Erörterung sagenhafter Ursprünge der Henneberger5 kann verzichtet werden. Die etymologische Untersuchung des Namens „Henneberg“ führt zu dem Ergebnis, daß er ebensowenig wie der Landschaftsname „Hennegau“ von der „Henne“ abzuleiten ist, was außer der Herkunftslegende vor allem das hennebergische Wappen seit 1232 glauben machen möchte. „Henneberg“ bedeutet soviel wie „Hainberg“ (bewaldeter Hügel)6. Der Name des Berges, auf dem die Stammburg Henneberg südlich von Meiningen zwischen Werra und fränkischer Saale errichtet wurde, hat daher als Flurname zu gelten, der auf Burg und Geschlecht übergegangen ist. Große Bedeutung für die Anfänge der Henneberger kommt der Frage nach der Abstammung von den älteren Babenbergern oder Popponen zu. Diese Beziehung wurde von der Forschung bislang vielfach als gegeben betrachtet und die These von der „aus der Grabfeldgaugrafschaft hervorgegangenen Grafschaft Henneberg“ aufgestellt7. Auf diese Theorie muß in diesem Zusammenhang näher eingegangen werden: 4
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Karl Bosl, Hochadel i. Mittelalter und Neuzeit, in: ZBLG 22, 1959, 319–330: „Auch wenn Genealogie ohne gezügelte Einfälle und Vermutungen nie ganz auskommen wird, ist das unerbittliche Festhalten am Quellenbeleg, der Mut zur Lücke, die Beherrschung der Methode und wissenschaftliche Fragestellung Voraussetzung gesicherter Erkenntnis.“ (S. 326). Das Geschlecht soll im V. Jh. aus Italien eingewandert sein. Die Ursprungssagen d. Henneberger sind abgedruckt bei J. G. Th. Graesse, Geschlechts-, Namen- u. Wappensagen des Adels deutscher Nation, Dresden 1876, S. 65–67; vgl. u. a. Cyriacus Spangenberg, Hennebergische Chronica, Straßburg 1599, S. 34; J. Ad. v. Schultes, Diplomatische Geschichte des gräflichen Hauses Henneberg, 2 Bde., Hildburghausen 1788–91, Bd. I, S. 3; J. Findeis, Land und Leute i. preuß. Henneberg, Suhl 1876, S. 3 und Otto Dehler, Das hennebergische Landrecht i. d. Grundzügen dargestellt, jur. Diss. Erlangen, Würzburg 1939, S. 1. Paulus Cassel, Henneberg. Dem Jubelfeste des Henneberger alterthumsf. Verein a. 14. Nov. 1857 gewidmet. Erfurt 1857; vgl. über Burg und Dorf Henneberg allgem. auch: Bau- und Kunst-Denkmäler Thüringens: Herzogthum Sachsen-Meiningen, I/1, 361–371; Georg Brückner, Landeskunde d. Herzogthums Meiningen, 2. T., Meiningen 1853, S. 154–156. E. E. Stengel, Land- und lehnrechtl. Grundlagen d. Reichsfürstenstandes, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., Germanistische Abt. 66, 1948, 294–342, Zit. S. 320; vgl. u. a. G. Brückner, Landeskde. d. Herzogths. Meiningen, T. I, S. 13.
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Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung
Im Unterschied zum inneren Thüringen war die Grafschaftsverfassung in Ostfranken und Südwestthüringen bereits um 784 verwirklicht8. Das trifft auch für den größten der fränkischen Gaue zu, für das Grabfeld9. Er wird in den Urkunden als „pagus“-, „regio“- oder „provincia Grabfeld“ bezeichnet10. Ob das Tullifeld, der Baringau, die Buchonia und der Westergau nur als topographische Bezeichnungen11 oder als „Untergaue“ anzusehen sind12, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden. Im Ganzen umfaßt der Grabfeldgau das Gebiet zwischen der Rhön13 im Westen, dem Main14 im Süden und dem Rennsteig15 im Nordwesten16. 8
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Walther Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft. Untersg. vorwiegend nach mitteldt. Quellen, erstmals Dresden 1941 (= Sächs. Forschungen z. Gesch. 1). Neudruck: Darmstadt 1964, S. 58 ff.; vgl. Regesta Diplomatica Necnon Epistolaria Historiae Thuringiae, hg. v. Otto Dobenecker, Bd. I, Nrn. 48 und 57; 784 und 788 (zit. DOB I bzw. II ff.). Vgl. neben W. Schlesinger, Landesh. u. a. S. 60 ff., 156 f. u. K. Bosl, Franken um 800. Strukturanalyse einer fränk. Königsprovinz (m. Kte.), München 1959, Grabfeld bes. S. 47–50, 55–59 (= Schriftenr. z. Bayer. LG 58) auch einige ältere Arbeiten: Heinrich Böttger, Diöcesan- und Gau-Grenzen Norddeutschlands, 1. Abt: 31 Gaue und 10 Untergaue in 7 Bistümern und 108 geistl. Bezirken Frankens (m. Kte.), Halle 1875, Pagus Grabfeld S. 237 ff.; O. Curs, Deutschlands Gaue i. 10. Jh. Nachweisungen z. e. hist. Kte. Deutschlands um d. Jahr 1000 n. d. Königsurkunden. Phil. Diss. Göttingen 1909; – Um Verwechselungen auszuschließen ist anzumerken, daß die oben beschriebene Ausdehnung d. hist. „Grabfeldgaues“ nicht identisch ist m. d. kleineren geograph. Areal d. „Grabfelds“, wie es v. E. Wirth, Grabfeld, im: Hdb. d. naturräuml. Gliederg., Bd. I, S. 222, beschrieben wird. H. Förstemann, Altdt. Namensbuch, Bd. II/1, 3. Aufl. bearb. v. H. J. Jellinghaus, Bonn 1913, S. 1087. Konrad Lübeck, Die Gaugrafen des Grabfeldes, in: Geschichtl. Abhandlungen v. K. L., Bd. II, Nr. XI (= Fuld. Stud. 2, 1950, 19–41; = 28. Veröffentl. d. Fuld. Geschichtsver.), S. 21: „Andererseits war die Buchonia auch kein Untergau des Grabfeldes, das überhaupt keine Untergaue hatte!“ Die sonst quellenmäßig gut fundierte Arbeit v. K. L. leidet jed. darunter, daß Verf. mit Schlesingers Entstehg. d. Landesh. nicht vertraut war. Neben Überholtem zwingt diese Arbeit freil. dazu, Sonderprobleme neu zu überdenken. W. Schlesinger, Landesh., S. XI f., 156 f., 160; u.a. s. H. Böttcher, Diöcesan- und Gau-Grenzen Norddeutschlands, 1. Abt.: 31 Gaue und 10 Untergaue i. 7 Bistümern und 108 geistl. Bezirken Frankens, u.a. S. 237, 245 und öfter. Nach K. Lübeck, Gaugrafen, S. 19, war auch d. Westgrenze nicht d. Rhön, sondern „wohl“ d. Vogelsberg. Der südwestl. Punkt war Schweinfurt, vgl. hierzu Friedrich Stein, Geschichte Frankens, Schweinfurt, Bd. I und II, 1885/86 (Neudr. Aalen 1966), Bd. I, S. 45. Den wichtigsten Teil d. schwer übersehbar gewordenen Rennsteigliteratur verzeichnet H. Patze, Bibliographie z. thüring. Geschichte, unter Mitarb. v. H. Hammerstein, Graz und Köln 1965 f. Nr. 4375–4419 (= Mitteldeutsche Forschungen 32, 1 u. 2). Da d. Nordgrenze d. Grabfelds, die i. jahrhundertelangen thüring.-fränk. Kämpfen entstand (s. E. Zickgraf, Forschgn. z. Geschichte d. Wildbänne u. alter Grenzen i.
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Graf Poppo I., der Stammvater der älteren Babenberger, taucht zuerst in den Urkunden des IX. Jahrhunderts auf17. Seine Grafschaft wird einerseits das ganze historische Grabfeld, mindestens aber Teile davon umfaßt haben, anderseits auch Gebiete außerhalb der „Grenzen“ im Spessart18 und Waldsassengau19. Poppos Söhne und Neffen, die z. T. wieder Poppo hießen20, haben im Tullifeld, aber auch in der Buchonia und in anderen Gebieten Grafschaften aufgerichtet21. Doch wenn die Popponen u. a. auch im Grabfeld fußgefaßt haben, so zeigen die in jeder Generation erneut festgelegten Grenzen und die unterschiedlichen Aufteilungen deutlich, daß es entgegen früheren Annahmen in der Forschung keine „Gaugrafschaften“ gab, denn „Gau und Grafschaft decken sich nicht“22.
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Gebiet d. Grafschaft Henneberg-Schleusingen, in: Jhb. d. henneberg.-fränk. Geschichtsvereins 1939, S. 11–39 m. Kte.), i. d. bisherigen Forschung bes. umstritten ist, sollen auch hier d. wenigen, urkundl. belegten Punkte i. nördl. Grabfeld verzeichnet werden: Es sind Schmalkalden (Dronke, Codex dipl. fuld. Nr. 611), Schwallungen (ib. Nrn. 87, 124, 612 u. Ders., Tradit. et antiqu. fuld. Nrn. 38, 308), Georgenzell (Zickgraf, Wildbänne, S. 15), Roßdorf (Dronke, Codex dipl. fuld. Nrn. 133, 379, 458, 479, 700), Ursushausen (ib. Nr. 506), Borsch (ib. Nr. 524), Soidorf (ib. Nr. 670), Eiterfeld (ib. Nr. 554). Die südl. thüring. Dörfer sind: Breitungen (UB d. Reichsabtei Hersfeld, bearb. v. H. Weinrich, Bd. I/1, Marburg/L. 1936, Nr. 46), Barchfeld (ib.), Salzungen (ib. Nr. 7) und Dorndorf (ib. Nr. 20). Vgl. K. Lübeck, Gaugrafen, S. 19. DOB I, Nrn. 109, 110, 112, 115, 138, 142, 146, 168, 177, 178, 179, 183; vgl. auch K. Lübeck, Gaugrafen, S. 23 und Eilhard Zickgraf, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen. Geschichte des Territoriums und sr. Organisation, Marburg/L. 1944, S. 53 ff. (= Schriften d. Inst. f. geschichtl. Ldeskde. v. Hessen und Nassau 22). Amtslehen Poppos lagen bei Remlingen; sie wurden gegen fuld. Klostergut i. Gau Waltsazzi getauscht, s. Dronke, Codex fuld. Nrn. 231, 524 und DOB II, Nrn. 41, 177, 178. W. Schlesinger, Landesh., S. 59. DOB I, Nrn. 270, 302. DOB 1, Nrn. 315, 271, 272. – Die einschlägige Lit. z. Genealogie und Siedlungsg. d. Popponen, insbes. Arbeiten v. E. Dümmler, E. Frhr. Von Guttenberg, W. Schlesinger, G. Tellenbach, E. Zickgraf, H. W. Klewitz, K. Hammer, O. Mitis, H. Büttner/J. Dietrich, H. Weigel U. F. Tyroller verzeichnet zuletzt zieml. vollst. Wolfgang Metz, Babenberger und Rupertiner in Ostfranken, in: JfL 18, 1958, 295–304. Wenn W. M. jed. m. Bezug auf d. angef. Arbeiten betont, daß man u.a. auch „jüngere Geschlechter, wie die Grafen von Henneberg ... nicht ohne Grund“ mit den Popponen „in Verbindung gebracht“ hat (S. 295), so werden unsere Ausführungen unten zeigen, daß selbst diese vorsichtige Beurteilung i. Falle Hennebergs noch abzuschwächen wäre. – Heranzuziehen ist auch noch Ferdinand Geldner, Zur Genealogie der „alten Babenberger“, in: Hist. Jhb. 84, 1964, 257–270. W. Schlesinger, Landesh., S. 60.
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Die Erblichkeit der Grafschaften bei den Popponen ist seit der Karolingerzeit bis zu Poppo III. hin nachweisbar. Nach seinem Tod im Jahr 94523 bricht die urkundliche Überlieferung zunächst ab und anstelle der Popponen erscheinen von 975–1049 die später in Schweinfurt ansässigen24 „Ottonen“ als Grafen im Grabfeld25. Nun könnte es sein, daß mit Poppo III. die älteren Babenberger ausgestorben sind; es wäre auch ein Machtwechsel denkbar, dessen unmittelbarer Anlaß uns nicht überliefert ist. Es wäre schließlich möglich, daß die beiden miteinander verwandten Würzburger Bischöfe, Poppo I., der zwischen 941 und 961 belegt ist26, und Poppo II., ebenfalls Babenberger waren27. Der Name „Poppo“28 spricht zunächst für diese vermutete Beziehung. Weiterhin darf angenommen werden, daß der Bischofsstuhl in diesem Bereich durch eine der führenden fränkischen Familien besetzt wurde. Beides trifft auf die Babenberger zu, die im Grabfeld beheimatet waren, so daß schon aus diesen allgemeinen Erwägungen heraus an eine Verbindung zwischen Würzburg und den Babenbergern gedacht werden kann29. Auch daß Bischof Rudolf von Würzburg, ein Parteigänger
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Annales Necrologici Fuldenses, ed. G. Waitz, in: MGH SS XIII, S. 197; Dronke, Trad. Fuld. Nr. 686; ferner: K. Lübeck, Gaugrafen, S. 35, der eine gewisse Unsicherheit bekennt, ob d. Eintragung i. d. Totenbuch auch diesen Poppo meint. Zu Otto I. bis Otto II. vgl. DOB I Nrn. 471, 506, 522, 590, 593, 600, 618, 700, 788. Vgl. auch K. Lübeck, Gaugrafen, S. 36 ff. und E. Frhr. von Guttenberg, Grundzüge d. Territorienbildg. a. Obermain, Würzburg 1925, S. 18–31 (= Neujahrsblt. d. Ges. f. fränk. Gesch. 16); Auf Otto III. folgte Heinrich I. Über seinen Aufstand i. Jahre 1003 gegen König Heinrich, als ihm dieser trotz der gewährten Wahlhilfe das Herzogtum Bayern verweigerte, berichtet der Onkel mütterlicherseits dieses Schweinfurter Markgrafen: Thietmar v. Merseburg. (Die Chronik des Bischofs Thietmar v. Merseburg, hg. v. R. Holtzmann, Bln. 1935, S. 258–260 [= MGH SSrerGerm. n. s. 9, Lib. V]). E. Frhr. von Guttenberg, Grundzüge, S. 207. J. Simon, Stand und Herkunft d. Bischöfe d. Mainzer Kirchenprovinz i. Mittelalter, Weimar 1908, S. 57. Zum Verwandtschaftsverhältnis beider Bischöfe mit den Babenbergern, vgl.: Germania Sacra. Historisch-statistische Beschreibung d. Kirche des alten Reiches, hg. v. Max-Planck-Inst. f. Geschichte. N. F. 1: Die Bistümer d. Kirchenprovinz Mainz: Das Bistum Würzburg, Teil 1: Bischofsreihe b. 1254. Im Auftrag d. Max-PlanckInst. f. Gesch. bearb. v. Alfred Wendehorst, Berlin 1962. Leider scheint W., dessen Folgerungen ich mich hier nur bedingt anschließen kann, nicht W. Schlesingers Landesh. herangezogen zu haben, wo das gl. Problem erörtert wird. – Allgem. z. Germania Sacra Würzburg vgl. Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg und seine Bischöfe im frühen Mittelalter, in: Zeitschrift f. Bayer. Landesgesch. 29, 1966, 616– 661, hier bes. S. 654 ff. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 79. W. Schlesinger, Landesh., S. 162.
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der Konradiner, durch den Babenberger Adalbert vertrieben wurde30, verdient in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden. So ist es möglich, „daß nach der Niederschlagung des Aufstandes Herzog Eberhards von Franken als Gegengewicht gegen die Konradiner die Babenberger das würzburgische Bistum erhielten“31. Eine enge Beziehung beider Bischöfe zum Reich bestand sowohl genealogisch als auch politisch: Poppo I. (941–961) war nach dem Bericht Othlos32 ein Bruder Erzbischof Heinrichs von Trier (956–964) und beide „eximia Francorum Suevorumque prosapia genitus“33. Flodoard (894–966) schreibt als Zeitgenosse: Heinrich sei „regis Ottonis propinquo“34 gewesen, woraus gefolgert werden darf, daß auch Poppo I. mit den sächsischen Kaisern verwandt war. Diese Annahme wird noch gestützt durch eine Äußerung des Continuator Reginonis, der Bischof Poppo II. (961–98335) als „proximus“36 Poppos II. bezeichnet, während Kaiser Otto II. wiederum Poppo II. in einer Urkunde „nepos“ nennt37. Der genealogische Zusammenhang zwischen Poppo I. und Poppo II. scheint somit gesichert zu sein38. Es wäre wohl auch dann nur scheinbar in Zweifel zu ziehen, wenn der Nachweis gelänge, daß Poppos I. „eigentlicher Name ... Folcmar gewesen wäre, der im popponischen Grafenhause niemals vorkommt ...“39. Nun ist in der Tat der nur einmal vorkommende Notar König Heinrichs I., dessen Name mit Folcmar angegeben wird40, von der Forschung überwiegend mit seinem unmittelbaren Nachfolger Poppo I. als Notar und Kanzler (931–940) gleichgesetzt worden41, den der Continuator Reginonis sogar als „regi perca30
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Zur Babenbergerfehde s. E. Frhr. von Guttenberg, Grundzüge, S. 18 f. und K. Lübeck, Gaugrafen, S. 32 ff. W. Schlesinger, Landesh., S. 162, ferner: M. Beck/H. Büttner, Die Bistümer Würzburg und Bamberg i. ihrer polit. und wirtschaftl. Bedeutung f. d. Gesch. d. dt. Ostens, Bln. 1937, S. 118 ff. (= Stud. u. Vorarb. z. Germania Pontifica 3). Othloni vita Sancti Wolfgangi episcopi, cd. G. Waitz, in: MGH SS IV, S. 528. Ib. Flodoardi Annales A. 956, ed. G. H. Pertz, in: MGH SS III, S. 403. Zum Todesj. 983 vgl. MGH SS VI, S. 29; dazu Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 639 f. Zit. n. Annalista Saxo, ed. G. Waitz, in: MGH SS VI. S. 615. DOB II, Nrn. 132, 208. Die Gründe, die A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 60 anführt, um den agnat. Zusammenhg. zw. Poppo (I.) und Poppo (II.) zweifelhaft erscheinen zu lassen, verfangen nicht: a) Warum soll der Zeitgenosse Flodoard P. I. mit P. II. verwechselt haben, b) weshalb soll die Verwandtschaft P. II. – Otto II. nur mütterlicherseits bestanden haben und P. I. desh. nicht miteinbeziehen, wo doch d. Cont. Reg. P. II. als „proximus“ P. I. bezeichnet? – Vgl. dazu Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 654 ff. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 60. MGH D. H. I, Nr. 25. Zuerst v. Karl Fr. Stumpf-Brentano, Die Reichskanzler vornehml. d. 10., 11. und 12. Jhs. in 3 Bden., Bd. II: Die Kaiserurkunden d. 10., 11. und 12. Jhs. Chronolo-
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rus“ bezeichnet42, da tatsächlich „Poppo nur die Koseform für Folcmar ist“43. Wenn die Identität von Folcmar und Poppo mit Recht angenommen wird, was hier nicht bezweifelt werden soll, so könnte aus ihr freilich noch lange nicht gefolgert werden, daß Folcmar kein Poppone war, nur weil er einmal anders genannt wurde44. Es kam im X. und XI. Jahrhundert vielfach vor, daß beide Namen abwechselnd für eine und dieselbe Person gebraucht wurden45, auch scheint die Namensform „Poppo“ sich später durchgesetzt zu haben. Die Zugehörigkeit beider Bischöfe, Poppos I. und Poppos II., zu den Babenbergern kann somit als weitgehend sicher angesehen werden46, zumal auch unabhängig von ihren verwandtschaftlichen Beziehungen zum sächsischen Kaiserhaus genealogische Verbindungen zwischen König Heinrich I. und den Babenbergern glaubhaft gemacht werden können47.
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gisch verz. als Beitr. z. d. Regesten und Kritik ders. Mit Nachträgen v. Julius Ficker (1883), 2. Neudr. d. Ausg. Innsbruck 1869–1883, Aalen 1964, S. 3 u. 8; vgl. desgl. Harry Bresslau, Handb. d. Urkundenlehre f. Deutschl. und Italien. Bd. I, 3. Aufl., Bln. 1958, S. 414 und Anm. 2, 424 f., 437, 438 und Anm. 1, 439 und Anm. 3, ferner Bd. II, 1. Ab. 3. Aufl. und 2. Abt. 2. Aufl., Bln. 1958, S. 137 und Anm. 2; ferner: E. E. Stengel, Die Immunität i. Deutschland b. z. Ende d. 11. Jhs., Bd. I: Die Diplomatik d. dt. Immunitätsprivilegien v. 9. b. z. Ende d. 11. Jhs., Innsbruck 1911), S. 142, Note 5a; gegen Sickel, in: Beitr. z. Diplomatik 7, 1872, S. 710 f. und Mitteilungen d. Inst. f. Österreich. Geschichte, Ergänzungsbd. 2, S. 89, Note 2. Continuator Reginonis, zit. nach: Annalista Saxo, ed. G. Waitz, in: MGH SS VI, S. 615. G. Waitz, Jhbb. d. Dt. Reiches unter Heinrich 1., 3. Aufl. Lpz. 1885, Reprint Darmstadt 1963, S. 109, Anm. 4; vgl. dafür zustimmend auch Adolf Bach, Deutsche Namenkunde I, 12, Heidelberg 1952, S. 102 (vgl. unten Anm. 68) m. Hinweis auf Zeitschrift für deutsches Altertum 13, S. 578; F. Stark, die Kosenamen d. Germanen, Wien 1868, S. 64. S. Germania Sacra Würzburg, bearb. v. A. Wendehorst, S. 60. Vgl. H. M. Decker-Hauff, Württ. Franken 42, S. 14 und MGH SS 4, S. 350, Anm. 21. – Vgl. zur Identitätsfrage und zugleich als bündige Antwort auf A. Wendehorst (s. Anm. 44) Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 655: „Wenn im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert dieselben Personen abwechselnd die Namen Folcmar und Poppo führen, dann kann man natürlich nicht mehr sagen, Poppo habe ,eigentlich‘ Folcmar geheißen, sondern darin waren eben die beiden Namen identisch und wurden als identische Namen verwendet. Wer also ,eigentlich‘ Poppo hieß, konnte Folcmar genannt werden und umgekehrt. Das gilt auch für den Würzburger Bischof dieses Namens. Wenn dieser mit dem Notar Folcmar identisch ist, dann ist er nur ausnahmsweise einmal als Folcmar, sonst indessen immer als Poppo belegt. Poppo war also sein ,eigentlicher‘ Name.“ Weitere Einzelheiten über d. Babenberger führen in unserem Zusammenhang zu weit. Ich verweise bes. auf A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 59–61. W. Schlesinger, Landesh., S. 163, und Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 655 f. in. Hinweis auf Widukind, Rer. gestarum Saxonicarum, ed. LohmannHirsch, in: MGH SSrer Germ., S. 31.
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Wenn damit von 941–964 der Name „Poppo“ auf die beiden erwähnten Würzburger Bischöfe übergegangen ist, so wäre auch eine Erklärung dafür gewonnen, warum der Name bei den Grafen im Grabfeld seit 945 nicht mehr vorkommt. Leider läßt sich daraus – auf Grund neuerer Ergebnisse der Urkundenkritik – nicht mehr folgern, daß sich damit auch der Abstand zur frühesten urkundlichen Erwähnung eines Hennebergers im Grabfeld entscheidend verringert habe oder sich „zwanglos erklären“48 ließe. Die vermeintlich frühesten Belege für einen „Grafen von Henneberg“ haben sich inzwischen alle als „fragwürdig oder unecht“ herausgestellt49: die Urkunde von 1034 muß als neuzeitliche Fälschung gelten50. In ihr wird ein „Graf Poppo“ im Grabfeld erwähnt, der lange Zeit zu den Hennebergern gerechnet wurde. Aber auch die Echtheit des Öhringer Stiftungsbriefes51 von Bischof Gebhard von Regensburg und der Kaiserinmutter Adelheid aus dem Jahre 1037, der nächst der Urkunde von 1034 als frühester Beleg angesehen wurde, ist umstritten52. In dieser Urkunde war ausdrücklich ein „Boppo comes de Henin48
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W. Schlesinger, Landesh., S. 164. Es würde auch nicht viel helfen, wenn man Bischof Hugo von Würzburg (983–990) noch als Poppone erweisen könnte, wozu FranzJosef Schmale, Das Bistum Würzburg S. 657, i. Anschl. an L. Fries neigt und zwar gegen A. Wendehorst, Germania Sacra, S. 67. Der ungeklärte Zeitraum b. z. ersten Auftauchen eines Hennebergers 1078 würde noch immer beinahe neunzig Jahre ausmachen und keinen „Anschl.“ d. Henneberger an d. älteren Babenberger gestatten. Das Verdienst, das bereits 1913 erkannt zu haben, kommt Günther Schmidt, das Würzburger Herzogtum und die Grafen und Herren i. Ostfranken, Weimar 1913, S. 59 (= Quellen u. Stud. z. Verfassungsg. d. Dt. Reiches i. MA. u. NZ 5,2) zu, obwohl es von der hennebergischen Forschung erst spät u. v. W. Schlesinger, Landesh., überhaupt noch nicht beachtet wurde. DOB I, Nr. 170. Nach den ausführl. Vorbem. v. H. Bresslau (1909) zu: MGH DD IV, Nr. 206, S. 279, handelt es s. um e. Erfindung aus Gelehrtenehrgeiz, die Bodmann zugeschrieben wird. Die Echtheit d. Urkunde wurde von dems. bereits angezweifelt, in: H. B., Jbb. d. Dt. Reiches unter Konrad II., Lpz. 1884, Bd. II, S. 107 f., Anm. 3. DOB I, Nr. 719 und Wirtemberg UB, Bd. I, 1849, S. 263, Nr. 222. Karl Weller, Die Öhringer Stiftungsurkunde von 1037, in Württembergische Vierteljahrshefte f. LG 39, 1933, 1–24 (m. e. gr. Teil der ält. Lit. S. 1 Anm. 1). Daß diese Urkunde von 1037 nicht mehr als zweifellos gesicherte Ersterwähnung eines Hennebergers betrachtet werden kann, war vor allem W. Schlesinger, Landesherrschaft S. 158 ff., bes. S. 164 unbekannt, da ihm die, in diesem Zusammenhang entscheidende Untersuchung Wellers leider nicht vorlag. Zweifellos wäre ihr bei Schlesingers Versuch, die Grafen von Henneberg genealogisch an die älteren Babenberger anzuknüpfen, besondere Bedeutung zugekommen und hätte vielleicht dazu geführt, seine Hypothese abzuschwächen. Dazu neigt E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 78: „Die ältere Forschung hat mit großer Beharrlichkeit auf der Abstammung der Henneberger von den älteren Babenbergern bestanden, wobei sie freilich von der irrigen Vor-
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berc“ als Zeuge aufgeführt worden. Wenn auch diese Urkunde nicht mehr einschränkungslos als mittelalterliche „Fälschung“53 bezeichnet werden kann, so handelt es sich doch zweifelsfrei um eine nach 1075, vielleicht 1190 angefertigte, nachträgliche Überarbeitung eines Textes aus frühsalischer Zeit. Ziel dieser Urkundenüberarbeitung scheint es gewesen zu sein, durch Einschübe und Zusätze auch für Öhringen die bekannten Forderungen der Reformklöster seit dem Investiturstreit durchzusetzen, nämlich freie Vogtwahl (gegen Graf Heinrich von Comburg als Vogt und zeitweiligem Reformgegner gerichtet) und eine weitgehende Unabhängigkeit geistlicher Stiftungen vom Eigenkirchenherren (dem Bischof von Regensburg); diese Forderungen wurden als ursprüngliche, in der Gründungsurkunde von 1037 angeblich bereits verbriefte Privilegien hingestellt. Bedeutungsvoll in unserem Zusammenhang ist vor allem die Frage, ob die sechs Burgnamen der Zeugen, zu denen außer dem schon genannten Graf Poppo von Henneberg, noch Hugo comes de Creginecka (Kräheneck), Adelbertus comes de Kalewa (Calw), Boppo comes de Loufen (Lauffen), Eberhardus comes de Ingeresheim (Ingersheim) und Burchardus comes de Kamburc (Komburg) gehört haben, später „willkürlich beigefügt“53 wurden, oder ob sie tatsächlich zutrafen, auch wenn sie später ergänzt wurden? Die Behauptung einer „willkürlichen“ Ergänzung von Zeugennamen wird sich kaum halten lassen. Wenn man aber die Erweiterung „de Heninberc“ – ebenso wie die Erweiterungen der anderen Namen – für sachlich einleuchtend hält, eröffnen sich mindestens drei Möglichkeiten: davon scheidet die erste, daß „auch die Burgnamen der Originalurkunde von 1037 angehörten“54, wohl aus, da zu dieser Zeit eine Benennung nach Burgsitzen noch nicht üblich, nach wechselnden Wohnsitzen aber nur selten53 und jedenfalls kaum bei sechs Zeugen zugleich vorgekommen sein wird, wie in dem vorliegenden Falle. Der praktische Hinweis, daß unter den Zeugen
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aussetzung ausging, daß schon 1037 ein Poppo im Grabfeld war“. Es ist interessant, daß E. Zickgraf als „einzige Möglichkeit“ des Beweises den hennebergischen Allodial- und Lehensbesitz untersucht (S. 78 f.) und hier nun in der Tat dennoch zur „Babenbergerthese“ Schlesingers gelangt, wenn auch auf anderen Wegen (S. 79). Ob H. Patze, Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen, Teil I, Köln und Graz 1962, S. 547 (MF 22) von der gefälschten Urkunde gleichfalls nichts wußte oder ob er E. Zickgrafs Argumentation folgt, wenn er sich für die Kontinuität BabenbergerHenneberger ausspricht, ist nicht zu erkennen. – Zu Patze vgl. auch Rez. v. H. Quirin, in: Bll. f. dt. Landesg. 99, 1963, 607–610. Zur Urkunde vgl. ferner H. Helbig, Wettinischer Ständestaat, Münster und Köln 1955, S. 106 (= MF 4). Den Fälschungsverdacht sprach mündlich zuerst aus H. Bresslau, vgl. Heinrich Witte, Der heilige Forst und seine Besitzer, in: ZGORh 51, 1897, S. 219. – E. Zickgraf vermutet weitere gefälschte Urkunden, in: Henneberg-Schleus. S. 77 Anm. 2. Hansmartin Decker-Hauff, Der Öhringer Stiftungsbrief, Teil 1, in: Württembergisch-Franken 41, 1957, 17–31; Teil II ib. 42, 1958, 3–32. In der Reihenfolge der Textverweise waren angesprochen T. II, S. 5; desgl. S. 9 f.; S. 23 f.
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zwei mit Namen „Poppo“ waren und folglich „ein unterscheidender Zusatz schon 1037 erwünscht gewesen“ sei54, kann wohl kaum allein als ausreichende Erklärung des Befundes dienen. Die zweite Möglichkeit: der Zeugenname „Boppo comes“ in der Originalurkunde von 1037 erhielt erst später den richtigen Zusatz „de Heninberc“. Dann wäre es denkbar, daß um 1090 noch Zeitgenossen lebten, die Vorgang und Zeugen der Öhringer Stiftung im Gedächtnis hatten und daß folglich „bei der späteren Überarbeitung die richtigen Bezeichnungen eingesetzt worden“ sind54. Die dritte Möglichkeit wäre die, daß 1037 keiner der beiden Zeugen „Poppo“, ein Henneberger gewesen ist, daß es aber den Kompilatoren der Urkunde im ausgehenden XI. Jahrhundert politisch ratsam erscheinen konnte, an die Spitze der Öhringer Zeugenliste von 1037 einen Henneberger zu setzen, da dieses bedeutende Geschlecht in der Zeit der Überarbeitung der Originalurkunde noch immer eine einflußreiche Stellung im Gebiet von Öhringen durch den Besitz der Vogtei Lorsch (Godebold II, Poppo IV. u. a.) einnahm, ferner als Würzburger Burggrafen und als Parteigänger der Salier (s. u.) über das nötige politische Ansehen verfügten, um den Inhalt der Urkunde und ihre später hineingebrachte Tendenz zu beglaubigen. Vor allem die zweite Möglichkeit ist durch eine neuere Untersuchung des „Öhringer Stiftungsbriefs“ eingehender erörtert und in einen größeren Zusammenhang gestellt worden. Die Möglichkeit, daß ein Henneberger zu den Zeugen der Urkunde von 1037 gehört haben kann, wird in die weitreichenden genealogischen Folgerungen hinsichtlich der Nachkommenschaft der Kaiserinmutter Adelheid und der Stammfolge der Popponen miteinbezogen. Auch wenn aufgrund des vorläufigen Charakters dieser Studien noch zahlreiche Belege und Begründungen für die vorgelegten genealogischen Hypothesen fehlen, sollen einige Thesen wenigstens skizziert werden, soweit sie Henneberg unmittelbar angehen bzw. das Problem des genealogischen Zusammenhanges „Popponen–Henneberger“ betreffen. Diese Thesen besagen kurz folgendes: Alle Zeugen der Urkunde von 1037 sollen – einschließlich Graf Poppo von Henneberg – Verwandte bzw. Erben des Stifters, Bischofs Gebhard von Regensburg, gewesen sein; Söhne, Schwiegersöhne oder Enkel seiner Eltern: „Damit gewinnt der Öhringer Stiftungsbrief den Charakter einer Abmachung zwischen Verwandten“,54 er dient zur Sicherung gegen ihre Einsprüche und vor späterer Anfechtung der Stiftung. Die Eltern Gebhards sollen der bisher unbekannte Graf Poppo im Lobdengau und die Kaiserinmutter Adelheid von Metz gewesen sein, die in erster Ehe 987/88 mit dem Salier Heinrich von Worms verheiratet war; ihr Sohn war der spätere Kaiser Konrad II. Zu den popponischen Nachkommen Adelheids aus dieser zweiten Ehe 990 mit dem Grafen Poppo, soll u. a. ihr Sohn Heinrich, Graf von Lobdengau (1024) gehören, der als Vater des im Stiftungsbrief von 1037 genannten Grafen Poppo von Henneberg in Frage kommen soll. Dieser Poppo soll zunächst seinem Großvater, Poppo von
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Lobdengau, dem Gemahl der Adelheid, in dessen Grafschaft gefolgt sein und erst nach 1030 auch altpopponisches Hausgut im Grabfeld übernommen und sich nach der Burg Henneberg genannt haben54. Die Verbindungen zum Kloster Lorsch, die bereits früher bestanden haben sollen, wären nicht abgerissen, Verbindungen, die auch in urkundlicher Zeit noch zwischen den Grafen von Henneberg und Lorsch nachweisbar sind, ohne daß man über deren Anfänge bisher nähere Angaben machen konnte. Genealogische Verbindungen zwischen den Würzburger Bischöfen Poppo I. und Poppo II. einerseits und den Hennebergern anderseits würden sich über den Bruder Bischof Poppos II., den Grafen Burkhard von Bottwar (965 im Murrgau, 972 Markgraf der Ostmark) herstellen lassen. Aus seiner Ehe mit der Luitpoldingerin Adelheid soll u. a. Graf Poppo-Folcmar von Lauffen hervorgegangen sein, der 965 eine Tochter des Grafen Siegfried von Öhringen heiratete; seit 1006 war Poppo-Folcmar Abt von Lorsch, 1013–18 außerdem Abt von Fulda. Einer seiner Söhne wird Graf Poppo von Lobdengau gewesen sein, der 990/91 der zweite Gemahl der Kaiserinmutter Adelheid wurde. Ihre Kinder waren: Poppo Graf von Lauffen (der „andere“ Poppo der Öhringer Stiftsurkunde von 1037) und der erwähnte Graf Heinrich von Lobdengau, der vermeintliche Vater Poppos von Henneberg, den die Stiftsurkunde von 1037 ebenfalls als „Boppo comes“ führt. Er wiederum soll der Vater des ersten Grafen von Henneberg gewesen sein, der nach dem Zeugnis der Quellen 1078 auf Seiten Heinrichs IV. in einem Kampf gefallen ist. Die Popponen–Henneberger wären nach dieser These zum Kreis der Kaiserverwandten zu zählen. Wenn sie sich auch nicht vom salischen Mannesstamm ableiten können, so waren sie doch unmittelbare Nachkommen der Kaisermutter Adelheid. Damit würden dann die Henneberger auch zu den engsten Blutsverwandten Kaiser Heinrichs IV. zählen, was freilich zu dem politischen Bild enger Parteinahme für den Salier sehr gut stimmen würde. Diese genealogischen Thesen sind ansprechend, und selbst wenn sie im augenblicklichen Stadium ihrer Entwicklung im ganzen noch zu vage erscheinen, um an dieser Stelle bereits übernommen zu werden, so lassen sich doch an Überlegungen wie diese zugleich Erwartungen knüpfen, daß es vielleicht doch noch gelingen wird, den stringenten genealogischen Zusammenhang zwischen Popponen und Hennebergern einmal zweifelsfrei aufzuklären. Bislang aber verbietet es die Quellenlage noch, die Henneberger in einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den älteren Babenbergern zu stellen, wie es die Forschung traditionell getan hat55. Ein zuverlässiger Nachweis läßt sich nicht führen, da der zeitliche Abstand, der beide Geschlechter voneinander trennt, fast ein Jahrhundert beträgt.
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Seit C. Spangenberg, Hennebergische Chronica, Straßburg 1599.
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Dennoch sollen, bevor unten auf die urkundlich gesicherte Ersterwähnung eines Hennebergers näher einzugehen ist, die Argumente nochmals zusammengefaßt werden, die, obwohl unzureichend, auch weiterhin für die angenommene Verbindung beider Geschlechter angeführt werden können56. Sie vermögen freilich, was deutlich gesagt werden muß, die Beweiskette nicht zu schließen, wovon die hennebergische Forschung heute vielleicht weniger weit entfernt zu sein scheint als früher. 1. Die Babenberger sind als Grafen im G r a b f e l d belegt; die Grafschaft der Henneberger liegt mit ihrem Kerngebiet ebenfalls überwiegend im Grabfeld: Alle hennebergischen Liegenschaften, deren Besitz bis 1250 urkundlich zu belegen ist, befinden sich dort, wo sich noch Eigengut der popponischen Komitatsinhaber erschließen läßt57. 2. Die G r a f s c h a f t der Babenberger wie die der Henneberger war erblich: Bei den Babenbergern war sie an das Geschlecht gebunden, während sie bei den Hennebergern im Laufe der Zeit zur Territorial- bzw. Grundherrschaft wurde. 3. Beziehungen der Babenberger zum Bistum W ü r z b u r g sind nachweisbar, selbst wenn die beiden Bischöfe Poppo I. und Poppo II. nicht diesem Geschlecht zuzurechnen sind. Die Henneberger waren mehr als ein Jahrhundert im Besitz des Burggrafenamtes (1087–124058) und der Hochstiftsvogtei (1103–1168/8959). 56
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W. Schlesinger. Landesh., S. 164, u. sr. dortigen Übersicht kann nur noch bedingt gefolgt werden. Alle aus d. Urkunde v. 1037 gezogenen Folgerungen entfallen. Vgl. auch W. Schlesinger, Landesh., S. 60 ff., 156 L; K. Bosl, Franken um 800, u. a. S. 47–50, 55–59, s. auch Register. Vgl. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 78 f. – Bei d. Bezeichnung „Eigengut“ sind wir seit Schlesinger gewöhnt, die „Zweiseitigkeit“ der Grafschaft als Amt des Königs u. d. Herrschaft über Eigengut mitzudenken. – Eine sorgfältige Zusammenstellung enthält u.a. W. Metz, Babenberger und Rupertiner, S. 295 f., S. 300. Für d. Beginn 1087 s. u.; f. 1240 vgl. Wilhelm Frhr. von Bibra, Das Burggrafenamt des vormaligen Hochstifts Würzburg, in: AUfrA 25, 1881, 257–358, hier S. 303, Reg. Nr. 341; nicht überzeugend in diesem Falle für 1230 Wilhelm Füsslein, Hermann I. Graf von Henneberg (1224–1290) u. d. Aufschwung d. hennebergischen Politik. Von der Emancipation der Henneberger zum Burggrafenamte b. z. ihrer Teilnahme am Gegenkönigtum. Phil. Diss. Jena 1897, auch in: Zeitschrift des Vereins für thüring.Geschichte und Altertumskunde 19, 1899, 56–109, 151–224, 295–342, hier S. 157 ff. Für 1103 vgl. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 36; f. 1168/89 vgl. Gerd Zimmermann, Vergebl. Ansätze zu Stammes- und Territorialherzogtum i. Franken, in: Jahrbuch f. fränk. Landeserforschung 23, 1963, 379–408, S. 395: „Von Bedeutung ist, daß dadurch (sc. d. Privileg von 1168) die Rechte der Hochstiftsvogtei, die in den Händen der Henneberger lagen, praktisch aufgehoben sind“; vgl. auch A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 167, auch W. Füsslein, Hermann I., S. 90, 99 und K. Bosl, Würzburg als Reichsbistum, S. 178 ( = Festschrift Th. Mayer, Bd. I), vgl. Anm. 123; Bibra, Burggrafenamt, Nr. 253 (für 1189).
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4. Der Name „Poppo“, der in beiden Geschlechtern üblich gewesen ist, kann nur noch bedingt bzw. als ein zusätzliches Argument60 gelten; es ist für sich genommen nicht ausreichend beweiskräftig: erstens, weil auch „Poppo“, entgegen früheren Behauptungen61 nicht zu den Namen zählt, die selten genug sind, um genealogische Rückschlüsse auf die Verwandtschaft ihrer Träger zu gestatten62; zweitens, weil zumindest in der Zeit der älteren Babenberger den Leitnamen als linguistisch-genealogisches Erkenntnisprinzip heute nicht mehr mit der gleichen Sicherheit gefolgt werden darf, wie man früher meinte63. Damit ist freilich keine endgültige Gewißheit über den genealogischen Zusammenhang zwischen den älteren Babenbergern und Hennebergern erreicht. Die Auffassung, daß es sich schließlich um verschiedene Grafengeschlechter im Grabfeld handelt, ist nach wie vor möglich64. Es muß Bedenken erregen, wenn die Henneberger ohne Einschränkungen, wie es oft geschieht, als „Nachfolger“ der Babenberger bezeichnet werden65, die „die Anfänge ihrer Herrschaft bis in karolingische Zeit zurückverfolgen können“66, und daß das Geschlecht als zweifelsfreies „Zeugnis dafür“ dient, „daß auch alte Grafengeschlechter im Hochmittelalter nochmals als Gründer einer Landesherrschaft ins historische Blickfeld treten können“67. Die Anfänge des Hauses Henneberg lassen sich im X. Jahrhundert allenfalls hypothetisch bestimmen. Sie sind auch im XI. durch Urkunden und annalistische Berichte noch immer nicht eindeutig zu klären. Einen durch andere Berichte weitgehend bestätigten68 Überblick über die Anfänge der Henneberger bietet die „Historia brevis principum Thuringiae“: „Prima est Hildegardis, que Bopponi comiti de Hennenberc coniuncta, ab eo suscepit duos filios Bopponem et Goteboldum; quorum pater in atrocissimo 60
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Zuerst sah Schultes, Dipl. Gesch. d. gräfl. Hauses Henneberg, Bd. I, S. 9, in der Duplicität des Namens Poppo bei Babenbergern und Hennebergern ein Indiz für agnatische Zusammenhänge, die die bisherige Forschung tiefer zu begründen suchte. W. Schlesinger, Landesh., S. 161 f.; E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 79. W. Metz, Babenberger und Rupertiner, S. 298. Verf. fährt in diesem Zushg. in Bezug auf A. Bach (vgl. oben Anm. 43!) fort: „Auch der Name Poppo ist zu solchen (sc. genealogischen Rückschlüssen) kaum geeignet, da er sowohl Lall-Name wie auch Kurzform von Robert, aber auch von Volkmar sein kann.“ Das haben d. Adelsstudien Tellenbachs und sr. Schüler nachgewiesen; vgl. hier bes. K. Schmid, Die Problematik von Familie, Sippe, Geschlecht, Haus und Dynastie, in: Zeitschrift f. d. Gesch. d. Oberrheins 105, 1957, 1–62, und K. Bosl, Reichsaristokratie und Uradel, in: Zeitschrift f. Bayer. Landesgeschichte 21, 1958, 138–145. Beide Verf. weisen darauf hin, daß s. d. agnat. Denken im X. Jh. erst allmähl. gegenüber d. kognat. durchsetzte, dem es ursprüngl. gleichzuachten war. Das räumt auch W. Schlesinger, Landesh., S. 169 ein. Hans Patze, Landesherrschaft Thühngen I, S. 547. Ib. S. 126. Ib. S. 547. Ib. S. 171. Ansonsten stellt die „Historia brevis principum Thuringiae“ (vgl. Anm. 68) ein nachträgl. Vermerk dar an einer älteren Hs., wie schon Gudenus festgestellt hat.
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bello, quod fuit in Strowi, occubuit. Postea eorum mater cuidam ingenuo Timoni de Nordeke nupsit, genuitque filium Gebehardum nomine, qui Cellam Sancti Blasii ad monasterium Reinhersbrun contulit. Boppo iunior tres filios genuit, Bopponem de Irmenoldishusen, Ludewicum de Vrankenstein, Goteboldum de Wasungen. Porro Goteboldus genuit 4 filios, Bopponem et Bertoldum comites, Gebehardum Wirzeburgensem, Guntherum Spirensem episcopos. Dein Bertoldus comes edidit filium Bopponem, qui in Terra Sancta defunctus, filium superstitem Bertoldum comitem reliquit.“69 Bei dem Vater der beiden Brüder Poppo und Godebold handelt es sich um Graf Poppo I. von Henneberg, der 1078 bei einem Treffen im Grabfeld bei Mellrichstadt a. d. Streu zwischen Kaiser Heinrich IV. und seinen Gegnern auf Seiten des Kaisers gefallen ist70. Ob Poppo I. einem Zeugen gleichen Namens in der Bibraer Stiftungsurkunde an Fulda von 104971 gleichzusetzen ist, kann nicht sicher gesagt werden72. Es läßt sich wohl vermuten, was den Anknüpfungsthesen an die Babenberger gelegen käme, aber letztlich genauso wenig beweisen wie die Annahme, daß der 1057 ebenfalls in einer Urkunde aus Bibra73 neben Poppo genannte Godebold sein Bruder ist74. Auch die Identität dieses Godebolds mit dem ersten hennebergischen Burggrafen von Würzburg gleichen Namens läßt sich leider nicht beweisen75. Er wird als „Gotebold praefectus“ zuerst 1087 erwähnt76, dann 109177. 69 70
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Historia brevis principum Thuringiae, ed. G. Waitz, in: MGH SS XXIV, 823. Chronicon Hennebergense, ed. j. P. Reinhard, in: J. P. R., Beiträge zur Historie des Frankenlandes, T. I: Bayreuth 1714, S. 114 ff.; vgl. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 77; H. Patze, Landesherrschaft Thüringen I, S. 183; Julius Heidemann, Graf Berthold VII. von Henneberg als Verweser der Mark Brandenburg von 1323–1330, in: Forschungen z. dt. Gesch. 17, 1877, 107–161, hier S. 111 und Anm. 1. DOB I, Nr. 788. Vgl. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus. Formulierungen wie: „wir dürfen ... wohl gleichsetzen ...“ (S. 77) oder: „ist sicher identisch“ (S. 79) müssen entsprechend weiter abgeschwächt werden. DOB I, Nr. 812. Auch hier ist Vorsicht geboten. Wenn E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 77, jedoch soweit geht, zu sagen: „Das Geschlecht der Henneberger tritt erstmals mit den Brüdern Poppo und Godebold in das Licht der Geschichte“, so nimmt er die Vermutung als Beweis. Im übrigen fußt Zickgraf an dieser Stelle wohl stark auf Fr. Tenner, Burg Henneberg. Der Stammsitz d. Henneberger Grafenhauses, Meinungen 1936, S. 5–10 (= Volkstüml. Schriftenr. d. henneberg.-fränk. Geschichtsvereins 1), dessen Urteil wiederum Anregungen G. Brückners verpflichtet ist. Gegenüber E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 79. In einer Urkunde Bischof Emehards; vgl. dazu Bibra, Das Burggrafenamt, Reg. Nr. 19. An der Datierung ist wohl nicht zu zweifeln, s. darüber Fr. Tenner, Burg Henneberg, S. 8; W. Füsslein, Hermann I., S. 83, hält die Datierung 1087 jed. für einen Lesefehler Bibras und datiert auf 1091. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 20 mit richtiger Quellenangabe und Datierung; vgl. auch das UB d. Benediktinerabtei St. Stephan in Würzburg, Bd. I, Nr. 8, Lpz. 1912.
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Zuletzt wird er 1104 in einer Urkunde für das Kloster Kitzingen genannt78 und scheint kinderlos gestorben zu sein79. Auf ihn bezieht sich die erste urkundlich gesicherte Erwähnung eines Grafen von Henneberg im Jahre 1096: „Goteboldo comite de Henneberc agentibus ...“80. Er läßt sich bereits 1094 einmal durch seinen Neffen, der ebenfalls Godebold (II.) heißt, in der Ausübung seines Burggrafenamtes vertreten: „Goteboldo iuniore urbis praefecturam agente“81. Daß es sich in der Tat um seinen Neffen, den Sohn Poppos I. handelt, der bei Mellrichstadt 1078 gefallen ist, beweist die bereits genannte Urkunde von 1104. In ihr treten beide Henneberger, der ältere wie der jüngere Godebold, als Zeugen auf und hier bezeichnet der ältere den jüngeren als Sohn seines Bruders „Godeboldus senior et Godeboldus iunior, filius fratris sui!“82. Amtsbefugnisse als Burggraf übte Godebold II. noch bis zu seinem Tode im Jahre 1144 aus83. Wenn die „Historia brevis“ den Bruder Poppos I., nämlich Godebold I., unerwähnt ließ, so liegt der Grund wahrscheinlich in ihrer besonderen Themenstellung, nämlich die Nachkommen der Ludowingerin Hildegard von Thüringen aufzuzeichnen, zu denen Godebold I. nicht gehört84. Von Godebold II. (gest. 1144) an bietet die hennebergische Stammtafel nur noch wenige Unklarheiten. Dazu gehört die wiederholt behauptete Zugehörigkeit eines Bischofs Otto von Speyer zum Geschlecht der Henneberger85, die jedoch nur für Bischof Günther von Speyer, den vermeintlichen Bruder, gesichert werden kann86. Die popponischen Nebenlinien, die den Hausnamen „Henneberg“ nicht mehr führten, können hier außer Betracht gelassen werden. Bemerkenswert ist jedoch ihr schneller Zerfall in eine Reihe von Adelsgeschlechtern, der sich schon in den ersten beiden Generationen vollzog87. Zu diesen Hennebergern gehörten mit mehr oder minderer Sicherheit die Dynasten von Irmelshausen, von Wasungen, von Frankenstein und Stern78 79
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Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 38. Bibra, Burggrafenamt. Reg. ib., Fr. Tenner, Burg Henneberg, Stammtafel S. 65 und dazu Text S. 12. Bibra, Burggrafenamt, S. 287 f. und Reg. Nr. 24. In dieser Urkunde taucht vorübergehend z. ersten Mal wieder ein „advocatus ecclesiae Henricus“ auf, der Bruder Bischof Emehards (vgl. Anm. 97)! Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 21 und Fr. Tenner, Burg Henneberg, S. 9. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 38. Georg Lilie, Geschichte der gefürsteten Grafschaft Henneberg und ihrer Regenten, Meiningen 1931, S. 6. Fr. Tenner, Burg Henneberg, S. 10. Zuerst bei Franz Xaver Rempling, Geschichte der Bischöfe von Speyer, S. 415, s. auch S. 381, wo die Zugehörigkeit dieses Bischofs z. d. Hennebergern behauptet wird. Vgl. die beigegebene Stammtafel! Zumeist durch Heiraten.
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berg88, später auch die Herren von Hildenburg89. Die beigefügte Stammtafel der Grafen von Henneberg bis zur Hauptteilung (1274), die im Gegensatz zu früheren Versuchen nur die urkundlich nachweisbaren Mitglieder enthält, soll die Übersicht erleichtern90. Da die Grafen von Henneberg von 1087–124091 die Burggrafschaft und von 1103–1168/8992 auch die Würzburger Hochstiftsvogtei innehatten, sind Angaben über die vorausgehende Zeit und besonders über die politischen Umstände, unter denen das Geschlecht diese Rechte erwarb, unerläßlich. Ein Hochstiftsvogt erscheint zuerst 1057 und man wird wohl in der Annahme nicht fehl gehen, daß sein „Auftreten mit dem gleichzeitigen Verschwinden der Grafen zusammenhängt“93 bzw. daß Hochstiftsvogt Eberhard selbst noch den früheren Komitatsgeschlechtern des Grabfelds angehört hat. Dieser spätere Bischof von Eichstätt (1110–1112)94 wird in der erwähnten Würzburger Urkunde von 1057 als Eberhardus comes nostraeque advocatus ecclesia“95 bezeichnet. Bereits 1069 ist er in einer Urkunde auch als Eberhardus prefecto“96 aufgeführt. Man wird wohl aus diesem Quellen88
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Was E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 79 ff., dazu m. einiger Vorsicht ausführt, wird v. H. Patze, Landesherrschaft Thüringen, S. 176, leider ganz ohne diese Einschränkungen übernommen. Insbes. Zickgrafs Bedenken gegenüber Godebold von Wasungen werden von Patze offenbar nicht geteilt, obwohl er sich (ib., Anm. 163) auch in diesem Punkte auf Zickgraf beruft. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 63 ff. Abb. 2: Die „Stammtafel der Grafen von Henneberg im Mannesstamme bis zur Hauptteilung (1274)“ wurde vollkommen neu bearb. und entworfen auf Grund von Urkunden und n. d. genealog. Tafeln v. Sebastian Glaser, Wahrhaftige Genealogie der gefürsteten Grafen und Herren von Henneberg, 2. Aufl. Schmalkalden 1583; J. A. Von Schultes, Dipl. Geschichte des gräfl. Hauses Henneberg (s. Anm. 5); Franz Xaver von Wegele, Graf Otto von Henneberg-Botenlauben und sein Geschlecht (1180–1250), Würzburg 1875; J. G. Wagner, Geschichte d. Stadt und Herrschaft Schmalkalden nebst einer kurzen Übersicht der Geschichte der ehem. gefürsteten Grafschaft Henneberg, Marburg/L. und Lpz. 1849; Wilhelm Füsslein, Berthold VII. Graf von Henneberg. Ein Beitr. z. Reichsg. d. 14. Jhs. Marburg/L. 1905 etc. und unter bes. Berücksichtigung v. Fr. Tenner, Burg Henneberg. S. Anm. 57. S. Anm. 58. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 113, und G. Schmidt, Würzburger Herzogtum, S. 9 und 15; s. schon Fr. Brass, Verfassg. und Verwaltung Würzburgs vom Beginn d. Stadt b. z. Mitte d. XIII. Jhs. Phil. Diss. Würzburg 1886, S. 16. Schultes, Direct. diplomat. 1818, Bd. I, S. 221. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 9. Ib., Reg. Nr. 16 = Monumenta Boica, 37, 28; vgl. noch Fr. Brass, Verfassg. und Verwaltg. Würzburgs, S. 15; auf dieses Quellenzeugnis ist bes. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzbg., S. 60, hinzuweisen, wo behauptet wird, daß „das früher nicht (sic!) bezeugte Burggrafenamt erst z. Zt. Heinrichs IV. an die Henneberger kam“. Mit Recht bemerkt auch Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 656: „Ge-
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zeugnis mit einiger Vorsicht folgern dürfen, daß das Würzburger Burggrafenamt, was die vorhennebergische Zeit angeht, entweder aus dem des bischöflichen Vogts hervorgegangen ist oder – was vielleicht wahrscheinlicher ist –, daß Hochstiftsvogtei und Burggrafenamt immer schon in der Person eines Amtsträgers vereint waren97. Doch schon bald nach 1071 scheint in der Hochstiftsvogtei98, ebenso wie im Burggrafenamt, eine Vakanz eingetreten zu sein. In diesem Jahr wird Eberhard zum letzten Mal in einer Würzburger Urkunde erwähnt. Um die Übertragung dieser Ämter auf die Henneberger zu verstehen, muß auf die allgemeine politische Entwicklung im Reich z. Zt. des Investiturstreits und auf die Beziehungen zwischen dem Würzburger Bischof Adalbero von Lambach-Wels (seit 104599) und Heinrich IV. näher Bezug genommen werden. Der Investiturstreit bildete den politischen Hintergrund für den Aufstieg der Grafen von Henneberg an der Seite Heinrichs IV. Nach dem Zeugnis Lamperts von Hersfeld hat der Würzburger Bischof Adalbero dem Aufgebot des Königs 1073 noch unverzüglich Folge geleistet100, das zur Niederwerfung des Sachsenaufstandes (1073–1074) ergangen war. Auch nach dem Sieg Heinrichs IV. in Homburg a. d. Unstrut (1075) galt Adalbero in den Augen des Magdeburger Erzbischofs Werner mit Recht als ein enger Vertrauter des Saliers101. Aber als Heinrich IV. 1076 auf der Wormser Synode Papst Gregor VII. absetzen ließ, unterzeichnete Bischof Adalbero neben Heinrich von Metz als einziger von fünfundzwanzig Bischöfen diesen Beschluß nur unter Protest102. Adalbero von Lambach-Wels war von nun an bis zu seinem Tode 1090103 einer der entschiedensten Gegner dieses Königs. In diesen Zusammenhängen erscheint 1078 zuerst ein Graf von Henneberg, Poppo I., von dem die „Historia brevis principum Thuringiae“ nur soviel berichtet, daß er bei einem Treffen des Königs mit seinen Gegnern bei
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wiß darf man aber aus der Tatsache, daß das Burggrafenamt erst im 11. Jahrh. an die Henneberger kam, nicht schließen, es habe dieses Amt vorher nicht in Würzburg gegeben.“ Fr. Brass, Verfassung und Verwaltung Würzburgs, S. 15. Bis 1096; s. Anm. 79. Lamperti Hersfeldensis Annales, ed. G.-H. Pertz, in: MGH SSrerGem. 38, S. 28 L; vgl. auch A. Wendehorst, Bischof Adalbero von Würzburg 1045–1090 zwischen Kaiser und Papst, in: Stud. Gregor. 6, 1959/61, 147–164. Lamperti monachi Hersfeldensis opera, ed. O. Holder-Egger, in: MGH SSrerGem. XXXVIII, S. 156; Anm. 68 ib. „de Hennenberg“. Brunonis de bello Saxonico liber, ed. W. Wattenbach, in: MGH SS XV 2. Aufl., S. 31 f. Henrici IV. Constitutiones, MGH, Const. 1, S. 106, Nr. 58 Lamperti monachi Hersfeldensis opera, ed. O Holder-Egger, in: MGH SSrerGem. XXXVIII, S. 254. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 106 ff.
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Mellrichstadt ums Leben kam. „Ex parte quoque regis Heinrici Poppo, vir mire fortis, occubuit104, wie das Chronicon universale hinzufügt. In Forchheim war ein Jahr zuvor auf Betreiben Papst Gregors VII. Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig gewählt worden105. Da Rudolf jedoch vor allem Parteigänger in Sachsen besaß, wandte sich der Kaiser dorthin und traf bereits auf dem Wege auf seine Gegner106. Ob Heinrich IV. in diesem Treffen an der Streu, in dem Poppo fiel, siegreich war, oder ob der Kaiser durch den Pfalzgrafen Friedrich von Sachsen und durch Otto von Northeim nach Würzburg abgedrängt wurde107, ist ungeklärt, da nur widersprüchliche Berichte vorliegen108. Über den Henneberger weiß man ferner nur, was allerdings als Nachricht bedeutungsvoll ist und in der „Historia brevis“ erwähnt wird, daß er mit der Ludowingerin Hildegard von Thüringen109, einer Tochter Landgraf Ludwigs mit dem Barte, verheiratet war110. Daraus wird man mit einiger Sicherheit auf die Ebenbürtigkeit von Ludowingern und Hennebergern schließen dürfen, ferner müssen die Henneberger zweifellos, das bekräftigt auch diese Nachricht, zu den führenden Dynasten des Grabfelds gehört haben111. Ob deshalb schon die Annahme berechtigt ist, daß durch diese Eheverbindung auch „die Südflanke des Thüringer Waldes ludowin-
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Frutolf von Michelsberg/Ekkehard von Aura, Chronicon universale, ed. G. Waitz, in: MGH, SS VI, S. 203, und der ältere Bruno von Magdeburg, ed. Lohmann (1931), in: MGH, Dt. Ma. 2. 91. Heinrich Mitteis, Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte d. Lehnszeitalters. Weimar 19677, S. 197, und Ders., Die Krise des deutschen Königswahlrechts, in: SB d. Bayer. Ak. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. H. Irmgard Höss, Die deutschen Stämme im Investiturstreit. Phil. Diss. Jena 1945, S. 91; Dies., Zur Stellung Frankens im Investiturstreit, unter bes. Berücksichtigung Würzburgs, in: Mainfränk. Jhb. 2, 1950, 303–315 (ohne auf Henneberg einzugehen!). Brunonis de bello Saxon. liber, ed. W. Wattenbach, in: MGH SS XV, 2. Aufl., S. 31 ff. Nach Georg Emmerich, Geschichte der Stadt Meiningen unter würzburgischer Hoheit (1008–1542), in: Herzogl.-Sachsen-Coburg-Meiningisches jährliches gemeinnütziges Taschenb. 1804, Meiningen 1803, 44–93, hier S. 48, verlor Heinrich IV. dieses Treffen; zur Schlacht vgl. ansonsten H. Patze, Landesherrschaft Thüringen, S. 183, Anm. 36. G. Lilie, Hennebergische Regenten, S. 7; J. Findeis, Henneberg, S. 77; H. Patze, Landesherrschaft Thüringen I, Stammtafel d. Ludowinger. Vgl. Historia brevis principum Thuringiae, hg. v. G. Waitz, in: MGH SS XXIV und H. Patze, Landesherrschaft Thüringen I, S. 171: „Hildegard war in zweiter Ehe mit Thimo von Nordeck verheiratet, mit deren Sohn Gerhard von Nordeck das Geschlecht 1120 ausstarb.“ Zweifellos wird er s. Besitz, der an die Henneberger gelangte, jed. nicht dem Hauskloster seines Onkels Godebold II. in Veßra geschenkt haben, wie H. Patze meint, da dieses erst 1131 gegründet wurde. W. Füsslein, Herman I., S. 51 hebt Verf. die dominierende Stellung der Henneberger hervor, die „obenan“ in Mittelfranken standen.
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gisch beeinflußt“ war112, scheint zweifelhaft zu sein. So ist auch ungeklärt, ob Landgraf Ludwig, der anscheinend mehrfach die Partei wechselte113, in Mellrichstadt wie Poppo von Henneberg auf der Seite des Königs oder auf der seiner Gegner gekämpft hat. Im Blick auf die spätere Entwicklung läßt sich jedenfalls sagen, daß sich der hennebergische Herrschaftsbereich von Anfang an außerhalb des Einflußbereichs der Landgrafen“ befand114. Würzburg war spätesten seit 1077 in der Hand Heinrichs IV. Als Bischof Adalbero von Forchheim aus in die Stadt zurückkehren wollte, wurde ihm das von der Bürgerschaft verwehrt115, die, wie Heinrich IV. selbst, durch ihre saliertreue Haltung den päpstlichen Bann auf sich gezogen hatte. 1085 setzte Heinrich den Bamberger Domscholastiker Meginhard (II.) als Würzburger Gegenbischof ein116. Ein Versuch Rudolfs von Rheinfelden, die Stadt für sich und Bischof Adalbero zurückzuerobern, war bereits 1077 gescheitert. Als es Adalbero jedoch 1086 für kurze Zeit gelang und der herbeieilende Heinrich IV. ihm das Angebot unterbreitete, das Bistum als Preis seiner Unterwerfung zurückzuerhalten, lehnte der Bischof ab und verließ nach Zusicherung freien Abzugs Würzburg erneut, das er dann bis zu seinem Tode nicht mehr betreten hat117. Diese Entwicklung ging der Übernahme des Würzburger Burggrafenamtes voraus, in dessen Besitz die Grafen von Henneberg zum ersten Mal 1087 nachweisbar sind118. In dieser bereits erwähnten Urkunde Bischof Meginhards wird ein „Gotebold praefectus“ genannt, der Bruder des 1078 bei Mellrichstadt gefallenen Poppo I. von Henneberg. Der gleiche Godebold wird 1096 erstmals urkundlich als Graf von Henneberg bezeichnet119. Diese Verwandtschaft Godebolds mit dem gefallenen Poppo I. gibt somit den ersten Hinweis auf maßgebende Gründe, die zur Übertragung des Würzburger Burggrafenamtes auf die Henneberger geführt haben: 112 113 114
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H. Patze, Landesherrschaft Thüringen I, S. 176. Ib. H. Patze, ib. „Im Süden (sc. Thüringens) lagen die Grafen von Henneberg und das Herzogtum Würzburg außerhalb des Einflußbereiches der Landgrafen“ (S. 239), oder: ,Auch die Grafen von Henneberg haben die Landgrafen nicht in ihren Einflußbereich ziehen können, aber das überrascht nicht allzu sehr, begrenzt doch die Legenda Bonifacii die Landgrafschaft auf den Raum zwischen Thüringer Wald und Harz, Werra und Saale.“ Brunonis de bello Saxon. liber, ed. W. Wattenbach, in: MGH SS XV, 2. Aufl., S. 85 „A sua sede prohibitus“. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 117 ff., S. 108; vgl. auch Carl Erdmann, Studien zur Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert, 1938, S. 16–116. Lib. de unitate ecclesiae conserv., in: MGH Lib. de lite II, S. 245 f. Wahrscheinlich nicht 1091, wie A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 120, wohl aufgrund einer Fußnote v. W. Füsslein, Hermann I., S. 83, glaubt. Vgl. oben Anm. 75 und 76. Einzelheiten oben Anm. 79.
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1. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der hennebergischen Hilfe bei Mellrichstadt und der Übertragung des Burggrafenamtes an das Geschlecht ist von der Forschung schon früher vermutet worden; sie galt als B e l o h n u n g seitens Heinrichs IV. für treue Dienste der Henneberger im Kampf gegen Papst und Gegenkönigtum120. 2. Ein weiterer Grund für die Übergabe dieses Amtes an die Henneberger, deren Verbundenheit mit dem Salier erprobt war und dadurch erneut gefestigt wurde, lag darin, daß sich Heinrich IV. auf diesem Wege „die G e f o l g s c h a f t d e r W ü r z b u r g e r K i r c h e “ weiterhin zu sichern vermochte121. Diesem Ziel diente sowohl die Einsetzung der Heinrich IV. ergebenen Gegenbischöfe (Meginhard II: 1085–1088; Emehard: 1089–1105) als auch die eines hochfreien Adelsgeschlechtes zu Würzburger Burggrafen. 3. Nicht zuletzt werden auch politisch-geographische Beweggründe für die Einsetzung der Henneberger in dieses Amt in Betracht gezogen werden müssen. Als Burggrafen kam schon deshalb kein unbedeutendes Ministerialengeschlecht in Frage, da es für Heinrich IV. während des Gegenkönigtums eine „Lebensnotwendigkeit“122 war, Würzburg als „Reichsbistum“123 und damit Franken in seiner Hand zu behalten, um „eine Vereinigung seiner sächsischen und oberdeutschen Gegner zu verhindern“124 und seine eben erst begonnene „Königslandpolitik“ nicht in den Anfängen stecken zu lassen. Die Einsetzung der Henneberger zu Würzburger Burggrafen mußte also auch den sozialreformerischen, machtpolitischen und strategischen Zielen des Königs entsprechen, zumal angestammter hennebergischer Besitz inmitten des Grabfelds 120
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W. Füsslein, Hermann I, S. 83 ff., bes. S. 85. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus, S. 78. – Interessant auch die Hypothese v. Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 656: „Aus anderen Bischofsstädten wissen wir, daß das Burggrafenamt durchaus ein erbliches Amt war, das auch kognatisch vererbt wurde. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, daß die Henneberger auf dem Wege alter Erbansprüche zu diesem wichtigen Amt kamen, das sich im 10. Jahrhundert – vermutungsweise sogar unter dem Einfluß der Ottonen – in der Hand der Popponen befunden haben mag.“ Einzuwenden bliebe, daß sich seit dem X. Jh. allmählich das agnatische Denken gegenüber dem kognatischen durchzusetzen begann (s. Anm. 62) und daß das Würzburger Burggrafenamt zuerst 1069 in den Quellen erscheint und zwar in der Hand des Grafen Eberhard, der nach unserem bisherigen Wissen kein Henneberger war. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 120 nach W. Füsslein, Hermann I., S. 85. A Wendehorst, ib. S. 106. K. Bosl, Würzburg als Reichsbistum. Verfassungsgeschichtl. Grundlagen des staufischen Reichskirchenregiments, in: Aus Verfassungs- und Landesgeschichte. Festschrift z. 70. Geb. v. Theodor Mayer dargebr. v. s. Schülern und Freunden. Bd. I: Zur Allgemeinen und Verfassungsgeschichte, Konstanz 1951, 161–181; vgl. Ders, Würzburg als Pfalzort, in: JfL 19, 1959, 25–83. A. Wendehorst, Germania Sacra Würzburg, S. 106, ohne diesen Gesichtspunkt freil. im Hinblick auf die Einsetzung der Henneberger in Würzburg gebührend zu berücksichtigen.
U . KSO TR ER RE SK ET I TUERN
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Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung
Stammtafel der Grafen von HENNEBERG bis zur Hauptteilung (1274) Vgl. ergänzend Heinrich Wagner, in: Jahrbuch des HennebergischFränkischen Geschichtsvereins 11 (1996), S. 25–152.
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lag; sie mußte auch dem Sicherheitsbedürfnis der Grafen von Henneberg entgegenkommen, deren Besitzrechte dadurch entscheidend gefestigt wurden. Man wird sich jedoch fragen können, was Heinrich IV. davon zurückhielt, die Henneberger zu Burggrafen, aber noch nicht zu Hochstiftsvögten der Würzburger Kirche zu erheben. Denn nach dem Befund der Urkunden ist es anfangs offensichtlich vermieden worden, das Burggrafenamt sogleich mit der Hochstiftsvogtei zu verbinden, die zu dieser Zeit unbesetzt blieb. Die Grafen von Henneberg gelangten erst 1103 in ihren Besitz125. Eine Erklärung dafür, warum die Erhebung zu Hochstiftsvögten anfangs unterblieb, bietet vielleicht das Würzburger Privileg von 1017, wo dem Hochstift126, ähnlich wie auch den meisten anderen geistlichen Stiftern, von Kaiser Heinrich II. das Recht verliehen wurde, den Vogt selbst wählen und ernennen zu dürfen127. Wenn Heinrich IV. mithin versucht hat, nur das Würzburger Burggrafenamt neu zu besetzen, so scheint die Annahme berechtigt zu sein, daß er auf diesem Wege seine politischen Ziele durchsetzen konnte, ohne durch die sofortige Ernennung eines Hennebergers zum Hochstiftsvogt erneut gegen ein Kirchenprivileg zu verstoßen128. Hier läßt sich dann die Frage stellen, ob die Grafen von Henneberg überhaupt als bischöfliche (wie 1067 Graf Eberhard) und nicht vielmehr als k ö n i g l i c h e B u r g g r a f e n von Würzburg eingesetzt wurden, was verfassungsgeschichtlich in dieser Zeit zwar nicht mehr üblich, aber in der besonderen politischen Situation des Investiturstreits nicht unmöglich wäre. Für die Annahme, daß die Henneberger von Heinrich IV. ursprünglich als königliche Burggrafen eingesetzt wurden, sollen hier vor allem sphragistische Argumente angeführt werden: Das älteste Burggrafensiegel der Henneberger129 stammt nicht erst aus dem Jahr 1185130, sondern bereits von 1131. Dieses Bildsiegel mit dem Namen des Inhabers zeigt einen einköpfigen Adler mit ausgebreiteten Flügeln131. Dieser königliche Adler kann als wichtiges Indiz für die Einsetzung
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Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 34. MON. Bo. 28, I, 477 (1017); vgl. Ernst Mayer, Das Herzogtum des Bischofs von Würzburg und die fränkischen Landgerichte, in: Deutsche Zs. f. Geschichtswiss. 7, 1897, 180–237, hier S. 180 ff. Vgl. u. a. schon G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. VII,2 1876, S. 324. W. Füsslein, Hermann I., S. 86. Entgegen der Annahme von W. Füsslein u. a., vgl. Otto Posse, die Siegel des Adels d. Wettiner Lande, III, Dresden 1908, S. 119, Nr. 1015 (vgl. Abb. 3, Nr. 1 und Anm. 140)! Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 238. Zur Korrektur des Irrtums, vgl. S. 293 ff. Schultes, Dipl. G I., 85 und II, 222, 276; vgl. auch S. 290.
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der Grafen von Henneberg in Würzburg durch den König gelten132, die zur Zeit des Investiturkampfes erfolgt ist, allerdings kaum, wie in der Forschung behauptet wurde, als Beleg für die Abkunft der Henneberger von den Popponen als Komitatsinhaber im Grabfeld133. Für die Beziehung des Adlers zu Kaiser und Reich ist allgemein auf Benzo von Alba zu verweisen, der in der zweiten Hälfte des XI. Jahrhunderts im Hinblick auf das Adlerfeldzeichen134 „ad Henricum IV. imperatorem“ schrieb: „Tota igitur christianitas assurgat in laudem Creatoris, quia contra hostiles impetus reddit terribiles aquilas christianissimi imperatoris.“135 Der Adler ist noch vor Friedrich Barbarossa, bei dem er zuerst im Wappenbild belegt ist, allmählich gebräuchlich geworden und zwar als Symbol des Reiches und der kaiserlichen Macht136. Bereits zu Beginn der Regierung Barbarossas ist der Adler dann als „königliches Wappentier“137 in den Siegeln verschiedener Reichsfürsten nachzuweisen, die ihn als königliche Lehensträger führen durften. Ein schildförmiges Adlersiegel verwendeten seit: 1154 Herzog Norbert von Lothringen, 1166 Pfalzgraf Friedrich von Bayern, 1170 Herzog Heinrich von Österreich und Markgraf Otto von Brandenburg, 1179 Herzog Leopold von Österreich und Graf Otto von Wittelsbach, 1184 Herzog Berthold von Dalmatien, Markgraf von Istrien, 1187 Herzog Berthold IV. von Zähringen („dux et rector Burgundiae“), 1199 Herzog Adalbert von Teck als Reichsvogt und andere138. Das bereits sehr früh überlieferte hennebergische Siegel steht folglich nicht allein. 1202 wird es von Burggraf Berthold II. und von Poppo VII. von Henneberg abgeändert: Es weist nun schon einen geteilten Schild, oben einen Doppeladler auf und ist unten geschacht139. Dieses Siegel wurde außerdem von Graf Otto I. von Henneberg-Botenlauben geführt, bis er den Besitz seiner Nebenlinie an das Würzburger Hochstift verkaufte und noch im gleichen Jahr ein neues Siegel annahm140. 132
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C. Spangenberg, Hennebergische Chronica 1599, S. 43 und Schultes, Dipl. G. Bd. I, 6. und II, 275. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 274. Johannes Enno Korn, Adler und Doppeladler. Ein Zeichen im Wandel der Geschichte, in: Der Herold NF. 6, 1966, S. 334–344, 361–369, hier S. 334. Benzonia episcopis Abbensis ad Heinricum IV. Imperatorem libri VII, ed. K. Pertz, in MGH SS XI, S. 601. J. E. Korn, Adler und Doppeladler, S. 337 und Arthur Suhle, Deutsche Münz- und Geldgeschichte von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, Bln. 1955, S. 103, Abb. 153. J. E. Korn, Adler und Doppeladler, S. 336. Christian U. Frhr. von Ulmenstein, Über Ursprung und Entstehung des Wappenwesens. Eine rechtsgeschichtl. Untersuchung, in: Forschungen zum deutschen Recht, Bd. I, H. 2, Weimar 1941, S. 59, Nr. 26. Bibra, Burggrafenamt, Reg. Nr. 279. Vgl. Abb. 3: Nr. 5 und 6.
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Diese Schachfelder kommen sonst in den Burggrafensiegeln verschiedener Orte erst später vor und zwar 1246 bei den Burggrafen von Nürnberg, 1326 bei den Burggrafen von Kirchberg und auch bei den Magdeburger Burggrafen. Der letzte hennebergische Burggraf von Würzburg, der dieses Siegel führte, war Poppo VII. im Jahr 1226. Das „Hennensiegel“ kommt erst später auf und ist 1232 erstmals belegt141. Neben den Siegelzeugnissen spricht auch die verhältnismäßig große Zahl hennebergischer Reichslehen im Grabfeld dafür, daß dieses Grafengeschlecht in der politischen Situation des Investiturstreits durch Heinrich IV. ursprünglich als königliche bzw. „kaiserliche Reichsburggrafen“ in Würzburg eingesetzt war142. Es scheint sich dabei um größeren Streubesitz und Gerechtsame gehandelt zu haben, die dem Reich am Ende des XI. und zu Beginn des XII. Jahrhunderts noch im Grabfeld verblieben waren143, mit denen die Henneberger belehnt wurden: Neben den Amtslehen der Grafen von Henneberg, die mit dem Burggrafenamt erblich verbunden waren144 – es handelte sich hauptsächlich um Meiningen, Mellrichstadt und Stockheim, also um das „aus altem Königsgut rührende Besitztum der Kirche“145 – sind bis 1250 noch folgende Reichslehen im Besitz der Grafen von Henneberg nachweisbar: Lichtenberg, Herpf146, Melweis, Ottowinden, Ostheim, Willmars147 und vor allem der große hennebergische Wildbann zwischen Hasel und Schleuse148. Als Belehnungszeitpunkt ist nur das ausgehende XI. bzw.
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Das bekannte „Hennensiegel“ der Grafen Henneberg und d. histor. Gründe, die zu s. Annahme bzw. z. Aufgabe des Adlersiegels geführt haben, sind nicht mehr Gegenstand dieser Studie, sondern bleiben ebenso wie die Frage der Wiederaufnahme des Adlers in das Hennensiegel im XIV. Jh. einer späteren Untersuchung vorbehalten. W. Engel, Mainfranken in seiner geschichtl. Entwicklung, in: Aus der Vergangenheit Unterfrankens, Würzburg 1950, S. 40–69, Zit. S. 60. Durch die umfangreichen Schenkungen an Würzburg 1000 und 1031, an Hersfeld 1016 und an Fulda 1059 war in Franken nur noch Streubesitz vorhanden. Vgl. Westermanns Atlas z. Weltgeschichte, T. II, bearb. v. H. Quirin und W. Trillmich, Braunschweig 1956, S. 62 Karten: „ Das Reichsgut z. Zt. der Karolinger und Ottonen“ und „Das Reichs- und Hausgut der Welfen und Wittelsbacher“ (nach K. Bosl). Die Burggrafenlehen sind verzeichnet in: Archiv f. Unterfranken und Aschaffenburg 5, 1839, H. 2, S. 1 ff. und H. 3, S. 1 ff., jedoch nicht ganz vollständig. W. Füsslein, Hermann I., 87. Dronke, Traditiones, 63c und 31a. Es waren 1230 noch reichslehenbar und gelangten danach an Würzburg; Melweis, Ottowinden, Ostheim und Willmars sind wüst geworden. Vgl. E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 62 ff., 82, 98 f. Über Lichtenberg, vgl. auch die beigegebene Stammtafel und DOB II, Nrn. 117, 222, 272, 363, 387, 435, 513, 518, 545, 563 u. a. Hennebergisches UB IV. Nr. 143, dazu E. Zickgraf; Henneberg-Schleus. S. 82, S. 116 f.
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beginnende XII. Jahrhundert anzunehmen; für den hennebergischen Versuch einer Usurpation von Königsgut fehlt jeder Anhaltspunkt149. Es war Ziel dieser Untersuchung, durch genealogische und rückschließend mittels sphragistischer Sachverhalte die Anfänge der hennebergischen Herrschaftsbildung im XI. Jahrhundert zu erhellen. Dabei erschien es geboten, möglichst ohne Vermutungen, allein an Hand der Quellen, den Aufstieg der Grafen von Henneberg darzustellen, der in ähnlicher Weise wahrscheinlich auch am Beispiel anderer fränkischer Hochadelsgeschlechter während des Investiturstreits beobachtet werden könnte. Die Grafen von Henneberg konnten durch ihre Parteinahme für Heinrich IV. ihren angestammten Besitz im Grabfeld durch eine Anzahl von Reichslehen beträchtlich vergrößern und gehörten als Amtsträger in Würzburg zugleich zu den verläßlichsten Stützen salisch-staufischer Reichspolitik im XII. Jahrhundert. Ausgehend von dieser Untersuchung der hennebergischen Anfänge wäre es erforderlich, die „Burggrafenfrage, die für Würzburg noch nicht endgültig geklärt ist“150, erneut zu prüfen, deren Beantwortung dann wohl geeignet wäre, auch neues Licht auf die oft analysierte Würzburger Herzogsurkunde von 1168 und ihre verfassungsgeschichtliche Problematik zu werfen.
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E. Zickgraf, Henneberg-Schleus., S. 81. Eine zusätzliche Ausstattung mit Reichsgut nimmt W. Füsslein, Hermann I., S. 60, an. Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg, S. 656.
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Poppo IV.? (1131)
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Berthold II. (1202)
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Poppo VII. (1202)
Das Adlersiegel der Grafen von Henneberg Reproduktionen von Siegelabbildungen aus: Otto Posse, Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis zum Jahr 1500, Bd. III, Dresden 1908, Tafel 43, Text S. 119 f. – Zu Nr. 1: Abdruck German. Museum Nürnberg No. 1376 mit Jahr 1131. Umschrift: SE ... Hen. – Zu Nr. 2: Original Staatsarchiv Magdeburg (Vessra 10 a) 1202. Geteilter Schild, oben halber Doppeladler, unten geschacht. Umschrift: ... – Zu Nr. 3: Original Staatsarchiv Magdeburg (Vessra 10a) 1202. Oben wachsender Doppeladler, unten geschacht.
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Poppo VII. (1212)
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Zu Nr. 4: Original Staatsarchiv Magdeburg (Vessra 17). Im geteilten Schild wieder oben ein wachsender Doppeladler, unten geschacht. Umschrift: „...PON...“. – Zu Nr. 5: Abdruck Germ. Museum Nürnberg No. 6166. 1234. Schild wie Nr. 2, 3 und 4. Umschrift: .. OTTON ... COMES DE.. ENBERC.; O. POSSE bezeichnet ihn fälschlich als Otto II., weil er mit Otto I. einen vermeintlichen hennebergischen Bischof von Speyer bezeichnet. – Zu Nr. 6: Ders., Original im Reichsarchiv München (Frauenroth f. I) 1234. Helm mit Federstutzen. Umschrift: OTT ... EI GRACIA. COMES. IN BOTENL.BEN. (Sämtl. Angaben nach POSSE.) Nr. 5 führte Graf Otto I. von Henneberg-Botenlauben vor dem Verkauf und Nr. 6 nach dem Verkauf seiner Herrschaft an das Hochstift Würzburg 1234.
Die Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes der Grafen von Henneberg vom XII. bis XVI. Jahrhundert * Die Darstellung soll sich nicht allein auf eine sphragistisch-heraldische Behandlung des Stoffes beschränken, sondern sie versucht am hennebergischen Beispiel einen Beitrag zum Verhältnis von Heraldik und Landesgeschichte zu leisten. Das Wappen soll einerseits als Geschichtsquelle zur Aufhellung verdunkelter Rechtsverhältnisse und sozialer Gegebenheiten betrachtet, seine Veränderungen andererseits aus der Herrschaftsentwicklung, aus den politischen, rechtlichen und sozialen Verhältnissen erklärt werden. Zugrunde gelegt wurde überwiegend sphragistisches Material, da nun einmal die Siegel zu den ältesten heraldischen Quellen zählen und auch später das Wappen zum häufig verwandten, vielleicht sogar beliebtesten Siegelbild geworden ist; andere hennebergische Siegelbilder und deren Stilentwicklung müssen in dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben. Im I. und II. Teil der Arbeit soll chronologisch der Adler bzw. der Doppeladler, im III. Teil die Henne als Siegel- und Wappenbild der Grafen von Henneberg behandelt werden. Gegenstand des IV. und V. Teils bilden die Wappenvermehrungen der Schleusinger- und der Römhilder Linie im Spätmittelalter. Der abschließende VI. Teil ist dem Formenwandel des Oberwappens, vor allem der Beschreibung der Helmzierden vorbehalten.
I Das älteste Siegel der Grafen von Henneberg zeigt einen einfachen, aufrecht stehenden A d l e r mit ausgebreiteten Flügeln, den Kopf zur Seite gewandt1. Unerfindlich bleibt es, wie man diesen Adler mit einer fliegenden oder flügelschlagenden Henne verwechseln konnte2, zumal auch die später im Schild *
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Erstmals erschienen im Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft Adler (Wien) 3.F. (1967/70), S. 45–65 (= Wissenschaftlicher Jubiläumsband 1870–1970). Wilhelm Freiherr von Bibra: Das Burggrafenamt des vormaligen Hochstifts Würzburg, in: Archiv für Unterfranken und Aschaffenburg 25 (1881) 257–358 (zit. Bibra: Burggrafenamt), hier S. 273 schreibt irrtümlich: „den Kopf nach links gewendet“, meint jedoch (heraldisch) rechts“. Cyriacus Spangenberg: Hennebergische Chronica, erstmals Straßburg 1599 (zit. Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe), S. 95. 2. Ausgabe gemeinsam abgedruckt mit Sebastian Glaser: Rhapsodiae sive Chronicon Hennebergicum, hg. v. Christoph Albr. Erck. Meiningen 1755 (aus technischen Gründen gelegentlich statt der 1. Ausg. zit. Spangenberg-Erck: Hennebergische Chronica). – Vgl. auch Johann
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der Grafen geführte Henne niemals flugbereit, sondern stets stehend auf einem Dreiberg dargestellt wurde3. Die Datierung dieses ersten hennebergischen Siegels war umstritten: Heute weiß man, daß die Annahme, es stamme aus dem Jahr 11134 auf einem Lesefehler beruhte5 und das Siegel erst dem letzten Drittel des XII. Jahrhunderts zuzuweisen ist, so daß es nicht mehr als das älteste bekannte „Wappensiegel“ überhaupt, aber doch noch immer als eines der frühesten gelten kann, das erhalten geblieben ist. Es hängt an einem Schenkungsbrief aus dem Jahr 11876 für das 1131 gegründete hennebergische Hauskloster, das Prämonstratenserchorherrenstift in Veßra. Doch wenn in der Urkunde selbst auch das Jahr 11857 genannt ist, läßt sich doch auf Grund der Regierungszeit Friedrich Barbarossas, der in der Urkunde angegebenen Indiktion und anderer Anhaltspunkte sagen, daß sie erst 1187 entstanden sein kann (Abb. 1)8. Die Umschrift des Siegels lautet: „BOPPO : COMES : DE : HENENBE(R)C“9. Es handelt sich um ein Siegel des Würzburger Burggrafen Poppo VI.
