Ausgewählte Werke: Mit einer Kurzbiographie von Willehad Paul Eckert 3534252446, 9783534252442

Die Philosophie und Theologie des Mittelalters ist untrennbar mit Albertus Magnus (um 1200 bis 1280), dem Lehrer des Tho

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German, Latein Pages 339 [300] Year 2012

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Titel
Impressum
Inhalt
Leben und Werk des hl. Albertus Magnus
Albertusliteratur in Auswahl
Zur Textgestaltung
Benutzte Quellen
Albertus Magnus, Ausgewählte Texte
I. Zur Methode und Einstellung
1. In der Wissenschaft überhaupt
2. In der Empirie
3. In der Philosophie
4. In der Theologie
II. Naturforschung
1. Minerale und Metalle
2. Pflanzenkunde
3. Tiergeschichte
4. „Meteorologie“
5. „Chemie“
6. Alchimie
7. Sternkunde
8. Astrologie
III. Mathematik
l. Methode der Mathematik
2. Exakte Wissenschaft
3. Zwingender Beweis
4. Pyramide und Würfel
5. Ausdehnung
IV. Philosophie
1. Entstofflichung im Erkennen. Ihre Grade und ihre Bezüge auf das Gegenständliche
2 . Sinnestätigkeit. Das zweifache Sein des Sinnfälligen : in der Materie und in der Abstraktion
3 . Materie
a) Analoge Erkennbarkeit der Materie
b) Zur metaphysischen und physischen Betrachtungsweise der Materie
c) Materie als Untergrund und Fundament
d) Materie als Substanz
e) Materie und Form
f) Materie, das Seins gute und das Übel
g) Immerwährend, aber geschaffen
4. Einzelfragen
a) Geist in der Natur und im Menschen, Spannung im Menschsein
b) Das Naturstreben zum Ersten Beweger hin und die Schöpfertätigkeit Gottes
c) Stellungnahme zu der Hypothese, es habe keinen ersten Menschen gegeben
d) Das Wesen des Menschen und die Rolle der Vernunftseele
e) Das dem Wissensgegenstand vorausgehende und ihn erst setzende Wissen Gottes
f) Der Mensch unter Gottes Vorsehung
5. Philosophische Ethik
a) Aufgabe und Stellung, Möglichkeiten und Grenzen
b) Das Naturgute im Menschen
c) Epieikia (Vollgerechtigkeit)
V. Theologie
1 . Systematische Theologie
a) Glaube
b) Negative Theologie
2. Bibelexegese
a) Zugang zur Heiligen Schrift
b) Biblische Hermeneutik
c) Zur "Synoptischen Frage"
d) Einzelauslegungen : Geheimnis der Menschwerdung – Bittgebet – Das enge Tor
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Ausgewählte Werke: Mit einer Kurzbiographie von Willehad Paul Eckert
 3534252446, 9783534252442

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ALBERTUS MAGNUS AUSGEWÄHLTE TEXTE Lateinisch – Deutsch

Herausgegeben und übersetzt von ALBERT FRIES Mit einer Kurzbiographie von WILLEHAD PAUL ECKERT

5. Auflage

Einbandgestaltung: Neil McBeath, Stuttgart. 1. Auflage 1981 2., unveränderte Auflage 1987 3., unveränderte Auflage 1994 4., unveränderte Auflage 2001

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 5., mit einer überarbeiteten Bibliographie versehene Auflage 2012 © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25244-2

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73063-6 eBook (epub): 978-3-534-73064-3

INHALT V II

Leben und Werk des hl. Albertus Magnus .

XXX

Albertusliteratur in Auswahl . Zur Textgestaltung

XXXIII

Benutzte Quellen .

XXXV

Albertus Magnus, Ausgewählte Texte I. Zur Methode und Einstellung.

3

1. In der Wissenschaft überhaupt

3

2. In der Empirie

5

3. In der Philosophie 4. In der Theologie.

II. Naturforschung .

9 19

43

1. Minerale und Metalle

43

2. Pflanzenkunde

51

3. Tiergeschichte

59

4. "Meteorologie"

67

5. "Chemie" .

69

6. Alchimie

77

7. Sternkunde

93

8. Astrologie.

97

III. Mathematik l. Methode der Mathematik .

119 119

2. Exakte Wissenschaft

119

3. Zwingender Beweis.

121

4. Pyramide und Würfel

127

5. Ausdehnung

129

IV. Philosophie

135

1. Entstofflichung im Erkennen. Ihre Grade und ihre Bezüge

auf das Gegenständliche

135

Inhalt

VI

2 . Sinnestätigkeit. Das zweifache Sein des Sinnfälligen : in der Materie und in der Abstraktion . 3 . Materie . a) Analoge Erkennbarkeit der Materie . b) Zur metaphysischen und physischen Betrachtungsweise der Materie c) Materie als Untergrund und Fundament d) Materie als Substanz e ) Materie und Form f) Materie, das Seins gute und das Übel . g) Immerwährend, aber geschaffen . 4 . Einzelfragen a ) Geist i n der Natur und i m Menschen, Spannung im Menschsein b) Das Naturstreben zum Ersten Beweger hin und die Schöpfertätigkeit Gottes c) Stellungnahme zu der Hypothese, es habe keinen ersten Menschen gegeben . d) Das Wesen des Menschen und die Rolle der Vernunftseele e) Das dem Wissensgegenstand vorausgehende und ihn erst setzende Wissen Gottes f) Der Mensch unter Gottes Vorsehung 5. Philosophische Ethik a) Aufgabe und Stellung, Möglichkeiten und Grenzen b) Das Naturgute im Menschen c) Epieikia (Vollgerechtigkeit) V. Theologie . 1 . Systematische Theologie a) Glaube . b) Negative Theologie . 2. Bibelexegese . a) Zugang zur Heiligen Schrift b) Biblische Hermeneutik . c) Zur "Synoptischen Frage" d) Einzelauslegungen : Geheimnis der Menschwerdung - Bittgebet - Das enge Tor Anmerkungen .

1 39 1 55 1 55 1 57 1 59 161 1 63 1 65 167 167 1 67 1 69 1 71 1 73 1 79 1 83 1 85 1 85 1 97 205 223 223 223 233 239 239 243 247 251 255

LEB EN UND WERK D E S H L . ALB ERTUS MAGNUS Von

WILLEHAD PAUL ECKERT

Wenigen Menschen erkennt die Geschichtsschreibung den Beinamen der Große zu. In der Regel sind es Persönlichkeiten des politischen Lebens. Die Fragwürdigkeit der Einschätzung als der Große wird auch bei diesen weni­ gen Persönlichkeiten nur zu oft deutlich, wenn der politischen die mora­ lische Größe nicht entspricht. Dem Schwaben Albert von Lauingen wurde als einzigem Wissenschaftler der Beiname der Große zuerkannt, und er verdient ihn wirklich. Freilich bei Lebzeiten hat man ihn noch nicht so ge­ nannt, sondern erst im 1 4 . Jahrhundert. Auch ist die Frage gestattet, was mit dem Prädikat " Magnus" gemeint ist. Bernhard Geyer, dem die Editio Coloniensis zu einem guten Teil verdankt wird, macht darauf aufmerksam, daß das Magnus zunächst wohl in der Wortverbindung magnus in philoso­ phia oder magnus philosophus vorkam, bis dann die Beiworte gestrichen worden sind und nur das Magnus übrigblieb. Magnus in philosophia oder magnus philosophus wurden in dem Sinne gebraucht, wie im Mat­ thäus-Evangelium (5, 1 9) der treue Gesetzeslehrer als groß im Himmelreich bezeichnet wird. Aber dann müßte die Verknappung auf die Bezeichnung Magnus eben doch im Sinne einer Hervorhebung des Außerordentlichen dieses Mannes und Heiligen interpretiert werden. D aß der Beiname Ma­ gnus auf einem Mißverständnis beruhen könnte, wie Bernhard Geyer eben­ falls zu bedenken gibt, einer Verlesung aus Magistri, scheint mir wenig wahrscheinlich, auch wenn zuzugeben ist, daß die in den Handschriften im Mittelalter üblichen Kürzungen Verlesungen nahelegen. Auch die Vermu­ tung, daß die Bezeichnung, die Dante im >Convivio< III, 5 wählt, De la Ma­ gna, das heißt aus Alemania oder Deutschland, in Magnus umgedeutet worden sei, hat m. E. etwas Gezwun genes. Tatsächlich ist Albert groß als Lehrer. Er war wirklich magnus in philosophia, weil er durch seine Aristo­ telesrezeption das philosophische Studium in so breitem Umfange für die mittelalterliche Theologie, insbesondere die Theologie seines Ordens, er­ möglicht hat. Er war freilich nicht nur groß in der Philosophie, sondern be­ deutender noch in seinen naturwissenschaftlichen Studien. Die eigentliche Größe aber dürfen wir darin sehen, daß er die sehr unterschiedlichen Wis­ sensgebiete, die er beherrschte, zu einer Synthese zu bringen vermochte. Er war kein Polyhistor, kein Enzyklopädist, aber ein universal gebildeter

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Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

Mensch. Einen Doctor universalis nannten ihn die Späteren. Sie treffen damit das Richtige, da in dem Beiwort universalis sowohl das Weitaus­ greifende, das Umfassende seines Wissens ebenso bezeichnet wird wie das Vermögen, zu einer Synthese zu gelangen. Er selbst nennt sich zunächst Fr. Albertus de Lauging. So ist er urkund­ lich und auf einem eigenen noch in Abdruck erhaltenen Siegel bezeugt. Die­ ses Siegel führte er als Professor der Theologie. In späteren Jahren bezeich­ nete er sich als Albertus Coloniensis; denn Köln wurde ihm zur Wahlhei­ mat. Viele Jahre seines Lebens hat er in dieser Stadt zugebracht, in ihr ist er gestorben und hat er sein Grab gefunden. Als Albert von Köln wird er auch in Dantes ,Divina ComediaDe natura boni< . D aneben setzte er das Studium der aristotelischen Schriften und das der arabischen Kommentare, das er bereits in Padua begonnen hatte, fort. Diese Lehr­ tätigkeit dauerte bis 1 240 oder 1 242 . Anscheinend vermochte Albert bei sei­ nen Mitbrüdern ein großes Ansehen zu gewinnen. Die überlieferung weiß zu berichten, daß er nach dem Tod Jordans von Sachsen an dem Generalka­ pitel seines Ordens 1 2 3 8 in Bologna teilgenommen habe und ihm die Stim­ men der deutschen Wähler und ihrer Verbündeten zugefallen seien. Sein Gegenkandidat war Hugo von St. Cher. Keiner der bei den Kandidaten er­ reichte j edoch die notwendige Stimmenmehrheit. Aus der deswegen not­ wendig werdenden zweiten Wahl ging als Kompromißkandidat der Spanier Raymund von Pennaforte als Sieger hervor. Läßt sich diese überlieferung auch nicht beweisen, so ist sie dennoch ein wertvolles Indiz für das Anse­ hen, das Albert inzwischen unter seinen Mitbrüdern gewonnen hat. Auch macht sie bereits deutlich, was ja für das Leben Alberts des Großen wirklich zutraf, daß er mehr war als nur ein Stubengelehrter, daß er fähig und willens war, in seinem Orden leitende Ämter zu übernehmen. Für seine wissenschaftliche Laufbahn aber bedeutete die Berufung nach Paris den entscheidenden Wendepunkt. 1 243/44 ist Albert nach Paris über­ gesiedelt, hat dort über die Sentenzen des Petrus Lombardus gelesen. 1 245/46 wurde er zum Doctor in S. Theologia promoviert. Das bedeutete, daß er damit dem Professorenkollegium der theologischen Fakultät der Universität Paris angehörte. Dem Predigerorden waren früh schon zwei Lehrstühle an dieser Fakultät zugefallen. Der Eintritt eines Theologiepro­ fessors in den Orden ermöglichte diesem, fortan dessen Lehrstuhl für sich zu behaupten. Damit war freilich sehr schnell eine Konfliktsituation zwi­ schen Welt- und Ordensgeistlichen an der Universität Paris gegeben, dies um so mehr, als die Ordensgemeinschaft als solche bessere, weil sorgenfreie Lebensbedingungen auch für ihre Studenten zu bieten vermochte, als es den Weltgeistlichen möglich war. Erst durch die Gründung von Bursen für unbemittelte Studenten, wie Robert von Sorbon eine stiftete, die später so berühmte Sorbonne, wurde die Konkurrenzsituation gemildert. Als Albert seine Lehrtätigkeit begann, war sie allerdings noch ebensowenig zu spüren, wie die Konkurrenz innerhalb der Orden, insbesondere der Franziskaner und Dominikaner. Wegen des Ansehens, das ein Doctor Parisius als Ge­ lehrter genoß, war der Orden bestrebt, möglichst vielen seiner Mitbrüder die Chance zu einer Promotion an der Pariser Universität einzuräumen. Er begrenzte daher die Lehrtätigkeit der Magistri bzw. der Doctores in S . Theologia auf j eweils drei Jahre. Den einen der beiden Lehrstühle reser-

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Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

vierte er jeweils einem französischen Dominikaner, den anderen einem nichtfranzösischen. Somit war auch Alberts Tätigkeit als Professor an der Pariser Universität auf drei Jahre begrenzt, 1245-48. Aus dem letzten Jahr liegt die erste urkundliche Bezeugung Alberts vor. In der Pariser Uni­ versitätsurkunde vom 1 5. Mai 1 248 bezeichnet er sich als Fr. Albertus Theutonicus. Mit anderen Pariser Professoren unterzeichnete er ein Dekret gegen den Talmud. In Paris hatten die ersten Talmudverbrennungen statt­ gefunden. Die talmudfeindliche Haltung der Universität Paris sollte noch nachwirken bis in den Streit um die Erhaltung oder Verurteilung der Bü­ cher der Juden, der unmittelbar vor Beginn der Reformation zwischen Pfefferkorn und Reuchlin geführt wurde. Albert erweist sich als Kind sei­ ner Zeit, wenn er der Talmudverurteilung zustimmt. Aber der gleiche Ge­ lehrte erweist sich als zum virtuellen Dialog mit jüdischen Denkern befä­ higt. Insbesondere setzt er sich mit dem >Führer der Unschlüssigen< des Moses Maimonides auseinander. Maimonides liefert ihm Argumente für die Frage nach der Schöpfung in der Zeit und der Vereinbarkeit dieses Glaubenssatzes mit der philosophischen Einsicht. Aber auch sonst nutzt Albert gerne das Werk des Moses Maimonides. In Paris hatte bereits Peter Abaelard Theologie als Wissenschaft im aristotelischen Sinne gelehrt. Zwar gab es auch schon zuvor ein Verständnis von Theologie als Wissenschaft, aber erst j etzt setzte sich das Verständnis von Theologie als Wissenschaft im aristotelischen Sinne durch, d. h. also Wissenschaft wie die anderen, in ein System zu bringen mit den profanen Wissenschaften. Dann mußte das Ver­ hältnis von Philosophie und Theologie bedacht werden, dann mußte man sich darüber klarwerden, daß das Studium der Philosophie auch für die Theologie nicht folgenlos bleiben konnte, daß vielmehr von der Philoso­ phie aus auch die Theologie mitbestimmt wird. Dann galt es, ein philoso­ phisches System zu finden, das allumfassend war. Dies war gegeben in den Werken des AristoteIes. Diese Werke in ihrer Gesamtheit zu erschließen und sie auch für den Theologen fruchtbar zu machen, erkannte Albert als seine Lebensaufgabe. Er verschrieb sich ihr, obwohl er sich damit zahlrei­ chen Anfeindungen aussetzte. Das aristotelische Denksystem war ein offenes. Das reizte ihn. Darum zog es ihn zu den Werken des AristoteIes, aber auch der Denker, die sich ebenfalls der aristotelischen Methode be­ dienten, wie z. B. Moses Maimonides. Jetzt wird uns verständlich, wieso Albert den Talmud ablehnen, aber einen jüdischen Denker rezipieren konnte. Neben den Werken des Maimonides interessierten ihn aber auch die Schriften eines neuplatonisch orientierten jüdischen Denkers wie Aven­ cebrol. Dessen >Fons vitae< las er ebenso wie den >Führer der Unschlüssi­ gen< des Maimonides. Aristotelische und neuplatonische Werke empfand er überhaupt nicht als so gegensätzlich, daß das Studium des einen das des an-

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deren ausgeschlossen hätte, im Gegenteil. Darum konnte er im >Liber de causis< die Vollendung der aristotelischen Metaphysik sehen. Erst Thomas von Aquino sollte aufgrund der >Elementatio theologicaLiber de causis< in Wahrheit ein Konzentrat aus diesem Werk ist. Auch die Schriften j enes Theologen, der seine Identi­ tät hinter dem Namen des Apostelschülers Dionysius Areopagita zu ver­ bergen wußte, um seinem Werk damit den Erfolg zu sichern, schätzte Al­ bert hoch ein. Gleichwohl liegt sein eigentliches Verdienst für die Philoso­ phie in der Erschließung der aristotelischen Schriften. Wie freilich Aristote­ les zu deuten war, blieb umstritten. Mußte eine authentische Interpretation nicht die Widersprüche zwischen philosophischer und theologischer Ein­ sicht schmerzhaft spürbar machen? Daß das Studium des Aristoteles zu Er­ gebnissen führen könnte, die mit dem Glauben nicht zu vereinbaren waren, zu einem Pantheismus etwa, war die Furcht Roms. Zum mindesten einige der Pariser Professoren schienen durch ihre Lehre die Berechtigung dieser Furcht zu beweisen. So erklären sich die Aristotelesverbote Roms, die mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder ausgesprochen wurden. Sie galten bemerkenswerterweise nur für die Universität Paris, betrafen also nicht das Aristotelesstudium an anderen Orten. Nur in Paris schien die Konflikt­ situation gegeben zu sein. Wollte man einerseits offenen Ungehorsam ver­ meiden, aber andererseits auch nicht die Fähigkeit der verstandesmäßigen Einsicht preisgeben, so war dies nur möglich, wenn sich die Vereinbarkeit von philosophischem und theologischem Studium beweisen ließ, wenn es gelang, die Schriften des Aristoteles so zu interpretieren, daß sie zumindest nicht im Widerspruch zu den Aussagen des Glaubens standen ; das war es, was sich Albert und später sein Schüler Thomas von Aquino zum Ziel setz­ ten. Wie erfolgreich er darin war, erfahren wir aus dem Munde des ihm we­ nig wohlgesonnenen Franziskanertheologen Roger Bacon, der von ihm, freilich sehr übertreibend, behauptet, er gälte in Paris als Autorität. Die Absicht des hl. Albert, das gesamte aristotelische Schrifttum zum geistigen Eigentum des Abendlandes zu machen, stößt auf Widerspruch. Dieser Wi­ derspruch erhebt sich sowohl außerhalb als innerhalb seines Ordens . Sein Zeitgenosse, der hl. Bonaventura, ist davon überzeugt, daß die Theologie dominierend sein muß, die Philosophie nur eine Dienstfunktion haben kann . Sein' heilsgeschichtliches Denken veranlaßt ihn zu dieser Position. Das Menschenbild, das die Philosophie zeichnet, ist falsch, wenn sie von der Heilsgeschichte absieht. Es gibt den Menschen nicht in sich, sondern nur bestimmt durch die Zeit vor oder nach der Erbsünde, die Zeit vor oder nach der Erlösung. Philosophie, die vorgibt, den Menschen unabhängig von seiner heils geschichtlichen Situation zu zeichnen, führt in die Irre. Da-

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Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

her sind die großen Philosophen Aristoteles sowie Avicenna für Bona­ ventura Irrlehrer. Albert aber und in seinem Gefolge Thomas von Aquino vertrauen darauf, daß die Verstandeseinsicht Richtiges begreift. Der Mensch kann also auch unter Absehen von seiner heilsgeschichtlichen Situation grundsätzlich richtig erfaßt werden. Die Ereignisse der Heilsge­ schichte verändern nicht grundsätzlich die Natur des Menschen. Freilich darf die Erkenntnis, die auf dem Wege des Verstandes, also mit den Mitteln der Philosophie möglich ist, nicht im Widerspruch zur Glaubenserkenntnis stehen. Zwar schreibt der Glaube der Philosophie nicht die Ergebnisse vor, aber er wirkt doch als ihre regula negativa. Das heißt, er zeigt die Grenz­ linien auf, die Philosophie nicht überschreiten darf, wenn sie nicht in die Irre gehen will. Albert und Thomas sind davon überzeugt, daß eine Har­ monie zwischen philosophischer und theologischer Erkenntnis möglich ist. Für eine glückliche Stunde in der Geistesgeschichte der Menschheit stellen sie diese Harmonie sogar her. Aber sie wird noch zu ihren Lebzeiten wieder in Frage gestellt. Zu Beginn der 70er Jahre bricht der Kampf erneut aus. Die Vertreter der philosophischen Richtung treten für den authentischen Ari­ stoteles ein. Sie leugnen zwar nicht die Offenbarungswahrheiten, halten aber die Aporie zwischen Glaubenseinsicht und philosophischer Erkennt­ nis für unaufhebbar. Thomas von Aquino sollte während seiner zweiten Lehrtätigkeit in Paris direkt in den Streit verwickelt werden. Für Albert aber sollte es sich um Fragen handeln, die ihn bereits innerlich nicht mehr tangierten, denen er durch seine spätere Tätigkeit im Grunde sehr fernge­ rückt war. Die Gefahr von innen war durch die Abneigung des Ordens ge­ geben, sich auf ein philosophisches Studium als solches einzulassen. Zwar waren durch den Eintritt von Studenten und Professoren philosophische Gedanken notwendigerweise rezipiert worden, denn die philosophisch Gebildeten konnten ja nicht einfach nach ihrem Ordenseintritt ihre Bildung vergessen oder verdrängen . Aber im Ausbildungsgang des Ordens spielte die Philosophie während der ersten Jahrzehnte eine geringe Rolle. Ja, das Studium der Philosophie erschien sogar als Ablenkung vom Eigentlichen. Hauptaufgabe des Professors der Theologie war die Auslegung der Heili­ gen Schrift. Das Studium sollte der Vorbereitung auf die Verkündigung dienen. Zu verkünden galt es das Wort Gottes . Also warum denn sollte sich der Student zersplittern, mit Fragen beschäftigen, die ihn vom Eigentlichen nur ablenkten . Albert aber schien eine solche Argumentation eher ein Zei­ chen für Denkfaulheit als für Frömmigkeit zu sein. Unmutig konnte er sich bei solchen Streitreden gegen die Philosophie an die Gesinnung der Athener erinnert fühlen, die Sokrates den Schierlingsbecher gereicht und Aristoteles in die Verbannung getrieben haben. Mit seiner Ansicht, daß die Philoso­ phie die jeweilige Theologie mitbeeinflusse, daß daher das Studium der Phi-

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losophie notwendig sei, drang Albert schließlich in seinem Orden durch. Gemeinsam mit Peter von Tarantaise und Thomas von Aquino erarbeitete er für das Generalkapitel von Valenciennes 1 2 59 eine Studienordnung, die der Philosophie einen legitimen Platz einräumt. Seither ist sie fest in das Programm der Ausbildung des Nachwuchses aufgenommen. Nicht nur die Akten der Generalkapitel, sondern auch die der Provinzkapitel enthalten Bestimmungen über ihr Studium. Inzwischen hatte freilich Albert der Große seine Lehrtätigkeit in Paris längst be endet. Nach dem dreijährigen Kurs, den er seit 1 245 gegeben hatte, wurde er j etzt, 1248, mit dem Aufbau eines Generalstudiums in Köln be­ traut. 1 248 war aber auch das Jahr der Grundsteinlegung des gotischen Kölner Doms. Die Legende sieht in Albert den Erfinder seines Plans. Sie hat nur insofern recht, als sich die Architektur theologischen Denkens mit der Baukunst vergleichen läßt. Albert hat in seinen Werken zwar Elemente zu einer Schönheitslehre vorgetragen, aber nie eine eigentliche Kunsttheo­ rie entwickelt, noch Interesse für Kunstwerke im einzelnen bezeugt. Wohl berichtet er von den Ausschachtungsarbeiten für die Legung der Funda­ mente des Chores des gotischen Doms, weil dabei antike Marmorfußböden entdeckt wurden. Aber sein Interesse ist doch mehr ein archäologisch­ historisches als ein eigentlich kunsthistorisches. Was aber bewog den Orden zur Gründung von Generalstudien außerhalb Paris ? Es war sein rasches Wachstum, das diesen Entscheid als wünschenswert erscheinen ließ. Selbst wenn nur die Elite der Studenten für das Studium in Paris ausgewählt wur­ de, reichten doch die Unterbringungsmöglichkeiten nicht. Darum also er­ richtete der Orden in vier seiner Provinzen, darunter in der deutschen Or­ densprovinz je ein Generalstudium. Das in Köln gegründete darf in etwa als ein Vorläufer der am Ende des 1 4 . Jahrhunderts gegründeten Universität verstanden werden. Allerdings unterschieden sich die Generalstudien von den Universitäten schon dadurch, daß ihnen das Promotionsrecht fehlte. Mit dem Pariser Studium hatten die Generalstudien aber ihre Internationa­ lität gemeinsam. Nur der wissenschaftlich überdurchschnittlich begabte Nachwuchs der jeweiligen Ordensprovinz sollte für das Generalstudium ausgewählt werden. Für die anderen mußte das j eweilige Hausstudium ge­ nügen. Dafür sollte j ede andere Ordensprovinz ebenfalls das Recht haben, zwei besonders begabte Studenten an das Generalstudium zu entsenden. Da die Predigerbrüder, die Dominikaner, von Almosen lebten, keine Landwirtschaft betrieben, anfänglich auch nur wenigen Grundbesitz in der Stadt hatten - später allerdings erbten sie Grundrenten -, war die wirt­ schaftliche Basis für die Errichtung eines Generalstudiums in Köln schmal. Aus den Akten der Generalkapitel des Ordens ergibt sich, daß die Anfänge des neuen Studiums in Köln tatsächlich mit großen Schwierigkeiten ver-

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Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

bunden waren . Schon deswegen war eine Begrenzung der Studentenzahlen notwendig. Wenn trotzdem von Anfang an das Studium in Köln einen in­ ternationalen Charakter besaß , wenn es trotz der wirtschaftlichen Notlage schnell an Ansehen gewann, so verdankte es dies dem Ansehen, das sein er­ ster Leiter, Albert der Große, besaß. Die Internationalität des Kölner Stu­ diums schon um die Mitte des 1 3 . Jahrhunderts ist uns nicht zuletzt durch den Dominikaner Petrus von Dacien bezeugt, der gemeinsam mit einigen Mitstudenten, Mitgliedern verschiedener Ordensprovinzen, zu der from­ men Christina von Stommeln pilgerte und über seinen Besuch bei ihr an­ schaulich berichtete . Der bedeutendste der ausländischen Studenten am Kölner Generalstudium war zweifelsohne der hl. Thomas von Aquino . Wann er Alberts Schüler wurde, ist nicht sicher festzustellen. Nach der einen Tradition wurde er vom Ordensmeister an das Pariser Studium 1 245 entsandt und studierte dort bereits unter Albert dem Großen, nach der an­ dem Tradition aber wurde er - ohne den Umweg über Paris - gleich nach Köln delegiert. In diesem Falle hätte sein Studium erst 1248 begonnen. Wie dem auch sei : unbezweifelbar ist jedenfalls, daß Thomas von Aquino in Köln unter Albert dem Großen studiert hat, daß dieser seine Begabung frü­ her als andere erkannte und ihn daher entscheidend förderte. Der Empfeh­ lung des hl. Albert verdankte wenige Jahre später Thomas seine Berufung nach Paris, um dort als Baccalaureus zu lesen und den Grad eines Magisters der hl. Theologie zu erwerben. Legenden ranken sich um das Verhältnis von Lehrer und Schüler. Sie wissen zu berichten, daß die Mitstudenten dem Aquinaten wegen seiner Schweigsamkeit den Spitznamen "Stummer Ochse von Sizilien" gaben, Albert aber dagegen Einspruch erhob und voraussagte, daß der so Verspottete mit seinem Gebrüll die Welt erschüttern werde. über den unerwarteten Anblick eines Roboters in der Zelle seines hochver­ ehrten Lehrers sei Thomas so erschrocken gewesen, daß er in seiner Bestür­ zung das Kunstwerk mit einem Stock zerschlagen habe. Der Wahrheitskern dieser Legende ist, daß die größere Kraft zur Synthese, die Thomas zu eigen war, innerhalb des eigenen Ordens zwar nicht sofort, wohl aber im Laufe des 1 4 . Jahrhunderts über die Universalität des hl. Albert den Sieg davon­ trug. Daß Thomas von Aquino ein sehr aufmerksamer Schüler des hl. Al­ bert war, läßt sich übrigens auch sehr gut mit einem Hinweis auf die Repor­ tatio, die Vorlesungsnachschrift, belegen, die mit großer Wahrscheinlich­ keit aus seiner Feder stammt. Die Nationalbibliothek in Neapel bewahrt die Vorlesungsmitschrift des Dionysiuskommentars, den Albert vielleicht schon 1247 in Paris begonnen, sicher aber in Köln 1248 vorgetragen hat. Aus der gleichen Feder stammt die Nachschrift der Erklärungen, die Albert nach 1 248 zur aristotelischen Ethik in Köln vortrug. Einer der vertrautesten deutschen Schüler Alberts war Ulrich von Straßburg, später Provinzial der deutschen

Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

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Ordensprovinz. Von ihm sind Briefe an den verehrten Lehrer und Freund erhalten geblieben. Als Gelehrter verfaßte Ulrich eine >Summa de bonoDe animalibus libri XXVIDe natura rerum< (über die Natur der Dinge) seines Mitbruders Thomas vo n Can­ timpre als Vorlage benutzt. Diese letzten fünf Bücher übersetzte der Straß­ burger Arzt Walter Hermann Ryff (t 1 548) ins Deutsche und ließ seine übersetzung 1 545 in Frankfurt drucken. Wie in der Tier- , so suchte auch in der Pflanzenkunde Albert von einem aristotelischen Werk auszugehen . Die im Mittelalter als Werk des Aristoteles geltende Pflanzenkunde ist freilich in Wahrheit von Nikolaus von Damaskus verfaßt worden, der erst in der Zeit des Herodes des Großen lebte . Freilich hat dieser viel aristotelisches Gedankengut verwertet. Alberts >De vegetabibilibus libri VII< sind teils Kommentar der Pflanzenkunde des Nikolaus von Damaskus, Buch 1 und 4, teils gänzlich selbständige Arbeit, bei der er sich nur auf seine Beobach­ tung verläßt. Die Legende läßt Albert dem König Wilhelm von Holland mitten im Winter gelegentlich seines Besuches im Kölner Dominikanerklo­ ster einen blühenden Garten vorzaubern. Der Magus ist es, der die Gemü­ ter bewegt. Doch bedarf es der Mär nicht, Alberts Verdienste als Pflanzen­ kundler zu rühmen. Er wußte um Schönheit und Nutzen der Pflanzen, gab Ratschläge für den Ackerbau, die Anlage von Nutzwäldern und Ziergärten. Der mittelalterliche Garten, so wie ihn der große Schwabe beschreibt, ist freilich, verglichen mit den von dem jüngeren Plinius geschilderten antiken, verglichen auch mit den neuzeitlichen blumenreichen Gärten, recht be­ scheiden, fast arm . Er ist der freien Natur angenähert. Wiese, ein stein ge­ faßter Brunnen in der Mitte, Bäume am Rande ! Albert achtet auf die klima­ tischen Bedingungen, bedenkt die Gesetze der Okologie, ist darin wieder ganz modern . überdies legte er, Theorie und Praxis verbindend, für sein Kölner Kloster einen botanischen Garten an.

Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

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Nicht nur als Gelehrter, sondern auch als Mensch, der guten Rat weiß, gewann Albert Ansehen, mehr noch Autorität. Seinem Urteil schenkte man Vertrauen, seinem Schiedsspruch beugte man sich. Bisher sind neunzehn schiedsrichterliche Tätigkeiten des großen Schwaben bekannt geworden. Davon sind zwölf Schiedssprüche urkundlich erhalten. Seinem Schieds­ spruch unterwarfen sich ebenso die politischen Parteien - das Wort cum grano salis verstanden - der Bürgerschaft und des Erzbischofs von Köln, wenn es um die Abgrenzung der jeweiligen Rechtsansprüche ging, als auch die einzelnen miteinander streitenden Bürger wie etwa in Würz burg, als durch den Bau einer Scheune dem Nachbarhaus das nötige Sonnenlicht ge­ nommen wurde. Der endgültige Text des Schiedsspruchs ist gewiß ein Ge­ meinschaftswerk, an dem auch die streitenden Parteien mitbeteiligt waren. Er kann Albert somit nicht alleine zugeschrieben werden. Wie groß aber tatsächlich sein Einfluß auch auf die endgültige Textgestalt war, läßt sich dort sehr gut erweisen, wo der Vorentwurf, der aus seiner Feder stammt, erhalten ist. Das gilt gerade für seine erste Kölner Friedensvermittlung 1 252. Das Motiv : Pro bono pacis - Wirken für die Wiederherstellung des Gutes des Friedens -, mit dem er seine Schiedswirkung am 1 7. April 1 252 begründet, zieht sich wie ein roter Faden durch seine gesamte schiedsrich­ terliche Tätigkeit. Die die Bürgerschaft als ganzes wie den einzelnen bewe­ genden Streitfälle wirken lähmend. Die im Streit zwischen dem Erzbischof als Landesherrn und der Kölner Bürgerschaft verhängten Interdikte unter­ banden den öffentlichen Gottesdienst. Das war schlimm genug, wenn auch die Waffe des Interdikts, weil so häufig angewandt, allmählich stumpf zu werden begann . Schlimmer noch war aber, daß der Groll sich, je länger und schwerer der Streit war, desto tiefer in die Herzen nistete, den Menschen an das Irdische band, den Aufschwung der Seele zu Gott verhindern mußte . Albert war Dominikaner, Predigerbruder, Seelsorger und Priester. Dieser Aspekt seiner Berufung und seines Berufes darf nicht übersehen werden, will man ihn recht verstehen. Auch als Gelehrter blieb er zuerst und zuletzt Seelsorger. Das war der Grund, der ihn die Gelehrtenstube verlassen und in die Streitfälle mit seinem Schiedsspruch eingreifen ließ . Er war sich klar darüber, daß er einen Kompromiß vorschlagen mußte, es vermeiden muß­ te, daß die eine über die andere Partei restlos triumphierte, wenn das Gut des Friedens erreicht werden sollte . Eine völlige Niederlage würde keine Partei verwinden. Groll bliebe zurück. Gerade das aber wollte Albert ver­ meiden. Auch so noch blieb mancher Friedensschluß recht fragil, gefährdet und zerbrechlich. Immer waren die Einsicht und das Augenmaß für das Mögliche, die auf beiden Seiten vonnöten waren, Voraussetzung für einen über den Tag hinaus dauernden Friedensschluß . Die Schiedssprüche, die Albert der Große zwischen dem Kölner Erzbischof als Landesherrn und

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der Stadt Köln fällen mußte, sind in ihrer ständigen Wiederholung ein Zei­ chen für die Schwierigkeit, einen dauernden Frieden, einen Ausgleich zwi­ schen den Ansprüchen beider Seiten zu erzielen. Es war dies nicht nur eine Sache des mangelnden guten Willens der Parteien, sondern die Schwierig­ keit, einen dauerhaften Kompromiß zu erzielen, lag auch in der Dynamik der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung, die im Widerspruch zu den Versuchen der Festschreibung der überkommenen Macht- und Rechtsverhältnisse stand . Der Streit zwischen der Stadt Köln und dem Erz­ bischof Konrad von Hochstaden, demselben, der 1 248 den Grundstein zu dem gotischen Dom gelegt hatte, wurde 1 252 durch dessen Versuch ausge­ löst, die bisher umlaufende höherwertige Münze einzuziehen und durch eine geringwertigere zu ersetzen . Die Kölner Bürger sahen ihren Handel dadurch gefährdet, glaubten darüber hinaus ihre Freiheit bedroht. In sei­ nem Vorausspruch erkannte Albert das grundsätzliche Einspruchsrecht der Stadt gegen eine Münzverschlechterung an, gestand aber für den gegenwär­ tigen Fall dem Erzbischof das Recht zu, die bisher umlaufenden Münzen einzuziehen und eine Neuprägung vorzunehmen. Er begründete dies sei­ nerseits mit dem Hinweis auf die Abgegriffenheit und dadurch bereits ge­ gebene Verschlechterung der umlaufenden Münzen . Es sei daher notwen­ dig, " daß zu einer einzigen Umschrift und zu einem Bilde zurückgekehrt und deren Aussehen so deutlich und klar gestaltet werde, daß von nun an leicht von jedem eine fremde Fälschung erkannt werde" . Um der Stadt ihr grundsätzliches Recht zu wahren, ließ Albert die in Vergessenheit geratene Einrichtung der Münzproben wiederaufleben . Seine Vorschläge wurden in den endgültigen Text des Schiedsspruchs aufgenommen, an dem außer ihm noch der päpstliche Legat Hugo von St. Cher, Dominikaner gleich ihm, mitwirkte. Am berühmtesten aber wurde der sogenannte " Große Schied" von 1 2 5 8 , in dem Albert den Ausgleich der politischen und wirtschaftlichen Interessen zwischen der Stadt Köln und dem Erzbischof Konrad von Hochstaden vermittelte. Wichtig für die künftige Entwicklung wurde, daß die Stadt, obwohl sie Konrad von Hochstaden als Stadtherrn anerkannte, dem sie sich unterwarf, dennoch in der Ausfertigung des Schiedsspruchs als gleichberechtigter Partner erscheint. Daß für Konrad die Stadt Krone und unverzichtbarer Besitz seiner Landesherrschaft war, ist verständlich . Im­ merhin besaß er ein Gespür für das politisch Mögliche. Dies jedoch sollte seinen Nachfolgern, Engelbert 11. von Falkenburg und Siegfried von We­ sterburg, fehlen. Erzbischof Konrad von Hochstaden beließ nach einer " Revolution von oben" , die die Zünfte begünstigte, den neuen zünftleri­ sehen Gewalthabern in der Stadt Köln den äußeren Schein der Selbständig­ keit. Engelbert 11. suchte auch diesen der Stadt zu nehmen. Die Parteien in der Stadt einigten sich, die Patrizier, die 1 259 vertrieben waren, kehrten zu-

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rück. Die alten Geschlechter übernahmen das Regiment. überdies gewann die Stadt im Rheinland zahlreiche Verbündete . Der Erzbischof mußte sich zur Sühne bereitfinden, 1 263 . Nachhaltiger und für ihn verhängnisvoller war sein erneuter Streit mit der Stadt, bei dem er in die Gefangenschaft des Grafen von Jülich, des Verbündeten der Stadt, geriet. Dreieinhalb Jahre mußte er als Gefangener auf Burg Nideggen ausharren. Diesen schweren Konflikt zu beheben, wurde ebenfalls Albert der Große ausersehen . Es war der Anlaß zu seiner Rückkehr nach Köln. Die Lehrtätigkeit in Köln fand nämlich eine langjährige Unterbrechung. Wie Albert um seines Rates willen vom Landesherrn ebenso wie von der Stadt geschätzt wurde, so vertrauten sich auch seine Mitbrüder seinem Ur­ teil an und schätzten seine Autorität. 1 254 nahm der schwäbische Gelehrte als Vicarius provinciae am Provinzkapitel in W orms teil. Hier wurde er zum Provinzialprior der deutschen Ordensprovinz gewählt. Die Ordens­ provinz Teutonia reichte im 1 3 . Jahrhundert von Osterreich und der Schweiz im Süden bis zu Holland und Belgien im Norden, erstreckte sich des weiteren bis zur Ostsee . Im Westen reichte die Provinz bis zum Elsaß bzw. im Nordwesten wieder bis Belgien, im Osten bis Sachsen und Thü­ ringen. Die Zahl der Neugründungen nahm rasch zu. Hatte die Provinz bei ihrer Gründung 1 22 1 nur zwei Niederlassungen, die Konvente in Friesach und Köln besessen, so sollte sie gegen Ende des Jahrhunderts an die hundert Klöster zählen. Hinzu kamen zahlreiche Frauenklöster, die sich der Seel­ sorge der Dominikaner unterstellten. Der Provinzial mußte also ein weit­ ausgedehntes Gebiet mit zahlreichen Niederlassungen regieren. Praktisch hieß das für ihn, daß er dauernd auf Reisen sein mußte. Eine feste Nieder­ lassung gab es an sich nicht für ihn, sondern er visitierte Kloster nach Klo­ ster. Fast jährlich fanden Generalkapitel statt, an denen er teilnehmen muß­ te. Jährlich mußte er auch das Provinzkapitel einberufen. Albert war fortan dauernd unterwegs . Um es noch genauer zu sagen, er durchwanderte Deutschland von Süden nach Norden, von Osten nach Westen und umge­ kehrt. Bis in sein Alter verzichtete er auf einen Wagen. Die weiten Wege legte er zu Fuß zurück. Was er sich selbst zumutete, verlangte er auch von anderen. Da verriet sich das Knorrige seiner Natur. Bei all seiner persön­ lichen Liebenswürdigkeit konnte er dennoch ausgesprochen hart und streng sein. Prioren, die zum Provinzkapitel zu Pferde ritten, entsetzte er ihres Amtes und ließ sie bei Brot und Wasser fasten. Aber umgekehrt ver­ langte er von niemandem etwas, was er nicht selbst auf sich nahm . Als die Beschwerden des Alters ihm die Fußreisen verunmöglichten, benutzte er einen Stellwagen. Bequem war das bestimmt auch nicht ; denn ein derartiger Wagen war ungefedert. Noch waren die Zeiten der Krise fern, die im 1 4 . Jahrhundert auch im

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Dominikanerorden schmerzlich spürbar wurden. Dennoch zeigte sich be­ reits um die Mitte des 13. Jahrhunderts, daß der ursprüngliche Enthusias­ mus nachgelassen hatte. Die Kehrseite des raschen Wachstums waren ge­ wisse Ermüdungserscheinungen. Während die ersten Predigerbrüder die Armutsfrage sehr streng nahmen, gab es jetzt doch schon Ordensmitglie­ der, die Geld annahmen und für sich verwandten. Albert wollte den ur­ sprünglichen Ordensgeist erhalten wissen ; denn er war überzeugt, daß nur die Predigt wirksam sein kann, die durch das Lebenszeugnis des Predigers gedeckt ist. Darum heißt es in einem seiner Briefe an seine Mitbrüder, die er als Provinzial verfaßte : "Damit nicht das Laster persönlichen Besitzes das heilige Gelübde unserer Armut besudele, ist es mein Wille, daß kein Bruder Geld oder andere Dinge verwalte, die nach seinem Gutdünken oder zu sei­ nem oder eines anderen Vorteil verwandt werden, auch dann nicht, wenn sein Vorgesetzter weiß, wo dieses Geld und diese Dinge sich befinden und wie sie verwaltet werden. " Von den Mitbrüdern erwartete er, daß sie we­ nigstens einmal im Jahr ihren Seelenzustand ihrem jeweiligen Prior offen­ barten, damit dieser seine Gemeinschaft wirklich kenne. Am charakteri­ stischsten ist wohl seine Predigt, die er zur Einführung der Dominikane­ rinnen in das Kloster Paradies bei Soest hielt. Diese Predigt fand 1255 statt. Er forderte strenge Absonderung von der Außenwelt. Er forderte ein Le­ ben der Buße und Treue gegenüber den Ordensregeln. Dann werde sich die Wahrheit des Wortes Paradies für j ede einzelne Schwester erweisen. Dann sei das Paradies bei Soest ein Versprechen, das ewige Paradies zu erlangen. Obwohl Albert seine Pflichten als Provinzial sehr streng nahm, seine Hauptsorge somit der Seelsorge an seinen Mitbrüdern galt, fand er dennoch auf seinen Reisen stets Zeit zum Studium. So gering sein persönliches Ge­ päck sein mußte, so durfte doch niemals Schreibmaterial fehlen. So setzte er seine Studien fort. Seine zahlreichen Wanderungen verband er mit sorg­ fältiger Beobachtung der Natur, insbesondere der Lebensvorgänge. Diese seine Beobachtungen an Tieren und Pflanzen und ihren Umweltbedingun­ gen notierte er sorgfältig. Er ließ sie in seine späteren Schriften einfließen. Hier muß eine Eigentümlichkeit seines Arbeitens erwähnt werden. Werke, wie das über die Tiere, beschäftigten ihn viele Jahre. Immer wieder kehrte er zu ihnen zurück, ergänzte, änderte, gestaltete um. Die vieljährige Be­ schäftigung mit dem gleichen Stoff barg freilich die Gefahr in sich, daß seine Studien ausuferten. Tatsächlich hat Albert diese Gefahr nicht immer gemei­ stert. So erklären sich z. B. die Wiederholungen in seinen Tierbüchern. So hat er sich in seiner Schrift >De animalibus< gleich an zwei Stellen zu den Pferden und ihren Krankheiten geäußert, nämlich einmal im 7. , dann im 22. Buch. Aber es gibt nicht nur Wiederholungen, sondern sogar Wider­ sprüche. Zu einer letzten Redaktion ist es gerade bei den Tierbüchern nicht

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mehr gekommen. Konnte er seine zahlreichen Reisen zur Naturbeobach­ tung mit ausnutzen, so muß doch in anderer Hinsicht gesagt werden, daß die Verwaltungs tätigkeit, die jetzt auf ihm lastete, ihn den aktuellen philo­ sophischen und theologischen Fragestellungen auf die D auer entfremden mußte. Gegen Ende seines Provinzialates, 1257, wurde er an den Hof Papst Alexanders IV. nach Anagni gerufen. Inzwischen war nämlich der Konflikt zwischen Welt- und Ordens geistlichen an der Universität Paris offen aus­ gebrochen und wurde in scharfer Form ausgetragen. Hauptwortführer der Partei der Weltgeistlichen als Professoren war Wilhe1m von Saint-Amour, Kanonikus von Beauvais. Er sprach den Ordensgeistlichen grundsätzlich das Recht auf universitären Unterricht ab. Nach seiner Meinung sollten sie sich auf die monastische Theologie beschränken. Es galt nun zu zeigen, daß die Mendikantenorden nicht in das Schema der alten rein monastischen Or­ den paßten, daß sie Kontemplation und Aktion miteinander verbanden, j a, daß bei ihnen die Vita contemplativa die Vita activa freisetzte, die Vita ac­ tiva wieder in die Vita contemplativa mündete. Die Verbindung monasti­ scher Lebensformen mit einem apostolischen Programm mußte als gültige Lebensform dargetan werden. Es galt das Recht auf Seelsorge und Studium zu verteidigen. Neben seinem Schüler Thomas von Aquino hat sich vor al­ lem Albert als Vorkämpfer für das Recht seines Ordens auf Studium und Seelsorge am Hof von Anagni verdient gemacht. überdies wirkte er als Le­ semeister an der päpstlichen Kurie. Auf Bitten des Papstes und der Kardi­ näle hielt er eine Vorlesung über das Johannes-Evangelium und die Apo­ stelbriefe. Auch beteiligte er sich an einer öffentlichen Disputation gegen die Lehre des Averroes von der Einheit des Intellektes ; denn immer mehr Wissenschaftler glaubten die These der Einheit des Menschengeschlechtes nur dann festhalten zu können, wenn sie von einem allen gemeinsamen In­ tellekt ausgingen. Albert wie Thomas haben dieser These widersprochen. Die Lehrtätigkeit erwies sich als die eigentliche Berufung des Heiligen. Wenn er sich auch den Verwaltungsaufgaben des Provinzialates nicht ent­ ziehen wollte, so kann ihm doch die Berufung als Leserneister in Anagni nicht unwillkommen gewesen sein. Darum hielt er sich auch nicht ungerne mehr als ein halbes Jahr am päpstlichen Hof auf. Das Generalkapitel in Flo­ renz trug diesem Umstande Rechnung und entband ihn am 27. Mai 1 2 5 7 von seinem Amt. Nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit i n Anagni kehrte Albert nach Köln zurück, um hier wieder die Leitung des Generalstudiums zu übernehmen. In diese zweite Kölner Periode fällt der bereits erwähnte Große Schied, den Albert zwischen Konrad von Hochstaden und der Stadt Köln vermittelte. Jedoch abermals wurde er aus seiner Lehrtätigkeit her­ ausgerufen. In Regensburg war ein offener Konflikt zwischen dem Bischof Albert von Pietengau und der Stadt ausgebrochen. Die Bürgerschaft ver-

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langte die Absetzung des Bischofs und strengte gegen ihn bei der päpst­ lichen Kurie einen Prozeß an. Papst Alexander IV. konnte sich den Wün­ schen der Stadt nicht verschließen. Er wünschte sich einen seeleneifrigen Bischof, seine Wahl fiel auf Albert den Großen. Der Ordens general Hum­ bert von Romans erfuhr frühzeitig von den Plänen des Papstes und schrieb Albert einen Brief, indem er ihn dringend beschwor, die Ernennung zum Bischof nicht anzunehmen. Er fürchtete die Abwanderung der Elite seines Ordens in kirchliche Ämter wie das eines Bischofs oder Weihbischofs, wenn Albert dazu das Beispiel gäbe. So heißt es in seinem Brief: "Wer von uns und allen Mendikanten wird hinfort der übernahme kirchlicher Wür­ den widerstehen, wenn Ihr j etzt unterliegt ? Wird man nicht vielmehr Euer Beispiel zur Entschuldigung anführen ? Welcher Laie wird nicht Ärgernis nehmen an Euch und allen Mendikanten und sagen, wir liebten nicht die Armut, wir trügen sie nur so lange, bis wir sie abschütteln könnten?" Der Ordensgeneral sparte auch nicht mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit, die das Amt des Bischofs gerade in Deutschland mit sich bringe, weil dort mit dem geistlichen auch das weltliche Regiment verbunden war : "überlegt ernstlich in Eurem Herzen, wieviel Verwirrung, wieviel Schwierigkeiten die Kirchenregierung in Deutschland mit sich bringt ! Wie schwer ist es dort, als Kirchenfürst Gott und den Menschen es recht zu machen! Wie wird Eure Seele es ertragen können, den ganzen Tag in weltliche Geschäfte verwickelt zu sein, in steter Gefahr der Sünde zu leben, Eure Seele, die mit ganzer Kraft die hl. Wissenschaft und ein reines Gewissen liebt ? . . Wel­ chen Erfolg Ihr aber als Bischof haben werdet, ist ungewiß. " Schließlich wählt der Generalmeister eine krasse Formulierung, um Albert vor der An­ nahme des Amtes zu warnen : " Lieber sähe ich meinen vielgeliebten Sohn auf der Totenbahre als auf dem Bischofsstuhl, und nicht sollen meine übri­ gen Brüder aus diesem Leben scheiden voll Trauer, weil sie an Standhaftig­ keit in solchen Fällen nicht mehr zu glauben vermochten. Im Geiste knie ich vor Euch und beschwöre Euch bei der Demut der unbefleckten Jung­ frau und ihres Sohnes, verlaßt nicht den Stand der Demut ! " Albert j edoch glaubte, dem Papst noch mehr Gehorsam als seinem Ordensmeister zu schulden. Daher nahm er die Ernennung an. Im Ernennungsbrief vom 5. J anuar 1260 hatte der Papst seine Wahl mit den Worten begründet : "Da Du am Quell der göttlichen Offenbarung Dich labst, mit den heilbringen­ den Wassern der Wissenschaft, so daß Dein Herz erfüllt ist und Du ein sicheres Urteil besitzt in allem, was Gott betrifft, so setzen wir die feste Hoffnung in Dich, daß die Kirche von Regensburg, die in geistlicher und zeitlicher Hinsicht so stark zerrüttet ist, durch Dich geheilt und alle ihre Schäden durch Deine eifrigen Bemühungen behoben werden. " Im März des gleichen Jahres ließ sich Albert in Köln zum Bischof weihen und sie-

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delte nach Regensburg über. Es gelang ihm, die Vermögensverhältnisse sei­ nes Bistums in relativ kurzer Zeit zu konsolidieren. Aber sein einfaches Auftreten wirkte befremdend. Auch als Bischof lebte Albert so, wie er es als Ordensmann, als Mitglied eines Mendikantenordens gewohnt war. Er er­ hielt daher den Spitznamen des Bischofs mit dem Bundschuh. Hatte nicht doch der Ordensgeneral richtiger gesehen ? Albert schien seinen Warnun­ gen im nachhinein recht zu geben. Auffallend ist jedenfalls, daß er bereits nach anderthalb Jahren resignierte. Inzwischen war Urban IV. Papst Alex­ ander IV. gefolgt. Der neue Papst war ein Freund der Studien. Ihn bat Albert zwischen Ende Februar und Anfang Mai 1 262 um Enthebung von seinem Bischofsamt. Der Papst entsprach diesem Wunsch. Mit der Nieder­ legung seiner Amtswürde verlor Albert jedoch nicht alle seine Vorrechte. Die Weihe verblieb ihm. Er hat in der Folge zahlreiche Kirchen geweiht. Es blieb ihm auch das Eigentumsrecht, auch wenn er ins Kloster zurückkehr­ te. Er konnte über sein Vermögen frei disponieren. Er verwendete es zugunsten der Kölner Dominikanerkirche, für die er den gotischen Chor errichten ließ. Papst Urban IV. wollte es vermeiden, daß der Rücktritt Alberts wie ein Eingeständnis des Scheiterns aussah. Er ernannte ihn daher am 7. Februar 1 263 zum Legaten und Kreuzzugsprediger. Freilich die Zeit der Kreuzzüge hatte bereits ihren Höhepunkt überschritten. Zwar ist bis gegen Ende des Mittelalters die Aufforderung zum Kreuzzug niemals ganz aufgegeben worden. Zwar konnten noch Pius I!. und Nikolaus von Kues 1 463 an die Einladung zu einem Kreuzzug gegen die Türken denken. Aber im Grunde war das nicht mehr als ein Nachhall. Schon Albert der Große mußte erfahren, daß die Kreuzzugspredigt nicht mehr die rechte Resonanz fand. Wohl sehen wir ihn als Kreuzzugsprediger wieder auf der Wander­ schaft Deutschland von West nach Ost, von Nord nach Süd durchqueren. Einige Daten mögen das belegen. Am 5. Mai 1 263 weilte er im Kloster Pol­ ling, am 1 0. Mai in Augsburg, am 1 3 . Mai in Donauwörth, am 27. Mai in Würzburg, am 5. Juni in Frankfurt, am 28. Juni abermals in Würzburg; die nächstgrößere Station ist dann Köln, 25. August. Im Herbst ist er in Bran­ denburg, gegen Ende des Jahres in Freiburg i. Br. Auch im darauffolgenden Jahr muß Albert weitläufige Reisen bewältigen. Zum letzten Mal nennt er sich in einer Urkunde vom 25. August, ausgestellt in Mainz, "vom apostoli­ schen Stuhl bestellter Prediger des Kreuzes in Deutschland und Böhmen zur Unterstützung des Heiligen Landes". Mit dem Tod Papst Urbans IV. am 2. Oktober des gleichen Jahres ist auch dieser päpstliche Auftrag für ihn beendet. Albert zieht sich für die nächsten Jahre in das Würzburger Domi­ nikanerkloster zurück. Daß die Wahl gerade auf dieses Kloster fällt, hängt damit zusammen, daß dort sein leiblicher Bruder, Heinrich von Lauingen, lebte. In diesen Jahren schlichtete er eine Reihe Streitfälle. 1267 begibt sich

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Albert nach Straßburg. Hier lebte einer seiner vertrautesten Schüler, Ulrich von Straßburg. Albert suchte die Nähe des Freundes. Im Straßburger Do­ minikanerkloster scheint er Vorlesungen gehalten zu haben. Unzweifelhaft setzte er auch hier seine wissenschaftlichen Studien fort. Erst jetzt vollen­ dete er seine vor Jahrzehnten bereits begonnene Aristotelesparaphrase . Er schreibt die Kommentare zur aristotelischen Logik, Metaphysik, Ethik und Politik. Außerdem fand er noch Zeit, Kommentare zu Büchern der Heiligen Schrift zu verfassen. Insbesondere beschäftigte er sich mit den Bü­ chern der Propheten und den Evangelien. Sein Ansehen als Wissenschaftler ist so groß, daß ihn der Ordensmeister 1 269 nochmals als Professor der Theologie an die Universität Paris entsenden möchte . Doch Albert fühlt sich zu alt für dieses Amt. Auch hat er wohl ein Gespür dafür, daß ihn die Fragen, die jetzt dort diskutiert werden, nicht mehr berühren . Jetzt erst ist die Harmonie zwischen Glauben und Wissen grundsätzlich in Frage ge­ stellt. Jetzt entflammt erneut auch der Streit zwischen Ordens- und Welt­ geistlichen . Albert spürt, daß ein Jüngerer an seiner Stelle nach Paris gehen muß . Er empfiehlt die Neuberufung seines einstigen Schülers, Thomas von Aquino. Dieser Empfehlung folgt der Orden. Einem anderen Ruf konnte sich jedoch Albert nicht verschließen. Gegen Ende des Jahres 1 2 70 bat der Generalmeister Johann von Vercelli Albert "flehentlich, daß Ihr Euren so würdigen und nützlichen Plan mit der er­ wünschten und den Brüdern so notwendigen Wirkung ausführen und die Stadt Köln besuchen wollt, zumal da Eure Anwesenheit der Klerus j ener Stadt herzlich herbeisehnt und fordert, wo Ihr die Ströme des Euch anver­ trauten heiligen Brunnens mit vielfacher Förderung der Brüder auf andere ableiten und sehr vielen nützen könntet" . Die Formulierung ist eigentüm­ lich vage gewählt, weil der Ordensgeneral sich bewußt war, daß seine Bitte rechtlich unzulässig war. Noch dauerte der Streit zwischen der Stadt und dem auf Burg Nideggen gefangengehaltenen Erzbischof Engelbert 11. an ­ den Konflikt hatten wir bereits schon früher erwähnt. Noch lag das Inter­ dikt über der Stadt. Der Ordensgeneral durfte ein Mitglied des Ordens nicht in die gebannte Stadt schicken. Erst recht war er, wie Hugo Stehkäm­ per neuerdings betont hat, als Unbeteiligter nicht berechtigt, einen anderen Unbeteiligten aufzufordern, in einen Streit einzugreifen, der als Rechtsfall an der päpstlichen Kurie verhandelt wurde. Aber der Ordensgeneral und Albert stimmten in der grundsätzlichen Erwägung miteinander überein, daß es hier aus seelsorglicher Verantwortung heraus zu handeln galt. Das Gut des Friedens zu vermitteln, war Albert ein Herzensbedürfnis . So ver­ schloß er sich den Wünschen des Generalmeisters nicht und kehrte nach Köln zurück. Tatsächlich gelang es ihm, den tiefeingefressenen Haß des Erzbischofs gegen die Stadt abzubauen, darüber hinaus Engelbert ll. zum

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Eingeständnis zu bewegen, daß seine Politik gescheitert war. So konnte er abermals den Frieden vermitteln. Seither nahm Albert seinen ständigen Wohnsitz im Kölner Dominikanerkloster. Auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt hat Albert noch zahlreiche Wei­ hehandlungen vorgenommen. Dazu mußte er weite Reisen unternehmen. Unter anderem hat er 1 2 75 den Hauptaltar der Kirche der Abtei St. Vitus in Mönchengladbach eingeweiht. Der Chor dieser Kirche, ein Juwel der Go­ tik, ist ein Werk des Kölner Dombaumeisters Gerhard. Die wichtigste Reise aber, die Albert unternahm, war die zum Konzil von Lyon, 1 2 74 . Hier setzte e r sich für die Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen Kö­ nig ein, trug dadurch bei zur überwindung der kaiserlosen Zeit. Drei Jahre später, 1 277, indizierte der Pariser Bischof Stephan Tempier u. a. auch ei­ nige Sätze des Aquinaten. Albert hatte sich mit den fraglichen Sätzen nicht näher beschäftigt. Zwar hatte er 1 2 70 bereits aus Anlaß einer Anfrage eines seiner in Paris studierenden Schüler, Ägidius von Lessines, auf die damals umstrittenen averroistischen Thesen Bezug genommen. Doch zeigen seine Ausführungen, daß er tatsächlich über die Problemstellung und die Lage in Paris nur unvollständig unterrichtet war. Daher stößt der Bericht, den im Informationsprozeß über das Leben des Aquinaten Bartholomäus von Ca­ pua gibt, daß Albert seinen Schüler zu entlasten von Köln nach Paris gereist sei, auf einige Skepsis. Bartholomäus von Capua spricht aus der Distanz der Jahrzehnte. Er ist außerdem kein unmittelbarer Zeuge, sondern stützt seine Aussagen auf die Zeugen berichte anderer, die Thomas näher gekannt ha­ ben. Für den Bericht über die Parisreise Alberts des Großen beruft er sich auf Hugo Borgognoni, der mehrmals Prior der Dominikaner in Lucca war. Dieser will Albert nach Paris begleitet haben. Der Bericht, den Bartholo­ mäus von Capua unter Berufung auf Hugo von Lucca gibt, ist immerhin so fesselnd geschrieben, daß er hier in seinem wichtigsten Abschnitt mitgeteilt sein soll : "Es erhob sich ein Geraune, die Schriften des Bruders Thomas würden in Paris bekämpft. Daher sagte Bruder Albert, er selbst wolle dort­ hin gehen, um diese Schriften zu verteidigen. In ihrer Furcht wegen seiner Altersschwäche und wegen des weiten Weges rieten die Predigerbrüder ihm aber eine Zeitlang von diesem Weg ab . . . Schließlich aber sagte Bruder Albert, der Erzbischof oder Bischof von Regensburg war, er wolle zur Verteidigung so edler Schriften unbedingt nach Paris gehen . . . Als Bruder Albert in Paris war, fand eine Zusammenkunft im Generalstudium statt. Er bestieg die Lehrkanzel der Predigerbrüder und legte den Satz aus : ,Welches Lob dem Lebenden, wenn er von den Toten gelobt wird'. Dann erklärte er, Bruder Thomas sei der Lebende, die anderen die Toten, und er stimmte rühmend und preisend das Lob des Bruders Thomas an und erklärte, er sei bereit, bei einer Prüfung durch erfahrene Leute, die Schriften des Bruders

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Thomas als durch ihre Wahrheit und Heiligkeit leuchtend zu verteidigen . " Bernhard Geyer wird man seiner Beurteilung dieses Berichtes in der Le­ bensskizze, die er für die Reihe >Die großen Deutschen< schrieb, zustim­ men dürfen, nämlich daß die Tendenz offenkundig ist, Albert " für die tho­ mistische Doktrin als Kronzeugen anzuführen" . Was Albert intendierte, war die Verteidigung des Untadeligen in der Lehrerpersönlichkeit des Aquinaten . In der letzten Lebenszeit zog sich Albert ganz von j eder öffentlichen Wirksamkeit zurück, ließ sich auch nicht mehr besuchen. Er wollte nur noch Gott allein leben . Im Januar 1 2 79 verfaßte er sein Testament. Aus ihm geht hervor, daß der Chor der Predigerkirche noch nicht vollendet war. Zur Ausstattung des Chores vermachte er seine sämtlichen Wertsachen dem Kölner Dominikanerkloster. Dazu hinterließ er ihm außerdem noch seine bischöflichen Gewänder und Geräte sowie seine Bücher. Je ein Legat bestimmte er zugunsten der Dominikanerinnenklöster in Augsburg, Gmünd bei Esslingen und Würzburg . Zu Testamentsvollstreckern bestellte er u. a. auch seinen leiblichen Bruder Heinrich von Lauingen, Prior des Würzburger Dominikanerklosters . Am 1 5 . November 1 2 80 starb Albert in seiner Zelle im Kölner Dominikanerkloster. Drei Tage später wurde sein Leichnam in einem Holzsarg vor den Stufen des Hauptaltars der Prediger­ kirche beigesetzt. Zwar setzte eine Verehrung schon bald ein, aber erst 1483 wurden die Gebeine Alberts des Großen in ein neues Hochgrab überge­ führt, das für ihn in der Kölner Dominikanerkirche errichtet wurde. Ein Jahr später verlieh Papst Innozenz VIII. anläßlich des Generalkapitels der Dominikaner in Rom den Konventen von Köln und Regensburg die Er­ laubnis, einen Altar zu Ehren Alberts zu errichten und ihn als Seligen zu verehren . Die vollständigste und beste Biographie des Mittelalters verfaßte um 1 486 der Kölner Dominikaner Petrus de Prussia. Vier Jahre später erar­ beitete der Dominikaner Rudolf von Nimwegen eine neue Lebensbeschrei­ bung, die im wesentlichen auf der vorangehenden des Petrus de Prussia be­ ruht. Sie erlangte im Orden offizielle Geltung. Die Seligsprechung erfolgte erst 1 622, die Heiligsprechung 1 93 1 . Zehn Jahre später erklärte Papst Pius XII. Albert zum Patron der Naturwissenschaften. Die lange Dauer, die es brauchte, bis Albert als Heiliger von seiner Kir­ che rezipiert wurde, ist kennzeichnend für das Schicksal seiner N achwir­ kung. Wohl hat Albert eine Reihe Schüler gehabt, die er nachhaltig be­ einflußte . Ulrich von Straßburg haben wir bereits erwähnt. Möglicherweise hat auch Meister Eckhart Albert persönlich kennengelernt. Teil des Opus tripartitum sollte ein philosophisches Thesenbuch sein, das Opus proposi­ tionum . Dabei hatte Meister Eckhart die Absicht, von Thesen des Proklos auszugehen . Einer seiner Schüler, der Dominikaner Berthold von Moos-

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burg, hat sich dadurch anregen lassen, einen Kommentar zur >Elementatio theologica< des Proklos zu verfassen . In ihr entwickelte er eine konsequente Einheitsmetaphysik. Berthold von Moosburg hat dabei reichlich Gebrauch von den Schriften Alberts des Großen gemacht. In seiner Bibliothek befan­ den sich eine Reihe Bücher, die der Heilige verfaßt hat, u. a. besaß er das Autograph der Tierbücher Alberts des Großen, das heute das Historische Archiv der Stadt Köln bewahrt. Der Besitzervermerk ist noch erhalten. Gleichwohl setzte sich auch unter den deutschen Dominikanern bereits des 14. Jahrhunderts die Doktrin des Aquinaten durch. In der Promotionsliste der Doktoren der Theologie an der Universität Köln, die der Dominikaner Servatius Vankel im 1 5 . Jahrhundert anfertigt, werden die Schulrichtungen ausdrücklich vermerkt. Die Dominikaner finden sich ausschließlich in der Schule der Thomisten. Die Weltpriester haben sich verschiedenen Schulen angeschlossen, darunter auch der der Albertisten. Es gab in Köln sogar Bursen der albertistischen Richtung. Der bedeutendste Vertreter einer Theologie albertistischer Richtung war im 1 5 . Jahrhundert Heymericus de Campo, bei dem Nikolaus von Kues hörte . Es gibt sogar Verbindungen zwischen den Albertisten an der Universität Köln und an der Universität Krakau . Dennoch muß man sagen : Der Albertismus ist Episode geblieben. Schuld daran trug u. a. auch die Arbeitsweise Alberts selbst. Seine Werke erwiesen sich als umfangreich, sogar als allzu umfangreich, ließen zuweilen ein letztes Ausgefeiltsein vermissen. So bedeutsam seine theologische Summe war, so wurde sie dennoch von der des Aquinaten übertroffen . Das Werk des Schülers verdrängte mit innerer Notwendigkeit das Werk des Lehrers . Nur ein Bruchteil wurde übersetzt. Die populärsten Schriften sind Albert überhaupt zu Unrecht zugeschrieben worden. Sie haben dazu beige­ tragen, ihn als den Magus erscheinen zu lassen, weniger als den Sanctus. Dabei gehören übrigens zu diesen pseudoalbertinischen Schriften auch aus­ gesprochen fromme Werke, darunter einige mariologische. Allzu lange blieb das Werk des Heiligen unentdeckt. Die großen Editionen von Borg­ net und Jammy haben daran nichts zu ändern vermocht, zumal sie mit mancherlei Unvollkommenheiten, ja Fehlern befrachtet waren. Erst die kritischen Neuausgaben erlauben ein genaues Kennenlernen des Werkes des Heiligen, insbesondere die Editio Coloniensis, die Bernhard Geyer begründet hat, trägt zur Revision unserer Kenntnis des Gesamtwerkes bei. Dem deutschsprachigen Leser vermittelten bereits einige neuere Antholo­ gien einen Zugang zur Gedankenwelt Alberts des Großen. Vor allem muß die Anthologie genannt werden, die 1 948 Rhaban Liertz vorgelegt hat. Sie hat allerdings den Nachteil, daß sie auf j eden Quellennachweis verzichtet. Eine Nachprüfung ist dadurch außerordentlich erschwert. Hinzu kommt, daß Liertz vielfach nur paraphrasiert, also keine wörtliche übersetzung

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liefert. Für die Anthologie, die hier vorgelegt wird, wurden die in den ›Benutzten Quellen‹ aufgeführten Editionen herangezogen. Berücksichtigt werden alle Aspekte des Werkes, Theologie, Philosophie wie Naturlehre. So soll die Universalität Alberts deutlich werden.

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Albertusliteratur in Auswahl Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag. Katalog des Historischen Archivs der Stadt Köln. Red. von Hugo Stehkämper und Matthias Zender, Nr. 246. Köln 1980. Albert von Lauingen. 700 Jahre † Albertus Magnus, Festschrift 1980. Hrsg. vom Historischen Verein Dillingen a. d. Donau (auch Jahrbuch des Historischen Vereins, Dillingen a. d. Donau, 1979). Albertus Magnus, Bischof von Regensburg und Kirchenlehrer. Gedenkschrift zum 700. Todestag. Hrsg. von Georg Schwaiger und Paul Mai (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Bd. 14). Regensburg 1980. Albertus Magnus, Doctor Universalis 1280/1980. Hrsg. von Gerbert Meyer OP und Albert Zimmermann (Walberberger Studien. Philosophisch-Theologische Hochschule der Dominikaner – Philosophische Reihe, Bd. 6, 1980). S. 495–514: Johannes Schöpfer, Bibliographie. Unentbehrlich für das Weiterstudium. Albert the Great. Commemorative Essays. Ed. by Francis J. Kovach and Robert S. Shahan. Norman: University of Oklahoma Press 1980. Albertus Magnus and the Sciences. Commemorative Essays . Ed. by James A. Weisheipl (Studies and Texts vol. 49, Toronto 1980). Albert der Große. Seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung. Hrsg. von Albert Zimmermann (Miscellania Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln, Bd. 14, Berlin–New York 1981). Henryk Anzulewicz, De forma resultante in speculo des Albertus Magnus: Die theologische Relevanz des Bildbegriffs und des Spiegelbildmodells in den Frühwerken des Albertus Magnus. Münster 1999. Heinrich Balss, Albertus Magnus als Zoologe. München 1928. Heinrich Balss, Albertus Magnus als Biologe. Werk und Ursprung (Große Naturforscher, Bd. 1). Stuttgart 1947. Ingrid Craemer-Ruegenberg, Albertus Magnus (hrsg. v. Henryk Anzulewicz. Leipzig 2005). Willehad Paul Eckert, Albertus Magnus und das Studium Generale der Dominikaner in Köln, in: Geschichte in Köln, Heft 8, Köln 1980. Bernhard Geyer, Die Universitätspredigten des Albertus Magnus (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse). München 1966. Gerhard Endreß, Der arabische Aristoteles und sein Leser: Physik und Theologie im Weltbild Alberts des Großen. Münster 2004. Martin Grabmann, Albert der Große – ein wissenschaftliches Charakterbild. München 1932.

Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

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Ders., Der Einfluß Alberts d. Gr. auf das mittelalterliche Geistesleben (ders., Mittelalterliches Geistesleben, Bd. 2). München 1936, S. 324–412. Paul Dominikus Hellmeier, Anima et intellectus: Albertus Magnus und Thomas von Aquin über Seele und Intellekt des Menschen. Münster 2011. Georg von Hertling, Albertus Magnus. Beiträge zu seiner Würdigung. Festschrift zur 6. Säkularfeier seines Todestags. Frankfurt a. M. 1982. Ludwig Hödl, Albert d. Gr. und die Wende der latein. Philosophie im 13. Jahrhundert. In: Virtus Politica. Festschrift für Alfons Hufnagel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, S. 251–275. Ludger Honnefehler (Hrsg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee: die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft. Berlin 2011. Ders. (Hrsg.), Albertus Magnus und die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter: von Richardus Rufus bis zu Franciscus de Mayronis. Münster 2005. Hans Jorissen, Der Beitrag Alberts des Großen zur theologischen Rezeption des Aristoteles am Beispiel der Transsubstantiationslehre. Münster 2002. Rudolf Kaiser, Die Benutzung prokliseher Schriften durch Albert d. Gr. Archiv f. Geschichte der Philosophie 45 (1963) 1–22. Ders., Zur Frage der eigenen Anschauung Alberts d. Gr. in seinen philosophischen Kommentaren. Eine grundsätzl. Betrachtung. Freiburger Zeitschrift f. Philos. und Theol. 9 (1962) 53–62. Ders., Versuch einer Datierung der Schrift Albert d. Gr. ›De causis et processu universitatis‹. Archiv f. Gesch. der Phil. 45 (1963) 125–136. Helmut Kohlenberger, Virtus politica. Einige terminologische Hinweise zum Verhältnis von Ethik und Politik bei Albertus Magnus. In: Virtus politica. Festschrift für Alfons Hufnagel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, S. 95–106. Karl Lehmann, Albertus Magnus und die Theologie. Regensburg 2008. Alfons Müller, Die Lehre der Taufe bei Albert d. Gr. Theol. Dissertation München 1962 (Veröffentlichung des Grabmann-Institutes N. F. 2). München–Paderborn– Wien 1967. Jörn Müller, Natürliche Moral und philosophische Ethik bei Albertus Magnus. Münster 2001. Genoveva Nitz, Albertus Magnus in der Volkskunst. Die Alberti-Tafeln. München– Zürich 1980. – Dieses Buch ist erwachsen aus der Albertus-Magnus-Ausstellung in Regensburg. Franz Josef Nocke, Sakrament und personaler Vollzug bei Albertus Magnus. Diss. München 1962 (Beitr. z. Gesch. d. Phil. und Theol. des Mittelalters, Bd. 41, H. 4). Münster 1967. Franz Pelster, Kritische Studien zum Leben und zu den Schriften Alberts d. Gr. (Ergänzungshefte zu den Stimmen der Zeit. 2. Reihe. Heft 4). Freiburg 1920. Joseph Pieper, Scholastik, Gestalten und Probleme der mittelalterlichen Philosophie. München 1998. Edmund Runggaldier, Die menschliche Seele bei Albertus Magnus: ein nichtreduktionistischer Beitrag zum Leib-Seele-Problem. Münster 2010.

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Leben und Werk des hl. Albertus Magnus

Heribert Christian Scheeben, Albertus Magnus. Ordensmann, Bischof, Gelehrter, Mann des Volkes. Bonn 1934, 3. Aufl. Köln 1980. – Eine grundlegende Biographie. Heribert Christian Scheeben – Angelus Walz, Iconographia Albertina. Der hl. Albert der Große in der Kunst. Freiburg 1932. Rudolf Schieffer, Albertus Magnus, Mendikantentum und Theologie im Widerstreit mit dem Bischofsamt. Münster 1999. Heinz Robert Schlette, Die Lehre von der geistlichen Kommunion bei Bonaventura, Albert d. Gr. und Thomas von Aquin (Münchener theol. Studien. Abt. 2, Bd. 17). München 1959. 85–153: Die Lehre von der manductio spiritualis bei Albertus Magnus. Arthur Schneider, Die Psychologie Alberts d. Gr. I. u. II. Teil (Beiträge z. Gesch. d. Philos. des Mittelalters, Bd. IV, H. 5–6). Münster 1903 und 1906. Walter Senner, Alberts des Großen Verständnis von Theologie und Philosophie. Münster 2009. Ders. (Hrsg.), Albertus Magnus: zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven, Berlin 2001. James J. Shaw, Scientific empiricism in the middle ages: Albertus Magnus on sexual anatomy and physiology. Clio medica 10 (1975) = Acta internationalis historiae medicinae. Amsterdam 53–64. Georg Wieland: Zwischen Natur und Vernunft: Alberts des Großen Begriff vom Menschen. Münster 1999. Albert Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen. Leuven 1998.

ZUR T E X T G E S T A LTU N G Die übersetzung versucht eine sinngetreue Wiedergabe des lateinischen Textes . Dabei wurde darauf geachtet, daß die scholastische und persönlich geprägte Schreibweise des Albertus Magnus möglichst nicht verfälscht wurde. Da Albertus Magnus nicht nur viel geschrieben, sondern auch schnell ge­ arbeitet hat, litt mitunter die Klarheit und die Schärfe . Daher mußten in der übersetzung an vielen Stellen paraphrasierende Bemerkungen (in Klam­ mern) hinzugefügt werden, die j edoch sämtlich entweder dem Zusammen­ hang des vorgelegten Textes entnommen sind oder Parallelstellen, die bei Albert häufig gegeben sind. Weitere Erklärungen lagen außerhalb des Auftrags und der Absicht. Eine geringe Anzahl von Anmerkungen, die auch für den deutschen Text gelten, sind j eweils nur dem lateinischen Text beigegeben. Den Forschern, die, durch freundliche Vermittlung von P. Gerbert Mey­ er, Walberberg, in entgegenkommender Weise Textvorschläge aus ihrem Fachgebiet gemacht haben - deren Namen sind j eweils angegeben -, wie auch anderen Gelehrten, deren Textvorschläge aus Rücksicht auf den Um­ fang des Bandes leider nicht einbezogen werden konnten, sei für ihre Bemühungen aufrichtiger Dank gesagt. Besonders danke ich Herrn Dr. Maxfritz Hüffer, Aschendorffsche Ver­ lagsbuchhandlung, Münster i. W. , für die freundlich gewährte Lizenz zur übernahme von Texten aus der Editio Coloniensis ; Herrn Prof. DDr. Wilhe1m Kübel, Praeses des Albertus-Magnus-Instituts, Bonn, der eben­ falls zur Entnahme der Texte aus der Editio Coloniensis liebenswürdiger­ weise die Zustimmung gab und mir die Benutzung der Handschriften-Pho­ tokopien des Albertus-Magnus-Instituts gestattet hat. Hennef/Sieg, Kloster Geistingen, 3 0 . September 1 980 Albert Fries

B E NUTZTE Q U E L L E N Editio Coloniensis : Alberti Magni, Opera omnia. Münster i. W . : Aschendorffsche Verlags­ buchhandlung Tomus V: De caelo et mundo, ed. P. Hossfeld ( 1 971 ) Tomus VII : Pars I, De anima, ed. C . Stroick ( 1 968) Tomus XIV : Pars I, Fase . 1 : Super Ethica, ed. W. Kübel ( 1 968), Fase. 2 : (1972) Tomus XVI : Pars I, Metaphysica, ed. B . Geyer ( 1 960), Pars II (1 964) Tomus XVII : Pars I, De XV Problematibus, ed. B. Geyer, De fato, ed. P. Simon (1 975) Tomus XXV : Pars I, De natura boni, ed. E . Filthaut (1 974) Tomus XXVI : De incarnatione, ed. I . Backes ( 1 958) Tomus XXVIII : De bono, ed. H . Kühle, C . Feckes, B . Geyer, W. Kübel ( 1 95 1 ) Tomus XXXVII : Pars I, Super Dionysium, ed. P. Simon ( 1 972) Die kritischen Einzelausgaben : De vegetabilibus, ed. E. Meyer/C. Jessen. Berlin 1 867 De animabilibus, ed. H . Stadler. Münster i. W. : Aschendorffsche Ver­ lagsbuchhandlung 1 9 1 6 und 1 92 1 (Beiträge zur Geschichte der Philo­ sophie des Mittelalters, Band XV und Band XVI) Erstausgaben : Prologus super Marcum, ed. Voste. Rom 1 932 Prologus super Lucam, ed. Voste . Rom 1 932 Editionsmanuskripte : Super Matthaeum, B . Schmidt Quaestiones theologicae, A. Fries Editio Parisiensis (Borgnet-Ausgabe) Paris 1 890-1 899 (meistens korri­ giert nach Photokopien von Handschriften [im Albertus-Magnus-Insti­ tut, Bonn] oder kontrolliert [auch wo es nicht eigens angegeben ist] an den [Teil-] Drucken von Basel 1 506 [Super Sententias] oder von Venedig 1 498 [De IV coaequaevis, De homine])

ALBERTUS MAGNUS AUSGEWÄHLTE TEXTE

1 . "Et Albertus saepe dicebat : Hoc scimus, quantum scimus, nam omnes parum scimus . " (Th. Käppeli, Praedicator Monoculus. Sermons parisiens d e la fin du XlIIe siecle : Arch. Fr. Praed. 27 [1 957] p . 1 62 . )

2.

Accipiemus igitur a b antiquis quaecumque bene dicta sunt a b ipsis . . .

De causis et processu universitatis I. 2 tr. 1 c . 1 (Ed. Par. t. 1 0 p . 433b) ; Rom, Cod. Vat. lat. 71 7 f. 13 vb .

3. Quaecumque autem Plato dixit, habeant firmitatem quam possunt, donec forte ab aliquo explanentur. Metaphysica (Ed. Co!. t. 16 p . 542 . 2 3 - 2 5 ) .

4. Ecce haec est sententia utrarumque opinionum, et eligat unusquisque quod vult. Nos autem dicimus, prout nobis videtur, quod utraque istarum opinionum vera est secundum aliquem modum ; absque dubio enim una est forma omnium moventium a primo usque ad ultimum in uno genere mo­ tus . . . Physica I. 2 tr. 2 c . 3 (Ed. Par. t. 3 p . 125b) ; München, Staats bibI. Clm 2 8 1 86 f. 44rb ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 26ra. S. Eligat ergo unusquisque quod vult. Ea enim quae dicta sunt, secundum Peripateticorum rationes determinata sunt, et non de assertionibus nostris inducta, et assiduis postulationibus sociorum nostrorum potius extorta, quam impetrata.

De causis et processu universitatis I. 2 tr. 5 c. 24 (Ed. Par. t. 1 0 p. 6 1 9b) ; Rom. Cod. Vat. lat. 71 7 f. 46rb .

6. Opinionibus autem introductis in nullo volo contradicere, quia materia difficilis est; et sequatur unusquisque quod ei magis placuerit. I Sent. d . 23 a. 2 (Ed. Par. t. 25 p. 5 8 7b); Ed. Bas.

I. ZUR METHODE UND EINSTELLUNG 1.

In der Wissenschaft überhaupt

1 . "Albert pflegte zu sagen : Das wissen wir, soweit wir es wissen ; denn wir alle wissen nur wenig . " (Meister Eckhart in einer Pariser Universitäts­ predigt aus dem Jahr 1 294 . )

2.

Wir übernehmen also von den Alten, was sie richtig gesagt haben.

3 . Die Lehre Platons (d. h. die neuplatonische Lehre, daß aus dem Einen nur Eines hervorgehen könne) soll, soweit möglich, ihre Gültigkeit behal­ ten, bis vielleicht einmal jemand kommt und sie richtig deutet. 4. Das sind die beiden Ansichten (über die Wirkursache im allgemeinen) . Jeder möge halten, was er will. Wir jedenfalls sagen, daß nach unserer Mei­ nung jede der beiden Ansichten einen gewissen Wahrheitsgehalt für sich hat ; denn ohne Zweifel ist bei allen Bewegern ein und derselben Gattung ­ vom ersten bis zum letzten - eine einzige Art der Bewegung bestim­ mend . . .

5. Mag jeder (gegenüber dem neuplatonischen System) sich für die Auf­ fassung entscheiden, die ihm zusagt. Diese Ausführungen sind aus den Gedankengängen der Peripatetiker zusammengestellt, nicht aus eigenen Behauptungen aufgestellt. Durch fortwährendes Bitten meiner Mitbrüder wurden sie mehr erpreßt als erbeten.

6. Den bis jetzt entwickelten Ansichten möchte ich nicht im geringsten widersprechen. Es (d. h. das Personsein in Gott) ist eine schwierige Frage. Mache jeder sich den Erklärungsversuch zu eigen, der seine Billigung findet.

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Zur Methode und Einstellung

7. Et quia res diffieillimas hie perserutari intendimus, ideo volumus primo totam Aristotelis sententiam pro viribus nostris explanare, et tune indueere aliorum Peripatetieorum opiniones, et post hoe videre de opinio­ nibus Platonis, et tune demum nostram ponere opinionem . . . Rogo autem nostros soeios, ut dubitationes, quae hie indueentur, diligenter attendant, ut, si invenerint earum perfeetarn solutionern, grates Deo referant; si autem non invenerint, hoe ad minus lueri reportabunt, quod seient dubitare de re­ bus mirabilibus et altis et ad seientiam divinam multum profieientibus . Cum enim seientia de anima . . . sit de mirabilibus, id quod hie quaerendum est in ea, est mirabilius eeteris et altius, et est id quod homo per seipsum de anima seire desiderat. De anima (Ed. Col. t. 7, I p . 1 77, 53 - p . 1 78 , 2).

8.

. . . Nee sinunt eos in dulcedine soeietatis quaerere veritatem .

Politica I. 8 c . 6 (Ed. Par. t. 8 p. 8 04) ; Berlin, StaatsbibI. Cod. Lat. fol. 8 79 f. 90vb .

Seientiae enim naturalis non est simplieiter narrata aeeipere, sed in rebus naturalibus inquirere eausas .

9.1

Mineralia I. 2 tr. 2 c. I (Ed. Par. t. 5 p. 30a) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 129rb.

1 0. Quae probatio (per sensum) in naturis re rum eertissima est, et plus dignitatis habet quam ratio sine experimento . Meteora 1 . 3 tr. 1 c . 2 1 (Ed. Par. t. 4 p . 606a) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 87va.

1 1 . . . . Et hoe eoneordat eum experientia quam nos . . . experti sumus, et cum ratione. De animalibus I. 6 tr. 1 c. I (ed. Stadler p. 444 n. 8).

12.

Ego autem expertus sum anatomiam apum seeundum genera sua . . .

Ibid. I. 4 tr. I c . 7 (ed . Stadler n . 71 p . 390) .

13.

Experientia enim optima est in talibus magistra.

Ibid. 1 . 23 c . 1 9 (ed. Stadler p . 1 4 8 1 n . 88).

In der Empirie

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7. Wir haben hier sehr schwierige Probleme zu behandeln (über die Ver­ nunftseele) . Zuerst werde ich also die Lehre des Aristoteles darlegen, so gut ich kann. Dann stelle ich die Meinungen der Anhänger des Aristoteles und weiterhin die Ansicht Platons vor; schließlich werde ich meine eigene Auf­ fassung vortragen . . . Ich bitte aber meine Mitbrüder , die hier auftretenden Schwierigkeiten sorgsam zu bedenken ; gelangen sie dafür zu einer befriedi­ genden Lösung, sollen sie Gott Dank sagen ; gelingt es aber nicht, so sollen sie wenigstens das als Vorteil verbuchen, daß sie lernen, solch wunderbare und erhabene, auch für die Theologie bedeutsame Wirklichkeiten kritisch zu befragen. Schon in der Psychologie überhaupt geht es um einen bewun­ dernswerten Forschungsgegenstand, dann aber ganz besonders in diesem Abschnitt über die Vernunftseele, die im Seelenleben das Höchste und Herrlichste ist. Dieses Wissen um die Seele ist das dem Menschen innewoh­ nende Verlangen. 8 . Sie (die Gegner des Philosophiestudiums im eigenen Orden) lassen ihre Mitbrüder nicht in angenehmer Gemeinschaftsarbeit die Wahrheit suchen.

2.

In der Empirie

Aufgabe der Naturwissenschaft ist es nicht, schlicht alles zu überneh­ men, was über Naturdinge geschrieben ist und erzählt wird. Sie hat (im Dienst der Naturphilosophie) die in den Naturerscheinungen wirkenden Ursachen zu erforschen. 9.

1 0. Der Beweis aus der Sinneserfahrung (d. h. die Induktion : inductio ad universale accipiendum) gibt in der Naturphilosophie die größte Sicherheit und steht wissenschaftlich höher als Theorie ohne Beobachtung. 1 1 . Das Ergebnis stimmt mit unserer persönlichen Beobachtung und mit der Theorie überein.

12. Ich selber habe nach allen Seiten die Anatomie der Bienen unter­ sucht . . . 1 3. Erfahrung aus (wiederholter) Beobachtung ist die beste Lehrmeisterin in der Naturkunde.

Zur Methode und Einstellung

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1 4 . Experimentum enim solum certificat in talibus, eo quod de tarn parti­ cularibus naturis syllogismus haberi non potest. De vegetabilibus et plantis (ed. Meyer-Jessen p . 340 n . 1 ) .

1 5 . Sicut enim i n animalium scientia non scimus naturam eorum nisi co­ gnitis cibis et operibus animalium et partibus eorum, ita etiam in scientia plantarum nequaquam cognoscitur natura earum ni si sciantur et partes ea­ rum et qualitates et effectus . . . Non enim aliter cognoscimus naturas earum nisi experiamur ea quae dicta sunt de eisdem. Ibid. I. 6 tr. 2 c . 1 (ed. Meyer-Jessen p. 472 n. 263 ; n . 265).

16. Huius autem omnino contrarium videmus secundum sensus expe­ nentlam . De caelo et mundo (Ed. Col. t. 5 , 1 p . 2 72 , 3 1-32).

1 7. Nec nos in naturalibus habemus inquirere, qualiter Deus opifex se­ cundum suam liberrimam voluntatem creatis ab ipso utatur ad miraculum, quo declaret potentiam suam , sed potius quid in rebus naturalibus secun­ dum causas naturae insitas naturaliter fieri possit. Ibid. (p. 1 03 , 7-1 2 ) .

1 8 . Si autem quis dicat, quod voluntate dei cessabit aliquando generatio, sicut aliquando non fuit et post hoc incepit : dico, quod nihil ad me de Dei miraculis, cum ego de naturalibus disseram . De generatione et corruptione 1. 1 tr. 1 c . 22 (Ed. Par. t. 4 p. 363b), Stift Lilienfeld Cod. 205 f. 5 vb.

19.

Curiositas enim experiendi incitamentum facit.

Super Dan. 14, 15 (Ed. Par. t. 1 8, p. 636b) ; München, StaatsbibI. Clm 2 8 1 98 f. 47rb .

20. Multitudo enim temporis requiritur ad hoc, ut experimentum probe­ tur, ita quod in nullo fallat. Unde Hippocrates in "Medicinalibus" loquens, hoc ipsum innuit, dicens : "Vita brevis, ars longa, experimenturn fallax, iu­ dicium difficile . " Oportet enim experimentum non uno modo, sed secun­ dum omnes circumstantias probare, ut certe et recte principium sit ope-

In der Empirie

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1 4. Wiederholte Beobachtung (experimentum) allein führt in der Natur­ forschung zur Gewißheit. Für die Sachverhalte in den Einzelfällen des Naturbereichs gibt es keinen schlußfolgernden Beweis (der aus den We­ sensgründen die notwendigen Eigenschaften des Erkenntnisgegenstandes ableitet) . 1 5 . In der Tierkunde müssen wir zuerst wissen, wovon die Tiere sich ernähren, wie sie sich betätigen und aus welchen Bestandteilen ihr Orga­ nismus besteht; damit bekommen wir dann Kenntnis von ihrer Art und Be­ sonderheit. Ebenso läßt sich das Eigene und Eigentliche der verschiedenen Pflanzen nur erfassen durch Feststellung ihrer Bestandteile, Eigenschaften und Wirkungen. Denn anders als durch experimentelles Nachprüfen ihrer Beschreibung bekommen wir nicht die Bestimmtheit in den Blick, die eine Pflanze gerade zu dieser Pflanze macht. 1 6 . Genau das Gegenteil stellen wir schon mit (vorwissenschaftlicher) Beobachtung fest, einfach durch Sinnesanschauung.

1 7. In der Naturforschung (d. h. in der Naturphilosophie) haben wir nicht zu untersuchen, ob und wie der Schöpfer-Gott nach seinem voll­ kommen freien Willen durch unmittelbares Eingreifen sich seiner Ge­ schöpfe bedient, um durch ein Wunder seine Allmacht kundzutun. Wir haben vielmehr einzig und allein (in methodischem Atheismus) zu erfor­ schen, was im Bereich der Natur durch natureigene Kräfte auf natürliche Weise alles möglich ist. 1 8 . Wenn nun jemand einwendet, Gott könne mit seinem Willen die Entwicklung in der Natur zum Stillstand bringen, wie es j a einen Zeitpunkt gegeben hat, vor dem kein Werden geschah und nach dem es sich erst ent­ wickelte, dann halte ich dem entgegen, daß ich mich um Wunder durch Gottes Eingreifen nicht kümmere, wenn ich Naturkunde betreibe. 1 9. Echte Wißbegierde gibt den Anstoß zu (wissenschaftlicher) Beob­ achtung. 20. Es kostet viel Zeit, eine Beobachtung so gründlich anzustellen, daß j ede Täuschung ausgeschlossen ist. D aher sagt (der griechische Arzt) Hip­ pokrates in der »Medizin" : »Das Leben ist kurz, die (medizinische) Wis­ senschaft ist lang, die Beobachtung täuschend, das Urteil schwierig. « Es genügt nämlich nicht, die Beobachtung einmal und auf eine einzige Art

Zur Methode und Einstellung

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ris . . . (f. 1 58ra) . Quae autem in sensibilibus sparsa sunt, et multa indigent collatione et proportione ad unum, tempore indigent et multa examina­ tione, antequam certe credantur. Ethica !. 6 tr. 2 c . 25 (Ed. Par. t. 7 p . 442sq. ) ; Erlangen, Univ. Cod. 263 f. 1 5 7v.

2 1 . Hoc enim scire non solum delectabile est studenti naturam rerum cognoscere, quinimmo est utile ad vitam et civitatum permanentiam. De vegetabilibus et plamis !. 7 tr. l c . l (ed. Meyer-Jessen p. 590 n. l ) .

22 . E t sie astrologia e t geometria e t aliae scientiae proficiunt a d pruden­ tiam, non quidem per ipsum scibile, sed per exercitium in ipso . De bono (Ed. Co!. t. 2 8 p . 225 1-4).

23 . Unde seiendum, quod Augustino in his quae sunt de fide et moribus plus quam philosophis credendum est, si dissentiunt. Sed si de medicina 10queretur, plus ego crederem Galeno vel Hippocrati; et si de naturis rerum loquatur, credo Aristoteli plus vel alii experto in re rum naturis. II Sem. d . 1 3 a. 2 (Ed. Par. t . 2 7 p . 2 1 7a) .

2 4 . 2 Quae (philosophia generaliter dicta) omnis admirabilis intendit com­ prehendere veritatem secundum modum secundum quem possibile est comprehendere eam ex propriis principiis eius quod admiratur. Super Porphyrium de V universalibus tr. 1 c. 2 (Ed. Par. t. 1 p . 4a) ; Mainz, Stadtbib!. Cod. 8 1 f. 2rb.

25 . Logica aurem generalis et docens de hoc est ut de subiecto, per quod utens logicus in scientiam ignoti venit per notum . . . Istae ergo sunt duae partes logicae . Una quidem, ur doceantur principia per quae sciatur diffini­ tio rei et quiditas, et ita quod per principia illa doceatur, quae sit vera rei dif­ finitio, et quae non, et quae videatur esse et non sit. Alia vero, ur doceantur principia qualiter per argumentationem probetur enuntiationis veritas vel falsitas . Ibid . c. 4 (p. 8a) ;

C.

5 (p. 8b) ; f. 4ra, f. 4vb.

In der Philosophie

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vorzunehmen, sie muß unter sämtlichen Bedingungen vollzogen werden. Auf einer solchen Grundlage kann mit Recht und Sicherheit gearbeitet werden . . . Was alles in der Welt des Sinnfälligen vorkommt, muß in seiner Beziehung zu anderen Dingen und Vorgängen sowie im ganzen Zusam­ menhang gesehen werden. Bis dabei ein gesichertes Ergebnis heraus­ kommt, braucht es viel Zeit und Kontrolle. 2 1 . Kenntnisse (in Pflanzenzucht, Gartenbau und Landwirtschaft) sind nicht nur ein Genuß für den Theoretiker der Naturkunde, sie sind auch ein Vorteil für das Leben des Menschen und für den Bestand der Gemeinwesen. 22. Astronomie und Geometrie und andere Einzelwissenschaften sind eine Hilfe für eine Lebensführung nach den Normen der Klugheit ; aller­ dings nicht direkt durch ihren Forschungsgegenstand, wohl aber durch den Umgang mit ihm . 23 . Festzuhalten ist : In Sachen der Glaubens- und der Sittenlehre ist dem Augustinus eher und mehr zu glauben als den Philosophen, falls sie eine von ihm abweichende Meinung vertreten . Spräche Augustinus aber über Medizinisches, so würde ich dem Galenos und dem Hippokrates mehr trauen. Falls er über naturwissenschaftliche Dinge spricht, glaube ich mehr dem Aristoteies oder einem anderen Fachmann der Naturkunde .

3 . In der Philosophie 2 4 . Philosophie überhaupt läßt es sich angelegen sein, nach der Wahrheit alles Staunenerregenden zu suchen, und zwar derart, wie sie aus den Seins­ bestandteilen der bestaunten Sache selbst zu erfassen ist.

2 5 . Logik als Lehrfach insgesamt hat zum Gegenstand die Beweisfüh­ rung, deren der Denkende sich bedient, um von Bekanntem zu Unbekann­ tem vorzustoßen . . . Die Logik hat zwei Teile, einmal die Lehre von den Grundsätzen für die Begriffsbestimmung, die das Wesen des Einzelseien­ den aussagt ; mit diesen Grundsätzen als Maßstab entscheidet sie, ob eine Begriffsbestimmung richtig ist oder nicht, ob sie nur scheinbar richtig ist, in Wirklichkeit aber nicht stimmt. Der zweite Teil der Logik stellt die Grund­ sätze zusammen, an denen die Beweisführung für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Aussage zu messen ist.

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Zur Methode und Einstellung

2 6 . Esse enim, quod haec scientia considerat, non accipitur contractum ad hoc vel illud, sed praut est prima effluxio Dei, et creatum primum, ante quod non est creatum aliud . . . Et ipsa est intellectus divini in no bis perfec­ tio, eo quod est de his speculationibus quae non concernunt continuum vel tempus, sed simplices, et purae ab huiusmodi esse divinum obumbrantibus, et firmae per hoc quod fundant alia, et non fundantur; admirabiles ergo sunt altitudine, et nobiles divinitate . Metaphysica (Ed. Col. t. 1 6 p. 3 , 1-4).

27. Philosophari enim est, effectus iam cogniti certarn et manifestam et veram causam investigare, et ostendere, quomodo illius causa est, et quod impossibile est aliter se habere. De vegetabilibus et plantis I. 2 tr. 2 c. 1 (ed. Meyer-Jessen p. 1 3 9 n. 89).

2 8 . Erit autem modus noster in hoc opere, Aristotelis ordinem et senten­ tiam sequi, et dicere ad explanationem eius et ad probationem eius quae­ cumque necessaria esse videbuntur; ita tarnen, quod textus eius nulla fiat mentio . Et praeter hoc digressiones faciemus, declarantes dubia subeuntia, et supplentes minus dicta quaecumque in sententia Philosophi obscuritatem quibusdam attulerunt. Physica I. 1 tr. 1 c . 1 (Ed. Par. t. 3 p . 1 sq . ) ; München, StaatsbibI. Clm 2 8 1 86 f. 1 ra ; Paris, BibI. Nat. C o d . 6 5 0 9 f . 1 ra.

29. Forma permixta potentiae et forma pura non differunt per essentiam, sed per esse; esse motus autem est fluens forma permixta potentia; ergo non differt ab eadem forma pure accepta. Sed forma quae mixta est potentiae in motu, est eadem cum ea quae pura est in termino motus; ergo non differunt istae per essentiam ; ergo etiam essentialiter sunt in uno praedicamento ; sed forma quae est terminus motus, nec est in actione nec in passione, sed in diversis praedicamentis . . . Ergo relinquitur, quod terminus motus intrin­ secus sit per essentiam motui ; ergo est idem cum ente fluente ad ipsum per essentiam, licet non per esse.

In der Philosophie

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2 6 . Der (umfassende) Forschungsgegenstand der Metaphysik (nicht der Gott) ist das Sein (in seiner Allgemeinheit genom­ Hauptgegenstand men), nicht durch nähere Bestimmungen auf dieses oder jenes einzelne Sei­ ende eingeengt ; das Sein als erster Ausfluß aus der Seinsfülle Gottes be­ trachtet, als das Erstgeschaffene, das vor allem anderen aus Gott hervorgeht (nicht als Geschöpf, sondern als die verwirklichende Grundbestimmung des Geschöpfes, als etwas zur Washeit Hinzukommendes, als Selbstmittei­ lung der Wesensform) . . . In der Metaphysik erreicht der gottähnliche Ver­ stand in uns eine Höchstleistung. Sie gehört ja zu den Forschungen, die sich nicht mit den Dingen in Raum und Zeit befassen . Sie ist eine denkerische B emühung, die nicht mit anderen Rücksichten belastet, die also durch und durch einfach ist; die allen Bedingungen, die das aus Gott erfließende Sein mehr oder weniger verdunkeln, enthoben ist und damit hell und klar. Sie steht fest in sich selber; denn sie ist es, die den Einzelwissenschaften die (von ihnen als gegeben vorausgesetzten) Gegenstände liefert, ohne selber auf sie angewiesen zu sein. Sie dringt bewundernswert tief in das Wesen des Seienden ein und hat aus dessen unablösbarem Bezug auf Gott etwas Adeliges an sich. =

27. Die Aufgabe der Naturphilosophie besteht darin, für eine bekannte Wirkung die richtige Ursache klar und sicher festzustellen, den Beweis für dieses ursächliche Verhältnis beizubringen, wie auch dafür, daß es gar nicht anders sein kann . 2 8 . In diesem naturphilosophischen Werk gehen wir von der systema­ tischen Ordnung und von den Lehrmeinungen des Aristoteles aus . Hinzu kommen die für seine Ausführungen notwendigen Erklärungen und Be­ gründungen, allerdings ohne daß sein Text kenntlich gemacht wird. Des weiteren fügen wir erläuternde Abschnitte ein ; darin stellen wir uns den möglicherweise auftauchenden Zweifeln, um sie zu klären, und suchen die Lücken in der Darstellung des Aristoteles, die manchen Leuten das Ver­ ständnis seiner Lehre erschwert haben, etwas aufzufüllen. 29. Eine schon ganz entfaltete Bestimmtheit und eine solche, die erst noch vollständig aus der Anlage heraus zu entwickeln ist, unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur im Wirklichsein. Die Bewegung nun ist eine fließende Bestimmtheit, die noch mit unentfalteter Seinsmöglich­ keit behaftet ist. Also unterscheidet sich die Bewegung wesensmäßig nicht von dieser Bestimmtheit im fertigen Zustand. Nun aber ist die in Bewegung befindliche, mit Anlage-Sein noch durchsetzte Bestimmtheit ein und die­ selbe mit der vollentwickelten am Bewegungsziel. Also besteht zwischen der Bewegung und ihrem Ziel kein Unterschied in der Wesensbeschaffen-

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Zur Methode u n d Einstellung

Adhuc autem, si nos imaginemur puncti fluxum facere lineam, et termi­ nari fluxum puncti in aliquo puncto , ubi terminatur fluxus eius , constat, quod terminus lineae, in quo stat fluxus puncti, intrinsecus est et essentialis lineae ; et non possemus dicere, quod punctus termin ans fluxum esset alte­ rius essentiae quam punctus fluens. Sed esse est aliud fluentis et stantis per modum termini. Est autem per omnia simile in quali fluente et terminante fluxum illum, et in quanto fluente et terminante fluxum quanti, et sie de aliis. Ergo eiusdem est motus et terminus motus . Et sie patet, quod motus est in eodem praedicamento in quo est terminus motus. Physica I. 3 tr. 1 c . 3 (Ed. Par. t. 3 p. 1 85 ) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 3 7va; München, Staats bibI. Clm 2 8 1 86 f. 35ra.

30. Licet ergo omnis nostra cognitio a sensibilibus incipiat, tarnen pro­ fundata circa ea omnia quae sensibilibus quocumque modo attribuuntur, non semper stat et terminatur circa sensibilia, sed extollitur vehementer, in­ veniens ardua et remota a sensibilibus, sicut causam primam, et intelligen­ tias separatas, et seipsam, eo quod advertit se circa sensibilia negotiari ratio­ cinando et intelligendo sensibilium quiditates; ac per hoc incipit quaerere de seipsa et de seipsa scientiam habere nobilissimam. De anima (Ed. Col. t. 7 p. 2, 52-p . 3, 5).

3 1 . Et scias, quod non perficitur homo in philosophia nisi ex scientia duarum philosophiarum Aristotelis et Platonis. Metaphysica (Ed. Col. t. 1 6 p. 89, 8 5 - 87) .

3 2 . H o c enim, meo iudicio, omnis causa fuit controversiae inter Platonem et Aristotelern, quod iste rationes universalium sequi voluit et ex illis rerum

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heit, und s o gehören sie auch in · ein und dieselbe Seinskategorie. Die Bestimmtheit, die das Ziel der Bewegung bildet, fällt aber weder unter die Kategorie der Tätigkeit noch unter die des Erleidens (also auch nicht die Bewegung) ; sie hat ihren Ort in verschiedenen Kategorien . . . Demnach stellt sich heraus, daß das Bewegungsziel (nicht von außen kommt, son­ dern) innerlich, vom Wesen her, zur Bewegung gehört, und folglich deckt es sich dem Sosein nach, allerdings nicht im Wirklich-Sein, mit dem flie­ ßenden Etwas, das auf dieses Ziel zukommt. Stellen wir uns einmal einen Punkt vor, der fließend eine Linie bildet und dessen Fließen an irgendeinem Punkt zur Ruhe kommt. Dann ist klar, daß das Ende der Linie, an dem der fließende Punkt haltmacht, ein innerer und wesentlicher Bestandteil der Linie ist, und es ließe sich füglieh nicht sagen, der das Fließen abschließende Punkt sei wesentlich etwas anderes als der fließende Punkt. Doch aber das Wirklich-Sein ist je anders bei dem fließen­ den und bei dem ruhenden Punkt, der am Ende der Linie steht. (Was fließt, ist nicht die Bestimmtheit, sondern ihr Wirklich-Sein an ihrem Träger.) Ganz ähnlich so verhält es sich mit einer Beschaffenheit (quale) und einer Größe (quantum) im Fließen und am Zielpunkt der Bewegung; ebenso in den anderen Fällen von Bewegung (z. B. Ortsbewegung) . Bewegung und Bewegungsziel sind also wesensgleich. (Die Bewegung ist die Bestimmtheit, die durch sie erreicht wird, nur im Zustand des Fließens, nicht in dem der Vollendung. ) Damit steht fest, daß die Bewegung und ihr Ziel in ein und dieselbe Seinskategorie einzuordnen sind. 3 0 . Alle unsere Erkenntnis setzt beim Sinnfälligen an. Beim Fortschreiten aber, wenn sie tiefer in den ganzen Umfang des Sinnfälligen eindringt, bleibt sie nicht bei dem unmittelbar gegebenen Phänomen stehen und gibt sich nicht damit zufrieden. Der Mensch fühlt sich zum überstieg über das Sinnlich-Wahrnehmbare gedrängt, sobald er auf etwas stößt, das schwer faßbar und übersinnlich ist, wie die Erstursache, die reinen Geistwesen, und schließlich die eigene Seele. Dann wird er sich bewußt, daß bei dem Be­ fragen der Sinnes gegenstände sein Denken auf das Wesen der Einzeldinge stößt; und so gelangt er dahin, suchend nach der eigenen Seele zu fragen und damit ein werthaltiges Wissen von der Seele zu gewinnen. 3 1 . Du mußt wissen : Ein zünftiger Philosoph wird man nur dann, wenn man die beiden philosophischen Systeme des Aristoteles und des Platon kennt.

32. Für mich liegt der Grund für die Kontroverse zwischen Platon und Aristoteles darin, daß Platon seinen Ausgangspunkt in die allgemeinen

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Zur Methode und Einstellung

principia quaesivit. Aristoteles autem non sie, sed ex naturis rerum quaesi­ vit principia rei. n Sent. d . 1 a. 4 ( E d . Par. t. 2 7 p . 1 5a) .

3 3 . a) Et dicit Philosophus , quod primum regit res omnes , praeterquam commisceatur cum eis. Ergo prima causa non est solum ordine naturae praecedens sua creata, sed etiam esse et duratione. Sie igitur probatur et mundus esse creatus, et Deus duratione aeternitatis praecedere mundum . Hanc igitur nostrae opinionis habemus rationern. Et si nos tarn fortem ra­ tionem non haberemus, nihil opinaremur circa materiam istam, quia foe­ dum et turpe est in philosophia aliquid opinari sine ratione. Videtur autem nobis ista ratio melior esse omnibus rationibus Aristotelis. Nec tarnen di­ cimus, quod sit demonstrativa, nec putamus demonstrabile esse vel unum vel alterum ; et quia iam etiam in praecedentibus locuti sumus de temporis exitu in esse et de exitu materiae in esse, ideo non inducemus hic rationes ampliores. Physica I . 8 tr. 1 c . 13 (Ed. Par. t . 3 p. 552sq . ) ; München, Staats bibI. Clm 2 8 1 86 f. 1 29vb ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 1 08 rb .

b) Dicet autem fortasse aliquis nos Aristotelern non intellexisse, e t ideo non consentire verbis eius; vel quod ex certa scientia contradicamus ei quantum ad hominem, et non quantum ad rei veritatem . Et ad illum nos di­ cimus, quod qui credit Aristotelern fuisse deum, ille debet credere, quod numquam erravit; si autem credit ipsum esse hominem, tune procul dubio errare potuit sicut et nos . Tarnen hoc modo quo rationes suae inducuntur, non sequuntur ni si quibusdam propositis, scilicet nihil incipere nisi muta­ tione physica, et nihil incipere ni si in tempore ; et quod talibus suppositis nos bene concedimus, quod rationes suae sunt de necessitate concludentes . E t constanter dicimus, quod quicumque bene intelligit Aristotelem, bene seit, quod ipse numquam probavit duo illa quae dicta sunt, quae tarnen supposuit ; et si voluisset pro basse quae posuit, non potuisset neque viam ad hoc habuisset . . . Ibid. c . 1 4 (p. 553bsq . ) ; München, Staats bibI. Clm 2 8 1 86 f. 1 3 0ra; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 1 08 rb .

c) Haec autem omnia dicta sunt secundum naturam caeli e t secundum sententiam Peripateticorum, quia . . . de esse caeli per creationem vel de

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Ideen verlegt und von daher absteigend die Seins bestandteile der Dinge in den Griff zu bekommen sucht. Anders Aristoteles ; er setzt bei den einzel­ nen Naturgegebenheiten selber an und gewinnt so die Einsicht in den Sach­ verhalt dessen, was das Ding zu dem macht, was es ist. 33. a) Aristoteles (vielmehr der Verfasser des neuplatonischen " Liber de causis" ) sagt, das Ur-Erste lenke alle geschaffenen Dinge, ohne sich mit ih­ nen zu vermischen. Demnach geht die Erstursache nicht nur der Ursäch­ lichkeit nach (im U rsache-Wirkung-Verhältnis) der Schöpfung voraus, sondern auch in Dasein und Dauer. So läßt sich beweisen, daß die Welt durch Erschaffung (in oder mit der Zeit) ins Dasein getreten ist, aber auch, daß Gott durch die (jeden Anfang und jedes Ende ausschließende) Dauer der Ewigkeit vor der Welt da ist. Das ist der Grund, auf den sich unsere Auffassung stützt. Ohne diesen durchschlagenden Grund hätten wir uns in dieser Frage überhaupt keine Meinung gebildet. Denn ohne Grund etwas behaupten, gilt in der Philosophie als ein nicht sauberes und nicht ernsthaf­ tes Arbeiten. Der hier entwickelte Beweis ist in unseren Augen stärker als die Gründe des Aristoteles (der die Welt von Ewigkeit her bestehen läßt) . Allerdings schreiben wir unserem Grund nun nicht eine Beweiskraft im strengen Sinne zu, und wir halten weder die eine noch die andere Meinung (Erschaffung mit der Zeit oder Bestand von Ewigkeit) für philosophisch be­ weisbar. Da wir auch schon früher über den Eintritt der Zeit und der Materie ins Dasein gesprochen haben, bringen wir hier keine weiteren Gründe vor. b) Vielleicht meint j emand einwenden zu müssen, wir hätten den Aristo­ teles nicht verstanden und würden deshalb seiner Meinung nicht beipflich­ ten, oder unser Widerspruch richte sich bewußt gegen ihn persönlich, nicht gegen die Sache. Dem entgegnen wir: Wer den Aristoteles für einen Gott hält, der ist verpflichtet zu glauben, er habe niemals geirrt; wer jedoch in ihm nur einen Menschen sieht, der muß zugeben, daß Aristoteles ohne Zweifel irren konnte, genau wie wir. Jedenfalls sind seine Beweise, so wie sie vorgebracht werden, nur unter bestimmten Bedingungen schlüssig. Er unterstellt nämlich erstens, daß ein Werden einzig und allein durch physi­ sche Veränderung (an Vorgegebenem) möglich ist, und zweitens, daß es ein Entstehen nur als Vorgang in der Zeit gibt. Daß mit dieser doppelten Un­ terstellung sein Beweis zu einem zwingenden Schluß führt, geben wir ohne weiteres zu. Aber wir bleiben dabei : Wer den Aristoteles richtig kennt, der weiß auch, daß er die beiden erwähnten, von ihm eingesetzten Vorausset­ zungen niemals bewiesen hat und, wenn er es auch gewollt hätte, gar nicht hätte begründen können . . . c) Die Aufstellung, der Himmel sei nicht aus einem vergänglichen Stoff gebildet und könne deshalb auch nicht vergehen, beruht rein auf der

Zur Methode und Einstellung

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statu suo per Dei voluntatem non est aliqua cognitio philosophiae, sed po­ tius talia sunt cognita per prophetiam, de qua cognitione in praesenti nihil curamus investigare. De caelo et mundo (Ed. Col. t. 5, 1 p. 1 05 , 45 - 5 1 ) .

3 4 . a ) Ita etiam dicimus, quod felicitas e s t subiectum huius scientiae, d e qua principaliter intenditur, e t alia propter ipsam determinantur, sicut virtutes. Unde in fine I dicit Philosophus : "Si autem est felicitas operatio quaedam secundum virtutem perfeetam, de virtute scrutandum ; forte enim utique melius et de felicitate scrutabimur. " Super Ethica (Ed. Col. t . 1 4 p . 3 , 6 1 -67) .

b ) S i quis nobis obiciat d e virtutibus infusis a D e o , quas theologi praedi­ cant et laudant, dicemus, quod nihil ad nos, quia non de theologicis, sed de physicis disputamus . Ethica I. 1 tr. 7 c. 5 (Ed. Par. t. 7 p . 1 1 4b) ; Erlangen, Univ. Cod. 2 6 3 f . 43va.

c) Ad primum ergo dicendum, quod Augustinus loquitur de virtutibus infusis, de quibus nihil pertinet ad moralern philosophum. Super Ethica (Ed. Col. t. 1 4 , 1 p. 5 5 , 5 0 - 52 ) .

d) Et hoc est contra Socratem, qui, sicut dicit Plato in libro Menonis, di­ xit virtutem nec assuescibile nec addiscibile bonum esse, sed dei donum, quod, licet verum sit de virtute infusa et gratuita, tarnen de virtute consue­ tudinali non est verum. Politica I. 7 c . 1 1 86ra.

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(Ed. Par. t. 8 p . 71 Ob) ; Berlin, StaatsbibI. Cod. Lat. fol. 8 79 f.

35. Philosophia autem est de ente . . . ; ens autem vel est ab opere nostro, et sie de istis est civilis ; vel est a natura, et hoc vel est in materia secundum esse et rationern, et de istis est physica; vel in materia secundum esse, non secun­ dum rationern, et de his est mathematica; vel separatum secundum esse et secundum rationern, et de istis est metaphysica. Super epistulam IX Dionysii (Ed. Col. t. 37 p . 540, 2 - 9) .

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Naturbeschaffenheit des Himmels und auf der Meinung der Anhänger des Aristoteles . Daß der Himmel durch Erschaffung entstanden ist und daß die Dauer seines Bestehens vom Willen Gottes abhängt, davon gibt es kein phi­ losophisches Wissen ; das ist nur aus der Prophetie bekannt. Auf diese Er­ kenntnis aus der göttlichen Offenbarung brauchen wir in diesem Zusam­ menhang nicht einzugehen. 34. a) Wie die Metaphysik einen ersten Gegenstand (Gott) und einen umfassenden (das Sein) hat, so sprechen wir auch vorerst das Glück als In­ halt der Ethik an . Um das Glück des Menschen geht es in der Sittenlehre in erster Linie, und alles übrige kommt im Zusammenhang damit zur Sprache : die sittlichen Tugenden. Deshalb sagt Aristoteles am Schluß des 1 . Buches der Nikomachischen Ethik : "Das Glück ist ein Selbstvollzug der Seele im Sinn der vollendeten Tugend, d. h. der Klugheit; und so haben wir j etzt über die Tugend zu sprechen ; das ist wohl die beste Art und Weise, wie wir schließlich herausfinden, was Glück eigentlich ist . " b ) Weist nun jemand auf die unmittelbar von Gott geschenkten Tugend­ kräfte hin, wie sie von den Theologen verkündigt und gepriesen werden, so lautet meine Antwort : Damit haben wir hier nichts zu tun ; wir sprechen j a jetzt nicht über die theologischen, sondern über d i e natürlichen Tugenden. c) Augustinus macht an diesen Stellen Aussagen über die von Gott ver­ liehenen Tugendkräfte, die aber den Ethiker als solchen nichts angehen.

d) Das richtet sich gegen Sokrates . Er vertrat die Auffassung - die Pla­ ton in seinem "Menon" wiedergibt -, die Tugend sei ein Gut, das man we­ der durch Unterricht noch durch übung erwerben kann, sie sei vielmehr ein Geschenk Gottes . Das trifft nun zwar auf die von Gott verliehene und gnadenhafte Tugend zu, nicht j edoch auf die (natürliche) Tugend, die durch Einübung gewonnen wird. 3 5 . Philosophie befragt das Seiende . Das Seiende kann nun eine Setzung des Menschen sein ; das ist der Inhalt der Ethik. Oder es ist eine N aturgege­ benheit ; eine solche wiederum kann nach Wirklichkeit und Begriff in das Materielle eingelassen sein ; das ist Sache der Naturphilosophie . Sie kann aber auch der dinghaften Wirklichkeit nach am Materiellen bestehen, nicht jedoch als Begriff ; das ist der Bereich der Mathematik. Schließlich 1$:.ann die Naturgegebenheit sowohl der Einzelverwirklichung wie dem (in der We­ sensform gegebenen) Begriff nach vom Materiellen gelöst sein ; das ist der Forschungsgegenstand der Metaphysik.

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Zur Methode und Einstellung

3 6 . 3 Solutio. Dicimus, quod universalis habitus regens in omnibus theo­ logicis est fides, quoniam in ea non possumus per principia rationis, sed per ea quae sunt supra rationem et naturam. Sed tarnen oportet, quod fides hic large sumatur, prout complectitur articulos, qui sunt de essentia fidei, et an­ tecedentia et consequentia fidem. Antecedens autem dicitur sicut credere divinam Scripturam veram esse; hoc enim non supposito, non remanet fides articulorum, qui per Scripturam traduntur sine principiis rationis. Hoc au­ tem credendo, non habetur distincte fides, sed sub quadam communitate confuse ; distinguitur autem per articulos , et ideo antecedens dicitur. Con­ sequens vero articulos dicitur sicut fornicationem esse peccatum mortale, et huiusmodi, quae habentur suppositis articulis ratione sequente fidem, quia consonans rationi. Habitus autem regens in universali scientia secundum aliquid speciale est regens in parte scientiae . Unde in hac doctrina, quae pars theologiae est, fides est habitus regens, fides, dico, indistincta, quae est in credendo verita­ tem sacrae Scripturae quantum ad ea quae in plerisque sacrae Scripturae 10cis de angelis sub corporalibus similitudinibus traduntur, conformiter no­ bis. Unde etiam in tradendo hanc doctrinam habitu Scripturarum regitur, ordinando caelestes essentias in hierarchia et ordine secundum convenien­ tiam similitudinum in Scripturis positarum. Super Dion. De cael. hier. c . 1 § 1 dubium 4 (Ed. Par. t. 1 4 p. 8b); Rom, Cod. Vat. lat. 712 f. 2rb .

3 7 . 4 Et dicendum, quod regula fidei est concors Scripturarum sensus cum articulis fidei, quia illis duo bus regularibus praeceptis regitur theologus. I Sent. d . 11 a. 7 (Ed. Par. t . 25 p . 349b) .

3 8 . Sed veritas sacrae Scripturae est supra principia rationis ; unde non de­ ducitur ex illis per aliquas conexiones argumentorum, sed manifestatur

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4. In der Theologie 3 6 . Die leitende Grundeinstellung im ganzen Bereich der Theologie ist der Glaube . Mit den Grundsätzen der Vernunft allein ist in der Theologie nichts auszurichten. Theologische Wahrheit geht über Vernunft und Natur hinaus. Der Glaubensinhalt ist hier j edoch im weiteren Sinn zu nehmen, in­ sofern nämlich, wie er sowohl die Artikel des Glaubensbekenntnisses als wesentliche Stücke umfaßt wie auch die Voraussetzungen und die Folge­ wahrheiten. Eine Voraussetzung für den Glauben besteht z. B. in der Glau­ bensüberzeugung, daß der Inhalt der Heiligen Schrift wahr ist. Fehlt diese Voraussetzung, so fällt auch der Glaube an die Artikel des Glaubensbe­ kenntnisses, die in der Schrift, von der Vernunft nicht gestützt, vorgelegt werden. Wird dagegen die Voraussetzung gläubig angenommen, so erfaßt der Glaube allerdings noch nicht genau und ausdrücklich die Glaubens­ wahrheiten im einzelnen, bleibt vielmehr noch unbestimmt und unscharf. Die Aufgliederung geschieht erst durch die Glaubensartikel. D arum eben heißt die gläubige Annahme der Wahrhaftigkeit der Bibel eine Vorausset­ zung des Glaubens. Eine Folgewahrheit des Glaubensbekenntnisses ist z. B. die Lehre, daß Unzucht eine schwere Sünde ist, und ähnliche abgelei­ tete Sätze. Sie ergeben sich aus den Glaubensartikeln mit Hilfe der sich an den Glauben haltenden Vernunft als die ihr gemäßen Folgerungen. Die Grundhaltung, die im Gesamt der Theologie die leitende Stellung hat, wirkt sich in je besonderer Weise auch auf die Teilgebiete aus . Somit ist in diesem theologischen Traktat (über die Engel) die grundlegende Norm der noch nicht ins einzelne gehende Glaube, für den aber feststeht, daß die an vielen Schriftstellen gemachten symbolischen, also unserem Horizont angepaßten Aussagen über die Engel zuverlässig wahr sind. D arum läßt sich der Theologe auch in der Lehre von den Engeln durch die gläubige Einstellung zur Bibel leiten, wenn er die himmlischen Wesen von den biblischen Sinnbildern her in Hierarchien und Ordnungen darstellt. 37. Die Glaubensregel (d. h. der Glaube als die Regel) ist der einhellige, dem Ganzen der (von der Kirche vorgelegten und ausgelegten) B ibel ent­ sprechende Sinn (worunter manchmal auch der allegorische Sinn, der eine Glaubenswahrheit vor-bildet, mitgemeint ist), zusammen mit den Artikeln des (sog. Apostolischen) Glaubensbekenntnisses (das als Kompendium der Bibel galt) . D as sind die verbindlichen Normen für die Arbeit des Theo­ logen. 3 8 . Biblische Wahrheit (im weiteren Sinn, d. h. theologische) geht über die Denkgrundsätze hinaus. Sie läßt sich nicht durch schlußfolgerndes

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Zur Methode und Einstellung

quodam simplici lumine divino, quod est quaedam r� s informans conscien­ tiam, ut sibi consentiatur. Et ideo non communicatur nisi iis qui devote se convertunt ad ipsam . . . Super epist. VII Dionysii (Ed . Co!. t. 3 7 p . 502, 83-p . 503, 2).

3 9 . Solutio . Dicendum ad primum, quod est duplex scientia. Quaedam enim est de his quorum cognitio subiacet rationi, et ista scientia sufficienter potest accipi per studium et doctrinam . Quaedam vero scientia est de his ad quae non attingit ratio . Unde oportet, quod horum cognitio accipiatur a quadam natura superiori per participationem luminis eius, et cum oratio sit instrumentum, per quod ascendimus in divinum lumen - est enim, ut dicit Damascenus, " ascensus intellectus in Deum" -, necessaria est oratio ad talern scientiam . Et talis scientia est theologia, maxime quantum ad ea quae de divinis in ea tractantur . . . (p . 1 05, 1 0 -14). Ad tertium dicendum, quod quamvis scientia sit perfectio intellectus, tarnen ex perfectione affectus appropinquamus ad Deum et participamus lumen ipsius, et sie perficitur intellectus noster in his quae secundum ratio­ nem humanam accipi non possunt. Super Dionysium De divinis nominibus (Ed. Co!. t. 3 7 p . 1 04, 79 - 90).

40. . . . Sed nos non curamus illas fabulas . Dicimus ergo , quod funda, quae duas chordas habet . . . , rationem perfectarn studio sacrarum Scriptu­ rarum significat, cuius duae chordae sunt ratio in parte una, studium sacrae Scripturae in parte altera. Super Zach. 9, 15 (Ed. Par. t. 19 p . 575b) ; Bordeaux, Cod. 34 f. 1 1 3ra.

4 1 . Quae (theologia) casta stat intra limites fidei, nec luxuriatur per phan­ tasias . . . Super Luc. 1 , 5 (Ed. Par. t. 22 p . 1 3 b) ; Oxford, BallioI. Cod. 1 87 f. 4va.

42 . A'd primum ergo . . . dicendum, quod ista scientia principalissime dici­ tur sapientia, eo quod ipsa est de altissimis et altissimo modo, quia de Deo et per principia fidei. Aliae autem scientiae, quae a philosophis sunt inventae, etsi sapientiae dicantur, quia sunt de altis, non tarnen sunt altissimo modo, sed potius per principia quae sub ratione sunt. Sie dico etiam, quod ipsa vel sola libera est vel aliis liberior; dicitur enim scientia libera, sicut dicit Philo­ sophus, ut homo liber, scilicet quia gratia sui, et non propter alte rum est. Et hoc est propter sciturn quod quaeritur in illa, quod propter se desideratum

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Vorgehen aus den Gesetzen der Vernunft ableiten, sie leuchtet vielmehr durch ein in sich klares göttliches Licht auf. Es ist eine Kraft, die das Gewis­ sen erleuchtet und es zur freien Zustimmung hin geleitet. Deshalb teilt sich dieses Licht nur dem Forscher mit, der in frommer Haltung sich der Wahr­ heit Gottes zuwendet. 39. Wissen kann doppelter Art sein. Einmal bezieht es sich auf alles, was der Vernunfterkenntnis zugänglich ist; solches Wissen läßt sich durch Selbststudium und Unterricht zur Genüge erwerben. Ein anderes Wissen befaßt sich mit jenen Erkenntnissen, an die unsere Vernunft von sich aus nicht hinanreicht. Darum müssen Erkenntnisse dieser Art von einer höhe­ ren Natur durch geschenkte Teilhabe an deren Lichtfülle entgegengenom­ men werden. Das Gebet ist nun aber das Mittel, mit dem wir uns dem gött­ lichen Licht zuwenden. Gebet ist ja, wie Johannes von Damaskus sagt, " Aufstieg des Geistes zu Gott" . Daraus ergibt sich die Notwendigkeit des Gebetes auf diesem Gebiet des Erkennens, also der Theologie, besonders gegenüber den göttlichen Geheimnissen, die sie (in erster Linie) anspricht. Wissen ist natürlich an sich ein Gut des Verstandes, aber durch die rechte Ordnung des gesamten Seelenlebens gehen wir auf Gott zu und erhalten an­ teilhaft Licht von seinem Licht. So wird unser Verstand angehoben und aufgeschlossen für Erkenntnisse, zu denen die Vernunft von sich aus keinen Zugang hat. 40. Wir geben uns nicht mit solchen Fabeleien ab . Die Schleuder (Sach 9 , 1 5) hat zwei Sehnen und stellt das durch Bibelkenntnis vertiefte Ver­ nunftdenken dar. Die bei den Sehnen sind Vernunft und Bibelstudium.

4 1 . Die Theologie bleibt zuchtvoll innerhalb der Grenzen des Glaubens und schwelgt nicht in Phantastereien .

42 . Allen voran wird die Theologie als Weisheit (im aristotelischen Sinn) bezeichnet; denn sie müht sich um die höchsten Wirklichkeiten, und zwar auf die möglichst erhabene Weise : sie fragt nach Gott mit den Glaubensar­ tikeln als ihrer Grundlage. Andere, von Denkern aufgebaute Wissenschaf­ ten (z. B . die Metaphysik) werden ebenfalls als Weisheiten bezeichnet, da sie den letzten Ursachen nachspüren, aber ihre Betrachtungsweise ist nicht die höchstmögliche, weil ihre Denkgrundsätze der menschlichen Vernunft unterliegen. Darum behaupte ich auch, daß die Theologie die einzige freie

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Zur Methode und Einstellung

est. Hoc autem praecipue Deus est, quem omnes scire scientia beatificante desiderant. Et ideo libera est, quia hoc sciturn non quaeritur propter aliud, sed propter se. I Sent. d . 1 a. 4 (Ed. Par. t. 25 p . 1 9a) .

43 . Ad quintum dicendum, quod Deus est simpliciter non notus nobis, secundum quid vero notus. Scimus enim de ipso tantum "quia" est, et hoc indefinite "velut pelagus quoddam" , nescientes quantum est et quantum non est; "quid" vero ipsius et "propter quid" nescimus, quod facit rem cognosci simpliciter. Super Dion . De divinis nominibus (Ed. Col. t. 3 7 p . 2 , 51-56).

44. Solutio . Dicendum, quod in veritate omnis auctoritas alicui rationi innititur, sed non omnis auctoritas omni rationi, sed humana humanae, et divina divinae, quamvis nos divinae auctoritatis rationem non cognosca­ mus, sicut etiam dicit Augustinus, quod Deus omnia facit iusto iudicio, etsi nobis occulto . Ibid. (p. 6, 44 - 50).

45 . Ad primum ergo dicendum, quod scientia non proprie est accidens, sed perfectio animae, nisi large accipiamus accidens omne quod est conse­ quens substantiam rei. Haec autem scientia de qua loquimur, est quaedam similitudo bonitatis primae, qua anima perficitur. Ibid. (p. 7, 5 -1 0 ) .

46. Ad id quod sequitur, dicendum, quod cognitio nostra non perficietur alia cognitione "quid" vel "propter quid" , sed alio modo cognoscendi, quia videbimus "quid" sine medio, quod nunc in aenigmate et speculo velaturn videmus. Ibid . (p . 13, 53 - 57).

47. Deinde redit ad modum quo accipimus in statu viae, et dicit, quod modo per quaedam " signa extendimus" nos " ad simplicem veritatem" divi­ norum, et transcendentes omnia quae sunt " secundum nos, immittimus nos ad" divinum "radium " , et tune quiescimus, nihil ultra valentes, et in ipso

In der Theologie

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(nicht einem fremden Zweck zugeordnete) Wissenschaft ist, mindestens aber freier als die anderen Wissenschaftsbereiche. Der Mensch ist j a - nach Aristoteles - deshalb frei, weil er Selbstzweck, nicht Mittel ist. Dieser Freiheitsbegriff trifft so auch auf die Theologie zu. Der Inhalt ihres For­ schens ist etwas um seiner selbst willen Erstrebenswertes, an erster Stelle Gott selbst, nach dessen Kenntnis, die höchst beglückend ist, alle Men­ schen verlangen. Wissen um Göttliches und um die Welt des Göttlichen hat seinen Wert in sich, und darum ist die Theologie eine hervorragend freie Wissenschaft (Selbstzweckwissenschaft) . 43. Gott ist für uns schlichthin unerkennbar. Bekannt ist er uns lediglich unter einer bestimmten Rücksicht. Wir wissen nur von seiner Existenz, und auch das nur unbestimmt. Er erscheint uns "wie ein Meer" (Johannes von D amaskus), dessen Grenzen wir nicht kennen. Aber was er ist, sein Wesen - und gerade das gehört zu einer richtigen Erkenntnis - ist uns verborgen.

44 . Jede beweiskräftige Aussage (und die durch sie übermittelte Wahr­ heit) stützt sich auf ein vernünftiges Denken, aber nicht jede Wahrheit auf jedes Denken, vielmehr die menschliche Wahrheit auf die menschliche Vernunft, die göttliche Wahrheit auf die Gedanken Gottes. Wir haben allerdings keine Einsicht in die Wahrheit Gottes. So sagt Augustinus, Gott tue alles nach einem gerechten, uns freilich verborgenen Plan. 45. Wissen ist nicht ein beiwesentliches Sein (accidens) im eigentlichen Sinn, höchstens im erweiterten Sinn, der (nicht nur alle dem Wesen hinzu­ gegebenen Kräfte und Eigenschaften, sondern auch) alle Folgewirkungen des Wesens einschließt. Wissen ist für die Seele ein hohes Lebensgut, und in der Theologie ist es eine verähnlichende Ausstrahlung der Ersten Güte, ein bereichernder Wert für die Seele . 46. Unsere Gotteserkenntnis im Zustand der Vollendung wird nicht eine andere, sondern eine andersartige Erkenntnis von Gottes Wesen sein. Jetzt erkennen wir es nur verhüllt, in rätselhaften Umrissen und in einem Spiegel (d. h. mittelbar) (vgl. 1 Kor 1 3 , 1 2 ) . Dann aber werden wir unmittelbar, ohne jedes (Erkenntnis-) Mittel schauen, was Gott ist. 47. Dann komt (Ps .-) Dionysius wieder darauf zu sprechen, wie wir im Zustand der Pilgerschaft Gott erkennen. Er sagt : Jetzt bedienen wir uns ge­ eigneter Symbole, und von ihnen aus erheben wir uns zu der in sich einfa­ chen und gesammelten Wahrheit des Göttlichen. Alles, was auf der Ebene

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Zur Methode und Einstellung

Deo "existunt" termini "omnis cognitionis" , et ipse non po test perfecte co­ gnosci "neque dici" propter sui eminentiam , qua omnia excedit. Ibid. (p . 2 8 , 22-30).

48. Dicit ergo primo, quod mentes humanae, quae uniuntur Deo ad simi­ litudinem angelorum, nominant Deum per remotion em omnium ab ipso, et hoc ideo, quia mens nostra non potest uniri Deo nisi secundum quod quies­ cit post transitionem omnium causatorum, ut scilicet intelligat Deum esse ultra omnia et nihil eorum . Ibid. (p . 3 1 , 1 1-1 7) .

49. Sapiens proprie dicitur, qui sapore divinorum e t experimento divinae sapientiae, virtutis, et bonitatis, accepit notitiam . Is. XI (2sq . ) : " Requiescet super eum spiritus Domini, spiritus sapientiae etc . " Super Osee 1 4 , 1 0 (Ed. Par. t. 1 9 p . 123a) ; Bordeaux, Cod. 3 4 f . 26rb-26va.

50. Ut vetula quandoque inspiciat, quod litteratus non capit, quia capti­ vare intellecturn et ad obsequium Dei inclinare mentem contemnit. Et hoc figuratur in libro Num. XXII (2 8 - 35), ubi asina prophetam reprehendit, quod ipsa et non ipse angelum Dei et voluntatem Dei cognovit. Sie adhuc secundum Petri in II, cap . II ( 1 6) sententiam Deus per subiugale et mutum animal arguit prophetae insipientiam , quando videlicet vulgaris homo sub iugo Christi serviens , mutus in orationibus rhetoricis et artium sagacitate politis, arguit exemplo et verbo doctores, qui fastigio scientiae tarn sublimia caeli quam profunda abyssi rimari noverunt. De natura bon i (Ed. Co!. t. 25 p . 57, 8 9-p . 58, 5).

5 1 . Totus enim mundus theologia est homini, dum "caeli enarrant glo­ riam Dei, et opera manuum eius annuntiat firmamenturn " . Super Matth. 1 3 , 3 5 (Ed . Part. t . 2 0 p . 571 a) Editionsmanuskript.

52 . Solutio . Dicimus sine praeiudicio, quod istas quaestiones de persona magis solvendas exspectamus in patria, quam in via possimus . . . I Sent. d. 23 a. 3 (Ed. Par. t. 25 p. 589b).

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unseres Erkenntnisvermögens liegt, übersteigen wir, treffen auf den göttli­ chen Strahl (der Gott selbst ist) und lassen unsere Erkenntniskräfte ruhen, da wir nicht weiter vordringen können . In Gott selbst liegen die Grenzen jeglicher Erkenntnis, und was er ist, läßt sich sachgemäß weder erkennen noch in Worte fassen, wegen seiner alles überragenden Erhabenheit. 4 8 . (Ps .-) Dionysius führt zuerst aus : Wird der Menschengeist in seiner Spitze nach Art der Engel mit Gott (zur geistigen Schauung) geeint, so spricht der Mensch von Gott unter Ausschluß alles anderen, das nicht Gott ist. Das muß so sein, weil unser Geist nur dann in diese Vereinigung mit Gott aufgenommen wird, wenn er nach dem überstieg über alles Geschöpf­ liche die eigene Denkfähigkeit abstellt und so zur Ruhe kommt, um zu erkennen, daß Gott über allem und nichts von allem ist. 49. Ein Weiser im eigentlichen (vom aristotelischen radikal verschiede­ nen) Sinn ist, wer Göttliches verkostet und die Erweise der göttlichen Weisheit, Macht und Güte auch erfahrungsmäßig erfaßt hat. J es 1 1 , 2 : "Der Geist des Herrn läßt sich auf ihn nieder: der Geist der Weisheit . . . "

50. Es kommt vor, daß ein altes Mütterchen von Glaubensdingen mehr versteht, als einem Gelehrten aufgeht, wenn er sich weigert, sein Denken gefangenzugeben und es dem Dienste Gottes zu unterwerfen (vgl. 2 Kor 1 0 , 5). Bildlich ist das zum Ausdruck gebracht an der Stelle Num 22, 2 8 -35: Die Eselin hält dem Propheten Bileam vor, nicht er, sondern sie habe den Boten und den Willen Gottes erkannt. Auch nach einem Satz im 2 . Petrusbrief (2 , 1 6) hat Gott durch das stumme Lasttier den Propheten an seinem wahnsinnigen Vorhaben gehindert. Das wiederholt sich irgendwie dann, wenn ein einfacher Mann, der im Dienste Christi lebt, aber vom kunstvollen und geschliffenen Reden nichts versteht, durch Wort und Le­ bensführung Gelehrte widerlegt, die sonst vom Gipfel ihrer Wissenschaft aus die Höhen des Himmels und die Tiefen der Abgründe d urchforschen können . 5 1 . D as ganze Weltall ist dem Menschen Rede von Gott, da j a " die Him­ mel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament'" (Ps 1 9 , 2). 52. Ohne anderen Ansichten zu nahetreten zu wollen, sage ich : Die Lö­ sung dieser Fragen (über das Person-Sein in Gott) erwarte ich lieber vom Zustand der Vollendung. Im Zustand der Pilgerschaft reicht dafür unser Wissen nicht aus .

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Zur Methode und Einstellung

53 . a) Ad id quod contra obicitur, dicendum, quod conformitas est qua­ druplex, qua voluntas nostra conformatur voluntati divinae, scilicet in voli­ to ; et haec secundum materiam est, et est minima, ut velim hoc quod Deus vult; et haec non facit meritum de se, quia quandoque quis male potest velle quod Deus vult, ut alicuius boni mortem . Est etiam conformitas secundum formam volendi, ut ex eadem caritate velimus, quod volumus, ex qua Deus vult quod vult ; quia illa facit meritum, etiamsi quandoque non velimus quod Deus vult, ut dicit Augustinus . . . Tertia conformitas est in fine volendi, ut propter idem velimus propter quod Deus vult, idest propter gloriam suam ; et haec iterum est laudabilis et facit ad meritum, etiamsi sit difformitas in materia voliti, quia ad gloriam Dei possem aliquem velle vivere, quem ipse ad gloriam suam vult mori . Quarta conformitas e s t i n causa efficiente volendi, quando scilicet volo i d quod Deus vult me velle, u t videndo pauperem : si volo ipsum esse miserum, iam non sum misericors, et tarnen Deus vult eum esse miserum ; ergo vult me velle quod ipse non vult; et haec non sunt contraria. Similiter quando elegit Virginem matrem, voluit suam ipsius animam pertransire gladium passionis suae corporalis, ut ipsa intus sustineret in affectu matris quod ille foris pertulit; ergo voluit eam velle quod filius non pateretur. Eodem modo dico, quod, quando assumere voluit Christum veram hu­ manitatem, voluit eum velle fugere ea quae sunt periculorum gravia vitae humanae ; et haec conformitas sufficit voluntati naturali . . . III Sent. d . 1 7 a. 1 (Ed. Par. t . 2 8 p . 299b) .

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5 3 . a) Gleichförmigkeit unseres Willens mit dem Willen Gottes ist in vierfacher Form möglich. Erstens im Gegenstand: Ich will das , was Gott will. Es geht also da um die noch weiter bestimmbare gewollte Sache. Das ist der erste Grad der Gleichförmigkeit, und er ist an sich noch nicht heils­ wirksam, da ja j emand aus schlechter Absicht etwas wollen kann, was Gott will, z. B. beim Tod eines guten Menschen . Die zweite Art beruht auf dem Beweggrund : In ähnlicher Liebe wie Gott, will ich das, was ich will. Das ist immer heilswirksam, auch wenn wir dann in einem Fall einmal nicht das wollen, was Gott will, wie Augustinus sagt . . . (wenn ein guter Sohn möchte, daß sein Vater, der nach Gottes Ratschluß stirbt, am Leben bleibe). Die dritte Gleichförmigkeit besteht in der Zielgleichheit : Ich will etwas in der gleichen Absicht wie Gott, nämlich zu seiner Verherrlichung. Auch diese übereinstimmung ist Lob bei Gott und erwirkt Heil von Gott. Dabei kann das Gewollte selbst bei Gott und bei mir auch einmal verschieden sein ; ich könnte ja zur Ehre Gottes wollen, daß j emand am Leben bleibt, den Gott aus dem gleichen Grund sterben läßt. Eine vierte Gleichförmigkeit vollzieht sich in der Ordnung der Wirkur­ sache : Ich will etwas, was ich nach Gottes Willen wollen soll. Ich treffe z. B . einen Armen ; überlasse ich ihn einfach seiner Not, so bin ich nicht barm­ herzig; helfe ich ihm, dann handle ich so, wie Gott will, daß ich (der menschlichen Natur gemäß) handle, obwohl ich gewissermaßen gegen seinen Willen angehe, da ja der Nächste irgendwie durch Gottes Fügung in die elende Lage geraten ist. Das bedeutet j edoch keinen Gegensatz gegen Gottes Willen (da Gott ja will, daß ich menschlich handle) . Diese Art der Gleichförmigkeit ereignete sich auch in Maria von Naza­ ret. Gott hatte sie zur Mutter seines Sohnes für sein menschliches Leben erwählt und hatte bestimmt, daß das Schwert der Schmerzen ihre Seele durchbohre (vgl. Lk 2 , 35). Sie sollte in Mutterliebe die Leiden ihres ge­ kreuzigten Sohnes miterdulden ; also war es Gottes Wille, daß Maria sich innerlich dem Leiden ihres Sohnes widersetzte (und insofern in Gegensatz zum Erlösungswillen Gottes geriet; Maria litt, wie Gott will, daß eine Mut­ ter mitleidet, und gerade auch dadurch, daß sie sich gegen die Passion J esu aufbäumte, vollzog sie Gottes Willen : sie wollte etwas, das sie nach Gottes Willen wollen sollte). Genauso bei Jesus . Gott hatte beschlossen, daß sein Sohn auch das Mensch-Sein annehme; damit hatte er ebenfalls ohne weiteres festgesetzt, daß Jesus den schwersten Belastungen des Menschenlebens (dem Leiden und Sterben) entgehen wollte (was jedoch die Ausführung des Erlösungs­ planes vereitelt, aber dem menschlichen Naturstreben entsprochen hätte. Auch darin, daß Jesus auf die Stimme der Natur hörte und um Erlassung

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Zur Methode und Einstellung

b) Ad id quod ulterius quaeritur, dico sine praeiudicio, quod, quia ne­ scimus beneplacitum Dei, sufficit, si conformamur praecepto et operationi. Si autem sciremus beneplacitum, bene concedo, quod illi magis teneremur conformare. I Sent. d. 48 a. 2 (Ed. Par. t. 26 p . 474). c) Solutio . Ad hoc sine praeiudicio dico, quod secundum diversa atten­ ditur conformitas. Sed sicut est in natura, quod diversi motores referuntur ad idem mobile diversimode, sed omnes sequuntur unum qui praedomina­ tur . . . Ita est in diversis conformitatibus voluntaturn diversarum, quod omnes sequuntur unam conformitatem , et tarnen quaelibet retinet suum proprium mo turn conformitatis . . . Ita dico, quod est in homine duplex vo­ luntas sequens Dei voluntatem moventem nos, scilicet voluntas rationis et voluntas naturae. Voluntas rationis conformatur triplieiter, si potest, scili­ cet in volito, in forma volendi, et fine. Voluntas autem naturae conformatur in hoc quod congruit nos velle, idest quod Deus vult nos velle . . . , et istius motus non excluditur, licet motus rationis ordinet ipsum et dominetur. Im­ pium enim est et crudele et contra congruitatem humanae naturae esse vide­ retur, quod circa nos et alios vellemus crudelia, ut homines pati, et pauperes esse, et affligi, et utiles ecclesiae mori cum moriuntur, et huiusmodi. Unde credo, quod tenemur hoc non velle pietate humana, licet committamus Domino secundum rationis voluntatem. Dicendum ergo ad primum, quod in Christo fuit utraque conformitas ; voluit enim non mori voluntate naturae ; et hoc voluit eum Deus pater velle; et sie conformis fuit ; et vocatur hic ista conformitas secundum congruita­ tem humanam . Et voluit mori secundum rationern, et haec non opponun­ tur . . . Ad aliud dicendum, quod voluntas naturae numquam de se repugnat voluntati rationis, licet quandoque sit de contradictorio. Sed sub ratione ostendit, quid ei congruat, et quid eam Deus velit velle. Ibid. a. 3 (p . 475sq . ) .

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des Leidens und Sterbens betete, erfüllte er den Willen des Vaters : er wollte das, was er nach Gottes Willen gemäß der menschlichen Natur wollen sollte.) b) Zu der weiteren Frage möchte ich - als persönliche Meinung sagen : Da uns das Wohlgefallen Gottes nicht bekannt ist, genügt es, daß wir die übereinstimmung mit dem in seinem Gebot und in seinem Handeln ausgesprochenen Willen suchen. Kennten wir Gottes Wohlgefallen, so müßten wir uns ihm erst recht gleichförmig zu machen suchen ; das ist klar. . c) Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes ist je nach ihrer Grundlage (im menschlichen Willen) verschieden. Auch in der Natur können bei einem Geschehen verschiedene Bewegungskräfte am Werk sein (z. B. beim Einfluß der oberen Himmelssphären auf die unteren), die sich alle nach j e­ nem Beweger richten, der die stärkste Macht entfaltet . . . So ähnlich ist es bei den verschiedenen Arten von Gleichförmigkeit der verschiedenen Stre­ bevermögen. Eine davon ist entscheidend und hat die Führung, alle aber haben auf je eigene Weise ihren Sinn und Wert . . . Im Menschen ist nämlich ein zweifaches Wollen möglich. Gott ist es, in dessen Willen wir uns bewe­ gen, und gegenüber diesem Wollen Gottes gibt es im Menschen sowohl das überlegte Wollen wie das natürliche Streben. Das aus der überlegung kommende Wollen kann sich dem Willen Gottes dreifach angleichen : im Gegenstand, im Beweggrund, im Ziel. Das Naturstreben schließt sich dem Willen Gottes im naturgemäßen Verhalten an. Es entspricht ja dem Willen Gottes, daß wir menschlich empfinden und handeln . . . Diese Regung wird durch die Verpflichtung zur Gleichförmigkeit nicht unterdrückt, sie wird aber durch den Einsatz der Vernunft geordnet und gelenkt. Es wäre doch schandbar und grausam und unmenschlich, wollten wir bei uns selbst und bei den Mitmenschen Elend und Bedrängnis regungslos hinnehmen, wie Leiden, Armut, Not jedweder Art, oder den Verlust beim Tod solcher Menschen, die für die Kirche von großem Nutzen sind. Ich bin der Mei­ nung, solche Vorkommnisse dürfen wir aus der (von Gott gewollten) (Mit-) Menschlichkeit heraus nicht herbeiwünschen, und (soweit es nicht zu ändern ist) stellen wir sie mit dem überlegten Wollen Gott anheim. In Christus war diese doppelte Gleichförmigkeit verwirklicht. Mit dem natürlichen Wollen wollte er nicht sterben; so entsprach es ganz dem Willen des Vaters ; es war also Gleichförmigkeit, nämlich j ene Art, die in dem naturentsprechenden Verhalten des Menschen liegt. Im frei-bewußten, entscheidenden Wollen aber wollte Jesus den Tod auf sich nehmen. Diese bei den Arten von Gleichförmigkeit stehen in einem Ordnungsverhältnis, nicht j edoch in einem Gegensatz. Das Naturstreben widerstreitet nicht an sich dem überlegten Wollen,

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54 . Po test autem esse, quod aliquis dicat, quod ego non intelligarn philo­ sophos loquentes de intelligentiis . Sed ad hoc respondeo, quod verum est me parum intelligere. Sed non est incertum mihi, quin iste sit intellectus philosophorum loquentium de intelligentiis ; et quod certurn est mihi, quod loquens angelos esse intelligentias, et movere localiter, vel etiam immediate movere caelos, et non tantum sicut desideratum movet desiderantem :, quod ille numquam scivit nec intelligentiae naturam, nec philosophos loquentes de intelligentiis intellexit. Ipsi enim ponunt . . . Et haec omnia reputamus erronea, quando de angelis dicuntur. Et ideo consentio in hanc partern, quod angelus non sit idem quod philo­ sophi intelligentiam esse dixerunt, nec etiam dico esse intelligentias, ut infra . . . habetur, quia mihi videtur, quod catholice hoc poni non potest. II Sent. d . 3 a. 3 (Ed. Par. t. 27 p. 65a/b).

55 . Non enim dicimus hominem illum Deum dici quasi acceptus sit Deo, quemadmodum de sanctis dicitur: "Ego dixi : dii estis et filii excelsi omnes" , sed verum filium hominis dicimus Dei filium et esse et vocari propter gra­ ti am non acceptum tantum facientem, sed etiam unientern esse huius homi­ nis cum esse filii Dei . . . In hoc autem quod idem est et dicitur hominis et Dei filius, et homo et Deus manet in ipso, et ipse in Deo per gratiam quae est unio esse Dei et esse hominis. De natura bon i (Ed. CoL t. 2 5 p. 75, 62 - 8 8).

56. Solutio . Dicendum, quod in hac quaestione solutio incerta est. Sed quantum possum opinari, credo, quod filius Dei factus fuisset homo, etiamsi numquam fuisset peccatum . . . Tarnen nihil de hoc asserendo dico, sed credo hoc quod dixi, magis concordare pietati fidei. III Sent. d . 20 a. 4 (Ed . Par. t . 28 p . 361 b).

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wenngleich e s gelegentlich ein gegensätzliches Ziel ansteuert. Aber unter die Leitung der Vernunft genommen, zeigt es an, was dem Menschen gemäß ist und was er von Natur aus nach Gottes Anordnung wollen soll. 54. Jetzt könnte einer kommen und behaupten, daß ich die Philosophen, die von körperlosen Wesen als Bewegern der Himmelssphären (intelligen­ tiae) sprechen, nicht verstehe. Es stimmt, daß ich nur wenig verstehe. Aber ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß j ene Denker so zu verste­ hen sind, wie ich es dargelegt habe; und in einem anderen Punkt bin ich mir ganz sicher : Wer behauptet, die Engel seien j ene körperlosen Wesen, und daß die Engel der Orts bewegung unterliegen, daß sie direkt die Himmels­ sphären bewegen, und zwar nicht nur (nach Art der Zielursache) durch die Anziehungskraft eines ersehnten Gutes (sondern als physische Wirk­ ursache) : der hat nie die Natur jener Wesen richtig begriffen und hat die Vertreter der Intelligenzen-Lehre überhaupt nicht verstanden. Sie machen nämlich folgende Aufstellungen . . . Das alles, wenn es auf die Engel bezo­ gen wird, ist falsch. Daher pflichte ich folgender Auffassung bei : Die Engel sind nicht das­ selbe wie j ene unstofflichen Wesen, und solche Wesen gibt es überhaupt nicht, was weiter unten noch eigens bewiesen wird. Vom Standort des Katholiken aus läßt sich die Theorie jener Philosophen nicht halten. 5 5 . Wir sagen nicht, dieser Mensch Jesus werde Gott genannt als ein von Gott Angenommener, wie von den Geheiligten geschrieben steht (Ps 82, 6) : "Wohl habe ich gesagt : Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Allerhöch­ sten . « Wir bekennen vielmehr, daß der wirkliche Mensch Jesus der wahre Sohn Gottes heißt und ist, nicht auf Grund der heiligmachenden Gnade, sondern kraft der Einigungsgnade, die aus dem Sein dieses Menschen und dem Sein des Gottessohnes eine Einheit macht . . . Daß aber ein und der­ selbe dem Namen und der Sache nach Mensch und Sohn Gottes ist, darin liegt der Grund dafür, daß Mensch und Gott in Jesus sind und bleiben, und daß dieser Mensch in Gott bleibt, weil j ene Gnade in der Einigung des Gott-Seins und des Mensch-Seins besteht. 56. Bei der Frage, ob der Sohn Gottes auch dann Mensch geworden wäre, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, läßt sich eine sichere Antwort nicht geben. Soweit ich mir ein persönliches Urteil bilden kann : ich glaube, daß der Sohn Gottes auch dann Mensch geworden wäre, wenn es niemals eine Sünde gegeben hätte . Das soll keine förmliche Behauptung sein. Ich halte allerdings dafür, daß meine Annahme mit der Glaubensfrömmigkeit gut übereinkommt.

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5 7 . 5 Responsio . Dicendum ad hoc, quod certius secundum catholicam fi­ dem nobis est, resurrectionem carnis eiusdem numero in qua nunc vivimus, esse futuram, et unumquemque in eadem recipere bona et mala secundum quod meruit, quam quod sol orietur cras . . . IV Sent. d . 43 a. 1 (Ed. Par.t. 3 0 p . S 02 a) ; New Haven, Yale Univ. Cod. 20 f. 2 78va.

58.

. . . Sicut res baptismi est fulgor gloriae in resurrectione.

IV Sent. d . 9 a. 13 (Ed . Par. t. 29 p . 239b).

59. a) Sic ergo "una sabbati" est dies prima hebdomadae, quae apud nos "dominica" vocatur . . . Nobis autem hoc festurn in dominicam conversum est in gaudio resurrectionis. Super loh. 20, 1 (Ed. Par. t. 24 p . 669b) ; München, StaatsbibI. Clm 7943 f. 1 8 1 vb .

b) Mortuus est enim Dominus in feria sexta, et resurrexit in die domini­ ca, quae est tertia post diem mortis, quam sua resurrectione sibi in domini­ cam re et no mine consecravit. Super Luc . 9 , 22 (Ed. Par. t . 22 p . 640sq . ) ; Oxford, Balliol. Cod. 1 87 f. 96rb-va.

60. . . . Et magis placet deo hic fidelis ignorantia quam temeraria scientia vel mendacii figmentum. III Sent. d. 22 a. 9 (Ed. Par. t. 2 8 p. 400a) .

61 . Et his habitis respondendum est obiectis per ordinem, tenendo qui­ dem fidem, sed philosophiam non sequentes nisi quantum possumus salva fide. IV Sent. d . 1 2 a . 16 (Ed . Par. t . 29 p . 328a).

62 . Responsio . Dicendum, quod caritas et quantitas caritatis distinguit manSlOnes . . . Ad primum autem dicendum, quod meritum non est in actibus nisi se­ cundum quantitatem caritatis, quia substantia meriti non est maius opus, sed ex maiori operantis caritate, sicut accipitur ex Cor. I (XIII, 1 sqq . ) , ubi dicit, quod, " si caritatem non habeam . . . " lV Sent. d. 49 a. 2 (Ed. Par. t. 30 p. 668b) ; New Haven, Yale Univ. Cod. 20 f. 3 1 2rb.

63 . Solutio . Dicendum, quod est merces quae nihil aliud est quam Deus et ea quae Deum coniungunt nobis. Et intuitum illius mercedis non excludit caritas, licet non respiciat eam ut merces est, sed ut dilectum ad perfruen-

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57. Nach dem katholischen Glauben ist es für uns sicherer, daß die Aufer­ stehung des Fleisches kommt, als daß morgen früh wieder die Sonne auf­ geht; und zwar eine Auferstehung mit zahlenmäßig demselben Leib wie j etzt. Dann wird j eder je nach Verdienst Gutes oder Schlechtes empfangen.

5 8 . Die (mitbezeichnete) Wirkung der Taufe ist der Glanz der Herrlich­ keit der Auferstehung. 59. a) "Una sabbati" ist der erste Tag der Woche, der bei uns Herrentag heißt . . . Das Osterfest ist für uns in der Auferstehungsfreude zum Herren­ tag geworden .

b) Gestorben ist der Herr am Freitag, auferstanden ist er am Sonntag, dem dritten Tag nach seinem Tod . Diesen Tag hat er durch seine Auferste­ hung sowohl der Bedeutung wie dem Namen nach zum Herrentag geweiht.

60. In dieser Frage, ob die Himmelfahrt Christi als Ortsbewegung ge­ schah, gefällt Gott mehr ein gläubiges (auf genaues Bestimmen verzichten­ des) Nichtwissen als ein vorwitziges Wissenwollen oder Fabeleien. 6 1 . Nach dieser Erklärung (über die eucharistischen Gestalten) gehen wir der Reihe nach auf die Schwierigkeiten ein . Dabei halten wir den Glauben fest und nehmen philosophische Gedanken nur so weit auf, wie es ohne Schaden für den Glauben zulässig ist. 62 . Die Gottesliebe begründet mit ihren Graden den Unterschied in den Wohnungen im Haus des Vaters (Joh 1 4 , 2) . . . Ein Heilswert kommt den Werken nur nach dem Maß der Christusliebe zu. Denn das gnadenhafte Verdienst besteht wesentlich nicht in der Größe der Leistung, es kommt vielmehr aus der größeren Liebe dessen, der die Tat setzt. 1 Kor 1 3 , 1-1 3 . . .

63 . Es gibt einen Lohn, der nichts anderes ist als Gott und was ihn mit uns in Verbindung bringt. Den Blick auf diesen Lohn verwehrt die Liebe nicht. Sie betrachtet ihn jedoch nicht eigentlich als Lohn, vielmehr als Wert, der um seiner selbst willen zu lieben ist. Deshalb sagt Bernhard von Clairvaux :

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dum . . . Ideo dicit beatus Bernardus, quod non est confitendum Domino, quia tibi bonus . . . , sed quoniam absolute bonus . . . III Sent. d . 29 a. 4 (Ed. Par. t. 2 8 p . 550) ; Krakau, Univ. Cod. 1 1 8 1 f. 92va.

64 . Responsio . Absque omni ambiguitate credendum et dicendum, quod oratio et meritum unius valet alteri. Hoc enim est quod dicitur in Symbolo in illo articulo : "Sanctorum communionem" , quia hoc sie intelligitur : Credo in Spiritum s anctum communicantem bona in ecclesia. Et Apostolus II ad Cor. VIII ( 1 4) : " Ex inaequalitate vestra abundantia illorum inopiam suppleat, ut et illorum abundantia vestrae inopiae sit supplementum. " IV Sem. d. 45 a. 1 (Ed. Par. t. 30 p. 607b) ; New Haven, Yale Univ. Cod. 20 f. 302va.

65 . Ad aliud dicendum, quod fructus est in ecclesia multiplex praeter suf­ fragia, quia convivatus membrorum ecclesiae magnum fructum praestat ad permanendum cum Deo, et est fructus ex communione sacramentorum. IV Sent. d. 1 8 a. 1 6 ad 3 (Ed. Par. t. 29 p. 793a) ; f. 1 65vb.

66 . Tarnen a multis quaeritur de comparatione activae et contemplativae . Et ideo notandum, quod contemplativa praefertur activae unitate, puritate, aeternitate, firmitate, delectatione . . . In horum oppositis postponitur sibi activa . . . Activa autem circa effectibilia et effecta ad proximi utilitatem et necessita­ tem . Si enim consideretur activa in pluralitatis utilitate, in merendi virtute, in operandi fortitudine, in vigore, in necessitatis huius < vitae ) subventione, in ea quae per multos , quibus subvenitur, sit gratiarum actione : in quinque his praeponitur activa contemplativae. Et ideo dicunt quidam, quod se habent sicut excedentia et excessa. Super Lue. 1 0 , 42 (Ed. Par. t. 23 p . 89b) ; Oxford, B alliol. Cod. 1 87 f. 1 1 7vb-1 1 8ra.

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Der Herr ist nicht deshalb zu preisen, weil er dir gut ist, sondern weil er einfachhin der Gute ist.

64. Ohne Zweifel ist es eine Glaubenswahrheit: Gebet und gottgeschenk­ tes Heilsverdienst kommt auch dem Nächsten zugut. Gerade das steht im (sog. Apostolischen) Glaubensbekenntnis im 1 0. Artikel : " Gemeinschaft der Heiligen" . Das ist im Zusammenhang mit dem 8 . Artikel zu verstehen : " Ich glaube an den Heiligen Geist " , der die Heilsgüter in der Kirche (allen Gliedern der Kirche) gemeinsam macht. Paulus sagt 2 Kor 8, 1 4 : " In dieser Zeit soll euer Oberfluß ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Oberfluß eurem Mangel abhilft . " 6 5 . Ober die Fürbitte füreinander hinaus zeitigt die Gemeinschaft der Kirche noch andere gute Wirkungen. Schon das Miteinander in der Ge­ meinde verleiht viel Kraft für das Bleiben bei Gott. Eine gute Frucht ist ebenso die gemeinschaftliche Feier der Sakramente. 66. -liel gefragt ist das Verhältnis des tätigen Lebens zum beschaulichen. Da ist zuerst der fünffache Vorzug des beschaulichen Lebens festzustellen : die tiefere Einheit (aus dem Bezug auf das Eine Notwendige), die größere Reinheit (aus dem Freibleiben von den Fehlern im Umgang mit den Mit­ menschen), der Ewigkeitscharakter (aus dem Bestand des Beschaulichen im gegenwärtigen wie im künftigen Leben), die größere Standfestigkeit (aus der Bewahrung vor Irrtum), die einzigartige Freude (aus der Gotteserfah­ rung) . In diesen Werten bleibt das tätige Leben hinter dem beschaulichen zurück. Das tätige Leben hat den Dienst am Nächsten für sich. Es bietet viele Ge­ legenheiten, Nutzen zu stiften und Not aller Art zu beheben. Bedenkt man die mannigfach zu leistende Hilfe, die Anregung zu tugendlichem Han­ deln, den Unternehmungsmut, den kraftvollen Einsatz, das Heraushelfen aus einer Klemme, und schließlich die vermehrte D anksagung vor Gott bei denen, die eine Hilfe erfahren haben : insofern steht das tätige Leben über dem beschaulichen. Deshalb faßt man das Verhältnis der bei den Lebens­ weisen in die Formel: Sie stehen in einem Verhältnis dauernder gegenseiti­ ger Ergänzung (excedentia et excessa) . (Weder das beschauliche Leben noch das tätige stellt ein Ideal für alle dar. Je nach den Forderungen und Möglichkeiten der Stunde hat die eine oder die andere Form den Vorrang. So hat j eder Mensch auf beiden Wegen Gott zu suchen. )

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Zur Methode u n d Einstellung

67. Unde liquido constat, quod benedictio Domini nihil amplius est quam spiritualium bonorum collatio et eorum augmentatio et custodia eorum ab adversariis. De natura boni (Ed. Co!. t. 2 5 p . 67, 93 -96).

68. Signa debent praecedere diem iudicii, quae, quia nescio, si vera sunt, ideo non pono . Sed istud videtur dicendum, quod, si sol et luna obscura­ buntur simul, sicut videtur velle Hieronymus, hoc non erit per causam na­ turalem coniunctionis vel praeventionis eorum, sed potius virtute divina, ut terror hominibus incutiatur, sicut Lucae innuitur (XXI, 25) : "Et erunt si­ gna in sole et luna etc . " , sequitur : "et in terris pressura gentium etc. " . IV Sent. d . 4 8 a . 7 (Ed . Par. t . 3 0 p . 66 1 sq . ) ; New Haven, Yale Univ. Cod. 2 0 f. 3 1 1 rb .

69 . Responsio . Dicendum, quod i n hac quaestio ne ratio p e r se parum vel nihil valet ; ideo sanctis inspirationem divinam habentibus omnino consen­ tiendum videtur. Et quia ipsi dicunt, quod Christi resurrectio sit causa effectiva et sacramentalis nostrae resurrectionis, ideo e go hoc etiam dico, nihil mutando de dictis eorum. Ibid. d . 43 a. 5 (Ed. Par. t. 3 0 p . 5 1 3sq. ) ; f. 2 8 1 vb .

70 . Responsio . Dicendum, quod rationes congruentiae diversae possunt assignari, nec magna vis est in eis ; cum patribus ergo videtur consentien­ dum . . . Ibid. a. 8 (p. 5 1 9a) ; f. 283ra.

71 . Responsio . Disputare de ista materia est potius divinare quam dis se­ rere . Ibid . d. 48 a. 6 (p . 660a) ; f. 3 1 1 rb .

72 . Responsio . Dicendum, quod i n veritate hic potius e s t divinatio quam quaestio habens scientiam (Ms . : conscientiam) aliquam, qUia nemmem puto scire, qualiter hoc erit, nisi qui viderit, quando fiet. Ibid. d. 4 7 a. 7 (p. 649a) ; f. 309va . .

73 . Paucissimi enim sunt qui crucem tollant, nulli autem sunt qui sic tollant suam, sicut ipse pro nobis tulit eam. Super Luc. 9, 23 (Ed. Par. t. 22 p. 642a) ; Oxford, Balliol. Cod. 1 87 f. 96va.

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6 7 . D e r Segen Gottes ist nichts anderes als die Zuwendung, die Vermeh­ rung, die Bewahrung von Heilsgütern.

6 8 . Vor dem Tag des (Letzten) Gerichts müssen sich Erscheinungen ereignen. Nun weiß ich aber nicht, ob diese Angaben, wie sie gemacht werden, stimmen, und deshalb übergehe ich sie. Hieronymus scheint auch anzunehmen, daß Sonne und Mond sich gleichzeitig verfinstern. Das hat dann j edenfalls keine natürliche Ursache, etwa in der Zusammenkunft (coniunctio) oder im Gegenschein (praeventio) der beiden Himmelskörper, sondern in einem Eingreifen Gottes, um die Menschen durch Schrecken zur Besinnung zu bringen. Darüber macht Lukas eine Andeutung (2 1 , 2 5 ) : "An Sonne, Mond und Sternen werden Zeichen sichtbar werden" , und " auf der Erde werden die Völker voll Angst und Schrecken sein . . . " . 69. In der Frage, wie Christus die Ursache unserer Auferstehung ist, kann die auf sich selbst gestellte Vernunft nur wenig oder gar nichts ausmachen. D arum ist es auf j eden Fall das beste, man häIt sich an die Aussagen der heiligen Lehrer, denen göttliche Erleuchtung geschenkt war. Sie lehren, die Auferstehung Christi sei die bewirkende und (in der Eucharistie) die sa­ kramentale Ursache unserer Auferstehung. Das nehme auch ich unverän­ dert an. 70 . Für die Tageszeit des Letzten Gerichts lassen sich je verschiedene An­ gemessenheitsgründe vorbringen. Sie haben j edoch keine große Bedeu­ tung. In übereinstimmung mit den Kirchenvätern ist also festzuhaIten . . .

71 . Wo einmal das Letzte Gericht stattfindet, darüber lassen sich besten­ falls Vermutungen, keine Bestimmungen aufstellen.

72 . Was über das Feuer vom Weitende gesagt wird, ist eher ein Mutma­ ßen, keinesfalls echtes Wissen. Ich glaube, niemand weiß, wie das sein wird ; das kann nur der wissen, der sieht, wenn es geschieht.

73 . Nur sehr wenige Menschen tragen ihr Kreuz, überhaupt keiner aber trägt das seine so, wie Jesus es auf sich genommen hat.

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Zur Methode und Einstellung

74 . Hanc autem crucem quilibet debet facere " suam" , ut ad mensuram vi­ rium suarum, quia qui plus potest, debet portare gravius; et qui minus pot­ est, debet portare minus; ita tarnen, quod quilibet portet . . . Est etiam alio modo "sua" , hoc est sibi debitum. Et tune iterum crux est inaequalis, quia unus plus debet quam alter, secundum quod plus et minus peccavit . . . Est tertio modo unicuique tollenda crux " sua" , quando secundum congruita­ tem personae commensuratur. Magis enim de cruce debet apparere in Vica­ rio Christi quam in aliis; et magis in patriarchis et episcopis quam in aliis; et magis in praelatis quam in subditis, secundum quod Christi locum tenent maiorem vel minorem . . . Sie enim id quod consequens est, habemus, hoc est communicationes Christi passionum . I Petri IV ( 1 3 ) : "Communicantes Christi passionibus . . . " Sie enim communicatione passionum intramus cum Christo in regnum . Luc . XXIV (26 ) : " Sic oportuit pati Christum, et sie intrare in gloriam suam" . . . Ibid. 1 4 , 2 7 (Ed. Par. t. 23 p. 364b) ; f. 1 62vb-1 63ra.

75 . Scientes, quia ipse ,potens est servare nobis in illum diern' , quidquid laboris nostri sibi commisimus. Credimus enim, quod sem entern (semina?) operum nostrorum centuplicato fructu nobis reddet in horreo caeli, et to­ tarn aream vitae nostrae congregabit nobis, ut cum defecerimus ab hac luce decedentes, inveniamus omnia in tabernaculis aeternis. De natura boni (Ed. Co!. t. 25 p. 8 5 , 40 -47) .

76 . 6 a) Ad sensum apparuit angelus visione corporali. Cuius causa est, quia annuntiatio fuit, ut haberetur liber consensus virginis, et non aliqua coactione inductus . Et hoc plus fit per visionem sensibilem quam intellec­ tualem, quia intellectualis illuminat per modum necessitatis, sensibilis au­ tem per modum inducentis tantum . Ratio enim de necessitate cogitur a vero intellecto, sed consensus non cogitur ab eo quod affertur forinsecus ad sensum . De incarn . (Ed. Co!. t. 26 p. 1 76, 1 5 -23). b) Solutio . Dicendum, quod annuntiatio est per modum inducentis in consensum, ut consentire sit ex libera electione, quia aliter non esset lauda­ bile ; quia illuminatio in intellectu convincit rationem de consensu. Et ideo, licet modus illuminationis intellectualis nobilior sit in genere suo, quam per

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74 . Jeder Jünger muß " sein" Kreuz annehmen, d. h. nach seinen Kräften ; wer mehr Kraft hat, soll mehr Kreuz tragen ; wer nicht so stark ist, soll we­ niger zu tragen haben ; auf j eden Fall : j eder muß seines tragen . . . " Sein" Kreuz kann auch bedeuten : was er schuldig ist; auch unter dieser Rücksicht ist das Kreuz von verschiedener Schwere ; denn einer muß ein schwereres Kreuz tragen, weil er größere Schuld abzutragen hat als ein anderer. Es gibt noch eine dritte Stufe für " sein" Kreuz : sie hängt von der Stellung ab, die j emand in der Kirche innehat. Am Stellvertreter Christi muß mehr Kreuz sichtbar werden als im Leben der anderen Christen. Auch mehr an den Patriarchen und Bischöfen, und ebenfalls mehr an den Prälaten als an de­ nen, die ihrer Leitung unterstellt sind. Das Maß ihres Auftrags im Dienste Christi ist jeweils das Maß des Kreuzes, das sie zu tragen haben. Im gleichen Maß wird uns auch die im Kreuz sich verwirklichende Teilhabe an den Lei­ den Christi gewährt. 1 Petr 4 , 1 3 : " Ihr habt Anteil an den Leiden Chri­ sti . . . " Mit der Teilhabe am Leiden Christi aber gelangen wir mit ihm in das Reich. Lk 24, 2 6 : "Mußte nicht Christus all das erleiden und so in seine Herrlichkeit eintreten ? " 75 . Wir wissen, daß Christus die Macht hat, alle und j ede Mühe, die wir in seinem Dienst aufgewendet haben, für uns aufzubewahren bis zu jenem Tag (des Gerichtes) (vgl. 2 Tim 1 , 1 2 ) . Denn wir haben im Glauben die überzeugung, daß er in der Scheuer des Himmels die S aatkörner unserer guten Taten mit hundertfältiger Frucht uns zurückerstatten und allen Ertrag vom Acker unseres Erdenlebens zusammenbringen wird. Wenn wir im Tod vom Tag der Welt scheiden, sollen wir alles (Glück) finden in den ewigen Wohnungen (vgl. Lk 1 6 , 9). 76 . a) Der Engel erschien der Jungfrau in sinnfälliger Gestalt. Die Ver­ kündigung des Erlösers ereignete sich ja zu dem Zweck, der Botschaft die freie, keineswegs erzwungene Zustimmung der Jungfrau zu sichern. D azu eignete sich gerade die sinnfällige Begegnung mehr als die rein geistige Er­ leuchtung, die nötigend wirkt, während die Mitteilung über den Sinn nur hingeleitende Kraft hat. Die Vernunft stimmt einer erfaßten Wahrheit not­ wendig zu; was aber von außen über den Sinn kommt, hat keinen zwingen­ den Einfluß auf die Zustimmung. b) Die Verkündigung des Erlösers vollzieht sich als Hinführung zum Jawort, das aus freier Entscheidung der Jungfrau kommen muß, soll es sitt­ lich lobenswert sein. Die rein geistige Einstrahlung zieht die Beipflichtung notwendig nach sich ; an Wert steht sie freilich ihrer Art nach höher als die Kenntnisnahme durch den äußeren Sinn oder als die über die Phantasie, sie

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visum vel imaginationern, tarnen non adeo utilis esset ad annuntiationem quae inclinat ad liberum consensum . III Sem. d. 3 a. 1 6 (Ed. Par. t. 2 8 p. 5 8 ) . Venit item Spiritus ut diversorum charismatum operator, humilitatis scilicet ancillae, quam respexit in ea Deus, ut sibi matrem eligeret ; fidem, qua consensit verbis angeli, ut concipere permanens virgo valeret, et cetera innumerabilia, quae longum esset enarrare. Spiritus enim, qui operatur omnia charismata, ut dicit Apostolus, "dividens singulis" , haec charismata in mensura excellenti largitus est ei . . . (p . 7 1 , 45 - 52 ) . In quo (evangelio Christi) toto cogitatu, delectatione, et opere semper est immorata (p . 55, 84 - 85 ) . " Sicut enim oculi ancillae i n manibus dominae suae " , u t scilicet non ad praeceptum oris, sed ad nutum manus oboediat, ita oculi sui in manibus Domini Dei sui ad perficiendum omnem ipsius voluntatem, quam tarnen perficere non posset, nisi per gratiam Dominus secum esset (p. 64, 87 -92) . In ipsa etiam est " gratia viae" , qua itur ad Iesum in merito per eius exem­ pla, et qua " sequitur agnum quocumque ierit" in gaudiis beatitudinis aeter­ nae (p. 83, 1 7- 20) . Quae omnia membra filii ut filios uteri misericordiae et pietatis visceribus amplectitur (p. 6 1 , 43 -44 ) . "Eme nos" , gratia impetrata, "in servitutern" tuam et regis filii tui, et "praebe semina" gratiarum ad frugem operum iustitiae . . . (p. 62 , 32 - 34 ) . Et ea quae abundant nobis, hoc est miserias praesentis vitae, interce­ dendo portat ad caelum (p . 90, 6 9 -70) . Unde etiam significatur per luteres et mare aeneum, quod fecit Salomon, quibus se lavabant sacerdotes sacrificiorum ritus explentes . Et quicumque sacerdos sacrificium debet offerre filii, dignum est, ut apud matris miseri­ cordiam et intercessionem prius accipiat purificationem (p . 9 1 , 4 - 9 ) . 77.

De natura boni (Ed. Co!. t . 2 5 ) .

In der Theologie

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entspricht j edoch weniger der Verkündigung, die den Willen nur geneigt macht, der Botschaft zuzustimmen .

77. Als der Heilige Geist über Maria kam, wirkte er auch mannigfache Charismen in ihr : das Charisma der magdlichen Demut, auf die Gott schau­ te, als er Maria zur Mutter seines Sohnes erkor; ferner die Geistgabe des Glaubens, womit sie die Botschaft des Engels aufnahm, damit sie, Jungfrau bleibend, empfangen konnte . Es würde hier zu weit führen, die vielen Cha­ rismen alle zu nennen, die ja sämtlich der Geist verleiht, und zwar jedem seine besondere Gabe, wie der Apostel sagt (1 Kor 1 2 , 6 -1 1 ) . Der Jung­ frau hat er sie in außerordentlicher Fülle geschenkt. Mit ihrem ganzen Denken, mit aller Freude und aller Tat verweilte Maria unablässig im Evangelium Christi. " Wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin" (Ps 1 23 , 2) gerich­ tet sind, damit sie nicht erst auf ausdrücklichen Befehl hin, sondern schon auf einen Wink mit der Hand ihr zu Willen sei, so hefteten sich Marias Au­ gen auf die Hand des Herrn, ihres Gottes, um j edes Wollen Gottes auszu­ führen . Diese Erfüllung des göttlichen Willens hätte sie j edoch nicht zu­ stande gebracht, wäre Gott mit seiner Gnade nicht mit ihr gewesen . In Maria ist auch die " Lieblichkeit des Weges" (Sir 24, 25 Vulg.), auf dem man zu J esus geht, indem man nach ihrem Beispiel mit Gottes Gnade sein Heil wirkt. Sie ist auch der Weg, auf dem man dem Lamm folgt, wohin es geht (Offb 1 4 , 4), in den Freuden der seligen Ewigkeit. Alle Glieder des Leibes Christi (der die Kirche ist) umfängt Maria wie Kinder aus dem Schoß ihrer Barmherzigkeit mit innigster Mutterliebe. Erflehe uns Gottes Gnade und so " kaufe uns in deinen und deines Sohnes Dienstbarkeit ein" . Stelle uns durch deine Fürbitte Saatgut der Gnadenhilfe zur Verfügung (vgl. Gen 47, 1 9), damit wir Werke der Gerechtigkeit als Frucht bringen. Das Elend des gegenwärtigen Lebens, von dem wir j a mehr als genug haben, trägt sie auf gefalteten Händen zum Himmel. Vorgebildet ist Maria auch durch die Kessel und das Meer aus Erz (1 Kön 7, 3 8 . 23), wo die Priester des Alten Bundes sich wuschen vor dem Vollzug der Opferhandlungen (vgl. 2 Chr 4, 6). Es ist also sinnvoll, daß j eder Prie­ ster, wenn er das Opfer des Herrn darzubringen hat, vorher auch mit der barmherzigen Fürbitte der Mutter des Herrn um Läuterung betet.

II

78 . 7 Falconos autem, quod alio no mine arsenicum et a vulgo auripigmen­ turn vocatur, idem significat. Est autem de genere lapidum citrinorum et rubeorum, quem lapidem unum de " spiritibus" vocant alchimici. Habet au­ tem naturam sulphuris in calefaciendo et desiccando, et cum calcinatur per ignem, nigrum efficitur, et statim sublimatione efficitur albissimum nivi simile ( ? ) . Et si iterum calcinatur, item efficitur nigrum, et iterata sublima­ tione efficitur albissimum ; et cum hoc ter vel quater iteratur in ipso, tantum efficitur adustivum, quod aeri appositum statim facit foramina per ipsum, et exurit vehementer omnia metalla praeter aurum solum ; appositurn autem aeri ipsum in album colorem transmutat. Propter quod falsarii utuntur ipso, quando aes volunt facere simile argento, quia magnum in hoc habet effectum. Mineralia I. 2 tr. 2 c . 6 (Ed. Par. t. 5 p. 3 7a) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 30va.

79 . Arsenicum autem, licet lapis quidam aliquando sit, de quo in II Mine­ ralium libro fecimus mentionem, tarnen quia plurium modorum invenitur, oportet hic melius de ipso pertractare. Non autem dubium est, quin sit ter­ reae naturae, combustum habens aliquid de unctuositate sulphuris ; propter quod cognationem habet cum sulphure. Et humor sulphuris est multum penetrativus in metalla, propter cognationem quam habet ad ipsa, et adu­ rens ea ; et cum arsenicum sit acutius, plus efficitur adurens. Est autem pul­ verizabile, calidum, et siccum, sed est calidius, quam siccum, et ideo putre­ factivum est et valde mordificativum . Invenitur autem et trium modorum, album videlicet, et citrinum, quod est communius et pulverizabilius albius ceteris, et auripigmentum vocatur ; et rubeum, et melius in gene re illo est quod imbibitarn habet rubedinem cum quibusdam aliis viis, et forte multorum aliorum modorum invenitur secundum materiae diversitatem. Ibid. l. 5 c. 5 (Ed. Par. t. 5 p. 1 00b) ; f. 1 4 1 va.

II. NATURFORSCHUNG 1.

Minerale und Metalle

Arsenicum 78 . "Falconos" , sonst auch " arsenicum" und in der Volkssprache " auri­ pigmentum" (goldfarben, gelbe Arsenblende) genannt, meinen ein und dasselbe . Es ist ein gelbes und rotes Gestein, und für die Alchimisten ist es einer von den (vier) " Geistern" . Im Wärmen und Entfeuchten verhält es sich genau wie Schwefel. Bei der Verkalkung durch Feuer wird es schwarz, und durch anschließende Verfeinerung wird es sofort schneeweiß . Wird es dann noch einmal verkalkt, so wird es wieder schwarz und dann bei wie­ derholter Verfeinerung hochgradig weiß . Wird dieser Vorgang drei- oder viermal wiederholt, wird es so stark ätzend, daß es, sobald es mit Kupfer in Berührung kommt, Löcher in das Kupfer frißt, und es hat die Energie, alle Metalle zu schmelzen, nur Gold ausgenommen. Wird es jedoch dem Kup­ fer zugesetzt, gibt es diesem eine weiße Farbe. Deshalb verwenden es die Fälscher, wenn sie aus Kupfer etwas herstellen wollen, was wie Silber aus­ sieht ; denn dafür ist es sehr wirksam . 79 . Obwohl das "arsenicum" mitunter als eine Gesteinsart vorkommt ­ wir haben es oben im 2 . Buch erwähnt -, muß es doch richtiger hier (bei den Mitteldingen zwischen Steinen und Metallen) besprochen werden, da es sich in mehreren Arten vorfindet. Ohne Zweifel ist es von erdiger Natur und hat etwas von verbrannter öligkeit des Schwefels an sich, wodurch es dem Schwefel verwandt ist. Schon die Feuchtigkeit des Schwefels ist son­ derlich stark im Eindringen in die Metalle, eben wegen der chemischen Verwandtschaft mit ihnen, und verbrennt sie. Das Arsenicum aber ist noch schärfer und deshalb noch stärker an Verbrennungskraft. Es läßt sich zer­ reiben, ist warm und trocken, doch wärmer als trocken, und darum hat es eine große zersetzende und beißende Wirkung. Es kommt in drei Arten vor : erstens weißes Arsenicum, zweitens gelbes, das weiter verbreitet ist, leichter zu zerstoßen und blasser als die anderen Arten ; es wird auch " auripigmentum" (gelbe Arsenblende) genannt; drit­ tens schließlich rotes Arsenicum, und da ist die beste Sorte j ene, die mit Rot angereichert und mit Streifen anderer Farben durchzogen ist. Vielleicht läßt es sich noch in vielen anderen Arten entdecken, je nach verschiedenem Material.

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Naturforschung

80. Nitrum autem ex Nitrea insula, ubi primo inventum est, sie voeatur. Arabes "baurae" nominant. Est autem de genere salis, obseurius quam sal­ gemma, tamen est perlueidum, sed est laminosum tenue. Est autem illud as­ sabile in igne, et tune amissa aquosa substantia superflua effieitur sieeum magis combustum, et tune erit aeutius sal ipsum . Speeies autem eius distin­ guuntur seeundum loea in quibus naseitur. Est autem triplieiter inventum apud nos, armenum videlieet, et afrieanum, et teutonicum, quod in loeo qui Goslaria dieitur, abundanter invenitur; ita quod pluvia eadente super mon­ tem, qui plenus est mine ra eupri, et eolata aqua pluviae per montem, quando venit ad eentum passus in foveam quam feeerunt fossores, eonversa videtur aqua in nitrum ; quod tamen putatur ab incolis esse salgemma; sed ego visu et taetu probavi esse nitrum. Stat autem in eoneavo montis ad mo­ dum et formam qua glaeies generatur in teetis ex aqua a teeto stillante tem­ pore gelantis frigoris ; et hoc non est laminale, sed rotundum. Comparatio autem nitri afrieani ad eeteras speeies nitri est eomparatio nitri ad salem. Spuma autem nitri omnis, quae aliquando "flos nitri" voeatur, subtilioris est substantiae et virtutis quam ipsum nitrum. Melior autem est spuma illa quae praetendit colorem marmoris, et est muItum frangibilis. Est autem omne nitrum ealidum et sieeum, et ideo operationes eius sunt quod est in­ eissivum, lavativum, exeoriativum, eorrosivum, et praeeipue afrieanum, quod aeutius est eeteris. Ibid. 1. 5 c. 7 (Ed. Par. t. 5 p . l O l sq . ) ; f. 1 4 1 va-b.

8 1 . Ego autem in partibus Alamaniae in Suevia vidi lapidem super quem eonvenerant plus quam quingenti serpentes, inter montes in quodam prato ; et eum transitum faeeret inde dominus terrae, sui milites evaginatis gladiis seiderunt serpentes in multa frusta; in fundo tamen quidam magnus iaeuit serpens in multas partes inseisus, et sub eapite serpentis inventus est lapis niger, formatus ut pyramis abseissa, non perlueidus, in eireuitu eolore pal­ lido, pulcherrimum habens deseriptum serpentem . Et hune lapidem mihi ab uxore illius nobilis praesentatum eum eapite serpentis eiusdem ego habui. Ibid . 1. 2 tr. 2 c. 4 (Ed. Par. t. 5 p. 35a) ; f. 1 3 0rb .

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Nitrum (Laugensalz, Soda, Natron) 80. "Nitrum" hat seinen Namen von der Insel ( ?) Nitrea (Ägypten), wo es zuerst gefunden wurde . Die Araber nennen es "baurac" (Borax) . Es ist eine Salzart, dunkler als Steinsalz, gleichwohl durchsichtig, aus dünnen Plätt­ chen zusammengesetzt. Im Feuer läßt es sich rösten, und dann, wenn das überflüssige Wasser entwichen ist, wird es mit fortschreitender Erhitzung trocken, und das Salz selbst wird noch schärfer. Die Arten des Nitrum werden nach den Fundorten unterschieden, und zwar gibt es bei uns drei Arten : das armenische, das afrikanische, das deut­ sche . Hier in Deutschland ist es bei dem Ort Goslar in großen Mengen an­ zutreffen . Der (Rammels-) Berg ist reich an Kupfererzen, und wenn es auf dem Berg regnet und das Regenwasser sickert durch den Berg und erreicht nach hundert Schritten eine von den Bergleuten angelegte Grube, dann sieht es aus, als sei das Wasser in Nitrum verwandelt. Die Einheimischen halten es freilich für Steinsalz, ich selber habe j edoch durch Betrachten und Betasten festgestellt, daß es Nitrum ist. In der Berghöhle begegnet es in der Form und Gestalt vOn Eiszapfen, die sich, wenn es friert, am Dach aus dem herabtropfenden Wasser bilden. Dieses Nitrum ist nicht plättchenhaltig, sondern gerundet. Das afrikanische Nitrum verhält sich zu den übrigen Arten wie Nitrum zu Salz. Der Schaum des Nitrum, der bisweilen "Blüte des Nitrum" genannt wird, ist immer vOn feinerer Gestalt und Wirkung als Nitrum selber. Der beste Schaum ist der von der Farbe des Marmors, und er ist auch leicht zu zerteilen. Alles Nitrum ist warm und trocken, und deshalb hat es eine tren­ nende, reinigende, schälende, ätzende Wirkung, noch besonders das afri­ kanische Nitrum, das an Schärfe vor den anderen Arten kommt. Drachenstein 8 1 . Im Schwabenland, im Alemannischen , habe ich auf einer Talwiese zwischen den Bergen einen Stein gesehen, auf dem sich mehr als 500 Schlangen versammelt hatten. Als der Besitzer eines schönen Tages da vor­ beikam, zogen seine Soldaten den Säbel und zerschlugen die Schlangen in viele kleine Stücke . Unten aber lag eine große, in viele Teile zerhackte Schlange, und unter ihrem Kopf fand man einen schwarzen Stein, in der Form eines Pyramidenstumpfs, nicht durchsichtig, mit einem blaßfarbigen Streifen ringsherum, und darauf eine ausgesprochen schöne Abbildung einer Schlange . Der Stein wurde mir zusammen mit dem Schlangenkopf von der Gattin des adeligen Herrn angeboten, und ich nahm ihn an mich.