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Adolph von Schultes: Diplomatische Geschichte des gräflichen Hauses Henneberg. 2 Bde. Hildburghausen 1794 und Leipzig 1799 (zit. Schultes: Dipl. Geschichte I bzw. II), hier: I, S. 85, bes. II, S. 222. Vgl. Bibra: Burggrafenamt, S. 273, Anm. 1. Im Katalog der sphragistischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg war angegeben, daß dieses Siegel, von dem dort nur ein Abdruck erhalten ist, aus dem Jahre 1131 stammt. Dieser Datierung folgt auch der sonst gewissenhafte Otto Posse: Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis zum Jahre 1500. 5 Bde., Dresden 1903–17 (zit. Posse: Adel), Bd. III, Tafel 43,1 mit Text Seite 119, Nr. 1015 und in Anlehnung an Posse auch D. L. Galbreath: Handbüchlein der Heraldik. Lausanne 1930, S. 16, desgleichen der Verfasser in seiner, in Anm. 11 genannten Arbeit (S. 51 f.). Felix Hauptmann: Das angeblich älteste Wappensiegel von 1131 (mit Abb.), in: Der Deutsche Herold 62 (1931) 12–13, und derselbe: Das älteste Henneberger Siegel, in: Der Deutsche Herold ib. S. 61. Regesta Diplomatica Necnon Epistolaria Historiae Thuringiae, namens des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, bearbeitet und herausgegeben von Otto Dobenecker, Jena Bd. I, 1896, Bd. II, 1900, Bd. III, 1925, Bd. IV, 1939 (zit. Dob), hier: II, Nr. 765. – Bibra: Burggrafenamt Regest Nr. 238. Dieses Jahr wird angegeben in: Diplomataria et scriptores historiae Germanicae medii aevi, bearbeitet von Chr. Schöttgen und Chr. Kreysing im Text zu Bd. II. Altenburg 1755, Tafel VI, Nr. 76. Auf dieser Jahresangabe von 1185 scheinen auch zu beruhen: Leopold Freiherr von Ledebur: Streifzüge durth die Felder des preußischen Wappens. Berlin 1842, S. 95, und Fürst Hohenlohe: Sphragistische Aphorismen. Stuttgart 1882–85, S. 113, der das hennebergische Siegel (wohl ohne Kenntnis der Urkunde) sogar in die neunziger Jahre des XII. Jahrhunderts verlegt. Dob II, Nr. 763. – Bibra: Burggrafenamt, Regest Nr. 238. Text der Umschrift, die sich auf unserer Abb. 1 (nach Posses Wiedergabe des verdrückten Nürnberger Abdrucks) nicht mehr erkennen läßt, nach Schöttgen und
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von Henneberg, das aber schon von seinen Söhnen Berthold II. und Poppo VII. in dieser Form nicht mehr geführt wurde10. Wie ich an anderer Stelle nachgewiesen habe11, hängt der Aufstieg der Grafen von Henneberg an der Wende des XI. zum XII. Jahrhundert mit ihrer politischen Haltung im Investiturstreit zusammen: Durch ihre Parteinahme für Heinrich IV. gelang es den Grafen, deren Allodialbesitz überwiegend im Grabfeld lag, nicht nur ihre Herrschaft entscheidend zu festigen, sondern sie durch den Gewinn von Reichslehen und des erblichen Würzburger Burggrafenamtes 1087 (bis 1240) beträchtlich zu erweitern; seit 1103 (bis 1168/89) hatten sie außerdem die Hochstiftsvogtei inne. Als ein wichtiges Indiz für die Annahme, daß die Henneberger von Heinrich IV. ursprünglich als k ö n i g l i c h e und nicht als bischöfliche Burggrafen in Würzburg eingesetzt wurden, kann – von anderen Beweisgründen abgesehen – der königliche Adler im Wappensiegel der Grafen gelten. Da es noch 1187 und in den darauffolgenden Jahren selbst in veränderter und akzentuierter Gestalt von ihnen weitergeführt wurde (vgl. II u. IV), kann diese Kontinuität der Siegelführung als sichtbares Zeugnis für das deutlich vorhandene Bewußtsein der Grafen angesehen werden, das sie von Ursprung und Qualität ihrer, als königliche Amts- und Lehensträger erblich erworbenen Rechte auch in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts noch besaßen, als ihre Belehnung längst durch den Würzburger Bischof erfolgte. In der Tat läßt sich zwischen 1154 und 1187 der Adler als „königliches Wappentier“12 auch im Schild von mindestens acht Reichsfürsten nachweisen, die ihn als königliche Lehensträger führen durften13. Das hennebergi-
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Kreysing: Diplomataria (siehe Anm. 7) Bd. II, Tafel VI, Nr. 76. Bei dieser Nachzeichnung ist der letzte Buchstabe der Umschrift ein „C“, nicht wie F. Hauptmann: Das angeblich älteste Wappensiegel (vgl. Anm. 5), S. 13 angibt, ein „G“. Abbildungen nach Schöttgen und Kreysing auch bei Schultes: Dipl. Geschichte I, S. 1 mit einer Anm. S. 85, II, S. 222, 276, Tafel IX, 1 und Paul Dietrich von Gottberg: Über des vormaligen Stifts Würzburg Burggrafenamt, in: Sammlung vermischter Nachrichten zur sächsischen Geschichte XI, hg. von Grundig und Klotzsch. Chemnitz 1776, S. 23, 119. Fälschlich 1202 bei Siebmacher: Großes und allgemeines Wappenbuch NF. I, 1, 2: Wappen der deutschen Souveräne und Lande, hg. von Gustav A. Seyler. Nürnburg 1909, S. 121 (zit. Siebmacher-Seyler), vermutlich nach Schultes: Dipl. Geschichte I S. 1 (datierte Abb.), der sich Bd. II, S. 276 Anm. 3 jedoch korrigiert. Verf.: Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im XI. und XII. Jahrhundert, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Herold, hg. von Kurt Winckelsesser. Berlin 1969, S. 33–57 (mit Abb.). Johannes Enno Korn: Adler und Doppeladler. Ein Zeichen im Wandel der Geschichte, in: Der Herold NF. Bd. 5/6 (1963–68) 113 ff., besonders S. 334–344 und 361–369, hier: S. 336. Erich Gritzner: Symbole und Wappen des alten deutschen Reiches. Leipzig 1902, S. 45 (= Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 8, 3); ferner: Chr. U. von Ulmenstein: Über Ursprung und Entstehung des Wappenwesens. Weimar 1941,
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sche Siegel steht folglich nicht allein. Daß aber der Adler, den Graf Otto von Wittelsbach seit 1179 in seinem Wappensiegel führte, „vielleicht das Vorbild“ des hennebergischen gewesen sei14, läßt sich wohl allein aus Ähnlichkeitserwägungen nicht hinreichend begründen. Ein Zusammenhang zwischen dem Adlersiegel und der Rechtsstellung der Grafen von Henneberg in Würzburg ist von Heraldikern mehrfach vermutet worden15, ihn aufzuzeigen und historisch näher zu erläutern, ist Zweck dieses I. und des folgenden II. Abschnitts.
II Bereits an der Wende des XII. zum XIII. Jahrhundert wird das hennebergische Wappen umgestaltet: an die Stelle des einfachen Adlers treten nun im geteilten Schild ein wachsender D o p p e l a d l e r 16 und ein Schachfeld. Auch dieses Wappen ist zunächst nur sphragistisch belegt. Es ist an einer Urkunde aus dem Jahr 1202, die Burggraf Berthold II. ausgestellt und sein Bruder Poppo VII. von Henneberg bestätigt hat, gleich zweimal nachweisbar (Abb. 2 u. 3)17. Das Siegel des Grafen Berthold, dessen Legende wie bei jenem Poppos kaum noch zu lesen ist, hat älteren Quellen zufolge die Umschrift „COMES BERTHOLDUS BURGGRAVIUS DE WIRZBURG“ getragen18. Ein drittes Siegel von 1212, das den wachsenden Doppeladler
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S. 59, Nr. 26 (= Forschungen zum deutschen Recht I, 2). Vgl. H. E. Korn: Adler und Doppeladler S. 366 und Verf.: Genealogische und sphragistische Studien (siehe Anm. 11), S. 52. Bibra: Burggrafenamt S. 273 Anm. 2 unter Hinweis auf: Karl Mayer von Mayenfeld: Wittelsbach. Stamm- und Hauswappen S. 12, 41; Römer-Büchner: Der deutsche Adler nach Siegeln geschichtlich erläutert. Frankfurt/M. 1858 S. 21, Tafel I, 1. Hohenlohe: Zur Geschichte des heraldischen Doppeladlers. Stgt. 1871, S. 22. So hält es zum Beispiel Gustav A. Seyler: Münchner Kalender 1911, 17. F., für erwähnenswert, daß das in dieser Folge abgebildete hennebergische Wappen „später als Wappen der Burggrafschaft Würzburg gedeutet“ worden ist (2. Textseite); auch Galbreath: Handbüchlein der Heraldik (siehe Anm. 4) bemerkt S. 16: „Ein Adler (wohl des Kaisers) erscheint 1131 im Siegel des Grafen Poppo von Henneberg!“. Gustav A. Seyler, Münchner Kalender 1910, 16. F., 3. Textseite spricht allzu verkürzt nur von „einem wachsenden Adler“. Etwas unglücklich auch Posse, Adel III, S. 117, und Bibra, Burggrafenamt S. 276. Bibra, Burggrafenamt, Regest Nr. 279. Bertholds Siegel bei Posse: Adel III, Tafel 43, 2, Text S. 119 zu Nr. 1016. Siehe auch Gottberg: Burggrafenamt (siehe Anm. 9), S. 24, 42; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe, S. 100. Poppos Siegel von 1202 bei Posse, Adel III. Tafel 43, 3, Text S. 119 zu Nr. 1017. Beide Siegel auch bei Schultes: Dipl. Geschichte abgebildet: Bd. II, Tafel IX, Nr. 2, vgl. auch I, 85 II, 222, 276.
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zeigt, ist gleichfalls Poppo VII. zuzuweisen19, der seit 1212 das Burggrafenamt allein innehatte und wegen seiner Verdienste gegenüber Friedrich II. bei der strittigen Wahl von 1208, in zwei Kreuzzügen (1216, 1227) mit Privilegien (vgl. III) und später sogar mit der Ernennung zum Reichsstatthalter von Wien (1236) ausgezeichnet wurde, wo er gegen Unruhen vorgehen sollte, die Herzog Friedrich der Streitbare von Österreich ausgelöst hatte (Abb. 4)20. Auch Graf Otto I. von Henneberg-Botenlauben, der als Minnesänger und Kreuzfahrer besonders bekannt geworden ist, führte wie seine Brüder Berthold und Poppo seit 122121 bzw. 123122 Doppeladler und Schachfeld23. Die Umschrift des Siegels (Abb. 5) lautet: „† OTTO DEI GRATIA COMES DE (HENNE)NBERC“24. In der dazugehörigen Urkunde benannte sich Graf Otto I. bereits nach seinem bevorzugten Sitz, der Burg Botenlauben bei Kissingen. Da mittelhochdeutsch „loube“ soviel wie „Bauwerk“ bedeutet25, meinte man sogar, das burggräfliche Wappen, soweit es die Nebenlinie Botenlauben führte, als „redend“ einstufen zu dürfen, zumal das Schachfeld oft auch als heraldisches Bild für „Mauerwerk“ diente26. Das Schachfeld kommt gerade im Wappenbild verschiedener Burggrafen verhältnismäßig häufig vor27 wenn auch i. g. doch später als bei den Hennebergern; so 1246
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Posse. Adel III, Tafel 43, 4, Text S. 119, Nr. 1018; vgl. Gottberg: Burggrafenamt 1c; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe S. 103. Dieses Wappensiegel Poppos VII. von 1212 kann aber nicht, wie Siebmacher-Seyler S. 122 meinte, als frühester Beleg des veränderten hennebergischen Wappens angesehen werden. Schultes: Dipl. Geschichte I, 60 ff. Bibra: Burggrafenamt S. 276. Siebmacher-Seyler S. 121. Ludwig Bechstein: Geschichte und Gedichte des Minnesängers Otto von Botenlauben, Grafen von Henneberg, bearb. und hg. von L. B., Leipzig 1845, S. 128, 141. Posse: Adel III, Tafel 43, 7, Text S. 120 zu Nr. 1021. Abb. auch beim Verf.: Genealogische und sphragistische Studien, S. 55. Siebmacher-Seyler S. 121. Nach der Abb. bei Posse: Adel III. Tafeln 43, 7 ist heute kaum mehr als „† OTTO ... COMES DE ... ENBERC“ zu lesen. Den Doppeladler im Schild führte anfangs auch die Gemahlin Ottos I., Beatrix von Courtenay, vgl. Posse: Adel III, Tafeln 43, 9, Text S. 120, Nr. 1023; um 1244 trat an die Stelle dieses Siegels mit der Legende „† BEATRIX. D. GRA. COMITISSA. IN. HENNENB“, ein typisch spitzovales Frauensiegel mit einer aufrecht stehenden weiblichen Figur im Bild. Ib. Taf. 44, 1, Text S. 120, Nr. 1024. Matthias Lexer: Mhd. Handwörterbuch. Bd. 1–3. Leipzig 1872–78 Bd. 1, Sp. 1964 f. Diese Deutung geht auf Bechstein: Botenlauben S. 60 zurück; ihr folgen Siebmacher-Seyler S. 121 und, mit Einschränkungen, Posse: Adel III, S. 117. Hierin mag ein weiterer Grund heraldischer Art liegen, daß dieses Wappen mit Recht immer wieder mit der Burggrafschaft Würzburg in Verbindung gebracht wird; so nennt Bibra: Burggrafenamt S. 272 es ausdrücklich zutreffend: „das burggräfliche Siegel der Grafen von Henneberg.“
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bei den Burggrafen von Nürnberg28, 1326 bei den Burggrafen von Kirchberg29 und auch bei den Magdeburger Burggrafen30. Diese Umgestaltung des hennebergischen Wappens hat in der Tat „einigen Stoff zu Hypothesen“ abgegeben31. So hat man die Aufnahme des Doppeladlers in den Schild folgendermaßen zu erklären versucht: „Mit Rücksicht darauf, daß viele benachbarte Grafen- und Herrengeschlechter dasselbe Wappensiegel, den Adler, führten, hat Poppo VII. im Einvernehmen mit seinem Bruder Otto von Botenlauben des ererbte Wappen umgestaltet32.“ Abgesehen davon, daß eine solche Absprache nicht überliefert ist, hätte sie wohl eher zwischen Burggraf Berthold II. und seinem Bruder Poppo VII. stattfinden können, da sich bereits 1202 beide gemeinsam des Doppeladlersiegels bedient haben, ehe es – den erhaltenen Belegen nach zu urteilen – auch von Otto I. von Botenlauben geführt wurde, der es erst nach Übertragung seiner Besitzungen auf das Würzburger Hochstift 123433 zugunsten eines anderen Wappens aufgab (vgl. VI). Wegen dieser einheitlichen Siegelführung entfällt die Möglichkeit, den Doppeladler aus seiner „Unterscheidungsfunktion“ zu erklären, die man ihm wohl mit Recht auch innerhalb eines Geschlechts, zwischen der jüngeren und älteren Linie, zwischen Vätern und Söhnen bzw. Brüdern gegenüber dem einfachen Adler zuerkannte34, da die Grafen von Henneberg im XIII. Jahrhundert den einfachen und den doppelköpfigen Adler nicht nebeneinander in ihren Schilden geführt haben, sondern nur den letzteren. Es ist auch wenig wahrscheinlich, daß die Grafen den Doppeladler in ihren Schild aufgenommen haben, um sich durch ihn von „benachbarten Grafen- und Herrengeschlechtern“ 28 29
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Bibra: Burggrafenamt S. 277, Anm. 1. Wappen des Burggrafen von Kirchberg aus dem Jahr 1326. Nachweis bei Bibra: Burggrafenamt S. 277, Anm. 2. Wappen der Magdeburger Burggrafen. Nachweis bei Bibra: Burggrafenamt S. 277, Anm. 3. Siebmacher I, 1, 1, Nürnberg 1856, bearb. von Otto Titan von Hefner (zit. Siebmacher-von Hefner), S. 20. Posse: Adel III, S. 116 f. Bechstein: Botenlauben (siehe Anm. 23). – L Hertel: Hennbergische Geschichte S. 500–506 (= Anhang zu L. H.: Neue Landeskunde des Herzogtums Sachsen-Meiningen), in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde 51, Hildburghausen 1905. – Karl Zürcher: Die Botenlaubischen Grabdenkmäler in der Klosterkirche zu Frauenrode, in: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums 22, Meiningen 1909, S. 1–38 (mit Abb. und weiterf. Lit.). – Vgl. das Kapitel „Botenlauben“ bei Eilhard Zickgraf: Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen. Geschichte des Territoriums und seiner Organisation, in: Schriften des Instituts für geschichtliche Landeskunde von Hessen und Nassau 22, Marburg/L. 1944. – Kurze Nachweise auch bei Alfred Wendehorst: Das Bistum Würzburg, Teil 1: Die Bischofsreihe bis 1254. Berlin 1962, S. 228 f. (= Germania Sacra NF. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz, T. 1: Das Bistum Würzburg). Korn: Adler und Doppeladler, S. 365.
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zu unterscheiden; schließlich haben zahlreiche Reichsstädte den einfachen Adler zu ihrem Siegelbild gewählt, selbst auf die Gefahr hin, daß man diesen Adler – bei der Fülle anderer Adlerwappen – auch als Siegelbild eines anderen ihnen übergeordneten Herren ansehen konnte“35. Auch in der Änderung des burggräflich-hennebergischen Amtswappens wird man kein irgendwie geartetes „Originalitätsstreben“ erblicken dürfen, das dem mittelalterlichen Denken eher fremd ist. Dennoch dürfte es zunächst jedenfalls eine Merkwürdigkeit zu nennen sein, wenn Vasallen des Reiches sich des Doppeladlers eher bedienen als die Kaiser selbst“36. Nun verfügen wir heute jedoch über einen ausreichenden Überblick, um sagen zu können, daß „der Doppeladler bereits um 1100 im Abendland rezipiert worden ist“37, und besitzen sogar frühe Anzeichen dafür, daß bereits zur Zeit Friedrich Barbarossas und Friedrichs II. Versuche unternommen wurden, den Doppeladler selbst als Reichswappen einzuführen38. Im Gegensatz zu den ersten Vorkommen des Doppeladlers im Siegel der Grafen Ludwig von Saarwerden (1180)39 und Heinrich des Schwarzen von Arnsberg (1186)40, bei denen „eine Beziehung zum Reich oder zum Kaiser“ noch nicht ausreichend sichergestellt ist41, wird sie im Falle Henneberg für „möglich“ gehalten42. Tatsächlich steht sie außer Zweifel43, was oben schon angedeutet wurde (vgl. I), und aus der engen Beziehung der Grafen von Henneberg zu Kaiser und Reich scheint sich auch die Umgestaltung des hennebergischen Adlers zum Doppeladler erklären zu lassen. So wie die
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Ib. Siebmacher-von Hefner S. 20. Korn: Adler und Doppeladler, S. 363 mit Belegen. Vgl. den Exkurs über das Reichswappen von A. Anthony Ritter von Siegenfeld: Forschungen z. Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark III: Das Landeswappen der Steiermark. Graz 1900, S. 384 ff. und die Diskussion dieser Theorie bei Korn: Adler und Doppeladler, S. 363 f. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München Abt. I, Urkunde Rheinpfalz 1919. Die westfälischen Siegel des Mittelalters I, 2. Münster 1883, S. 23. Ottfried Neubecker: Doppeladler, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Bd. IV. Stuttgart 1958, Sp. 157–161 bezweifelt eine solche Beziehung noch, die jedoch von Korn: Adler und Doppeladler, S. 336 nicht bestritten wird. Neubecker ib. Sp. 158, jedoch mit falscher Datierung: „Doppelsiegel von 1231“ statt 1202; auch Korn: Adler und Doppeladler, S. 364 mit Anmerkung 24 notiert das früheste hennebergische Doppeladlersiegel auf Grund falscher Angaben Siebmacher-Seylers a. a. O. noch 1212; desgleichen bei Korn auf Grund einer mißverständlichen und leider auch nicht nachgewiesenen Angabe bei H. J. von Brockhusen, Wetzlar und der Reichsadler im Kreis der älteren Städtewappen, in: Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins 16 (1954), 93–126, hier S. 105, das Graf Berthold (II.) noch 1202 mit einem einfachen Adler gesiegelt habe. Vgl. darüber meine oben angeführten Studien (s. Anm. 11).
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Reichsstädte Cambrai um 118044 und Kaiserswerth um 122045 mit ihren Doppeladlersiegeln „auf ihren Herrn weisen wollten, der zwei Würden auf sich vereinigte, nämlich König und Kaiser zugleich war“46, scheinen auch die hochfreien Henneberger auf die Herkunft ihrer Rechte als „Reichsburggrafen“47 in ihren Amtssiegeln weiter hindeuten zu wollen. Man könnte daher auch in diesen frühen hennebergischen Siegeln die ältesten Zeugnisse einer Auffassung sehen, die zweihundert Jahre später am kaiserlichen Hof ihre offizielle Anerkennung im Majestätssiegel Kaiser Sigismunds finden sollte“48. Doch diese hennebergischen Doppeladlersiegel sind auch deshalb interessant, weil hier schon die Schildteilung angewandt wurde, ein „damals gerade aufgekommenes Hilfsmittel der Wappenkunst“49. Sie ist frühzeitig, von anderen Beispielen abgesehen, im fränkischen Raum auch von den Grafen von Wertheim angewandt worden, die einen einfachen wachsenden Adler über drei Rosen führten50. Danach wird dieses Burggrafenwappen bis zum ausgehenden XIV. Jahrhundert in keinem Regentensiegel mehr geführt (vgl. III, IV und VI). Nur vereinzelt taucht es noch auf, so bei Luitgard von Henneberg, einer Tochter Poppos VII., die seit 1229 mit Fürst Johann I. von Mecklenburg vermählt war; sie führte den burggräflichen Schild noch 1257 in ihrem Siegel51. Auch in Münnerstadt, das sich seit dem XII. Jahrhundert in hennebergischem Besitz befand, kommt der burggräfliche Wappenschild 1287 im Stadtsiegel vor52. Schließlich findet sich der Doppeladler auch neben dem Hennenschild im Siegel Juttas von Brandenburg, der Gemahlin Graf Heinrichs VII. von Henneberg-Schleusingen von 1323/5553. 44 45 46
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Siehe die Nachweise bei Korn: Adler und Doppeladler, S. 363 u. Anm. 18. H. J. von Brockhusen: Wetzlar, S. 105. Korn: Adler und Doppeladler, S. 365. Auch O. Neubecker: Doppeladler Sp. 158 f. betont, die „volkstümliche Auffassung, daß der römische Kaiser den zweiköpfigen, der römische König (designierter Kaiser) den einköpfigen Adler als Wappenbild zu führen habe“, hätte sich schon wesentlich früher durchgesetzt, ehe sie im Reichswappen Siegmunds, zunächst im Reichsvikariatssiegel 1401, dann 1417 in seinem erst 1433 verwendeten Kaisersiegel amtlich anerkannt wurde. Herbert Helbig: Der wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485. Münster und Köln 1955, S. 107 (= Mitteldeutsche Forschungen 4). Korn: Adler und Doppeladler, S. 365. Posse: Adel III, S. 117. – Auch Siebmacher-Seyler betonen hinsichtlich des Wappensiegels von 1212, daß „die Art des Aufrisses seine Neuheit beweist“ (S. 121). Josef Aschbach: Geschichte der Grafen von Wertheim. Frankfurt 1843, Bd. I, S. 360. Nach Siebmacher-Seyler, S. 122. Vgl. K. Dinklage: 15 Jahrhunderte Münerstädter Geschichte, 1935; s. auch Karl Withold: Münnerstadt, in: Hdb. d. Hist. Stätten Bayerns, Stuttgart 1965 (2. Aufl.), S. 485–487. Vgl. Teil VI in dieser Arbeit.
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Die frühesten Angaben über die Tinktur des burggräflichen Wappens macht Conrad von Mure in seinem zwischen 1244 und 1247 entstandenen Clipearius theutonicorum: „Hennenberg rubet et candet niveo quoque detur. Nigra biceps aquila que dimidiata notetur.“ Danach war der Doppeladler schwarz in Silber, das Schachfeld rot-silbern54. Die früheste farbige Darstellung dieses hennebergischen Wappenschildes – die des ersten kennen wir gar nicht – findet sich abweichend von diesen Angaben Conrads in der Weingartner Liederhandschrift und im Codex Manesse: im geteilten Schild finden wir oben in Gold den wachsenden schwarzen Doppeladler, unten in fünf55 bzw. drei Reihen56 von Silber und Rot geschacht.
III Nachdem das hennebergische Wappen bereits an der Wende des XII. zum XIII. Jahrhundert umgestaltet worden war (vgl. II), tritt schon in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts eine nochmalige Änderung ein: das Doppeladlerwappen wird von der Henne auf dem Dreiberg als gänzlich neuem Wappenbild abgelöst. Auch diese zunächst „nicht wenig befremdende Änderung“57 geht auf Graf Poppo VII. zurück, den letzten Henneberger im Würzburger Burggrafenamt. Dieses Wappen kommt 1232, aber nicht 122658 bzw. 123759 zuerst in einem Siegel vor mit der Legende „† SIGILLVM . COMITIS . BOPPONI(S) . DE HENNENBORC“ (Abb. 6)60. 54
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Conrad von Mure: Clipearius theutonicorum (1244/47), hg. von Paul Ganz, in: Geschichte der heraldischen Kunst in der Schweiz im XII. u. XIII. Jhdt., Frauenfeld 1899, S. 174–185, das angeführte Zitat v. 66, S. 182 f. Vgl. E. Gritzner: Symbole und Wappen des alten deutschen Reiches (s. Anm. 13), S. 57 m. weiterf. Lit. Die Weingartner Liederhandschrift, hg. v. Friedrich Pfeiffer und F. Fellner. Stuttgart 1843. Karl Zangemeister: Die Wappen, Helmzierden und Standarten der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Manesse Codex). Görlitz und Heidelberg 1892, S. 3, Abb. T. VII, Bl. 27. Bibra: Burggrafenamt, S. 277. Ib.; Schultes: Dipl. Geschichte II, 222 f. Fälschl. Siebmacher-Seyler, S. 123, desgleichen Seyler im „Münchener Kalender“ 1910, 16. F., 3. Textseite. Posse: Adel III, Taf. 43, 5, Text S. 120 zu Nr. 1019; vgl. auch von Gottberg: Burggrafenamt, S. 27, 42; Siebmacher-Seyler, Taf. 123, 5; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe, S. 103.
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Das neue Wappen des Grafen von Henneberg gehört zur Gruppe der „arma loquentia“, bei denen nach der Definition von Hefners „die Aussprache ihrer Bilder mit dem Wortlaut des Namens übereinstimmt“61: Henneberg = eine auf dem Berg stehende Henne. Dieses Namenswappen, das sogar den ganzen Namen redend wiedergibt, ist ein typisches Beispiel dafür, daß sich die mittelalterliche Heraldik bei dem Bemühen um eine etymologische Erklärung oft allein mit dem „Gleichklang der Worte begnügte“62. Eine sachliche Rechtfertigung für den Versuch, den Namen „Henneberg“ von der „Henne“ ableiten zu wollen, scheint zunächst die in verschiedenen Darstellungen zur hennebergischen Geschichte immer wieder tradierte Sage über die Anfänge des Geschlechtes der Henneberger in Italien zu bieten: Ein vornehmer Columneser namens Poppo habe im V. Jahrhundert wegen verschiedener Auseinandersetzungen Italien verlassen müssen. Er sei nach Deutschland geflohen und habe sich schließlich in Franken niedergelassen, wo er sich eine Burg erbaut habe. Sie sei von ihm „Henneberg“ genannt worden, weil sie auf dem dazu ausersehenen Berg eine Waldhenne oder ein Waldhuhn mit ihren Kücken aus dem Gebüsch aufgeflogen sei, was ihn außerdem dazu bewogen habe, die Henne in sein Wappen aufzunehmen63. 61
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Otto Titan von Hefner: Handbuch der theoretischen und praktischen Heraldik. München 1863, S. 33. Wappenfibel. Handbuch der Heraldik. 15. Aufl., bearb. vom Herolds-Ausschuß der Deutschen Wappenrolle. Neustadt/Aisch 1967, S. 118 (zit. Herold-Handbuch der Heraldik). Krit. Wiedergabe bei Schultes: Dipl. Gesch. I, 4 f., II, 221; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe, S. 22 f., berichtet die Sage gleichfalls, zieht sie aber nicht grundsätzlich in Zweifel, sondern bestreitet lediglich die italienische Herkunft der Grafen von Henneberg. Nach seiner Hypothese war der Ahnherr ein Franke namens „von der Sule“, der mit Kaiser Probo nach Italien gezogen sei und dessen Nachkommen dann, nach Deutschland zurückgekehrt, in der oben geschilderten Weise auf Burg Henneberg ansässig geworden seien (S. 23 ff.). Vgl. auch: Friedrich Lucae: Des Heil. Röm. Reichs uhralter Fürstensaal. Frankfurt/M. 1705, Tl. IV, S. 1165. J. Findeis: Land und Leute im preußischen Henneberg. Suhl 1876, S. 3. – Otto Dehler: Das hennebergische Landrecht in den Grundzügen dargestellt. Jur. Diss. Erlangen-Würzburg 1939, S. 1. Im Gegensatz zur Burg Henneberg soll die gleichfalls hennebergische Huhnburg ihre Entstehung einem zahmen Haushuhn und keiner Waldhenne wie Burg Henneberg zu verdanken haben. Vgl. J. G. Th. Graesse: Geschlechts-, Namen- und Wappensagen des Adels deutscher Nation. Dresden 1876, S. 66. Dort auch weitere Drucknachweise der henneberg. Namenssage (bei Grimm und Bechstein). Paulus Cassel (s. Anm. 68) hebt hervor: „Falsche Etymologie war von jeher der Quell von Wappen- wie Sagenbildungen. Nachdem die ,Henne‘ den Anfang des Namens unbezweifelt bildete, schlossen sich volkstümliche Anschauungen, die das Tier betrafen, an. Hahn und Henne waren die symbolischen Thiere fortpflanzender Fruchtbarkeit. Darum wurde die von dem sagenhaften ersten Erbauer auf dem Berge aufgescheuchte Henne mit ihren Kücklein als die glückverkündende Gelegenheit zur Benennung des Geschlechts gedichtet“ (S. 4). –
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Das Andenken an diese Sage ist bis zum Aussterben des Geschlechts 1583 vor allem von den Grafen von Henneberg selbst wachgehalten worden, zumal es, bei „ihnen für eine besondere hohe Ehre“ galt, „daß sie von Römern und von dem berühmten Geschlecht der Columneser ihren Ursprung haben sollten“64. Das Unwahrscheinliche dieser im Mittelalter weithin üblichen genealogischen Konstruktionen braucht nicht betont zu werden. Und die Sage wird „schon durch den Umstand hinlänglich widerlegt, daß die Henne erst viele hundert Jahre später, denn Obiges geschehen sein sollte, in den Siegeln der Grafen von Henneberg erscheint“65. Auch wenn sich die Entstehungszeit dieser, vermutlich zunächst mündlich überlieferten Fabel nicht genau feststellen läßt, so spricht doch vieles dafür, daß es sich um eine Schöpfung des Spätmittelalters, vielleicht aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts handelt (vgl. V), als die politischen und rechtlichen Motive, die wohl tatsächlich zur Annahme des Hennenwappens geführt hatten, nicht mehr im allgemeinen Bewußtsein hafteten. Was schließlich die sprachlich richtige Deutung des Namens „Henneberg“ angeht, so ist interessant, daß er keineswegs von der „Henne“ abzuleiten ist. Die Wortform „Henneberc“, wie der erste Beleg lautet66, ist zuerst Ende des XI. Jahrhunderts urkundlich belegt, das heißt rund hundert Jahre vor dem ersten überlieferten Hennensiegel, und zwar in Formen wie „Hein(n)enberg“, „Heinnenberg“ und „Hennimberg“67. Daraus wird ersichtlich, daß der Name des Berges, auf dem die Stammburg Henneberg etwa 9 km südsüdwestlich von Meiningen errichtet wurde, als eine allgemeine Flurbezeichnung bzw. als Ortsname zu gelten hat, der älter ist als die dort erbaute Burg. Eine ins einzelne gehende etymologische Untersuchung könnte nachweisen, daß tatsächlich „Henneberg nichts als Hainberg“ bedeutet68 und die Ableitung von der „Henne“ auf einer im Mittelalter weit verbreiteten philologischen Arglosigkeit beruht. Gemeint war mit „Henne-
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Wissenschaftl. wertlos ist leider auch das lange panegyrische Gedicht von Matthias Zeiss: Denkwirdiges Wappen-Bilnuß und Sehnliche Betrachtung der uhralten Herrschafft des abgestorbenen Fürstlichen Stammes Henneberg. Schleusingen 1626. Zur Erklärung des Hennenwappens bzw. der übrigen Siegel- und Wappenbilder trägt leider auch nicht der anonym erschienene Aufsatz bei: „Die Grafen von Henneberg und ihre Wappen“, in: Herald. Mitteilungen d. Vereins z. Kleeblatt 14 (1903), Sp. 87–91 (Aufzählung territorialgeschichtl. Veränderungen u. ab Sp. 90 lakon. Beschreibung des Wappens ohne Kommentar). Spangenberg-Erck: Hennebergische Chronica, S. 34 f. Siebmacher-von Hefner, S. 20. Bibra: Burggrafenamt, S. 287 f. u. Regest Nr. 24. Georg Brückner: Landeskunde des Herzogtums Meiningen. 2 Tle. Meiningen 1851 ff., Teil II, S. 154. Paulus Cassel: Henneberg. Dem Jubelfeste des Henneberger altertumsforschenden Verein am 14. Nov. 1857 gewidmet. Erfurt 1857 (Einzige philologische Deutung mit
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berg“ also ursprünglich nichts anderes als ein „bewaldeter Hügel“, auf dem sich, wie die weitere historische Entwicklung gezeigt hat, in diesem Falle besonders günstig eine Sperrburg der Heer- und Handelsstraße von Würzburg nach Meiningen errichten ließ69. Als Analogie bliebe auch auf den „Hennegau“ hinzuweisen, der urkundlich 779 „haginao“, 844 „pagus hainensis“, 947 „heinegowe“, das heißt „Waldgau“ genannt wurde70. Will man sich nun nicht mit dem empirischen Befund zufriedengeben, daß die redenden Wappen in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts „zu einer Modesache“ geworden sind71, der sich die Grafen von Henneberg unterworfen haben, so wird man fragen müssen, in welcher besonderen politischen Situation und auf Grund welcher veränderten Rechtslage sich die Grafen von Henneberg veranlaßt sehen konnten, das eben erst umgestaltete Burggrafenwappen durch ein vollkommen neues Wappen zu ersetzen, um sich aus gegebenem Anlaß der neuen Moderichtung anzuschließen. Wichtige Hinweise lassen sich den „Hennebergischen Chronica“ (1599) des Cyriacus Spangenberg entnehmen: „Ehe Er (sc. Poppo VII.) die Regierung alleine bekomen, hat Er der Burggrafschaft Wirtzburg wapen geführet. Aber darnach in seinem sigill alleine der eintzeln Henne sich gebrauchet, aus was ursachen solches geschehen, kan ich nicht wissen. Doctor Burckhardus Mithobius hielt es dafür, daß solches vielleicht geschehen were, wegen der schweren kriege, darinn Er und seine söhne mit dem Bißthumb Wirtzburg gerathen. Aber der Cantzler Glaserus meinete, weil Graf Poppo von Keyser Friederichen dem II. seine Regalia empfangen, habe Er etwan gemeinet, daß Er das Stift Wirtzburg, des Burggrafenamts halben, dieweil Er nicht viel davon gehabt, nicht mehr verwandt wäre. Daß laß ich an seinen ort beruhen, kan darvon nichts gewisses berichten72.“
Die Übernahme des Hennenwappens durch Graf Poppo VII., nachdem dieser bald nach 1212 die Alleinregierung übernommen hatte, kann diesen Angaben zufolge a) entweder mit den 1216/26 Henneberg verliehenen Privilegien Kaiser Friedrichs II. oder b) mit den Auseinandersetzungen zwischen
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einer großen Anzahl von Belegen; das von mir benutzte, mutmaßlich letzte Stück dieser Flugschrift, befindet sich in Dresden). Über Burg Henneberg vgl. Paul Wehnemann/Max Muth: Thüringer Burgen. Weimar 1932 (m. Übersichtskarte), S. 32, Abb. S. 112; s. auch Helmut Sieber: Burgen in Mitteldeutschland. Frankfurt/M. 1958, S. 25, Abb. 129 (= Schlösser und Herrensitze 3); leider unselbständig, meist eine Kurzfassung des zuvor genannten Kompendiums; vgl. bes. Anm. 70. P. Cassel zustimmend Friedrich Tenner: Burg Henneberg. Der Stammsitz des Henneberger Grafenhauses. Meiningen 1936, S. 11 (= Volkstümliche Schriftenreihe des henneberg.-fränk. Geschichtsvereins 1). Galbreath: Handbüchlein der Heraldik, S. 37; Herold-Handbuch der Heraldik. S. 128. Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe, S. 103.
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Henneberg und Würzburg 1220–1240 zusammenhängen. Geht man beiden Möglichkeiten einmal nach, so scheint zwischen ihnen eher ein mittelbarer Zusammenhang als eine Alternative zu bestehen. Beide Ereignisse scheinen zueinander in einer gewissen Beziehung zu stehen: a) Die Bestrebungen der Henneberger, ihre Herrschaftsrechte zu erweitern, richteten sich im XIII. Jahrhundert ihrer geographischen Lage entsprechend nach Süden aus, das heißt nach Franken und nicht nach Thüringen. Erst in der Zeit Poppos VII. werden auch Ansätze zu einer nach Norden ausgreifenden Politik erkennbar, die vorübergehend selbst vor einem Konflikt mit den Landgrafen von Thüringen nicht zurückgeschreckt ist. Durch die zweite Ehe Poppos VII. mit Jutta von Meißen73, der Witwe Markgrafs Dietrichs des Bedrängten und Stiefschwester Ludwigs IV. von Thüringen, zeichnete sich zwischen 1220–1226 auf dem Erbwege für kurze Zeit die Möglichkeit einer Vereinigung der Markgrafschaft Meißen mit der Grafschaft Henneberg ab und damit der Aufstieg Hennebergs zur Vormacht zwischen Main und Elbe. Da es Poppo VII. jedoch nicht gelang, sich als Stiefvater die Vormundschaft für den Sohn Juttas aus erster Ehe, den vierjährigen Heinrich den Erlauchten von Meißen, zu erhalten, und als noch dazu dem Landgrafen, als rechtmäßigem Vormund74 und Schwager des verstorbenen Markgrafen Dietrich, gegen einen größeren Geldbetrag und der Zusage, sich am Kreuzzug Friedrich II. zu beteiligen, vom Kaiser die Eventualbelehnung mit Meißen zugestanden wurde75, scheiterte dieser Versuch des Hennebergers. Doch der Verzicht Poppos VII. auf seine Pläne brachte Henneberg 1226 zum Ausgleich die erweiterte Bestätigung76 des 1216 bereits von Friedrich II. verliehenen Berg- und Salzregals ein77, so daß sich der Graf keineswegs „alle Früchte jenes Vermählungscoups entschlüpfen“ 73
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Hans Patze: Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen. Teil 1. Köln–Graz 1962, S. 264 f. (= Mitteldeutsche Forschungen 22, 1); Chron. Reinh. MGH SS XXX, 598, 18. Die Vormundschaft war dem Landgrafen durch Dietrich von Meißen im Testament übertragen worden. Chron. Reinh. MGM SS XXX 605; Regesta Imperii Teil V: Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV., Friedrich II., Heinrich (VII.), Conrad IV., Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard (1198–1272). 3 Bde. Innsbruck 1881–1901, Nr. 1568 a bis 1638 a; vgl. dazu Patze, Landesherrschaft in Thüringen, S. 270; Wilhelm Füßlein: Hermann I. Graf von Henneberg (1224–1290) und der Aufschwung der hennebergischen Politik. Von der Emanzipation der Henneberger vom Burggrafenamte bis zu ihrer Teilnahme am Gegenkönigtum, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 19 (NF. 11), 1899, 56–109, 151–224, 295–342 (zit. Füßlein: Hermann I.), hier: S. 64; Huillard-Bréholles: Historia dipl. Friederici II. Imp., Bd. III, Nr. 36. Hennebergisches Urkundenbuch. 7 Teile hg. v. K. Schöppach, L. Bechstein und G. Brückner. Meiningen, 1842 ff. (zit. Hub), hier: I, 19 (1226). HUB I, 18 (1216).
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lassen mußte78. Das Privileg ist für Henneberg nicht nur zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden (Bergbau und Salzgewinnung am Thüringer Wald), sondern es wurde auch zu einer wichtigen Grundlage der entstehenden hennebergischen Landesherrschaft. Da die Grafen von Henneberg unter anderem bereits im Besitz des ausgedehnten Wildbannes am Thüringer Wald waren, konnten sie durch die Verleihung des Bergregals ihren Anteil am „Bodenregal“79 erweitern. Auch wenn die verliehenen Gerechtsame herkömmlich den „Regalia minora“80, mithin den sogenannten „Finanzregalien“81 zuzurechnen sind, so sollte ihre herrschaftsbildende Kraft nicht unterschätzt werden. Der Weg zur Erlangung der „Regalia maiora“ als den bestätigten Hoheitsrechten der Landesherrschaft wird hier bereits deutlich sichtbar. Die verhältnismäßig frühe Verleihung dieses Regals im Jahr 1216 an Graf Poppo VII. – der Mainzer Erzbischof erhielt es zum Beispiel erst 121982 – ist wohl auf die Wahlhilfe des Hennebergers für Friedrich II. zurückzuführen. Poppo erhielt das Regal 1216, ein Jahr nach der Krönung Friedrichs in Aachen zum deutschen König. Es wurde dann 1226 bestätigt und erweitert („concessimus omnes auri“). Aber schon in der Ausfertigung von 1216 kommt die Wendung „in terra sua“ vor, was fast an die „domini terrae“ in den Reichsgesetzen Friedrichs II. anzuklingen scheint. b) Arge Auseinandersetzungen brachen zwischen Henneberg und den Würzburger Bischöfen Otto I. (1207–23)83 und Hermann I. (1225–54) aus dem Hause Lobdeburg aus, die sich in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun78 79
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Füßlein: Hermann I., S. 71. Rudolf Kötzschke: Allgem. Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Jena 1924, S. 165 „Von einem Bodenregal in beschränkterem Sinne darf gesprochen werden; Hoheitsrechte über Forsten und Jagd, Ströme und Fischerei, Bodenschätze und andere Funde wurden zur Geltung gebracht“ (vgl. auch S. 158, 275 ff., 333, 348). – Die Bedeutung des Berg- und Salzregals für die Entstehung der Landesherrschaft sollte eingehender untersucht werden (man vergleiche K. Bosls analoge Arbeit über die Wildbänne). Vorerst bleibt man noch immer angewiesen auf Adolf Arndt: Zur Geschichte und Theorie des Bergregals und der Bergbaufreiheit, in: ZSRG, GA 24 (1903), 59–110; Derselbe ib. S. 465–467, Zur Frage des Bergregals. Dagegen A. Zycha: über den Ursprung der alten Bergbaufreiheit und deren Verhältnis zum Regal. Eine Entgegnung, ib. S. 338–347, vgl. auch von A. Z.: Das Verhältnis des Sachsenspiegels zur Bergbaufreiheit, in: Zs. f. Bergrecht 1918, S. 317 ff. – Zum Salzregal immer noch: K. Th. v. Inama-Sternegg: Zur Verfassungsgeschichte der deutschen Salinen im Mittelalter, in: SB.e d. Kaiserl. Ak. d. Wiss. zu Wien Nr. 110, 1886. Eb. Freiherr von Künsberg: Regalien, in: Hdwörterb. d. Rechtswissenschaft, hg. v. F. Stier-Semlo u. A. Stier. Leipzig–Berlin 1922, Bd. IV, S. 770 f. F. Neumark: Regalien, in: Hdwörterb. d. Staatswissenschaft. 4. Aufl., Bd. IV, S. 1208–1214. Jena 1925. Codex diplomaticus anecdotorum res Moguntinas illustrantium, hg. v. Gedenus. Bd. I, Göttinger 1743, S. 465, Nr. 173. Franz Heibehold: Otto von Lobdeburg. Bischof von Würzburg, in: Archiv f. Unterfranken u. Aschaffenburg 70 (1935/36), 1–152.
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derts entschlossen zeigten84, die Grafen aus dem erblichen Burggrafenamt und besonders aus den dazugehörigen Amtslehen85 zu verdrängen. Das Burggrafenamt hatte „in Würzburg im Laufe des XII. Jahrhunderts durch den Verlust seiner wesentlichsten Rechte, namentlich auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit, seine ehemalige Bedeutung fast vollständig eingebüßt ... Geblieben waren ... jedoch, trotz mancher versuchter und auch durchgeführter Beschränkung, die Mehrzahl der mit dem Amte verbundenen burggräflichen Lehen ...“86. Diese Bestrebungen der Würzburger Bischöfe, den Grafen von Henneberg ihre Amtslehen zu nehmen, führten bereits 1220/28 zu offenen Kämpfen zwischen beiden Parteien und 1230/40 zum endgültigen Bruch zwischen Henneberg und dem Hochstift. Diese Feindseligkeiten stehen schließlich mittelbar im Zusammenhang mit den Reichsgesetzen Friedrichs II. von 1220 und 1231/32, bei denen Bischof Otto I. wahrscheinlich maßgeblich an der Abfassung des fünften Artikels der „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“87 mitgewirkt hatte88, in dem die Vergabe von Kirchenlehen neu geregelt wurde. Beide Bischöfe unternahmen, als diese Gesetze erlassen wurden, energische Versuche, besonders die Henneberger, aber auch andere fränkische Hochfreie ihrer geistlichen Landesherrschaft zu unterwerfen und den Würzburger Dukatsanspruch entschlossener durchzusetzen, den die Stifter seit dem Barbarossa-Privileg von 1168 erhoben. In der Tat ist besonders Bischof Hermann „zum eigentlichen Schöpfer des Würzburger Staates geworden“89. Henneberg aber konnte sich in diesem entscheidenden Konflikt, der hier nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet zu werden braucht, behaupten90. Diese Auseinandersetzungen führten zur „Emanzipation“91 vom Hochstift, dem es nicht gelang, Henneberg vollstän84
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Vgl. bes. die Wahlkapitulation Bischof Hermanns: Monumenta Boica 37, 215 und DOB II, 2194. Maier: Über das Burggrafenamt zu Würzburg und die ehedem dazugehörigen Güter, in: Archiv f. Unterfr. u. Aschaffenburg 5 (1839), 1 bis 55. Füßlein: Hermann I., S. 108. MGH Const. II, Nr. 73, 86. Erich Klingelhöfer: Die Reichsgesetze von 1220, 1231/32 und 1235. Ihr Werden und ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs II. Weimar 1955, S. 347–351 (= Quellen u. Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, Bd. 8, H. 22). Über die Mitwirkung von Bischof Hermann am Statutum in favorem principum ib. S. 76–82, 95. Vgl. A. Wendehorst: Bistum Würzburg (s. Anm. 33) I, 214. Wendehorst ib. I, 225; vgl. schon den Titel der vielfach apologetischen Habil.-Schrift von Theodor Henner: Bischof Hermann I. von Lobdeburg und die Befestigung der Landesherrlichkeit im Hochstift Würzburg. Würzburg 1875. Darüber Füßlein: Hermann I., S. 151–175. Vgl. auch den Untertitel der Arbeit von Füßlein: Hermann I. (s. Anm. 75). Wesentlich für die behauptete Selbständigkeit war u. a. die gräfliche Gerichtsbarkeit über Erbe und Eigen, die 1240 in dem für Henneberg günstigen Schiedsspruch, der unter
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dig in seine Lehnsabhängigkeit zu ziehen; die Grafen waren jedoch genötigt, „sich von dem für sie nicht mehr tragbaren amtlichen Burggrafenamt“ zu lösen92. Man ersieht aus den geschilderten Vorgängen, daß die kaiserliche Verleihung des Berg- und Salzregals 1216/26 an die Grafen von Henneberg (a) jedenfalls insofern Bedeutung für die Behauptungskämpfe Poppos VII. gegen das Hochstift Würzburg besaß (b), als es die Grundlagen der hennebergischen Herrschaft gerade in einer Zeit festigte, als die Grafen für ihre Unabhängigkeit besonders hart kämpfen mußten. Als Zeichen für die Selbständigkeit Hennebergs, die Poppo VII. in diesen Kämpfen bewahrt hat, ist das neu angenommene Hennenwappen aufzufassen. Das burggräfliche Amtswappen wurde durch das Namenswappen dieses hochfreien Geschlechts abgelöst, das damit tatsächlich zum „Sinnbild der aufsteigenden Landesherrlichkeit“ wurde93. Das Hennenwappen hielt sich von 1232 bis 1397 ohne weitere Veränderungen in den Regentensiegeln aller hennebergischen Linien; es wurde auch nach der hennebergischen Hauptteilung (1287) von der seit 1310 gefürsteten Schleusinger, von der Hartenberger und der Aschach-Römhilder Linie ohne Beizeichen weitergeführt94. Genauso kommt das Hennenwappen noch in der später sogenannten „Neuen Herrschaft“ vor, die bis zum Tod des kinderlosen Grafen Poppo VIII. im Jahr 1291 hennebergisch war, ehe diese Gebiete um Coburg auf dem Erbwege vorübergehend an Brandenburg gelangten95. Die Farben des Hennenwappens haben in früherer Zeit bisweilen gewechselt. Während die Farbe der rot96 bewehrten Henne übereinstimmend mit schwarz angegeben wird, ist der Dreiberg (manchmal auch nur ein einfacher Hügel) in der Züricher Wappenrolle und im Scheiblerschen Wappenbuch grün, im Wappenbuch von den Ersten und bei Ingeram rot, im Arlberger Wappenbuch des Codex Fidgor sogar einmal grün und einmal rot dargestellt,
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dem Einfluß König Konrads IV. im Streit mit Würzburg zustande kam, erstmalig und von nun an wiederholt erwähnt wird. Wilhelm Füßlein: Zwei Jahrzehnte würzburgischer Stifts-, Stadt- und Landesgeschichte 1254–1275, in: Neue Beitr. z. Geschichte deutschen Altertums 32, Meiningen 1926, S. 48. Füßlein: Hermann I., S. 87. Vgl. zum Phänomen, das „Reichs-Amts-Symbol“, den Adler, aufzugeben und ein „neues eigenes Wappenbild“ anzunehmen: A. von Brandt: Heraldik, in: Werkzeug des Historikers. 5. Aufl. Stuttgart 1969, S. 145 (Urban Taschenbücher 33) und Korn: Adler und Doppeladler, S. 341. Belege für den ganzen Zeitraum finden sich bei Posse, Adel III, S. 120, Nr. 1019 bis S. 127, Nr. 1097, Abb. Taf. 43–49; vgl. Bibra: Burggrafenamt, S. 277–280. Nachweise bei Bibra ib. S. 278 f. Im Scheiblerschen Wappenbuch (Hdschr. um 1450) sind Kamm und Schnabel rot, die Füße jedoch blau wiedergegeben.
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im Grünenbergischen, Redinghovenschen und Brentelschen Wappenbuch schwarz tingiert97.
IV Über das Wappen Graf Heinrichs X. von Henneberg-Schleusingen (1372 bis 1405) berichtet Cyriacus Spangenberg lakonisch: „Er hat zum ersten wiederumb der Burggrafeschafft Wirtzburg Wapen im seinem Schildt und Sigill geführet“98. In der Tat hat sich Heinrich X. als erster hennebergischer Regent nach rund hundertfünfzig Jahren 1393 wieder des burggräflichen Wappens bedient99 und bald darauf einen quadrierten Schild eingeführt, der bis zum Aussterben der Grafen von Henneberg im Mannesstamm 1583 dann keiner wesentlichen Änderung mehr unterlag: In der Regel enthielt das erste und vierte Feld das geteilte burggräfliche Wappen, oben in Gold den wachsenden schwarzen Doppeladler, unten in Silber und Rot ein Schachfeld von (gewöhnlich) zwei Reihen und zehn Plätzen, das zweite und dritte Feld in Gold die schwarze Henne auf einem (meist) grünen Dreiberg100. Es trat zuerst 1393/94 auf101 und ist spätestens ab 1399 sicher belegt102. Später wird der burggräfliche Adler auch gekrönt dargestellt (Abb. 7)103 (vielleicht analog zur gekrönten Römhilder Säule, s. V). Wappenvermehrungen sind „Ende des 14. Jahrhunderts Mode geworden“104 und dennoch überrascht es, daß die Grafen von Henneberg, die das Würzburger Burggrafenamt und ihr Amtswappen zu Beginn des XIII. Jahrhunderts abgelegt hatten, um ihre Selbständigkeit gegenüber dem Hochstift 97
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Angaben nach Siebmacher-Seyler, S. 123. Codex Fidgor vgl. Otto Hupp: Die Wappenbücher des Deutschen Mittelalters, Bd. I: Die Wappenbücher vom Arlberg, 1. T.: die drei Originalhandschriften von St. Christoph auf dem Arlberg aus den Jahren 1394 bis ca. 1430, 1.–10. Lieferung, Bln. 1937–43, S. 119 m. beiden Abb. Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe S. 203. Posse: Adel III, S. 127, Nr. 1100 (Sekretsiegel), dazu Abb. Taf. 50. Zahlreiche Belege bei Posse: Adel ib. Nr. 1101ff., Taf. 50–53, desgleichen Schultes: Dipl. Geschichte II, Taf. I–VI, VIII, IX, 6–8, XI, 5–10 (div. Wappensiegel; Wappenabb. auf Grabdenkmälern). Siebmacher-Seyler, S. 123, verweist auf ein von ihm nicht näher nachgewiesenes, Siegel; er meint jedoch das, an der Urkunde im HUB IV, 55, befestigte (vgl. dort die Anm. G. Brückners). Posse: Adel III, S. 127, Nr. 1101, Abb. Taf. 50, 4. Schultes: Dipl. Geschichte II, Taf. IX, 7–8; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Titelblatt der Folioausgabe 1599, Abb. 7 i. dieser Arbeit. Vgl. auch 2 Abb. des XVI. Jahrhunderts in: Der Deutsche Herold 31, 1900, S. 150, und in: Heraldischgenealogische Blätter für adelige u. bürgerliche Geschlechter 2, Nr. 9, Bamberg 1905, S. 50–151; vgl. Bibra: Burggrafenamt, S. 282. Posse: Adel III, S. 117.
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zu bewahren, es hundertfünfzig Jahre später wieder in ihr Regentensiegel aufnahmen105. Sie werden sich zu dieser Wappenvermehrung berechtigt und bewogen gefühlt haben, zumal die Grafen von Henneberg, seit 1309 nachweisbar das (Ober-)Marschallamt des Würzburger Hochstifts bekleideten106 und zudem nach wie vor, ohne das Burggrafenamt noch innezuhaben, auch das Leiherecht für einige „Unterburggrafenlehen“ ausübten. Daß es sich beim Obermarschallamt nicht gleichsam um die militärische „Weiterführung“ des ehemaligen Würzburger Burggrafenamtes handelte, beweist eine Würzburger Lehnurkunde für Henneberg-Schleusingen aus dem Jahre 1348, in der das Amt des Burggrafen ausdrücklich von dem des Obermarschalls unterschieden wird107. Wenn die gefürsteten Grafen von Henneberg-Schleusingen jedoch vom XIV. bis ins XVI. Jahrhundert noch „Unterburggrafenlehen“ an die Hohenberg, von der Kere und von Bibra108 verliehen hatten109, ohne sie deshalb zu „Unterburggrafen“110 zu ernennen, so mag sich das folgendermaßen erklären: Während ein großer Teil der ehemaligen burggräflichen Amtslehen, die sich sämtlich bis zu den Auseinandersetzungen zwischen Henneberg und dem Hochstift in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts in erblichem Besitz der Grafen befanden, dann in gewöhnliche Stiftslehen umgewandelt wurden, die ihnen als solche jedoch verblieben, stand ein kleiner Teil dieser früheren Burggrafenlehen dem jeweiligen Hochstiftsvogt zur anderweitigen Belehnung zur Verfügung: „An ihnen haftete auch weiterhin der Name des Burggrafentums, der so in eine andere Zeit hinübergerettet wurde, wo von der Sache selbst, von einem Amte dieser Art, auch nicht mehr entfernt die Rede sein konnte“111. Die Henneberger waren durch das Obermarschallamt „Officiale der bischöflichen Hofhaltung“ geworden112, und zwar in ähnlicher Weise wie die Markgrafen 105
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Über das „Weiterleben“ des burggräflichen Wappens in einzelnen hennebergischen Siegeln während des XIII. und XIV. Jahrhunderts, wenn auch nicht in Regentensiegeln, s. Teil II u. VI! Monumenta Boica 37, S. 443 f. (1309). HUB II, 78, Zur Interpretation dieser Urkunde vgl. Günther Schmidt: Das Würzburger Herzogtum und die Grafen und Herren in Ostfranken. Weimar 1913, S. 60, mit Anm. 3 u. 4 (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, Bd. V, 2). Lakonisch und ohne Kommentar aber irreführend: Alfred Wendehorst: Das Bistum Würzburg, T. 2. Berlin 1969, S. 85 Germania Sacra NF. 4, Würzburg, 2. T.: Die Bischofsreihe von 1254 bis 1455). Schultes: Dipl. Geschichte II, S. 185, 199. HUB V, 39 f., 171, 210. Falsch bei Schultes: Dipl. Geschichte I, 326. Hierin folge ich Erwägungen von Wilhelm Füßlein: Berthold VII. Graf von Henneberg. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte des 14. Jahrhunderts. Marburg/L. 1905, S. 73–77 (= Festschrift der Realschule vor dem Lübecker Tore, dargebr. z. Begrüßung der 48. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner in Hamburg). – Die Grafen von Henneberg erhielten die „Unterburggrafenlehen“ und andere Gewere gleichsam als Amtspfründen ihres Erbmarschallamtes verliehen. Füßlein: Berthold VII., S. 74.
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von Meißen, die sich immer gern als Marschälle des Mainzer Erzstiftes bezeichnet haben113. Diese Ämter trugen „dekorativen Charakter“, ohne daß mit ihnen noch eine tatsächliche Form der Abhängigkeit verbunden war. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Graf Heinrich X. für die von ihm durchgeführte Wappenvermehrung, mit der er eine Steigerung seines Ansehens erstreben mochte114, die Zustimmung des Würzburger Bischofs benötigte. Sollte es dennoch der Fall gewesen sein, dann kann Graf Heinrich X. diese Einwilligung gleichsam als eine mögliche Gegenleistung für seinen Beistand erlangt haben, den er mehrfach, einer Bündnisabsprache zwischen dem Hochstift und dem Grafen zufolge, dem Bischof zu Anfang der neunziger Jahre des XIV. Jahrhunderts gegen die Würzburger Bürgerschaft gewährte115.
V Wie erwähnt, wurde das Hennenwappen zunächst von allen drei hennebergischen Linien einheitlich ohne unterscheidendes Beizeichen geführt: von Henneberg-Hartenberg bis zum Aussterben 1379, von Henneberg-Schleusingen bis zur Wappenvermehrung 1393 und von Henneberg-Aschach (Römhild) sogar bis 1466. Erst nach 1467 haben auch die Grafen von Hennberg-Aschach (Römhild) eine Wappenvermehrung durchgeführt: im quadrierten Schild trat neben die Henne im ersten und vierten Feld als unterscheidendes Wappenbild im zweiten und vierten Feld in Rot eine goldgekrönte silberne Säule hinzu (Abb. 8). Die Gründe, die zu dieser Veränderung und schließlich sogar dazu führten, daß auch diese Römhilder Linie gefürstet wurde, hängen nunmehr tatsächlich mit der oben angeführten Ursprungssage der Henneberger zusammen, nach der die Grafen, angeblich aus vornehmem Columneser Geschlecht stammend, im V. Jahrhundert wegen verschiedener Auseinandersetzungen von Italien nach Deutschland eingewandert seien (vgl. III). Nach älteren Berichten soll Graf Otto IV. von Henneberg-Aschach (Römhild) 1465 in französischen Kriegsdiensten dem italienischen Fürsten und Präfekten der Stadt Rom, Antonio Colonna, begegnet sein, der sich auf Grund alter Familiennachrichten als Blutsverwandter ausgab und ihn eindringlich auf die Abstammung der Henneberger von den Colonna hinwies116. Nach neueren Angaben sind die Bemühungen um den Nachweis, 113 114 115 116
1318. Schultes: Dipl. Geschichte II, S. 88. Hertel: Hennebergische Geschichte a. a. O., S. 553. Angaben von Chr. Albr. Erck, dem Herausgeber der 2. Ausgabe von Spangenbergs Hennebergischen Chronica, zu Sebastian Glasers beigebundenen: Rhapsodiae sive
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daß die Henneberger von den Colonna abstammen, von Graf Wilhelm IV. (gest. 1480) ausgegangen, der als gefürsteter Graf von Henneberg-Schleusingen bestrebt war, „ein volles fürstliches Recht“ zu begründen: „Einen kräftigen Impuls zur Erreichung seines Ziels gab dem Grafen Wilhelm, als er 1452 mit dem Kaiser Friedrich (III.) in Rom war, die Berührung mit dem einflußreichen fürstlichen Hause Colonna, indem er hier des Glaubens wurde, daß seine Familie und die der Colonna laut eines Briefes, den er 1453 nach Rom geschrieben hat, blutsverwandt wären“117. Daß der Familie Colonna offensichtlich viel an der vermeintlichen genealogischen Beziehung zu den Grafen von Henneberg gelegen haben muß, läßt sich schon der Tatsache entnehmen, daß Antonio Colonna bereits 1466 in Rom (merkwürdigerweise, wenn die Angaben über den Grafen Wilhelm zutreffen) den Römhilder Grafen eine ausführliche Urkunde darüber ausgestellt und ihnen darin wahrscheinlich gegen entsprechende hennebergische Zahlungen das Recht verliehen hat, künftig den Namen und das redende Wappen der Colonna, die gekrönte Säule, führen zu dürfen: „Antonius de Columna Alme Urbis prefectus illustris magnificis, spectabilibus et generosis Dominis Friederico, Philippo, Georgio, Otthoni, Bertholdo et Henrico de Columna, Comitibus in Hennenberg, quondam Domini Georgii de Columna comitis in Hennenberg natis, consanguineis nostris amantissimus salutem in Domino ac sinceram coniunctionis sanguinis benevolentiam et charitatem. Majores nostri, qui ex alma urbe et eius generosa familia de Columna ceperunt originem, dudum ante hominum memoriam ex arduis et honestis causis hanc originalem patriam dimittere et sibi novum domicilium in longinquis constituere coacti, se ad partes Alamaniae contulerunt, ac locum quendam amplum pro ipsorum posteriorumque eorundem municipio et novo domicilio vocatum Henneberg construxerunt, quod illorum posteriorumque industria plurium castrorum aedificatione et acquistione auctum in perpetuum Comitatum nominatum de Hennenberg exigentibus illorum virtutibus per illustres Imperatores Romanorum est erectum. Nos ergo de predictis tam ex nostris quam ex Urbis Cronicis et quam maxima relatione quondam reverendissimi Patris bone memorie Domini Prosperi germani nostri, sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalis de Columna, qui tempore concilii Basiliensis inibi et aliis Alamanie partibus annis pluribus moram trahens, etiam horam eius investigatione solerti previa et fide digna vertitatem percepit, certam claram plenam et indubitatam notitiam habentes motu proprio ex certa scientia ac unanimi voluntate et consensu magnificorum et spectabilium dominorum consanguineorum nostrorum de Columna vobis vestrisque posteris in perpetuum a r m a signumque ab antiquo Domus nostrae de Columna, quod est Columna alba coronata aurea corona in campo
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Chronicon Hennebergicum, S. 81; Posse: Adel III, 118, fußt auf der Wiedergabe dieses Berichtes bei Schultes: Dipl. Geschichte I, 381; von Erck geringfügig abweichend: Lucae, Uhralter Fürstensaal, S. 1208. Nach Georg Brückner, dem Herausgeber des HUB, Bd. VIII, S. IV, der wegen der Nachweise für seine Angaben auf den leider nicht mehr erschienenen VIII. Band des HUB verweist.
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r u b e o comunicamus, volentes, quod vos posterique vestri omnes et singuli perpetuis futuris temporibus dicta arma nostra sculpta vel picta ubique locorum habere, tenere, deferre. Illisque per se solis aut cum antiquioribus armis vestris commixtis uti valeatis, de quo plenam et liberam tenore presentium concedimus facultatem. – Datum Romae in domibus nostris sub anno a nativitate domini 1466, indictione 14, die vero lune 15, mensis decembris ... 118.“
Diese Urkunde, die Friedrich, Philipp, Georg, Otto, Berthold und Heinrich „de Colonna“, Grafen von Henneberg, ausgestellt worden ist, beglaubigt ihnen die unglaubliche Abstammung von dem altrömischen Geschlecht der Colonna, die der Präfekt Antonio Colonna auf Grund römischer Chroniken und Familienaufzeichnungen, vor allem aber auf Grund von Nachforschungen, die sein Bruder119, Kardinal Prosper de Colonna, angestellt hat, als er zur Zeit des Baseler Konzils mehrere Jahre in Deutschland weilte und die italienische Herkunft der Grafen von Henneberg zweifelsfrei festgestellt und gesichert zu haben meinte. Es ist nicht anzunehmen, daß die Ursprungssage der Henneberger erst auf Grund dieser Urkunde entstanden ist, denn im Gegenteil war diese Erzählung wohl der Anlaß für den Fürsten Colonna, sich den Hennebergern überhaupt erst zu nähern. Auffällig ist freilich, daß der Bericht über die Entstehung des Namens „Henneberg“ und somit auch des „Hennenwappens“ in dem Diplom fehlt. Ob dieser Teil erst später eingefügt und die Sage entsprechend ausgestaltet worden ist, oder ob es ihn bereits gegeben hat und er in dieser Urkunde nur unterdrückt wurde, weil er nicht „hineinpaßte“, läßt sich nicht sicher sagen. Die Sage, die in der Urkunde erstmals wenigstens zu einem Teil schriftlich festgehalten wurde, hat dadurch nicht nur allgemein an Glaubwürdigkeit gewonnen, sondern den Grafen von Henneberg römhildischen Anteils unverhofft die Möglichkeit eröffnet, g e f ü r s t e t zu werden, was die Schleusinger Linie bereits seit 1310 war: „Da die Familie der Kolumneser fürstlichen Titel führten, so war es ohne Zweifel eine unmittelbare Folge von jenem Wappenprivileg, daß unsere Grafen bald darauf vom Kaiser ebenfalls in den Fürstenstand erhoben und ihnen alle mit der reichsfürstlichen Würde verknüpften Hoheitsrechte verliehen wurden“120. Die Henneberger, die die Bedeutung des Colonna-Privilegs sogleich erkannt zu haben scheinen, baten zunächst Papst Paul II. (1464–71) um die Bestätigung dieser Wappenschenkung. Das braucht an sich nicht zu verwundern, da sich die Kurie auch sonst mit dem Wappenwesen befaßte und neben dem Kaiser auch der Papst das Recht beanspruchte, (apostolische) Hofpfalzgrafen zu ernennen, die im Namen des Papstes auch in Deutschland und Italien u. a. Wappenbriefe ausstellten. Im vorliegenden Falle ist der Papst aber wohl als römischer Stadtherr angesprochen gewesen, der das von 118 119 120
Wiedergabe bei Schultes: Dipl. Geschichte 1, 602, Nr. XCIX (Sperrung vom Verf.). Vgl. Siebmacher-Seyler S. 120 f. Schultes: Dipl. Geschichte, S. 382.
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„Antonio de Columna“ den Grafen von Henneberg ausgestellte Zeugnis in der Tat in einer eigenen Bulle am 2. Jan. 1467 bestätigte und ihnen die Führung des Colonna-Wappens und -Namens gestattete121. Auf diese päpstliche Bestätigung hin hat schließlich auch Kaiser Friedrich III. am 7. Dezember 1467 den Grafen von Henneberg-Aschach (Römhild) das Recht zugestanden, den Zunamen „von der Seul“ und das Colonna-Wappen neben dem hennebergischen zu führen. Die Kaiserurkunde hat folgenden Wortlaut (Auszug): „Des haben wir angesehen der obgenannten Graven von Hennenberg themüthig bette, auch getreue ohn geverde nützlich dienst, die ire vordern unser vorfahren am Reich Römischen Keisern und Künigen und die vorgenandten Friedrich, Philip, Jörg, Ott, Bertold und Heinrich uns dem heiligen Reich ... getan haben, ... in und ihren leibs erben für und für den ehegemelten nam von der Seul, sich als davon zu schreiben und zu nennen, ob sie wollen, auch desselben namens und stammes, alss vorsteht, wappen und cleinotten, mit oder neben der vorgeschrieben gravenschafft Hennenberg wappen und cleinotten zu führen und zu gebrauchen, als Römischer Keiser bestettiget ... Geben zu der Neuenstadt am montag nach s. Niclas Tag nach Christi geburt vierzehen hundert und im sieben und sechsigsten, unser Reich des Römischen im acht und zwentzigsten, des Keisertumbs im sechszehen und des Hungerischen im neunden jahren. Ad mandatum. Domini Imperatoris in consilio Jeorg rott, pater & frater de ramus“122.
Daß der in der Urkunde gleichfalls als Empfänger mitgenannte Graf Berthold123 nach dem Bericht der Zimmerischen Chronik als Kurfürst und Erzbischof von Mainz die Bestätigung dieser Wappenverleihung beim Kaiser erwirkt habe, muß jedoch bezweifelt werden, da die Urkunde Kaiser Friedrichs III. aus dem Jahre 1467 stammt, Berthold aber, der als Reichsreformer und Gegenspieler Kaiser Maximilians I. höchste Bedeutung im Reich erlangte, erst von 1484 an den Mainzer Erzstuhl innehatte124. Seit 1467/68 führten die Römhilder Grafen also das quadrierte Wappen mit der Henne im ersten und vierten, der Säule im zweiten und dritten Feld125. Den Beinamen „von der Seul“ haben sie jedoch, soweit bekannt, nie angenommen. Durch das Colonna-Privileg ist es der Römhilder Linie der Grafen von Henneberg auch schließlich gelungen, ohne förmliche Erhebung in den Reichsfürstenstand aufgenommen und damit der (seit 1310) gefürsteten Schleusinger 121
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Hofpfalzgrafen-Register, hg. vom Verein Herold. Bd. I, Neustadt/Aisch 1964, S. XIX. Die Urkunde Papst Pauls II. ist abgedr. b. Schultes: Dipl. Geschichte II, S. 603 f., Nr. C. Schöttgen und Kreysing: Diplomataria II, 613 f. (Teilwiedergabe). Irrtümlich heißt es bei Siebmacher-Seyler S. 121: „Berthold fehlt. Einwand Seylers ib. Posse: Adel III, S. 129, Nr. 1129, Taf. 51, 10.
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Linie gleichgestellt zu werden. Das geht besonders deutlich aus dem Zollprivileg Kaiser Friedrichs III. für die Römhilder Grafen Friedrich und Otto aus dem Jahre 1472 hervor: „Als wir vormals auf genugsam underrichtung herkommen und stamens von Hennenberg den wolgebornen Fridrichn und Otten auch iren brudern graven zu Hennenberg und iren erben f u r s t l i c h e n t i t e l z u s c h r e i b e n u n d f u r s t e n g e n o ß z u h a l t e n e m p f o h l e n auch verrer merung irs stands, wesens und herrschafft, darzu wir in in gnadn geneigt sein ... 126.“
Der Fürstentitel ist indessen nur von der Schleusinger Linie wirklich beansprucht worden127, während sich die Römhilder Linie mit dem Rang und allen Rechten einer gefürsteten Grafschaft begnügte, zu dem sie ohne genealogische Scheinbeziehung zu dem Geschlecht der Colonna wahrscheinlich nie aufgestiegen wäre. Graf Otto IV. von Henneberg-Römhild wurde aus diesem Grunde neben der Schleusinger Linie 1495 die Fahnenbelehnung Kaiser Maximilians I. zuteil, die er zugleich im Namen seines Neffen, Graf Hermann VIII., empfing: Er wurde erstens belehnt mit der Fahne des Fürstentums, zweitens mit der Henneberg-Römhilds („was die weiße Säule mit der gülden Kron“ führt), drittens mit der roten Fahne128 als Zeichen der Hoch- und Blutgerichtsbarkeit belehnt129.
VI Das ursprüngliche Wappenbild der Grafen von Henneberg, der einfache Adler (vgl. I), war nur im Siegelfeld ohne Schild überliefert: eine Helmzier ist nicht bekannt. Auch das 1202 umgestaltete Wappensiegel, das im geteilten Schild den wachsenden Doppeladler über dem Schachfeld zeigt (vgl. II), weist kein Oberwappen auf. Interessant ist nun, daß dieses jüngere burggräfliche Wappen in der Weingartner- und der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Abb. 9) zwar (zutreffend) als Wappen des „Graue Otto vo Bottenlobe“, jedoch mit einem nach oben gekehrten, von schwarzen Klauen bewehrten, goldenen Vogelfuß130 als Helmzier wiedergegeben wird, die im Oberwappen der Grafen von Henneberg-Schleusingen keine Entsprechung findet, obwohl die Schleusinger Linie ungefähr zur gleichen Zeit, in der diese Liederhandschriften entstanden sind, auch den Doppeladler wieder in 126
127 128
129
130
Josef Chmel: Regesta chronologico dipl. Friderici III Romanorum Imperatoris (Regis IV). Wien 1840, II, S. 669, Nr. 6897; Schultes: Dipl. Geschichte I, 381 f. Vgl. z. B. das Siegel Nr. 1162, S. 132, Taf. 53, 11, bei Posse: Adel III. Bernhart Hertzog: Chronicon Alsatiae, Bd. II, o. O. 1592, S. 153 ff., bes. S. 158 ff.; Spangenberg: Hennebergische Chronica. Folioausgabe, S. 154. Siebmacher-Seyler, S. 121, erklärt die rote Fahne, die als Zeichen der Hochgerichtsbarkeit galt, zu allgemein („bedeutet die Regalia“). Siebmacher-Seyler, Taf. 123,4; Herold-Handbuch der Heraldik, Taf. XIX, S. 99.
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den seit 1393 quadrierten Schild aufgenommen hat, jedoch mit einer ganz anderen Helmzier. Auch das Wappenbuch des Konrad Grünenberg (1483), der nachweislich ältere illuminierte Handschriften benutzt hat131, schreibt dem Minnesänger die gleiche Helmzier zu, wie die beiden Liederhandschriften132. Tatsächlich hat nun Graf Otto I. von Henneberg-Botenlauben, wie oben erwähnt (vgl. II), bis 1233 das gleiche Wappensiegel wie sein Bruder, Burggraf Poppo VII., geführt133, nämlich den wachsenden Doppeladler, ehe er 1234 – wahrscheinlich auch aus politischen Gründen – ein anderes annahm. Von einer Helmzier zu diesem Schild ist aus dieser Zeit nichts bekannt134. Es kann daher angenommen werden, daß die Helmzier, wie sie die genannten Handschriften abbilden, von den Wappenmalern später frei ergänzt wurde oder doch, vielleicht bleibt auch dieser Gedanke erwägenswert, daß zur Entstehungszeit dieser Handschriften noch eine genauere Kenntnis von der ursprünglichen hennebergischen Helmzier bestand, die uns später verlorenging. Verwunderlich bliebe es dann freilich, daß die Schleusinger Linie bei der Wappenvermehrung am Ende des XIV. Jahrhunderts nur den burggräflichen Schild, aber nicht die vermeintliche ältere Helmzier mit dem Vogelfuß übernahm. Den frühesten sphragistischen Beleg für ein Oberwappen stellt ein Helmsiegel mit der Umschrift „† OTT(O. D)EI GRATIA. COMES. IN BOTENL(EV)BEN“ aus dem Jahre 1234 dar (Abb. 10), das ebenfalls von Graf Otto I. von Henneberg-Botenlauben geführt wurde135. Dieses zweite Siegel zeigt einen Helm, auf dem ein flacher Hut befestigt ist, der von zwei oberhalb des Hutes mit Pfauenfedern umkleideten kolbenartigen Stangen, sogenannten „Federstutzen“, durchsteckt ist136. So ist das Helmwappen
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Siebmacher-Seyler, S. 122. Des Conrad Grüneberg, Ritters und Bürgers zu Constanz, Wappenbuch, vollbr. 1483. Im Farbdruck hgg. v. R. Graf Stillfried-Alcantara und Ad. M. Hildebrandt. Görlitz 1875 (m. n. Titel; Frankfurt/M. 1883), Taf. 85 b, S. 61. Posse: Adel III, Taf. 43, 7, Text S. 120, Nr. 1021. Anders L. Bechstein, der irrtümlich dem Vogelfuß-Kleinod den Vorzug gibt (Botenlauben, S. 51), weil er nicht wußte, daß Schannat, auf dessen Urkundenwerk er sich stützt, seinerseits die Schenkungsurkunde an das Kloster Bildhausen aus dem Jahr 1219 nicht eingesehen hatte, in der Graf Otto als fuldischer Lehensträger erscheint, aber die Urkunde gar nicht selbst siegelt; Schannat entnahm seinen Nachweis, wie auch in anderen Fällen, dem alten Siebmacher, T. III, Taf. 11 u. 25. Vgl. darüber Siebmacher-Seyler, S. 122. Siebmacher-Seyler, S. 122, gibt fälschlich das Jahr 1233 an; vgl. Posse. Adel III, Taf. 43, 8, Text S. 120, Nr. 1022. Nach Siebmacher-Seyler, S. 122, vgl. dort auch Taf. 123, 2.
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auch im XIV. Jahrhundert am Epitaph dieses Hennebergers in der Frauenrother Kirche bei Kissingen abgebildet137. Die Tinktur ist nicht bekannt, doch könnten einige Angaben darüber, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht, aus dem in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts entstanden „Trojanischen Krieg“ Konrads von Würzburg entnommen werden, der mit fränkischen Verhältnissen vertraut und in der Wappenkunde besonders erfahren war. Dort beschreibt er die Helmzier des „Pfalzgrafen Anthilion“, die dem Siegelbild Graf Ottos I. von 1234 nachempfunden zu sein scheint, folgendermaßen; danach war der Hut silbern, die Federstutzen rot tingiert: ein huot mit silber überleit swebt ûf dem glanzen helme sîn. zwô stangen phâwenvederîn mit einem rôten samît edel bewunden ûf biz an den wedel die sach man haften unde kleben an dem rîlichen huote eneben, sam si gewahsen wæren dran138.
Diese Helmzier, die Otto I. 1234 im Schild seines Siegels führte, kehrt zwischen 1323 und 1350 auch im Siegel der Gräfin Jutta, Tochter Markgraf Hermanns von Brandenburg und Gemahlin Graf Heinrichs VII. von Henneberg-Schleusingen (1340–47) wieder: eine sitzende Frauengestalt hält die Helmzier in ihrer rechten Hand, die nun augenscheinlich als Kleinod für den jüngeren Hennenschild dient, den sie in ihrer linken hält139. Diese Verbindung kehrt dann in ganz ähnlicher Weise erst 1393 im Siegel Graf Heinrichs X. von Henneberg-Schleusingen wieder (vgl. V), in dem uns auch zum ersten Mal die Helmzier des Hennenwappens begegnet140: Im Siegelfeld sind in der rechten Rundung des Vierpasses der burggräfliche Schild, in der linken die Botenlaubische Helmzier und in der Mitte der Hennenschild nebst neuer Helmzier dargestellt: über den Helm ragt der Kopf einer
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140
Karl Zürcher: Die Botenlaubischen Grabdenkmäler in der Klosterkirche zu Frauenrode, in: Neue Beitr. z. Geschichte deutschen Altertums, 22. Lieferung, Meiningen 1909, 3–38 m. Abb. Konrad von Würzburg: Der Trojanische Krieg, hg. v. A. v. Keller. Stuttgart 1858 (= Bibliothek des Stuttgarter Lit. Vereins 44), v. 33078–85, S. 395; vgl. dazu Arnold Galle: Wappenwesen u. Heraldik bei Konrad von Wünzburg. Phil. Diss. Göttingen 1911, S. 30 f. Posse: Adel III, Taf. 48, 4, Text S. 124, Nr. 1065; ib. zahlreiche weitere Nachweise für den Siegelgebrauch im oben angegebenen Zeitraum. Vgl. auch das Wappen im ehem. henneberg. Mainberg (Schloß), wo die Zusammenstellung von Hennenschild und älterer Helmzier ebenfalls begegnet. Posse: Adel III, Taf. 50/1, Text S. 127, Nr. 1098.
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gekrönten Jungfrau hervor, die ihrerseits einen mit einem Pfauenbusch besteckten Spitzhut trägt (Abb. 11). Seit der Wappenvermehrung der Schleusinger Linie kehrt neben der eben geschilderten, neuen Helmzier auch die ältere Botenlaubische wieder. Doch auch sie war Wandlungen unterworfen: so wird häufig um den Hut, der auf dem Helm liegt – dem geschachten Schild des Adlerwappens entsprechend – ein geschachtes Band geschlagen, während die Pfauenwedel allmählich die Form von Rohrkolbenstengeln141 oder Streitkolben142 annehmen. Die neue Helmzier wurde auch von der Aschach-(Römhilder) Linie übernommen, die den Hennenschild bis 1466 unverändert geführt hat (vgl. V). Besonders gut ist das Kleinod im Siegel Graf Friedrichs I. aus dem Jahr 1422 zu erkennen143. Diese Helmzier wurde in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts aufgegeben, als die Aschach-(Römhilder) Linie der Grafen von Henneberg ihren Schild quadrierte und ihn um das Wappen der fürstlichen Familie Colonna erweiterte. Damit übernahmen sie auch das Kleinod der Colonna, eine wachsende Sirene, die ihre Fischschwänze in den Händen hält144. Diese veränderte Helmzier ist jedenfalls hinsichtlich des entblößten Jungfrauenrumpfes auch später von der Schleusinger Hauptlinie der Grafen von Henneberg übernommen worden, wie unter anderem das Siegel des letzten gefürsteten Grafen Georg Ernst von Henneberg aus dem Jahre 1556 erkennen läßt145. Daß sich diese Übernahme aus dem Heimfall verschiedener Ämter an die Hauptlinie im Zusammenhang mit dem Aussterben der Grafen von Henneberg-Aschach (Römhild) 1549 erklären läßt, ist denkbar. Jedenfalls kommt der Jungfrauenrumpf vor 1549 in keinem Wappen oder Siegel der Schleusinger Linie, statt des bisherigen Jungfrauenkopfes, vor. Später ist der Spitzhut dann zusätzlich mit einer Henne bezeichnet und oben gekrönt dargestellt, der Jungfrauenrumpf bisweilen mit einer Gugel überzogen worden146, die Haare sind teils zu einem Zopf geflochten, gelegentlich offen abgebildet worden.
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Ib. S. 118. Siebmacher-von Hefner, S. 20. Posse: Adel III, Taf. 50, 4, Text S. 128, Nr. 1111. Ib. S. 118 und Taf. 51, 15–17, Taf. 52, 11 u. 16. Eine andere Erklärung bietet Grässe: Wappensagen, S. 87. Posse: Adel III, 118. Grässe: Wappensagen, S. 87.
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Abb. 1: Adlersiegel Poppos VI. (1187)
Abb. 2: Doppeladlersiegel Bertholds II. (1202)
Abb. 3: Doppeladlersiegel Poppos VII. (1202)
Abb. 4: Doppeladlersiegel Poppos VII. (1212)
Abb. 5: Doppeladlersiegel Ottos I. (1221/31)
Abb. 6: Hennensiegel Poppos VII. (1232)
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Die Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes
Abb. 7: Vermehrtes Wappen der Abb. 8: Vermehrtes Wappen der gefürsteten gefürsteten Grafschaft Henneberg- Grafschaft Henneberg-Römhild Schleusingen (Ende 14. Jh.) (2. Hälfte 15. Jh.)
Abb. 10: Helmwappen Ottos I. (1234)
Abb. 9: Wappen mit der Vogelfuß-Helmzier Ottos I. v. HennebergBotenlauben (Codex Manesse)
Abb. 11: Vierpaßsiegel Heinrichs X. 1393)
Vom Quellenwert der Bilder Ikonologisch-methodologische Reflexionen* „Das Bild ist für uns heute eine Selbstverständlichkeit“, meinte der am 3. April 2006 verstorbene Herbert Ewe schon in der 4. Auflage dieses Handbuch zu Beginn der „Bilder“ und fügte hinzu: „Man sieht es überall, in Tageszeitungen und illustrierten Wochenblättern, auf Plakaten und in Ausstellungen der Museen, in wissenschaftlichen Publikationen und auf Röntgenaufnahmen, im Film und Fernsehen“1, doch hat es gerade an einer Auseinandersetzung mit dem Visuellen in der Geschichtswissenschaft lange Zeit gefehlt. Der in Reaktion auf den sogen. Linguistic Turn proklamierte wissenschaftstheoretische Paradigmenwechsel zum Pictorial bzw. Iconic Turn hat sie erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erreicht2. Jüngere Darstellungen zur deutschen Geschichte kamen noch ohne Bilder aus; weder Thomas Nipperdey noch Hans-Ulrich Wehler waren schon „im Bilde“. Historiker zweifelten nicht nur an der Abbildbarkeit von Geschichte, Bilder galten ihnen auch als wenig seriös trotz einer wahren Bilderflut in den Kirchen. Sie störten mehr die Darstellung „ernsthafter“ Historiker, wurden nur als Ersatzquellen behandelt oder erschienen als nebensächliche Illustrationen. Bildkompetenz wurde Kunsthistorikern zugeschrieben, während Historiker sich für Texte zuständig fühlten, ihre Quellenkritik war Sprachkritik. Abgesehen von textlichen Bildern (Metaphern)3, die ja neben den visuellen bestehen, herrschte bei ihnen eine weitgehende Bildignoranz vor, obwohl bekannte Methodenlehrer wie Johann Gustav Droysen, Karl *
1
2
3
Vorabdruck in: Herold-Jahrbuch N. F. 16 (2011), S. 111–130, anschließend ohne Anmerkungsapparat unter der Bezeichnung „Bilder“ übernommen in die 5. Auflage der Archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning. Köln, Wien 2012, S. 157–181, Literatur dazu S. 416–419 (= UTB, 8273); Kurzfassung, ebenfalls ohne Nachweise, unter dem Titel: Sind Historiker „im Bilde“? Zur Auseinandersetzung der Geschichtswissenschaft mit dem Visuellen, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 2012/2013, S. 139–151 [Vortrag vom 7. Mai 2012]. Herbert Ewe: Bilder, in: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning, 4. Aufl. Köln 2004, S. 140 (= UTB, 8273). Der vorliegende Beitrag tritt ab der 5. Aufl. an die Stelle des Beitrags von Ewe. Den Linguistic Turn forderte Richard Rorty schon 1967, während der Pictorial Turn von W. J. T. Mitchell: Iconology, Image, Text, Ideology. Chicago 1986 und der Iconic Turn von Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Was ist ein Bild?, hrsg. von G. B. München 1994, S. 11 ff. proklamiert worden ist. Vgl. Das Bild als Denkfigur. Funktionen des Bildbegriffs in der Philosophiegeschichte, hrsg. von Simone Neuber et al. Paderborn 2010.
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Vom Quellenwert der Bilder
Bernheim und Wilhelm Bauer wenigstens auf Bildquellen hinwiesen4, um sie dann (meist) den „Überresten“ zuzuordnen. Sie behandelten diese nonverbalen Quellen wie Sachüberreste (Realien) und vermochten deren „Wirkmächtigkeit“ noch nicht angemessen einzuschätzen5. Die unausgesprochene Arbeitsteilung zwischen Kunstgeschichte und Geschichte fand erst in den letzten Jahrzehnten ein allmähliches Ende, befördert durch die Wiederkehr der Kulturgeschichte, auch wenn Außenseiter und Vorläufer dieser Entwicklung den Weg ebneten. Auf Seiten der Kunstgeschichte sind Jacob Burckhardt (1818–1897), Aby M. Warburg (1866–1929) und Erwin Panofsky (1892–1968) zu nennen, auf Seiten der Historiker Karl Lamprecht (1856–1915), Georg Steinhausen (1866–1933), Georg Dehio (1850–1932) und Erich Keyser (1893–1968), die den Bildquellen größte Beachtung schenkten, egal ob es sich nun um mittelalterliche Buchminiaturen, um Tafelmalerei, um Holzschnitte (15. Jahrhundert), Kupferstiche und Radierungen (16./17. Jahrhundert), um Lithographien und Stahlstiche (18./19. Jahrhundert), um Plakate, Fotografien (1825/1839) oder um Filme (1895/1927) handelte. Eine auf französische Initiative beim Internationalen Historiker-Kongreß in Oslo (1928) gegründete Ikonographische Kommission und auch ihr 1930 in Halle/Saale ins Leben gerufener deutscher Ausschuß mit Sigfried H. Steinberg (1899–1969) als Berichterstatter und weiteren Mitgliedern wie Karl Brandi (1868–1946), Percy Ernst Schramm (1894–1971) und Walter Goetz (1867–1958) als Nachfolger Lamprechts, ist wieder „eingeschlafen“; die bilderreiche, von Goetz zwischen 1931 und 1933 herausgegebene, Propyläen Weltgeschichte in zehn Bänden blieb lange Zeit einzigartig. Eine besonders von Schramm geforderte interdisziplinäre Diskussion kam (noch) nicht zu Stande. Erst infolge der Theoriediskussionen in der Geschichtswissenschaft seit den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts nahmen sich in Deutschland die Historiker wieder verstärkt der Bildquellen6 an. Nicht unbeeinflußt von historischen Großausstellungen (wie 1977 Die Staufer, 1981 Preußen usw.) und der Medienwelt, blieben sie nicht mehr nur Zuschauer von Bildern, sondern begannen, sich auch ihrer zu bedienen, insbesondere 4
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Johann Gustav Droysen: Historik. Historisch-kritische Ausgabe [aus dem Jahr 1858] von Peter Leyh. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S. 71, 81 ff., 426. – Ernst Bernheim: Lehrbuch der historischen Methode und der Geschichtsphilosophie, 3.– 4. Aufl. Leipzig 1903, S. 468. – Wilhelm Bauer: Einführung in das Studium der Geschichte. Wien 1921, S. 311 ff., 2. Aufl. Wien 1928. Holger Th. Gräf: Historische Bildkunde, eine Hilfswissenschaft zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft?, in: Archiv für Diplomatik 54 (2008), S. 379–398, hier S. 393. Zum älteren Forschungsstand vgl. Frank-Dietrich Jacob: Aspekte zur Entwicklung und Aufgaben der Historischen Bildkunde, in: Görlitzer Magazin, Beih. 3 (1989), S. 14–24 (= Festschrift für Ernst-Heinz Lemper) und Rainer Wohlfeil: Das Bild als Geschichtsquelle, in: Historische Zeitschrift 249 (1986), S. 91–100.
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in Darstellungen zur neueren Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Industrie- und Kolonialgeschichte, zur Frauen- und Geschlechtergeschichte, aber noch erstaunlich selten zur Zeitgeschichte nach 1945, sieht man von der Ereignisgeschichte (etwa des 17. Juni 1953 und des Falls der Berliner Mauer 1989/90) einmal ab. Visuelle Informationen behaupteten sich in Teilgebieten der Wissenschafts- und Technikgeschichte, etwa in der Astronomie, wo fotografische Aufzeichnungen ohnehin zum Handwerkszeug des Faches gehören7. Gegenüber der Zeit um 1900 fand im Verhältnis von Text und Bild im 21. Jahrhundert, wie bereits angemerkt, eine Verlagerung vom Wort zum Bild statt. Die Hegemonie der Texte wurde von einer Bilddominanz abgelöst, die sich auch beim 27. Tag der Landesgeschichte („Bilder und Geschichte – Geschichte in Bildern“) in Mainz 2000 und beim 46. Deutschen Historikertages („GeschichtsBilder“) in Konstanz 2006 bemerkbar machte. Historiographen können sich angesichts der alles beherrschenden Audiovision kaum noch eine Bildabstinenz oder auch nur Bildenthaltsamkeit leisten. So verändern Historiker auch ihre Präsentationsformen bei Vorträgen oder im akademischen Unterricht durch Folien oder den Einsatz von Powerpoint. Möglichkeiten und Gefahren von Bildern, stehenden wie laufenden, werden in einem früher nie gekannten Ausmaß diskutiert, vor allem hervorgerufen durch massenhaften Fernsehkonsum (Deutsche verbrachten 2010 durchschnittlich 224 Minuten täglich vor dem Bildschirm, Tendenz steigend, dagegen „nur“ 77 Minuten im Internet8). Die Ikonologie (von griech. Eikon = Bild bzw. Abbild) ist die „Bildlehre“, bald „Visualistik“ oder anspruchsvoller „Bildwissenschaft“ genannt, widmet sich vornehmlich der Ikonografie, d.h. der Beschreibung und Erklärung von Bildern. Schon bei Georg Steinberg zerfällt sie in einen kunsthistorischen und einen historischen Teil, wobei letzterem das „Prüfbare“ vorbehalten bleibt. Auf diesen ist hier näher einzugehen. Generell sind Bilder nur eine andere Form der Darstellung, doch können sie vieldeutiger und affektiv aufgeladener als Texte sein; sie bieten Evidenz. Man meint, Vergangenheit unmittelbar (mit) zu erleben. Als Kommunikationsmittel, das keiner Sprache bedarf, enthalten Bilder Informationen, die nur sie bereitstellen, ein 7
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Frosch und Frankenstein, Bilder als Medium der Popularisierung, hrsg. von Bern Hüppauf u. Peter Weingart. Bielefeld 2009, insbes. Einleitung : Wissensbilder – Bilder der Wissenschaft, S. 11–43. Vgl. auch Bild und Erkenntnis, Formen und Funktionen des Bildes in Wissenschaft und Technik, hrsg. von Andreas Beyer und Markus Lohoff. München 2005, darin Dietrich Meyer-Ebrecht: Visualistik, ein neues Wort für ein uraltes Thema, S. 46–49 sowie Lorraine Daston und Peter Galison: Das Bild der Objektivität, in: Ordnungen des Sichtbaren. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, hrsg. von Peter Geimer. Frankfurt/M. 2002, S. 29–99. Vgl. auch M. Kemp: Bilderwissen. Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene. Köln 2003. Angaben lt. Der Tagesspiegel (Berlin) vom 6. Februar 2011, S. 22.
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Alleinstellungsmerkmal, das ihnen „Autorität“ verleiht. Stets sind es freilich zeitlich und sachlich sehr begrenzte Informationen (sieht man von Luftbildund Satllitenaufnahmen ab), die in ihnen gespeichert sind, Einschränkungen, denen Texte weniger unterliegen. Immerhin benötigt eine Bilderschrift, einst „als Kommunikationsmittel der Unterprivilegierten und Ungebildeten geradezu verpönt“ (Petra Schuck-Wersing), kein Schriftbild9. Historiker, die nach Bildquellen für ein Buch oder eine Ausstellung suchen, brauchen Anschauungsmaterial. Dabei geht es ihnen in erster Linie um den „wahrheitsgetreuen Zeugnischarakter bildlicher Darstellungen“10 (Jens Jäger), schlichter ausgedrückt, um ein verwendbares historisches Beweisstück, meist um Keysers „Geschichtsbilder“ von Personen, Orten, Ereignissen und Sachen11. Sie vertrauen dabei dem auch bei uns verbreiteten, aber irreführenden chinesischen Sprichwort: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Da auch (Bild-)Quellen getrübt bzw. manipuliert sein können, der Wahrheitsgehalt (Authentizität) oftmals fraglich erscheint, muß dieser quellenkritisch überprüft werden, ob es sich in der Tat um eine korrekte Abbildung historischer Ereignisse handelt. Aber auch die Suche nach Bildern, die „reale“ Zustände zeigen, kann sich als problematisch erweisen, denn bis 1100, so warnte einst P. E. Schramm, bildete die Buchmalerei nur „Wichtiges“ ab12. Bei dem Bedürfnis nach authentischer Wirklichkeit darf man sich keinesfalls von einem allzu oberflächlichen bzw. naiven Realismus („pictures cannot lie“) leiten lassen, da auch Bilder – ebenso wie Texte – gattungsspezifischen und traditionellen Mustern unterliegen, man denke nur an Symbolik und Allegorien des Mittelalters und der Renaissance; das sollten vor allem Sozialhistoriker oder Museen beherzigen, die oft das Alltagsleben 9
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11
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Petra Schuck-Wersing Expeditionen zum Bild. Beiträge zur Analyse des kulturellen Stellenwertes von Bildern. Frankfurt/M. 1993, S. 187 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe XL, Bd. 35). Vgl. Jens Jäger: Zwischen Bildkunde und Historischer Bildforschung – Historiker und visuelle Quellen 1880–1930, in: Bilder als historische Quellen? Dimension der Debatten um historische Bildforschung, hrsg. von Jens Jäger und Martin Knauer. München 2009, S. 45–69. Erich Keyser: Das Bild als Geschichtsquelle, in: Historische Bildkunde 2 (1935), S. 2–32. Zur Einteilung der „Geschichtsbilder“, vgl. S. 16. Bereits damals monierte der Verf.: „Das Bild ist als Geschichtsquelle bisher nur wenig gewürdigt worden“, S. 7. Percy Ernst Schramm: Die Illustrationen zur mittelalterlichen Kulturgeschichte, in: Historische Zeitschrift 137 (1928), S. 425–441. Als „wichtig“ galten bis ca. 1100 vor allem symbolische und kultische Handlungen. Vgl. dazu Eckart Henning: „Das Unsichtbare sinnfällig machen“. Zur Erinnerung an Percy Ernst Schramms „Herrschaftszeichen“, in: Herold-Jahrbuch N.F. 12 (2007), S. 51–60 und seine Rezension zu David Thimme: Percy Ernst Schramm und das Mittelalter, ib., S. 257–259, ferner Lucas Burkart: Die Bildgeschichte Percy Ernst Schramms und die Kulturwissenschaft Aby Warburgs, in: Bilder als historische Quellen? (wie Anm. 10), S. 71–96.
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dar- bzw. ausstellen wollen, ohne die Bildtradition, in der die Maler stehen, angemessen zu berücksichtigen13. Ihre Bilder, aber auch Fotografien, täuschen Lebendigkeit vor oder zeigen längst geschwundene Inhalte, wobei die gewählte Perspektive und die Auswahl der abzubildender Objekte, Licht und Belichtung oder die Kamerawahl Realität vortäuschen kann. An dieser Grenze zur kunsthistorischen Betrachtung, die sich den Bildtypen, der Motiventwicklung wie der Stilgeschichte ebenso wie der ästhetischen und auratischen Wirkung eines Bildes zuwendet14, überlagern sich leicht „Überrest“ und (Bild-)„Tradition“ im Sinne Bernheims. Der Historiker möchte, nicht nur um Realitätsnähe zu verbürgen, den Wahrheitsgehalt von Bildern ermitteln oder sie zur Korrektur schriftlicher Überlieferung heranziehen, sondern sie in zweiter Linie auch als Indikator des jeweiligen Zeitempfindens (Mentalität) nutzen, weswegen schon Kayser die Einbeziehung nicht nur der hohen Kunst, sondern auch der populären Bildinhalte gefordert hat. Und ein besonderes Augenmerk der Historiker, wieder inauguriert von P. E. Schramm, galt stets den Sinnbildern der Macht, ihren Herrschaftszeichen15, die durch gedachte und reale Bilder eine mentale, fast spirituelle Macht durch das Zeremoniell in Vorstellung, Darstellung oder Vergegenwärtigung ausüben. Die Bedeutung des Sehens wächst mit der Erfindung der Fotografie, des Stumm- wie des Tonfilms, sowie des Fernsehens und der Digitalisierung. Seit dem 19. Jahrhundert wurden Fotografien von Historikern zunächst nur als ein mehr oder weniger getreues Mittel zur Abbildung benutzt, eben als „Bebilderung“, weniger als Quelle der Erkenntnis. Das änderte sich eigentlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Frühneuzeitforschung, insbesondere durch die Auswertung illustrierter Flugschriften der Reformationszeit, des Bauern- und des Dreißigjährigen Krieges, aber auch der Einbeziehung der Porträtmalerei von Renaissance und Barock16. 13
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15 16
Vgl. als jüngsten Sammelband zu diesem Thema: Das Exponat als historisches Zeugnis. Präsentationsformen politischer Ikonographie, hrsg. von Hans Ottomeyer. Berlin 2011, aber auch schon: Geschichte, Bild, Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum, hrsg. von Michael Fehr und Stafan Grohé. Köln 1989 (= Schriftenreihe des K. E. Osthaus-Museums, 1) und F.-D. Jacob: Das Bild als Musealie. Probleme der Dokumentation und quellenkundlicher Erschließung von Bildern im Museum am Beispiel historischer Stadtdarstellungen. Chemnitz 1996. Dazu Oskar Bätschmann: Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Die Auslegung von Bildern. 6. Aufl. Darmstadt 2009. E. Henning: „Das Unsichtbare …“ (wie Anm. 12) Vgl. dazu zusammenfassend Robert W. Scribner: Reformatorische Bildpropaganda und Michael Schilling: Illustrierte Flugblätter der frühen Neuzeit als historische Bildquellen, in: Historische Bildkunde. Probleme, Wege, Beispiele, hrsg. von Brigitte Tolkemit und Rainer Wohlfeil, Berlin 1991, S. 83–106 bzw. 107–119 (= Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 12), ferner William A. Coupe: German political Satires from the Reformation to the Second World War, 6 Bde. White Plans
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In den achtziger Jahren entwickelte Rainer Wohlfeil seine größtenteils auf Panofsky beruhende Methode der Bilddeutung, die sich im ersten Schritt der Vorbeschreibung, im zweiten der ikonografisch-historischen Analyse und im dritten der Interpretation widmet17. Diese an der historischen Quellenkritik äußerer und innerer Merkmale geschulte, mehr am Inhalt als am Gehalt von Bildern orientierte Dreischrittmethode, die in Wahrheit eine Vierschrittmodell darstellt, scheint sich trotz begrifflicher Unschärfen unter Historikern durchgesetzt zu haben. Im Einzelnen wird folgende Vorgehensweise von Wohlfeil vorgeschlagen: Im ersten Schritt der Inhaltsangabe wird ermittelt, was ein Bild „zeigt“; dabei soll nicht nur eine herkömmliche Bildbeschreibung (von links nach rechts, von Vorder- zu Hintergrund) erfolgen, sondern eingehender der Bildaufbau geschildert werden. Im zweiten Schritt der Formanalyse geht es um die Bildaussage, wobei die Stoffgestaltung, literarische Quellen, traditionelle Themen und Motive herauszuarbeiten sind. In der historischen Analyse, dem dritten – bei Wohlfeil aber noch zum zweiten – Schritt gehörig, geht es dann um die Bildeinbindung in das soziale Umfeld der Zeit, um Erwartungen des Auftraggebers und um Entstehungszusammenhänge, um Zweckbestimmung und Rezeption. In einem vierten und letzten Syntheseschritt der Interpretation nutzt der Historiker die bisher erzielten Ergebnisse der Bildanalyse und seinen zeitlichen Abstand zum Kunstwerk, indem er einen Perspektivenwechsel für eine abschließende Bilderklärung vollzieht; dabei bestimmt er, wie Wohlfeil das nennt, den „historischen Dokumentensinn“. Er betont mit Recht, dass die aufgetragene Bildaussage sich nicht mit der vom Künstler ausgeführten decken oder auf sie beschränken muß. Nach Wohlfeils allerdings überzogener Meinung sollten Historiker „grundsätzlich davon ausgehen, dass Bilder keine Wirklichkeitswiedergabe, d. h. objektive Abbilder einer historischen Realität sind – weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart“, schon weil der Urheber eines Bildes auch als Produzent mitwirke. Dennoch hat Wohlfeils Methode viel zur Analyse der materiellen Kultur und sozialer Zustände beigetragen,
17
1985–1993 und Krieg der Bilder. Druckgraphik als Medium politischer Auseinandersetzung im Europa des Absolutismus, hrsg. von Wolfgang Cilleßen. Berlin 1997, sowie Christoph Danelzik-Brüggemann: Ereignisse und Bilder. Bildpublizistik und politische Kultur in Deutschland zur Zeit der Französischen Revolution. Berlin 1996. Umfassend: Deutschland im Fokus. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Fotografien, zusammengestellt von E. Wolfrum. 5 Bde. Darmstadt 2006/07. Rainer Wohlfeil: Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde, in: Historische Bildkunde (wie Anm. 16), S. 17–35. Zur Auseinandersetzung mit Erwin Panofsky vgl. auch: Ikonographie und Ikonologie. Theorien, Entwicklung, Probleme, hrsg. von Ekkehard Kaemmerling. Köln 1979, S. 185–225 (= Bildende Kunst als Zeichensystem, 1) mit Abdruck zweier Panofsky-Texte: I. Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, II: Ikonographie und Ikonologie. Zu Wohlfeil vgl. auch Gräf (wie Anm. 5), S. 391.
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aber als Historiker kam es ihm vor allem darauf an, den gesellschaftlichen Kontext in den Werken der bildenden Kunst, aber nicht wie Panofsky, auch ihren ästhetischen zu erschließen. Allerdings bleibt füglich offen, ob Wohlfeils Interpretationsschema nicht „wissenschaftlich in die Sackgasse“ führt (Martin Knauer18), wenn sich nämlich Geschichts- und Kunstwissenschaft erneut von einander abgrenzen, zumal ihr gemeinsamer Gegenstand, das Bild, beiden als Quelle dient und folglich eher nach Kooperation als nach Abschottung ruft. Insgesamt fehlt es noch an einem ausgereiften Instrumentarium zur Auswertung historischer Bildzeugnisse, auch wenn ausbaufähige Konzepte vorliegen. Zu nennen ist hier das Iconclass-System, das alle auf Kunstwerken vorkommenden Themen, Personen, Gegenstände etc. klassifiziert, mit einem Code versieht und als „Gerüst“ auch in jeder graphischen Sammlung gut verwendbar ist. Da dort früher nur Künstlernamen erfasst waren, aber keine ikonographischen Kataloge vorlagen, ist von dem Niederländer Henri van de Waal in Leiden sein „ICONographic CLASsification System“ in 17 Bänden (1972–1985) entwickelt worden, das alle bisherigen kunsthistorischen Stoffgliederungen übertrifft, und auch für Historiker interessant ist.; sein System wird durch einen General Alphabetical Index in 3 Bänden erschlossen und durch eine integrierte Bibliographie in 7 Bänden ergänzt. Inzwischen gibt es auch eine elektronische Ausgabe, die im Internet über www.iconclass.nl erreichbar ist. Ab 1987 erschienen weitere Indices zur bildenden Kunst in fünf Reihen, um auch größere Bildmengen ikonographisch zu erschließen. Als wichtigstes deutsches Anwendungsbeispiel von Iconclass ist das seit 1983 geführte ikonographische Register des Bildarchivs Foto Marburg zu nennen, das in 200 Einrichtungen vorliegt und als Marburger Index z. Zt. 150.000 Abbildungen erschließt19. Doch sind Bilder sind nicht nur passive Abbilder der Vergangenheit, die sie widerspiegeln (wie es die Geschichtsdidaktik lehrt), sondern auch selbst „wirkungsvoll“, indem sie angreifen oder entwaffnen, Inhalte aktiv vermitteln und Botschaften in informierender oder agitierender Absicht transportieren, um unser Denken zu beeinflussen, Weltbild und Weltanschauung zu prägen, ja werbend oder als publizistische Waffe in die Realität einzugreifen. Im Dienste der politischen Agitation beeinflussen sie die Meinungsbildung und stellen suggestive Freund- und Feindbilder her; sie sind nicht nur selbst Geschichte, sondern machen sie auch bis hin zum Bildersturm der refor-
18
19
Martin Knauer: „Dokumentsinn“ – „historischer Dokumentensinn“. Überlegungen zur einer historischen Ikonologie, in: Historische Bildkunde (wie Anm. 16), S. 37– 47. Eingehende Erläuterungen enthält Roelof van Straten: Einführung in die Ikonographie. 3. Aufl. Berlin 2004, S. 125–157.
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mierten Protestanten (Ikonoklasmus20). Jedes Bild, versucht ihren Betrachter mehr oder weniger zu beeinflussen oder gar zu überzeugen, ist Teil einer Kommunikation, auch wenn sich ihre Wirkung nicht genau ermessen, wohl aber die Absicht der Bildproduzenten oder Vermarkter ergründen läßt. Zum propagandistischen Gebrauch von Fotografien, vorwiegend in totalitären Systemen, liegen mehrere Studien vor21, sowohl über Bildmanipulation („Fälschungen“), insbesondere wenn politische Gegner wegretuschiert werden sollten, als auch über Motive und Rezeption eingesetzter Bilder, etwa der Kriegsberichterstatter, um den Feind zu schmähen oder im „Krieg der Bilder“ eigene Fronterfolge zu übertreiben, oder sie durch Großaufnahmen von Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit bekannter und sympathischer erscheinen zu lassen (man denke nicht nur an Wahlkämpfe, sondern z. B. an die Rolle von Hitlers „Hoffotografen“ Heinrich Hoffmann). Neben dem „stehenden“ Einzelbild (Fotografien, Bildplakate, Karikaturen, Briefmarken) gibt es, kulturgeschichtlich von größtem Interesse, die die Massenbildforschung betreibende Ethnologie; sie liefert die besten volkskundlichen Beispiele bereits in Form von gestochenen und gedruckten Bildern, etwa über die Bilderwut des Napoleonkults, Moritatenblätter, Genreszenen, religiöse Bilder, Bildsatiren, keineswegs nur Almanach- und Kalenderbilder. Angesichts dieser Mengen, Produkte ganzer Bildfabriken, ist es angezeigt, solche Bilder, wie auch die Neuruppiner Bilderbögen, seriell zu betrachten, um Trivialisierungen zu erkennen, kollektive Vorstellungen und Deutungen zu berücksichtigen. Erst nach einem solchen Blick „hinter die Bilder“ vermag man auch der Bildpublizistik gerecht zu werden. Stärker noch als Flugblätter, Zeitungen und „Illustrierte“ (sic!) beeinflussen heute Film und Fernsehen alle sozialen Schichten. Diese Medien zeigen, anders als statische Momentaufnahmen, erstmals menschliches Handeln bzw. von Regisseuren gestaltetes Agieren. Auch Mimik und Gestik eines Redners werden analysierbar. Doch nicht nur in Spielfilmen, auch in Dokumentarfilmen wird inszeniert, und Wochenschauen wurden seit 1910, als die Gebrüder Skladanowsky sie als „tönenden“ Ersatz für Zeitungen erfanden, notfalls „nachbearbeitet“, der Betrachter gelenkt und getäuscht. Filmaufnahmen werden erst dann zu brauchbaren Quellen des Historikers, wenn sie gespeichert vorliegen, Drehbücher gesammelt und Besprechungen auszuwerten sind, d. h. Bild und Text mit allen Visualisierungsanweisungen gemeinsam interpretierbar sind. Filmische „Überreste“ gehören einer bestimmten Zeit an, obwohl auch „traditionelle“ Momente im Sinne Bernheims mitschwingen, wenn sich nämlich zusätzlich zu einer Meldung (Überrest) ein Kom20
21
Dario Gamboni: The Destruction of Art Iconoclasm and Vandalism since the French Revolution. London 1997. Jens Jäger: Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung. Tübingen 2000, bes. S. 104 ff. zum Thema Bildjournalismus, Propaganda, Krieg, S. 195 ff. Bibliographie.
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mentar (Tradition) bestrebt zeigt, auch seiner Nachwelt ein bestimmtes Bild zu vermitteln und künftige Betrachter über den Tag hinaus beeindrucken möchten (was häufig bei Fernsehübertragungen von Parlamentsreden mitschwingt). Stets ist die Absicht der Massenbeeinflussung ins Kalkül zu ziehen, keineswegs nur in totalitären Regimen, auch nicht allein in Nachrichtensendungen, sondern auch und gerade in vermeintlich unpolitischen Spielfilmen, die der Zuschauer gemeinhin weniger kritisch aufnimmt, von Werbung und Werbepsychologie ganz zu schweigen22. Der Beitrag, den nicht die Bildforschung den Historikern, sondern die Historiker der Bildforschung leisten, besteht darin, dass sie alle Bilder in einen geschichtlichen Zusammenhang (Kontextualisierung) stellen und ihm damit eine Position in einem „Verweissystem“23 (Jens Jäger / Martin Knauer) zuteilen. Selbst „Schlagbilder“, wie Aby Warburg diejenigen nannte, die wir heute als Schlüsselbilder bezeichnen, wie das Attentat auf John F. Kennedy, der Angriff auf die Twin Towers, das Sprengen der Buddha-Statuen durch die Taliban oder Hinrichtungsvideos, Frontbilder aus Vietnam und Hungerbilder aus Äthiopien müssen lokalisiert werden und somit als „Augenzeugen“ zum Sprechen gebracht werden, d. h. sie benötigen eine zeitgeschichtliche Interpretation, wenn auch nicht unbedingt durch „tausend Worte“. Erst in der Verbindung mit Texten, von Graphikern früher als „Bleiwüste“, heute gern als „Grauwerte“ verspottet, erfüllen Bilder ihre volle emotionale Funktion, kann man sich von ihnen Authentizität borgen oder der eigenen Erinnerung auf die Sprünge helfen. Leicht stiehlt das Bild dann freilich dem Grauwert die Show, ist insofern nicht leicht „einzubinden“, weil es oft durch seine emotionale Dominanz vom Text ablenkt. Das fällt noch schwerer beim Videoclip, wo Bewegung, Farbe und Musik fast ein Eigenleben führen, das oft vom Gedanken weg- und dafür zum Kunstwerk hinführt. Vollends ohne Text kommt nur das beinahe vorwurfsvoll so bezeichnete Bild „ohne Titel“ aus – gewöhnlich nur bei abstrakten Motiven –, leben wir doch, wie Walter Benjamin bemerkte, in einer „beschrifteten“ Welt. So mutet es ironisch an, dass die in der Bundesrepublik Deutschland meistgelesene Zeitung „Bild“ heißt, doch zeigt sich auch hier, dass deren nicht immer vieldeutige Bilder durch (eindeutige) Texte erläutert werden müssen. „Kein Bild erklärt sich selbst“, meinte E. H. Gombrich24, weil es seine Informationen gleichsam in kodierter Form enthält. 22
23
24
Vgl. zu den allmählich in die Unsichtbarkeit zurückkehrenden Produkten und Massenmedien: Bilder ohne Betrachter, hrsg. von Horst Bredekamp et al. Berlin 2006 (= Bildwelten des Wissens, 4,2). Vgl. die Einleitung von Jens Jäger und Martin Kanauer zu: Bilder als historische Quellen? (wie Anm. 10), S. 7–23, hier S. 16. Der Band ist hervorgegangen aus dem Arbeitskreis Historische Bildforschung am Historischen Seminar der Universität Hamburg. E. M. Gombrich: Das Bild und seine Rolle in der Kommunikation, in: G., Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung. Stuttgart 1984, S. 142.
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Aufgabe der seit etwa zwanzig bis dreißig Jahren allgemein akzeptierten, immens erweiterten Bildforschung ist es zunächst, die Quellen der Erinnerung zu sammeln, zu sichern bzw. zu erschließen (in Karteien, durch Repertorien und/oder in Datenbanken) und die Sekundärliteratur dazu bibliographisch zu erfassen (in Fortsetzung Steinbergs). Doch darf die Forschung nicht nur Quellenkunde im engeren Sinne betreiben. Sie soll auch (Wissens-) Bilder aus den Naturwissenschaften und der Technik miteinbeziehen, auf Herstellungsverfahren und auf Produktionsformen von Bildern, auf Bilddistribution, Bildpräsentation und Bildkonsum ausgedehnt werden. Über die Erforschung der materiellen darf selbst die der mentalen Bilder nicht zu kurz kommen (Neurophysiologie), schon weil erstere wahrscheinlich als Produkte letzterer entstehen. Neuronal imaginierte Gedankenbilder werfen die Frage auf, wie sich ein Bildgedächtnis überhaupt entwickelt. Leider hat die Hirnforschung bisher nur Bilder vom Hirn und von Hirnströmen, nicht aber die im Hirn gespeicherten Bilder selbst zeigen können, also nur dass etwas geschieht, nicht was gesehen wurde. Das führt in die Bemühung um Erfassung aller Formen des Sehens, in kognitive Prozesse hinein, bis hin zu Halluzinationen, inneren Bildern und Träumen, aber auch zu bestimmten Wahrnehmungsmustern und in Deutungsbräuche im Grenzbereich der empirischen Psychologie, die auch die Tragfähigkeit der Theorie von der (Vor-) Prägung von Wahrnehmungen durch Konventionen zu überprüfen hätte25.
Analoge und digitale Fotografien Klassiker der Fotografiegeschichte, die eine Wesensbestimmung dieses Mediums und seine Rolle in der Gesellschaft beschreiben wollten, waren Walther Benjamin (1892–1940)26, Gisèle Freund (1908–2000)27, Susan Sontag (1933–2004)28, Roland Barthes (1915–1980)29 und Siegfried Kracauer
25
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28 29
Stefan Albrecht: Geschichte sehen – Kognitionswissenschaftliche Grundlagen der Bildrezeption, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 136 (2000), S. 11–24 und G. Hüther: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen des Gehirns, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen 2004. Walther Benjamin: Kleine Geschichte der Photographie, in: W.B., Gesammelte Schriften, hrsg. von R. Tiedemann und R. Schweppenhäuser, Bd. 2.1. Frankfurt/M. 1991, S. 368 ff. u. ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit [1936]. Frankfurt/M. 2007. Gisèle Freund: Photographie und bürgerliche Gesellschaft. Eine kunstsoziologische Studie. München 1968. Susan Sontag: On Photography. New York 1977, deutsch Frankfurt/M. 1980. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie [1980]. Frankfurt/M. 2007.
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(1899–1966)30, auf deren Analysen immer wieder zurückgegriffen wird. Laut Benjamin zerstörte die Fotografie den Kultwert des Originals und damit auch seine Aura durch Reproduzierbarkeit; er bestritt die Einzigartigkeit von Fotografien, von Originalen könne keine Rede mehr sein. Auch Freund bezeichnete massenhaft Produziertes als zweitrangig, und Sontag betrachtete die Fotografie als Manipulationsmedium, das genuine bzw. reale Erfahrungen des Menschen direkt verhindere. Barthes beschäftigte sich vor allem mit dem Verhältnis der Fotografie zur Vergangenheit und Kracauer kritisierte die Erinnerungsfunktion dieses Mediums, das nur dann etwas nütze, wenn der Kontext bekannt sei, indem es einmal entstand. Einflüsse dieser kulturkritischen und vielfach zu radikal gedachten Deutungen auf die Geschichtswissenschaft sind bisher kaum zu spüren gewesen. Sie wird an technisch erzeugten Bildern erst dann Anstoß nehmen, wenn die Fotografie im Sinne des Spielfilms mehr und mehr der perfekten Illusion dienen sollte und Realität und Illusion untrennbar ineinander überzugehen drohen, ja als Ersatzrealität erscheinen oder zumindest eine Verwechslungsgefahr gegeben ist. Doch ganz soweit ist es noch nicht, an lila Kühe glauben wir noch nicht, ganz davon abgesehen, daß selbst die Fotografie eine – wie auch immer gedachte – Realität nur eingeschränkt vermitteln kann. Von manipulierten Bildquellen war bislang nur beiläufig die Rede, doch sind damit nicht nur die traditionellen Gestaltungsmittel der Fotografen, seine Dunkelkammertechniken wie Schattenaufhellung, oder das Ausflecken von Fusseln und Staubkörnern mit dem Pinsel, das Einkratzen von Lichteffekten mit dem Federmesser, aneinander geklebte und retuschierte Panoramabilder gemeint oder auch ein verschwundener Trotzki neben Lenin und ein Stalin ohne Pockennarben. Bisherige Fotofälschungen oder auch nur Verfälschungen älterer Art mit Hilfe von Pinsel, Klebstoff und Schere, zu denen auch Formatveränderungen oder eben Positivmontagen aller Art zählen, wie das später hineinkopierte und nachträglich kolorierte, vor dem brennenden Berliner Reichstag wehende Siegesbanner, das (von Jewgeni Chaldej) am 2. Mai 1945 aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt wurde31, muten gegenüber modernen Manipulationsmöglichkeiten geradezu rührend an. Durch heutige Bildbearbeitung (Imaging) mit Hilfe der von den Brüdern John und Thomas Knoll 1987/90 in Amerika ursprünglich für Scanner entwickelten und dann für 34,5 Millionen Dollar an Adobe verkaufte Software („Photoshop Elements“ und weitere Anwendungen) können nun Bilder nicht nur von ihrem Hintergrund befreit, weich gezeichnet oder Porträts durch das Motivprogramm „Schöne Haut“ von Pickeln und anderen Hautunreinheiten gesäubert werden, auch Augen glänzen wieder 30
31
Siegfried Kracauer: Die Photographie [1927], in: S. K., Das Ornament der Masse. Frankfurt/M. 1977, S. 21 ff. X für U. Bilder, die lügen. Hrsg. vom Haus der Geschichte des Bundes. Red. Hans Walter Hütter. 3. Aufl. Bonn 2003, S. 44–47 mit zahlreichen weiteren Beispielen.
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und Krähenfüße, sonstige Falten und etwaige Figurprobleme wurden beseitigt. Inzwischen werden diese, den „schönen Schein“ vermittelnden Programme – ursprünglich für Werbefotos gedacht – serienmäßig in die meisten Digitalkameras eingebaut. Missbrauch, bis hin zum Versicherungsbetrug (durch vergrößerte Schadensbilder), ist die Folge. Auch findet man heute in Printerzeugnissen kaum noch „unbehandelte“ Bilder, die eben nicht die Wahrheit sagen, sondern „wie gedruckt“ lügen. Der kreative Zugewinn wird nicht nur durch einen starken Vertrauensverlust bezahlt, den die Bilder erlitten haben, indem sie sich von bloß digitalen in virtuelle verwandeln, sondern auch durch den Wirklichkeitsverlust, dem sie Vorschub leisten. Daher muß der „eben erst“ an Bilder gewöhnte Historiker vor neuen digitalen, aber auch vor älteren analogen Bildern, die sich leicht manipulieren lassen, auf der Hut sein, selbst mit einer digitalen Vergangenheitskontrolle muß er rechnen, da sich ältere Bildbeweise, in Digitalisate verwandelt, leicht und nahezu spurlos verändern lassen (George Orwell lässt grüßen32). Längst sehen sich Historiker auch neuartigen Bildproblemen gegenüber, die keineswegs nur im Auffinden und Verändern einzelner Digitalfotos, sondern in deren automatischer bzw. automatisierter Vervielfältigung bestehen, d. h. in der Produktion (selbst manipulierter) Bilder, die man dann ebenfalls ins Netz mailen, googeln, skypen, bloggen, posten oder twittern kann. Neben Qualitätsmängel treten Quantitätsprobleme: Das Internet droht immer mehr von Bildern überflutet zu werden, die doch einst seine Attraktivität erhöhten, nun aber zu Bildverdruß führen. Um dieser Bilderflut Herr zu werden, müssen deren Informationen beispielsweise im „Foto des Jahres“ oder Daten und Fakten zu Diagrammen verdichtet werden. Da es kaum eine Institution gibt, in der keine Bilder zu finden sind, meinten u. a. Archive, Bibliotheken, Museen etc. im Netz „nicht fehlen zu sollen“, so dass schon seit etwa zwanzig Jahren ein kostspieliges Digitalisierungsprojekt (mit Ausgaben für Hard- und Software, Personal- und Datenunterhalt) das andere jagt. Alte Bildbestände gelangten damit ans Licht, neue digitale Bildarchive entstanden in größerer Zahl. Die virtuelle Welt ist damit längst zur „Realität“ geworden, weckt aber wohl gerade deshalb die Sehnsucht nach dem wirklich Greifbaren (der beste Beweis ist das vermeintlich „papierlose“ Büro33). Historiker misstrauen der Digitalisierung, in der sie trotz verbesserten Quellenzugangs mehr und mehr ein verführerisches Medium sehen, um die Wirklichkeit zu verfälschen, da alle Bilder nun mutierbar, separierbar und rekombinierbar geworden sind, d. h. keine genuine Komposition mehr darstellen, nur die Illusion eines Bildes erwecken. Folglich fürchten Historiker den Versuch, durch dieses Medium die Wirklichkeit 32
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Gemeint ist der bekannte Zukunftsroman von George Orwell „1984“, erstmals ersch. London 1949. Vgl. Kathryn Pfenniger: Bildarchiv digital. Stuttgart 2001 (= Museumsmagazin, 8).
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zu verfälschen, anders als Künstler, die darin keinerlei Defizite mehr erblicken, sondern eher eine Steigerung ihres ästhetischen Potentials. Schließlich lebt nicht nur die bildende Kunst, sondern bereits jede halbwegs gut gelungene Visualisierung davon, dass Bilder Wirklichkeiten, d. h. Fiktionen, erfinden, die unsere Sehkonventionen verändern (sollen). Während die fotografische Medienrevolution um 1900 noch um die Begriffe Abbild (picture) und Illustration kreiste, möchte die digitale des späten 20. Jahrhunderts sogar Abstraktionen visualisieren; die Wissenschaft macht sich die „verallgemeinernde Eigenschaft der Bilder“ (Mitchell34) für ihre Resultate zu nutze, bis hin zu Diagrammen und Kurven, Röntgen- und Radarbildern. Solche Bilder (images) verkörpern wissenschaftliche Erkenntnis, keineswegs nur in Medizin und Technik. Auf die erste Technisierungswelle, die mit der Fotografie verbunden war und zu einer gewissen „Demokratisierung“ der Bilder führte, folgte die zweite, die mit der Digitalisierung der Welt verknüpft ist, nur dass dabei der eigentliche Bildträger verloren ging, den bisher alle Bilder aufwiesen, denn Computerbilder sind als binäre Darstellungen zumindest so lange „trägerlos“, bis sie auf Chips oder Festplatten gesichert werden (Autoren versäumen ein Abspeichern ihrer Texte und Bilder daher meist nur einmal!). Folglich ist auch eine Definition des „Bildes“, die eigentlich an den Anfang dieses Beitrags gehört hätte, erst nach diesem Rundgang durch die terra incognita imagines möglich. Der Klärungsprozeß alter und neuer Bildformen ergibt, dass nicht der Träger, sondern eigentlich die Idee, die hinter dem Bild steht, konstitutiv ist; diese wird umgesetzt bzw. visualisiert, indem sie Dreidimensionales auf eine zweidimensionale Darstellung reduziert und einen „Ausschnitt von Zeit“ vorzeigt. Somit wird zuvor Ungesehenes ansehnlich!35
Bildersammlungen Sammlungen vorzustellen bedeutet, eine Geschlossenheit vorzutäuschen, die in der Regel fehlt. Sie zerfallen fast alle in diverse Bildkonvolute unterschiedlichster Provenienz, Formate, Inhalte usw. Auch sind sie selten „alt“, denn vor allem öffentliche Fotosammlungen, sogenannte Lichtbildarchive, und Museen gibt es erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts, obwohl schon 1825 bzw. Daguerreotypien 1839 erfunden wurden. Innovationen gingen erst von der aufkommenden Amateurfotografie aus, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts der erstarrten Atelierfotografie Konkurrenz zu machen begann, und um 1900 den Anstoß zum Aufbau heimat- und tech34
35
W. J. T. Mitchell: Bildwissenschaft, in: Frosch und Frankenstein (wie Anm. 7), S. 91–106, vgl. auch das Vorwort der Herausgeber S. 11–43, insbes. S. 29. Jens Jäger (wie Anm. 21) und C. Tagsold: Fotografie und Geschichte – ein Werkstattbericht, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 28 (2000), S. 158–169.
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nikgeschichtlicher, sowie kunstgewerblich orientierter Abteilungen deutscher Museen gab. Ziel war auch hier, die Realität (wie man sie sah) einzufangen, für die Zeitgenossen und auch die Nachwelt festzuhalten, wobei die künstlerische Aussage zunächst weniger beachtet wurde, bis die vielbeachtete Werkbundausstellung „Film und Foto“ (Stuttgart 1929) ein „Neues Sehen“ vermittelte36. In der Gegenwart bestimmen dagegen ganz andere Probleme die Diskussion, zumal die analoge Fotografie bald nur noch ein historisches Phänomen darstellt. Zwar geht es in seriösen öffentlichen und privaten Sammlungen weiter um den Erhalt analoger Originale, nicht nur um digitale Reproduktionen, doch verhalten sich die meisten kommerziellen Bildarchive ganz anders, da sie kaum noch am Originalcharakter ihrer Bestände interessiert sind, sondern vorwiegend an der schnellen Übermittlung des Bildinhalts durch digitalen Datentransfer an den Besteller, d. h. an der bequemen Vermarktung (Abzüge sind nahezu obsolet geworden). Durch Digitalisierung wurden konservatorische Probleme allerdings nicht gelöst, sondern nur verschoben; offen bleibt auch das brennende Problem der Langzeitverfügbarkeit. Ungeklärt ist weiterhin der Verbleib von Nachlässen kommerzieller Fotografen und journalistischer Bildreporter37, für die kein – längst gefordertes – Spezialarchiv bisher gegründet wurde. Ohne die Stabilität analoger und digitaler Daten, für die die Rettung bisher nur in häufiger Konversion schnell veralteter Hard- und Software gesucht wird, kann das visuelle Gedächtnis eines Gemeinwesens nicht bewahrt werden, auch wenn sich dafür Fachgesellschaften, wie die Deutsche Gesellschaft für Photographie, (bisher ergebnislos) einsetzen. Ob man allerdings auch „verbesserte“ Digitalbilder einbeziehen sollte, bei denen man bald an ethische Grenzen rührt, ist ungeklärt. Die archivischen Probleme, die sich für Medienarchivare aus alter und neuer, analoger und digitaler Bestandssicherung ergeben, und u. a. zur „Europäischen Konvention über den Schutz des audiovisuellen Erbes“ (2004) führten, können hier jedoch zugunsten inhaltlicher Aspekte weitgehend ausgespart werden, da sie im IV. Kapitel bei den „Modernen Quellengattungen“ (Botho Brachmann) eingehender behandelt werden, wo auch der Bildjournalismus, das Bild- und Filmwesen der Archive, Museen und Bibliotheken, ferner persönliche Bildarchive (Facebook als meistgenutzte und Youtube als beliebteste Videoplattform) usw. Berücksichtigung finden38. 36
37
38
Vgl. das Fazit von Petra Schuck-Wersing (wie Anm. 9), S. 185–191. Bei der Herstellung von Hologrammen mittels Laser scheint sogar die bislang gewohnte Zweidimensionalität der Bilder zugunsten einer dreidimensionalen Darstellung abhanden gekommen zu sein. Vgl. den Ehrenkodex für den Umgang mit Fotografien, Nachlässen und historischen Bildbeständen von Diethart Kerbs, erstmals 1985, erneut in: Rundbrief Fotografie N.F. 44 (2004), S. 46. Vgl. Beck/Henning (wie Anm.1), Kapitel IV: Moderne Quellengattungen, vollständig neubearbeitet von Botho Brachmann. 5. Aufl. Köln 2011, S. 182–208.
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Dass genuine digitale Fotos keine Digitalisate analoger Bilder sind (von denen dann wenigstens annähernd „zukunftssichere“ Negative und /oder Positive zurückblieben), sei zur Klärung der Begriffe vorausgeschickt, sondern nur die gleich mit einer Digitalkamera aufgenommenen und in einem Chip gespeicherten „Originale“; sie büßen diesen Charakter allerdings – streng genommen – auch schnell wieder ein, wenn ihre Bilder „auf ein externes Speichermedium heruntergeladen und dabei in ein anderes Dateiformat konvertiert“ werden (Angela Ullmann39). Damit ist die Authentizität der Ausgangsversion zwar nicht beseitigt, so doch gestört. Dennoch haben sich die Digitalfotos, wie oben erwähnt, wegen ihrer schnelleren und bequemeren Übermittlung durchgesetzt. Ihre Langzeitverfügbarkeit durch kostspielige Konversion kann im Archiv nur angestrebt werden, wenn außer dem Abbild auch alle inhaltlichen Angaben (wer, wann, wo und was) korrekt überliefert werden und sich nicht, wie etwa bei der berüchtigten Wehrmachtsausstellung über den „Vernichtungskrieg“ (1995) des Hamburger Instituts für Sozialforschung, falsche Bildbeschriftungen einschleichen, die Aussagen über begangene Verbrechen unzulässig verändern40. Hinzu kommt die schon erwähnte Manipulierbarkeit von Bilddateien bereits bei ihrer Übernahme oder im Speicher, auf Vervielfältigungs- und Verbreitungswegen elektronischer Nutzung, aber auch Eingriffe in die Metadaten, so dass Skepsis gegenüber der Authentizität durchaus angebracht erscheint. Während Negative prinzipiell irreversibel bleiben, egal wie viele Personen beim Entwickeln oder am Positiv herausretuschiert oder hineingemogelt wurden, ist ein Scan von vornherein reversibel. Während die herkömmliche Fotografie wenigstens weitgehend garantieren kann, dass „es so gewesen“ ist wie aufgenommen (was am belichteten Material beweisbar ist), erscheint jeglicher Argwohn gegenüber der das Authenticum gefährdenden Digitalfotografie angebracht. Die in den Archiven vorhandenen Bildquellen, vorzugsweise zur Kultur- und Landesgeschichte41, sind immer noch zu wenig bekannt. Art und Qualität sind unterschiedlich. Die ältesten Abbildungen finden sich in der 39
40
41
Angela Ullmann: Das Parlament in Pixeln – Digitale Fotos als neue Herausforderung. Vortrags-Ms. vom 74. Deutschen Archivtag am 2. Oktober 2003 in Chemnitz, S. 13. Tim Seidenschnur: Streit um die Wehrmacht .Die Debatten um die Wehrmachtsausstellungen im Wandel der Generationen. Marburg/L. 2010 m. Lit. Verz. S. 107– 111 (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag : Reihe Geschichtswissenschaft, 9), vgl. auch H. Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg 2001. Manfred Treml: Historische Bildkunde und Landesgeschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 136 (2000), S. 1–9 und Dieter Kerber: Bildarchive als Quellen zur deutschen Landeskunde, in: ib., S. 123–133 vgl. auch E. Patzelt: Das Bild als urkundliche Quelle der Wirtschaftsgeschichte, in: Archivalische Zeitschrift 50/51 (1955), S. 245 ff.
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Buchminiaturmalerei des Mittelalters, die jüngsten Fotos stammen aus der Gegenwart. Sie kommen entweder aus Provenienzbeständen, vorzugsweise aus dem Registraturschriftgut von Behörden, wo Handzeichnungen oder Fotoabzüge gemeinsam mit den dazugehörigen Akten überliefert sind (seltener), manchmal auch aus Familienarchiven und aus Nachlässen oder aus Sammlungsgut (häufiger), wie es auch in Museen und Bibliotheken verwahrt wird. Der Zugriff erfolgt in der Regel elektronisch über Indices mit Orts- und Personennamen, häufig auch durch Sachbegriffe, andernfalls über herkömmliche Findmittel, wie Karteien und Bandrepertorien, in denen die „Enthält“-Vermerke für Bilder oder Entwürfe besonders beachtet werden sollten. Folgende Angaben wird man im Idealfalle erwarten dürfen: Neben der Provenienz, sind der Bildtitel (Gegenstand der Darstellung) und die Entstehungszeit mitzuteilen, ferner Angaben über den Bildproduzenten (Künstler / Fotograf, manchmal liegen sogar Verträge mit einem Auftraggeber / Verleger oder doch Rechnungen vor) oder zumindest über die Herkunft der meist aus ihrem publizistischen Zusammenhang (Bildserien, Zeitschriften) herausgerissenen Aufnahmen zu machen, der Ort der Bildherstellung, die Aufnahmetechnik nebst Materialangaben, die Überlieferungsform (Aquarell, Zeichnung, Kupferstich, Fotografie usw.) und das -stadium (Original, Duplikat, Kopie), die Bildgröße (Maße), Aufbewahrungsform und Standorte (Archivsignatur), wissenschaftliche Bearbeitung und Verwendung in Ausstellungen zu vermerken. Handelt es sich gar um undatiertes Bildmaterial, so enthält es in aller Regel doch Hinweise auf die Begleitumstände seiner Entstehung: Die Art der Porträtgestaltung, selbst die Atelierausstattung und das Herstellungsverfahren der Abzüge, ferner das Format des Bildträgers lassen Rückschlüsse auf die typische Gestaltungspraxis und Motivwahl eines Zeitraums sowie seiner Produzenten zu. Somit wird selbst anonymes Bildmaterial bestimmbar, wofür inzwischen Timm Starl ein Instrumentarium der Bildbestimmung (2009) entwickelt hat42. Mißlingt die Bestimmung dennoch, führt dies in der Regel zur Kassation. Ohne Abbildungen kommt die Allgemeine Geschichte so wenig aus wie die Landes- oder Regionalgeschichte, die ihre Führungsschichten, Städte und Gebäude und auch die Bevölkerung ebenso „im Bilde“ festhalten wollen wie die Heimatlandschaft. Doch war das Mittelalter zunächst, von Buchminiaturen und ausgemahlten Kirchen (Biblia pauperum) abgesehen, im Vergleich zu unserer Zeit weniger bildfreudig, obwohl durchaus auch einige Prunkhandschriften, Wappenbücher, Turnierrollen, Chroniken, Universitätsmatrikeln und illustrierte Rechtsbücher auf Pergament überliefert sind und uns wichtige Informationen, z. B. über die Strafjustiz, vermitteln. Das ändert sich allmählich im 15. Jahrhundert durch die Erfindung des Holzschnitts (zuerst auf Inkunabeldrucken) und angesichts einer in Deutschland 42
Timm Starl: Die Bestimmung, Identifizierung und Datierung von Fotografien 1839 bis 1945. Marburg/L. 2009.
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verbesserten Papierproduktion. Die Zahl der Bildthemen nimmt zu: Transportmittel (u. a. Schiffe!), Arbeitsgeräte, insbesondere der Landwirtschaft und des Handwerks, werden gezeichnet (weitgehend ohne ästhetischen Anspruch), auch Wind- und Wasser-, Papier- und Walkmühlen, die überall zum Ortsbild gehörten, vor allem das Bergbau- und Hüttenwesen in immer genauerer Darstellung der angewandten Techniken des 16.–18. Jahrhunderts. Über die Geschichte des Bauwesens geben Zunftakten des Handwerks (Zeichnungen von Prüfungsarbeiten, Kundenangebote) grafische Informationen her, so z. B. Entwürfe für Gebäude und Möbel aller Stilepochen, zur Ausstattung von Kirchen und anderen Gebäuden, Konstruktionszeichnungen von Stellmachern und Bootsbauern, Farbproben der Maler, Musterbilder von Porzellan- und Fayencemanufacturen usw. Deutsche Landschaften werden zunächst nur im Hintergrund biblischer und mythologischer Darstellungen des 16. Jahrhunderts fassbar, während spätere Maler weniger idealtypisch, sondern konkret an die Wiedergabe einzelner Gegenden herangingen. Besonders beliebt waren seit dem 17. Jahrhundert Orts- „Prospekte“, d. h. Federzeichnungen ganzer Städte oder Teilansichten43, auch von Dörfern, Siedlungen und Höfen (man denke an Kupferstiche von Wilhelm Dilich und Matthäus Merian oder an Georg Braun/Frans Hogenbergs „Civitates orbis terrarum“, deutsch Köln 1572–1618). An ihre Stelle traten im 19. Jahrhundert Fotografien von Ortsansichten als Geschichtsquellen der Heimatkunde, vor allem Tausende und Abertausende von Postkarten, aber auch Bildberichte in Illustrierten44 und in der Lokalpresse über Einweihungen von Denkmälern, Bahnlinien und Gebäuden, Naturkatastrophen, Festumzügen, Kundgebungen oder Streiks. Erwähnt seien wegen ihrer Häufigkeit noch die Gesellen- und Meisterbriefe des Handwerks mit Lokalansichten sowie die Firmenbriefköpfe mit ihren (oft geschönten) Fabrikansichten. Nicht selten sind auch in Staats- und Stadtarchiven bildhafte Militärquellen (über Fortifikationen, Uniformen, Ausrüstung und Gefechte), während Porträts historischer Persönlichkeiten in älterer Zeit kaum vorkommen, wenn überhaupt, dann von Honoratioren (in Sonntagsgarderobe oder Uniform); erst mit der Erfindung der Fotografie häufen sich auch auf diesem Gebiet die Bildbestände aus anderen Bevölkerungsgruppen. Diese Aufzählung ließe sich unschwer fortsetzen und auf 43
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Iris Berndt: Ortsansichten als Bildquellen in der landesgeschichtlichen Forschung, in: Jahrbuch für brandenburgischen Landesgeschichte 60 (2009), S. 77–92 und Herbert Ewe: Bilder (wie Anm.1), S. 140–148, vgl. auch Manfred Treml (wie Anm. 41) und F.-D. Jacob: Prolegomena zur einer quellenkundlichen Betrachtung historischer Stadtansichten, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 6 (1978), S. 129 ff., sowie ders.: Historische Stadtansichten. Entwicklungsgeschichte und quellenkundliche Momente. Leipzig 1982, 2. Aufl. 1991. Herwig Buntz: Illustriertenbilder als Quellen zur Landesgeschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 136 (2000), S. 25–36.
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Bilder aus Wissenschaft und Technik ausdehnen45, doch muß das Gesagte genügen, um eine gewisse Vorstellung von den Bildbeständen der Archive zu vermitteln, die in der Regel in Bestandsübersichten oder im World Wide Web bestellfähig nachgeschlagen werden können. Bezüglich der Internetressourcen sei hier außerdem auf die Links des „Rundbriefs Fotografie“ (http://www.fotogeschichte.info) zu Museumssammlungen, Online-Artikeln und dem vollständigen Index der Zeitschrift „Fotogeschichte“ (http:// www.foto.unibas.ch/-rundbrief/index.html) verwiesen. Die Quellenlage für Bilder ist relativ gut. Jedenfalls ist die Zahl der Bildbestände sowohl in Archiven (z.B. im Bundesarchiv46 wie in den Staatsbzw. Landesarchiven) als auch in Spezialsammlungen47 hoch, wobei letztere oft besser bzw. systematischer erschlossen sind. Das ist in den meisten europäischen Ländern kaum anders, wohl aber in den USA (z. B. Library of Congress / National Archives Washington, Gernsheim Collection Austin, Eastman House Rochester). Neben den in der Regel detaillierter als in den Archiven erschlossenen und im Internet gut recherchierbaren Museumssammlungen (z. B. im Musée d’Orsay Paris, Victoria and Albert Museum London, National Museum of Photography, Film and Television Bradford) müssen aber auch die kommerziellen Sammlungen mit ihren millionenfachen Bildbeständen (z.B. Ullstein Bildarchiv, Stern Archiv, Roger Viollet Agence Photographique) genannt werden; der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive veröffentlichte unter der Bezeichnung „Der Bildermarkt“ ein instruktives Handbuch seiner Mitglieder48. An deutschen Fotografiesammlungen sind besonders hervorzuheben: Agfa Fotohistorama Köln, Museum Folkwang Essen, Fotomuseum c/o Münchner Stadtmuseum, Photographische Sammlung im Deutschen Museum München, desgl. im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Berlinische Galerie Berlin, Kupferstichkabinett Dresden und die Fotothek in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden. 45
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Konstruieren, Kommunizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, hrsg. von Alexander Gall. Göttingen 2007 (= Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, N.F. 23). Vgl. auch die in Anm.7 genannte Literatur! Thomas Trumpp: Zur Geschichte, Struktur und Nutzung der photographischen Überlieferung des Bundesarchivs. Bildarchiv, Bildsammlung oder Bildagentur?, in: Der Archivar 36 (1983), Sp. 365–380 und J. Hemmerle: Archivisches Bildgut als Quelle historischer Forschung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Bibliothekswelt und Kulturgeschichte. München 1977, ferner H. Romeyk: Bildliche Darstellungen. Archivarische Erschließung und quellenkritische Bewertung. Düsseldorf 1976 (= Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe E 1). Vgl. z.B. Walter Heinemeyer: 50 Jahre Forschungsinstitut Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden Marburg, in: Archiv für Diplomatik 25 (1979), S. 328–344. Der Bildermarkt. Handbuch der Bildagenturen, hrsg. vom Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA). Berlin 1998-2011.
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Zum Zweck der Visualisierung von Texten sei noch auf Suchmaschinen (wie Google oder Altavista Image Finder) bzw. Meta-Suchmaschinen (wie Ithaki oder Bingoo) im World Wide Web hingewiesen, die Bildangebote von zumeist kostenpflichtigen Datenbanken (wie Corbis oder Photocase) im Internet erschließen. Allein Yahoo bietet ca. 1,5 Milliarden von Bildern an. Sie unterliegen jedoch ebenso wie Scans aus Fachbüchern denselben urheberrechtlichen Beschränkungen. Vortragsanfänger seien daran erinnert, dass Bild- und Textfolien keinen Manuskriptersatz darstellen. Das „Wie“ vermag das „Was“ zwar zu unterstützen, doch ist das Medium allein noch keine „Message“ („Haben Sie PowerPoint oder etwas zu sagen?“, titelte unlängst eine Tageszeitung). Bilder benötigen, wie oben begründet, Kommentare, wobei wenige Zeilen oft genügen, gehört es doch zu den größten Ärgernissen, wenn ein Redner immer nur vorliest, was auf Vortragsfolien steht. Auf diese Weise werden Zuschauer zu „Zulesern“, denen dabei leicht Hören und Sehen vergeht.
Urheber und persönlichkeitsrechtliche Fragen Bilder werfen nicht nur kognitive Probleme, sondern in Archiven und Museen oft auch urheberrechtliche Fragen auf, sofern es sich nicht um „alte“ Fotos handelt (unabgekürzt von „Fotografien“ spricht heute kaum noch jemand). Alle Bildproduzenten besitzen an ihren Bildern ein Urheberrecht, das bei jeder Anfrage geprüft werden muß. Doch gibt es nicht nur ein Recht „am Bild“ für Fotografen, sondern auch das der abgebildeten Personen „am eigenen Bild“; es darf nur mit Einwilligung des Abgebildeten bzw. zehn Jahre nach seinem Tode mit Erlaubnis der Angehörigen veröffentlicht werden. Beide Schutzrechte, Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht, sind zu wahren, wenn Fotos aus Archivbeständen zu Veröffentlichungszwecken freigegeben werden sollen. Sie erlauben die Nutzung der Bestände nur in beschränktem Umfange und sind auch keineswegs überall unentgeltlich (Open access). Das „Urheberrechtsgesetz“ (UrhG) ist zuletzt im Dezember 2008 in wichtigen Punkten novelliert worden49. Es unterscheidet, etwas antiquiert, zwischen „Lichtbildwerken“, die als „persönliche geistige Schöpfungen“ einen besonderen Schutz genießen, von bloßen „Lichtbildern“ (das reicht von alltäglichen Amateuraufnahmen bis hin zu sogen. Knipsbildern), was mangels eindeutiger Kriterien nicht immer möglich ist. Anders als in der 49
Tobias Lettl: Urheberrecht. München 2008 und Volker Boehme-Neßler: BilderRecht. Die Macht der Bilder und die Ohnmacht des Rechts. Wie die Dominanz der Bilder im Alltag das Recht verändert. Berlin 2010, vgl. weiter Thomas Dreier und Gernot Schulze: Urheberrechtsgesetz, Kunsturheberrechtgesetz. 2. Aufl. München 2005.
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früheren Fassung des Gesetzes (1995), das von Lichtbildwerken noch verlangte, dass sie sich „gegenüber dem Alltäglichen durch Individualität“ auszeichnen, wurden nunmehr die Anforderungen gesenkt, so dass künftig ein „Mindestmaß an schöpferischer Qualität“ genügt (sogen. kleine Münze), um als „Lichtbildwerk“ zu gelten. Da bei abgesenkter Gestaltungshöhe bereits eigene Motivwahl, ein besonderer Aufnahmezeitpunkt, ein bestimmter Bildausschnitt und eine selbstgewählte Perspektive genügen, fallen praktisch die meisten der bisherigen Lichtbilder nun unter den „Werkschutz“. Erzeugnisse, die nur „ähnlich“ wie Lichtbilder hergestellt wurden, wie Satelliten- und Luftbildaufnahmen, Röntgenbilder und automatische Passfotos, werden diesen gleichgestellt und genießen denselben Schutz (§ 72), nicht aber Fotokopien oder Mikrofilme. Der Begriff des „Urhebers“ (natürliche Person) ist leichter zu bestimmen, jedenfalls ist er nicht mit dem des Ideenanregers, Auftraggebers oder Bestellers eines Werkes zu verwechseln. Schwierig für Archive und Bildagenturen wird es aber, wenn ein Urheber versäumt hat, sein Recht, das er zu Lebzeiten keinem (!) Dritten übertragen kann, zu vererben, da sie dann die gesetzlichen Erben ermitteln und mit ihnen eine Übereinkunft über bestehende Schutzrechte erzielen müssen. Lehnen diese ab, ihre Zustimmung zur Veröffentlichung eines Bildes zu geben, muß sie unterbleiben. Die Schutzfristen betragen für Lichtbildwerke (nach dem Tod des Fotografen) 70 Jahre und 50 für Lichtbilder (nach Herstellung bzw. der Erstveröffentlichung). Erst danach werden sie gemeinfrei. Wird übrigens der Fotograf – und sei es aus Unkenntnis – nicht genannt, verhängen Gerichte in der Regel einen hundertprozentigen Aufschlag auf das sonst angemessene Honorar als Schadensersatz. Was die Persönlichkeitsrechte abgebildeter Personen angeht, so sieht das Kunsturhebergesetz immerhin einige Ausnahmen vor (KUG, § 22 / 23): Danach dürfen Personen u. a. ohne ihre Einwilligung zur Schau gestellt werden, wenn es sich um solche der Zeitgeschichte handelt oder wenn sie nur als Beiwerk, etwa einer Landschaft, erscheinen oder bloß auf Versammlungen bzw. Demonstrationen in der Menge erkennbar sind. Das Recht am eigenen Bild besteht ansonsten auch postmortal noch 10 Jahre weiter. Gehören Bildwerke einem Archiv oder Museum, die sie nicht nur „besitzen“, sondern an ihm auch Eigentum erworben haben, so bedeutet das noch keineswegs, dass sie auch Inhaber aller Nutzungsrechte sind. Diese verbleiben nämlich prinzipiell beim Urheber bzw. seinen Erben, selbst wenn Bilder als sogen. Sacheigentum verkauft werden. Sogar für (Archiv-)Publikationen bedarf es dann eines Lizenzvertrages. Dritte müssen nach dem Beteiligungsgrundsatz eine Nutzungsabrede treffen, wenn der Eigentümer keine eigenen Verwertungsrechte besitzt. Im Zweifelsfalle muß der Nutzer den entsprechenden Nachweis erbringen, das er die erforderlichen Rechte erworben hat (freilich nicht unbedingt dem Archiv gegenüber). Übrigens müssen Bildagenturen nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes
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(BGH Az. VI ZR 30 u. 34/2009) auch vor der Weitergabe von Archivfotos an die Presse nicht die Zulässigkeit der Berichterstattung prüfen; der Austausch von Archivbildern, so der BGH, unterliegt der Pressefreiheit. Zu den materiellen Nutzungsrechten des Urhebers gehören das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Ausstellungsrecht (§ 16–18 UrhG), das Vorführungsrecht (§ 19), das der öffentlichen Zugänglichmachung und sei es nur im Internet (§ 19a), ferner das der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (§ 21). Beim Fotomaterial sind außerdem die Leistungsrechte des Fotografen, die Rechte am fotografierten Gegenstand (auch von Kunstwerken) und die der abgebildeten Personen zu beachten. Sonst ist jede Vervielfältigung durch Kopieren, Scannen oder Abfotografieren urheberrechtlich bedeutsam, desgleichen die Einspeisung von Fotos in Datenbanken sowie das Versenden einer Bilddatei als E-Mail und der Einsatz von Thumbnails (zu Auswahlzwecken verkleinerte Bilder) im Internet, ferner der Verkauf von Abzügen oder das Verschicken von Reproduktionen. Eine Ausnahme macht dagegen das Kopieren oder Digitalisieren fremder bildhaltiger Archivalien, beispielsweise aus einem Vorlaß oder einem Depositum im eigenen Archiv für dienstliche bzw. betriebsinterne Zwecke. Für die eigenen Mitarbeiter können einzelne Vervielfältigungsstücke, auch zur Bestandssicherung, ohne Einwilligung des Rechteinhabers angefertigt werden, sofern ihre Institution von öffentlichen Interesse ist und keinen Erwerbszweck verfolgt. Unter diesen beiden Voraussetzungen können Bilder zustimmungsfrei sogar Wissenschaftlern zugänglich gemacht und Aktenkopien für sie zum persönlichen Gebrauch hergestellt werden; als Gedächtnisstütze dürfen sie „Bildzitate“ (nach § 53 UrhG) enthalten – doch Vorsicht bei der Wieder- und Weiterverwendung, denn Bilder sind und bleiben „Gesamt-Werke“, für die dasselbe wie für alle Text-Werke gilt: wer ein Buch oder auch nur einen Zeitungsartikel ohne Genehmigung vollständig nachdruckt, zitiert ihn nicht, sondern entwendet ihn! Eine Ausnahme bildet die Katalogbildfreiheit im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Ausstellung, wobei wenigstens die Reproduktionsfotografen abgefunden sein müssen. Die Einrichtung elektronischer Lesegeräte ohne (!) Internetzugang (on the spot consulting) ist gleichfalls zustimmungsfrei, auch ein Kopienversand ist nur per Fax oder Post zulässig. Solche „Privatkopien“, die zur Erleichterung der wissenschaftlichen Arbeit angefertigt werden, dürfen auch im akademischen Unterricht sowie an Schulen Verwendung finden. Bei Filmen sind wegen unterschiedlicher Schutzfristen sogen. „Laufbilder“ (anspruchloser Amateurfilm) und „Filmwerke“ (Spielfilme) zu unterscheiden, während Dokumentarfilme beiden Kategorien angehören können. Die Vorführung von Filmen in Ausstellungen ohne Zustimmung des Rechteinhabers stellt bereits eine Verletzung von Urheberrechten dar50. 50
Wichtig für die praktische Arbeit: Urheberrecht in Museen und Archiven, hrsg. von Winfried Bullinger, Markus Bretzel und Jörg Schmalfuß. Baden-Baden 2010.
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Ausblick Abschließend sei noch ein Blick auf die gegenwärtige Kunstwissenschaft geworfen, die allem Anschein nach auf dem Weg zu einer nicht mehr fachgebundenen Bildwissenschaft ist, d. h. zu einer Metadisziplin für die Welt des Sichtbaren heranwächst, die aber doch ihre „Platzhirschrolle“ (Horst Bredekamp51, Hans Belting52) behaupten konnte, indem sie auch gegenüber nicht-künstlerischen, epistemischen oder technischen Bildern Position bezieht. Inzwischen beginnt sich der ursprünglich zweidimensionale Bildbegriff als Folge des oft erörterten „Ausstiegs aus dem Bild“ (Hamburger Kunsthalle, 1996) durch die Medienkunst sich allmählich aufzulösen bzw. in einen dreidimensionalen Bildraum zu verwandeln. In ihm geht es nicht mehr um ein Abbild der Realität oder um Repräsentation, sondern bei Multimedia-Installationen um dessen – oftmals dynamische – Struktur, um neue Bildobjekte, visuelle Inszenierungen, Performances usw., „jenseits“ der Bilder. Der herkömmliche Bildbegriff löst sich auf diese Weise mehr und mehr auf53 und erscheint diffus wie der der Kultur (worin Spötter freilich gerade seinen Vorzug erblicken). Das Verhältnis zwischen Kunstwissenschaft und Geschichtswissenschaft ist angespannt, wirft ihr doch die Geschichtswissenschaft beispielsweise vor, sich zu einer „weitgehend ahistorischen Disziplin“ (Hartmut Boockmann) entwickelt zu haben54, während Kunstwissenschaftler Historikern ihren „Echtheitsfetischismus“ vorhalten, wenn es um Fragen von Original und Replik geht und geltend machen, dass es bei Urkunden nur verschiedene Ausfertigungen und kein „Original“ gäbe und auch angesichts schematischer Herrscherdarstellungen kaum eine Möglichkeit bestünde, Originale 51
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Horst Bredekamp: Theorie des Bildaktes. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007. Berlin 2010 und zusammen mit Franziska Brons: Fotografie als Medium der Wissenschaft. Kunstgeschichte, Biologie und das Elend der Illustration, in: Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder, hrsg. von Christa Maar und Hubert Burda. Köln 2004, S. 365–381. Vgl. auch: Bild/Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp, hrsg. von Philine Helas et al. Berlin 2007. Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, erstmals München 2001, 3. Aufl. 2006, vgl. auch Bilderfragen. Die Bildwissenschaft im Aufbruch, hrsg. von Hans Belting. München 2007 und Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor der Kunst, erstmals München 1990, 6. Aufl. 2004. Programmatisch wirkte seine Schrift: Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren. München 1995. Elze Bisanz: Die Überwindung des Ikonischen. Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft. Bielefeld 2010 und Thomas Hensel: Wie aus der Kunstwissenschaft eine Bildwissenschaft wurde. Aby Warburgs Graphien, in Vorbereitung. Hartmut Boockmann: Über den Aussagewert von Bildquellen zur Geschichte des Mittelalters, in: Wissen, Wirtschaft und Technik. Wilhelm Treue zum 60. Geburtstag, hrsg. von K.-H. Manegold. München 1969, S. 29–37.
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von Repliken zu unterscheiden. Historiker sehen in Bildern nach wie vor eher passive Quellen, schätzen sie als zusätzliche, ergänzende, korrigierende bzw. inhaltliche Dokumente ein, nicht aber als aktive, eigenständige, emotionale bzw. gehaltvolle Deutungsmedien, die energetisch die Ereignisse selbst prägen und beeinflussen können; die Sicht der Bilder als Abbilder der Vergangenheit steht jener gegenüber, die sie als „medialen Aktivposten“ (Gerhard Paul) im Kommunikationsprozeß begreifen55. Die von Holger Th. Gräf (2008) aufgeworfene Frage: „Historische Bildkunde, eine Hilfswissenschaft zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft?“ sollte man abschließend verneinen, schon weil die Historische Bildkunde im engeren Sinne (anders als die Bildwissenschaft im weiteren) bislang kaum gängigen Bedürfnissen genügt; trotz vieler Neuerscheinungen hat sie bisher weder ein leidlich anerkanntes Lehrbuch, eine Bibliographie, periodische Schrifttumsberichte in einer Fachzeitschrift noch regelmäßige Tagungen hervorgebracht. Folglich vermag diese „Kunde“ den zwischen Ikonophobie und Ikonophilie schwankenden Historiker nur wenig zu helfen. Doch sieht man von der noch fehlenden „Grundausstattung“ einer Historischen Hilfswissenschaft einmal ab, so wiegt ein prinzipieller Einwand schwerer, dass es nämlich der Historischen Bildkunde an Eigenständigkeit mangelt, die sonst jede Historische Hilfswissenschaft aufweist56 und zwar unabhängig von der Unterstützung, die sie der Geschichtswissenschaft im Bedarfsfalle gewährt. Die Historische Bildkunde ist immer von der Kunstgeschichte oder Kunstwissenschaft abhängig bzw. bleibt Teil der allgemeinen Bildwissenschaft57, der Ikonologie, die sich nun als solche zu stabilisieren scheint, von der auch Historiker, vor allem der Kultur- und Alltagsgeschichte, ikonographisch profitieren werden. Folglich wird man die Historische Bildkunde weder gegenwärtig noch künftig „in den Kanon der etablierten historischen Hilfswissenschaften aufnehmen“ (Gräf58) wollen.
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Gerhard Paul: Die aktuelle Bildforschung in Deutschland. Themen, Methoden, Probleme, Perspektiven, in: Bilder als historische Quellen? (wie Anm.23), S. 125– 147, hier S. 142. Vgl. dazu u. a. meine 10 Thesen über die Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften (2005), zuletzt nachgedruckt in Hennings HiWi-Test. Berlin 2009, S. 122–125. Vgl. Martin Schulz: Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft. München 2005, 2. erw. Aufl. 2009 und M. Bruhn: Das Bild, Theorie, Geschichte, Praxis. Berlin 2009, ferner K. Sachs-Hombach: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln 2003. Holger Th. Gräf: Historische Bildkunde (wie Anm. 5), S. 398, vgl. auch S. 379, 381.
Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie * I Eine „Bibliographie zur Medaillenkunde“ gab es bisher noch nicht; sie erscheint als erster Teil des von den Bearbeitern erschlossenen numismatischen Schrifttums Deutschlands und Österreichs, dem als zweiter Teil eine „Bibliographie zur Münzkunde“ folgen soll, während für den dritten, eine „Bibliographie des Papiergeldes“, bisher kein Bearbeiter gewonnen werden konnte. Mit einem gewissen Recht werden Münzen und Medaillen bisher – nicht nur bibliographisch – „in einen Topf geworfen“. Technische Gemeinsamkeiten im Herstellungsverfahren, von Material und Form reichten aus, Medaillen nur als Münzen ohne Kurswert zu betrachten, sie gar „pseudomonetären Formen“ zuzurechnen. Robert Göbl stellte dazu noch 1987 fest: „Das Hauptcharakteristikum ist also Münzverwandtschaft verschiedener Art und Grade“1. Doch abgesehen davon, daß Medaillen meist aus edlerem Stoff gemacht und auch größer und schwerer als Münzen sind, fallen doch andere Unterschiede mehr ins Gewicht: Sie sind Schaustücke, dazu bestimmt, an Personen oder Ereignisse zu erinnern. Die Medaille ist, um es mit Kurt Regling zu sagen2, ein „Erinnerungsstück“, das Vergangenes vergegenwärtigt, ja Vergänglichem trotzt, indem sie es verewigt. Darin ist sie gerade nicht „münzähnlich“, wie auch Regling einräumen mußte, obschon zweckgebunden wie Münzen, nur daß eben dieser Zweck ein anderer ist, hervorgerufen durch unterschiedlichste Anlässe und Interessen. Die Medaille ist als gesetzliches Zahlungsmittel nichts wert, ihre Bedeutung liegt im – oft künstlerisch noch gesteigerten – Memorialwert. Sie ist damit dem manchmal eintönigen Kurantgeld oder gar den Scheidemünzen viel weniger verwandt als dem Schmuck, sie spiegelt – oft nur in kleinen Auflagen hergestellt – Kunstgeschichte in dekorativer Weise wider. Leider ist sie von ihr aber nur wenig gewürdigt worden – wie sie auch der Siegel als Kleinkunstwerke von hohem *
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Erstmals erschienen unter diesem Titel in Vierteljahrsschrift Herold N.F. 13 (1992), S. 272–279. Hier abgedruckt in der revidierten Fassung der Einleitung zur Bibliographie zur Medaillenkunde, Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990, bearbeitet von Petra Hauke und E.H., Bad Honnef 1993, S. XIII–XXVII nebst Stoffgliederung S. V–X. Teil 2 und 3 sind nicht erschienen. Robert Göbl: Numismatik. Grundriß u. wiss. System. München 1987, S. 62. Vgl. seinen Artikel im Wörterbuch der Münzkunde von Friedrich Freiherrn von Schrötter, Berlin 1930, S. 379. Nachdr. Berlin 1970. – Vgl. auch Heinz Fengler, Gerhard Gierow, Willy Unger: Lexikon der Numismatik, 3. bearb. u. erw. Aufl. Berlin 1982, S. 278 (erstmals 1976).
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ästhetischen Reiz erst in den letzten Jahrzehnten gewahr wurde3. In der Tradition von Heinrich Eduard Bolzenthal und Alfred Lichtwark ist es heute vor allem das Verdienst von Wolfgang Steguweit (1990), die Medaillen nicht länger negativ aus den Münzen abzuleiten, sondern sie positiv als „handliche Kleinreliefs“4 im Dienste des Gedenkens zu umschreiben. Medaillen stellen in der Tat, was viel weniger auf Münzen zutrifft5, eine „Sonderform der Reliefplastik“6 dar, wie auch Plaketten, die trotz ähnlicher Thematik als vierund mehreckige, manchmal ovale Objekte einen größeren oder doch anderen Gestaltungsspielraum als die gerundete Medaille zur Verfügung stellen.7 Aus dem bisher Gesagten haben die Bearbeiter den Schluß gezogen, daß die weitere Vermischung von münzen- und medaillenkundlicher Literatur den Medaillen nicht gerecht würde und ebenso die (ungleich kleinere) Plakettenliteratur in die Gruppe verwandter Objekte zu verweisen sei, um ihrer Eigenart möglichst gerecht zu werden. Alle verwandten Gattungen zu definieren, kann nicht Aufgabe dieser Einleitung sein bzw. bleibt Sache der einschlägigen Handbücher (vgl. A–II), ob es sich nun um antike Medaillone als Vorläufer oder um späte Nachfahren der Medaille handelt, die als tragbare Auszeichnungen dienen und bereits auf das weite Feld der Orden und Ehrenzeichen führen, einer „erwachsen“ gewordenen numismatischen Teildisziplin, der Phaleristik“8. Für sie wäre, wie für die übrigen Historischen Hilfswissenschaften, ein eigenes Schrifttumsverzeichnis zu erarbeiten, was auch in dieser bibliographischen Reihe geplant ist. Abgrenzend zur Münzkunde sei nur noch auf die Schau-, Denk- und Ehrenmünzen hingewiesen, die strenggenommen eine Sonderstellung zwischen den Münzen und Medaillen einnehmen, da sie zugleich als Kurant3
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Vgl. Eckart Henning: Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich, in: Genealogica & Heraldica, Report of the 16th International Congress of Genealogical and Heraldic Sciences in Helsinki, publ. by Tom C. Bergroth, Helsinki 1986, S. 335–347; hier u.a. unter Hinweis auf die Forschungen von Rainer Kahsnitz, S. 141 f. u. Ders., Siegel und Wappen 1982–1986, in: Bll. f. dt. Landesgeschichte 125 (1989), S. 299–338, hier S. 302. Lore Börner/Wolfgang Steguweit: Die Sprache der Medaille (s. Nr 144), S. 7. Vgl. auch Wolfgang Steguweit/Ingrid S. Weber: Aufbruch – Durchbruch. Zeitzeichen in der deutschen Medaillenkunst, in: The Medal 18 (1991), S. 85–96, sowie den gleichnamigen Ausstellungskatalog (s. Nr. 287), ferner: Wolfgang Steguweit: „Wartet nicht auf bessre Zeiten ... “. Eine Betrachtung zu gesellschaftlichen Bemühungen um die Beförderung der Medaillenkunst in Deutschland (s. Nr. 2202). Vgl. Göbl (wie Anm. 1), S. 28 f. L. Börner/W. Steguweit: Die Sprache der Medaille (wie Anm. 3), S. 2. Göbl (wie Anm. 1), S. 64. Karl-Gustav Studenitz: Vom Zauber alter Orden und Ehrenzeichen. Freiburg/Br. 1981, S. 9 u. ä. im Abschnitt „Phaleristik oder Ordenskunde“. – Vgl. die bibliographischen Vorarbeiten von Ivo Suetens: Bibliographie numismatique. Supplément: Ordres et décorations, Bruxelles 1969. 147 S. (Cercle d’études numismatiques, 4), mit 979 Titeln; Bd. 2 ersch. 1977, 152 S.
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geld gebraucht werden konnten.9 Die darüber vorhandene Literatur ist in die vorliegende Bibliographie nur insoweit aufgenommen worden, als damit k e i n e echten Münzen gemeint waren bzw. die Begriffe bloß mehr oder weniger gedankenlos als Synonyme für Medaillen verwendet wurden. So ist die Literatur über „Schaumünzen ohne Umlaufkraft“, womit Heinrich Buchenau (1920) paradoxerweise „zahlreiche talerförmige Gepräge“ bezeichnete10, hier aufgenommen worden, weniger diejenige über echte Münzen mit Medailleneigenschaften, denn „Medaillen-Eigenschaft allein macht noch keine Medaille“.11 Der Begriff „Medaille“ leitet sich von lateinisch „metallum“ ab, der im Mittelalter Kleinmünzen, später ausgeschiedene bzw. außer Kurs gesetzte meinte (italienisch „medaglia“, französisch „médaille“). So lautet jedenfalls die allgemeine Lehrmeinung12, doch könnte auch eine andere Ableitung, nämlich von italienisch „metaglia“, richtig sein, womit in Renaissanceinventaren metallene Kameenabgüsse bezeichnet worden sein sollen.13 Als Geburtsjahr der (Guß-)Medaille gilt allgemein 1438, als Antonio Pisano (1380–1451), auch Pisanello genannt, in Ferrara ein Rundporträt von dem vorletzten oströmischen Kaiser Johannes VIII. Palaiologos schuf, die beiden kleinen Carrarafürsten-Medaillen eines anonymen Künstlers aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert einmal nicht gerechnet14. Die Medaille ist Ausdruck des erwachenden Individualgefühls des Menschen in der Renaissance15, des geschärften Sinns für die Bedeutung der Persönlichkeit und der Unwiederholbarkeit aller Ereignisse, an die sichtbar zu erinnern ihre Absicht ist. Ihr bleibender Wert ist von Goethe (1804) einmal unübertrefflich beschrieben worden: „Eine Medaille hat, durch ihre mögliche Verbreitung, durch ihre Dauer, durch Überlieferung der Persönlichkeit in einem kleinen Raum, durch Documentirung allgemein anerkannter Verdienste, durch Kunst- und Metallwerth, so viel vorzügliches, daß man, besonders in unseren Zeiten, Ursache hat, sie allen anderen Monumenten vorzuziehen“16.
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Eckart Henning: Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie (s. Nr 7527), hier S. 30. Heinrich Buchenau: Grundriß der Münzkunde II. Leipzig, Berlin 1920, S. 85 (Aus Natur u. Geisteswelt. 657.). Göbl (wie Anm. 1), S. 63. Ib. S. 62; Max Bernhart/Tyll Kroha: Medaillen und Plaketten. 3. Aufl. (s. Nr 91), S. 4. August Loehr: Führer durch die Ausstellung der Bundessammlung von Medaillen, Münzen und Geldzeichen. Wien 1935 (s. Nr 1927), hier S. 124. Bernhart/Kroha (wie Anm. 12), S. 13 ff. Vgl. Eckart Henning: Analekten zur Geschichte der Diaristik. In: Archiv f. Kulturgesch. 56 (1974) 74–90, bes. S. 78 ff. Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Weimarer Ausgabe [Sophienausgabe], 1887– 1919, IV. Abth., Bd. 17, S. 55/56, 8.2.1804.
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II Auch wenn es bislang keine eigene Bibliographie zur Medaillenkunde gegeben hat17, so fehlte es doch in der Vergangenheit nicht an Versuchen, das numismatische Schrifttum in seiner Gesamtheit zu erfassen, die medaillenkundliche Literatur darin eingeschlossen. Auf diese Versuche sei daher kurz eingegangen, auch wenn eine ausführlichere Darstellung der Einleitung der „Bibliographie zur Münzkunde“ vorbehalten bleiben muß. Erwähnt seien zunächst die Arbeiten von Philippe Labbé (1664 u. ö.)18, Burkhard Gotthelf Struve (1693)19, Anselm Banduri (1719 u. ö.)20 und Franz Brückmann (1729)21, die sich mit unterschiedlichem Erfolg bemühten, das vorhandene Schrifttum in Bibliographien zu erfassen, vor allem aber die „Bibliotheca numismatica“ von Johann Christoph Hirsch, die 1760 in Nürnberg erschien22, und Carl Benjamin Lengnichs frühe „Beyträge zur Kenntnis seltener und merkwürdiger Bücher, mit besonderer Rücksicht auf die
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Als unzulänglicher Ersatz diente dem Kenner bisher die umfängliche Literaturzusammenstellung (70 Seiten!) Max Bernharts in der 2. Aufl. seiner erstmals 1911 erschienenen handbuchartigen Darstellung der „Medaillen und Plaketten“ (München 1920, s. Nr 16). Sie enthielt auch viele „numismatische Werke, in denen die Medaille nur am Rande berührt wurde“, wie Tyll Kroha mit einigem Recht im Vorwort zu der 3., von ihm völlig neubearb. Aufl. (Braunschweig 1966, Sonderausg. München 1984, s. Nr 91) bemängelte, doch hat er Bernharts Verzeichnis nun leider allzu entschlossen auf ganze 2 Seiten reduziert. – Als ähnlich hilfreich, wenn auch nur in 200 Exemplaren verbreitet, erwiesen sich die allerdings versteckten bibliographischen Angaben (55 Seiten!) in: Wolfgang Ritter v. Wurzbach-Tannenberg: Katalog meiner Sammlung von Medaillen, Plaketten und Jetons. Zugleich e. Handbuch für Sammler. Mit e. Literaturverz., vielen Daten u. numismat. Zitaten, e. Verz. d. Medailleure u. a. Beigaben. 2 Bde. Zürich, Leipzig u. Wien 1943. Repr. Hamburg 1978 (s. Nr 17). Philippe Labbé: Bibliotheca nummaria. Paris 1664 sowie London 1675. Burkhard Gotthelf Struve: Bibliotheca numismatum antiquorum. Jena 1693. Anselm Banduri: Bibliotheca nummaria, sive auctorum qui de re nummaria scripserunt, 2 Bde, Paris 1718, Hamburg 1719. Franz E. Brückmann: Bibliotheca numismatica oder Verzeichniss der meisten Schrifften so von Münzwissen handeln was hiervon sowohl Historici, Physici, Chymici, Medici als auch Juristen und Theologi geschrieben. Wolffenbüttel 1729. Sie ist nicht Teil des „Teutschen Reiches Münz-Archiv“ von Johann Christoph Hirsch (Nürnberg, T. 1 u. 2: 1756, T. 3: 1757, T. 4: 1758, T. 5: 1759, T. 6: 1760, T. 7: 1761, T. 8: 1766 u. T. 9: 1768, letzter Teil zugl. Gesamtregister), wie verschiedentlich zu lesen ist. Beim Münz-Archiv handelt es sich nicht um eine Bibliographie (Sekundärliteratur), sondern um eine Quellensammlung (Münzordnungen und -privilegien, das Münzrecht betreffende Rescripte, Gutachten, Reichs- u. Kreis-abschiede usw.) vom 8. bis 18. Jahrhundert in unübertroffener Reichhaltigkeit (Primärliteratur).
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Numismatik“ (2 Teile, Danzig u. Leipzig) aus dem Jahre 177623. Vor allem Hirschs Werk entnahm Johann Gottfried Lipsius für seine weiterführende „Bibliotheca numaria“ (Leipzig 1801, 558 Seiten) bereits ziemlich unkritisch ganze Abschnitte, doch ergänzte er sie auch ganz wesentlich und erschloß sie erstmals durch ein Sachregister, wobei er ebenso wie sein „Nachfolger“ Johann Jakob Leitzmann (1798–1877) in seinem Supplement für die Jahre 1800–1866 (Weißensee 1867, 190 Seiten) bestrebt war, auch die fremdsprachige Literatur anderer Länder universell zu berücksichtigen24. Lipsius und Leitzmann erzielten dabei noch eine erstaunliche Vollständigkeit (von ca. 7000 Titeln), die später nie wieder erreicht worden ist, so daß sie mit Recht beide von John Drury unter dem Titel „A bibliography of numismatic books, printed before 1800 with the supplement to 1866“ nachgedruckt wurden (Colchester 1977)25, auch wenn ihre Titelgenauigkeit natürlich noch nicht heutigen Vorstellungen entspricht. Alle später entstandenen Bibliographien konnten nicht mehr so umfassend sein bzw. mußten sich thematisch oder zeitlich begrenzen. Aus jüngerer Zeit seien vor allem die beiden Auswahlbibliographien von Philip Grierson „Coins and Medals, a Select Bibliography“ (London 1954, = Helps for Students. 56) und seine „Bibliographie Numismatique“ (Brüssel 1966, 235 Seiten; erneut 1979) genannt26, ferner von Elvira Eliza Clain-Stefanelli eine „Selected Numismatic Bibliography“ (New York 1964, 405 Seiten), der sie zwanzig Jahre später noch eine fast um das Fünffache vermehrte „Numismatic Bibliography“ (München 1985, 1848 Seiten) folgen ließ; angesichts der Versuche von Grierson und Clain-Stefanelli, eine Auswahl aus der internationalen Literatur zu treffen, ist es nur natürlich, daß sie nationalen Ansprüchen nicht genügen, was leider bei der deutschen medaillenkundlichen Literatur noch spürbarer wird als bei der münzkundlichen, zumal weder die numismatischen noch gar die landesgeschichtlichen Zeitschriften im deutschen Sprachraum27 auch nur annähernd ausgewertet worden sind.28
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Lengnich liefert Kritiken, u. a. über das raisonnierende Verzeichnis der Münzschriftsteller von Anselm Banduri: Bibliotheca nummaria. Hamburg 1719 (= Teildruck von: Banduri, Numismatica Imperatorum Romanorum. 2 Bde. Paris 1718. 544 u. 777 S.), S. 1–17; desgl. im 2. Bd, S. 151–154 über Hirschs „Bibliotheca numismatica“. Nürnberg 1760. 232 S. Leitzmann, Johann Jakob: Bibliotheca numaria (s. Nr 3). s. Nr 4. Grierson s. Nr 19. Vgl. Rez. v. Gert Hatz In: Hamburger Beiträge zur Numismatik 6 (1966) S. 575 ff. sowie in: 7 (1967) S. 251 ff. Reinhard Oberschelp: Die Bibliographien zur deutschen Landesgeschichte und Landeskunde. 2., völlig neu bearb. Aufl. 1977. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderh. 7.). s. Nr 38. Vgl. Rez. von Eckart Henning in: Der Herold, Vjschr. für Heraldik, Genealogie u. verwandte Wiss. N.F. 11 (1985) 167–168, und Klaus Schreiber in: Zs. f.
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Sieht man von wenigen Ausnahmen, wie Wilhelm Ernst Tentzels „Monatlichen Unterredungen“ (1689–98) einmal ab, die auch numismatische Fragen kritisch aufgriffen, setzten die eigentlichen, an die Stelle der „Münzbelustigungen“ des 18. Jahrhunderts tretenden Fachperiodika erst im 19. Jahrhundert ein, als das Sammeln von Münzen und Medaillen auch weitere Kreise des Bürgertums erfaßte29. Ihr medaillenkundlicher Inhalt ist, wenn auch lückenhaft, von Wilhelm David Koner in seinem „Repertorium über die vom Jahre 1800 bis zum Jahre 1850 in Akademischen Abhandlungen, Gesellschaftsschriften und wissenschaftlichen Journalen auf dem Gebiete der Geschichte und ihrer Hülfswissenschaften erschienenen Aufsätze“ (Berlin 1852–56) erfaßt worden30. Zu den auch für die Medaillenkunde bibliographisch belangvollen Zeitschriften gehörten neben J. J. Leitzmanns „Numismatischer Zeitung“ und Hermann Grotes „Blätter für Münzfreunde“ (1865 ff.) auch das „Literaturblatt“ als Beilage des „Numismatisch-Sphragistischen Anzeigers“ (Hannover 1875– 79), nachmals das „Numismatische Literaturblatt“ (u. a. Halle/S. 1880–1939), in denen sich beispielsweise Max v. Bahrfeldt als unermüdlicher Rezensent jahrzehntelang betätigte (gest. 1935). Es gab allerdings nur wenige Periodika, wie das „Archiv für Medaillen- und Plakettenkunde“ (6 Jgg., Halle 1913/14– 1925/26), die sich ausschließlich oder wenigstens vorzugsweise diesem numismatischen Spezialgebiet widmeten und dann auch die diesbezügliche Literatur eingehender berücksichtigten. Sie alle, darunter viele, recht kurzlebige Zeitschriften, sind inzwischen von Helmut Steinecke in seiner Bibliographie der „Deutschsprachigen Periodika“ verläßlich erfaßt worden (Sömmerda 1980)31.