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82 . Volo autem primo narrare quae vidi et expertus sum ego ipse, et postea ostendere causam et modum per quem a natura efficitur imago . . . Dico igitur, quod me existente Venetiis, cum essern iuvenis, incidebantur marmora per serras ad parietes templi ornandos. Contigit autem in uno marmore iam inciso, tabulis incisis sibi applicatis, apparere picturn caput pulcherrimum regis cum corona et longa barba, neque in aliquo peccare vi­ debatur pictura ni si in hoc solo, quod frontem videbatur in medio habere nimis altam ascendentern versus verticem capitis. Scivimus autem omnes qui aderamus, hoc a natura fuisse picturn in lapide. Et cum a me quaereretur causa inordinationis frontis, dixi lapidem illum ex vapore fuisse coagula­ turn, et in medio per calorem fortiorem vaporem inordinate ascendisse ultra modum . Fuit autem pictura eiusdem coloris cum lapide. Huiusmodi autem simile est in nubibus . . . , et propter hoc patet ergo figuram picturae simpli­ cis aliquando esse a natura. Ibid. 1. 2 tr. 3 c. 1 (Ed. Par. t. 5 p. 48sq . ) ; f. 1 32va.

83 . Post autem longo tempore, cum essern Parisiis de numero doctorum et grege, contigit advenire ad Studium filium regis Castellae, cuius coqui cum pisces emerent, praenominati nobilis famuli, piscem emerunt qui La­ tine "peccen" , vulgariter "pledix" dicebatur; et erat maximae quantitatis in illo genere piscis. Cum autem exenteraretur piscis, in ventre eius apparuit concha ostrei maximi, quam ad me memoratus nobilis fecit causa dilectionis adportari. Concha ergo illa concavo sui, quod est planum et politum, habe­ bat figuram trium serpentum ore elevato optime factorum, ita quod nec figura defuit oculorum, cum tamen essent valde parvi. Exterius autem in convexo, quod erat asperum, habe bat figuras multorum, decem videlicet et amplius, serpenturn simili per omnia opere factorum, ni si quod omnes exte­ riores nodo quodam in collo videbantur colligati, capitibus tarnen et corpo­ ribus separatis ; neque fuit ulla istarum imaginum quae non esset perforata foramine ab ore serpentis incipiente et inferius ad caudam serpentis exeun­ te ; et erat foramen ita parvum, quod videbatur filo factum fuisse . Hanc au­ tem concham ego multo tempore habui, et multis ostendi, et postea eam misi pro munere in Teutoniam cuidam . Constat igitur per illud experimen­ turn etiam figuras elevatas super lapides aliquando fieri a natura. Ibid .

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Abdrücke 82 . Zuerst will ich berichten, was ich selbst an Abbildungen gesehen und beobachtet habe. Danach suche ich dann den Grund und den Vorgang zu erklären, wie sie in der Natur entstehen . . . Als ich in meiner Jugend in Ve­ nedig war, wurde dort Marmor zersägt, um damit die Wände einer Kirche zu bekleiden. Als einmal ein Marmorblock in zwei Teile zerschnitten war und die beiden Teile aneinandergelegt wurden, sah man den Abdruck eines schönen Königskopfes mit Krone und langem Bart. Der einzige Fehler daran war, daß die Mitte der Stirn, die sich bis zum Scheitel erstreckte, zu hoch schien. Uns allen, die wir dabeistanden, war klar, daß dieser Abdruck im Stein eine natürliche Ursache hatte. Man fragte mich nur, woher die Mißbildung der Stirn komme. Ich sagte, der Stein sei durch Einwirkung von Dampf erhärtet worden, und dabei sei in der Mitte Dampf ungebremst zu weit aufgestiegen, weil dort die Erhitzung stärker war. Der Abdruck hatte die gleiche Farbe wie der Stein selbst. Ähnliches geht auch in den Wolken vor sich . . . Es ist also klar, daß die Natur zuweilen einfach gestal­ tete Abdrücke zustande bringt. 8 3 . Eine ganze Zeitlang später, als ich in Paris war und zur Zahl und Kor­ poration der Lehrenden gehörte, kam auch der Sohn des Königs von Kasti­ lien an die Universität. Eines Tages wollten die Köche des adeligen Studen­ ten Fisch besorgt haben, und die Diener kauften von der Fischart, die auf Latein "peccet" heißt, in der Volkssprache "pledix" . Für diese Art Fisch war es ein besonders großes Exemplar, und als er ausgenommen wurde, entdeckte man in seinem Bauch eine Austermuschel von beträchtlichem Ausmaß . Der vornehme Herr ließ freundlicherweise diese Muschel mir überbringen. An der hohlen, glatten und glänzenden Innenseite hatte die Muschel den Abdruck dreier Schlangen ; sie waren genau abgebildet, mit aufgerichtetem Maul, und sogar die Augen fehlten nicht, obwohl sie sehr klein waren. An der gewölbten rauhen Außenseite waren viele - zehn und mehr - Schlangen in ähnlicher Ausführung mit allen Einzelheiten einge­ prägt ; nur sah es so aus, als wären sie am Hals alle mit irgendeiner Schleife zusammengeknüpft, wobei aber ihre Köpfe und Leiber getrennt geblieben waren. Auch hatte j eder dieser Abdrücke eine Öffnung, die vom Maul der Schlange abwärts bis zum Schwanz reichte und so geringfügig war, daß man meinte, sie sei mit einem Faden geritzt worden. Diese Muschel hatte ich lange Zeit im Besitz; und ich habe sie vielen Leuten zur Ansicht herum­ gereicht. Später habe ich sie als Geschenk für j emand nach Deutschland geschickt. Mit dieser Beobachtung steht also fest, daß manchmal auch erhabene Abdrücke auf natürliche Weise entstehen.

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84 . Est enim Coloniae in capsula trium Regum magnae quantitatis ony­ chinus, habens latitudinem manus unius hominis et amplius, in quo super materiam lapidis onychini, qui est sicut unguis, picta duo sunt capita iuve­ num albissima, ita quod est unum sub alio, sed elucet propositione nasi et ori s ; et in fronte capitum est figuratus nigerrimus serpens, qui colligat ca­ pita illa. In mandibula autem unius, in ea parte ubi est angulus curvitatis mandibulae inter partem quae descendit a capite, et eam quae ad nos inflec­ titur, est caput Aethiopis cum longa barba nigerrimum ; et subtus collo ite­ rum est lapis habens colorem unguis, et videtur esse vestimentum decora­ turn floribus circa capita. Probavi autem, quod non est vitrum, sed lapis, propter quod praesumpsi picturam illam esse a natura, non ab arte. Similes autem multi inveniuntur. Non latet tarnen aliquando per artem fieri tales imagines duo bus modis . . . Ibid . I. 2 tr. 3 c . 2 (Ed. Par. t . 5 p. SOa) ; f. 1 32vb .

8 5 . Probant autem hoc experta tarn i n naturae operibus quam i n artis so­ lertia. In naturae enim operibus visu proprio didici, quod ab una origine vena fluens in quadam parte fuit aurum purum, et in alia parte argentum habens sibi admixtam calcem lapideam ; et dixerunt mihi fossores et depura­ tores metallorum, quod hoc frequentissime contingit; et ideo dolent se in­ venisse aurum, quia aurum est pro pe originem, et tune deficit vena. Ego au­ tem diligenter rem examinans inveni aliquod genus esse vasis , in quo con­ versa erat minera in aurum, et aliud in quo conversa erat in argentum. Vas enim quod habebat aurum, fuit lapis durissimus in genere de numero eorum lapidum ex quibus cum chalybe excutitur ignis, et habebat aurum purum et non incorporatum ; sed in concavo sui conclusum modicum terrei combusti erat inter partes lapidis et auri, et erat lapis apertum habens foramen ad ve­ nam argenti, quae transivit per lapidem nigrum non multum durum, sed terrestrem, et cissilem (?) nigrum, et erat illorum lapidum ex quibus fiunt tegulae ad tegendas domos . Probabatur tarnen, quod ex uno loco qui erat vas materiae mineralis, e.vaporavit utrumque, et diversitas depurationis et digestionis diversitatem metalli sec und um speciem fuerat operata. Artificii autem experimentum est quod faciunt alchimici, qui unam spe­ ciem metalli, si cum natura operantur, deducunt in aliam, quemadmodum dictum est. Sie igitur non est improbabile circularem ex se invicem esse ge­ nerationem metallorum ; et hoc sol um metallorum est proprium inter ele-

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84 . In Köln, am Dreikönigsschrein, gibt es einen großen Onyx, so breit wie eine Männerhand oder sogar noch breiter. Der (Edel-) Stein hat das farbliche Aussehen wie ein Fingernagel. Obenauf sind in reinem Weiß die Köpfe zweier junger Männer im Profil abgebildet, der eine hinter dem an­ deren, aber derart, daß der verdeckte Kopf mit Mund und Nase vorragt und insoweit sichtbar ist. Auf der Stirn dieser Köpfe ist eine ganz dunkle Schlange eingezeichnet, die sie beide aneinanderbindet. An der Kinnlade des einen (vorderen) Kopfes, gerade im Winkel der Krümmung des Kie­ ferknochens , zwischen dem Oberkiefer und dem zum Mund hin gebo­ genen Teil, ist der tiefschwarze Kopf eines Äthiopiers mit langem Bart zu sehen . Weiter unten am Hals befindet sich wieder der (Edel-) Stein von Fingernagelfarbe, der aussieht wie ein blumenverziertes Tuch, das um die Köpfe geschlungen ist. Ich habe durch Untersuchung festge­ stellt, daß das Material nicht Glas, sondern Stein ist. Daraufhin nahm ich eher ein Naturprodukt an als eine Fertigung durch Menschenhand. Man findet viele Steine dieser Art. Bekanntlich kommen solche Abbildungen aber auch auf künstlichem Weg zustande. Zwei dieser Methoden kenne ich . . . Zyklische Umwandlung von Metallen 85. Daß es eine zyklische Umwandlung eines Metalls in ein anderes gibt, läßt sich mit Beobachtungen im Naturgeschehen und im künstlichen Ma­ chen dartun. Im Bereich der wirkenden Natur habe ich mit eigenen Augen festgestellt, wie eine Ader teils reines Gold enthielt, teils ein mit Kalkstein vermischtes Silber, obwohl die Ader aus einer einzigen Quelle kam. Die mit der Grabung und der Scheidung der Metalle beauftragten Arbeiter sagten mir, das komme oft vor, aber sie sind gar nicht glücklich, wenn sie da Gold finden, da das Gold erst in der Nähe der Quelle auftaucht und die Ader dann bald versiegt. Ich untersuchte die Sache genau und entdeckte (in dem Gestein) so etwas wie ein Behältnis, wo das Mineral in Gold verwandelt war, und dann ein anderes Behältnis, wo das Mineral zu Silber geworden war. Das goldhaltige Behältnis war ein äußerst harter (Quarz-) Stein - von der Art Stein, woraus mit einem Stück Stahl Feuer geschlagen wird -, und er enthielt das Gold in reiner Form, nicht mit dem Stein vermischt, sondern in dessen Hohlseite angesammelt; zwischen den Stein- und Goldteilen lag etwas erdiger Stoff in verbranntem Zustand; der Stein hatte auch ein Loch als Durchgang auf die Silberader hin, die einen dunklen, nicht sehr harten, irdenen, spaltbaren Stein durchquerte ; das dunkle (Stück) hatte sich gespal­ ten und gehörte zu j ener Steinsorte, woraus die (Schiefer-) Platten für die Bedachung der Häuser gemacht werden. Daraus ging immerhin hervor, daß an dem einen Fundort, der ein behältnisartiges Sammelbecken für

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menta et commixta. Sed non lateat nos, quod in omnibus quae circulares ex se invicem habent generationes, facilior est transitus eorum quae in pluribus habent convenientiam . Propter quod etiam ex argento facilius fit aurum quam ex alio metallo ; non enim mutari oportet in ipso ni si colorem et pon­ dus, et haec de facili fiunt; compacta enim magis substantia adhaeret pro certo pondus et diminuto aqueo et aucto bono citrino sulphure consequen­ ter variabitur color. Hic autem modus est et in aliis. Ibid . I. 3 t r . 2 c. 6 ( E d . Par. t. 5 p . 8 1 sq . ) ; f . 1 3 8rb-1 3 8va.

8 6 . Hi autem qui in cupro multum operantur in nostris partibus, Parisiis videlicet et Coloniae, et in aliis locis, in quibus fui et vidi experta, conver­ tunt cuprum in aurichalcum per pulverem lapidis qui "calamina" vocatur; et cum evaporat lapis, adhuc remanet splendor obscurus, declinans aliquantu­ lum ad auri speciem . Ut autem albius efficiatur et ita citrinitati auri magis sit simile, immiscent aliquantulum de stagno ; propter quod etiam aurichalcum multum de ductibilitate cupri amittit. Ibid. I. 4 c . 6 (Ed. Par. t. 5 p . 90b) ; f. 140ra.

87.8 quia et nos in Colonia vidimus altissimas fieri foveas, et in fundo illarum inventa sunt pavimenta mirabilis schematis et decoris, quae constat ibi homines antiquitus fecisse, et congestam fuisse terram super ea post ruinas aedificiorum. • • •

De causis proprietatum elementorum I. 1 tr. 2 c . 3 (Ed. Par. t. 9 p . 605) ; Rom, Cod. Vat. Iat. 486 f. 48va; Autograph: Wien, Osterr. Nat. -Bibl. Cod. 2 73 (philos . 42 1 ) f. 1 60r.

8 8 . 9 Palmam autem iam vidi pullulare ex semine, et convalescit frequen­ ter, et similiter cypressus. Oportet autem, quod in palma plurima semina

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Mineralstoffe bildete, beides (Gold und Silber) durch Entfeuchtung sich gebildet hat und daß ein verschiedener Grad der Läuterung und Anordnung eine je andere Art Metall mit sich gebracht hatte . Den künstlichen Versuch nehmen die Alchimisten vor. Wenn sie gemäß (den Gesetzen) der Natur vorgehen, gelingt es ihnen, eine Art Metall in eine andere überzuführen, wie bereits gesagt. Daher ist es nicht unwahrschein­ lich, daß es eine zyklische Umwandlung von Metallen gibt, was aber unter den (4) Grundstoffen und den Gemischtstoffen ausschließlich die Eigenart der Metalle ist. Wir sollten aber wissen, daß überall, wo zyklische Um­ wandlungen vorkommen, der übergang von einem Metall ins andere dort sich leichter vollzieht, wo die bei den enger vergesellschaftet sind. Das ist auch der Grund, weshalb Gold eher aus Silber als aus einem anderen Metall zu machen ist ; zu ändern ist dann nur die Farbe und das Gewicht, und diese Änderung ist leicht zu erreichen ; je fester nämlich die Masse ist, desto mehr steigt das Gewicht, und je nach Verminderung des wasserigen Gehalts, und mit der Zunahme an gutem gelbem Schwefel ändern sich folglich die farb­ lichen Eigenschaften . Entsprechend ist auch das Verfahren bei anderen Metallen. Umwandlung von Kupfer in Messing 86. In unseren Gegenden - in Paris und Köln und an anderen Orten, wo ich war und Beobachtungen gemacht habe - wandeln die Arbeiter in den Kupferhütten Kupfer in Messing um, indem sie dem Kupfer Staub des Calamina-Steins (Zinkkarbonat?) zusetzen . Wenn aus diesem Stein nun die Feuchtigkeit entweicht, bleibt noch ein dunkler, dem Schein des Goldes angenäherter Glanz, und um ihn heller zu machen und dem Gelb des Goldes noch mehr anzugleichen, geben sie ein wenig Zinn hin­ zu ; dadurch büßt das Messing viel von der Verformbarkeit des Kupfers eln. Ausgrabung 87. Auch wir haben gesehen, wie in Köln mächtige Gruben ausgehoben wurden, und da fanden sich in der Tiefe Fußböden von erstaunlicher Aus­ führung und Schönheit. Es ist klar, daß sie in alter Zeit von Menschenhand gefertigt, dann aber nach dem Verfall der Gebäude von Erdschichten über­ lagert worden waren. 2.

Pflanzenkunde

Palme 8 8 . Ich habe eine Palme gesehen, die (nicht aus einem Setzling, sondern) als Sämling wuchs ; dann gedeiht sie häufig, wie auch die Zypresse. Es müs-

Naturforschung

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simul componantur, si debeat pullulare ; ex uno enim simplici semine raro pullulat. Sed cypressus et ficus pullulant ex uno grano seminato ad modum herbae primum, et convalescunt paulatim . De veget . I. 1 tr. 2

c.

9 (ed . Meyer-Jessen p. 90sq. n. 1 86).

89. Quaedam enim (arbores) fructificant seme! in anno tantum ; et hae sunt notae, sicut cini et pruni et mala punica, et huiusmodi. Quaedam au­ tem pluries, sicut ficus et quaedam piri, quae ter in anno fructificant, et per totam aestatem habent fructum divers um successive in se florentem ; quae abundant in Colonia et in partibus Reni circa Coloniam . Et aliquando non maturantur aliqui posteriores fructus, sed remanent crudi, praecipue ulti­ mi, qui propter frigus hiemis ve! autumni maturari non possunt. Ibid.

c.

11 (p. 98sq.

ll.

200) .

9 0 . Ex omnibus autem his quae dicta sunt, patet, quod arbores illae quae non florent, et tamen fructum producunt, sicut ficus et quaedam mali, ca­ rent floribus propter alteram duarum causarum aut propter utramque si­ mul : Aut enim valde viscosam habent humiditatem, cuius partes sibi conia­ cent sicut ansis catenarum colligatae, ita quod subtile aqueum non est reso­ lubile a grosso humido et terrestri, quod est in ipsis, sicut est in ficulnea; propter quod etiam fructus eius dulcissimi sunt propter dulce humidum diu decoctum, quod totum remanet in ipsis . . . Ibid. I. 2 tr. 2

c.

4 (p . 1 52sq. n . 126).

9 1 . Est autem generativa pinguedinis, sed facile resolvitur pinguedo gene­ rata ex ipsa. Cataplasmata autem cum farina hordei maturat carbunculos et erysipe!am, et confert apostematibus duris . . . Sicca tamen nocet apostema­ tibus hepatis et splenis propter dulcedinem ipsius . . . Succus autem folio­ rum aperit orificia venarum ani, quae haemorrhoidae vocantur . . . Ibid . I. 6 tr. 1

c.

1 9 (p . 3 8 8 n . 1 02).

92 . 10 Fungus enim non videtur esse nisi quaedam exhalatio humoris, ex pu­ tredine ligni ve! alicuius alterius commixti et putridi corporis evaporans, et ad frigus aeris constans et coagulata; propter quod et infirmi sunt generali-

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Pflanzenkunde

sen aber immer mehrere Samenkerne zusammen in den Boden gelegt wer­ den, wenn der Same aufgehen soll, weil ein einziger Samenkern oft keine Sprößlinge treibt . Dagegen brauchen die Zypresse und der Feigenbaum zum Keimen jeweils nur einen einzigen Kern ; zuerst sprießen sie nach Art der Kräuter (wie Getreide) und entwickeln sich dann allmählich zum Baum . Feigen im Kölner Raum 89. Es gibt solche Pflanzen, die nur einmal im Jahr Früchte tragen; das pruni insititiae, sind die bekannten Pflanzen wie Pflaumenbäume (cini pruni), Granatbäume, und ähnliche. Es gibt aber auch andere Bäume, die mehrmals im Jahr Früchte bringen, so die Feigenbäume und einige Birn­ baumarten ; sie tragen dreimal im Jahr, und den ganzen Sommer hindurch erbringen sie ein ums andere Mal Blüten und Früchte . Sie gedeihen ausgie­ big in Köln und in der Rheinebene im Kölner Raum. Es kommt natürlich auch vor, daß die Früchte der späteren Ernte nicht reif werden, sondern un­ entwickelt bleiben, besonders die allerletzten, die wegen der kalten Witte­ rung im Winter oder im Herbst nicht ausreifen können . =

90. Aus dem Gesagten stellt sich heraus, daß es solche Bäume gibt, die nicht blühen, wohl aber Früchte hervorbringen, wie der Feigenbaum und bestimmte Apfelsorten . Der Ausfall der Blüte kann verschiedene Gründe haben, wovon einer darin besteht, daß sie einen sämigen Saft haben, dessen Teile kettenartig aneinanderkleben, und zwar derart, daß der Feinwasser­ gehalt von der im Saft gespeicherten dicken Flüssigkeit und von dem erdigen Bestandteil nicht aufzuzehren ist, wie z . B . in der (edlen) Feige . Deshalb sind die Früchte des Feigenbaumes so honigsüß ; denn der süße Feuchtigkeitsgehalt ist richtig durch gekocht und verbleibt vollständig in der Frucht. 9 1 . Die Feige macht dick, aber das angestaute Fett ist leicht abzubauen. Wird die Feige zusammen mit Gerstenmehl als Umschlag aufgelegt, treibt sie Geschwüre und die Wundrose zur Reife und hilft bei harten Beulen . . . Getrocknet ist sie wegen ihrer Süße gut gegen Schwellungen der Leber und der Milz . . . Der Saft der Feigenblätter öffnet die Erweiterungen der Venen im Afterbereich, die den Namen "Hämorrhoiden" haben . . . Pilze 92 . Wie es scheint, ist der Pilz nichts anderes als eine aus verfaultem Holz oder einem anderen organischen Stoff sich entwickelnde Ausdünstung feuchter Bestandteile, die in der Luftkühle sich verdickt und verfestigt.

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ter fungi, et quidam eorum venen os i propter putridum humorem ex quo generantur . . . Sed fungi propter defectum naturae non inveniuntur mutari ad aliquod aliud genus plantae, sed mox nati putrescunt, nec sibi similia generant neque semen faciunt . . . Ibid . I. 2 tr. 1 c. 2 (p . 1 1 1 n. 2 1 ; p . 1 1 2 n . 25).

93. "Tuber" enim quod vocatur " muscarum" , venenosum est, et si lacti immisceatur et muscae cadant super lac illud, gustantes ipsum, inflantur et moriuntur. Est autem illud tuber in superficie latum, et ad rubedinem de­ clinans, habens in superficie ampullas, sicut sunt ampullae in pelle valde le­ prosi hominis, in quibus non est humor, sed ventositas quaedam inclusa. Ibid. c. 6 (p. 137 n. 87) .

94 . Visi sunt enim viginti duo calami exorti fuisse ex unius gran i tritici radice; e contra etiam propter defectum nutrimenti aut corruptionem unius partis grani non emittit nisi unum aut forte nullum . Ibid . I. 3 tr. 1 c. 3 (p. 1 75 n. 23).

95. Quod autem salsa aqua sit grossior et terrestrior quam aqua dulcis, probatur experimento tali : Accipiamus enim duo vasa aequalia, quorum unum sit plenum aqua salsa, et alterum aqua dulci ; et accipiatur ovum re­ cens plenum bene, ex quo nihil vaporavit de humido eius, et ponatur in aqua salsa: natabit ovum ; et si ponatur in aqua dulci, mergetur. Est igitur gros­ sior et spissior et terrestrior aqua salsa quam aqua dulcis ; aqua igitur dulcis ascendit super aquam salsam secundum naturam, quia partes aquae salsae sub ovo non merguntur et deprimuntur, sicut partes aquae dulcis ; partes enim aquae salsae poterunt sustinere pondus ovi, quod non est mersum, quod non potuerunt sustinere partes aquae dulcis. Ibid . I. 4 tr. 1 c . 3 (p. 229 n. 36).

96 . 1 1 Sicut videmus in arboribus omnibus septimi climatis, in quo frigus et humor dominantur: Quando enim in illo climate arbores antiquantur, sive sint fructiferae sive non, tune egreditur de ramis earum humor qui for­ matur in plantam, quae habet folium viride, in quo fundatur sub virore quaedam citrinitas, et habet figuram folii olivae, et lignum ipsum componi­ tur ex malleolis sicut vitis; et subcutaneum habet corticem viscosum valde, quo utuntur aucupes ad capiendas aves; et stat haec planta unita arbori in qua crescit, sicut virga in ramo, et sicut ramus in stipite, ita quod si incidatur

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Deshalb auch sind die Pilze im allgemeinen schwach gebaut. Einige sind auch giftig wegen des fauligen Saftes, aus dem sie (durch Urzeugung) ent­ stehen . . . Von Natur aus sind sie mangelhaft ausgestattet und lassen sich deshalb auch nicht in eine andere Pflanzengattung umwandeln. Schon bald nach ihrem Auftreten fangen sie an zu faulen, und sie pflanzen sich auch nicht in gleichartiger Pflanze fort und erzeugen keinen Samen. 9 3 . Der sogenannte Fliegenpilz ist giftig ; wird er (zerschnitten) in Milch gelegt, und fallen dann Fliegen in die Milch, schwellen sie an und gehen ein. Der Fliegenpilz ist irp. oberen (halbkugelförmigen) Teil breit und ziemlich rot und hat dort Bläschen wie auf der Haut eines Leprakranken ; die Bläs­ chen enthalten keine Flüssigkeit, sondern einen luftartigen Stoff. Weizen 94 . Man hat beobachtet, daß aus einem einzigen Weizenkorn zweiund­ zwanzig Halme sprossen. Hingegen kommt es vor, daß ein Weizenkorn, wenn es im Boden nicht genug Nahrung findet oder selber teilweise von Schadstoff befallen ist, nur einen oder überhaupt keinen Halm aussendet. Süß- und Salzwasser 95 . Daß Salzwasser dicker und erdiger ist als Süßwasser, läßt sich an fol­ gendem Vorgang beweisen : Nehmen wir zwei gleichgroße Gefäße, das eine mit Salzwasser gefüllt, das andere mit Süßwasser, dazu nehme man ein fri­ sches volles Ei, von dessen Flüssigkeit noch nichts verdampft ist : im salz­ haltigen Wasser schwimmt das Ei oben, im Süßwasser geht es unter. Daran ist zu sehen, daß Salzwasser dicker und dichter und erdiger ist als Süßwas­ ser. Demnach lagert sich Süßwasser naturgemäß über Salzwasser; denn Salzwasser, im Unterschied von Süßwasser, gibt dem Druck des Eies nach unten nicht nach, es hält vielmehr das Gewicht des Eies aus, was dagegen das Süßwasser nicht fertigbringt. Mistel 9 6 . In (unserem) siebten Klima herrscht Frost und Feuchtigkeit vor. Da machen wir nun die Beobachtung, daß an älteren Bäumen, sowohl an Obstbäumen wie an anderen, aus den Ästen ein Saft austritt, der sich (durch Urzeugung) zu einer Pflanze entwickelt. Die (Schmarotzer-) Pflanze hat ein grünes Blatt, wobei das Grün mit Zitronengelb durchsetzt ist. Die Ge­ stalt des Blattes gleicht dem der Olive. Das Holz des Stammes setzt sich aus Knoten zusammen, wie beim Weinstock, und hat unter der Rinde einen stark klebrigen Schleim, der (als Leim) zum Vogelfang verwendet wird. Die Pflanze ist mit dem Wirtsorganismus so verbunden wie der Zweig mit dem

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in loco in quo infixa est plantae, invenitur lignum eius aut continuum aut quasi contiguum cum ligno arboris cui unitur et ex qua crescit . . . Ibid . I. 5 tr. 1 c. 3 (p . 299 n. 24).

97. Et ideo, licet infigatur in ea et videatur esse continua cum ea, non ta­ rnen continuantur nisi sicut radices plantae figuntur in loco a quo sugunt nutrimentum. Et huius signum est, quod quando secatur in loco planta ubi exit ab ea alia, invenitur extendi per eam filariter (?) illa quae exorta est ab ipsa; et propter cohaerentiam humoris invenitur adhaerens ipsi tamquam continuo, cum tarnen sit diversae substantiae ab ipsa . . . Ibid.

c.

4 (p . 302 n . 32).

98. Sed rarioris est substantiae aliquantulum, er erumpens omnino est al­ terius figurae et alterius fructus quam illa; fructus enim eius sunt grana alba, quae in frigore hiemis per frigus exprimens inveniuntur in planta tali, quae tarnen evanescunt, et ad maturitatem nullam deveniunt, eo quod non su­ gunt ex arbore in qua uniuntur et figuntur, nisi destitutum humorem et paraturn ad putrefactionem . Ibid. c. 3 (p . 299 n. 24).

99. Pomum autem ipsum, quod "malum" vocatur, constat ex quinque substantiis . Quarum prima est substantia sui corticis . . . Secunda autem est substantia suae carnis, quae habet humiditatem aqueam et aeream ; et ter­ reum· suum molle est et laxum. Tertia autem est substantia li gnea, quae est theca exterior nucleorum . . . , et distinguitur haec per quinque cameras, et in qualibet illarum formantur nuclei plures . . . Quarta autem substantia est corticis nucleorum, et quinta est substantia nucleorum, quae vocatur " fa­ rina nuclei" . . . Ibid . I. 6 tr. 1

c.

25 (p. 402sq. n . 129).

1 00 . 12 Spinachia vocantur folia herbae, quae est sicut borago, nisi quod est spinosa; et est semen eius valde spinosum, et flos eius sicut plantaginis, et est frigida et humida ; est autem lenificativa herba haec, et melius facit nutrimentum quam chrysolocanna; hoc est atriplicis . . . Ibid . I. 6 tr. 2 c. 1 7 (p. 563 n. 434).

Pflanzenkunde

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Ast und der Ast mit dem Stamm . Schneidet man die Verbindungs stelle zwi­ schen dem Baum und der sich daran heftenden Pflanze etwas ein, so findet man, daß das Gewächs nahtlos oder jedenfalls sehr eng mit dem Baum ver­ bunden ist, an dem es wächst . . . 97. Obwohl es aber in den Baum eingelassen ist und mit ihm anscheinend eine organische Einheit bildet, ist die Verbindung doch nur so wie die der Wurzel mit dem Erdboden, aus dem sie die Nahrung zieht. Um das sichtbar zu machen, braucht man den Ansatz am Baum nur anzuritzen, dann sieht man, daß die aus dem Baum hervorwachsende Pflanze wie ein Faden aus ihm heraustritt ; wegen des dem Saft eigenen inneren Zusammenhaltens sieht es dann so aus, als wäre die Pflanze ein Etwas vom Baum selber, obwohl sie der Art nach davon verschieden ist . . . 9 8 . In der Zusammensetzung ist die Pflanze um einiges dünner als das Holz des Baumes, und auch die Gestalt ist anders ; ebenso die Früchte, nämlich weiße Beeren, die sich im Winter bilden, aber (durch die Vögel) verschwinden und nicht zur Reife kommen, da sie aus dem sie bewirtenden Baum nur den abgegebenen verdorbenen Saft ziehen.

Apfel 99. Die (runde) Frucht des Apfelbaumes, die auf Latein "malum" heißt, besteht aus fünf Stoffen . Der erste ist die Schale . . . , der zweite das Fruchtfleisch, dessen Grundbestandteile Wasser und Luft sind ; das Erdige darin ist weich und locker. Der dritte Stoff ist holzig und bildet die äußere Hülle für die Kerne ; diese Hülle hat fünf Kammern, und in jeder dieser Kammern lagern sich mehrere Kerne . Der vierte Stoff ist die Schale der Kerne, der fünfte der Inhalt der Kerne, der " Kernmehl" genannt wird.

Spinat 1 00 . Spinat heißen die Blätter eines Krautes, das wie Boretsch aussieht, nur daß die Blätter spitz sind. Der Same ist reichlich stachelig, und die Blüte ähnelt der des Wegerichs ; das Kraut baut sich aus den Grundstoffen des Kühlen und Feuchten auf. Spinat ist ein Linderungsmittel und hat mehr Nährwert als die Gartenmelde . . .

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1 01 . Ego enim iam vidi falcones qui sine ligaturis intrabant et exibant, et nobis comedentibus super mensas veniebant, in radio solis se extendentes coram nobis, quasi blandirentur nobis, et quando venandum erat in tectis stantes et fenestris, exibant in aere super homines et canes volantes ad cam­ pum, et quando volebat falconarius, redibant ad reclamatorium. Si autem non bene domiti sunt, tune causa propter quam non redeunt, est horror hominis, et in illis cavendum est, ne dimittantur nisi tempo re famis, quia tune consuescunt red ire ex cibi desiderio . De anima!. !. 23 c. 4 (ed. Stadler p. 1457 n. 50).

1 02 . F alconum genus quod vocatur ,peregrinum' , praeinducta genera se­ quitur in nobilitate quarto loco . Vocatur autem peregrinum duabus de cau­ sis, quarum una est et vera, quia semper de terra in terram peregrinatur quasi omnes pervolans terras. Secunda est plus secundum opinionem falco­ nariorum, quod videlicet nescitur nidus eius nec inventus est a falconariis, sed in volatu longe a loco suae capitur generationis . Utriusque horum cau­ sam audivi ab expertissimo falconario, qui in heremo Alpium iuxta iuga al­ tissima montium multis annis habitaverat. Dicebat autem, quod hi falcones quos peregrinos vocamus, in altissimis et praeruptis parietibus montium nidos construebant, nec aliquando patuisse aditum nidi ni si desuper a ca­ cumine montium homine per funem submisso . . . , et propter hanc difficul­ tatem evenisse opinionem, quod nesciatur locus generationis horum falco­ num . . . Duobus autem modis hos vidi capi falcones, et heremita praedictus dixit mihi tertium modum . . . Heremita autem non aliud dixit esse facien­ dum, nisi disponatur avis ante rete absque lanario, quia falco avidus avis seipsum in re te praecipitat ; hoc enim modo dicebat se dictos falcones cepisse singulis annis. Ibid. c. 8 (ed. Stadler n . 57sqq. p . 1 4 6 1 s q . ) .

1 03 . Hoc genus falconum (seil. montanarium) est quod praecipue indig­ natur in evasione praedae . . . Et talern casum iam in Alpibus quidam de no­ stris viderunt sociis. Falcone enim montanario de rupe veniente praedam­ que insequente avem, quae perdix vocatur, aquila, contra quam praedicta perdix volavit, praedam praeripuit, ad quam rem montanarius falco, impa­ tientia iniuriae stimulatus, a praedicta aquila praedam praeraptam nitebatur

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3. Tiergeschichte Falke 1 01 . Ich habe schon Falken gesehen, die ohne Fessel ein- und ausflogen, und wenn wir beim Essen waren, kamen sie an den Tisch und streckten sich in unserer Gegenwart in der Sonne aus, als wollten sie sich uns anbiedern ; und wenn es auf die Jagd ging, saßen sie auf den Dächern und an den Fen­ stern, stiegen in die Luft und flogen über den Jägern und den Hunden aufs Feld hinaus, und auf den Ruf des Falkners kehrten sie in den Käfig zurück. Sind sie aber nicht richtig gezähmt, so liegt der Grund, warum sie nicht zu­ rückkommen, in der Scheu vor dem Menschen, und in diesem Fall sollen sie nur dann losgelassen werden, wenn sie hungrig sind, weil sie gewöhnt sind, aus Nahrungsbedürfnis zurückzukehren. 1 02 . Jene Falkenart, die "Wanderfalke" heißt, kommt unter den Edel­ falken an vierter Stelle . Seinen Namen hat der Wanderfalke aus zwei Gründen . Der erste und wirkliche Grund ist der, daß er von einer Gegend zur anderen zieht und so fast alle Gebiete überfliegt. Einen zwei­ ten Grund geben die Falkner an : Man weiß nicht, wo er nistet, und die Falkner können seinen Horst nicht ausfindig machen, und gefangen wird er, wenn er in großer Entfernung von seinem Nistort dahergeflo­ gen kommt. Die Erklärung für beide Gründe habe ich von einem erfahre­ nen Falkner bekommen, der als Einsiedler viele Jahre hindurch in den Alpen auf hochgelegenen Jochen gezeltet hat. Er erzählte, daß die Wanderfalken an hohen und steilen Bergwänden ihren Horst bauten und daß dieser manchmal nur dadurch zu erreichen war, daß ein angeseilter Mann sich von der Bergspitze herabließ . . . Auf diesen schwierigen Zu­ gang hin habe sich die Meinung gebildet, der Nistort der Wanderfalken sei unbekannt . . . Ich selber kenne eine zweifache Art und Weise, wie Wan­ derfalken gefangen wurden, und der Einsiedler sprach mir noch von einer dritten . Er sagte, man solle nur einen Vogel an ein Netz binden - ohne Lerchenfalke oder Schwimmer) -, "lanere" oder " sweimere" (lanarius dann stürzt sich der Falke in der Gier nach dem Vogel in das Netz ; auf diese Art, sagte der Einsiedler, habe er j edes Jahr solche Wanderfalken gefangen . =

1 03 . Dies·e Falkenart (Montanariusfalke, wahrscheinlich der Wanderfal­ ke) wird äußerst zornig, wenn ihm die Beute entwischt . . . Einen solchen Fall haben einige meiner Gefährten in den Alpen selber beobachtet. Ein Falke dieser Art kam vom Felsen herab geflogen und wollte sich ein Reb­ huhn als Beute ergattern. Das Rebhuhn flog weg, auf einen Adler zu, der die Beute an sich riß . Ober diesen Raub wurde der Falke so wütend, daß er

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Naturforschung

accipere . Sed cum aliquamdiu nitens perficere intentionem non pos set, altissime ascendit et deorsum torrendo veniens ictum in caput aquilae dedit et seipsum peremit et aquilam . Ibid . c. 7 (ed. Stadler n. 56 p. 1 460sq . ) . 1 04 . Haec de faIeonum e t accipitrum natura e t regimine a nobis dicta sunt secundum dicta antiquorum. Sed praeter omnia quae inducta sunt falconum genera duo adhuc apud nos genera faIeonum inveniuntur, quorum unum est falco lapidaris, et alterum faIeo qui vocatur arborealis . . . Ibid . c. 24 (ed. Stadler p . 1 492 n . 1 08). 1 05 . Huius autem simile ego ipse, cum essem iuvenis, de faIeonibus sum expertus. Quandocumque enim mecum ad campum duxi canes qui vocan­ tur canes avium, eo quod sciunt aves invenire, falcones in aere volantes su­ per me sequebantur ad campum, et percusserunt aves quas canes fugaver­ unt ; et iHae timentes rediverunt ad terram et permiserunt se manibus accipi; et in fine venationis cuilibet falconi dedimus unam, et tune recesserunt a nobis. Ibid . \. 8 tr. 2 c . 6 (ed. Stadler n. 1 1 0 p . 6 1 7sq . ) . 1 06 . Kyni tamen e s t duorum generum : e s t enim unum genus magnum, quod est cinerei, et hoc nos vocamus vulturem griseum ; aliud autem est parvum, et hoc est album, et saepe apparet sedens in rupibus Rheni fluminis et D anubii, et ab incolis Germaniae vocatur vultur albus. De anima\. \ . 7 tr. 1 c . 4 (ed . Stadler n . 31 p . 508sq . ) . 1 07. Vultur avis est nota, valde magna, sed gravis, et ideo tribus saltibus vel pluribus vix a terra elevatur, et ideo antequam elevetur, frequenter capi­ tur. Ego enim ipse insequendo cepi unum, sed de cadavere muItum come­ derat . . . Quod autem Plinius et alii quidam dicunt, quod nemo vidit nidos vuIturum, et ideo ex adverso orbe venire putantur in terram nostram falsum est, quia in montibus qui sunt inter civitatem Wangionum , quae nunc Wormacia vocatur, et Treverim singulis annis nidificant vuItures, ita quod terra fetet ex cadaveribus ibi comportatis. Ibid . \. 23 c . 1 44 (ed. Stadler n . 1 44 p . 1 5 1 3 ) .

1 08 . 13 Et tale animal e s t quod habitat i n segetibus, fulvum e t varium i n facie nigris maculis, quod apud nostram linguam hamester vocatur, et est maius

Tiergeschichte

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die ihm entgangene Beute dem Adler wieder wegschnappen wollte . Als ihm das nach einigen Versuchen nicht gelang, stieg er in die Höhe, stieß dann heftig herunter, bearbeitete mit dem Schnabel den Kopf des Adlers und brachte schließlich sich selber und den Adler um. 1 04 . Soviel über die Natur und die Abrichtung der Falken und Habichte nach den Angaben früherer Naturbeobachter. Neben den ( 1 7) beschriebe­ nen Falkenarten gibt es bei uns hier noch zwei Arten, den Steinfalken und eine Art mit dem Namen "Baumfalke" . . .

1 0 5 . Eine ähnliche Erfahrung habe ich in meiner Jugend mit Falken ge­ macht. Sooft ich Vogelhunde - sie heißen so, weil sie die Vögel aufspüren - ins Jagdrevier mitnahm, flogen die Falken über mir her und begleiteten mich ; sie setzten den Vögeln nach, die von den Hunden aufgescheucht worden waren . In ihrer Angst stießen die Vögel wieder auf den Boden her­ unter und ließen sich mit der Hand greifen. Nach der Jagd gaben wir jedem Falken einen Vogel; dann verließen sie uns wieder. Geier 1 06 . Zwei Arten Geier gibt es, die eine groß und aschgrau ; sie heißt bei uns der graue Geier; die andere Art ist klein und weiß und ist häufig an den Felsen des Rheins und der Donau zu sehen ; für die Germanen ist das der weiße Geier.

107. Der Geier ist ein bekannter Vogel, sehr groß und schwer; deshalb ge­ lingt es ihm mit drei oder mehr Sprüngen kaum, vom Boden abzuheben, und bevor er hochkommt, wird er leicht gefangen . Ich selbst habe einem nachgesetzt und ihn gefaßt; er hatte viel verwestes Fleisch gefressen . . . Wenn Plinius und andere Tierkundige sagen, noch niemand habe einen Horst der Geier gesehen und deshalb glaube man, sie kämen aus einem fremden Landstrich, so trifft das für unsere Gegend hier nicht zu ; in den Bergen zwischen der Vangionenstadt, j etzt Worms, und Trier nisten die Geier jedes Jahr, und in der Luft dort ist der Gestank von zusammen­ geschleppten Tierleichen. Hamster 1 0 8 . Dieser Art (kleines Herz, warmes Blut, großer Mut) ist ein Tier, das in Getreidefeldern lebt, mit rötlichgelber Färbung, mit dunklen Flecken im Gesicht ; in unserer Sprache heißt es Hamster; er ist größer als der Sieben-

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Naturforschung

ratto et mmus catto , brevia habens crura, et est audax et mordax valde . D e animal. 1 . 1 t r . 3 c . 4 (ed. Stadler p . 208 n. 582). 1 09 . Carperen sunt pisces fluviales et lacunales noti . . . Hic piscis in ali­ quibus aquis germinat et in aliquibus grassatur et crescit, sed optime valet in fundo argilloso, tritico prima seminato, et postea argilla desuper sparsa, et postea aqua supereffusa. De animal. 1 . 24 (ed. Stadler n . 20 p. 1 525sq . ) . 1 1 0 . Idem autem observant pisces movendo de loco a d locum, aut quae­ rendo loca cavernosa versus hiemem, ita quod expertus sum in villa mea super Danubium, ubi sunt plurimae cavernae in muris et lapidibus, quod omni anno post aequinoctium autumni congregantur ibi pisces, quos vul­ gus barbellos vocat, et in tanta conveniunt quantitate, quod manibus ca­ piuntur, ita quod tempo re meo simul bene usque ad decem plaustratas manibus eiecerunt incolae loci . . . Ibid . I. 7 tr. 2 c. 6 (ed. Stadler n. 65 p. 522sq . ) .

1 1 1 . 14 E t hoc apud nos a b omnibus hominibus e s t notum i n mari Flandriae et Brabanciae et Germaniae inferioris, quod piscis pulcherrimus, qui lingua ibi habitantium vint vocatur, . . . cum grege venit ad sonitum nolarum aut cymbalorum aut campanarum parvarum. De animal. I. 4 tr. 2 c . 1 (ed . Stadler p. 393 n . 79) . 1 1 2 . Venth piscis vulgariter vocatur qui Latine aristosius dicitur propter innumeras aristas, quas caro eius in se habet . . . Hoc modo autem capitur : Tenduntur retia aut per longitudinem aut per transversum aquae, et ante retia instrumenturn quod est in figura arcus, natans super aquas, et in supe­ riori eius est nola pulsans, ad cuius tinnitum piscis gregatim convenit et incidit in rete . Ibid. 1. 24 (ed. Stadler n. 59 p. 1 549).

1 1 3 . 1 5 Nam quod in Germania rubeum est antiquum, et nigrum prima suae nativitatis anno, in Polonia ruborem miscet cum griseo . . . Sunt autem haec animalia sicut cetera de genere muris dentes duales inferiores valde longos habentia, et valde inquieta, in arboribus nidum construentia, caudas habentia villosas et longas, et saltantia de arbore in arborem vicinam, et tune caudam movent ac si se gubernent cauda; cum autem moventur, caudam

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schläfer, kleiner als die Katze; er hat kurze Beine und ist ziemlich frech und bissig. Karpfen 1 09 . Karpfen sind bekannte Fluß- und Seefische . . . Dieser Fisch laicht in bestimmten Gewässern ab, und in anderen wächst die Brut heran und nimmt an Gewicht zu. Am besten gedeiht er in tonigem Grund, wenn man zuerst Weizen einsät, dann Ton darüberstreut und nachher wieder das Wasser darüberlaufen läßt. 1 1 0 . So machen es auch die Fische, wenn sie von einer Stelle zur anderen ziehen oder, wenn der Winter kommt, Plätze mit Höhlungen aufsuchen. In meiner Burg an der Donau, wo die Mauern und die Felsen starke Löcher aufweisen, habe ich das beobachtet. Jedes Jahr im Herbst, nach der Tag­ undnachtgleiche, sammeln sich dort Fische, die im Volksmund Barben hei­ ßen, und sie kommen in solchen Scharen, daß man sie mit der Hand greifen kann . Zu meiner Zeit haben die Ortsbewohner auf einen Schlag bis zu zehn Wagenladungen mit der Hand ans Ufer geworfen. Finte 1 1 1 . Bei uns, an der See von Flandern, Brabant und Niederdeutschland, weiß jedermann, daß ein auffallend schöner Fisch, von den Leuten dort »vint" genannt, in Scharen herankommt, wenn eine Schelle oder eine Zim­ bel oder ein Glöckchen erklingt.

1 12 . Der Fisch, der in der Volkssprache » venth" heißt, auf Latein » aristo­ sius" wegen der zahllosen Gräten (aristae), wird in folgendem Verfahren gefangen : In der Längsrichtung des Gewässers oder quer werden Netze gespannt, und vor den Netzen wird ein bogenförmiges Instrument befe­ stigt, das auf dem Wasser schwimmt und oben eine Schelle trägt ; auf das Geklingel hin schwimmt der Fisch scharenweise heran und geht ins Netz. Eichhörnchen 1 1 3 . In Deutschland ist das ältere Tier rot, im ersten Lebensj ahr schwarz, in Polen ist es rot mit übergang ins Graue . . . Diese Tiere haben, wie die üb­ rigen Arten der Mäusegattung, ein Paar untere Schneidezähne von be­ trächtlicher Länge ; sie sind sehr wendig, bauen ihr Nest auf den Bäumen, haben einen buschigen langen Schwanz, schwingen sich von Baum zu Baum und bewegen dabei den Schwanz so, alswäre er ihr Steuer; in der Be-

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post se trahunt, et eum sedent, eaudam super dorsum suum erigunt ; et eum eibum eapiunt, pedibus anterioribus sieut eetera de genere muris eibum quasi manibus aecipiunt et ori suo imponunt . . . De anima!. !. 22 tr. 2 c. 1 (ed. Stadler n. 1 3 4 p. 1 42 1 ) .

1 1 4 . 16 Carduelis est avicula parva, quae earduis insidet, quae apud nos di­ stelvinehe, apud quosdam vero stygeliz ab imitatione voeis voeatur. Quod autem dieitur haee avis pasei aeutis spinarum et aeuleis, experimento proba­ vimus falsum esse. Haee paseitur semine earduorum et lapparum et virgae pastoris et huiusmodi; comedit etiam semen papaveris et rutae et eanabi, et quaeeumque semina eomedit ; exeoriat rostro a cortice, et tune pura medulla veseitur; comedit autem et nuees, eodem modo nucleos a pelle exeorians. De anima!. !. 23 (ed . Stadler p . 1 4 5 1 n . 4 1 ) .

1 1 5 . 17 Est tarnen quidam piseis habens duas alas membranales, qui volat ad spatium modieum, et postea eadit in mare, quem Ita1 iei voeant hirundinem mans. De anima!. I. 1 4 tr. 2 c . 7 (ed . Stadler p. 985 n . 78). 1 1 6 . Rumbus est piseis in mari Italiae et Graeeiae habundans, et est de ge­ nere peetinis, totus rotundus quasi eireulus, pinnulis eireumpositus, et in parte nigra pietus est rubeis virgulis et maeulis, et illa superficies tota est plena spinis aeutissimis et reeurvis aliquantulum anterius . . . De anima!. !. 24 (ed. Stadler p. 1 543 n. 50),

1 1 7. 18 . . sieut apud nos illud genus vaeeae sive bovis nigrum (et domesti­ eatur, et ponitur eireulus in naribus suis, et per illum eireumdueitur), quod in romana lingua et nostra bufletus voeatur, et habet multas mirabiles pro­ prietates . Est enim in eorpore suo nigrum minimorum pilorum, ita quod etiam in eauda quasi nullos habet pilos ; et eaput suum est parvum respeetu quantitatis eorporis sui, et eornua sua parva fere sicut eornua eapreae dome­ stieae, et aliquando dependentia iuxta eollum versus domestieum peetoris, et aliquando ereeta; et est forte, trahens fere honus duo rum equorum, et habet brevia erura valde spissa et fortia; et easeus lactis sui est valde solidus et terrestris . . . In trahendis autem honeribus est animal valde forte ; et eum impetu magno trahere eonatur, inclinatur super genua, et postquam perfe,

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wegung ziehen sie den Schwanz hinter sich her, beim Sitzen richten sie ihn über den Rücken auf. Bei der Futteraufnahme fassen sie, wie wiederum die übrigen Arten der Mäusegattung, die Nahrung mit den Vorderfüßen, als wären es Hände, und stecken sie ins Maul . . . Distelfink, Stieglitz 1 1 4 . "Carduelis" ist ein kleiner Vogel, der in Disteln sitzt. Bei uns heißt er Distelfink, andere nennen ihn - in Nachahmung seiner Stimme - Stieg­ litz. Man sagt zwar, er nähre sich von den Spitzen der Dornen und mit Stacheln. Das hat sich jedoch durch unsere Beobachtung als nicht richtig herausgestellt. Er nährt sich mit dem Samen der Disteln und der Kletten­ pflanzen, des Hirtenstabs, und ähnlicher Kräuter. Er frißt auch Kerne von Mohn, Raute, Hanf, und andere ; er schält mit dem Schnabel die Hülle ab und nimmt nur den Kern zu sich; auch Nüsse frißt er, wobei er ebenso die Schale zerhackt. Fliegender Fisch 1 1 5. Es gibt einen Fisch, der zwei Flügel aus einer Art Membrane hat; er fliegt eine kurze Strecke und läßt sich dann wieder ins Wasser fallen ; die Italiener nennen ihn "Meerschwalbe" . Steinbutt 1 1 6 . Der Rhombus ist ein Fisch, der im Meer bei Italien und Griechen­ land in großen Mengen vorkommt. Er gehört in die Gattung der Schollen, ist rund wie ein Kreis und ringsum mit kleinen Flossen besetzt ; auf der schwarzen Seite sind rote Striche und Flecken aufgetragen, und die Oberfläche dieser Seite ist voll von ganz spitzen Stacheln, die vorne etwas zurückgebogen sind. Langobardenbüffel 1 1 7. Bei uns gibt es eine schwarze Kuh- oder Rinderart - das Tier wird gezähmt und bekommt einen Ring durch die Nase, an dem es geführt wird -; die im Lateinischen wie in unserer Sprache "Büffel" heißt. Er hat aller­ hand merkwürdige Eigenschaften. Er ist schwarz und hat ganz kurze Haa­ re, am Schwanz sozusagen gar keine . Der Kopf ist im Verhältnis zur Kör­ permasse klein ; die Hörner sind fast so kurz wie bei der Hausziege, sie können längs des Halses auf die Brustmitte zu nach unten hängen oder nach oben gerichtet sein . Der Büffel ist stark, er schafft etwa die gleiche Last wie zwei Pferde, hat kurze, aber dicke und kräftige Schenkel; der aus seiner Milch bereitete Käse ist fest und erdig . . . Der Büffel ist ein sehr leistungsfä­ higes Zugtier; ist beim Anziehen einer Ladung einmal ein gehöriger Ruck

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cit impetum, resurgit et trahit onus suum . Est autem iracundum valde, et cum irascitur, currit ad aquam et mergit se in aqua usque ad os propter calo­ rem sanguinis concitati . . . Colores autem rubeum et varium frequenter ab­ hominatur, ita ut conculcet eum qui talibus induitur. Defensionem autem habet in pedibus, quos fortissime figit, et iterat fixiones pedum super id quod in ira conculcaverit. De anima\. \. 2 tr. 1 c. 3 (ed. Stadler p. 235sq. n. 30sq . ) .

1 1 8 . 19 et animal cuius cor diutius pulsat extractum ex his quae sunt apud nos, est salmo piscis ; quia sub uno corde pulsante vendunt piscatores plures salmones per partes incisos, decipientes quasi recentes demonstrent ex adhuc palpitante corde. De anmima\. \. 1 tr. 3 c. 4 (ed. Stadler p. 208 n. 584). • . ,

1 1 9 . 2 0 Et tempo re meo plures capti sunt ; unus quidem in Frisia circa locum qui Stauria vocatur, cuius cum caput per oculum cuspide punctum esset, undecim lagenas sagiminis emisit, quarum quaelibet vix portabatur ab ho­ mine uno ; et hoc sagimen et lagenas ego vidi; et est sagimen valde lucidum et purum, postquam defaecatum est . . . Huius piscis lardum est quod graspois vocatur. De animalibus \. 24 n . 23 (ed . Stadler p. 1 524 n . 1 7) . 1 2 0 . 2 1 De hac ave expertus sum, quod advolat a d cantantes, s i bene can­ tant, et dum cantant, auscultat tacens , et postea, quasi vincere nitens , recan­ tat et respondet ; et hoc modo etiam seipsas invicem provocant ad cantan­ dum. De animalibus \. 23 c. 24 n. 1 00 (ed. Stadler p. 1 509 n. 1 3 7) .

1 2 1 . 22 Et similiter s i hyems sit vernalis vel autumnalis, nihil prohibet fieri terraemotum in hyeme et aestate . Et hac de causa maximum et diu durantem vidimus terraemotum in Lombardia, sole existente in signo Capricorni, et erat in pluribus civitatibus illius regionis, et frequentius venit circa mediam noctem, et postea quievit. Meteora \. 3 tr. 2 c. 9 (Ed. Par. t. 4 p. 626a1b).

1 2 2 . Fuit tarnen in plano Lombardiae in pluribus civitatibus terraemotus magnus, et duravit per multum tempus . Sed causa illius fuit, quia illud

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nötig, geht er in die Knie, nach der Kraftanstrengung richtet er sich wieder auf und zieht die Last weiter. Sehr leicht gerät er in Wut, und dann läuft er ins Wasser und taucht bis zum Maul unter, weil sein Blut am Kochen ist. Rote und buntschillernde Farbe reizt ihn, und wenn j emand diese Farbe trägt, zermalmt er ihn womöglich. Seine Verteidigungswaffen sind die Füße, die er mit Wucht und mehrmals auf den Gegenstand setzt, den er im Zorn zertrampelt. Salm 1 1 8 . In unserer Tierwelt ist es eine Eigentümlichkeit des Salmes, daß sein Herz, wenn es aus dem getöteten Fisch herausgeschnitten ist, länger als bei anderen Tieren weiterpocht. Deshalb legen die Fischverkäufer auf einen Stoß (älterer) zerteilter Salme solch ein noch schlagendes Herz obenauf, um dem Käufer weiszumachen, die Fische seien ganz frisch. Walfisch 1 1 9 . Zu meiner Zeit wurden mehrere Walfische gefangen, einer in Fries­ land bei Stavoren (Niederlande) . Als der Kopf des Tieres am Auge mit einer Harpune durchstochen wurde, kamen elf Krüge Fett heraus, von denen je­ der kaum von einem Mann getragen werden konnte. Das Fett und die Krüge habe ich selbst gesehen. Das Fett ist sehr hell und klar, wenn es von Rück­ ständen gereinigt ist . . . Der Speck dieses Fisches wird " graspois" genannt. Nachtigall 1 2 0 . Ich habe beobachtet, wie die Nachtigall in die Nähe anderer guter Sänger fliegt, still zuhört, und dann, gleichsam um sie auszustechen, ihnen antwortet und die Melodie nachsingt. So fordern sie auch selbst einander zum Singen heraus.

4. "Meteorologie " Erdbeben 1 2 1 . Ist der Winter frühlingshaft oder herbstlich, kann auch im Winter und im Sommer ein Erdbeben entstehen . Besonders wegen dieser anhalten­ den milden Witterung haben wir zu der Zeit, als die Sonne im Zeichen des Steinbocks stand (Winter 1 222123), in der Lombardei ein Erdbeben erlebt. Es wütete in mehreren Ortschaften jenes Landstrichs, und be­ sonders häufig kam es um Mitternacht ; dann beruhigte sich die Erde wieder. 1 2 2 . Allerdings ereignete sich das Erdbeben in der Lombardei unge­ wöhnlicherweise in der Ebene, und es dauerte lange . Der Grund dafür liegt

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planum cingitur mari in parte una, et montibus in alia; et tarn mare quam montes operantur ad terraemotum, ut dictum est. Ibid. c . 20 (p. 638b).

1 2 3 . Ego autem vidi in Paduana civitate Lombardiae, quod puteus, ab an­ tiquo tempore clausus, inventus fuit, qui cum aperiretur, et quidam intraret ad purgandum puteum, mortuus fuit ex vapore cavernae illius, et similiter mortuus est secundus ; et tertius voluit scire, quare duo moras agerent, inci inatus in puteum, adeo debilitatus est, quod spatio duo rum dierum vix rediit ad seipsum ; cum autem exspirasset vapor putrefactus in puteo, factus est bonus et potabilis. Ibid. c. 12 (p . 629a) .

124 .23 Haec sunt igne non superabundante mollificabilia, sicut ferrum et cornu. Dico autem "igne non superabundante" , quoniam si superabunda­ bit ignis vehementia, potest liquari ferrum, sicut faciunt illi qui operantur in ferro . eum enim extrahunt ipsum de terra, et est perrnixturn lapidi et terrae, et eius scoria est multa, faciunt ignem maximum et calidum, et tune in fun­ dum distillat ferrum, et lapides et scoria eiciuntur sursum , et tune fit humi­ dum et fluit . . . Est autem hic dubium, quia nos diximus . . . , quod ferrum differt in hoc ab aliis metallis, quod ipsum est mollificabile solum, et non liquabile; hic autem concedimus modo, quod est liquabile per vehementem ignem et ma­ gis difficulter quam alia . . . Et ideo, quod supra dictum est . . . , dictum est ad signum fortitudinis et apprehensionis et coagulationis humidi, quod est in ferro ostendendum, quia etiam ibi diximus, quod ferrum aliquo modo liquescit . . . Unde si aliqui iuvant ignem ad separationem heterogeniorum, scilicet terrei grossi et aquei subtilis in ferro, illa cito liquabunt ferrum . Si enim limetur ferrum, et proiciatur desuper pulvis sulphuris et auripigmenti, et bene temperentur cum limatura ferri, et postea sit in forti igne, cito li­ quescit . . . Et hoc modo fit operatio alchimicorum, qui separando saepe ter­ restre et subtiliando humidum ferri, eliquant ex ferro tandem id quod simil­ limum est argento . . . Est etiam alius modus mollificationis, quem ponit Ni­ colaus Peripateticus in " Alchimicis" . Si enim chalybs cavetur (curvetur?) ad modum semisphaerae, et fiant pori in chalybe multi, et super chalybem candentem plumbum mittatur, evaporabit plumbum, et non relinquit in

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darin, daß die lombardische Ebene auf der einen Seite vom Meer umgeben ist, auf der anderen Seite von den Bergen, und, wie bereits gesagt, Meer und Berge sind Mitursachen für Erdbeben. Erddämpfe 123 . In der lombardischen ( ! ) Stadt Padua habe ich beobachtet, wie man einen in früheren Zeiten stillgelegten Brunnen wiederentdeckte. Als man ihn freigelegt hatte, stieg ein Mann hinunter, um den Brunnen zu reinigen; er kam in den Dämpfen der Brunnenkammer ums Leben ; ebenso ein zwei­ ter Mann ; ein dritter wollte nachsehen, warum die beiden nicht wieder her­ aufkamen, und er beugte sich in den Brunnen hinein ; es wurde ihm so schlecht, daß er erst nach zwei Tagen langsam wieder zu sich kam. Als aber der Moderdampf aus dem Brunnen ausgeströmt war, spendete dieser gutes Trinkwasser. 5.

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Gewinnung und Verflüssigung metallischen Eisens 124. Es gibt Stoffe, die durch eine nicht zu starke Erhitzung sich in wei­ chen Zustand versetzen lassen, wie Eisen und Horn . Ich sage : " durch nicht zu starke Erhitzung" ; denn bei Siedehitze kann das Eisen sich verflüssigen, wie es die Metaller machen ; wollen sie Eisen aus der erdigen Masse gewin­ nen, und das Eisen ist in Gestein und Erde eingelassen und hat viel Schlak­ ke, so machen sie ein großes glühendes Feuer und lassen das Eisen auf den Grund träufeln ; Steine und Schlacken setzen sich nach oben ab , und so wird das Eisen feucht, und dann strömt es . . . Eine Schwierigkeit kommt nun daher, daß wir vorher gesagt haben, Ei­ sen unterscheide sich von anderen Metallen dadurch, daß es zwar weich gemacht werden kann, nicht aber flüssig. Hier geben wir j etzt zu, daß es bei starker Erhitzung schmilzt, wobei das Verfahren schwieriger ist als bei an­ deren Metallen . . . Was oben gesagt wurde . . . , soll hindeuten auf die starke, dichte , feste Feuchtigkeit, die im Eisen festzustellen ist ; wir sagten ja auch schon, Eisen werde auf irgendeine bestimmte Art geschmolzen . . . Wenn man die Temperatur erhöht, um die unreinen Stoffe wie das schwere Erdige und das leichte Wasserige vom Eisen zu trennen, so kommt das Eisen schnell zum Schmelzen. Wird Eisen abgefeilt und dann Pulver von Schwe­ fel und gelber Arsenblende darübergestreut und mit dem Feilstaub gut vermischt, dann schmilzt es bei großer Hitze sofort . . . Das ist das Verfah­ ren der Alchimisten ; sie trennen mehrmals das Erdige und entziehen dem Eisen die Feuchtigkeit, und so lösen sie schließlich aus dem Eisen einen Stoff heraus, der sehr dem Silber gleicht . . . Eine andere Art, Eisen weich zu

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ehalybe nisi tincturam modicam; et humidum eius ad se trahit chalybs, quo imbibito mollificatur; et si saepissime fiat hoc, chalybs tandem efficitur mollis, ita quod comprehensibilis et formabilis erit manibus . Meteora l. 4 tr. 2 e. 9 (Ed. Par. t. 4 p. 760sq. ) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 1 6ra-va; Paris, BibI. Nat. Cod. 65 1 0 f. 242ra-va.

1 2 5 . Sunt praeterea incoagulabilia quaecumque quidem aqua participant, sed tarnen cum aqueo humore plurimum habent humoris aerei, praecipue si sint viscosa, sicut oleum et hydragyros, hoc est argentum vivum. Magis ta­ rnen oleum est incoagulabile quam argentum vivum, quia oleum totum exu­ ritur, antequam coaguletur . . . Sed argentum vivum propter multam com­ mixtionem sui humidi cum terreo non de facili constat et exsiccatur . . . In operibus autem alchimicis siccatur per multam adustionem et mixtionem sulphuris eum ipso non omnino adurentis ipsum . Dicitur etiam, quod si in fornace ardenti ponatur, et ligna viridia de corillo successive in ipso volu­ tantur, et induratur et coagulatur, quia corillus attrahit vehementer humi­ dum ; fornax enim caliditate sua aufert corillo humidum sibi connaturale, quo ablato attrahit alienum ex argento vivo . Et ita diu vicissitudinari pos­ sunt ligna corillina, praecipue si decorticata sint, quod argentum vivum constabit et coagulatur calido ustivo per nimiam siccitatem. Ibid. I. 4 tr. 3 e. 2 (Ed. Par. t. 4 p. 775sq . ) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 65 1 0 f. 246vb ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 1 9ra.

1 2 6 . Vinum aliquando convenit cum oleo, aliquando autem cum aqua. Vinum enim dulce, praecipue si antiquum sit et bene defaecatum, evaporat sicut oleum . . . , et ideo multa facit quae sunt eadem olei operationibus . . . Et est cremabile sicut oleum, et in crematione illa evaporat totum ; et ideo tale vinum no mine vinum est, operatione autem non omnino est vinum, eo quod humor eius non est vinosus, sed potius unctuosus oleagineus . Non enim quodlibet vinum inebriat, sed potius illud quod facit vaporationes grossas multum oppilantes vias animalium et motivarum virtutum. Istud autem vaporem habet subtilem valde, cuius signum est, quia flammam emittit. Si enim ponatur ad ignem et infigantur calami superius, inflamman-

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machen, schlägt der Peripatetiker Nikolaus in seiner " Alchimie" vor : Wird Stahl halbkreisförmig gebogen, so daß viele feine Risse sich bilden, und wird über den glühenden Stahl Blei gegossen, dann verdampft das Blei und hinterläßt im Stahl nur eine leichte Färbung; der Stahl saugt die Feuchtig­ keit des Bleies auf und weicht sich damit auf; wird der Vorgang viele Male wiederholt, so wird der Stahl so weich, daß er sich bearbeiten und schmie­ den läßt. Gerinnende und nichtgerinnende Stoffe 1 2 5 . Zu den nichtgerinnenden Stoffen zählt überdies alles Wasserhaltige, bei dem die Wasserfeuchtigkeit mit großer Luftfeuchtigkeit verbunden ist, besonders wenn es zähflüssig ist wie das 01 oder " hydragyros" , d . h. eine Art Quecksilber. Allerdings ist die Ausflockung beim 01 nicht so leicht möglich wie beim Quecksilber, weil das ganze 01 verbrennt, bevor es in den festen Zustand übergehen kann . . . Aber das Quecksilber, dessen Feuchtigkeit durch viel Erdiges gebunden ist, wird nicht leicht in den festen Zustand versetzt und ausgetrocknet . . . In der Alchimie gibt es j edoch ein Verfahren, wodurch das Quecksilber durch erhebliche Erhitzung und durch Vermischung mit Schwefel, der es nicht völlig verbrennt, in trocke­ nen Zustand gebracht wird . Es heißt auch, wenn das Quecksilber auf einen glühenden Ofen gestellt wird und grüne Hölzer der Haselstaude würden nacheinander darin gedreht, dann werde es hart und fest, weil die Haselstaude die Feuchtigkeit kraftvoll auf sich ziehe ; der Ofen sei­ nerseits entzieht mit seiner Hitze die der Haselstaude eigene Feuchtig­ keit und danach auch das Feuchte aus dem Quecksilber; und so kön­ nen die Stücke der Haselstaude mehrmals ausgewechselt werden, noch besonders wenn sie geschält sind, bis das Quecksilber sich verfestigt und durch die starke Austrocknung infolge der Verbrennungshitze ge­ rinnt. Alkohol im Wein 1 2 6 . Wein kommt einmal mit 01 überein, dann aber auch mit Wasser. Denn Süßwein, besonders wenn es ein alter Jahrgang ist und richtig ab­ geklärt, verdampft wie 01 . . . ; und so hat er vielfach die gleiche Wirkung wie 01 . . . Er ist auch entzündbar wie 01, und beim Erhitzen verdampft er vollständig; daher ist er nur dem Namen nach als Wein zu bezeichnen, kei­ nesfalls jedoch in der Wirkung ; er hat nämlich nicht die eigentliche Wein­ Feuchte, ist vielmehr fettig und ölartig. Es macht ja nicht j eder Wein be­ trunken, sondern nur der mit dicker Verdampfung, die den Kräften der Sinnentätigkeit und der Bewegung die Wege verstopft. Süßwein gibt nun sehr feinen Dampf ab, was sich darin zeigt, daß er eine Flamme erzeugt ;

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tur sicut ab oleo , et sublimatio talis vini fomenturn est flammae subtilis , si­ cut nos docuimus . . . , si subtilietur immixto aliquantulum sale et aliquan­ turn pulvere sulphuris, quia a sulphure augetur sua unctuositas, et a sale sua caliditas. Ibid. I. 4 tr. 3 c. 18 (Ed. Par. t. 4 p. 789sq . ) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 65 1 0 f. 2 5 1 rb ; Erlangen, Univ. Cod. 2 0 6 f . 1 2 1 vb.

1 2 7 . Scias tarnen, quod cum vinum sublimatur quemadmodum aqua ro­ sacea, id quod primo emittitur ex ipso, est humiditas aquea, et est insipida, et illa educta remanent partes terrestres vini infusae humiditate pingui olea­ ginea, et si ultra substantia illa sublimetur lento igne, egreditur oleum ; et differt vinum in hoc a vino, quia quo fuerit fortius vinum, eo est humor aqueus sublimatus ex ipso minor, et humor oleagineus maior; et quo fuerit debilius et tenuius, eo humor aqueus est maior, et humor olei minor; et in rubeo bono vino est humor olei maior quam in albo, et in citrino maior est quam in eo quod tendit ad puritatem aqueam . Ibid. 1. 4 tr. 4 c. 2 (Ed. Par. t. 4 p. 796b) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 22vb ; Paris, BibI. Nat. Cod. 65 1 0 f. 252vb-253ra.

1 2 8 . Et nos dedimus de hoc exemplum in liquore qui eliquatur ex vino, in quo una est unctuositas supernatans inflammabilis et facile astringibilis et quasi accidentalis . Altera commixta toti substantiae liquoris ipsius, non se­ parabilis ex ipsa substantia liquoris nisi per defectionem substantiae, et haec non est cremabilis. Mineralia I. 3 tr. 1 c. 2 ( E d . Par. t. 5 p. 6 I b) ; Erlangen, Univ. C o d . 2 0 6 f . 1 34va.

1 2 9 . Si autem aliquis obiciat de oleo quod lateritium vocatur, eo quod de latere extrahatur, quod extrahi non po test nisi later pinguefiat : dicendum, quod obiectio nihil est ad propositum, quia nos loquimur hic de pinguedine prollt ipsa est forma perfectiva mixti terminati per qualitates mixtibilium . . . Non enim negamus hic quod dicunt alchimici, scilicet quod de omni re tra­ hatur oleum et vitrum et aurum per ignem proportionatum et successive et continue agentem acute vel lente, secundum quod exigit proportio rei transmutandae . Quia cum calor ignis sit extractivus omnis humidi, non potest esse quin in omni re sit aliqua pars humid i inseparabiliter a sicco ap­ prehensi; et illius siccum quod est in humido apprehensum, est subtile, et humidum eius est viscosum ; et ideo cum constare incipit extra ignem, fri-

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wenn er nämlich dem Feuer ausgesetzt wird und es werden oben Stäbchen hineingehalten, dann entzünden sie sich wie bei öl; die Verdunstung sol­ chen Weines wird zur Nahrung für eine Flamme - wir haben schon dar­ über gesprochen -, wenn sie durch Beimischung von ein wenig Salz und ein wenig Schwefelpulver verstärkt wird, weil durch den Schwefel der Fett­ gehalt gesteigert wird wie durch das Salz die Wärmegrade. Alkoholgewinnung aus Wein 1 2 7 . Du mußt j edoch wissen : Wenn Wein in einem Trennungsverfahren wie Rosenwasser geläutert wird, entweicht als erstes eine wasserige und geschmacklose Feuchtigkeit, und was dann zurückbleibt, sind die erdigen Bestandteile des Weines, die von einer fettigen, öl artigen Flüssigkeit über­ zogen sind; bei weiterer Reinigung des Rückstandes über kleinem Feuer tritt öl aus . Weinsorten unterscheiden sich so : Je stärker der Wein, desto geringer ist die Menge der entzogenen Wasserfeuchtigkeit und desto größer die der ölartigen Flüssigkeit ; je schwächer und leichter der Wein, desto mehr Was­ serfeuchtigkeit und desto weniger ölartige Flüssigkeit scheidet er aus . In gutem Rotwein ist die ölartige Flüssigkeit größer als im Weißwein, und im zitronenfarbigen ist sie reicher als in jenem Wein, der sich der Reinheit des Wassers farblich annähert. 1 2 8 . Als Beispiel haben wir j ene Flüssigkeit angeführt, die aus dem Wein herausgeläutert wird. Darin ist der eine Bestandteil etwas ölartiges, das obenauf schwimmt; es ist entzündlich, leicht herauszuziehen, und gehört sozusagen nicht eigentlich dazu . Der andere, nicht brennbare Bestandteil ist mit dem ganzen Inhalt der Flüssigkeit vermischt und davon höchstens dann zu trennen, wenn er sich auflöst. Lateritium 1 2 9 . Vielleicht macht jemand einen Einwurf von j ener ölart aus, die den Namen , lateritium' hat, weil es aus Ziegelsteinen gewonnen wird, was indes nur dann möglich ist, wenn der Ziegelstein mit Fettigkeit gesättigt ist. Dar­ auf ist zu erwidern, daß der Einwand im Augenblick nicht zum Thema gehört; wir handeln hier und j etzt über die Fettigkeit nur, sofern sie die ab­ schließende Form des Gemischten ist, das durch die Eigenschaften der Mischstoffe festgelegt ist . . . Wir verwerfen nicht die Theorie der Alchimisten, aus jedem Stoff lasse sich öl und Glas und Gold herauslösen, und zwar durch entsprechend hohe und anhaltende, stärkere oder schwächere Erhitzung, je nach dem Bedarf des zu verwandelnden Ausgangsprodukts. Da die Hitze das Bestre-

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gori aeris oppositum, erit pingue sicut oleum . Humidum autem hoc modo eliquatum, quod quidem fuit continuans corpus a quo extrahitur et fuerit magis aqueum ex illo, eo quodmultum est adustum, fit vitrum. eum autem illud idem ubique fuerit apprehensum terrestri subtilissimo sicco, et fuerit terrestre subtile in ipso aliquantulum adustum et optime per calidum cum subtilissimo aqueo permixtum, tunc eliquatur inde aurum . . . Oleum autem quod apud quosdam medicorum vocatur lateritium, superinductum est in laterem, et non cognatum ei. Accipiunt enim laterem calidum ignitum forti­ ter adustum, et exstinguunt eum per hoc quod immergunt ipsum in oleo, vel oleum superfundunt ei, et postea contundendo farinant laterem, et su­ blimando, sicut fit in aqua rosacea, extrahunt ab ipso oleum acutum valde et calidum et siccum, et utuntur eo in medicinis. Meteora I. 4 tr. 2 c. 8 (Ed. Par. t . 4 p. 75 8 ) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6510 f. 241 va. ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 1 5v.

1 3 0 . Si enim carbo candelae accensae et exstinctae accipiatur, antequam in toto mortificetur ignis, et sulphur tenuiter desuper infarinetur et pulverize­ tur, flammam dat sulphur. Similiter autem si fiat gluten per modum luti cum naphta et sulphure distemperatur, et intingatur in eo licinium, et ac­ cendatur, comburitur quasi inexstinguibiliter. Est enim naphta quoddam genus bituminis in Persia inventum, quod magnae est adhaerentiae , et habet glutinosam et viscosam pinguedinem, et est fere sicut amurca olei ; et quando commiscetur cum sulphure, fit inflammabile, cuius ignis adhaeret miro modo ei super quod proicitur, et non potest exstingui nisi totum simul operiatur. Alius est modus exstinguendi, ut dicitur, et est per proiectionem urinae super ipsum. Aqua autem non exstinguit ipsum de facili, quia aqua non intrat in ipsum, nec adhaeret ei propter pinguedinem, et talis materia est per quam transit aqua thermarum calida. De causis proprietatum elementorum I. 2 tr. 2 c. 2 (Ed . Par. t. 9 p. 646 ) ; Rom, Cod. Vat. lat. 4863 f. 59rb-59va; Autograph : Wien, Osterr. Nat. BibI. Cod. 2 73 (philos. 42 1 ) f. 1 04v.

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ben hat, alle Feuchtigkeit zu entziehen, kann es nicht anders sein, als daß in j edem Naturstoff ein Teil des an das Trockene untrennbar gebundenen Feuchten vorhanden ist ; und dieses an das Feuchte gebundene Trockene ist eine feinschichtige Masse und seine Feuchtigkeit zäh. Darum wird es dick wie öl, sobald es vom Feuer genommen und der kühlen Luft ausgesetzt wird. Das so verflüssigte Feuchte, das freilich von dem spendenden Körper nicht geschieden ist und von ihm her viel Wasseriges enthält, wird bei star­ ker Erhitzung zu Glas (vitrum) . Ist aber eben dieses Feuchte nach allen Sei­ ten an eine sehr feine, trockene, erdige Masse gebunden und wird dieses feine Erdige mäßig erhitzt und durch die Wärme mit dem sehr feinen Was­ serigen durchsetzt, so fließt Gold hervor . . . Demnach trifft der erwähnte Einwand überhaupt nicht die gegenwärtige Darlegung . . . Jenes öl aber, das von einigen Medizinern "lateritium" genannt wird, ist über den Ziegel­ stein geschüttet und ihm nicht von Natur aus zu eigen. Sie nehmen nämlich den über großem Feuer glühend gemachten Ziegelstein, löschen ihn durch Eintauchen in öl oder durch übergießen mit öl, zerstoßen ihn und ma­ chen daraus eine mehlartige Masse ; dann entnehmen sie ihm durch Ver­ dünnung, wie sie bei Rosenwasser vorgenommen wird, ein sehr scharfes und warmes und trockenes öl, das in der Medizin verwendet wird. Schwefelexperiment 1 30 . Man nimmt eine brennende Kerze, bläst sie aus, und gibt, bevor die Glut ganz erloschen ist, etwas mehlförmigen Schwefelstaub darüber, dann entzündet der Schwefel die Flamme. Ähnliches geschieht, wenn Leim, wie Lehm, mit Naphtha und Schwefel vermischt wird ; taucht man dann einen Docht hinein und steckt ihn an, so verbrennt der Leim sozusagen unauf­ haltsam . Naphta ist nämlich eine Harzart aus Persien, fest haftend, mit einem zähen, klebrigen Fettgehalt, in etwa dem ölschaum ähnlich ; wird es mit Schwefel gemischt, i �t es entzündbar, und sein Feuer brennt auf eigen­ artige Weise überall weiter, wohin es auch fällt; es läßt sich nur dadurch löschen, daß die ganze Fläche abgedeckt wird. Man sagt auch, es gebe noch eine andere Löschart, nämlich dadurch, daß man Urin darüberlaufen läßt. Mit Wasser läßt es sich nicht leicht löschen, weil das Wasser nicht in die Masse eindringt und wegen ihres Fettgehaltes nicht an ihr greifen kann. Dieser Art ist die Erdschicht, durch die das warme Wasser der Thermal­ quellen fließt.

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1 3 1 .24 Non enim intendimus hic ostendere, qualiter aliquod istorum transmutetur in alterum, aut qualiter per antidotum medicinae eius qualll elixir vocant alchimici, curantur aegritudines eorum aut occulta eorum ma­ nifestantur, aut e converso manifesta eorum detegantur; sed potius com­ mixtiones eorum ex elementis ostendere, et qualiter unumquodque eorum in propria specie constituatur. Propter quod non curamus inquirere diffe­ rentiam lapidis, et spiritus sive animae, et corporis sive substantiae et acci­ dentis, de quibus inquirunt alchimici, lapidem vocantes omne illud quod non evaporat in igne, et idem vocant corpus et substantiam . Id autem quod evaporat in igne, sicut sulphur et argentum vivum, ex quibus diversorum colorum fiunt ea quae vocantur lapides, vocant spiritus et animam et acci­ dens. Alterius enim scientiae est inquirere de his quae occultis valde fulciun­ tur rationibus et instrumentis . Mineralia I. 1 t r . 1

C.

1 (Ed. Par. t . 5 p . 2 ) ; Erlangen, Univ. Cod. 2 0 6 f. 1 2 5ra.

1 32 . Hi etiam qui transmutatione metallorum et lapidum operantur, quos alchimicos vocamus, temporibus incrementi lunae, et confortante et ascen­ dente ea a circulo hemisphaerii, puriora producunt metalla, et puriores per­ ficiunt lapides, et magis figuntur spiritus et certius operantur, et praecipue quando sunt bene periti, non praecipitantes opera sua, sed exspectantes opportuna tempora, quando opus adiuvatur virtute caelesti. De causis proprietatum elementorum I. 1 tr. 2 c . 7 (Ed. Par. t. 9 p. 6 1 5b) ; Autograph: Wien, Osterr. Nat. BibI. Cod. 2 73 (philos . 42 1 ) f. 1 02v.

1 3 3 . In hoc libro sicut in praecedentibus Aristotelis tractatum non vidi nisi per excerpta quaedam, quae tarnen diligenter quaesivi per diversas mundi regiones. Dicam igitur rationabiliter aut ea quae a philosophis sunt tradita, aut ea quae expertus sum o Exul enim aliquando factus fui, longe vadens ad loca metallica, ut experiri possem naturas metallorum. Hac etiam de causa quae-

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Begriffsbeschreibung 1 3 1 . Wir beabsichtigen hier (in den " Mineralia") nicht, uns mit der Um­ wandlung eines Naturdinges in ein anderes zu befassen ; auch nicht damit, wie dessen Fehlentwicklungen durch ein heilendes Gegenmittel - die Al­ chimisten nennen es ,Elixier' (des Lebens ; in festem Zustand : " Stein der Weisen" ) - behoben werden. Ebenfalls interessiert uns nicht, wie geheime Kräfte und Eigenschaften aufgedeckt werden, oder umgekehrt, wie Sicht­ bares abgedeckt wird. Hier geht es vielmehr darum, wie die Dinge aus den (vier griechischen) Elementen (Erde, Wasser, Luft, Feuer) zusammenge­ mischt sind und wie j edes Ding ZU seiner eigenen Wesensart kommt. Wir kümmern uns also nicht um den Unterschied von " Stein" und "Geist" oder "Seele" , von " Körper" oder "wesentlichem Gehalt" und "hinzukommen­ den Eigenschaften" . Das alles suchen die Alchimisten zu erforschen. Stein - und ebenso Körper und wesentlicher Gehalt - ist für sie alles das, was bei Erhitzung nicht verdampft. Was aber im Feuer verdunstet, wie Schwe­ fel und Quecksilber, von denen die sogenannten " Steine" eine verschiedene Färbung bekommen, nennen sie Geist und Seele und hinzutretende Eigen­ schaft. Solche Untersuchungen, die mit sehr dunklen Methoden und Hilfsmitteln arbeiten, gehören in einen anderen Teil der Naturwissenschaft (in die Alchimie). Alchimie in der Koppelung mit Astrologie 1 3 2 . Diese Leute (Gelehrte und Bauern) - wir nennen sie Alchimisten ­ versuchen sich an der Umwandlung von Metallen und Gesteinen gerade bei zunehmendem Mond . Wenn er wächst und vom Kreis der Himmels­ halbkugel her aufsteigt, bringen sie reinere Metalle und Steine fertig, und die " Geister" (Quecksilber, Schwefel, Arsen, Ammoniaksalz) werden kräftiger und wirken sicherer; noch besonders, wenn die Leute von ihrem Fach etwas verstehen und nicht hektisch vorgehen, sondern günstige Gezeiten abwarten, wo die Macht der Gestirne das Werk unter­ stützt. Abgrenzung der Naturwissenschaft gegenüber der Alchimie 1 3 3 . Für dieses (3 . ) Buch (der Mineralia: Ober die Metalle im allgemei­ nen) habe ich ebensowenig wie für die (beiden) vorhergehenden (über die Steine und die Edelsteine) einen Traktat von Aristoteles gesehen, nur einige Auszüge, nach denen ich j edoch in verschiedenen Gegenden der Welt emsig gefahn det habe. Ich werde also in systematischer Ordnung über die von den (N atur-) Philosophen überlieferten Anschauungen und über meine eigenen Beobachtungen handeln. Als ich früher einmal in der Fremde war, habe ich

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sivi in alchimicis transmutationes metallorum, ut ex his innotesceret aliqua­ tenus eorum natura et accidentia eorum propria . . . Post lapidum autem cognitionem ponimus tractatum de metallis, quia, sieut diximus, lapis semper fere invenitur locus generationis esse metallo­ rum . Ego enim ipse aurum purum inventum vidi in lapide durissimo, et au­ rum vidi immixtum substantiae lapidis ; et similiter argentum ego ipse inveni immixtum in lapide, et purum in alio lapide, quasi esset vena eurrens per la­ pidem, distineta a substantia lapidis. Similiter autem expertus sum de ferro et aere et stagno et plumbo ; sed haec a substantia lapidis non vidi distineta, sed ab expertis in talibus pro certo didici, quod frequenter distineta a sub­ stantia lapidis inveniuntur, sicut inveniuntur auri grana inter arenas . . . De transmutatione autem horum corporum er mutatione unius in aliud non est Physici determinare, sed artis quae vocatur alchimia. Similiter au­ tem in quibus locis et montibus haee inveniantur, et quibus indiciis, partim est scientiae naturalis, et partim est scientiae magicae, quae vocatur De in­ ventione thesaurorum. Signa ergo quibus haec loca generationis metallo­ rum dignoscuntur, inferius ponemus ; et de alio modo inventionis istorum corporum magis omittemus (Ms . : committemus), eo quod seientia illa non demonstrationibus, sed quibusdam occultis et divinis nititur experimentis . Mineralia 1. 3 tr. 1 c. 1 (Ed. Par. t. 5 p. 59sq . ) ; Erlangen, Univ. Cod. 206 f. 1 34rb.

1 34 . Hoc autem quod Avicenna tradidit tarn in Physicis quam in alchi­ mica sua epistula, quam seribit ad Hazem philosophum, his quae hic dicun­ tur, non est contrarium . . . Hermes autem et quidam aliorum dicere viden­ tur metalla ex omnibus elementis constitui, quod procul dubio negandum est; sed tarnen rerum materia non determinatur ex his quae aliquo modo sunt in eis data, sed potius ex his quae in ipsis abundant. Sed prae omnibus mirabilis et derisibilis est sententia quam quidam in alchimicis Demoerito attribuunt, quod videlieet calx et lixivium sunt materia metallorum . . . Gil­ gil (Ms. : Gigil) autem quidam ex Arabia Hispalensi, quae nunc Hispanis redditur, in "Secretis" suis probare videtur cinerem infusum esse materiam metallorum, persuadens hoc ratione debili . . . Haec autem ineonvenienter et stulte dicta sunt, quoniam ipse Gilgil mechanicus et non philosophus

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weite Wege gemacht zu den Fundstellen von Metallen, um die Natur der Metalle aus eigener Anschauung kennenzulernen. Deshalb habe ich auch bei der Alchimie über die Umwandlung von Metallen Nachforschungen angestellt, um über die Natur der Metalle und über ihre Eigentümlichkeiten etwas zu erfahren . . . Nachdem wir nun die Steine kennengelernt haben, gehen wir j etzt den Traktat über die Metalle an. Wir haben j a gesehen, als Ort, wo die Metalle entstehen, stellt sich fast immer Stein heraus. Ich selbst habe gesehen, wie reines Gold in einem harten Stein gefunden worden ist; ebenfalls habe ich solches Gold gesehen, das mit der Masse des Steins ver­ mischt war. Ähnlich bei Silber; ich selber habe Silber gefunden, und zwar einmal nicht von der Steinrnasse geschieden, in einem anderen Stein aber reines Silber, säuberlich getrennt, als wäre es eine den Stein durchziehende Ader. So habe ich es auch bei Eisen, Kupfer, Zinn und Blei festgestellt; al­ lerdings waren diese letztgenannten Metalle nicht von der Steinrnasse abge­ hoben. Von Kennern habe ich aber zuverlässig erfahren, daß auch sie in rei­ ner Form vorkommen, wie Goldkörner im Sand . . . über die Veränderung von Metallen und über die Verwandlung des einen in ein anderes zu han­ deln, fällt nicht in den Aufgabenbereich des Naturwissenschaftlers . Das ist Sache jener Kunst, die Alchimie heißt. Ähnlich ist es mit der Frage, in wel­ chen Gegenden und Gebirgen Metalle zu finden sind und welche Hinweise für die Fundstellen es gibt; das geht zu einem Teil die Naturwissenschaft an, zum anderen aber jene magische Wissenschaft unter dem Etikett "Findung von Schätzen" . Wir hier sprechen erst später über die Anhaltspunkte bei der Suche nach metallhaltigen Plätzen ; unberücksichtigt werden wir aber jenes andere (magische) Vorgehen zur Entdeckung von Metallen lassen, weil da nicht mit stichhaltigen Beweisen, sondern mit bestimmten dunklen und außermenschlichen Versuchen gearbeitet wird. Alte Autoritäten 1 3 4 . Was Avicenna in seiner Physik und in einem - an den Philosophen (König) Hasen gerichteten - Brief über Alchimie von den Bestandteilen der Metalle gesagt hat, widerspricht nicht der hier vorgetragenen Auffas­ sung . . . Hermes und einige andere Alchimisten sind wohl der Ansicht, daß die Metalle aus allen (vier) Elementen (Feuer, Luft, Wasser, Erde) beste­ hen. D as ist sicher nicht zu leugnen. Doch der eigentliche Stoff, aus dem die Dinge gemacht sind, bestimmt sich nicht nach allem und j edem, was ir­ gendwie in ihnen steckt, vielmehr nach dem überwiegenden Bestandteil. Die seltsamste und lächerlichste Meinung aber ist j ene, die in der Alchimie von einigen ihrer Vertreter dem Demokrit zugeschrieben wird; danach sind Kalk und Lauge (aus scharfem W asser) die Grundstoffe der Metalle . . . Ein gewisser Gilgil ( I C . J ahrhundert) aus dem maurischen Sevilla - das j etzt

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fuit, sed de meehaniea alchimia praesumens praesumpsit mentiri de physIels . . .

I

Ibid . c. 4 (p. 63sq . ) ; f. i 35ra.

13 5 . In quibusdam enim alehimieis libris, qui Platoni inseribuntur, nu­ merus vel proportio numeri voeatur forma metallica, quam proportionem in virtutibus posuit constituentium elementorum, eo quod ipse omnia haee generat proportione virtutis terrae eum eaelesti . . . Si ergo < plus ) fuerit vir­ tutis terreae quoad tres virtutes ipsius quam planetarum in immissione lu­ minis et nobilitatis, obtinebit fuseum et ponderosum et frigidum, sieut plumbum est . . . Propter quod etiam septem genera metallorum septem planetarum nominibus voeaverunt, dicentes Saturnum plumbum, lovern autem stagnum, Martern autem ferrum, et Solem aurum, Venerem aes, Mereurium vero argentum vivum, et Lunam argentum ; asserentes, quod haee propter diversos numeros suae eompositionis eomplexionem aequi­ runt septem planetarum. Hermes autem huiusmodi auctor videtur esse sen­ tentiae, lieet Plato postea fuerit hune in opinione imitatus. Hoc autem ab his alchimie i videntur aeeepisse, asserentes lapides pretiosos stellarum et ima­ gin um habere virtutem, septem autem genera metallorum formas habere se­ eundum septem planetas inferiorum orbium . . . Hane opinionem pater Hermes Trismegistus approbare videtur, qui dieit terram esse matrem me­ tallorum, et eaelum patrem, et impraegnari terram ad hoc in montibus, campestribus planis, et in aquis, et eeteris omnibus loeis . Nos autem hane opinionem sie intelligimus, quod proportio prineipio­ rum, virtutum videlieet agentium et patientium, sit dispositio ad formam substantialem, sieut etiam in omnibus aliis, et quod forma est quam dant prima formalia et agentia prineipia, quae prima sunt agentia tamquam virtus formativa in materia, sieut nos diximus in seientia lapidum. Ibid. c. 6 (p. 66sq . ) ; f. 1 35v/b.

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(im Jahr 1248) den Spaniern zurückgegeben wird - scheint i n seinen " Ge­ heimnissen" beweisen zu wollen, Metall bestehe aus (erdiger) Asche, mit (wasseriger) Feuchtigkeit übergossen. Was er dafür vorbringt, ist schwach . . . Seine Gründe sind albern und können nicht überzeugen. Er war ja auch nur ein Techniker, kein Theoretiker. Aber von seiner alchimi­ stischen Praxis her nahm er es sich heraus, über Naturwissenschaft verwe­ gene und falsche Behauptungen aufzustellen. 1 3 5 . In manchen alchimistischen Schriften, die dem Platon zugeschrieben werden, wird die Zahl oder ein zahlenmäßig angebbares Verhältnis als die Form bezeichnet, die das Metall zu dem macht, was es ist. Er läßt ja alle Me­ talle aus der Beziehung der Erde zu den Gestirnen hervorgebracht wer­ den . . . Ist also die Kraft des Erdigen (kalt-trocken) im Verhältnis zu den drei anderen Kräften (des Feuers : trocken-warm ; der Luft : warm-feucht ; des Wassers : feucht-kalt) stärker als die Macht der Planeten bei der Ein­ strahlung des Hellen und des Edlen, so entsteht etwas Dunkles und Schwe­ res und Kaltes, nämlich Blei . . . Deshalb legten sie auch den sieben Metallar­ ten die Namen der sieben Planeten bei, und zwar in dieser Zuordnung : Blei Saturn ; Zinn Jupiter; Eisen Mars ; Gold Sonne ; Kupfer Ve­ nus ; Quecksilber Merkur; Silber Mond. Dabei behaupteten sie, durch die je andere Verhältniszahl ihrer Zusammensetzung (aus den vier Elemen­ ten) erhielten sie die Stoffmischung der sieben Planeten. Der Erfinder dieser Meinung ist wohl Hermes, dem dann Platon gefolgt ist. Von den beiden haben es anscheinend die Alchimisten übernommen. Sie behaupten j a, den Edelsteinen sei die Kraft der (Fix-) Sterne und ihrer Bildanordnungen ein­ gegeben, und die sieben Arten der Metalle seien nach den sieben Plarieten der (sieben) unteren (der Erde näheren, weniger edlen) Himmelssphären aufgebaut und geprägt . . . Diese Ansicht bestätigt, wie es scheint, Vater Hermes Trismegistos (der "Allergrößte" ) . Er bezeichnet die Erde als die Mutter der Metalle, den Himmel als den Vater, und er nimmt an, die Erde werde überall - auf den Bergen, in den Ebenen, im Wasser und an allen anderen Stellen - mit den Metallen geschwängert. Wir fassen das so : Das Verhältnis der Grundkräfte, d. h. der tätigen (warm und kalt) und der erleidenden (trocken und feucht) Eigenschaften der Elemente, hat nur vorbereitende und einleitende Bedeutung (disposi­ tio) auf die Wesens beschaffenheit hin, wie auch sonst immer; wirklich er­ stellt wird die Wesens beschaffenheit aber durch die ersten gestaltenden und seingebenden Ursprungsgründe, die als wesenbestimmende Kräfte (forma) im stofflichen Untergrund (materia) sich auswirken. Das haben wir schon in der Lehre von den Steinen nachgewiesen . =

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1 3 6 . Signum autem huius est, quod videmus in arte alchimiae fieri, quae inter omnes artes maxime naturam imitatur. Haec enim cum vidit nullo modo meliori fieri citrinum elixir quam per sulphur, in sulphure autem vidit unctuositatem ustivam vehementer, ita ut omnia metalla adurat et adurendo denigret super quae liquefacta proicitur, praecipit lavari acutis loturis et de­ coqui sulphur ita diu donec ab ipso decocta aqua non citrina egrediatur, et sublimari loturas has, donec tata unctuositas ab eo cremabilis egrediatur, eo quod tune tantum subtile unctuosum manet, quod sustinet ignem et non crematur ab igne . Oportet igitur simile unctuosum humidum abundare in metallorum materiis quando a natura producuntur; et hoc esse causam duc­ tibilitatis et liquabilitatis eorum . Et hoc expresse dicunt auctores Avicenna et Hermes et multi alii peritissimi in naturis metallorum. Ibid . c . 2 (p . 6 1 b) ; f. 1 34va-b.

1 3 7 . Experimenta autem alchimicorum graves duas no bis hic ingerunt dubitationes . Videntur enim illi dicere, quod sola auri species est forma me­ tallorum, et omne metallum aliud esse incompletum adhuc et in via esse ad auri speciem, sicut res incompleta quae est in via ad perfectionem . Propter quod debent aegra esse metalla quae in materiam non habe nt formam auri; et studuerunt ad medicinam quam elixir vocant, per quam aegritudines me­ tallorum in commixtione et commixtis materiae metallorum removent, et sie dicunt se educere illam (Ms . : aliam) formam auri et speciem . Et ad hoc inveniunt multaS modos et diversos, quibus illud elixir componitur et tem­ peratur, ut et penetret et non adurat, et in igne maneat et coloret, et afferat consolidationem et pondus. Oportet igitur nos quaerere de hoc. Si enim est verum, quod hi dicunt, absque dubio non erit nisi una species metallorum, et alia sunt molinsim passa ab illo, et sicut abortivi foetus naturae, qui speciei figuram propriae et formam nondum acceperunt. Secundum hoc etiam, si et hoc verum et pro­ batum invenitur, non oportet nos laborare ad hoc, utrum species in alchi­ micis permutentur vel remaneant, eo quod secundum hoc nullas prorsus habent species nisi solius auri, quod alchimia non permutat. Callisthenes enim praecipuus in hac sententia dicit alchimiam esse scien­ tiam quae inferioribus metallis nobilitatem attribuit superiorum, ( et ) vult dicere, quod ea in aurum convertit.

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Berufung auf die Alchimie 1 3 6 . Einen Hinweis darauf (daß es bei der ölartigen Feuchtigkeit zwei Sorten gibt) finden wir in der (Schwarzen) Kunst der Alchimie, die auf dem Gebiet des (technischen und künstlerischen) Könnens die treueste Nach­ ahmerin der Natur ist. Die Alchimie hat beobachtet, daß ein zitronengelbes Elixier am besten aus Schwefel zu gewinnen ist und daß Schwefel eine fett­ haltige Feuchtigkeit mit starker Brennkraft enthält; in flüssigem Zustand über Metalle gegossen, verbrennt und schwärzt er sie . Deshalb halten sie sich an die Vorschrift, den Schwefel in scharfer Lösung zu waschen und so lang zu kochen, bis das nicht-gelbe Wasser austritt, und die Lösung so lang zu verstärken, bis die ölartige brennbare Feuchtigkeit ganz entwichen ist ; dann bleibt als Rest etwas ölartig-Feines, das die Erhitzung vertragen kann, ohne im Feuer zu verbrennen . Es ist also anzunehmen, daß in der Stoffmasse der Metalle, wenn die Natur sie schafft, eine Menge solcher ölartiger Feuchtigkeit vorhanden ist und daß darin die Verformbarkeit und Schmelzbarkeit der Metalle begründet ist. Das steht ausdrücklich bei den zuständigen Autoren : Avicenna, Hermes und vielen anderen, die in der Natur der Metalle sich auskennen. Zweifel an alchimistischen Experimenten 1 3 7 . Die Experimente der Alchimie stellen uns hier vor zwei schwere Zweifel. Es scheint nämlich ihre Ansicht zu sein, die im Gold verwirklichte Wesensart sei allein die Wesensbeschaffenheit aller Metalle, und j edes an­ dere Metall sei noch nicht vollentwickelt und sei erst auf dem Weg zur Ver­ wirklichung der eigentlichen Art von Gold, so ähnlich, wie j edes unfertige Etwas auf dem Weg zu seiner Wesensvollkommenheit ist. Darum müssen alle j ene Metalle, die nach ihrer Wesensart nicht Gold sind, irgendwie krank sein. Also haben die Alchimisten ein Heilmittel gesucht - sie nennen es Elixier -, womit sie die Schäden der (niederen) Metalle in ihrem Gemisch und in ihren vermischten Bestandteilen beheben. Sie geben vor, auf diesem Weg Gold nach Wesensbeschaffenheit und Art zustande zu bringen. Für dieses Unternehmen erfinden sie viele verschiedene Methoden, um das Eli­ xier so gut zusammenzusetzen und so genau einzustellen, daß es in die Me­ talle eindringt, ohne sie zu verbrennen und ohne selber in der Erhitzung zu vergehen, und daß es ihnen Färbung, Festzustand und (spezifisches) Gewicht (des höheren Metalls) verleiht. Zu diesen Methoden haben wir Fragen. Wenn es stimmt, was sie behaup­ ten, dann gibt es ohne Zweifel nur eine einzige Art von Metall, und die an­ deren leiden gegenüber dem Gold an einer wegen fehlender Wärme nicht abgeschlossenen Entwicklung (molinsin) und sind so etwas wie eine noch nicht zur Vollgestalt und zum Wesensgehalt ihrer Art gelangte 'F rühgeburt

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Propter hanc quaestionem debite discutiendam plurimos inspexi libros alchimicos, et inveni libros illos absque syllogismo et probatione, tantum expertis inniti et celare intention em eorum per verba metaphorica, quod numquam fuit consuetudo philosophiae . Solus autem Avicenna videtur tangere ration es valde paucas ad solutio­ nem dictae quaestionis, nos in aliquo illuminantes . Ad hoc autem, quod so la auri species sit metallorum forma, sic ratiocinatur . . . Amplius, exper­ turn est, quod ( per ) elixir aes redit ad argentum, et plumbum ad aurum, et similiter ferrum ad argentum. Videtur ergo, quod sint in materia idem, et per consequens habere formam unam, quae est sicut complens materialia praecedentia. Amplius eorum non videtur differentia ni si in accidentibus, scilicet colore, sapore, et pondere, et raritate, et densitate, quae omnia non accidunt nisi materiae. Ex his igitur et huiusmodi opinionem acceperunt, dicentes metallorum speciem esse unicam et eandem, et materiales infirmi­ tates esse plures . His autem contrarium esse videtur, quia materia nulla ratione est i n ali­ qua rerum naturalium permanente in natura, ni si sit completa per substan­ tialem formam. Videmus autem argentum permanere, et stagnum, et simili­ ter alia metalla. Videbuntur igitur esse completa per substantiales formas. Amplius, quorum proprietates et passiones sunt diversae, eorum substan­ tiam diversam esse necesse est ; passiones autem metallorum in colore, et odore, et sonorositate sunt omnino diversae ; non enim po test dici haec ac­ cidentia esse communiter accidentia, cum omnibus unius naturae metallis semper et ubique conveniant; oportet igitur substantias eorum esse diversas et species . . . De experimento autem, quod inducunt, non sufficiens est ad­ hibita probatio, quoniam non est certum, utrum in duc at colorem argenti et auri, et pondus et odorem propter illud quod additur et penetrat in aes vel plumbum, vel inducat substantiam . Et probasse debuisset Callisthenes, quod substantiam auri induceret. Quod si forte concederetur, quod substantiam auri inducat, adhuc non est sufficiens probatio ad hoc quod non sit nisi una species metallorum ; quon­ iam calcinando et sublimando et distillando et ceteris operationibus quibus elixir per materiam metallorum faciunt penetrare, corrumpere potest spe­ cies metallorum quae primitus infuerunt materiae metallorum ; et tunc re­ licta materia communi, non propria, metallorum, iuvamine artis potest de­ duci ad aliam speciem ; sicut iuvantur semina terrae aratione et seminatione, et sicut iuvatur natura per medicorum industriam. Patet igitur ex hoc nulla­ tenus co gi nos ad hoc ut putemus unam tantum speciem esse omnium me­ tallorium . . . Ibid. I. 3 tr. 1 c. 7 (p. 68sq . ) ; f. 1 36ra-b.

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der Natur. Demnach also, wenn ihre Aufstellung stimmt und der Beweis standhält, brauchen wir uns auch nicht mit der Frage abzumühen, ob in der Alchimie die Arten (der Metalle) ineinander umgewandelt werden oder ob sie in sich bestehenbleiben ; denn dann haben sie ja nur die Wesensbe­ schaffenheit des Goldes ; Gold aber wird in der Alchimie nicht verändert. Für Khalid ibn Yazik (Callisthenes), den bedeutendsten Könner auf die­ sem Gebiet, ist die Alchimie das Wissen um die Veredlung eines niederen Metalls in höhere, und er meint damit : in Gold. Um sachgerecht in dieser Frage Stellung nehmen zu können, habe ich viele alchimistische Schriften eingesehen. Dabei habe ich festgestellt, daß sie keine Erfahrungstatsachen und (sachlichen) Beweise bringen, sich viel­ mehr nur auf Autoritätsgründe stützen und die Absicht ihrer Verfasser unter bildlichen Decknamen verbergen. Das aber war in der Philosophie niemals üblich. Wie es scheint, bietet nur Avicenna einige wenige Erklärungsversuche, die zur Lösung der erwähnten Frage beitragen und für uns manchen Punkt etwas erhellen . Daß die im Gold verwirklichte Wesensbeschaffenheit allein die Wesensbeschaffenheit der Metalle sei, sucht man mit folgenden überle­ gungen zu beweisen . . . Ferner, so sagen die Alchimisten, hat sich durch Beobachtung herausgestellt, daß durch das Elixier aus dem Kupfer - und ähnlich aus dem Eisen - Silber wird, aus Blei Gold. Es sieht also aus, als wären diese Metalle in ihrem erst noch bestimmbaren und zu bestimmen­ den Grundstoff ein und dasselbe und hätten folglich nur eine einzige be­ stimmende Wesensform, die sozusagen das vorgegebene Material in der Verwirklichung abrundet. Als weiteren Grund führen sie an, der Unter­ schied in den Metallen liege dem Anschein nach nur in ihren Eigenschaften : Farbe, Geschmack, Gewicht, geringere oder größere Dichte ; die Eigen­ schaften aber haften nur am stofflichen Bestandteil. Auf solche und ähn­ liche Gründe hin machten sich die Alchimie-Beflissenen diese Meinung zu eigen, und sie behaupten, es gebe nur ein und dieselbe Wesensart von Me­ tall, aber viele Mängelkrankheiten in der Stoffmasse. Dagegen steht jedoch, glaube ich, die Tatsache, daß es im Bereich der Naturdinge, die von dauerndem Bestand sind, überhaupt keinen unge­ formten Urstoff (materia prima) ohne die verwirklichende Vervollkomm­ nung durch eine bestimmende Wesensform gibt. Wir stellen aber fest, daß Silber und Zinn und andere Metalle in festem Bestand beharren und also durch eigene Wesensformen bestimmt und abgeschlossen sind. Fest steht auch, daß bei verschiedenen Eigentümlichkeiten und Verhaltensweisen der Wesensgehalt verschieden sein muß ; nun aber sind die Eigentümlichkeiten der Metalle - Farbe, Geruch, Klang - durchaus verschieden. Dagegen läßt sich nicht stichhaltig geltend machen, diese Eigentümlichkeiten seien

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1 3 8 . Hermes autem et Gilgil et Empedocles et fere omnes illius coetus alchimistarum huic oppositam multum defendere videntur opinionem . Di­ cunt enim in quolibet metallo plures esse species et naturas metallorum, et aliam quidem esse occultam et aliam manifestam, et aliam intus et aliam ex­ tra, et aliam in fundo et aliam in superficie esse posuerunt, sicut hi qui laten­ tiam dixerunt formarum, et omnia dixerunt esse in omn ibus, sicut placuit Anaxagorae. Plumbum autem dicunt intus esse aurum et extra plumbum, aurum autem e converso extra et in superficie aurum, et in profundo et intus esse plumbum. Eodem autem modo se ad invicem habe re aes et argentum, et fere quodlibet ad quodlibet metallum. Et videtur hoc esse mirabiliter dictum. Homogenium enim intus et extra et in occulto et in aperto et in profundo et in superficie eiusdem est speciei et formae. Constat autem species metallorum esse in homogeniorum gene re

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einfach solche Eigenschaften, wie sie allen Metallen gemeinsam sind; es sind vielmehr Wesenseigentümlichkeiten, die j eder Metallart ausschließlich immer und überall zu eigen sind. Daher muß das Wesen und die Art der Metalle verschieden sein . . . Auch dem Experiment, das sie ins Spiel brin­ gen, ist ein genügender Beweis nicht zu entnehmen. Es ist nämlich nicht si­ cher ausgemacht, ob bei dem Experiment durch das angewandte und in das Kupfer oder in das Blei eindringende Elixier nur die Farbe des Silbers und des Goldes sowie das Gewicht und der Geruch eingeführt wird oder zu­ gleich auch das neu hervorgebracht wird, was wesentlich Silber und Gold ausmacht. Gerade das hätte Khalid beweisen müssen : Es wird Gold in seinem We­ sen erzeugt. Sogar einmal angenommen, daß wirklich wesentlich Gold her­ auskommt, dann ist immer noch kein hinreichender Beweis dafür geliefert, daß es nur eine einzige Art Metall gibt. Denn das Verfahren durch Verkal­ kung (calcinando), Verfeinerung (sublimando), Herauslösung (distillando) und durch die anderen Prozeduren, womit man das Elixier in den Stoff der Metalle eindringen läßt, kann vernichtend einwirken auf die Wesensart, die im Stoff der Metalle ursprünglich vorhanden war; und dann kann das Me­ tall mit dem übriggebliebenen Material, das nicht mehr sein eigenes ist, auf die Nachhilfe der (Schwarzen) Kunst hin, eine andere Wesensart anneh­ men ; so kann ja auch durch Pflügen und Aussaat der (Getreide-) Same sowie die Natur (des menschlichen Organismus) durch ärztliches Tun unterstützt werden. Somit ist klar, daß wir durch die Versuche der Alchimisten keineswegs zu der Annahme gezwungen sind, es gebe für sämtliche Metalle nur eine einzige Wesens beschaffenheit, die sie zu dem macht, was sie sind. Auseinandersetzung mit den Alchimisten 1 3 8 . Hermes, Gilgil und Empedokles sowie fast alle Mitglieder jenes Al­ chimistenklubs vertreten eine (der erwähnten Meinung) ziemlich entgegen­ gesetzte Theorie. Sie behaupten, jedes Metall trage in sich eine Vielzahl von metallischen Arten und Wesensbeschaffenheiten ; die eine davon sei ver­ borgen, die andere offenkundig, die eine innerlich, die andere äußerlich, die eine auf dem Grund, die andere an der Oberfläche . Das berührt sich in etwa mit der Theorie vom wirklichen, aber verborgenen Vorhandensein der We­ sensformen im Urstoff des körperlichen Seienden (latentia formarum), womit - nach Anaxagoras - gegeben ist, daß alles in allem ist. Dement­ sprechend gehen sie davon aus, Blei sei im Inneren Gold, nur nach außen Blei, und umgekehrt, Gold sei nur außen und an der Oberfläche Gold, in­ nen und auf dem Grund j edoch Blei. Genauso sollen sich Kupfer und Silber zueinander verhalten und überhaupt fast j edes Metall zu jedem .

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contentas , et sic omnino absurdum esse videtur quod dicunt . . . Si autem hoc esset verum quod dicunt, cum sciamus aurum ab igne non aduri, sed plumbum, praecipue si sulphure aspergatur, deberet exuri plumbum igne apposito, et remanere aurum, quod occultum est in ipso . Et hoc nos fieri non videmus . . . Praeterea, alchimicum vix aut numquam invenimus, sicut dictum est, in toto operantem, sed potius citrino elixir colorat in auri speci­ em, et albo elixir colorat in argenti similitudinem, studens, ut color in igne remaneat et penetret per totum metallum . . . , et hoc modo operationis po­ test induci flavus color, substantia metalli remanente . Et tunc iterum non habetur, quod plures species metallorum insint sibi invicem. Haec igitur et similia sunt de quibus eliditur dictum eorum qui quamlibet metalli speciem dicunt esse in altera. Ibid . c. 8 (p . 69sq . ) ; f. 1 36rb-va.

1 39 . Alchimia autem per hunc modum procedit, scilicet corrumpens unum a specie sua removendo, et cum iuvamine eorum quae in materia sunt, alterius speciem inducendo . Propter quod omnium operationum al­ chimicorum melior est illa quae procedit ex iisdem ex quibus procedit natu­ ra, sicut ex purgatione sulphuris per decoctionem et sublimationem, et ex­ purgatione argenti vivi, et bona permixtione ho rum cum materia metalli. In his enim et ex virtutibus horum omnis metalli species inducitur. Qui autem per alba albificant et per citrina citrinant, manente specie metalli prioris in materia, procul dubio deceptores sunt, et verum aurum et verum argentum non faciunt. Et hoc modo fere omnes vel in toto vel in parte procedunt. Propter quod ego experiri feci, quod aurum alchimicum, quod ad me deve­ nit, et similiter argentum, postquam sex vel septem ignes sustinuit, statim amplius ignitum consumitur et perditur, et ad faecem quasi revertitur. Ibid. c. 9 (p . 71 b) ; f. 1 3 6va.

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Das ist doch wohl eine ausgefallene Behauptung. Denn gleichartige Dinge sind überall : innen und außen, im Verborgenen und im Sichtbaren, in der Tiefe und an der Oberfläche, von derselben Art und Wesensbe­ schaffenheit. Die Metallarten fallen nun aber tatsächlich unter die Gattung der gleichartigen Körper. Damit stellt sich wohl die Behauptung der Al­ chimisten als ganz widersinnig heraus . . . Falls sie aber wirklich zutrifft, müßte das Blei bei Erhitzung verbrennen, das darin eingeschlossene Gold aber müßte übrigbleiben; wir wissen ja, daß Gold im Feuer nicht verbrennt, wohl aber Blei, besonders wenn es mit Schwefel bestreut wird; ein solcher Vorgang, durch den Blei verbrennt und Gold zurückbleibt, kommt nicht mit unserer Beobachtung überein . . . überdies sind wir noch niemals oder kaum je einem Alchimisten begegnet - wie gesagt -, der den ganzen Me­ tallkörper in sein Tun einbezieht. Er gibt vielmehr (dem unedlen Metall) durch das gelbe Elixier die Goldfärbung und durch das weißende Elixier das silbrige Aussehen, wobei er darauf achtet, daß die Farbe die Erhitzung übersteht und das ganze Metall durchdringt . . . Mit diesem Verfahren kann freilich die goldgelbe Färbung erreicht werden, wenn auch das (niedere) Metall selbst wesentlich das bleibt, was es vorher war. Es kommt also wiederum nicht zu dem Ergebnis, daß im einzelnen Me­ tall j eweils mehrere Arten miteinander gegeben sind. Mit diesen und ähn­ lichen Tatsachen ist die Behauptung der Alchimisten zu widerlegen, für die j edes Metall nach seiner Wesenheit in j edem anderen enthalten ist. Lob und Tadel der Alchimie 1 39 . Die Alchimie geht diesen (der Natur folgenden) Weg. Sie vernichtet ein Metall durch Beseitigung seiner eigenen Wesensbestimmtheit ; dann legt sie ihm mit Hilfe der in der Stoffrnasse verbliebenen (den vier Elementen innewohnenden und den von den Gestirnen ausgehenden) Kräfte eine an­ dere Wesensform bei. Darum ist von allen alchimistischen Verfahrenswei­ sen jene die wirksamste, die mit den gleichen Mitteln arbeitet wie die Natur. Das ist z. B. die Reinigung des Schwefels durch Kochen und Verfeinern, die Reinigung des Quecksilbers und schließlich die richtige Vermischung die­ ser Erzeugnisse mit dem Stoff des (zu verwandelnden) Metalls. Dadurch und durch die darin wirkenden Kräfte läßt sich j edes Metall mit seiner wesentlichen Eigenart einführen . Es gibt aber auch Alchimisten, die nur durch das helle Elixier weißen und durch das zitronenfarbige gelb färben, ohne daß an dem Stoff des vor­ gegebenen Metalls eine wesentliche Änderung vorgenommen wird; das sind dann zweifellos Betrüger, und sie stellen kein echtes Gold und kein wirkliches Silber her. So aber machen es fast alle Alchimisten, entweder immer oder wenigstens mitunter.

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140. Et illi qui deeipere volunt, et splendorern similem auro indueere, ligant lapidem ita quod diutius remanet in aere in igne, non evaporans eito ab aere. Ligatur autem per oleum vitri ; tolluntur enim fragmenta vitri et eonvertuntur in pulverern, et spargitur in testam super aes, postquam im­ missa est ealamina ; et tune vitrum proieetum enatat super aes, et non sinit evaporare lapidem et lapidis virtutem, sed refleetit vaporem lapideum in aes, et sie diu et fortiter purgatur aes, et adurentur in eo materiae faeeulen­ tae. Tandem tarnen evaporat etiam oleum vitri, et tune evaporat virtus lapi­ dis. Sed auriehalcum effieitur multo splendidius, quam esset sine illo . Qui autem adhue amplius assimilare auro intendit, has purgationes per optesim et vitri oleum saepius iterat, et loeo stagni ponit argentum et immiseet auri­ chalco . Et hoc effieitur ita rutilans et citrinum, quod multi eredunt ipsum esse aurum, eum in veritate adhue sit in speeie aeris. Ibid. I . 4 c. 6 (p . 90sq . ) ; f. 1 40ra.

1 4 1 . Non autem ignorandum est, quod aurum quasi citrin um et eroeeum invenitur, quod tarnen per deeoetionem rubeseit propter materialis prinei­ pii, quod album, magis quam formalis, quod est rubeum, eonsumptionem . Propter quod alchimiei, volentes aurum facere, student ad elixir rubeum, quod medieinam voeant; et studium eorum est, quod quattuor in se habeat, eolorationem videlieet, et penetrationem, et immortalitatem in igne, et eon­ solidationem ; et hoc voeant "rubeum solis" . Elixir autem ad argentum stu­ dent habere eolorationem albedinis, et quod sit penetrativum, et non eva­ poret ab igne, et habeat subtilitatem ; et hoc voeant " album lunae" . Propter quod dieit Hermes, quod est radix, super quam omnes philosophi susten­ tati sunt, quod rubeum solis medieina est, album vero lunae. Candor vero et rubor eroeeum aperiunt aurum. Genus autem deeoetionis, quod ruborem modieum per deeoetionem assumat, neeesse est. Ex praedietis omnibus elu­ eeseit aliqualiter, seeundum quam ration em plurimi alchimistarum asserant

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D eshalb habe ich eine Probe darauf machen lassen, und dabei hat sich herausgestellt, daß alchimistisches Gold - das mir in die Hände kam und Silber nach sechs oder sieben überstandenen Erhitzungen bei noch stärkerem Feuer sofort verzehrt und vernichtet und zu einer Art Hefe niedergeschlagen wird. Schwindel beim Goldmachen 1 4 0 . Jene Goldköche, die (bei der Umwandlung von Kupfer in Messing) dem Messing goldähnlichen Glanz auftragen und damit die Leute hereinle­ gen wollen, binden den (Calamina-) Stein (Zinkkarbonat?) derart, daß er längere Zeit im Kupfer auf dem Feuer zurückbleibt und nicht so schnell verdampft; und zwar wird der Stein gebunden mit Glasöl. Man nimmt Glasstücke, zerstampft sie zu Pulver, gibt den (Calamina-) Stein dazu und streut das Pulver im Schmelztiegel auf das Kupfer. Dann schwimmt das beigemischte Glas über dem Kupfer und macht, daß der Stein und seine Kraft nicht verdampft ; es drückt den aus dem Stein austretenden Dampf auf das Kupfer hinab, und so wird das Kupfer lange und kräftig gereinigt, und die unreinen Stoffe im Kupfer verbrennen . Schließlich verdunstet auch das Glasöl und gleichzeitig die Kraft des Steines . Aber das Messing bekommt dadurch einen viel stärkeren Glanz. Wer es aber noch mehr dem Gold annähern will, der wiederholt mehr­ mals die Reinigung des Kupfers durch den Verbrennungsvorgang mit Glasöl, verwendet (zum Weißen) Silber statt des Zinns und mischt es mit dem Messing. Das Messing wird dadurch so rötlich-gelb, daß viele Leute es für Gold halten, obwohl es der Art nach immer noch schlicht Kupfer ist. Goldmachen 1 4 1 . Man muß auch wissen, daß es ein gelb-safranfarbiges Gold gibt, das sich aber beim Kochen rot färbt, weil von den beiden Grundbestandteilen (aller Metalle) der eine, weiße, formbare (Quecksilber) stärker aufgezehrt wird als der andere, eigentliche, rote, prägende Bestandteil (Schwefel) . Wenn darum die Alchimisten Gold machen wollen, verschaffen sie sich als "Medizin" rotes Elixier, und sie achten darauf, daß es vier Haupteigentüm­ lichkeiten besitzt : Kraft zum Färben, zum Eindringen und zum Verfestigen sowie Unverbrennbarkeit. Das nennen sie " Sonnenrot" . Bei dem Elixier für Silber rechnen sie damit, daß es die Fähigkeit zum Weißfärben und zum Eindringen hat, daß es bei Erhitzung nicht eindampft und in feinem Zu­ stand ist. Das nennen sie "Mondweiß" . Von daher kommt der Ausspruch des Hermes (in seiner Alchimie) : "Es gibt eine Wurzel, von der alle Alchi­ misten sich genährt haben : Das Rot ist die Medizin der Sonne, das Weiß die des Mondes. " Das Weiß und das Rot machen ein safranfarbiges Gold sicht-

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de omni corpore elementato posse extrahi tria corpora, oleum videlicet, vitrum, et aurum . Ibid. I. 4 c. 7 (p . 93b) ; f. 1 40va.

1 42 . Tertia (seil. mutatio corporum) est per exspoliationem proprietatum et dationem aliarum, per liquefactionem et cibationem et sublimationem et distillationem, quibus operantur alchimici. Et hoc modo, operatione satis nota, fit panis, et atramentum, et huiusmodi. Et puto, quod non dant formas substantiales, sicut etiam dicit Avicenna in Alchimia sua. Cuius signum est, quia in talibus operatis non inveniuntur proprietates continentes speciem . Unde aurum alchimicum non laetificat cor, et sapphirus alchimicus non refrigerat ardorem neque curat arteriacam, et carbunculus alchimicus non fugat venenum vaporabile in aere . Et om­ nium talium experimentum est in hoc, quod aurum alchimicum consumitur plus in igne quam aliud, et similiter lapides alchimici ; et iterum non durant ita diu sicut naturalia illis speciei. Et hoc ideo est, quia non habent species, et ideo negavit eis natura virtutes quae dantur cum speciebus ad conserva­ tionem speciei. II Sem. d . 7 a. 8 (Ed. Par. t. 2 7 p. 1 56a) ; Ed. Bas.

1 43 . De qua stella hi qui de astris scribunt, perhibent, quod polus mundi sit et quod ipsa quidem immobilis existens omnibus aliis quasi pro centro est, circa quod tota caeli circumferentia moveatur. Et eum duo tales poli in eaelo sint, unus ad meridiem, oeeultus nobis, alter ad aquilonem, qui nobis apparet, polus ille stella maris dieitur qui ad aquilonem eolloeatur. Maris vero stella voeatur ideo, quia versus ipsam semper nautae portum et viam eonsiderant navigandi. Cumque nubibus eaelo teeto stella haee oeeultatur,

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bar. Das Kochen aber ist notwendig, damit das Gold ein mäßiges Rot an­ nimmt. Daraus geht irgendwie hervor, in welchem Sinn die Alchimisten behaupten, aus j edem zusammengesetzten Körper ließen sich drei Dinge gewinnen : 01, Glas und Gold. Unterschiede zwischen Natur und Alchimie 1 42 . Eine dritte Art von Körperveränderung besteht darin, daß einem Ausgangsprodukt die Eigenschaften und Energien genommen und durch andere ersetzt werden. Das kann geschehen durch Verflüssigung, durch Zusatz von Nährstoffen, durch Verdünnen (sublimatio) und Herauslösen (distillatio). Nach diesen Methoden arbeiten auch die Alchimisten. So wird auch durch eine genugsam bekannte Tätigkeit Brot gemacht und Tinte und anderes. Dabei teilen die Alchimisten meiner Ansicht nach dem formlosen Unter­ grund aller Dinge (materia prima des AristoteIes) nicht die artbestimmen­ den Wesensformen mit. Das ist auch die von Avicenna in seiner "Alchimie" geäußerte Auffassung. Zu erkennen ist das schon daran, daß an den künst­ lichen Erzeugnissen die aus der Wesensart erfließenden (bei den von der Natur gebildeten Metallen oder Steinen auftretenden) Eigentümlichkeiten und Wirkungen sich nicht finden. Daher kommt es, daß Alchimistengold nicht ein (krankhaft schlagendes) Herz erfreut ; daß Alchimistensaphir nicht auf die (innere) Hitze kühlend einwirkt und Halsschmerzen nicht heilt; und daß ein künstlich hergestellter Rubin nicht das Gift in der Luft und im Dampf vertreibt. Vor allem steht beobachtungsmäßig fest, daß AI­ chirnistengold im Feuer sich stärker verzehrt als das andere (Natur-) Gold, und ebenso die von Alchimisten gebildeten Steine ; und weiter, diese künst­ lichen Produkte haben nicht die Haltbarkeit ihrer natürlichen Arten. All das kommt daher, daß sie nicht die natürlichen Wesensformen haben. Darum hat ihnen die Natur j ene Kräfte versagt, die den (natürlichen) Verwirklichungen zur Erhaltung der Art gegeben sind.

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Polarstern 143 . Vom "Stern des Meeres" sagen die Astronomen, er sei der Pol der Welt und habe eine unveränderliche Stellung; er sei sozusagen der Mittel­ punkt für alle anderen Gestirne, um den der ganze Kreisumfang des Him­ mels sich drehe. Es sind nun zwei solcher Pole am Himmel, einer im Süden, für uns unsichtbar, und einer im Norden, den wir sehen können ; dieser Nordpol wird Stern des Meeres genannt. Seinen Namen hat er von daher, daß die Seefahrer von ihm aus den Hafen anpeilen und den Kurs bestim-

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mirabili quadam virtute aeus, magnete primum in aqua eireumagitata, postea magnete subtraeto, stat versus stellam hane. Et sie benefieium duea­ tus, quod nubibus erat amissum, per oeeultam quandam virtutem, qua aeus attrahitur, restituitur nautis. Cum ergo duo seeundum philosophos de eae10 et mundo loquentes poli sint, est inter eos contentio, quis eorum in supe­ riori versus dexteram caeli sit et quis in inferiori versus sinistram . Et Pytha­ gorici quidem tradunt hanc stell am quam maris vocamus, in superiori esse versus dexteram . Hi autem qui de secta sunt Aristotelis, et motum primum caeli quem diurnum vocant, a dextera orientis in sinistram occidentis volvi probant, stell am hanc in imo caeli stare et nos in ipso imo sitos versus sini­ stram caeli locatos dicunt. Aliam vero, quae polus antarcticus dicitur et ver­ sus meridiem nobis occultatur, aiunt esse in supremo et ibi sitos versus dex­ teram caeli accedere . Item, cum ad stellam hanc sol accedit, aestatem et ver facit, cum vero recedit, perficit autumnum et hiemem. De natura boni (Ed. CoI. t. 25, 1 p . 56, 5 8 - 8 7) .

1 44 . 25 Nec obstat, quod stellae eis oriuntur a sinistro, quia sinistrum illud caeli non est acceptum in eaelo secundum esse, sed secundum situm. Sini­ strum enim caeli quod secundum esse accipitur, unum est, et aliquando ae­ cipitur in oriente nostro sec und um situm . . . Sed sinistrum secundum si­ turn, hoc est quoad nos sinistrum tantum, et hoc nihil prohibet quoad nos esse dextrum. Et tune ratio Pythagorae nulla est omnino . Et quod dicitur de ordine signorum, satis eliditur per hoc quod in nostro hemisphaerio secun­ dum duos motus eaeli duo sunt ordines signorum : ab oeeidente enim in ori­ ens disponuntur ordine naturali seeundum motum planetarum ; sed ab oriente in oecidens seeundum motum primi mo bilis dispositione prae­ postera disponuntur; et sic est in hemisphaerio inferiori, quod ab oriente illius hemisphaerii in oeeidens praepostere disponuntur . . . Signa autem secundum quae moventur planetae, eis supra ordinem naturalem disponun­ tur, quia in eis est Piscis post Arietem, et post Piseem Aquarius, et post Aquarium Capricornus, et sie de aliis . . . Sed ab occidente suo in oriens suum ordinem habent et dispositionem naturalern . De natura loci tr. 1 c. 12 (Ed. Par. t. 9 p . 553sq . ) ; Neapel, BibI. Naz. Cod. VIII. C . 3 7 f . 5rb-va.

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men. Ist nun dieser (Polar-) Stern wegen einer Wolkendecke nicht zu sehen, (so verwendet man ein Suchgerät) : Der Magnet wird im Wasser hin und her bewegt und wieder herausgenommen ; dann zeigt die Nadel durch eine son­ derbare Kraft die Richtung des Nordpols an. Durch diese geheime Kraft, von der die Nadel angezogen wird, gewinnt man auf See die Richtung zurück. Da es nun nach der Lehre der Astronomen zwei solcher Pole gibt, erhob sich die Streitfrage, welcher Pol am oberen Teil des Himmels rechts steht und welcher im unteren Teil links. Die Pythagoreer behaupten, unser Stern des Meeres stehe am oberen Teil rechts . Anders die Anhänger der aristote­ lischen Lehre. Sie weisen nach, daß die erste Himmelsbewegung - sie nen­ nen sie den Tageslauf - sich von der rechten Seite im Osten zur linken Seite im Westen hinzieht ; nach ihrer Darstellung steht unser Stern des Meeres im untersten Teil des Himmels, und wir befinden uns in diesem untersten Teil zur Linken (von uns aus) . Der andere Stern aber, der als antarktischer Pol bezeichnet wird und im Süden unseren Augen entzogen ist, steht nach ihrer Meinung oben, und die dort lebenden Menschen nähern sich (von ihnen aus gesehen) der rechten Seite des Himmels . Schließlich noch eine Beobach­ tung: Bewegt sich die Sonne auf diesen (Polar-) Stern zu, macht sie Sommer und Frühling; entfernt sie sich davon, bewirkt sie Herbst und Winter. Bewohnbarkeit der südlichen Erdhalbkugel 144. Gegen die Bewohnbarkeit der anderen Erdhälfte spricht ebenfalls nicht die Tatsache, daß für die Menschen dort die Sterne auf der linken Seite aufgehen. Diese Linke betrifft nämlich nicht die dingliche Wirklichkeit, vielmehr nur die Stellung dessen, der die Sterne betrachtet. Am Himmel selbst ist die linke Seite immer ein und dieselbe, bisweilen ist sie entspre­ chend unserem Standort in unserem O sten . . . Wird die linke Seite auf die Stellung des Beobachters bezogen, d. h. nur auf uns, so kann sie für uns rechts sein. Darum besagt der Einwand des Pythagoras (der die südliche Halbkugel für nicht bewohnbar erklärte) überhaupt nichts. Was er über die Ordnung der ( 1 2 ) Tierkreiszeichen sagt, läßt sich hinreichend erledigen. In unserer Halbkugel sind nämlich entsprechend der doppelten Bewegung am Himmel zwei Anordnungen zu beobachten : Vom Westen zum Osten befinden sie sich in der natürlichen Anordnung gemäß dem natürlichen Wandel der Planeten (die Planeten wandern in dieser Reihenfolge durch die Zeichen : Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe . . . ). Vom Osten zum We­ sten stehen sie gemäß der Bewegung der erstbewegten Sphäre in umgekehr­ ter Ordnung, und das ist auch der Fall in der südlichen Erdhälfte . . . Dort ist die Reihenfolge z. B . : zuerst der Widder, dann die Fische, der Wasser-

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1 45 . Quod autem solis motus incipiat a meridie caeli, probatur per Psal­ mum (1 8 , 7) : "A summa caelo ergressio eius" , et loquitur ad litteram de motu solis. Potest etiam probari astronomice, quoniam ab illo puncto inci­ pit sol moveri ubi dividitur motus solis in arcus aequales ; hoc autem non fit in puncto horizontis vel in oriente vel in occidente, quia sic semper dies et nox essent aequale s ; sed contingit in puncto meridiei caeli, quia quantum diminuitur in una quarta diei, tantum additur in quarta noctis ; et ideo inci­ pit ibi motus solis. Quaestio de gula a. 6 ad 5 , eod. Vat. lat. 78 1 f. 2 7va (Editionsmanuskript) .

1 46 . 26 Quis sit effectus motus caeli et stellarum in inferioribus . a) Solutio. Dicimus ad praedicta, quod astra habe nt vim et rationem signi super ea quae sunt in materia transmutabili, et etiam super illa quae sunt obligata materiae . Et dico ea esse "in materia" quae sunt generabilia et corruptibilia et mutabilia. Et illa dico " obligata materiae" quae de necessi­ tate sequuntur transmutationem materiae, sicut est anima vegetabilis et sen­ sibilis in brutis . Quaedam autem sunt quae dependentiam habent ad mate­ riam et obligation em secundum quid, sed non simpliciter, sicut est animus hominis . Unde dicimus sanguinem accensum circa cor inclinare ad iram animum hominis, et tarnen non de necessitate irascitur. Et secundum quod animus hominis inclinatur ad materiam et complexionem, sic etiam in eum habet vim constellatio, scilicet secundum quid, et non simpliciter. Aliter enim periret casus , et liberum arbitrium , et consilium ; similiter nihil esset contingens ad utrumlibet dici de futuro, sicut optime disputat Philosophus in fine I Perihermenias (Kap . 9), et sicut ostendit in Ir Physicorum.

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mann, der Steinbock usw . . . Aber von West nach Ost sind sie dort in ihrer natürlichen Anordnung zu sehen . Ausgangspunkt der Sonnen bewegung 145 . Daß die Sonnenbewegung in der Mittagsgegend des Himmels ein­ setzt, läßt sich mit der Psalmstelle ( 1 9 , 7) beweisen : " Am hohen Himmel geht sie auf. " Im Literalsinn ist da von der Bewegung der Sonne die Rede. Auch von der Astronomie her ist das nachzuweisen : Der Anfang der Son­ nenbewegung liegt an j enem Punkt, von dem aus sie gleiche Bogen bildet. Das aber ist nicht ein Punkt am Horizont im Osten oder im Westen, sonst wäre der Tag und die Nacht immer von gleicher D auer. Jener Punkt liegt vielmehr in der Mitttagsgegend des Himmels . Dort also beginnt die Sonne ihren Lauf, und was der Tag in einem Viertel abnimmt, das gewinnt die Nacht in einem Viertel hinzu.

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146. Einflußbereich der Bewegung des Himmels und der Sterne . a) Auf dieses Für und Wider entgegne ich : Die Sterne und Planeten ha­ ben einen Einfluß und einen Zeichencharakter gegenüber allen j enen Wirk­ lichkeiten, die in der veränderlichen Materie bestehen oder an die Materie gebunden sind . " In Materie bestehend" nenne ich alles (Zusammengesetz­ te), das dem Entstehen und Vergehen und dem Wechsel (der Eigenschaften) unterworfen ist. Als " an die Materie gebunden" bezeichne ich die Kräfte, die mit innerer Notwendigkeit der Wandelbarkeit der Materie verhaftet sind, wie die Teilkräfte der Seele für die veg.etativen Vorgänge und für das Sinnenleben bei den Tieren. Es gibt aber noch eine andere Wirklichkeit, die nicht einfachhin, sondern nur unter einer bestimmten Rücksicht vom Ma­ teriellen abhängt : das ist das ganze menschliche Gefühlsleben (animus) . Von daher stammt d e r Sprachgebrauch, die Erhitzung d e s Blutes a m Her­ zen mache den Menschen seelisch zum Zorn geneigt; und dennoch besteht kein Zwang, daß er zornig wird. Wie nun das Seelische von der Materie und der (körperlichen) Mischung eine gewisse (leicht umwandlungsfähige) Hinneigung bekommt, genauso hat auch die Gestirnung die Möglichkeit einer Einflußnahme auf das menschliche Seelenleben, also (nicht unmittel­ bar und) nicht einfachhin, sondern (mittelbar und) nur unter einer be­ stimmten Rücksicht. Andernfalls (wenn die Sterne einen direkten. und da­ mit zwingenden Einfluß auf das Seelenleben hätten), gäbe es keinen Zufall (casus), (der ebenso eintreten wie nicht eintreten kann) ; es gäbe keine freie Willensentscheidung und kein suchendes überlegen vor der Handlung; es

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b) Sed adhuc distinguendum est, quod est causa immediata et propter quid, et est causa prima universaliter et movens et inclinans causas imme dia­ tas. Et quando dicitur, quod stellae habent vim in inferioribus, intelligitur, quod habent vim sicut causae primae universales moventes causas immedia­ tas et propter quid . Et ideo non semper sequitur de necessitate effectus ad constellationem . Et hoc attendit Damascenus, dicens : "Nos dicimus, quo­ niam sidera non sunt causa alicuius eorum quae sunt, neque corruptionis eorum quae corrumpuntur. Signa autem sunt magna imbrium et aeris transmutationis . Fortassis autem utique quis dixerit, quoniam et praelio­ rum non sunt causa, sed signa. Sed et qualitas aeris facta sole et luna et astris et aliis diversas complexiones et habitus et dispositiones constituit. " Inten­ dit enim Damascenus, quod signum minus dicit quam causa. Causa enim, ut dicit Boethius in Topicis, est quam de necessitate sequitur effectus. Signum autem est causa remota, inclinans, non de necessitate causans, sine coniunctione aliarum causarum. Et hoc idem Philosophus dicit in II De ge­ neratione et corruptione, quia licet tempus generationis omnium secundum ascensum circuli sir aequale, tarnen quaedam generantur citius et quaedam tardius propter materiae confusionem maiorem vel minorem .

c) Quod autem hoc catholicum sit dicere, patet ex verbis Augustini in libro V De civitate Dei, ubi dicit sie : " Non usquequaque absurde dici posset ad solas corporum differentias afflatus quosdam valere sidereos, sicut in so-

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gäbe dann auch kein solches Geschehen, von dem man sagt, es könne in der Zukunft ebenso gut eintreffen wie auch nicht eintreffen (contingens) . Mit dieser Frage setzt sich Aristoteles am Schluß des Buches "über die Lehre vom Satz" auseinander, und im 2 . Buch der Physik nimmt er dazu Stellung. b) Zu beachten ist hier eine weitere Unterscheidung. Es gibt die unmit­ telbare Ursache, mit der die Wirkung steht und fällt ; es gibt auch die erste Ursache (in einer bestimmten Ordnung), die uneingeschränkt tätig ist ; sie gibt den unmittelbaren Ursachen den Anstoß und eine gewisse Richtung. Wenn es nun heißt, die Sterne hätten die Mächtigkeit, das Irdische zu len­ ken, dann ist das so zu verstehen : Es eignet ihnen auf diesem Gebiet die Kraft der ersten, unbegrenzt wirkenden Ursache, die der unmittelbaren, für die Wirkung entscheidenden Ursache das Tätigwerden ermöglicht. Deshalb folgt die Wirkung (wegen der entgegenstehenden Umstände) nicht immer mit Notwendigkeit dem Stand der Sterne und ihrer Stellung zuein­ ander (constellatio) . Es ist so, wie Johannes von D amaskus meint (De fide orth. 1 . 2 c. 7) : "Wir sagen (im Unterschied von den Astrologen) : Die Ge­ stirne (als die ersten Beweger der vier Grundelemente zum Entstehen und Vergehen) sind nicht die Ursache des Entstehens und Vergehens . Sie zeigen wohl Regenfluten und Veränderungen der Luft an . Vielleicht aber könnte jemand sogar sagen, sie seien Anzeichen von Kriegen, wenn auch nicht de­ ren Ursache . Auch die von Sonne, Mond, Sternen und anderen (sphäri­ schen) Kräften herrührende Beschaffenheit der Luft bringt so oder so ver­ schiedene Mischungen (Temperamente) sowie bleibende oder vorüberge­ hende seelische Zustände mit sich" (D . Stiefenhofer, BKV2). Johannes von Damaskus will damit zum Ausdruck bringen, daß ein Zeichen weniger be­ deutet als die Ursache. Ursache ist nämlich - nach Boethius in der Lehre von den (Gemein-) " Plätzen" - ein Seiendes, auf das mit Notwendigkeit eine Wirkung folgt. Zeichen aber ist nur eine weiter zurückliegende Ur­ sache, die eine Hinneigung hervorruft, nicht jedoch mit Notwendigkeit und nicht ohne Mitwirkung anderer Ursachen etwas hervorbringt. Ein Gleiches lehrt Aristoteles im 2. Buch "über das Entstehen und Vergehen" : Die Periode für das Entstehen, die sich nach dem Ansteigen der Kreisbahn (und der damit gegebenen größeren Nähe der Sonne) richtet, ist für alle N a­ turdinge dieselbe, und doch vollzieht sich das Entstehen unregelmäßig, bei manchen Dingen schneller, bei anderen langsamer; das hat seinen Grund in der unregelmäßigen Zusammensetzung ihres stofflichen Seins (die mehr oder weniger die Aufnahmefähigkeit für den Einfluß der Sterne herab­ setzt). c) Diese Auffassung vom Einflußbereich der Sterne (als der ersten Be­ weger zur Entstehung, Vernichtung und Veränderung der Dinge) läßt sich auch vom Standpunkt des katholischen Glaubens aus vertreten. Sie findet

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laribus aeeessibus et reeessibus videmus etiam ipsius anni tempora variari, et lunaribus incrementis atque decrementis augeri atque minui quaedam ge­ nera rerum. "

d ) Fatum autem, quod imponat necessitatem libero arbitrio , etiam con­ tra philosophiam est ponere, nisi per hunc modum quo dicimus animum hominis inclinari et mutari. Unde Augustinus in libro V De eivitate Dei contra Tullium ne gantern praeseientiam Dei et fatum , sie dieit : "Nos adver­ sus istos sacrilegos ausus atque impios et Deum dieimus omnia scire ante­ quam fiant, et voluntate nos facere quidquid a nobis non nisi vO lentibus fieri sentimus et novimus. Omnia vero fato fieri non dicimus, immo nulla fieri fato dieimus, quoniam fati nomen, ubi so1et a loquentibus poni, idest in eonstitutione siderum, cum quisque eoneeptus aut natus est, ( quoniam res ipsa inaniter asseritur, nihil valere monstramus ) . " Ex his patet solutio ad omnia quaesita. De IV coaequaevis q . 1 8 a. 1 (Ed. Par. t . 34 p. 450sq . ) ; Wien, Dominik. BibI. Cod. 120 f. 98vb ; Ed. Veneta 1 498 f. 24vaJb.

147. Hic enim eadit quaestio de divinationibus daemonum. Videtur enim, quod futura praedieere possunt, quia homines arte seire possunt futura ad longum tempus ; igitur multo magis daemones, qui muIto maiorem habent scientiam . Quod autem homines possunt seire futura, patet per astronomos iudi­ cantes de eventibus in tota vita per eonstellationem nativitatis; et de eventi­ bus in toto anno per seientiam revolutionis a prineipio anni, et de eventibus in viginti annis per scientiam eirculi in coniunctione Iovis et Saturni de tri­ plieitate in triplicitatem . Ergo multo magis hoc praevalent daemones . Si dieas, quod errant, et non illa sciri per astra, contra : Augustinus in libro V De civitate Dei dicit sie : "Non usquequaque absurde diei pos set ad solas corporum differentias afflatus quosdam valere sidereos, sicut in sola­ ribus aeeessibus et decessibus videmus etiam ipsius anni tempora variari, et lunaribus incrementis atque detrimentis augeri vel minui quaedam genera

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sich ausgesprochen bei Augustinus i m 5 . Buch des " Gottesstaates" (Kap. 6) : "Es wäre freilich vielleicht nicht ganz absurd anzunehmen, daß gewisse Ausstrahlungen der Gestirne einen Einfluß hätten auf körperliche Ver­ schiedenheiten, wie wir ja auch sehen, daß durch Sonnennähe und Sonnen­ ferne der Wechsel der Jahreszeiten bewirkt wird und daß mit dem Zuneh­ men und Abnehmen des Mondes manche Dinge wachsen und sich verrin­ gern" (A. Schröder, BKV2). d) Ein Schicksal (fatum) anzunehmen, das dem freien Willen des Men­ schen Zwang auferlegt, ist sogar gegen die Lehre der Philosophie . Zulässig ist eine solche Annahme höchstens in dem Sinn - den wir dargelegt haben -, daß der Mensch in seinem Gefühlsleben (durch die Sterne) eine seelische Hinneigung und Wendung in bestimmter Richtung erleidet. Darüber schreibt wieder Augustinus im 5. Buch des " Gottesstaates" (Kap . 9), und zwar gegen Cicero , der (um die Willensfreiheit zu wahren) mit dem Schick­ sal auch das Vorherwissen Gottes leugnet : "Diesen verdammungswürdigen und gottlosen Versuchen gegenüber behaupten wir, daß einerseits Gott alles weiß, bevor es geschieht, und daß anderseits wir alles das mit freiem Wil­ len tun, was immer wir selbst nach dem Zeugnis unserer Innenerfahrung und unseres Bewußtseins ganz mit freiem Willen tun. Wir behaupten aber nicht, daß alles auf Grund eines Fatums geschehe, im Gegenteil, wir be­ haupten, daß nichts auf Grund eines Fatums geschieht ; denn wir weisen nach, daß dem Begriff "Fatum" im üblichen Sinn (der Astrologen) , d. h. im Sinn der Konstellation der Gestirne zur Zeit der Empfängnis oder der Ge­ burt, keine Bedeutung entspricht, weil die Sache selbst ohne Rückhalt an der Wirklichkeit behauptet wird" (A. Schröder, BKV2) . Damit sind hier alle Fragen beantwortet. 147. An diesem Punkt stellt sich die Frage nach dem Vorhersagevermö­ gen der Dämonen . Man sollte meinen, sie könnten Zukünftiges ankündi­ gen. D afür spricht, daß sogar die Menschen durch (Sterndeute-) Kunst langfristige Voraussagen über die Zukunft machen können. Also erst recht die Dämonen mit ihrem viel größeren Wissen. D aß es für die Menschen ein Zukunftswissen gibt, läßt sich damit bele­ gen, daß die Astrologen (astronomi) für den Einzelmenschen die Gescheh­ nisse des ganzen Lebens berechnen aus dem Stand der Sterne und aus ihrer Stellung zueinander (constellatio) in seiner Geburtsstunde. Die Ereignisse des ganzen Jahres erschließen sie aus der Bewegung der Sterne am Neu­ j ahrstag, und für das, was in zwanzig Jahren auf uns zukommt, wollen sie eine Vorbedeutung erkennen aus dem Kreis am Himmel, wenn (die beiden schweren, d. h. langsamen Planeten) Jupiter und Saturn (alle 20 Jahre) in Konjunktion stehen (d. h. auf derselben senkrechten Linie zur Erdbahn lie-

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rerum, sicut echinos et conchas et mirabiles aestus oceani, non autem et animi voluntates positionibus siderum subdi. " S i dicas, quod hoc non negatur, quin habeant effectum super corpora, igitur qui praescit proportiones motuum eorum per multos annos, ipse po test praedicere futura accidentia corporum per multos annos. Si dicas, quod non possunt in animas nostras et voluntates, etiam ipso Ptolemaeo in Centilogio testante et dicente, quod ,sapiens homo dominatur astris', hoc non negatur; sed tarnen nullus sanctorum negat hoc quin chole­ rae sanguinis et cholerae animae tractae a corporibus citius moveantur ad iram, et huiusmodi aliis; ergo ex signis corporum potest haberi coniectura de signis voluntatum . . . Solutio . Ut sine praeiudicio loquar de rebus occul­ tis, dico, quod daemones futura scire possunt corporalia aliquo modo ad cursum naturae ordinata tribus modis : scilicet per cursum siderum, per dispositiones rerum naturalium, et per revelationem sibi factam . Quae au­ tem non habent cursum redigibilem in ordinem causarum naturalium, puto , quod nullam habent de his praecognitionem, sicut nec homo qui de divinationibus se intromittit, ut dicit Augustinus in libro V De civitate Dei, et aliis multis locis. Et per hoc pro tanto concedo divinationes astrorum, si­ cut dicit Augustinus, et non amplius . A d hoc quod obicitur de his quae dependent a libero arbitrio, dico, quod secundum quod a libero arbitrio pendent, non sciuntur per astra; sed secundum quod significantur in dispositionibus corporum, coniectura incerta habetur de eis. Unde distinguit Damascenus, sicut et Aristoteles in libro De somno et vigilia, inter causam et signum ; quia causa est ad cuius esse sequitur aliud. Et sie bellorum et voluntariorum sunt astra signa, non causae, scilicet inquantum voluntates hominum trahuntur dispositione corporum ad mobilitates et affectiones quasdam ; sicut etiam dicit medicus, quod bona complexio significat bonos mores, et mala malos, et sicut dicit melancholicos esse invidos et perfidos, fidem non retinentes, et huiusmodi. Et sunt signa quae frequenter fallunt. II Sem. d. 7 a. 5 (Ed. Par. t. 27 p. 1 4 8sq . ) .

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gen), von einer Dreizahl der Tierkreiszeichen zur anderen. Also können erst recht die Dämonen Zukünftiges vorhersagen. Du magst jetzt einwenden, die Menschen seien im Irrtum, und Zukünf­ tiges sei aus den Sternen nicht zu erfahren. Aber Augustinus schreibt im s . Buch des " Gottesstaates" (Kap . 6) : "Es wäre freilich vielleicht nicht ganz absurd anzunehmen, daß gewisse Ausstrahlungen der Gestirne einen Einfluß hätten lediglich auf körperliche Verschiedenheiten, wie wir ja auch sehen, daß durch Sonnennähe und Sonnenferne der Wechsel der J ahreszei­ ten bewirkt wird, und daß mit dem Zunehmen und Abnehmen des Mondes manche Dinge wachsen und sich verringern, wie die Meerigel, Muscheln, und das Meer selbst in seinen wunderbaren Ebben und Fluten, während die Willensbetätigung der Seele den Konstellationen der Gestirne nicht unter­ worfen ist" (A. Schröder, BKV2) . . . Jetzt magst du dagegenhalten : Auf unsere Seele und auf unser Wollen ha­ ben die Gestirne keinen Einfluß, da ja selbst Ptolemäus in seinem Centilo­ quium (Hundertwörter-Buch) schreibt : "Der Weise beherrscht die Gestir­ ne. " Das soll nicht geleugnet werden. Aber kein Heiliger wird bestreiten, daß bei Leuten, die es an der Galle haben und gallig sind, das Seelische durch das Körperliche schneller zum Zorn und zu ähnlichen Regungen gereizt wird. Demnach läßt sich von körperlichen Zeichen aus, (die ja auf das Seelische einwirken) irgendwie etwas von willentlichen Vor-Gängen voraussehen . . . Hauptantwort : Um mit aller Vorsicht über dunkle Dinge zu reden, sage ich : Im körperlichen Bereich, soweit er irgendwie den Gesetzen der Natur untersteht, können die Dämonen auf dreifache Weise etwas Zukünftiges erkennen : Aus dem Lauf der Gestirne, aus den veränderlichen Beschaffen­ heiten der Naturdinge sowie durch eine ihnen gewährte Offenbarung. Von anderen Vorgängen j edoch, die nicht nach der natürlichen Ursachen­ ordnung ablaufen, können sie nach meinem Dafürhalten überhaupt nichts vorauserkennen. Das gilt ebenso für die Menschen, die sich mit der Wahrsagekunst ab­ geben, jedenfalls nach Augustinus, im s. Buch des " Gottesstaates" und an vielen anderen Stellen. Darum lasse auch ich die Sterndeutekunst - wie Augustinus - nur bis dahin zu, und ich gehe keinen Schritt weiter. Zu dem Einwand: Was die freien Willens entscheidungen betrifft, so ist meine überzeugung, daß darüber, soweit sie vom freien Willen abhängen, aus der Gestirnung nichts zu ermitteln ist ; allerdings, soweit sie in körper­ lichen Veränderungen sich niederschlagen, läßt sich dafür eine Vermutung, aber ohne Sicherheit gewinnen. Deshalb macht Johannes von Damaskus ­ wie auch AristoteIes in dem Werk " über den Schlaf und das Wachen" - die Unterscheidung zwischen Ursache und Zeichen. Ursache ist nämlich ein

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1 4 8 . Solutio . Dicendum, quod (stellae) nullam habent causalitatem supra liberum arbitrium secundum dicta sanctorum, et etiam philosophi non dicunt, quod habeant causalitatem supra liberum arbitrium nisi sicut pro­ batum est primo, scilicet per consequens, inquantum liberum arbitrium trahitur a complexione ad inclinationem quorundam actuum . . . Possumus tarnen dicere, quod nihil prohibet debilitatem processus totius vitae secun­ dum fortitudinem et signari et iuvari et impediri astris, sed non liberum ar­ bitrium, ita tarnen quod in corporalibus actibus tantum intelligatur, et quod causalitas a corpore incipiat, et in anima non sit nisi per inclinationem. Ibid. d. 1 5 a. 5 (Ed. Part. t. 2 7 p. 2 77b) .

1 4 9 . Ad id quod ulterius quaeritur, dicendum, quod absque dubio, sicut etiam supra per auctoritatem Augustini probatur, ortus et adspectus stella­ rum magnum habent effectum in operibus naturae et artis. Sed tarnen super nostrum liberum arbitrium non habent, ut dicit Damascenus . Sed imagi­ num ars ideo mala est, quia inclinans est ad idololatriam per numen quod creditur esse in stellis ; et quia non sunt inventae imagines nisi ad vana vel mala, sicut ad mulieres seducendas, vel ad seras aperiendas, vel naves im­ mobilitandas, vel terrores inducendos, vel huiusmodi. Ibid . d. 7 a. 9 (Ed. Par. t. 27 p. 1 5 8b).

1 5 0 . Ad aliud dicendum , quod astronomi non dant principia ex quibus contingit prognosticari aliquid de his quae subsunt libero arbitrio, secun­ dum q uod subsunt illi, sed coniecturantur de dispositionibus corporum,

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Etwas, auf dessen Wirklich-Sein etwas anderes folgt. So können die Ge­ stirne wohl Zeichen für Kriege und persönliche Unternehmungen abgeben, sie sind j edoch nicht deren Ursache . Denn das Willensvermögen des Men­ schen gerät durch den körperlichen Zustand irgendwie in den Sog von Wandelbarkeit und Stimmungen. Für den Arzt ist es j a eine ausgemachte Sache, daß eine günstige Mischung (der Säfte) im Organismus die Anlage zu guten Sitten andeutet wie eine ungünstige Mischung auf eine Anfälligkeit für schlechtes sittliches Verhalten hinweist. Bei den Ärzten ist es auch ein Klischee, daß Melancholiker zu Neid, Unzuverlässigkeit, Treulosigkeit usw. neigen . Aber diese Zeichen sind oft trügerisch. 1 4 8 . Festzuhalten ist, daß die Sterne nach dem Zeugnis der heiligen Leh­ rer keinen ursächlichen Einfluß auf den freien Willen haben, und auch die (N atur-) Philosophen schreiben ihnen eine solche Macht nicht zu, höch­ stens in dem früher dargelegten Sinn, d. h. als Folgewirkung, sofern das Willensvermögen auch von der organischen Befindlichkeit her eine Hin­ neigung zu bestimmten Handlungen erfährt . . . Immerhin können wir folgendes Zugeständnis machen : Es steht nichts im Weg, daß der ganze Lebensprozeß in seiner Anfälligkeit auch durch den Einfluß der Gestirne kräftemäßig vorbedeutet und gefördert und gebremst wird, nicht jedoch der freie Wille des Menschen ; und zwar ist das so zu ver­ stehen, daß der Einfluß der Gestirne sich nur im Bereich des Körperlichen abspielt und beim Leib ansetzt, beim übergriff auf die Seele j edoch höch­ stens eine hinneigende Stimmung erweckt. 149. Auf die weitere Frage habe ich zu sagen : Ohne Zweifel - wie oben schon aus einem verbindlichen Text des Augustinus hervorging - hat der Aufgang der Sterne und ihre Stellung zueinander und zur Erde (adspectus) einen starken Einfluß auf die Werke der Natur und des Menschen (im handwerklichen Können und im Künstlerturn), nicht j edoch auf den freien Willen, was Johannes von Damaskus eigens unterstreicht. Der Gebrauch astrologischer Bilder (um den Einfluß der Gestirne für das Naturgeschehen und für das menschliche Tun zu erlangen) ist verwerflich, weil er zum Götzendienst verführen kann, sofern man die Sterne als von Gottheiten bewohnt annimmt. Die Bilder sind ja auch nur für aufgelegten Unsinn erfunden worden und für unsittliche Vorhaben : um Frauen zu ver­ führen, Riegel zu öffnen, Schiffe zu blockieren, Schrecken einzujage,n usw. 1 50 . Die Astrologen geben keine Prinzipien an, aus denen eine freie Wil­ lensentscheidung als solche sich vorhersagen läßt. Sie können nur Mutma­ ßungen äußern über die Stellung der (Himmels-) Körper, die allerdings den

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quae inclinare possunt et retrahere liberum arbitrium, sicut corpus trahit animam . Huic consentit Augustinus in V libro De civitate Dei c. VI, sic di­ cens : "Non usquequaque absurde dici potest . . . " Unde sicut medicus pro­ gnosticat per proximum signum, ita astronomus per signum remotum, et verum est respectu corporis tantum, et non est in anima nisi per modum in­ clinantis, sicut cholericus ex cholera inclinatur ad iram, et melancholicus ad tristitiam ; et sic de aliis. Quaestio de prophetia a. 4 (Cod. Vat. lat. 781 f. 1 2ra/b), Editionsmanuskript.

1 5 1 . a) Nunc autem determinemus causam, quare gemmae pnmltus a sapientibus sculpi praeceptae sunt, et quod sit iuvamentum in ipsis sigillis eorum. Huius autem causam cognoscere ex propria scientia oportet magorum, quam compleverunt Magor Graecus, et Germa Babylonicus, et Hermes Aegyptius in primis ; postea autem mirabiliter effulsit in ea Ptolemaeus sapi­ ens, et Geber Hispalensis ; Thebit autem plene tradidit artern. Est autem principium in ipsa scientia omnia quaecumque fiunt a natura vel arte, moveri a virtutibus caelestibus primo . Et hic de natura non est du­ bium . In arte etiam constat eo quod aliquid modo , et non ante, incitat cor hominis ad faciendum. Et hoc esse non potest nisi virtus caelestis, ut dicunt sapientes praenominati. Est enim in homine duplex principium operum, natura scilicet et volun­ tas. Et natura quidem regitur sideribus . Voluntas libera quidem est, sed nisi renitatur, trahitur a natura et induratur. Et cum natura moveatur motibus siderum, incipit voluntas tunc ad motus siderum et figuras inclinari. Probat hoc Plato ex operibus puerorum, qui libertate voluntatis non ad­ huc renituntur naturae et siderum inclinationi. Illi enim ex siderum virtute praeostendunt in se habilitates ad unam artem vel aliam, in qua si exerciten­ tur, perfecti efficientur; et si reluctentur et alias exerceant, numquam prop­ ter naturae ad illam artem ineptiam perfectionem consequuntur. Non autem dubitamus, quin omne quod est causa aliquo modo causae, sit etiam in aliquo modo causa causati. Si igitur vis et afflatus siderum influit quandam causalitatem artis in artifice, pro certo, ni si impediatur, influet omnibus operibus artis aliquid suae virtutis.

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freien Willen in eine bestimmte Richtung neigen oder ihn abdrängen kön­ nen, so ähnlich, wie der Leib einen Einfluß auf die Seele ausübt. Dieser Meinung stimmt Augustinus im 5. Buch " über den Gottesstaat" zu . . . Wie der Arzt aus den unmittelbar gegebenen Symptomen die Diagnose stellt, so arbeitet der Astrologe mit anderen Anzeichen, die weiter zurückliegen und nur einen Bezug auf den Leib haben, in der Seele aber höchstens über eine Art gefühlsmäßiger Hinneigung etwas ausrichten, wie z. B. der Choleriker von der Galle her zum Zorn geneigt ist oder der Melancholiker zur Nieder­ geschlagenheit und so weiter. 1 5 1 . a) Jetzt wollen wir den Grund angeben, weshalb das Einschneiden von Bildern in Edelsteine auf die Empfehlung der Gelehrten zurückgeht. Es geht hier auch darum, was für das Gelingen der Steinsiegel selbst förderlich ist. Für den Grund muß man das (Fach-) Wissen der Magier befragen. Es wurde zuerst zusammengestellt von dem Griechen Magor, dem BabyIonier Germa, dem Ägypter Hermes. Später glänzte auf diesem Gebiet Ptolemäus der Weise sowie der Spanier Geber. Voll ausgebildet hat diese Theorie Thebit (ben Corat) . In dieser Wissenssparte ist es ein feststehender Grundsatz, daß alles N a­ turgeschehen und Menschenwerk den ersten Anstoß von den (höheren, unvergänglichen, dem Wandel nicht unterworfenen) Kräften des Weltalls bekommt. Für den Bereich der Natur gibt es daran keinen Zweifel. Auch für handwerkliches und künstlerisches Schaffen ist anerkannt, daß irgend­ ein Antrieb gerade in einem bestimmten Augenblick, nicht früher, das Herz zum Werken anläßt. Dieser Antrieb kann nichts anderes sein als die vom Himmel ausgehende Kraft, sagen die erwähnten Gelehrten. Für menschliches Tun gibt es nämlich einen doppelten Ursprungsgrund : die physische Natur und den Willen . Der menschliche Organismus wird nun durch die Sterne gesteuert. Der menschliche Wille ist zwar frei, aber, falls er nicht dagegensteuert, folgt er dem Zug des Biologischen und legt sich darauf fest. Da nun das organische Leben des Menschen dem Einfluß der Gestirne ausgesetzt ist, kann dadurch auch der Wille unter dem Einfluß der Sterne in ihren Bewegungen und Gebilden in eine bestimmte Richtung geneigt werden. Platon weist das an der Berufsentwicklung von Jugendlichen nach. De­ ren Wille ist noch nicht so widerstandsfähig gegen den Sog der Natur und der Sterne. Sie legen jeweils unter Einwirkung der Gestirnung eine Taug­ lichkeit für einen bestimmten Beruf an den Tag, und wenn sie darin gründ­ lich ausgebildet sind, werden sie Meister ihres Faches. Widersetzen sie sich j edoch dieser Neigung und wenden sich einem anderen Beruf zu, für den sie

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b) His habitis, pro principio sumimus a dictis philosophis, quod etiam alibi probandum est, figuras caelorum primas esse figuras et ante omnium generatorum natura vel arte figuras . Quod autem primum est genere et or­ dine generantium, absque dubio causalitatem suam per modum cuique congruum omnibus influit sequentibus. Nos enim non intendimus hic de figuris mathematice sumptis, sed de figuris prout indicant diversitatem ge­ nerantium et generatorum in ordine et speciebus et natura formae et mate­ riae suae. Habebit igitur figura caelestis causalitatem in omni figura genera­ torum natura et arte, eo quod ars resolvitur in principium naturae, quia principium artis, prout diximus, natura est secundum quod exivit a suo caelesti principio, cuius principium est intellectus practicus, sicut idem in­ tellectus est principium artis, sicut diximus saepius in Caelo et mundo et Physicis.

c) Ex his de necessitate concluditur, quod si observanti ad caelestem figuram imprimatur figura in materia per naturam vel artern, quod caelestis figurae aliqua vis influitur operi naturae et artis. Et inde est, quod obser­ vanti ad imagines caeli praecipiuntur fieri opera, et exitus et introitus, et in­ cisio vestium, et vestitura a Ptolemaeo sapiente . Hinc est, quod in scientia geomantiae figurae punctorum ad imagines tales re duc i praecipiuntur; quia aliter non sunt utiles. Hac ergo industria considerata, primi praeceptores et professores Physicae gemmas et imagines metallicas ad imagines astrorum observatis temporibus, quando vis caelestis fortissima ad imaginem eandem esse probatur, utputa caelestibus multis virtutibus adiuta, sculpi praecipie­ bant, et mira per tales imagines operabantur.

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weniger Geschick haben, dann werden sie als dafür ungeeignet niemals richtige Könner. Nun steht aber ohne Zweifel fest : Was irgendwie Ursache für eine Ursache ist, das ist ebenso irgendwie auch Ursache für das Verursachte. Das bedeutet : Wenn die Macht und die Strahlung der Sterne irgendeinen ursäch­ lichen Einfluß auf den schaffenden Menschen ausübt, dann strömt sicher, falls nicht etwas hindernd dazwischentritt, etwas von der Einflußkraft der Sterne (als der wirkmächtigeren Bestandteile des Weltalls) auch in alle vom Menschen hervorgebrachten Dinge selber ein. b) Nunmehr übernehmen wir von den genannten Gelehrten den - an anderer Stelle noch zu beweisenden - Grundsatz, daß die Gestaltungen im Weltall (im Urheberischen) an erster Stelle kommen, vor allen durch natür­ lichen Vorgang oder menschliches Können entstandenen Gebilden. Was aber in der Gattung und Ordnung der bewirkenden Ursachen an der Spitze steht, ergießt ohne Frage seine ursächliche Kraft nach Maß über alles Nach­ geordnete . Wir handeln hier ja nicht von mathematischen (vom Phy­ sisch-Materiellen getrennten) Figuren, vielmehr von denen, die für die er­ zeugenden wie für die erzeugten Dinge die Verschiedenheit der Ordnung, der Arten und der Zusammensetzung aus bestimmender Wesensform und bestimmbarem Untergrund anzeigen. So wird also die Gestaltung der Himmel eine ursächliche Mächtigkeit besitzen über jedes von der Natur oder vom Menschen erstelltes Gebilde; denn menschliches Können läßt sich auf die Natur als seinen Ursprungsgrund zurückführen, weil sein Ur­ sprung, wie gesagt, die Natur ist, sofern sie selbst ihren Ausgang aus dem Weltall nimmt. Dort (in der Sternenwelt) waltet schließlich die Kraft eines praktischen (sich auf das Tun erstreckenden und die Tätigkeit der Sterne als seiner Instrumente regelnden) Verstandes, aus dem ja ebenfalls Kunst und Handwerk hervorgehen . Darüber haben wir schon des öfteren in der Schrift "über den Himmel und die Erde" und in der Physik gesprochen. c) Hieraus ergibt sich zwingend der Schluß : Wenn unter richtigem Be­ zug auf die Himmelsgestaltung einem Material auf natürliche oder auf künstliche Weise eine Figur eingeprägt wird, dann geht von der Himmels­ gestaltung irgendeine Kraft in das Werk der Natur und des Menschen ein. Von daher kommt die Anweisung des weisen Ptolemäus, für die Ausfüh­ rung von Arbeiten, für das Verlassen des Hauses und die Rückkehr, für die Anfertigung von Kleidern und für die Belehnung auf die Bilder der (j e art­ verschiedenen) Sterne zu achten (d . h. die Stunden einzuhalten) . So geht auch die Geomantie vor; sie paßt auf, daß die Figuren aus den (aufs Gerate­ wohl auf dem Boden bezeichneten und dann miteinander verbundenen) Punkten ihren Ebenbildern in der Sternenwelt entsprechen ; sonst bleiben sie ohne Erfolg. Auf Grund dieser weisen Theorie, Edelsteine (die durch

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d) Imagines autem caeli ex multis quidem adiuvantur. Sunt tarnen prae­ cipue quinque observanda, scilicet imago circuli non stellati, quia circulus signorum non stellatus est primus habens mo turn figurae et vitae . Secundo iuvatur ex imaginibus stellatis, quae etiam observare oportet debite . Tertio autem ex situ planetarum in signis confortantibus signa. Quarto autem ex quantitate elevationis et elongationis secundum longitudinem et latitudi­ nem a linea aequinoctiali et ascendente . Et quinto ex respectu omnium ho­ rum ad latitudinem climatis ; hoc enim multum est observandum, quia ex hoc et quarto variatur tota qualitas angulorum quos describunt radii super figuram rei generatae vel factae per artern, et secundum quantitatem illam angulorum infunduntur rebus virtutes caelestes . Hoc enim pauci obser­ vant, et pauciores observare sciunt, et dum sine scientia nituntur ad opus ar­ tis imaginum, propter fallaciam suae operationis credunt fallere scientiam , et contemptibilem reddunt eandem. Sie igitur ad caelestes imagines sculpi gemmae et hac de causa praecipiun­ tur.

e) Sed non lateat nos, quod sicut virtutes naturales perdurant in quodam tempore, et non ultra, ita est etiam de virtutibus imaginum ; non enim influi­ tur aliqua virtus de caelo nisi in quodam tempore periodi, sicut diximus in fine Perigeneseos, et postea cassa et inutilis remanet imago facta et mortua. Et haec est causa, quare quaedam imagines non operantur hoc tempore, quod fecerunt in tempore antiquo . Hinc est, quod in astronomia distingu­ untur diversi anni imaginum caeli et planetarum et earundem stellarum . Dicuntur etiam anni maiores et medii et minores, in quibus explicant sua causata fortiora vel minus fortia vel media. Mineralia l . 2 tr. 3 c . 3 (Ed. Par. t. 5 p . 5 1 sq . ) ; Erlangen, Univ. eod . 206 f. 1 33raJb.

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die Kraft eines Gestirns gebildet sind und dessen Schein widerspiegeln) und metallische Bilder den Planeten nachzubilden, haben die ersten Lehrer und Erklärer der Naturwissenschaft angeordnet, daß die Bearbeitung zu den richtigen Gezeiten (an den ausgezeichneten Tagen) geschehe, wenn die Macht des Himmels, mit anderen günstigen sphärischen Kräften gekop­ pelt, sich am einflußreichsten erweist. Mit solchen (magischen) Bildern haben sie Erstaunliches fertiggebracht. d) Für die Nachbilder des Himmels sind viele Umstände förderlich. Vor allem jedoch sind fünf Faktoren im Auge zu behalten : Erstens das Bild der nicht mit Sternen besetzten Sphäre ; von ihr kommt nämlich letztlich die Bewegung zur Gestirnung und zum Leben. Zweitens die aus den Sternen entstehenden Bilder, die ebenfalls gebührend zu beachten sind. Drittens die Stellung der (den anderen Sternen die Wirkkraft mitteilenden) Planeten in den Zeichen (des Tierkreises), die auf andere Zeichen günstig einwirken. Viertens das Maß der Erhöhung und Entfernung - je nach Länge und Breite - von der Tagundnachtgleiche und dem am Osthorizont aufstei­ genden Grad eines Tierkreiszeichens (ascendens). Fünftens die Beziehung aller dieser Faktoren zu der Breite des Klimas (des Beobachtungsortes ). Das ist ganz besonders in Rechnung zu stellen ; denn nach diesem fünften Punkt - wie auch nach dem vierten - verändern sich j eweils die Winkel, in denen die Strahlen auf das Bild des natürlichen oder künstlichen Erzeugnisses treffen; nach der Größe dieser Winkel bemißt sich die den irdischen Dingen mitgeteilte Kraft des Weltalls. Um diesen Punkt kümmern sich freilich nur wenige Bildschneider, und noch weniger wissen überhaupt, wie diese Be­ rechnung anzustellen ist. Befassen sie sich dann ohne diese Kenntnis mit der Ausführung künstlicher Bilder und die Arbeit bleibt ohne Wirkung, dann halten sie ihr eigenes Versagen für ein Versagen der Wissenschaft und bringen diese in Mißkredit. Das also sind die Bestimmungen - samt ihren Gründen - für das Einschneiden von Bildern in Edelsteine gemäß ihren Ebenbildern am Himmel. e) Nicht zu vergessen ist aber die s : Wie die Naturkräfte nur eine be­ stimmte, festbegrenzte Wirkungsdauer haben, so ist auch die Wirksamkeit der Bilder beschränkt. Die Kraft aus dem Weltall strömt ihnen nur in einem befristeten Zeitabschnitt zu; das haben wir am Schluß des Werkes » über das Entstehen und Vergehen" bereits entwickelt ; nach dieser Periode bleibt das abgestorbene Bild wirkungslos und wertlos . Das ist der Grund, warum gewisse Bilder heutzutage nicht mehr den Erfolg bringen, den sie in vergan­ genen Zeiten hatten. Infolgedessen werden in der Astrologie (astronomia) Jahre von verschiedener Bedeutung unterschieden, je nach den Bildern des Himmels, der Planeten und ihrer Sterne, und dementsprechend werden sie

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1 52 . Videtur enim, quod inferiora possunt cognosci in superioribus cor­ poribus . . . Solutio . Dicendum, quod inferiora non possunt cognosci in superioribus corporibus certitudinaliter, sed tantum coniecturaliter; et huius duas causas assignat Ptolemaeus, et tertiam Aristoteles. Prima est, quia certitudo effectus caeli non haberi potest nisi per experi­ mentum pluries acceptum unius effectus ab eadem dispositione stellarum secundum eandem imaginem . Hoc autem non convenit accipere, quia quamvis una stella redeat ad punctum idem, non tarnen similiter red eu nt omnes stellae ita, ut efficiatur eadem imago omnino quae fuit, sed redit aliquid simile illi, eo quod plures illarum stellarum redeunt ad situm prio­ rem, licet in aliquibus deficiat ; et ideo non erit idem effectus, sed diversus, qui certitudinaliter determinari non potest, sed per coniecturam sec undum similitudinem prioris effectus . Secunda causa est, quia caelum non influit tantum per stellas, sed etiam per spatium. Et quamvis omnes stellae redirent ad eandem imaginem, ta­ rnen non posset cum hoc computari, ut redirent in eodem spatio per tempus trium mundorum (motuum ?), et propter hoc etiam non habent eundem effectum . Tertia causa est inaequalitas materiae propter dispositionem contrariam inventarn vel inductam in suscipientibus actionem caeli; unde non necessa­ rio sequitur effectus. Et propter hoc etiam dicit Avicenna, quod prima pars astrologiae quae est de dispositione superiorum corporum, est demonstrativa, quia illa sem per eodem modo sunt ; sed altera pars quae est de dispositione inferiorum per superiora, est coniecturalis. Super Dionysium De divinis nominibus (Ed. Co!. t. 3 7, 1 p . 1 55 , 3 - 49).

1 53 . Dicendum, quod duae partes sunt astronomiae, sicut dicit Ptolemae­ us : Una est de sitibus superiorum et quantitatibus eorum et passionibus

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eingeteilt in große, mittlere und kleine, j e nachdem sie einen stärkeren, einen mittelstarken oder einen geringen Einfluß auf die Dinge entfalten. 1 5 2 . Es sieht so aus, als seien die unteren (irdischen) Vorgänge an den höheren Körpern des Weltalls abzulesen . . . Hauptantwort : Meine Auffassung ist, daß das irdische Geschehen an den Himmelskörpern nicht mit Sicherheit zu erkennen ist, höchstens mutmaß­ lich. Dafür gibt Ptolemäus zwei Gründe an, Aristoteles auch noch einen dritten. Erstens : Gewißheit für eine Wirkung der Himmelsgestaltung im Irdi­ schen ist nur durch wiederholte Beobachtung zu erreichen, deren Inhalt darin besteht, daß bei gleicher Anordnung der Sterne zum gleichen Bild ein und dieselbe Wirkung hervortritt. Ein solches Experiment kann aber nicht gelingen, weil wohl ein einzelner Stern zu demselben Punkt zurückkehrt, nicht j edoch alle, wie es erforderlich wäre, wenn genau das gleiche Bild wie früher entstehen soll. Es kommt nur zu einer ähnlichen Gestirnung, weil zwar mehrere Sterne in ihre frühere Stellung zurückkehren, j edoch nicht alle. Darum kommt nicht die gleiche Wirkung zustande, sondern eine da­ von verschiedene . Dabei ist also nichts mit Sicherheit auszumachen. Es reicht vielmehr nur zu einer Vermutung, die auf einer Ähnlichkeit mit der früheren Wirkung beruht. Zweitens : Ein Einfluß des Weltalls geschieht nicht durch die Sterne al­ lein, sondern auch durch den Faktor Raum. Würden auch alle Sterne wie­ derkehren und das gleiche Sternbild formen, ließe sich im Zusammenhang damit gleichwohl nicht errechnen, daß sie im gleichen Raumpunkt in der Zeit der drei Bewegungen (Ost-West, West-Ost, Näherung-Entfernung) zurückkämen. Drittens : Ein weiterer Grund ist das ungleiche Material (das mehr oder weniger aufnahmefähig ist) . Denn in den die Himmelstätigkeit aufnehmen­ den Wirklichkeiten kann eine gegenwirkende Verfaßtheit vorhanden sein oder eingeführt werden. Deshalb erfolgt die Wirkung (der Himmelstätig­ keit) nicht mit Notwendigkeit. Daraufhin betont Avicenna, der erste Teil der Astrologie ( ! ) sei wegen der unveränderlichen Ordnung der Körper im Weltall eine streng bewei­ sende Wissenschaft (Astronomie), wogegen der zweite Teil, der sich mit der Steuerung der Geschehnisse in den niederen Sphären durch die Ster­ nenwelt befaßt, lediglich mit Vermutungen (aus der Stellung und Bewe­ gung der Sterne) arbeite (Astrologie) . 1 53 . Nach Claudius Ptolemäus gliedert sich die Astronomie i n zwei Tei­ le. Den Forschungsgegenstand der ersten Teilwissenschaft bilden die Stel-

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Naturforschung

propriis ; et ad hanc per demonstrationem pervenitur. Alia est de effectibus astrorum in inferioribus, qui in rebus mutabilibus mutabiliter recipiuntur; et ideo ad hanc non pervenitur nisi per coniecturam, et oportet astronomum in ista parte secundum aliquid Physicum esse et ex signis physicis coniectu­ ran. Coniecturatio autem, cum sit ex signis mutabilibus, gene rat habitum mi­ noris certitudinis, quam sit scientia vel opinio . Cum enim huiusmodi signa sint communia et mutabilia, non potest haberi ex ipsis via syllogistica, eo quod nec in omnibus nec in pluribus includunt significatum, sed quantum est de se, sunt iudicia quaedam multis de causis mutabilia, sicut patet per an­ tedicta. Et ideo saepe astronomus dicit verum, et tarnen non evenit, quod dicit, quia dictum suum fuit quoad dispositionem caelestium verissimum, sed haec dispositio a mutabilitate inferiorum exclusa est. Ad primum dicendum, quod quidem multa et quoad nos infinita consi­ deranda essent, sed considerantur paucissima, quibus oboediunt alia, et ex illis pronosticabilis habetur coniecturatio. Propter hoc dicit Ptolemaeus, quod elector non nisi probabiliter et com­ muniter iudicare debet, hoc est per causas superiores communes, quas pro­ priae rerum causae frequentissime excludunt. Tractatus de fato (Ed. Co!. t. 17 p . 73 , 3 6 - 64).

1 54 . Mathematicus autem duplex est. Mathesis enim idem est quod scien­ tia de separatis et abstractis, quae, licet secundum esse suum naturale sint in rebus motui subiectis, tarnen diffinitione abstracta considerantur, sicut est tota q uadruvii seien tia . . . Aliter dicitur mathesis, producta media syllaba, idem quod divinatio per

Astrologie

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lung, die Größe und die Beschaffenheit der Körper im Weltall ; hier wird exakte Wissenschaft betrieben. Dem zweiten Teil der Astronomie kommt es auf die Einwirkung der Sternbilder auf das irdische Geschehen an (Astro­ logie) . Dieser Einfluß der Gestirnung wird nun aber von wandelbaren Din­ gen in Wandelbarkeit entgegengenommen. Deshalb kann das Ergebnis der Deutungskunst nicht mehr als eine Mutmaßung sein. Des weiteren muß der astrologische Praktiker sich irgendwie in der Naturkunde auskennen und auch die Naturerscheinungen in seinen Erklärungsversuch einbeziehen können. Die Vermutung stützt sich auf leicht veränderliche Vorbedeutungen und schafft einen Zustand, der an Gewißheit hinter dem eigentlichen Wissen und der (zwischen Wahr und Falsch schwankenden) Meinung zurück­ bleibt. Da solche Zeichen Allgemeinplätze und ohne Schwierigkeit abzu­ wandeln sind, läßt sich aus ihnen keine (sichere) Erkenntnis gewinnen, wie sie durch beweisendes Folgern zustande kommt; sie bergen nicht in allen Fällen, nicht einmal in den meisten, die ihnen (von der Astrologie) zugrunde gelegte Idee in sich. Wie oben bereits dargelegt, kann sich die Vermutung an sich nur in solchen Sätzen aussprechen, die auf viele Gründe hin für eine Abänderung anfällig sind. So kommt es denn vor, daß der Astro­ loge Richtiges aus den Sternen herausliest, das aber dann doch nicht eintritt, weil seine Aussage über die Stellung des Sternbildes zwar stimmt, die Aus­ wirkung dieser Stellung aber durch verändernde Umstände im Bezirk des Irdischen ausgeschlossen ist. An dem ersten Einwand ist richtig, daß die Sterndeutung eine umfang­ reiche Kenntnis erfordert und sogar eine - von uns aus gesehen - Beach­ tung unendlich vieler Faktoren . Aber es werden tatsächlich nur sehr wenige Beobachtungen angestellt, mit denen allerdings manches andere zusam­ menhängt, und daraus wird dann eine die Zukunft deutende Vermutung angeboten. Darum empfiehlt Ptolemäus, der Sterndeuter solle seine Aussagen auf das Allgemeine beschränken und sie immer nur als wahrscheinlich hinstel­ len, weil er eben sein Urteil den höheren Ursachen (des irdischen Vorgangs) entnimmt, die ins Allgemeine wirken, aber wegen (der anders gerichteten Verfaßtheit) der unmittelbaren Ursachen in den meisten Fällen nicht zum Tragen kommen. 1 54 . Für den Mathematiker gibt es zwei Sachgebiete . Mathematik (ma­ thesis) deckt sich nämlich mit der Wissenschaft von den aus dem . Sinnfäl­ lig-Gegenständlichen herausgelösten Größen; in der Einzelverwirklichung in der Naturwirklichkeit finden sie sich freilich nur an den Dingen, die dem Wechsel (des Entstehens und Vergehens) unterliegen ; die Mathematik un-

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Naturforschung

cursus siderum. Et haec aliquando est bona, et aliquando mala; sicut et ipsi dicunt qui scientiam noverunt. Si quis enim pronosticatur per stellas de his quae non subiacent nisi ordini causarum naturalium, et sua pronosticatio est de eis secundum quod ordini illi subiacent, et non extendit se ad illa eadem ni si eatenus quo inclinat ad ea primus ordo naturae qui est in situ stellarum et circulo, non male facit ; sed potius utiliter a multis cavet nocumentis, et promovet utilitates. Qui autem non consideratis omnibus praenuntiat de his quae futura sunt, aliter quam dictum est, trufator est et trutannus et abiciendus. Super Matth. 2 , 1 (Ed. Par. t. 20 p . 6 1 sq . ) (Editionsmanuskript) .

Astrologie

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tersucht sie aber nur in der Entkleidung vom Physisch-Materiellen. Das ist der Aufgabenbereich des Quadrivium (der mathematischen Gruppe der sieben Freien, d. h. gehobenen Künste ; für Albert : Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie samt der mathematisch-optischen "Perspectiva" ) . Eine davon verschiedene Bedeutung hat "Mathematik" , wenn i n dem Wort "mathesis" die mittlere Silbe lang ist und den Ton hat (mathesis) ; dann steht "Mathematik" für die Erforschung der Zukunft aus dem Lauf der Gestirne, und so kann sie mal gut, mal verwerflich sein, wie die Anhän­ ger dieser Zunft selber zugeben. Die Voraussage kann sich ja auf solche Sachen beziehen, die einzig der Naturgesetzlichkeit unterstehen und gerade sofern sie an diese Ursachen­ ordnung gebunden sind ; wenn die Voraussage sich dabei nun auf den Punkt beschränkt, wieweit in der ersten Ordnung, die in der Stellung der Sterne und in der (nicht mit Sternen besetzten) Sphäre besteht (und die Bewegung zur Gestirnung und zum Leben in der Natur auslöst), eine Neigung zu den gesuchten Sachen (z. B . Wetter) vorliegt, dann ist sie nicht schlecht, son­ dern nutzbringend, und sie bewahrt vor vielem Schaden und leistet gute Dienste . Wenn aber j emand Vorhersagen macht, ohne sämtliche Umstände und Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, und dann über Zukünftiges ora­ kelt, das nicht unter die Naturgesetzlichkeit fällt (sondern vom freien Wil­ len des Menschen oder von der freien Anordnung Gottes ausgeht), der ist ein Schwindler und ein Scharlatan, der abgelehnt werden muß .

III

1 55 .27 Nihil ergo cadit in ratione mathematicorum de materia sensibili, sed potius de materia intelligibili, quae est quantitas imaginabilis . Et ideo ab­ strahens ab omni materia sensibili diffinitur, quando dicit Euclides, quod circulus est figura plana, una linea contenta, in cuius medio est punctum quod vocatur centrum, a quo omnes lineae ad circumferentiam productae sunt aequales. Figura enim, quae quantitas terminata est, et materia circuli, et subiectum abstrahit ab omni particulari circulo et in materia sensibili descripto ; sed tarnen esse circuli extra materiam sensibilem non invenitur. Si enim consi­ deremus circulos qui in corporibus naturalibus sphaericis describuntur, sicut in caelo et in elementis, nullius eorum esse invenimus extra corpus sen­ sibile . Similiter autem et artificiales circuli, sicut cupreus vel aureus, non habent esse extra materiam sensibilem . Tarnen, si ratio circuli quaeratur, non dabitur ex materia sensibili, quae sit caelum vel ignis vel aurum, sed po­ tius ponetur abstrahens ab omnibus his, cum dicitur : Circulus est figura plana, una linea contenta ; propter quod, quia ratio figurae una est in caelo et in terra et aliis sensibilibus corporibus, circulus est unius rationis in omni­ bus eis . Omni autem eodem modo est in omnibus mathematicis. Physica I. 1 tr. 1 c. 1 (Ed. Par. t. 3 p. 2b); Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 (s. 14) f. 1 raJb ; München, StaatsbibI. Clm 2 8 1 86 (s. 1 3 ) f. 1 raJb .

1 56 . Ex his autem quae in quadruvio bene probata sunt, scitur omnes scientias doctrinales medium suae demonstrationis accipere rationem diffi­ nitivam formae, quae, licet esse habeat in physicis, et extra physica non in­ veniatur, tarnen rationem diffinitivam non habet conceptam cum materia

III. MATHEMATIK 1.

Methode der Mathematik

1 5 5 . In den mathematischen Begriff geht nichts Sinnfälliges als solches ein. Sein Inhalt ist vielmehr verstandesmäßiger Art, eine imaginäre Größe . Er wird bestimmt durch die Herauslösung aus dem Sinnfällig-Gegenständ­ lichen. So bei Euklid, wo er den Kreis beschreibt: Der Kreis ist eine ebene, von einer einzigen Linie umfaßte Figur, in deren Mitte ein Punkt ist, genannt Mittelpunkt, und alle Strecken, die vom Mittelpunkt aus zum Umfang hin gezogen werden, sind gleich. Die Figur des Kreises als eine festumschriebene Größe sowie das, woraus er besteht und was der Träger seiner Eigenschaften ist, sieht von jeder Ein­ zelverwirklichung im Bereich des Sinnfälligen ab, obwohl es einen wirklich das ei enden Kreis außerhalb des Sinnlich-Wahrnehmbaren nicht gibt. Be­ trachtet man nämlich die von naturwirklichen Körpern mit Kugelgestalt beschriebenen Kreise, z. B. am Himmel (in den Sphären, in den Gestirnen und den Gestirnbahnen) oder an den Grundstoffen ("in elementis"), so ist dort kein Kreis unabhängig vom Sinnfälligen zu entdecken. Ebensowenig bei den künstlich, aus Kupfer oder Gold hergestellten Ringen; dinghaft vorhanden sind sie nur in dem Material, aus dem sie gemacht sind. Dennoch bleibt bestehen: Wenn gefragt wird, was ein Kreis ist, dann wird die Be­ griffsbestimmung nicht vom Stofflichen her gewonnen, mag es das Firma­ ment oder Feuer oder Gold sein ; sie kommt vielmehr dadurch zustande, daß man den Kreis von allem Sinnfälligen entkleidet, wie in der Euklid­ sehen Beschreibung : Der Kreis ist eine ebene, von einer einzigen Linie um­ schlossene Figur. Weil also die Figur am Himmel und an der Erde und an allen anderen Körpern gleich ist, ist auch der Begriff des Kreises überall der gleiche. Das gilt ebenso für alle mathematischen Begriffe .