29
30
31
Bibliothekswesen u. Bibliographie 32 (1985) 251–252, mit Berichtigung ebd. 33 (1986) S. 38. Vgl. Walter Grasser: Von der Münzbelustigung zur Fachzeitschrift. In: Programm der Numismatica 72, München 1971, S. 13–18, u. Helmut Caspar: Historische Münzbelustigungen, Groschenkabinette und andere numismatische Schriften. In: Marginalien 14/72, Berlin 1972, S. 30–36. W. D. Koner: Numismatik, in Bd 2, H. 3, S. 481–723, Nrn. 9431–12288. Es genügt nicht, für die Medaillenkunde nur die dafür ausgewiesenen Seiten 721–723 heranzuziehen, zumal Koner selbst auf S. 271 ausführt: „Eine große Anzahl von Medaillen sind bereits oben bei der Münzkunde der einzelnen Länder an den betreffenden Stellen eingereiht; auch finden sich zahlreiche kleinere Beiträge zur Medaillenkunde von Schlichtegroll in den Annalen für Numismatik, I, 1804, von Arneth in dem Hormayr’schen Archiv von 1824 und von Zipser in der Numismatischen Zeitung, fast in allen Jahrgängen.“ (s. Nr 15). Helmut Steinecke: Numismatische Bibliographie. Deutschsprachige Periodika. Sömmerda 1980. (Num. Beitrr. Sonderh. 6.) – Zur Ermittlung der genannten Periodika sei auf die Zeitschriftendatenbank, bearb. u. als Mikrofiches hrsg. vom Dt. Bibliotheksinstitut u. d. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin verwiesen. Hilfreich ist ferner: Helgard Sauer/Sigrid Stein: Standortverzeichnis von Zeitschriften und Serien zur bildenden Kunst in Bibliotheken der DDR. Dresden 1984. VII, 495 S. Heranzuziehen (bis 1900) ist weiterhin: Die Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes. Bd. 1 u. 2. bearb. von Joachim Kirchner, Bd. 3 von Hans Jessen. Stuttgart 1966–77.
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Heute gewährt die seit 1947 in New York erscheinende „Numismatic Literature“ international den besten Überblick, für Deutschland ergänzt durch die kritische Berichterstattung in den „Hamburger Beiträgen zur Numismatik“ (ebenfalls seit 1947) und durch das „Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte“ (München 1949 ff.), ferner durch viele bibliographische Angaben in den „Numismatischen Beiträgen“ des Kulturbundes der ehem. DDR; wissenschaftlich weniger ergiebig für den vorliegenden Zweck sind dagegen das „Numismatische Nachrichtenblatt“ (Hamburg 1951 ff.) sowie die „Geldgeschichtlichen Nachrichten“ (Frankfurt/M. 1966 ff.). Abschließend sei noch auf die zumindest allen Historikern geläufigen bibliographischen Nachschlagewerke der Geschichtswissenschaft hingewiesen, die sich die Numismatik ja nicht ohne Grund zu ihrer Hilfswissenschaft wählte, so auf die in Leipzig erarbeiteten „Jahresberichte der (seit 1927: für) deutsche(n) Geschichte“ 1920–1942 (für 1918–40 auch mit Inhaltsangaben und Forschungsberichten) nebst „Neuer Folge“ 1949 ff. (ohne die letzteren), die allerdings selten aktuell genannt zu werden verdienten. Für die, die Geschichte lehren oder studieren, hat daher Gert Hatz an prominenter Stelle, in der 10. Auflage der von Dahlmann-Waltz begründeten „Quellenkunde zur deutschen Geschichte“, das bibliographische Grundwissen zur Numismatik zusammengestellt. In dieser für die Medaillenkunde durchaus unbefriedigenden bibliographischen Lage begannen die Bearbeiter im Jahre 1983, das verstreute Titelmaterial zu sammeln und systematisch zu ordnen. Dabei konnte P. Hauke sich auf ihre bibliothekarischen Erfahrungen stützen, u.a. in der dienstlichen Betreuung der im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz untergebrachten Spezialbibliothek des Herold, Vereins für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin (gegr. 1869)32. E. Henning bezog seine Anregung zu dieser Bibliographie aus dem numismatischen Kolleg von Peter Berghaus an der Marburger Archivschule (1970). Wertvolle wissenschaftliche Hinweise und Hilfe bei der Titelermittlung und Buchbeschaffung mit Ersatzkopien sowie bei technischen Arbeiten fanden die Bearbeiter bei Brita Augsten (Meiningen), Rudolf Bienas (Wismar), Lore Börner (Berlin), Herbert Goebel (Frankfurt/M.), Jürgen Gottschalk (Berlin), Erhardt Henning (Berlin), Norbert Jaschke (Köln), Niklot Klüßendorf (Marburg/L.), Erna v. Reichenbach (Hamburg), Ingeborg Schmitz (Göttingen), Hans-Dietrich Schulz (Berlin) und Wolfgang Steguweit (Berlin). Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt, wie auch den in der Sigelliste aufgeführten Bibliotheken, in Berlin insbesondere der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Gabriele Ziegler), der Universitätsbibliothek 32
Vgl. Eckart Henning unter Mitarbeit von Petra Hauke und Gabriele Jochums: Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin. In: Bibliographie und Berichte. Festschrift für Werner Schochow, hrsg. von Hartmut Walravens. München 1990, S. 34–122.
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der Freien Universität Berlin (Barbara Budil), der Bibliothek des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (Herzeleide Henning) und der Spezialbibliothek des Vereins Herold im Geheimen Staatsarchiv; die genannten Bibliotheken des In- und Auslandes sowie der ehemaligen DDR wurden in der besonderen Lage von Berlin (West) vor der Vereinigung beider deutscher Staaten zu einer größeren Bundesrepublik von den Bearbeitern ganz besonders in Anspruch genommen und haben ihre Bestände im Rahmen des Leihverkehrs großzügig zum Zwecke der Titelklärung bzw. der Klassifikation zur Verfügung gestellt, ehe die Öffnung der „Mauer“ in der Schlußphase der Arbeiten zu dieser Bibliographie auch die direkte Nutzung der Buchbestände beispielsweise im Münzkabinett der Staatlichen Museen und in der Berliner Stadtbibliothek erleichterte.
III Der Erfassungsraum dieser „Bibliographie zur Medaillenkunde“ entspricht, wie ihr Untertitel angibt, grundsätzlich dem deutschen Sprachraum, berücksichtigt also auch das österreichische Schrifttum zur Medaillenkunde, wie das einiger früher deutsch publizierender Randgebiete des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, allerdings nicht das der Schweiz (wo eine Beschränkung auf das deutsche Titelmaterial allzu willkürlich erschienen wäre). Aufgenommen wurden auch in deutscher Sprache verfaßte Arbeiten über ausländische Themen sowie fremdsprachige Aufsätze deutscher Autoren über deutsche Medaillen, schließlich ältere Literatur in lateinischer bzw. französischer Sprache. Die Erfassungszeit reicht bis 1990 (in Ausnahmefällen bis 1991), doch verzeichnet die vorgelegte Fachbibliographie nicht nur die Literatur nach 1866, sondern kumulierend auch das wichtigste ältere medaillenkundliche Titelmaterial der von Hirsch, Lipsius und Leitzmann erarbeiten numismatischen Schrifttumsverzeichnisse. Ziel der vorliegenden Arbeit war es mithin, eine abgeschlossene retrospektive, aber keine periodische Bibliographie zur Medaillenkunde zu erstellen, was nicht ausschließt, daß das später gesammelte Titelmaterial einmal bei Neuauflagen oder Ergänzungsbänden vorgelegt wird. Die von den Bearbeitern angestrebte Primärbibliographie, d. h. ein ganz auf Autopsie beruhendes Schrifttumsverzeichnis, ließ sich freilich wegen des von nur zwei Bearbeitern kaum noch überschaubaren Titelgutes nicht voll verwirklichen; immerhin hatten sie aber noch gut zwei Drittel aller Titel selbst in der Hand. Dennoch blieb das Risiko, einen unklaren Titel falsch einzuordnen, unvermeidlich. Es wurde Wert auf die größtmögliche Vollständigkeit der Titelangaben gelegt (etwa auf nicht abgekürzte Vornamen, auf genaue Paginierung von der ersten bis zur letzten Seite statt „f.“ oder „ff.“), damit solche Arbeiten in Bibliotheken aufzufinden bzw. nachzuprüfen sind. Zur Erleichterung ist jedem Titel das Sigel einer besitzenden
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Bibliothek beigefügt worden, was natürlich nicht ausschließt, daß er auch noch andernorts vorhanden ist. Ausgewertet wurden die oben angesprochenen numismatischen Schrifttumsverzeichnisse, gedruckte und ungedruckte Kataloge von Spezialbibliotheken, landesgeschichtliche und kunsthistorische Bibliographien sowie Zeitschriften und einschlägige Fachliteratur. Wo es für das Verständnis der einzelnen Titel unbedingt notwendig erschien, wurden in eckigen Klammern erläuternde Hinweise hinzugefügt. Neben Monographien und Aufsätzen, die möglichst vollständig erfaßt wurden, soweit ihre Titel einen medaillenkundlichen Bezug erkennen ließen (also keine versteckten Titel!), konnten Kurzmitteilungen, auch Zeitungsartikel und Rezensionen, wenn sie nicht von grundsätzlichem Belang waren, angesichts der Titelfülle nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Auch bloße Abbildungsnachweise von Medaillen usw. fehlen hier, da sie u. E. als bloße Fundstellenangaben für Einzelstücke nicht in eine Bibliographie gehören. Wie die meisten Schrifttumsverzeichnisse enthält auch das vorliegende „nur“ eine bloße Aufzählung von Titeln, die jedoch erstmals in der Medaillenkunde systematisch nach Sachgebieten geordnet wurden, innerhalb der Untergruppen chronologisch, topographisch oder nach Schlagwörtern. Grundsätzlich hatte bei der Einordnung der Titel der sachliche Bezug Vorrang vor dem regionalen oder personenbezogenen. Es muß daher auch bei der Suche von Titeln zu einem bestimmten Ort, einer Familie oder Person usw. das beigegebene umfangreiche Orts- und Familiennamenregister befragt werden, das dazu beitragen möchte, fehlende Verweise zu ersetzen – obwohl u. E. daran nicht gespart worden ist – und um Zusammenhänge aufzuzeigen. Zur Systematik selbst, die nicht nur ein Findbehelf für Sammler sein will, vielmehr als Vorschlag für eine umfassende Stoffgliederung des Gebietes der Medaillenkunde verstanden werden möchte, lagen den Bearbeitern keine neueren Muster aus diesem Fachgebiet vor, sieht man einmal von Robert Göbls Vorschlag (1987) ab, der auf der praktischen Neuordnung von Stiftssammlungen in Österreich beruht; er scheint ihn in dieser teils noch undifferenzierten, teils aber auch allzu speziellen Form publiziert zu haben, da „einmal ein Anfang gemacht werden“ muß, wohl wissend, daß er auch jetzt, nach mehreren Abänderungen, „gewiß nur eine von mehreren Möglichkeiten“ bietet.33 Eine gewisse Orientierung bot den Bearbeitern eher die Stoffgliederung zur Heraldik (1984) aus dem ersten Band dieser bibliographischen Reihe, die aber auch nicht einfach analog übernommen werden konnte. Selbst die hier gewählte modifizierte Form muß ihre Brauchbarkeit erst unter Beweis stellen bzw. sich in der Praxis bewähren. Sie ist weniger als ein erster deduktiver Versuch anzusehen, Ordnung in das Titelgut zu bringen, als vielmehr induktiv aus dem Material selbst eine Systematik zu entwickeln oder doch vorhandene Strukturen darin aufzudecken. 33
Göbl (wie Anm. 1), S. 88, vgl. S. 63–64.
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Zu den einzelnen Gruppen: A In der Gruppe „Bibliographien und Periodika“ liegt der Schwerpunkt bei denjenigen Werken, die die medaillenkundlichen Titel gesondert erfassen (A–I–2), was auf keineswegs alle numismatischen, aber auch nicht auf alle kunsthistorischen oder gar landesgeschichtlichen Schrifttumsverzeichnisse zutrifft. Die meist mit Nachrufen oder Jubiläen verbundenen „Publikationsverzeichnisse einzelner Autoren“ fanden kaum Berücksichtigung, da sich nur wenige Numismatiker ganz überwiegend mit den Medaillen befaßt haben, die übrigen aber erst in der angekündigten „Bibliographie zur Münzkunde“ aufgenommen werden sollen, vgl. auch Abschnitt F. Zeitschriften wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie sich in ihrem Titel oder Untertitel ausdrücklich als für Medaillen „zuständig“ bezeichnen; Sigelangaben fehlen dann, wenn diese Zeitschriften in keiner Bibliothek vollständig nachweisbar waren. Der Abschnitt A enthält ferner einzelne Sammelwerke (= Serien), wie die von Köhler oder Lochner herausgegebenen bzw. diverser Münzbelustigungen, die hier erstmals vollständig ausgewertet wurden. B Da die Übergänge zwischen der nach Umfang und Niveau sehr unterschiedlichen propädeutischen Literatur zu gewichtigeren Handbüchern fließend sind, ist darauf verzichtet worden, etwa Leitfäden von Lehrbüchern zu trennen, so daß die „Allgemeine und einführende Literatur“ zusammengefaßt wurde, vgl. auch die „Überblicksdarstellungen“ in Abschnitt C. C Die hier genannten Schriften zeugen noch von einem Defizit der Forschung bzw. relativ geringer Beschäftigung mit der neueren Geschichte der Medaille, während der Forschungsschwerpunkt nach wie vor in der Renaissance liegt; zusammenfassende historische bzw. stilgeschichtliche Arbeiten zur italienischen oder deutschen Renaissancemedaille finden sich in diesem Abschnitt, nicht etwa in den Ländergruppen von G, wo im übrigen auf C verwiesen wird. D Wegen des Sachvorranges bei der Einordnung gegenüber topographischen usw. Aspekten sei darauf hingewiesen, daß sich beispielsweise unter D–II Arbeiten zur Motivwahl (Alchemie, Astrologie usw.) einzelner Medaillen befinden, die sonst im Abschnitt G–IX nicht genügend zur Geltung gekommen wären. Hinsichtlich der Literatur zu einzelnen Medailleuren wurden von den einschlägigen Nachschlagewerken ausnahmsweise auch „Thieme-Becker“34 und „Vollmer“35 ausgewertet (aber keine noch allgemeineren Lexika), um damit den Zugang zur weiterführenden 34
35
Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. (später: begründet) von Ulrich Thieme u. Felix Becker. 37 Bde. Leipzig 1907 – 1946. – Nachdr. 1985. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, hrsg. von Hans Vollmer. 6 Bde. in versch. Aufl. Leipzig 1953 ff.
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Literatur über einzelne Künstler und ihr sonstiges Schaffen zu eröffnen, aber auch um Abbildungs- und Fundstellennachweise einzelner Medaillen – etwa in Katalogen zum Gesamtwerk – auffinden zu helfen. E Diese unerwartet kleine Gruppe der Titel zu „Rechtsfragen“ würde anwachsen, wollte man auch alle Einzelgesetze der Landesfürsten bzw. deutscher Teilstaaten zum Prägen von Münzen und Medaillen bzw. zum Münzrecht und seinen einschlägigen Nebenbestimmungen mit einbeziehen. Hierfür sei zunächst auf die unersetzliche Quellensammlung des „Teutschen Reiches Münz-Archiv“ von Johann Christoph Hirsch verwiesen (vgl. Anm. 22), ferner auf die Gesetzessammlungen der jeweiligen Territorien. F Wegen der besonderen Bedeutung gewachsener, meist an einem Ort von einer Sammlerpersönlichkeit über einen vergleichsweise langen Zeitraum geprägten Sammlungen wurden diese auch dann nicht thematisch aufgeteilt, wenn eine Zuweisung zu einzelnen Sachgebieten bei Sondersammlungen zu Berufen usw. möglich gewesen wäre, anders als die vergänglichen, allenfalls in ihren Katalogen „überlebenden“ Ausstellungen. Bei ihnen erfolgte, soweit möglich, in der Tat eine thematische Zuweisung in die entsprechenden Sachgruppen. Auktionskataloge36 sind nur ausnahmsweise aufgenommen worden, wenn die Person des Sammlers oder sein Sammelgebiet es geraten erscheinen ließen. G Die in diesem speziellen Abschnitt noch fehlenden Einzelmedaillen sind, da von systematischem Interesse, in den allgemeineren Teilen A bis F untergebracht worden, aber durch Verweise auf G – sowie über die Register – auffindbar. Im Abschnitt G–I ist zwar die Literatur über einzelne Länder enthalten, nicht aber beispielsweise diejenige zu einzelnen Städten dieser Länder oder ihren Bewohnern; hier gilt das Prinzip „Städte bei Städten“ (s. G–V) und „Personen bei Personen“ (s. G–VIII–7). Im Teil G–IV „Deutsche Länder und Landschaften“ sind nur die weltlichen Territorien des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation aufgeführt, nicht dagegen die geistlichen, wie z. B. Kurköln, Kurmainz, Kurtrier, was sich als praktisch erwies, auch wenn es historisch nicht korrekt ist; diese Reichsstände befinden sich unter G–XI–3 und G–XI– 5/6 bei „Kirche und Religion“, und zwar für die ganze Zeit ihres Bestehens, also auch vor 1806. Ferner sind die Dynastien nicht unter den von ihnen regierten Ländern (also Wittelsbach 36
Wer die „... Auktionskataloge numismatischer Bibliotheken“ ermitteln möchte, sei auf die von Gerhard Loh (Universitätsbibliothek Leipzig) begründeten Reihen „Bibliographie der Auktionskataloge“ (BAK) und „Internationale Bibliographie der Auktionskataloge“ (IBAK) verwiesen, ferner auf den von Dieter Raab bearb. Katalog zur „Numismatischen Bibliothek Adolph Hess“ der Fa. Dr. Busso Peuss Nachf., Frankfurt a. M. 1991, S. 8 f u. S. 110–166. Eine Gesamtbibliographie der deutschsprachigen numismatischen Auktionskataloge plant die Fa. Tietjen & Co., Hamburg (analog zu britischen und amerikanischen Katalogen von H. E. Manville u. T. J. Robertson 1986 bzw. von J. W. Adams 1982).
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nicht unter Bayern, Pfalz usw.) zu suchen, sondern unter Familien (G–VII), da ihnen in der Regel, wie auch den Hohenzollern, Welfen usw. nicht nur ein Territorium verliehen war bzw. dieses auch wechselte. So befindet sich zwar die Literatur zu den Medaillen des Hauses Anhalt unter G–IV Anhalt – hier deckt sich der Name des Hauses mit dem des regierten Territoriums – aber nicht alle die Hohenzollern betreffenden Medaillen sind auch unter Brandenburg-Preußen zu finden. Die meisten anderen thematischen Gruppen im Abschnitt G bedürfen kaum näherer Erläuterungen, sieht man von den Gelegenheitsmedaillen ab: Sie enthalten In G–VIII in der Regel die generellen oder umfassenderen Titel, z. B. der Medaillen auf Geburt und Tod, während die spezielleren auf die Geburt und den Tod von Einzelpersonen auch diesen unter G–VIII–7 namentlich zugeordnet sind. Eine Ausnahme bildet die Gruppe G–VIII–3, in der die Literatur über Medaillen auf einzelne Eheschließungen oder -jubiläen nach dem erstgenannten Ehepartner geordnet wurde. Nicht namentlich sind dagegen Medaillentitel „aus der Zeit“ des Sonnenkönigs oder Maria Theresias zugeordnet worden, da sie in der Regel nicht persönlich Ludwig XIV. oder dieser Kaiserin gelten, sondern die Herrschernamen nur als Zeitangabe dienten. Solche Titel erscheinen unter ihren Ländern, hier Frankreich, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation oder unter Österreich. Unter den Berufen der Gruppe G–IX–114 fehlen die „Medailleure“, d. h. das sie betreffende Titelgut ist nicht den „Künstlern“ zugeordnet worden, sondern – wie erwähnt – der speziellen Medaillenkunde unter D–IV–1/4, wo, anschließend an die Herstellungsverfahren, auch die „Hersteller“ selbst, nämlich die entwerfenden und ausführenden Medailleure selbst zu nennen waren. Erläuterungsbedürftig erscheint schließlich noch die Gruppe G–XIII der „Ereignisse“ zu sein, in die nur solche Titel aufgenommen worden sind, in denen historische Ereignisse konkret angesprochen und zeitlich genau bestimmbar waren. Doch nicht nur die Literatur über Medaillen auf Ereignisse, sondern auch auf deren Wiederkehr fand Aufnahme, d. h. Jubiläumsmedaillen sind beim Ereignis selbst chronologisch eingereiht worden, nicht beim Erinnerungsjahr . H Außer an dieser Stelle finden sich Ansätze zu Medaillenserien besonders häufig in der Gruppe der Gelegenheitsmedaillen (G–VIII); auch die „Schraubtaler und -medaillen“, hier als Besonderheit des Herstellungsverfahrens begriffen (D–I–4), könnten hinsichtlich des Bildinhalts seriell verstanden werden. I Die Literatur über die antiken Vorläufer37 der Medaillen (I–I–1/6) wurde hier ebenso wie die über die medaillenähnlichen Objekte zusammengestellt; zu ihnen gehören die „Gnadenpfennige“ (1–11–1/3) als Vorläufer
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Hier konnte nur eine Literaturauswahl geboten werden, die auf die Medaillone im engeren Sinne beschränkt blieb, also nicht auf Solidi usw. ausgedehnt wurde.
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der Orden38 ebenso wie alle übrigen tragbaren Medaillen (1–111–1/6), die man als Auszeichnungen eigentlich genausogut dem Gebiet der Phaleristik zurechnen könnte, schließlich – als nächste Verwandte der Medaillen – die Plaketten. Einige wenige Titel, die auf Wechselbeziehungen zwischen der Medaillenkunde und anderen Disziplinen der Historischen Hilfswissenschaften aufmerksam machen und damit auf interdisziplinäre Verknüpfungen, die größtenteils noch zu bearbeiten wären, beschließen das Titelgut zu diesen Randgruppen. K Als „Nachträge“ wurden hier erst spät verifizierbare Titel oder letzte Neuerscheinungen der numismatischen Forschung gesammelt. Diese Titel konnten aus drucktechnischen Gründen nicht mehr den entsprechenden Systematikgruppen zugeordnet werden, sind jedoch für das Register ausgewertet worden. Numismatiker arbeiten, so warf ihnen Bernhard Overbeck (1968)39 vor – in „selbstverschuldeter Abgeschlossenheit“ – vorwiegend füreinander, auch erfülle ihr Fach kaum hilfswissenschaftliche Funktionen, weil es seine Forschungsergebnisse den Nachbarwissenschaften nicht in geeigneter Form zugänglich mache. Sollte an diesen Vorwürfen noch immer etwas Wahres sein, so vermag diese Bibliographie wie Overbecks für die „bayerische Münzund Geldgeschichte“ vielleicht wenigstens für das Spezialgebiet der Medaillenkunde die Situation zu verbessern.40 Die Bearbeiter hoffen, mit ihrer Bibliographie, die erstmals den Medaillen wirklich gerecht wird, indem sie die weitere Vermischung von münzenund medaillenkundlicher Literatur beendet – nicht nur den Museen und Sammlungen, sondern auch den Bibliotheken und dem Buchhandel (Antiquariaten) zu dienen, ferner den numismatischen, landes- und kunsthistorischen Gesellschaften, den Münz- und Medaillenhandlungen und allen Privatsammlern, soweit sie sich mit Medaillen beschäftigen. 38
39
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Unter Gnadenpfennigen sind „fürstliche Porträtmedaillen“ zu verstehen, die von den Porträtierten als Ehrenbezeugung an Gleichgestellte oder als Gnadenbeweis an Untertanen vergeben wurden, wobei ihre „Ausstattung mit Öse und Henkel“ typisch ist. Vgl. Lore Börner: Deutsche Gnadenpfennige. Ein Beitr. zur Porträt- u. Kulturgeschichte d. Medaille d. 16. u. 17. Jahrhunderts. Masch. Phil. Diss. Halle/S. 1970, S. 5. Bernhard Overbeck: Bibliographie der bayerischen Münz- und Geldgeschichte. Wiesbaden 1968, S. VII. Diese Einleitung ist vorab bereits in gekürzter Form zur Diskussion gestellt worden, um noch Anregungen oder Ergänzungen berücksichtigen zu können; vgl. Eckart Henning: Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie, in: Vierteljahrsschrift Herold N.F. 13 (1992), S. 273–279. – Die eingangs als geplant bezeichneten Bibliographien zur Münzkunde und zum Papiergeld sind nicht erschienen, auch ist diese „Bibliographie zur Medaillenkunde“ nicht – wie oben erwogen – beim Kölner Böhlau-Verlag in der Reihe „Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaft“ als Band 3, sondern 1993 in Bad Honnef bei Bock + Herchen veröffentlicht worden.
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Stoffgliederung der Medaillenkunde (zugleich Inhaltsübersicht der „Bibliographie zur Medaillenkunde, Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990“, bearbeitet von Petra Hauke und Eckart Henning. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Steguweit. Bad Honnef: Bock + Herchen 1993) A BIBLIOGRAPHIEN UND PERIODIKA . .............................................. I. Bibliographien, Forschungsberichte . .................................................. 1. Numismatische Literatur . .............................................................. 2. Medaillenkundliche Literatur . ....................................................... a) Periodisch .................................................................................. b) Retrospektiv .............................................................................. 3. Publikationsverzeichnisse einzelner Autoren ............................... II. Zeitschriften und Serien ....................................................................... B ALLGEMEINE UND EINFÜHRENDE LITERATUR ........................ C GESCHICHTE ............................................................................................. I. Überblicksdarstellungen . ..................................................................... II. Einzelne Epochen ................................................................................. 1. Frühzeit ............................................................................................ 2. Renaissance ...................................................................................... 3. Barock, Rokoko .............................................................................. 4. Klassizismus . ................................................................................... 5. Vom Biedermeier bis zum Jugendstil . ........................................... 6. Moderne ........................................................................................... D MEDAILLENHERSTELLUNG, -GEWERBE UND -KUNST ........... I. Herstellungsverfahren .......................................................................... 1. Getriebene, geprägte und gegossene Medaillen ............................ 2. Porzellanmedaillen .......................................................................... a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Einzelne Manufakturen . .......................................................... 3. Weitere Sondermaterialien .............................................................. 4. Schraubtaler und -medaillen ........................................................... II. Inhalte .................................................................................................... 1. Bildmotive . ...................................................................................... 2. Auf- und Randschriften .................................................................. III. Prägeanstalten, Gießereien, Münzstätten . .......................................... IV. Medailleure ............................................................................................ 1. Zusammenfassende Darstellungen ................................................. 2. Länder und Landschaften ............................................................... 3. Orte .................................................................................................. 4. Einzelne Medailleure . .....................................................................
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Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie
E RECHTSFRAGEN ...................................................................................... F ORGANISATIONSFORMEN . ................................................................. I. Sammelgebiet . ....................................................................................... II. Aufbewahrung, Pflege und Konservierung von Sammlungen .......................................................................................... III. Reproduktionen .................................................................................... IV. Öffentliche Sammlungen ...................................................................... V. Privatsammlungen und -sammler ........................................................ VI. Medaillenausstellungen . ....................................................................... VII. Wettbewerbe . ........................................................................................ VIII. Vereinigungen . ...................................................................................... IX. Kongresse .............................................................................................. X. Lehrfach . ............................................................................................... G MEDAILLENGRUPPEN UND EINZELNE MEDAILLEN .............. I. Europa und außereuropäische Staaten ................................................ 1. Zusammenfassende Darstellungen ................................................. 2. Einzelne Länder . ............................................................................. II. Papsttum ................................................................................................ III. Deutschland und Österreich ................................................................ 1. Deutschland (mit Österreich bis 1806 sowie Kolonien und Auslandsdeutschtum) .............................................................. 2. Deutsche Demokratische Republik (1949–1990)........................... IV. Deutsche Länder und Landschaften (einschließlich der österreichischen bis 1806) . ................................................................... V. Kommunen . .......................................................................................... 1. Zusammenfassende Darstellungen ................................................. 2. Bezirke und Kreise .......................................................................... 3. Orte .................................................................................................. VI. Institutionen .......................................................................................... 1. Akademien ....................................................................................... 2. Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen ................................ a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Orte . .......................................................................................... 3. Schulen ............................................................................................. a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Orte . .......................................................................................... 4. Stiftungen ......................................................................................... 5. Museen ............................................................................................. 6. Gesellschaften, Vereine, Clubs ....................................................... 7. Gewerkschaften ............................................................................... 8. Freimaurer ....................................................................................... 9. Schützenwesen . ...............................................................................
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a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Orte . .......................................................................................... 10. Sport ................................................................................................. 11. Ausstellungen, Kongresse . ............................................................. a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Orte . .......................................................................................... VII. Familien.................................................................................................. VIII. Gelegenheiten .................................................................................. 1. Geburt und Taufe, Firmung und Konfirmation ........................... a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Einzelne Prägungen .................................................................. 2. Freundschaft und Liebe .................................................................. 3. Hochzeit und Ehejubiläen .............................................................. a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Einzelne Prägungen .................................................................. 4. Krankheit und Tod .......................................................................... 5. Kalender- und Jahresmedaillen ...................................................... 6. Weihnachten . ................................................................................... 7. Einzelpersonen ................................................................................ IX. Berufe und Stände ................................................................................. 1. Akademiker . .................................................................................... a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Astronomen .............................................................................. c) Ärzte .......................................................................................... d) Apotheker ......................................................................................... e) Sonstige . ............................................................................................ 2. Künstler . .......................................................................................... a) Musiker . .................................................................................... b) Schriftsteller .............................................................................. c) Sonstige . .................................................................................... 3. Handwerker, Arbeiter ..................................................................... a) Arbeiterbewegung .................................................................... b) Buchdrucker . ............................................................................ 4. Sonstige ............................................................................................ X. Wirtschaft und Verkehr ........................................................................ 1. Handel und Gewerbe ...................................................................... 2. Bergbau, Flußgoldgewinnung ........................................................ a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Orte, Regionen . ........................................................................ c) Flußgoldgewinnung . ................................................................ 3. Industrie ........................................................................................... 4. Landwirtschaft . ............................................................................... 5. Geldwesen . ...................................................................................... a) Banken .......................................................................................
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b) Not- und Teuerung . ................................................................. e) Sonstiges .................................................................................... 6. Verkehr ............................................................................................. a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Luft- und Raumfahrt ................................................................ e) Schiene und Straße . .................................................................. d) Wasserwege ............................................................................... XI. Kirche und Religion . ............................................................................ 1. Biblische Gestalten und Sentenzen ................................................ 2. Kirche allgemein .............................................................................. 3. Erzbistümer und Bistümer ............................................................. 4. Sedisvacanzen .................................................................................. 5. Stifter (Abteien, Probsteien, Klöster) und einzelne Kirchen ....... a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Einzelne Stifter und Kirchen ................................................... 6. Geistliche Orden und Bruderschaften ........................................... a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Einzelne Orden und Bruderschaften....................................... 7. Wallfahrten und Weihegaben . ........................................................ a) Zusammenfassende Darstellungen .......................................... b) Sammlungen, Ausstellungen .................................................... e) Länder und Landschaften ........................................................ d) Orte . .......................................................................................... e) Wundertätige Medaillen ........................................................... f) Sonstige . .................................................................................... 8. Wiedertäufer .................................................................................... 9. Reformation und Gegenreformation ............................................. 10. Salzburger ........................................................................................ 11. Hugenotten ...................................................................................... 12. Juden . ............................................................................................... 13. Aberglaube, Amulette, Talismane .................................................. XII. Krieg und Frieden, Spott und Propaganda ......................................... 1. Krieg und Frieden ........................................................................... 2. Einzelne Truppenteile ..................................................................... 3. Spott ................................................................................................. 4. Propaganda ...................................................................................... XIII. Ereignisse ......................................................................................... XIV. Kuriositäten ........................................................................................... H MEDAILLENSERIEN ................................................................................ I MEDAILLENÄHNLICHE OBJEKTE, BEZIEHUNGEN ZU NACHBARWISSENSCHAFTEN ..................................................... I. Antike Medaillone (mit Kontorniaten) ...............................................
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1. Allgemeines . .................................................................................... 2. Sammlungen . ................................................................................... a) Öffentliche Sammlungen . ........................................................ b) Privatsammlungen .................................................................... 3. Orte .................................................................................................. 4. Personen . ......................................................................................... 5. Fundstätten ...................................................................................... 6. Kontorniaten ................................................................................... II. Gnadenpfennige (Medaillenkleinode) ................................................. 1. Zusammenfassende Darstellungen ................................................. 2. Einzelne Fürsten . ............................................................................ 3. Sonstige ............................................................................................ III Orden und Auszeichnungen ................................................................ 1. Orden allgemein .............................................................................. 2. Orden auf Medaillen ....................................................................... 3. Prägungen auf Orden ...................................................................... 4. Militärische Ehrenzeichen, Tapferkeitsmedaillen ......................... a) Militärische Ehrenzeichen . ...................................................... b) Tapferkeitsmedaillen . ............................................................... 5. Zivile Verdienstmedaillen ............................................................... a) Allgemeines ............................................................................... b) Länder, Bistümer . ..................................................................... c) Orte . .......................................................................................... 6. Lebensrettungs- und Feuerwehrmedaillen . .................................. IV. Plaketten ................................................................................................ 1. Allgemeines . .................................................................................... 2. Sammlungen, Ausstellungen . ......................................................... 3. Prägestätten . .................................................................................... 4. Künstler . .......................................................................................... 5. Orte .................................................................................................. 6. Institutionen .................................................................................... 7. Personen . ......................................................................................... 8. Karneval ........................................................................................... 9. Sonstige ............................................................................................ V. Nachbarwissenschaften . ........................................................................... VI. Sonstige .................................................................................................. K NACHTRÄGE .............................................................................................
„Veni creator spiritus“ Die Harnack-Medaille, höchste Auszeichnung der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1924–2004*
Münzen und Medaillen werden, wie eben festgestellt, oft „in einen Topf geworfen“. Technische Gemeinsamkeiten im Herstellungsverfahren, von Material und Form reichten vielfach aus, Medaillen nur als Münzen ohne Kurswert zu betrachten, sie gar „pseudomonetären Formen“ zuzurechnen. Entsprechend dazu stellte Robert Göbl in seinem numismatischen Grundriß fest: „Das Hauptcharakteristikum ist also Münzverwandtschaft verschiedener Art und Grade“. Doch abgesehen davon, daß Medaillen meist aus edlerem Stoff gemacht und größer und schwerer als Münzen sind, fallen andere Unterschiede mehr ins Gewicht: Sie sind Schaustücke, dazu bestimmt, an einzelne Personen – in diesem Falle an Harnack – oder an Ereignisse zu erinnern. Die Medaille ist, um es mit Kurt Regling zu sagen, ein „Erinnerungsstück“, das Vergangenes vergegenwärtigt und Vergänglichem trotzt, indem sie es verewigt. Darin ist sie gerade nicht „münzähnlich“, wie auch Regling einräumen mußte, obschon zweckgebunden wie Münzen, nur daß eben dieser Zweck ein ganz anderer ist, hervorgerufen durch unterschiedlichste Anlässe und Interessen. Die Medaille ist als gesetzliches Zahlungsmittel nichts wert, ihre Bedeutung liegt im – oft künstlerisch gesteigerten – Memorialwert. Sie ist damit dem manchmal eintönigen Kurantgeld oder gar den Scheidemünzen viel weniger verwandt als dem Schmuck, sie spiegelt – oft nur in kleinen Auflagen hergestellt – Kunstgeschichte in dekorativer Weise wider. Doch gerade die Kunstgeschichte hat sie nur wenig gewürdigt – wie sie auch der Siegel als Kleinstkunstwerke von hohem ästhetischen Reiz erst in den letzten Jahrzehnten gewahr wurde. In der Tradition von Heinrich Eduard Bolzenthai und Alfred Lichtwark ist es heute vor allem das Verdienst von Wolfgang Steguweit, die Medaillen nicht länger negativ aus den Münzen abzuleiten, sondern sie positiv als „handliche Kleinreliefs“ im Dienste des Gedenkens zu umschreiben. Medaillen sind in der Tat, was viel weniger auf Münzen zutrifft, eine „Sonderform der Reliefplastik“, wie auch Plaketten, denen trotz ähnlicher Thematik als vier- und mehreckige, *
Erstmals abgedruckt in Herold-Jahrbuch N.F. 10 (2005), S. 109–126 (m. 2 Abb.), anschließend erweitert als Einleitung der Monographie von Eckart Henning und Marion Kazemi: Die Harnack-Medaille (1924–2004). Berlin 2005, 176 S., hier S. 9–46 m. 16 Abb.(= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der MaxPlank-Gesellschaft, 19); vgl. außerdem den dritten Abdruck mit 12 z. T. farbigen Abb., in: Orden und Ehrenzeichen. Jahrbuch 2006, S. 90–103.
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manchmal ovale Objekte ein größerer oder doch anderer Gestaltungsspielraum als die gerundete Medaille zur Verfügung steht. Der Begriff „Medaille“ leitet sich von lateinisch metallum ab, der im Mittelalter Kleinmünzen, später ausgeschiedene bzw. außer Kurs gesetzte meinte (italienisch medaglia, französisch médaille). So lautet jedenfalls die allgemeine Lehrmeinung, doch könnte auch eine andere Ableitung, nämlich von italienisch metaglia, richtig sein, womit in Renaissanceinventaren metallene Kameenabgüsse bezeichnet worden sein sollen. Als Geburtsjahr der (Guß-)Medaille gilt allgemein 1438, als Antonio Pisano (1380–1451), genannt Pisanello, in Ferrara ein Rundporträt des vorletzten oströmischen Kaisers Johannes VIII. Palaiologos schuf, die beiden kleinen Carrarafürsten-Medaillen eines anonymen Künstlers aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert einmal nicht gerechnet. Die Medaille ist Ausdruck des erwachenden Individualgefühls des Menschen in der Renaissance, des geschärften Sinns für die Bedeutung der Persönlichkeit und der Unwiederholbarkeit aller Ereignisse, an die sichtbar zu erinnern, ihre Absicht ist. Ihr bleibender Wert ist von Goethe (1804) einmal unübertrefflich beschrieben worden: „Eine Medaille hat, durch ihre mögliche Verbreitung, durch ihre Dauer, durch Überlieferung der Persönlichkeit in einem kleinen Raum, durch Documentirung allgemein anerkannter Verdienste, durch Kunst- und Metallwerth, so viel Vorzügliches, daß man, besonders in unseren Zeiten, Ursache hat, sie allen anderen Monumenten vorzuziehen“1.
I Die – bisher ungeschriebene – Geschichte der 1924 gestifteten HarnackMedaille reicht in das Jahr 1914 zurück, in dem ihr Namensgeber als Generaldirektor der Königlichen Bibliothek zu Berlin am 22. März in seiner Festansprache zur Einweihung des von Ernst von Ihne Unter den Linden errichteten Neubaus folgenden „kühnen Vorschlag für die Aufschrift“ wagte, nämlich die lateinischen „Worte: ,Veni Creator Spiritus‘ oder einfach ,Creator Spiritus‘“ am Giebel des Gebäudes anzubringen. Zur Begründung fügte er hinzu: „Sie würden an das ,Nutrimentum Spiritus‘ noch immer erinnern“ – das bis heute über dem fridericianischen Altbau von 1780 zu lesen ist –, „aber wie eine lohende Flamme über dem Hause stehen und der tiefsten Erkenntnis und dem heißesten Wunsche Ausdruck verleihen“2. Dazu 1
2
Vgl. meine – leicht überarbeitete – Einleitung zum „Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie“ in: Der Herold, N.F., Bd. 13, Jg. 35 (1992), S. 273– 279, hier S. 273 mit allen Nachweisen. Harnacks Rede, gehalten bei der Einweihung der neuen Königlichen Bibliothek am 22. März 1914: Die Geschichte der Kgl. Bibliothek. In: Adolf v. Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Re-
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ist es nicht gekommen, doch Harnack selbst, der an diesem Tage vom Kaiser in den erblichen Adelsstand erhoben wurde, wählte sich nach Mitteilung seiner Tochter „diese Worte zum Wappenspruch“3, die auch „auf dem schlichten Stein eingegraben“ sind, „der auf dem alten St. Matthäi-Kirchhof in Berlin-Schöneberg die Grabstätte von Adolf und Amalie von Harnack anzeigt“4. Da der Theologe Harnack offenbar unter diese Bitte „sein ganzes Leben gestellt hat“5, die auch noch für die Medaille Bedeutung gewinnen sollte6, fragen wir nach dem Ursprung dieser Worte. Luther übersetzte sie 1524 in Erfurt mit „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist!“. Sie sind 1529 vertont worden und werden als Kirchenlied zum Pfingstfest noch heute gesungen. Der lateinische Text, den man auch knapper mit „Komm, schöpferischer Geist!“ ins Deutsche übertragen könnte, ist allerdings viel älter: Er stammt aus einem Hymnus des Hrabanus Maurus aus dem Jahre 809, zu dem es auch um 1000 in Kempten/Allgäu bereits eine Melodie gab7. Wenden wir uns nach dieser Vorgeschichte nun der Harnack-Medaille selbst zu, auf deren Rückseite die Devise in verkürzter Form wieder auftaucht, wenn auch merkwürdigerweise in umgekehrter Wortfolge: Nun heißt es nicht mehr „Creator Spiritus“ (wie 1914), sondern in Versalien „SPIRITVS CREATOR“ (1924), wobei das erste Wort oben, das zweite unten in die Rundung gestellt wurde. In der Mitte befindet sich die stehende Gestalt der Pallas Athene bzw. Minerva, der Beschützerin der Wissenschaften, die auch die erste Broschüre der 1911 gegründeten Kaiser-WilhelmGesellschaft zeigte; dort figurierte sie in einer elliptischen Vignette als Wiedergabe eines antiken Originals, später von Carl Sattler vorsichtig stilisiert8.
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publik. Hrsg. von Kurt Nowak. Berlin 1996, T. 2, S. 1051–1063. Abgedruckt auch im Jahresbericht der Bibliothek 1914, S. 18. Zur Adelserhebung vgl. Reichsanzeiger Nr. 70 vom 23. März 1914. Laut Adelslexikon, Bd. 4, Limburg 1978, S. 445, führte Harnack folgendes Wappen: In Blau ein silberner Balken, begleitet oben von einem goldenen Stern, unten von einem aufwärts-gekehrten goldenen Halbmond; auf dem Helm mit blau-silbernen Decken drei Straußenfedern (Blau, Silber, Blau). Vgl. dazu auch Agnes v. Zahn-Harnack: Adolf v. Harnack. Berlin 1936, S. 337, desgl. die 2., verb. Aufl. Berlin 1951, S. 259 f. Zahn-Harnack (wie Anm. 3), 2. Aufl., S. 442 und Dietrich Gerhard: Adolf von Harnack. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 1964/65, S. 285–297, hier S. 297. Karl H. Neufeld: Harnacks Idee vom Heiligen Geist. In: Ders.: Adolf von Harnack. Theologie als Suche nach der Kirche. Paderborn 1977, S. 196–199 (Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 41). Vgl. dazu auch Reinhart Staats: Adolf von Harnack im Leben Dietrich Bonhoeffers. In: Theologische Zeitschrift 37 (1981), S. 94–122, hier S. 95. Vgl. meine nachfolgenden Ausführungen! Nr. 126 im Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Franz Graf Wolff Metternich: Vorbemerkung zu Helga Freifrau v. Heintze/Hellmut Hager: Athene-Minerva. Ihr Bild im Wandel der Zeiten. In: Jahrbuch der MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1961, T. I, S. 36–127, hier S. 36–39, insbes. S. 37. Vgl. Titelblattabbildung der Minerva in: Die Kaiser-Wilhelm-
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Auf der Vorderseite der fast ein Pfund schweren Medaille ist Harnacks nach links gerichtetes Profil zu sehen sowie die ebenfalls in den Kreis gestellten Namensversalien: ADOLF v HARNACK. Da aus der Stiftungszeit kein Statut vorliegt, läßt sich zum Stiftungs-Geschehen nur das Protokoll des Verwaltungsausschusses der Gesellschaft ( = Vorstand) vom 9. Dezember 1924 heranziehen, der den Vorschlag begrüßte, „eine Medaille für besondere Verdienste um die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu begründen“ und beschloß, ihn noch ohne namentlichen Bezug – dem Senat der Gesellschaft als Beschlußorgan zu unterbreiten9. Außerdem ist folglich das Senatsprotokoll und der Bericht über den Verlauf der 11. Hauptversammlung vom 16. Dezember 1924 im Berliner Schloß heranzuziehen10, wo die Generalverwaltung dieser Forschungsgesellschaft seit 1922 und zwei weitere ihrer Rechtsinstitute später ihren Sitz hatten. Das Senatsprotokoll hob hervor, daß es sich um eine „wiederholt gegebene Anregung“ handle, daß die Medaille „das Bild des gegenwärtigen Präsidenten tragen solle“ und daß die Kosten von denjenigen Mitgliedern des Ausschusses getragen würden, die den Vorschlag unterbreitet hätten, so daß Geheimrat Koppel nicht „einspringen“ mußte11. Das waren damals Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Geheimrat Carl Duisberg als 1. und 2. Vizepräsidenten, Generaldirektor Friedrich Glum, Walther vom Rath als Schriftführer, der Bankier Franz von Mendelssohn und Frau Johanna Arnhold (für den verstorbenen Mäzen Eduard Arnhold), die je 700 Mark aufbrachten, also zusammen 4200 Mark an Honorar und für Restexemplare nochmals 1800 Mark. Der Senat nahm mit großer Freude von dieser Anregung Kenntnis und beschloß, „daß die Medaille nur in seltenen Fällen“ verliehen werden solle. Daraufhin dankte Präsident von Harnack „für die überraschende Ehrung und das Vertrauen, das Verwaltungsausschuss und Senat damit seiner Amtsführung entgegen brächten“12. Inwieweit Harnack auf die Gestaltung der Medaille Einfluß genommen hat, ist unklar. Als ihm Arthur von Gwinner am 4. März 1925 den Bildhauer
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Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Berlin 1911 und schwarzweiß Abbildung in Eckart Henning/Marion Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Bd. 1). Berlin 1988, S. 48; vgl. auch den Abdruck des Protokollauszugs vom 16. Dezember 1924 bei Claudia Bergemann: Mitgliederverzeichnis der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 3). T. 1–3. Berlin 1990, S. 119. Alle Originalquellen befinden sich im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (künftig MPG-Archiv zitiert) in Berlin-Dahlem, hier: I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95 u. 106. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95, S. 5; vgl. ferner 42. Senatsprotokoll der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vom 16. Dezember 1924, S. 8. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 64/3. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, Bl. 4 ff. Wie Anm. 9.
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Theodor Georgi, Schwiegersohn Adolf von Hildebrands, als „begabtesten unserer Bildhauer“ empfahl, der an einer Plakette für Oscar von Miller arbeite, verwies er ihn an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, da er selbst „aus begreiflichen Gründen“ keine Vorschläge machen“ könne13. Krupp schien sich bereits auf Georg Kolbe (1875–1947) festgelegt zu haben, der die Medaille mit großem künstlerischen Feingefühl entwarf. Sie sollte auf Vorschlag des Verwaltungsausschusses vom 7. Dezember 1925 angekauft werden. Carl Duisberg teilte dem Senat am selben Tage mit, daß die von Mitgliedern des Verwaltungsausschusses gestiftete Adolf Harnack Medaille durch den Bildhauer Professor Kolbe im Entwurf fertiggestellt worden sei. Er schlage vor, den Entwurf anzunehmen und das erste Exemplar der Medaille dem Präsidenten wegen seiner Verdienste um die Gesellschaft zu verleihen. Der Senat beschloß einstimmig, der Mitgliederversammlung vorzuschlagen, die erste Medaille dem Präsidenten zu verleihen; die Überreichung der Medaille solle in der morgigen Mitgliederversammlung stattfinden14. Dieser konnte sie Im Alter von 74 Jahren auf Beschluß der Mitglieder- bzw. im Rahmen der 13. Hauptversammlung der Gesellschaft am 8. Dezember 1925, ebenfalls im Berliner Schloß, aus den Händen des 2. Vizepräsidenten, Exzellenz Friedrich Schmidt-Ott, entgegennehmen; durch die Verleihung sollten „Dank, Liebe und Verehrung der Gesellschaft einen sichtbaren Ausdruck finden“15. Harnack wußte diese Ehrung sehr zu schätzen, für die er am 10. Dezember 1925 dem Senat nochmals dankte: „Wenn es mir, hochverehrte Herrn, nach ihrem gütigen Urteil vergönnt gewesen ist, der Gesellschaft nützlich zu sein, so zweifle ich nicht, daß die Gesellschaft fort und fort Anlaß haben wird die Medaille zu verleihen; denn ihr hoher wissenschaftlicher und vaterländischer Zweck wird sich, wie bisher, immer aufs Neue Personen erwecken, denen es eine Ehre und Freude sein wird, ihre Kräfte der Gesellschaft zu widmen“16. Es bleiben allerdings zwei Fragen offen: Merkwürdig ist erstens die Diskrepanz zwischen dem von der Medaille berücksichtigten, nach 1918 zum Namensbestandteil erklärten Briefadel Harnacks und allen Drucksachen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die beharrlich nur von der „Adolf HarnackMedaille“ bzw. der „Harnack-Medaille“ sprechen17; als Beispiele nenne ich das offizielle „Handbuch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“, das 1928 mit farbiger und in zweiter Auflage 1936 mit schwarz-weißer Abbildung er13 14
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MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, Bl. 6 u. 7 vom 9. April 1925. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, Bl. 7 u. 7a sowie Nr. 88/3 mit Berichtigungen zum 44. Senatsprotokoll vom 7. Dezember 1925, S. 18: Bl. 12a und 23. Bericht über die 13. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1925, S. 5. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, Bl. 9. Vgl. mein Schreiben an die Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft ca. 1986 in Az. 111.1, Bd. I.
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schien18. Merkwürdig ist zweitens auch eine im Januar 1926 von der Generalverwaltung der Gesellschaft getätigte Vorratsbestellung von 50 Medaillen in Bronze zum Preis von RM 23,– und „eine Harnack-Medaille in Bronze in Feuer vergoldet zum Preise von RM 50,–“19. Über den Verwendungszweck der Bestellung, falls sie nicht storniert wurde, schweigen die Quellen. Wollte man Harnacks schon überreichtes Bronze-Exemplar gar durch ein feuervergoldetes ersetzen? Zumindest ist die Behauptung: „Als erstem wurde die Adolf Harnack-Medaille in feuervergoldeter Bronze dem Präsidenten von Harnack selbst verliehen“20 nicht nur ohne jeden Quellenbeleg, sondern auch anachronistisch, da Harnack die Medaille bereits im Dezember 1925 erhielt und nicht erst nach der Vorratsbestellung im Januar 1926. Auch später sprechen die Akten nicht von der Verleihung einer vergoldeten Medaille. An dieser Stelle sei auch die These, daß die ebenfalls von Georg Kolbe geschaffene „gepätzelte“ Harnack-Büste aus Ähnlichkeitsgründen schon vor der Medaille gestaltet worden sei, zurückgewiesen. Beide sind wohl im Jahre 1925 entstanden, aber in umgekehrter Reihenfolge, denn nur dadurch läßt sich erklären, daß die Auftraggeber der Medaille das vermeintlich schon „bestehende Porträt“ gar nicht erwähnen – dieses gab es eben noch nicht; entsprechend berichtete die Deutsche Allgemeine Zeitung erst am 15. November 1925 über „Prof. Kolbes neue Harnack-Büste“, die im Kunstsalon von Ernst Cassirer ausgestellt worden sei21. 18
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Vgl. Handbuch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Hrsg. Von Adolf v. Harnack. Berlin 1928, S. 217 und 2. Aufl. Hrsg. von Max Planck. Bd. 1. Berlin 1936, S. 201. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, Bl. 20. Ungedr. Teil eines Manuskripts von Hella Reelfs im Georg-Kolbe-Museum, BerlinWestend, S. 5. An dieser Stelle möchte ich mich für die großzügige Unterstützung durch die Leiterin des Museums bedanken, die mir am 1. April 2005 auch Einblick in ihre Vorarbeiten zum Œuvre-Verzeichnis Kolbes gewährte; vgl. vorerst von Ursel Berger: Georg Kolbe. Leben und Werk. Mit dem Katalog der KolbePlastiken im Georg-Kolbe-Museum. Berlin 1990. 2. Aufl. 1994, Kat.-Nrn. 13, 66, 156, 188. Hella Reelfs: Die Bildnisse Adolf von Harnacks und Max J. Friedländers von Georg Kolbe. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 14 (1977, ersch. 1979), S. 293 ff., hier S. 304, Anm. 4 und Ms. (wie Anm. 20), S. 4: „Die Übereinstimmung mit der Profilansicht des lebensgroßen Bronzekopfes ist derart groß, daß wir in der Annahme wohl nicht fehl gehen werden, diesen als fertig modelliert vorauszusetzen und eine Übertragung auf mechanischem Wege anzunehmen, wobei sich eine Überarbeitung von Künstlerhand von selbst versteht“. Nach Friedrich Glum: Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik: Erlebtes und Erdachtes. Bonn 1964, S. 250 ist Kolbes angeblich „etwas verunglückte“ Harnack-Büste im Auftrag seines Freundes Franz von Mendelssohn angefertigt worden, was sich wohl auf dessen „Blatternarbentechnik“ (Lederer) bezog. Die Büste steht im Hauptgebäude der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Mitte. Ein Abguß befindet sich heute in der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft in München, ein anderer im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (als Leihgabe der Städtischen Gale-
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Ein zweites Exemplar der Harnack-Medaille erhielt auf Beschluß der Mitgliederversammlung im Jahre 1926 der Erfinder der Ammoniaksynthese, der Chemienobelpreisträger Fritz Haber „für die besonderen Verdienste“, die er sich „über seine Tätigkeit als Institutsdirektor hinaus um die KaiserWilhelm-Gesellschaft erworben habe“. Gemeint sind seine unermüdliche Bemühungen – quasi als „Außenminister“ der Gesellschaft um eine wissenschaftliche „Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen nach dem 1. Weltkrieg“, wobei er erste Erfolge auf dem Feld der deutsch-japanischen Auslandsbeziehungen erzielte, aber auch die deutsch-sowjetischen Wissenschaftsbeziehungen belebte22. Erst drei Jahre später wurde die Medaille dann dem schon erwähnten letzten königlich preußischen Kultusminister und Begründer der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Friedrich Schmidt-Ott, durch Harnack „für seine besonderen Verdienste um die Gründung und Förderung der Gesellschaft“ überreicht, die er sich als Procurator Scientiarum in Weiterführung der Pläne seines Mentors Friedrich Althoff erwarb23. Als Harnack 1930 starb, galt er „seinen Zeitgenossen immerhin als der Repräsentant nicht nur der protestantischen Theologie, sondern des wissenschaftlichen und geistigen Deutschland überhaupt“24. Ein ähnliches Ansehen genoß der Physiknobelpreisträger Max Planck, der nun für sieben politisch schwierige Jahre Präsident der KaiserWilhelm-Gesellschaft wurde, in denen er nationalbewußt, aber nicht nationalsozialistisch die Autonomie der Forschungsgesellschaft bewahrte25. Er war auch der letzte Präsident der Kaiser-
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rie). Beide Büsten, sowohl Kolbes als auch Lederers Konkurrenzplastik, auf die hier nicht näher einzugehen ist, sind übrigens dem Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 7. Dezember 1925 vorgestellt worden, vgl. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Personalakte Harnacks, Bd. 11, Bl. 72–75 Bericht über die 14. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1926, S. 4 und Eckart Henning: Auslandsbeziehungen der Kaiser-Wilhelm-/MaxPlanck-Gesellschaft im Überblick (1911–1998). In: Dahlemer Archivgespräche 5 (1999), S. 95–118, hier S. 98 f. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die. 17. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1929, S.4 und Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 61, ferner Friedrich Schmidt-Ott: Erlebtes und Erstrebtes 1860–1950. Wiesbaden 1952, S. 115–135. Christian Nottmeier: Ausgewählte neueste Literatur zu Adolf von Harnack. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004), S. 286–290, hier S. 287. Vgl. auch Karl Ludwig Schmidt: Zum Tode Adolf von Harnacks. Die Nekrologe der Tagespresse und ein Wort dazu. In: Theologische Blätter 9 (1930), S. 613–677. Eckart Henning: Max Planck – ein „armer Wirrkopf“ als Kollaborateur der Nazis? In: „... immer im Forschen bleiben“. Rüdiger vom Bruch zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Marc Schalenberg u. Peter Th. Walther. Stuttgart 2004, S. 351–371, desgl. abgedr. in E. H.: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 13). 2., erw. Aufl. Berlin 2004, S. 69–93.
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Wilhelm-Gesellschaft, der die Medaille mit Zustimmung der Gremien weiterhin verlieh und zwar 1932 gleich zwei Male, wobei er in einem Schreiben an den Vorstand vom 4. März 1932 hinzufügte, daß er sich des „Ausnahmefalls“ (der bei ihm zur Regel werden sollte) durchaus bewußt sei; er rechtfertigte ihn ohne nähere Erklärung mit dem „Ausnahmezustand, in dem wir gegenwärtig leben“. Die Verleihung galt dem um die Finanzierung der Gesellschaft, besonders in der Inflation, hochverdienten ersten Schatzmeister, dem Berliner Bankier Franz von Mendelssohn (1932) sowie einem der Wiederentdecker der Mendelschen Gesetze, dem Direktor des Kaiser-WilhelmInstituts für Biologie, Carl Correns (1932). Planck nennt Correns in einem Schreiben an Schmidt-Ott vom 12. Februar 1932 einen „sehr würdigen Gelehrten“, der „auch als Forscher schon lange Weltruhm genießt“, aber „noch lange nicht die ihm gebührenden Zeichen der öffentlichen Anerkennung gefunden“ habe26. Der Ausnahmefall wiederholte sich freilich im nächsten Jahr eher ungewollt bzw. unkoordiniert, als „Herr Krupp von Bohlen und Herr Planck gleichzeitig Anträge gestellt haben, sich gegenseitig die Harnackmedaille zu verleihen“, was damals wohl nicht nur den 2. Schriftführer Heinrich Konen „in Verlegenheit“ setzte. Der Industrielle Gustav Krupp von Bohlen und Halbach erhielt 1933 die Medaille „für seine lange aufopferungsvolle Tätigkeit als erster Vizepräsident der Gesellschaft und seine großzügige Unterstützung besonders des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung seit dessen Gründung“. Auch seine Rolle im Ruhrkampf wurde erwähnt, wo er „seinem Werk und seinen Untergebenen die Treue unter mutigem Einsatz seiner Persönlichkeit gehalten habe“. Krupp überreichte Planck die Medaille wenige Wochen nach seinem 75. Geburtstag als „Ausdruck aufrichtiger Anerkennung und Dankbarkeit für den großen Gelehrten und den verantwortungsbewussten Führer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“27, der immerhin im fortgeschrittenen Alter noch bereit gewesen ist, seine weltweite Reputation als Begründer der Quantentheorie in den Dienst der Forschungsge26
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Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 68, vgl. auch MPGArchiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die 21. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1932, unpag. und Cécile Lowenthal-Hensel: Franz v. Mendelssohn. In: Mendelssohn Studien 6 (1986), S. 251– 265, bes. S. 259, ferner MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164, BI. 7: Schreiben Plancks an Schmidt-Ott vom 12. Februar 1932, gleichlautend an Krupp v. Bohlen und Halbach. Zu Correns vgl. u. a. Hans-Jörg Rheinberger: Carl Correns und die frühe Geschichte der genetischen Kopplung. In: Fokus Biologiegeschichte. Zum 80. Geburtstag der Biologiehistorikerin Ilse Jahn. Berlin 2002, S. 169–181 (mit weiterer Lit.). MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die 22. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1933, S. 6, vgl. dazu Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 70 und zu Prof. Konen sein Schreiben vom 27. April 1933 an die Generalverwaltung (z. Hdn. von Herrn v. Cranach) MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 64, BI. 69.
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sellschaft zu stellen. Diese suchte Rückhalt gegenüber dem NS-Regime vor allem bei einflußreichen Wirtschaftsführern wie dem Chef der I.G. Farben, Carl Duisberg (1861–1935), dem die Harnack-Medaille noch 1934 mit folgenden Worten Plancks überreicht wurde: Mit ihr „solle die Einlösung einer Schuld erfolgen, die er schon lange im Herzen getragen habe. Neben dem Erwerb der lebenslänglichen Mitgliedschaft bei der Gesellschaft habe Herr Duisberg durch mancherlei Zeichen seiner Verbundenheit mit der KaiserWilhelm-Gesellschaft Ausdruck gegeben. So rechne er zu den Gründern verschiedener Kaiser-Wilhelm-Institute, wie z. B. des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, Berlin-Dahlem, des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenforschung, Mülheim usw. Ferner habe er wesentlich zur Schaffung der Heimstätte für die Angestellten der Kaiser-Wilhelm-Institute, des Harnack Hauses, beigetragen“. Planck rühmte nicht nur die „Vielseitigkeit seines Schaffens“, sondern auch Menschenkenntnis und -liebe des für Ehrungen stets empfänglichen Duisberg, der „in dieser Verleihung der Medaille ein Zeichen der Gegenliebe der KaiserWilhelm-Gesellschaft erblicken“ möge28. In ähnlicher Weise band Planck auch den neuen ersten Schatzmeister und Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke, Albert Vögler (1877–1945), durch die Verleihung im Jahre 1936 fester an die Gesellschaft, der später einmal einer seiner Nachfolger als Präsident wurde. Geschickt erwähnte er nicht nur 15 Senats- und 10 Verwaltungsausschußjahre Vöglers und seine diversen Dienste in zahlreichen Kuratorien, sondern hob hervor, daß er als Freund „mit seiner steten Hilfsbereitschaft und seiner hinreißenden Beredsamkeit der Gesellschaft zur Seite gestanden habe“29. Doch es waren nicht nur einflußreiche Finanz- und Wirtschaftsführer wie Mendelssohn, Krupp, Duisberg oder Vögler, die Planck weiter an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu binden wußte, sondern auch Wissenschaftler wie Correns und als letzten Medaillenempfänger den „Vater der Aerodynamik“, Ludwig Prandtl, dessen große physikalische Erfolge Planck als „Theoretiker wie als Techniker“ besonders zu würdigen wußte. Er rühmte an ihm, daß er es verstanden habe, „aus den klassischen hydrodynamischen Gleichungen das für die Anwendung Wichtige herauszuholen, namentlich durch die Aufstellung einer neuen Theorie der Flüssigkeitsreibung ... Ein weiterer durchschlagender 28
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MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die 23. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1934, S. 8 und Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 74 f., ferner Hans-Joachim Flechtner: Carl Duisberg. Vom Chemiker zum Wirtschaftsführer. Düsseldorf 1959, bes. S. 264 über die „Ruhmeshalle“ im Souterrain der Villa Duisberg in Leverkusen. MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die 25. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1936, S. 9 f. und Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 81, ferner Ulrike Kohl: Albert Vögler, ein Stahlindustrieller als Präsident der KaiserWilhelm-Gesellschaft (1941– 1945). In: Dahlemer Archivgespräche 8 (2002), S. 164–185, hier S. 173 f., dazu auch MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 134.
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Erfolg sei seine Tragflügeltheorie, welche durch den Begriff des induzierten Widerstandes sich so fruchtbar erwiesen habe, daß auf ihre Anwendung die Überlegenheit der deutschen Luftwaffe im Weltkrieg zurückgeführt werden könne“30. Weitere Verleihungen nach 1936 gab es nicht, was übrigens auch auf den angesehensten deutschen Orden zutraf, den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste, zu dessen Kanzler – wie vor ihm Harnack – Max Planck ebenfalls gewählt worden war. Galt nun die Harnack-Medaille ebenso wie der Orden als „Vereinsabzeichen“ ohne Mitwirkung des Staates, der „von Neuwahlen für die inzwischen ausgeschiedenen Ordensritter Abstand zu nehmen“ hatte? Die Akte über die Harnack-Medaille der KaiserWilhelm-Gesellschaft schließt mit dem Verlangen der Reichszentrale für wissenschaftliche Berichterstattung vom 11. August 1937 nach einer Liste der von dieser Gesellschaft verliehenen Preise und Medaillen und zwar im Auftrage des Staatssekretärs im Reichserziehungsministerium, das am 22. Dezember schon um weitere Einzelheiten ersuchte31.
II In der Nachkriegszeit kam es zunächst nicht zu neuen Verleihungen der Harnack-Medaille durch die von der alliierten Auflösung bedrohte KaiserWilhelm-Gesellschaft32. Ein Restexemplar wurde 1952 durch den Physiknobelpreisträger Max von Laue dem neuen Präsidenten der als „Auffangorganisation“ 1946/48 gegründeten Max-Planck Gesellschaft zur Verfügung gestellt, nämlich dem Chemienobelpreisträger Otto Hahn, ein anderes aber 30
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MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 95: Bericht über die Hauptversammlung (wie Anm. 29), S. 10 und zu Ludwig Prandtl: Gesammelte Abhandlungen zur angewandten Mechanik, Hydro- und Aerodynamik. Hrsg. von Walter Tollmien, Hermann Schlichting u. Henry Görtler. T. 1–3. Berlin 1961. In der Liste der biographischen Daten und Ehrungen fehlt leider die Harnack-Medaille (S. 1619), desgl. in der Neuen Deutschen Biographie. Bd. 20. Berlin 2001, S. 671 f. Hans Georg Zachau: Der Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste 1842–2002. o. O. 2002, S. 51–58, hier S. 52, vgl. dazu die Kontroverse zwischen Lars Klaaßen und Walter Boeckh, in: Deutsche Universitätszeitung 2003, H. 10, S. 17 u. H. 14, S. 28. – Mit der 1937 abbrechenden Akte ist die im MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 164 gemeint. Tatsächlich ist die 1951 in Liquidation gegangene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft erst 1960 in Berlin aufgelöst worden, vgl. Henning/Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 126 und Manfred Heinemann: Der Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Neugründungen der Max-PlanckGesellschaft (1945–1949). In: Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft. Aus Anlass ihres 75jährigen Bestehens hrsg. von Rudolf Vierhaus u. Bernhard vom Brocke. Stuttgart 1990, S. 407–470.
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Exzellenz Schmidt-Ott namens der neuen Gesellschaft als Ersatzstück für den kriegsbedingten Verlust („Raub der amerikanischen Einquartierung meines Hauses“, 23.12.1953) übergeben33. Ein Jahr später stellte Otto Hahn dem Verwaltungsrat der neugegründeten Gesellschaft am 25. März 1953 in Düsseldorf nach 16jähriger Pause (1937–52) die Frage nach der weiteren Verleihung der Medaille und schlug dafür zugleich den schlesischen Textilindustriellen, langjährigen Senator und zweiten Schriftführer der KaiserWilhelm-Gesellschaft, Dr.-Ing. E. h. Gustav Winkler (1867–1954), als Empfänger vor34, seit 1951 auch Ehrensenator der Max-Planck-Gesellschaft35; er war ein besonderer Förderer der Bibliotheca Hertziana, der Vogelwarte Rossitten sowie der Kaiser-Wilhelm-Institute für Biologie und Züchtungsforschung. Mit Zustimmung der Gremien wurden Neuanfertigungen der Medaille nach dem einzigen noch vorliegenden Modell bei der Berliner Bildgießerei Hermann Noack für „künftige weitere Verleihungen“ in Auftrag gegeben – man fragt sich, wo die Vorratsbestellungen aus der Weimarer Zeit eigentlich geblieben sind. Auf der 4. Hauptversammlung 1953 im HarnackHaus in Dahlem, das seit Kriegsende Offizierskasino der Amerikaner war und von der Max-Planck-Gesellschaft für ihre Zusammenkunft ausgeliehen werden mußte, erhielt Winkler die Harnack-Medaille von Otto Hahn verliehen, und West-Berlins Regierender Bürgermeister, Ernst Reuter, kündigte dabei bereits die Rückkehr der ehemaligen KaiserWilhelm-Institute Berlins in die Max-Planck-Gesellschaft an36. Schon am 29. Januar 1954 beschloß der Senat auf Vorschlag von Generalsekretär Ernst Telschow, Präsident Hahn selbst anläßlich seines 75. Geburtstags die HarnackMedaille zu verleihen, was durch Vizepräsident Erich Regener geschah und was Prälat Georg Schreiber mit der Anregung verband, „die Geschichte der Medaille im Jahrbuch der Gesellschaft zu behandeln, soweit das nicht schon geschehen“ sei37 – aber geschehen ist dies bis heute nicht! 33
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MPG-Archiv, II. Abt., Az. 111.2. Das Zweitexemplar Schmidt-Otts befindet sich heute im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin. Freundl. Auskunft von Dr. W Steguweit vom 25. Mai 2005. Vgl. 10. Protokoll des Verwaltungsrats vom 25. März 1953, TOP 9, S. 24, in: MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A: 11. Senatsprotokoll der Max-Planck-Gesellschaft vom 6. April 1951, Teil I, S. 2 u. Eckart Henning/Marion Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1948–1998 (50 Jahre Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, T. 1). Berlin 1998, S. 59. Gustav Winkler war Förderndes Mitglied seit 1929, Senator seit 1935 und 2. Schriftführer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft seit 1937, vgl. MPG-Archiv, II. Abt.: Personalakte. Henning/Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 59. Vgl. MPG-Archiv, II. Abt., Az. 111.2, Schreiben vom 17. Januar 1954. Nach Auskunft der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft plante Horst Meermann als Re-
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Als dann nach fünfjähriger Verleihungspause am 31. Januar 1959 Bundespräsident Theodor Heuss als „Freund und Förderer der Wissenschaft“ anläßlich seines 75. Geburtstages in Bad Godesberg die Harnack-Medaille aus den Händen seines. Freundes Otto Hahn entgegennahm, dankte er mit bewegten Worten dafür, daß er „mit so vielen ausgezeichneten Männern in ein vertrauensvolles Verhältnis gekommen. sei“38. Seine von den Senatoren im Umlaufverfahren genehmigte Verleihung war übrigens Anlaß, endlich ein „vorläufiges Statut“ für die Harnack-Medaille auszuarbeiten, das der Senat am 12. Februar jedoch an die Satzungskommission zur Prüfung weiterleitete39 und schließlich mehr als dreißig Jahre später, nämlich 1990 mit leichten Abänderungen verabschiedet hat40. Als Hahn auch seinen 80. Geburtstag im Jahre 1959 als amtierender Präsident begehen konnte, rächte es sich, daß zur Medaille bisher keine Verleihungsurkunden ausgestellt worden waren, so daß in Hahns Personalakte weder eine Kopie noch ein Vermerk darüber zu finden war. So kam es, daß die Verleihung an Hahn auf Vorschlag des Chemienobelpreisträgers Richard Kuhn nach fünf Jahren ganz arglos erneut auf die Tagesordnung des Senats vom 24. Februar 1959 gesetzt wurde, da die frühere Verleihung in Vergessenheit geraten war. Als der neue Generalsekretär Hans Ballreich endlich „das Malheur“ bemerkte, versuchte man zunächst aus der Not eine Tugend zu machen, nämlich sich mit einer nachgereichten Prachtausfertigung der Verleihungsurkunde aus der Affäre zu ziehen, zumal man die Ehrung nicht wieder gänzlich von der Tagesordnung nehmen konnte41. Da kam dem Antragsteller Kuhn jedoch ein weit besserer Einfall: „Sollte man, da der Jubilar ein Chemiker ist, nicht die Chemie zu Hilfe rufen?“ Auf der Festsitzung
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dakteur des MPG-Spiegels 1977 einen Bericht über die Medaille von Hella Reelfs, der zwar honoriert, aber nicht abgedruckt wurde (und vermutlich in der in Anm. 21 genannten Arbeit teilverwertet worden ist), so daß man sich bis heute mit den kurzen Hinweisen von Willi Geile: Die Embleme der KaiSer-Wilhelm-Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (Ordenskunde. Beiträge zur Geschichte der Auszeichnungen, 56). Berlin 1983, S. 657 f. und mit Abb. S. 675 f. begnügen mußte. MPG-Archiv, II. Abt., Az. 111.2, Schreiben vom 11. März 1959 u. Mitteilungen aus der MaxPlanck-Gesellschaft 1959, H. 3, S. 203 (mit Bild). MPG-Archiv, II. Abt., 32. Senatsprotokoll vom 12. Februar 1959,.S. 20 f. mit Abdruck des Entwurfs. Die Satzungskommission beschloß am 1. Februar 1961 die Überarbeitung des Statuts, doch dabei ist es (bis 1990) geblieben. Vgl. Henning/ Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 104 u. Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1961, T. 1, S. 37. Henning/Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 520– 522. MPG-Archiv, II. Abt., Az. 111.2, Einladung vom 24. Februar 1959 zur Festsitzung des Senats, TOP 1: Verleihung der Harnack-Medaille, dazu Schreiben von Generalsekretär Benecke an Richard Kuhn vom 27. Februar 1959; s. auch II. Abt., Rep. 1 A, Personalakte Otto Hahn Nr. 30.
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des Senats am Vorabend von Hahns 80. Geburtstags führte er aus: „Die Medaille ist aus Bronze. Das ist eine Legierung aus Kupfer und Zinn. Kupfer hat die Ordnungszahl 29, Zinn 50. Die Summe von 29 und 50 ist 79. Noch ist der Jubilar 79 Jahre alt; er ist 1879 geboren. In der Tabelle der Atomgewichte finde sich unter der Ordnungszahl 79 das Symbol Au, das ist Gold. Es ist also klar, daß die Summe der beiden Ordnungszahlen, das Geburtsjahr und das Alter des Jubilars unmißverständlich auf Gold deutet. Ich beantrage also, die Verleihung der Harnack-Medaille in Gold zu beschließen“42. So geschah es „mit heiterer und freudiger Zustimmung“, wie das Senatsprotokoll vermerkte, man beabsichtigte aber, ansonsten die Medaille weiterhin „in der traditionellen Form der Bronze-Medaille“ zu verleihen. Hahns GoldMedaille schien somit eine Ausnahme bleiben zu sollen, deren Kosten sich damals durch die Firma Bischoff (Düsseldorf) auf 7100 DM beliefen, gestiftet vom Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, Chemienobelpreisträger Karl Ziegler. Hahn erhielt an seinem Geburtstag zunächst ein 470 Gramm schweres, galvanisch vergoldetes Bronze-Exemplar als „Platzhalter“ für die echte Goldmedaille sowie eine auf Bütten grau bedruckte Urkunde in grünem Ledereinband mit goldener Minerva, die ihn als „Entdecker der Uranspaltung“ und als Organisator würdigte, der „aus den Trümmern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die heutige Max-PlanckGesellschaft geschaffen und dessen persönliches Vorbild der Forschung neue Impulse verliehen habe“ (leicht irreführend heißt es in dieser Urkunde übrigens, die Harnack-Medaille sei „zur Erinnerung an den ersten Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gestiftet“ worden)43. In seiner Laudatio fügte Vizepräsident Richard Kuhn noch hinzu: „einen Proportionalitätsfaktor zwischen der Größe wissenschaftlicher Verdienste und dem Gewicht goldener Auszeichnungen gibt es nicht. Gleichwohl möchte ich feststellen, daß die goldene Harnack-Medaille 1 Pfund wiegt und damit dem Gewicht von 5 Nobelpreis-Medaillen entspricht. Ich überreiche Ihnen dieses einmalige Stück mit den herzlichsten Glückwünschen. Anders als die Insignien des Ordens Pour le mérite, die Sie tragen, soll dieses kostbare Stück nicht eines Tages an ein Ordenskapitel oder eine Gesellschaft zurückgehen, sondern als bleibendes Eigentum übergehen auf Sohn, auf Enkel, auf Urenkel und so fort“44. Am 27. November 1959 war es dann soweit, daß die Pseudomedaille, 42
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MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Senatsprotokoll der Festsitzung vom 7. März 1959, S. 3 ff. Text und Abbildung der Urkunde in: 50 Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911–1961. Beiträge und Dokumente. Göttingen 1961, S. 244–247. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A: Senatsprotokoll der Festsitzung vom 7. März 1959, S. 3; vgl. das. Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1960, H. 1, S. 47–49. In beiden Texten hat sich leider eine falsche Gewichtsangabe eingeschlichen: statt ein Kilo wäre ein Pfund richtig. Erwähnt sei noch, daß Otto Hahn auf Hinweis des niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf, der den Bundespräsidenten vertrat, im
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die sich noch heute im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft befindet45, gegen die echte Goldmedaille ausgetauscht werden konnte, am selben Tag übrigens, an dem auch Hahns Nachfolger, der Chemienobelpreisträger Adolf Butenandt, als Präsident gewählt wurde46. Butenandt vergab die Harnack-Medaille als erstem dem damaligen Kanzler des 0rdens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste (es war nun der Dritte aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nach Harnack und Planck), dem international hoch angesehenen Völkerrechtler Erich Kaufmann, anläßlich seines 80. Geburtstages; die Ehrung erfolgte durch Vizepräsident Richard Kuhn am 7. Oktober 1960 in Heidelberg vor allem für seine Verdienste um die Wiedererrichtung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht nach dem letzten Kriege und „damit um die Geisteswissenschaften in der Max-Planck-Gesellschaft“ insgesamt47. Die Satzungskommission der Max-Planck-Gesellschaft, der das „vorläufige Statut“ überwiesen worden war, befaßte sich am 1. Februar 1961 mit einem neuen Entwurf des „Statuts über die Verleihung der Adolf-von-HarnackMedaille“ (sic!), der dem Senatsbeschluß vom 7. März 1959 Rechnung tragen sollte, sie künftig nicht nur in Bronze, sondern in besonderen Fällen auch in Gold zu verleihen. Dem Protokoll der Sitzung läßt sich entnehmen, daß die Kommission zwar darüber diskutierte, aber – abweichend von den für diese Sitzung vorbereiteten „Materialien“ – zu dem Ergebnis kam, „daß die Verleihung in zwei Stufen nicht erfolgen und die Bezeichnung des Metalls entfallen sollte“, wohl „um dem Senat einen weiten Spielraum zu lassen“. Eine entsprechende Überarbeitung des Entwurfs ist die damit beauftragte Generalverwaltung allerdings schuldig geblieben. Im nächsten Jahr erfolgte keine Verleihung, jedoch in den folgenden von 1962 bis 1965 sind es dann je eine Harnack-Medaille gewesen: am 5. Januar 1962 erhielt mit Prälat Georg Schreiber in Münster erstmals ein praktizie-
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Frack erscheinen mußte, da die ihm gleichfalls zugedachte Ordensstufe des Bundesverdienstkreuzes „n u r zum Frack zu tragen ist (Orden zum Halse heraus mit großem Stern ,auf der Männerbrust‘ – wie er sagte – und Schärpe). Diese Frackverpflichtung muß Professor Hahn nun also noch schonend aber als unabänderlich beigebracht werden. Zunächst haben wir die Verleihung zu Beginn des Abends vor versammeltem Gremium in Aussicht genommen, wobei Professor Hahn dann zum Anlegen der Schärpe noch einmal hinausgehen müsste“ (MPG-Archiv II. Abt. Az. 111.2: Schreiben von E. Bollmann an Generalsekretär vom 23. Februar 1954 wegen des Geburtstagsprogramms). MPG-Archiv, Vc Abt., Rep. 3, Nr. 2-1. Henning/Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 113 f. Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1961, H. l, S. 3–6, hier S. 5. Vgl. Erich Kaufmann: Gesammelte Schriften. Hrsg. von A. H. v. Scherpenberg u. a. Bd. 1–3. o. O., o. J. und Manfred Friedrich: Erich Kaufmann (1880–1972), Jurist in der Zeit und jenseits der Zeiten. In: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. München 1993, S. 693–704.
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render Katholik die nach einem prominenten Protestanten benannte Auszeichnung. Anläßlich seines 80. Geburtstages würdigte Adolf Butenandt Schreibers Verdienste um die Konsolidierung der Gesellschaft sowohl in der Weimarer Republik als Zentrumsabgeordneter – damals mit dem Ehrennamen eines „Vaters der Reichshaushaltsordnung“ – als auch in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg48. Im Jahre 1963 fiel die Senatsentscheidung zur Verleihung der Medaille zugunsten von Medizinnobelpreisträger Otto Warburg. Er erhielt sie von Adolf Butenandt am 8. Oktober in Berlin anläßlich seines 80. Geburtstages, um dessen bahnbrechende „Arbeiten über Atmung und Gärung, über die Photosynthese und über den Stoffwechsel der Tumoren“ im Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Institut für Zellphysiologie zu würdigen49. Am 14. Oktober 1964 stand der 70. Geburtstag von Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke an, der „zu den großen Förderern der Max-Planck-Gesellschaft“ gehörte. Da Butenandt am 28. Oktober krankheitshalber verhindert war, mußten ihm Vizepräsident Richad Kuhn und Carl Wurster in einer kleinen Bonner Feierstunde die Medaille übergeben; Sie dankten Lübke dafür, daß er der Max-Planck-Gesellschaft von 1954–59 als Senator zur Verfügung gestanden hatte und – ebenso wie einst Theodor Heuss – von 1960–64 als Bundespräsident regelmäßiger Gast aller Hauptversammlungen gewesen war50. 48
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Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1962, H. 1, S. 3–9 und Henning/ Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 128. Georg Schreiber gehörte 1920–1933 zur Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstages. Als einflußreicher Reichstagsreferent für den Etat des Innenministeriums war er auch für Fragen der Wissenschafts- und Kulturförderung zuständig, u. a. für die KaiserWilhelm-Gesellschaft. Vgl. die Festschrift zu Schreibers 70. Geburtstag: Zwischen Wissenschaft und Politik. Hrsg. i. A. der Görres-Gesellschaft von Johannes Spörl. Freiburg/ Br. 1953 (mit Schriftenverzeichnis) und die Darstellung von Rudolf Morsey: Georg Schreiber, der Wissenschaftler, Kulturpolitiker und Wissenschaftsorganisator. Aus Anlaß der Wiederkehr seines 100. Geburtstages am 5. Januar 1982. In: Westfälische Zeitschrift 131/132 (1981/82), S. 121–159, bes. S. 156 und 158. Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1965, H. 5, S. 270–272 u. Henning/ Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 139. Warburg war 1953–1957 Senator der Max-Planck-Gesellschaft und wurde am 27. Juni 1957 zum Ehrensenator ernannt, vgl. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A: Personalakte Warburg und Eckart Henning: Otto Heinrich Warburg – der „Kaiser von Dahlem“. In: E. H.: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems (wie Anm. 25), S. 125–144, hier S. 140 MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 mit Vorschlag A. Butenandts vom 30. Juli 1964 und Senatszustimmung im Umlaufverfahren, vgl. aber auch 49. Senatsprotokoll vom 4. Dezember 1964, S. 5. Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1964, H. 5–6, S. 217 f. u. Bulletin der Bundesregierung Nr. 160 vom 30. Oktober 1964. Zu Lübke vgl. Rudolf Morsey: Heinrich Lübke. Eine politische Biographie. Paderborn 1996.
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1965 war wiederum ein 80. Geburtstag Anlaß für die Würdigung, diesmal des Zoologen Alfred Kühn, dem Direktor des Kaiser-Wilhelm-/MaxPlanck-Instituts für Biologie von 1937–58. Etwas schuldbewußt gestand Butenandt dem Senat, daß er trotz dieser Verleihungen in Folge der Auffassung sei, man müsse „mit der Verleihung der Harnack-Medaille sehr zurückhaltend sein“ bzw. eine „Inflation auf jeden Fall vermeiden“. Am 15. Juni 1965 wurde die Medaille im Rahmen eines kleinen Tübinger Essens durch Butenandt dem Jubilar persönlich überreicht, wobei er betonte, „in welch hohem Maße“ sein alter Weggefährte Kühn dazu beigetragen habe, den guten wissenschaftlichen Ruf der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zu festigen51. Nach dieser Medaillen-Vergabe trat dann eine Verleihungspause von immerhin fünf Jahren ein, bis Präsident Butenandt 1970 seinen letzten Vorschlag unterbreitete, nämlich die Medaille am 2. Dezember Carl Wurster zu verleihen. Dieser war seit 1951 Senats und seit 1958 Vorstandsmitglied, schließlich seit 1960 auch Vizepräsident der Max Planck-Gesellschaft; seine weiteren Mitgliedschaften in den Gremien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Stifter-Verbandes für die Deutsche Wissenschaft, der Stiftung Volkswagenwerk und des Wissenschaftsrats waren für die Max-PlanckGesellschaft von unschätzbarer Bedeutung. Sämtliche Ehrenämter nahm er neben seiner Hauptaufgabe als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Badischen Anilin- und Sodafabrik wahr52. Als die glanzvolle doppelte Amtszeit Adolf Butenandts als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (1960–1972) abgelaufen war, schlug ihn sein Nachfolger, der Astrophysiker Reimar Lüst, 1973 zur Verleihung der Harnack-Medaille vor. In der Laudatio wurden auf seine „bahnbrechenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Säuger- und Insektenhormone und der Wirkungsweise von Erbfaktoren sowie entscheidende Anregungen im Bereich der Virus- und Krebsforschung“ hingewiesen. Doch nicht nur seine wissen51
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MPG-Archiv, II. Abt. Rep. 1 A, 49. u. 51. Senatsprotokoll vom 4. Dezember 1964, S. 30 und vom 23. Juni 1965, S. 5 sowie 63. Verwaltungsratsprotokoll vom 3. Dezember 1964, S. 41 und Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1965, H. 3, S. 101 f. Vgl. Adolf Butenandt: Gedenkworte für Alfred Kühn. In: Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Reden und Gedenkworte 9 (1968/69), S. 125–130, Hansjochen Autrum, in: NDB 13 (1982), S. 192–193 (leider ohne Angabe der Harnack-Medaille) u. Hans Jörg Rheinberger: Ephestia, Alfred Kühns experimenteller Entwurf einer entwicklungsphysiologischen Genetik. In: Dahlemer Archivgespräche 4 (1999), S. 81–118. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2: Schreiben des Präsidenten vom 20. Oktober 1970 an Generalsekretär Dr. Schneider und dessen Schreiben an den Senat vom 26. Oktober 1970. Carl Wurster (1900–1974) war seit 1939 Förderndes Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 1951–1972 Senator der Max-Planck-Gesellschaft und 1960–1972 ihr Vizepräsident, vgl. auch seine Personalakte im MPG-Archiv.
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schaftlichen Leistungen als Direktor des Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Instituts für Biochemie wurden hervorgehoben, sondern auch seine Verdienste um die Max-Planck-Gesellschaft, die er mit „neuartigen und größeren Aufgaben“ als bisher betraut habe, vor allem aber sei er erfolgreich bemüht gewesen, „die häufig gefährdete Selbständigkeit der Gesellschaft in der Wahl und der Durchführung ihrer Aufgaben zu erhalten”53. Als Nächsten schlug Lüst den Physiker Walter Gerlach anläßlich seines 85. Geburtstages am 1. August 1974 vor. Für ihn bedeutete die Medaille „die größte Überraschung seines Lebens“. Gerlachs Verdienste lagen auch im Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem aber in der Verteidigung ihrer Selbstverwaltung an der Seite Otto Hahns und Adolf Butenandts von 1951–1969 im Senat der Max-Planck-Gesellschaft54. Es verstrichen fünf Jahre ohne Verleihung der Harnack-Medaille, ehe Präsident Lüst am 2. April1981 den Wissenschaftspolitiker und Schöpfer der Fritz-Thyssen Stiftung, Kurt Birrenbach, auszeichnete, um dessen Verdienste in Ost und West hervorzuheben, aber auch um die Beziehungen mit Israel zu verbessern55. Im Jahre 1983 stand der 80. Geburtstag Adolf Butenandts am 24. März bevor, der die Harnack-Medaille bereits 1973 in Bronze erhalten hatte. Daher schlug Lüst am 10. Januar 1983 vor, sie dem Jubilar – nach Otto Hahn zum zweiten Male – in Gold zu verleihen. Damit sollten vor allem Butenandts Leistungen in der Expansionsphase der Max-Planck-Gesellschaft gewürdigt werden. Da alle 45 Senatoren schriftlich zugestimmt hatten, kam es zu dieser außergewöhnlichen Würdigung. Auch Butenandts Gold-Medaille
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MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A: Text der Urkunde. Vgl. auch Edmund Marsch: Adolf Butenandt als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft 1960–1972. In: Dahlemer Archivgespräche 9 (2003), S. 134–145. Präsident R. Lüst schlug Gerlach, der bereits seit 1937 Senator der Kaiser-WilhelmGesellschaft und auch 1946 an der Driburger Gründung der Max-Planck-Gesellschaft in der Britischen Zone beteiligt war, am 12. Juni 1974 dem Senat zur Verleihung der Medaille vor. Vgl. den Urkundentext nebst Laudatio vom 1. August 1974 in MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A: Personalakte Gerlach und Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1974, H. 5, S. 316–317 (mit Bild). Weiteres zu Gerlach u. a. bei Ulrich Hoyer: Walther Gerlach (1889–1979). In: Naturwissenschaft und Technik in der Geschichte. Hrsg. von Helmuth Albrecht. Stuttgart 1993, S. 133– 142, ferner die Bibliographie Walther Gerlachs 1912–1979. Bearb. von Margret Nida-Rümelin. München 1982 u. den Ausstellungskatalog des Deutschen Museums von Rudolf Heinrich/Hans-Reinhard Bachmann: Walther Gerlach: Physiker, Lehrer, Organisator. Dokumente aus seinem Nachlaß. München 1989, bes. S. 179. Kurt Birrenbach war 1969–1981 Mitglied des Senats der Max-Planck-Gesellschaft, s. MPG-Spiegel 1981, H. 4, S. 13 f . Vgl. von ihm: Meine Sondermissionen. Rückblick auf zwei Jahrzehnte bundesdeutscher Außenpolitik. Düsseldorf 1984.