2.

Exakte Wissenschaft

1 56 . Im Quadruvium ( mathematische Gruppe der sieben Freien Kün­ ste) ist hinreichend bewiesen und steht daher fest, daß alle theoretischen (zwischen der "Naturwissenschaft" und der Metaphysik stehenden) Wis­ senschaften, d. h. die mathematischen, den Mittelbegriff ihres Beweisgan=

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Mathematik

physica, neque secundum principia essentialia dependet ad physicam mate­ riam, sed extra eam accipit principia essentiae . Et ideo in omni varietate physicorum inventa manet univoca, sicut circulus et quadratum, et par et impar, et omnis proportio numeri et continui, et diapente et diatessaron in musicis, et coniunctio et praeventio et omnis stellarum respectus, et quae­ cumque alia sunt huiusmodi. Et sicut ista stantes habent formas, secundum principia essentialia motum et mutation em evadentes, ita stantem de se ge­ nerant speculationem nihil opinionis habentern, sed potius scientiam neces­ sariam de se praebentes . Et ideo tales habitus per speculativum intellectum adepti scientiae verae nomen acceperunt, et doctrinales et disciplinales vo­ cantur ideo, quia ex principiis non mutantibus, quae discipulus non a magi­ stro accipit nisi per terminorum notitiam, docentur, experientia non indi­ gentes, ut dicit Aristoteles in Ethicorum libro IV, sed simplici demonstra­ tione doctoris constant in intellectu discipuli. Propter quod etiam iuvenes inexperti plerumque magis excellunt in ipsis, quod nullo modo possibile fuit in physicis speculationibus, in quibus experientia multo plus confert quam doctrina per demonstrationern . Metaph . (Ed. Co!. t. 1 6 p. 1 , 2 7-56).

1 5 7 . Ad hoc autem intelligendum propter doctrinae bonitatem oportet de Geometriae V libro aliquid interponere . Sciendum igitur, quod ex omnibus tribus quantitatibus, quae sunt conti­ nuae proportionis, fit necessario tetragonismus et quadrangulum altera parte longius, neque possunt hae duae figurae fieri ex pluribus quantitatibus neque ex paucioribus . Sicut enim accipitur ex II Euclidis, quadratum aequilaterum et aequian-

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Zwingender Beweis

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g e s i m Begriff d e r Wesens beschaffenheit (forma) haben. Diese bestim­ mende Beschaffenheit ist zwar nur in der Naturwirklichkeit (mit dem be­ stimmbaren und bestimmungsbedürftigen Untergrund : »materia prima" des Aristoteles) vorhanden, nicht außerhalb des Wirklichkeitsbereiches. Dennoch ist in den ihr Wesen aussagenden Begriff das Physisch-Materielle nicht einbezogen ; auch hängt sie in ihrem wesentlichen Entstehungsgrund nicht von diesem ab, bekommt ihn vielmehr unabhängig von der stofflichen Wirklichkeit. Deshalb hat sie auch überall eine gleichsinnige Gültigkeit, wo immer sie in der Mannigfalt der Natur vorkommt. Das gilt für den Kreis und das Viereck, für die gerade und die ungerade Zahl, für jedes Verhältnis der Zahl und des zusammenhängenden (Körpers) , für die Quint und die Quart in der Musik, für die Nähe und die Entfernung und die Stellung der Gestirne zueinander sowie für alle Vorgänge und Gegebenheiten dieser Art. Die mathematischen Begriffe enthalten gleichbleibende (ihrer dinghaf­ ten Verwirklichung vorgegebene) Bestimmtheiten, und ihre daraus gezo­ genen Grundsätze unterliegen nicht der Veränderung durch einen Bewe­ gungsablauf. Darum baut sich auf ihnen eine ebenso feststehende For­ schung auf, die keineswegs auf Meinungen beruht, vielmehr ein zwingend bewiesenes Wissen ergibt. Solche vom forschenden Verstand erworbenen Fertigkeiten haben denn auch den Namen einer exakten Wissenschaft be­ kommen, und sie heißen »doctrinales" und » disciplinales" , weil sie aus un­ veränderlichen Sätzen hervorgehen, die für den Schüler (discipulus) einfach von der Kenntnis der durch den Lehrer (doctor) vorgelegten Begriffe aus einzusehen sind . Da hinzu kommt, daß sie keine Erfahrung voraussetzen, wie Aristoteles im 6. ( !) Buch der Nikomachischen Ethik sagt, sondern so­ bald der Lehrer sie schlicht bewiesen hat, sich dem Verstand des Schülers fest einprägen. Deshalb bringen es junge Menschen ohne viel Erfahrung in den mathematischen Wissenschaften vielfach außerordentlich weit, was in der Naturforschung nicht möglich ist, weil da die Erfahrung durch Beob­ achtung viel mehr leistet als Wissensvermittlung durch logisches Ableiten.

3. Zwingender Beweis 1 5 7. Hier ist ein Einschub aus dem 5 . Buch der (Euklidschen) Geometrie am Platz . Das ist förderlich für das Verständnis und wirft Licht auf die Darlegung (über die Begriffsbestimmung der Seele) . Man muß nämlich wissen, daß aus drei Größen, die in einer zusammen­ hängenden Proportion stehen, notwendigerweise eine Quadratur und ein ungleichseitiges Viereck entsteht, und diese beiden Figuren können nicht aus mehr oder weniger Größen gebildet werden.

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Mathematik

gulum sub una linea dicitur contineri, quoniam fit ex una et eadem linea in se ducta, et aequale in quantitatibus causatur ab unitate quantitatis. Manife­ stum autem est, quod dicitur in numeri s : si enim quemcumque numerum in seipsum duxero, quadratum perficio, sicut bis duo vel quater quattuor et sic deinceps. Quadratum igitur ex unica provenit quantitate. Quadrangulum autem altera parte longius sub duabus necessario lineis et non pluribus con­ tinetur; habet enim haec figura duo opposita latera aequalia et duo quaelibet quae sibi invicem in angulo applicantur, habet inaequalia. Sunt ergo ibi duae aequalitates diversae et duae inaequalitates . Sicut igitur una p e r totum aequalitas a b una surgit quantitate, ita necesse est, quod duae aequalitates duabus interceptae inaequalitatibus a duabus surgant quantitatibus, et sic necesse est ipsum sub duabus lineis contineri. Hoc autem est manifestum in linearibus numeris; binarius enim et ternarius duae sunt inaequales quantitates, et si duxero unum in alium, perficiam quadrangulum altera parte longius, ut si dicam bis tria vel ter duo ; longius enim est, quam sit latum, bis tria, et latius, quam sit longum, ter duo . Igitur probatum est quadratum et altera parte longius quadrangulum ex tribus quantitatibus fieri et neque ex pluribus neque ex paucioribus . Quotiescumque autem inveniuntur tres quantitates continuae propor­ tionis, tunc ex illis fiunt quadratum et altera parte longius aequalia omnino . Continuam autem voco proportionern, quando in una et eadem propor­ tione in qua prima se habet ad mediam, media habet se ad tertiam. Et hoc in numeris est manifestum . Accipiantur enim 1 2 , 6, 3 ; in his enim primus est duplus ad medium, et medius duplus ad tertium. Ducamus autem medium in seipsum faciendo tetragonismum, dicendo sexties sex, et fiunt triginta sex; et ducamus prim um in tertium faciendo altera parte longius quadran­ gulum, dicendo duodecies tria vel ter duodecim, et fiunt similiter triginta sex. Aequale igitur est quadratum mediae proportionis ad altera parte lon­ gius quadrangulum extremarum proportionum . Idem omnino evenit, si ac­ cepero in alia proportione continua tres quantitates, sicut si velim accipere sesquialteras, sicut 9, 6, 4; primus enim continet secundum totum et alte­ ram eius partern, et similiter medius continet tertium et alteram partem eiusdem, igitur continua sesquialtera est in eisdem proportio . Constituamus igitur quadratum ducendo medium in seipsum, dicendo sexties sex, et fiunt triginta sex, ut prius ; et si ducamus extremos in se invi­ cem ita, quod unum in alium, dicendo nonies quattuor vel quater novem, perficiemus tantumdem, hoc est triginta sex. Idem est omnino in sesquiter­ tiis, sicut si accipiamus 1 6 , 1 2 , 9 ; omnes enim isti in continua sunt sesquiter­ tia proportione, et per omnia fiat ut prius . Summa enim proveniens ex duo­ decies duodecim est centum quadraginta quattuor, et tantundem valet summa proveniens ex nonies sedecim vel e converso ex sedecies novem .

Zwingender Beweis

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Dem 2. Buch Euklids ist zu entnehmen, daß ein gleichseitiges und gleichwinkliges Viereck von einer einzigen Linie umfaßt wird, da es aus ein und derselben Linie, wenn sie mit sich vervielfacht wird, entsteht, und ein Gleiches in den Größen hat seine Ursache in der Einheit der Größe. Das läßt sich an Zahlen veranschaulichen : Vervielfache ich eine beliebige Zahl mit sich selber, dann bekomme ich das Quadrat, wie 2 mal 2 oder 4 mal 4 und so weiter. Das Quadrat kommt also aus einer einzigen Größe. Dagegen wird das ungleichseitige Viereck notwendigerweise und nur von zwei Linien umfaßt; diese Figur hat nämlich zwei einander gegenüberliegende gleiche Seiten ; zwei andere, die sich mit ihnen im Winkel berühren, sind ungleich. Hier liegen somit zwei verschiedene Gleichheiten und zwei Ungleichheiten vor. Wie nun eine vollständige Gleichheit von einer einzigen Größe kommt, so müssen zwei Gleichheiten, die durch zwei Ungleichheiten unterbrochen sind, von zwei Größen kommen, und demnach muß die Figur von zwei Li­ nien umfaßt werden. Das ist deutlich zu sehen bei zwei, eine Reihe bilden­ den Zahlen. Ein Zweier und ein Dreier sind zwei ungleiche Größen ; ver­ vielfache ich nun die eine mit der anderen, dann erhalte ich ein ungleichsei­ tiges Viereck, z. B. 2 mal 3 oder 3 mal 2 ; 2 mal 3 ist länger als breit ; 3 mal 2 ist breiter als lang. Damit ist bewiesen, daß ein Quadrat und ein ungleichseiti­ ges Viereck aus drei Größen - nicht mehr und nicht weniger - entstehen . Sooft aber drei Größen gegeben sind, die in einer zusammenhängenden Proportion stehen, lassen sich daraus ein Quadrat und ein ungleichseitiges Viereck machen, die einander gleich sind. " Zusammenhängend" nenne ich hier j ene Proportion, wo die erste Größe zur mittleren und die mittlere zur dritten im Verhältnis steht. An Zahlen ist das deutlich zu machen. Nehmen wir 1 2 , 6, 3 ; die erste ist das Doppelte der mittleren Zahl, die mittlere das Doppelte der dritten Zahl. Viervielfachen wir die mittlere Zahl mit sich selbst und bilden das Quadrat, also 6 mal 6, dann kommt 36 heraus. Ver­ vielfachen wir die erste mit der dritten Zahl und bilden ein ungleichseitiges Viereck, wie 12 mal 3 oder 3 mal 1 2 , dann bekommen wir ebenfalls 36. Das Quadrat der mittleren Größe ist also gleich dem ungleichseitigen Viereck aus der Vervielfältigung der beiden äußeren Größen miteinander. Genau das Gleiche ergibt sich, wenn ich in einer anderen zusammenhängenden Proportion drei Größen nehme, z. B. beim Anderthalb (Verhältnis 2 : 3), wie z . B . 9 , 6 , 4 ; die erste Zahl enthält die zweite ganz und noch die Hälfte davon ; ebenfalls enthält die mittlere Zahl die dritte ganz samt deren Hälfte . Da ist also das zusammenhängende Anderthalb die Proportion. Machen wir also j etzt das Quadrat, indem wir die mittlere Zahl mit sich selbst mal­ nehmen : 6 mal 6, das ergibt 3 6 . Vervielfachen wir die bei den äußeren Zah­ len eine mit der anderen : 9 mal 4 oder 4 mal 9, finden wir das gleiche Ergeb-

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Mathematik

Patet 19ltur, quod diffiniens quadratum, quod est tetragonismus, et dicens, quod est orthogonum aequilaterum quadrilaterum aequale altera parte longiori quadrangulo, non dicet nisi " quid" ; dicens autem, quod est in continuae proportionis tribus quantitatibus mediae proportionis inventio, dicit, "propter quid" tetragon ismus est aequale alte ra parte longiori quadra­ to . Et prima quidem diffinitio, cum non dicat ni si " quia" inest passio sub­ iecto, est conclusio demonstrationis, quia ad hoc inducitur demonstratio, ut passio probetur inesse subiecto . Seeunda autem est medium, quod est prineipium demonstrationis, quia per ipsum probatur passio inesse subiec­ to, sicut omnis figura producta a media proportione continua in se ducta, quae tantum vincit tertiam quantum vincitur a prima, aequalis est ei quae fit ex ductu primae proportionis in tertiam . Tetragonismus est figura surgens a media continua proportione ducta in seipsam, quae tantum vincit tertiam quantum vincitur a prima; ergo est aequalis quadrangulo alte ra parte lon­ giori, quod fit ex ductu primae in tertiam ; et sie patet, quod mediae conti­ nuae proportionis inventio dicit causam aequalitatis quadrati ad altera parte longius quadrangulum . Sie igitur est etiam in diffinitionibus aliarum rerum . Oportet enim, quod id quod communiter rei attribuitur, sicut animae attribuitur quod sit aetus eorporis physici, per causam propriam inesse probetur, et hoc non potest fieri nisi tali diffinitione animae inventa, quae dicit causam quare anima sit actus corporis. Hoc autem erit, si acceperimus secundum quamli­ bet partem animae, quod ipsa est principium et causa huius vitae quae exer­ cetur in corpore physico ; tune enim habebitur propositum . Cum enim ha­ buerimus, quod quidquid essentialiter est principium et causa huius vitae quae exercetur in corpore physico organico, est actus physici corporis or­ ganici, et coniunxerimus istam , quod anima essentialiter est principium et causa huius vitae quae exercetur in corpore physieo organico : concludemus demonstrative, quod anima est actus primus physici organici corporis. Et sie concludemus superius inductam diffinitionem per eam quae dieit cau­ sam eius, sicut diximus in exemplo geometrico iam inducto . De anima (Ed. Co!. t. 7, 1 p. 71 , 5 8-p . 72 , 74) .

Zwingender Beweis

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nis : 3 6 . Genauso geht es beim Andertdrittel (Verhältnis 3 : 4), wie 1 6 , 1 2 , 9 ; die drei Zahlen haben die Proportion i m Andertdrittel, und man mache es genauso wie eben ; die Summe aus 12 mal 12 ist 1 44 , und die Summe aus 9 mal 1 6 oder 1 6 mal 9 ist genauso groß . Es ist also klar : Wer bei der Begriffsbestimmung der Quadratur nur an­ gibt, sie sei ein gleichseitiges und gleichwinkliges Rechteck in Flächen­ gleichheit mit einem ungleichseitigen Viereck, der stellt nur das " Was" (den Tatbestand) fest. Wer j edoch sagt : die Quadratur ist " die Auffindung der mittleren Proportionale" (Aristoteles) bei drei Größen einer zusammen­ hängenden Proportion, der gibt auch das " Warum" (den Grund des Tatbe­ standes) dafür an, daß das Quadrat einem ungleichseitigen Viereck gleich ist. Die zuerst gegebene Begriffsbestimmung, die nur ausspricht, daß eine bestimmte Eigenschaft zu einem Träger gehört, ist erst die Schlußfolgerung (nicht der tragende Mittelbegriff) des Beweises; denn die Beweisführung hat als Ergebnis den Nachweis, daß der Begriff der Inhaber dieser Eigen­ schaft ist. Die zweite Begriffsbestimmung ist selber der Mittelbegriff, von dem die Beweiskraft ausgeht; gerade durch ihn wird nämlich der Beweis er­ bracht, daß eine Eigenschaft derart in ihrem Träger begründet ist, wie jede Figur - die aus der mittleren Größe der zusammenhängenden Proportion entsteht, wenn sie mit sich selbst vervielfacht wird und diese Selbstverviel­ fältigung die Vervielfältigung der dritten Größe soviel übertrifft, wie sie von der Vervielfältigung der ersten Größe übertroffen wird - gleich ist der Vervielfältigung der ersten mit der dritten Größe. Die Quadratur ist die Figur, die aus der Selbstvervielfachung der mittle­ ren Größe in einer zusammenhängenden Proportion entsteht, wobei sie die Vervielfältigung der dritten Größe ebensoviel übertrifft, wie sie von der Vervielfältigung der ersten Größe übertroffen wird; also hat die Quadratur die gleiche Fläche wie das ungleichseitige Viereck, das sich aus der Verviel­ fältigung der ersten Größe mit der dritten bilden läßt. Somit steht fest, daß die Findung der mittleren Proportionale in einer zusammenhängenden Proportion den Grund bietet, weshalb das Quadrat dem ungleichseitigen Viereck gleich ist. Ein Gleiches gilt nun für die Begriffsbestimmungen anderer Dinge. Was nämlich allgemein einer Sache als Eigentümlichkeit zugesprochen wird, wie z. B. der Seele, daß sie die Lebensform des physischen (auf Leben angeleg­ ten) Körpers ist, das muß mit der eigentlichen Ursache dieses Tatbestandes belegt werden. Das ist j edoch nur dadurch zu erreichen, daß eine solche Be­ griffsbestimmung der Seele gefunden wird, die den Grund angibt, warum die Seele die den Körper belebende Wirklichkeit ist. Dahin gelangt man nur, wenn wir für j eden Teilgehalt der Seele annehmen, daß sie der Ur­ sprungsgrund und die Ursache für das im physischen Körper sich vollzie-

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Mathematik

1 58 . "Figurae autem, quae, quando componuntur aliae cum aliis, implent locum suum totum, paucae sunt. Ex figuris quidem superficialibus sunt tres tantum : figura trianguli, et figura circularis, et figura quadrati. Ex figuris vero essentialibus sunt duae tantum" (AristoteIes), quia corpus constitui­ tur, ut diximus, ex tribus diametris se intersecantibus ad angulos rectos, et istae interseeationes necessario faciunt oeto reetos, quia diameter secans in profundum eum qualibet medietate duarum diametrorum se secundum longum et latum secantium facit angulum unum reetum , et cum quattuor anguli recti constituantur in superficie ex duabus diametris se secantibus, oportet provenire octo angulos rectos ex sectione tertiae diametri cum duabus. Non inveniuntur autem in figuris corporalibus, uti diximus, nisi duae, quae impleant spatium hoc octo angulorum, ita quod nec plus nec minus, quae sunt pyramis et cubus . . . Cum enim cubus quemlibet habeat angulum rectum, tune ubicumque aecipietur punetum intersecationis trium diametrorum, si sibi in eo appli­ centur octo cubi per angulos se eontingentes in puneto illo, cubi octo suis angulis reetis se contingentibus implebunt spatium octo eorporalium angu­ lorum, ita quod nee remanet aliquid vacuum nee aliquid restat superfluum. Angulus autem pyramidis, eo quod pyramis contrahitur in conum unius puncti, non est rectus, sed est minor recto , et haee proportio est inventa in geometria, ita quod anguli sex pyramidum eorporales sunt aequales corpo-

Pyramide und Würfel

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hende Leben ist (da das gegenständlich Frühere zugleich auch das Bekann­ tere ist) . Dann haben wir das Gesuchte . Wenn wir nämlich herausgefunden haben, daß alles das, was wesentlich Ursprungsgrund und Ursache für das Leben im physischen organischen Körper ist, die Wesensform dieses Kör­ pers ist, und wenn wir dann diesen anderen Satz hinzunehmen, daß der Ur­ sprungsgrund und die Ursache für das Leben des physischen organischen Körpers eben wesentlich die Seele ist, dann tun wir durch einen zwingen­ den Beweis dar, daß die Seele die erste entfaltende Wirklichkeit des physi­ schen organischen Körpers ist. So vervollständigen wir die oben gegebene (allgemeine) Begriffsbestimmung (Seele ist die verwirklichende Vollkom­ menheit des physischen, auf Leben angelegten Körpers) durch die andere, die auch den Grund dafür angibt (die Seele ist der Ursprungsgrund und die Ursache für das Leben des physischen organischen Körpers) . Diesen Unterschied in der Beweisführung haben wir uns an einem Beispiel aus der Geometrie klargemacht.

4. Pyramide und Würfel 1 5 8 . "Es gibt nur wenige Figuren, die, wenn sie in einer Anzahl zusam­ mengelegt werden, ihren Ort vollständig ausfüllen ; bei den Flächenformen sind es nur drei : das Dreieck, das Viereck, das Sechseck; bei den Körper­ formen kommen nur zwei in Frage" (Aristoteles) . Wie bereits dargelegt, wird der Körper gebildet mit drei Durchmessern, die sich im rechten Win­ kel schneiden. An diesen Scheitelpunkten entstehen notwendigerweise acht Rechte ; denn der Höhendurchmesser bildet mit jeder Hälfte der beiden in der Länge und Breite sich schneidenden Durchmesser einen rechten Win­ kel; und da vier rechte Winkel in der Fläche aus den zwei sich schneidenden Durchmessern entstehen, müssen im ganzen acht Rechte herauskommen, wenn sich der dritte Durchmesser mit den beiden anderen schneidet. Wir haben schon gesagt, es gibt nur zwei körperliche Figuren, die (in einer Mehrzahl um einen gemeinsamen Punkt zusammengelegt) den Raum dieser acht Winkel einnehmen. Das ist die Pyramide und der Würfel . . . Der Würfel hat nur rechte Winkel. Wo immer man den Schnittpunkt der drei Durchmesser annimmt, wenn acht Würfel so zusammengelegt werden, daß ihre Ecken sich in einem Punkt berühren, so machen die acht Würfel, die mit ihren Ecken zusammenstoßen, ein geschlossenes Ganzes. Es bleibt nichts unausgefüllt, und es steht nichts über. Die Pyramide geht von der Grundfläche kegelig auf einen Punkt zu. Darum ist ihr Winkel kleiner als ein Rechter. So fand man in der Geometrie die Proportion, daß die Winkel von sechs Pyramiden den Winkeln von vier

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Mathematik

ralibus angulis quattuor cuborum . Igitur anguli duodecim pyramidum aequales sunt angulis octo cuborum ; sed octo cubi angulariter in uno puncto coniuncti implebunt octo angulos rectos corporales. Ergo duode­ cim pyramides in uno puncto coniunctae spatium idem implebunt, ita quod nihil manet vacuum et nihil restat superfluum . De caelo et mundo (Ed. Co!. t. 5 , 1 p. 2 3 8 , 65-p . 239, 1 ) .

1 59 . a ) Amplius, advertendum est, quod totum oppositum eius quod di­ xit Plato, est de his dimensionibus secundum subtilitatem Peripateticorum, quia Plato dicit, quod punctus constituit lineam, et linea superficiem, et su­ perficies constituit corpus. Et ideo punctum dicebat maxime esse substan­ tiam, et lineam post hoc, et deinde superficiem, et minime corpus, sicut in praehabitis saepius dictum est. Est autem totum contrarium, si esse harum dimensionum secundum hoc quod in esse constituitur, consideretur. Superficies enim non habet mensu­ rari in duo nisi secundum quod est terminus corporis, et ni si corpus mensu­ raretur per tres diametros, non mensuraretur superficies secundum duas . Hoc autem sie probatur : Omne illud cuius perfectio est mensurari secun­ dum tres diametros quocumque modo ad rectum angulum dispositos, per­ fectius est secund um rationem mensurati quam id quod mensuratur secun­ dum duos. Quod autem imperfectius est, dependet secundum esse a perfec­ tiori, praecipue quia secundum esse mensuratum non dependet a mensura, sed potius e converso . Mensurat autem omnis mensura secundum id quod est finis, sicut patet in unitate quae est mensura numeri. Cum igitur iam probatum sit, quod quantitas omnis est accidens, et istud sit accidens quod est substantiae terminus et finis, constat, quod causatur a subiecto . Quod igitur proximius est subiecto, est prius. Est autem corpora­ lis terminus proximior subiecto, quod est mensura perfecta. Illa igitur est mensura prima, nec superficies habet mensurari in duas dimensiones nisi in quantum est terminus corporis et non secundum se, nec corpus habet hoc a superficie, sed e converso . Et adhuc linea habet mensurari in unam dimen­ sionem, inquantum est terminus superficiei, et punctus habet esse indivisi­ bilis, inquantum est terminus lineae . Et hoc est totum conversum eius quod dicit Plato .

Ausdehnung

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Würfeln gleich sind. Dann sind die Winkel von zwölf Pyramiden gleich de­ nen von acht Würfeln. Nun aber decken acht Würfel, deren Ecken in einem Punkt zusammenkommen, den ganzen Raum von acht rechten Winkeln. Genau den gleichen Raum füllen also zwölf Pyramiden, die in einem Punkt zusammentreffen, und zwar füllen sie ihn vollständig, ohne daß etwas leer oder übrigbleibt. 5.

Ausdehnung

1 59 . a) Zu beachten ist ferner, daß die Auffassung der Peripatetiker von den Ausdehnungen zu der Ansicht Platons in direktem Gegensatz steht. Pl aton sagt, der Punkt bilde die Linie, die Linie die Fläche, die Fläche den Körper: Nach seiner - schon öfters erwähnten - Meinung ist zuallererst der Punkt ein "Für sich Seiendes" , dann erst die Linie, am wenigsten der Körper. Aber genau das Gegenteil erweist sich als wahr, wenn das Wirklich-Sein dieser Ausdehnungen unter der Rücksicht dessen, was da verwirklicht ist, ins Auge gefaßt wird. Die Fläche läßt sich nämlich nur deshalb in zwei Richtungen messen, weil sie das Ende des Körpers ist, und sie ließe sich nicht nach zwei Durchmessern bemessen, würde der Körper nicht durch drei Durchmesser bestimmt. Beweis : Das Etwas, dessen abgeschlossene Form festgelegt ist durch drei Durchmesser, die zueinander im rechten Winkel stehen, kommt unter der Rücksicht der Ausdehnung vor dem ande­ ren, das nur Länge und Breite hat. Was aber weniger an Ausdehnung hat, hängt von dem Maßreicheren ab, noch besonders deswegen, weil das Ge­ messene nicht von der Meßlatte abhängt, vielmehr - umgekehrt - diese von dem Maßinhalt. Zu jedem Maß gehört nun, daß es Ende ist, wie es schon daraus zu entnehmen ist, daß die Einheit das Maß der Zahl ist. Nun ist bereits bewiesen, daß alle Ausdehnung ein beiwesentliches Sein (accidens) ist und daß ein beiwesentliches Sein für seinen Träger die Grenze und den Abschluß darstellt. D arum steht fest, daß die Ausdehnung ihre Ursache in dem (zusammengesetzten, für sich seienden) Träger hat, dem es anhaftet. Je näher. also etwas dem Träger ist, desto früher ist es in der Rang­ folge . Die Grenze des Körpers aber steht dem tragenden Untergrund nä­ her, und dieser ist das vollkommene Maß . Demnach ist die Ausdehnung des Körpers das erste Maß, und die Fläche hat nur als Grenze des Körpers, nic �t aus sich, zwei Dimensionen, und der Körper hat seine Ausdehnung nicht von der Fläche, sondern umgekehrt ; und die Linie hat eine einzige Dimension nur als Grenze der Fläche, wie der Punkt als das Ende der Linie das Unteilbar-Sein besitzt. Das ist also das Gegenteil von der Aufstellung Platons .

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Mathematik

b) Quod autem quidam dicunt de motu puncti, quod mo tu suo consti­ tuit lineam, et linea motu suo superficiern, quando non movetur ad punc­ turn, sed ad longitudinem totam simul in continuum, et si superficies move­ tur in profundum, constituit corpus : penitus est frivolum, quia punctus non movetur, et similiter nec linea neque superficies neque corpus mathe­ maticum, sicut bene ostensum est in praehabitis. Talia ergo dicta sunt secundum imaginationem solam, et non secundum rei naturam .

c) Est tarnen non praetereundum, quod in omnibus accidentibus est ac­ cipere quid accidentis secundum principia sui generis. Si enim bicubitali magnitudine posita dixerit quis, quod propositum est quantum esse : "quid est" dicit, et secundum hunc modum natura uniuscuiusque rei procedit ex primis finibus essentialibus ipsius et terminis, et necesse est, quod omnis quiditas naturae uniuscuiusque perveniat ad unum indivisibile, ex quo cau­ satur, et illud est primum indivisibile illius generis. Et hoc modo, cum punctus sit substantia posita hoc modo quo indivisi­ bile ens in continuo refertur ad potentiam, principium longitudinis est punctus. Dividitur enim in puncto et terminatur punctis ; nec divideretur in puncto nisi punctum potentia esset in ipsa. Tarnen hoc modo non continuatur linea ex punctis, quia hoc est impossi­ bile. Et ideo essentia et substantia potentialis lineae est punctus, forma au­ tem continuatio, quae forma provenit ex processu puncti per continuum, sicut nunc transiens facit tempus, praeter hoc solum quod tempus non per­ manet. Et ideo dicitur fluxus puncti facere lineam, sicut fluxus formae in materiam et diffusio facit esse. Et ideo sicut formale esse temporis est a fluxu ipsius nunc, et substantia est nunc ipsum, ita substantia lineae subiectiva et fundamenturn dicitur esse punctum, et continuatio dicitur esse processus eius permanens simul. Et si obicitur, quod iste processus non potest esse nisi sit in aliquo sicut in spatio, et hoc erit longitudo continua, et sie longitudo, est ante processum ipsius, et ideo nec causatur ab ipso puncto sie procedente : obiectio illa non facit ad propositum . Processus enim puncti non est motus puncti iam sepa­ ratim existentis in spatio - hoc enim iam diximus esse impossibile in prae­ habitis -, sed est processus principii in diffusionem naturae principiatae , sicut forma dicitur procedere in diffusionem esse, et sicut nunc procedens causat tempus . Et in tali processu faciente esse simul est principium et esse quod est ab ipso . Et in omnibus talibus idem est principium procedens se­ cundum substantiam, differens autem secundum esse, quia ipsa processio ipsius facit esse quoddam formale. Utor autem hoc nomine "processio" , quia illo maximi viri Peripatetici usi sunt i n ista materia loquentes, quando

Ausdehnung

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b ) Ein Einwand hiergegen geht von der Bewegung des Punktes aus . Da­ nach bildet der Punkt durch seine Bewegung die Linie, die Linie ihrerseits durch ihre Bewegung die Fläche, falls die Bewegung nicht auf den Punkt, sondern auf die ununterbrochene Längsrichtung geht, und wenn dann die Fläche in die Tiefe geht, läßt sie den Körper entstehen . D as ist ein fader Einwand. Denn der Punkt bewegt sich nicht, und auch die Linie und die Fläche und der mathematische Körper nicht. Im vorhergehenden ist das hinreichend zutage getreten. Solche Behauptungen sind Phantasieproduk­ te, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. c) Es ist j edoch nicht zu übersehen, daß beim beiwesentlichen Sein das, was es zum Inhalt hat, im Rahmen seiner Gattung zu beurteilen ist. Wenn nun j emand von einer zwei Ellen langen Größe sagt, es handle sich um eine Ausdehnung, dann gibt er an, was sachlich mit der Größe gemeint ist. In diesem Sinn kommt die eigentliche Natur eines Etwas von seinen wesent­ lichen Zwecken und seinen Grenzen, und j ede Wesensbeschaffenheit einer jeden Natur läßt sich notwendigerweise auf ein Unteilbares zurückführen, das ihre Ursache ist sowie das nicht mehr teilbare Erste jener Gattung. Auf diese Weise stehe der Punkt am Ursprung der Linie, weil er insofern als ein für sich Seiendes gesetzt wird, wie ein unteilbar Seiendes in ununter­ brochener Folge auf die Seins anlage bezogen wird. Die Linie teile sich ja in Punkte und habe in Punkten ihre Grenzen ; sie würde sich nicht in Punkte zerlegen, wenn der Punkt nicht der Seinsanlage nach in ihr läge. D aß die Linie auf diesem Weg durch aneinandergereihte Punkte sich ziehen läßt, ist nicht möglich. Deshalb ist der Punkt der anlagehafte (poten­ tialis) Seinsbestand der Linie, die Verwirklichung der Linie aber ist die ununterbrochene Punktfolge, und diese Verwirklichung kommt von dem ununterbrochenen Fortschreiten des Punktes, so ähnlich, wie das vorüber­ gehende Jetzt die Zeit ausmacht, allerdings mit dem Unterschied, daß die Zeit keinen Bestand hat. Darum sagt man, das Fließen des Punktes mache die Linie, wie das überfließen und die Ausbreitung der bestimmenden We­ sensform in den bestimmbaren Untergrund (dem zusammengesetzten Na­ turding) das Wirklich-Sein verleiht. Deshalb entsteht das, was der Zeit das Wirklich-Sein gewährt, aus dem anhaltenden Fluß des augenblicklichen Jetzt, sie besteht aber eben in dem Jetzt selbst. Ebenso, sagt man, ist der Punkt für die Linie das, woraus sie besteht und worauf sie beruht, und das Fortschreiten des Punktes ist das Wirklichsein und das bleibende Zusam­ menbestehen ihres Hervorganges aus dem Punkt. Möglich ist ein weiterer Einwand : Der Hervorgang der Linie . aus dem Punkt kann nur innerhalb einer räumlichen Gegebenheit vor sich gehen, nämlich in der nicht-unterbrochenen Länge, und deshalb liegt diese Länge dem Hervorgang voraus und kann nicht von ihm verursacht sein. Doch die-

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Mathematik

loquuntur de processu principiorum in esse, quod causant seipsis in eo quod est. Hoc iterum modo processus lineae non ad punctum, sed secundum lon­ gitudinem totam, per omnem eundem modum causa est superficiei, et sicut punctus est divisio lineae et terminus, ita linea sectio superficiei et terminus est. Et hoc iterum modo superficies, non ad lineam terminantem se, sed tota latitudine procedens, facit corpoream dimensionern, !lee sunt plures eo quod angulus rectus non potest esse nisi per tres diametros vel per duos, sicut diximus.

d) Hi autem qui angulum ponunt esse quartam dimensionern, dicunt processum lineae esse duplicem, directe videlicet secundum processum puncti, et oblique ; et hunc secundum processum dicunt facere angulum . Sed hoc nihil esse constat iam ex praedictis, quia cum processus lineae sit processus principii in esse sibi proprium, non potest intelligi processus obliquus nisi aliqua sit causa obliquitatis, quae est extra lineam proceden­ tem, sicut est reflexio vel aliquid tale. Et hoc est per accidens, et non est causa eius quod est secundum naturam principii. Sie igitur videtur esse intelligendum de quantitatibus tarn secundum esse quam secundum suam quiditatem consideratis. Metaph . (Ed. Co!. t . 16 p . 259, 76-p . 260, 9 1 ) .

Ausdehnung

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ser Einwand trifft nicht die Sache . Denn die fortschreitende Entwicklung des Punktes ist nicht die Bewegung eines schon im Raum selbständig exi­ stierenden Punktes - das wurde bereits im vorhergehenden als unmöglich dargetan -; sie ist vielmehr jener Vorwärts-Gang, womit der Ursprungs­ grund sich der von ihm begründeten Natur mitteilt, wie man z. B. von der Wesensform sagt, sie teile (dem bestimmbaren Untergrund und dem zu­ sammengesetzten Naturding) das Wirklich-Sein mit, und wie das fort­ schreitende Jetzt die Zeit bewirkt. In einem solchen Vorwärts-Gang, der die entfaltete Wirklichkeit wirkt, besteht der Ursprungsgrund gleichzeitig zusammen mit dem von ihm begründeten Seienden . Bei Vorgängen dieser Art ist der sich auswirkende Ursprungsgrund dem Seinsgehalt nach ein und dasselbe wie das von ihm abgeleitete Etwas, jedoch verschieden im Wirk­ lich-Sein, weil gerade seine Auswirkung ein bestimmtes Wirklich-Sein her­ stellt. Ich verwende hier den Ausdruck " Vorwärts-Gang" (processio), weil er bei den bedeutendsten Peripatetikern üblich ist, wenn sie vom übergang des Ursprungsgrundes in den wirklichen Vollzug sagen, der Ursprungs­ grund verursache durch sich selbst das Wirklich-Sein in dem Einzelseien­ den . Ganz genauso, wie die Linie entsteht, falls sie nicht mit dem Bezug auf den Punkt, sondern in der ganzen Länge genommen wird, ist die Linie ih­ rerseits die Ursache für die Fläche, und wie der Punkt der Teiler und das Ende der Linie ist, macht die Linie den Teiler und die Grenze der Fläche aus . Schließlich ergibt gleicherweise die Fläche, falls sie nicht auf die sie be­ grenzende Linie beschränkt bleibt, sondern in der ganzen Breite sich er­ streckt, die Dimension des Körpers ; und mehr Dimensionen gibt es nicht, weil der rechte Winkel, wie gesagt, nur durch drei oder zwei Durchmesser gebildet wird . d) Es wird aber auch die Meinung vertreten, der Winkel sei die vierte Dimension. Dabei weist man auf eine doppelte Richtung der Linie hin, auf eine in gerader Richtung und auf eine in schräger Richtung verlaufende, und eben diese zweite Richtung soll den Winkel bilden. Das trifft jedoch nicht zu, wie aus dem vorhergehenden schon klar ist. Die Entwicklung der Linie ist der übergang des Ursprungsgrundes in das ihm eigene Wirklich­ Sein, und darum kann es dabei keinen schrägen Verlauf der Linie geben, wenn nicht ein außerhalb der entstehenden Linie liegender Grund der Ab­ lenkung eintritt, z. B. eine Richtungsänderung durch Widerstand, oder etwas Ähnliches . Das geschieht dann auf äußerlich-mitfolgende Weise (per accidens) und kann nicht Ursache für einen der Natur des Ursprungs­ grundes gemäßen Vorgang sein. Soviel zum Verständnis dessen, wie Ausdehnung entsteht und worin sie ihrem ganzen Sein nach besteht.

IV

1 6 0 . 28 Ad primum autem dicendum, quod virtutes animae sensibiles tripli­ eiter determinant partieulare, seilicet eum materia, et eum appendieiis ma­ teriae, et eum eonsequentibus eam . Cum materia determinat sensus, qui non aecipit nisi materia praesente . Cum appendieiis autem materiae determinat phantasia et imaginatio, quae apprehendunt partieulare materia non praesente, sed tarnen sub ap­ pendieiis materiae, quae praecipue sunt quattuor, seilieet quantitas, figura, situs, et qualitates sensus proprii. Quaedam autem determinant ipsum non sub appendiciis, neque sub ma­ teria, sed sub eonsequentibus utrumque, seilicet aestimativa et memoria, quae aeeipiunt intentiones noeivi et eonvenientis, amiei et inimiei, boni et mali ut nune; quae lieet non sint aeeepta a sensibus, tarnen numquam sepa­ rantur a sensibus, sed aeeipiuntur ab vel in illis, et non per rationes universa­ les . . . ; ab his omnibus autem tribus denudat intellectus . D e h omine q . 5 9 a . 2 ad 1 (Ed. Par. t . 35 p. 5 1 5b); Oxford, Merton Col!. Cod. 283 f. 1 02vb .

1 6 1 . 29 Dieimus igitur, quod omne apprehendere est aeeipere formam ap­ prehensi, non seeundum esse, quod habet in eo quod apprehenditur, sed se­ eundum quod est intentio ipsius et speeies, sub qua aliqua sensibilis vel in­ telleetualis notitia apprehensi habetur. Haee autem apprehensio, ut univer­ saliter loquendo, quattuor habet gradus . Quorum primus et infimus est, quod abstrahitur et separatur forma a ma-

IV. PHILOSOPHIE 1.

EntstofJlichung im Erkennen

Ihre Grade und ihre Bezüge auf das Gegenständliche 1 60 . Die Sinnenkräfte der Seele gehen das einzelseiende Ding auf dreifa­ che Weise an : einmal in Verbindung mit dem Stofflichen (als Bestandteil des Gegenstandes), sodann im Zusammenhang mit den im Stofflichen begrün­ deten Bestimmungen (appendicia), drittens zusammen mit den aus dem Stofflichen folgenden Eigenschaften (consequentia) . Auf das Ding in seinem Stoff zielt der (äußere) Sinn, der seinen Gegen­ stand nur dann aufnimmt, wenn dieser hier und jetzt gegenwärtig ist. Phantasie und Vorstellungsvermögen sodann beziehen sich so auf das Einzelding, daß es nicht wirklich vorhanden zu sein braucht, wohl aber zu­ sammen mit den stofflichen Anhängseln (appendicia) ; deren sind es beson­ ders vier : Ausdehnung, Gestalt, Lage, und die dem einzelnen äußeren Sinn entsprechenden Zuständlichkeiten. Schließlich sprechen einige Seelenvermögen, wie die Wertungs kraft und die Erinnerungsfähigkeit (der sinnlichen Sphäre), das Einzelding weder mit dem stofflichen Bestandteil noch mit den ihm anhaftenden Bestimmungen an, doch aber mit den damit gekoppelten Eigenschaften; sie nehmen im Einzelfall die Vorstellungsinhalte des Schädlich und Zuträglich, des Freundlich und Feindlich, des Gut und Bös auf; solche Vorstellungsinhalte werden zwar nicht durch die äußeren Sinnesempfindungen als solche emp­ fangen, sind aber nie von ihnen getrennt, werden vielmehr in den Sinnes­ empfindungen mitaufgenommen, nicht durch Allgemeinbegriffe. Aus diesem dreifachen Zusammenhang löst der Verstand schließlich seinen Gegenstand ganz heraus . 1 6 1 . Wir stellen fest : Alles Wahrnehmen besteht in einem Empfangen der Form des Wahrgenommenen, nicht freilich nach dem Wirklichsein, das die Form in dem außerseelischen Wahrnehmungs gegenstand besitzt, vielmehr als innerseelische Darstellung und Abbildung, womit eine sinnliche oder eine geistige Kenntnis des Gegenstandes zustande kommt. Im ganzen genommen vollzieht sich die Wahrnehmung in vier Schritten. Auf der ersten und untersten Stufe wird die Form von der Materie ge-

Philosophie

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teria, sed non ab eius praesentia nee ab eius appendieiis ; et hane faeit vis apprehensiva deforis, quae est sensus . Seeundus gradus est, quod separatur forma a materia et a praesentia mate­ riae, sed non ab appendieiis materiae sive condieionibus materiae ; et hane apprehensionem faeit imaginativa potentia, quae etiam singularibus non praesentibus retinet formas sensibilium, sed non denudat eas a materiae ap­ pendieiis. Dico autem appendieias materiae condieiones et proprietates, quas habet subieetum formae, seeundum quod est in tali vel tali materia, sieut verbi gratia talis membrorum situs vel talis color faeiei vel talis aetas vel talis figura capitis vel talis loeus generationis . Haee enim sunt quaedam in­ dividuantia formam, quae sie sunt in uno individuo unius speeiei, quod non sunt in alio . Et hae apprehensione saepe non praesentem imaginamur cri­ spum et album et senem vel iuvenem et cum longis digitis vel brevibus, quo­ rum nullum accidit ei in quantum est homo . Haee igitur est seeunda appre­ hensio . Tertius autem gradus apprehensionis est, quo aeeipimus non tantum sen­ sibilia, sed etiam quasdam intentiones quae non imprimuntur sensibus, sed tarnen sine sensibilibus numquam nobis innoteseunt, sieut est esse soeialem et amieum et deleetabilem in convictu et affabilem, et his contraria, quae quidem cum sensibilibus aeeipimus, et tarnen eorum nullum sensibus im­ primitur . Et tale est, quod aecipimus hune esse filium Deonis et esse agnum vel hominem , aliud autem esse lupum vel leonem, seeundum quod substan­ tiales formae mediantibus sensibilibus et non separatae ab ipsis apprehen­ duntur. Et iste gradus propinquus est eognitioni et numquam est sine aestimatione et collatione . Quartus autem et ultimus gradus est, qui apprehendit rerum quiditates denudatas ab omnibus appendieiis materiae, nec accipit ipsas eum sensibi­ lium intentionibus , sed potius simplices et separatas ab eis. Et ista appre­ hensio solius est intellectus, sicut est intellectus hominis per hoc quod con­ venit omni homini, vel intellectus substantiae, et, ut universaliter dieatur, intellectus quiditatis universalis omnis rei, seeundum quod est quiditas ip­ sius, et non per hoc quod eonvenit isti et non i!li. Hoc enim quod convenit uni et non alii, proprium est et singulare, et est aliquid de materialibus et in­ dividuantibus. Quaeeumque autem sunt communia et ita uni sieut alii et eodem modo convenientia, absque dubio sunt universalia, quae solus aeei­ pit intellectus . Secundum autem hos gradus abstraetionis sive separationis distinguentur inferius vires apprehensivae . De anima. (Ed. Co!.

t.

7, 1 p. 1 0 1 , 62 - p. 1 02 , 27) .

Entstofflichung im Erkennen

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schieden, nicht j edoch von deren wirklichem Vorhandensein und auch nicht von den mit ihr gegebenen Seinsbedingungen. Das ist die Wahrneh­ mung in der äußeren Sinnestätigkeit. Der zweite Schritt erfolgt dadurch, daß die Form vom Materiellen und von dessen tatsächlichem Vorhandensein abgehoben wird, noch nicht je­ doch von den stofflichen Bestimmungen oder Bedingungen . Dieser Art ist der Vollzug des Vorstellungsvermögens ; unabhängig vom Vorhandensein der sinnfälligen Einzelwirklichkeit bewahrt es deren Form auf, baut aber noch nicht die im Stoff begründeten Bestimmungen ab . Solche Bestimmun­ gen (appendicia) sind nach meiner Meinung j ene Bedingungen und Eigen­ tümlichkeiten, die der Inhaber der Form insofern hat, wie sie gerade in die­ ser oder einer anderen Materie verwirklicht ist, z. B. diese Stellung der Glieder, oder diese Gesichtsfarbe, dieses Lebensalter, diese Kopfbildung, oder dieser Geburtsort. Durch solche Angaben ist die Form in ihrer be­ stimmten Vereinzelung festgelegt, und sie treten j eweils nur in einem einzi­ gen Vertreter einer Art auf. In dieser Weise stellen wir uns oft einen nicht gegenwärtigen Krauskopf, einen blassen Typ , einen alten oder einen jungen Menschen vor, einen mit großen oder mit kurzen Fingern. Nichts von all dem kommt dem Menschen als Menschen zu. Das ist die zweite Wahrneh­ mungsart. Die dritte Art geht so vor, daß uns nicht nur sinnfällige Dinge vermittelt werden, sondern gleichzeitig auch solche Vorstellungsinhalte, die nicht von der (äußeren) Sinnestätigkeit geliefert werden, aber niemals ohne sie zu un­ serer Kenntnis gelangen, z. B. ob j emand gesellig ist, ein Freund, angenehm im Umgang und leutselig, sowie die Gegensätze dieser Eigenschaften. Sol­ ches erfassen wir zusammen mit der Wahrnehmung des Sinnfälligen von außen, doch ohne daß es in der Sinnesempfindung als solcher enthalten ist. Auf diese Weise erkennen wir, daß ein Mann gerade Deons Sohn ist, und ob ein Lebewesen ein Lamm oder ein Mensch ist, und daß der Wolf oder der Löwe etwas je anderes ist. Diese Beschaffenheiten werden mittels des Sinn­ fälligen und nicht von diesem getrennt aufgenommen. Das ist der dritte Grad der Entstofflichung; er kommt der (Vernunft-)Erkenntnis nahe und wird nie ohne (sinnliche) Wertung und Vergleichung erreicht. Auf der vierten und obersten Stufe werden die Wesenheiten der körper­ lichen Dinge erfaßt, losgelöst von stofflichen Bedingungen, nicht mehr den Vorstellungsinhalten des Sinnfälligen verhaftet, vielmehr von ihnen ge­ schieden, also einfache Formen . Das ist einzig und allein die Erkenntnisart des Verstandes, wie z. B . der Mensch erkannt wird durch das, was jedem Menschen zukommt ; dieser Art ist auch die Erkenntnis dessen, was das des Selbstandes fähige Seiende (substantia) ist, und überhaupt die Erkenntnis der allgemeinen Wesenheit eines j eden körperlichen Seienden, sofern es

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Philosophie

1 62 . Sunt enim in nobis tres unitiones quibus intellectus no ster coniungitur cognoscibilibus, quae sunt philosophicae . Prima est secundum abstractio­ nem universalis a particularibus, et haec est in naturalibus. Alia est per maiorem abstractionern, scilicet formae a materia, sec und um distinctivam ration em et veritatem essentiae in his quae tarnen secundum esse non sunt a materia separata, et haec est in mathematicis, ponens supra sensum in or­ dine imaginabilium . Tertia est quantum ad ea quae secundum rem non de­ pendent a sensibilibus, et haec sunt in ordine intelligibilium tantum, scilicet cum est consideratio de substantia et de principiis eius, quae secundum quod huiusmodi non dependent a sensibilibus ; et haec est in metaphysicis. Et hae tres sunt bonae uniones, in qua potest ratio humana. Sed quarta est melior, quae est per ipsum lumen divinum intelligibile uniens intelligibili­ bus, et de ista loquitur hic . Super Dion. De divinis nominibus (Ed. Co!.

t.

3 7, 1 p. 5, 23 -40).

1 63 . 30 a) Nunc autem redeundum est ad quaestionem quam superius reli­ quimus, utrum scilicet exteriora sensibilia habeant unum et eundem ali­ quem motorem qui agat in eis, quod efficiantur intentiones sensibiles, si cut intellectualia habent unum et eundem motorem qui est intellectus agens, qui agit in eis intentionem intellectualem . Hoc enim dignum est considera­ tione, et est quaestio quam tangit Averroes et relinquit insolutam . Fuerunt autem quidam modernorum magnae auctoritatis viri, qui hoc concesserunt propter praeinductam ration em asserentes, quoniam esse sensibile, quod invenitur in omnibus sensibus, est unum in eo quod est esse intentionale et

Sinnes tätigkeit

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dessen Wesen ausmacht, nicht j edoch sofern es diesem und nicht einem anderen zu eigen ist. Was nämlich dem einen und nicht dem anderen zu­ kommt, ist das Eigene und das Prägende der Einzelwirklichkeit, und es ge­ hört zu den stofflichen und vereinzelnden Bestimmtheiten. Das Gemein­ same aber, das in dem einen wie in dem anderen verwirklicht ist, und zwar auf gleiche Weise, das ist ohne Frage das Allgemeine, das nur dem Verstand zugänglich ist. Nach diesen Graden der Herauslösung und Scheidung werden in folgen­ dem die Erkenntniskräfte unterschieden. 1 62 . Es gibt für uns beim wissenschaftlichen Arbeiten drei Wege, auf denen das Denken mit seinen Erkenntnisgegenständen in Verbindung kommt. Einmal das Herausheben der gemeinsamen Wesenheit aus den Einzeldingen ; das ist das Verfahren in der Naturphilosophie . Zweitens durch weitere Entstofflichung; da wird eine Wesens bestimmung, die in der dinghaften Wirklichkeit nicht vom Stoff getrennt existiert, in ihrem be­ grifflichen Gehalt vom Materiellen abgehoben ; das geschieht in der Ma­ thematik, die sich über das Sinnfällige hinaus im Imaginären bewegt. Die dritte Stufe führt in die rein-verstandesmäßige Ordnung, die in sich nicht von der Welt des Sinnfälligen abhängt; dabei geht es um die Erforschung der Wesenheit (der körperlichen Dinge) und ihre Seinsgründe, die als sol­ che übersinnlich sind; nach dieser Methode geht die Metaphysik vor. Das sind für die Vernunft drei gute Kontaktmöglichkeiten . Eine vierte steht an Wert noch höher, nämlich jene Erkenntnis, in der ein Strahl göttlichen Lichtes den Geist mit einem rein-geistigen Gegenstand zusammenbringt. Darüber handelt er (Ps . -Dionysius) hier (im Werk " über die Namen Gottes"). 2.

Sinnestätigkeit

Das zweifache Sein des Sinnfälligen: in der Materie und in der Abstraktion 1 6 3 . a) Jetzt greifen wir auf die oben offengelassene Frage zurück, ob es für die Sinnesgegenstände der Außenwelt einen gemeinsamen Beweger gibt, der sie zu Anschauungsbildern in den Sinnen macht. Nahegelegt wird die Frage vom Bereich des Denkens aus ; dort ist es ja der tätige Verstand, der als einziger Beweger die Begriffsbilder hervorbringt . Es ist eine in sich erwägenswerte Frage, die auch Averroes angeschnitten, aber unbeantwor­ tet gelassen hat. Von den Neueren haben manche Naturphilosophen mit großer Lehrautorität auf den angegebenen Grund hin die Ansicht vertreten, für die Erfahrung der Außenwelt gebe es einen gemeinsamen "Faktor" Sie

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Philosophie

spirituale, et non materiale ; unum autem in multis participatum necesse est ab uno causari ; hoc autem causans illud movet ad illud ; oportet igitur unum aliquem esse motorem qui movet ad hoc esse in omnibus sensibilibus . Adhuc autem manifestum est formam sensibilem secundum esse mate­ riale esse in re sensata extra animam, et ibi rem afficit sua qualitate ; secun­ dum hoc autem esse non est in medio nec etiam in anima, quia si color esset in aere sicut in colorato, oporteret, quod videremus aerem esse coloratum, et oculum esse coloratum colore quem recipit; et huius contrarium vide­ mus ; ergo secundum aliud esse est in abstractione quam in materia propria. Aliquid igitur confert ei esse illud, et illud erit movens ipsum, quoniam in re non est abstractum sensibile nisi potentia, et id quod est in potentia, non educit seipsum ad actum . Sicut autem diximus de visibili, sic est de aliis sen­ sibilibus; oportet igitur ipsa habere unum aliquid movens . Adhuc autem, phantasmata sunt maioris simplicitatis quam species sen­ sibilis in materia, et tarnen oportet phantasmata habere movens ad hoc quod efficiantur in intellectu possibili ; oportebit igitur etiam ipsa sensibilia ha­ bere aliquid movens ad hoc quod abstracta efficiantur in sensu . Istae igitur et similes sunt rationes quae induxerunt multos de nostris doctoribus, quod dixerunt unum esse movens in omnibus sensibilibus. Sed cum deberent specificare, quid sit illud, diverterunt in duas vias .

b) Quidam enim dixerunt hoc esse lucem propter quinque rationes potis­ SImas . Quarum una est, quia cum movens in omnibus sensibilibus debeat esse unum et idem, et vident lumen esse motivum in sensibili visus, dicunt ipsum oportere esse motivum in omnibus sensibilibus . Alia autem est, quia dicunt lumen a luminoso corpore pyramidaliter et circulariter diffundi; circularem autem multiplicationem vident in omnibus sensibilibus, quia intentiones sensibiles circa rem sensatam ad aequalem di-

Sinnestätigkeit

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führten aus : Das Anschauungsbild im Sinn, und zwar in j edem Sinn, ist immer das gleiche, nicht im stofflichen Sein am Gegenstand, vielmehr als einfaches, geistartiges Sein in der Vorstellung; was nun aber als Einheit auf eine Vielheit verteilt ist, muß von einer einzigen Ursache ausgehen, und eben die Ursache ist es, die auf das Eine hin die Bewegung auslöst; mithin muß es einen einzigen Beweger geben, der hinter dem allen Sinnen gemein­ samen Vorstellungs-Sein steht. Ferner steht - nach ihrer Meinung - fest, daß die sinnfällige Wirklich­ keit ihrem physischen Sein nach an dem außerseelischen Gegenstand vor­ handen ist und diesen mit ihrer Beschaffenheit prägt; auf diese Weise aber ist sie weder in dem Mittel (das als Werkzeug der Sinnenseele die Verbin­ dung zwischen ihr und dem Organismus herstellt) noch auch in der Seele selber; sonst müßten wir die Luft (als das Mittel) und das Auge als mit der aufgenommenen Farbe bekleidet wahrnehmen; wir stellen j edoch das Ge­ genteil fest ; folglich hat die sinnfällige Wirklichkeit eine je andere Art von Sein in ihrer stofflichen Grundlage und im Zustand der Abhebung von ihr; sie bekommt also das Sein in der Vorstellung von einem Etwas, das den An­ stoß dazu gibt ; denn im Gegenständlichen ist das vom Stofflichen geschie­ dene Sein nur der Möglichkeit nach vorgeprägt und kann als solches sich nicht selbst zur Wirklichkeit entfalten . Was wir hier am Gegenstand des Gesichtssinnes nachgewiesen haben, gilt auch für die Gegenstände der anderen Sinne, und so müssen sie allesamt einen gemeinsamen Anlasser haben . Ein weiterer Grund: Die Phantasiebilder sind von einfacherer Art als das Sinnfällige in seinem physischen Sein, und doch sind sie auf eine Kraft an­ gewiesen, die sie auf die Verstandeserkenntnis hin zubereitet ; dann benö­ tigt also auch das Sinnfällige eine Ursache, die es seinem physischen Sein entnimmt und es dadurch dem Sinn zugänglich macht. Solche und ähnliche Gründe haben viele von unseren Lehrern veranIaßt, bei allen Sinnen eine einzige treibende Kraft für die Wahrnehmung anzu­ nehmen. In der näheren Bestimmung dieses einen "Faktors" trennten sich j edoch ihre Wege . b) Die eine Richtung setzt als auslösende Ursache das Licht (lux). Dafür machen sie fünf Hauptgründe geltend. Zuerst geht man davon aus, die Bewegung in allen Sinnesvorgängen müsse von einer und derselben Stelle eingeleitet werden ; da man nun fest­ stellt, daß beim Gegenstand des Sehvermögens der Anstoß vom (ausge­ strahlten) Licht (lumen) ausgeht, behauptet man, das Licht sei der Anreger für jede Art von Sinnestätigkeit. Zweitens verweist man darauf, daß der leuchtende Körper sein Licht kegelförmig und kreisförmig aussendet. Eine kreisförmige Vervielfältigung aber stellt man bei den Gegenständen aller

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stantiam circulariter ubique generantur; et talern motum in inferioribus non dicunt esse nisi luminis . Tertia autem est, quia vident, quod nulla qualitas inferiorum corporum agit universaliter, sed particulariter unum et non aliud, nisi forte per acci­ dens ; lumen autem, quod est forma caeli, quod est corpus universaliter om­ nia inferiora movens , dicunt oportere esse causam universalis actionis in in­ tentionibus sensibilibus . Quarta autem est, quia vident lumen esse immaterialius e t spiritualius omni forma; et ideo dicunt suum esse proprium, quod conferat formae ma­ teriali, quod fiat intentio spiritualis. Quinta autem est, quae et praecipua est, cui innituntur, quia vident sen­ sibilium esse materiale causari a qualitatibus elementorum, et ideo nullam esse qualitatem elementi quae agat in ipso intentionem spiritualem . Nec potest dici, quod sit a subiecto, in quo generatur illa intentio, scilicet cum sie subiectum non sit ipsam aptum recipere nisi in esse spirituali, quia sicut supra diximus, diversitas subiecti potius est a diversitate agentis et formae quam e converso. Oportet igitur, quod sit ab aliqua forma agentis corporis superioris; et corpus caeleste non agit in inferiora nisi per lumen ; igitur lu­ men est, quod in omnibus sensibilibus agit intentiones spirituales .

c) Alii autem antiquiores his dixerunt, quod virtus animae est agens eas intention es spirituales; et isti sunt qui dixerunt potissimam virtutem sensus esse activam et non passivam, quorum rationes in parte supra posuimus . De hoc autem quod hic dicunt, quattuor assignant rationes aliquid probabilita­ tis habentes, secundum quod in eorum dictis po test deprehendi; quas tangit Avicenna philosophus et Alfarabius et quidam alii. Dixerunt enim isti non esse intentionem ni si eius quod iudicat de inten­ tionibus ; hoc autem esse animam, et ideo necessarium esse aliquid animae esse quod confert formae sensibili esse intentionis. Et ideo dixerunt animam habere ordinem ad id quod instrumentaliter obsequitur ei, et cum medium in sensu sit propter sensum, dicunt animam habere virtutem agendi in me­ dium ; et taliter fit secundum eos illud, quod virtus sensibilis egreditur spiri-

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Sinne fest, da die sinnlichen Inhalte der Seele, die auf das Gegenständliche gerichtet sind, in gleichem Abstand kreisförmig nach allen Richtungen hin erzeugt werden ; eine solche Bewegung sei in den unteren Sphären des Alls einzig dem Licht eigentümlich. Als dritten Grund führen sie die Beobachtung an, daß keine Beschaffen­ heit der Körper in den niederen Sphären im Wirken uneingeschränkt ist, höchstens als zufällige Ausnahme, vielmehr immer auf eine einzige Wir­ kungsweise festgelegt ist ; dagegen setzt das Licht als Vollkommenheits­ form des (9 . ) Himmels (als des ersten bewegenden Körpers) alle Kräfte der unteren Ordnungen in Bewegung, und deshalb muß es für die sinnlichen Inhalte der Seele die umfassende Ursache der Empfindungsvorgänge sein. Viertens geht man von der Feststellung aus, daß das Licht weniger stofflich und eher geistartig ist als j ede Körperwirklichkeit. Darum schreibt man dem Licht die Eigentümlichkeit zu, der physischen Zuständlichkeit das bildhafte Sein in der Seele zu ermöglichen. An fünfter Stelle der Hauptgrund : Beobachtbare Tatsache ist, daß das physische Sein des Sinnfälligen seine Ursache in den (vier) Grundelementen hat ; daher kann keine davon das geistartige (stofflose) Ge-Bilde in der Seele hervorbringen. Auch ist nicht anzunehmen, daß das Vorstellungsbild dem empfangenden Träger, in dem es erzeugt wird, sein Entstehen verdankt ; denn dieser Empfänger des Vorstellungsbildes kann es nur in seinem geist­ artigen Sein aufnehmen, und - wie wir schon gezeigt haben - die Ver­ schiedenheit des Trägers hängt mehr von der einwirkenden und der seins­ mä'ß ig bestimmenden Beschaffenheit ab als umgekehrt. So muß denn ein Körper der oberen Sphäre mit irgend einer Vollkommenheitsform zur Ent­ stehung des Vorstellungsbildes tätig werden, und da ein Himmelskörper nur durch das Licht in die unteren Sphären hineinwirkt, ergibt sich, daß es das Licht ist, das bei allen Sinnesgegenständen deren geistartige Abbildun­ gen in der Seele verursacht. c) Die andere, ältere Richtung vertrat die Ansicht, die Kraft der Seele sel­ ber bilde sich die geistartige Wiedergabe des Gegenständlichen. Nach ihrer Meinung steht die Sinneskraft in der Hauptsache auf der Ebene des Tätig­ Gestaltenden, nicht des Aufnehmend-Erleidenden. Ihre Gründe dafür ha­ ben wir bereits vorgelegt. Für ihre Antwort in der hier anstehenden Frage geben sie vier Gründe an, die, soweit aus ihren Aufstellungen ersichtlich ist, einige Wahrscheinlichkeit für sich haben ; sie werden schon von Avicenna und Alfarabius und einigen anderen Philosophen ins Gespräch gebracht. Der erste Grund der Vertreter dieser zweiten Richtung lautet : Die Sin­ neseindrücke werden von j ener Kraft erstellt, der auch das Urteil darüber zusteht; das ist nun aber die Seele, und deshalb muß es so sein, daß ein Et­ was der Seele der sinnfälligen Beschaffenheit das bildhafte Sein in der Vor-

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tualiter et supponit se sensibili, et confert ei esse quasi incorporeum et spiri­ tuale, quo in anima effici possit. Secunda vero ratio eorum est, quod in omnibus communicantiam habent agens et patiens ; incorporeum autem patiens cum corporeo agente nullam omnino habet communicationem, et ideo cum anima sit sensibile suscipi­ ens, dicunt etiam oportere, quod aliqua virtus animae sit ipsum agens . Tertiam autem inducunt rationern, dicentes animam esse magis activum quam aliquam form am corpoream ; et cum forma corporis agat imprimen:do speciem suam in materia sibi coniuncta, multo fortius virtutes animae sen­ sibilis quasdam oportet esse activas, quae aliquid de specie animae influunt obiectis animae, ut possint effici in sensibus ; dantque simile huius, quod virtutes vegetabilis animae numquam aliquid uniunt de cibo corpori, cui primo non influxerunt aliquid de specie animae, per quam uniri possit cor­ pori ; nec esse minus activam dicunt sensibilem quam vegetabilem, sed multo magis. Quartarn autem ponunt rationern, quia dicunt sentire et iudicare de sen­ sibilibus esse operationem quandam vitae ; haec autem operatio non potest fieri ab aliqua forma corporali, sed ab anima ipsa. Cum igitur sensibilia se­ cundum esse intentionale sint specificantia illas operationes et formalia in ipsis et agentia, oportet, quod illud esse egerit in ipsis aliquid animae, quae est principium et causa vitae .

d) Nos autem simpliciter naturalibus insistentes omnia haec falsa repu­ tamus, et tarn illud falsum dicimus in quo ambae istae sectae conveniunt quam illud in quo differunt. Dicimus enim nullo modo esse necessarium unam esse causam multitudinis, quae est in multis, quae secundum unam ration em non est in eis, sed secundum rationes aequivocas. Esse autem in­ tentionale et spirituale non una ratione eSt in sensibilibus, quia unum est multo spiritualius alio, quia unum afficit et medium et organum secundum esse materiale agens in ipsum, sicut est in obiectis tactus; et ea quae habent idem medium sicut visibilia et audibilia et odorabilia, non habent illud me-

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stellung verleiht; die Seele habe einen Bezug auf ein ihr dienendes Werk­ zeug, und da das Erkenntnismittel der Sinnesempfindung eben auf den Sinn als seinen Zweck gerichtet sei, habe die Seele die Mächtigkeit, auf das Mittel einzuwirken ; auf diesem Weg ereignet es sich nach ihrer Meinung, daß die sinnliche Kraft geistartig von der Seele ausgeht, sich mit dem Gegenständ­ lich-Sinnfälligen verbindet und ihm ein gleichsam unkörperliches und geistartiges Sein vermittelt, wodurch es in der Seele auftreten kann. Der zweite Grund weist darauf hin, daß zwischen dem Wirkenden und dem Erleidenden Berührungspunkte vorhanden sind. Das unkörperliche Erleidende hat aber überhaupt keine Berührung mit dem körperlichen Wirkenden; da nun die Seele von dem Sinnfälligen einen Eindruck emp­ fängt, glauben sie sich zu der Annahme genötigt, daß irgend eine seelische Kraft den Sinneseindruck bewirke . Im dritten Grund gehen sie von der Feststellung aus, die Seele sei stärker an gestaltender Kraft als irgend ein Körperwesen ; wie nun die Wesensform des Körperdinges dem mit ihr verbundenen gestaltbaren Untergrund ihre Artvollkommenheit einprägt, so müßten erst recht einige Kräfte der Seele gestaltungskräftig sein und den Gegenständen der Seele etwas von seeli­ scher Art mitteilen, damit sie in den Sinn eingehen können . Eine Veran­ schaulichung bietet man von der pflanzlichen Seele her, deren Vermögen nur dann dem Organismus eine Nahrung einverleiben, wenn sie ihr vorher etwas Seelisches eingeflößt haben, wodurch sie in die Verbindung mit dem Leib aufgenommen werden kann ; dabei fügt man noch hinzu, die Sinnen­ seele sei nicht weniger gestaltungskräftig als die pflanzliche, sondern in viel höherem Grad. Im vierten Grund machen sie geltend, die sinnliche Wahrnehmung und das Urteil über die Sinneseindrücke sei ein Lebensvorgang; ein solcher aber werde nicht von einer körperlichen Kraft vollzogen, vielmehr von der Seele selber; nun sei das Sinnfällige mit seinem bildhaften seelischen Sein das Art­ gebende und das Gestaltende und das B ewirkende für j ene Lebensvollzüge, und darum müsse das bildhafte Sein den Ausgang nehmen von einem Etwas der Seele als des Ursprungsgrundes und der Ursache des Lebens . d) Wir nun stützen uns schlicht auf die Naturgegebenheiten, und darum halten wir alle Erklärungen dieser Art für nicht zutreffend, und zwar so­ wohl das Gemeinsame wie das Unterscheidende j ener beiden Richtungen. Nach unserer Auffassung muß eine Vielfalt keineswegs eine einzige Ursa­ che haben, wenn die Ursache in vielen Vorgängen nicht gleichsinnig, son­ dern mehrsinnig vorhanden ist. Nun aber ist das bildhafte und geistartige Sein in den Sinnesempfindungen nicht im gleichen Grad gegeben, weil es in dem einen Sinneseindruck viel verfeinerter ist als im anderen ; es kann näm­ lich sein, daß das Sinnfällige mit seinem massiven Sein sowohl auf das lei-

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dium secundum unam et eandem naturam medii, sed sec und um diversas, sicut inferius ostendemus. Et non unius rationis est esse, quod habent in ipso medio, quia spiritua­ lius esse est coloris in medio quam soni, et iterum spiritualius est esse soni in medio quam odoris. Et ideo ventus non aufert vel affert colores, sed bene obtundit auferendo sonos in parte et non in toto ; odores autem et affert et aufert in toto , sicut dicit Avicenna, et veritas per experimenta attestatur.

e) Concedendum autem esse videtur, quod aliquando et in quibusdam sensibus, qui scilicet sunt per medium extrinsecum, sensibile secundum aliud esse est in re sensata et sec und um aliud in medio et in organo, sed hoc esse in nullis pluribus sensibus est unius rationis. Et si quaeritur, quid conferat ei hoc esse, videtur mihi stulta quaestio, quia nos superius ostendimus omnem virtutem activam esse per se perfec­ tarn ad agendum sine aliquo motivo extrinseco . Et ideo dico , quod forma sensati per seipsam generat se in medio sensus secundum esse sensibile. Cu­ ius necessaria demonstratio est, quod ab omnibus philosophis et ab ipsa veritate convincitur, per se sensibile esse quod in secundo modo dicendi per se per essentiam suam est causa sui esse sensibilis . Et ideo frustra quaeritur, quid conferat ei illud, sicut si quaereretur, quid conferat luci lucere secun­ dum actum .

f) Et quod dicitur, quod id quod est in potentia, non educitur in actum nisi ab eo quod est in actu : non est dictum ni si de eo quod est in potentia causae materialis, et non de eo quod est in potentia causae formalis et effi­ cientis ; esse enim spirituale generatur a re agente tantum secundum for­ mam, de qua actione in huius capituli sequentibus prosequemur. Et bene concedimus, quod non est congruum, quod dicatur esse a subiecto spiritua­ li, quia esse intentionale, quod est in medio, multo est spiritualius, quam ipse aer sit vel quam sit ipsum caelum. Hoc autem quod inducunt pro simili de phantasmatibus moventibus intellectum, omnino dissimile est, quia forma quae est in phantasmate, non potest dare esse intellectuale eo quod est multo simplicius quam ipsa, et ideo indiget motore ad hoc esse elicien-

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tende Mittel wie auf das Sinnesorgan einwirkt, wie beim Gegenstand des Tastsinnes ; und wenn Sinnesgegenstände, z. B. die des Gesichtssinnes, des Gehörs und des Geruchsinnes, das gleiche leitende Mittel haben, ist dessen Einfluß nicht der gleiche, sondern j eweils verschieden ; das wird hier später im einzelnen aufgezeigt. Auch ist bei diesen drei Sinnesgegenständen das Sein, das sie im leitenden Mittel bekommen, je anders ; denn es ist feiner bei der Farbe als beim Ton und wieder feiner beim Ton als beim Riechstoff. Daher kommt es, daß die Luft die Farbe (als den Gegenstand des Sehvermögens) nicht wegträgt oder herbeibringt; wohl aber schwächt sie den Ton teilweise oder vollständig ab, und den Gegenstand des Geruchsinnes führt der Wind herbei oder verweht ihn ganz. Das ist die Meinung Avicennas, und das Experiment bestätigt sie . e) Man muß wohl zugeben, daß zuweilen bei den Sinnen, die einen äuße­ ren Leiter nötig haben, das Sinnfällige am Erfahrungsgegenstand, im lei­ tenden Mittel und im Sinnesorgan ein je anderes Sein hat, j edoch bei keinem der verschiedenen Sinne in ein und demselben Begriff. Schließlich kommt mir die Frage, woher das Sinnfällige dieses Sein be­ kommt, ziemlich dumm vor. Wir haben ja bereits dargelegt, daß jede tä­ tig-gestaltende Kraft in sich hinreichend zum Tätigwerden ausgestattet und nicht auf einen Beweger von außen angewiesen ist. Daher bin ich der Auf­ fassung, daß die Beschaffenheit des wahrgenommenen Gegenstandes von sich aus im Erkenntnismittel sich selbst als sinnlich-wahrnehmbar hervor­ bringt. Der durchschlagende Beweis dafür liegt darin, daß alle Philosophen wie auch der tatsächliche Sachverhalt überzeugend dartun : Das eigentlich Sinnfällige ist das, was auf die zweite Art der in sich einleuchtenden Aus­ sage (wobei die Satzaussage eine Wesenseigentümlichkeit oder Grund­ befindlichkeit des Satzgegenstandes ist) von seiner Wesenheit her die Ursa­ che für sein Sinnfällig-Sein ist. Die Frage, was dem Sinnfälligen dieses Wahrnehmbar-Sein im leitenden Mittel und im Organ verleiht, stößt also ins Leere, wie wenn j emand fragen würde, wieso das Licht leuchtet. f) Wenn weiterhin gesagt wird, was nur in der Möglichkeit vorhanden sei, lasse sich nur durch ein tatsächlich Seiendes verwirklichen, so ist das nur auf die im gestaltbaren Untergrund vorgeprägte Möglichkeit zu bezie­ hen, nicht auf die Möglichkeit der Wesens- und der Wirkursache ; das geistartige Sein des Sinnfälligen in der Vorstellung wird nämlich nur von der gestaltenden Beschaffenheit des wirkenden Gegenstandes hervorgebracht. Wir halten auch die Annahme nicht für angebracht, es stamme von einem tragenden Untergrund verfeinerter Art, weil das bildhafte Sein im Er­ kenntnismittel viel feiner ist als die Luft und selbst als die Himmelssphäre . Der angeführte ähnliche Fall, daß die Phantasiebilder den Verstand in Bewegung setzen, stellt sich als durch und durch unähnlich heraus ; denn

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dum. Forma autem corporalis per se agens nihil supra se confert, quando confert esse intentionale, sicut inferius ostendemus.

g) Opinio autem, quae dicit hoc esse lumen, omnino ridiculosa est, quia qui dicit lumen esse in tenebris, indiget sensu ; et tarnen scimus multa sensibilia aequaliter diffundi in tenebris et in lumine. In omnibus autem suis rationibus haec opinio fere syllogizat ex affirmativis in secunda figura. Quod autem isti dicunt, quod lumen moveat colorem et conferat ei esse spirituale, ostendemus inferius esse falsum, ubi de visu loquemur; ibi enim ostendemus, quod color per se est motivus visus, et quod lumen non exigi­ tur propter colorern, sed propter medium. Et quod dicunt sensibile circulariter generari, dicendum, quod hoc acci­ dit ei per accidens, eo quod medium recipiens ipsum circulariter circumstat, quod si non circulariter circumstaret, non diffunderetur circulariter. Quod autem dicunt null am formam inferiorem universaliter agere, fal­ sum est omnino, quia omnis forma inferior universaliter et non particulari­ ter agit et multiplicat seipsam, et sie formae sensibilium se universaliter agunt, et nihil unum et idem agit omnes. Ad hoc autem quod dicunt imma­ terialius esse aliquid quod confert formae esse intentionale, dicendum, quod forma, quae est in re, aliquando agit per qualitates materiae, in qua est, et tune agit materialiter; aliquando autem agit per se solam, et tune agit immaterialiter, quia et ipsa est essentia immaterialis per seipsam, et non in­ diget in ista secunda aetione nisi se sola, in prima autem indiget alio quam seipsa. Et ideo omnino oppositum eius est verum, quod supponit ratio illa ab illis inducta. Quod autem ulterius inducunt esse spirituale a nulla elementorum quali­ tate causari, verissimum est, 'sed nos ostendimus, unde causatur.

h) Opinio autem secunda est multo probabilior, licet pauci modernorum teneant eam ; erat enim illa Platonis et etiam Augustini et multorum aliorum

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d er Inhalt des Phantasiebildes kann das viel einfachere Denkbar-Sein nicht zustande bringen und braucht deshalb einen Beweger. Dagegen hat eine körperliche Bestimmtheit von sich aus die Möglichkeit des Einflusses und gibt, wenn sie das bildhafte Sein verleiht, nichts anderes weiter, als was sie selber hat. Mehr darüber weiter unten. g) Die (erste) Meinung, die das Licht als den Beweger für alle sinnlichen Anschauungsbilder bezeichnet, ist einfach lachhaft. Denn die Behauptung, Licht sei auch im Dunkel vorhanden, ist sinnlos . Dennoch wissen wir, daß viel Sinnfälliges gleichmäßig im Dunkeln und im Hellen sich ausbreitet. In allen Beweisgängen arbeitet diese Meinung so ziemlich mit bej ahenden Sätzen in der zweiten Figur der Schlußfolgerung (wobei einer der beiden Vordersätze verneinend sein muß). Die Behauptung, das Licht bewege die Farbe (als den Gegenstand des Gesichtssinnes) und teile ihr das geistartige Sein mit, werden wir weiter un­ ten' wo über den Gesichtssinn gehandelt wird, als falsch aufdecken; dort wird sich herausstellen, daß die Farbe von sich aus den Gesichtssinn reizt und daß nicht die Farbe das Licht braucht, sondern das leitende Mittel. Zu der weiteren Aufstellung, das Sinnfällige breite sich kreisförmig aus, ist zu sagen : Das kommt dem Sinnfälligen nicht wesentlich zu, vielmehr nur deshalb, weil das leitende Mittel es in Kreisform umgibt; sonst würde es sich nicht kreisförmig ausdehnen. Die andere Behauptung, in den unteren Sphären wirke keine Körperbestimmtheit uneingeschränkt, ist durchaus nicht richtig. Denn j ede solche Beschaffenheit ist in der Einflußsphäre nicht eingeschränkt und nicht festgelegt, sie vervielfältigt vielmehr sich selbst, und daher setzen die Beschaffenheiten der Erfahrungswelt sich selbst unbe­ schränkt, ohne daß eine und dieselbe Ursache sie alle zusammen hervorbringt. Man behauptet auch, es sei etwas Weniger-Stoffliches, das der gegen­ ständlichen Beschaffenheit das bildhafte Sein in der Vorstellung mitteile. D a ist zu bedenken, daß eine Zuständlichkeit am Erfahrungsgegenstand auf zweifache Weise wirken kann : Einmal durch die physischen Eigenschaften, in die sie eingebettet ist; in diesem Fall ist es ein physisches Wirken; sodann kann sie aber auch wirken allein durch sich selbst; dann ist es ein vom Stoff gelöstes Tätigsein, da sie in sich selbst eine stofflose Wesenheit ist und für diese zweite Tätigkeitsart sich allein genügt, wogegen sie beim physischen Wirken auf ein anderes angewiesen ist. Also genau das Gegenteil des vorge­ brachten Grundes trifft zu. Endlich ist es sehr wahr, daß das geistartige Sein der physischen Erschei­ nung von keiner Eigenschaft der (vier) Grundelemente verursacht wird ; nur weisen wir nach, wie es denn nun entsteht. h) Die zweite Meinung ist bedeutend wahrscheinlicher, obwohl sie nur von wenigen Modernen gehalten wird. Es ist nämlich die Meinung eines

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magnorum virorum . Tarnen sine praeiudicio aut ego non intelligo eos, aut ipsi falsum dixerunt. Quod enim dicunt virtutem sensibilem egredi et supponere se sensibili­ bus propter universalem ordinem, quem habet ad ipsa, intelligi non potest, nisi sicut egreditur virtus a magnete ad ferrum, et in veritate ita dixerunt. Et pro se induxit Plato oculos fascinationis, ubi virtus egreditur ab uno in alium fascinando ipsum . Sed hoc falsum est, quia virtus illa non egreditur nisi in suo vehiculo, quod est spiritus ; multoties autem spiritus non possent extendi usque ad sensibile, eo quod aliquando multum distat, et praecipue in visu et odoratu quorundam animalium . Praeterea, sicut etiam dixit Avi­ cenna, spiritus egressus a corpore dissolvitur statim et continuatur aeri ; dissolvetur igitur etiam tune virtus et peribit. Quod autem dicunt, quod communicantiam habent agens et patiens, verum quidem est, sed non oportet, quod habeant communicantiam ita quod sint eiusdem naturae et essentiae, sed quod habeant proportionem ad invicem sicut propria materia ad propriam formam et proprium agens ad proprium patiens ; et sie communicantiam habent forma sensibilis agens et sensus patiens in eo quod sicut sensus spiritualiter patitur, ita etiam forma sensibilis spiritualiter agit in ipsum . Et quod dicunt animam sensibilem esse activam, supra ostendimus esse falsum . Nec oportet aliquo modo illud esse verum, quod licet agens sit ho­ norabilius patiente , quod hoc agens propter hoc sit honorabilius hoc pa­ tiente . Et quod dicunt de anima vegetabili, superius est determinatum. Quod autem dicunt sentire esse opus vitae et in illo esse formalem spe­ eiern sensibilem, dicendum, quod sentire est opus vitae secundum quod egreditur ab anima et non secundum quod specificatur a forma sensibili; non enim specificatur ab ipso sensibili in speciem vitae , sed potius ad noti­ tiam rei exterioris habendam .

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Platon, eines Augustinus und vieler anderer großer Männer. Ohne ihnen zu nahetreten zu wollen, muß ich doch sagen : Entweder verstehe ich sie nicht, oder sie haben Unrichtiges vorgetragen . D aß die Sinneskraft in die Erfahrungswelt hinaustrete und mit dem Ge­ genständlich-Sinnfälligen - wegen ihrer allgemeinen Hinordnung auf die­ ses - sich verbinde, ist nur etwa so zu verstehen, wie die Magnetkraft auf Eisen geht. Das hat man auch tatsächlich ausgesprochen. Platon für sein Teil wies auch auf faszinierende Augen hin ; dabei gehe die Kraft von einem auf den anderen über und behexe ihn. Das stimmt j edoch nicht, und zwar deshalb nicht, weil j ene Kraft nur zusammen mit dem ihr entsprechenden Leiter aus dem Auge austritt, nämlich mit dem (unerdigen, meist durch­ sichtigen, zwischen der Sinnen seele und dem Organismus stehenden) Flui­ dum (spiritus) ; mehr als einmal könnte das Fluidum sich nicht bis zu dem sinnfälligen Gegenstand hin erstrecken, weil dieser manchmal zu weit ent­ fernt ist, besonders beim Gesichts- und dem Geruchssinn einiger Tierarten. übrigens, wie Avicenna sagt, das aus dem Körper entwichene Fluidum löst sich sofort auf und läßt sich von der Luft vereinnahmen, und damit hört auch sein Einfluß auf. Daß das Wirkende und das Erleidende Kontakt miteinander haben, stimmt natürlich. Nur müssen sie sich nicht in der gleichen Natur und We­ senheit treffen . Es genügt eine Verhältnisbeziehung, ähnlich wie zwischen dem gestaltlosen Untergrund des Körpers und der bestimmenden Wesens­ form oder zwischen der Wirkursache und dem entsprechenden Empfänger ihres Einflusses. Eine solche Verhältnisbeziehung spannt sich auch zwi­ schen der wirkenden sinnfälligen Bestimmtheit und dem den Eindruck aufnehmenden Sinn. Im Sinn vollzieht sich ein geistartiges Erleiden, und dementsprechend wirkt das Sinnfällige unstofflich auf ihn ein. Die Annahme, die Sinnenseele sei tätig-gestaltend, haben wir bereits wi­ derlegt. Auch aus der Tatsache, daß das Tätige allgemein an Rang über dem Erleidenden steht, läßt sich nicht irgendwie einsichtig machen, daß gerade dieses Wirkende höher steht als dieses Erleidende . Daß schließlich der Hinweis auf die pflanzliche Seele für die hier erörterte Fr"age nichts hergibt, geht aus der früheren Darlegung über den Ernährungsprozeß hervor. Bleibt noch der (vierte) Grund zu klären, die Sinneswahrnehmung sei ein Lebensvorgang, bei dem das sinnliche Vorstellungsbild das Bestimmende und Gestaltende sei. Sinnesempfindung ist insofern ein Lebensvorgang, wie er von der Seele ausgeht, nicht jedoch sofern ihre Art von dem Gegen­ ständlich-Sinnfälligen bestimmt wird; daß die Empfindung durch das Sinn­ fällige artmäßig bestimmt wird, macht sie nicht zum Lebensvorgang, ver­ hilft vielmehr dazu, Kenntnis von dem außerseelischen Gegenstand zu gewmnen.

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i) His habitis oportet nos determinare, qualiter a sensibili fiat huiusmodi actio, quia aliter totum in incerto dimitteremus . Dicimus igitur, sequendo directe Peripateticorum sententiam, qui dicunt communiter, quod cum dicitur sensibile esse per se, sicut color et odor et sonus et huiusmodi, quod hoc est secundum modum dicendi per se in I Posteriorum determinatum ; et hoc est, quando subiectum est causa praedicati, sicut quando dicitur homo risibilis vel disciplinabilis. üportet igitur, quod color et odor et sonus et ce­ tera sensibilia per proprias essentias causa sint sensibilitatis et sensus secun­ dum actum facti ; non ergo ad hoc habe nt motivum aliquod extrinsecum . Dicimus autem aliud esse agens formam in materia et aliud agens formas tantum. Agens enim formam in materia, in qua ipsa ligata cum materia ha­ bet esse materiale, est agens, quod transmutat materiam, sicut calidum, fri­ gidum, humidum et siccum. Agens autem formas tantum non est agens ma­ teriale, sed potius ipsa forma; et sie agit se per hoc quod ipsa est essentia simplex sui ipsius multiplicativa, et sie omnis forma multiplicat intentionem suam ; et cum forma sit essentia simplicior omni corpore, non potest inve­ niri aliqua forma corporalis quae posset ei esse intentionale conferre. Et quia quidam ignorarunt, quod forma in eo quod forma, sie multiplicat se, dixerunt, quod oporteret eam habere agens praeter seipsam . Et quidam propter hoc, quod forma simplex sie agendo se quasi efficitur ubique, exi­ stimabant, quod non multiplicat se, sed est ubique per essentiam ; et de hac opinione, quia subtilis est multum, non possumus facere mentionem nisi in III libro . Et quod hic determinamus, hoc est, quod forma sensibilis multiplicat se in esse spirituali et sufficit sibi ad hoc, sicut omnis forma in propria et essen­ tiali actione sibi sufficit.

j) Haec autem sententia quasi pro fundamento poni debet in hac scientia, quia ex ipsa infiniti circa opera et passiones animae eliduntur errores . Iam autem patet, quod duplex esse habet forma: unum simplex et spiri­ tuale, quod habet in abstractione , quod fit a simplici agente , quod est forma

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i) Nach dieser Auseinandersetzung obliegt uns noch darzulegen, wie denn nun die Einwirkung des Sinnesgegenstandes vor sich geht ; sonst ließen wir die ganze Frage im Ungewissen stehen . Dabei schließen wir uns direkt an die Lehre der Peripatetiker an . Sie sind übereinstimmend der Auf­ fassung, die Begriffsbestimmung des eigentlich Sinnfälligen, z. B. der Far­ be, des Riechstoffes, des Tones, sei eine Angabe gemäß der zweiten Art der in sich einleuchtenden Aussage, wie sie dann vorliegt, wenn der Satzgegen­ stand die Ursache für die Satzaussage ist, z. B. in dem Satz : Der Mensch ist lachfähig oder bildsam. Darum muß es so sein, daß Farbe und Riechstoff und Ton sowie die übrigen Sinnesgegenstände, durch die eigene Wesenheit die Ursache für die Wahrnehmbarkeit und die tatsächliche Wahrnehmung sind; sie brauchen dafür keinen anstoßenden Einfluß von außen. Allerdings setzen wir hinzu, daß es ein Unterschied ist, ob eine Bestimmtheit in eine stoffliche Gegebenheit hinein gewirkt wird oder einfach eine reine Be­ stimmtheit gesetzt wird. Denn j enes Bewirkende, das eine Beschaffenheit in Stoffliches einführt, wo sie an den Stoff gebunden und auf stoffliche Weise verwirklicht ist, verändert den Stoff wie Warmes, Kaltes, Feuchtes, Trockenes. Hingegen ist j enes andere Bewirkende, das einfach eine reine Form mitteilt, nicht stofflicher Art, sondern selber stofflose Bestimmtheit ; und so erstellt sie sich selber dadurch, daß sie eine reine, auf Selbstverviel­ fältigung angelegte Wesenheit ist; und so bringt jede Seinsbestimmtheit ihr Vorstellungsbild in einer Vielzahl hervor, und weil diese Seinsbestimmtheit in ihrem Sos ein einfacher ist als j eder Körper, läßt sich nichts Körperliches ausmachen, das ihr das bildhafte Sein in der Vorstellung gewähren könnte . Freilich hatten manche Leute keine Ahnung, daß eine Bestimmtheit eben als Bestimmtheit auf diese Weise immer wieder sich selber setzt, und daher glaubten sie, die Bestimmtheit sei auf einen fremden Einfluß angewiesen. Weiterhin, da die Bestimmtheit in ihrem Einfach-Sein durch Selbstsetzung gleichsam allgegenwärtig wird, verfielen sie darauf, sie vervielfältige sich nicht, sei vielmehr überall mit ihrem Wesen zugegen. Das ist eine scharf­ sinnige Meinung, auf die wir erst im 3 . Buch ("über die Seele") eingehen können. Unsere Lösung lautet demnach : Die sinnfällige Bestimmtheit am Erfah­ rungsgegenstand vervielfältigt sich in der geistartigen Wirklichkeit der Vor­ stellung, und das schafft sie aus Eigenem, wie überhaupt jedes Wirkende in seiner eigentümlichen und wesentlichen Tätigkeit sich allein genügt. j) Diese Auffassung muß sozusagen das Fundament für diese Wissen­ schaft (der Psychologie) abgeben. Dadurch erledigen sich zahllose Irrtümer über das Tun und das Empfinden der Seele. Nunmehr ist klar, daß das Sinnfällige tin doppeltes Sein hat : ein einfaches und geistartiges in der Herauslösung aus dem stofflichen Bestand; es hat

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rei ; alterum autem materiale in re, in qua est per agens generans non sim­ plex, quod agit eam educendo de materia per generationern. De anima. (Ed. Co!. t. 7, 1 p . 1 04, 42 - p . 1 07, 82) .

1 64 . 3 1 Igitur i n intellectu materiae clauditur esse formae i n ea secundum in­ cohationem, quia aliter non exiret continue accepta per motum. Forma igi­ tur non est ei immixta per adventurn ab extrinseco, sed intrinseca intellectui eius. Et haec est causa, quod unum est et unius naturae constitutum ex ma­ teria et forma, sed non constitutum ex subiecto et accidente . Et ideo dicit Aristoteles, quod "materia non intelligitur nisi per analogiam ad formam" . Metaphysica (Ed. Co!. t. 1 6 p. 79, 5 5 - 64).

1 65 . Id enim quod nec forma est, nec formam habet, nec habet analogiam ad formam, non est designabile per nomen aliquod, et sui nulla potest esse penitus notitia. Ibid . p . 291 , 52 - 5 5 .

1 66 . Hoc tarnen hic adiungimus, quod materia nullo modo potest esse ge­ nerationis subiectum aut entis principium nisi per analogiam ad formam. Ad formam autem non habet analogiam nisi per formae esse imperfectum et indeterminatum et confusum existentis in ipsa. Ibid. p . 1 47, 1 9 -24.

167. Unum fit ex materia et forma non in eo quod haec duo sunt substan­ tiae differentes secundum seipsas, sed in eo quod materia analogiam habet ad formam per hoc quod forma secundum esse confusum et imperfectum est in ipsa. Ibid . p . 1 49, 71-76.

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seine Ursache in einem einfachen Bewirkenden, eben der Bestimmtheit des Naturdinges als solcher; eine zweite, aber physische Verwirklichung be­ sitzt die sinnfällige Bestimmtheit am Erfahrungsgegenstand ; hier entsteht es unter dem Einfluß einer zusammengesetzten (körperlichen) Ursache, die es durch Erzeugung aus dem Stofflichen entwickelt.

3 . Materie a) Analoge Erkennbarkeit der Materie 1 64 . Im Begriff der Materie (der ersten, allen Körpern gemeinsamen Seinsgrundlage, die sich zu jedem Körper bestimmen läßt) ist das Sein der Form im Ansatz enthalten, sonst könnte die Form bei unablässiger Verän­ derung (der zusammengesetzten Wesenheit) nicht aus ihr hervorgehen. Die Wesensform ist demnach nicht durch ein Hinzutreten von außen in die Ma­ terie eingelassen, sich mit ihr vermischend, vielmehr als etwas innerlich zum Begriff der Materie Gehörendes . Das ist auch der Grund dafür, daß das aus Materie und Form Zusammengesetzte eine ganzheitliche Einheit und eine einzige Natur ausmacht, nicht dagegen das Ganze aus dem Träger und dessen beiwesentlicher Bestimmtheit. Deshalb sagt Aristoteles, die Materie werde nur durch ihr Verhältnis (Analogie) zur Form erkannt. 1 6 5 . Für ein Etwas, das nicht gestaltende Form ist, keine Form hat und nicht irgendwie in einer Analogie zur Form steht, gibt es keine Namens­ bezeichnung, und davon gibt es überhaupt keine Kenntnis .

1 66 . Wir fügen hier jedoch hinzu, daß die Materie nur durch ihr Verhält­ nis zur Form den Untergrund des Entstehens oder den Ursprungs grund des (körperlich) Seienden bilden kann. Zur Form aber steht die Materie nur da­ durch in einer Analogie, daß die Form in ihr schon in einem unentwickelten und unfertigen und verschwommenen Zustand vorhanden ist. 1 67. Zur Entstehung eines körperlichen ganzheitlichen Seienden gehören Materie und Wesensform nicht als zwei verschiedene, in sich abgeschlos­ sene und in sich stehende Seinsheiten (substantiae) . Das Werden eines Kör­ perdinges ereignet sich vielmehr dadurch, daß die Materie als ein (der Reihe nach durch unendlich viele Formen) bestimmbarer Untergrund schon in einem Ähnlichkeitsverhältnis zur Wesensform steht; diese ist in der Materie in einem unabgehobenen und unvollkommenen Zustand vorhanden.

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1 6 8 . Hoc solum autem hic dicimus, quod, cum Boethius dicat naturam quattuor modis dici, nos non intendimus ni si de natura quae uno istorum dicitur quattuor modorum. Sicut enim Boethius dicit, communissime na­ tu ra dicitur secundum quod est earum rerum quae, cum sint, quoquo modo intellectu capi possunt. In hac enim diffinitione naturae et accidentia et sub­ stantiae continentur; haec enim omnia intellectu capi possunt. Additum au­ tem est " quoquo modo " , quoniam Deus et materia prima intelligi non pos­ sunt ; aliquo tarnen modo intelliguntur, quia privatione ceterorum capiun­ tur. Physica 1.2 tr. 1 c. 1 (Ed. Par. t. 3 p . 94a) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 1 9vb ; München, Staats bibI. Clm 2 8 1 86 f. 24ra.

1 69 . Solutio etiam patet ad alterum dubitabile, quoniam materiam reduc­ tarn in ens, sicut reducitur pars ad totum quod dividit, habet considerare Primus philosophus, quia illa non est proportionata formae, quae simplici­ ter et maxime natura est; nec ipsa hoc modo naturale principium est, quia sie non est immixta privationi, et ideo hoc modo non subicitur motui. Sed materiam quae est proportionata formae per privationern, quae est in ipsa formam incohans, habet considerare Physicus, propter hac quod habet cum forma unitatem analogiae et proportionis . Nec valet ratio inducta, quod ideo materia sit de consideratione eiusdem scientiae, quia ipsa substantia una est : quia multa sunt subiecto eadem, quae sunt diversarum scientiarum, sicut patet in physico et mathematico corpo­ re, quae sunt subiecto unum, et tarnen propter diversas ipsarum diffinitio­ nes sunt de consideratione diversarum scientiarum. Phys. 1.2 tr. 1 c. 9 (Ed. Par. t. 3 p. 1 1 2a) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 23rb.

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1 68 . Boethius spricht von Natur i n vierfacher Bedeutung. Wir beschrän­ ken uns hier auf eine einzige der vier Aussageweisen. Im gewöhnlichen Sinn fallen unter Natur - nach Boethius - alle Dinge, die, da sie Sein haben, mit dem Verstand auf j ede Weise erfaßt werden können. Diese Begriffs­ bestimmung der Natur erstreckt sich sowohl auf das beiwesentliche Sein (accidens) wie auf das in sich stehende (substantia) ; solche Wirklichkeiten sind sämtlich dem Verstand zugänglich. Hinzugesetzt ist aber " auf j ede Weise" , weil Gott und die Erste Materie einem echten und vollkommenen Erkennen sich entziehen, irgendwie j edoch durch das Verneinen anderer Bestimmtheiten zu erkennen sind.

b) Zur metaphysischen und physischen Betrachtungsweise der Materie 1 69 . Damit stellt sich die Lösung für die zweite Schwierigkeit heraus. Wird die Materie nach Art des Teiles eines Ganzen als ein Seiendes genom­ men, so hat sie der Metaphysiker zu untersuchen. Denn als Seiendes hat sie keine Verhältnisbeziehung zur Form, die einfachhin und entscheidend das Wesen des Naturdinges ausmacht. Als Seiendes gefaßt, ist sie auch nicht ein Ursprungs grund für das physische Seiende, weil sie als solches nicht mit einem (zum physischen Werden erforderten) Fehlen einer Bestimmtheit (privatio) behaftet ist und deshalb nicht der physischen Veränderung (des Entstehens) unterliegt. Die Materie kann ebenfalls in ihrer Verhältnisbeziehung zur Form ge­ nommen werden. Diese Beziehung liegt in dem Fehlen einer Form, das sel­ ber schon eine unentfaltete Einführung der Form in die Materie ist. Unter dieser Rücksicht handelt über die Materie der Naturphilosoph, weil sie, so betrachtet, mit der Form in einer Analogie- und Verhältniseinheit steht. Nicht stichhaltig ist der dagegen geltend gemachte Grund, die Materie (als Seiendes und in der Verhältnisbeziehung zur Form) sei schon deshalb Gegenstand einer einzigen Wissenschaft, weil sie etwas in sich Stehendes ist. Es gibt nämlich viele Wirklichkeiten, die demselben Träger aufruhen und doch verschiedenen Wissensgebieten zugeteilt werden ; so z. B. der physische und der mathematische Körper, die denselben Träger (im Be­ reich der Natur) haben, doch aber wegen der verschiedenen Begriffsbe­ stimmungen in je anderen wissenschaftlichen Fachrichtungen untersucht werden .

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1 70 . Similiter consideremus id quod Peripatetici principium vocant, quod est materia. Huius enim consideratio est, quod est subiectum et fundamen­ tum, et quod ipsa est in potentia; et per primum sustinet formam, et per se­ cundum est infinita, sed finibilis. Quaeramus igitur, utrum materia per hoc quod est, est re rum princi­ pium, aut per ista duo . Si est principium per hoc quod est, est in se; tune in nulla habitudine ad formam et ad mo turn est principium, quia per hoc quod est id quod est, est in seipsa. Sed oportet principium ab actu principiandi dictum principium esse ab habitudine principiandi ; ergo materia per hoc quod est duo ista, est existen­ tium principium. Resumo igitur ea quae sunt principii primi, quod per suam essentiam est principium et non cui aliquid aliud ab ipso confert principiare ; dualitas au­ tem ista confert materiae principiare, sicut unitas confert principiare for­ mae ; ergo binarius iste est principium materiale rerum . Et vide, qualiter iste binarius ex unitate formali primo procedit. Constat autem ex his quae in praehabitis bene disputata sunt de principi­ is, materiam non esse subiectum nisi per aliquid formae, quod incohative est in ipsa; hoc autem est esse formae in potentia. Metaph . Ed. Co!. t. 16 p . 49, 1 4 - 3 7.

1 71 . Licet enim genus non sit materia, in duobus tarnen ad minus materiae est propinquissimum . Quorum unum est, quod materia est primum forma­ rum subiectum, sicut et genus est subiectum differentiarum. Secundum au­ tem est, quia sicut potestate genus habet omnes differentias, actu vero nul­ lam, et haec potestas non est ipsa natura generis et substantia, sed est habi­ tualis incohatio confusa et imperfecta differentiarum, ita et materia potes­ tate habet formas, quae potestas non est ipsamet materia, sed est habitualis confusio et incohatio formae ad speciem indistincta et indeterminata. Et ideo ambit formas oppositas, sicut potestas generis differentiarum am bit oppositionern . Metaph. Ed. Co!. t. 1 6 p. 225, 74 - 86 .

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c) Materie als Untergrund und Fundament 1 70 . Auf ähnliche Weise wollen wir j etzt prüfen, ob die Materie das ist, was die Peripatetiker Ursprungsgrund nennen. Die Materie stellt sich dem Denken dar einmal als Untergrund und Fundament, sodann als Seinsanla­ ge. Als Untergrund und Fundament ist sie der Träger der Wesensform, als Seinsanlage ist sie unendlich, aber begrenzbar. Wir stellen also die Frage : Ist die Materie Ursprungsgrund der Dinge durch das, was sie ist, oder auf Grund j ener zwei Gegebenheiten ? Ist sie nun Ursprungsgrund durch das, was sie ist, so ist sie in sich ; dann ist sie Ur­ sprungsgrund ohne Bezug auf die Form und auf die verändernde Bewe­ gung, weil sie durch das, was sie ist, in sich steht. Der Ursprungsgrund im Sinn seiner tatsächlichen Verwirklichung muß aber als solcher sich von einer Mächtigkeit des Ursprunggebens herleiten ; daher ist die Materie (als das, woraus etwas entsteht und das i n dem Ent­ standenen bleibt) Ursprungsgrund der existierenden Dinge eben durch j ene bei den Bestimmungen : Untergrund und Fundament sowie Seinsanlage. Ich greife hier auf den allerersten Ursprungsgrund zurück, der es kraft seines Wesens ist und dem nicht irgend etwas anderes das Ursprunggeben verleiht; der Materie dagegen teilt es j ene Zweiheit mit, wie auf der anderen Seite gerade die Einheit das Ursprunggeben der Form begründet. Folglich ist j ene Zwei zahl der stoffliche Ursprungsgrund der Dinge der Natur. Aus der bereits geführten Diskussion über den Ursprungs grund steht nun aber fest, daß die Materie nur dadurch der Untergrund des Werdens ist, daß sie ein Etwas der Form an sich hat, das bereits in anfänglichem Zustand in ihr ist; das wiederum ist das in der Anlage gegebene Sein der Form. 1 71 . Gattung ist freilich nicht gleich Materie, mindestens jedoch in zwei Punkten steht sie ganz in der Nähe der Materie. Zum ersten ist die Materie der erste Untergrund der Form, wie die Gattung der Träger der artbilden­ den Wesensbestimmungen ist. Zum zweiten trägt die Gattung alle artbil­ denden Unterschiede als Anlagen in sich, nicht jedoch in entfalteter Ver­ wirklichung, und diese Anlage deckt sich nicht mit dem Wesen der Gattung und dem In-sieh-Sein ; vielmehr besteht sie in dem bleibenden unentfalteten und unvollkommenen Vorhandensein der artbildenden Wesensbestim­ mungen in der Gattung. So hat auch die Materie die Wesensformen der Dinge in der Anlage in sich, und diese Anlage ist nicht die Materie selber, sondern das in ihr ruhende unentwickelte, auf eine bestimmte Wesensart hin noch nicht unterschiedene und noch nicht festgelegte Vorhandensein der Form . Infolgedessen erstreckt sich die Materie (weil zu allem Körper­ lichen bestimmbar), auf gegensätzliche Formen, wie auch die Gattung in

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1 72 . Unde materia subiecta non est in alio ut in subiecto, et ideo et est sub­ stantia. Sed omne quod est in alio ut in subiecto, est in materia subiecta, sed non convertitur, quia subiectum substare non habet nisi gratia materiae proprie loquendo, sed materia habet illud a seipsa. Metaph. Ed. Col. t. 16 p . 236, 6 1 - 6 6 .

1 73 . Et quod ad esse materiae nullo indiget, hoc est ideo, quia hoc est primum in ratione subiecti, et si ad hoc alio indigeret, oporteret, quod hoc esset subiectum prius primo, et abiret hoc in infinitum, et infinitum abhor­ ret intellectus omnis. Metaph. Ed. Col. t . 1 6 p . 5 8 , 5 7- 6 1 .

1 74 . Constat enim nihil agere in alterum, nisi quod est in esse salvatum ; contrarium autem in esse non salvatur nisi per subiectum in quo est; ergo ad hoc quod in se invicem agant contraria, debet ipsis subici tertium quod est subiectum salvans et sustinens utrumque ; et sic non possunt esse tantum duo contraria principia. Adhuc, id quod est ex principiis constitutum, est "hoc aliquid" . Id autem quod est "hoc aliquid" , duo habet in seipso ex principiis constituentibus ip­ sum ; est enim per se subsistens, et est ens completum in actu . Oportet ergo, quod unum principiorum sit in se subsistens, et hoc est id quod contrariis subicitur, et alterum sit actus eius, et hoc est alterum contrarium, quod est per modum habitus . Nec est nobis dubium ex his quae in Logicis et Prima philosophia dicta sunt, substantiam dividi in tria, scilicet in materiam, et formam, et compositum. Dicitur autem substantia a substando ; cum autem substent tria, scilicet materia, et prima substantia, et secunda, constat, quod id quod prima substat, a quo ambo alia habent substare, est materia; prop­ ter quod etiam ipsa est subiectum primum, quia ipsa est quae proxime sub­ stat formae et primo ; et hoc modo sola ipsa inter simplicia substantia est . . . Et hoc modo prima substantia, quae est " hoc aliquid" , non habet a forma, quod sit substantia, sed potius a materia. Phys. 1. 1 tr. 3 c . 5 (Ed. Par. t. 3 p . 5 7bsq . ) ; Paris, BibI. Nat. Cod. 6509 f. 12vb; Mün­ chen, StaatsbibI. Clm 2 8 1 86 f. 1 4vb-1 5ra.

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ihrer Anlage die artbildenden Wesens bestimmungen i n einem Gegeneinan­ der umgreift. 1 72 . Die Materie ruht nicht einem anderen Träger auf, und darum ist sie etwas in sich Stehendes (substantia) . Alles aber, was eine Trägerwirklich­ keit braucht, hat in der Materie einen tragenden Untersatz, nicht j edoch umgekehrt, weil im eigentlichen Sinn der Untergrund das tragende Darun­ terstehen einzig und allein dank der Materie besitzt, die Materie schließlich von sich aus . 1 73 . Daß die Materie für das Materie-Sein nichts weiter nötig hat, kommt daher, daß sie das erste Glied in der Reihe des Zugrundeliegenden ist. Wäre sie für diese ihre Funktion selber auf ein anderes Etwas angewiesen, so käme ein noch vor dem ersten liegender Untergrund heraus, und es wäre ein Marsch ins Unendliche, das aber für alles Denken ein Abscheu ist.

d) Materie als Substanz 1 74 . Es ist klar, daß ein Etwas nur dann auf ein anderes einwirkt, wenn es als Seiendes besteht. Gegensätzliches aber hat das Sein nur durch den es tra­ genden Untergrund . Damit also zwei gegensätzliche Inhalte aufeinander einwirken, müssen sie einem dritten Etwas aufruhen, das beide Erschei­ nungen hält und trägt, und deshalb kann es nicht nur zwei gegensätzliche Ursprungsgründe geben. Ferner, was aus Ursprungsgründen besteht, ist immer das ganz be­ stimmte Einzelseiende ; eben dieses vollausgestattete Einzelwesen vereinigt in sich von den Ursprungs gründen aus zwei Eigentümlichkeiten : es ist ein selbständiges und ein vollständiges Seiendes. Daher muß es so sein, daß der eine Ursprungsgrund auf das Selbständig-Sein zielt, und das ist der die ge­ gensätzlichen Erscheinungen tragende Untergrund ; der andere Ursprungs­ grund ist die entfaltete Verwirklichung des erstellten Einzelwesens, und das ist einer der beiden Gegensätze, der als eine Art Gehaben (des Geeignet­ seins und der schon unbestimmt angelegten Form) vorhanden ist. Von der Logik und der Metaphysik her besteht für mich kein Zweifel, daß an der Substanz ein Dreifaches zu sehen ist : die Materie, die Form, das ganze Zusammengesetzte . Der Ausdruck "Substanz" kommt nun aber vom Darunterstehen (substare), das wieder auf ein Dreifaches zutrifft : auf die Materie, auf das mit allem Beiwesentlichen versehene Einzelwesen (prima substantia), auf das aus den Einzelbestimmtheiten herausgelöste allgemeine Wesen (secunda substantia) . D araus ergibt sich, daß die Materie das erste

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1 75 . Est enim substantia materia a substando et fundando dicta, sive sit materia in qua sive ex qua est res . Sed haec substantia non facit esse rem id quod est; secundum enim quod esse rei, quae est ab essentia, est haec sub­ stantia, nihil penitus est de esse rei, sed ipsa est in qua est esse eius quod est. Et hoc modo dicta substantia non est, quod sit aliquid de esse rei, sed quia substat ipsi esse. Et ex hoc patet ipsam non accipere nomen substantiae nisi per aliquam analogiam ad formam, quae vere substantia est, et est ipse mo­ dus analogiae, quia substat esse formali. Metaph. Ed. Co!. t. 1 6 p. 356, 5 8 - 6 8 .

1 76 . C u m enim dicitur sub stare omnibus, quod relinquitur post omnia, hoc quidem est verum, sed hoc non dicit maximam entitatem, sed imperfec­ tissimam, quae indiget determinari per omnia accidentalia et substantialia, antequam possit in actu completo designari. Et sie patet, cum substantia verissimam et completissimam habeat entitatem, quod materia minime est substantia. Metaph. Ed. Co!.

t.

16 p . 324, 73 - 80 .

1 77 . Quocirca propter hoc quod unius generatio est alterius corruptio, et e converso unius corruptio est alterius generatio, est generatio transmutatio quae numquam secundum naturam quiescit . Ex hoc autem etiam patet solu­ tio ante habitae quaestionis ; quia ens actu generationi subicitur secundum quod corrumpitur, et ens potentia secundum quod generatur. Cum ergo actu sub una forma, et potentia sub altera, et causa inquietudinis eiusdem videtur desiderium infinitum, quod non desiderat unam formam tantum,

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Darunterstehende ist, von dem die beiden anderen das Darunterstehen erst bekommen. Deshalb ist sie auch der erste Untergrund überhaupt, weil sie die erste und unmittelbare Trägerin der Form ist. In diesem Sinn ist im Be­ reich des nicht Zusammengesetzten sie allein Substanz. Folglich hat die er­ ste Substanz, eben das allseits bestimmte Einzelseiende, das Substanz-Sein nicht von der Wesensform, vielmehr von der Materie . 1 75 . Das Substanz-Sein der Materie leitet sich vom Darunterstehen und vom Zugrundeliegen her, und zwar gilt das sowohl von der Materie, in der etwas besteht, wie auch von j ener, aus der etwas entsteht. Die so verstan­ dene Substanz macht das Ding nicht zu dem, was es seinem Wesen nach ist. Denn sofern das von der Wesensbeschaffenheit kommende Verwirklicht­ sein des Dinges eben das in sich stehende Wesen ist, gehört die Materie in keiner Weise zu seinem Verwirklicht-Sein, sie ist vielmehr das aufneh­ mende Element für die Wesens gestaltung des bestimmten Einzelseienden. Substanz in diesem Sinn ist die Materie nicht derart, daß sie etwas von der Wesensverwirklichung des Dinges wäre, sondern deshalb, weil diese auf ihr aufruht. Damit ist deutlich, daß ihr die Bezeichnung " Substanz" nur zu­ steht durch eine Analogie zur Form, die wirklich das in sich Stehende ist; dabei liegt die Analogie darin, daß die Materie der wesengebenden Voll­ kommenheit zugrunde liegt. 1 76 . Die Aufstellung, die Materie sei das allem (körperlichen) Seienden Zugrundeliegende, worauf das Denken nach Abzug aller Bestimmtheiten stößt, ist zwar richtig, besagt j edoch nicht die mächtigste Seinsweise, son­ dern gerade die schwächste, die erst noch auf alle beiwesentlichen und wesentlichen Bestimmungen warten muß, bevor sie in ihrem ganzen Gehalt angegeben werden kann. Da also die des Selbstandes fähige Wesenheit (substantia) die wirklichste und vollständige Seinsweise besitzt, ist klar, daß die Materie überhaupt keine Substanz ist.

e) Materie und Form 1 77. D a also das Entstehen des einen Gebildes zugleich das Vergehen eines anderen ist, und umgekehrt der Untergang des einen der Hervorgang des anderen, ist der Vorgang des Werdens eine nie zum Stillstand kom­ mende Veränderung. Darin liegt auch die Antwort auf die vorh�r aufge­ worfene Frage (warum das Werden im Weltall nicht abnimmt) : Das in Wirklichkeit Seiende unterliegt dem Geschehen des Werdens insofern, wie es vergeht; was indes nur der Möglichkeit nach ist, wird vom Werden inso-

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sed omnem successive, cum simul eas habere non possit, hoc autem desi­ derium formae incohatio est in materia, quae educitur de ipsa, sicut declara­ tur in philosophia Prima. De generat . et corrupt . ! . 1 tr. 1 c . 22 (Ed . Par. t. 4 p . 364 a/b) ; Stift Lilienfeld, Cod. 205 f. 6 ra.

1 78 . Ad secundum dicendum, quod privatio formae vel boni est cum apti­ tudine et seminario ad bonum, et haec privatio est in materia inquantum materia, nec est malum, sed bonum incohatum . Super Dion . De div. nom. Ed. Colon. t. 37, 1 p. 243, 59-62. 1 79 . Materia autem non simpliciter participat pulchro et bono , sed in po­ tentia. Ibid . p . 1 94, 82 - 8 3 .

1 80 . Materiam enim non habet bonum nisi sicut "in qua" , quae non est de esse rel. Ibid. p . 290, 39-40.

1 8 1 . Esse enim materiae in eo quod materia est, non est esse determina­ turn vel perfectum aliqua perfectione, sed est esse incompletissimum et im­ perfectissimum . Metaphysica (Ed. Co!. t. 1 6 p. 324, 94-p . 325, 1 ) .

1 82 . Propter hoc videtur dicendum, quod, quamvis Physici non sit de­ termin are de exitu materiae in esse, sed potius relinquere materiam esse, eo quod ipsa sit principium physicum, sicut quaelibet scientia relinquit esse sua principia, et non quaerit, qualiter in esse exiverint, tarnen propter boni­ tatem doctrinae dicimus, quod a prima causa exivit in esse; et sicut ipsa sci­ bilis est per analogiam ad formam, hoc modo secundum rationem propor­ tionis habuit ideam . Primum enim causat per imperium, et ideo subiectum cadit in intellectu eius hoc modo quo lignum in mente artificis ; non enim cadit in mente artificis in eo quod est lignum, sed in eo quod susceptibilis est

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fern berührt, wie es hervorgebracht wird. Da es also verwirklicht ist unter der einen Form, unter der anderen aber nur der Möglichkeit nach vorhan­ den ist, scheint ein unbegrenztes Verlangen der Grund zu sein, daß es nicht zur Ruhe kommt. Es erstrebt ja nicht nur eine einzige Form, sondern alle, und zwar, da es sie nicht alle gleichzeitig haben kann, eine nach der ande­ ren . Dieses Verlangen ist nun sachlich nichts anderes als der unentwickelte Ansatz der Form in der Materie, der aus ihr heraus entfaltet wird. Die Erklärung dafür gibt die Metaphysik .

f) Materie, das Seins gute und das übel 1 78 . Der Mangel der Form oder des Seins guten hat die Eignung und die Entwicklungsfähigkeit zum Seinsguten; sie ist mit der Materie als Materie gegeben und ist nicht ein übel, sondern das Seinsgute in unentwickeltem Zustand. 1 79 . Die Materie ist des Schönen und des Seinsguten teilhaftig, nicht zwar schlichthin in entfalteter Wirklichkeit, doch aber unter bestimmter Rück­ sicht, nämlich der Anlage nach. 1 80 . In der Ursachenordnung für das Seins gute steht die Materie nur als das aufnehmende " In" .

1 8 1 . Was die Materie zur Materie macht, ist nicht eine Bestimmtheit oder irgendeine Seinsvollkommenheit; sie ist in sich höchst unentwickelt und unfertig, d. h . bar aller wesentlichen und beiwesentlichen Bestimmungen .

1 82 . Es ist allerdings nicht die Aufgabe des Naturphilosophen, den Ur­ sprung der Materie zu erörtern ; er geht vielmehr einfach von der Tatsache aus, daß es Materie gibt, da sie ein Ursprungsgrund im Bereich der Natur ist. So nimmt ja j ede Wissenschaft ihre letzten Gründe als gegeben hin, ohne zu fragen, wie sie entstanden sind. Im Bestreben j edoch, die Naturlehre vollständig zu geben, fügen wir hinzu, daß der Ursprung der Materie auf die Erstursache zurückgeht. Sie ist nämlich nur erkennbar durch die Analogie zur Form, und auf genau die gleiche Weise (durch die Hinordnung auf die Form) hatte sie (unter be­ stimmter Rücksicht) eine Idee als Urbild. Denn die Erstursache wirkt die Naturwirklichkeit durch einen Beschluß (durch Verstand und Willen), und

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artis. Et hoc est primum subiectum formae naturalis quod cadit in mente divina. Physica l . 1 tr. 3 c . 13 (Ed . Par. t. 3 p . 77b ) ; Paris, Bibl. Nat. Cod. 6509 f. 1 6vb ; Mün­ chen, Staatsbibl. Clm 2 8 1 86 f. 20raJb.

1 83 . Praeterea, id cuius causationem nihil suscipit, non potest esse causa alicuius ; sed dei causationem nihil suscipit ; alioquin oporteret ante quemli­ bet actum eius praeexistere materiam, quae susciperet actum eius, et sie materia esset aeterna, quod est inconveniens secundum fidem . Super Dion. De div. nom . E d . Col. t. 37, 1 p . 23, 34 - 3 9 .

1 84 . Et cum aeternum sit immutabile, patet, quod hyle non est aeterna, sed in temporalibus omnibus magis temporalis et prope nihil existens . Metaph. Ed. Col. t. 1 6 p. 5 8 , 2 0 - 2 3 .

1 85 . Quod autem generatum iam est, illud necesse est esse, quando pri­ mum in generaturn et factum esse completum est. Et nihil horum potest esse, nisi materia incorruptibilis et ingenita generationi subiciatur et ni si sit forma impermixta potentiae motum terminans . Ergo materia est incorrup­ tibilis et ingenita, et per consequens perpetua secundum naturam. Ibid. p. 124, 6 - 1 3 .

1 86 .32 S i quis autem diceret, quod non est intelligentia quae operatur in sphaera activorum, sed natura : quicumque hoc dicit, philosophiam nescit. Totum enim opus naturae probatum est esse opus intelligentiae per hoc quod cum ratione finis format et operatur diversa tarn in plantis quam in

Einzelfragen

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darum fällt das bestimmbare und bestimmungsbedürftige Zugrundelie­ gende unter das (göttliche) Erkennen, wie das Holz vom Kunstschreiner mitgedacht wird, allerdings nicht eben als Holz, sondern als gestaltbarer Stoff für sein künstlerisches Schaffen. So ist die Materie das, was der We­ sensform des Naturdinges am tiefsten als formbarer Untergrund zugrunde liegt, und insofern ist sie ein Etwas, das in Gottes Gedanken einbezogen ist.

g) Immerwährend, aber geschaffen 1 83 . Ein weiterer Einwand: Eine Ursache, deren Tätigkeit keinen Emp­ fänger hat, kann nichts ursächlich hervorbringen. Gottes Ursächlichkeit findet nun aber nichts Aufnehmendes vor; sonst müßte vor j edem Handeln Gottes (nach außen) eine Materie als Empfänger vorhanden sein ; damit wäre die Materie von Ewigkeit, was j edoch mit dem Glauben nicht zu vereinbaren ist. 1 84 . Ewiges ist in sich unveränderlich. D araus erhellt, daß die Materie nicht ewig ist. Sie ist sogar noch mehr der Zeit unterworfen als alles, was in der Zeit existiert, und ist ganz in der Nähe des Nichts angesiedelt. 1 85 . Was bereits durch natürliches Entstehen hervorgebracht ist (genera­ tum), das ist notwendigerweise da, sobald es vollständig hervorgebracht und gebildet ist. Das ist nur dann möglich, wenn an der unvergänglichen und nicht durch den Vorgang natürlichen Werdens entstandenen (ingenita) Materie eine natürliche Veränderung sich ereignet, und wenn die Form, welche den Vorgang sinnvoll abschließt (anders als die in sich unvollkom,­ mene Bewegung der Veränderung) frei von Möglichkeit ist, d. h. entfaltete Wesensverwirklichung. Also ist die Materie unvergänglich und nicht durch einen Naturvorgang hervorgebracht, und folglich ist sie vom Lauf der Natur her etwas immerwährend Bleibendes.

4. EinzelJragen a) Geist in der Natur und im Menschen, Spannung im Menschsein 1 86 . Würde j emand behaupten, in der Sphäre der wirkfähigen Wesen sei nicht ein Geisteswesen am Werk, sondern einfach die Natur, der versteht nichts von Philosophie . Denn es ist erwiesen, daß alles Naturgeschehen das Werk eines Geistes ist, der sowohl im pflanzlichen wie im tierischen Be-

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animalibus et in omnibus quae perfectae sunt naturae ; quod natura face re non potest eo quod natura non est nisi ad unum . Propter quod etiam anima, quae non attingit perfectionem imaginis intelligentiae nisi ex parte illa qua intelligentia comparatur ad elementorum virtutes, sicut sensibilis et vegeta­ bilis, a diversitate deprimitur ad unum et non sequitur diversitatem, quam imaginatur. Et ideo omnis hirundo ad unum modum facit nidum, et omnis aranea similiter alii facit telam . Sed non omnis homo similiter alii facit do­ mum vel vestem vel quodlibet aliud operum suorum . Ex his et de necessitate sequitur intellecturn hominis a tali natura animae quae organica est, esse possessum et adeptum a natura superiori ; et quanto magis avertitur ab inferiori virtute, qua se habet ad organa, tanto magis in­ tellectum suum proprium adipiscitur, acquirit et possidet ; et quanto magis convertitur ad organa, tanto magis obumbratur, et cadit ab intellectu, et be­ stialis et arboreus efficitur, et perdit intellectum, et declinat a natura homi­ nis . Et hoc est quod dicit AristoteIes, quod " secundum prudentiam dictus intellectus non aequaliter videtur inesse animalibus, sed neque hominibus" . In hac autem adeptione nobilissima omnes Peripatetici radicem dixerunt esse immortalitatis, et per ipsam homines in deos transponi et transformari, et tales Platonis philosophia heroas, quasi semideos appellavit. De XV problematibus q . 1 (Ed. Co!. t. 1 7, 1 p . 33, 3 7- 69).

1 8 7. Ad hoc tarnen etiam valet, quod in II Arithmeticae probatum est in loco qui "invictus" vocatur, quod scilicet omnis multiplicitas ad unitatem reducitur, quae causa substantialis est multiplicitatis illius . Quaeramus ergo , ad quid ante se omnis reducitur caelorum et stellarum et motuum multiplicitas . Et cuilibet patet, quod reduci non potestnisi ad primi motoris unitatern, quam omnes inferiores in motibus suis secundum aliquid desi­ derant . Si autem subtiliter inspiciatur, quae causa sit illius difformis desiderii,

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reich und überhaupt bei allen in sich abgeschlossenen Wesen die mannigfal­ tigen Lebensvorgänge sinnhaft-zielgerichtet hervorbringt. Das aber kann die immer nur auf eine Tätigkeitsweise festgelegte Natur nicht leisten . Das ist auch der Grund, weshalb die Seele des sinnlichen und des vegetativen Lebens, die als Abbildungen die Macht des Geistes nur in seinem Bezug auf die Kräfte der Grundstoffe wiedergeben, auf eine einzige Wirkweise be­ schränkt bleibt und sich nicht nach der Vielfalt richtet, deren Abbil­ dung sie ist. Deshalb bauen alle Schwalben ihr Nest auf die gleiche Weise und zieht die eine Spinne gen au wie die andere ihr Netz . Anders der Mensch : Bei seinem Haus, in seiner Kleidung, und bei jedem anderen Un­ ternehmen geht er nicht genauso wie die anderen vor. Hieraus ergibt sich zwingend, daß der menschliche Verstand einer jeden solchen Natur der Seele, die der Ursprung des organischen Lebens ist, " als Besitz gegeben" und zugleich unter dem Einfluß einer übergeordneten Natur " erworben" ist (aus früher schon gewonnenen Erkenntnissen) . Je mehr nun der Mensch von der niederen Kraft; durch die er an Organe gebunden ist, sich löst, desto mehr erwirbt, erlangt, und besitzt er seinen eigenen Verstand ; und je mehr er sich dem Organischen zuwendet, desto mehr wird seine Sicht verdunkelt; er gleitet vom Verstandesbereich ab, gleicht sich den Tieren und den Pflanzen an, geht der Verstandestätigkeit verlustig, und fällt von der Höhe der menschlichen Natur herab . Das meint Aristoteles mit dem Satz, daß " der Geist im Sinn von Denkkraft (in seiner Betätigung) nicht den Tieren, ja nicht einmal den Menschen in gleicher Weise zuzukommen scheint" . In dieser vornehmsten Teilhabe des Menschen (an der höheren Geistes­ macht) sahen alle Peripatetiker die Wurzel der Unsterblichkeit und den Grund für eine Vergöttlichung des Menschen, und die Menschen mit voll­ entwickeltem Geistesleben nannte die Philosophie Platons "Heroen " , d. h. Halbgötter. b) Das Naturstreben zum Ersten Beweger hin und die Schöpfertätigkeit Gottes 1 87 . Hier kommt der unumstrittene Satz aus dem 2. Buch der Arithmetik (des Boethius) zur Geltung, daß j ede Mehrzahl auf die Einheit zurück­ geführt wird, die für jene Vielzahl die wesentliche Ursache ist. Fragen wir also , auf welche Einheit die Vielzahl der Himmelssphären und der Sterne und der Bewegungen zurückgeht. Für j edermann ist klar, daß sie nur her­ zuleiten ist von der Einheit des ersten Bewegers (der Himmel) , nach der alle niedrigeren Dinge in ihren Vollzügen irgendwie naturhaft verlangen. Auf ein genaueres Nachfragen, welches der Grund für j enes uneben-

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non potest aliquis dicere, quod alia sit nisi similitudo imperfecta ad causam primam . Non enim aliquid appetit aliud nisi per similitudinem, quam habet ad aliud; nec aliquid movetur ad aliquid nisi propter imperfectionem quam habet in illo quod appetit. Similitudo igitur primi, quae est in omnibus et multiplex est, in illis causari non potuit nisi per hoc quod omnia sunt ab illo . Omnium enim quorum est similitudo essentialis ad unum, fluxus est ab uno aliquo, in quo illud in quo similia sunt, actu est et perfectum. Sie species a genere, sie sunt individua a speciebus, sie omnis multiplicitas trahit se in ulllt atem. Quaeramus ergo ab istis, si hoc aliquis capere posset intellectus, quod primum omnibus hanc influit similitudinem iam existentibus in natura et esse ; et constat, quod hoc non est intelligibile . Oportet ergo, quod hanc si­ militudinem causavit in omnibus causans omnia secundum essentiam et in esse naturali et substantiali. Omnia ergo ab uno perfecta sunt secundum substantiale esse et naturale. Facta sunt ergo omnia secundum esse. Non ergo hoc modo sunt aeterna, quod principium essendi secundum substan­ ti am et naturam non habuerunt. Ibid. q . 5 (Ed. Co!.

t.

17 p. 37, 5 8-p. 38, 25).

1 8 8 . Sextum, quod proponunt (quod numquam fuit primus homo), non est philosophieum. Philosophi enim est id quod dicit, dicere cum ratione. Neutrum autem probari potest, scilicet quod numquam fuerit primus homo, et quod aliquando fuerit primus homo . Et cum neutrum probari possit ratione perspecta, tarnen probabilius est aliquando fuisse unum pri­ mum hominem quam non fuisse, quia quorum est una natura communis, horum est unus ingressus in esse illius naturae, nisi sint facta per putrefac­ tionem. Homo autem sicut nec aliquod perfectorum animalium non est de his quae nasci possunt per putrefactionern, sicut dicit Averroes super XI Metaphysicae. Igitur nullus horn in um naturaliter in esse hominis ingressus est nisi per generationern . In omni autem generatione determinatum est ge­ nerans . Quilibet igitur homo determinatum habet generantem . Omne au­ tem determinatum generans aliquando fuit in tempore signato . Omnis ergo homo aliquando fuit in tempo re signato . Ex infinito autem nihil est accipere

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bürtige Verlangen ist, kann niemand etwas anderes angeben als die unvoll­ ständige (mit noch größerer U nähnlichkeit vermischte) Ähnlichkeit mit der Erstursache. Wenn nämlich eines nach dem anderen strebt, dann immer nur auf die Ähnlichkeit mit j enem anderen hin ; und wenn etwas auf ein anderes sich zubewegt, dann immer nur wegen des eigenen Mangels an der gesuch­ ten Vollkommenheit. Die allen Wesen eingesenkte und vielfältige Ähnlich­ keit mit der Erstursache verdankt also ihr Entstehen der Tatsache, daß alles von ihr kommt. Denn alles, was in seinem Wesen eine Ähnlichkeit mit Ei­ nem aufweist, hat seinen Ursprung in irgend einem Einen, in dem gerade die Eigenschaft, worin sie übereinstimmen, voll und vollkommen verwirklicht ist . Derart kommen die Arten aus der Gattung, die Einzelwesen aus den Arten, und so mündet alle Mehrzahl in die Einheit. Wir fragen also die Gegner, ob es dem Verstand eingeht, das Ur-Erste habe allen Dingen erst nach dem Abschluß der Natur und des Daseins diese Ähnlichkeit aufgeprägt. Das ist auf keinen Fall zu verstehen. Was allen We­ sen diese Ähnlichkeit eingepflanzt hat, das ist die Ursache, die alles dem Wesen nach sowohl im natürlichen So-Sein wie im "Für-sich-Sein" hervor­ bringt. Alles ist also in seinem " In-sich-Sein" wie im Bestand seiner Natur von einem Einzigen verursacht. Mithin ist die Gesamtheit der Dinge dem Sein nach gemacht worden . Ewig sind sie folglich nicht in dem Sinn, daß sie keinen Ursprungsgrund für das Sein in der Ordnung der selbständigen Wirklichkeit und der Natur hatten .

c) Stellungnahme zu der Hypothese, es habe keinen ersten Menschen gegeben 1 88 . Es habe keinen ersten Menschen gegeben, ist keine philosophische Setzung. Der Philosoph hat ja zu beweisen, was er sagt. Nun ist es aber ebenso unmöglich zu beweisen, es habe keinen ersten Menschen gegeben, wie daß einmal ein erster Mensch war. Obwohl also beides sich nicht ein­ sichtig machen läßt, steht doch die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß es wirklich einmal einen ersten Menschen gegeben hat, als nicht . Der Grund dafür liegt darin, daß es für die Einzelverwirklichungen, da sie die eine Natur gemeinsam haben, auch nur einen einzigen Zugang zur Verwirklichung dieser Natur gibt, falls sie nicht durch Urzeugung (selb­ ständige Entstehung von Organismen aus dem Anorganischen) entstanden sind. Der Mensch aber, wie überhaupt j edes höherentwickelte Lebewesen - so Averroes im 1 1 . Buch der Metaphysik - kann nicht durch Urzeu­ gung ins Dasein treten . Kein Mensch ist je natürlicherweise anders als durch Zeugung zum wirklichen Menschsein gelangt. Zeugung jedoch ereignet

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signaturn. Quia autem quaelibet sunt infinita, quae non contingit pertrans­ ire usque ad hoc signaturn, igitur in his quae signata et determinata sunt, non est ponere infinitum, sed necesse est ponere aliquod primum . . . Et cum homo sit imago causae primae, probabilius est constitutum primum homi­ nem esse a causa prima, quam aliter in esse processisse. Et ut utamur probabilitate ipsius Aristotelis , quam Tullius ponit in I libro De natura deorum, ubi verba Aristotelis inducit dicens, quod si in deserto ex improviso stans inveniatur palatium, in quo non nisi hirundines inve­ niantur, quamvis nesciatur artifex, qui fecit palatium, tarnen ex ipsa palatii dispositione statim convincitur, quod hirundines illud palatium non fece­ runt, sed aliqua natura intellectualis per ration em artis fecit illud. Ita etiam cum mundus artis opus sit et rationis et in ipsis generatis non possit consi­ stere, non nisi probabile est, quod primae generatorum substantiae per ra­ tiones dei deorum in esse sunt productae. Et haec pro certo Aristotelis est philosophia, quam vulgarem ipse vocat in I libro De caelo et mundo. Ra­ tionabilius ergo est, quod primus homo per creationem constiterit, quam quod numquam fuerit primus homo . Ibid . q. 6 (Ed. Co!.

t.

1 7 p. 3 8 , 3 0 - 82 ) .

1 89 . a) Anima enim entelechia corporis est per actum suum substantia­ lern, quae est vita, sicut patet ex alia diffinitione animae, quae est . . . , quod " anima est principium et causa vitae, secundum quod vivere viventibus est esse " . Et tarnen non omnes partes corporis uno modo participant vitam, sed quaedam ad nutriri et vegetari, quaedam autem ad sentire, et quaedam plus, quaedam minus, tarnen omnia participant vitam.

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sich nicht ohne einen ganz bestimmten Zeugenden, und so hat j eder Mensch einen solchen, der ihn gezeugt hat, und zwar lebte dieser Zeugende irgendwann zu einer bestimmten Zeit, und darum ebenso jeder Mensch. Im Unendlichen ist nUn aber eine Einzelbestimmtheit nicht zu erreichen. Unendlich ist ja alles das, was kein Durchschreiten bis zu einem bestimm­ ten Punkt zuläßt, und darum ist dort, wo etwas (im Koordinatensystem von Zeit und Raum) festgelegt und genau umgrenzt ist, nicht ein Unend­ liches anzunehmen, vielmehr muß dort notwendigerweise ein Erstes einge­ setzt werden . . . Da der Mensch eine Abbildung der Erstursache ist, spricht die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein erster Mensch von der Erst­ ursache gebildet worden ist, als daß er auf einem anderen Weg das Dasein bekommen habe. Für diese Wahrscheinlichkeit können wir unS an Aristoteles halten, auf den auch Cicero im 1 . Buch " über die Natur der Götter" sich bezieht. Er macht sich eine Stelle des Aristoteles zu eigen, die besagt : " Stößt j emand im ödland unversehens auf einen Palast, in dem nur Schwalben nisten, dann ist ihm von der Anlage her sofort klar, daß nicht die Schwalben den Palast errichtet haben ; obwohl er den Namen des Erbauers nicht kennt, weiß er doch, daß jemand mit einer Geistnatur den Palast kunstgerecht angelegt hat. Auch das Weltall ist ein Werk der Kunst und des Geistes, und es hat seinen Bestand gerade nicht in den gezeugten Lebewesen. Daher ist es echt wahrscheinlich, daß die ersten Einzelverwirklichungen (primae substan­ tiae) des auf dem Weg der Zeugung Entstandenen durch die Ideen des Got­ tes der Götter im Sein hervorgebracht worden sind. " Das ist j edenfalls die Philosophie des Aristoteles, eben jene, die er im 1 . Buch "über den Himmel und die (sinnfällige) Welt" als Popularphilosophie bezeichnet. Daß also ein erster Mensch durch Erschaffung geworden ist, entspricht mehr einem vernünftigen Denken, als daß es niemals einen ersten Men­ schen gegeben habe.

d) D as Wesen des Menschen und die Rolle der Vernunftseele 1 89 . a) Die Seele ist die Wesensform des Körpers durch ihre wesenseigene Wirklichkeit, die im Leben besteht. Das ist in einer anderen (ebenfalls ari­ stotelischen) Begriffsbestimmung der Seele enthalten ; sie "unterscheidet sich (vom förmlichen Beweis) nur in der Stellung" (nicht im Inhalt) und lau­ tet : "Die Seele ist der Ursprungsgrund und die Ursache des Lebens, sofern für die lebenden Wesen das Leben gleich Sein ist . " Doch haben nicht alle Teile des Leib�s im gleichen Grad Anteil am Leben, vielmehr sind die einen den vegetativen Vorgängen zugeordnet, die anderen der Sinneswahrneh-

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b) Quaeramus ergo, utrum participant vitam intellectus vel non. Et si di­ catur, quod non, sequitur necessario animam, quae est forma hominis, cor­ pus habere ad sensum et vegetation em , et non ad intellectum . Corpus igitur hominis non erit animae rationali proprium , et sie sequitur "tectonica tibi­ eines indui" . Propter quod necesse est dicere, quod omnia membra vivunt anima ra­ tionali, sicut omnia instrumenta textoris formantur ad textoris operatio­ nern, et quod sensus in homine non forma est, sed potentia animae rationa­ Es ; et idem oportet dicere de vegetativa. Et hinc est, quod caro hominis differt specie a carne aEorum animalium .

c) Ex hoc autem sequitur, quod aut tota corrumpitur secundum actum substantialem, aut, si salvatur secundum substantiam, quod etiam salvetur secundum totum illud quod est forma hominis, ut homo est. Salvatur autem secundum substantiam, ut dicit AristoteIes in XI Meta­ physicae et in multis aEis locis, et nos probavimus hoc in libro De immorta­ litate animae. üportet ergo, quod secundum omnia salvetur, quae in ipsa sunt ut potentiae ipsius . Est autem vegetativum in sensibili et sensibile in rationaE " sicut trigonum in tetragono" . Salvatur ergo vegetabile et sensibile per aliquem modum . Non autem ali­ ter salvari possunt nisi prout sunt in rationaE ut potentiae ipsius . Salvatur ergo anima hominis prout in ipsa est vegetativum et sensitivum, non ut actus, sed ut potentia rationalis animae.

d) Hoc ergo dictum non erat dictum sapienter, quia tota anima hominis etiam in ossibus non est forma hominis nisi prout est rationalis, vitam ratio­ nis omnibus influens membris. Propter quod dicit AristoteIes manum esse organum intellectus . Et sicut non nisi forma intellectus est in securi et ascia et dolabra et in auro, lignis et lapidibus, ita forma animae rationalis prout " forma rationalis est in omnibus membris humani corporis. Quae quidem separatur secundum substantiam et quandam operationern, in operationi­ bus autem quibusdam separatur secundum potentiam et non secundum

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mung, und, ob mehr oder weniger, alle sind in das Ordnungsgefüge des Lebens hineingenommen. b) Fragen wir j etzt, ob diese Lebensvorgänge vom Leben des Verstandes erfaßt sind oder nicht. Wenn nicht, dann ergibt sich notwendig die Folge­ rung, daß die Seele als Wesensform des Menschen den Leib wohl für die Sinnestätigkeit und für das vegetative System besitzt, nicht aber für den Verstand. Der Leib des Menschen ist dann nicht mehr Eigenbesitz der ver­ nunftbegabten Seele, und so kommt als Ergebnis heraus, " die Baukunst arbeite mit Flöten" . Infolgedessen ist zu sagen, daß alle Glieder des Leibes von der Ver­ nunftseele das Leben haben, wie auch alle Werkzeuge des Webers auf die Webarbeit hin hergestellt sind ; auch ist festzuhalten, daß der Sinn im Men­ schen nicht eine eigenständige Wesensform ist, sondern ein Vermögen der Vernunftseele, wie ebenso das Ernährungsvermägen. Das ist auch der Grund, weshalb der Leib des Menschen artverschieden ist vom Leib der anderen Lebewesen . c) Daraus ergibt sich der Schluß, daß die Seele entweder in ihrer eigenwe­ sentlichen Wirklichkeit einmal vollständig zugrunde geht oder, falls sie nach ihrem in sich seienden Wesens gehalt bestehen bleibt, auch mit allem überlebt, worin sie die Lebensform ist, die den Menschen zum Menschen macht. Nun aber bleibt sie bei der Trennung am Leben. Das erklärt Aristoteles im 1 1 . Buch der Metaphysik und an vielen anderen Stellen, und wir selbst haben es in der Schrift " über die Unsterblichkeit der Seele" bereits nach­ gewiesen. Mithin muß die Seele weite rieben samt allem, was sie an Fähig­ keiten besitzt. In diesem Kräftespiel ist das Pflanzliche im Sinnlichen und dieses hinwieder im Vernünftigen enthalten "wie das Dreieck im Viereck" . Somit bleibt das pflanzliche und das sinnliche Vermögen in der vom Leib getrennten Seele irgendwie bestehen, freilich nur insofern, wie sie der Ver­ nunftseele als deren Fähigkeiten zu eigen sind. In das überdauern der menschlichen Seele ist also das pflanzliche und das Sinnliche einbezogen, nicht zwar im Vollzug der Tätigkeit, wohl aber als Vermögen der Ver­ nunftseele. d) Es war somit keine Weisheit, als gesagt wurde, die menschliche Seele als Wesensform des Menschen als solchen gehe zusammen mit dem Leib zugrunde. Denn die ganze menschliche Seele ist auch im Knochengerüst einzig und allein als Vernunftseele die Wesensform des Menschen und läßt das Leben der Vernunft sich auf alle Glieder erstrecken ; deshalb nennt Ari­ stoteles die Hand das Organ des Verstandes. Wie nämlich nur die Wesens­ form des Verstandes im Beil und in der Axt und in der Pike, im Gold, Holz und Stein gegenwärtig und tätig ist, so ist die Wesensform der Ver-

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operationern , sicut et ars separatur a securis operatione et asciae, quamvis salvetur secundum potentiam. Hoc ergo dictum non fuit secundum philo­ sophiam . Utrum autem anima corruptibilis sit vel non, ad propositam non pertinet intentionern, quia non de natura quaerimus, sed contra positionem quan­ dam disputamus .

e ) Haec autem causa est, quod theologi dicunt etiam corpora humana ab immortali anima potentiam accipere ad incorruptionem . Nulla enim forma est, quae non totam materiam sibi debitam ad esse proprium formae et actum et operationem non perficiat et terminet. Nec huius propositionis invenitur instantia. Omne igitur quod actu est pars hominis, ad esse animae rationalis et actum et operationem animae ra­ tionalis est determinatum ; unde vegetata caro vegetatione hominis ad actum vivi rationalis est vegetata, et sensus sentit ad actum vivi rationalis ; aliter enim intelligere intelligentibus non esset esse, quod est inconveniens, quia in Naturalibus probatum est, quod, sicut vivere viventibus est esse, et sentire sentientibus, ita intelligere est esse intelligentibus . Separatur autem anima rationalis sicut incorruptibile a corruptibili. Aut ergo separatur sec und um totam substantiam suam, aut secundum partem suae substantiae . Nec potest dici, quod secundum partem suae substantiae separatur, quia nihil simplicium, hoc est non-quantorum , secundum par­ tem suae substantiae separatur, nec intelligi potest, quod pars substantiae separetur et non totum in talibus quae non mole quantitatis distenduntur. Separatur ergo tota substantia animae, quae est forma humani corporis, quamvis in separata anima aliquae potentiarum non separentur secundum esse, quod habent in corpore, sicut patet per antedicta. Si autem isti antiqui erroris novi vellent esse discipuli, qui a Platone deri­ vatus est, et dicere velint, quod vegetabilis et sensibilis et rationalis tres sint substantiae, quae sunt in homine, facile hoc eliditur per Primam philoso­ phiam . Secundum hoc enim diffinitio hominis, qua dicitur vivum, sensibi­ le, et rationale, esset multa, et non unum . Sie enim dicendo, vivum non est in sensibili per esse sensibilis, et sensibile non est in rationali per esse ratio­ nalis, sed tres erunt substantiae distinctae, quarum nulla per esse est in alia . . . Si autem dicatur, quod ipse Philosophus dicat in XI Metaphysicae, quod

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nunftseele gerade als Seinsform des vernunftbegabten Wesens in allen Glie­ dern des menschlichen Leibes am Werk. Getrennt wird sie zwar vom Leib in ihrem eigenständigen Sein und in einer Art von Tätigkeit, in anderen Tä­ tigkeitsbereichen j edoch nur gemäß den reinen Vermögen, nicht in deren Vollzug, ähnlich so, wie auch beim handwerklichen Schaffen dem Beil und der Axt im Zustand der Ruhe der wirkliche Gebrauch fehlt, nicht aber die Möglichkeit des Gebrauches. Damit ist klar, daß es kein weiser Spruch war, was der Gegner eingewandt hat. Allerdings liegt die Frage, ob die Seele vergänglich ist oder nicht, der Ab­ sicht der gegenwärtigen Diskussion fern ; wir befassen uns ja hier nicht schlicht und unabhängig mit der Natur der Seele, setzen uns vielmehr mit bestimmten Aufstellungen auseinander. e) In dieser Stellungnahme wird der Grund deutlich, weshalb die Theo­ logen sagen, auch der menschliche Leib bekomme von der unsterblichen Seele die Kraft zur Unvergänglichkeit. Es gibt nämlich keine einzige We­ sensbeschaffenheit, welche den zu ihr gehörenden bestimmbaren Unter­ grund nicht in ihr eigenes Wirklichsein, in ihre Entfaltung und Tätigkeit übernimmt. Gegen eine solche These kommt kein Einwand an . Denn alles, was in entfalteter Wirklichkeit ein Bestandteil des Menschen ist, steht in Abstim­ mung auf das Sosein und auf die Verwirklichung und auf die Tätigkeit der Vernunftseele; und so wird der Leib durch die menschliche Ernährungs­ kraft gerade auf die Entfaltung des vernunftbegabten Lebewesens hin auf­ gebaut, und ebenso vollzieht der Sinn seine Wahrnehmung auf die Ent­ wicklung des Vernunftlebens hin ; sonst wäre in den denkfähigen Wesen das Denken nicht gleich Sein, was aber nicht annehmbar ist, da in der Natur­ wissenschaft bewiesen ist, daß für denkfähige Wesen genausogut das Den­ ken soviel ist wie Wirklichsein, wie das Leben für das Lebendige und die Sinneswahrnehmung für die Sinnenwesen. Die Vernunftseele wird nun aber vom Leib getrennt wie Unvergängliches vom Vergänglichen, und also entweder nach ihrem ganzen Wesensgehalt oder nach einem Wesensbestandteil. Eine teilweise Trennung scheidet j e­ doch aus . Wo nämlich etwas einfach, d. h. nicht ausgedehnt ist, dort findet keine Zerlegung in Wesensteile statt, und es ist überhaupt nicht denkbar, daß in den nicht ausgedehnten, stofflosen Wirklichkeiten nur ein Teil des Wesens, nicht dieses ganzheitlich, sich verselbständigt. Die Trennung be­ trifft demnach das ganze eigenständige Wesen der Seele als die Lebensform des Menschenleibes, wenngleich einige Seelenvermögen, wie bereits gesagt, nicht zusammen mit dem Tätigsein, das sie in der Verbindung mit dem Körper ausüben, in der getrennten Seele verbleiben . Vielleicht möchten diese Modernen den alten, von Platon kommenden

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non tota anima hominis separatur, pro certo hoc non dicit Philosophus propterea quod non tota substantia separatur, sed quia non tota separatur secundum esse potentiarum. Ibid. q. 7 (Ed. Co!.

t.

1 7 p. 39, 1 3-p . 40, 35).

190. a) Quod autem decimo dicitur, quod deus singularia non cognoscit, ex omnimoda procedit ignorantia. Supponitur enim, quod scientia dei ad scientiam hominis sit univoca, quod in Prima philosophia est improbatum. Scientia enim mea omnis causatur ex rebus scitis ideo, quia ex rationibus re rum et passionibus causatur omnis nostra scientia. Propter quod omnis scientia melior est resolutionis scientia, quam analy­ ticam Graeci vocant, dum vel compositum in simplex vel causatum in cau­ sam vel generaliter posterius resolvitur in prius . Compositionis enim scientia in ho mine causatur a resolutiva, quia com­ ponere nescit ni si qui novit componentia et proportiones componentium ad invicem et ad composita. Unde necesse est resolutionis scientiam primam esse, secundo autem eam quae est compositionis.

b) Omnis autem resolutio perficitur abstractione . Hominis igitur scientia est per abstractionem . Abstractio autem a rebus fit nec aliter fieri potest. Scientia ergo hominis causatur a rebus . Scientia autem dei non a rebus fit,

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Irrtum mitmachen und jetzt behaupten, die Kräfte des pflanzlichen, des seelisch-sinnlichen und des geistigen Lebens seien drei eigenständige We­ senheiten im Menschen. Das wird j edoch in der Metaphysik (des Aristote­ Ies) mit Leichtigkeit widerlegt. Denn in diesem Fall wäre die Begriffsbe­ stimmung des Menschen eine Vielfalt, nicht aber eine Einheit; dann ist nämlich das Lebendige (vivum) nicht in das Sinnensystem (sensibile) umge­ formt durch Sinnenhaft-Sein, und das Sinnliche (sensibile) nicht in den Vernunftbereich eingefügt und nicht durch Vernünftig-Sein (rationale) ge­ prägt ; es sind dann vielmehr drei unterschiedene, für sich seiende Wesen­ heiten, von denen keine in die andere hineinreicht . . . Wenn schließlich vorgebracht wird, Aristoteles selbst schreibe im 1 1 . Buch der Metaphysik, die Seele des Menschen werde nicht als ganze vom Leib gelöst, so ist mit Gewißheit zu erwidern : Aristoteles schreibt so nicht deshalb, weil nicht die ganze Seele sich vom Leib trennt, sondern des­ halb, weil sie mit Bezug auf das Tätigwerden ihrer Fähigkeiten sich nicht vollständig vom Leibe löst.

e) Das dem Wissensgegenstand vorausgehende und ihn erst setzende Wissen Gottes 1 9 0 . a) Die Aufstellung, Gott erkenne nicht die Einzeldinge, kommt aus vollständiger Unkenntnis des Problems . Sie geht nämlich von der in der Metaphysik als falsch erwiesenen Unterstellung aus, Gottes Wissen ver­ halte sic h gleichsinnig zum menschlichen Wissen. Mein Wissen wird von den vorgegebenen Einzelgegenständen verursacht, weil unser ganzes Wis­ sen in der Wesens beschaffenheit und in den Merkmalen der gegenständ­ lichen Dinge seinen Ursprung hat. Deshalb hat die Zergliederung, von den Griechen als " analytisch" be­ zeichnet, innerhalb der Wissenschaft den höheren Rang inne. Sie löst den in sich zusammengesetzten Begriff in seine einfacheren begrifflichen Bestand­ teile auf oder führt die Wirkung auf ihre Ursache zurück oder zerlegt ganz allgemein das Nachgeordnete in das Vorgeordnete . Das zusammenset­ zende Denken dagegen baut erst auf dem zurückführenden auf, weil ja ge­ dankliches Verknüpfen nur dann sachgerecht geschieht, wenn die Bestand­ teile und deren Verhältnis zueinander und zum Ganzen bekannt sind. Von diesem Sachverhalt gefordert steht das zergliedernde Denken an erster Stelle, das verknüpfende Denken erst am zweiten Platz. b) Das zergliedernde Denken nun vollzieht sich durch das Herauslösen des Gegenstandes aus seinen Sonderbedingungen, und diese Ablösung ist für jedes menschliche Wissen unerläßlich, und zwar ist es ausschließlich ein

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sed est rerum causa. Constat enim omnem formam esse lumen intelligen­ tiae, quia cum omnis forma detur ab intellectu, qui secundum substantiam et essentiam intellectus est, et non ab intellectu qui adeptus vel acquisitus vel possessus vocatur a philosophis, oportet, quod omnis forma causetur ab in­ tellectu universaliter agente omnes omnium intelligibilium formas . Hoc autem qualiter fiat, non est possibile nisi hoc modo, quod ipsum lumen in­ tellectus agentis forma sit eius quod per intellecturn interius, qui universali­ ter agens est, constituitur.

c) Intellectus autem omnis qui rem in esse constituit et forma, primo est ad particulare, secundo ad universale, in quo natura agit occulta per conse­ quens . Intellectus ergo dei et scientia divina prima sunt de particulari, et si sunt de universali, hoc erit non primo, sed per consequens . Hoc enim vult dicere Philosophus , quando dicit, quod talis intellectus est ut sol et " ut ars ad materiam sustinuit" . Sol enim constitutivus est visibilium in particulari, et ars constitutiva artificialium in particulari, et non in universali nisi per consequens. Amplius, omnis forma rei per hoc intellectui adepto sive possesso intelli­ gibilis efficitur, quod ipsa est lumen agentis intellectus, qui proprius actus est intellectus possibilis, sicut omnis color est visibilis, quia est actus lucis solis, qui proprius actus est potentiae visivae. Oportet igitur omnem for­ mam a lumine agentis intellectualis substantiae constitutam esse secundum actum et essentiam .

d) Fingat igitur iste mirabilis philosophus, qualiter forma talis constitui­ tur, nisi in particulari constituatur. Et hoc est, quod in Libro de causis dici­ tur, quod intelligentia seit res inferiores per hoc quod est causa earum. Si forte dicat, quod intellectus constituens sua effecta non cognoscit ea quae constituit, hoc omnino ridiculum est, quia talis constitutio operatio est substantiae, quae secundum seipsam est intellectus, et est operatio vitae et cognitionis, taliterque operans et se cognoscit et opus suum et operaturn.

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Entnehmen des Begriffes aus den verwirklichten Einzeldingen . Demnach wird menschliches Wissen von den vorgegebenen gegenständlichen Wirk­ lichkeiten ausgelöst. Gottes Wissen jedoch ist nicht Wirkung, sondern die Ursache der Dinge . Tatsache ist ja, daß j ede Seinsform ein Licht von einem Geistwesen ist; da nämlich j ede Form von j enem Geist gespendet wird, der wesentlich und vollkommen unabhängig Geist ist, nicht j edoch von dem erlangten oder erworbenen oder zum Besitz gegebenen Verstand, von dem die Philoso­ phen sprechen, so muß jede Seinsform ihre Ursache haben in dem einfach­ hin alles wirkenden Geist, der uneingeschränkt alle Formen des im Einzel­ gegenstand verwirklichten allgemeinen Wesens und der Begriffe wirkt. Das aber ist nur deshalb möglich, weil das Licht des tätigen Menschenverstan­ des selbst die Form dessen ist, was in der Seele durch den uneingeschränkt wirkenden Geist hervorgebracht wird. c) Der Geist aber, der das Ding im Wirklichsein und in der Wesensbe­ schaffenheit erstellt, ist immer zuerst auf das gesonderte Einzelne gerichtet, dann erst auf das allgemeine Wesen, in dem die verborgene Natur in Folge­ wirkung am Werk ist. Gottes Geist und Wissen geht also zunächst auf die Einzelverwirklichung (in ihrem ganzen Sein), und wenn auf das allgemeine Wesen, dann nicht in erster Linie, sondern nachfolgend. Das sagt Aristote­ Ies mit dem Vergleich, ein solcher Geist sei wie die Sonne, und "wie die Kunst sich dem Werkstoff gegenüber verhält" . Die Sonne macht das Sicht­ bare erst sichtbar am je einzelnen Träger der Farbe, und künstlerisches Werken schafft Kunst immer am einzelnen Werk, Kunst im allgemeinen nur als Folgewirkung. Weiterhin, j ede Wesensbeschaffenheit wird dem erworbenen oder zum Besitz gegebenen Menschenverstand dadurch erkennbar, daß sie das Licht des tätigen Verstandes ist, und dieser ist der dem möglichen Verstand eigene Vollzug, so ähnlich, wie die Farbe (als Gegenstand des Sehvermögens) sichtbar ist, weil sie die entfaltete Wirklichkeit des Sonnenlichtes ist, und diese wiederum ist die dem Sehvermögen eigene Verwirklichung. Daher muß j ede Seinsform nach ihrer entfalteten Wirklichkeit und ihrem Wesens­ gehalt vom Licht des wirkenden Geistwesens gesetzt sein. d) Jener komische Philosoph soll sich einmal eine Möglichkeit einfallen lassen, wie eine solche Form entsteht, ohne daß sie am Einzelding Wirk­ lichkeit wird . Schon im " Liber de causis" steht, daß die Geistwesenheit (als das unmittelbar Erstverursachte) die niedriger stehenden Dinge dadurch erkennt, daß sie ihre Ursache ist. Macht er dagegen geltend, daß der Geist die Dinge, denen er das Sein gibt, nicht erkennt, dann macht er sich lächerlich; denn das Hervorbringen ist die Tätigkeit eines in sich und für sich seienden Wesens, das wesentlich

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Seit ergo talis substantia omnia quae operatur. Et hoc pro certo philosopho­ rum sententia est Peripateticorum. Ibid . !. 1 0 (Ed. Co!.

t.

1 7, 1 p. 41 , 52-p . 42 , 40).

1 9 1 . Sunt enim eadem principia essendi et cognoscendi . . . , sed diversi­ mode, quia secundum quod habent esse in rebus, sunt principia essendi et sunt priora; secundum autem quod abstrahuntur per intellectum, sunt principia cognitionis in nobis, et sie posteriora sunt. Unde dicit Philoso­ phus in principio De anima, quod " animal universale aut nihil est aut poste­ rius" . Deus autem praehabet, quia non abstrahit a rebus, sed sua scientia est causa rel. Super Dion. De divinis nominibus (Ed. Co!.

t.

37, 1 p . 28, 62 - 7 1 ) .

1 92 . Facile autem improbatur, quod dicitur (quod humani actus non re­ guntur providentia dei) . Nihil enim est secundum Aristotelem in ordine causarum, quod ad id quod est ante se in eodem ordine, secund um regimen non referatur ; et cessante influentia in priori, cessat causalitas in posteriori, sicut probatur in VIII Physicorum, ubi ordo ponitur moventium et moto­ rum . Homo ergo, qui secundum ordinem suae propriae providentiae est do­ minus et causa suorum actuum, aut secundum ordinem providentiae habet aliquid ante se aut nihil. Si dicatur, quod nihil habet ante se secundum pro­ videntiae ordinem, sequitur, quod est primum in ordine illo. Primum au­ tem in omni ordine causarum est essentialiter operans. Homo igitur per es­ sentiam est providens et est ipsa providentia, quod est absurdum. Si autem aliud in ordine providentiae habet an te se, sequitur necessario , quod hoc in omni opere providentiae suae ad aliud secundum providentiam referatur. Cum autem primum in omni ordine regat omnia sequentia, sequitur, quod homo in omnibus actibus suis a providentia divina regatur. Et hoc est, quod dicitur in Libro de causis, quod "primum regit res omnes praeter hoc quod commisceatur cum eis" , et quod "primum est dives in se" et in omnibus aliis. Ibid. q . 1 2 (Ed. Co!.

t.

1 7, 1 p . 42 , 82-p . 43 , 22).

Einzelfragen

1 83

Geist ist (und also durch Verstand und Willen wirkt), und es ist eine Le­ bens- und Erkenntnistätigkeit, und indem das Geistwesen auf diese Weise tätig wird, erkennt es sich selbst und sein Wirken und das vollbrachte Werk. Ein solches Wesen kennt also alles, was es wirkt. Das ist jedenfalls die Lehrmeinung der Peripatetiker. 1 9 1 . Sein und Erkennen haben die gleichen Ursprungsgründe, freilich auf verschiedene Art und Weise . Sofern die Ursprungsgründe in den Dingen verwirklicht sind, bilden sie die Seins gründe und liegen den Begriffen vor­ aus . Sofern sie aber des Materiellen und seiner Bedingungen entkleidet werden, bewirken sie in uns die Erkenntnis und sind also Folgeerscheinun­ gen. Deshalb sagt Aristoteles im Anfang der Schrift " Ober die Seele " , der Allgemeinbegriff von Lebewesen sei entweder inhaltlos oder aber (aus den verschiedenen Arten der Lebewesen durch Entstofflichung) gewonnen. Gott aber hat die Ideen (des Gewordenen und des Möglichen) im voraus in sich und liest sie nicht erst an den Einzeldingen ab . Sein Wissen begründet das Sein der Dinge.

f) Der Mensch unter Gottes Vorsehung 1 92 . Die Behauptung, das menschliche Handeln unterstehe nicht der Lei­ tung der Vorsehung Gottes, läßt sich leicht widerlegen. Denn nach Aristo­ teies gibt es in der Ursachenordnung nichts, das zu dem Einfluß einer in­ nerhalb derselben Ordnung ihm vorgeordneten Ursache keine Beziehung hätte, und wenn der Einfluß des Vorgeordneten aufhört, erlischt die Ur­ sächlichkeit im Nachgeordneten. Der Beweis dafür steht im 8. Buch der Physik, wo die Ordnung der Beweger und des Bewegten dargelegt wird. Somit hat der Mensch, der kraft der eigenen Vor-Sicht der Herr und die Ursache seiner Taten ist, in eben dieser Vorsehungsordnung entweder eine ihm vorgeordnete Instanz oder er hat nichts über sich. Aus der Aufstellung, in der Vorsehungsordnung habe der Mensch nichts über sich, ergibt sich, daß er das Erste in dieser Ordnung ist; in j eder Ursachenordnung aber ist das Erste aus seinem Wesen heraus tätig; dann ist also der Mensch wesent­ lich ein Vorsehender und sogar die Vorsehung selbst ; das aber ist schlicht­ hin widersinnig. Die Annahme fedoch, in der Vorsehungsordnung habe der Mensch eine lenkende Macht über sich, führt notwendigerweise zu dem Ergebnis, daß er, was die Vorsehung betrifft, in j edem aus seiner eigenen Vor-Sicht her­ vorgehenden Tun auf ein anderes hip. bezogen ist. In j eder Ordnung steuert nun aber das Erste alles Folgende, und darum untersteht der Mensch in

1 84

Philosophie

1 93 .33 Quod autem maxime ea quae dicta sunt, constare facit, hoc est, quod nulla scientia hominis secundum omnia quae de natura hominis sunt, ordinativa est et perfectiva nisi sola moralis . Haec enim secundum virtutem moralern ordinativa est animalitatis, secundum intellectualem ordinativa discursae rationis; discursum autem rationis dico quae inquirendo et pon­ derando res de uno discurrit in alterum . Secundum autem eam quae heroica dicitur virtus, ordinativa et perfectiva est mentis ; mens autem vocatur vis animae rationalis, omnibus inferioribus secundum rationem boni et honesti metas imponens . Secundum virtutem autem contemplativam perfectiva est intellectus divini tarn in contemplando quam in delectando. Ethica (Paraphrase zur Nikomachischen Ethik des AristoteIes) (entstanden bis etwa 1262/63) (Ed. Par. t. 7; Erlangen, Univ. Cod. 263 [s. 1 3/ 1 4J I. 1 tr. 1 c. 1 [po 2 b ; f. 1 rbJ) .

1 94 . Ad hoc autem videtur dicendum esse, sicut dicit Avicenna, quod philosophia in communi dicta dicitur duo bus modis, scilicet quia est de re philosophica, vel de modo . De re autem philosophica in communi dicta sunt tres, scilicet secundum triplicem rationem medii in demonstrativo syl­ logismo . Aut enim hoc est simplex, ex solis principiis substantiae depen­ dens ; et haec est metaphysicum . Aut est concretum in sui ratione concer­ nens subiectum vel materiam ; et si concernit subiectum quod quantitatis est tantum, est mathematicum secundum quattuor mathesis differentias . Si au­ tem concernit materiam contrarietati subiectam, medium est physice. Ea autem quae propter modum philosophiae philosophia dicitur, dupliciter dicitur, scilicet aut propter modum extra rem, aut propter modum in mate­ ria positum . Propter modum quidem extra rem Logica philosophia est. Propter modum autem in materia positum omnis scientia particularis philo­ sophia est ; et sie Vitruvius architectonicam, hoc est aedificativam tradidit philosophice, et medicus medicinam . Et sie etiam Moralis modum philoso­ phiae ponens in his quae sunt virtutis, et in actibus humanis proponendo,

Philosophische Ethik

1 85

seinem ganzen Handeln der Leitung der göttlichen Vorsehung. So steht es auch im " Liber de causis" , wo es heißt : "Die erste Ursache lenkt alle geschaffenen Dinge, ohne sich mit ihnen zu vermischen" , und : "Die erste Ursache ist reich genug für sich selbst" und für alle anderen Wesen.

5.

Philosophische Ethik

a) Aufgabe und Stellung, Möglichkeiten und Grenzen 1 93 . Daß die Ethik unter den Wissenschaften an der Spitze steht, hat sei­ nen Grund vor allem darin, daß sie allein der ordnende und veredelnde Fak­ tor für die ganze Lebenswirklichkeit des Menschen ist. Denn durch die mo­ ralische Tugend schafft sie Ordnung im Bereich des Sinnenhaften. Durch die Verstandestugend leitet sie das schlußfolgernde Denkvermögen, das beim Suchen und Abwägen des Richtigen zwischen den Möglichkeiten hin und her geht. In der heroischen (eigentlich über die natürliche Kraft des Menschen gehenden) Tugend führt sie - und führt sie zur Höhe - den Geist des Menschen als die höhere Form der Vernunftbegabung, die den niederen Kräften die Normen des vor der Vernunft Richtigen und Guten sachgemäß auferlegt. In der beschauenden Tugend bietet die Ethik die Er­ füllung des gottähnlichen (oder reinen oder unzerstörbaren) Verstandes sowohl in der Anschauung der Wahrheit wie in der daraus erfließenden Freude . 1 94 . Es mag wohl stimmen, was Avicenna sagt, Philosophie werde in doppelter Weise ausgesagt, einmal vom philosophischen Sachgebiet aus, und dann von der Methode her. Philosophische Sachgebiete gibt es im allgemeinen drei je nach dem Cha­ rakter des Forschungsgegenstandes im Beweisverfahren. Der Gegenstand kann nun das einfache, nur aus den Ursprungsgründen des selbständig Sei­ enden (substantia) gewonnene Mittel sein, dann liegt Metaphysik vor. Oder der in sich zusammengesetzte Gegenstand steht in Beziehung zu einer tra­ genden oder einer stofflichen Wirklichkeit; handelt es sich dabei um einen nur quantitativen Träger als solchen, so haben wir die Mathematik in ihren vier Unterarten ; bezieht sich der Gegenstand auf die dem gegensätzlichen Geschehen des Entstehens und Vergehens unterworfene Materie, so haben wir es mit der Physik zu tun. Mithin hat die Philosophie drei wesentliche Teile. Bei den von der Methode her zur Philosophie gehörenden Wissenschaf­ ten kann die Methode von außerhalb des Wissensstoffes bestimmt sein,

Philosophie

1 86

assumendo, et eoncludendo, philosophiae habet modum, per quod philo­ sophus appellatur. Ibid . I . 1 t r . 1

c.

3 (p . 7s q . ) ; f. 3va.

1 95 . Bonum igitur hominis est seeundum naturam hominis posse perfeeta et optima perfieere. Sed sieut Aristoteles in II De anima, quando diffinit animam, dieit, quod anima est enteleehia eorporis organiei, physiei, poten­ tia vitam habentis, et quod est in toto , oportet etiam in partibus aeeipere, quia sieut anima seeundum se est perfeetio eorporis, ita partes animae sunt perfeetiones partium eorporis, sieut visus oeuli, et gressiva virtus perfeetio pedis, propter quod dieit, quod si oeulus esset animal, visus esset anima eius : ita etiam in bono hominis est aeeipere bonum hominis seeundum quod homo , et bonum hominis per partes eius determinatum. Et sie aliud est bo­ num eoneupiseibilis, et aliud iraseibilis, et aliud rationalis, et aliud mentis, et aliud intelligentiae. Quaerentes igitur bonum hominis in eo quod homo est, oportet nos determinare illud bonum seeundum quod hominis est, et seeundum quod est omnium partium eius ; et sie perfeete determinatur de bono hominis, sieut patebit in sequentibus, de felieitate et virtutibus ; feliei­ tas enim est bonum hominis, et virtus est bonum partis. Ibid. I. 1 tr. 2

c.

7 (p . 28; f. 1 0vb-1 1 ra).

1 9 6 . Ergo de hae seientia dieetur utique suffieienter, si seeundum subiee­ tarn materiam manifestatur. Non enim habet demonstrationern, sed qua­ lemeumque manifestationern . Sieut enim diximus, illa quae simplieiter est eertitudo, quae est ex neeessariis quae impossibile est aliter se habere, non in omnibus est requirenda. Quaedam enim eontingentia sunt nulla habentia neeessitatem, de quibus, quamvis non aeeipiamus seientiam, tarnen quam­ eumque aeeipimus existimationem et eonieeturationem, quam valde noei­ vum esset negligere, eum in talibus tota sit eonversatio humana. Ex talibus

Philosophische Ethik

1 87

dann ersteht die Logik als philosophische Disziplin ; kommt die Methode von dem vorgegebenen Wissens stoff, dann ist jede Einzelwissenschaft zur Philosophie zu rechnen ; Vitruvius Pollio (Ingenieur unter Cäsar und Au­ gustus ; 1 0 Bücher "De architectura" , verfaßt zwischen 33 und 14 v. Chr.) trug die Baukunst nach philosophischer Methode vor, und der Mediziner lehrt Medizin nach Philosophenart. Auf diese Weise geht auch die Ethik in Sachen des sittlichen Handelns vor und arbeitet für das menschliche Tun mit Obersatz, Untersatz, Schlußfolgerung; sie arbeitet also nach philoso­ phischer Methode ; das macht den Ethiker zum (Moral-)Philosophen. 1 9 5 . Das Wohl des Menschen besteht darin, nach seinem ganzen Mensch­ sein das Vollkommene und Beste zu leisten. Nun sagt aber Aristoteles im 2. Buch "über die Seele" bei der Begriffsbestimmung der Seele : Sie ist die Entelechie (oder Wesensform) des organischen, natürlichen, auf Leben an­ gelegten Körpers . Was aber im Ganzen gegeben ist, muß auch in den Teilen als gegeben angenommen werden ; denn wie die Seele als solche die Gestal­ tungs- und Verlebendigungskraft des ganzen Körpers ist, so sind die Teile (im dynamischen Sinn) der Seele die Lebenskraft der Teile des Körpers, das Sehvermögen die des Auges, die Gehfähigkeit die des Fußes; eben deshalb sagt Aristoteles : Wäre das Auge ein Lebewesen, dann wäre das Sehvermö­ gen seine Seele. So gibt es ebenfalls ein Wohl des Menschen, sofern er Mensch ist, wie auch das seinen Teilkräften zustehende Wohl, und zwar j eweils ein anderes für das Begehrungsvermögen (concupiscibilis), für das Strebevermögen (irascibilis), für die Vernunft, für den Geist (mens), für den "reinen" oder " gottähnlichen" Verstand . Auf der Suche nach dem Wohl des Menschen, sofern er Mensch ist, haben wir also das Wohl des Menschen als solchen und ganzen wie gemäß seinen Teilkräften festzule­ gen . Soll darum die Darlegung über das Wohl des Menschen vollständig sein, verbreitet sie sich - wie es im folgenden deutlich wird - über das Glück und über die Tugenden ; denn die Glückseligkeit ist das eigentliche Wohl des Menschen, das tugendhafte Handeln das Teil-Gut. 1 96 . Die Ethik löst also ihre Aufgabe dann hinreichend, wenn sie den Stoff des ihr zugeordneten Sachgebietes aufhellt. Bei ihr reicht es nicht zu einem eigentlichen Beweis, sondern nur zu irgendeinem Aufweis. Wir sag­ ten schon, man kann nicht auf allen Gebieten eine solche Gewißheit bean­ spruchen, wie sie aus notwendigen Gegebenheiten sich ergibt, die gar nicht anders sein können . Es gibt nämlich Sachverhalte, die in sich nicht notwen­ dig sind ; obwohl sie nicht unter die Wissenschaft fallen, können wir ihnen gegenüber doch eine Meinung und eine Vermutung erlangen, und es wäre von Schaden, diese nicht zu beachten, da sich in diesem Rahmen das ganze

1 88

Philosophie

ergo in moribus procedere oportet quae habent certitudinem quam permit­ tit materia, nec ultra exigendum est. Ibid. I. 1 tr. 4

c.

1 (p . 50sq . ; f. 1 9ra) .

1 97. In duplici ergo facie acceptus intellectus necesse est, quod duos fines habeat : unum scilicet operationum, et alterum contemplationum. Cum au­ tem felicitas operativa perficiens hominem et purgans a passionibus opere­ tur ad impassibilitatem intellectus, ne passione alteratus ducatur et abduca­ tur, passionibus autem non subiacens , sed aversus ab eis et depuratus et li­ ber, perfectus sit ad contemplandum : constat, quod felicitas civilis opera­ tiva ulterius ordinatur ad felicitatem contemplativam, quae est ultimum omnium bonorum . Hoc autem probatur ex hoc quod omne utens virtute purgatoria ad perfectionem purgationis ordinatur; felicitas autem civilis purgatoria virtute utitur; ordinatur ergo ad perfectionem purgationis . Mi­ nor huius syllogismi probatur ex hoc quod omne utens moderante virtute passiones, et non abstergente, purgatoria utitur virtute ; Civilis autem mo­ deratur, et non abstergit passiones ; ergo purgatoria virtute utitur; Politicus enim abstergere non potest passiones, vivens in domo et civitate, sed excel­ lentias passionum sufficit in talibus moderari ; et id quoad singulos est medium . Bonum igitur hominis quoad singulos et medium modo quodam est plura, simpliciter autem unum ultimum et optimum . Ibid . I. 1 tr. 6

c.

1 (p. 8 5 b ; f. 32vb- 33ra) .

1 9 8 . Felicitas enim contemplativa, quae perfecta est, postponitur virtuti­ bus eo quod ad illam non pervenitur nisi omnibus virtutibus habitis secun-

Philosophische Ethik

1 89

menschliche Leben abspielt. Wir müssen also im ethischen Bereich von sol­ chen Tatsachen ausgehen, denen eine den sittlichen Werten als ihrem Wis­ sensstoff mögliche und angemessene Gewißheit zukommt ; mit absoluter Gewißheit (wie in Erkenntnissen, deren Inhalt etwas Allgemeines ist) wäre die Ethik überfordert. 1 97 . (Am Verstand ist eine doppelte Blickrichtung zu unterscheiden : einmal auf den tätigen Verstand, von dem das Licht für die geistige Er­ kenntnis ausströmt ; sodann ist da die Blickrichtung auf die niederen Kräfte im Menschen, die vom Verstand die Bestimmung bekommen, für seine Führung gefügig und folgsam zu sein . Bei der Vielzahl der niederen Ver­ mögen obliegt dem Verstand somit die ganzheitliche Zusammenfassung, die Ordnung und die Verwirklichung einer Vielfalt von Tätigkeiten. ) Der Verstand mit seiner doppelten Blickrichtung muß demnach ein zweifaches Ziel haben : Tätigkeit nach außen und Beschauung als Seinser­ heIlung. Das aus dem Wirken nach außen erwachsende Glück ist eine Ent­ faltung des Menschen und eine Läuterung der Triebe im Dienst der Lauter­ keit des Verstandes, damit er nicht sich durch Triebbestimmung steuern und in die Irre führen läßt, sondern, über den Trieben stehend, in Abwen­ dung und Reinigung vom Triebhaften und in Freiheit tauglich wird zum Finden und Betrachten der Wahrheit. D amit steht fest, daß das im Gemein­ schaftsleben erworbene Glück auf die Glückseligkeit der Beschauung als den höchsten aller Werte hingeordnet ist. Beweisen läßt sich das damit, daß alles sittliche Streben nach Läuterung auf die volle Veredlung ausgerichtet ist; nun aber ist das Glück des Gemeinschaftslebens auf das Streben nach Läuterung angewiesen, und somit zielt es auf vollkommene Läuterung. Der Untersatz dieses Schlußverfahrens beruht darauf, daß alles sittliche Stre­ ben, das dem triebmäßigen Verhalten, ohne es auszuschalten, das Maß setzt, durch tugendliches Wirken die sittliche Läuterung sucht . Der Leiter der Gemeinschaft zügelt nun aber die Leidenschaften, ohne sie zu ertöten ; er bemüht sich um Läuterung; in der Familie und in der öffentlichkeit kann er in zwischenmenschlichen Angelegenheiten das Unbotmäßige nicht ganz abstellen ; es genügt, die Auswüchse der triebmäßigen Regungen zu be­ schneiden, und darin eben besteht gegenüber dem sinnlichen Antrieb für die Einzelmenschen die rechte Mitte der Tugend. Das menschliche Glück des einzelnen und die rechte Mitte (die erst Tugend ausmacht) liegt zu­ nächst einmal in einer gewissen Vielfalt von Werten, absolut aber in einem Letzten und Höchsten. 1 98 . (Der Traktat über die Glückseligkeit kommt einerseits vor und an­ derseits nach der D arstellung der sittlich guten Handlungen. ) Denn die Er-

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1 90

dum optimam perfectionem . Felicitas autem civilis perfecta operatio est se­ cundum unam virtutem quae est prudentia, quae omnium virtutum civi­ lium principium et forma est. Et ideo oportuit, quod scientia illius praece­ deret scientiam de virtutibus. "Hoc enim ita se habere videtur secundum veritatem rei" etiam ex officio Civilis quem Politicum nominamus . Politi­ cus enim "circa virtutem maxime videtur insudare" ; quia ex omni sua inten­ tione vult et intendit " cives bonos facere" secundum virtutern, "et legum obauditores" , hoc est exauditores et observatores . Ibid. I. 1 t r . 9

c.

1 (p . 1 3 9 b ; f . 53ra) .

1 99 . Sic igitur anima, cum s n Imago intellectualis luminis, secundum quod in gene re substantiae incorporeae est, indivisibilis est; secundum au­ tem quod actus corporis est, diversimode immergitur in corpus, et sic diver­ sarum efficitur potentiarum . Profundissime immersum obligatam habet potentiam ad natur am corporis, parum agens supra facultatem principio­ rum corporeorum, quae sunt calidum, frigidum, humidum, siccum, et hoc est vegetativum sec und um nutrire et augere et generare ; hoc enim materiae obligatum est; et ideo in naturis non vocatur anima, sed pars partis animae. In ea autem parte ubi non actus corporis est, liberum est, aequaliter se ha­ bens ad omnia facere et omnia fieri, et secundum id dominium habet suo­ rum actuum et operationum . Ubi autem medio modo se habet ad utrumque relatum, trahitur quidem ab inferiori, et formatur et ordinatur a superiori, convertibile ad unum et convertibile ad alterum . Ibid. I. 1 tr. 9

c.

3 (p . 142b; f. 54rb-va) .

200. ,,virtus autem per divisionem determinatur secundum hanc diffe­ rentiam" potentiarum . " Dicimus enim virtutum quasdam esse intellectua­ les " , intellectuali potentia communiter accepta ad speculativam et practi­ cam. "Quasdam autem dicimus esse morales" , quae scilicet ad formam ra­ tionis formantur et ordinantur. "Sapientiam quidem et intellectum" et scientiam dicimus esse intellectuales secundum intellectum speculativum.

Philosophische Ethik

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füllung durch Beschauung, die der Höchstwert ist, wird d e r Behandlung der Tugenden nachgeordnet; sie ist nämlich erst erreichbar nach der Ent­ wicklung aller Tugenden zur vollen Reife. Der beglückende Höhepunkt im Lebensbereich der Gemeinschaft ist ein Tätigsein unter der Leitung einer einzigen Tugend, nämlich der Klugheit, die der Ursprungsgrund und die gestaltende Norm aller Tugenden des Gemeinschaftslebens ist. Deshalb mußte die Frage nach dem Glück aus dem rechten Verhalten in der Ge­ meinschaft schon vor der Untersuchung der einzelnen Tugenden gestellt werden. Diese Anordnung ergibt sich wohl auch aus der Aufgabe des Leiters einer Gemeinde, den wir " Politiker" nennen ; er bemüht sich ja vor allem um sitt­ lich gutes Handeln im Zusammenleben ; denn seine Absicht und sein ganzes Bestreben geht dahin, die Menschen durch tugendliches Wirken zu guten Bürgern und zu Hörern und Beobachtern der Gesetze aufzubauen. 1 99 . Die Seele als Nachbildung des Geisteslichtes ist insofern also unteil­ bar, wie sie in der Gattung der körperlos seienden Wesenheiten angesiedelt ist. Sofern sie aber auch die Wesensform des Körpers bildet, ist sie in je ver­ schiedener Stärke in den Körper eingelassen und bekommt dadurch ver­ schiedenartige Vermögen. Was nun an ihr am engsten an den Körper ge­ koppelt ist und in der Wirkungsweise sich nur geringfügig abhebt von den körperlichen Grundgegebenheiten - warm, kalt, feucht, trocken -, das ist das Vegetative mit der Ernährungs- , Wachstums- und Fortpflanzungs­ kraft ; insofern ist die Seele nämlich an die Materie gebunden; deshalb wird sie in der (aristotelischen) Naturphilosophie nicht "Seele" genannt, son­ dern (kraftmäßig) "Teil eines Teiles der Seele" . Auf j ener Ebene jedoch, wo die Seele nicht Wesensform des Körpers ist, waltet das Freie, das gleicherweise geeignet ist, (erkenntnismäßig) alles zu tun und alles zu werden ; auf diesem Gebiet hat die Seele die Herrschaft über ihre Vollzüge in Entfaltung und Tätigkeit. In dem Zwischenbereich mit dem Bezug sowohl auf das Körperliche wie auf das Geistige untersteht die Seele dem Einfluß von unten wie auch der gestaltenden und ordnenden Macht von oben, wobei die Möglichkeit der Hinwendung zum einen wie zum anderen gegeben ist. 200. Die Gliederung der Tugend beruht auf dem Unterschied der seeli­ schen Vermögen . So sprechen wir von Ve rstan des tugend, wobei sowohl der forschende wie der werktätige, mit dem Willen verbundene Verstand, mit­ gedacht ist. Wir sprechen auch von moralischen Tugenden, die durch die Vernunft gesetzt und geregelt werden. Weisheit, Einsicht und Wissen nehmen wir als Verstandestugenden vom spekulativen Verstand her; Klug-

1 92

Philosophie

Prudentiam autem et arte m dieimus esse intelleetuales seeundum intellec­ tum praetieum . " Liberalitatem autem et sobrietatem" dieimus esse virtutes morales ad formam rationis formatas a ratione. Ibid . I. 1 tr. 9 c . 7 (p . 147; f. 56ra/b).

201 . Solutio. Dicendum, quod sieut in prima philosophia subieetum potest duplieiter assignari, seilieet id de quo prineipaliter intenditur - et sie dieitur esse subieetum deus, unde et seientia divina dieitur, quamvis de eo non determinetur in qualibet parte eius, sed alia omnia determinantur prop­ ter ipsum -, vel id de quo eommuniter determinatur in seientia, et sie ens est subieetum eius : ita etiam dieimus, quod felieitas est subieetum huius seientiae, de qua prineipaliter intenditur, et alia propter ipsam determinan­ tur si cut virtutes . Unde in fine primi dieit Philosophus : "Si autem est feliei­ tas operatio quaedam seeundum virtutem perfeetam, de virtute serutan­ dum ; forte enim utique melius et de felieitate serutabimur" ; unde haee videtur esse intentio Aristotelis. Super Ethica. Commentum et Quaestiones (entstanden zwischen 1250 und 1252, der erste vollständige Kommentar zur >Nik. Ethik, des AristoteIes im Abendland) (Ed . Col. t. 14 p. 3, 5 4 - 6 8 ) .

2 02 . Natura autem animae rationalis, per quam homo est homo, potest duplieiter eonsiderari : aut seeundum se, et sie est rationalis, aut seeundum suam summitatern, qua attingit intellectum, quia ratio ereatur in umbra et horizonte intelligentiae, et sie est intelleetualis ; unde Commentator dieit, quod anima est intelleetualis partieipatione, intelligentiae vero sunt intelli­ gibiles per essentiam . Et seeundum hoc est duplex ordo in aetibus suis propriis, quia inquan­ turn ratioeinativa, sie est prineipium exteriorum operum, quia ratio est eon­ tingentium ; et sie est optimum eius eivilis felieitas. Inquantum autem attin­ git intelleetualitatem, sie aetus eius est eontemplatio, et sie finis eius et op­ timum est eontemplativa felieitas . Et sie seeundum duos ordines duo sunt summe bona hominis, quorum tarnen unum ordinatur ad alterum, seilieet eivilis ad eontemplativam, quia omne regimen, quod est per Civilem, quae­ ritur propter quietem, in qua libere possit esse eontemplatio . Et sie finis eius et optimum est contemplativa felieitas, quia una est materialis et dispositiva ad alteram. Et sie relinquitur, quod tantum sit poni unum optimum homi­ lll S .

Ibid . p . 32 , 2 8 -p . 3 3 , 1 5 .

Philosophische Ethik

1 93

heit und handwerkliches oder künstlerisches Können bezeichnen wir als Tüchtigkeiten des praktischen Verstandes. Freigebigkeit und Mäßigung nennen wir moralisch gute, von der Vernunft geleitete und geprägte Hand­ lungen. 201 . Der Inhalt der Metaphysik läßt sich auf zweifache Weise angeben : Zunächst einmal j ene Wirklichkeit, der an erster Stelle die denkerische Be­ mühung gilt, und das ist in der Metaphysik, wie es heißt, Gott; deshalb wird sie auch Wissenschaft von Gott genannt; von Gott ist freilich nicht in j eder Phase der Denkarbeit die Rede, aber alles andere Seiende wird mit Bezug auf ihn in der überlegung angesprochen. Dann aber gibt es den Untersuchungsgegenstand der Metaphysik in seinem allgemein üblichen Umfang; so ist Gegenstand der Metaphysik das Seiende . S o ähnlich sprechen wir auch das Glück als Inhalt der Ethik an. U m das Glück des Menschen geht es in erster Linie, und alles übrige kommt im Zu­ sammenhang mit dem Glück zur Sprache, z. B. die Tugenden. Deshalb sagt Aristoteles am Schluß des 1 . Buches der (Nikomachischen) Ethik : "Da das Glück eine Tätigkeit der Seele im Sinn der vollendeten Tugend (d. h. der Klugheit) ist, haben wir j etzt über die Tugend zu sprechen ; das ist wohl die beste Art und Weise, wie wir schließlich herausfinden, was das Glück selbst ist. " Dieses Vorgehen dürfte also der Absicht des Aristoteles entsprechen. 202 . Die Natur der Vernunftseele, die den Menschen zum Menschen macht, kann unter doppelter Rücksicht gesehen werden : Einmal in sich sel­ ber, und so ist sie ein vernunftbegabtes Wesen ; oder auch in ihrer Spitze, wo sie in die Welt des Geistes hineinragt ; denn sie wird im Schatten und im Horizont des rein geistigen Wesens geschaffen, und so ist sie geistartig; da­ her sagt der Kommentator (Eustratius), die Seele sei durch Teilhabe geistig, die Geistwesen j edoch durch ihr Wesen . Demnach besteht eine zweifache Ordnung in den der Seele eigenen Tä­ tigkeiten ; eine Ordnung des schlußfolgernden Vorgehens, wodurch die Seele das Wirken nach außen aus sich entläßt, da die Vernunft für die nicht mit Notwendigkeit versehenen Verhältnisse zuständig ist ; und so besteht ihre Höchstleistung im Glück des Gemeinschaftslebens . In der anderen Ordnung, wo die Seele am Geistwesen teilhat, vollzieht sich die Schau der Wahrheit, und dann ist ihr Ziel und ihre Spitzenleistung j enes Glück, das im Finden der Wahrheit liegt. Entsprechend den beiden Ordnungen des See­ lenlebens bieten sich dem Menschen zwei Arten des vollendeten .GlÜckes an, einmal das Glück im Zusammenleben, und dann das Glück im Bemü­ hen um SeinserheIlung, jedoch derart, daß das eine Glück, das des Gemein­ schaftslebens, auf das andere hinbezogen ist. Denn alle Leistungsfunktion

1 94

Philosophie

203 . Ad septimum dicendum, quod iustitia specialis virtus est, sec und um quod proprie dicitur, sed generalis dicitur, secundum quod est legalis, quia sie est omnis virtus sec und um rem, differens a virtute secundum rationern, quia iustitia dicitur, secundum quod concordat legi, virtus secundum com­ parationem ad animam. Ibid. p. 42, 5 -1 1 .