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wird heute im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft verwahrt56. Ebenfallsam 1. Januar 1983 beging das langjährige Senatsmitglied und seit 1973 Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hans L. Merkle, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH und Berater in wirtschaftspolitischen Fragen seinen 70. Geburtstag. Da Merkle jedoch gebeten hatte, von jeglichen Ehrungen abzusehen, erhielt er die Medaille erst auf der nächsten Hauptversammlung im Juni 1984, als er aus dem Verwaltungsrat der Max-Planck-Gesellschaft ausschied. Präsident Lüst übergab ihm die „nie in meinem Leben erwartete“ Medaille am 28. Juni57. Wieder sollten sechs Jahre verstreichen, bis der Senat der Max-PlanckGesellschaft am 15. März 1990 beschloß, Bundespräsident Richard (Freiherrn) von Weizsäcker, der seit 1983 ihr Senator war, die Harnack-Medaille anläßlich der Festversammlung am 22. Juni 1990 in Lübeck-Travemünde zu verleihen. Das geschah somit bald nach Weizsäckers 70. Geburtstag, womit „sein Eintreten für die Belange der Max-Planck-Gesellschaft“ (wie das schon seines Vaters) gewürdigt wurde, war doch die Verleihung „zugleich Ausdruck des Respekts vor ihrer mahnenden Erinnerung an die besondere Verantwortung des Wissenschaftlers für seine Forschung und ihre stete Ermutigung zum offenen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“58. Es war die einzige Verleihung der Medaille durch den Chemiker Heinz A. Staab, der als Präsident (1984–1990) in die Nachfolge Reimar Lüsts gewählt wurde. Er sorgte dafür, daß das „Vorläufige Statut der Harnack-Medaille“ aus dem Jahre 1959 am 14. März 1990 durch ein reguläres Statut ersetzt wurde, das jedoch nur im § 3 eine geringfügige sprachliche Präzisierung vornimmt, sonst aber keinerlei inhaltliche Veränderungen enthält. Darin wird betont, daß die Verleihung durch die Max-Planck-Gesellschaft in „Fortsetzung der Tradition der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ (§ 1) und aufgrund eines Senatsbeschlusses durch den Präsidenten erfolgen soll (§ 5), dem allerdings ein „Vorschlagsrecht für die Verleihung“ der Medaille (§ 4) eingeräumt wird59. Altpräsident Lüst selbst wurde erst von Staabs Nachfolger, dem Sozialrechtler Hans F. Zacher (1990–1996), anläßlich seines 70. Geburtstages am 25. März 1993 mit der Medaille bedacht. Sie ist Ausdruck des Dankes für seine 12jährige Präsidentschaft, in der er die Max-Planck-Gesellschaft einen Weg geführt hatte, „auf dem sie das Wesentliche ihrer Tradition mit den 56 57
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MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 u. Vc Abt., Rep. 3, Nr. 2-2. MPG-Archiv, II. Abt. Rep. 1 A, Az. 111.2. Vgl. von Hans L. Merkle: Dienen und Führen. Erkenntnisse eines Unternehmers. Stuttgart 2001. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111. 2. Vgl. Martin Wein: Die Weizsäckers. Geschichte einer deutschen Familie. Stuttgart 1988, S. 470–535 und Harald Steffahn: Richard von Weizsäcker. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1991. Statut in der Fassung vom 14. März 1990, abgedruckt bei Henning/Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 520, Abb. 166.
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Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Gegenwart verbinden konnte“60. Doch Zacher ehrte nicht nur seinen Vor-Vorgänger im Amt des Präsidenten (1993), sondern 1996 auch seinen unmittelbaren Vorgänger, nämlich Heinz A. Staab, den er am 27. Oktober 1995 dem Senat ebenso wie den Präsidenten des Weizmann-Instituts (Rehovot/Israel), Michael Sela, für die HarnackMedaille vorschlug: Unter Staabs Präsidentschaft war es möglich gewesen, die Max-Planck-Institute für Informatik (Saarbrücken) und für marine bzw. terrestrische Mikrobiologie (Bremen bzw. Marburg/Lahn) zu gründen. Außerdem hatte sich Staab seit drei Jahrzehnten ebenso wie Michael Sela für die deutsch-israelische Zusammenarbeit in der Forschung eingesetzt und als Vorsitzender der beiden Minerva-Kommitees unermüdlich den Wissenschaftleraustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel koordiniert. Die Medaille wurde am 12. Februar 1996 im Weizmann-Institut durch Präsident Zacher an Michael Sela überreicht61, während sie Heinz A. Staab zum 70. Geburtstag in München am 29. März bekam62. Auch Staabs Nachfolger, Hans F. Zacher, erhielt die Harnack-Medaille wiederum aufgrund eines Vorschlags seines Nachfolgers, von Hubert Markl, dem der Senat am 25. Juni in Weimar zustimmte. In der Laudatio hieß es: „seine Bemühungen galten nach der deutschen Wiedervereinigung vor allem der Herstellung einer einheitlichen deutschen Forschungslandschaft. So wurden während seiner Amtszeit 14 Max-Planck-Institute in den neuen Ländern gegründet und der Grundstein dafür gelegt, daß in den neuen Ländern eine vergleichbare Dichte von Instituten wie in den alten Ländern erreicht werden konnte“. Dazu bemerkte Staab: „Ich habe dann als sein Vorgänger aus nächster Nähe miterlebt, wie hervorragend es Herrn Zacher gelungen ist, die erhaltenswerten Teile der Wissenschaften in der DDR gegen zunächst beträchtlichen ideologischen Widerstand entsprechend unserem Wissenschaftsverständnis zu fördern und durch die Ansiedlung von Arbeitsgruppen und später von Instituten zu einer vereinten Wissenschaftslandschaft beizutragen. Die Präsidentschaft von Herrn Zacher war wohl die schwierigste Amtszeit eines MPG-Präsidenten in den letzten 30 Jahren“63.
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MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 und das 133. Senatsprotokoll vom 19. März 1993, S. 1. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 mit dem Sela betreffenden Schreiben von Präsident Zacher an die Senatoren vom 27. Oktober 1995, s. auch Presse-Information vom 12. Februar 1996: Harnack-Medaille an Prof. Michael Sela und Prof. Heinz A. Staab, ferner Harnack-Medaille für Michael Sela, in: Modell 1996, S. 13– 14 (mit 2 Abb.). MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 mit Vorschlag von Präsident Markl vom 14. Mai 1998 und Schreiben von Altpräsident Staab vom 1. September 1998. Vgl. Hans F. Zacher: Mein 20. Jahrhundert im Recht. In: Rechtshistorisches Journal 19 (2000), S. 682–688.
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Der Zoologe Hubert Markl verfolgte – wie schon seine Vorgänger Staab und Zacher – weiter die Politik einer Zusammenarbeit mit dem Förderer der Kooperationsprogramme und neuem Präsidenten des Weizmann-Instituts in Rehovot, Haim Harari, und schlug ihn am 14. Februar 2001 für die Harnack-Medaille vor. Der Senat stimmte dieser Ehrung auf der Hauptversammlung in Berlin am 22. Juni zu, wobei das Urkundenformular erstmals leicht modernisiert wurde64. Die bislang letzte Harnack-Medaille überreichte der derzeitige Präsident Peter Gruß im vergangenen Jahr mit Senatszustimmung seinem Vorgänger und Ehrenmitglied der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, anläßlich der Hauptversammlung der Gesellschaft in Stuttgart am 25. Juni 2004 zum Dank dafür, daß die Max-Planck-Gesellschaft während seiner Präsidentschaft international hervorragend bewertet worden war (sogen. Systemevaluation), er Max Planck Research Schools sowie diverse Forschungsgruppen an Universitäten eingerichtet und den „Einsatz der Max-Planck-Gesellschaft in der Europäischen Union, aber auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern sowie in China“65 verstärkt hatte. Auch die Einsetzung einer Präsidentenkommission „KaiserWilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ hatte in der Öffentlichkeit große Beachtung gefunden. Lassen Sie mich zum Schluß bilanzieren: Die 1924 gestiftete Harnack-Medaille mit einem Durchmesser von 125 mm hat ein Bronze-Gewicht von 425 Gramm (jedenfalls die im Archiv ausgewogenen Exemplare). Die Mitteilung des Berliner Münzkabinetts: „Spiritus creator war die Devise der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ ist nicht richtig;. es handelt sich vielmehr um die persönliche Devise Adolf von Harnacks, allenfalls allmählich durch die Medaille auf die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft übertragen66, deren höchste Auszeichnung sie darstellt. Die Verleihung erfolgte jeweils, vorbereitet durch den Verwaltungsausschuß (KWG) bzw. Verwaltungsrat (MPG) auf Senatsbeschluß, der – dem Überraschungseffekt zuliebe – oft genug im „geheimen“ Umlaufverfahren herbeigeführt werden mußte, nämlich immer dann, wenn der Aspirant diesem Gremium angehörte. Das Vorschlagsrecht lag und liegt beim Präsidenten der Gesellschaft, der die Verleihung selbst vornimmt. Festgehalten wurden diese Regelungen erstmals im „vorläufigen“ von 1959 bzw. dem endgültigen „Statut zur Verleihung der 64
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MPG-Archiv, Il. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 und 157. Senatsprotokoll, TOP 1, ferner 52. Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin 2001, S. 67 und MaxPlanck-Forschung 2001, H. 2, S. 102. MPG-Archiv, II. Abt., Rep. 1 A, Az. 111.2 und MP-Intern 2004, H. 3, S. 12. Vgl. den Katalog zur FIDEM-Ausstellung in Weimar von Wolfgang Steguweit mit Beiträgen von Elke Bannicke u. a.: Die Medaille und Gedenkmünze des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Berlin 2000, S. 101 = Kat.-Nr. 156 und S. 128 mit verkleinerter Abb. auf Taf. 53: Eisengußmedaille, Leihgabe der Fa. Noack, Berlin-Friedenau.
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Harnack-Medaille“ von 1990. Eine die Verleihung begleitende Urkunde ist erst 1959 eingeführt worden, die seither auch den Text der Laudatio enthält. Auf eine Namensgravur der Medaille (wie bei den Nobel-Medaillen und von Fritz Haber vorgeschlagen) wurde verzichtet67. Eine Vergabe in Gold war ursprünglich nicht beabsichtigt oder ist jedenfalls in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nicht erfolgt. Erst protokollarische Nöte „erzwangen“ 1959 die Verleihung in Gold, wobei sich der Senat die Möglichkeit offen hielt, auch im Wiederholungsfalle davon Gebrauch zu machen, ohne dies im Statut festzuschreiben. Dieser trat 1983 ein, als die doppelte Amtszeit von Adolf Butenandt „vergoldet“ werden sollte; seine Goldmedaille wiegt übrigens – im Archiv ebenfalls überprüft – 515 Gramm, d. h. mehr als ein halbes Kilo, wobei natürlich ihr Seltenheitswert – trotz gestiegenen Goldpreises – weit höher anzusetzen wäre, doch fehlen uns nicht nur bei diesem Rarum, sondern auch bei den Bronze-Güssen bisher alle Auktionspreise. Die Harnack-Medaille wurde in bisher 81 Jahren nur 32mal verliehen, davon 10mal durch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (1924–1936) und 22mal durch deren Nachfolgeorganisation, die Max-Planck-Gesellschaft (1953– 2004). Gleichwohl scheint es nur so, als sei sie eine „interne“ Medaille, weil immerhin 9 (von 10) Präsidenten der Gesellschaft sie in Empfang nehmen durften, nämlich: Harnack, Planck, Vögler, Hahn, Butenandt, Lüst, Staab, Zacher und Markl, nicht aber der so bald im Amt verstorbene Carl Bosch. Diese Präsidenten erwiesen sich sämtlich als internationale Multiplikatoren, die den Emissionskredit der Max-Planck-Gesellschaft steigerten, was auch für die fünf Vizepräsidenten gilt, die größtenteils durch ihre Kontakte zur Wirtschaft die anwendungsorientierte Forschung stärkten oder durch ihre Verbindungen zu anderen Förderorganisationen der Wissenschaft für ergänzende finanzielle Mittel sorgten. Sie wurden dabei von einer kleinen Zahl prominenter Wissenschaftler unterstützt, die die Außenresonanz der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft verstärkten. Dafür wurden sie ebenso mit der Harnack-Medaille ausgezeichnet wie diejenigen, die sich speziell für gute deutsch-israelische Wissenschaftsbeziehungen einsetzten. 67
Fritz Haber schlug am 12. Oktober 1932 eine Randgravur der Empfängernamen vor (analog zur Goethe-Medaille, die dies eingeführt habe), worauf ihm Planck am 17. Oktober 1932 zustimmte: „Ich bin durchaus Ihrer Meinung, daß die Medaille durch diese persönliche Kennzeichnung sowohl für die Empfänger wie auch für seine Nachkommen an Wert gewinnt und werde daher auch bei künftigen Verleihungen eine entsprechende Gravierung vornehmen lassen“. Leider hat sich aber bisher kein Exemplar dieser Medaille mit Namensgravur auffinden lassen (außer vielleicht Plancks eigener, im Kriege aber zerstörter Medaille, könnten die an Krupp von Bohlen und Halbach 1933, Carl Duisberg 1934, Albert Vögler 1936 und Ludwig Prandtl 1936 vergebenen Medaillen eine solche Gravur aufweisen), selbst wenn dieser Brauch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder außer Übung gekommen sein sollte. Eine Bestätigung steht aus. Vgl. Habers Anregung und Plancks Entgegnung in MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 64.
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Am deutlichsten zeigte sich die externe Bedeutung dieser vermeintlich internen Auszeichnung an ihrer Verleihung an drei Bundespräsidenten, nämlich an Heuss, Lübke und Weizsäcker, die besonders zum Ansehen der Max-Planck-Gesellschaft in der Öffentlichkeit beitrugen. Sie alle traten für die Autonomie dieser Forschungsgesellschaft ein, die seit 1911 immerhin 68 Nobelpreisträger in ihren Reihen aufweisen kann68 und damit weltweit zu den erfolgreichsten wissenschaftlichen Organisationen auf dem Gebiet der chemisch-physikalisch-technischen, der medizinisch-biologischen und der geisteswissenschaftlichen Grundlagenforschung überhaupt zählt. Die Harnack-Medaille ist ein gemeinsames Symbol der Kaiser-Wilhelm-/MaxPlanck-Gesellschaft, was angesichts der Tatsache, daß es sich um dieselbe Auszeichnung zweier (rechtlich) unterschiedlicher Gesellschaften handelt, zunächst erstaunlich und auch durchaus ungewöhnlich erscheint; sie betont – neben der Flagge auch nach außen die ideelle, personelle und materielle Identität beider69. Ich konnte in diesem Referat den hohen Auszeichnungswert der in der numismatischen Forschung bisher kaum beachteten Harnack-Medaille nur andeuten, gleichwohl richten sich meine Hoffnungen nun auf die Phaleristik, von der ich erwarte, daß sie das wichtige Thema der Gelehrtenmedaille70 nicht ebenso geringschätzig behandelt und damit ausgrenzt. Es stellt nur einen Ausschnitt aus dem größeren Gebiet der Etui-Medaillen dar, die bisher bereits ein Stiefkind der Ordenskunde bildeten, die ich deswegen auffordern möchte, sich endlich zur Adoption zu entschließen.
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Zu den wenigen weiterführenden Arbeiten auf diesem Gebiet zählt die Schrift von Anthony R. Michaelis: Die Medaille als Kunstwerk der Naturwissenschaften. Stuttgart 1986, S. 30 f. mit Literaturnachweisen. Die Michaelis-Sammlung wissenschaftlicher Medaillen ist zwischen 1972 und 1981 mehrmals international ausgestellt worden (Verbleib unbekannt). Die eingetragenen Vereine bestanden sogar von 1946/48 bis 1960 nebeneinander, nämlich solange, bis alle Vermögenswerte von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf die Max-Planck-Gesellschaft übertragen werden konnten. Vgl. Anm. 32. Marion Kazemi: Nobelpreisträger in der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft. Berlin 2002 (Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der MaxPlanck-Gesellschaft, Bd. 15).
Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie * Wie jede Wissenschaft einer anderen Hilfestellung gewähren kann, so vermag dies in besonderen Fällen auch die Münz- und Medaillenkunde für die Genealogie1. Ebenso wie genealogische Grundkenntnisse für den Numismatiker nützlich sein können, kann auch der Genealoge Münzen und Medaillen mit Vorteil als familiengeschichtliche Quellen auswerten2. Zwischen beiden Fachgebieten gibt es, wie noch zu zeigen ist, personengeschichtliche (I) und sachliche Berührungspunkte in größerer Zahl (II–V). Die Ursache, warum sich Numismatiker und Genealogen bisher nur unzureichend der Erforschung dieser Wechselbeziehungen gewidmet haben, liegt also weniger in einem Mangel an Gemeinsamkeiten, sondern beim Numismatiker sicherlich daran, „daß zum Verständnis und zur richtigen Beurteilung von Werken, die auf bestimmte Personen und Vorgänge Bezug nehmen, mehr wissenschaftliche Voraussetzungen erforderlich sind, als für Geldsorten, Taler usw. in Betracht kommen“3. Da umgekehrt der Genealoge für seine Zwecke oftmals wegen fehlender, münz- und medaillengeschichtlicher Grundkenntnisse auf eine Auswertung entsprechender Zeugnisse verzichten muß, seien zur Vorverständigung einige der nötigsten Begriffsbestimmungen vorausgeschickt. M ü n z e n sind Zahlungsmittel aus Metall, die beim Gießen oder Prägen vom Münzherren ein bleibendes Kennzeichen erhalten, das ihren Wert gewährleisten soll. M e d a i l l e n (von lat. metallum, ital. medaglia) stellen dagegen Erinnerungsstücke an Personen- oder an bestimmte Ereignisse dar; sie haben zwar Ähnlichkeit mit Münzen, weisen aber keinerlei Geldqualität auf4. Wenn man von antiken Prägungen absieht, kann die Medaille als eine * 1
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Erstmals erschienen im Herold-Jahrbuch 1 (1972), S. 29–40. Durchgesehene und erweiterte, mit Anmerkungen und Nachweisen versehene Fassung meines numismat. Beitrags z. Handbuch der Genealogie. Für d. Herold hrsg. v. Verf. u. W. Ribbe. Neustadt/A. 1972, S. 167–172. Für bereitwillig erteilten Rat bei der Klärung münz- u. medaillenkundl. Fachfragen möchte ich auch hier Herrn Dr. Wolfgang Heß (Marbg. a. L.) danken. Vorarbeiten leisteten: Ed. Heydenreich, Numismatik und Familiengeschichte, in: Dresdner Journal 1905 (und öfter); Wilh. Burkhardsberg [Pseudonym für Wilh. v. Schiber]: Münz- und Schaumünzenkunde für Familienforscher. Lpz. 1937 (= Prakticum für den Familienforscher H. 28). – Vgl. auch Anm. 12. Wolfgang R. v. Wurzbach-Tannenberg: Katalog meiner Sammlung von Medaillen, Plaketten und Jetons, zugleich ein Handbuch für Sammler. 2 Bde. Zürich, Lpz. und Wien 1943, S. I. Eine besondere Gruppe von Medaillen bzw. ihre Vorläufer nennt Heinrich Buchenau „Schaumünzen ohne Umlaufkraft“, womit er vor allem „zahlreiche talerförmige Gepräge (Miszellantaler)“ bezeichnet wissen möchte, vgl. seinen Grundriß der
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Schöpfung der italienischen Renaissance gelten, die im 16. Jahrhundert unter humanistischem Einfluß auch in Deutschland Verbreitung fand5. Von ihr hebt sich die Medaille als Auszeichnung (z. B. Verdienst-, Preis- und Rettungsmedaillen) ab, die zugleich Forschungsgegenstand der Ordenskunde im weitesten Sinne ist. Eine Sonderstellung zwischen Münzen und Medaillen nehmen streng genommen die S c h a u - , D e n k - u n d E h r e n m ü n z e n ein, die sich von der Medaille dadurch unterscheiden, daß sie zugleich als Kurrantgeld gebraucht werden können. Eine Variante der Medaille stellt schließlich die P l a k e t t e dar, die meist eine von der Rundung abweichende Form hat, häufig rechteckig und nur einseitig bearbeitet ist. Ihr kommt – im Gegensatz zu den vorgenannten Formen – nur selten ein genealogischer Quellenwert zu, ebensowenig wie den J e t o n s , die ursprünglich Rechenpfennige und keine Münzen waren; später wurden freilich auch die Auswurfmünzen so bezeichnet (Prägungen, die z. B. bei einer Krönung unter das Volk geworfen wurden)6.
I Faßt man zunächst die einzelnen Berufsgruppen ins Auge, die an der Herstellung von Münzen und Medaillen bis zu ihrer Ausgabe beteiligt sind, ergeben sich bereits die verschiedensten Wechselbeziehungen zwischen Genealogie und Numismatik. Der e r s t e P e r s o n e n k r e i s umfaßt die geistlichen und weltlichen Münzherren, vor allem die Münzmeister, denen die verantwortliche Leitung der Münzstätte oblag, die Wardeine als technische Beamte, die die Prägung überwachten, die Probierer und Prüfer, denen die Feststellung des zur Vermünzung kommenden Metalls und die Begutachtung der Schrötlinge oblag, die Eisenhüter (Isenhelder), die das Prägeeisen verwahrten und den Wardein vertraten, die Stempelschneider oder Eisengraber (anfangs standen an ihrer Stelle auch Goldschmiede), deren Aufgabe das Gravieren der Münzeisen war, die Eisenschmiede, die zuvor die gröberen Arbeiten verrichteten, die Versucher und Brenner, die für das Schmelzen des Münzmetalls verant-
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Münzkunde II, Lpz. u. Berlin 1920, S. 85 (= Aus Natur und Geisteswelt Bd. 657). Diese Bezeichnung, die die Definition der Medaille, die kein Kurrantgeld darstellt, mit der Begriffsbestimmung von Schau-, Denk- und Ehrenmünzen (s. u.) vermischt, die auch Zahlungsmittel waren, ist abzulehnen und hat, soweit wir sehen, erfreulicherweise kaum Anhänger gefunden. Vgl. u. a. K. Domanig: Die deutsche Privatmedaille der älteren Zeit. Ein Vortrag. Wien 1893. – G. Habicht/M. Bernhart/P. Grotemeyer: Die deutschen Schaumünzen des 16. Jahrhunderts. 2 Bde. München 1929–34. – A. Suhle: Die deutsche Renaissancemedaille. Ein Kulturbild aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Leipzig 1950. Um klare Begriffsbestimmungen ist bemüht F. Frhr. v. Schrötter: Wörterbuch der Münzkunde. Berlin, Leipzig 1930 (auch als Nachdruck erhältlich).
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wortlich waren, die Gießer, die das flüssige Metall in die Zainformen gossen, die Zainmeister, die das gleichmäßige Aushämmern besorgten, die Schrotmeister, die das Zerstückeln des so behandelten Metalls und die Ausformung der Schrötlinge vornahmen, ferner die Setzmeister, die das eigentliche Prägegeschäft ausübten (sie legten die Schrötlinge auf den Unterstempel und „setzten“ den Oberstempel darauf), schließlich die Münzergesellen und -knechte, die Lehrjungen, Gehilfen und Arbeiter7. Hinzu kamen die Medailleure8 (deutsch oft „Konterfetter“ genannt) und die beteiligten Künstler aus verwandten Berufen (Bildhauer, Wachsbossierer, Holzschnitzer, Kupferstecher, Gold- und Silberschmiede etc.). Die meisten Angehörigen der genannten Berufe sind, was für den Familienforscher wesentlich ist, noch heute namentlich zu erfassen. Am bedeutendsten unter ihnen waren die Münzmeister 9. Sie nahmen seit dem Hochmittelalter allgemein, z. T. bereits früher, eine relativ unabhängige Stellung gegenüber dem Münzherrn ein, der sein Münzrecht (als königliches Regal) nicht direkt ausübte, sondern seine Münzstätte zumeist einem Münzmeister gegen einen Pauschalbetrag oder gegen Zahlungen verpachtete, deren Höhe sich nach der Menge des vermünzten Edelmetalls richtete; der Unterschied zwischen den Material- und Herstellungskosten auf der einen und dem Nennwert der Münzen auf der anderen Seite machte die (oft große) Verdienstspanne der Münzmeister aus. Wegen der Vorteile, die dieses System beiden Vertragspartnern, dem Münzmeister als „Unternehmer“ wie auch dem Münzherrn bot, der, ohne ein Risiko tragen zu müssen, über feste, oft dringend benötigte Bargeldeinnahmen verfügen konnte, hielt es sich bis in das 18. Jahrhundert hinein, obwohl bereits in den Reichsmünzordnungen des 16. Jahrhunderts die Verpachtung der Münzstätten verboten wurde und man statt dessen fest bezahlte und beamtete Münzmeister forderte. Die Berufsgruppe der Münzmeister ist vor allem in genealogischer, ethnischer und sozialer Hinsicht interessant: a) Bei ihnen macht sich das Bestreben, ihr Handwerk bzw. das Unternehmen auf Söhne und Enkel, häufig auch auf Schwiegersöhne zu vererben, besonders deutlich bemerkbar. Bisher sind ungefähr neunzig dieser Münzmeisterfamilien namentlich bekannt geworden; die tatsächlich ermittelbare Zahl dürfte wesentlich höher liegen. b) Ethnisch gesehen ist auffällig, daß ein großer Teil der Münzmeister jüdischer oder im Spätmittelalter häufig auch italienischer (speziell lombardischer und florentinischer) Herkunft war. Diese Unternehmer, die außer in 7
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H. Halke: Verwaltung und Personal früherer, insbesondere deutscher Münzstätten, in. Jahrbuch des Numismatischen Vereins zu Dresden auf das Jahr 1911. Dresden 1912, 11–26, hier bes. S. 16 ff. Vgl. L. Forrer: Bibliographical Dictionary of Medaillists. 8 Bde. London 1902–1930. Vgl. hier, wie auch unten, in allen Fragen, die die Münzmeister betreffen, Wilhelm Jesse: Probleme und Aufgaben der Münzmeisterforschung, in: Hamburger Beiträge zur Numismatik 3 (1955/57) 31–60.
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Deutschland auch in Belgien, den Niederlanden oder in Polen nachzuweisen sind, stellen einen „internationalen, stark versippten Stand“10 dar. c) Die Münzer bilden im Mittelalter einen eigenen, zunftartig organisierten Berufsstand heraus. Diese sogen. Münzerhausgenossenschaften11, die vor allem in Mittel- und Südwestdeutschland bestanden haben, sind im 16. Jahrhundert zwar durch die Reichs- und Kreismünzordnungen aufgehoben worden, ihr Vorbild wirkte jedoch noch lange weiter. Die Münzmeister waren in den Städten meist wohlangesehene Leute; als privilegierte Wechsler zählten sie sogar häufig zum Patriziat und waren selbst im Rat vertreten. Im 17. und 18. Jahrhundert stiegen sie oft in hohe Beamtenstellen auf. Doch gab es in diesem Beruf auch häufig Betrüger und Falschmünzer, die auch aus den unteren Handwerksberufen in den Münzmeisterstand eindrangen und ihn dann in Verruf gebracht haben: meist erkennt man diese Leute an ihrem raschen Wechsel der Münzstätten. Der z w e i t e P e r s o n e n k r e i s umfaßt alle, die nach Ausgabe der verschiedenen Münzen und Medaillen mit diesen in nähere Berührung gekommen sind. Im engeren Sinne handelt es sich hier um Berufe wie Kaufleute und Händler, Bankherren, Wechsler, Makler, Juweliere etc., ferner um die Bediensteten oder Beamten der territorialen Finanz-, Steuer- und Wirtschaftsverwaltung, die als Mittler zwischen Staat und Bürger mit den Münzen zu tun hatten, wie Münzdirektoren oder Superintendenten, Münzamtleute, Steuereinnehmer, Zöllner, Akziseverwalter, Vögte usw. Die Grenze zum ersten Personenkreis ist mithin fließend. Zum d r i t t e n P e r s o n e n k r e i s gehören alle diejenigen Forscher, die sich mit Münzen und Medaillen als historische und familiengeschichtliche Quelle beschäftigen12, nachdem diese wieder eingezogen worden sind und keine amtliche Gültigkeit mehr besitzen, wie Numismatiker, Historiker, Kunsthistoriker, Genealogen, aber auch Liebhaber, Sammler oder Münzhändler. Die Zahl der Genealogen, die selbst einen oder mehrere Vorfahren aufweisen können, die den genannten Personenkreisen angehören, wird nicht gering sein. Doch auch wenn der Familienforscher z. B. den Auftrag hat, die Genealogie eines Kaufmannsgeschlechtes zu erforschen oder sich mit moderner Unternehmergenealogie befassen möchte, kann für ihn die Notwen10
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Ahasver v. Brandt: Numismatik, in: Werkzeug des Historikers. 5. Aufl. Stgt. 1969, S. 177–187, hier: 185 (= Urban-Bücher, Bd. 33). Vgl. Wilhelm Jesse: Die deutschen Münzer-Hausgenossenschaften, in: Numismatische Zeitschrift 62 (1929) 47 ff. und Georg Wagner: Münzwesen- und Hausgenossen. Speyer 1931 (= Veröffentlichungen der pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, Bd. 17). Wilhelm Beemelmanns: Münze und Familienkunde, in: Familiengeschichtliche Blätter 23 (1925) Sp. 3–8, 35–40. – R. Gaettens: Die Medaille als Quelle zur Familienforschung, in: Der Herold. Vierteljahrsschrift f. Heraldik, Genealogie u. verwandte Wissenschaften NF, Bd. 1 (1940) 2–6.
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digkeit gegeben sein, sich mit dem Lebensbereich dieser Ahnen und somit auch mit numismatischen Fragen zu beschäftigen. Den Genealogen interessieren auf Münzen und Medaillen und ihren Nebenformen vor allem die Legende sowie Porträt- und Wappendarstellungen.
II Als L e g e n d e wird die auf der Münze befindliche Schrift bezeichnet, unterschieden nach Auf- bzw. Inschrift und der Umschrift, die das Münz- oder Medaillenbild in einem Kreisbogen oder mehreren umläuft; Randschriften (an der Kante) sind selten und kommen erst Ende des 17. Jahrhunderts auf. Was die Schriftart anbelangt, so überwiegt die Majuskelschrift. Die Sprache der Münzaufschrift ist in Deutschland bis weit in die Neuzeit das Latein; Deutsch kommt im Mittelalter vereinzelt, im 16. Jahrhundert häufiger vor und setzt sich dann, besonders bei Wertbezeichnungen, mehr und mehr, von den Kleinmünzen ausgehend, durch.13 Für die Genealogie ist der Inhalt der Legende14 zunächst wegen der in ihr enthaltenen Eigennamen15 bedeutungsvoll. Als Quelle für die Dynastengenealogie erweisen sich diejenigen Münzen, die den Namen des Münzherrn (oft ist es der früheste Beleg!), häufig auch ihre Titel angeben (aus denen sich dann wieder verfassungsgeschichtliche Schlüsse ziehen lassen). Bisweilen werden der Legende auch Verwandtschaftsangaben beigefügt, die die Bedeutung des Münzherren unterstreichen sollen; so bezeichnet sich Edward, der „schwarze Prinz“ (gest. 1376) als „Erstgeborener des Königs von England“, Landgraf Hermann von Hessen (1377–1413) als „adnepos“ (= Ururenkel) der heiligen Elisabeth von Thüringen16. Seit dem ausgehenden Mittelalter erscheinen schließlich auf den Münzen auch persönliche Devisen und Wappensprüche17 fürstlicher Häuser, die das Selbstgefühl dieser Geschlechter kennzeichnen und daher auch vom Genealogen nicht übersehen werden soll-
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Fast immer handelt es sich um einsprachige oder monolingue Stücke. Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß es auch bilingue Münzen (z. B. die Münze Mazedoniens aus römischer Zeit mit lateinischen und griechischen Aufschriften) und sogar trilingue Zahlungsmittel gab (z. B. die Kolonialmünzen in Holländisch-Indien, die holländische, arabische und malayische Aufschriften aufwiesen). Vgl. allgemein Wilhelm Rentzmann: Numismatisches Legendenlexikon des Mittelalters und der Neuzeit. Berlin 1865–78. Nachdr. Halle/S. 1924 und Düsseldorf 1965. Vgl. Friedrich Bonhoff: über die Entstehung von Familiennamen aus dem Bereich der Münzkunde, in: Frölich-Festschrift. K. F. zur Vollendung des 75. Lebensjahres. Goslar 1952, S. 71–82 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar, Bd. 13). Ferdinand Friedensburg: Die Symbolik der Mittelaltermünzen. 3 Teile. Berlin 1913– 22, hier S. 59. Vgl. Julius Dielitz: Wahl- und Denksprüche. Frankfurt/M. 1884.
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ten (z. B. Württemberg: „Attempto“; Savoyen: „fert“; Habsburg: „AEIOV“; Preußen: „Suum cuique“ etc.18). Zahlreiche Münzen weisen jedoch nicht nur Herrschernamen, sondern auch (oder sogar allein) Münzmeisternamen auf und stellen somit ein wichtiges Hilfsmittel für die Münzmeistergenealogie dar. Allein aus merowingischer Zeit sind bisher achthundert Münzmeister bekannt geworden, die durch die Angabe ihres Namens auf der Münzaufschrift ihre Stellung bzw. ihren Einfluß betonten. Seit der karolingischen Münzreform geht ihre Zahl dann jedoch zurück. Seit dem Spätmittelalter treten an die Stelle der Namen Zeichen (vgl. IV), Initialen oder Monogramme19 der Münzmeister (seltener auch der Wardeine oder Stempelschneider). Meist sind es ein bis zwei Buchstaben (z. B. „MK“ für Melchior Kohl in Hannover 1616–18), aber auch Kombinationen von drei und mehr Buchstaben sind nicht selten. Diese Signaturen haben auch ihre Bedeutung für die Familienforschung, da sie dazu beitragen, Angehörige dieser traditionsreichen Berufe identifizieren zu helfen, die in Europa weitverbreiteten Familien angehörten. Die ebenfalls durch Buchstaben (oder allgemein durch Abkürzungen20, im Mittelalter vielfach auch durch das Bild des Ortsheiligen) näher bezeichneten Münzstätten geben zudem die Möglichkeit, das Wirken der dargestellten oder nur namentlich genannten Persönlichkeit zu lokalisieren bzw. im Falle des Münzmeisters seinen Lebensweg zu verfolgen. Zeitangaben auf Münzen und Medaillen, die vom 15. Jahrhundert an häufiger werden (Datierung nach Regierungsjahren der Herrscher oder den Pontifikatsjahren der Päpste etc.; Zeitangaben in der Minderzahl) sind nicht nur für die Numismatik, sondern auch für die genealogische Forschung von großer Bedeutung, da es dann nicht mehr erforderlich ist, die Prägungen nach Stilkriterien, ihrer Fabrik oder nach Fundgemeinsamkeiten zu datieren. Von besonderem genealogischem Wert sind schließlich die Legenden der verschiedensten Schau-, Denk- und Ehrenmünzen, die zur Geburt eines Thronerben, zu fürstlichen Geburtstagsfeiern, Todesfällen im Herrscherhaus usw. geschlagen wurden. Überhaupt erweisen sich die Auf- und Umschriften auf Begräbnis- oder Sterbemünzen als besonders aufschlußreich; sie enthalten Angaben über den Namen, bei Frauen auch über den Vaternamen, über Tag, Jahr und bisweilen auch über den Ort der Geburt, ferner über Titulaturen und Amtsjahre, über erlangte akademische oder geistliche Würden des Verstorbenen und schließlich auch sein Sterbealter, den Todes18 19
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Ferd. Friedensburg: Symbolik, S. 62. Als Hilfsmittel kann herangezogen werden: O. Flämig: Monogramme auf Münzen: Marken, Zeichen und Urkunden. 2. Aufl. Braunschweig 1968; Franz Goldstein: Monogrammlexikon. Berlin. 1964. Darüber: F. W. A. Schlickeysen: Abkürzungen auf Münzen der neueren Zeit, des Mittelalters und des Altertums, bearb. v. R. Sallmann und H. Droysen. 4. Aufl. Graz 1961 (zuerst 1896).
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tag, bei Fürsten in der Regel auch das Regierungsjahr. Daneben kommen auch noch ausführlichere Legenden vor, die sogar biographische Einzelheiten und Hinweise auf die Wesensart, schließlich die Maxime oder Sinnsprüche des Verstorbenen enthalten. Welchen Quellenwert die Legende von Medaillen auf Privatpersonen für die genealogische Forschung besitzt, ergibt sich schon aus den zahlreichen Familienanlässen, zu denen Gelegenheitsmedaillen hergestellt und verschenkt wurden. Für die Familienforschung ergiebig sind: Medaillen auf Hochzeitspaare (bisweilen auch zur silbernen oder goldenen Hochzeit), Tauf- und Patenpfennige21 (es sei angemerkt, daß noch auf Anregung Kaiser Wilhelms II. durch ein Preisausschreiben des Preuß. Kultusministeriums der Versuch einer Wiederbelebung der Hochzeits- und Taufmedaillen gemacht wurde), ferner: Medaillen auf Glück- und Friedenswünsche bei Jubiläen, Freundschafts- und sogar Spottmedaillen; auch Judenmedaillen22 haben eine alte Tradition.
III Als Bild im engeren Sinne wird der Teil der Münzen und Medaillen angesprochen, der keine Schrift aufweist. Den Genealogen interessieren unter der Vielzahl der Münzbilder in erster Linie Bildnisse, d. h. P o r t r ä t d a r s t e l l u n g e n auf Münzen und Medaillen23, die sich in der Regel auf der Vorderseite (Avers) befinden. Man spricht daher auch von der „Hauptseite, sowohl weil sie ein Haupt trägt, als [auch] weil sie die wichtigere ist“24. Bei Porträts sind zu unterscheiden: a) die Wiedergabe des Kopfes (besonders im 19. Jahrhundert beliebt), der bei Münzen selten von vorn (en face) dargestellt ist, da die Nase bald abgegriffen und das Bild somit zerstört würde; Links- oder Rechtsdrehung (= Profilbilder) sind daher die Regel; 21
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Walther Pfeilstricker: Tauf-, Paten-, Firmungs- und Hochzeitsmedaillen aus der Sammlung Franz Seeger, Uhringen, in: Blätter f. Württembergische Familienkunde H. 40/41 (1930) 45–49. Besonders wertvoll ist die Arbeit von P. Schmidt: Die deutsche Hochzeitsmedaille, in: Deutsches Jahrbuch für Numismatik 3/4 (1940/41) 9–52. B. Kirchner: Deutsche Spottmedaillen auf Juden. München 1969. P. Goessler: Die deutsche Porträt-Medaille als genealogische Quelle, in: Blätter für Württembergische Familienkunde H. 11/12 (1925) 209–217. – Alfr. Gerhardt: Die deutschen Renaissance-Medaillen auf Privatpersonen als familiengeschichtliche Quellen, in: Ekkehard 4 (1930) 34–35. – Walther Haupt. Die Familienschaumünzen des Bautzener Zinngießers Johann Gottlob Edmann (1733–1801), in: Der Familienforscher in der Oberlausitz Jg. 1938, 1–8 (= Beilage des Neuen Göttinger Anzeigers vom 15.1., 12.2., 12.3., 16.4.1938). – P. Grotemeyer: Da het ich die Gestalt. Deutsche Bildnismedaillen des 16. Jahrhunderts, München 1957 (= Bilder aus deutscher Vergangenheit Bd. 7). Ernst A. Stückelberg: Der Münzsammler. Zürich 1899, S. 28.
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b) das Brustbild (bei den Römern besonders häufig, aber auch in der Neuzeit beliebt); c) die Halbfigur (vom 16. bis ins 18. Jahrhundert vorherrschend) wurde gern gewählt, weil dadurch die Darstellung der Draperie und der Bewaffnung möglich ist; d) die ganze Figur (kniend, stehend, thronend oder reitend). Von Vorläufern abgesehen, gibt es Herrscherbildnisse erst im Hellenismus25; in der römischen Antike nicht vor Augustus. Die wenigen mittelalterlichen Münzporträts, bei denen Ähnlichkeit offenbar gar nicht erst angestrebt wurde, weisen fast ausschließlich Darstellungen des jeweiligen Münzherren auf: „Das Münzbild sollte Symbol der Obrigkeit sein“26. Auf den Medaillen der Neuzeit, die überwiegend von wohlhabenden Bürgern, aber auch von Adeligen und Fürsten in Auftrag gegeben und dann – wie heute Photographien – verschenkt wurden, sind Angehörige aller Berufe27 vertreten: Theologen, Juristen, Ärzte, Gelehrte der verschiedensten Wissenszweige, Dichter und Musiker28, Feldherren, landesherrliche Beamte, Bürgermeister, angesehene Bürger und Patrizier der Reichsstädte, oft auch mit ihren Frauen oder der ganzen Familie, nicht zuletzt auch Angehörige des Handwerks, das diese Medaillen herstellte (z. B. Medailleure, Goldschmiede und andere Kunsthandwerker) usw. Nicht der hohe künstlerische Rang, den diese Kleinkunstwerke mitunter einnehmen, sondern ihre Porträtähnlichkeit ist für den Genealogen maßgebend29, und hier stimmt es einen freilich skeptisch, wenn die Medailleure des 16. Jahrhunderts fast allzuoft beteuernd hinzugefügt haben, daß ihre Schöpfungen „ad vivum“, d. h. nach dem Leben, angefertigt worden seien30. Viele der älteren Bildnisse von Herrschern wie von Privatleuten stellen noch Idealporträts dar; sie sind charakteristisch dafür, wie man sich sehen wollte, und stellen somit eine wichtige Quelle für das Selbstverständnis des Porträtierten, für das Ansehen seines Amtes etc. und den Geschmack der Zeit dar. Immerhin wird die Porträtähnlichkeit seit dem 15. Jahrhundert wenigstens angestrebt, die Tendenz zur Individualisierung setzt sich gegenüber der älteren des Typisierens auf den Münzen und Medaillen erst allmählich durch. Mit der Erfindung der Photographie wird es schließlich möglich, die Porträtähnlichkeit besser zu kontrollieren bzw. sie zu verbürgen. 25 26
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Ib. Wilhelm Jesse: Münzbild- und Münzaufschrift, in: Dona Numismatica. Walter Hävernick zum 23. Jan. 1965, dargebr. Hamburg 1965, 5–18, hier: S. 5. Interessante Beispiele für numismatisch-genealogische Wechselbeziehungen lassen sich dem Werk von Josef Bergmann: Medaillen auf berühmte und ausgezeichnete Männer des österreichischen Kaiserstaates vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Wien 1858 (681 S.) entnehmen. P. Niggl: Musiker-Medaillen. Hofheim 1965. Ed. Heydenreich: Numismatik, in:. Handbuch der prakt. Genealogie, S. 90 f. Ferdinand Friedensburg: Die Münze in der Kulturgeschichte. Berlin 1926. S. 152.
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Wenn mehr als ein Porträt auf Münzen oder Medaillen dargestellt werden soll, bereitet die Gruppierung manchmal Schwierigkeiten. Besonders wenn die Rückseite (Revers) Aufschriften oder Wappen vorbehalten bleibt, müssen oft mehrere Köpfe auf einer Seite dargestellt werden. Das älteste Verfahren, zwei Köpfe auf eine Seite zu setzen, ohne sie zu verkleinern, soll auf die Ägypter zurückgehen. Zwei Porträts werden dabei gegenseitig leicht verschoben aufeinandergelegt, so daß das eine unter dem anderen hervorragt. Außer diesem Gruppierungsschema der „têtes accolés“ gibt es das Verfahren der „têtes affrontés“, bei dem ein links- und ein rechtsgerichtetes Profil einander zugewandt sind. Aber auch die Gruppierung mehrerer Köpfe auf einer Medaille ist möglich, wobei beide Verfahren häufig kombiniert angewandt werden. Eine Besonderheit, die in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden soll, stellen schließlich die sogen. „Suitemünzen oder -medaillen“ dar: Im weiteren Sinne versteht man darunter jede größere Reihe von gleichartigen Geprägen, die an aufeinanderfolgende administrative, kriegerische, politische, auch wissenschaftliche oder sonstige Ereignisse, an das Wirken regierender Fürsten, an die Tätigkeit von Behörden und Korporationen, auch an hervorragende P e r s ö n l i c h k e i t e n , besonders an öffentliche Funktionäre erinnern sollen“31. Vorläufer stellen die Rechenpfennige (Jetons) der Münzmeister, Geburts- und Sterbegroschen von Fürsten und Bischöfen, Auswurfmünzen bei Einzügen und Vermählungen regierender Personen etc. dar. Doch die ersten wirklichen Suite-Medaillen sind, sieht man von den wenigen antiken Beispielen (römischer Kaisermedaillen) ab, erst an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert in Frankreich nachzuweisen. Genealogisch interessant sind vor allem Medaillen-Suiten auf: a) Regenten: Das bekannteste frühe Beispiel stellen die 572 „Médailles sur les Principaux Evènements du Règne de Louis le Grand“ dar32. Auf dem Avers befindet sich sein dem jeweiligen Alter entsprechendes Kopf- oder Brustbild (mit lateinischer Umschrift), auf dem Revers allegorische Darstellungen. Später fertigte man auch Serien auf Ludwig XV. und Napoleon an. Außerhalb Frankreichs sind die Suiten auf die Herzöge Leopold I. und Franz III. von Lothringen, in Deutschland Medaillen-Suiten der Kaiser von Caesar bis zu Karl VI. (215 Stück, herausgegeben von Christian Wermuth in Gotha), der bayerischen und der pfälzischen Fürsten zu nennen; deutscher Provenienz sind auch die verschiedensten Reihen von Papstmedaillen (mit relativ ausführlichen Biogra-
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Wolfgang R. v. Wurzbach-Tannenberg: Katalog meiner Sammlung von Medaillen. A. a. O. Bd. I., S. 56. Auch in den anschließenden Ausführungen konnte ich seinem Kapitel „Medaillen-Suiten (Serien-Medaillen)“ ib. S. 56–63 weitgehend folgen, die im Zusammenhang vorher kaum behandelt worden sind. In zwei Bänden 1702 veröffentlicht.
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phien in lateinischer Sprache auf den Rückseiten). Ferner ließen sich schwedische, polnische und russische Beispiele für Suite-Medaillen anführen. b) Berühmte Persönlichkeiten: Das älteste Beispiel stellen wohl die kleinen Porträts-Jetons von Jean Dassier auf 74 Franzosen aus der Zeit Ludwigs XIV. dar: die Vorderseite zeigt das Brustbild, die Rückseite enthält Namens- und Berufsangaben, ferner das Todesjahr vermerkt. Größere SuiteMedaillen von 34 französischen Dichtern und Musikern schuf S. Curé (gest. 1734). Am bekanntesten sind jedoch die „Series Numismatica Universalis Virorum Illustrium“ (1818–30) mit 120 Stücken (ausgezeichnete, durch biographische Angaben ergänzte Porträts), die in München geprägt wurden, ferner die „Galérie Métallique des Grands hommes français“ (1816–31) mit 118 Stücken. In ähnlicher Ausführung gibt es auch Medaillen-Suiten auf berühmte Niederländer, Belgier oder Italiener. An deutschen Medaillen-Suiten auf Persönlichkeiten ist u. a. G. W. Vestners Serie auf Gesandte zu nennen, die am Westfälischen Frieden beteiligt waren (43 Stücke mit Porträt- und Wappendarstellungen aus dem 18. Jahrhundert), aber auch die Stücke von Daniel Friedrich Loos in Berlin auf Musiker (4 Suite-Medaillen). Hier wurden auch die Serien auf die Feldherrn der Befreiungskriege (9 Stück, 1814–15) hergestellt. Daneben interessieren den Familienforscher freilich auch alle kulturhistorischen und kostümkundlichen Details, wie Schmuck, Kleidung (besonders Uniformen), Haar- und Barttracht des Porträtierten. Nach solchen Angaben können nicht nur Medaillen datiert werden, deren Entstehungszeit nicht angegeben ist, sondern auch Aussagen über den Stand und das Vermögen der dargestellten Ahnen erhärtet oder widerlegt werden. Auch der Familienforscher, der keine berühmten Vorfahren aufzuweisen hat, hat gute Aussicht, in den Münzkabinetten der Museen, in Medaillenkatalogen der Händler, bei Auktionen oder in den zahlreichen Publikationen auf Vorfahrenbilder zu stoßen, da praktisch alle Berufe auf Porträtmedaillen vorkommen.
IV Münzen und Medaillen mit W a p p e n d a r s t e l l u n g e n33 oder sonstigen Emblemen sind ebenfalls als genealogische Quelle anzusehen. Der Brauch, Wappen oder Teile davon nach dem Prinzip pars pro toto als Symbol des Münzherrn und seines Geschlechtes auf Prägungen zu verwenden34 (ähnlich wie die Siegler teilweise schon im 12. Jahrhundert Wappensie33
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Wilhelm Rentzmann: Numismatisches Wappenlexikon des Mittelalters und der Neuzeit. Berlin 1876 (Nachdr. Halle/S. 1925 u. Düsseldorf 1965). Beispiele Rentzmann S. 95 (brandenburgische Pfennige, die Teile des markgräflichen Adlerwappens zeigen, analog auch schlesische Brakteaten des 13. Jahrhunderts). Vgl. auch Gustav A. Seyler: Geschichte der Heraldik, S. 746 (s. dazu E. Hen-
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gel zur Beurkundung gebrauchen), läßt sich erst vereinzelt im 13. Jahrhundert nachweisen, während im 16. dann die heraldischen Darstellungen auf Münzen und Medaillen allgemein üblich werden. In der Neuzeit sind sogar Darstellungen mit dem vollständigen Wappen der Münzherren gar nicht einmal selten, bei denen neben Schild, Helm, Helmdecken und -zier auch noch heraldische Prachtstücke wie Schildhalter (menschliche oder tierische Figuren), Wappenmäntel oder -zelte, Fahnen, Kronen und Orden mit abgebildet werden. Die weltlichen Münzprägungen mit heraldischen Darstellungen bieten jedoch nur für verhältnismäßig wenige Geschlechter ein gut erforschtes genealogisches Quellenmaterial. Ertragreicher sind da bereits die geistlichen Prägungen, da hier die Geschlechter, die in einer Stadt den Bischof, in einer anderen den Abt stellten usw., häufiger gewechselt haben und mit ihnen auch die Wappendarstellungen der Münzherren. Vom genealogischen Standpunkt sind ferner Münzen interessant, die – wie z. B. in Westfalen bekannt – bei Sedisvakanzen vom Kapitel geschlagen wurden, da auf ihnen mitunter die Wappen aller Mitglieder (bis zu 42) angebracht wurden35. Das Reichswappen und das Bild des Kaisers zeigen in Deutschland nur die Münzen der Reichsstädte. Im ganzen wird man sagen müssen, daß Münzen mit heraldischen Motiven fast ausschließlich eine Quelle für die Adelsgenealogie darstellen. Eine Ausnahme machen hier wieder die Wappen und erblichen Zeichen der Münzmeister (wie Rosetten, Kreuze, Hausmarken, Teile von Tieren, Blätter, Sterne, Zainhaken etc.), die seit dem 14. Jahrhundert zur Kennzeichnung der Münzen vorkommen und um die Wende des 15./16. Jahrhunderts sogar eine starke Zunahme zu verzeichnen haben. Hier kommen auch redende Zeichen vor, so verwendeten die Münzmeister Gante eine „Gans“, Ainckhürn ein „Eichhörnchen“, Khemling einen „Kamm“, Mulradt ein „Mühlrad“ usw. als Zeichen für ihre Prägungen. Als Vorstufe für die Kennzeichnung der Münzen durch die Wappen der Münzmeister können vielleicht die Wiener Pfennige des 13. Jahrhunderts gelten, die die Wappen der österreichischen Landschreiber trugen; in Polen wurde 1526 verfügt, daß die Kronschatzmeister ihr Wappen auf Münzen anbringen lassen mußten, in vielen deutschen Städten galt das gleiche für die Wappen der Bürgermeister (z. B. in Lübeck 1537). Ganz anders als bei den Münzen, die in der Regel das Wappen des Münzherrn trugen, verhielt es sich bei den Medaillen, auf denen sich auch viele Bürgerwappen befinden, denn die Führungsberechtigung eines Wappens, die schon im Spätmittelalter keineswegs auf den Adel beschränkt war, war
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ning, Rez. zum Nachdr., in: Der Herold, Vierteljahrsschr. f. Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften NF. Bd. 7, H. 10/11, 1971, S. 303–304). B. Peus: Münz- und Familienkunde, in: Westfälisches Adelsblatt 4 (1927) 169–174, hier S. 172.
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auch Bürgerlichen schon erblich verliehen worden. Leider steckt die Erforschung dieser Bürgerwappen auf Medaillen noch ganz in den Anfängen.
V Die Frage nach dem M ü n z w e r t ist für jeden Genealogen, der sich eingehender mit den Lebensbedingungen und somit auch mit der Vermögenslage oder dem Grundbesitz seiner Vorfahren befassen will, von ausschlaggebender Bedeutung. Das Quellenverständnis wird erheblich beeinträchtigt, wenn es nicht gelingt, eine Vorstellung von alten Lohn- und Preisangaben zu bilden und konkret zu beantworten, wieviel Deutsche Mark z. B. einem Albertustaler in Braunschweig um das Jahr 1747 entsprach oder welchen Wert ein Altnobel, eine Goldmünze des Pfalzgrafen bei Rhein, um 1386 hatte usw. Leider ist es in der Numismatik – anders als bei den Maßen und Gewichten36 – nur in den seltensten Fällen möglich, wegen der (durch das Absinken des Metallwerts unter den Nennwert) schnell wechselnden Nominalwerte und Währungseinheiten (Münzverrufungen und -erneuerungen) überhaupt moderne Vergleichsgrößen anzugeben. Da auch die Erforschung der historischen Entwicklung von Preisen und Löhnen erst am Anfang steht, helfen dem Genealogen hier nur Kaufkraftvergleiche weiter. Wenn z. B. in familiengeschichtlichen Quellen, etwa in alten Kaufmannsbüchern, um 1400 in Bremen 24 Groten, um 1590 in Lüneburg 40 Taler und um 1762 in Paderborn 4½ Reichstaler erwähnt werden, von denen gesagt wird, daß im ersten Fall ein Schwein, im zweiten ein Pferd und im dritten ein Scheffel Roggen dafür gekauft werden konnten, dann erlauben solche Wertrelationen im konkreten Fall durchaus, den „Lebensstandard“ einzelner Familien oder Stände zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gegend zu beurteilen und damit die Frage zu beantworten: was bekamen die Ahnen für ihr Geld? Dann erst wissen wir, wie vermögend oder arm die Vorfahren waren, was die Dinge des täglichen Bedarfs, ihre Feste und vor allem aber lebenswichtige Produkte gekostet haben. Wer systematische Forschungen auf dem Gebiet der P r e i s e n t w i c k l u n g anstellen will, sollte a) möglichst nach Preislisten suchen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, b) sich einer wirtschaftlich möglichst homogenen Landschaft zuwenden (z. B. Weinanbaugebieten), c) zur Ermittlung von Preisschwankungen vornehmlich von lebenswichtigen Produkten ausgehen (Getreide, Schlacht- und Federvieh, Arbeitspferde, tierische Erzeugnisse wie Eier und Butter), wobei darauf zu achten ist, daß bei
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Vgl. Eckart Henning: Historische Metrologie, in. Handbuch der Genealogie (wie Anm. 1), S. 166.
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Vergleichen einzelner Zeiträume untereinander d) die Sachgüter natürlich nach Art und Zahl konstant bleiben müssen37.
ANHANG Alfred Wolfgang Ritter v. Wurzbach-Tannenberg38 hat sich im umfangreichen maschinenschriftlichen Katalog seiner „Sammlung von Medaillen, Plaketten und Jetons“, der zu Recht den Anspruch erhebt, „zugleich ein Handbuch für Sammler“ zu sein (vgl. oben Anm. 3), aber wegen des Zweiten Weltkriegs (2 Bände, Zürich–Leipzig–Wien: Amalthea-Verlag 1943) nur photomechanisch in einer Auflage von zweihundert numerierten, vom Verfasser signierten Exemplaren vervielfältigt werden konnte, auch über Verzeichnungsgrundsätze von Medaillen geäußert. Sie sollten hier nochmals zur Diskussion gestellt werden, nicht allein weil das Werk bisher in der numismatischen Literatur nur unzureichend rezipiert worden ist, sondern weil die praktischen Fragen der Ordnung einer Medaillen-Sammlung auch für den Genealogen Bedeutung haben und ihre Lösung zugleich die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Auswertung darstellt: „Ich bin mir wohl bewußt, daß die ganze Anlage dieses Katalogs, vor allem seine A n o r d n u n g ein vollkommenes Novum in der numismatischen Literatur bildet. Hier war das System meiner Porträtsammlung maßgebend, die wie alle vernünftig geordneten Porträtsammlungen und die meisten Porträtkataloge, so auch noch der monumentale von H. W. Singer (14 Bände, Leipzig 1930–1936) alphabetisch nach den Namen der Dargestellten geordnet ist (nicht nach Ständen, Nationen oder gar chronologisch, was durch das Zusammentreffen mehrerer Stände in einer Person, die häufig wechselnde Staatsangehörigkeit und die zahlreichen undatierten Stücke zu den größten Unzukömmlichkeiten führt). Ich konnte diesem System um so eher folgen, als ich das Unpraktische und Unzweckmäßige der in der Numismatik bisher üblichen Systeme im Laufe der Zeit zur Genüge erkannt hatte. Auch hatte ich nicht die Absicht, die Abfolge von Regenten in den verschiedenen Ländern, jene der geistlichen Fürsten, der heute schon komisch wirkenden 37
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Zum Fragenkomplex: Preise, Löhne, Kaufkraft sind heranzuziehen: St. Beißel: Geldwerth und Arbeitslohn im Mittelalter. Freiburg 1885. – M. J. Elsaß: Umriß einer Geschichte der Preise und Löhne in Deutschland vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. 2 Bde. Leiden 1936 und 1949. – E. Waschinski: Preisentwicklung und Kaufkraft des Geldes in Schleswig-Holstein von 1226–1864. 2 Bde. Neumünster 1952–59. (Zu der zweifelhaften methodischen Seite vgl. die Besprechung von J. Rosen: Die Entwicklung der Kaufkraft 1226–1939, ein Versuch zu ihrer Bestimmung, in: Schweizer Münzblätter 44, 1962, 75–79. – A. F. Pribram/R. Geyer/F. Koran: Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich. Wien 1938.). Geb. Wien 3.6.1879, gest. ebenda 10.2.1957. Hofrat, Dr. phil., o. ö. Professor für romanische Sprachen und Literaturen a. d. Universität Wien.
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„Alt- und Neufürsten“ usw. oder die Hervorbringung einzelner Städte und Orte auf dem in Rede stehenden Gebiete zu überblicken. Mir war es vor allem darum zu tun, die auf bestimmte Personen, Orte und Gelegenheiten bezüglichen Stücke übersichtlich zusammenzustellen und dem Sammler, der eine Medaille in die Hand bekommt, möglichst schnell und leicht die Auffindung und nähere Erklärung derselben zu ermöglichen und ihm das Kopfzerbrechen darüber zu ersparen, ob ein sächsischer Fürst der Ernestinischen oder der Albertinischen Linie angehörte. Hierbei wurde dem Personal- oder Porträtprincip vor allem Rechnung getragen. Wenn eine Medaille (Plakette usw.) ein Porträt aufweist, figuriert sie unter dem Namen des Dargestellten. Wenn zwei oder drei Porträts auf einer und derselben Medaille nebeneinander erscheinen, registrieren wir diese unter dem Namen des ersten im Alphabet oder des der Zeit nach Jüngsten, in dessen Epoche sie fällt, also Arpad und Franz Josef I. unter Franz Josef, Friedrich III., Wilhelm I. und Wilhelm II. unter Wilhelm II. Bei Medaillen auf Vermählungen, silberne und goldene Hochzeiten ist der Name des Mannes für die Einordnung entscheidend (so auch bei den Medaillen auf die Königin Viktoria und den Prinzgemahl Albert). Regierende Fürsten werden unter ihren Vornamen angeführt. Wenn unter einem Vornamen mehrere fürstliche Personen zu verzeichnen sind (z. B. Alexander, Ferdinand, Karl, Wilhelm), erhalten die Päpste den Vortritt, dann folgen die Kaiser, dann die Könige nach der alphabetischen Ordnung ihrer Länder, dann die übrigen nach ihrem Range. Fürstliche Personen, die stets mit zwei Namen genannt werden, sind nach den einfachen Namen eingeteilt (Karl Theodor nach Karl; Ludwig Philipp nach Ludwig; Maria Antoinette, Maria Theresia nach Maria). Sogenannte Privatpersonen erscheinen natürlich unter ihren Namen, auch wenn sich das Stück auf einen bestimmten Ort bezieht. Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht nur die Medaillen der Freimaurerlogen, die, wenn sie auch das Porträt ihres Patrons (Columbus, Eötvös, Goethe usw.) tragen, bei den betreffenden Städten verzeichnet sind. Medaillen ohne Porträts sind unter dem Namen der Orte zusammengestellt, die stets so bezeichnet werden, wie es der Entstehungszeit der betreffenden Medaille (vor 1937) entspricht, und dieses Orts-Alphabet ist der Bequemlichkeit wegen von dem Personen-Alphabet nicht getrennt, sondern diesem einverleibt, so daß man z. B. Maria Zell neben Maria Theresia, Verdun neben Verdi findet. Es mag sein, daß einzelne Benützer dies anfänglich störend empfinden, sie werden sich aber bald daran gewöhnen. Im übrigen ist allen Ansprüchen durch ein umfassendes Verweissystem Genüge geleistet. Wenn auf einer Medaille mehrere Personen dargestellt sind, wird von den im Alphabet nachfolgenden oder der Zeit nach älteren stets auf den Vorhergehenden bzw. Jüngeren verwiesen, unter dessen Namen das Stück eingereiht ist; ebenso von der Gemahlin auf den Gemahl. Wenn ein Ort genannt ist, findet sich auch bei diesem ein Hinweis, und mehrere Orte werden wie mehrere Personen behandelt, so daß auch der An-
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hänger des Lokalprinzips befriedigt wird. Ebenso gibt es umgekehrt Verweise von den (nicht dargestellten, sondern bloß genannten) Personen auf die Orte. Die auf Franz Josef I. bezüglichen Wiener Medaillen sind, sofern sie das Porträt des Monarchen aufweisen, bei Franz Josef I. verzeichnet, sofern nicht bei Wien. Um aber einen Überblick über alle Wiener Prägungen auf den Kaiser zu erhalten, sind an beiden Stellen auch die entsprechenden Verweise angebracht. Der Umfang des Katalogs ist dadurch sehr gewachsen, aber es war nur so möglich, die bisher üblichen Schwankungen zu vermeiden. Das lästige und oft ergebnislose Herumsuchen, welches die alten Kataloge notwendig machten, hat dadurch ein Ende gefunden und das Dilemma, ob eine Medaille auf den Sieg eines Feldherrn unter dem Namen dieses oder des Schlachtorts zu erscheinen habe, eine Medaille auf das Denkmal eines Gelehrten unter dessen Namen oder unter dem Namen der Stadt, ist durch die obige Norm von vorneherein entschieden. Bleibt aber dennoch ein Zweifel, so besagt der Verweis, wo die Medaille verzeichnet ist. Wo immer man sucht, man gelangt direkt oder indirekt in kürzester Zeit zum Ziel, und der Sammler, der sich für Personen interessiert, kommt ebenso auf seine Rechnung wie derjenige, der dem Lokalprinzip huldigt. Das Buch ist wie eine große Maschine, deren unzählige kleine Räder mit möglichster Präzision ineinander greifen. Nur wo die Zahl der genannten Personen (wie bei Gesellschaftsjubiläen, Kongressen, Ausstellungseröffnungen u. dgl.) eine allzu große ist, wurde von solchen Verweisen, die in diesen Fällen einen überflüssigen Ballast gebildet hätten, abgesehen. Personen, die auf einer Medaille nicht genannt sind (z. B. Feldherren in einer Schlacht) bleiben in der Regel ungenannt, nur in besonders wichtigen Fällen wurden sie in Klammern beigefügt und eventuell auch als Verweis angebracht. Städteverweise erscheinen gleichfalls nur dort, wo die Stadt auf der Medaille genannt ist. Dies gilt speziell bei den Papstmedaillen von den Kirchen und sonstigen Bauten in Rom, die sämtlich unter Rom zu registrieren allzuweit geführt hätte; desgleichen bei den Medaillen auf die Krönungen und Vermählungen von Herrschern. Ländernamen sind in das Verweissystem überhaupt nicht einbezogen.“39
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Wurzbach, Bd. I, Einleitung S. IV–VI.
Numismatisch-heraldische Wechselbeziehungen * I Die klassische Auseinandersetzung1, ob es sich bei der Diplomatik, Paläographie, Sphragistik, Phaleristik, Vexillologie, Genealogie usw., aber auch bei der Heraldik und Numismatik nun um historische Hilfs- oder Grundwissenschaften handelt, d. h. ob ihnen ein überwiegend subsidiärer Charakter anhaftet oder ein eigenständiger Wert beizumessen ist – mutet mich immer etwas „akademisch“ an, denn natürlich vermag jedes dieser Fächer dem anderen auch Hilfsdienste zu leisten. Doch diese Scheinfrage an das Selbstverständnis der genannten Disziplinen scheint nicht nur allzu theoretisch gestellt, sie wirkt auch eher altmodisch in einer Gegenwart, die der Spezialisierung der Wissenschaften überdrüssig ist bzw. verstärkt nach interdisziplinärer Forschung ruft, einfach weil das fächerübergreifende Gespräch abriß und die Diskussion unter Experten, wie sie Friedrich Nietzsche einst im „Gewissenhaften des Geistes“, dem Blutegelforscher, hellsichtig persiflierte2, allenfalls noch „intra muros“ stattfindet. Von dieser allenthalben zu beobachtenden Entwicklung waren die Historischen Hilfswissenschaften keineswegs ausgenommen, doch die mittelbar bzw. eigentlich Betroffene war hier die Historie selbst, der immer weniger Hilfe geleistet wurde, obwohl sie dieser immer mehr bedurfte, um wieder zur kritischen Quellenforschung zurückzukehren, um damit ihre gegenwärtige – vom Archivar besonders beargwöhnte – Quellenferne leichter überwinden zu können. Doch dafür muss der „Handwerkskasten“ des Historikers an den Universitäten wieder besser gefüllt werden, um dieses Instrumentarium mit Erfolg einsetzen zu können und nicht resigniert im Bedarfsfalle nach einem schwer erreichbaren „Spezialisten“ rufen zu müssen. Das Feld der Historischen Hilfswissenschaften ist wie geschaffen für interdisziplinäres Arbeiten, nicht aber für eine Abkapselung, die gern mit „splendid isolation“ verwechselt worden ist. *
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Erstmals erschienen in: Genealógica & Heráldica. Actas do 17.º Congresso Internacional das Ciencias Genealogica e Heraldica 1986, Vol. Heraldica, Lisboa 1992, S. 277–187. Den Begriff der Gundwissenschaften prägte Karl Brandi, ihn favorisierte aber u. a. auch Hermann Bengtson. Vgl. zur Problematik die Einführung von Ahasver v. Brandt: Werkzeug des Historikers. 4. Aufl. Stuttgart 1966, nachgedr. als 5. Aufl., bes. S. 17–91. Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, IV. Teil, Kap. „Der Blutegel“, in: F. N., Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, Bd. II, München 1955, S. 487– 490.
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So ist auch das Gespräch zwischen Heraldikern und Numismatikern weitgehend verstummt; der eine wird vom anderen in Grenz- und Zweifelsfragen allenfalls „hinzugezogen“, um nicht zu sagen „konsultiert“. Das war nicht immer so: es gab einmal Zeitschriften, die nicht für eine getrennte Leserschaft gemacht waren, sondern die sich, wie die „Berliner Blätter für Münz, Siegel- und Wappenkunde“3, mit übergreifenden Fragen befassten und in Grenzgebiete vordrangen. Entsprechend nannte sich auch der in Hannover erscheinende „Numismatische Anzeiger“ wenigstens im Untertitel eine „Zeitung für Münz-, Siegel- und Wappenkunde“4. Zahlreiche Abonnenten für solche Zeitschriften gab es damals noch, wie ein Blick in Alfred Grensers „Adressbuch für Freunde der Münz-, Siegel- und Wappenkunde“5 beweist, und auch Interessenten für fachübergreifende Lehrmittel, wie etwa Wilhelm Rentzmanns inzwischen mehrmals nachgedrucktes „Numismatisches Wappen-Lexikon des Mittelalters und der Neuzeit“6 oder das „Wappenbüchlein“ von Otto Friedrich Kautzsch, das zur „Erklärung von einfachen und zusammengesetzten Schilden und Kleinoden deutscher Gebietswappen, hauptsächlich auch solcher auf Münzen“, diente. Letzteres erschien in zweiter verbesserter Auflage bzw. hatte schon einen unter dem Pseudonym „Kowatsch“ von diesem ebenfalls bearbeiteten Vorläufer (1886), das auch „zur Erklärung der auf den meisten deutschen Geldstücken vergangener Währung vorkommenden Schilde und Kleinode“7 gebraucht wurde. Mit Franz Sauters „Schlüssel zum Verständnis und Lesen alter Handschriften, Urkunden, Münzen, Siegel, Wappen etc.8 will ich diese Aufzählung solcher Hilfsmittel beenden, die Wappen und Münzen nicht getrennt, sondern sehr wohl im Verbund miteinander behandeln, was heute kaum noch geschieht, da dieser sich aufgelöst hat. Um auf solche Wechselbeziehungen wieder aufmerksam zu machen, soll im folgenden Teil das Thema der Wappen auf Münzen und im letzten das der Münzen auf Wappen behandelt werden.
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Herausgegeben von Bernhard Freiherrn v. Koehne, 6 Bde., Berlin 1862–73. Herausgegeben von Hermann Grote, Hannover, in den Jahren 1868–73. Über ihn vgl. u. a. Wilhelm Rothert, in: Heraldische Mitteilungen 23 (1912), S. 42–45, 66–67, 74–77. Erschienen Frankfurt/M. 1884 und 1886. Erstmals Berlin 1876, Neudruck Halle/S. 1924, erneut Osnabrück 1967, Berlin 1980. Wilhelm Rentzmann (1824–80) war Rendant des Joachimsthalschen Gymnasiums und nebenberuflich Bibliothekar der Berliner Numismatischen Gesellschaft. Seine Arbeiten zeichnen sich durch immensen Sammelfleiss hinsichtlich seiner Belege aus. Er wertete die Fachliteratur seiner Zeit systematisch, fast lückenlos aus. Zuletzt Leipzig 1903. Stuttgart 1874.
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II Während es die Siegelheraldik mit besonders vergänglichen Substanzen (meist Bienenwachs) zu tun hat, das die oft bedauerte Lückenhaftigkeit der sphragistischen Überlieferung erklärt9, arbeitet der Münzheraldiker mit dem dauerhafteren Material der Metalle, so dass ihm in der Regel auch ein dichteres Fundgut zur Verfügung steht. Er gelangt daher auch manchmal zu verlässlicheren Aussagen über die mit Wappen versehenen mittelalterlichen Münzprägungen, meist Denare oder Brakteaten. Dieser heraldische Anwendungsbereich der Numismatik ist erst in den letzten fünfundzwanzig Jahren fester begründet und seine Methode erfolgreicher angewendet worden, als es gelang, hochromanische und frühgotische Münzemissionen, trotz ihrer häufig fehlenden Umschriften „nur auf Grund der gruppenweise feststellbaren Ausführungsart der Schrötlinge und der Prägeweise“ richtig zu bestimmen. So konnte sich die Erforschung des Wappenwesens in einzelnen mitteleuropäischen Territorien oft – außer auf Siegelbefunde – erfolgreich auf numismatisches Material stützen, wie es uns beispielsweise der 1970 in Prag verstorbene Kristian Turnwald noch in seiner letzten, von mir redaktionell betreuten Studie über „Die Anfänge des Wappenwesens in Böhmen und Mähren“ eindrucksvoll vorgeführt hat10: der Dynastenbrauch, Wappen oder Teile desselben als Zeichen ihrer Münzhoheit auf eigenen Prägungen zu verwenden, lässt sich nicht erst für das 13. Jahrhundert nachweisen. Sieht man von der vorheraldischen Verwendung von Wappenbildern als Münzbilder ab, die zwei deutsche Denaremissionen des Jahres 1040 zeigen – Minzstengel der Herren von Minzenberg, ein Hammer in Münzfeldbild der Herren von Hammerstein –, so gelangte doch das Adlerwappen des Reiches schon um 1128, der böhmisch-herzogliche Adler um 1135, der steirisch-markgräfliche Panther Ottokars V. um 1160 usw. in die Kreisfläche der Denare. Im übrigen Europa treten heraldisch Denarprägungen sogar noch früher auf, wie z. B. die Löwenwappen im Rundbild der Münzen aus Boulogne (Eustach III. 1093–1123), Brabant (Gottfried III. 1143–1190) und Leon (Alfons VII. 1126–1167) beweisen oder die Turmburg in Kastilien (Alfons VIII. 1158–1214), die fünf mit 5 Scheiben belegten Schilde in Portugal (Alfons II. 1112–1115), und ein (nachmals wieder aufgegebener) Löwe in Ungarn (Stephan IV. 1162–1163). Die Zahl solcher Beispiele liesse sich vermehren, doch sollte man dabei Turnwalds Erkenntnis beherzigen, wonach in der Frühhe9
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Manche Dynastensiegel sind heute nur noch in einem einzigen Abdruck vorhanden, andere fehlen ganz! Vgl. Eckart Henning: Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 549–562, hier bes. S. 552 ff. Der Untertitel seiner Arbeit lautet: „Auf Grund numismatischer und sphragistischer Zeugnisse dargestellt“, erschienen in: Der Herold, Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften N. F. 7, H. 10/11 v. April–September 1971, S. 265–303.
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raldik „noch nicht die auch in der Neuzeit nicht immer eingehaltene Sitte [galt], tatsächliche Wappenbilder in einer Schildteilung erscheinen zu lassen“. Auch der heraldische Symbolwert der Helmzier auf Brakteaten sollte eingehender untersucht werden, wenn z. B. Premysl Ottokar II. als österreichischer Herzog „den Balkenschild haltend, anstatt des dazugehörigen Pfauenwedelzimiers, den zum Wappen von Böhmen gehörenden Adlerflug am Helm ... trägt“. Sein böhmischer Wappenlöwe konnte nach damaligem Brauch entfallen11. Doch erst im 16. Jahrhundert werden dann heraldische Darstellungen auf Münzen allgemein üblich, und in der Neuzeit ging man schließlich dazu über, vielfach gar das vollständige Wappen des Münzherrn abzubilden, also außer Schild und Helm, auch Helmdecken und -zier, menschliche bzw. tierische Figuren als Schildhalter, Wappenmäntel und -zelte, Fahnen, Kronen und Orden dazustellen – sicher nicht nur deshalb, um sich durch diese „Komplikationen“ besser vor Nachahmern zu schützen! Heraldisch ertragreicher als die Wappenvariationen vieler weltlicher Münzherren – obwohl auch hier noch etliche Fragen offen geblieben sind12 – erscheinen uns manche geistlichen Prägungen, die wegen des häufigeren Wechsels eine grössere Vielfalt an Adelswappen bieten als die landesherrlichen Münzen. Besonders interessant sind in dieser Hinsicht die vielfach bei Sedisvacanzen vom Domkapitel geschlagenen Münzen, auf denen die Wappen sämtlicher Mitglieder untergebracht werden mussten. Ihnen kommt – in Westfalen seit 1650 – wegen ihrer einmaligen Emission und der geringen Stückzahl kaum geldwirtschafliche Bedeutung zu, doch waren sie für die Repräsentanz des Kapitels wichtig, das 1719 in Münster sogar einen neuen Typus von Vacanztalern kreierte, der seine Bedeutung besser unterstrich und daher auch bald von anderen Domkapiteln nachgeahmt wurde! Man beschloss nämlich, „dass der Taler, wohl aller anwesenden votierenden Capitularen Wappen rundum an beiden Seiten und an der einen der Heilige Paulus und anderen Carolus gesetzt, gemünzt werden solle“. Auf diese Weise liessen sich 19 adelige Familienwappen auf jeder Seite gravieren (= 38), wobei die Reihenfolge der Rangordnung der Domcapitulare entsprach: nach den Dignitären (Propst, Dechant, Scholaster, Thesaurar und Vicedomus) folgen – nach ihrem Eintrittsalter – die übrigen Domherren. Allerdings fehlten 1719 drei Wappen, was sich aus der Gesamtzahl der Präbenden (41) ergibt, die das münsterische Kapitel damals zählte. Aber nicht Raummangel erklärt ihr Fehlen, sondern die noch aktenkundige Anweisung des Kapitels an den Medailleur, dass die Schilde von Kurfürst Joseph Clemens von Köln, Graf Franz Georg von Schönborn und Herzog Christian August von 11
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Turnwald (wie Anm. 9), bes. S. 266 Anm. 8, S. 268 Anm. 14, S. 270. Anm. 19, S. 271 Anm. 22, S. 277, S. 284 Anm. 56, S. 297 Anh. 3. Das zeigen etwa die Klärungsversuche von Crecelius: Münzwappen der Grafen von Berg aus dem Hause Wassenaer I/II, in: Der deutsche Herold 1882, S. 67, 112–113.
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Sachsen wegbleiben mögen, weil diese „keine wirklichen Capitulares gewesen“ seien13. Während die Münzen zumeist nur als Quelle der landesherrlichen Heraldik und ihres Wandels herangezogen werden können, obwohl sie auch ein exzellentes Bild aller Territorialveränderungen (einschliesslich Anspruchswappen) vermitteln, sieht es mit den Schau-, Denk- und Ehrenmünzen, vor allem bei den Medaillen und Plaketten ganz anders aus, weil auf diesen nämlich seit dem 16. Jahrhundert nicht nur Adels-, sondern auch Bürgerwappen abgebildet worden sind14. Obwohl sie letztlich nur Erinnerungsstücke an Personen oder Ereignisse darstellen, ist ihnen oft auch das Familienwappen des Gewürdigten bzw. bei Ereignissen, kommunale Wappen vom Ort des Geschehens beigraviert worden. Als beispielsweise der Regensburger Rat am 4. Juli 1627 den Grundstein für die protestantische Dreieinigkeitskirche legte, wurden auch zwei Schaumünzen geschlagen und zur Erinnerung mit eingemauert: die Vorderseite der einen zeigt die neue Kirche und auf der Rückseite 16 Wappen der Mitglieder des inneren Rates mit ihren Initialen, die damals dem Neubau zugestimmt hatten, aber nun nicht etwa (heraldisch) links umlaufend nach dem Wahljahr ihrer Träger angeordnet, sondern rechts herum mit dem ältesten Ratsherrn anfangend und dann abwechselnd, von links nach rechts springend, alle übrigen nach ihrer Rangordnung bis hin zu dem letzten, einem eben erst im Emissionsjahr gewählten Ratsherrn. Die zweite Schaumünze zeigt wiederum die Dreifaltigkeitskirche auf der Vorderseite, doch auf ihrer Rückseite, um die aufgeschlagene Bibel gruppiert, elf Wappen der in Regensburg tätigen evangelischen Geistlichen, oben mit dem Schild des Superintendenten beginnend! Die Reihe ist linksläufig und ebenfalls mit den Anfangsbuchstaben der Geehrten gekennzeichnet15. Erwähnenswert im Grenzbereich der Wappen auf Münzen sind schliesslich die erblichen Münzmeisterzeichen (wie Rosetten, Kreuze, Hausmarken, Teile von Tieren, Blätter, Sterne, Zainhaken etc.), die bereits seit dem 14. Jahrhundert Münzen kennzeichnen und um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert stark zugenommen haben; gelegentlich kommen redende Zeichen wie eine „Gans“ für den Münzmeister Gante, ein „Kamm“ für Khemling, ein Hund, für J. Hund, ein Rad für P. Mühlrand usw. als Herstellungsgarantie ihrer Prägungen vor. Als Vorstufe für die Kennzeichnung der Münzen durch solche Münzmeisterzeichen können vielleicht die Wiener Pfennige des 13. Jahr13
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Hans Weinrich: Sedisvacanz-Medaille des Jahres 1719. Westfälische Adels-Wappen auf einer Münzprägung des münsterischen Domkapitels, in: Auf Roter Erde, Monatsblätter für Landeskunde und Volkstum Westfalens (= Heimatbeilage der Westfälischen Nachrichten) 22 (1966), Nr. 82, S. 1 u. 3 und Nr. 83, S. 2. Reiches Material dafür weist künftig die von mir gemeinsam mit Petra Hauke bearbeitete „Bibliographie zur Medaillen und Plakettenkunde“ nach, erschienen Bad Honnef 1993. Vgl. Heinisch: Zwei wappengeschmückte Regensburger Schaumünzen des Jahres 1627, in: Familiengeschichtliche Blätter 15 (1917), Sp. 3–10 u. 33–36.
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hunderts gelten, die die Wappen der österreichischen Landschreiber trugen. In Polen wurde 1526 gar verfügt, dass die Kronschatzmeister ihr Wappen auf Prägungen ihres Verantwortungsbereiches anbringen lassen mussten16. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Wappen auf Münzen als Identifikationsmerkmale nicht nur Rückschlüsse auf die Provenienz der Emissionen zulassen, sondern auch unterschätzte numismatische Zeugnisse der Frühheraldik darstellen. Darüber hinaus sind wappengeschmückte Münzen bzw. Medaillen wichtige „nichtverbale Dokumente“ der Adels- wie der bürgerlichen Familienheraldik und erweisen sich selbst für die Zeichenforschung bestimmter Berufe als ergiebige Quelle. Kommunale Wappen und Ortskennzeichen findet man schliesslich auch auf Armenpfennigen (auch „Heiligenblechle“ genannt) und auf Tor- und Standgeldprägungen.
III Nach den Wappen auf Münzen wenden wir uns umgekehrt den Münzen auf Wappen zu, den sogenannten „Münzwappen“. Auch hier ist es kaum erforderlich, um Grundsätzliches auszusagen, das ganze Fundgut auszubreiten, das einst der unvergessene Walter Berger als Motivsammler zusammengetragen und vor mehr als zwanzig Jahren im „Adler“-Jahrbuch zur Diskussion gestellt hat17. Es genügt, als erste Gruppe auf die redenden Münzwappen zu verweisen, in der Münznamen unmittelbar auf die der Wappenträger anspielen oder sie umschreiben. Zu nennen sind die Namen „Muntz“ aus Geldern, „Münzinger“ aus Nördlingen oder die „Weingartner von Münzberg“ aus Dalmatien. Doch Beispiele lassen sich nicht nur für Wappen aufführen, die allgemein von Münzen oder vom Geld reden, sondern auch von speziellen Sorten. So erscheint der Pfennig im Wappen der Tiroler „Pfennig“, der Schweizer „Pfenninger“, der holländische „Penning“ und „Bennick“, der englische „Penn“ usw. Entsprechend gibt es „Heller“-, „Haller“- und „Hiller“-Familien, auch die österreichischen „Haller v. Hallerstein“ gehören hierher, die den Heller – den doppelten Pfennig – im Wappenbild führen, ebenso sind die verschiedenen Kreu(t)zer-Sippen aus der Steiermark, Solothurn oder aus der Ursprungsheimat des Kreuzers, aus Tirol, zu nennen, wo auch der erst in Böhmen so benannte Taler (generell ist die grosse Silbermünze gemeint) herstammt. Fischnaler führt daher schon zehn Taler16
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Eckart Henning: Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie, in: Herold-Jahrbuch 1 (1972), S. 29–40, hier S. 36 f. u. ders.: Numismatik, in: Handbuch der Genealogie, für den Herold herausgegeben von E. Henning u. W. Ribbe. Neustadt/A. 1972, S. 167–172. Walter Berger: Münzen als Wappenbilder, in: Neues Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft Adler 3. F., Bd. 5 (1963), S. 81–116. Im Folgenden orientiert sich mein kurzer systematischer Abriss im III. Teil an seinem Fundgut.
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wappenträger auf, von Hans Taler in Innsbruck (1569) bis zu Lorenz Taller (1690) in Rattenberg18. Andere Sorten, wie der Häbling, Ort, Scherf, Stüber oder Rappen kommen im Wappen nur gelegentlich redend wie bei den Familien „Helbling“, „Ortlieb“, „Scherff“, „Stüber“, oder „Rappensberger“ vor. Diese Aufzählung liesse sich noch länger fortsetzen, ob es sich nun um das norddeutsche Pendant zum Rappen, den Weissgroschen (= niederdeutsch Witten) oder um den Klinkhart, handelt, ob es Dreyer, Zwanziger oder Nickel sind oder fremdsprachliche Münzbezeichnungen betreffen. Doch nicht nur Münzen, auch Jetons (ursprünglich Rechenpfennige) kommen redend in Wappen vor, wie bei der Familie „Gitons“ (Poitou). Abschliessend für diese erste Gruppe von Münzwappen, in der die einzelnen Sorten unmittelbar zu uns sprechen, seien auch einige mittelbar redende erwähnt, die wie beim Wappen der Familie Zuecca/Zecca aus Padua, deren Name („Zeche“) soviel wie „Münzstätte“ bedeutet, und durch 36 Silbermünzen – oder sind es gar die davon abgeleiteten „Zechinen“? – umschrieben wird. Bei den Trésor de Fontenay aus der Normandie findet man folgerichtig einen ganzen Münzschatz im Wappen, bei den Geitzkoflers aus Tirol ist es aber nur noch ein einziges Goldstück, das von einem Löwen festgehalten wird. Auch „teuer“ und „reich“ werden übrigens in solchen Namenswappen, etwa bei der bayerischen Familie „Düren“ (Goldstücke) oder bei der hamburgischen „Rike“ (zuerst ein geldzählender Mann, hinter ihm der Tod), gern anschaulich gemacht. Nach den Münzsorten kommt als zweite Namensgruppe die der B e r u f e in Betracht, die im Wappen ebenfalls münzsymbolisch dargestellt wird, in dem auf deren alltäglichen Umgang mit dem Gelde angespielt wird. So führt ein Kaufmann/„marchand“ gern Münzen im Wappen, ein Krämer oft rote (= Kupfermünzen), ein Zöllner bzw. Zoller – vgl. auch die tirolischen Zoller von Zollershausen – silberne (= Silbermünzen) oder die Regensburger Familie „Zehbauer“ goldene Münzen (= Goldmünzen), die sie zechten bzw. zinspflichtig abzuführen hatten. Auch die Familien Wechsler/Wexler (aus Nördlingen), Werber (aus Uden) oder die Leygebe (aus Brandenburg) führen redende Münzwappen. Daneben gibt es Geschlechterwappen, die durch ihr Wappenbild weit speziellere Hinweise auf die Kontrolle oder Herstellung von gemünztem Geld ihres Wappenträgers enthalten, etwa beim Wiener Münzscheidemeister S. Rauh (1615), beim Grazer Münzmeister K. B. Geramb, der später im Adelsbrief (1700) ein typisch barockes, münzausstreuendes Füllhorn im Wappen verliehen bekam, das sich ähnlich bei Zahlmeistern, Fondverwaltern usw. findet. Selbst vom Finanzgebaren können Münzen im Wappen erzählen, wie beim Bankadjunkten Christoph Fierer aus Nördlingen (gest. 1654), der ein Eichhörnchen im Schilde führt, das eine Münze
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Konrad Fischnaler: Tirolisch-Vorarlberg’scher Wappen-Schlüssel, 3 Teile, Innsbruck 1938–51 (= F., Ausgewählte Schriften 3–7).
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hochhält oder beim K. u. K. Finanzminister Chartek (1880), der Münze und „Staats“-Ruder zumindest im Wappen zu kombinieren wusste. Zwar durchaus eindeutig, aber nicht mehr redend, erscheinen schliesslich alle Wappen, in denen der Reichtum ihres Eigentümers zur Schau gestellt wird, wie der Dukatenregen des Berliner Kommerzienrates J. Pauli. Auch Familien, die durch den Bergbau oder durch Handel und Gewerbe vermögend wurden, deren Verdienste durch Goldmünzen belohnt wurden usw., neigten dazu, dies „wappenkundig“ zu machen. Später kam diese Protzerei offenbar ab, denn geadelte Bankiersfamilien legten im 19. Jhdt. allerdings kaum noch Wert darauf, die Ursache ihrer Nobilitierung heraldisch zu dokumentieren. Nachdem soviel von redenden Wappen die Rede war, sei wenigstens noch auf ihre Darstellungsweise, auf die eigentlichen „Münzbilder“ näher eingegangen, die sowohl Hauptbestandteil oder auch nur das „Beiwerk“ eines Wappens sein können: Zumeist ist das Gepräge im Wappenbild nicht mehr genau erkennbar, d. h. es wird heraldischen Gesetzen entsprechend, nicht perspektivisch oder gar naturgetreu dargestellt. Die Münze ist daher in der Fläche, zumeist farblich abweichend, gelegentlich auch beringt tingiert, um damit ihren Rand anzudeuten. Immerhin sind die einfachen mittelalterlichen Geprägedarstellungen, nämlich Pfennige bzw. Groschenmünzen aller Art, an ihren gleichschenkeligen Kreuzen erkennbar, die im Wappen oft als Tatzenkreuze oder als durchlaufende bzw. schwebende Balkenkreuze wiedergegeben werden; auch Kleeblattkreuze kommen vor, ebenso die Doppelkreuze der frühen tirolischen Kreuzer19. Dass es sich bei diesen „Kreuzern“ nicht womöglich um Radspeichen handelt, lässt sich nicht nur dem redenden Charakter dieser Wappen entnehmen, sondern auch daraus erkennen, dass heraldisches Räderwerk meist 6–8 Speichen und eine deutliche Nabe aufweist. Erwähnenswert sind auch alte Prägebilder wie die Hand der Haller bzw. Hädleinspfennige im Wappen von Schwäbisch Hall20 oder das Lamm der Lammpfennige aus St. Gallen (Familienwappen der Haller aus Solothurn), ferner die Lilie auf goldenen oder silbernen heraldischen Kreisscheiben, denn florentinische oder Strassburger Lilienmünzen waren weit verbreitet (z. B. Awerin, Brabant). Den mittelalterlichen Kreuzmünzen stehen die neuzeitlichen Männerköpfe gegenüber, die das Profil des Münzherren auf den Kurantmünzen bringen. Auch diese Männerköpfe haben Eingang in einige Wappen gefunden (z. B. bei den kurländischen Alopaeus, den bayerischen Riethaler, den Fucci aus Bologna), weniger allerdings Doppeladler auf Münzen des Deutschen Rei19
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Vgl. Arthur Suhle: Kreuzer, in: Wörterbuch der Münzkunde, hrsg. von Friedrich Freiherrn v. Schrötter, 2. unveränderte Aufl., Berlin 1970, S. 324 f. Wilhelm Pfeifer: Wappen, Siegel, Fahne der Stadt Schwäbisch Hall 1975 (= Schriftenreihe des Vereins Alt-Hall, 3/4).
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ches, obwohl auch das vorkommt (Zoller v. Zollershausen, Tirol); leichter waren da schon einköpfige Adler darzustellen (Pizzacomini, Padua). Auf polnischen und schlesischen Münzen des späten Mittelalters taucht häufig die Krone auf, ebenso übrigens auf Wappenbildern. Noch genauere Wiedergaben bestimmter Münztypen auf Wappen sind unheraldisch und auch erfreulich selten, wie die Darstellung einer bestimmten mittelalterlichen Goldmünze, des Noble, im Schild der friesischen Familie Bensma zeigt. Die Regel sind aber keineswegs solche präzisen Münzwiedergaben auf Wappen, sondern eher unspezifisch goldene und silberne Scheiben, die für eine bestimmte Geldsorte stehen bzw. von ihr „reden“ sollen. Das führt dann dazu, von Goldmünzen in Pfenninger-Heller-Wappen usw. zu sprechen, getreu Pusikans heraldischer Gundregel, dass die dargestellte Figur jeweils in ihrer edelsten Spielart erscheinen solle21. Es muss allerdings davor gewarnt werden, alle metalltingierten Kreisscheiben in nichtredenden Wappen für Münzen auszugeben, es handelt sich vielfach nur um Scheiben, Kugeln etc. oder aber um Heroldsbilder, also um abstrakte Figuren. So führt die uradelige Familie v. Bülow keineswegs, wie Pusikan noch behauptete22, 14 goldene Pfennige im Wappen, sondern ebensoviele Nagelköpfe bzw. Metallnieten, die ein Gittergeflecht von sieben ledernen Schrägriemen an den Kreuzungspunkten des Kampfschildes verstärkten, was später, als das Riemengeflecht entfiel, seinem Sinn verlor; die Nagelköpfe samt Metallringen erschienen nun als Pfennige. Missverständnisse bzw. Verwechslungen vermeintlich „bildloser“ Münzen mit Beschlagknöpfen kamen aber auch anderenorts häufiger vor, so dass man die Diagnose „Geldstücke“ nur bei redenden Wappen stellen sollte. Die Anordnung und Zahl der Münzen im Wappen ist sehr variantenreich, auch ist zu unterscheiden, ob die Münzen Hauptbestandteil oder nur Beiwerk des Wappenbildes ist: So kommen einzelne Münzen (z. B. Düren), seltener zwei übereinander (Schwäbisch Hall) und häufiger drei in der Anordnung 2 + 1 vor (Argenton). Doch die Zahl der Münzen steigert sich bis zu 15 (Frankenberg), 23 (Avogadro) und 36 bei den schon erwähnten Zuecca. Natürlich erscheinen die Münzen auch nicht immer allein, so sind Heroldsbilder wie Sparren, Schrägrechtsbalken, Pfähle, Kreuze usw. oft mit Münzen belegt oder von ihnen begleitet23, aber auch Wappenbilder der belebten und unbelebten Natur wie Lilien, Fische, Mühlräder oder gar ein 21
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Oskar Göschen (d. i. Pusikan): Entstehung und Bedeutung der Wappenbilder, in: Jahrbuch der k. k. Heraldischen Gesellschaft Adler N. F. 16 (1906), S. 1–117. Wie Anm. 20, S. 43. Weitere Literatur zum Wappen der Familie v. Bülow verzeichnen Eckart Henning/Gabriele Jochums: Bibliographie zur Heraldik. Köln, Wien 1984, S. 311. Vgl. zahlreiche einschlägige Beispiele bei Eckart Henning: Wappensammlungen in öffentlichem und privatem Besitz, Teil I: Namenregister zur Heroldsbilder-Sammlung von Hans Heinrich Reclam im Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiv Münster, bearb. von Ingeborg und Hartmut Reclam mit Matthias Ellebrecht. Neustadt/Aisch
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Numismatisch-heraldische Wechselbeziehungen
Kartenspiel (Cartelier) kommen in Gemeinschaft mit ihnen ebenso vor wie „Münzhalter“ (neben Menschen gibt es Löwen, aber auch Wölfe, Tauben usw.). Doch wird die Münze nicht nur von diesen „gehalten“ bzw. vorgezeigt, sie liegt auch in Töpfen (Pignatti), oder es ergiesst sich ein Dukatenregen aus den schon erwähnten, im 18. Jhdt. besonders beliebten umgekehrten Füllhörnern (aufrecht gestellte „tragen“ dagegen gewöhnlich Früchte). Ich konnte in der zur Verfügung stehenden Zeit keine in jeder Beziehung befriedigende systematische Behandlung des Themas bieten, doch genügt das Vorgetragene wohl, um Ihnen den Sinn meiner eingangs vorgestellten Forderung zu erläutern, nicht länger nur in den Parallelstrassen unserer Wissenschaften spazieren zu gehen, sondern auch ihre Querverbindungen zu entdecken und zu benutzen.
1983 (= Genealogische Informationen, 16). Reclams Heroldsbilder-Sammlung dürfte die grösste ihrer Art in Deutschland sein.
Fahnen oder Flaggen? Zur Bedeutung zweier vexillologischer Termini* Wir alle kennen das ziemlich abgenutzte Bild vom „Ende der Fahnenstange“ oder die Aufforderung, „Flagge zu zeigen“, wobei wir zwar wissen, was damit gemeint ist, doch weniger, was damit angesprochen wird, kurz, ob nun Fahne oder Flagge – oder gar beides richtig ist. Folgt man dem Sprachgebrauch der Binnenländer, wird man den „Fahnen“, folgt man dem der Küstenbewohner, eher den „Flaggen“ den Vorzug geben, doch beide urteilen nur aufgrund äußerer Ähnlichkeiten, wie schon Ottfried Neubecker festgestellt hat1. Befragt man deswegen ein neueres Lexikon der Nationalflaggen, gewinnt man ebenfalls den Eindruck, dass Fahnen und Flaggen nur zwei Wörter für dieselbe Sache sind2, ein anderes ordnet – angelsächsisch beeinflusst – die Flaggen gar den Fahnen unter3, da das Englische nur „Flags“ kennt4. Solche verwirrenden, ja widersprüchlichen Zuordnungen lassen sich vermehren, doch gehen alle Versuche, in Fahnen und Flaggen tautologische Begriffe zu sehen, ins Leere, da sie nicht nur den amtlichen deutschen Sprachgebrauch, sondern auch die historische Entwicklung außer Acht lassen. Nur Hans Horstmann hatte sich einmal der Frage, ob „Fahne oder Flagge?“ von der sprachlichen Seite her genähert, wobei er allerdings über ein Unterscheidungsmerkmal „für den Hausgebrauch“, wie er es nannte, nicht hinauskam5. Wenn wir den historischen Befund geprüft haben, werde ich darauf zurückkommen. * * 1 2
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Erstmals erschienen in: Herold-Studien 6 (2003), S. 66–73. Ottfried Neubecker: Fahnen und Flaggen, Leipzig 1939, S. 6. Vgl. Alfred Znamierowski: Flaggen-Enzyklopädie, Bielefeld 2001, S. 31: „Flagge, der Begriff bezeichnet eine rechteckige Fahne ...“ Vgl. Hans-Ulrich Herzog / Georg Hannes: Lexikon Flaggen und Wappen, Leipzig 1990 die in ihrem ABC der Termini direkt vom „Oberbegriff“ der Flaggen für Flaggen, Fahnen, Standarten und Stander sprechen. Irrtümlich ist auch schon der erste Satz ihrer Einleitung: „Wappen und Flaggen sind seit dem Altertum bekannt“ (S. 5), wo es weder das eine noch das andere gab. Daher kommt wohl auch die Definition von Whitney Smith: Die Zeichen der Menschen und Völker. Deutsche Ausgabe von Ottfried Neubecker, Luzern 1975: „Flagge, eine Fahne, die ohne weiteres durch ein gleichartiges Stück Stoff ersetzt werden darf ...“ Unseres Erachtens kann man eine Flagge nicht mit einer Fahne erklären, was Neubecker als Bearbeiter dann bemerkt zu haben scheint, da er nicht umgekehrt die Fahne als Flagge definiert, sondern betont, dass Fahnen nahezu unersetzlich seien. Hans Horstmann: Fahne oder Flagge?, in: Muttersprache 44 (1929), Sp. 119–121 u. 131–132.
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Fahnen oder Flaggen?
Als Fahnenvorläufer waren im Alten Reich der Ägypter Symbolfiguren an Stangen in Gebrauch, auch Griechen und Römer kannten solche Zeichen. Letztere gewährten jeder Einheit ihres Heeres eigene Signa, meist unterschiedliche Tierbilder – beliebt waren nach Plinius: Wolf, Minotaurus, Pferd oder Eber –, die schließlich nach dem Erlass des Konsuls Gaius Marius einem einheitlichen Legionsadler wichen (103 v. Chr.). Diese später noch durch die Bildnisse der Kaiser ergänzten Stangen bzw. Lanzen waren also zunächst wichtiger als das ebenfalls in römischer Zeit hinzugekommene, an einem Querholz befestigte, rote Tuch („vexillum“)6. Doch entwickelte sich aus der Adlerstandarte bald die Kreuzfahne, das Labarum, der Kaiser Konstantin der Große dann das Monogramm Christi einfügte. Mit ihr besiegte er – entsprechend der Verheißung „in hoc signo vinces!“ („in diesem Zeichen wirst du siegen!“) – nach dem Bericht des Eusebius in der Entscheidungsschlacht an der Milvischen Brücke 312 nach Chr. seinen Rivalen Maxentius und stellte daraufhin alle Christenverfolgungen ein7. Ähnlich berühmt wie das Labarum ist die legendäre Drachenfahne von König Artus aus dem 6. Jahrhundert und die Oriflamme8 Kaiser Karls des Großen, die dem Typ des vom 9.–12. Jahrhundert in Europa üblichen Gonfanons entsprochen haben wird, d. h. sie war langgestreckt mit mehreren „geflammten“ Zipfeln; ein verloren gegangenes römisches Mosaik aus dem 9. Jahrhundert im Triclinium des Lateranpalastes habe Petrus gezeigt, der dem Kaiser diese rotgoldene Reichsfahne als Zeichen weltlicher Herrschaft übergab und die dieser dann wie seine Nachfolger als rote Lehns- und Gerichtsfahne9 bildlos führte (mit dem weißen Kreuz der Kreuzfahrer erst seit Konrad III.). Ansonsten waren die frühen Fahnen europäischer Heere mit Heiligenbildern geschmückt10, während sich einzelne Heeresgruppen der Lanzenfahnen (Gonfanons in beliebiger Farbe) und das Fußvolk sich weiter 6
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Robert Grosse: Die Fahnen der römisch-byzantinischen Armee des 4.–10. Jahrhunderts, in: Byzantinische Zeitschrift 24 (1921), S. 359–372. Rudolf Egger: Das Labarum, die Kaiserstandarte der Spätantike, Wien 1960. Vgl. zusammenfassend die Studie von Marcus E. V. Schmöger: Vexillum, Labarum, Bandon, römische und byzantinische Stoffbahnen, in: Der Flaggenkurier 8 (2002), H. 15, S. 3–32. Herbert Meyer: Die Oriflamme und das französische Nationalgefühl, in: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, Göttingen 1930. Julius Bruckauf. Vom Fahnlehn und der Fahnenbelehnung, Phil. Diss. Leipzig 1906. – Carl Erdmann: Kaiserfahne und Blutfahne, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 28 (1932), S. 868–899. – Herbert Meyer: Die rote Fahne, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 50 (1930), S. 310–353 u. ders.: Kaiserfahne und Blutfahne, ebenda 53 (1933), S. 291 ff. Vgl. z. B. den erhalten gebliebenen Kiliansbanner aus dem Jahre 1266 auf der Würzburger Feste Marienberg (Museum).
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seiner Signa auf Stangen bediente; erst die Berührung mit Byzanz und dem Islam führten bei den Kreuzfahrern um die Wende des 11. zum 12. Jahr-hunderts zum Gebrauch bestimmter Farben11 als „Recognoscierungsmittel“12, ehe sie dann um die Mitte des 12. Jahrhunderts vom Wappenwesen verdrängt wurden. An die Stelle einfarbiger Gonfanons der Heerführer traten heraldische Lanzenfahnen13. Zu den heute noch bekannten Fahnen gehört der älteren mongolischen und chinesischen Vorbildern verpflichtete, flammende Dreizack des Dschingis Khan14, unter dem seine Nachfolger noch 1241 in der Schlacht von Wahlstatt ein polnisch-deutsches Ritterheer besiegten. Aus dem 13. Jahrhundert soll auch der Danebrog15 bzw. das „Dänentuch“ mit seinem an die Stange gerückten weißen Kreuz auf rotem Grund stammen, das allerdings erst im 19. Jahrhundert zur dänischen Nationalflagge erkoren wurde; es verweist wohl auf den Kreuzfahrer Waldemar und seine rote Farbe vielleicht auf die dänischen Marken als einstigem Reichslehen. Will man weitere historische Fahnen nennen, so darf die weiße, lilienbestreute Fahne der Jeanne d’Arc (1412–31) mit ihren beiden Engeln und der Aufschrift „Jesus Maria“ nicht fehlen, zumal später gern der weiße Streifen der Trikolore aus ihrem Banner abgeleitet wurde. Anzuführen wäre ferner die erste in der Neuen Welt von Christoph Kolumbus im Jahre 1492 gehisste, aber leider verloren gegangene Expeditionsfahne mit ihrem gekrönten „F + Y“ (für Ferdinand und Isabella von Spanien). Aus dem 16. Jahrhundert stammen außer der programmatischen Bundschuhfahne16 der aufständischen Bauern auch jene beiden Banner, die Papst Julius II. den Eidgenossen zum Dank für die Rettung des Kirchenstaats vor den Franzosen (1512) für ihre Söldnersiege in Oberitalien verlieh und die schließlich um mehr als 30 Duplikatbanner vermehrt werden mussten, um alle beteiligten Kantone der Schweiz und ihre Verbündeten als „Beschützer der Kirche“ zufrieden zu stellen17. Als weitere Beispiele 11
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Hans Horstmann: Vor- und Frühgeschichte des europäischen Flaggenwesens. Die Rechtszeichen der europäischen Schiffe im Mittelalter, Bremen 1971, bes. S. 47 ff.: Das europäische Fahnenwesen im hohen Mittelalter. Gustav A. Seyler: Geschichte der Heraldik. Wappenwesen, Wappenkunst, Wappenwissenschaft, Neudr. Neustadt/Aisch 1970, S. 68 (= J. Siebmachers großes Wappenbuch, Bd. A). Horstmann (wie Anm. 11), S. 81 ff.: Die heraldischen Rechtszeichen. Smith (wie Anm. 4), S. 62. Sven Tito Achen: Danebrog, in: The Flag Bulletin 8 (1969), S. 146–165. – Henning Henningsen: Der Danebrog als Schiffsflagge, in: Schleswig-Holstein und der Norden, in: Festschrift für Olaf Klose zum 65. Geburtstag, Neumünster 1968; S. 146– 165. Ulrich Steinmann: Die Bundschuh-Fahnen des Joß Fritz, in: Deutsches Jahrbuch für Volkskunde 6 (1960), S. 243–284. R. Durrer: Die Geschenke Papst Julius II. an die Eidgenossenschaft, in: 19. Historisches Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Uri 1913. Vgl.
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für Fahnen, die Geschichte machten, könnten die riesige Fahne von 2,2 mal 6,3 Meter Iwans des Schrecklichen von Russland aus den Jahren seiner asiatischen Eroberungen (1552–57) erwähnt werden, die heute noch im Kreml gezeigt wird, die Bedford-Fahne mit dem Arm Gottes aus der amerikanischen Revolution (1775), die Fahne der Jungfrau von Guadeloupe (1810) aus dem mexikanischen Freiheitskampf gegen Spanien, die blau-weiße EurekaStockade-Fahne (1854) als Vorläuferin der australischen Flagge oder Mahatma Gandhis Charkha-Fahne (1931), deren Spinnrad stilisierte Aufnahme in die Nationalflagge Indiens fand.18 Diese Beispiele müssen genügen, um eine erste Bilanz zu ziehen: Fahnen19 sind seit dem Altertum bekannt, sie sind aus den Feldzeichen taktischer Sammel- und Richtungspunkte entstanden und damit militärischen Ursprungs. Immer handelt es sich um Einzelstücke von hoher Integrationskraft, wobei die (Fahnen-)Stange als wesentlicher Bestandteil und das an ihr oder an einem Kreuzstab dauerhaft befestigte Tuch auch begrifflich eine Einheit bilden. Die Fahne ist (nahezu) unersetzlich, ein unvertretbarer Gegenstand, sie trägt ihren Symbolwert in sich. Entsprechend aufwendig werden Fahnen hergestellt, sie werden geweiht und sicher, einst in Fahnenheiligtümern, später im Arsenal oder Zeughaus der Truppe verwahrt, die auf sie vereidigt wird20. Für den Außengebrauch werden besondere Bannerträger bzw. Fähnriche ernannt. Hochgeachtet bilden Fahnen einen Gegenstand der Verehrung, ihr Verlust bedeutet Ehrverlust, ja Schande, während ihr Gewinn eine begehrte Trophäe darstellt und gar den Sieg über den Feind verheißen konnte. Sie wurden in Fahnenbüchern für die Nachwelt registriert. Eine analoge Wertschätzung wurde später auch zivilen Fahnen, insbesondere Kirchenfahnen, aber auch Zunft-, Schützen- oder Vereinsfahnen entgegengebracht. * Wenn wir uns nun den Flaggen zuwenden, kann es auch hier nur darum gehen, einige Beispiele aus der Entstehungszeit der Nationalflaggen aufzugreifen, um uns abschließend die Unterschiede zwischen Fahnen und Flaggen bewusst zu machen. Unsere Kenntnisse der europäischen Schiffszeichen reicht bis in die Zeit der Wikinger mit ihren Dreiecksfähnchen21 und in die Karolingerzeit zu-
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auch Peter Mäder / Günter Mattern: Fahnen und ihr Symbole, Zürich 1993, S. 19– 23 (= Schweizerisches Landesmuseum, Bildbd. 4). Vgl. Znamierowski (wie Anm. 2), S. 8 ff., desgl. Smith (wie Anm. 4), S. 32 ff. Ottfried Neubecker: Fahne (militärisch), in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 6, München 1972, S. 1060–1167. Sven Lange: Der Fahneneid. Die Geschichte der Schwurverpflichtung im deutschen Militär, Bremen 2002. Znamierowski (wie Anm. 2), S. 13.
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rück, in der bis ins 12. Jahrhundert hinein als königliches Schutz- und Friedenssymbol ein Kreuz im Topp des Mastes von Kauffahrteiseglern im Atlantik üblich war22. Neben das Toppkreuz trat im ausgehenden 12. Jahrhundert als zweites Zeichen noch der rote, bildlose Wimpel des Kaisers, um seinen Schutz von Handelsschiffen aus deutschen Seestädten weiter zu verstärken23. Frankreich und Dänemark schlossen sich diesem Brauch an, während England weiße, Flandern vermutlich grüne Wimpel einführte. Erst als diese einfarbigen Duplikatbanner dem Fernhandel nicht mehr genügten, griff die Seeschifffahrt im 13. Jahrhundert zu heraldischen Mitteln. Diese Abzeichen stellen das jeweilige Schiff unter den Schutz eines Wappenherrn (salva guardia-Funktion), das ihm deswegen nicht gehören musste. An die Stelle des einfachen Gonfanons am Topp des Mastes, den die Handelsschiffe des Mittelmeers übrigens im Gegensatz zu den Kriegsgaleeren nicht kannten, trat jetzt nicht etwa die gelbe kaiserliche Flagge mit dem schwarzen Reichsadler (sie spielte auf See kaum eine Rolle), sondern die mit dem Wappen einzelner Reichsfürsten bzw. mit Stadtwappen versehene Schiffsflagge auf einem am Mast wehenden Tuch24. Sowohl die Schutz- wie die Eigentumsfunktion haben sich bis heute in den Handels- ebenso wie in den Kriegs- und Dienstflaggen der Nationen erhalten. Als nun um die Wende zum 13. Jahrhundert in England die St. GeorgsFlagge25 für die Seeschifffahrt aufkam, deren Bild sich vom königlichen Wappen deutlich unterschied, begann das europäische Flaggenwesen eine eigene Entwicklung zu nehmen26. Die maritime Verbindung von Wappen und Flaggen begann sich zu lockern, da nun beide seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts mehr und mehr eigene Wege gingen. Während das Wappenwesen den Übergang von der lebendigen Kriegs- und Turnier- zur dekorativen Kunstheraldik vollzog (Ornamente statt Kampfschilde), verharrte das Flaggenwesen aufgrund der praktischen Anforderungen an die Kennzeichenpflicht noch bis ins 20. Jahrhundert in einem lebendigen Anwendungszustand, so dass Schmuckbedürfnisse sekundär blieben. Weniger zügig als im maritimen Flaggenwesen verlief zu Lande die Trennung von der Heraldik, bis sich auch in diesem Anwendungsbereich ein allmählicher, vom erwachenden Nationalgefühl geprägter Wandel abzeichnete. Die Abkehr von den Wappenflaggen beginnt im 16. Jahrhundert mit der holländischen Prinzenflagge, die auf heraldische Bilder verzichtete und 22 23
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Horstmann (wie Anm. 11), S. 21 ff.: Das Kreuz als Zeichen des Königsfriedens. Horstmann (wie Anm. 11), S. 40 ff.: Der Gonfanon als zweiten Friedenszeichen, desgl. S. 56 ff.: Der Gonfanon des Kaisers. Horstmann (wie Anm. 11), S. 87 ff.: Die „Seeheraldik“ im nordischen Raum, S. 101 ff.: Die Entwicklung im Mittelmeerraum, S. 125 ff.: Stadtflaggen im nordischen Raum. Horstmann (wie Anm. 11): S. 155 ff.: Die englische St.-Georgs-Flagge. Hans Horstmann: Die Entstehung der Nationalflagge, in: Marine-Rundschau H. 2 (1932), S. 77–82; Smith (wie Anm. 4), S. 106 ff.
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stattdessen einfache horizontale Streifen verwendete, nämlich die Livreefarben Prinz Wilhelms I. von Oranien, des königlichen Statthalters, der an die Spitze des Geusen-Aufruhrs gegen Spaniens Herzog Alba trat: es waren die Farben Orange, Weiß und Blau27. Dieser Trikolore folgten bald Flaggen, die nach der amerikanischen und französischen Revolution entstanden sind und durch einfache Formgebung und Gestaltung auch bei den Emblemen einen neuen Stil begründeten. Heute gibt es nur noch zwölf ältere Nationalflaggen, die vor dem Jahr 1800 entstanden sind; alle übrigen stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Viele von ihnen weisen gewisse Ähnlichkeiten auf, die meist nicht auf Einfallslosigkeit zurückzuführen bzw. kaum zufällig zu nennen, sondern historisch begründbar sind. So haben nur sieben ältere Nationalflaggen, nämlich von Dänemark, Großbritannien, Frankreich und der Türkei, den Niederlanden, Russland, den USA, Farbgebung und Gestaltung von 130 weiteren National- und Handelsflaggen beeinflusst. Nach Zeichen und Farben geordnet lassen sich so etwa zehn größere Flaggenfamilien28 sowie drei kleinere bilden: 18 Staaten führen das christliche Kreuz in ihrer Flagge, 17 den islamischen Halbmond, 24 dem einstigen Empire verbundene Staaten den Union Jack, weiteren 10 liegt das amerikanische Sternenbanner zugrunde, 9 Staaten des ehemaligen niederländischen Kolonialreichs und – in erstaunlicher Nachwirkung des Hollandaufenthalts Zar Peter des Großen auch mehrere slawische Nationen – gerieten unter den Einfluss der Prinzenflagge, 18 Staaten, hervorgegangen aus Revolutionsregierungen, aber auch des ehemaligen französischen Kolonialreichs – variieren die vertikal angeordneten Farbstreifen der französischen Trikolore, 10 weitere Staaten wandelten ihre Wappenfarben in Livreestreifen ihrer Flaggen um, 11 arabische Staaten verwenden die Farben der muslimischen Kalifendynastien (nämlich Weiß der Omaijaden, Schwarz der Abbasiden, Grün der Fatimiden und Rot der Haschemiten), 21 Staaten verwenden die panafrikanischen, größtenteils der äthiopischen Flagge entnommenen Farben (Grün, Gelb und Rot) und nur noch 2 Staaten folgen der Roten Farbe des Kommunismus; den Kampf Lateinamerikas gegen Spanien spiegeln heute noch zwei kleinere Flaggenfamilien29 und eine dritte die Tätigkeit der Vereinten Nationen wider. Ziel dieser Ausführungen war es, nach den Fahnen nun auch die historische Entwicklung der Flaggen wenigstens insoweit zu skizzieren als es für eine begriffliche Umschreibung erforderlich ist. Halten wir daher fest: Europäische Flaggen in ihrer Vorläuferform der Duplikatfahnen gibt es frühestens seit der Wikingerzeit. Sie wurden seit dem 8./9. Jahrhundert von der Seefahrt benötigt und waren daher maritimen Ursprungs, während die Na27 28
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Klaes Sierksma: Symbol, traditie, protocol, Büssum 1963. Znamierowski (wie Anm. 4), S. 100 ff.: Flaggenfamilien; Smith (wie Anm. 4), S. 204 ff. Gemeint sind 1) Kolumbien, Venezuela und Ecuador, 2) Argentinien, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Guatemala und Costa Rica.
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tionalflaggen seit dem 16. Jahrhundert entstehen. Immer handelt es sich bei Flaggen um ein beliebig produzierbares Serienprodukt, nämlich um ein an beweglicher Leine geführtes Tuch, das an einem (Flaggen-)Mast gehisst bzw. auch wieder eingeholt wird; die Verbindung von Mast und Tuch ist prinzipiell lösbar. Jede Flagge ist also auswechselbar, rechtlich eine „vertretbare Sache“, nämlich durch ein gleichaussehendes Tuch als textile Hilfsfläche für den Farbdruck von Symbolen ersetzbar. Daher ist sie auch nur von geringem Wert und wird auch nicht weggeschlossen (wie Fahnen), sondern öffentlich gezeigt. Dafür besteht – z. B. anlässlich von Staatsbesuchen – ein genau vorgeschriebenes Flaggenzeremoniell30; Verunglimpfungen der Flagge werden nach dem Straf- und Völkerrecht geahndet31. Damit komme ich historisch fast erwartungsgemäß – wie schon Hans Horstmann sprachlich – zu dem Resultat, „dass eine Fahne und eine Flagge zwei grundverschiedene Dinge sind“32, wobei es vielleicht interessant erscheint, dass es – wenn ich mein Untersuchungsergebnis in dieses Paradoxon kleiden darf – realiter die Flagge eben schon vor der Flagge gab, wie die Duplikatbanner beweisen, denn sprachlich ist dieser Ausdruck erst im 17. Jahrhundert aus dem Niederdeutschen, wo er die „Schiffsfahne“ bezeichnete, ins Hochdeutsche übernommen worden. Doch ganz so einfach liegen die Dinge heute nicht mehr, da es sowohl Flaggen zu Lande und zur See gibt (National- und Dienstflaggen wie Schiffsflaggen) als auch die eher selten gewordenen Fahnen (etwa Regiments-, Kirchen- und Vereinsfahnen). An diesem Befund orientierte sich Horstmanns „Mittel für den Hausgebrauch“ zur Unterscheidung von Fahnen und Flaggen, denn die Beurteilung, „ob es sich um Dutzendware oder um einen Gegenstand von einmaligem Wert handelt, ist stets ohne Schwierigkeiten möglich“. Diese praktische Regel kann Jedermann anwenden, doch ist seiner anderen – eher verhalten vorgetragenen Maxime – heute zu widersprechen, dass die Flagge „ein Unterscheidungszeichen, die Fahne dagegen ein Sinnbild der Zusammengehörigkeit“ sei. Längst hat sich auch die Flagge zu einem Symbol des Zusammengehörigkeitsgefühls entwickelt; sie ist ein soziales Bindemittel, ermöglicht Gruppenbildung bzw. begünstigt den Zusammenhalt von Gemeinschaften, ja erweckt – selbst in Deutschland wieder – Nationalgefühl. Wie alle politischen Symbole dienen Flaggen aber nicht nur der Teilhabe und der „zwischenmenschlichen Kommunikation“33, sondern verleiten auch zur Ausgrenzung der Andersdenkenden, sie rufen 30
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Jürgen Hartmann: Staatszeremoniell, 2. Aufl. Köln 1990, S. 217–243, vgl. auch 3. Aufl. 2000. Günter Hoog: Deutsches Flaggenrecht. Die staatlichen Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und ihre Verwendung, Hamburg 1982, vgl. auch Rudolf Mueller: Das Flaggenrecht von Schiffen und Luftfahrzeugen nach Völkerrecht und Landesrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht 1926, S. 233–273. Horstmann (wie Anm. 5), Sp. 119. Arnold Rabbow: dtv-Lexikon politischer Symbole, München 1970, S. 5.
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FAHNEN
Merkmale
FLAGGEN
Aus den Feldzeichen entstanden; militärischer Ursprung.
Von der Seefahrt benötigt; maritimer Ursprung.
Seit dem Altertum bekannt; ab dem 19. Jahrhundert abklingende Beachtung.
Seit dem 16. Jahrhundert Entstehung der Nationalflaggen, zuvor nur Duplikatflaggen.
An einer Stange oder einem Kreuzstab dauerhaft befestigtes Tuch; Fahnenstange (als wesentlicher Bestandteil) und Tuch begrifflich untrennbar.
An beweglicher Leine geführtes, an einem Mast gehisstes bzw. wieder eingeholtes Tuch = lösbare Verbindung von Flaggenmast und Tuch.
Ein unvertretbarer Gegenstand bzw. Symbol.
Eine vertretbare Sache, ersetzbar durch ein gleichaussehendes Tuch als textile Hilfsfläche für den Farbdruck von Symbolen.
Einzelstück.
Serienprodukt.
Aufwendig hergestellt.
Von keinem oder nur geringem Wert.
(Nahezu) unersetzlich.
Auswechselbar, beliebig reproduzierbar.
Sichere Innenverwahrung der Fahnen von Truppenteilen (im Arsenal, Zeughaus oder dergleichen), Kirchen-, Zunft-, Schützen- und Vereinsfahnen; im Außengebrauch besondere Bannerträger (Fähnriche); Fahnenbücher für die Nachwelt.
Öffentlich gezeigt.
Gegenstand der Verehrung und Hochachtung, als Trophäe geschätzt.
Verunglimpfung im Strafgesetzbuch und auch völkerrechtlich geahndet.
Fahnenweihe, Fahneneid.
Flaggenzeremoniell zu Wasser und zu Lande.
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Zustimmung und Ablehnung hervor. Um dieser Gefahr besser zu begegnen, sollten die Deutschen, deren nationale Symbole34 einen eigenen Vortrag benötigen würden, ihre föderale Vielfalt mehr schätzen, die die Identitätsfindung nicht nur begünstigt, sondern auch relativiert (Landesflaggen!)35, denn Teilidentitäten weisen ins Nahe und Überschaubare36. Fahnen und Flaggen mahnen Empfindungen, aber auch Handlungen an. Das Geheimnis ihrer Wirkung beruht aber auf ihrer Sichtbarkeit – und Verformbarkeit, womit sie, beweglich und lebendig, erhöhte Aufmerksamkeit für ihre leuchtenden Farben und kontrastierenden Bilder erzielen. Auf ihren Tüchern entfaltet sich Geschichte in gebändigter Beweglichkeit. Mir kam es im Referat über „Fahnen o d e r Flaggen?“ darauf an, diese Begriffe zu klären, deren Unterschiede im Deutschen allmählich in Vergessenheit zu geraten scheinen, deren Bedeutung aber für die Historische Hilfswissenschaft der Vexillologie als Fahnen- und Flaggenkunde grundlegend ist.
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Vgl. aus der ausgedehnten Literatur Hans Hattenhauer: Deutsche Nationalsymbole, Geschichte und Bedeutung, 3. Aufl. Köln 1998 und Paul Wentzcke: Die deutschen Farben, ihre Entwicklung und Deutung sowie Stellung in der deutschen Geschichte, 2. Aufl. Heidelberg 1955, erstmals Heidelberg 1927, ferner Wolfgang Ribbe: Vexillologische Kontroversen in der Weimarer Republik, in: Herold-Jahrbuch 1 (1972), S. 102–117. Birgit Laitenberger / Maria Bassier: Wappen und Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder, 5. Aufl., Köln 2000, bes. S. 37 ff. Christian Graf v. Krockow: Zur Einführung, Symbolbildung und politische Identität, in: Deutsche Wappen und Flaggen, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn o. J. (vor 1989), S. 4.
Phaleristik als Lehrfach * Bereits der – mir ursprünglich vorgegebene – Vortragstitel „Phaleristik an deutschen Universitäten“1 weckte falsche Erwartungen. Ich könnte es mir daher leicht machen, nämlich nachweislich der von der Hochschulrektorenkonferenz herausgegebenen „Studienangebote deutscher Hochschulen“ für das Sommersemester 20042 Fehlanzeige erstatten, wenn da nicht meine eigene Lehrveranstaltung zur „Phaleristik für Historiker und Kunsthistoriker“ im Wintersemester 2002/2003 an der Humboldt-Universität zu Berlin gewesen wäre, der ich vorsichtshalber – welcher Student kennt schon die Phaleristik? – noch die erklärende Klammerangabe „Ordenskunde“ hinzugefügt hatte. Ehe ich darüber folglich ersatzweise berichte, lassen Sie mich aber zunächst einleitend auf die deutsche Situation der Historischen Hilfswissenschaften eingehen, zu denen ich auch die Phaleristik rechnen möchte. Man könnte – anders als in anderen europäischen Ländern – sagen: „Die Lage war noch nie so ernst wie heute!“. Mit diesem Diktum hat sich einst Bundeskanzler Konrad Adenauer zwar nicht zur Situation der Historischen Hilfswissenschaften geäußert, doch seine in den fünfziger Jahren geflügelten Worte beschreiben leider passgenau deren gegenwärtige Situation im universitären Fächerspektrum des Historikers. Sie ist zumindest so unsicher wie bereits die Schreibweise des Vereins deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) im „Call for Papers“ zum 73. Deutschen Archivtag in Trier, auf dem ich über diese Misere hilfswissenschaftlicher Fächer eingehender berichtet habe3, als ich es hier tun will. Dort konnte man sich schon zwischen der Groß- und Kleinschreibung nicht entscheiden: handelt es sich doch nicht um „historische“ Hilfswissenschaften, sondern um Historische „Hilfswissenschaften“, wie es erst der korrigierte Sektionstitel in der Einladung zu dieser Tagung durch Großschreibung des Adjektivs angemessen zum Ausdruck brachte. Ich erwähne diese Lappalie, weil ich den unsicheren Umgang mit dem Begriff selbst unter Fachleuten (wie es Archivare sein sollten) für symptomatisch halte, keineswegs nur in Trier. Es handelt sich bei diesen Hilfswissenschaften – wie ich nicht müde werde, zu erklären – eben keineswegs nur um * 1
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Erstmals erschienen in: Vierteljahrsschrift Herold N.F. 16 (2004), S. 413–422. Ich habe daher das Vortragsthema vom 17. April 2004 anlässlich des 9. Gunzenhäuser Phaleristik-Symposiums hier etwas abgewandelt, um auch auf die gegenwärtige Lage der Phaleristik, wie ich sie sehe, besser eingehen zu können. Vgl. 14. Ausgabe, Bielefeld, Dezember 2003. Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, in: Archive und Forschung, Referate des 73. Deutschen Archivtags 2002 in Trier, hrsg. vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare. Redaktion: Robert Kretschmar. Siegburg 2003, S. 59–69 (= Der Archivar, Beibd. 8) und revidiert nachgedruckt in der Schweriner Vortragsfassung vom 20. September 2003, in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 85–92.
Phaleristik als Lehrfach
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ein historisches Phänomen, sondern um einen immer noch aktuellen Begriff für eine auch heute noch nützliche Fächergemeinschaft. Der eine oder andere unter meinen Zuhörern wird schon aus dieser Vorbemerkung auf die ihm vertrauten hilfswissenschaftlichen Insuffizienzgefühle schließen, denn in der Tat vermag kaum ein Vertreter dieser Disziplinen aus seiner Fachbezeichnung sonderlich viel Selbstbewusstsein zu ziehen. Das mag begreiflich erscheinen, spricht man doch selbst in der Fachöffentlichkeit den Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“, wie Ernst Opgenoorth festgestellt hat, nicht „ohne überheblichen Unterton“ aus bzw. assoziiert gar Hilfsschüler oder deren Lehrer damit, ohne dass ihn das – dem Begriff innewohnende – caritative Moment von seinem Spott abhält. Schließlich sind die bei ihrer Quellenarbeit gelegentlich um Hilfe rufenden Historiker selbst jene Hilfsschüler, die der Abhilfe durch den Spezialisten oder durch deren Hilfsmittel bedürfen, wenn es einmal nicht genügt zu einer Urkundenedition „den Capelli“ heranzuziehen, um Abkürzungen, oder „im Grotefend“ nachzuschlagen, um Datierungen aufzulösen. Ich verweise an dieser Stelle auf mein 96er „Begriffsplädoyer für die Historischen ,Hilfs‘wissenschaften“4, wo ich mich mit Karl Brandis gutgemeintem Vorschlag von 1939 auseinandergesetzt habe, die Hilfswissenschaften in „Grundwissenschaften“ umzubenennen und damit aufzuwerten. Diese schon klassische Kontroverse aus dem letzten Jahrhundert halte ich für überholt, da ich die Frage bereits für geklärt halte, ob diesen Fächern ein subsidiärer Charakter anhaftet oder ihnen ein eigenständiger Wert zukommt – zumal dies für die meisten längst feststeht. Abgesehen davon, dass es meist unsinnig ist, gegen einmal etablierte Begriffe anzugehen (wie in der Diplomatik z. B. der immer wieder kritisierte bzw. irreführende Begriff der „Privaturkunden“ zeigt), bedürfen die Historischen Hilfswissenschaften m. E. keinerlei „Ehrenrettung“, zumal dieser Begriff gut und treffend gewählt erscheint. Es geht also nicht um das Scheinproblem Werkzeugfunktion oder Eigenständigkeit, sondern eben nur um die Hilfsdienste, die prinzipiell jedes Fach einem anderen zu leisten vermag. Vor fünf Jahren habe ich auf einem Berliner Symposion die Historischen Hilfswissenschaften übrigens tatsächlich einmal historisch analysiert5, wobei sich ergab, dass der Begriff dieser ursprünglich juristischen, später historischen Fächergruppe des 18. Jahrhunderts erstmals lateinisch bei Anselm Desing in seinen „Auxilia historica“ (1741) und schließlich deutsch unter 4
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Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften, erstmals erschienen in: Herold-Jahrbuch N.F. 1 (1996), S. 16–25, nachgedruckt in Eckart Henning: Auxilia historica, Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, Köln 2000, S. 3–15. Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen!, in: Vom Nutz und Frommen der Historischen Hilfswissenschaften. hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning, Neustadt/Aisch 2000, S. 11–22 (= Herold-Studien, 5).
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Bezug auf Desing in Johann Christoph Gatterers „Handbuch der Universalgeschichte“ (1761) auftaucht, mithin früher – und dann als Monographientitel auch öfter – als Ahasver v. Brandt in seinem bekannten „Werkzeug des Historikers“ bisher annahm. Es handelt sich also bei den Historischen Hilfswissenschaften eindeutig um einen Begriff des 18. und nicht erst des 19. Jahrhunderts, was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass er damit jünger ist als die darunter zusammengefassten Fächer. Er bezeichnet also kein abgeschlossenes Fach mit einheitlicher Methode, aber einen inzwischen mehr als 250 Jahre alten variablen Verbund mit gemeinsamer historischer Zielsetzung, der ursprünglich universalhistorisch ausgerichtet, nicht aber mediävistisch eingeengt war. Meine eigene Berufungsurkunde als Honorarprofessor für „Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften der Neuzeit“6 mag als später Befreiungsschlag der Berliner Humboldt-Universität gegen solch prokruste Betten gemeint gewesen sein, zeugt allerdings nur von anderer, diesmal allzu neuzeitlicher Beengung, die die Wurzel vieler dieser Fächer im Altertum (wie z. B. Numismatik oder Genealogie) und im Mittelalter (wie die Heraldik) verkennt. Mein oben erwähnter Trierer Lagebericht hat inzwischen Eingang in das unlängst veröffentlichte Analysepapier einer archivarischen Arbeitsgruppe unter dem Titel „Die deutschen Archive in der Informationsgesellschaft – Standortbestimmung und Perspektiven“ gefunden, aus dem ich an dieser Stelle zusammenfassend zitieren möchte, ehe ich nun im zweiten Teil auf die Phaleristik in Forschung und Lehre eingehen kann: „Der Rückgang an quellenkundlichen und hilfswissenschaftlichen Kenntnissen an den Universitäten und bei den Studierenden – u. a. wegen des Abbaus von hilfswissenschaftlichen Lehrstühlen – führt zur Erscheinung der ,hilflosen Historiker in Archiven‘. Aus Sicht der Archive ist es zwingend erforderlich, dass Lehrstühle für historische Hilfswissenschaften erhalten und mit den Archiven und der historischen Forschung im Dialog bleiben. In diesem Dialog sind die historischen Hilfswissenschaften neu zu beleben und weiterzuentwickeln, wobei besonderes Gewicht auch auf Quellengattungen wie elektronische und audiovisuelle Unterlagen zu legen ist. Vor diesem Hintergrund der Krise in den historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten muss auch das traditionelle Selbstverständnis der Archivarinnen und Archivare als Spezialisten für die hilfswissenschaftliche und vor allem für die quellenkundliche Aufarbeitung der Überlieferung wieder stärker in den Vordergrund treten“7. Zu diesen Historischen Hilfswissenschaften zähle ich eben nicht nur die klassischen Kernfächer wie Paläographie (Schriftkunde), Diplomatik (Urkundenlehre), Aktenkunde, Heraldik (Wappenkunde), Sphragistik (Siegelkunde), Genealogie (Geschlechterkunde), Numismatik (Münz- und Medaillenkunde), 6
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Ausgestellt am 1. September 1993, vgl. dazu Humboldt, Zeitung der Alma mater Berolinensis, Ausg. 6 v. 14. April 1994 = Jg. 38 (1993/94), S. 2. Vgl. Der Archivar 57 (2004), S. 28–36, hier S. 34.
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Chronologie (Zeitberechnungslehre) und einige neuere Hilfswissenschaften, die sich bedarfsgerecht durch Filiation aus älteren entwickelt haben. Zu ihnen gehört m.E. auch die sich längst aus der Numismatik – und in einem gewissen Sinne auch aus der Heraldik – emanzipierte Phaleristik als Lehre von den tragbaren Orden und Ehrenzeichen – also nicht bloß der Orden, wie mein oben erwähnter, nur der Kürze halber gewählter Klammerhinweis vermuten ließ, aber eben auch nicht gleich sämtlicher Auszeichnungen, was das Fach uferlos bzw. unprofiliert erscheinen ließe. Als Disziplin steht die Phaleristik heute im Begriffe, das Stadium des nur liebhabermäßigen Sammelns mit dem einer systematisch angelegten und auch anerkannten Historischen Hilfswissenschaft zu vertauschen, worauf auch ihre erstmalige Berücksichtigung in einem allgemeinen Handbuch archivalischer Quellen und ihrer Hilfswissenschaften hindeutet (Herfurth)8. Ihre Disziplingenese scheint abgeschlossen, wofür auch alle Emanzipationskriterien wie eigene Lehr- und Handbücher (Měřička bzw. Nimmergut)9, Fachzeitschriften (Orden und Ehrenzeichen)10, eine Bibliographie (Mulder/Purves)11 und Tagungen (Gunzenhausen)12 sprechen. Dieser Zeitpunkt des Übergangs von einem bloßen, wenn auch anspruchsvollen, antiquarischen Sammelgebiet zur Historischen Hilfswissenschaft wurde von mir gewählt, um die Phaleristik sozusagen für „universitätsreif“ zu erklären oder sie doch an einer deutschen Universität erstmals in ihrer gewachsenen Eigenständigkeit vorzustellen. Damit galt es, Historiker und solche, die es werden wollen, auf diese Fachentwicklung aufmerksam zu machen, auf die nun allerdings eine Konsolidierungsphase folgen muss, in der der Zugang für Anfänger verbessert (Ordensfibel13) und die bibliographische Basis verbreitert werden sollte; bei dem ersteren Vorhaben hoffe ich weiter auf die Mitarbeit des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats des BDOS, Dietrich Herfurth, und beim zweiten Projekt werde ich gern den Leiter der Zentralstelle für wissenschaftli8
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Dietrich Herfurth: Orden und Ehrenzeichen, in: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning. 4., durchgesehene Aufl. Köln 2004, S. 319–331, Lit. S. 384– 386. Vaclav Měřička: Faleristik. Ein Buch über Ordenskunde, Prag 1976 u. Ders.: Orden und Auszeichnungen, Prag 1966. – Jörg Nimmergut: Deutsche Orden und Ehrenzeichen bis 1945. Handbuch, 4 Bde. München 1997–2003, Nachtrag 2004. Orden und Ehrenzeichen. Das Magazin für Sammler und Forscher, hrsg. vom BDOS – Deutsche Gesellschaft für Ordenskunde e. V. Zuletzt erschien das AprilHeft des 6. Jahrgangs, 2004, daneben Jahrbücher. C. P. Mulder / A. A. Purves: Bibliography of Orders and Decorations, hrsg. von Lars Stevnsborg – Ordenshistorisk Selskab. Kopenhagen 1999. Wie in Anm. 1 erwähnt, sind bisher im ehemaligen markgräflichen Jagdschloss („Haus des Gastes“) neun Gunzenhäuser-Symposen durchgeführt worden. Zum Plan des Verf.s zusammen mit Dietrich Herfurth eine „Ordensfibel“ herauszubringen, vgl. Orden und Ehrenzeichen 6 (2004), S. 53, erschienen 2010.
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che Ordenskunde, Jörg Nimmergut, unterstützen14. Denn solche Hilfsmittel fehlen der Lehre und Forschung noch, nicht nur an den Hochschulen, sondern auch an Ausbildungsstätten für Museologen, für die Dietrich Herfurth durch seine wichtige – nun endlich gedruckt erschienene – Dissertation über den „Informationsgehalt von Orden und Ehrenzeichen, ihr Nutzen in musealen Ausstellungen“ allerdings bereits Pionierarbeit geleistet hat15. * Nach dieser Vorrede zu Lage der Historischen Hilfswissenschaften im Allgemeinen und der Situation der deutschen Phaleristik im Besonderen, möchte ich nun im zweiten Teil zu eigenen Lehrerfahrungen übergehen, d. h. mein phaleristisches Unterrichtsziel und meine Vorgehensweise, also Didaktik und Methodik, kurz schildern, um anschließend das Ergebnis einer Übung (Nr. 51 309) am Institut für Geschichtswissenschaften zu skizzieren, die – wie gesagt – mit „Phaleristik (Ordenskunde) für Historiker und Kunsthistoriker“ angekündigt und im Seminargebäude der Humboldt-Universität am Hegelplatz (= Dorotheenstraße 24) vom 16. Oktober 2002 bis 12. Februar 2003 wöchentlich einstündig durchgeführt wurde. Sie ist von mir im kommentierten Vorlesungsverzeichnis des Instituts folgendermaßen beschrieben worden: „Orden und Ehrenzeichen machen Geschichte erst sichtbar und damit – auf ganz andere Weise als etwa Wappen und Siegel, Fahnen oder Flaggen – auch anschaulich. So ist es Ziel dieser phaleristischen Übung (m. W. der ersten, die überhaupt an einer deutschen Universität durchgeführt wird), auf die Wechselbeziehungen von Individuum und Staat, Biographie und allgemeiner Geschichte, Micro- und Macrogeschichte einzugehen. Behandelt wird die Entwicklung des Ordenswesens von den geistlichen Ritter- bzw. Hoforden über die weltlichen Verdienstorden bis hin zu modernen Auszeichnungen für zivile und militärische Verdienste. Auf die fachgerechte Beschreibung der Orden wird ebenso wertgelegt wie auf den Stilwandel und auf heraldische Bezüge“ (mit Literaturhinweis). Daraufhin haben sich genau 20 Teilnehmer an der Übung gemeldet, davon 11 männliche und 9 weibliche Studierende der Geschichte bzw. Kunstgeschichte; ihre Semesterzahl reichte vom 3.–11. Semester, wobei das 5. und 7. Semester überwog. Um einen benoteten Leistungsschein zu erhalten, mussten sich die Teilnehmer einem Zwischentest zur Halbzeit und einer Abschlussklausur am Ende der 14
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Jörg Nimmergut: Kulturgeschichtliche Ordenskunde. Forschungsprobleme durch grundlegende definitorische und bibliographische Defizite, in: Herold-Jahrbuch N.F. 4 (1999), S. 107–118. Dietrich Herfurth: Der Informationsgehalt von Orden und Ehrenzeichen. Ihr Nutzen in musealen Ausstellungen. Phil. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin 1991. Ergänzt durch eine Geschichte der Orden und Ehrenzeichen im Überblick und eine Nachbetrachtung aus der Sicht des Jahres 2003, Berlin 2003.
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Lehrveranstaltung unterziehen. Als Motto hatte ich Worte des Philosophen Arthur Schopenhauer aus seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ vorangestellt: „Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers. Inzwischen sind sie, auch ganz abgesehen von dem vielen Gelde, welches sie, als Substitut pekuniärer Belohnungen, dem Staat ersparen, eine ganz zweckmäßige Einrichtung; vorausgesetzt, dass ihre Verteilung mit Einsicht und Gerechtigkeit geschehe. Der große Haufe nämlich hat Augen und Ohren, aber nicht viel mehr, zumal blutwenig Urtheilskraft und selbst wenig Gedächtniß. Manche Verdienste liegen ganz außerhalb der Sphäre seines Verständnisses, andere versteht und bejubelt er bei ihrem Eintritt, hat sie aber nachher bald vergessen. Da finde ich es ganz passend, durch Kreuz oder Stern, der Menge jederzeit und überall zuzurufen: ‚der Mann ist nicht eures Gleichen: er hat Verdienste‘! Durch ungerechte, oder urtheilslose, oder übermäßige Vertheilung verlieren aber die Orden ihren Werth; daher ein Fürst mit ihrer Ertheilung so vorsichtig sein sollte, wie ein Kaufmann mit dem Unterschreiben der Wechsel. Die Inschrift Pour le mérite auf einem Kreuze ist ein Pleonasmus: jeder Orden sollte Pour le mérite sein, – ça va sans dire“16. Jede meiner Übungen begann damit, dass ich am Anfang in die Sekundärliteratur einführte und ein Verzeichnis der wichtigsten Titel verteilte, auf deren Wiederholung ich in Ihrem Kreise getrost verzichten kann, doch blieb es nicht dabei: zu jedem weiteren Wochentermin stellte ich, aus meiner Bibliothek Spezialstudien vor, die ich für weiterführend halte und herumgab, damit sich jeder Teilnehmer einen eigenen Eindruck davon verschaffen konnte, etwa Hanns Jäger-Sunstenaus Nachdruck des „Schauplatzes Hoher Ritterorden, ihre Zeichen und Trachten“ von Jacob Andreas Fridrich (1756, 1999)17, Louis Schneiders „Buch vom Eisernen Kreuz“ (1872)18, Heinrich Doehles „Auszeichnungen des Großdeutschen Reiches“ (4. Aufl. 1943)19 oder gern auch von zwei Autoren unseres Faches, die ich noch persönlich kennen lernen durfte, von Ottfried Neubecker und Kurt-Georg Klietmann,
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Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit, zit. nach der Ausgabe von Max Brahn. Leipzig 1917, S. 67 f. Jacob Andreas Fridrich: Schauplatz Hoher Ritterorden, ihre Zeichen und Trachten. Vergrößerter Nachdruck eines Sammelbändchens aus dem Jahre 1756, hrsg. von Hanns Jäger-Sunstenau. Neustadt/ Aisch 1999. Vgl. meine Rez. In: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 248. Louis Schneider: Das Buch vom Eisernen Kreuze. Fotomechanischer Nachdruck der Originalausgabe von 1872, hrsg. und eingeleitet von Kurt-Georg Klietmann. Berlin 1971 (= Die Preußischen Orden, Ehrenzeichen und Auszeichnungen, 1). Heinrich Doehle: Die Auszeichnungen des Großdeutschen Reichs. Orden, Ehrenzeichen, Abzeichen. 4. Aufl. Berlin 1943.
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von dem einen seine „Ordensritterliche Heraldik“ (1940)20, vom anderen die „Deutschen Auszeichnungen“ (1957 ff.)21. Nach einer Begriffsklärung („was ist Phaleristik?“), bei der mir die Definitionsdebatte im Wissenschaftlichen BDOS-Beirat nützlich war22, bin ich meinem an die Teilnehmer verteilten, teils historisch, teils systematisch aufgebauten Semesterprogramm gefolgt: nach antiken Vorläufern von Auszeichnungen, habe ich die geistlichen und weltlichen Ritterorden, sodann Verdienst- und auch Damenorden behandelt, schließlich – etwas ausführlicher – die Ehrenzeichen. Besonders gründlich haben wir uns dann bis zum Zwischentest in der Weihnachtszeit dem Ordensaufbau, der Trageweise, sowie Bändern und Miniaturen gewidmet, sodann den Sternen und Strahlen, Ordensketten (Kollanen) und Trachten, aber auch Kreuzen und Kronen. Nach der Besprechung des Tests im neuen Jahre, der ganz leidlich ausgefallen war, haben wir über Ordenspsychologie und -soziologie diskutiert, Verleihungsdekrete und andere schriftliche Quellen kennengelernt, die mir als Archivar sehr am Herzen liegen und oft von den reinen Ordenssammlern viel zu wenig beachtet werden. Den Abschluss bildeten Fragen der Herstellung von Auszeichnungen, die Unterscheidung von Duplikaten und Falsa, aber auch wie man sich eine eigene Sammlung zulegt (Auktionen, Tauschbörsen), wie man sie katalogisiert und aufbewahrt, schließlich Restaurierungsprobleme. Um anschaulich zu bleiben, habe ich zu jeder Sitzung Abbildungskopien (kostenlos) verteilt, so dass zum Schluss jeder Teilnehmer über ein eigenes „Kursbuch“ in Form eines Schnellhefters verfügte. Dieser Sammler erleichterte die Beantwortung meiner stündlich gestellten Kontrollfragen, die den Kern der Übung bildeten. Sie dienten der studentischen Selbstkontrolle ebenso wie der Wissensbefestigung, beendeten jede Sitzung und eröffneten sie auch, wobei dieser Fragenkatalog nicht nur in Ablichtung verteilt wurde, sondern auch die Basis für das in der Abschlussklausur stichprobenartig geprüfte Grund- und Anwendungswissen darstellte. Ich teile meine Zusammenstellung aller 136 Fragen – nicht aber ihre Beantwortung – zu Ihrer Erheiterung einmal aus, damit Sie sich selbst prüfen können, ob Sie Ihnen gewachsen gewesen wären oder gar als Repetenten „nachsitzen“ sollten. Insgesamt war es eine ziemlich komprimierte Lehrveranstaltung, bei der auch politische Themen nicht ausgespart blieben, ob es sich nun um das „Kreuz mit dem Haken“ (Verbot einiger NS-Symbole)23, die „Crux mit dem
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Ottfried Neubecker: Ordensritterliche Heraldik. Eine Übersicht Görlitz 1940 (= Sonderdr. aus: Vierteljahrsschrift Herold N.F., 1). Kurt-Georg Klietmann: Deutsche Auszeichnungen, 3 Bde. Berlin 1957, 1971 u. 1972. Dietrich Herfurth: Phaleristik – eine Historische Hilfswissenschaft in Bewegung, in: Herold-Jahrbuch N.F. 6 (2001), S. 95–109. Das Kreuz mit dem Haken. Runen der Gewalt, in: Der Spiegel 52 / 1992, S. 41.
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Kreuz“ (Vermarktung christlicher Symbolik als Modeschmuck)24 oder die Stolpe-Affäre um die DDR-Verdienstmedaille25 handelte. Die Ergebnisse der Abschlussklausur waren „gut“ und in einem Falle „sehr gut“, nur wenige mussten mit einem „Befriedigend“ nach Hause gehen; durchgefallen ist keiner. Fazit dieser phaleristischen Lehrveranstaltung war, dass sie öfter wiederholt werden müsste, um Studenten das fehlende Grundwissen zu vermitteln, sozusagen das kleine Einmaleins der Ordenskunde und der Ehrenzeichen; erst wenn das häufiger geschehen könnte, hätte es auch Zweck, Wechselbeziehungen der Historischen Hilfswissenschaften (insbesondere von Genealogie, Heraldik und Numismatik) untereinander herauszuarbeiten, anspruchsvollere Probleme der Ordenssoziologie und -psychologie zu behandeln bzw. das Auszeichnungswesen als sozialen Indikator oder als Evaluierungsinstrument zu nutzen, wie leider erst vereinzelt in akademischen Abschlussarbeiten26 geschehen. An dieser Stelle könnte ich meine Ausführungen beenden, wenn die Übung für mich selbst nicht noch – ein „Nachspiel“ gehabt hätte: schon bei ihrer Planung fehlte mir so etwas wie eine Tektonik der Phaleristik, also eine Art systematische Stoffgliederung des ganzen Faches, wie sie z. B. Jürgen Arndt27 einmal für die Heraldik erstellt hat. Der Versuch, eine solche Übersicht zu erarbeiten, zugleich als Vorarbeit für eine künftige deutsche Bibliographie der Orden und Ehrenzeichen, beschäftigt mich seither; ein erster Entwurf lag dem BDOS-Beirat im Dezember 2003 vor28. Dieser Gliede24
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Die Crux mit dem Kreuz. Modemacher entdecken die christliche Symbolik. Geistliche warnen vor Geschäftemacherei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.2.1994, S. 10. Stasi: Stolz am Revers, in: Der Spiegel 47 /1998, S. 17. Über bemerkenswerte akademische Abschlussarbeiten referierten auf dem 6. Gunzenhäuser Phaleristik-Symposium (20./22.4.2001) Sabine Koloch, Universität Marburg/L.: „Welche historische Bedeutung kommt den Stiftungsaktivitäten von Eleonore Gonzaga (1628–1686) zu?“, auf dem 7. Symposium (26./27.4.2002) Stefan Hornbostel, Universität Jena: „Der zentrale Kaderspeicher des Ministerrats der DDR und seine Korrelation mit der Verleihung von Orden und Ehrenzeichen“, auf dem 8. Symposium (9./10.5.2003) Ralf Winkle, Universität Tübingen: „Orden und Ehrenzeichen – Funktion und Folgen symbolischer Politik in Deutschland“ und auf dem 9. Symposium (16./17.4.2004) Lars Adler, Universität Heidelberg: „Die Ordensstiftungen der Markgrafen von Baden 1584–1803, adelige Korporationen im Spiegel fürstlicher Hof- und Landespolitik“. Jürgen Arndt: Systematische Stoffgliederung der heraldischen Wissenschaft, in: Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, 19. verbesserte Aufl. bearb. im Auftrage des Herolds-Ausschuss für die Deutsche Wappenrolle von Ludwig Biewer. Neustadt/ Aisch 1998, S. 16–19. Vgl. Siebente Berliner Tagung des Wissenschaftlichen Beirats des BDOS am 6. Dezember 2003 und Protokoll darüber, gez. Dietrich Herfurth, S. 3: Stoffgliederung (Tektonik) Phaleristik, E. Henning.
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rungsversuch am „grünen Tische“ zeigt die Phaleristik sozusagen in ihrer „idealen“ Gestalt, nicht in der Realität, deutet aber schon an, wo bisher intensiv und wo bislang nur wenig oder überhaupt noch nicht geforscht worden ist, sie zeigt Desiderata auf und unterstützt vielleicht Jörg Nimmergut bei seiner entsagungsvollen bibliographischen Kärrnerarbeit, für die wir ihm die Kraft wünschen, mit der er auch sein vierbändiges Monumentalwerk „Deutsche Orden und Ehrenzeichen bis 1945“29 geschultert hat. Erst wenn wir dieses Titelverzeichnis bekommen, das nicht nur kümmerliche 313 „Germany“-Arbeiten verzeichnen wird, wie die „Bibliography of Orders and Decorations“ von C. P. Mulder und A. A. Purves (1999), sondern Tausende von Schrifttumsnachweisen enthalten muss, lässt sich der Forschungsstand auf dem Gebiet der Phaleristik wirklich überblicken30.
Entwurf einer systematischen Stoffgliederung zur Phaleristik: A BIBLIOGRAPHIE I Schrifttumsnachweise, Bibliothekskataloge . ...................................... II Publikationsverzeichnisse einzelner Autoren . ................................... III Periodika und Serien . ........................................................................... IV Sonstige Sammelwerke ......................................................................... B GESCHICHTE ............................................................................................. I Überblicksdarstellungen . ..................................................................... II Antike Ursprünge.................................................................................. III Mittelalter .............................................................................................. 1) Geistliche Ritterorden . ................................................................... 2) Weltliche Ritterorden ...................................................................... IV Frühe Neuzeit ....................................................................................... 1) Hausorden ....................................................................................... 2) Verdienstorden ................................................................................ V Auszeichnungswesen des 19. und 20. Jahrhunderts ........................... 1) Allgemeines . .................................................................................... 2) 19. Jahrhundert ................................................................................ 3) Erster Weltkrieg . ............................................................................. 4) Zwischenkriegszeit .......................................................................... 5) Faschistische Staaten ....................................................................... 6) Sozialistische Staaten . ..................................................................... 7) Entwicklungsländer ........................................................................ VI Moderne . ...............................................................................................
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Jörg Nimmergut (wie Anm. 9). Erschienen 2010.
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C ORDENSKUNDE ....................................................................................... I Entwicklung der Phaleristik . ............................................................... II Definitionen .......................................................................................... III Terminologie ......................................................................................... 1) Allgemeines ................................................................................... 2) Auszeichnungskategorien . ........................................................... 3) Ordenszeichen . ............................................................................. 4) Ordenskreuze ................................................................................ 5) Ordenssterne, Strahlentypologie ................................................. 6) Kronen ........................................................................................... 7) Schilde ............................................................................................ 8) Medaillons und -ringe, Rand und -stäbe ..................................... 9) Inschriften, insbes. Devisen, und Monogramme ........................ 10) Plastischer Zierrat ......................................................................... 11) Trageöse und -ring, Nadel und Schraube .................................... 12) Kette und Band, Schärpe und Spange .......................................... 13) Ordenstracht ................................................................................. 14) Miniaturen, Reduktionen und Schnallen; Trageweise ................ 15) Sonstiges . ....................................................................................... D HERSTELLUNG VON AUSZEICHNUNGEN .................................... I Dekorationsmaterialien ........................................................................ 1) Metalle .............................................................................................. 2) Edelsteine ......................................................................................... 3) Perlen . .............................................................................................. 4) Emaille . ............................................................................................ II Fertigungsarten ..................................................................................... 1) Künstlerische, kunsthandwerkliche und industrielle Produktion 2) Einzelne Künstler, Goldschmiede, Manufakturen A–Z ............... III Etuis , Schatullen, Hülsen .................................................................... E RECHTSFRAGEN ...................................................................................... I Einrichtungen zur Ordnung des Auszeichnungswesens ................... II Statuten, Stiftungen, Erlasse und Ausführungsbestimmungen ......... III Ordensmißbrauch und -schwindel, Strafbestimmungen ................... IV Duplikate ............................................................................................... V Reproduktionen .................................................................................... VI Fälschungen ........................................................................................... F ORGANISATIONSFORMEN . ................................................................. I Aufbewahrungsarten ............................................................................ II Katalogisierung, Inventarisierung . ...................................................... III Konservierung ....................................................................................... IV Restaurierung ........................................................................................
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V Öffentliche und private Museen, Sammlungen .................................. 1) Ordenskarteien und sonstige Findmittel ....................................... 2) Bestandshinweise . ........................................................................... VI Ungedruckte Bild- und Schriftquellen in Archiven .......................... 1) Archivführer, Bestandsübersichten, Repertorien . ........................ 2) Vorschlags- und Verleihungslisten, Matrikeln .............................. 3) Verleihungsdiplome, Ehrenbriefe . ................................................. 4) Sonstige Besitzzeugnisse und Ausweise ........................................ 5) Entwurfszeichnungen ..................................................................... VII Gedruckte Phaleristica in Bibliotheken .............................................. 1) Ordenslisten . ................................................................................... 2) Ranglisten . ....................................................................................... 3) Staatshandbücher . ........................................................................... 4) Amtsblätter ...................................................................................... 5) Sonstige Publikationsformen . ........................................................ VIII Ausstellungen ........................................................................................ 1) Informations- und didaktischer Wert phaleristischer Objekte . .. 2) Kataloge ........................................................................................... IX Tagungen . .............................................................................................. X Phaleristik als Lehrfach ........................................................................ XI Deutsches und ausländisches Vereinswesen, Sammlerverbände und Tauschbörsen ................................................................................. XII Ordenshandel, Bewertungskataloge, Auktionen XIII Einzelne Wissenschaftler und Sachverständige, Sammler und Händler A–Z ......................................................................................... G ANGEWANDTE PHALERISTIK . ........................................................... I Kunst und Kunstgewerbe . ................................................................... II Belletristik ............................................................................................. H ORDENSPSYCHOLOGIE UND -SOZIOLOGIE . .............................. I ORDENSGRUPPEN UND EHRENZEICHEN .................................... I Allgemeines ........................................................................................... II Militärische Auszeichnungen . ............................................................. 1) Verdienste, allgemein . ..................................................................... 2) Verdienste, speziell (Heer, Marine, Luftwaffe) ............................. 3) Tapferkeit ......................................................................................... 4) Erinnerungsauszeichnungen . ......................................................... III Zivile Auszeichnungen, staatliche ....................................................... 1) Dienst- und Treueauszeichnungen . ............................................... 2) Leistungs- und Qualifikationsauszeichnungen . ........................... 3) Humanitäre Auszeichnungen . ....................................................... 4) Sonstige Erinnerungs- und Ehrenzeichen .....................................
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IV V VI VII VIII
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Kirchliche Auszeichnungen Sonstige Institutionen und Korporationen Damen- und Wohltätigkeitsorden Phaleristische Kuriositäten (Phantasie- und Phantomorden) Abzeichen
J EINZELNE ORDEN UND EHRENZEICHEN (LÄNDER A–Z) ..... K DEN EHRENZEICHEN VERWANDTE ABZEICHEN UND ZEICHEN ..................................................................................................... I Abzeichen .............................................................................................. 1) Dienststellenabzeichen und -broschen .......................................... 2) Mitgliedsabzeichen .......................................................................... 3) Jubiläumsabzeichen . ....................................................................... 4) Sportabzeichen ................................................................................ 5) Preisträgerabzeichen ....................................................................... 6) Veranstaltungs-, Versammlungsabzeichen . ................................... II Sonstige Zeichen ................................................................................... 1) Marken der Gold- und Silberschmiede, von Zinngießern ........... 2) Warenzeichen mit Auszeichnungscharakter ................................. L
NACHBARWISSENSCHAFTEN ............................................................. I Geschichtswissenschaft II Kunstgeschichte III Numismatik IV Heraldik V Genealogie VI Sonstige
Die Phaleristik und ihre Nachbarwissenschaften * Dekorationen sind zunächst einmal gegenständliche Geschichtsquellen, aus denen sich eher Zustände als Abläufe (wie aus schriftlichen Quellen) erschließen lassen, doch sind es keine schlechthin stummen Zeugen wie etwa Marcel Prousts Korktapete, Robert Musils Wasserhähne, Franz Kafkas Gabel, Adalbert Stifters Schreibfeder oder Goethes Tintenfaß. Solche zurückgelassenen Relikte, die „dabei“ waren, verweisen als scheinbar austauschbare Gegenstände nur noch indirekt auf die Tätigkeit ihrer Besitzer, die sie museal vertreten; sie führen am „Nullpunkt der Bedeutung“ (Paul Valéry) eine nur angelagerte Existenz, die die Vorstellungskraft befördern oder doch nur dann symbolisch wirken können, wenn sie in ihren Kontext versetzt werden. Solche nonverbalen Überreste verbreiten eine gewisse Aura, weswegen man auch vom „auratischem Präsentationswert“ spricht. Ihnen fehlt aber – anders als den Orden und Ehrenzeichen – ein zusätzlich informativer Wert. Auf Dekorationen schlagen sich historische Begebenheiten deutlicher und beredter nieder als auf Realien des Alltags; für den Kenner sind sie ungleich ergiebiger, zumal schriftliche Quellen, Statuten, Ordensmatrikeln, Besitzzeugnisse usw., ergänzend herangezogen werden können.1 Orden und Ehrenzeichen stellen eben nicht „nur“ gegenständliche Quellen dar, sie reden auch. Um ihre Interpretation zu erleichtern bzw. ihren vollen Informationsgehalt2 herauszuarbeiten, können sowohl andere Historische Hilfswissenschaften die Phaleristik im Sinne einer Lehre von den (vor allem) sichtbar getragenen Orden und Ehrenzeichen darin unterstützen, als auch weitere Nachbarwissenschaften zu Hilfsdiensten herangezogen werden. Die folgende – keineswegs vollständige – Zusammenstellung der Berührungspunkte und Wechselbeziehungen soll dafür eine Einführung bieten.3 Sie behandelt in einem ersten Teil verschie*
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Übernommen aus dem mit Anmerkungen und Nachweisen versehenen Vorabdruck, in: Herold-Jahrbuch N. F. 14 (2009), S. 89 – 99, vgl. dazu Anm. 3 (das dort erwähnte Handbuch der Phaleristik, erschien Köln, Wien 2010) und Anm. 4. Friedrich Beck/Eckart Henning (Hrsg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 4. Aufl. Köln u.a. 2004, S. 319 ff. Orden und Ehrenzeichen von Dietrich Herfurth, S. 384 ff. Literaturangaben, vgl. auch Dietmar Raksch: Preußen. Verleihungsurkunden und Besitzzeugnisse 1793– 1972. Hamburg 2002. Dietrich Herfurth: Der Informationsgehalt von Orden und Ehrenzeichen. Ihr Nutzen in musealen Ausstellungen. Phil. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin 1991, erweitert erschienen Berlin 2003. Vgl. Rezension von Eckart Henning, in: HeroldJahrbuch NF 8 (2003), S. 223–225. Der Vorabdruck stellt eine ergänzte Einführung in die Problematik dar, deren Anmerkungen und Nachweise in der gemeinsam mit Dietrich Herfurth vorbereiteten
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dene Hilfswissenschaften wie Genealogie, Heraldik, Numismatik, Sphragistik, Symbolkunde und Vexillologie4, in einem zweiten einige der „großen“ Nachbarwissenschaften wie Geschichtswissenschaft, Kunst- und Kostümgeschichte, Materialwissenschaften und Sozialpsychologie.
Genealogie Stets bleiben Orden und Ehrenzeichen mit Einzelpersonen verbunden, ein konkreter Verleihungsvorgang steht im Mittelpunkt. Um seine Familie erforschen zu können, sollte man nicht nur den Ordensritter bzw. -träger oder Inhaber von Ehrenzeichen biographisch oder wenigstens prosopographisch erfassen, sondern auch seinen – den Auszeichnungsgrad bestimmenden – Rang, seinen Stand und sein Herkommen. Bestimmte Orden standen nur bestimmten Ranggruppen zu, hohe Orden nur dem Hochadel, weswegen die Genealogie als Historische Hilfswissenschaft im Umkreis der Phaleristik zur Erforschung der Führungsschichten benötigt wird. Mittels Ahnenprobe grenzten sich im Mittelalter der Lehnsadel und in der Neuzeit die Dynasten vom übrigen Adel ab, dieser wiederum von den Bürgern. Außer einer ehelichen Geburt (Filiationsprobe) wurde in den Folgegenerationen der Nachweis von vier, bald auch von acht, seltener von sechszehn und noch mehr gleichgestellten Ahnen verlangt. Schon im Sachsenspiegel-Recht (I, 51 §§ 3 u. 4), aber auch im Schwabenspiegel, konnte das Recht eines Freien nicht angetastet werden, wenn er vier frei geborene Ahnen nachwies. Nicht nur für Belehnungen, den gerichtlichen Zweikampf oder die Turnierfähigkeit war der Adelsnachweis zu führen, der ebenfalls von vier freien Zeugen zu beeiden war (Aufschwörbücher), sondern auch bei der Aufnahme in geistliche und weltliche Orden. Für Anwärter war es unerlässlich, standesgemäß zu heiraten. So führte z.B. eine Mesalliance lt. Artikel 20 der Statuten des markgräflich brandenburgischen Roten Adler-Ordens von 1734 immer noch zum Ausschluß aus dem Orden5; erst ab 1777 konnte sein Großmeister von der bis dahin geforderten Ritterbürtigkeit absehen und auch andere Anwärter für Verdienste auszeichnen – eine neue Zeit war angebrochen! Ehe und Familie standen auch im 19. Jahrhundert im Blickpunkt
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„Ordenskunde, Handbuch für Phaleristik“ entfallen müssen, wo nur eine AuswahlBibliographie des Fachgebietes geboten werden kann. Dieser erste Teil war bereits Gegenstand eines (ungedruckten) Vortrags des Autors zum Abschieds-Kolloquium von Hauptkustos Dr. Wolfgang Steguweit mit dem Titel „Magie der kleinen Form“, das das Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, die Numismatische Gesellschaft zu Berlin und die Deutsche Gesellschaft für Medaillenkunst vom 2. bis 3. Juli 2009 im Bode-Museum veranstaltet haben. Festgelegt im Artikel 20 der Statuten des brandenburgischen Roten Adler-Ordens vom 13. Juli 1734, abgedr. im Anhang, S. 30–33 vom Louis Schneider: Das Buch vom Rothen Adler Orden. Berlin 1868, vgl. ferner S. 51.
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staatlicher Auszeichnungspraxis6, als 1882 für preußische Staatsbürger die silberne Ehejubiläumsmedaille mit den Profilen Kaiser Wilhelms I. und Kaiserin Augustas, ab 1889 mit denen Wilhelms II. und Auguste Viktorias, zur Goldenen Hochzeit gestiftet wurden, allerdings nur für Paare mit gutem sittlichen Leumund, die zum Vorbild einer Gemeinde dienen konnten; ab 1899 kam noch eine Ehejubiläumsmedaille für diamantene Jubelpaare mit der Zahl 60 (statt 50) hinzu. Ziel preußischer Könige war es, die Familie als Hort göttlicher Ordnung zu erhalten und auszuzeichnen, doch stand sie zugleich im Dienst der Machterhaltung des christlich-monarchischen Staates. Entsprechend war zum 25jährigen Regierungsjubiläum Wilhelms II. die Stiftung eines für Männer und Frauen gleichermaßen (!) zugänglichen Eichenpreises der Elternehre geplant, doch kam er wegen des bald darauf ausbrechenden Ersten Weltkriegs nicht mehr zur Ausführung. Von 1926 bis 1943/44 trat an die Stelle der staatlichen eine von der evangelischen Landeskirche verliehene bronzene Ehegedenkmedaille zur Goldenen Hochzeit. Schon der 1. Weltkrieg hatte der Bevölkerung bewusst gemacht, dass zu den Kriegsopfern nicht nur verwundete und gefallene Soldaten zählten, sondern auch deren Hinterbliebene, doch erst 1933/34 kam es zur Stiftung eines Ehrenkreuzes für Hinterbliebene, 1939 auch eines Ehrenkreuzes für Hinterbliebene der deutschen Spanienkämpfer (Legion Condor). Als das NSRegime nach der Annexion des Sudetenlandes im Oktober 1938 beschloss, den erweiterten „Lebensraum“ im Osten durch Siedler „einzudeutschen“, schuf der „Führer“ und Reichskanzler Adolf Hitler schon im Dezember das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter7, deren Verdienste als gebärende „Heldenmutter“ an der Zahl ihrer Kinder gemessen wurde, die nach Art. 2 der Statuten „deutschblütig und erbtüchtig“ zu sein, im Zweiten Weltkrieg aber auch als „Kanonenfutter“ zu dienen hatten. Die Genealogie geriet im „Dritten Reich“ in Misskredit, als sie unter Aufsicht des Reichssippenamtes zur Erarbeitung der „Ariernachweise“ missbraucht wurde; ihr Ansehen erholte sich davon erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder.8
Heraldik Als weitere Nachbarwissenschaft der Phaleristik ist die gemeinsam mit ihr zur Zeit der Kreuzzüge entstandene Heraldik zu nennen. Damals kam es 6
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Vgl. auch zum Folgenden Klaus Hansel: Das Bild der Familie im Spiegel preußischdeutscher Orden und Ehrenzeichen. In: Der Herold. Vierteljahrsschrift NF, Bd. 11 (1984/86), S. 177–196, nachgedr. in Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2000, S. 39–49. Hansel (wie Anm. 6), S. 192–194 und Kurt-Gerhard Klietmann: Deutsche Auszeichnungen. Bd. 2: Deutsches Reich 1871–1945. Berlin 1971, S. 91–93. Vgl. das erste nach dem Zweiten Weltkrieg erschienene Handbuch der Genealogie. Für den Herold unter Beteiligung zahlreicher Mitarbeiter bearb. u. hrsg. von Eckart Henning und Wolfgang Ribbe. Neustadt/Aisch 1972, S. 10 ff., 15 ff., 49 ff. usw.
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auf die Kennzeichnung der Ritter an, deren Bildsymbole auf Fahnen und Trachten auch in die Wappenschilde der Kampforden aufgenommen wurden. Selbst die Terminologie der Phaleristik kommt nicht ohne heraldische Anleihen aus, ja die Kenntnis der Wappenbeschreibung (manière de blason) ist unerlässlich für korrekte Angaben über Stellung und Lage von Figuren (bzw. Zeichen) auf Dekorationen. Sie entwickelte sich zu einer vorzugsweise von Kanzleien, Hofpfalzgrafen und Herolden beherrschten und von ihnen auch weiterentwickelten Kunstsprache. Von der Phaleristik ist sie allerdings nur in abgemilderter Form übernommen worden, immerhin befolgt sie noch heute die seiten- bzw. spiegelverkehrte Bildbeschreibung vom Ordensspangen und Dekorationsinhalten, weniger allerdings die heraldische Farbregel oder das Gebot der Stilisierung. Die durch Schildteilungen entstandenen „Heroldsstücke“, die Kreuze, Sterne, Figuren und sonstige Bilder aus der belebten und unbelebten Natur sind auf Dekorationen nicht nur feldfüllend wiederzugeben, sondern auch angemessen zu blasonieren. Außerdem weisen viele Orden und Ehrenzeichen Wappen und sonstige Hoheitszeichen eines Landes, Kronen oder Flaggen, auf.9 Umgekehrt haben die Orden als „heraldische Prachtstücke“ Eingang in die Wappenkunde gefunden. Ursprünglich waren nur Ritter eines Ordens befugt, ihrem Familienwappen ein verliehenes Ordenszeichen außerhalb des Schildes hinzuzufügen, während die Stifter eines Ordens es erblich führten, doch konnte auch dieses Vorrecht als besondere Auszeichnung einzelnen Familien verliehen werden. Innerhalb des Schildes war es lediglich den geistlichen Ritterorden erlaubt, ihr Ordenszeichen zu führen, entweder im Obereck oder bei quadrierten Schilden im ersten und vierten Feld, während das Familienwappen der Ordensritter im zweiten und dritten Feld gezeigt wurde; Ende des 16. Jahrhunderts kam das Ordenszeichen selbst im Schildhaupt oder als Halskleinod der Helmzier vor. Auch bei neuzeitlichen Orden gibt es nur wenige Ausnahmen für eine Anordnung des Ordenszeichens im Schild, nämlich beim bayerischen Hausritterorden vom St. Michael oder in der napoleonischen Heraldik (so führte Goethe10 die Rosette des ihm verliehenen Ordens der Ehrenlegion nicht im Schild, sondern hängte sie nach der Sitte der Zeit, zusammen mit vier weiteren Orden, seinem im Petschaft geführten Wappen an). So wurden Ritter- oder Großkreuze weltlicher Orden 9
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Handbuch der Heraldik. Wappenfibel. Begr. von Adolf Matthias Hildebrandt. 19., verb. u. erw. Aufl. Hrsg. vom HEROLD, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften. Bearb. im Auftr. des Herolds-Ausschusses der Deutschen Wappenrolle von Ludwig Biewer. Neustadt/Aisch 1998, nachgedr. 2003, S. 218–221 sowie Wolfgang Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst. Entwicklung, Elemente, Bildmotive, Gestaltung. 3. Aufl. München 1984, zum Ordensthema bes. S. 27, 34, 95, 99, 102, 249, 279, 331f. Ottfried Neubecker: Kleine Wappenfibel. Eine Einführung in die Heraldik für Leute von heute. Konstanz 1969, S. 69 f. und Gustav Andreas Tammann: Die Orden Goethes. In: Orden-Militär-Magazin Nr. 2 (1982), S. 28-34.
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in der Regel außerhalb des Schildes am gerade herunterhängenden Bande befestigt, Komturkreuze dagegen quer – wie Halsorden – um den unteren Schildrand gewunden, während ein Bruststern gegebenenfalls hinter dem Schild, aber mit hervorsehenden Spitzen zu platzieren war. Ein Großkreuz kann auch an einem um den ganzen Schild laufendem Bande (gegebenenfalls am blauen Hosenbande des gleichnamigen hohen englischen Ordens) oder, falls vorgesehen, an einer Collane gezeigt werden, während der dazugehörige Ordensstern, wie vorher beschrieben, hinterlegt wird. So ist die Umschlingung des Wappens mit der Ordenskette (und dem Kleinod mittig unter dem Schild) in vielen Statuten ausdrücklich vorgesehen, wie z.B. beim badischen Hausorden der Treue, dem braunschweigischen Orden Heinrichs des Löwen, dem preußischen Orden vom Schwarzen Adler oder dem englischen Orden von St. Michael und St. Georg. Manchmal wird auch der Ordensmantel wie ein Wappenmantel um das Wappen drapiert, wie es u.a. die Statuten des Ordens vom Heiligen Grabe vorsehen. Schließlich werden die fürstlichen Hausorden der europäischen Staaten meist am Bande oder einer Kette hängend um den Schild des großen, manchmal auch des mittleren, Staatswappens gelegt. So hing beispielsweise das Ordenskreuz des Zähringer-Löwen bis 1918 zusammen mit dem Hausorden der Treue und dem Militär-Karl-Friedrich-Orden unter dem großen Staatswappen des Großherzogtums Baden. Um 1800 begann man, Orden auch korporativ an Städte zu verleihen, vor allem an französische, aber auch an finnische, spanische, russische oder deutsche. Seltener sind Länder, die in ihre Statuten festlegen, dass höchste Orden sogar im Staatswappen erscheinen sollen (Königreich beider Sizilien, Schweden).11 Der Brauch, Wappenschilde eines Ordensritters in einer Kirche aufzuhängen, entsteht erstmals bei Rittern des Johanniterordens (1204). Bekannt sind etwa die Wappenschilde der hessischen Ritter des Deutschen Ordens in der Marburger Elisabeth-Kirche (13.–18. Jahrhundert), wobei es sich jedoch um eine europaweit verbreitete Sitte handelt. Zu nennen sind beispielsweise die Georgs-Kapelle auf Schloß Windsor (Hosenband-Orden), die Ordenskirche von Bayreuth (Roter Adler-Orden), die Kirche der Balley Brandenburg in Sonnenburg (Johanniter-Orden), auf Malta die St. John’s Cathedral in La Valetta (mit 400 farbigen Grabplatten des Malteser-Ordens), die Kapelle im Schloß Ludwigsburg (Württembergischer Jagdorden), desgleichen im dänischen Schloß Frederiksborg (Elephanten-Orden), die Ridderholmkiche in Stockholm (Seraphinen-Orden) oder die Kirche auf dem 11
Die beste Analyse phaleristisch-heraldischer Zusammenhänge mit sphragistischen Ausblicken bietet m.E. immer noch Ottfried Neubeckers: Ordensritterliche Heraldik. Eine Übersicht. Görlitz 1940 (zuvor in Fortsetzungen in der Vierteljahrsschrift Herold erschienen), wo er nicht nur die geistlichen Ritterorden, sondern auch Orden und Adel, Verbindungen von Wappen und Ordenszeichen im Schild, im Stadtwappen und in Staatswappen bzw. in Flaggen behandelt.
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Mont St. Michel mit diversen französischen Ordensschilden. Die Zahl der Beispiele ließe sich unschwer erhöhen.
Numismatik Als eigenes Sammelgebiet gelten vor allem die sogen. Ordensmünzen, worunter die von einem Ritterorden als Münzherrn ausgeprägten Münzen zu verstehen sind. Zu nennen sind hier in erster Linie Prägungen des Deutschen Ordens, der von 1226 bis 1525 in (Ost-) Preußen das ungeteilte Münzrecht ausübte; seine Schillinge zeigen, wie etwa unter Winrich von Kniprode (1351–1382), auf der Vorderseite das Deutschordenskreuz, auf der Rückseite das Hochmeisterwappen mit aufgelegtem Adlerschild. Nach der Säkularisierung des Deutschordensstaates übte sowohl das Herzogtum Preußen (bis es an Brandenburg fiel) als auch der katholisch gebliebene Teil im fränkischen Ordensgebiet (um Mergentheim) sein Münzrecht bis ins frühe 19. Jahrhundert aus. Ähnliches ist über den Livländischen SchwertbrüderOrden und seine von 1348 bis 1562 in Riga geschlagenen Notmünzen zu berichten. Auch der Johanniterorden gab auf Rhodas bzw. auf Malta vom 12. Jahrhundert bis 1798 Münzserien heraus, bis die Insel durch Napoleon erobert wurde, wobei der Orden zwar sein Staatsgebiet, nicht aber seine Souveränität einbüßte. Folglich machte das in „Malteserorden“ umbenannte völkerrechtliche Gebilde auch weiterhin von seinem Münzrecht Gebrauch, indem es (seit 1961) wieder Silber- und Goldmünzen für Sammler in den bis zur Eroberung üblichen Nominalen herstellte.12 Von phaleristischer Bedeutung sind aber weniger die meist anspruchslosen Münzen, als die zur Gattung der Schaumünzen zählenden Ordenstaler, auf denen Ordenszeichen und Collanen dargestellt sind. Es handelt sich um eine Sammelbezeichnung für unterschiedlichste Taler-Münzen, von denen als Beispiel zunächst der dänische Taler von 1683 mit dem Elephantenorden (Vs.) und dem Danebrogorden (Rs.) genannt sei, ein Motiv, das der sächsische Bankotaler von 1702, als Beichling-Taler bekannt, mit dem Band des Elephantenordens (Vs.) und dem Kreuz des russischen Andreasordens (Rs.) aufgriff. Auch der aus Anlass der Renovierung des polnischen Weißen Adler-Ordens durch König August II. geprägte Taler ist kursächsischen Ursprungs, war doch der Kurfürst zugleich polnischer König. Schon früher, als 12
Über Malta vom Ordensstaat zur Europäischen Union orientiert am besten ein gleichnamiger Ausstellungskatalog des Österreichischen Staatsarchivs. Wien 2007 m. Abb. u. Dokumenten. Vgl. auch Rupert Graf Strachwitz: Der souveräne Malteser-Ritter-Orden heute. In: Info, Das aktuelle Magazin für Orden, Militaria und Zeitgeschichte Nr. 34 (1984), S. 11–14. Die Umbenennung von Johanniter- in Malteser-Orden erfolgte 1899, um Verwechslungen mit dem protestantischen Johanniter-Orden entgegenzuwirken.