204. Solutio . Dicendum, quod hoc quod animae defunctorum remaneant post mortem, non potest per philosophiam sufficienter sciri. Et supposito, quod remaneant, de statu earum et qualiter se habeant ad ea quae circa nos fiunt, omnino nihil sciri per philosophiam potest, sed haec cognoscuntur altiori lumine infuso non naturali, quod est habitus fidei. Sed tarnen contra ea quae fide determinata sunt, nihil potest demonstratio esse, eo quod fides non est contra rationern, quia nulla veritas alii discordat, sed est supra rationern. Ibid . p. 71 , 73 - 8 3 .

205 . A d tertium dicendum, quod superior potest quidquid inferior, sed non eodem modo, immo eminentiori, sicut intellectus non potest intelligere res sentiendo, sed meliori modo . Similiter anima separata nobiliorem habet operationern, quae nobis per philosophiam non potest esse nota. Tarnen exemplum de luce non potest esse conveniens, quia lux numquam est nisi incorporata, cum sit forma situalis, et si intellectus non sit forma situalis, non po test demonstrari, quod remaneant plures animae distinctae, sed omnibus una, sicut ponit Commentator in libro De anima, et hoc modo ex­ ponit auctoritatem Aristotelis inductam, licet sit contra fidem. Ibid . p . 72 , 7-1 9 .

Philosophische Ethik

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des Vorstehers der Gemeinschaft zielt auf die Herstellung und die Auf­ rechterhaltung der Ruhe, wo die Wahrheitssuche sich erst frei entfalten kann . Das letzte Ziel und der Höchstwert der Seele ist also das Glück der Wahrheitsfindung, für das die Ordnung im Zusammenleben nur der ge­ staltbare Unterbau und die Ansatzmöglichkeit ist. Es steht also fest, daß nur ein einziges höchstes Glück des Menschen anzunehmen ist. 203 . Gerechtigkeit im eigentlichen Sinn ist eine eigene Tugend; " allge­ meine Gerechtigkeit" aber heißt sie als Gesetzesgerechtigkeit, weil sie als solche in der Sache gleich und eins ist mit j eder Tugend, nur gedanklich von der Tugend verschieden. Gerechtigkeit wird sie genannt wegen der über­ einstimmung mit dem Gesetz, Tugend wegen des Bezugs auf die Seele.

204 . Daß die Seelen über den Tod hinaus weiterleben, läßt sich philoso­ phisch nicht mit letzter Sicherheit dartun, und selbst unter der Vorausset­ zung, daß sie den Tod überleben, läßt sich über ihren Zustand und ihr Ver­ hältnis zum irdischen Geschehen mit der Philosophie überhaupt nichts ausmachen. Sichere Erkenntnis davon ist nur zu erlangen durch ein nicht­ natürliches Licht von oben, d. h. den Glauben. Gegen die Aussagen des Glaubens j edoch ist mit einem Gegenbeweis nicht anzukommen, weil eben die Glaubenswahrheit nicht gegen die Vernunft ist - es gibt keine Wahrheit, die einer anderen widerspricht -, sondern über die Vernunft hinaus. 205 . Auf den Einwand ist zu sagen : Die übergeordnete Stelle kann sehr wohl alles, was die untergeordnete kann, allerdings nicht auf die gleiche Weise, vielmehr auf höhere Art. So kann z. B. der Verstand nicht sinnfällig Kenntnis von Körperwesenheiten erwerben, wohl aber auf einem höheren Erkenntnisweg. Ähnlich verhält es sich mit der vom Leib getrennten Seele ; sie vollzieht eine Tätigkeit höherer Art, die uns durch die Philosophie nicht zugänglich ist. Doch die im Einwand vorgenommene Veranschaulichung mit dem Licht kann nicht stimmen ; Licht ist über den Körper ortsgebunden und haftet deshalb immer nur am Körperlichen ; und wenn auch der Ver­ stand nicht eine ortsgebundene Wirklichkeit ist, läßt sich nicht beweisen, daß eine Vielzahl von Seelen in ihrer Besonderheit übrigbleibt, sondern alle zusammen in einer einzigen Seele, wie der Kommentator (Averroes) in sei­ nem Werk "über die Seele" behauptet; in diesem Sinn deutet er nämlich den anerkannten Satz des AristoteIes, der Verstand sei körperlos . Diese Auslegung steht j edoch im Widerspruch zum Glauben.

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206 . Ad tertium dicendum, quod differentia est in habitibus infusis et in acquisitis, quia acquisiti habentur per opus, et operatio exit a potentia ; unde perfectio redundat per prius in potentiam, et per consequens in essentiam, quae est principium potentiarum. Sed in infusis est e contrario, quia sunt a primo principio, cui propinquior secundum ordinem naturae est essentia quam potentia, et ideo infunditur gratia perficiens essentiam animae, et ex ea fluunt virtutes infusae in potentias . Ibid. p . 76 , 1 9 - 2 8 .

207.34 Ostendit igitur seipsum bonum naturae in se et ostendit seipsum in suis partibus. Ut enim ait Dionysius in libro De divinis nominibus, " bonum est diffusivum sui" , et Philosophus, " bonum est quod omnia optant" . Qualiter se ostendit in se a) Moraliter igitur prima ostensio huius boni est, quando ingenita sibi bonitate homo se in omnes communicando diffundit et uniuscuiusque desiderio satisfaciens omnium in se provocat affectum, sicut legitur II Mach. VI (2 1 - 22) de Eleazaro , quod cum peteretur ab eo, ut se simularet comedere carnes illicitas, "ut hoc facto a morte liberaretur, et propter veterem viri amicitiam hanc in eo faciebant humanitatem" . lob (XXXI, 1 8) : "Ab in fan­ tia crevit mecum miseratio. " Hinc etiam Sara, filia Raguelis, de se dicit : "Domine, tu scis, quia numquam concupivi virum, et mundam servavi animam me am ab omni concupiscentia. Numquam cum ludentibus me mis­ cui, neque cum his qui in levitate ambulant, participem me praebui. " Prop­ ter huius etiam quasi ingenitam bonitatem dicit Iohannes Chrysostomus sanctum Iohannem evangelistam prae ceteris a domino "discipulum, quem diligebat Iesus" , appellari. b) Qualiter se ostendit in partibus O stendit autem et partes suas. Modum enim ostendit et mensuram statu­ endo in omnibus actibus suis, ut sit devotum et " rationabile obsequium" suum ; speciem autem in pulchritudine conversationis, et ordinem in inten­ tione operis. D e modo Ps . (XV, 6) : " Funes ceciderunt mihi in praeclaris, etenim he­ reditas mea praeclara est mihi. " Funes enim ponuntur hic pro mensuris et modis operum, sine quibus nullum opus est praeclarum ; et ideo hereditas

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206. Zwischen den von Gott dazugeschenkten und den erworbenen Tugendkräften besteht ein Unterschied im Ursprung. Das erworbene Ge­ haben entwickelt sich aus dem wiederholten Tun, das selber aus dem Ein­ zelvermögen hervorgeht ; darum wird zuerst das Vermögen einer Vervoll­ kommnung teilhaftig, und dann erst das Wesen der Seele als der Quellgrund der Fähigkeiten . Bei den von Gott geschenkten Tugendkräften ist es genau umgekehrt; sie kommen vom allerersten Ursprungsgrund, und ihm steht in der Tätigkeitsordnung das Wesen der Seele näher als das Einzelvermögen ; von daher kommt es, daß die das Wesen vervollkommnende (Zustands-) Gnade direkt der Seele verliehen wird, und von ihr aus werden dann die gottgeschenkten Tugendkräfte in die Fähigkeiten der Seele geleitet.

b) Das Naturgute im Menschen 207. a) Das Naturgute im Menschen weist sich in sich selbst und in sei­ nen Bestandteilen aus . Dionysius schreibt in dem Werk " über die Namen Gottes" : "Das Gute drängt nach Selbstmitteilung" (indem es zielhaft alles auf sich zieht) . Aristoteles sagt : " Gut ist, wonach alles strebt" . Im sittlichen Bereich nun wird dieses Gute in sich sichtbar, wenn der Mensch mit der ihm angeborenen Gutheit sich an die Mitmenschen verschenkt, den Wünschen j edes einzelnen nachkommt und dadurch die Zuneigung aller auf sich lenkt. So steht im 2 . Makkabäerbuch über Eleasar, man habe ihm angeboten, er solle nur so tun, als äße er von dem verbotenen (Opfer-)Fleisch ; dann "könne er dem Tod entgehen ; wegen der alten Freundschaft mit ihm trugen sie ihm diese menschliche Behandlung an" . Ijob 3 1 , 1 8 Vulg. : "Von Kind­ heit an erstarkte in mir das Mitempfinden. " Auch Sara, Raguels Tochter, gesteht von sich : " Herr, du weißt, ich habe nie nach einem Mann verlangt und habe meine Seele von allem Begehren rein bewahrt; nie habe ich mich den Ausgelassenen angeschlossen und kein leichtsinniges Leben mitge­ macht. " Schließlich sagt Chrysostomus über den Evangelisten J ohannes, gerade er werde wegen seiner gleichsam angeborenen Gutheit vom Herrn " der Jünger, den Jesus liebte" , genannt. b) Das Naturgute erweist sich auch in seinen Bestandteilen . Es zeigt er­ stens Maß in allem Tun, wodurch das Leben gottgefällig und der Dienst vor Gott angemessen ist ; zweitens zeigt es Glanz in einem sittlich-schönen Lebenswandel, und drittens Ordnung durch die rechte Gesinnung beim Handeln. über das Maß steht im Psalm : "Die Meßseile sind mir auf köstlichen Grund gefallen, ja mein Erbe gefällt mir gut . " Die Meßseile stehen hier für die Maße und Grenzen, die beim sittlichen Tun einzuhalten sind, wenn es

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vitae spiritualis dicitur esse praeclara, quia est ad normam discretionis limitata. Hinc in Ezechiele describitur, quod in manu angeli fuit funiculus mensu­ rae, quo mensuravit templum et atrium et terram, quia ad modum discre­ tionis redigenda sunt opera pertinentia ad templum, idest ad cultum dei, sicut orare, psallere, cantare, genuflexiones facere, et similia. Similiter modum debent habere opera pertinentia ad atrium, sicut est opus immolatio et victimatio, quae fiebant in atrio ; et exhibentur a nobis deo haec opera, quando facimus "sacrificium deo spiritum contribulatum, cor contritum et humiliatum, quod deus non despiciet" , quando victima­ mus et occidimus camem nostram coram domino igne inexstinguibili con­ tritionis et caritatis, ut spiritus et natura salvetur. Sie enim Abraham obtulit unigenitum, et non occidit nisi arietem, significans, quod si quandoque in atrio domini stantes nos datos offerimus, tarnen non nisi camis petulantiam occidimus sie, ut natura servata ministret spiritui in opere sacrificii, sola autem concupiscentia iuguletur. Similiter et terra mensuratur, ut aperte intelligatur omnem nostram con­ versationem, quam in mundo cum terrenis habe re necesse est, ad normam honestatis et discretionis debere metiri, ut scilicet sie vivat cum hominibus, ne eis efficiatur gravis, vel offendat deum, ut efficiatur in peccatis saeculari­ bus similis. Et hoc notavit Apostolus I ad Cor. (X, 32) dicens : " Sine offen­ sione estote . " Hoc autem procul dubio fit, si ad tria conversatio haec omnis mensuratur, scilicet ut sit licitum, ut sit expediens, et ut sit honesturn in oculis hominum . Dico autem "licitum" nullo praecepto prohibitum, " ex­ pediens" vero mihi vel alii utile, "honestum" autem, quod decet nos tram conversationem. Et est "triplex funiculus" mensurae, qui secundum Salo­ monern "difficile rumpitur" per peccatum, quia opus sie modificatum nec contra praeceptum nec contra utilitatem cuiusquam nec contra honestatem erit perpetratum . Sie ergo modus vel mensura cognosci poterit.

c) Species autem, quae speciositas dicitur, ostenditur in pulchritudine conversationis . Est autem conversatio tune pulchra, quando nihil in ea est

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werthaft sein soll. Deshalb wird im Tugendleben das Erbe als wertvoll bezeichnet, weil es auf die Norm des klugen Urteils abgestimmt ist. Bei Ezechiel wird beschrieben, wie ein Engel mit einer dünnen Meß­ schnur den Tempel, den Vorhof und das Gelände abmaß . Damit soll gesagt sein, daß alle Verrichtungen im Tempel, d. h. im Gottesdienst, wie Gebet, Psalmengesang, Lieder, Kniebeuge, und andere übungen, in rechter Weise vorzunehmen sind. Genauso ist es mit den Vorgängen im Vorhof zu halten, z. B . mit dem Schlachten und Opfern der Tiere . Solche Handlungen nehmen wir vor, wenn wir " das Opfer darbringen, das Gott gefällt, einen zerknirschten Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz, das Gott nicht verschmä­ hen wird " , wenn wir unseren Leib mit dem Schwert der Buße und der Got­ tesfurcht gleichsam vor dem Herrn töten und zum Opfer bringen, indem wir ihn " dem nie erlöschenden Feuer" (Mt 3, 12) der Reue und Liebe aus­ setzen, " damit der Geist" und der Leib " am Tag des Herrn gerettet wird" . In diesem Punkt ist Abraham uns ein Vorbild ; in echter Bereitschaft brachte er Gott seinen einzigen Sohn zum Brandopfer dar, schlachtete aber nur ei­ nen Widder; damit ist unser Verhalten vorgezeichnet : Wenn wir bisweilen im Vorhof des Herrn stehen und uns selber an Gott geben, dann schlachten wir nichts anderes als das Gelüste des Leibes; damit soll erreicht werden, daß der in sich bei der Opferdarbringung verschonte Leib dem Geist dient und nur die Begehrlichkeit an die Kette gelegt wird. Ebenso wird der Tempelbezirk ausgemessen. Hierdurch soll deutlich gemacht werden, daß unser Zusammenleben, das wir in der Welt mit unse­ ren Mitmenschen zu pflegen haben, von Ehrbarkeit und Umsicht geregelt sein muß . Das Zusammenleben muß in der Weise vor sich gehen, daß kei­ ner dem anderen das Leben schwermacht oder Gott beleidigt und damit im Sündigen sich den Menschen dieser Weh angleicht. Das schärft der Apostel ein mit dem Satz : " Gebt keinem Anlaß zu einem Vorwurf! " Ohne Zweifel ist das zu schaffen, wenn wir einen dreifachen Maßstab an das Leben in der Gemeinschaft legen : Es muß sich an das halten, was gestattet ist, was för­ derlich und in den Augen der Menschen ehrbar ist. Gestattet ist meiner Meinung nach, was nicht unter ein Verbot fällt; förderlich ist, was mir und dem Mitmenschen von Nutzen ist; ehrbar ist, was sich für das Zusammen­ leben paßt. Das ist - mit einem Ausdruck Salomos - ein Maß mit " einer dreifachen Schnur, die nicht so schnell zerreißt" , nämlich durch die Sünde; denn das so genormte Handeln verstößt weder gegen das Gesetz noch ge­ gen den allgemeinen Nutzen noch gegen die Ehrbarkeit. Soviel also zum rechten Inhalt und Maß sittlichen Handelns. c) Der Glanz , der zweite Bestandteil des Naturguten, als Pracht verstan­ den, tritt in einer schönen Lebensgestaltung zutage, die eben dadurch schön

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obscurum, nihil vereeundum, nihil in ea quaerit angulum . Obscurum est, quod per peecatum patitur tenebras . De qua speciositate dicitur in Provo (IV, 1 8) : "Semita iusti quasi lux splendens " , et loh. in I canonica (1, 6) : " Si dixerimus, quoniam soeietatem habemus eum Christo, et in tenebris ambu­ lamus, mentimur, et non faeimus veritatem . " Item : "Tenebrae transierunt, et verum lumen iam lucet. " loh. I (5) : " Lux in tenebris lueet, " ita vita spe­ eiosa iustorum in peeeatoribus ; ad Rom. (XIII, 1 2 ) : " Abieiamus opera te­ nebrarum, et induamur arma lueis" ; loh. (XII, 36) : " Ut filii lueis sitis" ; Ps. (LXXXVIII, 1 6) : "Domine, in lumine vultus tui ambulabunt. " Similiter, quod nihil sit in eonversatione vereeundum, reddit eam speeio­ sam. "Vereeundum" autem voco hoc quod confusione est dignum eoram oculis hominum vel eoram oeulis dei et angelorum, sicut est minus quam deeet facere ; hoc enim est faeere opus domini negligenter vel indevote. Ps. (LXVIII, 7) : " Non erubescant in me, qui exspeetant te, domine , domine virtutum . " Omnes enim qui exspectant dominum, erubescent super negli­ gentia servorum dei et sociorum suorum. " Indevotum" autem est causa turpitudinis, scilicet si in peeeato faeit opus dei, sieut dicitur in Prov. : "Non est speeiosa laus in ore peecatoris. " Nihil etiam debet esse quaerens angulum singularitatis, quae praeeipue est in proprio sensu. Unde : " Omnia fac cum consilio, et post factum non paenitebis. " Hine est quod, eum Saul in deletione Amaleeis plus sensum suum quam Samuelis sequitur, a domino reprobatur, et Roboam dum plus suum et iuvenum sens um eligit, dominus ab eo regnum seindit. Bernardus : "Numquam plus sensui meo quam alterius eredidi. Laesus a laedente vindietam non expetii. Nulli umquam seandalum feci. "

d ) Ordo etiam per intentionem sese in h omine monstrat, dum intentio, quidquid operis est, ad gloriam dei ordinat et informat, sieut dieit Aposto­ lus I Cor. X (3 1 ) : " Sive mandueatis sive bibitis sive aliud agatis, omnia in gloriam dei faeite" ; et Augustinus : " Intentio est voluntas eum fine" , idest opus voluntatis ad finem ordinatum ; et quidam philosophus : " Intentio est

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wird, daß sie nichts Finsteres an sich hat, nichts Ungehöriges und nichts, was im abgelegenen Winkel sich versteckt. Finster ist, was mit dem Dunkel der Sünde belegt ist. über die erwähnte Pracht des Handelns steht in den Sprüchen Salomos : "Der Pfad der Gerechten ist wie das Licht am Morgen" , und im 1 . Johannesbrief: " Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit Christus haben, und wenn wir dennoch in der Finsternis leben, lügen wir, und tun nicht die Wahrheit" , und noch einmal (2 , 8 ) : "Die Finsternis ist ge­ wichen, und schon leuchtet das wahre Licht" . Wiederum Johannes : "Das Licht leuchtet in der Finsternis" , so auch das erleuchtete Leben der Ge­ rechtgemachten inmitten derer, die in der Sünde dahinleben . Im Römer­ brief heißt es : "Laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichte s . " Schließlich steht bei Johannes : "Damit ihr Kinder des Lichtes werdet" , und im Psalm : " Herr, sie gehen im Licht deines Ange­ sichts" . Glanz gewinnt der Lebenswandel auch dadurch, daß er sich freihält von ungehörigem Benehmen, das in den Augen der Menschen, in den Augen Gottes und der Engel verachtungswürdig ist, z. B. nicht soviel tun wie sich gehört ; das läuft dann darauf hinaus, daß der Dienst vor dem Herrn nach­ lässig und unehrerbietig getan wird. Darüber steht im Psalm : "Wer dich sucht, Herr, Herr der Heere, gerate durch mich nicht in Schande . " Denn alle, die den Herrn suchen, schämen sich der Nachlässigkeit der Diener Gottes und der Mitglieder ihrer Gemeinschaft. Unehrerbietigkeit aber macht häßlich, wie über die Verrichtung des Chorgebetes in sündigem Zu­ stand im Buch Jesus Sirach steht : "Schlecht klingt das Gotteslob im Mund des Frevlers . " Z u vermeiden ist schließlich auch Einzelgängertum, das vorwiegend im Eigenwillen besteht. Daher heißt es in der Schrift (Sir 32 , 1 9 ) : "Tue nichts ohne Rat und überlegung, dann hast du nach der Tat dir nichts vorzuwer­ fen . " Eigenwilliges Vorgehen ist der Grund, weshalb Saul vom Herrn ver­ worfen wird, als er bei der Vernichtung Amaleks mehr seiner eigenen Laune als der Weisung Samuels folgt, und weshalb der Herr die Spaltung über das Reich kommen läßt, als König Roboam seine eigene und der jun­ gen Leute Ansicht durchsetzt. Dazu schreibt Bernhard von Clairvaux : " Nie habe ich mich mehr auf die eigene Meinung als auf die eines anderen verlassen ; hatte mich j emand verletzt, habe ich es ihm nicht heimzuzahlen gesucht ; nie habe ich einem Anlaß zum Bösen gegeben. " d) Qrittens tut sich auch Ordnung im menschlichen Handeln kund, wenn die Absicht das Tun, so mannigfaltig es im einzelnen auch ist, auf die Verherrlichung Gottes (als letztes Ziel) hin bezieht und prägt. So sagt der Apostel : "Ob ihr eßt oder trinkt oder etwas anderes tut, tut alles zur Ver­ herrlichung Gottes . " So auch Augustinus : "Absicht ist zielhaftes Wollen" ,

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determinatio finis in opere agentis . " Qui enim agit et sibi finem ex inten­ tione non determinat, ignorat, quid agat. Ordo autem iste qui proprium pondus actionis nostrae est, quo scilicet pondere actio in suum finem tendit sicut res in suum locum, in tribus consistit, scilicet ut sit intentio dirigens simplex et ut non sit vana et ut non sit mala. Simplex autem est, quando est sine plica duplicitatis. Unde dicitur in Evangelio : "Si oculus tuus fuerit simplex, totum corpus tuum lucidum erit" ; et dicitur " oculus" ibi intentio, quae est simplex, quando scilicet unum tantum intendit in opere, videlicet gloriam dei; tunc enim totum cor­ pus operum nostrorum lucidum est a lumine boni, quod per finem in quem tendimus, illustratur; et in Matth. (V, 1 6 ) : " Luceat lux vestra coram horn i­ nibus, ut videant opera vestra bona. " Non vana autem est intentio, quando vanum non intendit. Est autem va­ num, ut dicit Philosophus, 'quod est ad finem aliquem quem non includit', idest quem non consequitur, sicut est opus propter hominum laudem fac­ tum . Hic enim finis vanus est, quia mendicat ab hominibus hoc quod num­ quam consequitur, turn quia proni homines ad invidiam vix aliquem ex mero corde laudant, turn etiam quia, si laudant, tarnen laus eorum non vera laus dici poterit ; et hoc tantum vitium vanitatis est, quod etiam quosdam a fide impedierit. loh. V (44 ) : "Quomodo potestis credere, qui gloriam ab in­ vicem accipitis, et gloriam quae a solo deo est, non quaeritis?" Ibidem (VIII, 54) : " Si ego glorifico meipsum, gloria mea nihil est . " Similiter non malus debet esse finis operis, sicut finis malus est i n pecca­ tis, de quibus dicit Augustinus, quod ita sunt mala, quod non possunt fieri bene, et Philosophus, quod " mox nominata sunt sunt coniuncta malo" . Contra quod dicitur in Actibus Apostolorum (VII, 55) d e Stephano, quod " cum esset plenus Spiritu sancto, intendens in caelum vidit gloriam dei" . Intentio enim oculi exterioris intentionem significat mentis, non ad pecca­ turn, sed ad gloriam dei totam animam et voluntatem ordinantis. De natura boni (Ed. Co!. t. 25, 1 p. 2, 8 -p . 3, 87) .

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d . h. zweckbestimmter Willensvollzug. Ebenfalls ein Philosoph : "Absicht ist die Zielbestimmtheit im Handeln. " Wer nämlich tätig wird und sich be­ wußt kein Ziel setzt, weiß nicht, was er tut. Jene innere Ordnung durch zielbewußte Einstellung gibt aber der menschlichen Tätigkeit das ihr eigene Gewicht und damit die Willensspannung auf das Ziel hin, wie j edes Ding seinem eigenen Platz im Raum zustrebt . D rei Eigenschaften muß die Gesinnung haben : Klar, nicht sinnlos, nicht verkehrt. Klar ist sie, wenn sie nichts Doppeldeutiges an sich hat. Deshalb steht im Evangelium : "Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein . " Das Auge steht hier für die Absicht, die dann einfach, d. h. klar ist, wenn der Handelnde nur eines im Auge hat, nämlich die Ver­ herrlichung Gottes ; dann ist das Gesamt unserer Tätigkeiten hell vom Leuchten des Guten, das ja vom erstrebten Ziel erleuchtet wird. Auch bei Matthäus heißt es : "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen. " Nicht sinnlos ist die Absicht dann, wenn sie nicht ins Leere geht. Leer ist, um mit Aristoteles zu sprechen, ein Tun, " dessen Gehalt nicht ein Ziel ein­ schließt" , d. h. das Ziel nicht erreicht. Dieser Art ist ein Handeln, das nach Menschenlob hascht ; denn es ist sinnlos , daß j emand von den Menschen etwas erbettelt, das er nie bekommt, einmal weil j ene Leute, die zum Neid neigen, kaum je mit ehrlichem Herzen loben, dann aber auch deshalb, weil das Lob, falls die Menschen es einmal spenden, nicht als echt bezeichnet werden kann. Solche Lobhascherei ist einfach das Laster eitlen Strebens, das sogar schon mehr als einen vom Gläubigwerden abgehalten hat. Bei J 0 hannes steht geschreiben : "Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr voneinander gelobt werden wollt, aber die Ehre, die allein von Gott kommt, nicht sucht . " Dort steht auch das folgende Wort : "Wenn ich mich selbst ehre, so gilt meine Ehre nichts. " Endlich darf das menschliche Handeln nicht, wie in der Sünde, auf ein verkehrtes Ziel gehen . Darüber sagt Augustinus, es gebe so schlechte Ta­ ten, die überhaupt nicht sittlich-gut gesetzt werden können. Auch Aristo­ teles schreibt, es gebe Handlungen, " die schon von ihrem Namen her mit Schlechtigkeit belastet sind" . Dagegen steht über Stephanus in der Apostel­ geschichte, "voll heiligen Geistes habe er zum Himmel aufgeschaut und die Herrlichkeit Gottes gesehen" . Dabei deutet die Blickrichtung des Auges auf die Ausrichtung des menschlichen Geistes hin, der sich nicht zur Sünde wendet, sondern den Willen und die ganze Seele auf die Verherrlichung Gottes hinordnet.

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208.35 Item, Aristoteles dicit, quod epieikes melior est iusto, quia consi­ derat, quid in particularibus est agendum ; sicut si lex dicat pignus ei qui red­ imit, esse reddendum, vel depositum ei qui accommodavit; epieikes tarnen non reddit ei praesentibus latronibus , nec tempore in quo esset in periculo perdendi ex stultitia propria vel violentia aliena . . . Super IV Sent. d . 32 a. 9 obi. 5 (Ed. Par. t. 30 p . 2 77sq . ) ; New Haven, Yale Univ. Cod. 20 f. 23 1 b .

209. Determinare autem illud quod particulariter pertinet ad bonum uniuscuiusque in quolibet casu, non est possibile legislatori, quia oporteret eum comprehendere infinita. Sed legislator, considerans secundum quod sibi possibile est, illud quod expedit ut in pluribus, statuit legern ; vult tarnen aliter fieri, si aliquis casus occurrat in quo aliter expediat. Et ideo dicit Phi­ losophus, quod iustitia naturalis melior est quam positiva, quia illa regulat in omnibus et semper. Unde relinquitur unicuique secundum propriam rationern, regulatam iustitia naturali, determinare in casu quod pertinet ad proprium bonum . Et ideo in actu nutritivae non astringitur quis lege in necessitate, sed ipse po test determinare, quid sit faciendum . Quaestio de luxuria a. 2 solutio : Cod. Vat. lat. 781 f. 23va (Editionsmanuskript) .

2 1 0 . Dicendum, quod licet propter diversitates hominum non possit de­ terminari modus in quantitate cibi in particulari, potest tarnen in communi, quod erit regula qua potest aliquis dirigi in pluribus vel omnibus ; sicut legis­ lator, ut dicit Philosophus, non po test statuendo legern considerare omnia particularia; unde in aliquo casu transgreditur aliquis legern positam sine peccato, sicut si contra prohibitionem ascendat quis murum, ut defendat ab hostibus ; si enim legislator esset praesens, decerneret ita esse faciendum . Quaestio de gula, a. 6 ad 1 (Cod. Vat. lat. 781 f. 2 7rb) (Editionsmanuskript).

2 1 1 . Sciendum autem, quod epieikia dicitur ab " epi" , quod est " supra" , et " dicaion" , quod est iustitia, quasi " supra iustitiam" ; et virtus nominis est " quasi per se iustitia" . Iustitia enim legalis regulatur in suis operibus secundum praecepta legis; sed ubi lex deficit in particularibus casibus, quae universaliter promulgata est, ad plura respiciens, epieikes quis operatur rectum per seipsum, et sup-

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c) Epieikia (Voll gerechtigkeit) 208 . Ein weiterer Einwand : AristoteIes schreibt, der Voll ge re chte stehe über dem einfach Gerechten, weil er das bedenkt, was in (den so verwickel­ ten, nie ganz durchschaubaren) Einzelfällen zu tun ist. Wenn z. B. das Ge­ setz befiehlt, ein Pfand dem Einlösenden oder einen Wertgegenstand dem Eigentümer, der ihn hinterlegt hat, zurückzugeben, so übergibt es der Vollgerechte nicht in Gegenwart von Gaunern, wie auch nicht zu einem Zeitpunkt, wo die Gefahr des Verlustes durch eigene Dummheit oder fremde Gewalt besteht. 209. Dem Gesetzgeber ist es nicht möglich festzulegen, was für j eden im Einzelfall, und zwar in j edem beliebigen Fall, gut ist. Er müßte ja eine unendliche Vielfalt erfassen. Er hat jedoch nach dem Maß seiner Möglich­ keit das vor Augen, was in den meisten Fällen von Nutzen ist, und demnach erläßt er das Gesetz. Dennoch hat er die Absicht, daß anders vorgegangen wird für den Fall, daß ein anderes Verhalten förderlich ist. Deshalb sagt AristoteIes, die naturhafte Gerechtigkeit sei besser als die positive, weil sie in jeder Situation und immer die Norm des Handelns angibt. Daher ist es jedem einzelnen überlassen, gemäß der eigenen, von der naturhaften Ge­ rechtigkeit geleiteten Vernunft im Einzelfall zu bestimmen, was zu seinem privaten Wohl gehört. Darum ist für die Ernährung zur Zeit der Hungers­ not niemand durch ein Gesetz gebunden ; er kann dann selber bestimmen, was zu tun ist. 2 1 0 . Hier ist zu sagen : Da die Menschen verschieden sind, läßt sich die Nahrungsmenge im einzeln nicht festsetzen, wohl aber im allgemeinen, und das könnte die Norm sein, an die man sich immer oder fast immer hält. Wie schon Aristoteies sagt, der Gesetzgeber kann beim Erlassen des Geset­ zes nicht alle Einzelheiten berücksichtigen. So kann denn der Fall eintreten, daß jemand ein Gesetz übertritt, ohne sich zu verfehlen; wenn z. B. jemand gegen das Verbot auf die Stadtmauer steigt, um sie gegen Angreifer zu ver­ teidigen ; wäre nämlich der Gesetzgeber selber anwesend, so würde er es so befehlen . 2 1 1 . Man muß wissen : Voll ge re chtigkeit (epieikia) kommt von " epi" , d. h. "über" , und " dicaion" , d. h. " Gerechtigkeit" ; es bedeutet also etwa soviel wie " über-Gerechtigkeit" , dem Wortinhalt nach soviel wie " sozusa­ gen wesentliche Gerechtigkeit" . Denn die Gesetzesgerechtigkeit bekommt die Norm für ihren Vollzug von den Vorschriften des Gesetzes ; wo aber das Gesetz in Einzelfällen ver-

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plet defectum legis ; ut lex praecipit pi gnus esse reddendum ; si ergo aliquis impignoravit gladium et efficiatur furiosus et repetat gladium, reportans debitum, epieikastos non reddet sibi, providens, ne illo gladio aliquem in­ terficiat, et dimittet regimen legis, et diriget per seipsum . Super Ethica (Ed. Co!. t. 1 4) p. 3 79, 9 - 2 2 .

212. Solutio . Dicendum ad primum, quod aliquid potest esse directivum alterius dupliciter: aut secundum essentiam, et sie est directivum alicuius il­ lud in quo primo et simplicius invenitur natura regulati, et hoc directivum prius est eo quod ad ipsum regulatur; et sie iustum legale dirigitur per natu­ rale. Alio modo est directivum aliquid alterius secundum esse, quod est ex applicatione formae ad materiam secundum omnes partes, et huiusmodi di­ rectivum regulatur supplendo ea quae desunt universali naturae, dum appli­ cat ipsam ad omnia particularia; et hoc oportet necessario esse magis con­ cretum quam id quod per ipsum dirigitur, et sie posterius. Et hoc modo epieikia est directiva legalis iusti, quia ubi finem legalis non potest aliquis consequi per actum imperatum a lege , epieikia procedit alia via ad consequendum finem legis, et sie imitatur ipsam in intentione, non tarnen in actione. Unde oportet, quod sit magis particulatum quam lex, dum intentionem legis, scilicet salutem rei publicae, in singulos casus appli­ cat, quod lex propter sui universalitatem facere non potest. Ibid .

v.

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2 1 3 . Solutio . Dicendum, quod epieikia est in genere iustitiae, ut genus non dicatur commune per praedicationem, sed secundum ambitum. Ambi­ tus autem iustitiae legalis; de qua loquimur, extendit se ad omnia quae ambit lex. Ambitus autem legis extendit se ad opera quae sunt imperata per legern et ad intentionem legis, quam consequi vult per huiusmodi opera quae im­ perat, quod est salus rei publicae . Quantum igitur ad ipsa opera imperata epieikia non est sub ambitu iustitiae legalis, sed tantum quantum ad inten­ tionern, quia finem legis consequitur per aliquos actus, ubi actus imperati a

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sagt, da es in allgemeiner Fassung und in bezug auf eine Vielfalt verkündigt ist, da tut der Vollgerechte von sich aus das Richtige und füllt die Gesetzes­ lücke . Das Gesetz schreibt z. B. vor, ein Pfand zurückzugeben ; hat nun je­ mand ein Schwert verpfändet und ist dann wahnsinnig geworden, fordert aber, den Preis bezahlend, das Schwert zurück, dann wird der Mensch der Vollgerechtigkeit es ihm nicht ausliefern, um vorzubeugen, daß der Wahn­ sinnige mit dem Schwert irgendeinen umbringt. Der Vollgerechte wird also das Gesetz außer Kraft setzen und es von sich aus ergänzen. 2 1 2 . Hierauf die Antwort : Es kann etwas auf zweifache Weise maßge­ bende Norm für ein anderes sein ; entweder mit seinem Wesen ; und so ist die leitende Norm für ein anderes eben j enes Etwas, in dem ursprünglich und einfachhin die Natur des Geleiteten gegeben ist, und das so Leitende geht dem Geleiteten voraus; auf diese Weise untersteht das gesetzlich Ge­ schuldete dem naturhaft Gerechten als seiner Norm ; auf die zweite Art ist etwas dem konkreten Dasein nach leitende Norm für ein anderes, das aus der Verbindung der Form mit der Materie nach sämtlichen Bestandteilen ­ aus der Verbindung des Allgemeinen mit der konkreten Wirklichkeit samt allen Umständen - ersteht, also ein ganzheitliches Einzelseiendes; dieses so Leitende bekommt seine Norm durch die Ergänzung dessen, das der all­ gemeinen Natur noch fehlt, sofern es die allgemeine Weisung auf alle Ein­ zelfälle anwendet ; und dieses Leitende muß notwendigerweise konkreter sein als das Geleitete, und damit folgt es erst auf dieses. Von dieser Art ist nun die Leitung des gesetzlich Geschuldeten durch die Vollgerechtigkeit. Wo nämlich j emand das Ziel der Gesetzesgerechtigkeit nicht erreichen kann durch eine vom Gesetz gebotene Handlung, dort schlägt die Vollgerechtigkeit einen anderen Weg ein, um das Ziel des Geset­ zes zu verwirklichen. Sie ist also eine Nachahmung der Gesetzesgerechtig­ keit in der Absicht, nicht aber im Tun. Sie muß daher mehr auf die einzelne Situation gehen als das Gesetz. Sie wendet ja die Gesetzesabsicht, nämlich das Gemeinwohl, auf einzelne Fälle an, was das Gesetz wegen seiner allge­ meinen Fassung nicht leisten kann . 2 1 3 . Darauf ist zu sagen : Die Vollgerechtigkeit fällt unter die Gattung der Gerechtigkeit, wobei unter "Gattung" nicht eine gemeinsame Aussage für ihre Arten zu verstehen ist (z. B. Lebewesen), vielmehr der Umfang der Gerechtigkeit. Der Geltungsbereich der Gesetzesgerechtigkeit, von der hier die Rede ist, erstreckt sich auf jedes Verhalten, das unter das Gesetz fällt. Dessen Geltungsbereich umfaßt seinerseits die durch das Gesetz vor­ geschriebenen Handlungen entsprechend der Absicht, die das Gesetz durch das so auferlegte Tun verwirklichen will, und diese Absicht geht auf

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lege non possunt consequi finem legis, et ideo supplet defectum legis et dirigit ipsam . Et propter hoc verum est, quod est in genere iustitiae, et quod est melius quodam iusto , et etiam quod non est iustum . Ibid . p. 3 8 0

v.

8 -23.

214. Ad tertium dicendum, quod contrariatur legi quantum ad actum, sed non quantum ad finem, et hoc est non contrariari nisi secundum quid . Ibid .

v.

29-3 1 .

2 1 5 . Praeterea, Commentator ponit tria exempla, quomodo epieikia ob­ vi at iustitiae legali. Primum est, quod lex praecipit pignus reddendum, et epieikes, si esset furiosus, cuius gladium in pignore habet, non redderet. Se­ cundum est, quod lex praecipit, ne peregrini ascendant murum civitatis, si tyrannus invadat civitatem, epieikes, etiam si sit peregrinus, ascendet ad de­ fensionem civitatis, et interficiet tyrannum , et non punitur, sed praemiatur. Tertium est, quod lex praecipit non adulterandum, sed epieikes committit adulterium cum uxore tyranni, ut contrahat familiaritatem et possit tyran­ num interficere. Ibid.

v.

60-71 .

2 1 6 . Ad secundum dicendum, quod qui oboedit ad intention em legis, simpliciter oboedit ; non enim est intentio legis (legislatoris ?) obligare se­ cundum legern ad illa quae contrariantur suae intentioni, in quibus, si prae­ sens esset, aliter iuberet. Et ideo vitiosum est in omnibus velle sequi litteram legis, et non intentionern. Et hoc non solum est verum in legibus humanis, sed etiam divinis ; legitur enim in libro Mach. I (II , 3 9 - 4 1 ) , quod Mathathias dixit his qui cum eo erant, ut defenderent se in die sabbati contra eos qui ipsos vellent invadere, ne omnes pariter morerentur, quod tarnen erat contra legis praeceptum . Et D avid " comedit panes propositionis, quos non licebat comedere nisi solis sacerdotibus" secundum legern, propter instantem necessitatem . Ibid . p. 3 8 1

v.

62 - 75 .

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das Wohl des Staates. Die Vollgerechtigkeit hält sich also an die Gesetzesge­ rechtigkeit nicht in deren Umfang, wohl aber in deren Absicht ; denn sie führt zu dem Ziel des Gesetzes durch andere Handlungen, wo die vom Ge­ setz vorgeschriebenen Handlungsweisen das Ziel des Gesetzes nicht erreichen können. Sie füllt also eine Lücke des Gesetzes aus und gibt ihm das Maß . Deshalb trifft es zu, daß das Vollgerechte zur Gattung der Gerechtigkeit gehört und daß es besser ist als eine bestimmte Art gerechten Verhaltens, wie schließlich auch, inwiefern es nicht unter das Gerechte fällt (nämlich in der Ausführung) . 2 1 4 . Auf den dritten Einwand ist zu erwidern : Die Vollgerechtigkeit läuft dem Gesetz zuwider im äußeren Verhalten, nicht j edoch in dessen innerem Ziel ; das ist aber nur unter einer Teilrücksicht ein Zuwiderhandeln. 2 1 5 . Der (anonyme) Kommentator bringt auch drei Beispiele dafür, inwiefern die Vollgerechtigkeit sich gegen die Gesetzesgerechtigkeit rich­ tet. Erstens, das Gesetz schreibt vor, ein Pfand zurückzugeben ; der Vollge­ rechte jedoch gäbe dem Mann, dessen Schwert er als Pfand hat, das Schwert nicht zurück, falls dieser wahnsinnig wäre . Zweitens, das Gesetz verbietet Fremden, auf die Stadtmauer zu steigen, wenn ein Gewalttäter die Stadt überfällt ; der Vollgerechte aber, auch wenn er ein Auswärtiger ist, steigt auf die Mauer zur Verteidigung der Stadt und legt den Angreifer um ; dann wird er vom Zivilrecht nicht bestraft, sondern sogar ausgezeichnet. Drittens, das Gesetz untersagt den Ehebruch ; der Vollgerechte aber läßt sich mit der Frau des Tyrannen ein, um ihr Vertrauen zu gewinnen und den Tyrannen umzubringen. 2 1 6 . Auf den zweiten Einwand ist zu erwidern : Wer gemäß der Absicht des Gesetzes gehorcht, der gehorcht echt und recht ; denn es ist nicht die Absicht des Gesetzgebers, mit dem Gesetz zu solchen Taten zu verpflich­ ten, die seiner Absicht zuwiderlaufen, für die er, wäre er in dieser Situation anwesend, ein anderes Verhalten fordern würde. Deshalb ist es falsch, in al­ len Entscheidungen dem Buchstaben des Gesetzes folgen zu wollen, nicht aber dem Ziel des Gesetzes. Das gilt nicht nur für die menschlichen Geset­ ze, sondern ebenfalls für die göttlichen. Im 1 . Makkabäerbuch (2 , 39 - 4 1 ) steht, Matatias habe seinen Leuten gesagt, sie sollten sich auch a m Sabbat gegen ihre Angreifer verteidigen, damit nicht alle miteinander umkämen ; eine solche Aufforderung war j edoch gegen die Vorschrift des göttlichen Gesetzes (von der Sabbatheiligung) . Auch David hat in einem auf ihn zukommenden Notfall von den Schaubroten gegessen, die nach dem gött­ lichen Gesetz nur die Priester essen durften.

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Et ideo, quando inspicimus ad iustum legis, non videtur iustum ; quando vero ad intentionem legislatoris, videtur iustum .

2 1 7.

Ibid. p. 382

v.

56-59.

2 1 8 . Et ideo lex recta est, quia attendit id quod in pluribus rectum est, et non est peccatum neque in lege neque in legislatore, sed defectus incidit ex natura rei, quia natura operabilium mutabilis est, sicut non est ex peccato artis turpitudo, quae contingit ex inoboedientia materiae, sed incidit praeter suam intentionern. Ibid . p. 383

v.

2 - 7.

Et ideo haec est diffinitio et natura epieikes, ut sit directio legis in illis in quibus lex deficit propter universale. Et ideo haec est causa, quare non omnia facienda sunt secundum legern, quia de quibusdam non potest poni uniformis lex. Et ideo indiget sententia, scilicet sapientum, qui discernunt, in quibus sit servanda lex et qualiter. 219.

Ibid.

v.

24-30.

Et dicit, quod non est talis sicut acribodikaios, quod est vitium sibi oppositum; dicitur enim ab " acribos" , quod est " rectum" , et " dikaios" , quod est "iustum " , quasi volens in omnibus ad unguem servare iustitiam legis, si totus mundus deberet subrui .

220.

Ibid . p. 383

v.

52 - 5 7 .

Dicitur autem epyeykeya ab " epi" , quod est "supra" , et "kaya" , quod est iustitia, quasi " supra iustitiam" , et " epieikes" est quasi " super­ iustus" , cum omnia recta ratione, quaecumque sunt, ad ordinem optimum redigit. Propter quod dupliciter dicitur, communiter scilicet et proprie . . . (p . 3 84). Proprie autem epyeykes in his est quae ad iustitiam legalem pertinent. D iximus enim in praecedentibus, quod lex ad opera hominum se habet sicut universale ad particulare, et variatur in illis, sicut universale in esse accep­ turn in particularibus variatur. Quaedam autem sunt operum nostrorum quae ex nimia variatione tem­ porum et locorum legalia praecepta ad finem legislatoris servare non pos­ sunt. Et in his superiustus, qui epyeykes vocatur, elicit quod melius est ad finem legislatoris, praeceptum legis non attendens, sed finem praecepti, in 22 1 .

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2 1 7 . Darum erscheint das Vollgerechte, wenn man auf das gesetz­ lich geschuldete Verhalten schaut, als nichtgerecht; blickt man jedoch auf die Absicht des Gesetzgebers, scheint es gerecht zu sein. 2 1 8 . Das Gesetz ist deshalb richtig, weil es auf das hinzielt, was in den meisten Situationen richtig ist, und es liegt kein Fehler vor, weder beim Ge­ setz noch beim Gesetzgeber; die Lücke kommt aus der Natur der Sache, weil das jeweils zu Tuende einer Wandlungsvielfalt unterliegt ; wie auch beim künstlerischen Gestalten etwas Unschönes nicht dem Künstler als Fehler anzulasten ist ; der Schönheitsfehler hängt dann mit der Widerspen­ stigkeit des Materials zusammen und haftet entgegen der Absicht des Künstlers dem Werk an. _ 1 9 . Hier nun die Begriffsbestimmung und die Natur der Vollgerechtig­ keit : Sie ist die maßgebliche (Weiter- )Führung des Gesetzes in j enen Fällen, wo das Gesetz wegen der allgemeinen Fassung nicht hinreicht; und das ist der Grund dafür, warum nicht alles gemäß dem Gesetz zu beobachten ist, da für manche Situationen kein einförmiges Gesetz ergehen kann. Des­ halb ist da ein Sonderbeschluß nötig, und zwar von verständigen Men­ schen, die unterscheiden, in welcher Lage das Gesetz zu beobachten ist, und wie . 220 . Aristoteles sagt noch, der Voll gerechte sei nicht so wie der " akri­ bodikaios" - das ist das der Vollgerechtigkeit entgegengesetzte Laster -; es kommt von " acribos" , d. h. "richtig" , und " dikaios" , d . h. " gerecht" , so­ zusagen ein Supergerechter, der in allen Lagen die Gesetzesgerechtigkeit gewahrt wissen will, auch wenn die ganze Welt zugrunde geht. 22 1 . Vollgerechtigkeit (epyeykeya) kommt von " epi" , d. h. "über" , und "kaya" , d. h. " Gerechtigkeit" ; es bedeutet also etwa soviel wie "über­ gerechtigkeit" . Der Vollgerechte heißt sozusagen " mehr als gerecht" , da er alles nach der rechten Vernunft regelt und in eine möglichst gute Ordnung bringt. Deshalb ist eine zweifache Vollgerechtigkeit zu unterscheiden : eine im gewöhnlichen Sinn für alle Lebensbereiche, und eine im eigentlichen Sinn . . . Eigentlich trifft die Vollgerechtigkeit auf das Tun zu, das unter die Ge­ setzesgerechtigkeit fällt. Wie bereits gesagt, verhält sich ja das Gesetz zu den menschlichen Handlungen wie das Allgemeine zum Besonderen, und es wandelt sich darin ab, wie das Universale sich in der konkreten Wirk­ lichkeit mit vereinzelnden Merkmalen versieht. Nun gibt es aber unter unseren Tätigkeiten solche, die wegen zu starken

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animo semper habens commune rationis principium , quod est, quod ad fi­ nem aliquem instituturn est, contra finem illum observari non debet. Verbi gratia: praecipit lex peregrinum non ascendere supra murum, et si ascendat, morte esse plectendum . Casibus autem emergentibus contingit, quod ho­ stis obsidet murum, nititur murum infringere, civibus dormientibus vel aliis occupatis . Videt hoc peregrinus, et murum ascendit contra ordinatio­ nem legis, et civitatem defendit, hostem effugans, ne murum suffodiat. Iste legern transgrediens finem legis servat, sciens, quod si in tali casu lex serva­ retur, murus suffoderetur et civitas caperetur; finem tarnen legis servat; finis enim legis erat, ne scilicet peregrinus, cui confidendum non erat, hostem per murum intromitteret, et sie civitas perderetur. Aliud exemplum est, quia praecipit lex pignus esse reddendum, et simili­ ter depositum, et quodlibet fidei commissum . Videns autem aliquis, quod pignus quidem gladius est, et a furioso repetitur, qui gladio redempto vel se vel alium interficere potest, tune redempturn non reddit gladium, solvens legern et salvans finem legis; legis enim finis fuit ad utilitatem redemptoris reddere pignus ; reddere autem furioso gladium non utile esset, sed inutile. Tertium exemplum est : Praecipit lex non commisceri alienae ; videns au­ tem aliquis machinationem tyranni contra civitatem; machinationem autem scire non potest nisi aret in vitula tyranni; et uxori tyrann i commiscetur solo hoc fine, quod tyranni secreta cognoscat, et sie civitati caveat, sie alienae commixtus ; quamvis iniustum faciat, tarnen civiliter non punitur; tolerabi­ lius enim existimavit alienae commisceri quam civitatem perdi. Et sie est in omnibus aliis. Superiustus enim semper finem legis consi­ derat et salvat, et quod ad finem institutum est, si hoc servatur, contrarium fini inducit, solvit, et per aliud per rationem inventum finem attingit. Ethica I. 5 tr. 4 c. 1 (Ed. Par. t. 7 p. 383); Erlangen, Univ. Cod. 263 f. 1 3 5va.

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Wandels nach Zeit und Ort die Gesetzesvorschriften i m Sinn des Gesetz­ gebers nicht beobachten können. Eben in solchen Fällen trifft der Vollge­ rechte, der " epieikes" heißt, die der Absicht des Gesetzgebers besser ent­ sprechende Entscheidung; er schaut nicht auf die Vorschrift des Gesetzes, sondern auf das Ziel der Vorschrift, da er das allgemein gültige Vernunft­ prinzip vor Augen hat : Was auf einen Zweck abgerichtet ist, darf nicht ge­ gen diesen Zweck verwirklicht werden. Zum Beispiel : Das Gesetz verbietet dem Fremden, über die Mauer zu klettern, und wenn er sie doch besteigt, verfalle er der Todesstrafe ; es kann nun der Fall eintreten, daß ein Feind die Stadtmauer belagert und sie niederzureißen sucht, während die Bewohner der Stadt am Schlafen oder mit anderen Dingen beschäftigt sind ; der Aus­ wärtige, der das Gesetz übertritt, erfüllt tatsächlich den Zweck des Geset­ zes, weil er weiß, daß die Mauer zerstört und die Stadt eingenommen wür­ de, wenn man sich in dieser Lage an das Gesetz hielte ; er verwirklicht mit­ hin das Ziel des Gesetzes ; denn das Ziel bestand darin, zu verhindern, daß ein Fremder, dem nicht zu trauen ist, dem Feind durch die Mauer Eingang verschaffe und so die Stadt verloren sei. Ein anderes Beispiel : Das Gesetz gebietet die Rückgabe eines Pfandes und eines hinterlegten oder zu treuen Händen übergebenen Wertgegen­ standes; ist nun das Pfand ausgerechnet ein Schwert und wird es von einem Wahnsinnigen zurückgefordert, der damit sich selbst oder andere umbrin­ gen kann, dann gibt der vollgerechte Gläubiger das eingelöste Schwert nicht heraus, setzt damit das Gesetz außer Kraft, wahrt aber letzten Endes den Zweck des Gesetzes; der Zweck bestand ja darin, dem Eigentümer das Pfand zu dessen Nutzen auszuliefern ; einem Wahnsinnigen aber das Schwert zurückzugeben, wäre nicht von Nutzen, sondern gefährlich. D rittes Beispiel : Das Gesetz verbietet den Geschlechtsverkehr mit der Frau eines anderen Mannes ; sieht nun j emand, daß ein Gewalttäter einen listigen Plan gegen die Stadt schmiedet und daß er nur dann hinter diesen Plan kommen kann, wenn er mit dem Kalb des Tyrannen pflügt (vgl. Ri 1 4 , 1 8) , dann läßt e r sich mit der Frau d e s Tyrannen ein, jedoch nur z u dem Zweck, den geheimen Plan des Feindes zu erfahren und durch diesen Ehe­ bruch die Stadt vor Unheil zu bewahren ; er tut zwar Unrechtes, wird aber vom bürgerlichen Recht nicht mit Strafe belegt ; er hielt den Ehebruch für eher verantwortbar als den Untergang der Stadt. Und so ist es in allen Fällen dieser Art. Der Vollgerechte bedenkt immer den Zweck des Gesetzes und erhält ihn aufrecht ; wenn die zu dem Zweck erlassene Vorschrift, falls sie buchstäblich eingehalten wird, das Gegenteil des Zweckes herbeiführt, setzt er sie außer Kraft und verwirklicht das Ziel durch eine andere Vernunftentscheidung.

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222 . Patet igitur, quod epyeykeya neque idem simpliciter est, universali­ ter scilicet et convertibiliter, cum iusto, neque ut alterum genere ab ipso, quod nihil de ratione iusti habeat, si quis subtiliter in rationem epyeykeyae intendat. Quod enim laudabilium bonorum sit, ex hoc probatur, quia epyeykes laudamus ut viros strenue finem legis observantes, quamvis non sem per se­ cundum legern observent ; quando laudamus epyeykes, transferimus eos in magis bonum et utilius ad finem legis, quam lex sit, attendentes ex ratio ne et facto , quod melius est ad finem legis sequi epyeykem quam legern in tali casu, scilicet casu speciali. Laudabilia autem bona virtutes esse praediximus in antecedentibus, et sie epyeykeya de numero virtutum esse videtur . . .

Ibid. p. 3 841 8 5 ; f. 1 3 6ra.

223 . Epyeykes enim iustum quoddam est, rectae rationis scilicet, quod melius est quodam iusto, legal i videlicet et statuto communi, quod iustum est, quia per legern statutum est. Sed non est melius naturali iusto , quod se­ cundum naturam rei iustum est et ubique eandem habet potentiam . Et hoc quidem epyeykes iustum, quod melius est legali iusto , non est exsistens ut aliud genus quoddam a iusto in genere, sed ut quiddam iusti genere exsi­ stens. Iustum enim in genere in se continet et naturale iustum et legale, et id quod secundum rationem in omni casu potissimum est. Iustum ergo legale et iustum epyeykeys idem est in genere et fine. Ibid . p. 385; f. 1 3 6rb .

224 . Et eum studiosa exsistant et laudabilia, iustum epyeykeys melius est quam iustum legale, in hoc scilicet quod iusto naturali propinquius est. Ibid . p. 385b; f. 1 3 6rb .

225 . Propter quod epyeykeya iustum quoddam est, et quodam iusto quod legale vocatur, melius est. Non est autem melius eo iusto quod simpli­ eiter iustum est, et naturale iustum vocatur. Sed est melius eo iusto quod aliquando peccativum sive peceati oceasio est, per hoc quod simpliciter et universaliter positum est. Haec igitur natura iusti est quod epyeykeyosius iustum est, quod, sieut

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222 . E s ist also klar, daß die Vollgerechtigkeit nicht schlichthin, d. h . ganz allgemein und vertauschbar, dasselbe ist wie das gerechte Tun ; sie ist anderseits auch nicht der Gattung nach davon verschieden, als hätte sie nichts vom Wesen der Gerechtigkeit an sich. Man muß nur den Begriff der Vollgerechtigkeit genauestens fassen. Daß sie ein "lobenswertes Gut" ist, läßt sich folgendermaßen nachwei­ sen : Wir loben die Vollgerechten als eifrige Beobachter des Gesetzes, ob­ wohl sie dieses nicht immer der Vorschrift gemäß befolgen; wenn wir die Vollgerechten loben, übertragen wir auf sie etwas, das für das Ziel des Ge­ setzes besser und nützlicher ist als das Gesetz selber, und wir entnehmen der Vernunft und dem tatsächlichen Verhalten, daß der Vollgerechte j ene Entscheidung trifft, die in einem solchen Fall, d. h. in einem Sonderfall, für den Zweck des Gesetzes förderlicher ist als das Gesetz selber. Das "lobenswerte Gut" aber haben wir früher schon als sittlich-wertvolle Hal­ tung bezeichnet; und demnach scheint die Vollgerechtigkeit zur Zahl der Tugenden zu gehören . 223 . Vollgerecht ist einerseits etwas von dem, das vor der rechten Ver­ nunft gerecht ist; es ist nämlich besser als eine bestimmte Art des gerechten HandeIns, eben das durch Gesetz und allgemeine Satzung Geschuldete, das nur deshalb gerecht ist, weil es durch das Gesetz festgelegt ist. Das Vollge­ rechte steht jedoch nicht über dem naturhaft Gerechten, das aus der Natur der Sache kommt und überall dieselbe Gültigkeit hat. Anderseits besteht das Vollgerechte , das also dem Rang nach höher steht als das gesetzlich Ge­ rechte, nicht als eigene Gattung neben dem Gerechten überhaupt, vielmehr als ein Vollzug, der zur Gattung gerechten Verhaltens gehört ; dieses um­ greift nämlich sowohl das naturhaft wie das gesetzlich Gerechte und deckt sich mit dem Tun, das vernunftgemäß in j edem Fall das Richtigste ist. Folg­ lich ist das gesetzlich Gerechte und das Vollgerechte eins und gleich in der Gattung und im Ziel. 224 . B eide Arten von Gerechtigkeit sind wertvoll und lobenswert, aber das Vollgerechte stellt einen höheren Wert dar als das gesetzlich Geschul­ dete, nämlich dadurch, daß es dem naturhaft Gerechten näher steht. 225 . Darum ist die Voll gerechtigkeit eine Art Gerechtigkeit, und sie ist werthaltiger als die Gesetzesgerechtigkeit, nicht jedoch vorzüglicher ge­ genüber dem naturhaft Gerechten, das schlichthin gerecht ist; es steht aber über jener Art des Gerechten, das Mängel hat oder Anlaß zu Fehlverhalten ist, weil es einfachhin und in allgemeiner Regelung festgelegt ist. Das ist also die Natur jenes gerechten Verhaltens, das in Vollgerechtig-

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diximus, est directio legis ubi lex deficit propter sui universalitatem . Uni­ versale enim ut in ratione universali est simplici et pura, non utique particu­ laribus adaptari potest. Et haec eadem causa est, quod non omnia humana secundum unam et eandem legern esse possunt, quoniam quaedam ita dif­ formia sunt, quod eis impossibile est ponere unam legern, sed in particula­ ribus accepta speciali indigent sententia. "Sententiam" autem dicimus ra­ tionis decretum, quod secundum emergentes casus pro tempo re et loco tune est utilissimum . . . Et hoc modo sententia, quae decretum rationis est, se habet ad res et negotia, quod, ubi scilicet res rationem sequi non potest, ratio sequatur rem, de re decernens melius quod fieri potest. Ibid. p . 3 86aJb; f. 1 3 6va.

226 . Ex his igitur manifestum est, quid sit epyeykes, et quoniam iustum epyeykes quoddam iustum est, et quod quodam iusto, quod legale vocatur, est melius. Manifestum autem est ex hoc ipso, quis ex habitu et opere epyeykes sit ; epyeykes enim est talium electivus et operativus ex habitu. Epieikes autem non est acribodikaios . . . Et causa est, quia naturale iustum sequitur quantum potest . . . Habitus autem ipse quo epyeykes disponitur, epyeykeya vocatur, et est iustitia quaedam, et non alter genere habitus a iustitia. Ibid . p . 3 86/87; f. 1 3 6vb-1 3 7ra.

227. Tres igitur sunt quae ex parte prudentiae accedunt virtutes adiunc­ tae . . . Una autem in re quae prudentiae subiacet et a legislatore determinari non potuit, scilicet gnome. - (p . 45 1 a; f. 1 60va) : Secundum hoc igitur gnome est iudicium rectum superiusti, qui graece epyeykes vocatur, ita quod epyeykeya exsecutiva sit eius quod gnome iudicat esse faciendum . . . Ibid . I . 6 tr. 3

c.

4 (Ed. Par. t . 4 5 1 b ; f. 1 60vb) .

2 2 8 . Intentionem legislatoris addit, quia implet eam secundum quod Deus, qui dedit eam , intendit . . . Hic autem talis qui legern secundum inten­ tionem legislatoris servat, non solum iustus, sed etiam " epieikes" , hoc est superiustus, ab Aristotele in V Ethicorum vocatur. Super Matth. 5, 1 7 " sed adimplere" (Ed. Par. t. 20 p. 1 75b) ; Editionsmanuskript.

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keit gerecht ist, und das Gerechte liegt darin, daß e s dort, wo das Gesetz wegen seiner allgemeinen Fassung versagt, eine Weiterführung des Geset­ zes ist. Das Allgemeine als solches, in seiner reinen Unbestimmtheit, deckt sich nämlich nicht mit seinen Teilverwirklichungen . Das ist auch der Grund dafür, daß nicht alle menschlichen Verhaltensweisen nach einem und dem­ selben Gesetz zu regeln sind; denn es gibt abweichende Sonderfälle, die nicht alle unter ein einziges Gesetz zu fassen sind, sondern wegen der kon­ kreten Umstände auf einen Sonderbeschluß angewiesen sind, nämlich auf eine Vernunftentscheidung, die in einem dringenden Notfall je nach Ort und Zeit von größtem Nutzen ist . . . Der Beschluß, der also eine Vernunft­ entscheidung ist, verhält sich gegenüber den Dingen und Vorgängen derart, daß dort, wo die Wirklichkeit nicht der Vernunft folgen kann, die Vernunft sich nach der konkre t en Seinswirklichkeit richtet, indem sie aus der gege­ benen Situation das Beste zu machen sucht. 226. So ist deutlich, was der Vollgerechte ist, und daß das Vollgerechte eine Art des Gerechten ist und daß es dem Wert nach höher steht als das gesetzlich Gerechte . Deutlich ist damit auch, wer aus sittlichem Gehaben heraus und im Vollzug vollgerecht ist; aus bleibendem Gehaben heraus entscheidet und handelt er ja so gemäß dem Ziel des Gesetzes. Der Vollge­ rechte ist nicht ein Supergerechter (acribodikaios) . . . , und zwar deshalb nicht, weil er nach Möglichkeit das naturhaft Gerechte zu verwirklichen sucht . . . Das geistige Gehaben schließlich, das ihn zu sachgerechter Geset­ zesbeobachtung geneigt macht, heißt Vollgerechtigkeit und ist eine Art Gerechtigkeit, nicht verschieden von der Haltung der Gerechtigkeit über­ haupt. 227. Es gibt drei der Klugheit verwandte Tugenden . . . Eine, die einen Fall betrifft, der zwar unter die Klugheit fällt, vom Gesetzgeber aber nicht festgelegt werden konnte ; das ist die Tugend der " Gnome" . Demnach ist " Gnome" das richtige Urteil über das Gerechte, genannt Vollgerechtigkeit, und diese dreht sich um die Ausführung dessen, das der kluge Mann hier und j etzt für notwendig hält. 22 8 . Jesus nennt hier auch die Absicht des Gesetzgebers, weil er das Gesetz gemäß dem Zweck erfüllt, den Gott, der es gegeben hat, damit ver­ folgt . . . Wer aber das Gesetz (nicht nach dem Buchstaben, sondern) gemäß dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck beobachtet, wird von Aristo­ teIes im 5. Buch der (Nikomachischen) Ethik nicht nur gerecht genannt, vielmehr vollgerecht.

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229 . Sicut supra docuirnus, Christus est iustus, et est superiustus, quern Graeci epieikes vocant. Epieikes autern sive superiustus tenet legern ad le­ gislatoris intentionern, et sie tenet legern ipse legislator, qui lex est viva. Curn igitur causa inhibitionis de tactu leprosi fuerit ne inficeretur sanus ex leproso, et sie plures fierent irnrnundi, curn lepra sit morbus contagiosus : superiustus eo ipso debet et potest rnanu tangere leprarn, qua leprae morbus effugetur, et sie natura iuvetur et mundetur ; et non solvit legern, sed potius superirnplet legern . Et sie est videre in omnibus factis Domini, et hoc est quod ipse dixit loh. V (36 ) : " Opera quae ego facio, testimonium perhibent de rne. " Super Matth. 8 , 3 "tetigit eum" (Ed. Par. 2 0 p . 3 78).

230. Regis autern est cogere ad legis observantiarn, et non legern violare. Et si iustus rex violat, exernplaris erit violatio et doctrinalis, quia superiu­ stus in quibusdarn casibus violando legern rnelius servat earn, sicut in ante­ habitis deterrninatum est. Et ideo dicit Ps . CXVIII ( 1 00 ) : " Super senes in­ tellexi" , quia intellectum legis non ad litterarn, sed ad spiritum referebat. Curn enirn alibi diceret, ibidern (v. 1 06) : " Iuravi et statui custodire iudicia iustitiae tuae" , oportuit, quod ornnia quae iustus fecit, essent custoditio le­ gis ; custoditio autern ista non potest esse nisi secundum spiritum, et non se­ cundurn litterarn . . . "Quando esuriit" : Ecce necessitas ; nec intelligitur ista necessitas extrema fuisse, sed inducens, et non cogens ; quod et significatur in verbis sacerdotis (I Reg. XXI, 5), ubi dixit . . . Super Matth . 1 2 , 3 " quid fecerit David" (Ed. Par. 20 p . S l 1 a) . Cf. Super Matth. 5 , 2 2 (Ed. Par. t. 2 0 , p . 1 86a).

23 1 . . . . sex modi iustitiarurn, quibus regnurn regitur et continetur ; qua­ rum unus gradus est iustitia directiva operurn in cornrnunitatibus ; secundus autern est iustitia solutiva et custoditiva legern in casibus ernergentibus . . . Secundus fit per earn quam Graeci vocant " epicheiam " , hoc est " superiusti­ tiarn" . . . De secunda iustitia expresse habetur I Mach. II (32 - 3 8), ubi po­ pulus, legern tenens sabbati, occisus est; Mathathias autern, solvendarn ali­ quando sabbati legern iudicans, populurn salvavit . . . (p. 8 1 a) : Contra se­ cundarn iustitiam duae sunt iniuriae, durn aut ex indiscreto legis lex ornnino iudicatur esse tenenda; aut ex incuria de observantia legis nihil curatur. De

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2 2 9 . A n einer früheren Stelle haben wir bereits ausgeführt : Christus ist der Gerechte, und sogar - mit einem Ausdruck der Griechen - der Voll­ gerechte . Ein solcher Voll gerechter verwirklicht das Gesetz ganz in der Ab­ sicht des Gesetzgebers, so wie der Gesetzgeber, der ja das lebende Gesetz ist, es selber beobachtet. Der Grund für das Verbot, einen Aussätzigen zu berühren, lag darin, die Ansteckung eines Gesunden zu verhüten, durch den viele andere mit der ansteckenden Lepra b � haftet und unrein würden. Der Vollgerechte darf und kann nun den Leprakranken mit der Hand be­ rühren, um die Krankheit zu heilen, die Natur in ihrer Widerstandskraft zu unterstützen und den Kranken vom Aussatz zu reinigen. Dieser Vollge­ rechte hebt das Gesetz keineswegs auf, er erfüllt es sogar im übermaß . So ist es bei allen vom Herrn gewirkten Heilungen zu sehen. Das ist es, was dieses sein Wort meint (Joh 5 ,36) : " Die Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis über mich ab . " 2 3 0 . Sache des Königs ist es, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, nicht das Gesetz zu übertreten. Verletzt er es doch einmal, so hat diese übertre­ tung die Bedeutung des Beispiels und der Belehrung, weil der Vollgerechte in einem Sonderfall das Gesetz mißachtet, es aber gerade dadurch um so besser verwirklicht . . . Deshalb heißt es im Psalm 1 1 9 , 1 00 : " Mehr Einsicht habe ich als die Alten" , weil er das Gesetz nicht nach dem Buchstaben, son­ dern nach dem Geist auffaßte. An einer anderen Stelle desselben Psalmes (V. 1 06) steht : " Ich tat einen Schwur, und ich will ihn halten : Ich will deinen gerechten Entscheidungen folgen" ; mithin mußte alles, was der Gerechte tat, eine Beobachtung des Gesetzes sein ; diese aber kann nur dem Geiste nach, nicht gemäß dem Buchstaben geschehen . . . " Als er (David) hungrig war" : Da ist die Not angesprochen. Darunter ist j edoch nicht eine äußerste und nicht eine zwingende Not zu verstehen, sondern eine vor der Vernunft als gegeben erkannte, wie es auch in den Worten des Priesters (1 Sam 2 1 ,5) angedeutet ist. 23 1 . Sechs Arten von Gerechtigkeit gibt es, durch die ein Staat regiert und zusammengehalten wird. Der erste Grad ist die für das Gemeinschafts­ leben maßgebliche Gerechtigkeit. Der zweite Grad ist j ene Gerechtigkeit, die in Konfliktfällen das Gesetz verläßt und es eben dadurch wahrt . . . Die­ ser zweite Grad ist erreicht in der von den Griechen so genannten 'epi­ cheia' , d. h. Vollgerechtigkeit . . . Davon ist ausdrücklich die Rede in 1 Makk 2 , 3 8 -4 1 , wo ein Teil des Volkes, der den Sabbat hielt, umge­ bracht wurde, Matatias aber den anderen Teil rettete in der überzeugung, daß das Sabbatgebot in einzelnen Fällen aufzuheben ist . . . Gegen diese zweite Art Gerechtigkeit verstoßen zwei Arten von Ungerechtigkeit : Ent-

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prima dieitur (Eed. VII, 1 6 ) : "Noli esse nimis iustus" , sed iustitiae tuae pone modum . . . Super Luc. 1 , 32 (Ed. Par. t. 22 p . 80sq. ) ; Oxford, Ballio!. Cod. 1 87 f. 1 5ralb .

232. Eedi. III (20) : " Quanta magnus es, humilia te in omnibus . " Et ideo, lieet conformare in omnibus praeeeptis debeamus voluntatem nostram voluntati divinae, tarnen hoc faeiendum est in fine praeeepti, et non in re praeeepta. Et eum Deus intendat per haee nos reddere humiles, conformes sumus, quando de donis Dei humiliamur, nihil nobis inde attribuentes. lbid . 8 , 56 (p. 595sq . ; f . 90rb) .

233 . Et ideo dicit Matth. XII (8), quia " dominus est filius hominis etiam sabbati" . Sie in libro V Ethicorum determinatur, ut in omni urbanitate sive civilitate ( sit) epieikes, hoc est superiustus, qui novit, quando solvenda est lex data, quae nonnumquam in praeiudieium ipsius legis et dictarnen contra intentionem legislataris observaretur. Super loh. 5, 1 7 (Ed. Par. t. 24 p. 2 1 0b) ; München, Staatsbib!. Clm 7943 f. 59va.

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weder wird das nicht auf Sonderfälle abgestellte Gesetz in j edem Fall für verpflichtend gehalten, oder man kümmert sich verantwortungslos über­ haupt nicht um die Beobachtung des Gesetzes. Ober jene erste Art der Un­ gerechtigkeit steht Koh 7, 1 6 geschrieben : "Halte dich nicht zu streng an das Gesetz " , setze vielmehr deiner (Gesetzes-)Gerechtigkeit eine Grenze. 232 . Sir 3 , 1 8 : "Je größer du bist, um so mehr bescheide dich ! " Obgleich wir also gegenüber allen Geboten Gottes unseren Willen dem göttlichen Willen gleichförmig machen müssen, so hat das doch zu geschehen gemäß dem Ziel des Gebotenen, nicht gemäß dem vorgeschriebenen Tun. Wenn Gott nun die Absicht hat, uns demütig zu machen, so erreichen wir die ge­ forderte Gleichförmigkeit dadurch, daß wir uns wegen der Gaben Gottes verdemütigen, indem wir nichts davon uns selber zuschreiben. 233 . Deshalb heißt es Mt 1 2 , 8 , daß "der Menschensohn auch Herr über den Sabbat" ist. So wird im 5. Buch der (Nikomachischen) Ethik festgelegt, daß es in jedem städtischen oder bürgerlichen Gemeinwesen den Vollge­ rechten geben muß, der weiß, wann die Beobachtung eines Gesetzes zu un­ terlassen ist, das ja mehr als einmal zum Nachteil des Gesetzes und gegen die Absicht des Gesetzgebers befolgt würde.

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234.36 Ad aliud dicendum, quod motus fidei ineipit a veritate artieuli, et non ab habitu ; veritas enim articuli faeit habitum sui similitudine in anima, et faeit illum habitum tendere in eandem veritatem, ut sie sit motus nobilis a prima veritate ineipiens , et per artieulum primae veritatis in eandem ten­ dens, ut eoncludatur eireulus egredientis radii ab aeterno in temporalem animam iusti, et per veritatem artieuli in aeternam veritatem . Sieut dieit Dionysius in libro I De eaelesti hierarehia : " Omnis Patre motae manifesta­ tionis luminum proeessio in nos optime ae large proveniens, iterum, ut vivi­ fiea virtus nos replet et eonvertit ad eongregantis Patris unitatem et deifieam supersimplieitatem . " Super III Sent. d. 24 a. 4 ad diff. 1 ad 3 (Ed. Par. t. 2 8 p. 4 5 1 a) ; Krakau, Univ. Cod. 1 1 8 1 f. 74vb .

2 3 5 . Ad primum autem dieimus , quod diffinitio Dionysii datur de fide se­ eundum proprium effeetum quem habet in eredente. Sie enim in eo quod ipsa est primum natura in aedifieio spirituali, fundat et loeat in veritate ere­ diti sive artieuli et speratae beatitudinis . In eo autem quod habet aliquid eo­ gnitionis, loeat per consensum eertissimum veritatem erediti in nobis. In hoc autem quod non est veritas complexionis sieut in propositione quae di­ gnitas voeatur vel prineipium syllogismi, ideo dieuntur in ipsa ereduli ha­ bere simplam veritatis scientiam, idest simplum lumen quod faeit aliqualiter seire veritatem eredibilis artieuli. E t sie patet, quod tria faeit fides, seilieet in eo quod est prima natura, fundat nos in veritate ; in eo autem quod est eogni-

V. THEOLOGIE 1.

Systematische Theologie a) Glaube

234 . Der Vollzug des Glaubens nimmt seinen Ursprung von der im Satz des Glaubensbekenntnisses selbst enthaltenen Wahrheit, nicht von einer seelischen Verfaßtheit des Menschen. Denn die Wahrheit des Bekenntnis­ satzes schafft erst diese Verfaßtheit, und zwar dadurch, daß sie die Seele in eine Ähnlichkeit mit sich erhebt, und sie bringt es mit sich, daß der Mensch durch die so gewirkte Verfaßtheit sich der Wahrheit des Glaubens­ artikels (in Liebe) zuwendet. Somit steht am Anfang dieser erhabenen Be­ wegung die Erstwahrheit, und im Glauben gibt sich der Mensch durch den von ihr kommenden Glaubenssatz ihr hin. So schließt sich der Kreis : Der Lichtstrahl, der aus der Ewigkeit kommt, dringt in die der Zeit unterwor­ fene Seele des Gerechtfertigten ein und kehrt über die aus dem Satz des Be­ kenntnisses hervorleuchtende göttliche Wahrheit zur ewigen Wahrheit zu­ rück. So sagt (Ps . -)Dionysius in dem Buch über die "Himmlische Hierar­ chie" : "Jede aus ihm (dem Vater) heraustretende Lichtausstrahlung führt uns auch wieder, sobald sie, durch seine Güte erregt, in uns eindringt, auf­ wärts : Sie ist eine uns zur Ganzheit umgestaltende Kraft. Sie vereinfacht und vervollkommnet uns, sie hebt uns wieder zur Einheit des Vaters zurück, zu seinem allverbindenden, allumfassenden göttlichen Eins- und Alles-Sein" (W. Tritsch) . 235 . (Ps . -)Dionysius gibt für den Glauben eine Begriffsbestimmung von dessen eigentümlichen Wirkungen im Glaubenden aus . So im Glauben­ den zugegen als das Erste und Grundlegende im Aufbau des Christen­ lebens, begründet und beheimatet uns der Glaube in der dem Geglaubten, d. h. dem Glaubenssatz, und dem in der Glückseligkeit Erhofften inne­ wohnenden Wahrheit. Sofern der Glaube aber auch einen Erkenntniswert besitzt, legt er durch die mit absoluter Gewißheit gegebene Zustimmung die Wahrheit des Geglaubten (und Erhofften) in uns nieder. Sofern die Glaubenswahrheit, im Unterschied von einem obersten, von selbst ein­ leuchtenden, den Ausgangspunkt einer Schlußfolgerung bildenden Satz, in sich nicht zusammengesetzt ist, heißt es von den Christen, daß sie von der

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tio quaedam certa, fundat veritatem in nobis ; in eo autem quod est simplex lumen simile veritati primae, dat simplicem scientiam veritatis credibilium . Ibid. d. 23 a. 3 ad diff. Dion. (p . 4 1 0) ; Berlin , Staatsbibl. Cod. theol. lat . fol . 320 f. 1 1 7rb .

236. Dicendum, quod in veritate hic diffinitur credere in comparatione ad obiectum, et diffinitur quoad omnem modum quo se potest habe re obiec­ turn, et secundum maximum et optimum posse. Fides enim innititur primae veritati. Haec autem accipitur in signo vel in seipsa. Et voco " signum" si­ gnum expressum infallibile, sicut est verbum quod seitur esse expresse Dei verbum . Si in signo innititur, tune est eredere Deo, hoc est eredere vera esse quae dicit, sive loquatur in Scriptura, sive in corde, sive in revelatione, sive per creaturas, dummodo infallibi!iter sciatur esse verbum Dei. Si autem in­ nititur ei in seipsa, aut sie quod tendat in ipsam, et tune est eredere in Deum ; aut ut assentiat sine tensione, et tune est eredere Deum. Unde optimus sta­ tus credendi eol!igit omnia ista, quia per verba venit ad Deum, et per Deum in Deum . Ibid . d. 23 a. 7 solutio (p. 4 1 8a); Krakau, Univ. Cod . 1 1 8 1 f. 68vb.

237. Dieendum ut supra, quoniam fides non habet meritum eui humana ratio praebet experimentum. Tarnen distinguendum est hic dupliei distine­ tione, quarum unam ponit Damascenus IV !ibro I cap . , scilieet quod quae­ dam fides est ex auditu, et quaedam est charisma Spiritus Sancti. Illa quae est ex auditu, potest habere rationem induetivam, sed non probativam, non ut quis consentiat, sed ut facilius eonsentiat ei, cui tarnen per affeetum est in­ clinatus et paratus consentire. Charisma autem est lumen infusum tendens in primam veritatem, et hoc non habet rationem inducentem, sed potius gratiam infundentem, ut ita dicam .

Systematische Theologie

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Glaubenswahrheit ein Wissen ganz einfacher Art haben, d. h. , daß ihnen ein wesentlich einfaches (göttliches) Licht eingestrahlt ist, das sie den Wahrheitsgehalt des zum Glauben vorgelegten Bekenntnissatzes irgendwie erkennen läßt. Damit ist deutlich, daß der Glaube eine dreifache Wirkung hat : Als Grundlage des Christseins gründet er uns auf die Wahrheit ; als eine mit Gewißheit versehene Erkenntnis legt e r die Wahrheit in uns nieder; so­ fern er ein (schöpferisches) Licht ist, das wegen seiner Einfachheit der un­ veränderlichen Erstwahrheit ähnlich ist, gewährt er von der Wahrheit der Glaubensgegenstände eine wenn auch nicht mit Einsicht ausgestattete Kenntnis. 236. Hier geht es um die (Augustinische) Begriffsbestimmung für das Glauben in bezug auf seinen Gegenstand, und zwar faßt sie den Gegenstand unter jeder möglichen (artmäßig nicht verschiedenen) Rücksicht und das Glauben selbst im Höchsten und Besten seines Seinkönnens . Der Glaube stützt sich auf die Erstwahrheit als seinen tragenden Grund. Die Erstwahr­ heit kann nun entweder in einem Zeichen oder in sich selbst aufgenommen werden. Unter " Zeichen" verstehe ich hier ein deutliches, unfehlbares Zei­ chen ; ein solches ist das Wort, von dem ich weiß , daß es ausdrücklich ein Wort Gottes ist. Beruht also das Glauben auf einem Zeichen, dann ist es so­ viel wie dem sprechenden Gott glauben (credere Deo), d. h. glauben, daß die Botschaft wahr ist, wie immer er sich kundtut, sei es in der Schrift oder im Herzen, sei es in (der öffentlichen) Offenbarung oder durch Geschöpfe ; nur muß unfehlbar zu erkennen sein, daß es Gottes Wort ist. Stützt sich aber das Glauben unmittelbar auf die Erstwahrheit in sich selber, dann kann es entweder eine liebende Selbstübergabe an sie sein, und das ist soviel wie an Gott glauben (credere in Deum) ; oder es ist eine Zustimmung ohne Hinwendung zu ihr, und das heißt soviel wie an das Dasein Gottes glauben (credere Deum) . Das vollentwickelte Glauben umschließt also eine drei­ fache Beziehung zu Gott : Es kann sein : ein Glauben an Gottes Dasein, ein Gott-Trauen, und ein liebendes "An Gott glauben" . 237. (Mit Gregor dem Großen) ist hier wiederum festzuhalten, daß der Glaube, wenn ihm die menschliche Vernunft einen Erfahrungsbeweis lie­ fert, nicht heilswirksam ist. Jedoch ist an dieser Stelle eine doppelte Unter­ scheidung (ohne Trennung) angebracht. Die erste Unterscheidung, die Jo­ hannes von Damaskus bringt, besagt, daß der Glaube einmal vom Hören kommt und zum anderen eine Gnadengabe des Heiligen Geistes ( charisma) ist. Sofern der Glaube vom Hören kommt, kann er einen hinführenden (in­ ducens) Grund für sich haben, nicht aber einen (den die Vernunft überstei­ genden Glaubensinhalt) beweisenden . Der (Glaubwürdigkeits-)Grund

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Et ut hoc melius intelligatur, resumendum est quod habitum est in prae­ cedenti distinctione, ubi diffinitur credere ab Augustino, quod credere est cum assensione cogitare . Unde ex parte cogitationis admittit rationem, quia ex parte illa est ex auditu ; et haec ratio quam admittit, non est probans, sed quasi alludens credito ad iucunditatem, non ad consensum. Ex parte autem assensus non innititur nisi lumini infuso. Aliam etiam distinctionem ponit Petrus in Itinerario Clementis, scilicet quod fides non exigit probationem nisi ut probetur verus esse propheta, qui tradidit eam . Si enim ille verus exstiterit, absque dubio omnia quae docet, vera erunt, quamvis quaedam eorum propter sui altitudinem non intelli­ gantur. Ibid. d. 24 a. 1 solutio (p. 446) ; f. 74ra.

2 3 8 . Et ideo ex parte assensus, in quo perfectio fidei est, credere simplici­ ter donum Dei est, nec surgit ex visu nec ex auditu ; sed simpliciter lumen est, collocans in credentibus primam veritatem et ipsos in veritate, ut assen­ tiant ei propter se et super omnia, sicut dicit Dionysius . Et ex illa parte fides est immobile credentium veritatis fundamentum . Ex parte autem illa qua credere est de articulo cogitare, nihil prohibet, quin ipsa cogitatio ex visu vel auditu accipiat generationem. Super loh. 20, 29 (Ed. Par. t. 24 p . 694) ; München, Staatsbib!. Clm 7943 f. 1 89ra.

239. Sie enim fides est ex auditu verbi quantum ad cogitare de credito, circa quod est fides . Et est ab illuminatione divina quantum ad consensum in creditum, quod est in fide. Et sie fides est donum Dei. Super Luc. In Pro!. Hieronymi (ed. Voste p . 84) .

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trägt nicht soweit, daß der Mensch tatsächlich zustimmt, er kann nur die Zustimmung zur Glaubenswahrheit erleichtern, zu welcher der Mensch in frommem Gemüt schon geneigt und bereit ist. Als Gnadengabe ist der Glaube ein eingestrahltes, den Menschen mit der unveränderlichen Erst­ wahrheit verbindendes Licht. Da ist für einen auch nur hinführenden Grund überhaupt kein Raum ; da wirkt einzig und allein die verliehene Gnade, möchte ich sagen. Zum besseren Verständnis ist auf die B egriffsbestimmung zurückzugrei­ fen, die Augustinus gibt: Glauben heißt, mit Zustimmung denken. Vom Denken her läßt das Glauben eine Begründung durch die Vernunft zu, weil es ja als solches vom Hören kommt. Die Begründung bringt jedoch keinen (den Glaubensinhalt einsichtig machenden) Beweis zustande, vielmehr bie­ tet sie nur gleichsam einen Hinweis auf die in der Annahme der Glaubens­ wahrheit beschlossene freudvolle Erfahrung, womit noch nicht eine Zu­ stimmung gegeben ist. Insoweit das Glauben wesentlich die bej ahende An­ nahme der Glaubenswahrheit ist, beruht es allein auf dem eingestrahlten göttlichen Licht. Eine zweite Unterscheidung macht (Ps . -)Petrus (4. Jahrhundert) in dem "Bericht von den Reisen des Petrus" (dem Papst Clemens 1. zugeschrie­ ben) : Der Glaube hat keinen Beweis nötig, nur den Nachweis, daß der pro­ phetische überbringer der Offenbarung glaubwürdig ist. Stellt sich heraus, daß er wirklich wahrhaftig ist, so ist ohne Zweifel seine ganze Verkün­ digung wahr, wenn auch manche seiner Aussagen wegen ihrer Tiefe dem Verstehen verschlossen bleiben. 23 8 . In der Zustimmung gelangt der Glaube zur Vollendung, und daher ist das Glauben durch und durch ein Geschenk Gottes. Die Zustimmung gründet sich nicht auf das Sehen und nicht auf das Hören, sie ist vielmehr einfachhin ein eingestrahltes Licht, mit dem - um mit (Ps . )Dionysius zu sprechen - die Erstwahrheit sich bleibend den Glaubenden schenkt und die Glaubenden unter das Zeugnis der Erstwahrheit gestellt werden, damit sie ihr die Zustimmung geben, und zwar rein um ihrer selbst willen und rückhaltlos . In diesem Betracht ist der Glaube das unerschütterliche Fundament der Glaubenden und der Wahrheit. Anderseits, sofern das Glauben um das Glaubpflichtige sich denkend bemüht, steht nichts im Weg, daß ein Denkanstoß vom Sehen oder vom Hören ausgeht. 239. So kommt also das Glauben vom Hören des Wortes für das Beden­ ken der zum Glauben vorgelegten Wahrheit. Göttliche Erleuchtung aber führt zur Annahme des Glaubensinhalts. Glauben ist also ein Geschenk Gottes.

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240. Ad primum ergo dicendum, quod virtus non dicitur habitus volunta­ rius eO quod omnis virtus sit in voluntate sicut in subiecto, sed potius ideo, quia in opere virtutis et generationis habitus principium movens est volun­ tas ; et hoc sane dicitur in consuetudinalibus. Sed voluntas in theologicis et infusis ad minus cooperatur per consensum. Similiter fides est inclinans per modum naturae, quia non habet ration em sufficientem consensui, et si haberet, non tarnen innititur. Unde in scientia et artibus ratio est causa consensus, et prius accipitur ratio, ut postea con­ sentiatur. In fide autem est e contrario . Prius enim consentitur primae veri­ taii propter Se, et postea quaeritur ratio, ut aliqualiter intelligatur creditum ; et postquam inventa est, adhuc non innititur ei fides. Et ideo patet, quod to­ turn procedit ex libertate voluntatis, quod facit fidem assentire . Et ideo inclinat ut natura. Super III Sent. d. 23 a. 2 ad 1 (Ed. Par. t. 2 8 p. 407b) ; Krakau, Univ. eod. 1 1 8 1 f. 66vb- 6 7ra.

24 1 . Est autem intellectus veri, cuius consensus principium est voluntas, et ille est affectivus intellectus, et in illo est fides . Ibid. ad 4 (Ed. Par. t. 28 p. 408b) ; f. 6 7ra.

242 . Ad id autem . . . dicendum, quod instructio pertinet etiam ad Spiri­ turn sanctum . Est enim instructio per interpretationem et locutionem, et ista convenit Verbo et ei qui est os Patris. Et est instructio non per verbum,

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240 . (Tugend ist eine willentliche Verfaßtheit als Fertigkeit und Geneigt­ heit zu naturentsprechender, d. h. sittlich-guter Tätigkeit. ) Nun ist es aber nicht so, als wäre j edes seelische Gehaben dieser Art im Willensvermögen als seinem eigentlichen Ort angesiedelt. Es ist vielmehr so zu verstehen, daß der Wille der Motor im tugendlichen Tun und in der daraus erfolgenden Bildung des entsprechenden Gehabens ist. Das ist sicher bei den durch übung erworbenen (Kardinal-)Tugenden der Fall. Im gesamten Organis­ mus der theologischen Tugenden und der anderen Tugendkräfte überna­ türlichen Ursprungs ist der Wille mindestens beim Vollzug mittätig (also auch beim Glauben) . Ebenfalls ist es ein Vorzug der von Gott verliehenen Glaubenskraft, daß sie nach Art der Naturdinge den Menschen für den Glaubensvollzug ge­ winnt und geneigt macht (ohne Begreifen des Glaubensinhalts, aber mit der Zielgerichtetheit und Bestimmtheit, wie j edes nichtvernunftbegabte Wesen der Natur auf seine Eigentätigkeit hingeordnet ist, z. B . die Biene). Denn der Glaube des Christen hat keinen hinreichenden Vernunftgrund für die Zustimmung, und selbst wenn es einen gäbe, würde er sich dennoch nicht darauf gründen. Gegenüber der theoretischen Wahrheit im Wissen und in der praktischen Wahrheit beim technischen Schaffen gibt die Vernunft den Ausschlag für die Bej ahung; zuerst werden die Gründe geprüft, danach folgt erst die Annahme. Im Glauben ist es genau umgekehrt. Zuerst wird (ohne Druck und Zwang, aber auf die den Verstand überzeugende Erleuch­ tung durch das göttliche Licht hin) dem Zeugnis der Erstwahrheit zuge­ stimmt, rein um ihrer selbst willen. Danach erst werden (Angemessen­ heits-)Gründe gesucht, um den Glaubensinhalt dem Verständnis irgendwie nahezubringen, aber auch dann bilden diese Gründe nicht die Grundlage, auf welcher der Glaube aufruht. Damit steht fest, daß der Vorgang, der zur Glaubenszustimmung führt, vollständig aus der freien Willensentschei­ dung hervorgeht. In diesem Sinn ist es zu verstehen, daß die Glaubenskraft, wie die Kräfte der Naturwesen, von innen heraus und zielsicher, den Men­ schen zum Vollzug des Glaubens hingeleitet. 241 . Es gibt aber (neben der theoretischen und der praktischen Vernunft) noch eine Wahrheitsfindung, bei der die Bejahung ihren eigentlichen Ur­ sprung im Willen hat. Das ist (neben dem reinen Vernunftdenken) ein vom Gemüt geleitetes Erkennen (wie mehr als einmal auch in der praktischen Vernunft), und dort gerade hat der Glaube seinen Ort. 242 . Die Unterweisung im Glauben gehört auch zum Wirken des Hei­ ligen Geistes. Die Unterweisung kann sich nämlich durch (Schrift-)Aus­ legung und Verkündigung vollziehen, und als solche geschieht sie ganz

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sed per inspirationem veritatis, et illa convenit Spiritui veritatis, idest a veri­ tate procedenti, qui annuntiat ea quae accipit a veritate . Sicut factum est in missione Spiritus sancti ; illuminavit enim Spiritus ad plenum intellectum eorum quae audita erant a Filio . Ad aliud dicendum eodem modo, quod in quantum auditus causat fidem, quae est per verbum Christi ; sic conveniebat fidem doceri per Verbum mis­ sum in carnem . Inquantum autem fides est assensus primae veritatis, non potest haberi nisi per inspirationem. Unde etiam apostoli, qui ante flexibiles erant in assensu, cum haberent fidem per auditum verbi, postea confirmati sunt, eum habebant assensum per inspirationem Spiritus sancti missi in eos . Et hoc notat idem Dominus in fine Lucae (XXIV, 49) : "Vos autem, inqui­ ens, sedete in civitate, quoadusque induamini virtute ex alto . " I Sent. d . 1 6 a . 4 (Ed. Par. t . 2 5 p . 449a) ; Ed. Basileensis .

243 . Credere enim evangelio est consentire et nos ei credendo committere ex toto corde . Super Mare . 1 , 1 5 (Ed. Par. t. 2 1 p. 363b) ; Oxford, B alliol. Cod. 1 87 f. 246va.

244 . Dicendum, quod fides est eertior omni arte et demonstratione, qua­ dam certitudine. Est enim certitudo duplex, seilicet eertitudo veritatis intel­ lectivae, et veritatis affectivae sive veritatis quae secundum pietatem est, ut dicit Apostolus ad Titum 1. Certitudo veritatis intelleetivae aut est in primis illius scientiae in qua est veritas illa; aut in demonstratis ex primis ; aut ex his quae per prima et vera aeceperunt fidem. Certitudo autem veritatis quae est secundum pietatem, supra rationem est. Et ideo non trahit eertitudinem a principiis rationis, sed potius a lumine quod simile est primae veritati, quod est simplex, quasi aperiens oculum ad videndum primam veritatem ; sieut lumen solis ineidens oculo aperit ipsum ad aeeipiendum quod offertur. Et haec est certitudo ex lumine fidei, infor­ mante conseientiam, et convineente per assensum de veritate credibilis, et quod tendendum sit in ipsum quod ereditur, etiam extra metas rationis pro­ priae . Et haec est eertitudo fidei, et ideo sanctus, sciens disciplinas mathe-

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entsprechend durch das (ewige) Wort und durch den (Propheten), der des Vaters Mund ist. Die Unterweisung kann auch ohne Wort sich ereignen, und dann ist es eine Eingebung der Wahrheit; in diesem Fall steht sie in be­ sonderer Beziehung zum " Geist der Wahrheit" (vgl. Joh 1 4 , 1 7), d . h. zu dem aus der Wahrheit hervorgehenden Geist, der das kundmacht, was er von der Wahrheit empfängt (vgl. Joh 1 6 , 1 3 ) . So ist es geschehen bei der Sendung des Heiligen Geistes; denn der Geist gab die Erleuchtung für das volle Verständnis der vom Sohn (Gottes) empfangenen Botschaft. Sofern der Glaube, der durch das Wort Christi gestiftet wird, vom Hören kommt, war der geeignetste Weg die Verkündigung des (objektiven) Glau­ bens durch das Mensch-gewordene ewige Wort. Aber als Zustimmung zum Zeugnis der Erstwahrheit kommt der Glaube einzig und allein durch gött­ liche Eingebung zustande. Das ist an den Aposteln anschaubar. Zuerst, als sie den Glauben freilich schon durch das Hören des Wortes besaßen, waren sie in ihrer Entscheidung für den Glauben noch schwankend . Erst nachher, als der Heilige Geist in sie herabgesandt worden war und er durch Einstrah­ lung seines Lichtes die Zustimmung in ihren Herzen gewirkt hatte, wurden sie im Glauben gefestigt. Das hat der Herr selber am Schluß des Lu­ kas-Evangeliums festgehalten : " Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe ausgerüstet seid . " 243 . Glauben heißt, dem Evangelium die (gottgeschenkte) Zustimmung geben, und ganze liebende Selbstübergabe im Glauben.