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den Kurfürsten von Sachsen mehrfach der englische Hosenbandorden (1671, 1678 und 1693) verliehen wurde, nahmen sie dies zum Anlass, um gebührend durch Talerprägungen auf diese Ehrung aufmerksam zu machen. Auch in Brandenburg-Preußen zögerte man nicht, Taler mit Kette und Kleinod des Schwarzen Adler-Ordens nebst Monogramm des Stifters, König Friedrich I. in Preußen, herzustellen, was sich übrigens 1779 wiederholte, als ein Taler Brandenburg-Ansbachs auf die Erneuerung des Roten-Adler-Ordens geschlagen wurde. Entsprechend gab es auch habsburgische Taler, die nicht nur Kaiser Joseph II. mit dem Brustbild (Vs.), sondern auch das Kleinod des Ordens vom Goldenen Vlies (Rs.) zeigen. Auch andere österreichische und spanische Münzen bildeten gern ihre Herrscher mit der Vlies-Kette ab. Häufig sind aber Ordenszeichen nicht nur auf Ordenstalern, sondern auf (noch größeren) Medaillen abgebildet worden13. Die Anlässe für solche Prägungen waren ähnlich, wenn z.B. Fürst Wilhelm von Anhalt den dänischen Elephantenorden erhielt (1685). Als König Friedrich I. in Preußen den Schwarzen Adler-Orden stiftete, begnügte er sich nicht mit den erwähnten Schautalern, sondern ließ 1707 und 1712 auch noch Medaillen prägen, mit denen er das Ereignis bekannt machte und ihm Dauer verlieh.14 Als Karl Alexander von Lothringen zum Hoch- und Deutschmeister gewählt wurde (1761) oder Zar Paul I. von Rußland die Großmeisterwürde des Johanniterordens empfing (1798), wurden Medaillen hergestellt, auch zum 200jährigen Jubiläum des Pegnesischen Blumenordens (1844) oder anlässlich der Jahrhundertfeier der Stiftung des Eisernen Kreuzes (1913). Roman Freiherr von Procházka wies darauf hin, dass gerade die Darstellung von Orden und Ehrenzeichen auf Münzen und Medaillen wichtige zeitgenössische Dokumente des Formenwandels von Ordenssternen oder Ordenskreuzen etc. darstellen.15 In den Medaillen hat man auch Vorläufer der Orden schlechthin erblicken wollen, was schon hinsichtlich der Gedenkmedaillen auf Personen und Ereignisse seit der Renaissance und der Gnadenpfennige des 16. und 13
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Max Bernhart/Tyll Kroha: Medaillen und Plaketten. 3., neubearb. Aufl., Sonderausg München 1984, dazu Petra Hauke/Eckart Henning: Bibliographie zur Medaillenkunde. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990. Bad Honnef 1993, bes. S. 606 ff.: Gnadenpfennig, S. 609 ff.: Orden und Auszeichnungen, sowie Martin Heidemann: Bibliographie zur Medaillenkunde. Schrifttum Deutschlands und Österreichs 1990–2003 (Die Kunstmedaille in Deutschlands, 19). Berlin 2004, kritisch besprochen von Eckart Henning, in: HeroldJahrbuch NF 10 (2005), S. 218 f. Helmut Caspar: Orden und Medaillen von den Krönungen 1701 und 1861. Preußens Weg zur Krone. In: Münzen & Papiergeld 4 (1998), S. 23–25 u. ders.: Jedem das Seine – Schwarzer Adlerorden auf Medaillen, Münzen, Stichen und Fayencen in Berliner Ausstellung. In: Münzen Revue 33 (2001), H. 7, S. 24–26. Roman Freiherr v. Procházka: Ordenszeichen auf Münzen, Medaillen, Regimentsabzeichen. In: Orden & Militaria Journal, Nr. 21 (1977) S. 482–483 u. ders.: Nobilitierungen durch Ordensverleihungen. In: Herold-Jahrbuch 1 (1977), S. 109–113.
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17. Jahrhunderts nicht abwegig erscheint16; meist zeigen diese Gnaden- oder Ehrenpfennige das (ovale) Bildnis des Souveräns, das nicht nur an Familienangehörige, sondern auch als Belohnung für Tapferkeit und besondere Leistungen an verdiente Landeskinder verschenkt wurde. Als Nebengebiet der Phaleristik ist die Medaillenkunde auch deshalb zu betrachten, weil am Bande zu tragende Medaillen häufig den Orden als unterste Stufe der Verdienstorden “affiliiert” (d.h. hinzugefügt) wurden, ferner als eigene Auszeichnungsform. Wo materielle Analogien vorliegen, bedient sich die Phaleristik, vor allem was die Herstellung und Beschreibung von Auszeichnungsmedaillen angeht, der numismatischen Terminologie. Auch sind die Schöpfer solcher Medaillen oft identisch mit den Münzmedailleuren (um nur Andrieu, Helfricht, Barduleck zu nennen). Orden und Ehrenzeichen sind nicht selten in die numismatischen Bestände der Museen eingeordnet worden, und der Münzhandel wie die Münzliteratur betrachten zunehmend phaleristische Objekte als Themen ihrer Tätigkeit.
Sphragistik Phaleristische Beziehungen zur Sphragistik bestehen ebenfalls, denkt man an die in Orden und Siegeln häufigen Heiligenfiguren mit ihren Attributen (Zeichen der Evangelisten), an Kreuz, Kelch, Christusmonogramm, Alpha et Omega, Lamm Gottes oder gar an biblische Szenen (je komplizierter desto fälschungssicherer!), auch an die den Patron der Kirche abbildende Siegel. Außerdem führten diejenigen Orden, die weniger Dekoration als Korporation waren, auch eigene Siegel mit dem Abbild ihres Stifters; gern wurde der Bruststern eines Ordens als Ordenssiegel (Siegelbild) nachgebildet, so z. B. bei englischen und dänischen Orden oder bei dem in fränkischer Zeit noch einklassigem Roten Adler-Orden. Auch fanden die Familienwappen der Großmeister eines Ordens seit dem 15. Jahrhundert als Kapitelsiegel Verwendung.17
Symbolkunde Eng mit der Phaleristik verbunden ist die Lehre von den Herrschaftszeichen (Kronen, Throne, Szepter usw.), wozu auch Orden und Ehrenzeichen zählen. Zu ihrer Erklärung vermag die Symbolkunde Einiges beizutragen, 16
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Lore Börner: Deutsche Gnadenpfennige. Ein Beitrag zur Porträt- und Kulturgeschichte der Medaille des 16. und 17. Jahrhunderts. Phil. Diss. Halle/S. 1970, masch. schr. vervielfältigt, u. dies.: Deutsche Medaillenkleinode des 16. und 17. Jahrhunderts. Leipzig 1981, desgl. in Lizenz Würzburg 1981. Neubecker (wie Anm. 11), S. 92–95.
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versteht man doch unter einem Symbol etwas, das über sich hinausweist bzw. für etwas anderes steht. Visuelle Symbole spielen seit den ältesten Zeiten der Menschheit eine kommunikative Rolle, die Bildschrift entstand vor der Lautschrift. Symbole ergänzen die verbale Verständigung, sind ihr darin oft genug überlegen. So haben sich Symbole, ungehindert von Sprachgrenzen und Schriftverschiedenheit, sowohl in religiösen Auseinandersetzungen als auch im politischen Kampf der Staaten und Ideologien als unentbehrlich erwiesen18, zumal sie selbst von Analphabeten verstanden werden. National wie international fassen Zeichen- und Farbsymbole Leitbilder und Forderungen bildlich zusammen.19 Alle Orden und Ehrenzeichen bedeuten und vermitteln, gestern wie heute, besondere gesellschaftliche Anerkennung, selbst wenn sie nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, Hoffähigkeit gewähren oder (seltener) mit der Erhebung in den Adelsstand verbunden waren. Da Orden heute vor allem Symbole des Staates oder einer staatlich anerkannten Institution sind, sollten sie sichtbar getragen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Abgesehen von den islamischen und sozialistischen Staaten, auch Israels natürlich, dominieren noch heute die religiösen (Kreuz-)Motive der christlichen Staaten, wie Darstellungen der Heiligen, auch weltlicher Ordensstifter, ferner von Kronen, Tieren und Pflanzen, die allesamt der Interpretation und Ursprungserklärung bedürfen. Symbollexika erläutern Allegorien, Götter, Heilige, Legenden, Mythen, Träume, Zahlen und Zeichen. Dennoch läßt sich die Frage nach der Bedeutung von Symbolen nicht immer zweifelsfrei beantworten bzw. können Erklärungen von Figuren und Farben nicht in jedem Falle Allgemeingültigkeit beanspruchen. Selbst wenn man die Symbolik der Entstehungszeit zugrunde legt, muss mit einem Bedeutungswandel (wie z. B. beim Hakenkreuz20) gerechnet werden. Leider fehlt als Bestimmungsinstrument von Orden bislang eine Ordensbilderordnung; sie müsste eigentlich leichter zu erstellen sein als eine (in verschiedener Ausführung bereits vorhandene) Wappenbilderordnung, da trotz Ordensvielfalt der Bilderreichtum der Phaleristik kleiner sein dürfte als der der Heraldik.
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Hans Hattenhauer: Deutsche Nationalsymbole. Geschichte und Bedeutung. 3. aktualisierte Aufl. Berlin 1998. Vgl. dazu Rezension von Günter Thiede, in: Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2006, S. 74–77. Vgl. das wichtige und leider nicht wieder aufgelegte dtv-Lexikon politischer Symbole von Arnold Rabbow. München 1970 (dtv 3084). Elisabeth Weber. Das Hakenkreuz. Geschichte und Bedeutungswandel eines Symbols. Frankfurt/M. 2007 und Karlheinz Weissmann: Das Hakenkreuz, Symbol eines Jahrhunderts. Albersroda 2006, vgl. auch – gut lesbar – Lorenz Jäger. Das Hakenkreuz. Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. Wien 2006.
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Vexillologie Eine noch kaum beachtete Nachbardisziplin der Phaleristik ist die Vexillologie, besser bekannt als Fahnen- und Flaggenkunde.21 Schon der Johanniter- und erst recht der Souveräne Malteser-Orden führten Fahnen und Flaggen mit dem Ordens-Emblem, oftmals heraldisch ergänzt durch das jeweilige Großmeisterwappen. Heute führt die Republik Malta in ihrer Flagge noch das vom englischen König für Tapferkeit im Zweiten Weltkrieg verliehene Georgskreuz. Entsprechendes galt für die Banner des Deutschen Ordens, die uns die spätmittelalterliche „Banderia Pruthenorum“ überliefert: alle zeigen das Ordensemblem. Bekanntlich ist es später in den Befreiungskriegen gegen Napoleon durch das von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen gestiftete und von Karl Friedrich Schinkel 1813 entworfene Eiserne Kreuz wiederbelebt worden, das dann in der Kaiserzeit (nach 1871) in die Deutsche Kriegsflagge und sogar in die Standarte des Kaisers wie des Königs von Preußen, der Kaiserin und des Kronprinzen, in die Flagge von Admiralen, Vizeadmiralen und Konteradmiralen sowie in den Flottillenstander, in Wimpel und Gösch aufgenommen wurde.22 In England wurden in der Kapelle Heinrichs VII. in der Abtei von Westminster für alle lebenden Ritter des Bath-Ordens Seidenbanner mit aufgemahltem Wappen über die Sitzplätze (stalls) gebreitet, ab 1813 allerdings aus Platzmangel nur noch für die Großkreuzritter; analog wurden die Banner der Knights of the Garter in der St. Georgskapelle von Schloß Windsor und die der Knights of St. Michel and St. George in der Ordenskapelle der St. Pauls Cathedral in London aufgehängt. Ein ähnlicher Brauch besteht in Irland und in den skandinavischen Ländern, wo Fahnen als „honour pendants“ der Orden in vielen Kirchen gezeigt werden. Vermutlich nach dem Muster der Ritterbanner des Hosenband-Ordens fügte König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen bei der Renovatio des (unveröffentlichten) Zeremoniells des Schwarzen AdlerOrdens (1847) dem Wappenschild der Ritter noch eine Wappenfahne hinzu. Sie sollte auf Lebenszeit in der Schlosskirche zu Königsberg aufgehängt werden, während das Wappen für die Berliner Schlosskapelle bestimmt war; nach dem Tode der kapitelfähigen Ritter sollte ihr Banner im Königsberger Moskowiter-Saal verwahrt werden. Auszeichnungscharakter besaßen auch die Kriegsverdienstwimpel der Deutschen Kriegsmarine mit Eisernem Kreuz (1941–1945), ferner die beiden Küstenschutzwimpel sowie der Wimpel für den Abschuss feindlicher Flugzeuge. Schließlich konnten „National21
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Zu den wenigen empfehlenswerten Werken des Vexillologie gehört Alfred Znamierowski: Flaggen Enzyklopädie. Nationalflaggen, Banner, Standarten. Bielefeld 2001, auch der Ausstellungskatalog: Farben der Geschichte, Fahnen und Flaggen, bearb. von Daniel Horath i. A. des Deutschen Historischen Museums. Berlin 2007. Hugo Gerard Ströhl: Deutsche Wappenrolle. Stuttgart 1897, Nachdr. Braunschweig 2001, S. 80 u. Taf. XIX, S. 83–85 u. Taf. XXI.
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sozialistische Musterbetriebe“ ab 1942 noch zu „Kriegs-Musterbetrieben“ avancieren und erhielten dann das Recht, das Kriegsverdienstkreuz auf ihrer Betriebsfahne oder gar die Goldene Flagge der Deutschen Arbeitsfront zu führen. Auch in der Deutschen Demokratischen Republik verlieh das Zentralkomitee der Einheitspartei DDR-Ehrenbanner und Ernst-ThälmannEhrenbanner, ferner gab es als staatliche Auszeichnungen für Kollektive Wanderfahnen und auch Wettbewerbsbanner; verliehen wurden ferner das Karl-Marx-Banner, DSF-Ehrenbanner, Kampfbanner für Kubas revolutionäre Soldaten usw.
Geschichtswissenschaft Von allen der Phaleristik benachbarten Fächern ist die Geschichtswissenschaft vielleicht die wichtigste Disziplin, erscheint sie doch zunächst als der „gebende“ Teil, denn staatliche Verleihungen, die das Wirken von Persönlichkeiten phaleristisch belegen23, sind stets mit historischen Ereignissen verbunden (oder stellen gar selbst welche dar, wie etwa die Verleihung der Verdienstmedaille an den späteren Ministerpräsident Manfred Stolpe durch den Staatssicherheitsdienst der DDR). Sie aufzuhellen und historisch einzuordnen ist Aufgabe der Geschichtswissenschaft, doch ist sie auch der „nehmende“ Teil, wenn es nämlich darum geht, Historikern die Qualität einer Dekoration zu erklären, die Bedeutung und damit auch den ideellen und materiellen Informationsgehalt der Orden und Ehrenzeichen zu erläutern (also Aussagen über Höhe, Rang, Ordensstufe, Fertigungsaufwand, Stil, Materialwert, Hersteller usw. zu machen).24
Kunst- und Kostümgeschichte Phaleristika befinden sich selbst auf Objekten der bildenden und der angewandten Kunst. Material, Form, Farbe, Darstellung usw. von Orden und Ehrenzeichen, insbesondere die dafür wichtige Emailmalerei25, aber auch das Beiwerk (breite ältere und schmale jüngere Bänder26,Etuis), unterliegen dem Stilwandel und sind somit Gegenstand der Kunstgeschichte. Sie gehö23
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Gerhart Wielinger: Staatsrechtliche Aspekte des Auszeichnungswesens im Wandel der Zeiten. In: Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Ordenskunde 24 (1996), S. 11–21. Herfurth (wie Anm. 2), S. 39 ff. Karl Trefzer: Emailmalerei als angewandte Kunst in der Phaleristik. In: Orden und Ehrenzeichen 8 (2006), H. 45, S. 7–16. Willi Geile: Deutsches Bänderbuch. Handbuch für Ordenssammler. Offenbach/M. 2001 u. Rolf-Dieter Krischer/Jörg Nimmergut: Bänderkatalog Orden & Ehrenzeichen 1800–1945. München 1991.
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ren daher u.a. zum Sammelgebiet von Kunstgewerbe- oder Geschichtsmuseen. Die Datierung der seit dem 17. Jahrhundert entstandenen Gemälde, Stiche und Büsten von Fürsten, Höflingen, Staatsbediensteten und Gelehrten gelingt häufig nur durch die Orden der Dargestellten, so dass die Kunstgeschichte der phaleristischen Unterstützung ebenso bedarf wie die Phaleristik kunsthistorischer Deutungstechniken. Unter den Auszeichnungen an und auf Denkmälern stellt die Quadriga auf Berlins Brandenburger Tor ein besonders bekanntes Beispiel dar. Schadow versah seine Wagenund Rosselenkerin mit einem Stab und einer Trophäe, nämlich dem Lorbeerkranz mit aufsitzendem Adler. Als die Quadriga von Napoleon 1807 nach Paris abtransportiert und als „Retourkutsche“ erst sieben Jahre später nach Berlin zurückkehrte, wurde dem Kranz Schinkels Eisernes Kreuz eingefügt27, womit aus der Friedensgöttin nach dem Sieg über Frankreich unversehens eine Siegesgöttin geworden war. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, ist von der Quadriga 1958 vom West-Berliner Senat dem Ost-Berliner Magistrat ein vollständiger Abguss zur Verfügung gestellt worden, doch entfernte dieser nun Adler und Ehrenzeichen wieder als Symbole des Militarismus, ehe das Wahrzeichen erneut auf dem im Sowjetischen Sektor gelegenen Langhansbau montiert werden durfte; erst nach der Wende konnte die Quadriga 1998 nochmals vervollständigt werden. Künstlerischer Gebrauch von Orden wurde aber nicht nur auf Denkmälern als Zeugnissen deutscher Geschichte, sondern auch auf gusseisernen Kaminplatten, bei Steinmetzarbeiten (man denke an phaleristischen Grabschmuck) und bei Gebrauchsgegenständen (Trinkgläsern, dem sogen. Feldherren-Service der Königlichen Porzellanmanufaktur/KPM in Berlin, auf Wandteppichen usw.) gemacht. Häufig wurden auch Druckerzeugnisse wie Briefbögen, Visitenkarten und Ex libris mit Orden verziert. Der Kunstgeschichte eng benachbart ist die Kostümgeschichte als Disziplin der Ethnologie (einst als „Volkskunde“ bezeichnet). Sie beschäftigt sich zwar auch mit der Trageweise von Dekorationen, vor allem aber mit den Zeremonialgewändern (Ornat, Roben, Uniformen28) einzelner Orden selbst. Der Kostümbedarf war groß: So benötigte beispielsweise ein Komtur des Malteserordens sowohl eine Hof- als auch eine Kirchentracht; dazu gehörten um 1909 Koller, Sopraweste, Stiefelhose, Hut, Schwert und Schwertgehänge, ein paar Sporen und Handschuhe, Krawatte samt Kragen 27
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Ulf Draeger: Entwürfe für Medaillen und Orden von Karl Friedrich Schinkel 1812– 1818. In: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 42/43 (1994), S. 265–310 u. Ralf Winkle: Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914–1936. Phil. Diss. Essen 2007. Die Literatur über Uniformen bzw. Uniformteile, die Trageweise zu einzelnen Anzugarten usw. ist ausgedehnt; vgl. dazu die Bibliographie von Gerd Scharfenberg: 1975–2004 – 30 Jahre BDOS-Zeitschriften. In: Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2005, S. 61–120, bes. Teil B: Militaria, Nrn. 2346–2541.
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sowie die Mantu di punta. Der Formenwandel solcher Trachten dient der Phaleristik als Datierungshilfe, wofür kostümhistorische Hilfestellung unerlässlich ist.
Materialwissenschaften Zu den der Phaleristik benachbarten Fächern gehören auch die Materialwissenschaften, denn ohne eine genaue Kenntnis der Materialbeschaffenheit können Orden und Ehrenzeichen weder datiert noch echte von falschen Exemplaren physikalisch unterschieden oder beschädigte Stücke adäquat restauriert werden29. Außer Emaillierungs- und Patinierungstechniken werden Metallkenntnisse (von Platin über Gold zu Silber, Messing, Bronze, Eisen und Aluminium) sowie über Legierungen, Vergoldungs- und Versilberungstechniken benötigt, aber auch Kenntnisse aus der Edelsteinkunde und der Bandweberei sind anzuwenden. Wer sowohl die handwerkliche (Gravuren, Punzierung), wie auch die industrielle Fertigung beurteilen möchte, braucht Angaben über Herstellermarken (von Juwelieren und Goldschmieden) und Künstlersignaturen.30
Sozialpsychologie Zu den Nachbarwissenschaften der Phaleristik muß schließlich noch die Sozialpsychologie gezählt werden. Dabei mag offen bleiben, ob die Einstellung von Menschen zu Orden und Ehrenzeichen anlagebedingt ist oder sozialdeterminiert erscheint, sind doch die Übergänge fließend. Allgemeine Aussagen über ein tatsächliches oder angebliches Urbedürfnis des Menschen nach öffentlicher Anerkennung der eigenen Leistung, über seine Abhängigkeit von Äußerlichkeiten, unbefriedigte Eitelkeit usw. helfen diagnostisch kaum weiter bzw. führen bestenfalls zu Halbwahrheiten, da die Frage nach der Einstellung des Individuums zu Auszeichnungen nur ein Teilphänomen berührt. Man verfehlt ihren Sinn, wenn man Verleihungen nur psychologisch hinterfragt, d.h. vom Beliehenen aus analysiert. Abgesehen davon, dass Verleihungen nicht allgemein, sondern immer nur konkret im Einzelfall begrün29
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Robert Linke/M. Schreiner: Echt oder falsch? Die Materialanalyse. Zur Überprüfung des Alters von Orden. In: Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Ordenskunde 26 (1997), S. 1–6; Elke Bannicke: Münz- und Medaillenstempel, Modelle, Proben, Fälschungen. Die Sammlung des ehem. Stempelarchivs der Berliner Münze im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1999 (Das Kabinett, 6). Weiterführend Jörg Nimmergut: Die rationelle Aufbereitung phaleristischer Materialien durch Tabellen am Beispiel der deutschen Medaillen für Kunst und Wissenschaft. In: Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2006, S. 116–129.
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det werden, sollte man sie nicht allein vom Ausgezeichneten her betrachten, sondern stets auch vom Auszeichnenden, der u.a. nach den Verdiensten des Einzelnen für die Gemeinschaft fragen muss, nach der Qualität seiner Leistung und der Vorbildfunktion für andere.31 So gibt es unterschiedliche Bedürfnisse des Einzelnen wie der Gemeinschaft, die durch ein gutdosiertes Auszeichnungssystem aufeinander abgestimmt werden müssen. Anerkennung sollte weder zu sparsam noch zu großzügig ausgesprochen werden, um das Ansehen der Orden und Ehrenzeichen in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden. Diese Anforderungen hat Arthur Schopenhauer in seinen „Parerga“ prägnant formuliert: “Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers. Inzwischen sind sie, auch ganz abgesehen von dem vielen Gelde, welches sie, als Substitut pekuniärer Belohnungen, dem Staat ersparen, eine ganz zweckmäßige Einrichtung; vorausgesetzt, dass ihre Vertheilung mit Einsicht und Gerechtigkeit geschehe. Der. große Haufe nämlich hat Augen und Ohren, aber nicht viel mehr, zumal blutwenig Urteilskraft und selbst wenig Gedächtniß. Manche Verdienste liegen ganz außerhalb der Sphäre seines Verständnisses, andere versteht und bejubelt er bei ihrem Eintritt, hat sie aber nachher bald vergessen. Da finde ich es ganz passend, durch Kreuz oder Stern, der Menge jederzeit und überall zuzurufen: der Mann ist nicht eures Gleichen: er hat Verdienste! Durch ungerechte, oder urtheilslose oder übermäßige Vertheilung verlieren aber die Orden diesen Werth; daher ein Fürst mit ihrer Ertheilung so vorsichtig sein sollte, wie ein Kaufmann mit dem Unterschreiben der Wechsel“32. Einst waren Ordensverleihungen als Lohn einer Tat mehr oder minder an Stand und Rang gebunden. Heute sind sie, nicht nur die Ehrenzeichen, davon unabhängig, aber nach wie vor ist jede Verleihung einer tragbaren Dekoration an die ihr innewohnende Bedingung geknüpft, ein öffentliches und auch veröffentlichtes Loyalitätsbekenntnis zum Staat abzulegen. Anerkennungsverhältnisse bilden überhaupt das Gerüst funktionierender Gesellschaften, wohlgemerkt nur die gegenseitige Anerkennung von Individuum und Staat. Orden bringen sie zum Ausdruck. Ihre Verleihung ist eine gemeinschaftsbildende Maßnahme von hoher Integrationskraft, gleichsam sozialer „Kitt“ zwischen Geehrten und Ehrenden. Wer sich als Soziologe eingehender mit der Bedeutung der Orden und Ehrenzeichen in der Gesellschaft befasst, ihre soziale Funktion näher analysiert, geht vielleicht am besten vom Zusammenhang von Ehre und Ehrung aus, den schon Georg Simmel betonte: „Es gibt wohl keinen Punkt, 31
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Herfurth (wie Anm. 2), S. 33 ff. widmet den psychologischen Aspekten der Auszeichnung von Menschen mit Orden und Ehrenzeichen einen ganzen Abschnitt seiner Dissertation. Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Parerga und Paralipomena, zit. nach der Ausgabe von Max Brahn. Leipzig 1917, S. 67 f.
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an dem sich das Sozial- und Individualinteresse derartig verschlingt ... wie bei der Ehre“. Daß sie seither nicht ausgestorben ist, zeigen die allenthalben durchgeführten Ehrungen, Forderungen nach Ehrenschutz, aber auch die Bemühungen um Aufwertung der Ehrenämter. So ist ohne Öffentlichkeit kein Ehrerwerb (und auch keine Beleidigung) möglich, womit die Ehre zu einem Steuerungsinstrument des Staates geworden ist. Orden und Ehrenzeichen stellen ein „Medium normativer Steuerung“ dar.33 Eine solche Steuerung liegt schon in der Auswahl auszuzeichnender Vorbilder bzw. in der Verleihung von Orden an innovative Erfinder, verantwortungsbewusste Unternehmer, erfolgreiche Sportler, aufopfernde Krankenschwestern usw. Sie sollen ihre eigenen Interessen hinten angestellt haben und nicht nur für ihre Sachkenntnis und Tatkraft ausgezeichnet werden, sondern wegen ihres Engagements und ihrer Kreativität für das Gemeinwohl. Somit handelt es sich bei jeder Ordensverleihung um eine „Sichtbarmachung von Verdiensten“, um Leitbilder zu gewinnen34. Da das Thema der phaleristischen Nachbarwissenschaften bisher kaum bzw. nur touchierend oder gelegentlich sektoral behandelt wurde, konnte hier mangels Vorarbeiten nur ein erster Versuch unternommen werden, einmal nicht die Parallel- sondern die Querstraßen der Fächer zu beschreiten; weitere Anregungen sind daher höchst willkommen. Doch schon jetzt zeigt sich: „Die Verbindungen zu den unmittelbaren Nachbarn sind fast für jede Disziplin eine eigene Betrachtung wert.“35 Die Suche nach Schnittstellen und Querverbindungen in den Historischen Hilfswissenschaften hat begonnen. Das trifft bei aller Anerkennung ihres Eigengewichts eben auch auf die Phaleristik zu, deren Verknüpfung mit anderen Hilfswissenschaften
33
34
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Ludgera Vogt: Zeichen der Anerkennung. Orden als Medien sozialer Differenzierung und gesellschaftlicher Integration. In: Soziale Welt 48 (1997), S. 187–206, vgl. auch von ders.: Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft, Differenzierungen – Macht – Integration. Frankfurt/M. 1997. Zu L. Vogt s. auch Bettina Engels: Für Tatkraft und Tragweite. Unvorhersehbare Logik der Ehrung: Wer sich einen Orden an die Brust heften darf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. April 1998, Seite N 5. Eher unterhaltend W. Honig: Die Ehre im Knopfloch. Orden und Ehrenzeichen im Wandel der Zeiten. Bergisch-Gladbach 1986. Helmut Fuhrmann: Pour le Mérite. Über die Sichtbarmachung von Verdiensten. Eine historische Besinnung. Sigmaringen 1992; Clemens Amelunxen: „Der Mensch ziert den Orden und nicht der Orden den Menschen“. Auszüge aus einem Vortrag über „Auszeichnungswesen und formierte Gesellschaft“. In: Info. Das aktuelle Magazin für Orden, Militaria und Zeitgeschichte Nr. 51 (1987), S. 6–7. Niklot Klüßendorf: Part oder Solo? Numismatik als Historische Hilfswissenschaft. In: Archiv für Diplomatik 54 (2008), S. 249–283, hier S. 280.
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und sonstigen Fächern36 beträchtlich ist, wirkt sie doch vielfältig in andere Bereiche hinein, die ihrer bedürfen und von ihr einen besseren Gebrauch machen könnten. Erträumen lassen sich, modisch gesprochen, sogar Synergieeffekte!
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Der Autor hat schon vor vielen Jahren damit begonnen, den Wechselbeziehungen nachzuspüren, indem er etwa die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie (1972) beschrieb oder Numismatisch-Heraldischen Wechselbeziehungen (1992) nachging, vgl. bereits die 2. Auflage von Auxilia historica.
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning 1969–2014 I Vorbemerkung: Womöglich interessieren den, der hier nachschlägt, weitere Angaben zum Entstehungszusammenhang dieser hilfswissenschaftlichen Arbeiten oder sonstige Tätigkeitsfelder ihres Autors. Auch wenn er die Beurteilung tunlichst anderen überläßt, so kann er doch etwas über seinen wissenschaftlichen Werdegang, über Forschungsziele und Begleitumstände sagen oder die Auswahl seiner Arbeitsgebiete ähnlich einer Bibliographie raisonnée kommentieren: die thüringisch-fränkische und die brandenburgisch-preußische Landesgeschichte, die Archivwissenschaft, die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Fachbibliographien sowie die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. a) Am Anfang stand für mich die Landesgeschichte, in die ich gleichsam im Exil, nämlich von den aus der DDR geflohenen „Schülern“ des Leipziger Landeshistorikers Rudolf Kötzschke eingeführt wurde: an der Philipps-Universität in Marburg/Lahn durch Walter Schlesinger, vorher an der Freien Universität Berlin (FU) durch Heinz Quirin, der auch meine Staatsexamensarbeit über „Die Entwicklung der Landesherrschaft zwischen dem nördlichen Thüringer Wald und dem südlichen Maingebiet am Beispiel der Grafschaft Henneberg“ (1967) betreute, und von Herbert Helbig, der meine Dissertation über „Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen im Zeitalter der Reformation“ (1980) „bevaterte“. Doch warum Henneberg? Als im Zweiten Weltkrieg die Bombenangriffe auf Berlin zunahmen, wo ich am 27. Januar 1940 im Bezirk Wilmersdorf geboren wurde, nahm mein Patenonkel meine Mutter und mich als Evakuierte in sein geräumiges Schleusinger Pfarrhaus auf, in dem ich prägende Kinderjahre (1943–1947) verbrachte; in der dortigen St. Johannis-Kirche befindet sich die Grablege der Grafen von Henneberg. Von diesem „Onkel“ Siegfried, der auch der letzte Schriftführer des alten Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsverein gewesen ist, übernahm ich später die Spezialliteratur, die es mir ermöglichte, frühen Anregungen als Geschichtsstudent nachzugehen. Meine ersten beiden Aufsätze über „Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im 11. und 12. Jahrhundert“ (1/1969) und „Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes der Grafen von Henneberg vom 12.–16. Jahrhundert“ (7/1970), veröffentlicht in der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des „Herold“ in Berlin bzw. des „Ad-
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ler“ in Wien, zeigen hilfswissenschaftliches Interesse. Spätestens aber bei der Zusammenfassung meiner Examensarbeit, einer tour d’horizon durch alle Epochen der hennebergischen Geschichte (1078–1583), die das „Mainfränkische Jahrbuch“ (17/1972) brachte, mußte ich feststellen, daß es für die weitere Erforschung der hennebergischen Territorialgeschichte jedoch an einer verläßlichen bibliographischen Grundlage fehlte. Gemeinsam mit der in Suhl geborenen Diplom-Bibliothekarin Gabriele Jochums machte ich mich daher an die Bearbeitung einer „Bibliographie zur hennebergischen Geschichte“, die trotz aller Erschwernisse des deutsch-deutschen Leihverkehrs im Verlag Böhlau (Köln) erscheinen konnte (42/1976, Nachträge 64/1979). Erst durch diese Titelsammlung seltener, oft an entlegener Stelle Thüringens und Frankens gedruckter Schriften war es möglich, den Stand der Henneberg-Forschung im Einzelnen zu ermitteln, bisher schon veröffentliche Dokumente zu erfassen und schließlich nach meinem Quellenstudium im Meininger Staatsarchiv und unter Benutzung der Regestensammlungen ungedruckter Urkunden zur hennebergischen Geschichte im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA) in Berlin-Dahlem die Dissertation abzuschließen. Dabei erkannte ich die Bedeutung des um die Verbindung der hennebergischen zur Reichsgeschichte besonders verdienten Hamburger Gymnasialprofessors Wilhelm Füßlein (1869–1944), dessen große Biographie „Berthold VII., Graf von Henneberg“ ich zusammen mit ihrem bisher unveröffentlichten Teil (104/1984) herausgab: auch ein kleines Lebensbild dieses gebürtigen Saalfelders mit Schriftenverzeichnis konnte gedruckt werden (77/1981). Gefördert hat meine Henneberg-Studien auf Anraten Helbigs vor allem Hans Patze, der mich auch 1980 zum Vortrag über die „Neue Herrschaft Henneberg 1245–1353“ auf die Veste Coburg (75/1981) holte und mich als Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland – einer Art landesgeschichtlicher (Exil-) Kommission unter dem rührigen Vorsitz von Roderich Schmidt – kooptieren ließ; seinem Beispiel folgte bald auch die Gesellschaft für Frankische Geschichte (1982). Seither habe ich mich nur noch einmal und zwar in der Gedenkschrift für den Slavisten Reinhold Olesch (1910-1990), dem Herausgeber meiner drei Henneberg-Monographien in den „Mitteldeutschen Forschungen“, über das verwickelte hennebergische Vereinswesen (153/1990) geäußert, gleichsam als Morgengabe zur Neugründung des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins nach der „Wende“ im Kloster Veßra, dem ich im gleichen Jahr beitrat, der die Füßlein-Vita nachdruckte (vgl. 77/1997) und wo ich auch „Superintendent Siegfried Eggebrecht“ (365/2009) posthum danken konnte. Von der hennebergischen bin ich schließlich auf die brandenburgischpreußische Landesgeschichte „umgestiegen“: Zurückgekehrt in den USSektor Berlins (1947), wuchs ich in Tempelhof nahe dem Ullsteinhaus auf, in dem mein Vater beschäftigt war, besuchte in Dahlem eine reformpädagogische Privatschule (bis 1961) und begann gleich nach einem Extraneerabitur
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an der Freien Universität Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, Germanistik, Philosophie und Pädagogik zu studieren, wobei vor allem mein hilfswissenschaftliches wie mein heimat- und ortsgeschichtliches Interesse wuchs. Es verstärkte sich durch die Mitgliedschaft in der 1884 gegründeten Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, die mir mein älterer Archivarskollege Werner Vogel nahelegte. Er war es auch, der mich als Vorsitzender dieser Vereinigung erst zum Mitherausgeber ihres „Jahrbuchs für brandenburgische Landesgeschichte“ (54/Bde. 29, 1978 – 60, 2009), bald auch zum Schriftleiter (ib. Bde. 30, 1979–40,1989) machte. Über die schwierige Aufgabe, von einer „Insel im roten Meer“, wie es damals hieß, also von dem durch die DDR von seinem märkischen Umland abgeschnittenen West-Berlin aus, eine unabhängige landesgeschichtliche, aber auch von „landsmannschaftlichen“ Einflüssen freie Zeitschrift zu gestalten, die sich als wissenschaftliches Bindeglied zwischen Ost und West verstand, habe ich in meinen Rückblick auf „Zehn Jahre Schriftleitung“ (144/1989) und in einer Würdigung seiner Herausgeber seit 1950 in der Festgabe zum 125jährigen Bestehen (364/2009) der Vereinigung berichtet. Außer eigenen Beiträgen und Rezensionen gab mir das Jahrbuch Gelegenheit, nachgelassene Arbeiten verstorbener Autoren herauszugeben, so Franz Jahns Lebensbild von David Gilly und seine „Studien zur Baukunst Schinkels“ (71 u. 72/1980) oder Walter Stengels „Chronik des Märkischen Museums der Stadt Berlin“ (63/1979). Wegen anderer Aufgaben übergab ich 1990 die Redaktion des Jahrbuchs mit Ausnahme des Rezensionsteils meinem Mitherausgeber Wolfgang Neugebauer, der sich nach der „Wende“ nun einer ungleich reicheren und zusammenwachsenden märkischen Wissenschaftslandschaft gegenübersah. Einen Höhepunkt meiner Tätigkeit für die Landesgeschichtliche Vereinigung bildete neben dem Jahrbuch (vgl. auch 313/2005) die noch gemeinsam mit Werner Vogel herausgegebene Festschrift anläßlich ihres hundertjährigen Bestehens (105/1984). In ihr habe ich mich erstmals mit der (Vor-) Geschichte meiner Heimatstadt Berlin beschäftigt und im Beitrag „Dort, wo sich Wannseebahn und Stadtbahn kreuzen“ die Ortsgeschichte des noch nicht eingemeindeten Nikolassee nach der Jahrhundertwende behandelt (106/1984), unserem Wohnsitz von 1974–1984. Da in diesem Beitrag die frühe Kirchengeschichte ausgeklammert blieb, ist die Entwicklung der „Kirche an der Rehwiese“ von meiner Frau und mir bald nachbeschrieben worden (114/1985). Viele Jahre später folgte noch eine Neubearbeitung von Werner Natzschkas „Gräber bekannter Persönlichkeiten auf dem evangelischen Kirchhof Nikolassee“ (211/1997), und durch eine Umsatzbeteiligung verhalf ein Sammelband aller drei Nikolassee-Arbeiten (333/2007) im StappVerlag dem Förderverein unserer Evangelischen Kirchengemeinde noch zu einem (bescheidenen) Spendenaufkommen (vgl. 321/2006 u. 339/2007). Ein bisher letzter Versuch, mich landesgeschichtlich und zwar gemeinsam mit Friedrich Beck nützlich zu machen betraf, von Dahlem-Arbeiten einmal abgesehen, vor allem die mit jahrelangen Vorarbeiten verbundene Herausgabe
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des „Brandenburgischen biographischen Lexikons“ mit mehr als 1000 Artikeln aus der Feder von 172 Autoren (266/2002). Die Landesgeschichtliche Vereinigung widmete mir mit den „Collectanea Brandenburgensia“ (2004) eine Festschrift, nachdem sie mir schon vorher ihre Fontane-Plakette verliehen hatte. Nach kurzen, aber in der 68er-Phase politisch recht abwechselungsreichen Tutoren-, Hilfs- und Assistentenjahren an Ingeborg Schröblers Lehrstuhl für germanische und mittellateinische Philologie der Freien Universität Berlin (1967–1969) führte mich mein Berufsweg ins Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, ebenfalls in Berlin-Dahlem, das damals kriegsbedingt noch ganz ohne seine Merseburger Auslagerungsbestände auskommen mußte. Die freilich immer noch imponierenden „Aktenreste“ des Preußischen Staatsministeriums und zu weiteren kulturellen Einrichtungen, aber auch des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs (einem eigenen Archivkörper im Mitbesitz des Hauses Hohenzollern), die ich als Referent und Archivbzw. Archivoberrat (1972–1983) dort betreute, führten mich bald weiter weg von meinen märkischen Pfaden auf preußische „Abwege“: Ich beteiligte mich mit meiner Frau an einer Rettungsaktion der „Loggia Alexandra“ auf dem Glienicker Böttcherberg, für deren Restaurierung Hausarchivalien des Prinzen Carl v. Preußen ebenso auszuwerten waren (44/1974/75), wie für eine Ausstellung der Königin Luise in Mülheim an der Ruhr, für die ich die Stimmern der Mit- und Nachwelt über sie sammelte (im Katalog 45/1976), vor allem aber viele ihrer Briefe und Tagebücher im Original heranzog. Vorarbeiten führten zu Erkundungen im Burgarchiv Hohenzollern und zur Publikation eines Aktenüberblicks für den preußischen Regierungsbezirk Sigmaringen (56/1977). Angeregt durch die Übernahme des Nachlasses des bereits erwähnten Franz Jahn (1899-1945), dem letzten Leiter des Architektur- und Baumuseums im ehem. Hamburger Bahnhof (vgl. mein Lebensbild in 65/1979), beschäftigte ich mich weiter mit seinen Arbeiten über die preußische Staatsbauverwaltung in Pommern (57/1978) und die Vorgeschichte des Schinkel-Museums in Berlin (78/1981). Diese Studien lenkten mein Interesse auf einen weiteren architekturgeschichtlich höchst reizvollen GStA-Bestand, aus dessen Verzeichnung eine kurze Behördengeschichte der „Akademie des Bauwesens“ erwuchs, übrigens nicht mit der Bauakademie (76/1981) zu verwechseln; leider blieben m. W. die Matrikelakten bislang unediert. Sieht man von kleineren Artikeln über Bestände preußischer Lehrerbildungsstätten (41/1975), der Edition eines kleinen nachgelassenen Typoskripts von Carl Hinrich über Angelus Silesius (52/1977), den „Orientträumen“ meines Großvaters (53/1977), Bismarck-Autographen (58/1978) und meteorologische Aktenbestände im GStA (59/1978) einmal ab, bei denen ich allmählich Gefahr lief, mich zu „verzetteln“, fanden meine Bemühungen um die damals noch kaum bearbeitete preußische Geschichte einen zweifachen Abschluß: Für das liebgewonnene Glienicke als WestBerliner Teil des Potsdamer „Havelarkadiens“, dessen Förderverein unter
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Vorsitz von Karl Christoph Graf v. Rothkirch ich damals als „Vize“ diente (vgl. Nachruf auf ihn 324/2006), erwuchs aus Akten der Zehlendorfer Superintendantur „Vom Königshaus zum Kirchenkreis“ ein Beitrag über Patronat und parochiale Zuordnung der Ausflüglerkirche St. Peter und Paul auf Nikolskoe (128/1987, 2. Aufl. 1989). Als „wichtigster Beitrag zum Preußenjahr“ (Peter Baumgart) und zugleich als Krönung der Bemühungen von meiner Frau und mir um die preußische Geschichte erschien dann bei de Gruyter die „Bibliographie Friedrich der Große 1786–1986“ (132/1988), die den Stand der Forschung über die Leistungen dieses Preußenkönigs in Krieg und Frieden in seiner ganzen Breite sichtbar machte. b) Nach dem Eintritt in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, der neben dem Kammergericht ältesten noch bestehenden preußischen Zentralbehörde, begann ich mich als Archivreferendar (1970) mehr und mehr der Archivwissenschaft zuzuwenden. Aus Marburg zurückgekehrt, wo ich das Assessorexamen (1972) ablegte, bereitete ich in Berlin die historischen Teile des ersten, gemeinsam mit Cécile Lowenthal-Hensel herausgegebenen Archivführer „GStA“ (33/1974) vor, der zu Gerhard Zimmermanns Verabschiedung als Direktor (35/1974) erschien; dieser Führer blieb lange Zeit der einzige Versuch, die veraltete Beständeübersicht dieses Archivs aus den sechsziger Jahren zu aktualisieren. Zugleich würdigte ich das Doppeljubiläum „50 Jahre Geheimes Staatsarchiv in Berlin-Dahlem – 100 Jahre nach seiner Vereinigung mit dem Ministerialarchiv“ in einem Rückblick (32/1974; 40/1975). Bei diesen Arbeiten stieß ich auf das nachgelassene Manuskript von Georg Wilhelm v. Raumers „Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinets-Archivs in Berlin bis zum Jahre 1820“, das ich ebenso herausgab (43/1976) wie das von mir ergänzte Typoskript von Georg Winter zur „Leitung der Preußischen Archivverwaltung“ (50/1977). Beide boten den gern ergriffenen Anlaß, sich prosopographisch mit den wissenschaftlich verdienten Archivaren des Geheimen Staatsarchivs zu befassen, die nahezu alle als Historiker, insbesondere durch Editionen, hervorgetreten waren, hervorragend durch Christel Wegeleben als Co-Autorin unterstützt und bereitwillig persönlich oder brieflich beraten durch prominente ältere Kollegen (wie Hans Branig, Heinrich Otto Meisner, Wolfgang A. Mommsen, Johannes Papritz, Ernst Posner oder Johannes Schultze). So erschienen zunächst Kurzviten der „Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in BerlinDahlem 1924–1974“, später auch noch eine „Rückfortsetzung“ der „Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in der Berliner Kloster- und Neuen Friedrichstraße 1874–1924“ (49/1976 und 55/1978). Damals wandte ich mich besonders dem „Monumentisten“ und märkischen Abteilungsleiter beim Geheimen Staatsarchiv, Reinhard Lüdicke (1878–1947), zu bzw. seinem dort befindlichen Nachlaß (61/1978), würdigte ihn kurz anläßlich seines hundert Geburtstages und schließlich umfassend biographisch u. a. als Autor des inzwischen nachgedruckten Werkes über das preußische Kultusministerium und Bearbeiter des Berliner Häuserbuches (60/1978; s. a. 337/2007),
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nachdem ich zuvor schon die Tagebuchnotizen von 1945 über seinen freiwilligen Einsatz als Volkssturmmann „Im Kampf um Berlin“ veröffentlicht hatte (51/1977; s. a. 184/1994). Eine längere Studie widmete ich Reinhold Koser als erstem Generaldirektor der preußischen Staatsarchivs, insbesondere seinen Bemühungen um die Weiterentwicklung des archivischen Provenienzprinzips (62/1979) und auch dem leider viel zu früh verstorbenen Kirchen- und Hansehistoriker Gottfried Wentz (337/2006; s. a. 403/2013). Diese Arbeiten, die teilweise in meiner Aufsatzsammlung „Archivalien und Archivare Preußens“ (402/2013, mit einer Liste meiner dort nicht aufgenommenen Artikel, S. 271–273) zusammengefaßt wurden, führten mich aus dem Geheimen Staatsarchiv ins archivische West-Berliner Umfeld, das ich durch meine Mitarbeit an vier Auflagen der Broschüre „Berliner Archive“ (48/1977, 67/1980, 94/1983) gründlicher kennenlernte, nach der „Wende“ nochmals erweitert durch Archive im Ostteil der Stadt (165/1992). Als ich im Januar 1984 vom Geheimen Staatsarchiv in das ebenfalls in Dahlem gelegene zentrale Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft wechselte, erschloß sich mir eine ganz neue Dimension meiner archivarischen Tätigkeit, die sich dann nicht mehr auf die Probleme eines „historischen“ Archivs beschränkte, sondern mir die Verantwortung für ein „lebendes“ übertrug. Neben der Betreuung von Altbeständen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) zur Förderung der Wissenschaften als Vorläufergesellschaft (gegr. 1911), kam es hier vor allem auf die Sicherung, Bewertung und Erschließung neuer Quellen zur Wissenschaftsgeschichte an, insbesondere von Akten aufgelöster Max-Planck-Institute oder von Vorund Nachlässen seiner Wissenschaftlichen Mitglieder, darunter einer ganzen Reihe von Nobelpreisträgern. In einer ersten Bilanz dessen, was ich vorfand, beschrieb ich das Archiv als „Tresor der Wissenschaft“ (109/1984), den die Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) heute fern ab ihres ehemaligen Gründungssitzes Berlin von München aus unterhält. Auch wenn für mich noch einige preußische Veröffentlichungen „hinterherkamen“, wie der gemeinsam mit meiner Frau verfaßte Nachruf auf Hans Branig (115/1985) oder die Edition zweier Augenzeugenberichte zur Lage des „Preußischen Geheimen Staatsarchivs zwischen Krieg und Frieden, April– Mai 1945“ (247/2000, nachgedr. in 402/2013), arbeitete ich nun intensiv an einem neuen Archivführer mit allen Hauptabteilungen und Reposituren des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, der erstmals 133/1988 (2. Aufl. 277/2003 u. 3. Aufl. 303/2005) herauskam. Über meine Beschäftigung mit Problemen der historischen Objektivität und archivischer Kassation berichtet ein oft wiederholter Vortrag über „Wahrheit und Wert eines wissenschaftshistorischen Archivs“ (137/1988 u. 1992). Der 60. Geburtstag von Werner Vogel bot mir in der für ihn mit Wolfgang Neugebauer herausgegebenen Festschrift „Dona Brandenburgica“ (147/1990) die Gelegenheit zu einem Rückblick auf das „Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Vorgeschichte, Gründung und Anfangsjahre einer Berliner For-
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schungsstätte für Wissenschaftsgeschichte 1975–1990“. Zu aktuellen Fragen der „naturwissenschaftlich-technischen Überlieferung in der Bundesrepublik Deutschland“ nahm ich aus der Sicht dieses Archivs auf dem 62. Deutschen Archivtag in Karlsruhe Stellung (158/1991) und beteiligte mich zum 63ten in Berlin an einem Überblicksbericht (172/1992). Aus der Archivgeschichte heraus bzw. tiefer in die eigentliche Archivistik hinein führte mich meine Lehrtätigkeit, zunächst seit 1986 (bis 1997) an der Freien Universität Berlin für „Archivkunde“, dann ab Wintersemester 1990/1991 zugleich an der Humboldt-Universität zu Berlin, die mich zu ihrem ersten Honorarprofessor „nach der Wende“ und zwar für das Fach „Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften der Neuzeit“ (1993) ernannte. Ich konnte somit zwar (bis heute) Geschichtsstudenten in diese Fächer einführen (vgl. dazu meine Lehrerfahrungen in 203/1996), aber leider nicht den an dieser Universität 1996 mit der Emeritierung des (positiv evaluierten) Lehrstuhlinhabers Botho Brachmann auslaufenden Studiengang „Archivwissenschaft“ ersetzen. Immerhin lernte ich noch für einige Jahre die dort als Dozenten tätigen Archivkollegen aus Dresden (Reiner Groß), Magdeburg (Josef Hartmann), Schwerin (Gerd Rackow) und Weimar (Gerhard Schmid), insbesondere aber den in Potsdam ansässigen Friedrich Beck kennen, die mich als Mitherausgeber des bereits zu DDR-Zeiten begonnenen, aber dort immer wieder wegen Papiermangels zurückgestellten Lehrbuchs „Die archivalischen Quellen, mit einer Einführung in ihre Benutzung“ (182/1./2. Aufl. 1994) gewannen. Ab der dritten Auflage (275/2003 u. 4. UTB-Auflage 289/2004) wurde das „Grundlagenwerk“ (Robert Kretzschmar) im Text erfolgreich erweitert und in seinem Untertitel verändert („mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften“) und hat inzwischen die 5. Auflage (394/2012) erreicht. Neben der bibliographischen Beratung steuerte ich die Einleitung, „Anreden und Titel“, „Wappen“, später „Bilder“ bei, vor allem aber einen Beitrag über autobiographische Quellen, nämlich Tagebücher, Autobiographien und Memoiren, was vielleicht erläuterungsbedürftig ist: Diese quellenkundliche Studie entstand auf der Grundlage des Artikels „Selbstzeugnisse“ (im Handbuch der Genealogie, 15/1972), für den ich damals auf meine von Katharina Mommsen – noch vor ihrer „Vertreibung“ nach Amerika durch die 68er – an der Freien Universität angeregte Magisterarbeit zurückgreifen konnte, die ich mit „Untersuchungen an den Tagebüchern von Franz Grillparzer“ (16/1972) abschloß. Subjektive Zeugnisse, auch Ego-Dokumente genannt, erschienen mir nicht nur wegen ihres oft literarischen Reizes, sondern auch zur Ergänzung amtlicher Dokumente und als private „Überreste“ für die Zeitgeistforschung bzw. Mentalitätsgeschichte besonders wichtig, so daß ich verschiedene Studien, wie die Analyse von „Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der Struktur der Selbstzeugnisse“ (12/1971) oder „Analekten zur Geschichte der Diaristik“ (31/1974) schließlich in einer eigenen Aufsatzsammlung über „Selbstzeugnisse, Quellenwert und Quellenkritik“ (395/2012) zusammenfaßte.
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Die „archivalischen Quellen“, die nun als Handbuch archivisches Fachwissen aus Ost- und Westdeutschland zusammenführen und die das immer mehr randständig gewordene hilfswissenschaftliche Grundwissen aktuell in großer Breite präsentieren, ergänzen als Quellenkunde das in 3. Auflage 1968 in Ost-Berlin erschienene Lehrbuchs der „Archivverwaltungslehre“ von Gerhart Enders, aus dem Berufsanwärter sowohl in der DDR als auch in der BRD die Anfangsgründe ihres Faches lernten (und zwar bequemer als aus der ebenfalls aktenkundlich basierten Archivalienkunde von H. O. Meisner oder aus „dem Papritz“), so daß Gerhard Wiemers als letzter Diplomand von Enders und ich den Nachdruck dieses Klassikers herausgaben (291/2004). Einzelne Themen vertiefte ein mit Friedrich Beck und Wolfgang Hempel gemeinsam vorgelegter Sammelband „Archivistica docet“ (229/1999), der in einer Standortbestimmung des Faches dazu rät, sich mittelfristig wieder vom deutschen Sonderweg einer verwaltungsinternen (Marburger) Ausbildung zu lösen und sie an die Universität zurückzuverlagern, wo vor allem Geschichtsstudenten ihrer dringend bedürfen. Das unterstrich auch die Festschrift für Botho Brachmann: „Archive und Gedächtnis“ (306/2005). c) Vorlesungen und Seminare brachten mir die schon mehrfach erwähnten Historischen Hilfswissenschaften näher; unter meinen akademischen Lehrern habe ich vor allem Heinz Quirin, Johannes Schultze (FU Berlin), Heinrich v. Fichtenau (Universität Wien), Walter Heinemeyer, Peter Berghaus und Karl E. Demandt (Philipps-Universität bzw. Archivschule Marburg), aber auch meinen Studenten, viel zu verdanken. Aber anregender als solche Lehrveranstaltungen erwies sich seit 1968 meine von 1975–1986 zwar unterbrochene, dann aber bis heute andauernde Vorstandsarbeit für den 1869 gegründeten „Herold“ in Berlin, dem ältesten europäischen Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, dem ich schon als Student beitrat. Zu seinem 100jährigen Bestehen gab ich gemeinsam mit dem Juristen und Heraldiker Jürgen Arndt den Katalog zur Jubiläumsausstellung „Lebendige Heraldik – lebendige Genealogie“ (2/1969) heraus und verfaßte einen schon oben erwähnten genealogisch-sphragistischen Beitrag zu seiner Festschrift (1/1969). Kurt Winckelsesser als Schriftleiter des Vereins übergab mir bald die Redaktion der Vierteljahrsschrift „Herold“, deren siebten Band (H. 7–12) der Neuen Folge ich zu Ende führte (8/1970/71), ehe ich sie aufgrund einer Mitgliederumfrage in ein wissenschaftlich anspruchsvolleres (wenn auch zunächst nur kurzlebiges) „Herold-Jahrbuch“, begleitet von einem Nachrichtenblatt, den „Mitteilungen des Herold“, umwandelte (18 u. 20/1972–1974). Einige meiner Vorstandskollegen setzten dagegen die Rückkehr zur bisher vertrauten Vierteljahrsschrift durch. Erst 1996 kehrte ich mit Peter Bahl in die Herausgeberschaft des „Herold-Jahrbuchs“ (199) zurück, als es gelang, eine Neue Folge des alten Periodicums auf den Weg zu bringen und es nunmehr zum führenden Organ der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland zu entwickeln. Jedenfalls gehört es zu den
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Lichtblicken der ansonsten nicht gerade rosigen „aktuellen Lage der Historischen Hilfswissenschaften“ (280/2003) an den Universitäten, auf die ich schon beim 73. Deutschen Archivtag 2002 in Trier aufmerksam machte. Für Studenten stellte ich eine Art „eiserne Ration“ in „Hennings HiWi-Test, 125 Fragen & Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften“ zusammen (360/2009 u. 2. Aufl. 384/2011). Es blieb nicht aus, daß ich mich mehr und mehr auch für den Begriff und ihre Geschichte, für die Gemeinsamkeiten und Wechselbeziehungen der Historischen Hilfswissenschaften interessierte, wobei ich stets lieber ihren „Hilfscharakter“ als den der „Grundwissenschaften“ betone (vgl. mein „Begriffsplädoyer“ 202/1996). Erste Versuche, mir hier einen Überblick zu verschaffen, gingen begreiflicherweise wieder vom „Herold und seinen Büchern“ aus, nämlich von der bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Bestandsgeschichte dieser mehr als 125 Jahre alten hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek, wobei mir wieder Petra Hauke und Gabriele Jochums halfen (152/1990). Einen größeren historiographischen Radius wiesen dann schon die „Historischen Hilfswissenschaften in Berlin“ (166/1992) auf, die die Gesamtentwicklung dieser Fächer nicht nur auf Vereinsbasis, sondern an Hand von Vorlesungsverzeichnissen der Berliner Universitäten seit 1810 (bis etwa 1960) behandeln. Bald sah ich die Historischen Hilfswissenschaften selbst „historisch“ und trug dies in der von mir gemeinsam mit weiteren Kollegen begründeten Berliner Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ vor (245 u. 246/2000), wofür ich zum Zehnjahresjubiläum auch einmal ihre „Gemeinsamkeiten“ thesenartig herausstellte (308/2008). Insgesamt bilden die seit 1995 bis 2013 durchgeführten 40 Tagungen der Fachgruppe (zuletzt regelmäßig im Hörsaal des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft durchgeführt) ein breites Spektrum ab, das wechselnde Hörerkreise anspricht (416/2014). Auch die von mir in der Archivistik betreuten Doktor-, Magister- und Diplom-Arbeiten an der Humboldt-Universität trugen häufig einen hilfswissenschaftlichen Akzent und erforschten beispielsweise die Lebensleistung von Harry Breslau (Bettina Raabe, Dipl-Arbeit 1996), Ernst Perels (Ines Oberling, Phil. Diss. 2005) oder Michael Tangl (Annekatrin Schaller, Phil. Diss. 2001). Als Archivar lag mir natürlich zunächst eine Historische Hilfswissenschaft näher als die meisten anderen, nämlich die von Heinrich Otto Meisner entwickelte, noch vergleichweise „junge“ Aktenkunde (230/1998). Da ich mich aber auch mit dem Bereich beschäftigen wollte, den der Pionier dieses Faches zur „Geheimwissenschaft“ erklärt hatte, erforschte ich die „Titulaturenkunde, Prolegomena einer ‚neuen’ Hilfswissenschaft für den Historiker“ (183/1994). Darin deutete ich Anreden und Titel als Ausdruck einer bestimmten Gesellschaftsstruktur, die den Historiker in die Lage versetzen, aus den Quellen Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Empfänger zu ziehen und sich auf den Querschnittsebenen einer historischen Standespyramide schnell zu orientieren. Es folgten Studien zu akademischen Titeln
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(296-298/2004) und zu ihrem Mißbrauch (318 u. 336/2006/2007), übrigens schon früher zu Titeln und Amtsbezeichnungen der Archivare (vgl. oben: 55/1978). Als ein noch kaum zur veritablen Hilfswissenschaft entwickeltes Gebiet sei hier auch, angeregt durch viele dienstliche Auktionsbesuche, die Autographenkunde genannt, der ich Lehrveranstaltungen und Grundzüge („Eigenhändig“) mit einer Bibliographie und einem Verzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzungen gewidmet habe (317/2006).Wie einleitend bekundet, sind diese sogen. Selbstschriften für Archivare stets ein „Ärgernis“, da sie ihr geheiligtes Provenienzprinzip verletzen bzw. aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen, andererseits aber selbst Sammlerprovenienzen bilden, die als Vorstufe zur Wissenschaft unverzichtbar sein können. In meinem jüngsten Beitrag „Wertpapiere?“ gehe ich dann mehr dem materiellen als dem immaterielen Wert der Autographen nach (404/2013), der z. Zt. ständig im Steigen begriffen ist. Ebenfalls noch kaum als Hilfswissenschaft anzusprechende, hat sich die von Historikern lange Zeit eher gemiedene Ikonologie entwickelt, also der Umgang mit Bildern, deren Quellenwert noch skeptischer zur beurteilen ist (Sind Historiker „im Bilde?“, 407/2012, vgl. 386/2011). Ein Ergebnis meiner frühen Vorstandsjahre im Herold stellt das mit Wolfgang Ribbe gemeinsam herausgegebene, unter Beteiligung zahlreicher Fachgelehrter (wie Walter v. Hueck, Erich Kittel, Hermann Mitgau, Johannes Schultze, Gerd Wunder), erfolgreich bearbeitete und mit der Silbernen J. C. Glatterer-Medaille ausgezeichnete „Handbuch der Genealogie“ (15/1972) dar. Es war der erste Versuch nach dem 2. Weltkrieg, eine umfassenden Gesamtdarstellung dieses weitverzweigten, durch den Nationalsozialismus arg in Mißkredit geratenenen Faches auf den Weg zu bringen. Ich selbst behandelte darin mehr die Randgebiete, wie Numismatik oder Historische Metrologie, die mich seit einer durch den Tod meiner zunächst gewählten Doktormutter Ingeborg Schröbler (1975) abgebrochenen Dissertation über „Alte Maßbezeichnungen in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts“ besonders interessierten, schließlich mein quellenkundliches Lieblingsthema, die Selbstzeugnisse. Das für den Herold herausgebene Handbuch zog, wieder mit Wolfgang Ribbe, die sechs Auflagen lang betreute Neubearbeitung des von Friedrich Wecken begründeten „Taschenbuchs für die Familiengeschichtsforschung“ (8. Aufl–13. Aufl.: 38/1975, 68/1980, 151/1990, 191/1995, 257/2001 u. 316/2006) nach sich, wobei wissenschaftliche Belange und praktische Bedürfnisse aufeinander abgestimmt wurden; eigene Beiträge betrafen u. a. Familie und Gesellschaft, Bürgerbücher und Kirchenbücher, wobei sich letztere zu einer eigenen „Bibliographie gedruckter Tauf-, Trau- und Totenregister“ (157/1991), zusammen mit Christel Wegeleben, ausgeweitet haben. Diese Titelsammlung ersetzte jedoch keineswegs die lang stagnierende „Familiengeschichtliche Bibliographie“, deren Fortsetzung mir die Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer
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Verbände gemeinsam mit Gabriele Jochums übertrug. Uns gelang es dann immerhin mit einem neuen Band die „Lücke“ von 1945–1960 zu schließen (210/1997), deren Gliederung ich zur Diskussion stellte (212/1997); sie benutzte später auch Peter Düsterdieck für seine weiterführende Datenbank. Eine vorläufige Bilanz des Forschungsstandes dieser hilfswissenschaftlichen Disziplin zog ich zuerst beim dienstlichen Abschied von Toni Diederich in Köln (309/2005), später auf dem 27. Interkongreß 2006 in St. Andrews / Schottland und dann beim 59. Deutschen Genealogentag in Ludwigshafen: „Genealogie, Standortbestimmung und Perspektiven“ (335/2007, 348/2008). Beeinflußt durch die Säkularausstellung des Herold „Lebendige Heraldik, lebendige Genealogie“ (2/1969), wandte ich mich vermehrt der Heraldik zu. Angesichts der Schwierigkeit, zu einem Namen ein zugehöriges Wappen(bild) zu ermitteln, vor allem bei nichtadeligen Wappenträgern, bearbeitete ich im Anschluß an J. J. Kenfenheuers bekanntes Register, zwei Bände „Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland 1937–1983 (39/1975 u. 113/1985), – alles leider noch ohne Computer, aber unterstützt durch meinen Vater. Dabei erwies sich schon die bloße Titelermittlung heraldischer Aufsätze als mühsam, da seit Egon Freiherrn v. Berchems „Heraldischer Bibliographie“ (1937) keine weiterführende Bearbeitung mehr erfolgt war. In der logischen Absicht auch dieses Werk wenigstens zu aktualisieren, stellte ich allerdings schnell fest, daß angesichts seiner Mängel (als Kreuzkatalog) nur eine gänzliche Neubearbeitung infrage kam. Nachdem ich die Stoffgliederung vor allem mit Hans-Enno Korn und Ottfried Neubecker in Kopenhagen beraten und die „Entwicklung der heraldischen Bibliographie seit dem 17. Jahrhundert“ auf dem Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Madrid vorgetragen hatte (95/1983), konnte ich, ebenfalls mit Gabriele Joachums als Co-Autorin, nach etwa zehnjähriger Vorbereitung die „Bibliographie zur Heraldik, das Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980“ (103/1984) vorlegen. 1986 verlieh uns in Sintra/Portugal die Internationale Akademie für Heraldik dafür den Prix Amerlinck. Parallel dazu lief die Berichterstattung über „Wappen und Siegel 1971–1981“ bzw. „Siegel und Wappen 1982–1986“ in den Blättern für deutsche Landesgeschichte (85/1982 u. 143/1989) an, die mir Hans Patze als Herausgeber im Anschluß an Erich Kittels Sammelberichte übertrug. Da in der Heraldik aber nicht nur Namens-, sondern auch Bildermittlungen nötig sind, entschloß ich mich nach dem Tod meines Freundes Hans Heinrich Reclam im Jahre 1979 (vgl. Nachruf 97/1983) auch die Register zu dessen einzigartiger Heroldsbilder-Sammlung (früher Münster, jetzt Herold-Berlin) mit Unterstützung seiner Familie und Matthias Ellebrecht herauszubringen und damit allgemein zugänglich zu machen (96/1983). Von guter Resonanz war die Herold-Tagung „Wappen heute – Zukunft der Heraldik?“, auf der im April 2009 die von Lorenz Beck und mir formulierte „Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze“ beschlossen und von verschiedenen Zeitschriften kommentiert nachgedruckt wurde (363/2009;
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417/2014); wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung ist sie auch in das „Repetitorium heraldicum, 150 Fragen & Antworten zur Wappenkunde“ aufgenommen worden (372/2010). Als Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Heraldik im 19. und 20. Jahrhundert sind noch zu nennen der Festvortrag in Hannover anläßlich des 125jährigen Bestehens des Vereins „Zum Kleeblatt“ über „Heraldische Geschwister, Geheimrat Wanecke als Vereinsvater des Herold (1869) und des Kleeblatts (1889)“ (415/2014) und einer zum 29. Stuttgarter Interkongreß 2010 über den „Doppelten Herold“, nämlich zu Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt im Vergleich (375/2010). Heraldische Erkenntnisse auch im Einzelfall anzuwenden blieben Ausnahmen: so die Erforschung von Warneckes Deutschem Kriegsstammbuch 1870/71 (46/1976), die Verleihung bürgerlicher Wappen in Preußen (69/1980), die Darstellung heraldisch-numismatischer Wechselbeziehungen (17. Interkongreß Lissabon 1986, 167/1992), „Heraldische Ungereimtheiten am Berliner Reichstagsgebäude“ (185/1994 u. 387/2011) oder auch „Adlers Fittiche, Wandlungen eines Wappenvogels“ (362/2009). Studien an den hennebergischen Siegeln und meinem Marburger Dozenten Karl. E. Demandt verdanke ich die Einsicht in weitreichende Unterschiede von Siegeln und Wappen. Sie vertieften sich beim Bemühen, eine Titelliste „Siegel 1971–1981“ (98/1983) aufzustellen und ermöglichten mir in Helsinki einen ersten Bericht „Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich“ (108/1984) zu erstatten, ehe ich ihn im oben erwähnten Sammelbericht über „Siegel und Wappen 1982–1986“ fortsetzte. Diese kritische Orientierung führte bei Gabriele Jochums und mir zu dem notwendigen Entschluß, der heraldischen auch noch eine erste (Grund-) „Bibliographie zur Sphragistik, das Schrifttum Deutschland, Österreichs und der Schweiz bis 1990“ (190/1995) zur Seite zu stellen. Auch wenn Siegel bekanntlich (weit) älter sind als Wappen, blieb auf diesem Gebiet freilich der Kreis der Spezialisten kleiner als in der Heraldik, so daß das Titelaufkommen zur Sphragistik nicht größer, sondern unerwartet geringer ausgefallen ist. Da eine Vorläuferbibliographie fehlt, stellte ich im Wiener „Adler“ noch „Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese der Sphragistik“ zur vorherigen Diskussion (168/1992), um Anregungen zur Stoffgliederung zu erhalten. Aus dem bisherigen Kommentar ergibt sich, daß mich außer der Akten-, Titulaturen- und Autographenkunde sowie der Genealogie, auf dem Gebiet der hilfswissenschaftlichen Realienkunde neben der Heraldik und Sphragistik seit meinen Marburger Archivschultagen vor allem die Numismatik angezog: So erweiterte ich den erwähnten Handbucheintrag „Numismatik“ bald zu einem Aufsatz über „Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Generalogie“ (19/1972). Da nun leider auch hier wieder der Forschungsstand schwer auszumachen war, beschloß ich auch dieses Gebiet zumindest teilweise bibliographisch aufzuarbeiten, beflügelt von der Verärgerung über einen völlig unzureichenden Deutschlandteil der „Numisma-
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tic Bibliography“ von E. E. Clain-Stefanelli (118/1985). So entstand wieder nach jahrelangen Vorarbeiten und begünstigt durch die Wiedervereinigung des deutschen Bibliothekswesens zwar keine Bibliographie der Münzfunde, wie zunächst geplant, sondern eine dickleibige „Bibliographie zur Medaillenkunde des deutschen Sprachraumes“ (177/1993) mit Petra Hauke als CoAutorin. Damit liegt erstmals für einen sich allmählich verselbständigenden Teilbereich der Numismatik eine systematische Stoffgliederung vor, deren Titel sämtlich mit Standortnachweisen versehen wurden; in meinem Diskussionsbeitrag über den „Begriff der Medaille und den Stand ihrer Fachbibliographie“ habe ich von Wolfgang Steguweits Arbeiten und seiner neugegründeten Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst profitieren können, die sich besonders um die Abgrenzung der Medaillen (als künstlerische Kleinreliefs) von den Münzen bemühen (169/1992). Ein Beispiel dafür aus meiner Arbeit bildet die „Harnack-Medaille“ (304 u. 305/2005). Da ich mich besonders für die „realiengebundenen“ Hilfswissenschaften interessiere, machte ich vor der – auch in Lehrveranstaltungen behandelten – Phaleristik (300/2004) nicht Halt. So habe ich „Die Ritter des Königlich preußischen Hohen Ordens vom Schwarzen Adler“ aufgrund von Aktenfunden im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv bearbeitet und mit Nachträgen Werner Seegers herausgebracht (27/1973), wobei sich vor allem das Generalregister aller Ordensritter von 1701–1918 als nützlich erwies (nachgedr. Kronach 385/2011). Diese Beschäftigung mit den Auszeichnungen wurde mit der Korrespondierenden Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Ordenskunde und mit Vorträgen auf ihren Symposien belohnt, u. a. über die „Phaleristik und ihre Nachbarwissenschaften“ (361/2009), und mündete schließlich in eine mehrjährige fruchtbare Zusammenarbeit mit Dietrich Herfurth als Co-Autor (vgl. 341/2007) am Werk „Orden und Ehrenzeichen, Handbuch der Phaleristik“ (371/2010). Dieses Kunstwort ist als Begriff (noch) ähnlich unbekannt wie das jener anderen Hilfswissenschaft, der „Vexillologie“, die sich mit Fahnen und Flagggen beschäftigt (279/2003). Beide gehören zu den „Herrschaftszeichen“ der Neuzeit, auf die Percy Ernst Schramm für das Mittelalter so eindringlich hinwies (334/2007 u. 376/2010 sowie 347/2007). d) Für die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts bin ich sozusagen „dienstlich“ zuständig gewesen, seit mich die Max-Planck-Gesellschaft zum Direktor ihres Archivs ernannte (1984). Doch schon in der Schule (Abitur mit Max v. Laues „Geschichte der Physik“) und im Studium hatte mich dieses Gebiet angezogen, als ich mich mit der Geschichte der Geschichtswissenschaft (Hans Herzfeld) und mit Geschichtsphilosophie (Michael Landmann), schließlich im Geheimen Staatsarchiv beruflich mit der Verwaltungsgeschichte preußischer Kultusbehörden beschäftigte, darunter mit der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften als Vorgänger der Max-Planck-Gesellschaft. Damit war ich sozusagen vollends in der Grundlagenforschung angekommen, der diese
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„Doppelgesellschaft“ seit hundert Jahren mit ihren 162 Instituten auf nahezu allen Gebieten höchst erfolgreich dient, ablesbar nicht nur an Nobelpreisen. Ihr Schwerpunkt lag stets in den Naturwissenschaften, wie ich schon bei der Arbeit für eine „Zeittafel“ der Kaiser-Wilhelm-/Max-PlanckGeselllschaft 1911–1986 merkte, die ich zusammen mit Marion Kazemi zum 75jährigen Jubiläum zusammenstellte (erschienen 149/1990). Vor allem aber wurde deutlich, auf welch schwankenden Grundlagen die wissenschaftshistorische Arbeit über diese stets zukunftsorientierte Gesellschaft stand, deren Geschichte streckenweise unerforscht ist. Um diesen Zustand zu ändern, gründete ich als Hilfsmittelreihe 134/1988 die „Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft“ (bisher 23 Bde.), als Vortragsreihe 198/1996 die „Dahlemer Archivgespräche“ (bisher 15 Bde.) und mit Rüdiger vom Bruch für größere Studien, insbesondere Dissertationen, 268/2002 noch „Pallas Athene“ (bisher 48 Bde.). Diese Reihen sollten vor allem dazu dienen, andere darin zu unterstützen, „Forschung zu erforschen“, um in ihnen die zentralen, aus den Quellen belegbaren Fakten und ihren Kontext zu sichern. Auf diese Weise entstand, stets gemeinsam mit Marion Kazemi, zunächst eine „Chronik der KaiserWilhelm-Gesellschaft“(135/1988), dann eine „Chronik der Max-PlanckGesellschaft unter der Präsidentschaft Otto Hahns“ (163/1992) und eine bis in die Gegenwart vervollständigte „Chronik der Max-Planck-Gesellschaft“ (219/1998), begleitet von einem, gemeinsam mit Dirk Ullmann erarbeiteten Porträtband, schließlich zum hundertsten Jubiläum eine die bisherigen Teile kumulierende (Gesamt-) „Chronik der Kaiser-Wilhelm-/Max-PlanckGeselllschaft 1911–2011“ (383/2011). Sie enthält eine historische Einleitung, deren ersten Teil (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) und zweiten (MaxPlanck-Gesellschaft“) ich u. a. in Dahlem und in der Generalverwaltung in München vorgetragen habe; letzterer ist in revidierter Form als „Entwicklung der Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Gründung bis zur Gegenwart“ bei der Leopoldina in Halle gedruckt erschienen (396/2012, vgl. auch 405 u. 406/2013). In Arbeit befindet sich von Henning / Kazemi noch ein „Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-PlanckGesellschaft“, das 2014 abgeschlossen wird und ein bisher nur geplanter Dokumentenband, den der im Dezember 2013 aus dem Leben geschiedene Lorenz Beck gestalten wollte. Anregungen zur eigenen wissenschaftshistorischen Arbeit gingen schon vom Archivgebäude, dem Otto-Warburg-Haus, selber aus: Ich begann mich mit diesem „märkischen Herrenhaus im deutschen Oxford“ (129/1987) und seinem Bauherrn, dem Zellphysiologen Otto Warburg (127/1987) zu beschäftigen, aber auch seine „Nobelkollegen“, nämlich Fritz Haber und Max v. Laue, begannen mich nicht nur als Bewohner Dahlems zu interessieren; so berichtete ich über die neu erschlossene „Haber-Sammlung“ des Archivs (154/1990) genauso wie über den nun zugänglich gewordenen Nachlaß Max v. Laues (170/1992), aber auch über Warburgs „Meisterschü-
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ler“ Sir Hans Krebs und über dessen Nachkriegskritik an deutschen Universitäten (180/1993). Am wichtigsten war mir aber, zum Verständnis einer Art von Bambusstrategie beizutragen, die der „arme Wirrkopf“ Max Planck im Dritten Reich verfolgt hat, u. a. veranlaßt durch seinen Neffen Walther Boeckh, meinem Nikolasseer Pfarrer, der mir nach der Familienfama den Verlauf einer Hitler-Audienz und dessen „Nachruf“ schilderte (295/2004 u. ergänzt 373/2010, vgl. dazu mein Max-Planck-Heft 209/1997). Da der Dahlem Mythos wohl am meisten an dem 1929 eröffneten Harnack-Haus haftet, habe ich diesen geselligen Mittelpunkt der Forschergemeinde und seine Geschichte „vom Hotel der Gelehrten zum Offizierskasino“ (197/1996, 271/2002, 374/2010) mehrfach behandelt. Es stärkte durch die Möglichkeit von Gegeneinladungen die „Auslandsbeziehungen“ (vgl. 232/1999) und bildet das Herzstück einer „Domäne der Wissenschaft“, wofür ich mich, für einen Landeshistoriker naheliegend, zunächst mit ihrem Umland bzw. seiner Vorgeschichte beschäftigte, d. h. mit „Althoffs Vermächtnis für Dahlem“ (136/1988). Viele dieser Texte sind auch in meinen „Beiträgen zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems“ (244/2000) erschienen. Da Marion Kazemi und ich häufig Besucher über diesen Campus zu führen hatten, entwarfen wir bald einen vielbenutzten „wissenschaftshistorischen Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft“, der inzwischen vier aktualisierte Ausgaben erlebt hat, zum Teil auch auf Englisch (178/1993, 221/1998, 267/2002 u. 357/2009). Ein fachliches Fazit meiner Arbeit habe ich 2004 als Archivar auf den 15. Internationalen Archivkongreß in Wien gezogen, wo ich zusammenfassend über „Wissen, Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte“ aus der Sicht des zentralen Archivs der Max-Planck-Gesellschaft referierte, zugleich Kernstück der 2. Auflage meiner „Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems“ (2. Aufl. 292/2004, S. 199–220, vgl. auch 359/2009). Autobiographisches enthält die Abschiedsansprache vom 1. Februar 2006: „Am Wendepunkt“ nach 22 MPG-Dienstjahren (322/2006). * Blickt man zurück, so ergibt sich eine Themenpalette von der Landes- zur Wissenschaftsgeschichte, die sich aus den vielfältigen Anforderungen erklärt, die erfreulicherweise immer wieder an Archivare gestellt werden, jedenfalls wenn sie sich auch als Historiker und nicht nur als Informationsvermittler begreifen. Ihre Arbeit „am rasenden Webstuhl der Zeit“ macht neugierig bzw. veranlaßt sie aber auch, wie in meinem Falle, aus Neigung historischen Fragen vom zwölften bis ins zwanzigste Jahrhundert nachzugehen. Den Archivaren drohen weniger Gefahren des Spezialistentums (wie heute den meisten Berufen) als die der Generalisten, die für ihre Arbeit als „professionelle Dilletanten“ dann wenigstens ausreichende archiv- und hilfswissenschaftliche Quellenkenntnisse sowie verläßliche bibliographische Grundlagen benötigen. Dort, wo sie mir fehlten, habe ich versucht, sie selbst
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zu entwickeln, um den Forschungsstand wieder sichtbar zu machen, Erreichtes in Lehrbüchern und Chroniken zu „sichern“ und der Wissenschaft die oft nur propagierten interdisziplinären Wege aufzuzeigen.
II 1969 Genealogische und sphragistische Studien zur Herrschaftsbildung der Grafen von Henneberg im 11. und 12. Jahrhundert, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Herold, hrsg. von Kurt Winckelsesser. Berlin 1969, S. 33–57, mit 6 Abb., 1 Kte. u. Stammtafel. 1 Lebendige Heraldik – lebendige Genealogie. Ausstellung zum hundertjährigen Bestehen des Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften 1869–1969, Katalog unter Mitwirkung u. a. des Geheimen Staatsarchivs, der Museen Preußischer Kulturbesitz und des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg vom 5.10.–28.11.1969 von Jürgen Arndt u. E. H. Berlin 1969, 96 S., 12 Taf. 2 Bericht über die World Conference on Records in Salt Lake City/USA (August 1969), in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969), S. 90–91. 3 Leserbrief: Kunstschätze in Riechenberg zugänglich machen, in: Goslarer Zeitung vom 16. April 1969. 4 Rez. von Paul Martin: Waffen und Rüstungen. Von Karl dem Großen bis zu Ludwig XIV. Frankfurt/M. 1967, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969), S. 69–70. 5 Rez. mit Helma M. Massalsky: Die Burgunderbeute und Werke burgundischer Hofkunst. Katalog der Ausstellung im Bernischen Historischen Museum. Bern 1969, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1969), S. 74–75. 6
1970 Die Veränderungen des Siegel- und Wappenbildes der Grafen von Henneberg vom XII. bis XVI. Jahrhundert (mit 11 Abb.), in: Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft Adler in Wien F.3, 10 (1967/70), S. 45– 65, Abb. S. 227–229 [= wissenschaftlicher Jubiläumsband 1870–1970]. 7
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Der Herold. Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, hrsg. vom Herold zu Berlin. Schriftleitung: E.H. ab N.F. 7, H. 5–12, (1970–1971) [vgl. stattdessen Nrn. 18 u. 20]. 8 Der X. Internationale Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften und die Hundertjahrfeier des Adler in Wien, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1970), S. 211–213. 9 Rez. mit Helma M. Massalsky: Maximilian I. Katalog der Ausstellung. Innsbruck 1969, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1970), S. 113–114. 10 Rez. von Peter Boerner: Tagebuch. Stuttgart 1969 (= Sammlung Metzler, 85), in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1970), S. 148–149. 11
1971 Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Struktur der Selbstzeugnisse, besonders der Tagebücher, Autobiographien, Memoiren und Briefe, in: Genealogie 10 (1971), S. 385–391. Vgl. Nr. 395. 12 Bericht über die Tätigkeit des Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin 1969/70, in: Archivum Heraldicum 85, Bulletin 2/3 (1971), S. 47–48. 13 Rez. von Gustav. A. Seyler: Geschichte der Heraldik. Reprograph. Neudruck. Neustadt/A. 1971, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 7 (1971), S. 303–304. 14
1972 Handbuch der Genealogie. Für den Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften bearb. und hrsg. von E.H. und Wolfgang Ribbe. Neustadt/Aisch 1972, 304 S. m. zahlr., z. T. mehrfarbigen Abb. Darin Selbstzeugnisse S. 132–142; Historische Metrologie, S. 165–166; Numismatik, S. 167–172. Vgl. Nr. 395. 15 Untersuchungen an den Tagebüchern von Franz Grillparzer, In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 3. F., 9 (1972), S. 83–126 [mit einer bio-bibliograph. Notiz über den Verf. von Joh. Gunert, S. 335–336]. Vgl. Nr. 395. 16 Die Entwicklung der Landesherrschaft zwischen dem nördlichen Thüringer Wald und dem südlichen Maingebiet am Beispiel der Grafschaft Henneberg
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(1078–1583), in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 24 (1972), S. 1–36. 17 Herold-Jahrbuch. Hrsg. im Auftrage des Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin von E.H. 1–3 (1972– 1974). Vgl. Nr. 199. 18 Die Münz- und Medaillenkunde als Hilfswissenschaft der Genealogie, in: Herold-Jahrbuch 1 (1972), S. 29–40. 19 Mitteilungen des Herold. Schriftleitung: E.H., N.F. 1–3 (1972–1974).
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Der Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften. Satzung und Mitgliederverzeichnis, bearb. und hrsg. von E.H. und Wolfgang Ribbe. Berlin 1972, 32 S. 21 Bericht über den XI. Internationalen Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften in Lüttich 1972, in: Mitteilungen des Herold N.F. 1, Nr. 2 (1972), S. 10–11. 22 Leserbrief: Hinweisschilder fehlen, im: Südkurier, Konstanz vom 5. Oktober 1972 [betr. Haus am Kunkel, Husgedenkstätte]. 23 Rez. von Louis Schneider: Das Buch vom Eisernen Kreuze. Nachdr. Hrsg. u. eingeleitet von K.-G. Klietmann. Berlin 1971, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 68 (1972), S. 162–163. 24 Rez. von Karl Friedrich v. Frank: Standeserhebungen und Gnadenakte für das Deutsche Reich und die Österreichischen Erblande bis 1806 sowie Kaiserlich Österreichische bis 1823 mit einigen Nachträgen zum Alt-Österreichischen Adels-Lexikon 1823–1918. Schloß Senftenegg/N.Ö. 1972, in: Mitteilungen des Herold N.F. 1 (1972), S. 7. 25
1973 Bibliographie der Veröffentlichungen von Ingeborg Schröbler, in: Festschrift für Ingeborg Schröbler zum 65. Geb. Hrsg. v. Dietrich Schmidtke und Helga Schüppert. Tübingen 1973, S. 440–444 (= Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache u. Literatur 95, Sonderh.). 26 Die Ritter des Königlich Preußischen Hohen Ordens vom Schwarzen Adler 1908–1918 (1934). Nebst Nachträgen für die Jahre 1836–1907 und einem Generalregister sämtlicher Ordensritter 1701–1918, in: Herold-Jahrbuch 2
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(1973), S. 31–82. Ergänzungen dazu (mit Werner Seeger), in: Mitteilungen des Herold N.F. 3, Nr. 3 (1974), S. 31–37. Vgl. auch Nr. 385. 27 Die Kolberger Familie Kundenreich. Von Kurt Winckelsesser (†). Für den Druck bearb. u. hrsg. von E.H., in: Ostdeutsche Familienkunde 6 (1973), S. 289–293. 28 Rez. von Gerhard Knoll: Zur Entstehung und Geschichte der Johanniterkommende Werben im 13. Jahrhundert, in: Herold-Jahrbuch 2 (1973), S. 159–160. 29 Rez. von Günther Probszt-Ohstorff: Die Porcia. Aufstieg und Wirken eines Fürstenhauses, in: Herold-Jahrbuch 2 (1973), S. 164–165. 30
1974 Analekten zur Geschichte der Diaristik, in: Archiv für Kulturgeschichte 56 (1974), S. 74–90. Vgl. 395. 31 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv in Berlin-Dahlem – 100 Jahre seit seiner Vereinigung mit dem Ministerialarchiv (mit 6 Abb.), in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 25 (1974), S. 154–174. Vgl. 402. 32 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Redaktion: E. H., gemeins. m. Cécile Lowenthal-Hensel. Berlin 1974, 76 S. m. Autographenbeispielen, 8 Taf. – Darin von E. H.: Zur Geschichte des Geheimen Staatsarchivs in den letzten hundert Jahren (1874 bis 1974), S. 7–19. – Zeittafel von den Anfängen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 19–21. – Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Rep. 76), S. 29– 30. – Preußisches Staatsministerium (Rep. 90), S. 32–33. – Die Bestände des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs, S. 43–44. Vgl. 402. 33 Grundlagen der Presbyterologie. Von Karl Themel †, hrsg. u. ergänzt von E.H., in: Herold-Jahrbuch 3 (1974), S. 74–120 (desgl. als Sonderdr. mit Vorw. von Volkmar Drese). 34 Verabschiedung von Dr. Gerhard Zimmermann, Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, in: Der Archivar 27 (1974), Sp. 479– 480. 35 Rez. von Peter P. R. Günther: Die Verluste der Regimenter der Kgl. Preußischen Armee an Ost- und Westpreußen im Feldzuge von 1866. Berlin 1974, in: Mitteilungen des Herold N.F. 3, Nr. 3 (1974), S. 39. 36
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Rez. von Michael Guenter: Die Juden in Lippe von 1648 bis zur Emanzipation 1858. Detmold 1973, in: Herold-Jahrbuch 3 (1974), S. 125–126. 37 1975 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, begr. von Friedrich Wecken. 8. vollst., gemeins. m. Wolfgang Ribbe neubearb. Aufl. Neustadt/Aisch 1975, 355 S., zahlr. Abb. i. Text. Darin von E.H.: Sozialgeschichtliche Familienforschung, S. 37–41. – Adreßkalender, Staatshandbücher, Dienerverzeichnisse, S. 134–135. – Nachlässe, S. 126. – Selbstzeugnisse, S. 137. – Deutsche und lateinische Berufsbezeichnungen, S. 275–281. – Titulaturen, s. 286–291. – Anschriften der Archive in Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 295–355. – (mit R. Hoevel:) Anschriften der genealogischen und historischen Vereine, S. 341–346. – Sonstige Einrichtungen: Sonderstandesämter, Personenstandsarchive, Deutsche Dienststelle (WASt), Krankenbuchlager, Heimatortkarteien, S. 347–351. Vgl. Nr. 68, 151, 191, 257, 316. 38 Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland 1937–1973. Neustadt/ Aisch 1975, 132 S. (= Genealogische Informationen, Bd. 2). Vgl. Forts. Nr. 113. 39 Das Geheime Staatsarchiv in Berlin-Dahlem. Rückblick anläßlich seines Doppeljubiläums 1874 – 1924 – 1974, in: Der Archivar 28 (1975), Sp. 143– 152. 40 Akten preußischer Lehrerbildungsstätten im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Der Archivar 28 (1975) Sp. 334–335. 41
1976 Bibliographie zur Hennebergischen Geschichte. Bearb. von E.H. u. Gabriele Jochums. Köln, Wien 1976, XI, 172 S. (= Mitteldeutsche Forschungen, 80). 42 Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinets-Archivs zu Berlin bis zum Jahre 1820. Von Georg Wilhelm v. Raumer. Hrsg. von E.H., in: Archivalische Zeitschrift 72 (1976), S. 30–75. 43 Loggia Alexandra – Gedenkstätte für Charlotte von Preußen, Kaiserin von Rußland. Mit Herzeleide Henning, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 12 (1974/75), S. 105–121 [erschienen 1976]. 44 Briefe und Tagebücher der Königin Luise im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv. Zur 200. Wiederkehr ihres Geburtstages am 10. März 1976, in:
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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 72 (1976), S. 142–150 (m. 3 Abb. u. Titelbild). Nachgedruckt in: Königin Luise von Preußen (1776-1810) und ihre Zeit. Katalog der Ausstellung des Stadtarchivs Mülheim a.d. Ruhr vom 9.10.–14.11.1976. Mülheim/Ruhr (1976), S. 13–21. Darin neu: Äußerungen der Mit- und Nachwelt über Königin Luise von Preußen. S. 22–37. 45 Das Deutsche Kriegsstammbuch von 1870–71, in: Archiv für Sippenforschung 42 (1976), S. 497–513, m. 11 Abb. 46 Europäischer Kultur-Austausch – Studienreise Moskau-Leningrad vom 29.5.–5.6.1976. Mit Herzeleide Henning, in: Das EKA-Kulturgespräch 17 (1976), S. 59–60. 47
1977 Berliner Archive. Bearb. v. E. H., zus. mit H.-Fr. Lockemann, J. C. Struckmann, u. J. Wetzel. Hrsg. v.d. Arbeitsgemeinschaft Berliner Archivare. Berlin 1977, 48 S. Vgl. Nr. 67, 94, 165. 48 Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem 1924 bis 1974. Mit Christel Wegeleben, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 27 (1976), S. 155–178. Vgl. auch Nr. 402. 49 Die Leitung der Preußischen Archivverwaltung. Von Georg Winter (†). Hrsg. u. erg. von E.H. (mit 9 Abb.), in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 73 (1977), S. 308–314. Vgl. 402. 50 Straßenkämpfe im Südwesten Berlins 1945. Aufzeichnungen von Dr. Reinhard Lüdicke (†) über seinen Volkssturmeinsatz vom 20.4. bis 2.5.1945. Aus dem Nachlaß des Abteilungsleiters beim Preuß. Geh. Staatsarchiv, hrsg. von E. H., in: Der Bär von Berlin 26 (1977), S. 119–128. Vgl. Nr. 184 und 402. 51 Angelus Silesius (1624–1677). Von Carl Hinrichs (†), hrsg. u. eingeleitet von E. H., in: Schlesien 22 (1977), S. 206–211. 52 Orientträume eines Ostpreußen – und was daraus wurde. Zum Gedenken an den Journalisten Dr. Hubert Clages, in: Das Ostpreußenblatt 28 (1977), 16.3. S. 9., nachgedr. in: Die Pforte, Schulpforta-Nachrichten 32 (1979), S. 34–36. 53
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1978 Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, hrsg. im Auftrage der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V. (gegr. 1884) von E. H. et al., 29–60 (1978–2009); Schriftleitung 30–40, (1979– 1989). 54 Archivare beim Geheimen Staatsarchiv in der Berliner Kloster- und Neuen Friedrichstraße 1874–1924. Mit Christel Wegeleben (7 Abb.), in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29 (1978), S. 25–61. Vgl. auch Nr. 402. 55 Archivalien zur Geschichte des preußischen Regierungsbezirks Sigmaringen (1850–1945) im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 100 (1977), S. 79–90 (erschienen 1978). 56 Aus der Tätigkeit der Preußischen Staatsbauverwaltung in Pommern (1770– 1809). Bearb. v. E.H. auf der Grundlage eines amtlichen Berichtes von Franz Jahn, in: Baltische Studien N.F. 64 (1978), S. 41–65. 57 Bismarck-Autographen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 74 (1978), S. 453–454 (m. Abb.). 58 Akten zur Meteorologie im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, in: Meteorologische Rundschau 31 (1978), S. 95. 59 Zum hundertsten Geburtstag: Dr. Reinhard Lüdicke, in: Märkische Zeitung vom 10.7.1978, S. 3 (mit 3 Abb.). 60 Der Nachlaß Lüdicke im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 79 (1978), S. 23–25. 61
1979 Der erste Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, Reinhold Koser, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, Berlin 1979, S. 259–293, mit 2 Abb. (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 14). Vgl. auch Nr. 402. 62 Chronik des Märkischen Museums der Stadt Berlin. Von Walter Stengel (†), hrsg. von E.H., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 30 (1979), S. 7–51. 63
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Bibliographie zur Hennebergischen Geschichte. Nachträge und Ergänzungen. Von E.H. und Gabriele Jochums, in: Mainfränkisches Jahrbuch 31 (1979), S. 163–168. 64 In memoriam Dr. Franz Jahn, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 75 (1979), S. 106–110 (mit Bild). 65 Rez. von Dietmar Willoweit: Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Köln, Wien 1975, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 30 (1979), S. 154–155. 66
1980 Berliner Archive, 2. erw. Aufl. bearb. von E. H., zus. m. K.-H. Fischer, Fr.Wilh. Lockemann, S. Preuß, J. Wetzel. Hrsg. vom Senator f. Kulturelle Angelegenheiten u.d. Arbeitsgemeinschaft Berliner Archivare. Berlin 1980, 80 S. Vgl. Nr. 48, 94 u. 165. 67 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 9. erw. u. verb. Aufl. von Wolfgang Ribbe und E. H., Neustadt/Aisch 1980, 424 S. Darin neu: Bürgerbücher von E.H., Seite 103–140. Vgl. Nr. 39, 151, 191, 257 und 316. 68 Zur Verleihung bürgerlicher Wappen in Preußen. Ein vergebliches Immediatgesuch aus dem Jahre 1899, in: Festschrift z. 75. Geb. von H. F. Friederichs, hrsg. v. Gerhard Geßner. Neustadt/Aisch 1980, S. 109–122 (m. 2 Abb.), nachgedr. in: Genealogisches Jahrbuch 20 (1980), S. 109–122, 2 Abb. Vgl. Nr. 417. 69 Studien zur Baukunst Schinkels, I: Terrassenarchitektur, II: Entwürfe zum Stadtbild Berlins. Von Franz Jahn (†), hrsg. u. für den Druck bearb. von E. H., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 31 (1980), S. 7–39, mit 11 Abb. 71 David Gilly (1745–1808). Aus dem Nachlaß von Franz Jahn hrsg. u. für den Druck bearb. von E. H., in: Baltische Studien N.F. 66 (1980), S. 80–94, m. 16 Abb. 72 Rez. von Theodor Fontane: Jenseits des Tweed. Nachdr. der Erstausgabe von 1860, hrsg. v. Otto Drude. Frankfurt/M. 1979, in: Mitteilungen der landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 81 (1980), S. 47–48. 73
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1981 Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen im Zeitalter der Refor-mation. Phil. Diss. Berlin, Freie Universität, 1980. Köln, Wien 1981, 283 S., mit 2 Ktn., 2 Stammtafn., 1 graph. Schema (= Mitteldeutsche Forschungen, 88). 74 Die Neue Herrschaft Henneberg 1245–1353, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 26 (1981), S. 43–67, mit 7 Abb. 75 Die Akademie des Bauwesens, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 77 (1981), S. 289–305, mit 6 Abb. 76 Leben und Leistung Wilhelm Füßleins (1869–1944) für die hennebergische Landesgeschichte (mit einem Schriftenverzeichnis), in: Kultur und Geschichte Thüringens 2 (1981), S. 59–68, 1 Bild. Verbessert nachgedr. in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 12 (1997), S. 9–24. 77 Zur Vorgeschichte des Schinkel-Museums. Eine unbekannte Denkschrift Ch.P.W. Beuths vom 24. November 1841, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 82 (1981), S. 17–21. 78 Rez. von Peter-Michael Hahn: Struktur und Funktion des brandenburgischen Adels im 16. Jahrhundert. Berlin 1979, in: Vierteljahrsschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 68 (1981), S. 429–430. 79 Rez. von Klaus Vetter: Kurmärkischer Adel und preußische Reformen. Weimar 1979, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 32 (1981), S. 158–159. 80 Rez. von Europäische Stammtafeln. Neue Folge 6–8, bearb. von Detlev Schwennicke. Marburg/Lahn 1978–1980, in: Genealogie 15 (1981), S. 527– 528. 81 Rez. von G. W. Heinze/H.-M. Drutschmann: Raum, Verkehr und Siedlung als System, dargest. am Beispiel der deutschen Stadt des Mittelalters. Göttingen 1977, in: Mitteilungen der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 82 (1981), S. 42. 82 Rez. von Liselott u. Arnim Orgel-Köhne/Jürgen Grothe: Zitadelle Spandau. Berlin 1978, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 82 (1981), S. 9–10. 83
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1982 La Carte. Visitenkarten von gestern und heute. Mit einer thematischen Einleitung von E.H. (Seite 7–22) und einem Nachwort von Wolfgang Tasler. Dortmund 1982, 136 S. (= Die bibliophilen Taschenbücher, 356). 84 Wappen 1971–1981. Sammelbericht von E.H., in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118 (1982), S. 383–406. Vgl. auch Nr. 143. 85 Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Berlin-Archiv, hrsg. von H. Börsch-Supan und H. W. Klünner, Nr. 5047 (1982). 86 Rez. von Europäische Stammtafeln. N.F. 4. Bearb. von Detlev Schwennicke, Marburg/Lahn 1981, in: Genealogie 16 (1982), S. 94. 87 Rez. von Malve Gräfin Rothkirch: Prinz Carl von Preussen, Kenner und Beschützer des Schönen 1801–1883. Osnabrück 1981, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 33 (1982), 173–174. 88 Rez. von Otto Büsch/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte 1648–1947. Eine Anthologie, 3 Bde. Berlin, New York 1981, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 33 (1982), S. 163–164. 89 Rez. von Wolfgang Scheffler: Goldschmiede Mittel- und Nordost-Deutschlands. Berlin, New York 1980, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 33 (1982), S. 176–177. 90 Rez. von Klaus Frhr. v. Andrian-Werburg: Staatsarchiv Coburg. Beständeübersicht. München 1982, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 27 (1982), S. 337–338. 91 Rez. von Gerd Koischwitz: Hermsdorf. Vom Rittergut zur Gartenstadt. Berlin 1979, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 83 (1982), S. 51. 92 Rez. von H.-W. Klünner: Preußische Bauten in Berlin. Berlin 1981, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 83 (1982), S. 28. 93
1983 Berliner Archive, 3. erw. Auf., bearb. von E.H., zusammen mit K.-H. Fischer, Fr. Wilh. Lockemann, hrsg. vom Landesarchiv Berlin und der Arbeitsgemeinschaft Berliner Archivare. Berlin 1983, 87 S. Vgl. Nr. 48, 67 u. 165. 94
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Zur Entwicklung der heraldischen Bibliographie Deutschlands und Österreichs seit dem 17. Jahrhundert, in: Comunicaciones al XV. Congreso internacional de las ciencias genealogica y heraldica 19.–26.9.1982. Volumen oficial. Madrid 1983, S. 237–250, desgl. in Band II, S. 211–224 der fünfbändigen Gesamtausgabe sämtl. Vorträge. 95 Wappensammlungen in öffentlichem und privatem Besitz, Teil I: Namenregister zur Heroldsbilder-Sammlung von Hans Heinrich Reclam im NordrheinWestfälischen Staatsarchiv Münster, bearb. von Ingeborg und Hartmut Reclam mit Matthias Ellebrecht. Einleitung von E.H., S. V–XVIII. Neustadt/Aisch 1983, XVIII, 390 S. (= Genealogische Informationen, 16). 96 Was die Pommern im Schilde führen. In Erinnerung an den Heraldiker Hans Heinrich Reclam (1908–1979), in: Baltische Studien N.F. 69 (1983), S. 73–78. 97 Siegel 1971–1981. Sammelbericht, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1983), S. 287–301. Vgl. Nr. 108, 143. 98 Visitenkarten, in: Christa Pieske, Das ABC des Luxuspapiers, Herstellung, Verarbeitung und Gebrauch 1860–1930. Berlin 1983, S. 277–279, 2. verb. Aufl. 1984 (= Schriften des Museums für Deutsche Volkskunde Berlin, 9). 99 Wappensammlung Anders, eingel. u. hrsg. von E. H., in: Familiengeschichtliche Blätter und Mitteilungen N.F. 3, Nr. 4 v. März 1983, S. 56–59; Nr. 5 v. Juni 1983, S. 62–68; Nr. 6 v. Oktober 1983, S. 82–85; Nr. 7 v. März. 1984, S. 97–102. 100 Rez. von Bayern-Preußen, Preußen-Bayern. Ausstellungskatalog des Geh. Staatsarchivs. München 1982, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 34 (1983), S. 109. 101 Rez. von Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil 7: Lebus, bearb. v. Peter P. Rohrlach. Weimar 1983, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 34 (1983), S. 124–125. 102
1984 Bibliographie zur Heraldik. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1980, bearb. von E. H. und Gabriele Jochums. Köln, Wien 1984, 546 S. (= Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von E.H., Bd. 1). Vgl. Nr. 190. 103
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Wilhelm Füßlein: Berthold VII., Graf von Henneberg. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte des XIV. Jahrhunderts. Mit einem Urkundenanhang. Um den bisher unveröffentl. 2. Teil erw. Nachdr. der Ausgabe von 1905 aus dem Nachlaß hrsg. und eingeleitet von E. H. Köln, Wien 1983, 477 S. (= Mitteldeutsche Forschungen, Sonderreihe: Quellen und Darstellungen in Nachdrucken, 3). 104 Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen 1884–1984, hrsg. von E.H. und Werner Vogel. Berlin 1984, 429 S. 105 „Dort, wo sich Wannseebahn und Stadtbahn kreuzen“, – zur Ortsgeschichte von Nikolassee (1900–1920), in: Nr. 105, S. 308–341 (mit 7 Abb.). 106 Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte. Gesamtverzeichnis der Bände 1–34, 1950–1983, bearb. von E.H. und Werner Vogel, in: Nr. 105, S. 421–429. 107 Zum gegenwärtigen Stand der Siegelforschung in Deutschland und Österreich, in: Genealogica & Heraldica. Report of the 16th International Congress of Genealogical and Heraldic Sciences in Helsinki, publ. by the Finnish National Committee for Genealogy and Heraldry, ed. by Tom C. Bergroth. Helsinki 1984, S. 335–347. Nachgedruckt in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 549–562 und auszugsweise (als ein am 9.9.84 in Neuß verlesener Vortrag auf der Zusammenkunft der Heraldiker), in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 11, 29. Jg. (1986), S. 253–259. 108 Tresor der Wissenschaft und Gedächtnis der Verwaltung: Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Bilanz nach 9 Jahren, in: MPG-Spiegel 1984, H. 2, S. 41–45 (mit 3 Abb.). 109 Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1983, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1984, S. 916–917. 110 Rez. von Michael Engel: Geschichte Dahlems. Berlin 1984, 440 S., in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 85 (1984), S. 24–25. 111 Rez. von Angelika Menne-Haritz: Die Urkundensammlung des Landesarchivs. Berlin 1984, 126 S., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 35 (1984), S. 179. 112
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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1985 Nachweise bürgerlicher Wappen in Deutschland 1973–1983. Neustadt/Aisch 1985. 74 S. (= Genealogische Informationen, 18). Vgl. Anfang Nr. 39. 113 Die Kirche an der Rehwiese. Aus den Anfangsjahren der Evangelischen Kirchengemeinde von Nikolassee (1901–1919). Mit Herzeleide Henning, in: 75 Jahre Evangelische Kirche Berlin-Nikolassee, hrsg. vom Gemeindekirchenrat. Berlin 1985, S. 11–39. Vgl. auch Nr. 333. 114 In memoriam Dr. Hans Branig (1905–1985). Mit Herzeleide Henning, in: Baltische Studien N.F. 71 (1985), S. 148–151. 115 Die Archive, in: Panorama der fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche. Ein Handbuch, hrsg. von Jürgen Ziechmann. Bremen 1985, S. 469–471 (= Forschungen und Studien zur fridericianischen Zeit, 1). Vgl. auch Nr. 402. 116 Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Jahresbericht 1984, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1985, S. 849– 850. 117 Rez. von Elvira Eliza Clain-Stefanelli: Numismatic Bibliography. München 1985, XXII, 1848 S. in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 11 (1985) S. 167– 168. 118 Rez. von Prenzlau, Hauptstadt der Uckermark 1234–1984. Redaktion Gerh. Kegel u. K.-J. Nagel. Barendorf 1984, 512 S., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 36 (1985), S. 163–164. 119 Rez. von: Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 17861810. Hrsg. v. Malve Gräfin Rothkirch. München 1985, XXXII, 632 S., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 36 (1985), S. 164– 165. 120 Rez. von Herbert Ludat: Die ostdeutschen Kietze. Nachdr. d. Ausg. Bernburg 1936, 224 S., ergänzt durch d. Verf. Hildesheim 1984, 242 S., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 36 (1985), S. 159–160. 121 Rez. von Ellinor v. Puttkamer: Geschichte des Geschlechts v. Puttkamer. 2. stark veränderte Aufl. Neustadt/Aisch 1984, X, 884 S., in: Baltische Studien N.F. 71 (1985), S. 152–153. 122
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Rez. von Europäische Stammtafeln, N.F. 3, 1–3, hrsg. von Detlef Schwennicke, Marburg Lahn 1983–1985, in: Genealogie 17 (1985), S. 784. 123
1986 75 Jahre Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, zum 11. Jan. 1986, Kaiser Wilhelm II. u. Harnack am 23.10.1912, in: Berlin-Archiv, hrsg. v. H. Börsch-Supan und H.-W. Klünner. Nr. B 5116 (1986). 124 Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1985, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1986, S. 889– 891. 125 Rez. von Werner Vogel: Prignitz-Kataster 1686–1687. Köln 1985, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 37 (1986), S. 212–213. 126
1987 Otto Heinrich Warburg, in: Berlinische Lebensbilder, hrsg. v. Wolfgang Ribbe, Bd. 1: Naturwissenschaftler. Berlin 1987, S. 299–316, mit Abb. S. 306 (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 61). 127 Vom Königshaus zum Kirchenkreis. Patronat und parochiale Zuordnung der Kirche St. Peter u. Paul auf Nikolskoe, in: Ev. Kirche St. Peter u. Paul auf Nikolskoe 1837–1987. Festschrift zur 150-Jahr-Feier, hrsg. v. Wilfried M. Heidemann. Berlin 1987, S. 207–217. 128 Ein märkisches Herrenhaus in „deutschen Oxford“. Zur Baugeschichte des ehem. Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie in Berlin-Dahlem und seines Vorbildes in Groß Kreutz, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 38 (1987), S. 202–232. Vgl. auch Nr. 244. 129 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1986, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1987, S. 951–953. 130 Rez. von Karl Ludwig v. Prittwitz: Berlin 1948, hrsg. von Gerd Heinrich. Berlin 1985, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 38 (1987), S. 245–246. 131
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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1988 Bibliographie Friedrich der Große 1786–1986. Das Schrifttum des deutschen Sprachraums und der Übersetzungen aus Fremdsprachen, bearb. von Herzeleide u. E.H. Berlin, New York 1988, 512 S. 132 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft Berlin. Archivführer von E.H.. Hrsg. von der Max-Planck-Gesellschaft. München 1988, 80 S., 26 Abb. (= Berichte und Mitteilungen, 1/88). Vgl. Nr. 164, 277. 133 Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, hrsg. von E.H., Bd. 1–19, Berlin 1988–2005 [ab Bd. 4: Redaktion: Marion Kazemi]. 134 Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Von E.H. und Marion Kazemi. Berlin 1988, 152 S., 41 Abb., 1 Kte. (= Nr. 134, 1). 135 Althoffs Vermächtnis für Dahlem. Zur Erschließung des Domänenlandes für Staatsbauten. Nach einem unveröffentlichten Plan vom 3. März 1908, hrsg., eingel. u. bearb. vom E.H. Berlin 1988, 12 S., 5 Abb. (= Domäne Dahlem, Aus Landgut und Museum, 3). 136 Wahrheit und Wert eines wissenschaftshistorischen Archivs, in: Vorträge des XIV. Fortbildungsseminars für Bibliotheksleiter der Max-Planck-Institute 18.–20. April 1988 in Berlin, hrsg. von der Generalverwaltung, Sachgebiet wissenschaftliches Informations-, Dokumentations- und Bibliothekswesen. München 1988, S. 50–66. Von dieser Zweitfassung erschien eine erste, in: Wahrheit und Wert. Zum Primat der praktischen vor der theoretischen Vernunft. Kolloquium an der Technischen Universität (WS 1986/87), hrsg. von Hans Poser. Berlin 1992, S. 235–256. Vgl. auch Nr. 244. 137 Archiv zur Geschichte des Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1987, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1988, S. 816–818. 138 Rückblick auf die Tätigkeit des Vereins der Förderer der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee e.V. 1981–1987, in: Mitteilungen der Ev. Kirchengemeinde Nikolassee, Mai-Ausgabe 1988, S. 2 u. 4, Juni-Ausgabe, S. 7–8. 139 Leserbrief: Medizinische NS-Verbrechen, in: Der Tagesspiegel Nr. 12 874 v. 31.12.1988, Seite II. 140
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Rez. von Mendelssohn-Studien, Band 6, 1986, in: Mitteilungen der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 89 (1988), S. 11. 141 Rez. von Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil 8: Uckermark. Weimar 1986, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 39 (1988), S. 213. 142
1989 Siegel und Wappen 1982–1986 (Sammelbericht), in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), S. 299–338. Vgl. auch Nr. 85. 143 Zehn Jahre Schriftleitung des „Jahrbuchs für brandenburgische Landesgeschichte“ (1979–1989). Rückblick und Abschied, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 40 (1989), S. 9–12. 144 Wissenschaftsgeschichte in Berlin – das Archiv zur Geschichte der MaxPlanck-Gesellschaft, in: Veranstaltungen und Berichte der Historischen Gesellschaft zu Berlin, Informationsblatt Wintersemester 1989/90, S. 2–3. 145 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1988, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1989, S. 836–838. 146
1990 Dona Brandenburgica. Festschrift für Werner Vogel zum 60. Geburtstag, hrsg. im Auftrage der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg von E.H. und Wolfgang Neugebauer. Berlin 1990, 356 S. (= Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 41). 147 Das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Vorgeschichte, Gründung und Anfangsjahre einer Berliner Forschungsstätte für Wissenschaftsgeschichte, in: Nr. 147, S. 291–320 und Nr. 244. 148 Zeittafel zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihrer Institute (1904) 1911–1986, bearb. von E.H. und Marion Kazemi, in: Forschung im Spannungsfeld von Politik u. Gesellschaft. Geschichte u. Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft. Aus Anlaß des 75jährigen Bestehens, hrsg. v. Rudolf Vierhaus und Bernhard vom Brocke. Stuttgart 1990, S. 913–951. 149
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Literatur zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm und Max-Planck-Gesellschaft, zusammengestellt von E. H. und Silva Sandow, in: Nr. 149, S. 952– 976. 150 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, begr. von Friedrich Wecken, 10. erweiterte und verbesserte Auflage, hrsg. und bearb. von Wolfgang Ribbe und E. H. Neustadt/Aisch 1990, 479 S. – Darin von E. H.: Familie und Gesellschaft, S. 39–43. – Kirchenbücher, Teil B (m. Christel Wegeleben), S. 99–121. – Bürgerbücher, S. 138–180. – Nachlässe, S. 263. Selbstzeugnisse, S. 264–265. – Titulaturen, S. 422–427. – Anschriften der Archive in Deutschland, Österreich u. der Schweiz, S. 431–456. – Sonstige Einrichtungen, S. 472– 475. Vgl. Nr. 38, 68, 191, 257, 316. 151 Der Herold und seine Bücher. Zur Bestandsgeschichte einer hilfswissenschaftlichen Spezialbibliothek in Berlin. Von E.H., unter Mitarbeit von Petra Hauke u. Gabriele Jochums, in: Bibliographie und Berichte. Festschrift für Werner Schochow, hrsg. von Hartmut Walravens. München 1990, S. 34–122. 152 Die hennebergischen Geschichtsvereine (1832–1990), in: Gedenkschrift für Reinhold Olesch. Köln, Wien 1990, S. 167–184 (= Mitteldeutsche Forschungen, 100). 153 Die Haber-Sammlung im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 13 (1990), S. 34–37. Vgl. Nr. 244. 154 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1989, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1990, S. 884–886. 155 Berlin-Brandenburgische [Rez.-]Nachlese, Neuerscheinungen aus den Jahren 1983–1989, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 91 (1990), S. 26–28. 156 1991
1991 Kirchenbücher. Bibliographie gedruckter Tauf-, Trau- und Totenregister sowie der Bestandsverzeichnisee im deutschen Sprachgebiet. Mit Christel Wegeleben. Neustadt/Aisch 1991, 447 S. (= Genealogische Informationen, 23). 157
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Die naturwissenschaftlich-technische Überlieferung in der Bundesrepublik Deutschland – Probleme ihrer archivischen Sicherung. Aus der Sicht des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, in: Der Archivar 44 (1991), Sp. 64–68. Vgl. Nr. 244. 158 Dr. Ernst Rolf Neuhaus †, in: MPG-Spiegel v. 9. Sept. 1991, H. 4, S. 53. 159 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1990, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1991, S. 557–558. 160 Rez. von Malve Gräfin Rothkirch: Der „Romantiker“ auf dem Preußenthron, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 42 (1991), S. 170– 171. 161 Rez. von Friedrich Freiherrn v. Schrötter: Aufsätze zur deutschen Münzund Geldgeschichte, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 42 (1991), S. 172–173. 162
1992 Chronik der Max-Planck-Gesellschaft unter der Präsidentschaft Otto Hahns (1946–1960). Mit Marion Kazemi. Berlin 1992, 160 S., 78 Abb. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, 4). 163 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 2. neu bearb. Aufl. des Archivführers von E.H. München 1992, 80 S., 27 Abb. (= Berichte und Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft, 1/88). Vgl. Nr. 133, 277, 303. 164 Berliner Archive, hrsg. vom Landesarchiv Berlin und der Arbeitsgemeinschaft Berliner Archive. Bearb. von Ulf Dohrmann, E.H. u. a., 4. Aufl. Berlin 1992, 160 S. Vgl. Nr. 48, 67, 94. 165 Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. u. 20. Jahrhundert, Persönlichkeiten und Institutionen. Hrsg. von Reimer Hansen u. Wolfgang Ribbe. Berlin 1992, S. 365–408 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82). Vgl. Nr. 243, 290. 166 Numismatisch-heraldische Wechselbeziehungen, in: Genealógica & Heráldica. Actas de 17. Congresso Internacional das Ciências Genealógica e Heráldica 1986, Vol. Heráldica, publicadas pelo Instituto Portugés de Heráldica. Lisboa 1992, S. 277–287. Vgl. Nr. 243, 290. 167
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Bibliographische Bemerkungen zur Disziplingenese der Sphragistik, in: Adler, Zeitschrift für Genealogie und Heraldik N.F. 16 (1992), S. 185–190. Vgl. Nr. 243, 290. 168 Zum Begriff der Medaille und dem Stand ihrer Fachbibliographie, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 13 (1992), S. 273–279. Vgl. Nr. 243, 290. 169 Der Nachlaß Max v. Laues. Neue Quellen im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (Berlin), in: Physikalische Blätter 48 (1992), S. 938– 940. Nachgedr. u. durch Abb. erweitert, in: Archivmitteilungen 42 (1993), S. 142–145. Vgl. Nr. 244. 170 (Nachruf auf) Rolf Neuhaus, geb. Berlin 4. November 1925, gest. Berlin 17. März 1991, in: Der Archivar 45 (1992), Sp. 143–144. Vgl. Nr. 159. 171 Das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. (Im Überblicksbericht: Archive in Berlin). Zum 63. Deutschen Archivtag, in: Der Archivar 45 (1992), Sp. 333–398, hier: Sp. 389–391. 172 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1991, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1992, S. 623–624 (im Haupt-Bd.) u. S. 385 (im Bd. Veröffentlichungen). 173 Rez. von Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil 10: JüterbogLuckenwalde, bearb. von Peter P. Rohrlach. Weimar 1992, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 43 (1992), S. 191–192. 174 Rez. von Jacob Schmidt: Berlinische und Cöllnische Merk- und Denkwürdigkeiten. Berlin 1992, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 43 (1992), S. 201. 175 Rez. Lindstedter Brevet. Schloßhistorische Informationen, hrsg. von Kurt Markert, Nr. 4 und 5, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 84 (1993), S. 8. 176
1993 Bibliographie zur Medaillenkunde. Schrifttum Deutschlands und Österreichs bis 1990. Mit Petra Hauke. Geleitwort Wolfgang Steguweit. Bad Honnef 1993, 774 S. 177 Dahlem – Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft im „deutschen Oxford“.
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Mit Marion Kazemi. München 1993, 144 S., 151 Abb. (= Berichte und Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft, 3/93). Vgl. Nr. 221, 267, 357. 178 Historische „Überreste“. Archivalische Quellen und ihre Benutzung, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 14 (1993), S. 51–58. 179 Sir Hans Krebs zur 450-Jahrfeier der Universität (1977). Eine unveröffentlichte „Philippika“ des Nobelpreisträgers, in: Alma mater Philippina H. SS 1993, S. 21–22, mit Textabdruck S. 22–24: Sir Hans Krebs, Deutsche Universitäten aus englischer Sicht. 180 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1992, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1993, S. 753–756 (im Haupt-Bd.) u. S. 433 (im Bd. Veröffentlichungen). 181
1994 Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung, hrsg. von E. H. mit Friedrich Beck. 1. u. 2. Aufl. Weimar 1994, 298 S., 79 s/w Abb., 26 Farbtaf. (= Veröffentlichungen aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, 29). Darin von E. H.: Einleitung, S. 13–18. – Selbstzeugnisse, S. 107–114. Vgl. Nr. 275, 289, 394. 182 Titulaturenkunde. Prolegomena einer „neuen“ Hilfswissenschaft für den Historiker, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869–-1994, hrsg. v. Bernhart Jähnig u. Knut Schulz. Berlin 1994, S. 293–310 (= Herold-Studien, 3). 183 Im Kampf um Berlin. Aufzeichnungen des Abteilungsleiters beim Preußischen Geheimen Staatsarchiv, Dr. Reinhard Lüdicke, über seinen Volkssturmeinsatz vom 29.4.–2.5.1945, in: Archivmitteilungen 43 (1994), S. 5–14 (um eine biograph. Einleitung, den Nachlaßbericht, Anmerkungen u. Nachweise stark erweiterte Fassung aus dem Bär von Berlin 26, 1976, vgl. Nr. 51). Vgl. 244. 184 Heraldische Ungereimtheiten am Berliner Reichstagsgebäude. Alte Sünden und neue Nutzung durch den Deutschen Bundestag, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 90 (1994), S. 221–227, erweitert 2011, Nr. 243, 290, 387. 185 Genealogie und Rechtsgeschichte. Zur Verleihung der Bardeleben-Medaille an Prof. Dr. Armin Wolf anläßlich der 125-Jahrfeier des „Herold“ in Berlin am 5. November 1994, in: Genealogie 43 (1994), S. 328–332. Berichtigt
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u. ergänzt nachgedr. in: Genealogisches Jahrbuch 35 (1995), S. 5–9. Vgl. Nr. 243. 186 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1993, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1994, S. 775–776 (im Haupt-Bd.) u. S. 453 (im Bd. Veröffentlichungen). 187 Rez. von Cornelia Willich: Die Ortsnamen des Landes Lebus, Weimar 1994 (= Brandenburgisches Namenbuch, Teil 8), in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 45 (1994), S. 232. 188 Rez. von Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten, Berlin 1904, Nachdr. Berlin 1994, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 95 (1994), Nr. 3, S. 48. 189
1995 Bibliographie zur Sphragistik. Schrifttum Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bis 1990, bearb. von E.H. u. Gabriele Jochums. Mit einem Geleitwort von Toni Diederich. Köln 1995, 228 S. (= Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften, 2). Vgl. Nr. 103. 190 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 11. vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. von Wolfgang Ribbe und E.H. Neustadt/Aisch 1995, 640 S. – Darin von E.H.: Familie u. Gesellschaft, S. 85–94. – Kirchenbücher, S. 118– 141. – Bürgerbücher, S. 190–234. – Selbstzeugnisse, S. 330–332. – Nachlässe, S. 333. – Deutsche u. lateinische Berufsbezeichnungen, S. 508–516. – Titulaturen, S. 523–528. – Krankenbuchlager, S. 609. – Heimatortskarteien (HOK), S. 609–610. Vgl. Nr. 39, 68, 151, 257, 316. 191 Vom „Hotel der Gelehrten“ zum Offizierskasino der Amerikaner – die wechselvolle Geschichte des Harnack-Hauses 1929–1994, in: Heimatbrief (Bezirk Zehlendorf von Berlin) 38 (1995), Nr. 2, S. 10–12. 192 Bericht über die Tagung zum 125jährigen Jubiläum der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“ in Wien vom 6.–8.10.1995, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 14 (1995), S. 113*–114* 193 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin. Jahresbericht 1994, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1995, S. 801–802 (im Hauptband) u. S. 479 (im Bd. Veröffentlichungen). 194
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Rez. von Carl Wilhelm Cosmar: Geschichte des Kgl.-Preuß. Geh. Staats- und Kabinettsarchiv bis 1806, hrsg. u. erl. v. Meta Kohnke. Köln 1993, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 46 (1995), S. 196–197. 195 Rez. von Ursula Fuhrich-Grubert: Hugenotten unterm Hakenkreuz 1933– 1945. Berlin 1993, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 46 (1995), S. 203. 196
1996 Das Harnack-Haus in Berlin-Dahlem, „Institut für ausländische Gäste“, Clubhaus und Vortragszentrum der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft. München 1996, 180 S. (= Berichte und Mitteilungen H. 2/96). Vorabdruck der mit Anm. u. Nachweisen versehenen Einleitung in: Fixpunkte – Wissenschaft in der Stadt und der Region. Festschrift für Hubert Laitko anläßlich seines 60. Geburtstages. Hrsg. von Horst Kant. Berlin 1996, S. 209–234. 197 Dahlemer Archivgespräche. Für das Archiv zur Geschichte der Max-PlanckGesellschaft hrsg. von E.H., Redaktion: Hubert Laitko, Regine Zott. Bd. 1–11, Berlin 1996–2005. 198 Herold-Jahrbuch. N.F. Für den Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften hrsg. von Peter Bahl und E.H., Bd. 1 ff. (1996 ff.) 199 Quellen zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft in ihrem Berliner Archiv. Mit Marion Kazemi, in: Die Kaiser-Wilhelm-/MaxPlanck-Gesellschaft und ihre Institute. Studien zu ihrer Geschichte: Das Harnack-Prinzip, hrsg. v. Bernhard vom Brocke und Hubert Laitko. Berlin 1996, S. 35–44 [mit einer bio-bibliographischen Notiz von Bernhard vom Brocke über den Verf., S. 644 f.]. 200 Sozialgenealogie und Historische Demographie, Prosopographie und Biographieforschung. Zur Diskussion der Begriffe, in: Genealogie 45 (1996), S. 193–202. 201 Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfs“wissenschaften, in: HeroldJahrbuch N.F. 1 (1996), S. 16–26. Vgl. Nr. 243, 290. 202 Diskussionsbeitrag (zu Lehrerfahrungen an der Humboldt-Universität ab 1990), in: Archivische Berufsbilder und Ausbildungsanforderungen, Protokoll eines Kolloquiums v. 14.–16.11.1991. Potsdam 1996, S. 86–87 (= Potsdamer Studien, 3). 203
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Planck-Inventar, in: Der Archivar 49 (1996), Sp. 775–776, nachgedr. in: Physikalische Blätter 52 (1996), S. 1258. 204 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Jahresbericht 1995, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1996, S. 857–859 (im Hauptband) u. S. 483 (im Band Veröffentlichungen). 205 Rez. von Berlin-Bibliographie 1985–1989 (2 Teile) u. 1990 (1 Teil), in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 6 (1996), S. 246– 247. 206 Rez. von Gerhard Lange: Die Bedeutung d. preuß. Innenministers Friedr. Alb. Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 47 (1996), S. 220. 207 Rez. von Gutshaus Steglitz, in: Nr. 207, S. 208.
208
1997 Max Planck (1858–1947). Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 4. Oktober 1997. Mit einem Geleitwort von Hubert Markl. München 1997, 200 S., zahlr. Abb. (= Berichte u. Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft, 3/97). 209 Familiengeschichtliche Bibliographie. Bearb. von E.H. und Gabriele Jochums. N. F. 1: 1945–1960. Stuttgart 1997, 284 S. 210 Gräber bekannter Persönlichkeiten auf dem Evangelischen Kirchhof Nikolassee. Von Werner Natzschka, 2. Aufl. i. Auftr. d. Vereins d. Förderer d. Ev. Kirchengemeinde Nikolassee e.V., ergänzt u. hrsg. von E.H. Berlin 1997, 84 S., zahlr. Abb. Vgl. Nr. 333. 211 Bücherverzeichnis zur deutschen Genealogie. Zur Weiterführung der Familiengeschichtlichen Bibliographie 1945–1960, in: Genealogie 23 (1997), S. 487– 492. 212 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Jahresbericht 1996, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1997, S. 853–855 (Hauptbd.) u. S. 504 (Veröffentl. Bd.). 213 Rez. von Renate Korinski: Die Alma Mater – ein Männerhaus? Professorinnen an der Freien Universität Berlin 1948-1994. Eine Dokumentation. Berlin 1995, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 93 (1997), S. 218–219. 214
678
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Rez. von Friedrich-Carl Freiherrn v. Stechow: Lexikon der Stammbuchsprüche. Neustadt/Aisch 1996, in: Herold-Jahrbuch N.F. 2 (1997), S. 205–206. 215 Rez. von Friedrich-Carl Freiherrn v. Stechow: Stammbuch des Georg v. Honhorst für die Zeit von 1577–1587. Köln 1997, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 15 (1997), S. 104. 216 Rez. von Jürgen Kloosterhuis, Hrsg.: Aus der Arbeit des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1996, in: Herold-Jahrbuch N.F. 2 (1997), S. 171–173. 217 Rez. von Lothar Noack/Jürgen Splett: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit Berlin-Cölln 1640–1688, Berlin 1997, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 7 (1997), S. 38–39. Vgl. Nr. 236. 218
1998 Chronik der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1948–1998. Mit Marion Kazemi. Geleitwort des Präsidenten Hubert Markl. Berlin 1998, 588 S., 168 Abb. (= 50 Jahre Max-Planck-Gesellschaft, 1). 219 Wissenschaftliche Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften im Bild. Mit Dirk Ullmann unter Mitarbeit von Marion Kazemi. Geleitwort des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rats Wolf Singer. Berlin 1998, 766 S., davon 677 Abb. (= 50 Jahre Max-Planck-Gesellschaft, 2). 220 Dahlem – Domain of Science. A walking tour of the German institutes of the Kaiser Wilhelm/Max Planck Society in the „German Oxford”. Mit Marion Kazemi. 2. aktualisierte u. ins Englische übersetzte Aufl. München 1988, 144 S., 150 Abb. (= Berichte und Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft, 1/98). Vgl. Nr. 178, 267, 358. 221 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Jahresbericht 1997, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1998, S. 831–834 (Hauptband) u. S. 507 (Veröffentl. Bd.) 222 Rez. von Benno v. Knobelsdorff-Brenkenhoff: Briefe aus den Befreiungskriegen 1813/14. Zürich 1998, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 99 (1998), S. 93. 223
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Rez. von Lieselott Enders: Historisches Ortslexikon, Teil 1: Prignitz, 2. Aufl. Weimar 1997, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 49 (1998), S. 205–206. 224 Rez. von Handbuch der Heraldik, Wappenfibel. Hrsg. vom Verein Herold, bearb. im Auftr. des Herold-Ausschusses für die Deutsche Wappenrolle v. Ludwig Biewer, 19. Aufl. Neustadt/Aisch 1998, in: Herold-Jahrbuch N.F. 3 (1998), S. 237–238. 225 Rez. von Johannes Burkhardt: Die Historischen Hilfswissenschaften in Marburg (17.–19. Jahrhundert). Marburg 1997, in: Herold-Jahrbuch N.F. 3 (1998), S. 226–227. 226 Rez. von Wolfgang Steguweit: Europäische Medaillenkunst von der Renaissance bis zur Gegenwart. Berlin 1993, in: Herold-Jahrbuch N.F. 3 (1998), S. 252–253. 227 Rez. von Reiner Cunz: Numismatik zwischen Haushistoriographie und fürstlicher Sammellust. Hamburg 1996, in: Herold-Jahrbuch N.F. 3 (1998), S. 228. 228
1999 Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds. Hrsg. mit Friedrich Beck u. Wolfgang Hempel. Potsdam 1999, 780 S., zahlr. Abb. (= Potsdamer Studien, 9). 229 Wie die Aktenkunde entstand. Zur Disziplingenese einer Historischen Hilfswissenschaft und ihrer weiteren Entwicklung im 20. Jahrhundert, in: Nr. 229, S. 439–461. Vgl. Nr. 243, 290. 230 Wissenschaftsfördernde Institutionen im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Beiträge der gemeinsamen Tagung des Lehrstuhls für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 18.–20. Februar 1999, hrsg. von Rüdiger vom Bruch und E.H., Berlin 1999, 214 S. (=Dahlemer Archivgespräche, 5). 231 Auslandsbeziehungen der Kaiser-Wilhelm- / Max-Planck-Gesellschaft im Überblick (1911–1998) mit einem Anhang von Dirk Ullmann, in: Nr. 231, S. 95–118 232
680
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Zum 50. Band des Jahrbuchs für brandenburgische Landesgeschichte und Inhaltsübersicht 1991–1998. Mit Wolfgang Neugebauer, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 50 (1999), S. 7–11 233 In memoriam Alfred Friedel Wolfert, in: Herold Vierteljahrsschrift N. F. 15 (1999), S. 181–183 234 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Jahresbericht 1998, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1999, S. 883–886 (Hauptband) u. S. 515 (Veröffentlichungsband). 235 Rez. Lothar Noack/Jürgen Splett: Bio – Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 9 (1999), S. 246–247. Vgl. Nr. 218. 236 Rez. Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Festschrift für Lieselott Enders, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands N. F. 45 (1999), S. 369–370. Vgl. Nr. 218. 237 Rez. Friedrich II. und die europäische Aufklärung, Hrsg. Von Martin Fontius, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 50 (1999), S. 247. 238 Rez. Dorothee Geßner/Hannelore Röhm: Schlösser und Gärten in Potsdam, Bibliographie, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 50 (1999), S. 248 239 Rez. Karl Schmid: Geblüt, Herrschaft, Geschlechtsbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter, in: Herold-Jahrbuch N. F. 4 (1999), S. 258–259 240 Rez. Christa Mache: Beiträge zur Geschichte der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“, in: Herold-Jahrbuch N. F. 4 (1999), S. 246– 247 241 Rez. Petra Hauke: Spezialbibliotheken in Deutschland, Band 4: Geschichte, Historische Hilfswissenschaften, in: Herold-Jahrbuch N.F. 4 (1999), S. 259– 261 242
2000 Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen. Mit einem Verzeichnis der Veröffentlichungen von E. H., S. 366–382, Köln 2000, 382 S., Abb. Vgl. Nr. 290. 243
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems. Berlin 2000, 192 S., Abb. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 13). 244 Vom Nutz und Frommen der Historischen Hilfswissenschaften. Beiträge der gemeinsamen Tagung des Herold mit seiner Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ anlässlich ihres fünfjährigen Bestehens am 5. Oktober 1999 im Museum Europäischer Kulturen, hrsg. von Friedrich Beck und E. H. Neustadt/Aisch 2000, 118. S. (= Herold-Studien, 5). 245 Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen!, in: Nr. 245, S. 11–22. 246 Das Preußische Geheime Staatsarchiv zwischen Krieg und Frieden, AprilMai 1945. Augenzeugenberichte von Joachim Lachmann und Paul Freudenberg, in: Archivarbeit für Preußen, hrsg. von Jürgen Kloosterhuis. Berlin 2000, S. 441–471 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 2). Vgl. Nr. 402. 247 Verleihung der Bardeleben-Medaille des Herold an Hanns Jäger-Sunstenau am 12. Februar 2000, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 15 (2000), S. 200– 202 (m. Bild). 248 Editorial zur Würdigung von Professor Hubert Laitko anlässlich seines 65. Geburtstages, in: Dahlemer Archivgespräche 6 (2000), S. 5–6. 249 Tätigkeitsbericht des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 1999, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 2000, S. 887–892 (Hauptband) und S. 515 (Veröffentl. Bd.). 250 Rez. von Académie Internationale d’Héraldique: Mémorial du Jubilé 1949– 1999, bearb. von Roger Harmignies, Brüssel 1999, in: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 227. 251 Rez. von Vaclav Vok Filip: Einführung in die Heraldik, Stuttgart 2000, in: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 239–240. 252 Rez. von Hanns Jäger-Sunstenau: Schaupla(t)z Hoher Ritterorden, Neustadt/A. 1999, in: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 248. 253 Rez. von Peter Rück: Fachgebiet Historische Hilfswissenschaften, Marburg/L. 2000, in: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 257–259. 254
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Rez. von Volkmar Weiss: Die IQ-Falle, Intelligenz, Sozialstruktur und Politik, Graz 2000, in: Herold-Jahrbuch N.F. 5 (2000), S. 266–267. 255 Rez. von Reinhart Strecke: Anfänge und Innovation der preußischen Bauverwaltung von David Gilly zu Karl Friedrich Schinkel, Köln 2000, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 51 (2000), S. 221–222. 256
2001 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung, 12. aktualisierte und ergänzte Auflage, bearbeitet und herausgegeben von Wolfang Ribbe und E. H. Neustadt/Aisch 2001, 679 S. – Darin von E. H.: Familie und Gesellschaft, S. 75–84; Kirchenbücher, S. 117–135; Bürgerbücher, S. 186–231; Selbstzeugnisse, S. 371–373; Deutsche und lateinische Berufsbezeichnungen, S. 544– 552; Titulaturen, S. 559–564. Vgl. Nrn. 38, 68, 151, 191, 315. 257 Hanns Jäger-Sunstenau 90 Jahre, in: Genealogie 25 = 50 Jg. (2001), S. 794– 795 (m. 2 Abb.). 258 Tätigkeitsbericht des Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 2000, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 2001, S. 841–846 u. Veröffentlichungen als CD-Anlage. 259 Grußbotschaft, in: 50 Jahre Böhlau-Verlag 1951–2001. Köln 2001, S. 21.
260
Rez. von Arbeiten aus dem Marburger Hilfswissenschaftlichen Institut, hrsg. von Erika Eisenlohr und Peter Worm. Marburg/L. 2000, in: HeroldJahrbuch N.F. 6 (2001), S. 215–216. 261 Rez. von Olaf Hähner: Historische Biographik. Frankfurt/M. 1999, in: Herold-Jahrbuch N.F. 6 (2001), S. 231–232. 262 Rez. von Medaillensammlung, bearb. von Jochen Klauß. Berlin u. Weimar 2000, in: Herold-Jahrbuch N.F. 6 (2001), S. 239–240. 263 Rez. von XXVII. FIDEM 2000. Internationale Medaillenkunst. Ausstellungskatalog, bearb. von M. Heidemann. Berlin u. Weimar 2000, in: HeroldJahrbuch N.F. 6 (2001), S. 229–230. 264 Rez. der Bürgerrolle der Stadt Teltow bei Berlin 1500–1888, hrsg. von Peter Bahl. Neustadt/Aisch 2000, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 52 (2001), S. 200 265
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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2002 Brandenburgisches Biographisches Lexikon (BBL). Herausgegeben von Friedrich Beck und E. H. in Verbindung mit Kurt Adamy, Peter Bahl und Detlef Kotsch. Potsdam 2002, 450 S. (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission, 5). Darin Beiträge über Bernhard v. Barsewisch (S. 35), Berthold VII. Graf v. Henneberg (S. 452), Heinrich van de Loo (S. 261), Friedrich Meinecke (S. 276), Otto Heinrich Meisner (S. 277–278), Ulrich Stutz (S. 388–389) und Gottfried Wentz (S. 415). 266 Dahlem – Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft im „deutschen Oxford“. Dahlem – Domain of Science. A Walking Tour of the Berlin Institutes of the Kaiser Wilhelm/Max Planck Society in the „German Oxford“, mit Marion Kazemi, 3. Aufl. Berlin 2002, 254 S. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 16). Vgl. Nr. 178, 221, 357. 267 Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, hrsg. von E. H. gemeinsam mit Rüdiger vom Bruch, ab Band 3, Stuttgart 2002– 2005. 268 Editorial zu Ulrich Sucker: Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie. Seine Gründungsgeschichte und wissenschaftstheoretische Voraussetzungen (1911– 1916), Stuttgart 2002, S. 5–6 (= Pallas Athene, 3). 269 „Man will in den hervorragenden Stellen keinen Juden ...“. Ein unveröffentlichter Brief des späteren Nobelpreisträgers Fritz Haber aus dem Jahre 1905 an Martin Freund, in: Chemie – Kultur – Geschichte. Festschrift für Hans-Werner Schütt anlässlich seines 65. Geburtstages, hrsg. von Astrid Schürmann und Burghard Weiß. Berlin und Diepholz 2002, S. 187–193, 1 Abb. 270 Das Harnack-Haus. Vom „Hotel der Gelehrten“ zum Offizierskasino der Amerikaner, in: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Brigitte Kaderas. Stuttgart: Franz Steiner 2002, S. 20–23 mit 1 Abb. 271 Begegnung mit Reiner Groß, in: Landesgeschichte und Archivwesen, Festschrift für Reiner Groß zum 65. Geburtstag, hrsg. von Renate Wißuwa, Gabriele Viertel und Nina Krüger. Dresden 2002, S. XI–XII. 272
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Präsidentenwechsel in der Académie Internationale d’Héraldique, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 16 (2002), S. 140–141. 273 Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Jahresbericht 2001, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 2002, S. 829–833. 274
2003 Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Friedrich Beck und E. H. 3. überarbeitete und erweiterte Aufl. Köln: Böhlau 2003, 405 S., – Darin eigene Beiträge : Einleitung S. 1–6, Selbstzeugnisse S. 119–127, Anreden und Titel S. 231–244, Wappen S. 307–318. Vgl. Nr. 182, 289, 394. 275 Preußische Diplomaten im 19. Jahrhundert. Biographien und Stellenbesetzungen der Auslandsposten 1815–1870. Von Johann Caspar Struckmann unter Mitarbeit von E. H. Berlin 2003, 450 S. 276 Führer durch das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Anläßlich des 25jährigen Jubiläums 1878–2003 unter Beteiligung aller Mitarbeiter neu bearb. von E. H., 3. Aufl. Berlin 2003 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 17). Vgl. Nr. 133, 164, 303. 277 Die Historischen Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre. Beiträge der gemeinsamen Tagung des Herold mit seiner Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften am 4. Juni 2002 im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem. Professor Dr. Friedrich Beck anlässlich seines 75. Geburtstages gewidmet. Hrsg. von E. H. und Regina Rousavy. Neustadt/Aisch 2003, 144 S. (= Herold-Studien, 6). 278 Fahnen oder Flaggen? Zur Bedeutung zweier vexillologischer Termini, in: Die Historischen Hilfswissenschaften in Forschung und Lehre. Hrsg. von Eckart Henning und Regina Rousavy. Neustadt/Aisch 2003, S. 66– 77. 279 Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, 1) in: Archive und Forschung, Referate des 73. Deutschen Archivtags 2002 in Trier, hrsg. vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare. Redaktion: Robert Kretzschmar. Siegburg 2003, S. 59–69 (= Der Archivar, Beibd. 8); 2) u.d.T.: Die aktuelle Lage ... in Deutschland, in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 85–92 (redigierte Fassung des vorgen. Vortrags). 280
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Zehn Bände Herold-Jahrbuch. Von E.H. und Peter Bahl, in: Herold Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 85–92. 281 Professor Dr. Gerhard Sprenger wurde Siebzig, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 104 (2003), S. 92. 282 Professor Dr. Niklot Klüßendorf, Korrespondierendes Mitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 16 (2003), S. 315–316. 283 Leserbrief: „Schillerhäuschen“ / Ode an die Traurigkeit, in: Sächsische Zeitung vom 19./20. Juli 2003, Seite 17. 284 Rez. Generalregister zur Deutschen Wappenrolle 1920–2001, hrsg. vom Herold, bearb. vom Herolds-Ausschuss für die DWR, 3. Aufl. Neustadt/Aisch 2003, in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 219–220. 285 Rez. Andreas Gestrich: Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 220–221. 286 Rez. Dietrich Herfurth: Der Informationsgehalt von Orden und Ehrenzeichen, Phil.Diss. Humboldt-Univ. 1991, Berlin 2003, in: Herold-Jahrbuch N:F. 8 (2003), S. 223–225. 287 Rez. Das älteste Tübinger Ehebuch 1553–1616. Textedition und Register, hrsg. von Siegwalt Schiek et al., Stuttgart 2000, in: Herold-Jahrbuch N.F. 8 (2003), S. 209, nachgedruckt in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 121 (2004), S. 795–796. 288
2004 Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Friedrich Beck und E. H. 4., durchgesehene Auflage Köln 2004, 405 S. (= Universitätstaschenbücher, 8273). Vgl. 182, 275, 289, 394. 289 Auxilia historica. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen. 2., stark erweiterte Auflage. Köln 2004, 484 S. 290 Gerhard Enders: Archivverwaltungslehre. Nachdruck der 3. durchgesehenen Auflage, eingeleitet von E. H. und Gerald Wiemers, Vorwort von Lieselott Enders. Leipzig Universitätsverlag 2004, 240 S. 291
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems. 2., erweiterte Auflage Berlin 2004, 254 S., Abb. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 13). 292 Wissen, Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. Aus der Sicht des zentralen Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 1) in: E. H., Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems. 2., erweiterte Auflage Berlin 2004, S. 199–220 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 13). 2) In: Aus Wissenschaftsgeschichte und – theorie. Hubert Laitko zum 70. Geburtstag, überreicht von Freunden, Kollegen und Schülern. Hrsg. von Horst Kant und Annette Vogt. Berlin 2005, S. 51–73.Vgl. 3) in: Nr. 359. 293 Adolf v. Harnacks Amtskette als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, in: Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 16 = 47. Jg. (2004), S. 418–423, 2 Abb.; dass. in: E.H., Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems, 2. erw. Aufl.Berlin 2004, S. 42–48 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 13); dass. in: Orden und Ehrenzeichen 37 (2005), S. 2–4. 294 Max Planck – ein „armer Wirrkopf“ als Kollaborateur der Nazis?, in: 1) „Immer im Forschen bleiben“. Rüdiger vom Bruch zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Marc Schalenberg und Peter Th. Walther. Stuttgart 2004, S. 351– 371, m. 2 Abb.; 2) in: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems, 2., erweiterte Aufl. Vgl. Nr. 292, S. 69–93, m. 3 Abb. u. 3) in: Nr. 373. 295 „Heiße Magister, heiße Doktor gar...“Aktuelle hilfswissenschaftliche Anmerkungen zu akademischen Titeln, 1) in: Fundamenta historiae. Geschichte im Spiegel der Numismatik und ihrer Nachbarwissenschaften. Festschrift für Niklot Klüßendorf zum 60. Geburtstag am 10. Februar 2004. Hrsg. von Reiner Cunz in Verbindung mit Rainer Polley und Andreas Röpcke. Hannover 2004, S. 411–424; 2) in: Dahlemer Archivgespräche 10 (2004), S. 22–44; 3) in: Auxilia historica, 2., stark vermehrte Aufl., S. 152–174 vgl. Nr. 290; 4) in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 2005, S. 113–134. 296–297–298 Zehn Jahre Fachgruppe „Historische Hilfswissenschaften“ in Berlin (19942004), in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 8 (2004), S. 65–71. 299 Phaleristik als Lehrfach, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 16 = 47. Jg. (2004), S. 345–354. 300
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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Von Anno bis Adenauer. Professor Dr. Toni Diederich, Korrespondierendes Mitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 16 = 47. Jg. (2004), S. 484–486. 301 Rez. Genealogie und Genetik. Schnittstelle zwischen Biologie und Kulturgeschichte, hrsg. von Sigrid Weigel. Berlin 2002, in: Herold-Jahrbuch N.F. 9 (2004), S. 217–218 302
2005 Führer durch das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Anläßlich seines 25jährigen Jubiläums 1978-2003 unter Beteiligung aller Mitarbeiter neu bearb. von Eckart Henning. 2., durchgesehene Aufl. Berlin 2006, 184 S. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der MaxPlanck-Gesellschaft, 17). Vgl. Nr. 133, 164, 277. 303 Die Harnack-Medaille der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1924–2004. Mit Marion Kazemi. Berlin 2004, 174 S. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der MaxPlanck-Gesellschaft, 19). Vgl. Nr. 303 304 „Veni creator spiritus“ Die Harnack-Medaille als höchste Auszeichnung der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft 1924–2004, in: Herold-Jahrbuch N.F. 10 (2005) S. 109–126; desgl. in: Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2006, S. 90–103, m. 12 Abb. 305 Archive und Gedächtnis. Festschrift für Botho Brachmann. Hrsg. von Friedrich Beck, Eckart Henning, Susanne Paulukat und Olaf B. Rader. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 2005, 738 S. (= Potsdamer Studien, 18; zugl. Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts, 8). 306 Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde, in: Archive und Gedächtnis, S. 277–297, in Nr. 306. 307 Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften, in: Zehn Jahre Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften. Eckart Henning gewidmet zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Peter Bahl, Friedrich Beck, Regina Rousavy und Waldemar Schupp. Neustadt/Aisch: Degener 2005, S. 139–142. 308 Genealogie, in: Historische Hilfswissenschaften, Stand und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Toni Diederich und Joachim Oepen. Köln: Böhlau 2005, S. 89–106. 309
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Hubert Laitko zum 70. Geburtstag. Mit Horst Kant und Annette Vogt, in: NTM. Neue Serie 13 (2005), S. 46–47. 310 (Vorbemerkung zu einem posthum veröffentlichten Manuskript von AdolfHenning Frucht über:) Fritz Haber und die Schädlingsbekämpfung während des 1. Weltkrieges und in der Inflationszeit, in: Dahlemer Archivgespräche 11 (2005), S. 141–142 (–158) 311 (Vorbemerkung zur Dokumentation:) Albert Einstein über Max Planck, Fünf Texte von 1913–1952, zusammengestellt von E. H., in: Dahlemer Archivgespräche 11 (2005), S. 207–209 (–225). 312 Jubilar und Jahrbuch, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 106 (2005), Nr. 2, S. 57–58. 313 Rez. Jörg Nimmergut; Deutsche Orden und Ehrenzeichen, 5 Bände. München 1997–2004, in: Herold-Jahrbuch N.F. 10 (2005), S. 228–229. 314 Rez. Bibliographie zur Medaillenkunde 1990–2003, bearb. von Martin Heidemannn. Berlin 2004, in: Herold-Jahrbuch N.F. 10 (2005), S. 218–219. 315
2006 Taschenbuch für die Familiengeschichtsforschung. Mit CD-ROM-Teil. 13., überarbeitete Auflage von Wolfgang Ribbe und Eckart Henning. Insingen: Degener 2006, 350 S. u. getr. Pag. Vgl. Nrn 38, 68, 151, 191 u. 257 316 Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde. Mit Bibliographie und einem Verzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzungen. Berlin: J. A. Stargardt 2006, 61 S., 15 Abb. Vorabdruck, nicht illustriert in: Autographen aus allen Gebieten. Auktion am 21.und 22. März 2006 der Firma J. A. Stargardt. Berlin: Selbstverlag 2006, S. I–XII (= Katalog 683). Vgl. dazu Erstveröffentlichung Nr. 307. 317 Missbrauch akademischer Titel, in: Die Kunst des Vernetzens. Festschrift für Wolfgang Hempel, hrsg. von Botho Brachmann Helmut Knüppel, JoachimFelix Leonhardt und Julius H. Schoeps. Berlin 2006, S. 301–316 (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts, 9). 318 Einstein in Dahlem, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung 107 (2006), Nr. 3, S. 77–79, m. Abb. 319
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XXVII. International Congress of Genealogical and Heraldic-Sciences, St. Andrews / Scotland, 21.-26. August 2006, in: Genealogie 28 = 55. Jg. (2006), S. 378–379. Desgl. in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 49. Jg. (2006), S. 120–121. 320 25 Jahre Verein der Förderer der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee 1981–2006, in: Mitteilungen der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee, September u. Oktober 2006, S. 4–5 bzw. S. 4–6. 321 Am Wendepunkt. Ansprache von E.H. anlässlich seiner Verabschiedung als Direktor des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft am 1. Februar 2006 im Otto-Warburg-Haus, Berlin-Dahlem, in: Dahlemer Archivgespräche 12 (2006), S. 304–313. 322 Dietrich Herfurth, Korrespondierendes Mitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 49. Jg. (2006), S. 51–53 m. Abb. 323 In memoriam Karl-Christoph Graf v. Rothkirch, Freiherr zu Trach, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 49. Jg. (2006), S. 87–88, m. Abb. 324 In memoriam Dr. Hans-Ulrich Freiherr v. Ruepprecht, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 49. Jg. (2006), S. 123–125. 325 Rez. Johann Heinrich Barth: Genealogisch-Etymologisches Lexikon. Reichelsheim 2006, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung H.3/2006, S. 237– 238. 326 Rez. Georg Scheibelreiter: Heraldik, in: Genealogie 28 = 55. Jg. (2006), S. 381. 327 Rez. Georg Vogeler (Hrsg.): Geschichte „in die Hand genommen“. Die geschichtlichen Hilfswissenschaften zwischen Historischer Grundlagenforschung und methodischen Herausforderungen. München 2005, in: HeroldJahrbuch N.F. 11 (2006), S. 239. 328 Rez. Astrid v. Pufendorf : Die Plancks. Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand. Berlin 2006, in : Herold-Jahrbuch N.F. 11 (2006), S. 252– 254. 329 Rez. Inventar zur Geschichte der preußischen Bauverwaltung 1723–1848, bearb. von Christiane Brandt-Salloum et al. Berlin 2005, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 57 (2006), S. 226–227. 330
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Rez. Bibliographie Friedrich Wilhelms I., Schrifttum von 1688-2005, bearb. von Gabriele Jochums. Berlin 2005, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 57 (2006), S. 227–228. 331 Rez. Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. 2., unveränderte Aufl. Regenstauf 2006, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 49. Jg. (2006), S. 116. 332
2007 Nikolassee. Vom Vorort Berlins zum Ortsteil Zehlendorfs. Ausgewählte Beiträge von E. H. Hrsg. für den Verein der Förderer der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee anlässlich seines 25jährigen Bestehens (1981– 2006). Berlin: Stapp 2007, 168 S., zahlr. Abb. 333 „Das Unsichtbare sinnfällig machen“. Zur Erinnerung an Percy Ernst Schramms „Herrschaftszeichen“. Eröffnungsreferat zum Xanten-Colloquium der Internationalen Akademie für Heraldik am 3. September 2007 im Rathaus. Vorabdruck im: Herold-Jahrbuch N.F. 12 (2007), S. 51–60. 334 Genealogie. Standortbestimmung und Perspektiven, in: Genealogie 28 = 56 Jg. (2007), H. 4, S. 715–730 (= Sondernr. für Dr. Hermann Metzke zum 70. Geburtstag am 21.12.2007), zugl. Eröffnungsreferat zum 59. Deutschen Genealogentag in Ludwigshafen. Ältere Fassung vgl. Nr. 309 und jüngere 348. 335 Anerkennung und Aberkennung akademischer Titel. Missbrauchsformen im Spiegel der Presse, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 2007, S. 141–158. Ältere Fassung vgl. Nr. 317. 336 Gottfried Wentz – „ein Stiefkind des Glücks?“ Zu den Brandenburg – Bänden der Germania sacra, ihrem Bearbeiter und dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Deutsche Geschichte, in: Dahlemer Archivgespräche 12 (2006), erschienen 2007, S. 11–13, m. Bild. 337 „Der Listenreiche“. Zum 60. Todestag des märkischen Archivars Reinhard Lüdicke am 22. Juli 2007, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 58 (2007), S. 161–173, Abb. 338 25 Jahre Verein der Förderer der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee (1981–2006), hrsg. von Gisela Murken. Berlin 2007, 12 S., 17 farb. Abb. 339
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Geleitwort zu Friedrich Beck / Lorenz Friedrich Beck: Die lateinische Schrift. Schriftzeugnisse aus dem deutschen Sprachgebiet vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln: 2007, S. XI–XII. 340 Laudatio zur Verleihung des von-Hessenthal-Preises 2007 an Dr. Dietrich Herfurth, Berlin, in: Orden und Ehrenzeichen 9. Jg. (2007), H. 52, S. 51– 52. 341 Hermann Metzke 70 Jahre, in: Der Herold. Vierteljahrsschrift N.F., Dez.Heft 2007, S. 247–248. 342 Fontane – Plakette für Wolfgang Stapp, in: Mitteilungen der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 108 (2007), Nr. 2, S. 51–52. 343 In memoriam Theodor Ritter v. Barchetti, in: Der Herold. Vierteljahrsschrift N.F. 17 (2007), S. 186–187. 344 In memoriam Dr. Kurt Trumpa, in: Mitteilungen der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg 108 (2007), Nr. 3, S. 90–91. 345 Rez. Dietrich Herfurth: Der Nationalpreis der DDR, in: Herold-Jahrbuch N.F. 12 (2007), S. 246. 346 Rez. David Thimme: Percy Ernst Schramm und das Mittelalter, in: HeroldJahrbuch N.F. 12 (2007), S. 257–259. 347
2008 Genealogie. Standortbestimmung und Perspektiven aus deutscher Sicht, in: Genealogica et Heraldica. Myth and Propaganda in Heraldry and Genealogy. Proceedings of the XXVII. International Congress of Genealogical and Heraldic Sciences, 21.–26. August 2006 St. Andrews / Scotland, 2 Bde. Edinburgh 2008, Bd. I, S. 337–352. – Dass. in einer erweiterten und durch 6 graphische Darstellungen ergänzten Fassung ohne den Titelzusatz „aus deutscher Sicht“ erschienen, in: Wo lebten unsere Vorfahren? Ortsbezüge in der Genealogie. 59. Deutscher Genealogentag Ludwigshafen. Insingen: Degener & Co. 2008, S. 9–34. Vgl.ältere Fassungen unter Nrn. 309, 335. 348 Max Planck im „Dritten Reich“, in: Max Planck und die Max- Planck-Gesellschaft zum 150. Geburtstag am 23. April 2008. Aus den Quellen zusammengestellt vom Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, hrsg. von Lorenz Friedrich Beck. Berlin 2008, S. 35–60 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Max-
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Planck-Gesellschaft, 20). Vgl. Nr. 373 mit der überarb. und einem Epilog 2007/2008 versehenen Fassung. 349 Joannis Viennensis †, in: Herold, Vierteljahrsschrift N.F. 17 = 51. Jg. (2008), S. 309–313 mit 3 Abb. Dass. nachgedr. in: Genealogie 29 = 57. Jg. (2008), S. 97–102 m. weiteren Abb. 350 Verleihung der Johann-Christoph-Gatterer-Medaille [an Rudolf Lenz], in: Genealogie 29 = 57. Jg. (2008), S. 377. 351 Rez. von Ullmanns Archiv Quiz. 150 Fragen & Antworten rund um das Archivwesen. Von Dirk Ullmann. Berlin 2008, in: Der Archivar 61 (2008), S. 436. 352 Rez. von Manfred Stoy: Das österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929–1945. München 2007, in: Herold –Jahrbuch N.F. 13 (2008), S. 285–286. 353 Rez. von Werner Heegewaldt: Das Uckermärkische Archiv von Hans Wendt. Marburg 2007, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 59 (2008), S. 255–256. 354 Rez. von Herbert M. Gutmann. Bankier in Berlin, Bauherr in Potsdam, Kunstsammler, hrsg. von Vivian J. Rheinheimer. Leipzig 2007, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 59 (2008), S. 250–253. 355 Rez. Dahlemer Erinnerungsorte, hrsg. von Jessica Hoffmann et al. Mit einem Nachwort von Wolfgang Wippermann. Berlin 2007, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 59 (2008), S. 240–243. 356
2009 Dahlem – Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft im „deutschen Oxford“ von Eckart Henning und Marion Kazemi. 4., erweiterte und aktualisierte Auflage. Berlin 2009, 208 S., 205 Abb., 1 Kte (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, 16/I). Vgl. Nrn. 178, 221, 267. 357 Dahlem – Domain of Science. A walking tour of the Berlin institutes of the KaiserWilhelm / Max Planck Society in the „German Oxford“. Von Eckart Henning and Marion Kazemi. 4th., expanded and updated edition. Berlin
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2009, 202 pp., 205 Abb., 1 Kte. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, 16/II). Vgl. Nr. 221, 267. 358 Wissen, Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. Aus der Sicht des zentralen Archivs der Max-Planck-Geschichte, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 2008 [erschienen 2009], S. 141–163. Vgl. Nr. 244 u. 293. 359 Hennings „HiWi“ – Test. 175 Fragen & Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften. Mit 10 Thesen über die Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften. Berlin: BibSpider 2009, 134 S., zahlr. Abb. Vgl. Nr. 384. 360 Die Phaleristik und ihre Nachbarwissenschaften, in: Herold-Jahrbuch N.F. 14 (2009), S. 89–99, desgl. als Vortrag Altenburg/Thür. 2011 mit 11 farb. Abb., aber ohne Anmerkungen u. Nachweise, in: Orden und Ehrenzeichen, Jahrbuch 2012, S. 31–37 361 Adlers Fittiche. Wandlungen eines Wappenvogels, in: Herold Vierteljahrsschrift N. F. 17 = Jg. 51 (2008), S. 358–364. 362 Wappen heute – Zukunft der Heraldik? / Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze (mit Lorenz Beck), in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 17 = Jg. 52 (2009), S. 459–460, abgedr. desgl. in: Genealogie 29 = 58. Jg. (2009), S. 562–563, desgl. in: Adler, Zeitschrift für Genealogie und Heraldik 25 = Jg. 39 (2009), S. 142–144, kommentiert von Michael Göbl, desgl. in: Orden und Ehrenzeichen 11 (2009), H. 64, S. 352–353 kommentiert von Dietrich Herfurth. 363 Das Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte und ihre Herausgeber (1950–2000/2001), in: Die Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg in Vergangenheit und Gegenwart. Aus Anlaß des 125jährigen Bestehens bearb. u. hrsg. von Peter Bahl. Berlin 2009, S. 223–234 (= Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung, N.F. 2). 364 Superintendent Siegfried Eggebrecht (1886–1984). Letzter Schriftführer des früheren Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins (bis 1945), in: Jahrbuch 2009 des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins, S. 9–15, m. Frontispiz-Porträt. 365 Verleihung der Johann-Christoph-Gatterer-Medaille an Dr. Hermann Metzke, in: Genealogie 29 = 58. Jg. (2009), H. 4, S. 766–767.
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Rez. von Georg Scheibelreiter: Wappenbild und Verwandtschaftsgeflecht. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Forschungen zur Heraldik und Genealogie, Wien 2009, in: Herold-Jahrbuch N.F. 14 (2009), S. 269–270. 367 Rez. Archiv der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg und seine Bestände, bearb. von Pater Bahl. Frankfurt/Main 2009, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 60 (2009), S. 204–205. 368 Rez. von Hermann Schreyer: Das staatliche Archivwesen der DDR. Ein Überblick. Düsseldorf 2008, in: Jahrtbuch für brandenburgische Landesgeschichte 60 (2009), S. 245–246. 369 Rez. Familienarchive und Nachlässe im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, ein Inventar, bearb. von Ute Dietsch. Berlin 2008, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 60 (2009), S. 219–220. 370
2010 Orden und Ehrenzeichen. Handbuch der Phaleristik. Mit Dietrich Herfurth. Köln: Böhlau 2010, 362 S., zahlr. meist farb. Abb. 371 Repetitorium heraldicum. 150 Fragen und Antworten zur Wappenkunde. Berlin: BibSpider 2010, 112 S., div. s/w.-Abb. 372 „Bambusstrategie“ – Max Planck in der NS-Zeit. Mit einem Epilog 2007/ 2008 zu Neuerscheinungen, in: Acta Historica Leopoldina, Reihe Vorträge und Abhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte 55 (2010), S. 51–74. Vgl. Nr. 295. 373 Tagungsstätte Harnack-Haus, in: Denkorte. Max-Planck-Gesellschaft und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Brüche und Kontinuitäten 1911–2011. Dresden 2010, S. 185–194, m. Abb. 374 Der „doppelte“ Herold. Ottfried Neubecker und Jürgen Arndt – Zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Heraldik im 20. Jahrhundert, in: HeroldJahrbuch N.F. 15 (2010), S. 7–22, desgl. aber ohne Anmerkungen u. Nachweise in: Genealogica & Heraldica. Identität in Genealogie und Heraldik. Stuttgart 2012, S. 314–325 (= Interkongreß für genealogische u. heraldischeWissenschaften, 29) und in: Genealogie und Migration in wechselnder Heimat, hrsg. vom Genealogischen Kreis Siemens Erlangen 2013, S. 57–66 [Vortrag vom 10. Sept. 2011 beim 63. Deutschen Genealogentag]. 375
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„Das Unsichtbare sinnfällig zu machen“. Zur Erinnerung an Percy Ernst Schramms „Herrschaftszeichen“, in: Herrschaftszeichen und Heraldik. Beiträge zum 15. Kolloquium der Internationalen Akademie für Heraldik Xanten 2007, hrsg. von Rolf Nagel. Duisburg u. Essen 2010, S. 9–25 (= Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins, Sonderbd.). Vgl. Vorabdr. Nr. 333. 376 Geleitwort zu Jörg Nimmergut: Bibliographie zur deutschen Phaleristik. Unter Mitarbeit von Heiko von der Heyde, Anke Nimmergut u. Gerd Scharfenberg. Regenstauf: Battenberg 2010, 726 S., hier: S. 37–38. 377 Wolfgang Ribbe erhält die Gatterer-Medaille, in: Genealogie 30 = 59. Jg. (2010), S. 366, desgl. in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = 53. Jg. (2010), S. 141 (m. Bild). 378 In memoriam Szabolcz de Vajay, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = 53. Jg. (2010), S. 145. 379 Rez. Quellenarbeit und Schriftgutverwaltung – Historische Hilfswissenschaften im Kontext archivischer Aufgaben. Marburg 2009, in: Herold-Jahrbuch N.F. 15 (2010), S. 301–303. 380 Rez. von Michael Hochedlinger: Aktenkunde. Wien 2009, in: Herold-Jahrbuch N.F. 15 (2010), S. 294–295. 381 Rez. von Michael Göbl: Neuer Kronen-Atlas. Schleinbach 2009, in: HeroldJahrbuch N.F. 10 (2010), S. 292–293. 382
2011 Chronik der Kaiser-Wilhelm-/Max-Plank-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911–2011. Daten und Quellen. Mit Marion Kazemi. Berlin: Duncker & Humblot 2011, XII u. 1176 S., zahlr. Abb. (= 100 Jahre KaiserWilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Teil I). 383 Hennings „HiWi“-Test. 125 Fragen & Antworten rund um die Historischen Hilfswissenschaften. Mit 10 Thesen über die Gemeinsamkeiten der Historischen Hilfswissenschaften. 2. verbesserte Aufl. Berlin 2011, 141 S., 27 Abb. Vgl. Nr. 360. 384 Die Ritter des Kgl. Hohen Ordens vom Schwarzen Adler 1908–1918 (1934) nebst Nachrägen für die Jahre 1836–1907 u. einem Generalregister sämtli-
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cher Ordensritter von 1701-1918, sowie Ergänzungen zus. mit Werner Seeger (1973/74), nachgedr. in: Rudolf Graf v. Stillfried-Rattonitz: Die Ritter des Schwarzen Adler-Ordens. 3. Aufl. Berlin 1901. Reprint Kronach 2011, im Anhang 64 S., Abb.(= Editio militaris, Darstellungen zur Militärgeschichte, hg. v. Eike Mohr). Vgl. Nr. 27. 385 Vom Quellenwert der Bilder. Ikonologisch – methodologische Reflexionen, in: Herold – Jahrbuch N.F. 16 (2011), S. 111–130. Vgl. Kurzfassung und ohne Nachweise Nr. 407. 386 Reichstagsheraldik, in. Kleeblatt, Zeitschrift für Heraldik und verwandte Wissenschaften 2012, H. 1, S. 78–88, m. Abb. Vgl. 1. Fassung Nr. 185, 243, 290. 387 Für Sie gelesen. Hans Belting: „Wappen und Porträt“, zwei Medien des Körpers, aus: Bild-Anthropologie, München 2001, S. 115–142, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = 54. Jg. (2011), S. 242. 388 Laudatio auf Prof. Dr. Georg Scheibelreiter, Ehrenmitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = 54 Jg. (2011), S. 210–211. 389 Ein unbekannter Heraldiker? [betr. Gert Oswald]. Mit Dietrich Herfurth, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = 54. Jg. (2011), S. 274–275. 390 Rez. von Werner Paravicini: Die Wahrheit der Historiker. München 2010, in: Herold-Jahrbuch N.F. 16 (2011), S. 283–284. 391 Rez. von Peter P. Rohrlach: Der Vorstand der Streit’schen Stiftung zu Berlin, in: Herold-Jahrbuch N.F. 16 (2011), S. 289–290. 392 Rez. von Angelika Kaltenbach et al.: Denkmale in Berlin, Bezirk SteglitzZehlendorf. Petersberg 2011, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 62 (2011), S. 289–290. 393
2012 Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Hrsg. von Friedrich Beck und E. H., 5., erweiterte u. aktualisierte Aufl. Köln: Böhlau 2012, 468 S., zahlr. farb. u. s/w. Abb. (= UTB, 8273), darin eigene Beitrr.: Einleitung S. 13–21, Selbstzeugnisse S. 135–144, Bilder S. 157–181, Anreden und Titel S. 277–290, Wappen S. 354–365. Vgl. Nr. 182, 275, 289. 394
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Selbstzeugnisse. Quellenwert und Quellenkritik. Berlin: BibSpider 2012, 121 S. 395 Die Entwicklung der Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Gründung bis zur Gegenwart 1946/48–2011, in: Acta historica Leopoldina, Vorträge und Abhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte 2011/2012, Bd. 59 (2012), S. 29–48, desgl. bereits, aber ohne Anmerkungen u. Nachweise, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 2010/2011, S. 147–164. 396 Schöpferische Ungeduld. Geleitwort zu Hermann Metzke: Gedanken zur Genealogie. Ausgewählte Publikationen und Vorträge 1982–2010, Marburg/L. 2012, S. 12–14 (= Schriftenreihe der Stiftung Stoye, 55). 397 Dr. Hermann Metzke zum 75. Geburtstag am 21. Dezember 2012, in: Genealogie H. 4 /2012, S. 290–293, m. Bild. 398 In memoriam Dr. Henning Germer, in: Mitteilungen der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee, April-Heft 2012, S. 6–7 m. Bild. 399 Rez. Martin Gierl: Geschichte als präzisierte Wissenschaft. Johann Christoph Gatterer und die Historiographie des 18. Jahrhunderts (2012), in: HeroldJahrbuch N.F. 17 (2012), S. 290–292. 400 Rez. Armorial Grünenberg 1483. Edition critique (2011), in: Herold-Jahrbuch N.F. 17 (2012), S. 283. 401
2013 Archivalien und Archivare Preußens. Ausgewählte Aufsätze. Mit einem Geleitwort von Jürgen Kloosterhuis. Berlin: Duncker & Humblot 2013, 280 S., 3 Abb. 402 Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker, hrsg. von Friedrich Beck u. Klaus Neitmann, Berlin: be.bra 2013, darin von E. H.: Lüdicke S. 87–96 u. Wentz S. 536–544 (= Brandenburgische Historische Studien, 4). 403 Wertpapiere? Vom materiellen und ideellen Wert der Autographen, in: Aus dem Antiquariat, Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler N.F. 11 (2013), Nr. 5, S. 234–242 und in: Autographensammler 3/2013 = 109. Ausg., S. 55–57 u. Forts. in 4/2013, S. 24–28 m. Autographen-Beigaben. 404
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Der Übergang der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf die Max-Planck-Gesellschaft. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart, in: Akademische und außerakademische Forschung in Deutschland. Tendenzen und Zäsuren eines Jahrhunderts, hrsg. von Karl-Heinz Bernhardt u. Hubert Laitko. Berlin 2013, S. 57–65 (= Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, 34). 405 Die Kaiserliche Botschaft vom 11. Oktober 1910. Rückblick auf die Gründung der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 109 (2013), S. 256–260 m. 2 Abb. 406 Sind Historiker „im Bilde“? Zur Auseinandersetzung der Geschichtswissenschaft mit dem Visuellen, in: Jahrbuch der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft 2013, S. 139–151. Vgl. Nr. 286. 407 Geleitwort zu Armin Wolf: Verwandtschaft – Erbrecht – Königswahlen. Frankfurt/M. 2013, S. V–IX (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 283, 1/2). Zugl. abgedr. als Buchanzeige, in: Herold-Jahrbuch N.F. 18 (2013), S. 307–310. 408 Geleitwort zur Niedersächsischen Wappenrolle, Gesamtausgabe 1910–2012, hrsg. vom Heraldischen Verein „Zum Kleeblatt“ von 1888 zu Hannover, bearb. von Volkmar Tönnies u. Horst-Gunter Ratzke. Hannover 2013, S. 7–9. Zugl. abgedr. in: Festschrift zum Jubiläum 125 Jahre Heraldischer Verein „Zum Kleeblatt“. Hildesheim 2013, S. 17–19 u. als Buchanzeige in: HeroldJahrbuch N.F. 18 (2013), S. 301–303. 409 Laudatio auf Prof. Dr. Robert Kretzschmar [anläßlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied], in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = Jg. 56 (2013), H. 1–2, S. 489–491, m. Bild. 410 In memoriam Dr. Peter Düsterdieck, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = Jg. 56 (2013), H. 3, S. 550–552. 411 Historische Grundwissenschaften in der Praxis (Berliner Sommerschule 2013), in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = Jg. 56 (2013), S. 533 [betr. BBAdW-Veranstaltung im Sept. 2013]. 412 65. Deutscher Genealogentag 2013 in Heidelberg. Bericht mit Alexander Hoffmann, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 18 = Jg. 56 (2013), S. 534– 536. 413 Rez. von Herfurth / Klaus /Klee: Im Zeichen des Weißen Falken, in: Herold-Jahrbuch N. F. 18 (2013), S. 297. 414
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
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2014 Heraldische Geschwister. Geheimrat Warnecke als Vereinsvater von „Herold“ (1869) und „Kleeblatt“ (1888), in: Kleeblatt, Zeitschrift für Heraldik und verwandte Wissenschaften 1/2014, S. 7–19, m. Abb. 415 „Bacillus heraldicum“ – Diagnose und Therapie. Rückblick auf die Heraldikertreffen des Herold 1970–1990, in: Herold-Studien 9 (2014), S. 13–26. 416 Berliner Erklärung des Herold über heraldische Gestaltungsgrundsätze, für den Herolds-Ausschuß für die Deutsche Wappenrolle gezeichnet von Lorenz Beck u. für die Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften von Eckart Henning, in: Herold-Studien 9 (2014), S. 173–174. 417 40 Tagungen der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften des Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Berlin 1994–2013, in: Herold-Studien 9 (2014), S. 175–182. 418 Thekla Kluttig, Korrespondierendes Mitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N.F. 19 = Jg. 57 (2014), S. 58–60. 419 Michael Göbl, Korrespondierendes Mitglied des Herold, in: Herold Vierteljahrsschrift N. F. 19 = Jg. 57 (2014), S. 56–58. 420 Wechsel an der Spitze des Vereins der Förderer der Ev. Kirchengemeinde Nikolassee, in: Gemeindebrief Nikolassee, Juni 2014, S. 18. 421
2015 Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft 1911–2011. Daten und Quellen. Mit Marion Kazemi. Berlin: Duncker & Humblot 2015, ca. 1500 S. (= 100 Jahre Kaiser-Wilhelm-/Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Teil II) [im Druck]. 422 Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Von ihrer Gründung bis zur Liquidation (1911–1960), in: Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte [im Druck]. 423 Von der Fahne gegangen. Rückblick auf meine Dienstzeit im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 1970–1983, in: Festschrift für Jürgen Kloosterhuis zum 65. Geburtstag. Berlin: Duncker & Humblot 2015 [im Druck]. 424
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Verzeichnis der Veröffentlichungen von Eckart Henning
Ein systematisches Schriftenverzeichnis, gegliedert in 1. Monographische und herausgegebene Schriften, 2. Artikel in periodischen und anderen Schriften, 3. Beiträge zu wissenschaftlichen Sammelwerken und Lexica und 4. Rezensionen und Berichte, bearb. von Heinrich Parthey, ist anlässlich des 60. Geburtstages von E. H. erschienen in: Wissenschaftsforschung, Jahrbuch 5 (2000), S. 203–224. Kurzinformationen enthalten u. a.: Kürschners Deutscher Gelehrten Kalender, 27. Ausg., München 2014 und Wer ist wer?, 53. Ausg. Lübeck 2014/2015.
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DIE ARCHIVALISCHEN QUELLEN MIT EINER EINFÜHRUNG IN DIE HISTORISCHEN HILFSWISSENSCHAFTEN (UTB 8479 L)
Für die Studierenden aller Disziplinen der Geschichtswissenschaft sowie für alle, die in Archiven forschen, und für gelegentliche Archivbenutzer, aber auch für angehende Archivare bildet das vorliegende Werk ein wichtiges Arbeits- und Ausbildungsmittel. Mit dieser Einführung, die jetzt in erweiterter und aktualisierter Neuauflage vorliegt, geben namhafte Archivare und Historiker in knapper und übersichtlicher Form unentbehrliche praktische Anleitungen und Handreichungen zur Benutzung archivalischer Quellen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 5., ERWEITERTE UND AKTUALISIERTE AUFLAGE 2012. 468 S. 131 S/W- U. 10 FARB. ABB. BR. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-8252-8479-4
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BD. 1 | GEORG SCHEIBELREITER HERALDIK 2. AUFLAGE 2014. 222 S. 280 S/W- U. 92 FARB. ABB. BR. ISBN 978-3-205-78433-3 [A] ISBN 978-3-486-59124-8 [D] BD. 2 | WALTER KOCH INSCHRIFTENPALÄOGRAPHIE DES ABENDLÄNDISCHEN MITTELALTERS UND DER FRÜHEREN NEUZEIT FRÜH- UND HOCHMITTELALTER 2007. 264 S. MIT CD-ROM. BR. ISBN 978-3-7029-0552-1 [A] ISBN 978-3-486-58189-8 [D]
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Das hier vorgelegte Handbuch zur Ordenskunde (Phaleristik) will dem zunehmenden Interesse an dieser Disziplin Rechnung tragen und in allgemeinverständlicher Weise als Nachschlagewerk für Sammler und Studierende dienen. Ein vergleichbares Fachbuch fehlt seit vielen Jahren auf dem Buchmarkt. Die Autoren sind ausgewiesene Kenner der Materie und führen in zehn sachkundig geschriebenen und mit etwa 400 meist farbigen Abbildungen reich illustrierten Kapiteln in die Welt der Orden und Ehrenzeichen ein. Kapitel zum Ordensrecht, zur Geschichte der Phaleristik, zum Archivwesen und zu den Nachbarwissenschaften sind erstmals in einem solchen Handbuch enthalten. Das Buch wendet sich an unterschiedliche Zielgruppen, die an zuverlässigen Informationen über das Auszeichnungswesen und seine Geschichte sowie an der Herstellung und Pflege ordenskundlicher Realien interessiert sind: an Studenten der Geschichtswissenschaft, an private Sammler und an alle öffentlichen Einrichtungen, die Orden und Ehrenzeichen sammeln oder ausstellen. Auch für die Mitarbeiter von Archiven, Bibliotheken und Museen ist dieses Handbuch von großem Nutzen. 2010. 363 S. Mit 463 überw. farb. abb. Gb. 170 x 240 MM. iSbN 978-3-412-20617-8
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