244 . Der Glaube hat eine größere Gewißheit als alle Lehre und alles Wis­ sen. Es ist eine ganz eigene Gewißheit. Gewißheit kann ja zweifacher Art sein, einmal die der reinen Vernunfterkenntnis, sodann die Gewißheit des vollmenschlichen Denkens, d. h. der Erkenntnis der Wahrheit unter Lei­ tung der Frömmigkeit, wie der Apostel an Titus (1 , 1 ) schreibt. Die Gewißheit der Vernunfterkenntnis eignet den Denkgrundsätzen einer Einzelwissenschaft oder den daraus unmittelbar abgeleiteten Wahr­ heiten oder schließlich allem, was auf diesem Weg glaubhaft gemacht wird. Die Gewißheit j ener Wahrheit aber, die dem frommen Gemüt ent­ spricht, geht über die Vernunft hinaus. Deshalb bezieht diese Wahrheit ihre Gewißheit nicht aus den Ur-Sätzen der Vernunft, sondern von einem Lichtstrahl, der mit der Erstwahrheit in Ähnlichkeit verbunden ist. Der Lichtstrahl ist reines Licht (der Wahrheit) und öffnet gleichsam das Auge (des Geistes) auf die Erstwahrheit hin. So ähnlich, wie der Sonnenstrahl, wenn er ins Auge einfällt, dieses aufschließt für die Aufnahme der vorhan­ denen Sinnesgegenstände. Diese Gewißheit aus dem Glaubenslicht prägt

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maticas, potius abnegat, quod triangulus habet tres angulos aequales duo bis rectis, quam abneget veritatem fidei. III Sent. 23 a. 17 solutio (Ed. Par. t. 2 8 p . 434sq . ) ; f. 72rb .

245 .37 Non enim hic agitur de nominibus symbolicis, quae non proprie di­ cuntur de Deo, sed per quandam similitudinem ; sed de illis quae propr.ie nominant ipsum, secundum quod est causa, quantum ad attributa, quibus emanant res ab ipso sicut a causa univoca, participantes per posterius illud ipsum quod in eo est vere et absolute, quantum ad rem significatam per no­ men, quamvis modus significandi deficiat a repraesentatione eius secundum quod est in Deo, relinquens illud in occulto propter hoc quod significat se­ cundum modum quo illa res est in nobis, a quibus est impositum nomen. U nde et mystica dicuntur quasi occulta. Haec autem nomina possunt dupli­ citer considerari : aut secundum effluxum causatorum a causa, participan­ tium ration em nominis per posterius, et sic agitur de eis in libro isto ; aut secundum quod ex resolutione causatorum in causam relinquitur ignotum significatum nominis prout est in causa, propter modum eminentem ipsius causae ; et sic agitur de ipsis in libro De mystica theologia. Super Dion . De divinis nominibus (Ed. Co!. t. 37 p. 2, 25 -45).

246 . Negativae theologiae . . . incipiunt a manifestis nobis sensibilibus, negando ea a deo, et sic procedentes removendo omnia ab ipso relinquunt intellectum nos trum in quodam confuso , a quo negantur omnia quae novit,

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das Gewissen und schafft über den frommen Sinn die überzeugung von der Wahrheit des Glaubensgegenstandes. Sie weckt auch das Bewußtsein, daß das Geglaubte eine liebende Hingabe verdient, sogar bei dessen überstieg über die menschliche Vernunft. Das ist die Gewißheit des Glaubens . Daher auch würde der echte Christ, der Mathematik kann, eher den Satz preis­ geben, daß die Summe der drei Innenwinkel beim Dreieck zwei Rechte beträgt, als die Wahrheit des Glaubens leugnen.

b) Negative Theologie 245 . Es handelt sich hier (in dem Werk "über die Namen Gottes") nicht um die symbolischen Benennungen, die nicht im eigentlichen Sinn, son­ dern nur auf Grund irgendeiner Ähnlichkeit auf Gott zutreffen (Inhalt ei­ ner verlorenen, vielleicht von Ps. -Dionysius nur geplanten Schrift : " Sym­ bolische Theologie" ) ; hier wird vielmehr nach j enen Namen gefragt, die im eigentlichen Sinn etwas von Gott aussagen, sofern er Ursache ist; sie haben zum Inhalt die Vollkommenheiten Gottes, die zum Hervorgang der Wesen aus ihm in Kraft treten, und zwar derart, daß Gott für das Hervorgebrachte wie eine gleichsinnige Ursache ist (d. h. in analoger Aussage) und die Ge­ schöpfe an der Vollkommenheit, die in Gott wirklich gegeben und absolut und mit dem Namen bezeichnet ist, in abgeleiteter Weise (per posterius) teilhaben. Freilich reicht auch bei einem solchen Namen (für die Eigen­ schaften Gottes) die Art der Aussage nicht hin, um den Vollgehalt wieder­ zugeben, den er in der Anwendung auf Gott umschließt. Der Name stammt ja von uns, und darum läßt er die von Gott ausgesagte Wirklichkeit im dun­ kel, weil sie nämlich so bezeichnet wird, wie sie bei uns ist. Daher bedeutet das Mystische soviel wie das gleichsam Verhüllte. Diese über Gott im ei­ gentlichen Sinn ausgesagten Namen lassen sich nun unter doppelter Rück­ sicht betrachten. Einmal gemäß dem Hervorgang des Geschaffenen aus sei­ ner Ursache, sofern es an der Bedeutung des Namens in abgeleiteter Weise teilhat ; in diesem Sinn handelt darüber das vorliegende Werk "über die Namen Gottes" . Oder sie werden bedacht gemäß der Rückführung des Ge­ schaffenen auf seine Ursache, und dann bleibt die Bedeutung des von der Ursache ausgesagten Namens unbekannt, weil sie in der Ursache auf über­ ragende Weise verwirklicht ist ; darüber handelt die Schrift "über die mystische Theologie" . 246 . Die negativen Theologien gehen von den uns bekannten sinnfälligen Wirklichkeiten aus, schließen sie aber als solche von Gott aus . Mit diesem Weg der Verneinung stellen sie unseren Verstand vor ein Unscharfes, an

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Theologie

et de quo non potest affirmare, quid sit . Affirmativae autem theologiae produeunt nobis oeeultum divinitatis in manifestum, seeundum quod si­ gnifieantur ab eminentiae causa procedere ea quae sunt manifesta nobis . . . Super Dion. De mystica theologia (Ed. Col. t. 3 7 p . 454, 78-p . 455, 3).

247. "Tune " , quando seilieet divinissima videt Moyses, "absolvitur ab ip­ sis visis" radiis, quae non sunt obieetum eontemplationis, "et" ab aliis se­ eum "videntibus" . . . , et sie remotus ab omnibus, "intrat ad ealiginem ignorantiae" , . . . " quae ealigo vere est mystica" , idest oceulta, " in qua clau­ dit" Moyses " omnes cognitivas suseeptiones" , idest omnes virtutes natura­ les animae per suseeptionem eognoscentes . . . , et sie " fit" per adhaesionem intellectus . . . , sie fit " existens omnis" , idest totus, eius "qui est super om­ nia" , seilieet dei, per omnimodam eonversionem ad ipsum . . . , "unitus se­ cundum melius" , idest seeundum meliorem modum suae unitionis, "om­ nino ignoto " , seilieet deo . . . , qui nulla cognitione naturali cognoseitur . . . , inquantum . . . " super mentem eognoseens" , idest supra naturam suae men­ tis, lumine divino desuper infuso, quo mens supra se elevatur. Super Dion. De myst. theol. (Ed. Col. t. 3 7 p . 462 , 1 2 - 3 8) .

24 8 . Venit quidem (Christus) . . . ad manifestationem, " oceultus autem" mansit . . . (Inearnatio) quae manifestatio ipsius dicitur, quia ea nobis visibi­ lis apparuit, sed dignius dieitur " immanifestatio" , propter oceultum unio­ nis . "Et hoc enim Iesu" , idest ipsum etiam sacramentum incarnationis Iesu Christi, non solum mysterium divinitatis ipsius, " est abseonditum" . . . , " sed" . . . "manet ineffabile, et intellectum manet ignotum" , quia nee suffi­ eienter dici nee suffieienter intelligi potest. Super Dion. Epist. III (Ed. Col. t. 3 7 p . 486, 75 -p . 487, 9).

249 . Haec autem scientia non proeedit ex talibus prineipiis (rationis), sed potius est ex quodam lumine divino, quod non est enuntiatio per quam aliquid affirmetur, sed res quaedam convincens intelleetum, ut sibi super omnia adhaereatur. Et ideo elevat intelleetum ad id quod excedit ipsum, propter quod remanet intellectus in quodam non determinate noto . Super Dion. De myst. theol. (Ed. Col. t. 37 p. 455, 1 4 -20).

Systematische Theologie

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dem alles verneint wird, was er kennt, von dem er aber nicht sagen kann, was es ist. Die bejahenden Theologien machen uns das Ver­ borgene der Gottheit insofern kund, wie zum Ausdruck gebracht wird, daß alles uns Bekannte von einer immer noch reicheren Ursache kommt. 247. "Jetzt" , da Mose Höchstgöttliches schaut, "wird er sogar getrennt von den geschauten" Strahlen, die nicht Gegenstand der Beschauung sind, "wie auch von den Mitschauenden ", die bei ihm sind, und so, von allem an­ deren Erkennen gelöst, "dringt er in das Dunkel des Nichtwissens, d. h. der uns unbekannten Größe Gottes ein" , und dieses Dunkel "ist wirklich das mystische Dunkel" , d. h. verhüllt ; und Mose " setzt darin alles erkennende Aufnehmen außer Kraft" , d. h. alle natürlichen sinngebundenen Seelen­ kräfte, die dadurch zum Vollzug des Erkennens gelangen, daß sie die Ge­ genstände in sich aufnehmen ; und j etzt, durch das verstandesmäßige An­ hangen, " gehört er ganz Dem an, der über allem ist" , d. h. Gott, und zwar durch eine vollständige liebende Hinwendung zu ihm, und so ist er " auf eine höhere Weise dem schlichthin Unbekannten geeint" , d. h. Gott, der in sich j edem natürlichen Erkennen unerreichbar ist; Gott geeint ist er " durch eine übergeistige" , die Natur des Menschengeistes übersteigende Erkennt­ nis kraft eines göttlichen, von oben eingestrahlten Lichtes, durch das der Geist über sich hinausgehoben wird. 248 . Christus kam also zur Offenbarmachung in die Welt, "blieb aber verborgen" . . . Die Menschwerdung, die zwar seine Sichtbarmachung heißt, weil er in ihr für uns sichtbar erschienen ist, wird wegen der verbor­ gen bleibenden Einigung geziemender als " Nicht-Offenbarmachung" bezeichnet, " und dieses Jesus-Ereignis" , d. h. das Geheimnis der Mensch­ werdung Jesu Christi selbst, nicht nur das Geheimnis seiner Gottheit, ist verborgen, und es bleibt unaussagbar und für alles Verstehen unerreichbar, weil es nicht hinreichend zu erfassen und nicht hinreichend in Worte zu fassen ist. 249 . Diese Erkenntnis geht nicht von Grundsätzen der Vernunft aus, vielmehr von einem göttlichen Licht. Diese Erleuchtung aber besteht nicht in einer etwas aussagenden Mitteilung, sondern in einer Wirklichkeit, die den Verstand derart mächtig auf sich zieht, daß er über alle andere Sicher­ heit hinaus ihr zustimmt; damit hebt sie den Verstand auf eine Ebene em­ por, die seine Verstehensmöglichkeit überragt, und so ist er vor eine nur unbestimmt bekannte Wirklichkeit gestellt.

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Theologie

250. Mens nostra suscipit quoddam divinum lumen, quod est supra natu­ ram suam , quod elevat eam super omnes modos visionis naturales, et per il­ lud venit ad visionem dei, confuse tamen, et non determinate cognoscens "quia" . Super Dion. De myst . theo!. (Ed. Co!. t. 37 p. 466, 64 - 6 8 ) .

25 1 . Solutio . Dicimus, quod theophania quattuor modis dicitur. Primo modo visio quae est per corporales formas similitudine dis simili ducentes in deum . . . Secundo modo dicitur, quando lumine divino , quod non est deus, videtur aliquid quod non est deus, sicut Ieremias vidit ollam succensam . . . Tertio modo, ut est in usu loquentium, quando in lumine divino, quod non est Deus, videtur obiectum quod vere (Ms . : non) est Deus, non (Ms . : ne­ que) in lumine sicut in medio, sicut videtur res in sua imagine, sed sub lu­ mine confortante intellectum videtur immediate Deus. Quarto modo, quando in lumine quod est Deus, videtur obiectum quod est Deus . . . Sicut Deus ipse est in quolibet beato ut lumen quoddam, participatione sui faci­ ens eum sui similitudinem, et in tali similitudine dei visio dicitur theopha­ nia : sic enim idem deus erit lumen et obiectum, < sed obiectum ) prout est in se, lumen vero prout est participatus a beatis . Primis ergo duo bus modis non videbitur deus in patria . . . Sed ali,i s duo bus modis erit in patria visio per theophanias . Super Dion . De caelesti hierarchia c. 4 § 6 (Ed. Par. t. 1 4 p. 1 1 8) ; Rom, Cod. Vat. lat. 712 f. 23r.

252 . Moyses non vidit ipsum deum in se, sed in nobilissimis suis effecti­ bus , scilicet gratiae et theophaniarum, quae sunt similitudines expressae divinae bonitatis . Super Dion . De myst . theo!. (Ed . Co!. t. 37 p. 464, 2 6 - 29) .

253 . Orat ergo et dicit : "Trinitas supersubstantialis" . . . , "inspectrix sa­ pientiae divinae" , idest quae de deo est, " christianorum" , idest a christianis habita . . . Et dicit "christianorum" ad differentiam scientiae divinae quam de deo philosophi etiam habuerunt, quae plurimis erroribus mixta fuit propter imbecillitatem rationis humanae. Tu, inquam, quia sola perfecte te vides, " dirige nos ad summum verticem mysticorum eloquiorum" , secun­ dum quod in negationibus omnium in ipsum quasi in quoddam occultum venimus . . . "Verticem" dico " superignotum" , in quo vertice " mysteria theologiae sunt cooperta" , idest abscondita a nobis, "secundum caliginem docti silentii supersplendentem occulte" .

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250. Unser Geist empfängt in seiner Tiefe ein göttliches Licht, das über seine natürliche Kraft hinausgeht und ihn Höheres sehen läßt als j ede natür­ liche Sicht. Mit diesem Licht erreicht er ein Schauen Gottes, worin er j edoch nicht klar und nicht genau bestimmt das "Daß " , d. h. die Tatsache, erkennt. 25 1 . An der Theophanie lassen sich vier Arten unterscheiden. Erstens das Sehen in körperlichen Gestalten, die durch eine unähnliche Ähnlichkeit den Blick auf Gott lenken . . . Zweitens j enes Sehen, das zusammen mit einem göttlichen Licht gegeben wird, das aber nicht Gott selbst ist, und etwas von Gott Verschiedenes zeigt, wie z . B . Jeremias den brodelnden Topf sah . . . Drittens die Theophanie im gewöhnlichen Sprachgebrauch, die darin be­ steht, daß im göttlichen Licht, das nicht Gott ist, etwas geschaut wird, das in Wirklichkeit Gott ist, nicht in dem Licht als einem Mittel, wie z. B. ein Ding in seiner Abbildung zu sehen ist, sondern dadurch, daß von der durch das Licht verstärkten Verstandeskraft unmittelbar Gott geschaut wird. Beim vierten Grad der Theophanie ist Gott selbst sowohl das Erkenntnis­ licht wie der Erkenntnisgegenstand; auf diese Weise ist Gott in j edem Seli­ gen als das Licht, das durch die Teilhabe an sich den Seligen Gott ähnlich macht, und in dieser Verähnlichung wird die Gottesschau Theophanie ge­ nannt. Gott selbst und derselbe ist dann das Licht und der Gegenstand der Erkenntnis ; Gegenstand, sofern er in sich ist, Licht durch die den Seligen gewährte Teilhabe . Die Gottesschau im Vaterland der Seligen geschieht nicht auf die bei den ersten Weisen, wohl aber auf den beiden anderen Stufen der Theophanie . 252 . Mose hat nicht Gott in sich gesehen, sondern in seinen vornehmsten Wirkungen der Gnade und der Theophanien, und das sind nur ausgeprägte Ähnlichkeiten der göttlichen Güte .

253. Er betet also und spricht : "Dreieinigkeit, unvergleichbar erhaben über alles Seiende" , "Wächterin über die göttliche, d. h. die von Gott spre­ chende Weisheit, die den Christen geschenkt ist" , den Christen im U nter­ schied von der Gottesweisheit der Philosophen, die wegen der mensch­ lichen Geistesschwäche mit vielen Irrtümern durchsetzt ist. Du also, da du dich selbst vollkommen schaust, "führe uns zu dem Gipfel der mystischen Worte " , wohin wir durch Ausschluß alles anderen Erkennens wie in eine Verborgenheit gelangen. Führe uns " zu dem für uns höchst unkennbaren Gipfel" , "wo die Geheimnisse der Wissenschaft von Gott verhüllt sind " , d. h. unserer Einsicht entzogen, und w o " im Dunkel des belehrenden, dem

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Sicut ex nimio solis splendore efficitur quaedam tenebrositas in oculo de­ bili, nulla caligine in sole existente, ita in deo non sunt ullae tenebrae, sed ex nimio ipsius splendore obtenebratur noster oculus, quia impotens est ad tantum splendorern, et per istam caliginem occultantur nobis divina mys te­ ria . . . , quamvis per obscuritatem relictam in nobis ex eminentia splendoris deficiamus a comprehensione divinae eminentiae, tarnen ex hoc quod attin­ gimus aliqualiter ipsam " relictis omnibus" mens " deificatur et illuminatur" . Super Dion . De myst. theo!. (Ed. Co!. t. 37 p. 457, 1-30).

254 . Non est pu ra negatio, sed negatur modus naturalis visionis, et relin­ quitur susceptio supernaturalis luminis, quod tarnen magis notificatur per negationem eo quod non invenimus aliquid notum nobis quod proprie de deo praedicemus, propter eminentiam simplicitatis, cum praedicationis veritas fundetur in aliqua compositione, sed, sicut dicit Gregorius, "balbu­ tiendo" excelsa dei " resonamus" . Super Dion . De myst. theo!. (Ed. Co!. t. 37 p. 466, 79 - 86).

255 .38 "Aperite mihi portas iustitiae ; ingressus in eas confitebor Domino" (Ps. 1 1 7, 1 9) . Phatuel "aperiens Deus" interpretatur, et signat Spiritum sanctum, qui ostiarius est . . . Hic ostiarius aperit, qui nisi aperiat divina vir­ tute, nemo ad intelligendum et docendum divina intrare poterit, eo quod consilium Dei scire non potest. Ad Rom . XI (34) : " Quis enim cognovit sen­ sum Domini? Aut quis consiliarius eius fuit ?" Is. XL ( 1 3 ) : " Quis adiuvit Spiritum Domini ? Aut quis consiliarius eius fuit, et ostendit illis?" Super Ioel Pro!. ( E d . Par. t. 1 9 p . 1 2 7) ; Bordeaux, C o d . 34 f . 26va.

256. " Sirnon ", oboediens . . . Oboedientia enim mandatorum plus dat in­ tellectum in divinis quam labor studiorum ; non erit enim sacra Scriptura contemplationis gratia, se ut boni fiamus. Unde etiam veri discipuli Christi tribus perficiuntur, scilicet disciplina mandatorum . . . ; secundo perficiun­ tur dilectione affectionis . . . ; tertium est "cognitio veritatis quae est secun-

Bibelexegese

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"Daß " zugeordneten Schweigens, das Licht über allen Glanz hinaus in Verborgenheit aufstrahlt" . Wie durch den zu grellen Glanz der Sonne ein Dunkel sich über das schwache Auge legt, obwohl es in der Sonne kein Dunkel gibt, so ist in Gott keine Finsternis, aber in dem zu großen Glanz seines Wesens verfinstert sich unser Auge, weil es für einen solchen Glanz nicht aufnahmefähig ist, und in diesem Dunkel bleiben uns die göttlichen Geheimnisse verhüllt. Ob­ schon uns durch das Dunkel, in dem wir durch die übermacht des Glanzes belassen sind, die volle Kenntnis der überfülle Gottes versagt bleibt, so be­ rühren wir sie doch irgendwie, und so wird der Menschengeist " durch das Verlassen aller anderen Erkenntniswege vergöttlicht und erleuchtet" . 254. Unsere Kenntnis von Gott ist nicht rein eine Verneinung. Verneint wird nur die natürliche Weise des Sehens . Was bleibt, ist das Empfangen eines übernatürlichen Lichtes, das jedoch mehr durch Verneinung mensch­ licher Begriffsinhalte als durch Setzung gekennzeichnet wird, da wir in unserer Erfahrung nichts vorfinden, das wir einfach als solches von Gott aussagen könnten. Denn er ist die vollendete Einfachheit, wogegen die Wahrheit einer Aussage immer auf einer Zusammensetzung beruht. "Stammelnd nur verkünden wir" die Erhabenheit Gottes, wie Papst Gregor sagt. 2.

Bibelexegese

a) Zugang zur Heiligen Schrift 255 . "Offnet mir die Tore zur Gerechtigkeit, damit ich eintrete, um dem Herrn zu danken" (Ps 1 1 8 , 1 9) . Phatuel (der Vater des Propheten) heißt so­ viel wie " Gott öffnet" und steht für den Heiligen Geist. Der Geist ist der Torwächter, und wenn er nicht öffnet mit Gottes Kraft, kann niemand es unternehmen, die Wahrheit Gottes zu verstehen und zu lehren. Denn den Ratschluß Gottes kennt keiner. Röm 1 1 , 34 : "Denn wer hat die Pläne des Herrn erkannt ? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen ? " Jes 40, 1 3 : 'Wer begreift den Geist des Herrn ? Wer kann sein Berater sein und ihn unter­ weisen ?' 256. " Simon" , d. h. der Gehorsame . . . Der Gehorsam gegenüber den Geboten des Herrn schenkt mehr Verständnis für das Göttliche als mühsa­ mes Studium ; denn die Heilige Schrift ist nicht für ausschließlich beschauli­ che Ruhe (d. h. Wissen) gegeben, sondern dafür, daß wir gute Menschen werden . Daher müssen drei Vorzüge den echten Jünger Christi auszeich-

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dum pie tatem " , loh . VIII, 3 1 sq . : "Si vos manseritis in sermone meo, vere discipuli mei eritis, et cognoscetis veritatem, et veritas liberabit vos . " Sie ergo oboediens mandatis, et sequens vestigia, affectus dilectione manens in sermone, vere Simon vocatur, oboediens , et idoneus ad respondendum. Super Matth. 1 6 , 1 6 (Ed. Par. t. 20 p. 636a) ; Editionsrnanuskript.

257. Dico, quod ista scientia (sacrae Paginae) ex fine determinanda est. Finis autem dicitur ad Titum I (1-2), ubi dicitur : " . . . in agnition em veri­ tatis quae secundum pietatem est, in spem vitae aeternae. " Et ibi dicit Glos­ sa: " secundum pietatern" , idest Christi religionern . Et hoc ideo dicit, quia est veritas in Liberalibus artibus, sed quae nihil pertinet ad christianam religionern. Veritatis autem quae secundum pietatem est, sunt duo : Unum scilicet se­ cundum pietatem cultus Dei in se et in membris, ad quod pertinent omnia promoventia cultum illum . Alterum autem est finis intentionis, et hic est coniungi intellectu et affectu et substantia cum eo quod colitur, prout est finis beatificans ; et ideo ista scientia proprie est affectiva, idest veritatis quae non sequestratur a ratione boni, et ideo perficit et intellecturn et affectum . . . Finis autem scientiae duplex est, scilicet ultimus, et ordinatus ad illum . Qui a quibusdam finis vocatur ultimus, veritas est affectiva beatificans ; finis autem citra illum est, ut boni fiamus . Nec tarnen sequitur, quod ipsa sit moralis philosophia, vel illi subalternata; moralis non est, quia mores non sunt ultimus finis in ea, ut habitum est . . . I Sent. d . 1 a. 4 (Ed . Par. t . 25 p . 1 8s q . ) .

2 5 8 . Cum in omnibus aliis scientiis locus ab auctoritate sit minimae fir­ mitatis et non faciat ni si praesumptionem, in theologia ille solus locus facit firmitatem, quia locus ab auctoritate locus est a revelatione sancti Spiritus,

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nen : Zuchtvolles Leben nach den Geboten . . . , Liebe mit aller Kraft des Herzens . . . , Streben nach Erkenntnis der Glaubenswahrheit (vgl. 1 Tim 6 , 3 ) . Joh 8, 3 l f. : "Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen. " Simon heißt also wirklich der Gehorsame, wenn er den Gebo­ ten und dem B eispiel des Herrn folgt und in Liebe im Wort des Herrn ver­ bleibt. Dadurch ist er tauglich gemacht, der Frage des Herrn die rechte Antwort zu geben. 257. Die Wissenschaft von der Heiligen Schrift (d. h. Theologie) be­ kommt ihre Artbestimmung von ihrem Ziel her. über das Ziel steht Tit 1 , 1-2 : " . . . um die Auserwählten Gottes zum Glauben und zur Erkenntnis der wahren Gottesverehrung zu führen, zur Hoffnung auf das ewige Le­ ben" . Zu dieser Stelle merkt die Glosse an : " zur Erkenntnis der wahren Gottesverehrung" , d. h. zum Christusglauben, und sie will damit die Bi­ belwissenschaft abheben von den (sieben) Freien, d. h. gehobenen Kün­ sten ; auch diese Wissensparten schaffen Wahrheit, aber eine solche, die nicht zur christlichen Religion gehört. In der wahren Gottesverehrung liegt nun ein Doppelte s : Erstens die An­ betung Gottes im Geist und in der Wahrheit, und zwar die Verehrung Got­ tes in sich wie in den von ihm geheiligten Gliedern (Christi) ; dazu gehört alles, was den christlichen Kult ausbreitet und steigert. Als Zweites kommt hinzu das dem Menschen für sich aufgegebene Ziel, die Willensspannung (intentio) darauf hin, daß der Mensch mit Geist und Herz und ganzem We­ sen mit Gott vereinigt wird, sofern Gott das höchste erfüllende Lebensziel ist; deshalb ist diese Wissenschaft vom Affekt geprägt; das bedeutet, daß in ihr das Wahre nicht getrennt ist von der Idee des Guten; deshalb ist sie sowohl für den Intellekt wie für den Affekt eine Vervollkommnung . . . Eine Wissenschaft kann von zwei (nicht unabhängigen) Zielen bestimmt sein, einem endgültigen und einem nachgeordneten, darauf hinbezogenen Ziel. Das Endziel nennen einige Theologen die (unmittelbare) von hinge­ bender Liebe getragene und also beglückende Erkenntnis Gottes. Das da­ vor liegende Ziel besteht darin, daß wir gute Menschen werden ; daraus folgt j edoch nicht, daß Theologie zu philosophischer Ethik wird oder die­ ser auch nur untergeordnet wird; zur Ethik wird sie deshalb nicht, weil das sittlich-gute Leben, wie gesagt, nicht ihr Haupt- und Endziel ist. 2 5 8 . In allen anderen Wissenschaften kommt dem Autoritätsbeweis der niedrigste Gewißheitsgrad zu ; er reicht nur zu einer Vorabzusage. In der Wissenschaft von der Heiligen Schrift, die sich auf die untrügliche Selbstenthüllung Gottes im Heiligen Geist gründet, gibt der Zeugnisgrund

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qui non fallit. Unde loh. XVI, 1 3 : "Spiritus veritatis doeebit vos omnem veritatem . " In aliis autem non est nisi a praesumptione et opinione hominis . Super Luc. In Pro!. Hieronymi (ed. Voste S. 84).

259.

Hominum enim verba ineerta sunt, revelatio divina eertissima.

Super Luc. 1, 36 (Ed. Par. t. 22 p . 1 07b) ; Oxford, Ballio!. Cod. 1 87 f. 1 9vb .

260. Deinde ostendit oppositum per auetoritatem, quae firmissimam probationem faeit in divinis, quia est loeus ab inspiratione, et maxime quando est de Seriptura eanoniea. Aliae enim auctoritates, sicut Augustini et Hieronymi et aliorum, non habent tantam firmitatem, nisi sicut ex Serip­ tura canoniea probari possunt. Indueit ergo, quod saera Seriptura dieit, quod Deus omnia seit, et nihil effugit eius eognitionem; et sumitur de Hebr. IV ( 1 3 ) : " Omnia nuda et aperta sunt oeulis eius . " Super Dionysium D e divinis nominibus (Ed. Co!. t . 3 7 p . 347, 32 - 4 1 ) .

261 . Auetoritas autem Seripturae notatur i n hoc quod dieitur: " i n nomine Domini. " Nomen enim a notitia impositum est. Notitia autem Dei, qui veritas est sola, praebet auetoritatem . Auetoritas enim ex revelatione est, revelatio autem firmissimum fundamenturn est quod haberi potest. Super B ar. Pro!. (Ed. Par. t. 18 p . 355); Rom, Cod. Vat. lat. 7 1 3 f. 1 32vb.

262 . Ad quartum dieendum, quod in aliis scientiis auetoritas inmtltur rationi humanae, quae de faeili deeipi potest; et ideo non habet magnam firmitatem . Auetoritas vero saerae Seripturae innititur rationi divinae, quae decipi non potest, a qua per inspirationem aceipitur. Et ideo non tantum loeus est ab auetoritate, sed etiam ab inspiratione. Super Dionysium De divinis nominibus (Ed. Co!. t. 3 7, 1 p . 6, 5 4 - 60).

263 .

Haee autem omnia moraliter exponi possunt. Sed mihi videtur, quod

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in sich allein die Sicherheit. Deshalb steht bei Joh 1 6 , 1 3 : " Der Geist der Wahrheit wird euch die ganze Wahrheit erschließen. " In den anderen Wis­ senschaften steht (beim Autoritätsbeweis) dahinter nur die Mutmaßung und Meinung des Menschen, auf den man sich beruft.

259. Menschenworte sind ins Ungewisse gestellt, die göttliche Offen­ barung ist absolut sicher. 260. Im Anschluß daran weist er (Ps . -Dionysius) das Gegenteil (der Leugnung des Einzelwissens in Gott) nach, und zwar mit dem Autoritäts­ grund, der ja in der Theologie die höchste Beweiskraft besitzt, weil er auf Inspiration beruht. Das gilt vor allem dann, wenn die angesprochene Lehre der kanonischen Schrift entnommen ist. Andere beweiskräftige Aussagen (die ebenfalls unter Inspiration stehen können, die ihnen erst Autorität ver­ leiht) , z. B. von Augustinus, Hieronymus und anderen Kirchenlehrern, geben nicht eine gleich große Gewißheit, es sei denn, sie lassen sich in der kanonischen Schrift nachweisen . So beruft Ps . -Dionysius sich hier nun dar­ auf, daß die Heilige Schrift sagt, Gott wisse einfach alles, und nichts entgehe seiner Kenntnis ; dafür bezieht er sich auf Hebr 4, 1 3 : " Alles liegt nackt und bloß vor seinen Augen. " 261 . Die i n der Bibel übermittelte Wahrheit ist ausgesagt in dem Satzteil : 'im Namen des Herrn'. Das Wort "Name" (nomen) hängt ("etymolo­ gisch") mit " Kenntnis" (notitia) zusammen. Das Wissen Gottes aber, der die reine Wahrheit ist, gibt den Aussagen der Schrift den Wahrheitswert. Denn die biblische Wahrheit kommt aus der Offenbarung, die das sicherste Fundament überhaupt ist. 262 . In den anderen Wissenschaften stützt sich die Aussagewahrheit auf die menschliche Vernunft, die leicht irren kann; deshalb ist da die Sicherheit nicht groß. Die Aussagen der Bibel j edoch entspringen dem Denken Got­ tes, das nicht irren kann und durch Inspiration mitgeteilt wird. Die Bibel hat also ihre Aussagekraft nicht einfach von (sonst üblichen) beweiskräf­ tigen Sätzen, sondern sogar aus der Inspiration.

b) Biblische Hermeneutik 263 . "Und er (Petrus) begann zu weinen. " Das läßt sich auch im mora­ lischen Sinn auslegen. Meiner Ansicht nach ist es jedoch unnütz, vom Sinn

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alllmum a pietate fidei abstrahere non sit utile ; ideo tales praeterimus expositiones. Super Mare. 1 4 , 72 (Ed. Par. t. 2 1 p . 723b) Oxford, B alliol. Cod. 1 87 f. 306va.

264 . H aec est litteralis veritas . Sunt tarnen quidam haec mystice exponen­ tes, et per lapidem duritiam legis et duritiam cordis hominis obstinati intelligentes . . . Quod ego reputo absurd am esse expositionern, et contra mentem doctoris inductam . Super Lue. 4, 4 (Ed. Par. t 22 p. 3 1 3 a) Oxford, Balliol. Cod. 1 87 f. 50va.

265 . Quidam hoc etiam mystice exponunt, dicentes, quod in pugna contra haereticos maxilla est apparens pro fide loquens auctoritas . . . Haec autem expositio mystica est, et non ad litteram . Ibid. 6, 29 (p. 43 1 b) ; f. 67rb.

266. Haec ergo est sententia Gregorii. Sententia Ambrosii etiam a nobis posita est. Prima est sententia Chrysostomi, et haec est veritas litterae ; secundum illam ergo litteram exponemus, alias relinquentes. Ibid. 7, 1 9 (p. 481b); f. 74rb.

267. Ecce ista est diversitas opinionum Patrum, et accipiat quilibet quod vult. Ecclesia enim occidentalis sequitur Gregorium. Ibid . 7, 3 8 (p. S07b) ; f. 78ra.

2 6 8 . Dicunt ad hoc quidam, quod eadem in persona, alte ra in habitu, quia prima peccatrix, et capiti Christi indigna, postea iustificata, et tune digna. Ego puto esse dicendum, quod de hoc Sancti dissentiunt, quia spiritu suo loquuntur, et non est de fide et moribus. Super Matth . 26, 7 (Ed. Par. t. 2 1 p . 1 5 1 a) ; Editionsmanuskript.

269. Dicunt etiam quidam, quod lignum crucis in signum crucis apparebit sole splendidius. Sed hoc non asserendum, quia perspicue non probatur. Ibid. 24, 30 (1 00b) ; Editionsmanuskript.

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der Schrift selbst abzugehen ; deshalb lassen wir solche Nutzanwendungen auf sich beruhen.

264 . Das ist der Literalsinn (beim Vorgang der ersten Versuchung Jesu) . Auch hier will man einen (geistlichen oder) mystischen Sinn entdecken. Der Stein wird dann auf die Härte des (alttestamentlichen) Gesetzes und auf die Herzenshärte der Verstockten gedeutet . . . Darin sehe ich eine wider­ sinnige Auslegung, die der Aussageabsicht des biblischen Schriftstellers zuwiderläuft. 265 . Eine mystische Auslegung versteht unter der anderen Backe, die man hinhalten soll, einen für den Glauben scheinbar beweiskräftigen Text in der Auseinandersetzung mit Häretikern . . . Das ist mystisch gedacht, aber nicht textgerecht. 266. So die Meinung Gregors des Großen (über die an Jesus gerichtete Frage der Johannesjünger), und auch die des Ambrosius haben wir entwik­ kelt. Die Auffassung des Johannes Chrysostomus steht (oben) an erster Stelle, und sie gibt den " textlichen" Sinn wieder. Daran halten auch wir uns und lassen die anderen Meinungen unberücksichtigt. 267. Da (in der Magdalenenfrage) haben wir verschiedene Meinungen der Väter. Halte j eder, was er will. Die Westkirche (in der Liturgie) folgt Gre­ gor dem Großen (der Maria von Magdala in eins setzt mit der Maria von Bethanien und mit der Sünderin). 268. Hier wird von einigen Schriftauslegern behauptet, Maria Magdalena sei die Schwester des Lazarus (Maria von Bethanien) gewesen, allerdings in je anderem Seelenzustand : Zuerst Sünderin und deshalb nicht würdig, das Haupt Jesu mit öl zu salben ; dann aber gerechtfertigt und somit würdig, jenen Dienst vorzunehmen . Ich bin der Ansicht, die Meinungen der Heili­ gen (Väter) gehen deshalb auseinander, weil sie an dieser Stelle (nicht den Heiligen Geist, sondern) ihren eigenen Geist zu Wort kommen lassen. Schließlich ist es auch belanglos für den Glauben und das sittliche Leben. 269. Es wird auch die Ansicht geäußert (bei der Wiederkunft des Herrn) werde das Holz vom Kreuz des Herrn in Kreuzesform (am Himmel) er­ scheinen, noch strahlender als die Sonne . So etwas soll man nicht behaup­ ten, weil es einfach nicht zu beweisen ist.

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270 . Tarnen quaedam glossae exponunt hoc allegorice, quod vitis sit Iu­ daea, de qua non bibet Christus usque in consummationem saeculi, quando reliquiae convertentur. Et alia glossa exponit de mortalitate humanae natu­ rae, quam non bibet amplius, donec pertranseat per resurrectionem ad im­ mortalitatem. Sed prima expositio est litteralis et vera. Matth. XXVI, 29 : "Non bibam amodo de hoc genimine vitis usque in diem illum cum illud bi­ bam vobiscum novum in regno meo . " Quidam etiam dixerunt, quod loqui­ tur de vino materiali quod in mensa bibebant, de quo ipse statim iturus ad passionem bibere noluit, sed post resurrectionem cum eis in gaudio se bibi­ turum promisit. Sed nulla istarum expositionum est ad propositum ni si prima, et illa est tenenda. Super Lue. 22, 18 (Ed. Par. t. 23 p . 667b) ; Oxford, B alliol. Cod. 1 87 f. 224ra.

2 71 . Obicitur autem de ordine istorum miraculorum, quia Mare . I (29 - 3 1 ) et Luc. IV (3 8 - 39) istud de curatione socrus Simonis ordinatur ante duo inducta; et sie evangelistae non convenire videntur in ordine. Ad hoc die end um, quod Marcus et Lucas ordinant, ut puto, ordinem histo­ riae . . . Sed Matthaeus respicit ordinem quo magis Dei potentia demon­ stratur . . . Super Manh. 8 , 1 4 (Ed. Par. t. 20 p. 3 9 1 a) ; Editionsmanuskript.

2 72 . Et hoc est, quod in antehabitis diximus, quod videlicet Matthaeus non ordinat historiam secundum quod gesta est in tempore, quia istud fac­ tum est post mortem Iohannis, quae tarnen inferius narratur ; sed quia dixe­ rat de novae gratiae introductione in capitulo praecedenti, et huic convenit esse terminum Legis, ideo hic statim ordinat factum quod Legis ostendit terminum, licet tempore non immediate seeuturn sit. Ibid . 12, 1 (p . S08sq . ) ; Editionsmanuskript.

2 73 .

Quae (tentationes) secundum ordinem historiae sie gestae sunt prout

Bibelexegese

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270. "Denn ich sage euch : Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt. " Einige Er­ klärer verstehen diese Stelle im allegorischen Sinn : Der Weinstock ist das jüdische Volk, von dessen Frucht Christus nicht mehr nimmt bis zur Voll­ endung der Welt, wenn die übriggebliebenen Juden sich bekehren. Eine andere Deutung bezieht den Weinstock auf die sterbliche Menschennatur Christi, von deren Frucht er nicht mehr nimmt, bis er durch die Auferste­ hung zur Unsterblichkeit gelangt ist. Die erste (oben gegebene) Auslegung gibt den Literalsinn wieder und ist wahr. Mt 26, 29 : " Ich sage euch : Von j etzt an werde ich nicht mehr von dieser Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem mit euch davon trinken werde in mei­ nem Reich. " Wieder andere dachten einfach an Tischwein ; davon habe J e­ sus vor dem Leiden, auf das er zuging, nicht mehr trinken wollen ; er habe ihnen j edoch versprochen, nach seiner Auferstehung zusammen mit ihnen in Freude wieder Wein zu nehmen. Keine dieser Auslegungen - mit Aus­ nahme der an erster Stelle vorgetragenen - trifft den Sinn. Es bleibt also bei dieser ersten Erklärung oben.

c) Zur "Synoptischen Frage" 271 . Eine Schwierigkeit besteht hier in der Anordnung der Wunderbe­ richte . Mk 1 , 29 - 3 1 und Lk 4, 3 8 - 3 9 steht das Wunder von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus noch vor den bei den hier schon besproche­ nen Wundern (Heilung eines Aussätzigen : Mt 8 , 1 - 4 ; Mk 1 , 40 - 45 ; der Hauptmann von Kafarnaum : Mt 8, 5 -1 3 ; Lk 1 3 , 26-29). Anscheinend stimmen also die drei Evangelisten nicht überein. Ich glaube, die Lösung liegt darin, daß Markus und Lukas sich an die geschichtliche Zeitfolge hal­ ten, während Matthäus den Berichtsstoff so (systematisch) ordnet, daß die Macht Gottes (zum Beweis für die Lehre Jesu) stärker aufscheint. 2 72 . Wir haben schon früher gesagt, daß Matthäus die Ereignisse nicht gemäß ihrem zeitlichen Ablauf bringt, so auch hier (Mt 1 2 , 1 - 8), wo das Abreißen der Ähren eingefügt ist, obwohl es erst nach dem weiter unten be­ richteten Tod des (Täufers) Johannes (Mt 1 4 , 3 -1 2) sich ereignet hat. Nun aber hat Matthäus im vorhergehenden Kapitel (1 1 ) die Eröffnung der neuen Heilsordnung angekündigt, womit das Ende des (alten) Gesetzes gegeben ist. Deshalb beschreibt er hier ohne Rücksicht auf die Zeitfolge sofort j enen Vorgang, der das Ende des Gesetzes anzeigt. 2 73 .

Die Versuchungen (Jesu) gingen wirklich in der Reihenfolge vor

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sunt enumeratae . Tamen a Matthaeo media ponitur tertia, et e converso, quia ipse prosequitur eas per tentationem Adae . . . Lucas autem ordinat se­ cundum ordinem rei gestae, in quo ordine sibi succedunt tentationes in de­ serto factae, et sequitur illa quae facta est in templo . Si enim in deserto de gula temptasset, et postea in templo de inani gloria, oportuisset iterato eum redivisse in desertum ad temptandum de avaritia, quod non esset compen­ dium. Super Luc. 4, 3 (Ed. Par. t. 22 p . 3 1 1 a) ; Oxford, Ballio!. Cod. 1 87 f. SOrb .

2 74 . Hic breviter per anticipationem agitur de incarceratione Iohannis . . . Causa autem quare Lucas anticipat, est, quia festinat ad miracula Christi, quae praecipue facta sunt in duo bus ultimis annis praedicationis Christi . . . Sed vera causa est, quod anticipat Lucas breviter quod scivit positum esse a Matthaeo sufficienter. Et anticipat, ut postea de Christo continua sit historia. Ibid . 3, 19 (p . 2 86sq . ) ; f. 46vb .

2 75 . Attende, quod tres evangelistae Matthaeus, Marcus, et Lucas viden­ tur velle, quod omnes tres negationes in curia Caiphae factae sint. Solus autem Iohannes expresse vult, quod prima facta sit in curia Annae . Et hoc creditur ordinem historiae dicere, quod illum exponendo litteram sumus prosecuti. Et quod de prima negatione alii tres dicunt evangelistae, creditur esse dictum per recapitulationem . Ibid . 22, 60 (Ed. Par. t. 23 p. 699b) ; f. 230va.

2 76 . Est etiam nobilissima per subiectum, quod est Verbum incarnatum, quod nobilissimum est . . . Quamvis enim alii evangelistae divina scribunt, tamen divina Verbi incarnati non scribunt; et ideo Iohannes nobilior est in­ ter evangelistas, sicut evangelium est nobilius inter alias Scrip tu ras divinas. Super loh. pro!. (Ed. Par. t. 24 p . 8); München, Staatsbib!. Clrn 7943 f. 2ra.

2 77. Ister liber . . . ut de subiecto est de Verbo incarnato in se et in carne as­ sumpta secundum sua sacramenta considerato . Et sicut diximus in aliorum evangelistarum expositionibus, omnia quae inducit quilibet eorum, ad suae propriae intentionis inducit manifestationem. Ita etiam Iohannes omnia quae inducit, ad hoc inducit, ut divinitas Verbi manifestetur. Ibid . 1, 1 (p . 24a) ; f. 6vb- lra.

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sich, wie sie hier von Lukas aufgezählt werden. Matthäus setzt die zweite Versuchung an die dritte Stelle und umgekehrt ; er bezieht sie auf die drei­ fache Versuchung Adams (Gaumenlust, Ruhmsucht, Habsucht) . . . Lukas bringt die Versuchungen in der Reihenfolge, wie sie tatsächlich geschehen sind ; dabei kommen zuerst die beiden Versuchungen in der Wüste und da­ nach die Versuchung am Tempel. Hätte der Teufel Jesus in der Wüste zur Gaumenlust verführt und dann am Tempel zur Ruhmsucht, so hätte er Je­ sus für die Versuchung zur Habsucht wieder in die Wüste zurückführen müssen . Das hätte nicht zur Kürze des Berichtes gepaßt. 2 74 . Hier (Lk 3, 1 9 -20) wird durch einen Vorgriff kurz über die Gefan­ gennahme des Täufers gehandelt. Der Grund für dieses Vorziehen liegt dar­ in, daß Lukas möglichst schnell zu den Wundern Christi kommen will, die besonders in den zwei letzten Jahren des Wirkens J esu geschehen sind . . . Der wahre Grund aber ist, daß Lukas nur kurz und im Vorgriff etwas be­ richtet, was er hinreichend schon bei Matthäus vorfand. Die Geschichte Christi sollte an einem Stück erzählt werden. 2 75 . Beachte : Die drei Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas möchten die drei Verleugnungen Jesu durch Petrus sämtlich im Hof des Kaj afas ge­ schehen sein lassen . Johannes besteht ausdrücklich darauf, das erstemal habe Petrus den Herrn im Hof des Hannas verleugnet. Es ist anzunehmen, daß damit der wirkliche Tatbestand getroffen ist. Dieser Angabe haben wir uns bei der Auslegung angeschlossen. Die drei anderen Evangelisten haben wohl eine Zusammenfassung vorgenommen. 276. Das vierte Evangelium steht dem Rang nach am höchsten, weil es den erhabensten Inhalt hat : das Mensch-gewordene Wort. Freilich, die anderen Evangelisten schreiben Wahrheit Gottes nieder, nicht aber die Wahrheit vom Fleisch-gewordenen Wort. Darum steht Johannes über den anderen dreien, und sein Evangelium kommt vor den anderen göttlichen Schriften. 2 77. Dieses vierte Evangelium handelt über das Mensch-gewordene Wort, sowohl in sich wie in den Geheimnissen seines angenommenen Menschenlebens. Wir haben ja schon in den früheren Erklärungen des Evangeliums (Mt, Mk, Lk) gesehen , daß jeder Evangelist seine Darstellung gemäß einer eigenen Leitidee aufbaut. So ist bei J ohannes das Ziel, von dem er sich leiten läßt, die Kundmachung der Gottheit des Wortes .

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278. " Christi autem generatio sic erat . " Non quod ad plenum effabilis sit e t ista humana generatio nisi i n commu­ ni, quod scilicet fuit de Spiritu sancto et ex virgine. Qualiter autem de Spi­ ritu sancto , et qualiter ex virgine fuerit secundum singula, indicibile est. Ps. (XVIII, 6 ) : "In sole posuit tabernaculum suum etc . " Sol enim nimio splen­ dore reverberat oculos intuentium ; ita fulgor mirabilium huius nativitatis reverberat intellectum . Eccl. XI (5) : "Quomodo ignoras, quae sit via spiri­ tus, et qua ratione compingantur ossa in ventre praegnantis, sic nescis opera Dei qui fabricator est omnium . " Quae enim sit via Spiritus purificantis et segregantis et congregantis et convertentis et formantis spiritus in beata vir­ gine , et qua ratione membra compingantur et simul animentur et uniantur deitati, ignoramus, quia omni humilitate et devotione et obsequio procum­ bentes cum Iohanne baptista, Marc. I (7), non sumus digni per subtilem in­ tellectum solvere corrigiam unionis, qua calceamentum nostrae mortalitatis cum pede deitatis, quem "in Idumaeam" nostram extendit, colligatum est. Multo autem minus scimus opera Dei, quo omnium fabricator Trinitas in fabricam uteri virginalis sicut in nobile triclinium intravit, et eum quo omnia fabricaverat, filium veri fabri fabricando perfecit . . . Super Matth. 1 , 1 8 (Ed. Par. t. 20 p . 33b) ; Editionsmanuskript.

279 . Solutio . Sine praeiudicio, propter errores hic se ingerentes oportet respondere ad argumentationes praedictas, ut omnino teneatur veritas fidei potius quam artes philosophorum ; quia non est mirum, si aliquid contra artem in se habeat incarnatio , quae etiam ingenio per gratiam suffulto investigari non poterat. Unde Joannes baptista dicit : " . . . cuius non sum dignus procumbens solvere corrigiam calceamentorum eius . " Salvabimus tarnen artem quantum fieri possibile est. III Sent. d. 6 a. 1 (Ed. Par. t. 2 8 p. 1 2 1 ) .

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d ) Einzelauslegungen Geheimnis der Menschwerdung 278 . " Mit der Geburt Jesu war es so . " Nicht als wäre diese menschliche Geburt voll in Worte zu fassen. Sagbar ist sie höchstens in allgemeiner Form : D aß sie durch den Heiligen Geist geschehen ist und von der Jung­ frau. Wie aber nun im einzelnen durch den Heiligen Geist und wie aus der Jungfrau, das ist unsagbar. Ps. 1 9 , 5 f. : "Dort hat er der Sonne ein Zelt ge­ baut; sie tritt aus ihrem Gemach hervor wie ein Bräutigam . " Mit ihrem überstarken Licht überwältigt die Sonne das Auge, und so blendet der Glanz des Wunderbaren an dieser Geburt den Verstand. Koh 1 1 , 5 : "Wie du nicht weißt, auf welchem Weg der Lebensodem zur Leibesfrucht gelangt und wie das Gebein sich bildet im Schoß der Schwangeren, ebensowenig kennst du das Tun Gottes, der alles wirkt. " Wie der Geist in der Jungfrau das Blut gereinigt, abgesondert, gesammelt, umgewandelt und mit Lebens­ kraft erfüllt hat, und wie die Glieder Christi sich formten und zugleich be­ seelt und mit der Gottheit vereinigt wurden, das wissen wir nicht. Wir mö­ gen auch in aller Demut, Ehrfurcht und Andacht mit Johannes dem Täufer (Mk 1 , 7), der sich nicht würdig fühlte, ihm die Schuhriemen zu lösen, uns niederwerfen, so sind wir es doch nicht wert, mit der Schärfe des Verstan­ des das Band zu fassen, das unsere Sterblichkeit mit der Gottheit einte, als er den Fuß auf unser (unter Gottes Zorn stehendes) Land Idumäa setzte . Noch viel weniger kennen wir j enes Tun der alleswirkenden Dreieinigkeit, als sie im Schoß der Jungfrau wie in einem prachtvollen Gemach Wohnung nahm und, als der Bildner des Alls, dem Sohn, durch den er alles geschaffen hatte, die Menschengestalt in Vollendung gab . So also ist es zu verstehen, daß die Geburt Jesu nur mit einem zusammenfassenden Ausdruck wieder­ gegeben wird. Im einzelnen ist sie für keinen Menschen einsichtig. 2 79 . Mit Zurückhaltung und Vorsicht müssen wir hier (beim Sprechen über das Geheimnis der Menschwerdung) auf die vorgebrachten Schwie­ rigkeiten eingehen. Da können sich leicht Irrtümer einschleichen. An der Wahrheit des Glaubens ist unbedingt festzuhalten, j edenfalls viel eher als (an der Sprachlogik) des Aristoteies, des Fürsten der Philosophen . Es darf doch nicht wundernehmen, daß die Menschwerdung etwas an sich hat, das gegen die gewöhnlichen Regeln des Denkens verstößt. Sie ist ja nicht einmal dem Forschen des von der Gnade Gottes erleuchteten Menschengeistes zugänglich. Darum sagt Johannes der Täufer (Mk 1 , 7) : "Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich ; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Schuhriemen zu lösen. " Soweit es geht, halten wir an den Regeln der Sprachlehre fest.

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2 8 0 . " Petite, et dabitur vobis; quaerite, et invenietis ; pulsate, et aperietur vobis" . . . Sed hoc advertendum est, quod cuilibet trium adiungitur pro­ prium respondens . Petitioni enim adiungitur datio doni . . . Quaesitioni autem adiungitur inventio, hoc est intus-ventio per experimentum ; quia, cum quaesitio fiat profectu virtutis, non potest esse, quod virtutis actus et bonum exeat et fiat ab anima viva et perceptivam vim habente, quin experimento gustus spiri­ tualis percipiat, quid dulcedinis est in virtute. I Petr. II (3) : " Si tarnen gusta­ stis, quia dulcis est dominus . " Ps. XXXIII (9) : " Gustate et videte , quoniam suavis est dominus . " Et sie per gustum intus venit in fructus Spiritus, in quo proficit. Pulsationi autem adiungitur apertio ad introitum quasi ad mansionem quietis , quia perfecta fruitio status est quietissimus in optimo totum desi­ derium quietante . Et ostium illius est apertio praesentiae remoto repagulo similitudinis vestigii vel imaginis. Et introitus est sine medio perceptio summae bonitatis. Ps. (CXVII, 20) : "Haec porta domini, iusti intrabunt per eam . . . " Super Matth. 7, 7 (Ed. Par. t. 20 p. 344a) ; Editionsmanuskript.

2 8 1 . " Intrate per angustam portam" . . . In admonitione tria sunt notanda, scilicet quae sit porta, qualiter angusta, et qualis introitus . . . Haec (scilicet porta) dicitur arta. Angustum enim est inimicos diligere, nullum iudicare, ad unum contendere, nil praeter Christum amare, et huiusmodi. Super Matth. 7, 1 3 (Ed. Par. t. 20 p . 3 5 1 ) ; Editionsmanuskript.

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Bittgebet 280. " Bittet, dann wird euch gegeben ; sucht, dann werdet ihr finden ; klopft an, dann wird euch geöffnet" . . . Hier ist zu beachten, daß einer je­ den der drei Aufforderungen j e eigens eine Entsprechung hinzu gegeben wird. Dem Bitten wird die Gewährung der Gabe zugesagt . . . , dem Suchen das Finden, d. h. , der Suchende kommt im Inneren weiter, indem er eine Erfah­ rung macht; denn das Suchen geschieht durch tugendhaftes Handeln, und dann kann es nicht anders sein, als daß er durch das Erfahren. eines geist­ lichen Genusses es empfindet, wie geschmackvoll die Tugend ist ; das sitt­ lich-richtige Tun und das dadurch erreichte Gute geht ja von der lebenden und wahrnehmungsfähigen Seele aus . 1 Petr 2, 3 : "Denn ihr habt erfahren, wie gütig der Herr ist . " Ps 34, 9 : " Kostet und seht, wie gütig der Herr ist . " S o gelangt der Suchende innerlich z u den " Früchten d e s Geistes" (Gal 5 , 22-23), in dessen Kraft e r i m Guten voranschreitet. Dem Anklopfen wird als Entsprechung das öffnen verheißen, d. h. der Zugang zur beständigen inneren Ruhe ; denn das vollendete Glück ist der ganz friedvolle Zustand in der Vereinigung mit dem vollkommenen Gut, in dem j eder Wunsch erfüllt ist. Die Tür zu j enem Zustand ist die Entdeckung der Gegenwart (Gottes), die nicht angewiesen ist auf die Nachbildungen (Gottes) im Menschen als dem Ebenbild Gottes und in den anderen irdischen Geschöpfen als den Spuren Gottes . Das Schreiten durch diese Tür ist schließlich das Innewer­ den des höchsten Gutseins Gottes . Ps 1 1 8 , 20 : "Das ist das Tor zum Herrn, nur Gerechte treten hier ein . " Das enge Tor 2 8 1 . " Geht durch das enge Tor" . . . In der Ermahnung sind drei Punkte anzumerken : welches Tor ist gemeint, wieso ist es eng, wie geht man hindurch . . . Das Tor ist eng; denn es ist schwer, die Feinde zu lieben, kei­ nen Menschen zu richten, sich nur nach dem Einen Notwendigen als Ziel auszustrecken, nichts anderes zu lieben als Christus, und ähnliche Forde­ rungen.

A N ME R K UN G E N

1 9 -23 : Weitere Belege hier: Minerale.: Nitrum (80), Drachenstein ( 81) , Abdrücke (82 - 84), Zyklische Um­ wandlung von Metallen (85), Umwandlung von Kupfer in Messing (86); Alchimie ( 1 3 3 , 1 3 8 , 139); Meteorologie : Erddämpfe ( 1 2 3 ) ; Pflanzenkunde : Palme (88), Wei­ zen (94), Mistel (96), Apfel (99), Spinat (100) ; Tierkunde : Falke ( 1 0 1 -1 05 ) , Geier (1 06, 107), Hamster (108), Karpfen ( 1 09, 1 1 0), Finte ( 1 1 1 , 1 1 2), Eichhörnchen ( 1 1 3 ) , Distelfink ( 1 1 4), Salm ( 1 1 8). 2 24 - 3 5 : Weitere Texte hier : Entstofflichung im Erkennen (1 60-162) ; Materie ( 1 64 -1 85); Sinnes tätigkeit (163 ) ; Einzelprobleme der Philosophie (1 86 -1 92 ) ; Philosophische Ethik (193 -233). 3 36: Vgl. A . Lang, Die Bedeutung Alberts des Großen für die Aufrollung der fundamentaltheologischen Frage : Studia Albertina (Münster i. W. 1 952) p . 3 6 1 sq . 4 3 7 : Zur Vergleichung : Thomas von Aquino, Summa I, q . 1 a. 8 ad 2 (Ed. Leonina p . 22) : "Ad secundum dicendum, quod argumentari ex auctoritate est maxime pro­ priumhuius doctrinae, eo quod principia huius doctrinae per revelationem habentur ; et sic oportet, quod credatur auctoritati eorum quibus revelatio facta est. Nec hoc derogat dignitati huius doctrinae ; nam licet locus ab auctoritate quae fundatur super ratio ne humana, est infirmissimus, locus tarnen ab auctoritate quae fundatur super ratione divina, est efficacissimus . Utitur tarnen sacra doctrina etiam ratione humana, non quidem ad probandum fi­ dem, quia per hoc tolleretur meritum fidei; sed ad manifestandum aliqua alia quae traduntur in hac doctrina. Cum igitur gratia non tollat naturam, sed perficiat, opor­ tet, quod naturalis ratio subserviat fidei . . . Unde et Apostolus dicit II ad Cor. X (5) : 'In captivitatem redigentes omnem intellectum in obsequium Christi. ' Et inde est : quod etiam auctoritatibus philosophorum sacra doctrina utitur, ubi per rationem na­ turalem veritatem cognoscere potuerunt, sicut Paulus Act. XVII (28) inducit verbum Arati, dicens : 'Sicut et quidam poetarum vestrorum dixerunt: Genus Dei sumus. ' Sed tarnen sacra doctrina huiusmodi auctoritatibus utitur quasi extraneis argumen­ tis, et probabilibus. Auctoritatibus autem canonicae Scripturae utitur proprie et ex necessitate argumentando. Auctoritatibus autem aliorum doctorum ecclesiae quasi arguendo ex propriis, sed probabiliter. Innititur enim fides nostra revelationi apostolis et prophetis factae, qui canonicos libros scripserunt, non autem revelationi, si qua fuit aliis doctoribus facta. " Es ist die ganz besondere Eigenart dieser (theologischen) Wissenschaft, mit Auto­ ritätsgründen zu arbeiten, weil ihre Prinzipien aus der Offenbarung stammen. Darum ist der Lehre der Offenbarungsträger Glaube entgegenzubringen. Das setzt aber den wissenschaftlichen Rang der Theologie nicht herab . Wenn auch

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Anmerkungen

der auf Menschen sich stützende Autoritätsbeweis der allerschwächste ist, so ist der Autoritätsbeweis aus der göttlichen Offenbarung doch der durchschlagendste aller Beweise. Freilich setzt die Theologie die menschliche Denkkraft ein, nicht zwar um die Glaubenswahrheiten zu beweisen - dadurch ginge die Heilswirksamkeit des Glau­ bens verloren -, vielmehr zur Erläuterung einiger anderer Fragen, die sich in ihrem Gegenstandsbereich stellen. Gottes Gnade unterdrückt ja nicht die menschliche N a­ tur, erhebt sie vielmehr zu höherer Leistung, und so ist es die richtige Ordnung, daß das Denken mit dem Glauben zusammenarbeitet. D eshalb sagt der Apostel 2 Kor 1 0 , 5 : 'Wir nehmen alles Denken gefangen in den Dienst Christi . ' Darum zieht die Theologie auch die gültigen Aussagen der Denker heran, wo es diesen gelungen ist, mit der natürlichen Vernunft Wahrheiten zu erkennen; wie Paulus (Apg 1 7,28) ein Wort des (griechischen Dichters) Aratus aufgreift und sagt : 'Wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben : Wir sind von Gottes Art . ' Immerhin verwendet die Theologie diese denkerischen Ergebnisse als gewisser­ maßen " systemfremd" und höchstens als Wahrscheinlichkeitsgründe. Ihre wesens­ eigenen und notwendigerweise schlüssigen Beweise entnimmt sie der kanonischen Schrift. Die Aufstellungen der anderen Lehrer in der Kirche gehören zwar zum theolo­ gisch-methodengerechten Beweisverfahren, führen j edoch nur zu einer Wahrschein­ lichkeit. Unser Glaube beruht nämlich auf der göttlichen Offenbarung, die den Aposteln und den Propheten gegeben und in den von ihnen geschriebenen Büchern der Bibel niedergelegt ist, nicht aber beruht der Glaube auf " Offenbarungen" , falls solche anderen Lehrern zuteil geworden sind . 5 5 7 : Super loh. 4 , 2 5 (Ed . Par. 24, 1 75a) : Quamvis enim sit per speculum in aenigmate, tarnen nihil est certius fide, quae aeternae innititur veritati . - Obwohl es mit dem Glauben sich so verhält, daß wir in einen Spiegel schauen und nur rätselhafte Umrisse sehen, gibt es keine größere Gewißheit als die des Glaubens, der sich ja auf die Ewige Wahrheit verläßt. 6 76 f. : Vgl. M . -L . Guerard de Lauriers, L'Immaculee-Conception, cle des privi­ leges de Marie: RevThom 56 ( 1 956) p. 52 . Nicht herangezogen wurde für die "Mariologie" Alberts das Mariale super 'Missus est' (Ed. Par. t. 3 7 p . 1 - 34 1 ) , das bis in die Gegenwart herein einen ungeheuren Einfluß ausgeübt hat, aber - ebenso wie eine Reihe anderer Mariologica - als un­ echt nachgewiesen worden ist : A. Fries, Die unter dem Namen des Albertus Magnus überlieferten mariologischen Schriften : Beiträge XXXVII, 4 (Münster i. Westf. 1 954) p. 5 - 5 1 . - B. Korösak, Mariologia S. Alberti Magni eiusque coaequalium (Rom 1 954) p . 3 -1 8 . Nicht berücksichtigt an theologischen Werken sind : die beiden Teile einer Summa (De mirabili scientia Dei, 3 Bände) und zwei Schriften zur Eucharistie (De sacrificio missae, De corpore Domini) ; gegen beide Werke besteht begründeter Verdacht, daß sie nicht echt sind. In einer seiner letzten Arbeiten hat 0. Lottin - nach und mit an­ deren Autoren - die Echtheit der Summa in Zweifel gezogen: BullThAM 9 (1 963) n . 1 1 70 p . 3 8 7sq. - Für die B edenken gegen die Echtheit der eucharistischen Schrif­ ten vgl. A. Fries, Einfluß des Thomas auf liturgisches und homiletisches Schrifttum

Anmerkungen

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des 13. Jahrhunderts : Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption (Mainz 1 974) p . 309-454. Zu dieser Echtheitsfrage (der eucharistischen Schriften) dem­ nächst an anderer Stelle mehr und ausführlich . Der Doppeltraktat über die Euchari­ stie enthält einerseits viel übereinstimmendes mit den Schriften Alberts ; daraus er­ gibt sich aber nur, daß Albert der Verfasser sein kann. Anderseits ist darin soviel U n­ terschiedliches und Gegensätzliches zu bezeichnenden und beständigen überzeu­ gungen Alberts vorhanden, wie auch in Begriffen, in Zitaten, im Wortschatz, im Phraseologischen, im Liturgischen - wo es z. T. nach Kompilation im Sinn von Plagiat aussieht -, daß an einen einzigen Verfasser nicht zu denken ist. 7 78 - 8 7 : Albertus Magnus, Book of Minerals . Trans!. by Dorothy Wyckoff (Oxford 1 967) Preface p. VII : " When Albertus Magnus wrote his Book of Minerals in the thirteenth century was no science of mineralogy, and the fact that there is such a science today is partly due to hirn. The Book of Minerals continued to be read, and to influence the thinking of men who wrote about 'stones', at least until the time of Georgius Agricola in the sixteenth century . » Die Mineralia, vor dem Kommentar z u dem aristotelischen Werk De anima (1254-1257) entstanden, fanden - nach Ausweis der Handschriften : über hundert - die weiteste Verbreitung, wie überhaupt die naturkundlichen Schriften Alberts, neben den Mineralia auch De animalibus, Meteora, De vegetabilibus, und die philo­ sophisch-systematischen Werke De IV coaequaevis und De homine (zusammenge­ faßt unter dem Titel ,De creaturis< [über die Geschöpfe] großen Einfluß ausgeübt haben. Schon um 1256 wurden die beiden zuletzt genannten Werke im ,Speculum natura­ le< des Dominikaners Vinzenz von Beauvais benutzt. Nach 1 264 wurden diese bei­ den Werke und die Mineralia in der ,Summa philosophiae< aus der Oxforder Schule benutzt und ausgeschrieben, wobei »Albertus Coloniensis" zu den »philosophi exi­ mii" gerechnet wird. Vg!. A. Fries, Werke Alberts des Großen als Quellen der Summa philosophiae unter dem Namen des Robert Grosseteste : Freiburger Zeit­ schrift für Philosophie und Theologie 1 0 ( 1 963) 257-290. Zu 78 : Hermann Römpp, Chemie-Lexikon (Stuttgart, Kosmos-Verlag 4 1 95 8 , I) p . 259 : »Die Arsendarstellung ist erstmals bei Albertus Magnus um 1250 beschrie­ ben . " - Handwörterbuch der Naturwissenschaften (Jena, Gustav Fischer Verlag 2 1 934, IX) p. 6 1 6 : " Zosimus ( griechischer Alchemist in Alexandrien, 4. Jahrhun­ dert n. Chr . ) kannte wohl schon die Darstellung des metallischen Arsens, obwohl nähere Angaben darüber erst bei Albertus- Magnus ( 1 1 93 -1 2 80) zu finden sind. " 8 8 7 : Vg!. G . v . Herding, Albertus Magnus (Köln 1 88 0) p . 8 - 9 : » Die Stelle kann nicht wohl anders gedeutet werden als auf die Arbeiten beim Bau des neuen Domes, zu welchem Erzbischof Konrad am 1 5 . August 1248 den Grundstein gelegt hatte. Dafür spricht sowohl die hervorgehobene große Tiefe der Ausgrabungen . . . wie auch der Umstand, daß der Domhügel die Stätte der römischen Ansiedlung be­ zeichnet, Ausgrabungen auf demselben daher j ederzeit das Auffinden römischer Alterthümer erwarten lassen mußten. " 9 8 8 : Die Schrift ,De vegetabilibus< (in wenigstens 3 2 Handschriften erhalten) hat als erstes von Alberts Werken schon vor mehr als hundert Jahren eine kritische =

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Anmerkungen

Ausgabe bekommen, begonnen von E. Meyer, Botaniker, vollendet von e . Jessen, ebenfalls Botaniker (Berlin 1 867) : Alberti Magni de Ordine Praedicatorum De vege­ tabilibus libri VII. Die ersten fünf Bücher bringen die allgemeineBotanik (mitMorphologie, Physio­ logie, Okologie). Das 6. Buch bespricht in alphabetischer Anordnung ungefähr 390 Pflanzenarten samt Hinweisen - meist aus der Antike · auf 'medizinische und pharmazeutische Verwendbarkeit, wie auch in Alberts Buch ,über die Mineraledür 96 Steine j eweils Heilwirkungen angegeben werden. Das letzte (7.) Buchcbefaßt sich mit Pflanzen zucht, Gartenbau und Landwirtschaft - darunter auch;mit ,Baumver­ edhmg und Anlage des Ziergartens - und hat - in dem WerkundJunter dem Namen eines italienischen Autors - nach Ausweis der Handschriften und der übersetzun­ gen weiteste Verbreitung in ganz Europa gefunden. - H . Ostlender, Albertus Magnus und die Pharmazie : Albertus Magnus - Blätter, Vierteljahresschrift der St. Albertus Magnus Apothekergilde 1 3 (1 966) p. 1l00 -t1 04. 1 0 92 f. : Vgl. H . B alss, Albertus Magnus als Biologe (Stuttgart 1 947) p . 11 6 . 1 1 9 6 - 9 8 : Vgl. Balss, p . 1 05 . 1 2 1 00 : Vgl. Balss, p . 1 3 1 : " D er Spinat wird als , spinachia' . . bei Albert zum erstenmal in der abendländischen Literatur genannt. " - J. Wimmer, Deutsches Pflanzenleben nach Albertus Magnus (Halle 1908) p. 61 . 1 3 1 08 : VgI. Balss, p. 23 1 . 1 4 1 1 1 f. : Vgl. Balss, p . 253 . 1 5 1 1 3 : Vgl. Balss, p. 230sq. 16 1 1 4 : Vgl. Balss, p . 1 6 1 . 249, 1 7 1 1 5 : Vgl. BaIss, p . 76 . 1 8 1 1 7: Vgl. BaIss, p. 77. 1 9 1 1 8 : Vgl. Balss, p . 78. 2 0 1 1 9 f. : Vgl. H. Ostlender, Albertus Magnus (DüsseldorF1955}p . 33sqq. 2 1 1 2 0 : Weitere deutsche biologische Namen (ed . S tadl er , Index nommum germanicorum, p. 1 653sqq . ) : hermelinus : Hermelin carperen : Karpfen horneze : Hornisse ceyce s : Zeisig jsvogel : Eisvogel cicel : Ziesel lahsen: Lachs crapa: Krabbe martarus : Marder daxus : Dachs mewe : Möwe distelvinche : Distelfink mirle : Merlin droscheIe : Drossel musio (Mauser) : Katze elent: Elentier nadero s : Natter gemezen: Gemse rocho : Rochen gragan s : Graugans sligin : Schleie grasemushe : Grasmücke snepen : Schnepfe grifen : Greif sparverius : Sperber grillius : Grille stora: . Stör gywit : Kibitz vegesterd : Bachstelze hagedorn : Weißdorn warchengel: Würger hamester: Hamster -

.

Anmerkungen

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22 121 ff. ; Der Text der Editio Parisiensis wurde verglichen mit - und verbessert nach - Paris, BibI. Nat. Cod. 65 1 0 (s. 1 3/ 1 4) f. 2 0 1 va ; 205rb ; 202rb-202va. Erlangen, Univ. Cod. 206 (s. 1 3/ 1 4) f. 9 1 rb ; 93va; 9 1 vb . 2 3 1 24 -1 3 0 : Textvorschlag : Mrs. Nadine F . George, Asst. Professor of Classics, Hamilton College, Clinton, New York. 24 1 3 1-142 ; In den ältesten Katalogen der Dominikanerschriftsteller wird unter Alberts Namen auch eine Schrift über Alchimie aufgeführt. Schon im 1 4 . Jahrhun­ dert war eine solche unter dem Titel ,Semita recta< als ein Werk von ihm in Umlauf; sie wurde noch 1 95 8 ins Englische übersetzt, bringt aber keine eindeutigen Zeichen der Echtheit. Noch eine ganze Reihe - sicher unechter - alchimistischer Schriften wurde mit seinem Namen verknüpft. Sicher ist, daß Albert sich für Alchimie interessierte ; er hielt sie für eine Fortsetzung der Naturwissenschaft und schätzte sie, wenn frei von Mißbrauch und Aber­ glauben, hoch ein. Auch von ihr erwartete er Hilfe für die Erfassung und Erklärung des Naturgeschehe ns in seiner Gesamtheit, die ein Hauptanliegen seiner "curiosi­ tas " , seiner Wißbegierde nach kausaler Naturerklärung war. Er sah sich in alchimi­ stischen Schriften und Laboratorien um, sprach mit Alchimisten und nahm kritisch Stellung zu ihren Theorien und Verfahren, wofür er selber j edoch kein Adept sein mußte . Von den in verschiedenen seiner Werke mitgeführten alchimistischen Fragmenten werden hier einige Texte vorgelegt, auf Vorschlag von Pearl Kibre, Prof. em. , New York. Ergänzungen finden sich hier unter " Chemie" 1 2 4 -1 2 8 ; Minerale, Arsenicum 78 f. 2 5 1 4 4 ; Vgl. J. M. Schneider, Aus Astronomie und Geologie des heiligen Albert des Großen: Divus Thomas 1 0 (Frib. 1 932), Albertus-Magnus-Festnummer, Sonderdruck p . 20sqq. 2 6 1 46 -1 54 : Bekanntlich wurden die Wörter " Astronomie" und "Astrologie" im 1 3 . Jahrhundert vertauschbar verwandt. Die Himmelskunde gliederte sich in zwei Richtungen. Die eine, das wissenschaftliche Forschen, das naturgemäß nur den al­ lerwenigsten zugänglich war und dazu noch gern geheimgehalten wurde, beobach­ tete und beschrieb die Gestirne und ihre Bewegungen und erbrachte damit früher und später echte astronomische Erkenntnisse. Die andere, weitverbreitete und schließlich überbordende Richtung wandte diese Kenntnisse, nach und nach mit Tat­ sachenmaterial angereichert, praktisch an, um Schicksal und Zukunft - auch das Wetter - wie schließlich auch charakterliche Anlagen des Einzelmenschen voraus­ zusagen, den Einfluß des Klimas auf Pflanzen, Tiere und Menschen anzugeben, und den menschlichen Angelegenheiten und Unternehmungen den Einfluß der Gestirne zu sichern. Bei dieser Praxis für den täglichen B edarf wurde weiter sorgfältig unter­ schieden zwischen erlaubter Schicksals- und Charakterdeutung und unerlau b ter Anwendung. VgI. Albertus Magnus. Book of Minerals, trans!. by D. Wyckoff (Oxford 1 967) p . XXIXsq. Albertus Magnus hat sich, wie mit der Alchimie, so auch mit der Astrologie be­ faßt. B ei seiner starken Neigung und Vorliebe für die Erforschung der Natur und bei

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Anmerkungen

seiner streng kausalen Naturbetrachtung rechnete er doch mit einem Bereich von Er­ scheinungen und Vorgängen, die sich einer kausalen Erklärung entziehen, wie mit geheimen Naturkräften, so auch mit einem Einfluß der Gestirne auf das,irdische Ge­ schehen. Die Berücksichtigung dieser nicht innerirdischen Ursachen und Kräfte, obwohl sie nicht genau feststellbar sind, schien ihm zur Erkenntnis der Gesamtheit der Natur geboten. Im Mittelalter gelangte die Sterndeutung zu hohem Ansehen. Albert, wie später sogar Johannes Kepler, entsagte ihr nicht ganz. Hinzu kommt, daß mit der mittelalterlichen Naturphilosophie, namentlich mit der Astronomie, wie auch mit der Mathematik, die Astrologie engstens verknüpft war. Für den Einfluß der Sternenwelt auf Naturvorgänge und menschliches Tun stützte er sich auf Augu­ stinus und Johannes von Damaskus; besonders auf (den griechischen Naturforscher des 2. Jahrhunderts n. Chr.) Ptolemäus, den er oft "sapiens" nennt und zu dessen Theorie er sich deutlicher als Roger Bacon bekennt; ferner beruft er sich auf Avicen­ na, dem er auch sonst vielfach folgt, und auf andere Autoren. Bei aller empirischen Einstellung stand er diesen "Autoritäten" nicht kritisch genug gegenüber und machte sich zum Teil ihre Lehren zu eigen, soweit sie nach dem Stand der Wissenschaft des 13. Jahrhunderts zu vertreten waren, mit der kirchlichen Lehre, besonders mit dem Vorsehungsglauben, nicht in offenem Widerspruch standen, nicht magischen oder dämonischen Charakter hatten, und die Freiheit des menschlichen Willens nicht in Frage stellten. Er kannte astrologische Literatur. Von den antiken astrologischen und astromagi­ schen Schriften, die im 12. und 13. Jahrhundert aus dem Orient eingeströmt und aus dem Arabischen und dem Griechischen ins Latein übersetzt worden waren, erwähnt er einige in verschiedenen se ner Werke wenigstens dutzendmal. Bescheid wußte er --auch über den - von ihm verworfenen - Gebrauch astrologischer magischer Bilder

und Schriftzeichen für den Einfluß der Gestirne auf das Naturgeschehen und auf das freie Handeln des Menschen. Ob Albert selber eine Schrift über Astrologie - vielleicht im Anschluß an Ptole­ mäus - verlaßt hat, könnte in den alten Katalogen der Dominikanerschriftsteller angedeutet sein, bleibt aber die Frage. Jedenfalls hat er angekündigt, im Unterricht auch über Astrologie zu sprechen: De caelo et mundo (Ed. Col. t.5 p. 162, 77-79; p. 154, 86 -89: 'in scientia electionum'

=

astrologiae).

Zugeschrieben wurde - und wird - ihm ein berühmtes und für die Erforschung der astrologischen Literatur bedeutsames "Speculum astronomiae" (

=

astrologiae),

das allerdings in neuerer Zeit auch einem Philippus Cancellarius und dem Franziska­ ner Roger Bacon zugeteilt wurde. Es ist ei�e Art kritischer Bibliographie der astrolo­ gischen Schriften, polemisch gehalten gegenüber einer aus christlichem übereifer hervorgehenden wahllosen Vernichtung astrologischer Bücher. Das Werkchen (Ed. Par. t.l0 p.629-651) hat der Astrologie im Abendland jahrhundertelang die theoretische Rechtfertigung geliefert. Die Schrift ist anonym erschienen. Die handschriftliche überlieferung - von den 48 bis jetzt bekannten Handschriften stammt eine aus dem 13. Jahrhundert - ist fast einhellig für Albert als Verfasser. Die Zuschreibung des "Speculuni" an ihn reicht ins 13. Jahrhundert (1297) hinauf. Ebenfalls nehmen die alten Kataloge der Dominika­ ner die Schrift für Albert in Anspruch. Wenn auch einige Stileigentümlichkeiten für

Anmerkungen

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Albert fremd anmuten, so scheinen die im "Speculum" geäußerten Anschauungen dem Albertus nicht fremd zu sein, sie stimmen sogar - nachgewiesenermaßen weithin mit den seinen überein. Daraus allein ergibt sich freilich nur, daß Albert der Verfasser sein kann. Anderseits wurde zuletzt - auf inhaltliche Gründe hin - ein Beweis vorgelegt, daß Albert nicht der Verfasser sein kann. B. Geyer, Das Speculum astronomiae kein Werk des Albertus Magnus: Münchener Theol. Zeitschrift 4 (1953) p.95-101. Dabei gibt es allerdings zu denken, daß der Hauptgrund gegen die Echtheit- eine gegensätzliche Wertung einer bei Albumasar sich findenden Sterndeutung - dem 2. Teil der Summa de mirabili Dei scientia entnommen ist, die selber als Werk Alberts in Frage gestellt ist. In der Sache selber - ohne Bezug auf Albumasar - bleibt dennoch ein entschei­ dender Gegensatz zwischen dem "Speculum", das immerhin eine Bekundung seiner Wirkungsgeschichte ist, und echten Werken Alberts bestehen. Für den Stern des Messias (Mt2,2.9) gibt nämlich das "Speculum" eine natürliche Erklärung. Dann folgt die Bemerkung: "Nicht als ob der Messias den Bewegungen der Sterne unterläge oder der unter allen Geborenen am meisten Ersehnte den Stern­ deutungen. Er hatte ja die Sterne selbst geschaffen. Als er den Himmel ausspannte wie ein Zelt (vgl. Ps.104,2) und das Buch des Weltalls anlegte, wollte er keine halbe Sache machen. Dem Inhalt dieses Buches wie auch bei den Ereignissen, die nach dem Plan der Vorsehung im Buch der Ewigkeit aufgezeichnet sind, sollte auch jenes her­ vorragend passende Zeichen nicht fehlen, bevor der Messias von der Jungfrau gebo­ ren wurde. Dadurch sollte sich zuverlässig erweisen, daß er ein natürlicher und wirk­ licher Mensch ist, obwohl er nicht auf natürliche Weise ins Dasein trat. Nicht als ob das Bild, das der Himmel bot, die Ursache dafür wäre, daß er geboren wurde, es war vielmehr rein eine Vorbedeutung. In Wirklichkeit war er selbst der Grund dafür, daß die bewundernswerte Art seiner Geburt am Himmel angezeigt wurde" (Speculum c.12 [Ed. Par. t.10 p.644b]). Albert dagegen nimmt in einem Frühwerk (De IV coaequaevis) und in zwei Spät­ schriften (Super Matth., Super Dan.) einen "Wunderstern" an, einen durch Gottes Eingreifen hervorgebrachten Lichtkörper ganz eigener Art, Stellung und Bewegung: - De IV coaeq. q.15 a.2 (Ed. Par. t.34 p.434b); Wien, Dominik. BibI. Cod. 120 f. 96vb: "Nach den Aussagen der überlieferung (der Heiligen, namentlich Johannes Chrysostomus und Augustinus) war der Stern nicht am Firmament (in der achten Himmelssphäre von außerirdischer Natur, wo viele Sterne angesiedelt sind, während die sieben unteren Sphären nur je einen Planeten haben), sondern in den höheren Luftschichten der Erde. Es war ein Wunder (miraculum), gewirkt zum Erweis jenes Wunders, daß Christus vom Himmel in die Niederungen herabgestiegen ist." - Super Matth. 2,2 (Ed. Par. t. 20 p. 64sq.); nach dem Editionsmanuskript: "Zwi­ schen diesem Stern und den anderen besteht nach einhelliger Auffassung ein fünffa­ cher Unterschied: in der Natur, in der Stellung, in der Bewegung, in der Helligkeit, in der (von ihm allein, ohne Bezug auf die and.eren Sterne ausgehenden) Vorbedeu­ tung ... Im Unterschied von den anderen Sternen stand er nicht am Firmament (dem Ort vieler Sterne), sondern in der Erdatmosphäre ("in spatio huius aeris vicina loca terrae tenebat"). Es war aber nicht ein Komet, wie er bei der Geburt oder beim Tod

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Anmerkungen

von Königen erscheint, flüchtig wie eine brennende Fackel . . . Dieser Stern hatte sei­ nen erdnahen Stand in unserem Luftraum . . . Auch in der Bewegung unterschied er sich ; denn sowohl die echten Sterne wie die sogenannten Kometen ziehen in einer Kreisbahn (um die Erde) ; er aber ging in gerader Linie von Nord-Ost nach West und neigte sich in südlicher Richtung dem Land Judäa zu . . . Es war sein Stern (stella eius), einmal von der Wirkursache her; denn Er hat diesen Stern gemacht zum Erweis dafür, daß Er es ist, der die Sterne geschaffen hat . . . Sodann auch von der Zweck­ ursache aus ; denn der Stern von Bethlehem dient nur Seiner Verherrlichung und Seiner Preisung. " - Super Dan. 2 , 2 (Ed. Par. 1 8, 469a) ; München, StaatsbibI. Clm 2 8 1 9 8 f. 1 0ra) : " Hieronymus (Cornm. in Dan. 2,2 [PL 25, 498D-499A]) : 'Die Großen und die Könige j enes Volkes gehen in allen Dingen nach der mathematischen Kunst vor. D a­ her haben sie bei der Geburt des Herrn als erste den Aufgang seines Sternes bemerkt; sie zogen nach Bethlehem und huldigten dem Kind. ' Demnach haben die Weisen die Geburt des Erlösers nicht durch einen neuge­ schaffenen Stern, vielmehr durch den natürlichen Lauf der Gestirne erfahren. Die Kirche hält die entgegengesetzte Ansicht. Zu Hieronymus ist zu sagen, daß er nicht die Erschaffung eines neuen Sternes leug­ net. Er will nur sagen, daß einige der Weisen das Licht des neugeschaffenen Sternes als erste entdeckt haben, aber nur deshalb, weil sie den Sternenhimmel regelmäßig betrachteten. " "Die Streitfrage um den Verfasser des Speculum scheint im negativen Sinn ent­ schieden zu sein" (Geyer) . Bei diesem Stand der Frage werden hier aus echten Werken einige Ausführungen Alberts über Astrologie angeboten. Andere einschlägige Texte sind hier schon unter " Alchimie " 132 und 1 34 zu finden. 2 7 1 55 -1 59 : Sicher ist, daß Albertus Magnus eine Geometrie geschrieben hat, vielleicht auch noch andere mathematische Schriften wie "Astronomia" und " Per­ spectiva" . Mathematik stand j edenfalls in seinem Vorlesungsplan : De causis proprietatum elementorum l. 1 tr. 2 c. 8 (Ed. Par. t. 9 p. 6 1 8a) : " . . . de quibus, Domino concedente, in mathematicis scientiis determinabimus" . - In einem anderen, etwas jüngeren Werk wird eine arithmetische Schrift als bereits verfaßt angezeigt : De nutrim. et nu­ trib . tr. 1 c. 2 (Ed. Par. t. 9 p. 32 8aJb) : " Quid autem vocetur 'secundum proportio­ nem geometricam', in antehabitis libris est determinatum, in arithmeticis autem cum subtilitate dictum est . " Diese mathematischen Schriften sind j edoch - nach manchen Nachweis-Ver­ suchen - noch nicht wiedergefunden. Ob auch ein Euklid-Kommentar (in einer Handschrift der Wiener Dominikaner­ bibliothek) von ihm stammt, ist noch nicht entschieden. Vgl. B. Geyer, Die mathe­ matischen Schriften des Albertus Magnus : Angelicum 35 ( 1 958) p . 1 59 -1 75 . Mehrere andere Werke Alberts enthalten mathematische Ausführungen, von de­ nen hier einige Abschnitte dargeboten werden, die meisten - bis auf den Text aus De anima - auf Vorschlag von George Molland, University of Aberdeen, Schottland. 2 8 1 60 : I m Wissenschaftssystem Alberts gehört die Psychologie als eine Teilwis-

Anmerkungen

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sensehaft zur Naturphilosophie, die auch der Ort für seinen Kommentar zur aristote­ lischen Schrift De anima ist. Die Naturphilosophie bildet zusammen mit der Mathe­ matik und der Metaphysik die Realphilosophie , d. h. die Erforschung alles Seienden, das nicht vom Menschen hervorgebracht ist, während die Ethik sich mit dem vom Menschen gesetzten Sein befaßt und die Logik allem Philosophieren zugeordnet ist. 29 1 6 1 : Vgl. U. Dähnert, Die Erkenntnislehre des Albertus Magnus gemessen an den Stufen der 'abstractio' (Leipzig 1 934) p . 2 7sq. - W. Hehlmann, Geschichte der Psychologie (Stuttgart 2 1 967) p . 5 0 . 3 0 1 63 : Textvorschlag : L . Dewan, Dominican College of Philosophy and Theolo­ gy, Ottawa, Canada. - Vgl. A. Schneider, Die Psychologie Alberts des Großen : Beiträge IV, 5/6 (Münster i. W. 1 903) p . 92sq. 3 1 1 64 - 1 85 : Auswahl der Texte: Dr. Paul Hoßfeld, Albertus-Magnus-Institut, Bonn. 3 2 1 86 -1 92 : ,De XV problematibus< ist eine Gelegenheitsschrift, veranlaßt durch 1 5 Anfragen eines Pariser Dominikanertheologen, wahrscheinlich Gilles (Aegidius) de Lessines . Gegenüber der Artisten-Fakultät von Paris ging es um die richtige Ari­ stoteles-Interpretation. Albert, als Autorität angegangen, bietet Kritik und Stellungnahme zu den besonders durch Siger von B rabant verbreiteten (averroisti­ sehen) Ansichten der Pariser Philosophen. Dabei geht er ausdrücklich rein philoso­ phisch vor, ziemlich polemisch, zuweilen ironisch. Die Schrift macht den Eindruck einer schnell hingeworfenen Erwiderung, und obschon sie nicht ein Werk ersten Ranges ist, enthält sie doch manche genauen und eindringenden Ausführungen. Als Altersschrift - vor Dezember 1 2 70 - ist sie vielleicht besonders geeignet, die philo­ sophische Eigenart Alberts kennenzulernen, da er ohne literarische Hilfsmittel die Antwort zusammenstellt, aus dem Schatz seiner Kenntnisse schöpft, und viele seiner Lieblingsgedanken und der ihm geläufigen Zitate - nur von Aristoteles und dem ,Liber de causis< - frei aus dem Gedächtnis einflicht. Vgl. F. Van Steenberghen, Le ,De quindecim problematibus< d'Albert le Grand : MeIanges A. Pelzer (Louvain 1 94 7) S . 43 1 - 434 ; Ders . , Introduction a l'etude de la Philosophie medievale (Louvain-Paris 1 9 74) p. 447 -450. 33 1 9 3 - 2 06 : Texte zusammengestellt von C . Vansteenkiste, Pontificia Univer­ sira San Tommaso, Rom. 34 207: Der Traktat ,De natura boni< ist wohl die älteste erhaltene Schrift Alberts, entstanden vor seinem Theologiestudium in Paris (wohl seit dem Studienjahr 1 240/4 1 ), mehr pastoral-aszetisch als lehrhaft gehalten, mit vielen Schriftstellen ange­ reichert, meist im allegorischen Sinn, ein Werk der praktischen Moral, nicht sehr ausgewogen, wahrscheinlich unvollendet geblieben. - Textauswahl : Dr. J. Schnei­ der, München. 35 208 -233 : Vollständige Lehre in der Reihenfolge der Schriften. - Albertus Magnus hat die Lehre von der Epikie - die für ihn eine Tugend ist - aus dem 5. Buch der Ethik des Aristoteles an Nikomachos ( 1 1 3 7 a 3 1-1 1 3 8 a 3 ) in die schola­ stische Ethik übernommen, ihr über das Begriffliche hinaus das Konkrete hinzu ge­ geben, und - als Theologe - ihren Wert für die Würde und Freiheit des Menschen stärker herausgestellt. M. Müller, Der heilige Albertus Magnus und die Lehre von der Epikie : DTh 12

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Anmerkungen

( 1 934) 1 66 . 1 69 . 1 71 . 1 $0. - F. D' Agostino, La dottrina dell' epicheia nel pe'lsiero di S. Alberto Magno : Riv. Intern. di Filos. del Diritto 46 ( 1 969) 120-1 3 7. Zu 2 1 5 : Super IV Sent. d. 1 5 a. 24 (Ed. Par. 29, 508b) : . . . Eustratius super V Ethi­ corum, qui dicit, quod, licet lex praecipiat uxorem alterius non esse cognoscendam, tarnen bonum est uxorem tyranni cognoscere, ut per eam mitigetur tyrannus ad ci­ ves. Errat autem Eustratius in loco illo, vel ipse loquitur ethnicorum leges referendo. In seinem Kommentar zu!1\ 5. Buch der Nikomachischen Ethik (des Aristoteles) meint Eustratius, obschon d �\ Geschlechtsverkehr mit der Gattin eines anderen Mannes nach dem Gesetz verboten sei, sei es doch sittlich in Ordnung, mit der Frau eines Tyrannen zu verkehren in der Absicht, durch deren Vermittlung den Tyrannen gegenüber den Untertanen milder zu stimmen. Hier aber irrt Eustratius, oder er spricht nur berichtend über heidnische Gesetze. - Cf. Super Luc. l , 75 (Ed. Par. t. 22 p . 1 75a). 36 234 : Anregungen durch P . Dr. Paulus Engelhardt, Phil. -Theol. Hochschule der Dominikaner, Bornheim-Walberberg. 37 245-254 : Textvorschlag von Prof. P. Weber, Paris. Albert hat - einmalig in der Scholastik - zu allen Schriften des Ps. -Dionysius, wie auch zu allen ihm bekann­ ten (pseudo-)aristotelischen Schriften, Kommentare geschrieben, kurz vor und nach 1250 in Köln, begonnen vielleicht schon in der Zeit seiner Lehrtätigkeit an der Uni­ versität von Paris (bis 1248). 3 8 2 5 5 - 2 8 1 : Wahrscheinlich hat Albertus Magnus auch einen Kommentar zum Psalter verfaßt. Das Schweigen darüber in den alten Schriftstellerkatalogen der Do­ minikaner fällt natürlich schwer ins Gewicht, bekanntlich j edoch nicht derart, daß ein dort nicht aufgeführtes Werk nicht als Eigentum Alberts in Frage käme. Es liegt aber ein zuverlässiges, den alten Katalogen ziemlich ebenbürtiges Zeugnis des Do­ minikaners Rainer von Pisa vor, der in seiner - 1 333 begonnenen - ,Pantheologia